ee eu a net Kr peut x IWw 8 Er & B { ee Fee Feine en PFLÜGERS ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. S. FRANKFURT A. M. KIEL 187. BAND MIT. 143 TEXTABBILDUNGEN UND 1 TAFEL BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1921 Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. 2 Inhaltsverzeichnis. i j Seite Holthusen, Hermann. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. Unter- suchungen an Askarideneiern. (Mit 3 Textabbildungen) 1 v. Uexküll, J. Der Segelflug. (Mit 2 Textabbildungen) 25 Steinhausen, Wilhelm. Über die Latenzzeit des Sartorius in Ab haneigkeii von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. (Mit 8 Text- abbildungen) . RL SANEEN 20 Maier, Marcus und Hans Lion. "Expenimenteller Nachweis der Endo- Iymphbewegung im Bogengangsapparat des Ohrlabyrinthes bei ad- äquater und kalorischer Reizung. Physiologische Erklärung der Aus- lösung des Nystagmus durch Endolymphbewegung. (Mit 4 Textabbil- dungen) . ; N N ee Nat Hürthle, K. Beschreibung. eines emlkrarlunassen. (Mit 5 Textabbildungen) 7 Abderhalden, Emil. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nah- runesstoffen mit spezifischer Wirkung. IV. Mitteilung. Gaswechsel- untersuchungen an mit geschliffenem Reis mit und ohne Hefezusatz er- nährten Tauben. (Mit 13 Textabbildungen) . . . 80 Fröhlich, Alfred und Alois Kreidl. Pharmakologische Unkensmehumaen über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon) . ..... 90 — —- Lichtreaktionen bei Krebsen (Palaemon) . . 102 Loewi, 0. Über die Beziehungen zwischen oe aa physiologischer Kationenwirkung. IV. Mitteilung. Über Nichtelektrolytwirkung aufs Herz. (Mit 12 Textabbildungen) . . . 105 — Über die Beziehungen zwischen Herzmittel- nd A hmsioleeischen Ka- tionenwirkung. V. Mitteilung. Über die Wirkung von Lipoiden auf die Else name und deren Beziehung zum Kalium. (Mit 7 Textabbil- dungen) . 2 2 Hering, H. E. Oh die Koskizhenen der erzileknee im N erzen. Bar 132 Neuschlosz, S. M. Erwiderung auf die Bemerkung des Herrn H. Handov sky zu meiner Arbeit: Die kolloidehemische Bedeutung des physiologischen Tonenantagonismus usw. . . re N Feucht, B. Zur Bürkerschen Methodik der Bintkörporchenzählung “ (Mit 2 Textabbildungen) . \ 139 Kupeilwieser, Ernst. Bienchen ; zu meiner Anlhreitee Beitrag. zur Physio. logie des venösen Vorherzens (Sinus und Hohlvenen) der rimeelleeiiiem. (Mit 6 Textabbildungen) . . 162 Weber, Hans H. Über die Rolle. der Milchsäure bei der Bilduns am Lösung der Muskelstarre. (Mit 10 Textabbildungen) . . . 165 de Boer, S. Herzwühlen, Flimmern, Flattern, gehäufte Bxlrasystolie, Han oxysmale Deddislkondie, (Mit 23 en) N 193 Palugyay, Josef. Röntgenologische Beobachtungen über die Kumantonnle und Physiologie der Kardia. (Mit 3 Textabbildunesen) . .........233 ee IV Inhaltsverzeichnis. Abderhalden, Emil und Ernst Gellhorn. Weitere Studien über die von einzelnen Organen hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wir- kung. V. Mitteilung. (Mit 39 Textabbildunsen) .:....... Junkersdori, P. Beiträge zur Physiologie der Leber. Ill. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Glykogenmast a de Boer, S. Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Rrosehherz, (Mit 5 Textabbildungen) . G Winterstein, Hans. Die Elanlkrlame Ihannio, der Atmunpsresulanion 2 N Groebbels, Franz. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. (Mit 1 Textabbildung und Tafel I) Anıitio Lenw.erzenichmasee Par ee: Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. Untersuchungen an Askarideneiern. Von Priv.-Doz. Dr. Hermann Holthusen. (Aus der medizinischen Klinik Heidelberg.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 20. Oktober 1920.) I. Einleitung. Die folgenden Untersuchungen nahmen ihren Ausgang von einer Beobachtung, die bei Gelegenheit von vergleichenden Versuchen über die Wirkung von Röntgenstrahlen verschiedener Wellenlänge an Eiern des Pferdespulwurms gemacht wurde!). Es zeigte sich nämlich, daß die Empfindlichkeit der Eier für Röntgenstrahlen nicht nur beim Vergleich von Eiern verschiedener Entwicklungsstadien (Ein- oder Mehrzellenstadium) sich voneinander unterscheidet, sondern daß sie auch in verschiedenen Phasen des Einzellenstadiums variiert, indem sie kurz vor dem Beginn der Zweiteilung stark zunimmt und nach der vollzogenen Zweiteilung rasch wieder absinkt. Die Überlegungen, worin dieses auffällige Verhalten der Askariden- eier seinen Grund haben könne, führten unter Berücksichtigung des bisher vorliegenden Beobachtungsmaterials zu verschiedenen Er- klärungsmöglichkeiten, so daß weitere Versuche angezeigt erschienen, um das Wesen des sich hier offenbar verbergenden gesetzmäßigen Verhaltens der Zelle aufzuklären. Die bisherigen Erfahrungen über den Zusammenhang zwischen Röntgenstrahlenempfindlichkeit und Zellcharakter sind am schärfsten zusammengefaßt in dem Gesetz von Bergonie und Tribondeau?), nach welchem die Röntgenstrahlen um so stärker auf die Zelle wirken, 1. je größer die reproduzierende Fähigkeit der Zelle ist, 2. je länger ihr karyokinetischer Werdegang ist (‚‚que leur devenir karyokinetique est plus long‘) und 3. je weniger ihre Morphologie und ihre Funktionen endgültig festgelegt sind (‚que leur morphologie et leurs fonctions sont moins definitivement fixees‘“). Von diesen drei Sätzen sind der erste und dritte ohne weiteres zu verstehen, der zweite Satz wird verständlich, wenn man berücksichtigt, = 1) H. Holthusen, Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 2%, 213. 1920. 2) J. Bergonie und L. Tribondeau, Compt. rend. 143, 983. 1906. Pflügers Archiv ’f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 1 2 H. Holthusen : daß die genannten Autoren ihr Gesetz im Anschluß an ihre Beobach- tungen über die auffallend große Radiosensibilität der spezifischen Hodenzellen aufgestellt haben, welche die Empfindlichkeit der Haut noch um ein Erhebliches übertrifft. Er soll zum Ausdruck bringen, daß die Verletzlichkeit der Zelle um so größer gefunden wird, je länger die Entwicklungsreihe eines bestimmten Zelltypus bis zur reifen Zelle ist, wobei vor allem an die Spermiogenese gedacht wurde. Die Erfahrung, daß es vor allem sich lebhaft teilende Zellen sind. welche eine große Röntgenstrahlenempfindlichkeit. auszeichnet, in den Samenkanälchen die samenbildenden Zellen, nicht die Sertolischen Zellen, an der Haut die Zellen des Stratum germinativum, an den’ Lymphfollikeln die Keimzentren, bei den Tumoren die rasch wachsenden, wurde von Krause und Ziegler!) schon 1906 dahin gedeutet, daß für den Grad der Radiosensibilität weniger die Zellart selbst, als viel- mehr der Zustand der Zelle bestimmend ist, in welchem sie sich zur Zeit der Bestrahlung befindet. Und zwar scheint die Widerstands- fähigkeit der Zelle in allen Stadien der Kernteilung am geringsten zu sein. Auch Regaud und Blanc?) entnehmen aus ihren Beobachtungen an bestrahlten Rattenhoden, daß die Karyokinese ein Zeitpunkt be- sonders leichter Verwundbarkeit für die samenbildenden Zellen sei. Verschiedene chemische und physikalische Eigenschaften des Chro- matins werden als die Ursache der wechselnden Strahlenempfindlichkeit angesehen. Die größere Widerstandsfähigkeit der Spermatozoen wird mit dem kompakteren Chromatin erklärt, wohingegen die empfindlichen Spermatogonien durch ein fein verteiltes Chromatin ausgezeichnet sind. Aber diese Beobachtungen sind nicht eindeutig?)!: Was die größere Empfindlichkeit der Spermatogonien im Vergleich mit den Spermatozoen anbelangt, so kann man sie nach dem Gesetz von Bergonie - Tribon - deau dadurch erklären, daß erstere einen längeren karyokinetischen Werdegang vor sich haben nach Krause und Ziegler, daß sie sich im Gegensatz zu den Spermatozoen stets in lebhafter Teilung befinden. Die verschiedenartige Verteilung der Chromatinmasse braucht zur Erklärung der Sensibilitätsunterschiede nicht herangezogen zu werden. Jedoch ist es selbst fraglich, ob die Empfindlichkeitssteigerung im Stadium der Zellteilung mit den spezifischen Vorgängen der Kern- teilung in unmittelbarem Zusammenhang steht oder ob sie nicht nur ganz allgemein der Ausdruck für eine Zunahme der Verletzlichkeit ist, welche durch die Stoffwechselgröße bestimmt wird. Schon von Holz- knecht wurde darauf hingewiesen, daß eine Zelle um so leichter durch !) Krause und Ziegler, Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 10, 126. 1906. 2) Regaud und Blanc, Compt. rend. de la soc. de biol. 61, II, 163, 390, 652. 731. 1906. 3) Vgl. dazu auch G. Hertwig, Str.-Ther. I1, 833. 1920. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 3 Röntgenstrahlen geschädigt wird, je rascher ihr Stoffwechsel abläuft und je protoplasmareicher sie ist. Auch die Beobachtungen von Schwarz!) über die Abhängiskeit der Radiosensibilität eines Gewebes von seiner Blutfüllung scheinen sich unter dem Gesichtspunkte eines erhöhten Stoffwechsels am besten erklären zu lassen. Und daß der Beginn der Zellteilung durch eine bedeutende Steigerung des Stoff- wechsels, gemessen an der Größe der Atmung, eingeleitet wird, ist aus den Versuchen von Warburg?) am Seeigelei bekannt. Zwar für den Vergleich der Strahlenempfindlichkeit verschiedener Zellarten kommen wir mit dem Begriff der Stoffwechselgröße als maßgebendemi Prinzip nieht aus. Das geht schon daraus hervor, daß die Leberzelle, trotz ihres großen Stoffwechsels gegen die Röntgenstrahlen relativ unem- pfindlich ist. Aber es wäre doch möglich, daß man die Empfindlichkeits- unterschiede ein und derselben Zellgattung unter verschiedenen Be- dingungen mit ihrer Stoffwechselgröße in Zusammenhang brivgen könnte. Wir sehen also, daß über den Zusammenhang zwischen Inten si- tät der Strahlenschädigung und Zellteilung einerseits, Größe der Strahlenschädigung und Stoffwechsel andrerseits zwar eine Reihe von Beobachtungen vorliegen, daß es aber bisher nicht möglich ist, fest- zustellen, welche Funktionen der Zelle die Sensibilität für Röntgen- strahlen wesentlich beeinflussen. Für die Beantwortung aller dieser Fragen erwiesen sich Eier von Ascaris megalocephala als ein besonders geeignetes Versuchsmaterial. Einmal handelt es sich um Objekte, welche sich unter verschiedenen Bedingungen für ihren Stoffwechsel durch Veränderung der Temperatur und Sauerstoffzufuhr untersuchen lassen, und zweitens befinden sich, wenigstens im Anfang der Entwicklung, die große Mehızahl der Zellen in der gleichen Entwicklungsphase, deren Verlauf sich vorausbestimmen läßt, so daß man immer eine große Anzahl von Exemplaren in dem glei- chen jeweils gewünschten Teilungsstadium untersuchen känn. Durch eine große Zahl von Untersuchungen an Askarideneiern unter den verschiedensten Versuchsbedingungen konnte der Nachweis erbracht werden, daß sich die Empfindlichkeitssteigerung der Zellen während der Teilung auf gewisse Stadien der Mitose beschränkt urd daß hierbei ebenso wie für die Herabsetzung der Empfindlichkeit der Eier während der Anoxybiose die morphologischen bzw. physikalisch- chemischen Verhältnisse des Kerns bestimmenrd sind. An- und Ab- wesenheit von Sauerstoff für sich allein beeinflußt die Radiosensibilität der Ejer nicht, deutlich dagegen die Temperatur. Der Nachweis einer Beeinflussung der Strahlenempfindlichkeit durch die Größe des Eneıgie- umsatzes in der Zelle konnte nicht erbracht werden. 1) Sehwarz, Wien. klin. Wochenschr. Nr. 11, $. 397. 1910. 2) O. Warburg, Asher Spiros. Erg. d. Physiol. 14, 255. 1914. 1® 4 H. Holthusen: Die Versuche wurden durch eine Bestimmung des Grades der Schädi- gung in ihrer Abhängigkeit von der Intensität der Bestrahlung einge- leitet, wobei sich herausstellte, daß die Kurve. welche den Zusammen- hang zwischen Bestrahlungsgröße und Intensität der Wirkung wieder- gibt, am besten durch die Annahme einer sehr verschiedenen Em- pfindlichkeit der einzelnen Eier erklärt wird, welche sich nach dem Gaußschen Fehlergesetz um eine mittlere Empfindlichkeit gruppieren. II. Versuchsobjekt -und Versuchsanordnung. Ascarideneier wurden zum erstenmal von Perthes!) für die Untersuchung der Röntgenstrahlenschädigung benutzt und haben sich seither als ein sehr brauch- bares Versuchsmaterial erwiesen, welches einerseits durch eine große Radiosensibili- tät, andererseits durch große Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse aus- gezeichnet ist. Die undurchdringliche Schale, welche die Eier umgibt, ist die Ur- sache dieser Unabhängigkeit vom umgebenden Milieu, welche soweit geht, daß die Eier sich sogar in den meisten Konservierungsmitteln noch weiter entwickeln, macht aber andrerseits die Anwendung pharmakologischer Mittel, welche beim Studium der Entwicklungsvorgänge an Seeigeleiern so wertvolle Resultate gezeitigt hat, zur Unmöglichkeit. Nur die Sauerstoffatmung wird durch die Eihülle nicht beschränkt und kann daher durch Änderung des Sauerstoffpartialdruckes im umgebenden Milieu beeinflußt werden. Die Bestrahlung der aus frischen Würmern entnommenen Eier wurde mit einer Glühkathodenröhre bei mittelharter Einstellung vorgenommen, wobei darauf Wert gelegt wurde, daß die Präparate, welche miteinander verglichen werden sollten, sich unter den gleichen geometrischen und den gleichen Bedingungen der Absorp- tion inbezug auf die Antikathode der Röhre befanden). Nach der Bestrahlung wurden die Eier auf ihrer Unterlage in eine feuchte Kammer gestellt und in einem Brutschrank von 22° zur Entwicklung gebracht, die bei dieser Temperatur in 8$—10 Tagen soweit fortgeschritten ist, daß sich in allen normal entwickelten Eiern lebhaft bewegliche, mehrfach eingerollte Würmchen gebildet haben. Die unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen auftretenden Schädi- gungen machen sich, je nach der Intensität, mit welcher die Röntgenstrahlen gewirkt haben, früher oder später geltend und bestehen bei leichten Graden der Beeinträchtigung nur in einer Verzögerung der Zellteilung, bei stärkerer Bestrah- lung in Unregelmäßigkeiten der Zellbildung, Asymmetrien bei der Teilung, eigen- artigen Mißbildungen in Gestalt von Auswüchsen und Vakuolen an den Embryonen, bei den stärksten Graden der Schädigung in einem völligen Sistieren der Ent- wicklung auf einer mehr oder minder frühen Entwicklungsstufe, meist im Stadium eines unregelmäßigen Zellhaufens. In den folgenden Untersuchungen, bei denen es weniger auf eine Analyse der Art und Weise der unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen auftretenden Schädigungen, als darauf ankommt, einen Maßstab für den Grad der Strahlenwirkung zu gewinnen, wurden die Erfahrungen 1) Perthes, Dtsch. med. Wochenschr. Nr. 17, 8. 632. 1904. 2) Da in den später zu beschreibenden Versuchen im allgemeinen nur gleich- zeitig bestrahlte Präparate miteinander verglichen wurden, so konnte die Dosierung nach der Zeit als ausreichend betrachtet und von einem exakten direkten Do- sierungsverfahren abgesehen werden. Nur Versuche 2—4 machen hiervon eine Ausnahme. ” Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 5 eigener früherer Untersuchungen!) berücksichtigt, nach welchen der Eintritt der Schädigung für die einzelnen Eier in sehr weiten Grenzen schwankt und man nur aus der Auszählung einer großen Zahl von mehreren Hundert Eiern vergleichbare Werte zu erhalten vermag. Die zahlenmäßige Angabe in Prozenten, wieviele Eier am Ende der embryonalen Entwicklung normal entwickelte, wie viele mißgebildete, wieviele endlich in ihrer Entwicklung vollständig gehemmte Em- bryonen enthielten, ergab einen befriedigenden Ausdruck für den Grad der Schädigung in jedem einzelnen Falle. Da die Unterschiede zwischen seschädisten und nichtgeschädigten Individuen am Ende der Ent- wicklung im Ei am schärfsten hervortreten und in der angegebenen Form der Auswertung ein ausreichendes Bild des Maßes der Strahlen- wirkung ergaben, so erübrigt sich eine vergleichende Beobachtung der einzelnen Serien vor diesem Zeitpunkt der beendeten embryonalen Entwicklung. Ebenso wurde die Übersicht über die an den einzelnen Präparaten auftretenden Strahleneffekte durch eine über die von uns durchgeführte Dreiteilung hinausgehende Differenzierung der einzelnen Formen der auftretenden Mißbildungen nicht deutlicher. Dagegen erschien es wichtig, dem Zusammenhang zwischen der Dauer der Bestrah- lung und dem Grade der Zellschädigsung Aufmerksamkeit zu schenken. III. Beziehungen zwischen Bestrahlungsdauer und Zell- schädigung. Wenn man Askarideneier mit wachsenden Dosen von Röntgenstrah- len bestrahlt, so ist es nicht etwa so, daß der Beginn der Schädigung auch nur für einen Teil der Eier bei derselben Dosis läge. Es schwankt vielmehr die schwächste Dosis, bei der eine Schädigung beginnt, und die stärkste Dosis bei welcher noch einzelne normal entwickelte Em- bryonen gefunden werden, in sehr weiten Beobachtungsgrenzen. Dieser Verschiedenheit der Reaktionsweise der Einzelindividuen, welche dazu führt, daß man unter einer größeren Zahl von bestrahlten Eiern am Ende der Entwicklung stets normale und völlig in der Entwicklung gehemmte Exemplare nebeneinander erhält, wurde schon von Perthes in seiner oben angeführten Arbeit gemacht und ist eine Erscheinung, für die sich eine ganze Reihe Parallelen heranziehen lassen. Vergiftet man Protozoen mit Atropinlösungen?) so liegt die wirksame Konzentration für die einzelnen Individuen in sehr verschiedener Höhe. Ähnliches findet sich bei der Hämolyse®), ähnliches bei Bakterien. Madsen und Nyman*) suchten zum ersten Male nach dem Gesetz, welches den zeitlichen Ver- lauf des Absterbens von Bakterien in Giftlösungen beherrscht und 1) H. Holthusen, |. c. ?2) 8. v. Prowazek, Arch. f. Protistenk. 20, 201. 1910. 3) K. A. Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. 25, 367. 1910. *) Th. Madsen und M. Nyman, Zeitschr. f. Hyg. 5%, 388. 1907. 6 TI. Holthusen : fanden, daß die Abnahme der Keimzahlen mit der Zeit nach Art einer monomolekularen Reaktion erfolgt. Die gleiche Formel stellte Hassel - balch für die Lichthämolyse sensibilisierter Erythrocyten auf. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Abhängigkeit der Schädigung der Askarideneier von der Bestrahlungszeit jedenfalls nicht durch eine logarithmische Kurve zur Darstellung gebracht werden kann, was der Fall sein müßte, wenn das von Madsen und Nyman für den Fall des Absterbens einer Bakterienmenge angewandte Gesetz der mono- molekularen Reaktion auch für den von uns beobachteten Vorgang, welcher seiner Natur nach mit dem genannten durchaus vergleichbar ist, zutreffend wäre. Eine ‚_——— solche logarithmische Kurve ist in Abb. 1 zum Vergleich gestrichelt eingezeichnet. Sie weicht in ihrer Form von der beobachteten weitgehend ab. Die Beobachtungen an Bakterien setzen ja auch theoretischen Erklärungen sroße Schwierigkeiten entge- Be: a 2 denn ein exponentieller Bestrahlungszeit in Minuten —— Verlauf der Absterbekurve et besagt nichts anderes, als daß die Geschwindigkeit des Ab- sterbens von Een ien unabhängig von der Zeit ist, die sie in der desinfi- zierenden Lösung gelegen haben. Das ist biologisch schwer verständlich. Viel näher liegt der Gedanke, für die Tatsache, daß nicht alle Individuen von dem wirksamen Agens in derselben Zeit geschädigt werden, Variatio- nen der Empfindlichkeit der Einzelindividuen verantwortlich zu machen. Wir würden dann von einer mittleren Empfindlichkeit auszugehen haben, um welche sich nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit die Einzel- individuen nach steigender und fallender Empfindlichkeit gruppieren würden. In der Schädigungskurve würde die Gegend der mittleren und somit auch der wahrscheinlichsten Empfindlichkeit durch die Stelle des steilsten Anstiegs, d. h. die rascheste Zunahme der Schädigung charakterisiert sein, während sie an den Enden der Kurve flacher ver- laufen müßte. Diesen der Gaußschen Fehlerkurve eigentümlichen Charakter zeigt nun unsere Schädigungskurve ausgesprochen ). In der Gegend des Mittelwertes der Empfindlichkeit, etwa wenn die Hälfte der Zellen geschädist sind, ist die prozentische Schädigung am -—_ -.o Schädigung —— !) Im folgenden muß, soweit es nicht zur Beurteilung der Versuche unbedingt notwendig ist, aus Raummangel von einer eingehenden Wiedergabe der Versuchs- protokolle Abstand genommen werden. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 7 größten, der Anstieg der Kurve am steilsten!). Wir behalten uns vor, in einer besonderen Arbeit eine genauere Analyse der Schädigungskurve, insbesondere ihrer beiden, an dem Maßstab der Zeit gemessen, deutlich asymmetrischen Äste?), deren Erklärung uns allzu weit in die Probleme ‚der Kollektivmaßlehre hineinführen würde, zu geben. In diesem Zu- sammenhange und für das Folgende ist nur wichtig, daß wir durch die Kenntnis des Verlaufs der Schädigung mit der Bestrahlungszeit einen Maßstab gewonnen haben, der eine feststehende Beziehung. zwischen Intensität der Wirkung und Größe der Schädigung (ausgedrückt durch die Prozentzahlen der geschädigten Eier) enthält. Als wichtigstes Resultat entnehmen wir der Schädigungskurve die Tatsache, daß Unterschiede in der Empfindlichkeit dann am stärksten zur Geltung kommen werden, wenn man die Bestrahlungsdauer so wählt, daß etwa die Hälfte der Eier in ihrer Entwicklung beeinträchtigt ist. IV. Schwankungen der Radiosensibilität von Askariden - eiern im Lauf ihrer embryonalen Entwicklung. In einer früheren Arbeit wurde darauf hingewiesen, daß die Em- pfindlichkeit der Eier gegen Röntgenstrahlen in der ersten Zeit nach der Entnahme aus den mütterlichen Organen konstant bleibt. Weitere Untersuchungen erwiesen dann aber, daß dies nur für die ersten Stunden der Entwicklung gilt und daß schon vor dem Beginn der ersten Zell- teilung die Empfindlichkeit der Eier eine ausgesprochene Zunahme erfährt. Der folgende Versuch erläutert diese Verhältnisse: ö Versuch 2. Einfluß des Zellentwicklungsstadiums auf die Empfindlichkeit in der Zeit von der Entnahme aus dem Eischlauch bis zum Beginn der ersten Zellteilung. 19. XTI. 11 30’vorm. Präparation einesAscaris. Sämtliche Eier im reifen Einzellen- stadium. Bestrahlung mit Härte 10, 0,3 mm Kupferfilter, 2!/, Stunden. Dosierung mit dem Elektrometer. (Methode s. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 2%, 213. 1920.) Präpa- _Bestrah- die 2 | Zellstadium bei Resultate | Relative Bedingungen ; rat ee j lyngszeit: | , Versuchsbeginn 26. XII. Schädig. = = rast I Te = em —em—— Tas === —— m FI — Z Kon- —_ ' Kommt gleich nach Ent- | a = trolle | nahme in Wärmeschrank | geschädigt 1 | 4-Th | Bis zur Bestrahlung bei | Einzel 12300. Totg. 1 nachm. Zimmertemperatur an | Ne 2 | 8—10!/, | Aufbewahrung bei Zim- N ı abends | mertemperatur bis zum EESON NE: | | ‚ Bestrahlungsbeginn | 3 8—101/,&| Bis zum Bestrahlunesbe- \Beeinn. Zwei-4%,n.2/,tg.| 1,48 | abends ginn im Wärmeschrank teilung (10% 94% ve: | | | 22 98° \ Zweizeller) | | I) Vgl. dazu K. Kisskalt, Zeitschr. f. Hyg. 81. 42. 1916. 2) Die gleiche Asymmetrie zeigen übrigens die Kurven des zeitlichen Verlaufs der Saponinhämolyse von Handowsky (l. c.), welche dort durch das Vorwiegen junger resistenter Erythrocyten erklärt wird. 3) n. = normal, tg. — teilweise gehemnit, vg. = völlig gehemmt. H. Holthusen: Es wurde also der Temperatureinfluß auf die Entwicklungsgeschwin- digkeit dazu benutzt!), um gleichzeitig Portionen verschiedenen Ent- wieklungsstadiums nebeneinander zu erhalten. In diesem Falle (Prä- parat 2 und 3) ist man von Dosierungsfehlern, die sich beim Vergleich nacheinander bestrahlter Präparate ergeben könnten, unabhängig. Der Versuch scheint dem Gesetz von Bergonie und Tribondeau zuwiderzulaufen, nach welchem mit dem Fortschreiten der Zelldifferen- zierung eine Empfindlichkeitsverminderung zu erwarten wäre, Ziehen wir aber nicht nur die Entwicklung bis zur ersten Zellteilung, sondern auch die weiteren Stadien des embryonalen Wachstums in den Kreis unserer Betrachtungen, so finden wir doch ein ausgesprochenes Nachlassen der Empfindlichkeit mit zunehmender Zelldifferenzierung ?). Versuch 5. Änderung der Empfindlichkeit von Ascarideneiern im Verlauf ihrer embryonalen Entwicklung. 23. XII. Bestrahlung mit Härte 6, 0,1 mm Kupferfilter, 2,3—2,5 M.A. 3 Datum der Zellstadium bei | Bestrah- Relative ee Bestrah- zu 2: Norcnb, Bestrahlungs- lungs- Resultate Schädi- wicklung : | lung % k beginn dauer sung Kon- EB)DA, a, 1197 trolle — — — — geschädigt = 1 | 23. XII. | 9Std. Zimmer- Einzell- In Arte abends temperatur stadium 907 87% vg. 90 2 |23. XII. | 9Std. Wärme- Zweizell- 28%, n. 14% tg. abends schrank stadium 907 | 58%, VE. 61 3 || 24. XII. |, 24Std. Zimmer- | Zweizell- 53% n. 5% tg. vorm. temperatur stadium sw | 12% vg. 47 4 24. XII. | 24Std. Wärme- | Vier-, Sechs- 67% n. 14% tg. vorm. schrank Achtzellen- IK stadium 90° 41 5 125. XII. | 48Std. Zimmer- | Achtzellen- N | vorm. temperatur stadium 19% vg. | und darüber | 90° | 38 6 | 25. XII. | 48Std. Wärme- | Beginnendes 93% n. 4% tg. vorm. schrank Gastrula- 3% VE- \ stadium 90’ 17,5 7 || 26. XII. | 72Std. Wärme- | Beginnende 94%, n. 2% tg. vorm. schrank Streckung | 4% vg. der Larven | 180’ 8,5 1) Vgl. dazu O. Hertwig, Arch. f. mikr. Anat. 51, 319—381. 1898. I) Z ‚ähnlichen Resultaten führten die Untersuchungen von ©. R. Bardeen (Aus Jost 'Anat. Vol. 2) an Froscheiern in verschiedenen Entwicklungsstadien. Anm. b.. d. Korr.: (Am. Journ. Anat. Vol. 11. 1910/11) zu Gesicht, Erst jetzt kommt mir die Arbeit des gleichen Autors in welcher gleichfalls eine Empfindlichkeitssteigerung gegen R-Strahlen kurz vor einer neuen Furchungs- teilung an Kröteneiern gefunden wurde. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. ) Es scheinen sich also den im Bergonie-Tribondeauschen Gesetz zum Ausdruck kommenden Faktoren, welche das Ei im Sinne einer Verminderung seiner Anspruchsfähiskeit gegenüber den Röntgen- strahlen im Lauf seiner embryonalen Entwicklung beeinflussen, andere empfindlichkeitssteigernde Einflüsse zu überlagern, bei denen es nach den Bedingungen ihres Auftretens nahe liegt, an einen Zusammenhang mit dem Zellteilungsprozeß zu denken. Das kommt in einer Kurvendar- stellung der Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen übersichtlich zum Ausdruck. Trägt man in einem Koordinatensystem als Abszisse das Entwicklungsstadium, als ” Ordinate die Empfindlichkeit ! in willkürlichem Maß ein!) ' (Abb. 2), so sieht man, daß die Empfindlichkeits- kurve zwar im allgemeinen mit fortschreitender Entwick- lung abfällt, daß ihr aber im Beginn sozusagen ein Wellen- berg überlagert ist, dessen Gipfel zeitlich mit der ersten Zellteilung zusammenfällt. Diese Vermutung wird da- durch nicht beeinträchtigt, daß vom Zellteilungsprozeß abhängige Schwankungen der Empfindlichkeit in den wei- teren Entwicklungsstadien der Eier nicht, nachgewiesen wer- r = den konnten. Bei allen unse- Zahl der Blostomeren —— ren Versuchen handelt es sich - Abb. 2. ja um Durchschnittswerte, und so werden sich vorübergehende Änderungen der Empfindlichkeit nur dann geltend machen können, wenn man ein sehr gleichartiges Material zur Verfügung hat, d.h. Eier, welche sich alle in annähernd dem gleichen Entwicklungsstadium befinden. Diese Bedingung ist aber bereits für das Zweizellenstadium nicht mehr erfüllt. Wir werden später Ver- suche mitteilen, in denen es durch einen Kunstgriff, nämlich vorüber- gehende Sauerstoffentziehung, gelang, auch im Zweizellenstadium ein sehr gleichwertiges Material von Eiern zu gewinnen, bei dem dann auch eine sehr ausgesprochene Empfindlichkeitssteigerung mit dem Beginn der nächsten Kernteilung nachgewiesen werden konnte. (Versuch 9.) Empfindlichkeit —— S !) Die Kurvenpunkte bis zum Zweizellenstadium stammen aus den Resultaten der Versuche 2—4, die übrigen Kurvenpunkte aus Versuch 5. 10 H. Holthusen: V. Unabhängigkeit der Sensibilität von der Sauerstoff- atmung. Nach dem, was bisher über die Beeinflussung der Strahlenempfind- lichkeit von Zellen bekannt ist, mußte man vor allem daran denken, daß mit dem Vorgang der Zellteilung eine vorübergehende Steigerung des Stoffwechsels der Zelle verbunden sei, und daß diese in ähnlicher Weise wie bei den Versuchen von Schwarz!) über die Abhängigkeit der Haut- empfindlichkeit von der schwächeren oder stärkeren Durchblutung derselben, die Strahlenempfindlichkeit beeinflußte. Nun wissen wir zwar aus den bekannten Versuchen von Warburg?), daß die Oxy- dationsgeschwindigkeit bei Seeigeleiern nach der Befruchtung und mit dem Beginn der Entwicklung sehr rasch ansteigt, aber weiterhin bleibt die Oxydationsgeschwindigkeit sehr konstant und steigt nur noch wenig an. Andererseits konnte Meyerhof®) nachweisen, daß während und bei künstlich aufgehobener Furchung, die pro Millisramm verbrauchte Sauerstoffmenge die gleiche war. Wenn hiernach ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Zellentwicklung und Stoff- wechselgsröße auch wenig Wahrscheinlichkeit für sich hatte, so erschien die Frage doch wichtig genug, um sie am Askaridenei einer direkten Prüfung zu unterwerfen. Zu diesem Ende mußte die zweckmäßigste zur Verfügung stehende Barcroftsche Manometermethode, welche in der von Siebeck an- gegebenen Modifikation den Vorzug besitzt, daß man bei dieser An- ordnung zu jeder beliebigen Zeit ablesen kann, mit Rücksicht darauf, daß es sich um ein sehr kleines Versuchsobjekt und daher auch im günstigsten Falle um sehr kleine Sauerstoffmengen handelte, abgeändert werden. Brauchbare Resultate wurden erhalten, nachdem die Anord- nung als Differentialmethode ausgearbeitet, und die Apparatur, wie sie wiederholt beschrieben worden ist?), in allen Dimensionen erheblich verkleinert worden war. Die Form und die Abmessungen des Apparates gehen aus Abb. 3 hervor. Die beiden Gefäße a und 5 sind durch Glasschliff mit den Enden eines U-förmigen Manometerrohres verbunden, dessen beide Schenkel außerdem durch die Glas- hähne c und d mit der Außenluft kommunizieren. Gefäß a wird mit einem Brei von Askarideneiern beschickt, nachdem vorher in die schlauchförmige Ausbuch- tung des Gefäßchens einige Tropfen Natronlauge zur Absorption der Kohlensäure mittels einer gebogenen Glaskanüle hineingebracht worden sind. In das Gefäß b, DaVelus220} ) 0. Warburg, Erg. d. Physiol. 14, 253. 1914. ) 0. Meyerhof, Biochem. Zeitschr. 35, 246. 1911. *) Bezüglich des Prinzips der Methode und der Art und Weise der Berech- nung vgl. R. Siebeck, Abderhaldens Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden 9, 33. 1915. D 2} Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. als welches ein gleiches Volumen besitzen muß wie Gefäß a, wird eine dem Volumen der Askarideneier entsprechende Menge Wasser gebracht, und beide Gefäße bei geöffneten Hähnen c und d mittels der Glasschliffe gut an das Manometer an- geschlossen. Das Manometer ist mit einer Lösung von Natrium choleinicum vom spezifischen Gewicht 1,034 gefüllt. Durch Heben oder Senken des durch einen Schlauch mit dem U-Rohr des Manometers verbundenen Ansatzrohrs e wird die Flüssigkeitskuppe in beiden Schenkeln auf die Nullmarke eingestellt, und darauf die Hähne c und d geschlossen. Hängt man das Manometer in einen Thermostaten, so daß die Gefäße « und 5 von Wasser bedeckt sind, so ist bei konstanter Temperatur das Maß des Ansteigens der Flüssigkeitskuppe im Manometerrohr auf der Seite des Gefäßes «a in der Zeiteinheit ein Ausdruck für die Oxy- dationsgeschwindigkeit derin a befindlichen Askarideneier. Temperatur- und Barometereinflüsse müssen sich infolge der Gegeneinanderschaltung der gleichgroßen Gefäße «a und 5 im gleichen Sinne äußern und können durch ein Heben und Senken des Schenkels kompensiert werden. Bei Versuchen, welche sich über längere Zeit erstrecken, machte sich, infolge der Schwierigkeit, nach dieser Methode völlig aseptisch zu arbeiten, die Bakterienentwicklung in dem Eierbrei durch eine starke Zunahme der Oxydationsgeschwindig- keit zunächst störend bemerkbar. Es konnte diesem Übelstand aber durch Zusatz geringer Mengen von Cyannatrium, welches die Bakterien- atmung vollständig aufhebt, aber auch in größeren Konzentrationen nicht durch die Eihülle zu dringen vermag, abgeholfen werden. Zwei in dieser Weise angestellte Oxydationsversuche seien im folgen- den als Beispiel mitgeteilt. Gl ichzeitig mit den Atmungssgefäßen befand sich eine Portion der Eier in einem offenen Gläschen im Thermostaten und diente, indem ihm von Zeit zu Zeit Proben ent- nommen wurden, zur mikroskopischen Kontrolle der fortschreitenden Entwicklung. DD: Versuch 6 und 7. Die Versuche zeigen, ebenso wie mehrere andere gleichsinnig ver- laufende, eine sehr gleichmäßige Oxydationsgeschwindigkeit der Aska- rideneier und keine Andeutung eines Einflusses des Zellteilungsvorgangs auf die Atmungsgröße. Versuch 6. 13. II. 91 45° bis 10h. Es werden Eier eines frisch präparierten Spulwurms mit einem Tropfen 1/9 n-Cyanatriumlösung zu einem Brei verrührt. Davon werden etwa 200 mg in das Atmungsgefäß gebracht und an den Wänden verstrichen (Vergrößerung der Oberfläche!). Versuchsbeginn 10R. 12 H. Holthusen: Differenzen Over = der beiden = = Beobachtungs- Dauer | TeM- | Manometer-|, brauch?) Zellentwicklung E zeit peratur Sanamkol | 5 en in mm [ von 10% 10’ | 3h 5’ | 24,8 10,7 5, 100%, Einzeller, weniger als ang. le 1157 | 24,9 | 1% Zweizeller 2 1% 15° | 3 | 24,9 11,0 949 3%, Einzeller 4h 15’ | 24,9 97% Zweizeller 3 - 4157 | 30 | 24,9 192 5,6 100% Zweizeller 7h 15° 24,9 | 4 74 15°.| 3415’) 24,9 11,8 5,4 | 70--80%, Drei- bis Vierzell. 10h 30/ | 24,7 20-309, Zweizeller Versuch 7. 23. II. lI%nachm. 200 mg Eierbrei wie oben behandelt. Versuchsbeginn 2h nachm. 1 |von 21’ |3h27°| 256 | 70: |. 30 .|100% Einzeller bis 505287 | 25,9 | | 2 5h9g’ |an32 256 | 5,1 3,5 20%, Einzeller gh 25.0.1] | 80%, Zweizeller 3 sh 2h'33/ 1,255. 75,1. | 78,5. Drei bien Vierzeller. 10% 337 25,9 | Man könnte gegen die Schlüssigkeit dieser Versuche den Einwand erheben, daß hier die Komponente eines etwa vorhandenen und — wie die gleich zu besprechende Möslichkeit eines anoxybiotischen Fort- lebens dartut — durchaus möglichen anaeroben: Stoffwechsels, nicht berücksichtigt wurde. Aber die Tatsache, daß mit dem Aufhören der Sauerstoffzufuhr die Zellteilung sofort sistiert, beweist, daß die hier ins Auge gefaßte vitale Funktion von dem Sauerstoffwechsel be- herrscht wird. Wir kommen somit dazu, die Schwankungen der Emp- findlichkeit im Laufe der Entwicklung nicht als Folge einer veränderten Funktion, sondern eines veränderten Zustandes der Zelle anzu- sehen, und damit unter — im weitesten Sinne des Wortes gesprochen — morphologischen Gesichtspunkten zu betrachten. VI. Zusammenhang zwischen Änderungen der Radiosensi- bilität und morphologischen Veränderungen. Über die morphologischen Veränderungen, die sich bei der Zell- teilung vor allem im Kern abspielen, sind wir durch die Forschungen der beiden letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts recht genau !) Für die Berechnung ist neben der abgelesenen Druckänderung die Kenntnis des Volumens des Atmungsgefäßes und des spez. Gewichts der Manomieterflüssig- keit erforderlich. In bezug auf die Einzelheiten der Berechnung und der Fehler- quellen muß auf die zitierte Arbeit von R. Siebeck verwiesen werden. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 13 orientiert: gerade die Eier des Pferdespulwurms bildeten für diese Forschungen das klassische Versuchsobjekt!!). Die Darstellung der Chromosomen und damit der indirekten Kern- teilung überhaupt, gelingt leicht, mdem man das mit Eisessigalkohol fixierte Material mit alkoholischem Karmin nach Grenacher - Meyer färbt, und die Eier nach der Verdunstungsmethode in Glycerin ein- bettet. Die histologische Kontrolluntersuchung einer Probe der jeweils bestrahlten Eier diente uns nur dazu, das Kernteilungsstadium fest- zustellen, in welchem die Bestrahlung in jedem Einzelfalle ausgeführt war. Die etwa unter dem schädigenden Einfluß der Strahlen auftreten- den pathologischen Veränderungen des Kernteilungsvorgangs sollen hier nicht berücksichtigt werden. Sie gleichen weitgehend den durch Radiumbestrahlung bewirkten Veränderungen, welche in der bekannten Darstellung von Hertwig?) eine vortreffliche Würdigung gefunden haben. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die erste Zellteilung bei allen Eiern, welche einem Muttertier in der gleichen Höhe der Eischläuche entnommen sind, fast zur gleichen Zeit eintritt. Das deutet darauf hin, daß man alle Eier, wenigstens im Stadium bis zur ersten Kernteilung, als in der gleichen Phase der Entwicklung befindlich ansehen kann. In der Tat wurde diese Auffassung für die erste Zellteilung im großen und ganzen bestätigt. Um auch für die verschiedenen Phasen der nächstfolgenden Kernteilung, bei welcher die individuellen zeitlichen Schwankungen bereits so groß sind, daß man ein Präparat nicht mehr nach einer bestimmten Phase der Karyokinese charakterisieren kann, ein homogenes Ausgangsmaterial zu bekommen, erwies es sich als günstig, den Eiern kurz vor der ersten Teilung die Sauerstoffzufuhr ab- zuschneiden. Auf diese Weise kann man, ohne die Lebensfähigkeit der Eier zu beeinträchtigen, ihre Weiterentwicklung unterbrechen und ein in bezug auf das Entwicklungsstadium definiertes, nämlich im Kern- ruhestadium befindliches Ausgangsmaterial von Eiern der gleichen Herkunft erhalten. In allen anaeroben Versuchen wurde der Sauerstoff durch Absorption in alkalischer Pyrogallollösung entfernt. Die Eier wurden mit einem Tropfen Wasser in der Mitte eines Objektträgers ausgebreitet und dieser mittels erwärmten Picsins auf einen flachen Glastrog auf- gekittet. Ist der Luftabschluß vollständig, so behält die Pyrogallol- lösung eine rehbraune Färbung; Dunkelfärbung weist auf einen un- genügenden Luftabschluß hin. Die Eier selbst verhalten sich ver- !) Th. Boveri, Erg. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. 1, 386. 1891. Ders., Zellenstudien H. 3. Jena 1890. 2) O. Hertwig, Arch. f. mikr. Anat. %%, IL, 1. 1911; ferner: P. Hertwig, ebenda S. 301. — F. Payne, Arch. f. Entwicklungsmechanik 36, 287. 1913. 14 H. Holthusen: schieden. Werden Askarideneier kurz vor der Teilung anaerob ein- geschlossen, so beendigen sie im allgemeinen die angefangene Teilung, befinden sie sich in einem Stadium kurz nach der Teilung oder sind sie eben dem Eischlauch entnommen, so entwickeln sie sich überhaupt nicht weiter. In der Regel wird also — und das zeigen auch die histo- logischen Untersuchungen — in einer sauerstoffreien Atmosphäre nach einiger Zeit ein Ruhestadium des Kernes erreicht. Wurden z.B. Portionen von Eiern kurz vor der Zweiteilung anaerob eingeschlossen so teilten sich die Eier noch und die Chromosomen bildeten sich zurück, dann aber sistierte die Weiterentwicklung. Ließ man jetzt wieder Sauerstoff hinzutreten, so dauerte es drei Stunden und mehr, ehe die ersten Veränderungen an dem Kernchromatin sichtbar wurde, worauf die weiteren Phasen der Mitose sich in der üblichen Weise abwickelten. In den beiden folgenden Versuchen kommt die Abhängigkeit der . Röntgenstrahlenempfindlichkeit vom Kernteilungsstadium zu deut- lichem Ausdruck: Versuch 8. Eimpfindlichkeitsänderung der Askarideneier in verschiedenen Zellstadien mit histologischer Kontrolle. 10. III. 10% vorm. Präparation eines Spulwurms. Die verschiedenen Zell- entwicklungsstadien werden dadurch erhalten, daß die Eier verschieden lange Zeit im Thermostaten vorentwickelt und dann auf Eis gebracht werden. Gleichzeitig wird von jeder Portion ein Teil anaerob eingeschlossen. Serie A. By Zellstadium ‚ Auszählung Prä- nach Resultat der histologischen Untersuchung der ent- parat een sende wickelten ‘Embryonen la Sämtliche Sämtliche Eier im Einzellenstadium. Männ- | 34%n. Eier im licher und weiblicher Kern getrennt. Kern- 16%tg. Einzellen- bläschen noch vorhanden. Chromosomenbil- 50% vg. stadium | dung hat noch nicht begonnen. 2a Sämtliche | Sämtliche Eier im Einzellenstadium. Der männ- 8%n. Eier im | liche und weibliche Kern ist noch gesondert 6%te. Einzellen- | sichtbar, doch beginnen sich in einigen Eiern, 86% ve. stadium etwa 30%, die Chromosomen zu bilden. Und | zwar läßt sich bereits deutlich erkennen, daß je . 2 Chromosomen aus dem männlichen und weib- lichen Kern entstehen. | 3& 70—80% | Die Eier befinden sich in verschiedenen Stadien | Einzeller | der Mitose. | 20—30% | Chromosomen noch nicht gebildet 1000 Zweizeller | Chromosomen deutlich 22705 105m Äquatorialplatte Ä 44% | 2%tg Trennung der Ihemasomen ö lo, AOANE; , Zweizeller 210% Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 15 Versuch 8. Serie A. (Fortsetzung.) \Auszählung Prä- | Zellstadium | 2 2: | nach | Resultat der histologischen Untersuchung a Er parat | Versuchsende en onen 4a | 80% Etwa die Hälfte der Eier befindet sich im Zwei- | , Zweizeller | zellenstadium. | 20% Chromosomen noch nicht gebildet . .. 8% : 3%n. Binzeller | Chromosomen deutlich . ...-... ... 13% | 2%te. Äquatorialplatte . . . nn. 27% | VE: | | | | Zweizeller mit noch deutlich Schalen: | 74.2. ın .der nn Br ‚ Chromosomen ... 313°, 2004 16. III. 84 30’ bis 10% 30°. Bestrahlung der Serie B anaerob, Härte 6, Karten- filter. Nach der Bestrahlung werden die anaeroben Gefäße geöffnet und eine Portion zur histologischen Untersuchung in Eisessigalkohol gelegt. Ebenso wird unmittelbar nach Versuchsende eine mikroskopische Auszählung der Eier vor- genommen. Serie B. Peina- | Entwicklungs- ee er | stadium uach Resultat der histologischen Kontrolle nn ä | Versuchsende | | ee lb 100% Ein- Alle Eier sind im Einzellenstadium. Männ- | 51%.n. zeller licher und weiblicher Kern noch getrennt. | 18%tg Keine Chromosomen | 3I%Gvg- 2b | 78% Ein- In den Kernen der Einzeller sind teilweise deut- | 37%.n. \ zeller liche Chromosomen sichtbar, und zwar im | 13%tg. 28% Zwei- Stadium der Äquatorialplatte. In den Zwei- 50% vg. | zeller ' zellern hat sich das Chromatin zu Kernbläschen | aufgelöst. sb 117% Einzeller Die Kerne vereinzelter Einzeller enthalten 40%n. ‚82% Zweizell. Chromosomen. In allen Zweizellern befinden 10%tg. 11% Dreizeller sich die Kerne im Ruhestadium. SON VE- Kon- 100%, Ein- 2 99%,n. trolle | zeller 1% ge- | schädigt Versuch 9. 1. V. Frische, befruchtete Askarideneier werden bis zur Begmnenden Zwei- teilung im De chranke entwickelt und dann in verschiedenen Portionen anaerob eingeschlossen. 3. V. 8h vorm. Präparat 1 geöffnet in Thermostat 22° 12h nachm. 55 2 25 > > » 4b nachm. „> 3 ER ” >> ” 8h nachm. 35 4 „> > 8 30° bis 9h 30°. Bestrahlung mit Härte 6, Kartonfilter 40 und 60 Min. Vor Beginn der Bestrahlung Einlegen einer Portion Eier jedes Präparates in Eisessigalkohol zur histologischen Kontrolle. 16 H. Holthusen : 4 ; Be- Prä- ne Resultat der histologischen strah- Auszählung der ent- parat nr En u Kontrolle lungs- wickelten Embryonen ersuchsende zeit 1, etwa 8% |Die Zellen befinden sich in leb-| 40° | 7%n. 6%tg. 833% vg. Drei- und |hafter mitotischer Kernteilung. ı Vierzeller |Dabei hat immer nur ein Teil| | 10% Zwei- der Zellen ausgebildete Chro- | | zeller mosomen, ein Teil zeigt Rück-| 60° | 4%n. 16%tg. 80% vg. 10% Fünf- | bildung der Chromosomen oder | und Sechs- |auch völlig ruhende Kerne zeller und Kernbläschen. 2. | 90% Zwei- |Fast alle Zellen finden sich im| 40° | 0%n. 1%tg. 99% vg. | zeller gleichen Stadium der Chromo-| | 10% Drei- 'somenbildung, und zwar vor- | zeller wiegend der Äquatorialplatte | und der darauf folgenden Sta-| 60’ 100% geschädigt | dien, in welchen sich die Chro- | mosomen bereits geteilt haben. 3. | 5% Ein- In allen Eiern sind noch deut-| 40° |57%n. 14%tg. 29% vg. | zeller liche Kerne sichtbar, doch be- | ı 95% Zwei- ginnt das Chromatin bereits zeller schollig zu zerfallen. 60° 30% n. 18%tg. 52% vg. | 8% Einzeller |In allen Eiern finden sich aus-| 40° 72% n. 13%tg. 15% v2- | 95% Zwei- [gebildete Kerne mit fädigem| 60° 52%n. 17%tg. 31% v2. | zeller Chromatingerüst. Die Empfindlichkeit der Zellen ist also nicht in allen Stadien der Mitose die gleiche. Sie nimmt bereits merklich zu, wenn die Chromo- somen sich zu bilden anfangen, erreicht aber offenbar ihr Maximum ° erst mit der Bildung der Äquatorialplatte und sinkt nach erfolgter Teilung der Chromosomen und besonders nach erfolgter Zellteilung auch dann schon ab, wenn die Chromosomenschleifen sich noch nicht wieder aufgelöst haben. In den anaeroben Präparaten sind diese Unter- schiede viel weniger ausgeprägt, wenn auch in dem vorliegenden Ver- suche nicht ganz ausgeglichen. Entsprechend sind auch die histologi- schen Unterschiede zwischen den einzelnen Präparaten der B-Serie viel weniger ausgesprochen als in der A-Serie: in den meisten Eiern befinden sich die Kerne im Ruhestadium, nur in Präparat 2b sind in einigen Eiern Chromosomen vorhanden, und dementsprechend zeigt 2b auch die größte Schädigung durch die Bestrahlung. (Warum in diesem Falle in einzelnen Eiern anders als sonst die Chromosomen während der sechstägigen Anoxybiose erhalten blieben, vermögen wir nicht anzugeben.) Man könnte gegen eine Verallgemeinerung der Ergebnisse des Ver- suchs 8 mit Recht den Einwand erheben, daß sich in dem Beobachtungs- Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 17 zeitraum nicht nur eine gewöhnliche Zellteilung abspielt, sondern vor allem die Vereinigung von männlichem und weiblichem Kern, mit welcher besondere, sich bei den übrigen Zellteilungen nicht wieder- holende Vorgänge verbunden sein könnten. Es ist deswegen von be- sonderer Wichtigkeit, daß sich in Versuch 9 das gleiche Verhalten auch beim Übergang vom Zwei- zum Drei- und Vierzellenstadium wiederfindet. Die Art und Weise, wie das Material zu diesem letzteren Versuch erhalten wurde, erforderte allerdings noch eine Kontrolle. In der Versuchsreihe 9 wurde den Eiern der Sauerstoff vorübergehend entzogen, und die Bestrahlung geschah kürzere oder längere Zeit, nach- dem die Luft wieder zu den einzelnen Proben Zutritt hatte. In den gefundenen Unterschieden der Empfindlichkeit, ihrem langsamen Wachsen, könnte weniger ein Ausdruck der morphologischen Ver- änderungen als vielmehr eine Folgeerscheinung der allmählich wieder eintretenden normalen Sauerstoffatmung gesehen werden. Aber ab- gesehen davon, daß es unwahrscheinlich wäre, daß die Atmung so lange Zeit brauchte um sich wieder einzustellen, spricht der folgende At- mungsversuch der an Eiern die eine Zeitlang anoxybiotisch aufbewahrt worden waren in unmittelbarem Anschluß an den Wiederzutritt von Sauerstoff angestellt wurde, .direkt dagegen: Versuch 10. 20. VII. 5t nachm. wird eine größere Portion von Eiern in beginnender Zwei- teilung anaerob eingeschlossen, am 22. VII. 10h vorm. geöffnet. Die Eier befinden sich im Zwei-Dreizellen- stadium, wie die histologische Kontrolle ergibt, mit ausgebildeten Kernen ohne Mitosen. 98 mg Eierbrei wird mit einem Tropfen !/„n-Cyankaliumlösung vermischt und in ein Atmungsgläschen gebracht. . Differenz Zeit en Dauer ne auf 3 Std. Histologische Kontrolle Tatur 1lfeTenZz berechnet | 10h 40° 18,72 172 5,2 5,4 . Kerne im Ruhestadium, 1h 32’ 18,81 keine Mitosen. 1h 35 18,81 179’ 5,0. 5,0 Beginnende Zusammen- 4h 34’ 18,91 ballung des Chromatins. 4h 35’ 18,91 185’ 4,8 4,7 Zahlreiche Mitosen in der 72 40’ 18,91 Mehrzahl der Eier. Die verbrauchte Menge Sauerstoff ist hier sogar in den ersten Stun- den, nachdem den Eiern wieder Sauerstoff angeboten wird, größer als später. Doch ist in der ersten Periode ein gewisser Betrag für die physikalische Sauerstoffabsorption in Rechnung zu setzen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 2 18 H. Holthusen: VII. Die Rolle des Stoffwechsels und der Temperaturkoeffi- zient der Strahlenwirkung. Wenn somit ein Einfluß des aeroben Stoffwechsels die Empfindlich- keitsänderung der Askarideneier auch nicht erklären kann, da während der Entwicklung keine den Empfindlichkeitsänderungen parallel- laufenden Schwankungen des Stoffwechsels beobachtet werden, so ist damit die Rolle des Stoffwechsels überhaupt für die Strahlenempfind- lichkeit der Wurmeier noch nicht klargestellt. Die weitere Frage ist die: wie ändert sich die Strahlenempfindlichkeit bei einer willkürlichen Beeinflussung des Stoffwechsels? Zunächst haben wir schon gesehen, daß wir den Eiern den Sauerstoff entziehen können und müssen nun überlegen, welche Stoffwechselveränderungen damit Hand in Hand gehent). Wir wissen durch Bunge?) daß die im Warmblüterdarm schmarotzenden Askariden auch normalerweise einen im wesentlichen anoxybiotischen Stoffwechsel haben. Weinland?), dessen Verdienst es ist, das Wesen der hierbei verlaufenden energieliefernden chemischen Reaktionen aufgeklärt zu haben, fand, daß der Energieverbrauch im Darm aus der bei der Verwandlung von Zucker in Valeriansäure frei- werdenden Energie bestritten wird. Dies gilt aber nur für die im Darm lebenden Tiere und hat zur Voraussetzung, daß den Tieren der reich- liche Kohlehydratgehalt des Darminhalts zur Verfügung steht und daß sie die Gärungsprodukte, insbesondere die Valeriansäure an die Umgebung abzugeben vermögen. Schon Bunge selber machte darauf aufmerksam, daß die in feuchter Gartenerde zur Entwicklung kom- menden Eier, für welche diese Voraussetzungen nicht zutreffen, oxy- biotisch sind. Die Askarideneier müssen also den fakultativ anoxy- biotisch lebenden Organismen zugerechnet werden. Für diese gilt, daß ihre Energieproduktion sich außerordentlich stark vermindert (bis fast auf die Hälfte), sobald ihnen der Sauerstoff entzogen wird. Für die Beurteilung etwaiger Empfindlichkeitsänderungen bei Anoxybiose der Eier ist aber zu bedenken, daß die mit der Sauerstoffentziehung verbundene Einschränkung des Energiewechsels nicht das einzige ist, was sich ändert. Wir müssen auch auf die morphologischen Verände- rungen, welche als Folge des Sauerstoffentzuges mit Regelmäßigkeit an den Zellkernen auftreten, Rücksicht nehmen. Denn wir sahen schon, weich ausgesprochenen Einfluß der Zustand des Kerns auf die Radio- sensibilität der Eier hat. Glücklicherweise überdauern die unter dem Einfluß der Anoxybiose auftretenden Änderungen der Kernstruktur die !) Für das Folgende vgl. Lesser, Das Leben ohne Sauerstoff. Erg. d. Physiol. Bd. 8. 1910. ®) G. Bunge, Zeitschr. f. physiol. Chem. 8, 48. 1883. 3) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 42, 55. 1901. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 19 Zeit der Anoxybiose um einige Stunden, so daß wir von ihnen absehen können, wenn wir Eier in der Anoxybiose und kurz nach wiederher- gestellter Sauerstoffzufuhr miteinander vergleichen. Versuch 11 und 12. Präpa- Material Bestrah: Resultate rat lungszeit 7 31. 1 Kontrolle. — 197%n. 3% geschädigt | 24 Stunden anaerob aufbe- wahrt. 2 Sämtliche Eier im Einzellen-| 180° |25%n. 18%tg. 57% vg. Ka 'stadium. (24 Stunden anaerob | ‚aufbewahrt und anaerob be- strahlt.) 3 ‚Sämtliche Eier im Zweizellen-| 180° 14%n. 6%tg. S0% vg. stadium. (24 Stunden bei Kellertemperatur [11°] auf- bewahrt.) 20. II. 1 Kontrolle. (24 Stunden an-| — 195%n. 5% geschädigt aerob aufbewahrt.) 2 24 Stunden anaerob aufbe-| 90° !84%n. 5%tg. 11% vg. wahrte Eier anaerob bestrahlt. Sämtliche Eier im Einzellen- stadium. 3 |24 Stunden bei Kellertempera-, 90° 169%n. 12%tg. 19% vg. tur (11°) aufbewahrt. Sämt- liche Eier im Einzellenstadium. Die deutlichen Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit zwischen den aeroben und anaeroben Portionen sind nicht verwunderlich, da bei Kellertemperatur nach 24 Stunden immerhin die Vorstufen der ersten Kernteilung erreicht werden, während die anaeroben Präparate sich gar nicht entwickeln konnten. Versuch 13. Prä- Material Histologische Kontrolle Resultate parat nach Versuchsende 1 48 Std. anaerob. 100% Zweizeller. Sämtliche |75%n. 9%tg. 16% vg. Luftzutritt un-| Kerne finden sich im Ruhe- mittelbar vor|stadium mit deutlicher Kern- Versuchsbeginn | membran. | 2 48 Std. anaerob. | Kein Unterschied gegen 1. 82% n. 91%tg. 10% vg. 3 || Kontrolle Wie 1. 96% n. I%vE. In den ersten Stunden nach aufgehobener Anoxybiose bleibt die Radiosensibilität fast ebenso stark herabgesetzt wie bei völliger Sauer- 2% 20 H. Holthusen: stoffabwesenheit. Daraus geht jedenfalls soviel hervor, daß die An- und Abwesenheit von Sauerstoff als solche, die Strahlenempfindlichkeit nur unwesentlich beeinflußt: wir haben ja aus dem Atmungsversuch (Versuch 10) gesehen, daß die Sauerstoffatmung unmittelbar, nachdem die _ Eier in eine sauerstoffhaltige Atmosphäre zurückgebracht wurden, wieder beginnt. Bei den mit der Strahlenwirkung verknüpften Reaktionen ist also der Sauerstoff nicht notwendigerweise beteiligt. In diesem Punkte verhalten sich die Röntgenstrahlen ebenso wie das ultraviolette Licht). - Die Versuche sprechen nicht für einen Stoffwechseleinfluß auf die Radiosensibilität, wenn sie auch, solange der Energieumsatz nicht direkt bestimmt wird — was aber bei der Kleinheit der Objekte schwierig sein dürfte — nicht entscheidend sind. Aus dem Aufhören oder dem Wiederbeginn der Zellteilung auf einen größeren oder kleineren Stoff- wechsel zu schließen, geht nicht an; wir wiesen ja schon darauf hin, daß der Zellteilungsvorgang als solcher die Stoffwechselgröße nicht beeinflußt. Wenn wir aber die an anderen fakultativ anoxybiotischen Organismen gemachten Erfahrungen über die Abhängigkeit der Stoff- wechselgröße von der Sauerstoffanwesenheit verallgemeinern, dann müßte eine Stoffwechselabhängigkeit der Strahlenempfindlichkeit in dem zuletzt mitgeteilten Versuch zu einer stärkeren Schädigung von Präparat 2 zum Ausdruck kommen, was nicht der Fall ist. Vielleicht wäre es möglich, die Temperaturabhängiskeit des Stoff- wechsels?) für die Beantwortung unserer Frage zu benutzen? Der Energieumsatz folgt bekanntlich der R. G. T.-Regel und läßt sich daher beim Kaltblüter in weiten Grenzen variieren. Es wäre somit der nächst- liegende Gedanke, durch Bestrahlung der Askarideneier bei verschiedenen Temperaturen und gleichen Dosen nach Verschiedenheiten in der Größe der Schädigung zu fahnden, und daraus einen Zusammenhang zwischen Stoffwechselgröße und Strahlenempfindlichkeit herzuleiten. Das ist aber aus folgenden Gründen nicht ohne weiteres möglich. Durch eine Er- höhung der Temperatur erhöhen wir die chemische Reaktionsgeschwin- digkeit für alle Reaktionen entsprechend ihrem Temperaturkoeffizien- ten, und wenn — wie es wahrscheinlich ist — die Röntgenstrahlen- wirkung mittelbar in chemischen Reaktionen besteht, so erhöht sich die Reaktionsgeschwindigkeit für diese Reaktionen entsprechend dem Van t’Hoffschen Gesetze ganz unabhängig davon, welche Reaktionen sonst noch in dem betrachteten System (z. B. als Stoffwechselreaktionen) vor sich gehen. Hier würde also nur das Nichtvorhandensein eines Temperaturkoeffizienten etwas Entscheidendes aussagen. Im anderen Falle bleibt es unentschieden, ob eine beobachtete Änderung der bio- ı) K. A. Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. 19, 435. 1909. ®2) Für das Folgende vgl. Kanitz, Temperatur und Lebensvorgänge. Biochem. Einzeldarstellungen Bd. I, Bornträger Berlin, 1915. 21 Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. logischen Reaktion auf die Veränderung des Stoffwechsels zu beziehen, oder nur sozusagen als photochemischer Temperaturkoeffizient aufzu- fassen ist. Über den Temperaturkoeffizienten der Röntgenwirkung an biologischen Objekten ist bisher nicht viel bekannt. In den einschlägigen Lehr- und Handbüchern findet sich nichts darüber. Bering und Meyer!) richteten in ihren experimentellen Untersuchungen über die Sensibilisierung der Röntgenstrahlen mittels Wärmedurchstrahlung, ebenso wie französische Autoren, ihr Augenmerk vor allem auf die Durchblutung des Gewebes. Sie bestrahlten nur vor und nach, nicht gleichzeitig mit der Thermopenetration des Gewebes und fanden, daß nur die voraufgegangene Thermopenetration als wirksam an- gesehen werden konnte. Was die hierbei in Betracht kommenden Temperaturdifferenzen anbelangt, so handelt es sich bestenfalls um einige Grade. An Askarideneiern, als an poikilothermem Material, ver- sprechen Temperaturversuche von vornherein größeren Erfolg. Was zunächst die Technik anbetrifft, so wurden die Versuche in der Weise angestellt, daß Eier des gleichen Entwicklungsstadiums auf den Boden eines Wägegläschens gebracht wurden, welches bis zum Rande in ein Wasserbad von der gewünschten Temperatur eingetaucht war. Letzteres bestand aus einem Glas- gefäß, das ringsum mit dicken Papierlagen gegen Wärme isoliert war und auch mit einer papierenen Kappe bedeckt wurde. Auf diese Weise gelang es, die Temperatur, welche in Abständen von 20’ kontrolliert und eventuell korrigiert wurde, innerhalb 1° konstant zu halten. Versuch 14—17. Einfluß der Temperatur auf die Röntgenstrahlenempfindlichkeit. | BRela- Be- ann hi; E.. Be z Zellstadium Er Schädigung durch eine Bestrahlung von der Dauer BE | ung gung a 19. II. | Kontrolle Reifes | 90° | 1507 | | Einzellen- | B Eu 95% n. 5% geschädigt | 2» stadum | 2 3 + 37%n.12%tg.51% vg. | 9%n. 12% tg. 79% vg.| 1.0 13° 23 55 | In. EHtg.833%vg. 2%n. L%tE.A%vg| 1,6 | Das | re | 4%n. 3%tg.33%vg. |0%n. 2%, tg. EG vg 235 b 31.1. [Kontrolle Sämtliche | > 60° _ | Eier i. reifen | 3 = 5 95% n. 5% geschädigt 10° Einzellen- |$ 21 |69%n.16% tg. 15% vg. a 1,0 222 stadium 73 @ 115% n.10% 8.75% vg- — 1,8 . nn E = % n. 4%, ee | 1 D Eb RR (6) . (6) N 1 122 20—30% |F 79 |61%n.14% tg.25% ve. eu 1,0 22° Drei-,Vierzell. ” © @ |18%,n.15% tg. 67% vg. | = 1,6 d 21: II. | Kontrolle Zweizellen- Bu: 90° ; 2 Ve stadium |= 3 &: 95% n. 3% geschädigt 117. 5 8 S © |28%,n.15%,t8.63% vg. - 1,0 } 2° > ee EI —_ 2,3 t) F. Beringund H. Meyer, Münch. med. Wochenschr. Nr. 19, S. 1000. 1911. 22 H. Holthusen: In allen drei Versuchen ist die gleichsinnige Veränderung der Emp- findlichkeit mit der Temperaturzunahme unverkennbar. Der Tempe- raturkoeffizient Q,, ist nicht immer gleich, aber doch sehr ausgesprochen, im allgemeinen etwas kleiner als 2. Die Versuche dehnten sich über mehrere Stunden aus; wir müssen daher berücksichtigen, daß der Prozeß der Zellteilung bei den Präparaten verschiedener Temperatur verschieden rasch ablief und daher eine die Kernteilungsphase betreffende Komponente der Strahlenempfindlichkeit in Betracht zu ziehen ist. Dadurch könnte der Temperaturkoeffizient zu groß erscheinen. In einem anoxybiotischen Temperaturversuch kann diese Fehlerquelle ver- mieden werden. Versuch 18. Größe des Temperatureinflusses bei der Anoxybiose. Versuchstechnik ähnlich wie 8.13 angegeben. Die 48 Stunden luftdicht verschlossenen Tröge werden in ein Wasserbad von großer Kapazität gebracht, so daß der Objektträger mit der Wasseroberfläche abschneidet. Das Thermostat- gefäß wird mit einem Karton bedeckt. Temperaturkontrolle und Korrektur alle 20 Minuten. Nach Versuchsende werden die Präparate geöffnet und aerob im Thermostaten zur Entwicklung gebracht. Zweizellstadium. Bestrahlung und Ein- stellung 6. 18 Minuten Abstand. Kartonfilter 2 Stunden. Temperatur | Schädigung | Kontrolle 99% n. 1%, geschädigt | —_ 12°° | 84%n.9%tg. TAvE | 1,0 22° | 67%. 16%tg. 17% ve | 15 In diesem Versuch nimmt die Empfindlichkeit mit der Temperatur zwar zu, aber in etwas geringerem Maße als in den aeroben Tem- peraturversuchen. Das spricht nicht gerade für eine Abhängigkeit der Radiosensibilität vom Stoffumsatz. Denn dann wäre ein Temperatur-. koeffizient von Q,, = 2 und darüber zu erwarten gewesen. Wahrschein- licher ist die Annahme der Koppelung der primären temperatur- unabhängigen photochemischen Strahlenreaktion mit sekundären tem- peraturabhängigen Reaktionen. Wenn wir am Schluß aus den Ergebnissen unserer Untersuchungen auch für die menschliche Pathologie einige Folgerungen ziehen wollen, so müssen wir uns zuvor die Frage vorlegen, wieweit sich die Ergebnisse, welche an einem einzelnen Objekt einer niederen Tierklasse gewonnen sind, verallgemeinern, wieweit sie sich besonders auf die höheren Or- ganismen und speziell die menschliche Zelle übertragen lassen. Nun. sind, wie eine große Reihe von Untersuchungen gezeigt hat, die Wir- kungen der Röntgenstrahlen für die verschiedensten Zellarten, ein- schließlich der Pflanzenzellen, grundsätzlich gleich und verlaufen im Prinzip bei den Protozoen und den differenziertesten Gewebszellen in Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. 23 der gleichen Weise. Wie weit die durch verschiedene Strahlengattungen (Härtegrade) gesetzten Schädigungen bei den verschiedenartigsten Ob- jekten, Pflanzensamen, Froscheiern, menschlichem Gewebe (Haut, Ovarium) miteinander übereinstimmen, geht besonders aus den sehr genauen biologischen Untersuchungen von Krönig und Friedrich!) hervor. Und bei der hier zur Erörterung stehenden Frage nach der Beeinflussung der Empfindlichkeit durch Wachstum und Teilung, handelt es sich um allen Zellen gemeinsame Vorgänge. Nur in bezug auf den Stoffwechsel nehmen die Spulwürmer eine Sonderstellung ein, aber dem haben wir bei unseren Untersuchungen weitgehend Rechnung getragen und haben unsere Schlüsse nur mit allem Vorbehalt gezogen. Fassen wir unsere Resultate noch einmal kurz zusammen, so sahen wir, daß der Zellkern in gewissen Stadien der Kernteilung, insbesondere im Stadium der Bildung der Äquatorialplatte und den darauf folgenden Phasen bis zur Zellteilung, eine vor den and ren Stadien der Karyokinese | ausgezeichnete Empfindlichkeit besitzt. Das von Krause und Ziegler auf Grund von histologischen Untersuchungen am Gewebe (z. B. Lymph- drüsen) aufgestellte Gesetz der Empfindlichkeitssteigerung in allen Stadien der Kernteilung, ist also dahin zu präzisieren, daß das Stadium der Bildung der Äquatorialplatte besonders ausgezeichnet ist. Von einem Gegensatz zwischen ruhenden und sich teilenden Zellen kann man dabei nicht gut sprechen: denn auch in den Stadien der Zell- entwicklung, in welchen keine Chromosomen vorhanden sind oder die Chromosomen sich zurückbilden, findet sich die Mehrzahl der Kerne (soweit nicht eine Ruhepause in der Entwicklung eintritt), in dauernder Umwandlung. Die Stoffwechselgröße der Eier wird von diesen periodisch verlaufenden Zellvorgängen nicht beeinflußt und kann daher auch für die Empfindlichkeitsänderung nicht verantwortlich gemacht werden. Die Empfindlichkeit der Röntgenstrahlen ist dabei von Faktoren ab- hängig, welche in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem morpho- logischen Verhalten stehen. Wir fanden endlich, daß die Radiosensibilität eine ausgesprochene Temperaturfunktion ist, die wir z. T. wenigstens auf die gleichzeitig stattfindenden temperaturabhängigen Wachstumsvorgänge in den Eiern zurückführen konnten, z. T. als Folgeerscheinung mit der primären Strahlenwirkung gekoppelter, dem Temperatureinfluß unterworfener, chemischer Reaktionen ansahen. “. Der Einfluß des Stoffwechsels auf die Wirkung der Röntgenstrahlen wird damit überhaupt problematisch. Die Schwarzschen Versuche über die Sensibilisierung und Desensibilisierung der Haut durch Variation der Größe ihrer Durchblutung, erscheinen in emem anderen Lichte. R !) Krönig und Friedrich, Physikal. und biolog. Grundlagen der Strahlen- therapie, III. Sonderband zur Strahlentherapie. Berlin 1918, 24 H. Holthusen: Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. Denn es liegt nahe, die Wirkung der Blutfüllung und der Blutleere nicht wie es der Verfasser tat, als eine Stoffwechselwirkung aufzu- fassen, sondern als eine Temperaturfunktion anzusehen. Es wäre wichtig, gerade das Wesen der Desensibilisierung der Haut, welche in den Methoden von Reicher und Lenz, Christen, Müller-Immenstadt eine praktische Bedeutung gewonnen hat, unter diesem Gesichtspunkte neu zu studieren und zu untersuchen, ob nicht durch eine bewußte Beeinflussung der Temperatur der Haut und Subcutis ein wesentlich höherer Grad der Desensibilisierung zu erreichen wäre. Jedenfalls wird es nötig sein, bei methodischen Versuchen den Einfluß der Temperatur auf die Strahlenempfindlichkeit der Zelle mehr als bisher zu berück- sichtigen. Der Segelflug. Von J. von Uexküll. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 8. November 1920.) Der Ruderflug der Vögel ist von Mare y endgültig klargelegt worden. Die Theorien des Segelfluges sind aber, soweit ich von ihnen Kenntnis habe, sämtlich unbefriedigend. Der Grund davon scheint mir darin zu liegen, daß man bisher daran festhielt, in den Flügeln das Segel zu sehen. Dann aber gab es keine Möglichkeit, die zum Segeln nötige Stabilisierung zu erzielen, die beim Segelboot durch die Reibung des Wassers erreicht wird. Anders nimmt sich das Problem aus, wenn man den Körper des Vogels als das Segel auffaßt. Abb. 1 sei das Schema eines Vogels, der mit wagerecht ausgebreiteten Flügeln schwebt, während sein Körper senk- D __, \/ recht herabhängt. Wie der Pfeil an- deutet, kommt der Wind von links. Was wird geschehen? Der Körper wird ausweichen, und das kann er 2) ee auch, da er durch zwei Kugelgelenke zieren mit den Flügeln beweglich verbunden Abb. 1 und 2. ist. Infolgedessen wird er die Hal- tung annehmen, die Abb. 2 angibt. Die Flügel werden kaum aus ihrer Lage gebracht und halten den Körper weiter in der Schwebe. Nun denke ich mir, muß es dem Vogel möglich sein, mit Hilfe seiner linksseitigen Muskeln den Körper an den Wind entsprechend dessen Stärke mehr oder weniger heranzuholen. Durch eine geeignete Steuerung der Schwanzfedern muß es ihm zugleich gelingen, den Körper gegen .den Wind zu drehen. Ist das geschehen, so sehe ich keinen Grund, warum der Vogel nicht auch gegen den Wind ansegeln könnte, um den Abtrieb, den er durch den seitlichen Wind erlitten, zu überwinden. (Aus dem Institut für animalische Physiologie, Frankfurt a. M.) Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. Von Dr. phil. et med. Wilhelm Steinhausen, Assistent am Institut. Mit 8STextabbildungen. (Eingegangen am 10. November 1920.) I. Einleitung. Die Latenzzeit der Muskelkontraktion bei elektrischen Reizen ist seit der ersten Bestimmung von Helmholtz!) der Gegenstand vielfältiger Untersuchungen gewesen. Man untersuchte sie als Funktion der verschiedensten veränderlichen Größen [Stromstärke, Spannung des Muskels, Stromform, Belastung usw.?)]. Wenn im vorliegenden die Frage der Latenzzeit bei Reizung mit konstantem Strom erneut untersucht wurde, so war die Veranlassung dazu durch Versuche über eine evtl. Umkehr des polaren Erregungsgesetzes gegeben. Bei diesen Versuchen sollte aus der Latenzzeit des in der Mitte fixierten Muskels bei verschiedener Stromrichtung auf den Ort der Auslösung der Er- regung und weiter auf eine eventuelle Umkehr des polaren Erregungs- gesetzes bei geeigneter Behandlung geschlossen werden. Es zeigten nun aber schon normale, in der Mitte fixierte Muskeln in bezug auf die Latenzzeiten bei Wechsel der Stromrichtung die größten Ver- schiedenheiten, die sich aus der Zusatzzeit für die Fortpflanzung der Kontraktionswelle bis zum registrierenden Muskelende bei Reizung am anderen Ende allein nicht erklären ließen. Diese Störungen rühren davon her, daß schon der normale, völlig freie, in der Längsrichtung durchströmte Muskel bei gleicher Stromstärke sehr verschiedene Latenz- zeiten hat, je nachdem in welcher Richtung er durchströmt wird. Diese Unterschiede der Latenzzeiten und ihre Abhängigkeit von der Strom- stärke möglichst quantitativ zu bestimmen und ihre Ursachen zu ver- folgen, ist die Aufgabe dieser Arbeit. Bei fast allen Versuchen über die Latenzzeit sind bis jetzt in bezug auf die Stromstärken nur relative Messungen gemacht worden. Das Stromstärkeverhältnis wurde beurteilt nach dem Rollenabstand bei !) H. Helmholtz, Arch. f. Anat. u. Physiol. (A. A. P.) 1850, S. 276. 2) Vgl. z. B. R. Tigerstedt, A. A. P. 1885, Suppl., S. 111. W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius -usw. DU Reizung mit dem Induktionsapparat oder nach der an das Präparat angelegten Gleichstromspannung. Im ersteren Falle ist Stromform wie Stromstärke im Präparat auch bei bekanntem Präparatwiderstand unbestimmbar, weil die im Induktionsapparat erzeugte elektromoto- rische Kraft der genauen Berechnung meist unzugänglich ist!). Im zweiten Fall, also bei Reizung mit konstantem Strom, liegen die Verhältnisse insofern besser, als man bei Kenntnis des Präparatwider- standes aus der angelegten Spannung direkt die Stromstärke nach dem Ohmschen Gesetz ableiten kann. Die gewöhnlich angelegten niederen Spannungen verlangen aber vollständiges Fehlen der Polari- sation, was nach den Untersuchungen Gildemeisters?) bei keinem tierischen Gewebe zu erwarten ist. Außerdem muß verlangt werden, daß auch der Ohmsche Widerstand des Präparates sich nicht ändert, was gleichfalls nicht zu erreichen ist. Bei allen Arbeiten über die Latenzzeit finden wir über die absoluten. Werte der Stromstärken oder gar der Stromdichten keine Angaben. So sagt z. B. Tigerstedt?) über seine Reizungsversuche mit konstantem Strom in bezug auf die Stromstärke nur: ‚„Konstanter Strom, 3 Grove ohne Nebenleitung usw.‘ Oder um ein Beispiel aus neuerer Zeit zu geben, so begnügen sich Gildemeister und Weiss) bei ihren Versuchen über die Wirkung von Stromstößen mit der Angabe der angelegten Spannung. Sie nehmen dabei an, daß die Proportionalität des Stromes mit der Spannung erhalten bleibt, da das Präparat kapazitäts- und induktionsfrei sei. Selbst für den Fall, daß es auch noch polarisationsfrei wäre, wäre die Angabe der Stromstärken selbst von Wichtigkeit, denn die Strom- stärke bzw. Stromdichte ist letzten Endes bei konstantem Strom und senkrechtem Anstieg das Bestimmende. II. Methodik. a) Reizungsart. Es wurde deshalb eine Methode angewandt, die gestattet, kon- stante Stromstärken längere Zeit aufrechtzuerhalten, sie ohne großen Zeitaufwand, was für physiologische Zwecke wichtig erscheint, zu bestimmen und sie in geeigneter Weise zu variieren. Die Methode besteht bekanntlich darin, daß ein großer veränderlicher, selbstinduk- tions- und kapazitätsfreier Widerstand in den Reizkreis gelegt wird°). 1) Oszillographische Aufnahmen der Vorgänge in der sekundären Spirale der gebräuchlichen Induktorien hat Bangert gemacht und dabei nachgewiesen, wie verschieden die gelieferten Stromformen sein können. Zeitschr. f. phys. u. diät. Ther. 23, 15. 1909. 2) M. Gildemeister, Arch. f. d. ges. Physiol. (P. A.) 1%6, 84. 1919. 3) Tigerstedt, a. a. O., S. 200. *) Gildemeister und Weiß, P. A. 130, 329. 1909. >) Vel.z.B.M. Gildenmeister, Münch. med. Wochenschr. 1911. Nr. 21, 28 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit Wenn der Widerstand im äußeren Stromkreise so groß ist, daß der Präparatwiderstand dagegen verschwindet, so genüst es, diesen äußeren Widerstand und die elektromotorische Kraft zu kennen, um wenigstens in erster Annäherung die Stromstärke im Reizkreis berechnen zu können. Schwankungen des Präparatwiderstandes werden um so weniger wirk- sam sein, je größer dieser äußere Widerstand im Verhältnis zum Präparatwiderstand ist. Daneben bewirkt der große äußere Widerstand eine Milderung der Polarisationswirkung. Die E.M.K. der Polarisation ist ja in erster Annäherung für die erste Zeit des Stromschlusses: & u l dt, da- C bei ist c (die Polarisationskapazität) durch den Muskel selbst und die Elektroden bestimmt. Durch Anwendung unpolarisierbarer Elektroden läßt sich c sehr groß machen. Das Integral = 1 idt aber ist für einen gewünschten Reizerfolg bei Gleichstrom und Dauerschließung nicht ganz zum Verschwinden zu bringen. Je größer die äußere E. M.K. ist, um so kleiner ist sein Einfluß. Je geringer die angelegte Spannung ist, um so stärker wird es bei gleicher Reizstromstärke wirksam werden, ta E— = [ idt oder in der Form der Lösung der Gleichung: «= — — —-, in der + w i die Stromstärke, E die äußere Spannung, w der Präparatwiderstand 1 e e(+m) und x der äußere Widerstand ist, ausgedrückt: 3 = 1 x — w Der Faktor e «@+w" wird um so später bei gleicher Strom- stärke ? zur Wirksamkeit kommen, je größer x + w ist. Deshalb muß man ein großes E nehmen. Ich habe für £ 105 Volt genommen und auf die Anwendung unpolarisierbarer Elektroden dann verzichten können, was für die praktische Ausführung der Versuche angenehm ist. b) Große veränderliche Widerstände. 1. Flüssigkeitswiderstand. Als großen veränderlichen Widerstand nahm ich ein mit Mannitborsäure- lösung gefülltes Capillarsystem. Der Widerstand bestand aus sechs mit der Lösung gefüllten Standgefäßen, die durch Capillaren von 0,15 cm lichtem Durchmesser miteinander kommunizierten. (Vgl. Abb. 1.) Die eine Elektrode (A) konnte nach Belieben in eins der Standgefäße getaucht werden, die andere (B) bestand aus einem Platinstift, dessen Stromzuführung isoliert durch ein dünnes Glasrohr c nach außen führte. Dieses Glasrohr konnte mit dem Stift in einem schräg nach oben aus dem Standgefäß I abgehenden 40 cm langen Rohr verschoben werden. Die Stellung der Platinspitze wurde an einem Maßstab abgelesen. Durch Verschieben des Platinstiftes in Verbindung mit dem Eintauchen der Elektrode A in die verschiedenen Standgefäße konnte der Wider- von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 29 stand kontinuierlich in weiten Grenzen verändert werden: dabei war der Wider- stand jedes Gefäßes mit den entsprechenden Verbindungscapillaren gleich dem Widerstand der schrägliegenden Capillaren B. A Abb. 1. Mannitborsäure-Widerstand. 2. Die Elektronenröhre als Widerstand. Die meisten Versuche sind mit Benutzung des beschriebenen Mannitwider- standes angestellt worden. Bei den letzten Versuchen habe ich die Elektronenröhre als Widerstand benutzt. Die Schaltung habe ich in einer besonderen Mitteilung angegeben). An die Stelle des Mannitborsäurewiderstandes wird die Elektronen- röhre so eingeschaltet, daß das eine Ende der Reizstrombahn mit der Anode der Röhre, das andere Ende mit dem Heizdraht derselben verbunden wird. In der Reizstrombahn’liegt die Spannung von 105 Volt, das Präparat und ein Schlüssel (vgl. Abb. 2). Der Widerstand, den die Röhre in dieser Schaltung bietet, ist ab- hängig von den Dimensionen, von der Gasfüllung der Röhre und der Temperatur und Beschaffenheit des Heizdrahtes. Überdies ist er veränderlich mit dem Po- tential einer dritten Elektrode, des Gitters, das zwischen Anode und Heizdraht ausgespannt ist. Wird dem Gitter z. B. ein negatives Potential erteilt, so werden die aus dem Heizdraht abgeschleuderten, nach der Anode hinwandernden negativ geladenen Elektronen von dem Gitter zurückgestoßen und können somit die Anode nicht erreichen. Der Strom nimmt ab, bzw: der Widerstand nimmt zu und umgekehrt. Durch Änderung des Gitterpotentiales hat man es also in der Hand, den Widerstand der Röhre in weiten Grenzen zu ändern. c) Zeitmessung. Für die Zeitmessung kam nur eine elektrische Methode in Betracht. Die graphische Methode verbot sich wegen der Verschiedenheit der zu erwartenden Zuckungshöhen ohne weiteres. Denn es sollten ja die Reizstärken in weitesten Grenzen geändert und auch mini- male Zuckungen untersucht werden. Die von Tigerstedt einge- führte Signalmethode hängt ebenso wie die Pouilletsche Methode von der Genauigkeit der Einstellung des Abreißkontaktes ab und verlanst überdies eine umfangreiche Apparatur zur Registrierung der Signalbewegung, die seit Tigerstedt im übrigen wesentlich. ver- bessert wurde. 1) Vgl. P. A. Bd. 185, 7073. 1920. 30 WW. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit Es wurde deshalb die Pouilletsche Methode benutzt, die von Helmholtz zuerst für die Bestimmung der Latenzzeit angewandt wurde. Helmholtz hat in seiner ersten Arbeit!) schon die Fehler- grenzen der Methode aufs eingehendste diskutiert. Die beiden Haupt- fehlerquellen sind nach Helmholtz Schwächung des Stromes durch den Übergangswiderstand an dem zeitmessenden Kontakt?) und die Ungenauigkeit der Einstellung des Muskelhebels.. Helmholtz hat die Einstellung mikroskopisch vorgenommen; er fand, daß die kleinste wahrnehmbare Distanz zwischen Plättchen und Goldkuppe des Kon- taktes 5 u betrug. Den fünffachen Wert dieser Größe, also 25 u, nimmt er als wahrscheinlichen Fehler der Einstellung. Ich bewirkte die Ein- stellung des Kontaktes mittels Wechselstromes und Abhören durch ein Telephon. Dabei ergab sich, daß schon bei einer Verschiebung des Kontaktes um 0,4 u der Kontakt unterbrochen bzw. geschlossen war. Es zeigte sich aber eine andere Erscheinung, die bei der Einstellung zu Fehlern Veranlassurg gab und die Genauigkeit der telephonischen Einstellung bedeutend herabsetzte. Stellte man nämlich mit Wechsel- strom und Telephon auf möglichst zarte Berührung des Kontaktes ein, so konnte man eine Einstellung kurz vor der Unterbrechung finden, bei der zwar noch Strom durch den Kontakt hindurchging, bei der aber Geräusche im Telephon erzeugt wurden, die unregelmäßige Unter- brechungen an der Kontaktstelle anzeigten. Diese Mikrophonwirkung trat ein bei einer Kontaktstellung etwa 1 u vor der eigentlichen Unter- brechung. Auch bei möglichst erschütterungsfreier Aufstellung und Beobachtung in ruhigen Abendstunden zeigten sich diese Mikrophon- geräusche im Kontakt und gaben natürlich zu Fehlern Veranlassung, die deshalb schwerer wiegen, weil sie sich nicht abschätzen lassen. Aus dieser großen Empfindlichkeit des Kontaktes gegen Erschütterung erklären sich wohl auch die mitunter großen Schwankungen der be- obachteten Werte. Die Feinheit der telephonischen Einstellung konnte so nicht voll ausgenutzt werden. Erst bei einer Einstellung von 1,5 4 über der Unterbrechungseinstellung waren keine Mikrophongeräusche mehr zu hören. Dieser Verschiebung würde nach Helmholtz?) eine Überlastung des Muskels von etwa 0,03g entsprechen. Also diese Spannung muß der Muskel bei der Kontraktion erst erreichen, bevor er den Kontakt öffnen kann. Wie klein man auch immer die Über- lastung machen kann, ihren Einfluß wird man nie ganz ausschalten können, wenigstens theoretisch nicht, wenn man einen sicheren Kontakt erhalten will. 1) Helmholtz, a.a.O. 2) Vgl. hierzu: Rohmann, Elektrische Kontakte. Physikal. Zeitschr. 21. J. 417—423. 1920. ®) Helmholtz.a.a. O. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 31 d) Nachdehnung. Eine Vergrößerung der Überlastung wird durch die Nachdehnung des Muskels herbeigeführt. Durch sie wird ein weiterer Teil des den Muskel spannenden Gewichtes von dem Unterstützungspunkt des Hebels auf der Kontaktfläche aufgenommen. Die hier verlorengehende Spannung muß erst vom Muskel. wieder erzeugt werden, bevor eine Öffnung des Kontaktes möglich ist. Der Muskel arbeitet in diesem Falle mit einer größeren Überlastung. Durch öftere Nachprüfung der Einstellung, besonders unmittelbar vor dem Versuch, wurde der Einfluß der Nachdehnung möglichst ausgeschaltet. Der Versuch, das Auftreten der gesamten Überlastung durch Beweglichmachen der Kontaktplatte unter Einschaltung einer Flüssigkeitsdämpfung minimal und konstant zu halten, führte zu keinem Erfolge. Die Latenzzeiten wurden dann mit noch größeren Fehlern behaftet gefunden als bei fester Kontaktplatte. e) Versuchsanordnungs. 1. Allgemeine Übersicht. Die Abb. 2 gibt eine Übersicht über die gesamte Anordnung der Versuche. M ist der Muskel. Benutzt wurde der mit dem Ansatzknochen sorgfältigst prä- parierte Sartorius von H curarisierten Fröschen. Es wurden die am Mus- kel etwa noch haftenden Gewebsreste von den 75 benachbarten Muskeln sorgfältig entfernt. Auch E das Perimysium wurde abgetrennt, was sich bei Eseulenten schonen- der bewerkstelligen läßt als bei Temporarien. Durch die Beckenpfanne und den Tibiakopf wur- den Löcher gebohrt und der Muskel durch einen starken Glashaken am Abb. 2. Versuchsanordnung. Muskelhebel 7 und mit dem anderen Ende direkt an dem Glasbügel G angehängt. Der Muskel befand sich in einer feuchten Kammer, die auf der Abbildung nicht gezeichnet ist. Um die Knochenenden wurden Metalldrähte gelegt, denen der Strom durch ganz dünne spiralig aufgewickelte Drähte über einen Stromwender zugeführt wurde. In dem Reizstromkreis ist enthalten die Batterie von 105 Volt, die Elektronenröhre (bzw. der Flüssigkeitswiderstand) und der eine Kontakt des Fallhammerschlüssels F. 2. Meßstromkreis. Am freien Ende des Muskelhebels 7 war der Helmholtzkontakt angebracht in ähnlicher Form, wie er von du Bois-Reymond!) angegeben ist. Die Hart- 1) E. du Bois-Reymond, Ges. Abh. 1, 215. 32 WW. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit gummiplatte, in die ein Loch für die Aufnahme des Quecksilbers gebohrt war, ließ sich um eine horizontale Achse nach aufwärts drehen, so daß durch einfaches Anheben der Platte der Quecksilberkontakt nach einer Unterbrechung wieder- hergestellt werden konnte. Durch eine Wippe ohne Kreuz läßt sich der Kontakt entweder in den Meßkreis M oder in den Einstellkreis E einschalten. Ist er in den Einstellkreis geschaltet, so kann man am Telephon 7 abhören, ob der Kon- takt geschlossen oder unterbrochen ist. Das Telephon wird erregt durch die Wechsel- . ströme, die unter geeigneter Abzweigung ‘von der Lichtleitung geliefert werden. Der Meßkreis selber besteht aus einem Akkumulator, einem induktionsfreien Vorschaltwiderstand von 10000 Ohm und dem ballistischen Galvanometer. 3. Fallhammerschlüssel. Zur gleichzeitigen Schließung beider Stromkreise, des Meßstrom- und Reiz- stromkreises, benutzte ich einen Fallhammerapparat F (nach einer Konstruktion von Prof. Bethe) mit zwei Platinschließkontakten, ähnlich dem, den Helm- holtz!) zuerst beschrieben hat. Helmholtz gibt an, daß die Vermeidung des Klirrens große Schwierigkeiten mache, und daß er das Fallen des Hammers nicht gleichmäßig genug habe bewerkstelligen können. Dies veranlaßte ihn später, sein Pendel zu konstruieren, bei dem infolge der großen Masse das Fallen des Pendels aus gleicher Höhe stets gleiche Geschwindigkeiten ergab. Das Klirren der Schließ- kontakte ist aber auch bei dieser Konstruktion nur mit großen Schwierigkeiten zu vermeiden?). Durch einen stabilen Bau des Fallhammers, durch eine geeignete Arretierung?) , ferner durch eine Dämpfung der Kontaktfedern durch eine unter- gelegte Gummipolsterung ließ sich ein einwandfreies Arbeiten des Fallhammers mit der hier geforderten Genauigkeit ermöglichen. Bei einer Reihe von Ablesungen blieb der Fehler der einzelnen Beobachtung bei gleicher Stellung der Kontakt- schrauben unter 0,02 o. Die 'Ausrechnung der Zeiten aus den Ausschlägen des ballistischen Galvano- meters geschah nach den üblichen Methoden. II. Experimentelle Prüfung der Genauigkeit. Um die 'Ablesungsgenauigkeit zu prüfen, wurden die Latenzzeiten bei maximalen Induktionsschlägen bestimmt. Hierbei kann ange- nommen werden, daß die Zuckungen untereinander weniger verschieden sein werden als bei untermaximalen bzw. minimalen Zuckungen bei Reizung mit konstantem Strom. Die Anordnung war dabei so getroffen, daß der eine Kontakt des Fallhammerschlüssels mit dem Stromkreis der primären Spirale eines Schlitteninduktionsapparates verbunden war, wänrend die Klemmen der sekundären Spule mit den Muskelenden in Verbindung standen. Der Versuch, die Genauigkeit der Methode unter Ersetzung des Muskels durch ein physikalisch völlig zu beherrschendes System zu prüfen, führte bis jetzt zu keinem einwandfreien Ergebnis. Die Messungen hierüber übergehe ich deshalb. !) Helmholtz, Ann.d. Phys. 83, 515. 1851. ?2) Gildemeister und Weiss, Ann.d. Phys. 1%. 1905. >) J. Gad, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1877, S. 41. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 33 Bei einer Prüfung mit maximalen Induktionsschlägen erhielt ich folgende Werte. TabelleI. Sartorius von R. eseulenta. Männliches Tier. Curarisiert. "Temp. 20,8° C. Reizung mit übermaximalen Schließungsinduktionsschlägen. Rollenabstand 0. Ablesung Latenzzeit 1 316 2 39.5, 3 3.12; 4 4,0 „, 5 3.30, 6 3.055 1 230 8 200% 1) Se 10 Sale 11 330% Mittel: 3,60, mittlerer Fehler: 0,50, - wahrscheinlicher, 0,3 0. Der wahrscheinliche Fehler beträgt also 0,30. Die Genauigkeit erscheint absolut genommen recht groß, relativ zu der zu messenden Größe aber gering (14%). Bei der Durchsicht der Arbeit von Tiger- stedt!) findet sich, daß bei ihm, der mit einer Kombination der graphischen mit der elektrischen Methode gearbeitet hat, die mittleren Fehler unter besonders günstigen Umständen sich in der Höhe von etwa 10% halten. Die Methode von Tigerstedt dürfte also wegen ihrer größeren Genauigkeit, die hauptsächlich auf die Möglichkeit der rascheren Ausführung der Versuche zurückzuführen sein dürfte, vorzuziehen sein. Ich habe sie in den vorliegenden Versuchen nicht angewandt, weil die Anwendung konstanter Ströme, wie sie für meine Versuche erforderlich ist, bei ihr einige Schwierigkeiten macht. In- der Hauptsache allerdings waren äußere Gründe maßgebend. Anderer- seits legen die kurzen Zeiten, die ich erhalten habe, die Vermutung nahe, daß die telephonische Einstellung in Verbindung mit der mikro- skopischen Feinverschiebung der Kontaktplatte doch eine empfind- lichere Methode ist als die bei der Signalmethode bis jetzt angewandte. IV. Versuchsergebnisse. Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß zuerst die Reiz- schwelle festgestellt wurde; sodann wurde der Widerstand im Reizkreis vermindert und die zu den betreffenden Reizstromstärken gehörenden Latenzzeiten bestimmt. Dabei wurde, um den Muskel nicht unnütz zu schädigen, mit der Steigerung der Stromstärke nur soweit fortge- fahren, bis keine Verkürzung der Latenzzeit mehr eintrat. Die nach- folgenden Kurven (Abb. 3 und 4) geben die Werte der Latenzzeiten I) Tigerstedt, a.a.O. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 3 34 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit von vier Versuchen in Abhängigkeit von der Stromstärke. Auf der Abs- zissenachsesind die Reizstromstärken in 10”®Amp., auf der Ordinatenachse die zugehörigen Latenzzeitwerte in 0 (1/;ooo See.) aufgetragen. Jede Abbildung zeigt 2 Kurven. Die mit & bezeichnete Kurve gibt die Latenz- zeiten für den Fall, daß die Kathode am tibialen Ende des Muskels liest, die mit P be- zeichnete entsteht bei umgekehrter Strom- richtung. Bei derVer- suchsreihel(Abb.3a) handelt es sich um den Sartorius einer | curarisierten Escu- | lenta. Die Tempera- tur betrug 18,4°C. Die Versuchsreihe 2 (Abb. 3b) ist 24 Stun- den später an dem- selben Muskel auf- genommen worden. Die Versuchsreihen 3 und 4 (Abb. 4aundb) geben die Kurven eines anderen Mus- kels. Die Temperatur betrug hier 19,3° C. Zwischen diesen bei- den Versuchsreihen ist eine Pause von 12 Stunden eingelest. Jeder Versuch zieht sich über eine längere Zeit (mehrere Stunden) hin, da nach jeder Ablesung das Galvanometer in die Ruhelage zurückkehren muß und der Meßkontakt neu eingestellt wurde. Die Verschiedenheit der beiden Kurven & und ß ist deutlich aus- gep:ägt. Die Frage, ob es sich bei der hier zutage tretenden Wirkung der Stromrichtung nur um Verschiedenheiten der Stromdichten an den beiden Enden des Muskels infolge der verschiedenen Ansatzver- hältnisse an die Endsehnen handelt und ob die Verschiedenheit der Kurven verschwinden würde, wenn an beiden Enden gleiche Strom- ‚dichten vorhanden wären, soll bei einer anderen Gelegenheit behandelt werden. Bekanntlich wird die Ansicht (Grützner u.a.) vertreten, daß der Sartorius aus zwei Faserarten zusammengesetzt sei, daß die- Abb. 3b. Latenzzeitkurven. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 35 selben in bezug auf ihre Latenzzeiten sich verschieden verhalten, und daß dadurch die Verschiedenheiten bedingt seien. Wir wollen vorläufig nur jede Kurve für sich betrachten. Wir sehen, daß die Latenzzeit bei abnehmender Stromstärke zuerst langsam, dann immer _ rascher zunimmt. Die Kurve hat das Aussehen eines Hyperbelastes. Daß die Latenzzeiten mit abnehmender Reizstärke stetig zu- nehmer, wird in der %# ‘“ Literatur!) vielfach erwähnt, aber ich finde keine Angaben, die eine genaue Ana- lyse dieser Erschei- nungen geben. Ver- © gleichen wir z. B. die Kurven, die Tiger- stedt gibt?), so fin- den wir, daß bei seinen Kurven 49 auch die Latenzzeit bei abnehmen- der Reizstärke erst langsam, dann rascher zunimmt. Das Gesetz, nach dem diese Abnahme statt- findet, kommt aber nicht richtig 20 zum Ausdruck. Tigerstedt be- nutztnämlich richt die Reizstärke, 79 sondern eine Funktion derselben, die Zuckungshöhe, alsunabhängige Veränderliche. Die Zuckungs- 9 70 ZOEN3D, 40.706 höhe ist aber eine im allgemeinen en AZ unbekannte Funktion der Reiz- stärke; wenigstens ist es bisher nicht gelungen, einen allgemein gültigen Ausdruck für die Abhängigkeit der Zuckungshöhe von der Reizstärke zu finden. Es ist ja bekannt, daß für denselben Reiz die Zuckungshöhe sich je nach der Belastung, dem Trägheitsmoment der zu bewegenden Massen usw., in weiten Grenzen ändern läßt, und die Latenzzeit dabei kaum oder gar nicht beeinflußt wird, während andererseits die Veränderung der. Reizstärke besonders bei untermaximalen Reizen auf beide Größen gleich stark einwirkt. Die Form der Latenz- zeitkurve in Abhängigkeit von der Zuckungshöhe wird also ganz verschieden ausfallen können, je nach den Ver- 1) Vgl. z. B. Yeo, Journ. of physiol. 9, 396. 1888. 2) Tigerstedt, a.a. O. 40 3*+ 36 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit suchsbedingungen, während dies bei gleicher Überlastung für die Latenz- zeitkurve in Abhängigkeit von der Reizgröße nicht der Fall zu sein braucht. So fand ich z.B. für die Abhängigkeit der Latenzzeit von der Zuckungshöhe im Gegensatz zu Tigerstedt eine fast lineare Funktionfür den größten Teil des Verlaufes der Kurven. Die folgende Kurve (Abb. 5) gibt davon ein Bild. Als Abszissen sind die Zuckungshöhen in mm Hebelausschlag(Vergrößerung: 7fach), als Ordinaten die La- . tenzzeiten in o aufgetragen. Wie man sieht, ist die Verbin- dungslinie der experimentell bestimmten Punkte annähernd eine Gerade. Ihre Fortsetzung bis zur Ordinatenachse würde diese bei sehr geringen Latenzzeitwerten schnei- den. Diese Eigenschaft hat sie auch mit den Kurven von Tigerstedt gemein. Bei, einigen derselben sind die Kurven bis zum Schnitt mit der Ordinatenachse verlängert und schneiden sie in der Tat bei sehr geringen Latenzzeitwerten, so daß die Kurven doch eine gewisse Ähn- lichkeit miteinander haben. Da es mir nur darauf ankam, die Latenzzeit in Abhängigkeit von der Reizstärke genauer zu beobachten, habe ich darauf verzichtet, eine unbekannte Funktion, nämlich die Zuckungshöhe, hier ein- zuführen. Erwähnen möchte ich nur, daß aus den allerdings nur wenigen Versuchen, die ich über die Abhängigkeit der Latenzzeit von der Zuckungshöhe angestellt habe, hervorgeht, daß die Zuckungshöhe rascher abnimmt als die zugehörige Latenzzeit, daß also die Kurve der Latenzzeit in Abhängigkeit von der Zuckungshöhe für den er- müdeten Muskel unter der für den frischen bleibt. Dies Verhalten des ermüdeten Muskels und seine theoretische Deutung soll noch weiter verfolgt werden. Daß die Latenzzeit mit der Ermüdung des Muskels zunimmt, ist eine allgemein als richtig angesehene Tatsache!). Die genauere Analyse der Beziehung zwischen Latenzzeit, Zuckungshöhe und Reizstärke ist aber noch nicht m Angriff genommen. 20 Abb. 5. V. Analyse der Ergebnisse. a) Die allgemeine Form der Latenzzeitkurve. Die Form der Latenzzeitkurve in Abhängigkeit von der Strom- stärke zeigt nun eine besondere Eigentümlichkeit. Zeichnet man die &- und f-Kurven mehrerer Versuche in ein einziges Koordinaten- 1) Vgl. z.B. Yeol. c. S. 432. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 37 system ein, so überschneiden sie sich vielfach und lassen keine Gesetz- mäßigkeit in ihrem Verlaufe erkennen. In Abb. 6 ist eine Anzahl von Kurven von verschiedenen Muskeln und bei Reizung mit wechselnder Stromstärke in em Koordinatensystem ein- 2. eiz gezeichnet. Als Abszis- | | sen sind die Reizstrom- 30 N stärken in 10°° Amp., \ | als Ordinaten die be- „, . DO | obachteten Latenzzeiten N f | | in o aufgetragen. Die IS mit Punkten versehenen 7 a : Kurven sind &-Kurven, © I an die mit Kreuzen be- zeichneten fP-Kurven. ? % = a 60 0 Brinst man nun Abb. 6. die «-Kurven und ebenso dieß#-Kurven durch Parallelverschiebung für einen Punkt zur Deekung, so findet man, daß die Kurven nicht nur in diesem Punkte miteinander übereinstimmen, son- dern daß sie fast in ihrem ganzen Verlaufe zusammen- fallen. Die flacher verlaufende Kurve stellt dabei die gemeinsame Kurve für Reizung am Beckenende, die steilere Kurve für Reizung am tibialen Ende dar. Beide Kurven sind augenscheinlich Äste von gleichseitigen Hyperbeln. b) Die Hyperbelverschiebungen. Damit die verschiedenen Kurven zusammenfallen, haben wir zwei Koordinatentransformationen vornehmen müssen in zwei senkrecht zueinander stehenden Richtungen. Die Verschiebung in Richtung der Ordinatenachse besagt, daß eine gewissse Zeit übrigbleibt, die von der Änderung der Stromstärke nicht berührt wird. Die Latenzzeit wird bei wachsender Stromstärke immer kürzer, sie konvergiert aber nicht gegen Null, sondern gegen einen positiven Wert. Diese Zeit wird also für einen oder mehrere Vorgänge, über deren Natur allerdings Bestimmtes nicht ausgesagt werden kann, ver- braucht und kann als von der Stromstärke unabhängig betrachtet werden. Ihr numerischer Wert beträgt etwa 50, er stimmt überein mit der kürzesten Latenzzeit, die bei den mannigfachen Versuchen, möglichst kurze Latenzzeiten für den ausgeschnittenen Froschmuskel zu finden, festgestellt wurde. Es ist andererseits natürlich, daß dieser Wert, gegen den die Latenzzeit konvergiert, nicht für jeden Muskel gleich ist, und in der Tat finden wir die Größe der Hyperbelverschiebung 38 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit bei den verschiedenen Muskel etwas verschieden und auch bei dem- selben Muskel durch den Einfluß der Ermüdung verändert. Eine zweite Verschiebung mußten wir in der Richtung der Abszissenachse vornehmen. Diese Verschiebung bedeutet, daß wir nicht vom Nullpunkt der Stromstärke, sondern von einem anderen Punkte aus die unabhängige Veränderliche zählen müssen. Nicht die Verdoppelung der absoluten Stromstärke gibt die halbe Latenzzeit, sondern die Verdoppelung der von diesem Punkte gezählten Strom- stärke gibt die halbe Zeit. Unter diesem Werte ist dabei die Stromstärke gemeint, die zu dem hypothetischen Werte oo der Latenzzeit gehört. Also nicht ’— ti, = sondern t — I, = — ; E20 worin £ die Zeit und i die Stromstärke bedeutet. Keine der Kurven läßt eine Deutung in der Weise zu, daß ihre Asymptote mit der Ordinatenachse zusammenfallen könnte. Immerhin ist die Konstante der Verschiebung von Muskel zu Muskel etwas ver- schieden. Bei ein und demselben Muskel scheinen aber die Kurven für die beiden Stromrichtungen die gleichen Asymptoten zu haben. c) Versuche mit künstlicher Vergrößerung des Quer- schnittes an der Reizstelle. Besonders deutlich wird diese Erscheinung, wenn man durch Ein- tauchen des einen Muskelendes in Ringerlösung die Reizstromdichte verkleinert. Die Versuche wurden in der Weise angestellt, daß zuerst die Latenzzeitkurven für einen Muskel bei einer bestimmten Strom- richtung aufgenommen wurde, dann wurde die Stromrichtung um- gekehrt und wieder die Latenzzeitkurve aufgenommen. Der Muskel befand sich dabei frei in der feuchten Kammer. Nun wurde die Kammer so weit mit Ringerlösung gefüllt, daß das untere Ende des Muskels bis zu einer Höhe von 1cm in die Lösung ein- tauchte. Wenn die Kathode sich am oberen 0 70 20 30 77) 50 Z0.70-5 Eude des Muskels be- Abb. 7. Amp fand, wurden die Latenz- zeitkurve unverändert gegen die erste Feststellung gefunden, befand sich aber die Kathode am eingetauchten Ende, so resultierte die in Abb. 7 unter y ein- gezeichnete Kurve. In der Abbildung ist die mit & bezeichnete Kurve 40 20 von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 39 die Kurve, die erhalten wurde, wenn die Kathode am unteren Ende des Muskels, das zugleich das schmälere war, gelegen war vor der Füllung der Kammer mit Ringerlösung; die mit f bezeichnete Kurve gibt die Resultate für den Fall, daß die Kathode am oberen Ende sich be- fand. Aus den Kurven ergibt sich in der Tat, daß alle drei bzw. vier Kurven, wenn man sie als gleichseitige Hyperbeln gelten lassen will, gleiche Asymptoten haben. d) Einfluß der Überlastung. Was nun die Hyperbelgleichung selbst anlangt, so müssen wir nach der Ursache fragen, wie es kommt, daß die Latenzzeit umgekehrt proportional mit der Schwellenstromstärke (= Stromstärke von dem Schwellenwert an gezählt) abnimmt. Bei dieser einfachen Beziehung könnte es sich, was wir zuerst betrachten wollen, nur um eine schein- bare Verlängerung der Latenzzeit handeln, die durch den Einfluß der Überlastung in Erscheinung tritt. Wir hatten gefunden, daß auf den Muskel die im vorigen zu 0,03g berechnete Überlastung wirkt. Bei der Reizung muß der Muskel zuerst eine Spannung erzeugen, die größer ist als diese Überlastung, bevor überhaupt eine Bewegung des Kontakt- hebels und damit eine Unterbrechung des Meßstromkreises eintreten kann. Die gemessene Latenzzeit setzt sich also zusammen aus der eigentlichen Latenzzeit und dieser Überlastungszeit. Beide Zeiten könnten sich mit der Veränderung der Reizstärke ändern. Die eigentliche Latenzzeit, also die Zeit, die von der Reizung ab vergeht, bis der Muskel überhaupt beginnt Spannung zu entwickeln, könnte aber auch un- abhängig sein von der Reizstärke und sich nur die Überlastungszeit ändern. Daß für sehr schwache Reize die Überlastungszeit eine ausschlag- gebende Bedeutung haben wird, läßt sich leicht zeigen. Die von dem Muskel eatwickelte Gesamtspannung nimmt ja mit abnehmender Reizstärke dauernd ab, die Überlastungsspannung bleibt aber konstant. Das Verhältnis der Überlastungsspannung zur Gesamtspannung nimmt also bei abnehmender Reizstärke dauernd zu und kann schließlich den Wert 7 und noch höhere Werte annehmen. Dann wird aber der Kontakt überhaupt nicht mehr unterbrochen und die Latenzzeit un- bestimmbar sein. Für das Überlastungsverhältnis nahe 7 wird sie den Maximalwert der Kulmenzeit annehmen. Die Kurve, die die Abhängigkeit der Latenzzeit von der Reizstärke darstellt, ist also in diesem Falle bestimmt einmal von der Größe der Überlastungsspannung und dann von der Spannungskurve des Muskels bei verschiedener Reizstärke. Steigt die Spannung während einer Einzelzuckung z.B. geradlinig an!), so erhält man für die Spannung in jedem Moment EVelöHelmholtz,'a. a0. 40 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit den Ausdruck: 8 = tga * (t — i,), wenn wir mit S die Spannung, mit t die Zeit, gezählt vom Reizmoment an, mit i, die wahre Latenzzeit und mit & den Winkel, den die Spanungskurve mit der Zeitachse bildet, bezeichnen. Die experimentelle Hyperbel kommt dann dadurch zustande, daß man tgx = k(i — i,) setzt. Das heißt, die Steilheit des Spannungsanstieges muß proportional der Reizstromstärke gesetzt werden. Dann ist die gemessene Latenzzeit ausgedrückt durch die Gleichung der Hyperbel: 2 — i, = en . Nimmt man aber an, daß der Spannungsanstieg einem Quadratgesetz folgt, was ungefähr dem Verlaufe des ersten Spannrungsanstieges einer experimentellen en entsprechen würde, so müßte man schreiben: = c(t— 1). In dieser Gleichung ist wieder S die Spannung, ? die En gezählt von der Reizung an, i, die wahre Latenzzeit und c eine Konstante. Also: t — ty =] . Eine Hyperbel erhält man in diesem Falle für die Abhängigkeit der gemessenen Latenzzeit von der Strom- stärke, wenn man c=k(i — i,): setzt. Es wird dann: u al Veen Zur Erklärung der Änderung der Steilheit der Spannungskurven bei Reizverstärkung kann zweierlei herangezogen werden. Einmal könnte die Anzahl der gereizten Fasern bei Zunahme der Strom- stärke sich stetig vermehren, indem bei Zunahme der Stromstärke für eine immer größere Anzahl von Fasern der Schwellenwert erreicht wird. Jede Faser gibt nach dieser Anschauung!) stets einen unver- änderten Beitrag zur Spannungsentwicklung und die Vergrößerung der Zuckungshöhe kommt nur durch eine Vermehrung der bei der Kontraktion beteiligten Fasern zustande. Die Hyperbelver- schiebung ließe sich auf diese Weise sehr einfach erklären. Die Strom- stärken unterhalb des Schwellenwertes gelten überhaupt nicht als Reiz. Die Form der Latenzzeitkurve wäre dann nur abhängig von der Faserverteilung am Kathodenende des Muskels. Wir können uns die Gleichung tg% = k (ik — i,) folgendermaßen ableiten. Wir wollen annehmen, daß alle Muskelfasern an ihren Enden untereinander gleich groß sind. Der Einfachheit halber sehen wir sie als rechtwinklige Parallelepipeda an. Setzen nun alle Fasern in gleicher Ebene an die Endfläche an, so wird unter der Annahme des Alles-oder-Nichtsgesetzes für die einzelne Muskelfaser nur eine einzige Form der Zuckungskurve möglich sein und nur ein einziger Wert der Latenzzeit gefunden werden können. Setzt sich aber jede einzelne !) Keith-Lucas, Journ. of physiol. 33, 125. 1905. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 41 Muskelfaser mit einer verschieden langen Endsehne an die Ansatz- stelle an, d.h. sind die einzelnen Fasern gegeneinander verschoben, wie es in der Abb. 8 angedeutet ist, und stellt eine solche Endsehne in bezug auf ihre elektrische Leitfähigkeit den yten Teil der Muskelfaser dar (in der Abbildung ist n =, und durch das Querschnittsverhält- nis ausgedrückt), so kann man für die An- zahl der gereizten Fasern in Abhängigkeit von der Stromstärke folgendes ableiten: Bezeichnet man mit F die Anzahl der Muskelfasern, die bis zur - Fläche F durchziehen, mit G die Gesamtzahl der im Muskel überhaupt vorhandenen Fasern, und mit #F-+ x die Zahl der in einem beliebigen Querschnitt vorhandenen Fasern, dann ist offenbar, wenn jede Faser den Querschnitt 1 hat, die Größe des Muskelquerschnittes, der die Anzahl # + x Fasern enthält: 1 ee nr Abb. 8. und Qn—F+ (6m. Wird ein elektrischer Strom durch den Muskel geschickt, dann verhalten sich die Stromdichten (D) Fı_ pm Y eo en, Ist $ die Schwellenstromdichte für den Querschnitt F, so wird die Schwellenstromdichte im Querschnitt # + x erreicht, wenn Be eek, J -S ist.. Di, 1 Be 1 Oder, da Dr- B + — (G — n] — = der Stromstärke ist, so kommt: 9 = R 1 i= |P+2+ 16-7) Se Diese Gleichung kann man in die verlangte Form F + x —=tga =k(i — io), wo i, einen von O0 verschiedenen Wert hat, leicht über- führen. 42 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit - Die zweite Möglichkeit der Erklärung der Verkürzung der Latenz- zeit mit zunehmender Reizstärke und ihrer gesetzlichen Beziehung könnte in der Annahme gefunden werden, daß die Verkürzung sowohl durch eine Vermehrung der gereizten Fasern, wie durch eine Ver- stärkung der Tätigkeit jeder einzelnen herbeigeführt wird. Eine Entscheidung dieser Frage läßt sich offenbar durch eine genaue Analyse der Latenzzeitkurven in Zusammenhang mit einer exakten histologischen Untersuchung der Muskelenden!), an denen jeweils die Kathode des Reizstromes gelegen war, bewerkstelligen. Die genaue histologische Untersuchung der zu den Versuchen benutzten Muskeln ist noch nicht beendet, so daß über das Resultat der Untersuchung noch nicht berichtet werden kann. Dies soll aber baldmöglichst nach- geholt werden. e) Veränderung der wahren Latenzzeit. Bisher war nur die Frage diskutiert, ob die Veränderung der Über- lastungszeit die Ursache für die Änderung der gemessenen Latenzzeit sein könne. Man muß andererseits den Fall in Erwägung ziehen, daß der Muskel, wenn er erst einmal in Tätigkeit geraten ist, die äußerst geringe Überlastungsspannung in sehr kurzer Zeit erreicht, und daß die Veränderung dieser Zeit mit Veränderung der Reizstärke sehr gering ist. Das käme auf dasselbe heraus, als wenn man annehmen wollte, daß sehr kleine Zuckungen nicht vorkommen, d.h. Zuckungen, bei denen die Überlastungsspannung gegenüber der vom Muskel entwickelten Gesamtspannung einen beträchtlichen Wert hat, daß also die wahre Latenzzeit, d.h. die Latenz des Muskelelementes, groß ist gegenüber der bei unseren Messungen eingehenden Überlastungszeit. Manche Autoren?) nehmen eine unmeßbare Kleinheit der wahren Latenzzeit an. Ein strenger Beweis für diese Annahme ist bis jetzt nicht erbracht. Gildemeister?) folgert aus seinen Versuchen über die Nutzzeit eine Veränderlichkeit der Latenzzeit mit der Form des Reizstromes. Auch unsere Messungen, die mit so sehr kleinen Überlastungsspan- nungen angestellt sind, scheinen für eine meßbare Größe der wahren Latenzzeit zu sprechen. Unter dieser Voraussetzung kann man annehmen, daß auch die Verlängerung der Latenzzeit mit ab- nehmender Stromstärke, die experimentell gefunden wird, durch eine Verschiebung des Anfangspunktes der Spannungskurve hervorgerufen wird. In diesem Falle würde die Erregungsgrenze bei verschiedener Stromstärke nach verschiedenen Zeiten erreicht werden. Für eine !) Es wird dann auch möglich sein, genauere Angaben über die wirksamen Reizstromdichten zu geben. ?) Z.B. Gad, a.a. O. 3) M. Gildemeister, Zeitschr. f. Biol. 62, 391. 1913. von der Stromstärke bei Reizung mit konstantem Strom. 43 solche Deutung sprächen die Beziehungen zwischen Latenzzeit, Zuckungshöhe und Stromstärke beim ermüdeten Muskel, auf die oben hingewiesen wurde. ft) Nernstsches Gesetz. Als Ursache der Verlängerung der wahren Latenzzeit könnte die verzögerte Entstehung der durch den Strom erzeugten Veränderung der Elektrolyt-Konzentration angesehen werden, die ja nach der Nernstschen Vorstellung als die mittelbare Ursache des Erregungs- prozesses angesehen werden kann. Nach der Nernstschen Formel!) ist die durch einen konstanten Strom herbeigeführte Elektrolyt-Kon- zentrationsänderung: u a In dieser Formel ist ©, die Elektrolyt-Konzentration vor der Schließung des Stromes, C die Konzentration, die durch den Strom hervorgerufen wird, v die durch den Strom 7 transportierte Salzmenge, # die Zeit, i die Stromstärke. Also: I arl == rilj C—06, ) Nimmt man nun an, daß zur Erregung eine bestimmte Konzentrations- Veränderung gehört, so können wir den Faktor von - konstant an- sehen und schreiben: i=, . Die Formel besagt also, daß die Zeit bis zum Eintritt der Schwellenerregung mit dem Quadrat der Strom- stärke abnimmt. Bei der Schwellenerresung müßte also die Latenzzeit mit dem Quadrat der Stromstärke abnehmen. Die Schwellenerregung bei rechteckigen Stromstößen von gleicher Fläche, aber kurzer Zeit, müßte also eine viel kürzere Latenzzeit haben als diejenige mit langer Zeit. Wenn die Zeit, die zur Entstehung einer wirksamen Konzen- trationsdifferenz benötigt wird, in irgendeinem meßbaren Verhält- niszu den übrigen bei der Latenzzeit mitspielenden Zeiten stände, hätte diese Konsequenz aus den Nernstschen Vorstellungen schon längst ' bemerkt werden müssen. Immerhin dürfte eine Untersuchung in dieser Richtung nicht ohne Interesse sein. Vergleichen wir die aus dem Nernst- schen Gesetz sich ergebenden Latenzzeitkurven mit unseren experi- mentellen, so finden wir, daß die Nernstschen Kurven alle viel flacher verlaufen würden und sich sehr rasch der Ordinatenachse asymptotisch nähern würden. 1) Nernst, P. A. 122 275. 1908. 44 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit Die Akkommodation, die Nernst heranzieht, um das Un- sültigwerden seiner Formel für längere Reizzeiten zu erklären, würde uns für den vorliegenden Fall auch nicht viel weiter bringen, denn sie würde zwar eine Verzögerung des Zuckungsbeginnes bei schwachen Strömen mit sich bringen, also eine stärkere Abnahme der Latenzzeit mit der Stromstärke fordern, wäre aber in ihrer Wirkungs- weise noch viel zu wenig aufgeklärt, um hier herangezogen zu werden. Wir kommen also zu dem Schluß, daß die Latenzzeit nur abhängig sein kann von einem Prozeß, der mit der Stromstärke in der Weise zusammenhängt, daß die Geschwindigkeit, mit der er abläuft, direkt proportional der Stromstärke ist. Dabei muß eine Verschiebung der Kurve in Richtung der beiden Koordinatenachsen angenommen werden, die jedesmal besonders erklärt werden muß. Es könnte dies ein Prozeß sein, der zwischen Konzentrations-Differenzerzeugung und dem eigent- lichen Kontraktionsvorgang zwischengeschaltet ist oder, wie bereits besprochen, bei Unveränderlichkeit der wahren Latenzzeit der Prozeß der Überlastungserzeugung. In beiden Fällen wären die Gleichungen des Vorganges dieselben. Wir bringen damit den Kontraktionsvorgang m Zusammenhang mit anderen Erscheinungen, die nach denselben Gesetzen ablaufen. Betrachtet man z. B. die Reflexzeit eines Reflexpräparates bei Reizung mit verschieden starken chemischen Reizen!), so wird man zu denselben Gesetzmäßigkeiten geführt, wie wir sie für die Abhängigkeit der Latenzzeiten von der Stromstärke finden. Die Abweichungen von dem einfachen Gesetz der Konstanz des Pro- duktes aus Reizstärke und Reaktionszeit lassen sich am einfach- sten aus der beschriebenen Hyperbelverschiebung erklären und ert- sprechend deuten. Ähnliche Hyperbelverschiebungen zeigen sich in den von Bethe?) veröffentlichten Neutralitätsstörungskurven (Ver- änderung der Stromstärke mal Zeitkurve) und in einigen ©-t-Kur- ven von Gildemeister?). Wenn man sich daran erinnert, daß z.B. auch das Talbotsche Gesetz einer solchen Beziehung von Inten- sität und Zeit seine Gültigkeit verdankt, so erscheint es nicht , unmöglich, daß man hier mehr als eine bloße Analogie vor sich hat. Eine eingehendere Besprechung dieser Verhältnisse zugleich mit einigen neuen Versuchsreihen wird eine in Gemeinschaft mit Herrn Kauffmann ausgeführte und demnächst erscheinende Arbeit bringen. 1) Baxt, Die Reizung der Hautnerven durch verdünnte Schwefelsäure. Bericht d. sächs. Ges. d. Wiss. Math.-phys. Abtlg. 1871, S. 309. 2) Bethe, P. A. 163, 147—178. 1916. 32) Gildemeister und Weiss, P. A. 130, 336. 1909. von der Stromstärke bei Reizung. mit konstantem Strom. 45 Zusammenfassung. Um unabhängig zu sein von den unvermeidlichen Schwankungen des Präparatwiderstandes durch Polarisation und Änderung des Ohmschen Widerstandes, haben wir zur Reizung hohe Spannungen mit einem großen veränderlichen Vorschaltwiderstande benutzt und erhielten auf diese Weise eine Sicherheit für die Konstanz des Reiz- stromes. Als Widerstand verwandten wir einen veränderlichen Mannit- Borsäure-Widerstand bzw. eine Elektronenröhre. Die Latenzzeiten wurden mit Hilfe der Pouilletschen Methode unter Benutzung eines Fallschlüssels bestimmt. Der zeitmessende Kontakt, der bei jeder Methode der Latenzzeitbestimmung der wichtigste Teil der ganzen An- ordnung ist, und der bei den mitgeteilten Versuchen auf einem Mikro- skopstativ montiert war, wurde mittels Wechselstrom und Telephon auf das sorgfältigste eingestellt und durch die Größe der mikroskopischen Feinverschiebung auch quantitativ überwacht. Für die Latenzzeiten bei Reizung mit maximalen Induktions- schlägen wurden sehr kurze Zeiten gefunden (Mittel 3,6 0). Die Ursache tür die Beobachtung so kurzer Zeiten wurde in der Feinheit der Ein- stellung des Meßkontaktes erblickt. Bei der Reizung mit konstantem Strom wurden in Übereinstimmung mit den früheren Untersuchungen auch bei hohen Stromstärken längere Latenzzeiten gefunden, die aber gegen einen dem bei Reizung mit Induktionsschlägen nahekommenden niedrigen Wert konvergierten. Bei Reizstärken, die dem Schwellenwert nahekamen, wurden Latenz- zeiten bis über 40 o beobachtet. Es wurden die absoluten Stromstärken, die zur Reizung des Sartorius verwandt wurden, bestimmt und die jeweils zugehörigen Latenzzeiten gemessen. Die Eintragung der Werte in ein Koordinatensystem, in dem die Abszisse von der Stromstärke, die Ordinate von der Latenzzeit gebildet wurde, ergab, daß bei ab- steigendem Strom die Latenzzeiten stets größer waren als bei auf- steigendem Strom. Die Latenzzeitstromstärkekurven wurden als gegen die Koordinaten- achsen verschobene Hyperbeln gedeutet und die Entstehung des reziproken Abhängiskeitsverhältnisses sowie die Bedeutung der Kon- stanten diskutiert. Es wurde die Überlastungszeit als von wesentlicher Bedeutung für die Latenzzeit angesehen und unter dieser Voraussetzung die Größe der Latenzzeit in Beziehung gesetzt zur Anzahl der gereizten Muskelfasern. Für den Fall der Gültigkeit des Alles-oder-Nichtsge- setzes der einzelnen Muskelfaser konnte an Hand eines Muskelschemas die reziproke Abhängigkeit der Latenzzeit von der Stromstärke sowie die Hyperbelverschiebung abgeleitet werden. Im anderen Falle bleiben weitere Möglichkeiten zur Erklärung der Verlängerung der Über- 46 W. Steinhausen: Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängigkeit usw. lastungszeit mit abnenmender Stromstärke offen, z. B. Änderung des Spannungsablaufes jeder einzelnen Muskelfaser. Eine genaue histo- logische Untersuchung mit Vergleichung der Latenzzeitkurven gibt vielleicht Anhaltspunkte für eine Prüfung des hier eingreifenden Gesetzes. | Schließlich wurde die mögliche Veränderung der wahren Latenzzeit mit der Reizstärke erörtert. Es wurde gezeist, daß die aus der Nernst- schen Vorstellung sich ergebenden Formeln für die Geschwindigkeit der Entstehung der wirksamen Elektrolytkonzentration für die Er- klärung der gefundenen Latenzzeitkurven allein nicht ausreichen. (Aus der Universitäts-Ohrenklinik Frankfurt a. M. [Direktor: Prof. ©. Voss].) Experimenteller Nachweis der Endolymphbewegung im Bogen- gangsapparat des Ohrlabyrinthes bei adäquater und kalori- scher Reizung. Physiologische Erklärung der Auslösung des Nystagmus durch Endolymphbewegung. Von Dr. med. Marcus Maier und Hans Lion, Assistent der Klinik. Medizinalpraktikant der Klinik. Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 11. Dezember 1920.) Mit dem Nachweis der Endolymphe im Ohrlabyrinth durch Co- tugno!?)*) (1760) und Meckel?°) (1777) — Schellhammer?°!) hatte diese Tatsache bereits 1686 auf Grund seiner anatomischen Studien vermutet — war die Grundlage gelegt für den Kampf um die Funktion des Bogengangsapparates, der Jahrhunderte andauern sollte und auch heute noch Physiologen, Otologen und selbst Philosophen auf das Forum des Streites um den Raum- und Gleichgewichtssinn ruft. Zu dieser Zeit war man sich allerdings noch keineswegs bewußt, welchen: Zwecke die 3 Bogengänge mit dem Vorhof dienten. ‚Die Lage dieser Gebilde von: so einfacher und regelmäßiger Gestalt in den 3 Hauptebenen des Raumes konnte unmöglich als eine zufällige angesehen werden, und es kam nur darauf an, herauszufinden, welche Beziehungen zwischen den Funk- tionen dieser Teile und den 3 Dimensionen des Raumes bestehen“ [Ewald?°)]. Es war Flourens??) (1824) als erstem vorbehalten, in dieses Dunkel Licht zu werfen. Vor und auch lange nach Flourens, ja sogar bis in die neueste Zeit haben Autoren versucht, den Bogengangsapparat ganz oder teilweise akustische Funktionen zuzuschreiben [Boerhaave®), Venturi®°), Autenrieth!), Brückner!P), Hensen?), Deetjen!®), Anna Tomasczewicz°*), Denker!?) u.a.]. Durch seine für die da- malige Zeit außerordentlich bewunderungswürdigen Experimente an der Taube zeigte Flourens??), daß bei Durchschschneidung ver- schiedener Bogengänge verschiedene für den betreffenden Kanal jedoch stets dieselben Kopfbewegungen und Gleichgewichtsstörungen bei dem *) Die kleingedruckten Zahlen bedeuten die Nummer in der Literaturangabe. 48 M. Maier und H. Lion: Versuchstier auftraten. Flourens war sich schon klar, daß der Bogen- gang nur die Empfangsstation für den Reiz sei, während die Auslösung der Bewegungen als Folge des Reizes zentral stattfinden müsse. Die in Vergessenheit geratenen Experimente Flourens wurden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder aufgenommen und nachgeprüft, so von Harles?*) (1853), Czermack (1860), Brown -Sequard!?) (1860), Vulpian?®) (1866), Goltz??) (1869), Loewenberzg??) (1870), Anna Tomaszewicz°’*) (1877). An diese neuen Untersuchungen schloß sich eine lebhafte Erörterung für und wider den Zusammenhang der Koordinationsstörungen und den durchschnittenen Kanälen an. Zum erstenmal stoßen wir hier auf Beobachtungen über Herabsetzung des Muskeltonus [Boettcher?), Curschmann!*) (1874), Bert- hold?) (1879)] und gewisse regelmäßige Bewegungen der Augen“ [Bornhardt 1876®)]. Die Raumbeschränkung erlaubt es nicht, auf alle die Theorien ein- zugehen, die zu dieser Zeit im Anschluß an Experimente über dieses Thema aufgestellt wurden. Nicht vorübergehen dürfen wir jedoch an den äußerst geistreichen und gehaltvollen Erklärungsversuchen des Physiologen Goltz?®), der zum erstenmal die Bedeutung der Endo- Iymphe erkannte und die Bogengänge des Labyrinths als besonderes Sinnesorgan erfaßte. Zwar konnte auch er sich noch nicht ganz von dem Gedanken losreißen, daß zwei anatomisch so nahe in Beziehung stehende Gebilde ganz getrennte physiologische Aufgaben erfüllen sollten. So war es für ihn immerhin denkbar, daß die Bogengänge auch der Vermittlung der Schallwellen dienen könnten. Auf alle Fälle hat er jedoch einwandsfrei bekundet, daß in den Bogengängen ein Organ zu suchen ist, das an der Herstellung des Körpergleichgewichtes stärksten Anteil hat. Er ist der Ansicht, daß auf Grund des hydrostatischen Druckes der Endolymphe die Nervenendigungen in den Ampullen in ähnlicher Weise gereizt werden, wie die dem Drucksinn dienenden Nerven der äußeren Haut. Bei verschiedener Kopfstellung wird der Druck der Endolymphe verschieden stark auf die Nervenendigungen einwirken, und von dem verschieden großen Reiz wird das Gehirn auf die Art der Kopfstellung zurückschließen. Wird ein Teil der Bogengänge zerstört, so werden die Nachrichten, welche das Hirn über die Kopfstellung er- hält, ungenau und die Bewegungen werden nicht mehr richtig ab- geschätzt. Aus der Unfähigkeit, die Bewegungen dem Zweck anzu- passen, entsteht dann das Schwindelgefühl und dieses führt seinerseits zu einer Reihe anderer Bewegungsstörungen. Diese „hydrostatische Hypothese‘ von Goltz wurde bald darauf von Breuer!”), Mach?®) und Crum Brown!) verworfen. Sie setzten an ihre Stelle die „hnydrodynamische“ (Breuer?®) 1873, Crum Brown 1874). Sie nahmen zuerst eine Strömung der Endo- Experimenteller Nachweis der Endolymphbewegung usw. 49 Iymphe bei Kopfbewegungen an und betrachteten den häutigen Bogen- gang — und dies wird auch heute noch als vollkommen richtig an- gesehen — als eine mit Flüssigkeit gefüllte Röhre, die zusammen mit der Ampulle und dem Utriculus einen geschlossenen Kreis bildet. Wird ein solcher Ring gradlinis fortbewegt, so findet keine Verschiebung der Flüssigkeit innerhalb des Ringes statt. Beschreibt jedoch die Röhre eine Kurvenbewegung, die in ihrer Ebene liest, so findet eine relative Bewegung der Flüssigkeit statt bzw. die Flüssigkeit bleibt auf Grund des Trägheitsgesetzes den Ring als ‚Bezugskörper‘‘ betrachtet, für eine kurze Spanne Zeit stehen. Allmählich gerät die Flüssigkeit auf Grund ihrer inneren Reibung in Bewegung im Sinne der Drehungsrichtung. Hört die Bewegung der Röhre auf, so wird die Flüssigkeit sich solange fortbewegen bis ihr Trägheitsmoment durch die innere Reibung auf- gezehrt wird. Eine Erregung des in der Ampulle sitzenden Sinnes- organes tritt nur ein bei Verschiebung der Flüssigkeit gegen die Wand. Mithin ist es die positive oder negative Winkelbeschleunigung und nicht die Winkelgeschwindigkeit, auf die es ankommt. ‚Die Beschleu- nisung erregt die fortdauernde Empfindung einer Geschwindiskeit‘‘ [Breuer?2)]. Diese Hypothese wurde durch Mach teilweise eingeengt. Mach leste 1875 dar, daß bei dem geringen Durchmesser der häutigen Kanäle eine länger dauernde absolute oder relative Strömung der Endo- Iymphe nach Schluß bzw. Beginn der Bewegung undenkbar sei, da diese sogleich durch die Reibung zum Stillstand gebracht werden müsse. Hierfür sprachen auch Versuche, die er mit geschlossenen Glasröhren von der Form und Größe des Bogenganges machte und bei denen er selbst bei raschesten Drehungen auf der Zentrifugalmaschine nie Be- wegung der Flüssigkeit beobachten konnte. Er nimmt daher an: ‚Die Drehung der Bogengänge kann also nur eine momentane und minimale Verschiebung des Endolymphringes längs der Wand zur Folge haben.‘ Dieser Überlegung hat sich Breuer angeschlossen und bis heutigen Tages ist diese Ansicht der momentanen und stoßartigen Bewegung allgemein angenommen. Der glücklichen Hand des Straßburger Physiologen Ewald?!) ist es zum erstenmal gelungen, in exakter Weise zu zeigen (1892), daß eine künstlich hervorgerufene Endolymphbewegung in bestimmter Richtung gesetzmäßig bestimmte Kopf- und Augenbewegungen als Folge des Nervenreizes in den Ampullen hervorruft. Durch eingehende Studien der komplizierten Verhältnisse des Taubenlabyrinthes war er imstande, mit Hilfe einer bewunderungswürdigen Operationstechnik durch einen am knöchernen Bogengang befestigten Apparat ‚den pneumatischen Hammer“ beliebig abgestufte Druckwirkungen auf den häutigen Bogen- gang auszuüben. Über ähnliche, jedoch weniger exakte Versuche lesen wir bei Lee?) und Bethe?), Bethe unternahm u. a. Versuche Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. - 4 50 M. Maier und H. Lion: mit einem modifizierten pneumatischen Hammer an den Bogengängen von Hechten, die zu denselben Ergebnissen führten, wie die Ewalds. Da es bisher niemandem gelungen ist, die Endolymphbewegung bei adäquater (rotatorischer) und kalorischer Reizung der Bogengänge dem Auge sichtbar zu machen. — Ewald?!) will einmal als Beweis für seine Theorie über das Tonuslabyrinth, für die er eine dauernde Strömung der Endolymphe voraussetzte, mit Hilfe von Methylviolett, das durch die Wandung des häutigen Bogenganges einer Taube diffundierte, eine Strö- mung von 1 mm in 20 Minuten in Richtung auf die Ampulle gesehen haben. Ewald selbst waren diese Versuche jedoch nicht einwandsfrei genug und er sagt, daß er ‚kein großes Gewicht auf dieselben legt“ — und da außerdem bei Einwirkung dieser Reize sich physiologisch und klinisch gewisse Unter- schiede ergeben, unternahmen wir es, die Bewegungen der Endolymphe als solche und die Gesetze ihrer Bewegung am Modell (als reines physi- kalisches Experiment), sowie am toten und lebenden Tier zu studieren. Zu unseren Untersuchungen am Modell verwendeten wir selbsthergestellte Glascapillaren verschiedener Größenordnung, die der Form der Bogengänge nach- gebildet waren. An Stelle der Endolymphe nahmen wir zuerst Wasser. In dieses galt es Fixpunkte hineinzubringen, die uns eine evtl. Bewegung der Flüssigkeit anzeigen sollten. Für diese Fixpunkte erachteten wir folgende Eigenschaften als erforderlich: 1. Größe derart, daß sie mit Objektiv 3 noch einigermaßen gut sicht- bar waren (Objektiv 7 mußte wegen der Dicke der Capillaren und wegen ihrer Cylinderform von vornherein ausgeschlossen werden), 2. spezifisches Gewicht möglichst mit dem der umgebenden Flüssigkeit übereinstimmend, 3. Teilchen durften nicht quellen, 4. Teilchen durften nicht unter sich oder an der Wand ver- kleben bzw. adhärieren, 5. Unlöslichkeit in der Flüssigkeit. Erst nach langwierigen Versuchen, bei denen wir eine sehr große Zahl von Stoffen (Lykopodium, Kork- pulver, Salusil, Bernstein, Kolophonium, Kaolin, Talcum, Sulfur praecip., Magnesia usta, Dermatol, Glaspulver, Scharlachrot, Ferropyrin, verschiedene Holzarten und Farbstofflösungen) ausprobierten, die uns alle nicht befriedigten, fanden wir in einer von unserem verehrten Lehrer Herın Prof. Voß, der unseren Versuchen stets das größte Interesse entgegenbrachte und uns durch wertvolle Anregungen und Mitbeobachtung außerordentliche Unterstützung zuteil werden ließ, vor- geschlagenen Aufschwemmung von roten Blutkörperchen in physiologischer NaCl-Lösung eine den eben genannten Ansprüchen vollauf genügende Flüssigkeit. .Wir verwandten eine nur äußerst verdünnte Aufschwemmung, so daß nur wenige Blutkörperchen im Gesichtsfeld waren. Es sei bemerkt, daß die Senkungs- geschwindigkeit der roten Blutkörper- chen so gering ist, daß sie für unsere Versuche gleich Null gesetzt werden konnte. Botationsversuche. Zur Drehung der Capillaren kon- Abb. 1. struierten wir uns eine Drehmaschine (Abb. 1), die aus 2 gleich großen, etwa 10 cm Durchmesser betragenden runden Holzscheiben A und B bestand. Diese waren nebeneinander auf einem rechteckigen Holzbrett C jeweils um den Mittel- Experimentelier Nachweis der Endolymphbeweeune usw. 51 punkt drehbar aufmontiert. Durch eine um den Umfang beider Räder gelegten und gekreuzten Schnur drehte sich die zweite Scheibe bei Drehung der ersten dieser entgegengesetzt. Zur mikroskopischen Beobachtung der Capillaren erwies es sich als notwendig mit durchfallendem Licht zu arbeiten. Deshalb wurde an der Scheibe A und an dem Hoizbrett je eine Öffnung E und D ausgestanzt (siehe Skizze Nr. 1). R Versuche: Kreisförmig gebogene Röhre. Durchmesser 0,5 cm, Länge 15 cm, horizontale Lagerung. Die fast aneinanderragenden freien Enden werden nach Füllung der Röhre mit der Flüssigkeit — Luftblasen von Lumengröße geben infolge Oberflächenspannung falsche Resultate — durch einen Gummiring vereinigt. Ganz geringe Drehung unter mikroskopischer Beobachtung im Sinne des Uhrzeigers (R. D.). Im ersten Augenblick der Drehung bleibt die Flüssigkeit (Stadium 1) in bezug auf das beobachtende Auge stehen. Die Glasröhre wird an ihr vorbei bewegt. Nun folgt das Stadium 2, in dem die Flüssigkeit auf Grund der Reibung eine beschleunigte Be- wegung (R.D.) erfährt, bis diese der Geschwindigkeit der Röhren- drehung gleichkommt (Stadium 3). Beim Anhalten der Röhre (Stadium 4) schießt die Flüssigkeit weiter (R. D.), bis ihre lebendige Kraft durch die Reibung aufgezehrt ist, durchschnittlich nach 4-5 Sekunden. Die Bewegung ist zentıal deutlich stärker als in der Nähe der Gefäßwand (Rundströmuns). Bei den nun folgenden Versuchen, bei denen mehrere Umdrehungen vorgenommen wurden, war aus technischen Gründen nur das Stadium 4, die Nachströmung, zu beobachten. Diese betrug (Tab. 1): Tabelle]. Anzahl Umdrehungszeit in Nachströmungszeit in Versuch der Um- Sekunden Sekunden drehungen [ 5 5) 5 1 a 1 sl 2 1 | "ls 1 4 | 3 3 5 | 2 5 5 1 gl 4 10 De iO) 5 | 45 3. | lo NR 90 eomlr a) 15 6 30 | 20 30 6 6 7 40 | —— | 40 — 6 "Die Nachströmung war bei 10—20 Drehungen also länger als bei nur I-5maliger Umdrehung. Deutlich war die längere und kräftigere Nachströmung bei größerer Umdrehungs- geschwindigkeit zu erkennen. Versuch 8. Dieselbe Versuchsanordnung wurde nun m’t immer engeren, zuletzt mit einer Capillare von 0,75 mm lichtem Durchmesser und 4 cm Länge durchgeführt. Dabei konnten dieselben Beobachtungen in den verschiedenen Stadien gemacht werden, wie oben. Jedoch tritt 4*F 52 M. Maier und H. Lion: mit zunehmender Enge der Capillaren eine Verkürzung der Zeitdauer für Stadium 1, 2 und 4 auf. Die Nachströmung war einwandsfrei sichtbar, jedoch nicht meßbar. Hierfür ist wohl die stärkere . Reibung als Ursache verantwortlich zu machen. Bei 10—30 maliger Umdrehung hielt sich die Nachströmung immer in fast denselben Grenzen. Sie war so kurz, daß sie oft nicht gesehen werden konnte, wenn die Capillare nicht sofort in das Gesichtsfeld des Mikroskops gebracht wurde. Auch bei diesen Capillaren war wie bei den weiteren die zentrale Nachströmung stärker als die Rand- strömung. Vielleicht kann mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß in vivo die Nachströmung etwas länger dauert, da die Endolymphe nicht solche Mengen korpuskulärer Elemente enthält, wie unsere Ver- suchsflüssigkeit. Versuch 9. Brachten wir die Capillare in einer zum Mittelpunkt der Drehscheibe exzentrischen Lage in Umdrehung, so erhielten wir ganz entsprechende Resultate nur von etwas geringerer Inten- sität. Versuch 10. Bei den folgenden Versuchen sahen wir bei Drehungen einer, zur Horizontalebene in verschiedenen Winkeln geneisten, Capillare stets Strömung in der oben beschriebenen Art, die jedoch der Sinusfunktion entsprechend ab- bzw. zunehmen. Versuch 11. Nun gingen wir dazu über, unsere Versuche auf die Bogengänge der Taube zu übertragen. Zu diesem Zwecke legten wir den knöchernen Canalis anterior, der auch oberer vertikaler genannt wird, frei. Auf eine kurze Strecke befreiten wir darauf den häutigen Kanal von der knöchernen Hülle nach dem Vorbild von Ewald?!), der dies als „Brücke“ bezeichnet. Vom Porus acusticus internus aus injizierten wir in das Labyrinth mittels einer Rekordspritze unsere Blutkörperchenaufschwemmung. Das ganze Präparat wurde nun derart auf der Drehscheibe befestigt, daß der freigelegte Bogengang horizontal und die Brücke über der oben beschriebenen Öffnung der Drehscheibe stand, so daß wir bei mikroskopischer Betrachtung mit durchfallendem Licht arbeiten konnten. Die freigeleste Stelle des häutigen Bögenganges wurde mit einigen Tropfen Glycerin aufgehellt. Auf Grund dieser Versuchsanordnung sieht man nicht nur die einzelnen Blutkörperchen im Lumen des häutigen Bogenganges schwimmen, man hat auch ein prächtiges Bild der von kleinsten Capillaren durch- zogenen Bogengangswand. Infolge technischer Schwierigkeiten konnte der Taubenbogengang nur exzentrisch gedreht werden, ein Vorgang, wie er sich physiologischerweise und auch bei den klinischen Drehstuhl- versuchen am Menschen stets abspielt. Sowohl bei ganz geringen Drehungen, die einige Bogengrade ausmachten, als auch bei zahlreichen vollständigen Umdrehungen (bis zu 20 mal) sahen wir stets auffallend Experimenteller Nachweis der Endolymphbewegung usw. 53 kräftige, jedoch nur sehr kurze stoßartige Nachströmung in der Bewegungsrichtung. Sie betrug bei einer Umdrehung von 5 bis 10 mal ungefähr !/,„—!/., mm pro Sek. Die Zahlen wurden mit Hilfe eines Okularmikrometers festgestellt. Versuch 12. Mit den Labyrinthen von Fischen (Kabeljau) führten wir dieselben Versuche aus wie Versuch 11 und konnten entsprechend der größeren Weite der Bogengänge etwas größere Exkursionen bei der Nachströmung feststellen. Versuche mit kalorischer Erregung. Zu diesen Experimenten stellten wir uns Capillaren her, wie Abb. 2b D sie zeigt. Die beiden freien Schenkel ragten in ein kleines Gefäß @ (Abb. 2b), das mit derselben oben erwähnten Flüssigkeit gefüllt war, wie die Capillare selbst. Dieser geschlossene Kreislauf entsprach ungefähr den Verhältnissen der Natur. Er war außerdem nötig, um die an den freien Enden der Capillaren» bestehende Ober- flächenspannung zu beseitigen. Im Gegensatz zu der früheren Versuchsanordnung mußte das Mikroskop so gestellt werden, daß seine Längsachse in der Horizontal- ebene lag und senkrecht zur Ebene des Bogenganges stand. Dadurch war es mög- lich, die für diese Zwecke senkrecht gestellte Capillare mit durchfallendem Licht zu beobachten. Versuch 13. Die Erwärmung eines Schenkels geschah zuerst in einfacher Weise durch Nähern einer glühenden Zigarette, eines heißen Eisens usw. oder wir sprayten den Schenkel mit Chloräthyl, wobei jedoch öfters die Flüssigkeit in der Capillare gefror und diese zersprang. Hierbei konnten wir in dem anderen Schenkel eine im Gegensatz zu unseren bisherigen Erfahrungen bei der Drehung außerordentlich langdauernde Strömung beobachten, wechselnd in der Richtung, bei Erwärmung auf Grund der Verminderung des spez. Gewichtes nach oben, bei Abkühlung infolge Er- höhung des spez. Gewichtes nach unten. Da jedoch unsere Methode der Erwärmung äußerst primitiv war und quantitativ keine Abstufung und Messungen zuließ, so stellten wir uns die Aufgabe, einen Apparat zu kon- struieren, der unseren Anforderungen ent- sprach. Nach längerem Ausprobieren bewährte sich am besten die Konstruktion, wie sie Bild 2a zeigt. Die in 2 Schenkel ausmündende Röhre A gestattete je nach Belieben bestimmte Mengen Wassers von bestimmter Temperatur in die Abb. 2b. weitere Röhre B einlaufen zu lassen. Durch das in diese Röhre versenkte "Thermometer © konnten wir die Temperatur des Wassers in diesem Gefäße messen. An dem anderen Ende der Röhre B setzten wir mit Hilfe eines durchbohrten Korkes D.die verschiedensten Capillaren wasserdicht 54 M. Maier und H. Lion: ein (Abdichtung mit Collodium), so daß nur der eine Schenkel von dem Wasser bespült wurde. An der Konvexität der weiten Röhre B war ein Abflußrohr # angebracht. Ein weiteres Thermometer F zeigte die Temperatur der den freien Schenkel der Capillare umgebenden Luftan. An dem horizontalen Teil der Röhre B saß an einem Korkring der nach den 3 Hauptdimensionen verschiebbare Träger für das obenerwähnte Gefäß G. Die Spülflüssigkeit konnte aus einem hochgehäng- ten Thermo-Dauerirrigator nach Voß abgelassen werden. Die Versuche gingen folgendermaßen vor sich. Der eine Schenkel (innere) der Capillare wurde eine bestimmte Zeitlang mit Wasser von bestimmter Tem- peratur umspült. Die darauf folgende Bewegung in den Capillaren (zentrale und Randströmung;) in dem freien Schenkel (äußeren) mit dem Mikroskop beobachtet und die Geschwindigkeit fortlaufend gemessen. -Zu gleicher Zeit wurden fortlaufend Temperaturmessungen der Luft um den freien Schenkel und der Luft in der Röhre B vorgenommen. Das Ende der Strömung sowie die Schlußtemperatur notiert. Außerdem wurden stets innerer und äußerer Durchmesser (Messung mit Hilfe des Okularmikrometers), sowie Länge der Capillare festgestellt. Die ersten Versuche wurden mit höher temperiertem Wasser als die Capillar- und Zimmertemperatur betrug, unternommen. Strömung im freien Schenkel nach unten. Die folgende Tabelle zeigt, daß der Strömungsbeginn nicht abhängig ist vom Temperaturgefälle (= Temperaturdifferenz zwischen den beiden Capillarschenkeln) ebensowenig wie von der Spü- lungsdauer. Die Strömungsdauer ist beendet, wenn in beiden Schenkeln gleiche Temperatur besteht; dies dauert um so länger, je größer das Temperaturgefälle ist. Versuch 14ff. (Tabelle II) Capillare I, äußerer Durchmesser 0,508 mm, innerer Durchmesser 0,333 mm, Länge 28 mm. Tabelle II. Außentemp. TR = Beginn der 5 während der Tanen- |geäle ncim ancn Sne en | mune- einzelnen temp. | Beginn der | , an Sek. Y Oral chs- | dauer in Versuche | Versuche ; Denn Sek. a| 22,50 | 30 7,5 25 10 ga 2308 b 25 32 7 DRS 10 10 185 el ax 29,5 585 26,75. 5 9 129 d 23 De 245 — 5 8 _ e 24,75 27 2,25 26 3,5 8 >102 f 24,5 26,75 m | 25 2 8 75 g 25 27,25 2,25 | 26,5 1 10 60 Il 8 27,25 1,25 26,5 1,5 9 40 Versuch löff. (Tabelle III) Capillare II. Äußerer Durchmesser 0,641 mm, innerer Durchmesser 0,458 mm, Länge 34 mm. Tabelle III. | 27 WAS ar ls IT| 5 10 | 435 24,15 | 36 em ee: 9 | 395 a b | zo wer he Experimenteller Nachweis der Endolymphbewegung usw. ‚55; Aus derselben Versuchsanordnung ersieht man, daß auch bei größe- rem Temperaturgefälle der Beginn der Strömung nicht früher erfolgt als bei Versuch 14. Das am Schluß öfters noch bestehende Temperaturgefälle müßte eigentlich noch eine Strömung bedingen. Es kam jedoch öfters haupt- sächlich bei längerer Strömungsdauer vor, daß die Blutkörperchen an dem konkaven Rand der Capillare zusammensinterten und dadurch eine Strömung nicht mehr sichtbar gemacht werden konnte. Aus diesem Grunde füllten wir die Capillare auch zu jedem Versuch von neuem mit der beschriebenen Flüssigkeit. Weiteren Grund siehe nach Ver- such 17. Die nun folgendem Versuche wurden mit kälterem Wasser, als die Grundtemperatur betrug, ausgeführt. Hierbei sahen wir entgegen- gesetzte Strömungsrichtung als in Versuch 14. Strömung und zwar recht ansehnliche Strömung konnte schon bei 0,5° Temperaturgefälle beobachtet werden. Die Strömungsdauer bei den weiteren Capillaren ist relativ länger als bei den engeren. Versuch 16ff. (Tab. IV) Capillare III. Äußerer Durchmesser 0,625 mm, innerer Durchmesser 0,408 mm, Länge 30 mm. Tabelle IV. ne Im t Beginn der, Strö SE ee emperabuf- | Tnnen- | Spülungs- | Strömung 295 wäl rend der | Innen- gefälle beim ade Aenasın Ankara mungs- einzelnen temp. | Beginn der temp Sek es dauer in Versuche 5 Versuche | 3 | g ran Sek. 2029375 1875|. 50 12235 10,010 440 b 22 | 19 3 215 4 | 8 307 ce 22,25 19,5 218 22,0 5 | 8 300 d 21,75 ı 20,25 | 1,5 - Black 2 | 9 114 e 21,75 20,25 | 1,5 21,15 2 | 9 129 f a al 0,75 21,75 1 10 | 90 Der Strömungsbeginn ist abhängig von der lichten Weite der Capillare. Dies zeigt ein Vergleich von Versuch 14, 16 und 17. Je weiter die Capillare, desto früher setzt die Strömung ein. Versuch 17ff. (Tabelle V) Capillare IV. Äußerer Durchmesser 1,225, innerer Durchmesser 0,891 mm, Länge 32 mm. Tabelle V. Außentemp. Temperatur- 3 Beginn der während der Innen- gefälle beim | SPülungs- | Strömung in einzelnen Ver- | temperatur | Beginn der dauer ın Sek. nach ‘suche Versuche Sek. Versuchsbeginn a 23,5 28,75 5,25 10 2 b 23,15 21,15 4,0 5 2 ce | 22,25 23,75 1,5 5 3 d | 23,25 | Deanld 0,5 1 2 56 M. Maier und H. Lion: (Bei dieser Capillare befand sich die Flüssigkeit fast dauernd in Strömung. Dies anscheinend infolge des geringen Reibungswiderstandes. Bei diesen Ver- suchen haben wir die Strömungsdauer und mithin die Endtemperatur nicht be- stimmen können, weil auf die erstere die Verdunstungskälte der in der Röhre B zurückgebliebenen Wasserreste einwirkte. Dieser Faktor wirkte, wie bei den früheren engeren Capillaren, nicht nur hemmend, sondern hier bei den weiteren sogar richtungsändernd. Auf Grund dieser starken Empfindlichkeit der Flüssig- keitssäule geringsten Temperaturschwankungen gegenüber — ein Tropfen Wasser auf einen Schenkel der Capillare gebracht genügte schon, um durch Verdunstungs- kälte eine starke Strömung hervorzurufen — war es besonders schwierig, die Flüssigkeit in dieser Capillare zum Stillstand zu bringen.) Nach diesen Versuchen gingen wir dazu über, die Strömungsgeschwin- digkeit, wie sie sich uns im Verlauf einer calorischen Erregung bietet, zu messen und ihre Abhängiskeit von verschiedenen Faktoren zu er- sründen. Die Geschwindigkeit maßen wir, indem wir mit einer Stopp- uhr die Anzahl der Sekunden feststellten, die ein Blutkörperchen brauchte, um 10 Teilstriche (= !/, mm) unseres Okularmikrometers zu durcheilen. Die Strömungsgeschwindigkeit ist vor der Spülung | —(, sie nimmt einen verhältnismäßig raschen Anstieg bis zum Maxi- mum, um dann ganz allmählich asymptotisch zu verlaufen. Versuch 18 (Tabelle VI) Capillare IV. Durchmesser siehe Versuch 17. Spülungsdauer 1 Sekunde. Tabelle VI. Außentemp. Zentral- Rand- Tempel Weg in mm im Verlauf Innen- strömung strömung eine pro Sek. der ganzen |temperatur | ?!/; mm in 1/, mmin a | —— Versuche | Sek. Sek. z Zentral | Band 24,7 27,5 9 = 2,8 Un: | — 24,7 27,5 5 = 2,8 a 24,3 27,25 6 — 2,95 Usl — 24,3 27,25 4 ae 2,95 al — 24,1 237,0 4 — 2,9 VS 24,1] 27 | 5 — 2,9 U — 23,9 237,0 4 — 3,1 U 23,9 237,0 5 es au ee DITER 0270 4 — 3,3 ee m 23,7 27,0 5 = 3,3 U — 23,6 Re 10 2,9 = Yen 236 | 26,5 = 10 2,9 2 Un Versuch abgebrochen. Aus Versuch 18, 19, 20 geht hervor, daß mit zunehmendem Temperaturgefälle die Geschwindigkeit wächst. Ferner ist die Randströmung langsamer als die Zentralströmung. In diesen Versuchen, ebenso wie in dem nächsten wurde die Zeit der Ab- lesung noch nicht notiert Experimenteller Nachweis der Endolymphbewegung usw. 57 Versuch 19 (Tabelle VII) Capillare IV. Spülungsdauer 3 Sekunden. Versuch 20 (Tabelle VIII) Capillare IV. Spülungsdauer 5 Sekunden. Tabelle VII. Tabelle VII. FE: Ss ar|. Wegin Ei ass, Weg in PR r- Ss |321|33| > mm pro za s |83|52|5 mm pro <> I SZSlea= See pn SEE Se 24,5 | 30,0:.| 4 | — 155 |Ya| — 24,1 | 33 2 | —- |183| !/,| — 24,3 29,25 4 | — |4,9511/,,| — 24,7 | 33 — | || le 24,3 | 2925| 3 | — 14,95] !/,| — 24.03 242290 | 2 | 4 4,8 |!/ıo| Y/aa 24,6 3 | 2,3 |84| %6|%s es |5 |45| 2, 24,6 | 32,8| 2 4 | 827] Ye. "is 24,2 | 28,75| — | 5 1455| — 2345| 2 | 2 4 | 75] YslYıs ea 285. 02 )5 1392) Use a ee Versuch abgebrochen. Versuch abgebrochen. Der nächste Versuch gibt die Messungen bei einer Dauerspülung mit geringem Temperaturgefälle wieder. Die Strömungsgeschwindig- keit wächst mit dem zunehmenden Temperaturgefälle. Versuch 21 (Tabelle IX) Capillare IV. Dauerspülung. Tabelle IX. Außentemp. | Zentral- Rand- Tempe- Weg in mm im Verlauf Innen- strömung strömung n- pro Sek. des ganzen | temperatur| !/;, mm in 1/, mm in gefälle BR Versuches Sek. Sek. | Zentral | Band 5 | a5 | 9» | Io 24,1 24,5 20 — 0,4 se 24,0 24,5 = 30 | 05 u Welse 27 24,25 — 56 | 055 — Yone 23,8 24,5 — 3323 16.1.077 mh nllaas 23,7 25,0 16 mel, 1 Pr 23,6 25,0 14 — hl Akfl 23,6 25,0 25 yo N 23,6 25 15 33H FENTA ER Versuch abgebrochen. Es folgen jetzt Versuche mit einer engen Capillare V, die in ihrer Ausmessung ungefähr die Dimensionen des häutigen Bogengangs des erwachsenen Menschen hat (Kind 2—3 Monate 0,25 mm; Erwachsener 0,5 mm; selbst ausgemessen und nach Rauber-Kopsch). Bei diesen Versuchen ist bei den Zahlen für die Strömungsgeschwindigkeit jeweils die seit Beginn der Strömung verflossene Zeit angegeben. Außerdem wurde die Dauer der ganzen Strömung gemessen, nur das Temperatur- gefälle zu Beginn geändert. Die Spülungsdauer betrug stets 5 Sekunden, auch bei der engen Capillare fällt das Ende der Strömung ungefähr 58 M. Maier und H. Lion: mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem in den beiden Schenkeln der Capillare gleiche Temperatur herrscht. desto größer die Strömungsgeschwindigkeit (vgl. Versuch 17 bis 21 mit Versuch 22—28). Versuch 22 (Tabelle X) Capillare V. Innerer Durchmesser 0,54 mm, äußerer Durchmesser 0,80 mm, Länge 23 mm. Je weiter die Capillare Versuch 24 (Tabelle XII) Capillare V. Tabelle XII. Spülungsdauer 5 Sekunden. sau as Augen], z&= 3 |dalsss5ElE, 3; Tabelle X. ae ae aaa | ie =: | 23 jsaaan. a :2|e® sum a een sr im ss1:23598|%80 = Ess| 5 5258832 ja, Gea| 7: gA=e2=,.|s ee B25| 45 |Balsuz2slae FE SE SEIKRES FE esh| 83 |2. Y rung des Allgemeinbefindens 2.00 mit der gesteigerten Gewebs- TE a atmung zusammenhängt. Es Abb. 13. Taube E. 13.—25. X. 1920. decken sich die Resultateder Gaswechselversuche mit den bei den Versuchen mit Muskeln erhaltenen. Es ergibt sich auch hier die Frage, obein spezifischer Einfluß der Hefeprodukte auf Erscheinungen vorliegt, die der alimentären Dystrophie nach Verfütte- rung von geschliffenem Reis eigen sind, oderaber, ob essich ganz allgemein um eine Verbesserung der geschädigten Gewebsatmung im Gefolge von starker Abmagerung handelt. In Angriff genommene vergleichende Ver- suche an hungernden Tauben werden diese Frage eindeutig entscheiden. Man gewinnt auch aus diesen Versuchen den Eindruck, als ob bei von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. IV. 89 der ausschließlichen Zufuhr von geschliffenem Reis der Organismus mehr und mehr die Fähigkeit verliert, zu assimilieren und seinen Zell- bestand aufrechtzuerhalten. Sobald die Zufuhr der Hefe einsetzt, zeigen die Versuchstiere, wenn sie noch einigermaßen dazu fähig sind, ganz be- deutende Gewichtszunahmen. Aus anderen Versuchen ergibt sich, daß schon Mengen von 0,5 g, ja sogar von 0,1 g Hefe im Tage ausreichen, um wenigstens für einige Zeit Gewichtszunahmen zu erhalten, bzw. Gewichtsverluste zu verhüten. Da jedoch Tiere schwere Krampf- erscheinungen zeigen können, ohne daß erhebliche Gewichtsabnahmen erfolgt sind, liegen die Bedingungen zu ihrem Zustandekommen kompli- zierter, d. h. es kommen außer dem Hungerzustande der Körperzellen wahrscheinlich noch andere Momente in Betracht. Man könnte jedoch auch daran denken, daß im einen Falle die Zellen des Nervengewebes zuerst in Mitleidenschaft gezogen werden, und infolgedessen Störungen von seiten des Nervensystems auftreten, bevor sich schwerere Allgemein- erscheinungen und besonders eine tiefgehende Abmagerung geltend machen. In anderen Fällen verlieren namentlich die Muskeln außerordent- lich stark an Gewicht. Vor allen Dingen schwindet der Brustmuskel in ausgedehntem Maße, und erst dann ergeben sich sichtbare Störungen von seiten des Nervensystems. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob sich die Krampf- und Lähmungserscheinungen bei der alimentären Dystrophie in Zusammenhang mit einem mangelhaften Gaswechsel des Nervensystems bringen lassen. Wenn man die Versuchstiere im Anfallsstadium unbefangen betrachtet, dann gewinnt man den Ein- druck, daß ziemlich frühzeitig Störungen des Bewußtseins vorhanden sind. Die Augen zeigen häufig einen auffallend starren Ausdruck. Die Tiere sind zum Teil somnolent. Nach Zufuhr von Hefeprodukten beobachtet man vielfach große Lebhaftigkeit. Man hat den Eindruck, als ob sie aus einem Zustand der Benommenheit erwachen. Sie blicken lebhaft um sich. Sehr häufig folgt dann diesem Stadium ein Zustand ruhigen Schlafes. Man wird bei der Beurteilung der Wirkung der Nutramine, oder wieman diese unbekannten Stoffe nennen will, an die Möglichkeit denken müssen, daßsieeinenentscheidendenEinfluß auf denphysikalischen Zustand der Zellinhaltstoffe und vielleicht besonders der Zellgrenzschichten haben. Man braucht nicht unbedingt an Ein- flüsse zu denken, die unmittelbar auf die Struktur und Konfigurations- verhältnisse dieser unbekannten Stoffe zurückzuführen sind, d.h. die Wirkung braucht nicht in rein chemischer Richtung gesucht zu werden, es ist wohl denkbar, daß beim Mangel dieser Stoffe Oberflächen- wirkungen zurückgedrängt werden und auf derartige Ursachen auch der mangelhafte Gaswechsel bei alimentärer Dystrophie zurückzuführen ist. Frl. Müller, die mich bei der Durchführung dieser Versuche unter- stützte, sei auch an dieser Stelle gedankt. Pharmakologische Untersuchungen über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). Von Alfred Fröhlich und Alois Kreidl, Wien. (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Liechtenstein-Spende.) (Eingegangen am 13. November 1920.) Claude Bernard!) scheint als erster die Beobachtung gemacht zu haben, daß Frösche, die in Wasser von 37 — 38°C versetzt werden, alsbald in einen Zustand von Reflexlosigkeit verfallen, welcher bei Abkühlung rasch wieder völliger Erholung Platz macht. Erwärmung auf 40°C macht die Erholung schon unsicher, bei Temperaturen von 35—36° C zeigen die Frösche normale Bewegungen und keine Spur von Betäubung. Diese Beobachtung ist merkwürdigerweise nur von Richet und seinen Schülern weiter verfolgt worden. Es scheint, daß seit Etienne Saint - Hilaire?), einem Schüler Richets, keine weiteren - Nach- forschungen in dieser Richtung angestellt worden sind. Nur H. H. Meyer?) hat neuerdings wieder die Aufmerksamkeit auf diese Er- scheinung gelenkt und das Auffällige der Analogie der Wärmewirkung mit jener der Narkose betont, so daß man bei dem fraglichen Phä- nomen ohne weiteres von einer „Wärmenarkose‘“ sprechen kann *). Etienne-St. Hilaire hat die Angaben Claude Bernards be- stätigt und nach mehrfacher Richtung hin erweitert. Er hat fest- gestellt, daß in der Tat Esculenten durch Aufenthalt in Wasser von 37—38° C völlig reflexlos werden, während das Herz fortschlägt. Die angegebenen Temperaturgrenzen gelten aber nur für kräftige, frische Exemplare, schwächere, schon längere Zeit im Laboratorium gehaltene werden schon bei 36°, gelegentlich schon bei 35,5° narkotisiert, niemals aber, auch nicht bei den schwächsten und deutlich kranken Exem- plaren von R. esculenta konnte Narkose selbst bei protrahiertem Aufenthalte in Wasser von 35°C festgestellt werden, und auch die kräftigsten Eskulenten vermochten dem narkotisierenden Einflusse von 38 grädigem Wasser in keinem Falle Widerstand zu leisten. Die angeführten Temperaturen gelten aber nur für R. esculenta. R. tem- poraria verfällt schon bei viel tieferen Temperaturen der Wärmenarkose. *) Allerdings hat Winterstein?) zwischen dem von ihm als Wärmelähmung bezeichneten Zustande und der Alkoholnarkose Unterschiede hinsichtlich des Sauer- stoffverbrauches aufgedeckt. Während bei der letzteren der Sauerstoffverbrauch berabgesetzt ist, steigt er bei der Erwärmung an und erreicht während der Wärmelähmung nach Eintritt vollkommener Reaktionslosigkeit ein Maximum. A. Fröhlich und A. Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen usw. 91 Der kritische Punkt für diese Froschart liegt nach St.- Hilaire zwischen 33,5 und 34°C. Bei, 33°C wurde niemals Narkose beobachtet, bei 34° C regelmäßig. Dem Eintritt der Narkose gehen bei Temporarien einige krampfhafte Bewegungen voran, seltener ist dies der Fall bei Eseulenten. Letzteren wird bei 32°C der Aufenthalt im Wasser un- bequem, sie suchen durch heftiges Springen zu entfliehen, doch geht dieses „Excitationsstadium‘‘ rasch vorüber. Über andere Tierarten liegen nur wenige Angaben vor: Astacus wird nach Richet?) bei 27—29° C reflexlos, Ascaris nach v. Schroe- der®) bei ca. 52°C, Rhizostoma pulm bei 35° (Winterstein). Nicht nur für ganze Organismen, sondern auch für einzelne Organe bedeutet Temperaturerhöhung bis zu einem gewissen Punkte den Ein- tritt der Wärmenarkose. Am isolierten Froschherzen haben in neuerer Zeit insbesondere die Untersuchungen von Amsler und Pick”) ge- zeigt, daß es sich beim diastolischen Wärmestillstande des isolierten Froschherzens in erster Linie um eine Narkose des atrio-ventrikulären Reizleitungssystemes handle, das sich in den Versuchen von Amsler und Pick der Wärme gegenüber viel empfindlicher erwies als die Auto- matie des Ventrikels. Während St.-Hilaires Fragestellung dahin ging, in welcher Weise die Wirkung von Giften durch Erhöhung bzw. Erniedrigung der Außen- und damit der Innentemperatur beeinflußt wird, schien es uns um- gekehrt von Interesse festzustellen, ob und nach welcher Richtung der Temperaturpunkt der Wärmenarkose unter dem Einflusse chemisch toxischer Agentien verschoben werden könne. Es schien uns von Vor- teil, solche Versuche an einem marinen Tiere anzustellen. Das aus einer kombinierten Salzlösung bestehende Milieu der Meerestiere ge- stattet bei Verwendung künstlichen Meerwassers einerseits eine weit- gehende Variierung der Kationen, und andererseits konnten durch Hinzufügen von pharmakologischen Agentien in passenden Konzen- trationen auf dem Wege der Resorption unschwer Giftwirkungen ausgelöst werden, so daß die Anwendung von Injektionsspritzen überflüssig wurde. Wir haben die im nachfolgenden geschilderten Versuche im Monate September 1920 auf der bei Pola im Adriatischen Meere gelegenen Insel Brioni vorgenommen. Die Eigentümer von Brioni, in erster Linie Herr Karl Kupelwieser, sind uns dabei in jeder Weise bereit- willigst entgegengekommen, und der Arzt von Brioni, Herr Dr. Otto Lenz, hat uns durch Überlassung von Untersuchungsräumen, Appa- raten und Reagentien ganz außerordentlich gefördert. Beiden Herren, ohne deren Unterstützung wir unsere Untersuchungen nicht hätten durch- führen können, sprechen wir unseren aufrichtigsten Dank aus. Die impro- visierte Beschaffenheit unserer Arbeitsstätte bringt esimmerhin mit sich, daß wir Lücken in unseren Versuchsreihen unausgefüllt lassen mußten. 92 A. Fröhlich und A. Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen Wahl des Objektes. Für unsere Zwecke war es notwendig, ein Tiermaterial zu wählen, das meh- reren Bedingungen entsprach. Die Individuen durften nicht groß, mußten unter lebhaften Bewegungen freischwimmend sein und — da wir ja den Fang stets selbst besorgen mußten — unschwer und regelmäßig in größerer Anzahl fangbar sein. Nach einiger Überlegung wählten wir den zu den Dekapoden gehörigen Krebs Palaemon. Palaemon ist bei Ebbe an und unter den Steinen des Meeresufers leicht zu fangen: er ist hinsichtlich der Sauerstoffzufuhr recht anspruchslos und ist ein eleganter Schwimmer mit deeidierten Bewegungen. Überdies ist bei ihm der Schwanzschlagfluchtreflex sehr ausgebildet. Beginn, Tiefe, Dauer und Wiedervergehen der Narkose können dadurch leicht beurteilt werden. Ferner ge- stattet die geringe Körpermasse von Palaemon den Schluß, daß sich die im um- gebenden Meerwasser abgelesenen Temperaturen bei ihrer Erhöhung oder Er- niedrigung rasch auch auf den zarten Körper der Tiere ausdehnen. Da nach St.-Hilaire 8—10 Minuten reichlich genügen, selbst die größten, in warmes oder kaltes Wasser versetzten Esculenten im Innern des Leibes die Temperatur des Wassers annehmen zu lassen, so mußten ganz wenige Minuten ausreichen, um die zarten Leiber der Palaemones den experimentellen Schwankungen der Temperatur des umgebenden Wassers anzugleichen. Methodik. Wir haben stets ungefähr gleichgroße ca. 21/,—-3 cm (ohne Antennen ge- messen) lange Exemplare von Palaemon squilla F. gewählt, die wir nach dem Fange über Nacht in geeigneten Behältern in das Meer versenkten oder mittels einer improvisierten Durchlüftungsvorrichtung mit Sauerstoff versahen. Auch in flachen Behältern bleibt der anspruchslose Palaemon — bei zeitweiligem Wechsel des Meerwassers — tagelang anscheinend wohl und frisch. Die Versuche gestalteten sich folgendermaßen; Zunächst wurden aus dem jeweiligen Fange einige normale Exemplare der Wärmenarkose unterworfen, und nur, wenn sie den durchschnittlich gefundenen kritischen Temperaturpunkt aufwiesen, wurden die übrigen Tiere des jeweiligen Fanges zu den eigentlichen Versuchen verwendet. Diese selbst erfolgten so, daß in Bechergläsern eine be- stimmte Anzahl von Palaemones der Einwirkung des geänderten Milieus über- lassen wurde: nach Verlauf einer gewissen Zeit wurde sodann der Wärmepunkt der Narkose bestimmt. Die Erwärmung wurde folgendermaßen vorgenommen: Auf einer elektrischen Kochplatte stand ein geräumiges Blechgefäß, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. In diesem ruhte auf Glasblöcken das Becherglas mit den Versuchstieren. Nun wurde allmählich das Wasser im Blechgefäße erwärmt und der Anstieg der Temperaturen an im äußeren und inneren Gefäße dauernd eingetauchten Thermo- metern abgelesen. Stets wurde so langsam erwärmt, daß für den Anstieg von der Zimmertemperatur, die zu dieser Jahreszeit 21—22° C betrug, bis zum Er- reichen von 36° ungefähr 10 Minuten vergingen. Um einheitlich vorzugehen, haben wir den Beginn der eigentlichen Narkose als Kriterium gewählt. d. h. wenn das Tier aus seiner auf- rechten Haltung in die Seiten- oder Rückenlage überging und bei leichtem oder mäßig starkem Berühren mit Glasstäben oder Sonden keine Schwimmbewegungen oder Fluchtsprünge mittels Schwanzschlag mehr ausführte. Bei der Wiederabkühlung wurde auf die erforderliche Zeit keine Rücksicht mehr genommen. Unsere Versuche sollten zunächst dartun, ob erstlich auch für Palaemon gleichwie für R. esculenta und R. temporaria eine konstante kritische Temperatur über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). 93 vorhanden ist, und zweitens, ob es gelingt, diesen kritischen Punkt durch Ände- rungen in der Zusammensetzung des Meerwassers oder durch Hinzufügen von erregenden bzw. lähmenden Giften nach abwärts oder nach aufwärts zu verschieben. I. Der kritische Punkt der Wärmenarkose bei normalen Tieren. Bei frischen, kräftigen Exemplaren haben wir den Beginn der Nar- kose stets zwischen 36,5 und 37°C gefunden. Eine Überschreitung nach oben haben wir niemals beobachten können. Dagegen liegt zweifellos der kritische Punkt für Tiere, welche durch den Fang oder durch den Aufenthalt im Laboratorium gelitten hatten, deutlich — selbst um 1!/,—2 Zentigrade — tiefer. Dies deckt sich mit den oben erwähnten Erfahrungen von St.-Hilaire an Esculenten. Bei Ab- kühlung verschwindet die Narkose; Reflextätigkeit and spontane Be- wegungen kehren rasch wieder. Der Versuch kann sodann am selben Tiere mehrmals mit dem gleichen Resultate wiederholt werden; eine Verschiebung des Narkosenpunktes haben wir hierbei nicht festgestellt. Dagegen ist eine Erwärmung, die 40°C erreicht oder nur um weniges übersteigt, gefährlich; dann tritt trotz raschen Wiederabkühlens Er- holung nicht mehr ein. Den zentralen Charakter der Wärmenarkose konnten wir dadurch erweisen, daß wir Exemplare von Palaemon durch Erwärmen auf 38—40° © tief narkotisierten und in diesem Zustande durch faradische Reizung des Bauchstranges die Schwanzmuskulatur zu kräftiger Kon- traktion brachten. Sodann trennten wir — ohne das Tier abkühlen zu lassen — den Cephalothorax ab. Auch nach diesem Eingriffe blieb die elektrische Reizbarkeit des Bauchstranges unverändert erhalten. Die Erregbarkeit des Bauchstranges wird also durch Erwärmung auf 40° C nicht aufgehoben. Die Narkose muß demnach durch Erlöschen der Reflextätigkeit in den Schlundganglien und Commissuren, den Äquivalenten des Gehirnes der Wirbeltiere, erfolgen. II. Die pharmakologische Beeinflussung der Wärmenarkose. 1. Anderungen der Zusammensetzung des Meerwassers. Wir änderten entweder die Zusammensetzung des Meerwassers ohne Verschiebung der Mengenverhältnisse des Salzgemisches durch Verdünnung mit destilliertem Wasser (t/, Meerwasser, !/, Meerwasser) oder wir variierten die Mengenverhältnisse der einzelnen Komponenten des Meerwassers. Um dies bequem durchführen zu können, arbeiteten wir mit enem künstlichen, der Adria angepaßten Meerwasser von folgender Zusammensetzung: In 100g Aqua destillata: NaCl 3,0 8 KCl 0,8 g MsSO, 0,66 g CaCl, 0,13 g 94 A. Fröhlich und A Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen Die Änderung des Kationengehaltes wurde erzielt durch Weglassen einzelner Bestandteile oder durch Anreicherung mit einem oder zwei Salzen über die Norm hinaus. a) Verdünnung des natürlichen Meerwassers. Bei Verdünnung des Seewassers auf die Hälfte seiner normalen Konzentration trat nach Aufenthalt von 1—5 Stunden in dem geänderten Milieu die Narkose bei durchschnittlich 34° C ein; die Erholung bei Ab- kühlung auf Zimmertemperatur war stets rasch und völlig. Wirksamer war die Verwendung von !/, Seewasser. Nach 1/,stündigem Aufent- halt trat Narkose ein bei 34—34,5°C, nach 1 Stunde bei 33—33,5° C, nach 2 Stunden hei 32° C, nach 5 Stunden bei 31—32°C. In einem an- deren Versuche wurden alle vier eingesetzten Exemplare schon nach 4stündigem Aufenthalte in !/, Seewasser tot gefunden. Die Erholung bei Wiederabkühlen tritt bei !/, Seewasser nicht so prompt ein wie bei !/, Seewasser. Bemerkenswert ist, daß Fluchtversuche, die bei Experimenten in reinem Seewasser bei Temperaturen von 34° C herum fast regelmäßig beobachtet werden, bei Palaemonen, die eine bis mehrere Stunden in !/, Seewasser gehalten worden waren, nicht notiert wurden. Es ist somit zweifellos durch die Verdünnung des Seewassers eine deut- liche Schädigung der darin gehaltenen Tiere bewirkt worden. Dies: ist um so bemerkenswerter, als eine Palaemonart (Palaemonetes) auch in Süßwasser (Gardasee) vorkommt und daher als sehr anpassungsfähig bezeichnet werden muß. Im Gegensatze dazu scheinen akute osmo- tische Veränderungen des Milieus die Tiere schwer zu schädigen. b) Fehlen eines oder mehrerer Kationen. Zusammensetzung des Dauer der Re Narkose Erholung bei Aufenthaltwassers Einwirkung bei °C bei °C Abkühlung Na + Ca + Mg (ohne K) . 2h 31 35 völlig. Na + Ca -+Mg (ohne K) . zu 33 36 völlig. Na +K (ohne Ca-+Ms) . 2u 33 34 völlig. Na + K (ohne Ca + Mg) . 7A 33 37 völlig. Narkose mit gleichem Resultate | wiederholt. Na +2K (ohne Ca+Mg) | 2 321/, | 34,5—35 |1Stundenachheralle Exempl. tot. Na —- 3K (ohne Ca + Ms). 2h 321), 35 1/, Stunde nachher | alle Exempl. tot. Na@laloswallenger | >h — 32 völlig. NEO 294 Aalen „u, 05 | = 32 völlig. In dieser Versuchsreihe wurden einzelne Bestandteile des künst- lichen Meerwassers weggelassen. Die anderen waren darin entweder über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). 95 in einem den natürlichen Verhältnissen entsprechenden Mengenverhält- nisse enthalten oder aber in einem aus der Tabelle hervorgehenden Ausmaßes vermehrt. Eine deutliche Verschiebung des Eintrittes der Wärmenarkose nach unten ist nur bei Aufenthalt der Versuchstiere in reiner hypo- tonischer NaCl-Lösung zu erkennen. Das Weglassen von Ca und Ms aus dem künstlichen Seewasser drückt die Temperatur des Narkose- eintrittes nur unbedeutend, dagegen wird mit steigendem Kalium- gehalte die Giftigkeit zweifellos erhöht, was sich m dem Ausbleiben der Erholung beim Wiederabkühlen äußert. c) Anreicherung natürlichen Meerwassers an einzelnen Kationen. Dauer |Flucht- Zusammensetzung des Aufenthalt- des Ver- Narkose Erholung hei Wieder- wassers Aufent-| suche bei °C abkühlung haltes |bei °C Meerwasser, NaCl-Gehalt auf 4,5%, | | Erholg.; b.d. Hälfte ELITE "ed BO RER | | — 37 d. Exempl. verzög. Meerwasser, NaCl-Gehalt auf 4,5% | Pn nach 4h alle Exempl. dl u A a es — tot. Meerwasser, NaCl-Gehalt auf 6% | | nach 4h alle Exempl. eiizElib, WE er se 1 EB —_ tot. Meerwasser, mit doppeltem Ca- | | ae. aan. | 2 | 34 35 völlig. Meerwasser mit dreifachem Ca- | Bear > ı 2 | 34 136,0—36,5 völlig. Meerwasser mit vierfachem Ca- | Geelt 2 S ou 34 36 völlig. Meerwasser mit zehnfachem Ca- | elaltt We Ar Il IR ı — 37 völlig. Meerwasser mit doppeltem K- | | al ı 2h 34 36 völlig. Meerwasser mit dreifachem K- | 4 von 5 Exempl. nach sellall, Ro er | 25 ? SUER 1" tot, eines lebt. Meerwasser mit vierfachem K- | | Gelaln . 1 u —_ | alle tot. Meerwasser mit doppeltem Mg- | | . eltern | 2b | — |85,0-35,5) völlig. Meerwasser mit dreifachem Mg- | | | ee en. || 28 — 34 | nicht. Weder bei Erhöhung des NaCl-Gehaltes auf 4,5%, noch nach An- reicherung des natürlichen Meerwassers mit K oder mit Ca ließ, sich eine wesentliche Beeinflussung des kritischen Narkosen punktes erkennen. Dagegen trat die Giftigkeit einer einseitigen Erhöhung des K- und des Na-Gehaltes zutage. 96 A. Fröhlich und A. Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen Erhöhung des Mg-Gehaltes drückt den Narkosenpunkt in deut- lichem, wenngleich mäßigem Grade. Dies mag mit den bekannten narkotisierenden Eigenschaften der Mg-Salze zusammenhängen. Be- merkenswert ist, daß nach Verdreifachung des Mg-Gehaltes die Wärme- narkose nicht mehr reversibel war. 2. Der Einfluß von Säure. Nach !/,stündigem Verweilen in mit HC] angesäuertem Meerwasser (Gehalt an Acid. hydrochlor. ca. 1: 10000) lag der Narkosenpunkt bei 36°C. Erhöhung des Säuregehaltes war undurchführbar, da die Tiere bei einer Konzentration von ca. 1:5000 nach !/, Stunde, bei 1: 3000 nach wenigen Minuten starben. 3. Der Einfluß erregender und erregbarkeitssteigernder Gifte. a) Campher: Nach 2stündigem Verweilen in einer Campher- Meerwasserlösung 1 : 20 000 trat Narkose bei 36° C, nach einstündigem Verweilen in Campher-Meerwasser 1 : 10 000 bei 35,5°C ein. Bei Über- tragen in reines Meerwasser von Zimmertemperatur Erholung. In einem anderen Versuche wurden die Tiere in Campher-Meerwasser 1 : 1000 gebracht. Im Verlaufe einiger Minuten kam es bei den Tieren zu heftigen Konvulsionen. Sodann wurden sie in reines Meerwasser übertragen und kurze Zeit nachher — nach völligem Verschwinden der Muskelzuckungen — untersucht. Die Narkose trat ein bei 36,5 bis 37°C, die Erholung in Meerwasser von Zimmertemperatur war rasch und völlig. b) Ephedrin: Nach 30 Minuten Einwirkung von Ephedrin (1:1000) Narkose bei 36° C; völlige Reversibilität. c) Coffein: Coffein eignet sich nicht zu Versuchen an Palaemon. Die Tiere sterben rasch in Lösungen von 1 : 5000, 1: 2000, 1: 1000. d) Nicotin: Nach einstündigem Aufenthalt in einer Lösung von Nicotin. hydrochlor. 1 : 100000 Narkose bei 36,5°C; Erholung bei Abkühlung vollkommen. In Konzentrationen von 1: 10000 sterben die Tiere rasch. e) Strychnin: Die Wirkung des Strychnins (verwendet als salzsaures Salz) tritt bei Palaemon sicher, aber erst verhältnismäßig sehr spät ein. Beim Versetzen in ein Strychnin-Meerwassergemisch 1 : 2000 beob- achtet man gewöhnlich erst nach 24 Stunden typischeStrychninwir- kung;,d.h. heftige Schwanzschlagreflexe, die das Tier schon nach leisen Erschütterungen der Tischplatte aus den Gefäßen hinausschleudern können. Nach mehrmaliger Auslösung des Reflexes zeigt sich Erschöpfung und Reflexlosigkeit, die meist nach 3>—5—10 Minuten Dauer zurückgeht. Die reflexsteigernde Strychninwirkung dauert tagelang an. Bei Er- über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). 97 wärmung auf 26—27°C verschwindet sie völlig, das Tier liegt dann in Seitenlage, und es gelingt auch nach langen Pausen nieht mehr, einen Reflexsprung hervorzurufen. Nach Ab- kühlung auf 22—23°C tritt aber die Strychninwirkung wieder zutage. f) Physostigmin: Nach 3stündigem Verweilen in Physostigmin- salicyl. Meerwasser 1: 100 000 Narkose bei 35,5°C; völlige Reversibilität. 4. Der Einfluß lähmender Gifte. a) Atropin: Nach 2stündiger Atropineinwirkung (Atropin. sulf.- Meerwasser 1 : 10000) Narkose bei 35,5° C, bei Abkühlung volle Er- holung. b) Cocain: Cocain. hydrochlor. 1: 1000. Dauer der Einwirkung 30 Minuten. Bei 32° C krampfhafte Bewegungen, namentlich der Scheren- beine und der Kriechbeine, Opisthotonus. Bei Versetzen in reines Meerwasser von Zimmertemperatur teilweise Erholung, jedoch dauern die Zuckungen der Beine noch stundenlang fort. Cocain 1:500. Dauer der Einwirkung 25 Minuten. Vor Beginn der Erwärmung keine Reflexsteigerung, keine Krampfbewegungen. Bei 29°C krampfhafte athetotische Bewegungen, in erster Linie der Scheren- und Kriechbeine. Starker Opisthotonus; das Tier steht zeit- weilig auf dem Kopfe. In reinem Meerwasser von Zimmertemperatur nur unvollkommene Erholung. Das Auftreten der Konvulsionen, der athetotischen Bewegungen und der tonischen Muskelspasmen gestattet über die allenfalls vorhandene Narkose kein Urteil. ce) Chloralhydrat: Chloralhydrat 1: 5000. Einwirkung 1 Stunde. Narkose bei 37°C. Bei 35°C noch lebhaftes Schwimmen. Reversi- bilität vollkommen. Chloralhydrat 1: 500. Einwirkung 1 Stunde. Narkose bei 35°C. Bei 34° © noch lebhaftes Schwimmen, beim weiteren Erhöhen der Tem- peratur Erregung, unausgesetzte Fluchtversuche. Chloralhydrat 1 : 100, Dauer der Einwirkung 17 Minuten. Narkose bei 321/,°C. Während des Erwärmens deutliche Erregung, bei leichter Berührung lebhaftes Wegspringen. Nach Übertragen in reines See- wasser anscheinend Erholung im Verlaufe von 10—15 Minuten. Bei . neuerlichem Erwärmen tritt ausgesprochene Narkose schon bei 28—28!1/,°C ein; vorher unkoordinierte Bewegungen. d) Alkohol: Alkohol 1: 1000, Einwirkung 30 Minuten. Narkose bei 37°C; Erholung bei Abkühlung völlig. Alkohol 1: 500, Einwirkung 30 Minuten, Narkose bei 37°C; Er- holung bei Abkühlung völlig. Alkohol 1 : 100, Einwirkung 15 Minuten. Narkose bei 30—31°C. In einem anderen Versuche mit Alkohol 1 : 100 nach 20 Minuten Er- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. m 98 A. Fröhlich und A. Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen regung bei 29!/,°C. Nach Übertragung in reines Seewasser von Zimmer- temperatur Erholung. Nach 15 Minuten neuerliche Erwärmung. Nunmehr bei 34°C noch Reflexe, bei 35°C Narkosenbeginn. Alkohol 1:50. Dauer der Einwirkung 15 Minuten. Narkose bei 29°C. Vorher starke Erregung. Bei Eintritt der Narkose vibrierende choreatische Bewegungen der Beine. Nach Übertragung in reines Meerwasser von Zimmertemperatur völlige Erholung. 8 Minuten nach- her neuerliche Erwärmung. Nunmehr Narkose erst bei 34°C. Schlußfolgerungen. Aus den mitgeteilten Versuchen an Palaemon, die aus äußeren Gründen nur bis zu diesem Stadium geführt werden konnten, geht her- vor, daß das Phänomen der Wärmenarkose durch Änderungen des Milieus, in dem sich die Versuchstiere befinden, bis zu einem gewissen Grade modifiziert werden kann. Es ist auf mehrfache Weise gelungen, den kritischen Narkosenpunkt um mehrere, selbst um viele Zentigrade herabzudrücken: die Reversibilität bei Wiederabkühlung weist deut- lich auf echte Narkose hin. Fraglich bleibt, auf welche Weise die Giftwirkung des in seiner Zusammensetzung geänderten Meerwassers im Körper der Wasser- tiere zur Geltung kommen kann. Zwei Möglichkeiten stehen hierbei im Vordergrunde: 1. Eindringen durch die Kiemenmembran und 2. Resorption aus dem Verdauungskanal nach Verschlucken des Aufenthaltswassers. Für lipoidlösliche Substanzen (Cocain, Campher, Äthylalkohol, Chloralhydrat) und für Gase wird der erstgenannte Fall des Ein- dringens durch die Kiemenmembran nicht bezweifelt. Dafür spricht dasrasche Eintreten von Giftwirkungen der genannten Substanzen, sowie das beim Alkohol festgestellte rasche Zurückgehen der Verschiebung des Narkosenpunktes beim Rückversetzen in reines Meerwasser. Die Wir- kung anderer, nicht lipoidlöslicher Substanzen (Salze, Alkaloidsalze) kann auf dem Wege über Verschlucktwerden und Aufsaugung aus dem Ver- dauungstrakte zustande kommen. Eine dritte Möglichkeit des Ein- dringens durch den Chitinpanzer bzw. durch seine zahlreichen mem- branösen Verbindungen hindurch erscheint am wenigsten wahrschein- lich. Aus den Versuchen von v. Schroeder) geht hervor, daß ‚Ascaris dem Eindringen von Giftlösungen durch seine Chitinhaut gegenüber sehr resistent ist. Dagegen erzielte v. Schroeder leicht die Gift- aufnahme in der Körper der Ascariden, wenn er ihnen das Gift in Zuckerlösung verabreichte und die Tiere dadurch veranlaßte, die giftige Lösung schneller zu schlucken. Bi) Wie erwähnt, kommt es beim Versetzen von Palaemon in eine Strychninlösung 1 :2000 erst nach 24 Stunden zum Auftreten der über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). 99 typischen Reflexsteigerung. Könnte das Strychninsalz (undissoziiert) die Kiemenmembran durchdringen, so müßte man erwarten, daß die Strychninwirkung sehr viel schneller eintrete. Auch das Sinken des Narkosenpunktes durch Kationenänderungen wird erst nach mehreren Stunden deutlich. Alle diese Gründe sprechen dafür, daß die Kiemen- membran nur für Gase und lipoidlösliche Körper leicht, für Salze aber schwer oder gar nicht durchgängig ist. Daß die Vergiftung mit Cocain und Chloralhydrat auch nach Rück- versetzen in reines Meerwasser lange andauert, während jene mit Äthyl- alkohol rasch, mit Campher zwar langsamer, aber immerhin noch viel schneller alsnach Vergiftung mit Chloralhydrat und Cocain verschwindet, wird leicht mit der Verdampfbarkeit der erstgenannten Körper er- klärt. Für Äthylalkohol konnten wir dies durch den raschen Wieder- anstieg des zunächst stark herabgedrückten Narkosenpunktes erweisen. Für Campher, der den Narkosenpunkt überhaupt nicht deutlich ver- ändert, geht dies aus dem Verschwinden von Krampfzuständen bei Versetzen in campherfreies Meerwasser hervor, die wir an einem anderen Orte genauer beschreiben®). Daß die Vergiftungen mit den nicht- flüchtigen Körpern Cocain und Chloralhydrat so hartnäckig sind, deckt sich mit den Erfahrungen am Wirbeltier. Überblicken wir unsere an Palaemon gewonnenen Versuchsresultate, so finden wir, daß eine deutliche Verschiebung des kritischen Punktes — z.B. unter 34°C — für die Wärmenarkose unter mehreren Be- dingungen zustande kam: 1. durch Verweilen in hypotonischem (verdünntem) Meerwasser und in 1—2proz. NaCl-Lösung; 2. durch an Mg angereichertes Meerwasser ; 3. durch Strychninvergiftung; 4. durch Cocainvergiftung;; 5. durch Vergiftung mit Chloralhydrat und Äthylalkohol*). Dagegen ist es auf keine Weise gelungen, den Eintritt der Wärmenarkose nach oben zu verschieben. Es ist nicht leicht, sich ein klares Bild über den hierbei wirksamen Mechanismus zu machen. Soviel scheint uns wahrscheinlich zu sein, daß die narkotische Wirkung der Wärme von den lipoiden Zellbestand- teilen des Zentralnervensystems abhängt. Die relativ niedrigen Tem- peraturen, bei denen es zu völliger Reflexlosigkeit kommt, deuten darauf hin, daß Zustandsänderungen der Eiweißkörper nicht in Betracht kommen: diese erfolgen selbst bei Kaltblütern erst bei sehr viel höheren Temperaturen. Dagegen dürften die Lipoide des Zentralnervensystems schon bei Temperaturen unter 40°C Veränderungen ihres Aggregat- *) Vgl. hierzu die Versuche von Winterstein an mit Äthylalkohol vor- behandelten Medusen (4.) 100 A. Fröhlich und A. Kreidl: Pharmakologische Untersuchungen zustandes, etwa im Sinne einer Erweichung, erleiden, die — solange sie geringfügig bleiben — durch Wiederabkühlung vollkommen rever- sibel sind. Ist aber eine stärkere Veränderung — etwa im Sinne einer Verflüssigung — in ihnen eingetreten, so vermag auch Wiederabkühlung die frühere Verteilung in der Zelle und damit die Wiederaufnahme der Funktion nicht mehr herbeizuführen. Auch an roten Blutkörperchen führt Erwärmen zum Zelltode, zur Hämolyse, allem Anscheine nach durch Schmelzen der Zellipoide; vgl. Knaffl - Lenz?). Gerade der Umstand, daß es uns auf keine Weise gelingen wollte, den kritischen Punkt nach oben zu verschieben, deutet darauf hin, daß es sich um Zellbestandteile von ganz konstanten physikalischen Eigenschaften handeln muß, deren Änderung wenigstens im akuten Versuche nicht gelingt. Die Verschiebung des Narkosenpunktes nach unten läßt mehrfache Deutungen zu. Zur Erklärung der Wirkung hypotonischer Salzlösungen und Salzgemische dürfen wir annehmen, daß hierdurch eine Auslaugung und Verarmung des Körpers an wichtigen physiologischen Kationen erfolgt, die auf das Tier krankmachend wirken, wenn auch diese geänderte Dispositionsichnichtgrob manifestiert. In solchen Zuständen bedeuten aber schon geringfügige Wärmeveränderungen in lipoiden Zellbestandteilen, die das kräftige, gesunde Tier nicht er- kennbar affizieren, eine so starke Schädigung, daß Verlust der Funk- tionen des Zentralnervensystems die Folge ist. Aber auch die Tat- sache, daß Tiere, die mit Alkohol und Chloralhydrat latent, d.h. mit nicht ohne weiteres erkennbaren Symptomen, vergiftet worden waren, schon bei 29°C, also tief unter dem für normale Palaemones bei 37°C gelegenen kritischen Punkte, in Reflexlosigkeit verfallen, kann nicht ohne weiteres ins Feld geführt werden gegen die Annahme, daß schon bei derart niedrigen Temperaturen physikalische Zustands- änderungen in den Zellipoiden eintreten könnten. Erfahrungen der Chemie haben gelehrt, daß der Schmelzpunkt vieler Körper schon durch spurweise Beimengung anderer Substanzen sehr erheblich — selbst um viele Grade — herabgedrückt wird. Dasselbe könnte ganz gut mit den Zellipoiden der Fall sein, wenn sie sich mit geringen Mengen lipoid- löslicher Körper, wie Alkohol und Chloralhydrat, beladen haben. Aber auch in anderer Hinsicht erfährt diese Annahme eine Stütze. Gleich- wie der Narkosenpunkt sich in unseren Versuchen an Palaemon nicht nach oben verschieben ließ, gelingt auch die Erhöhung des Schmelz- punktes eines Körpers niemals durch Zusatz geringer Mengen anderer Substanzen. Der angeführten Annahme steht eine zweite Möglichkeit gegen- über, nämlich die, daß die in den Körper eingetretenen und in den über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). 101 ‚Zellen des Zentralnervensystems fixierten Gifte durch die Erwärmung eine starke Erhöhung ihrer Wirksamkeit erfahren. Auf den Umstand, daß viele — doch nicht alle — Substanzen bei höherer Temperatur verstärkte Wirksamkeit entfalten, hat anscheinend Richet zuerst aufmerksam gemacht. Die zweite Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, und es könnte der Umstand, daß die Betäubung in solchen Fällen schon bei recht niedrigen Temperaturen einsetzt, mit einer Erhöhung der chemisch-physikalischen Wirksamkeiten erklärt werden. So zeigen z. B. Äthylalkohol und Chloralhydrat bei Erwärmung in einem Systeme Wasser-Fett eine Anreicherung im Fette, sohin eine Verschiebung nach der lipoiden Phase hin [H. H. Meyer!P)]. Eine sichere Entscheidung | zwischen den beiden diskutierten Möglichkeiten scheint uns aber vor- läufig nicht möglich zu sein. Literaturverzeichnis. !) Claude Bernard, Lecons sur les anesthesiques S. 91 zit. nach E. St.-Hi- laire (?). — ?) St.-Hilaire, E., De l’influence de la temperature organique sur Paction de quelques substances toxiques. These de Paris, 1888. —?) Meyer, H.H., in Meyer-Gottlieb, Experimentelle Pharmakologie. 4. Aufl. 1920, 8.127. — *#) Winterstein, Zeitschr. f. allg. Physiol. 5, 323. 1905. — 5) Richet, Ch. C.R., d. Seanc. de P’Academ. d. Sciences. 88. 977, 1879. — ®) Schroeder, W. v., Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 19, 290. 1885. — ’) Amsler, C., und E. P. Pick, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 84, 52 und 234. 1918. — 8) Fröhlich, A., und A. Kreidl, Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 105. 1921. — °) Knaffl-Lenz, E. v., Arch. f. d. ges. Physiol. 123, 1908 und 171, 1918. — 10) Meyer, H. H., Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 46, 1901. Lichtreaktionen bei Krebsen (Palaemon). Von A. Fröhlich und A. Kreidl, Wien. (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Liechtenstein-Spende.) (Eingegangen am 13. November 1920.) Bei unseren Untersuchungen über die Wärmenarkose bei Palaemon!) war uns das eigenartige Verhalten der Tiere bei bestimmten Vergiftungen aufgefallen, wenn wir sie zur besseren Beobachtung in den intensiven Beleuchtungskreis einer Bogenlampe brachten. Im Laufe der Versuche zeigte es sich, daß es nur eine bestimmte Kategorie von Giften — und zwar solche mit primär zentralerregender Wirkung — ist, welche Palae- mon in der im nachstehenden geschilderten Weise reagieren lassen. Zunächst sei das Verhalten unvergifteter Palaemones beschrieben, wenn sie von einem intensiven Lichtstrahl getroffen werden. Läßt man — wie wir das in unseren Versuchen taten — die von einer kleinen Bogenlampe ausgehenden und durch eine Linse annähernd parallel gerichteten Strahlen auf normale frische Tiere fallen, die man in einem Becherglase hält, so geraten sie zumeist in deutliche Unruhe. Diese äußert sich in munteren Schwimmbewegungen, die Tiere steigen schwim- mend in die Höhe, schwimmen dem Innenrand des Glases entlang im Kreise, bis sie in der Regelnach wenigen Minuten sich trotz Fortdauer der intensiven Belichtung wieder auf den Boden desGefäßes sinken lassen und dort mehr oder weniger andauernd ruhig verbleiben. Energische Flucht- bewegungen durch Schwanzschlag kommen bei plötzlicher intensiver Belichtung nicht regelmäßig, eher selten, zur Beobachtung. Plötzliches Sinken der Belichtungsintensität durch Beschattung oder durch Ausschal- ten der Lichtquelle läßt die ruhig gewordenen Tiere gänzlich unbeeinflußt. Anders wird das Verhalten von Palaemon optischen Reizen gegen- über, wenn man die Tiere mit Campher oder mit Phenol vergiftet hat. 1. Campher: Aufenthalt in Campher-Meerwasserlösung von einer Konzentration 1 : 16 000 ist für Palaemon schon nach 5—15 Minuten tödlich. Die Vergiftungserscheinungen äußern sich in Zuckungen der Kriech- und Scherenbeine, krampfhaften Schwanzschlägen, sowie darin, daß sie sich untereinander zu einem wirren nicht leicht lösbaren Haufen verfangen, wenn man eine Reihe von Tieren gleichzeitig im selben Glase der Campherwirkung ausgesetzt hatte. Diese Verkrampfung kommt dadurch zustande, daß die Tiere sich an jedem Objekte, das ihnen nahe ist, festklammern, besonders leicht an den zarten Beinen ihrer Genossen. Überträgt man in diesem Stadium der Camphervergiftung, noch bevor es zu einer dauernden Lähmung gekommen ist, die Tiere rasch in reines A. Fröhlich und A. Kreidl: Lichtreaktionen bei Krebsen (Palaemon). 103 Meerwasser, so verschwinden die Vergiftungserscheinungen, soweit sie sich in Muskelzuckungen und der eben geschilderten Erscheinung der gegenseitigen Verkrampfung kundgeben, rasch. Es bleibt aber eine ausgesprochene photische Übererregbarkeit zurück, die sich darin äußert, daß die Tiere auf rasches Anschwellen der Licht- intensität, sehr viel ausgesprochener aber bei Abnahme der Belichtungsstärke heftige Sprünge infolge Schwanzschlages ausführen. Wir konnten dieses Phänomen in Brioni in unserem improvisierten Laboratorium nur auf primitive Weise prüfen: durch Einschalten und Ausschalten der Bogenlampe, durch Beschattung mit undurchsichtigen Platten und Aufhebung der Beschattung, ferner da- durch, daß wir die Tiere längere Zeit verfinstert hielten und dann Licht von wechselnder Stärke aussetzten. Die Steigerung der Reflex- erregbarkeit auf steilen Abfall der Belichtungsstärke war in geeigneten Phasen der Campherwirkung konstant. Als geeignete Stadien erwiesen sich erstlich die Erzeugung einer schweren Camphervergiftung und rechtzeitiges Übertragen in reines Meerwasser oder eine von vornherein schwächere Vergiftung mit Campher-Meerwasser 1 : 20 000—25 000. Dabei bestand keine Spur einer Reflexsteigerung für taktile Reize, weder nach Erschütterungen des Gefäßes, noch auf leichte Berührung des Schwanzes oder des Kopfes. 2. Phenol: Phenol wirkt ähnlich wie Campher. In Phenol-Meer- wasser 1 :2000 sterben die Tiere rasch; Phenol-Meerwasser 1 : 5000 wird längere Zeit ertragen. Zwar treten rascher als beim Campher ähnliche Muskelzuckungen und Verkrampfungen ein, doch verschwinden sie beim Versetzen der Tiere in reines Meerwasser bald, und es kommt zu ganz ähnlichen Lichtreaktionen — in erster Linie wieder beim Verschwinden intensiver Beleuchtung — wie beim Campher. Nur ganz ausnahmsweise konnten wir in diesem Stadium Reflex- zuckungen nach Erschütterung beobachten. 3. Stryehnin: Wir haben in unserer Arbeit über die Wärme- narkoset) die Strychninwirkung auf Palaemon geschildert und wieder- holen hier nur, daß in Strychnin-Meerwasser 1: 2000nach etwa 24 Stunden eine sehr ausgesprochene und auch lange anhaltende Übererregbarkeit für Erschütterungsreize, ganz analog wie bei Frosch und Säugetier eintritt. Während des oft tagelangen Andauerns dertaktilenReflex- übererregbarkeit haben wir keine Spur erhöhter Lichtreak- tion, weder auf Lichtzunahme noch auf Lichtabnahme, gesehen. 4. Ammoniak: Ammoniak-Meerwasser wirkt in Konzentrationen 1 :2000—5000 in 10—15 Minuten unter Krämpfen tödlich; Licht- reaktionen konnten wir bei so vergifteten Tieren niemals auslösen. Vor dem Tode erfolgten bei Klopfen auf den Tisch einige Reflexzuckungen. 104 A. Fröhlich und A. Kreidl: Lichtreaktionen bei Krebsen (Palaemon). 5. Coffein: Es gelang uns nicht, eine passende Konzentration zu finden," um in ausgesprochener Vergiftung photische Reflexe zu studieren. Zusammenfassung. Wir sahen somit unter dem Einfluß von zwei Giften mit starker zentralerregender Wirkung Lichtreaktionen bei Palaemon auftreten, die sich ganz besonders beim Verschwinden der grellen Be- lichtung geltend machten. Auch andere — allerdings unvergiftete — Tierarten reagieren stärker auf Lichtabnahme als Lichtzunahme. Die erste diesbezügliche Be- obachtung hat Sarasin 1887 an Diadema setosum und dann Uexküll 18962) an Centrostephanus longispinus gemacht. Diese zwei Arten von 'Seeigeln reagieren auf Beschattung mit Stachelbewegung, nicht aber auf Belichtung. Erweitert wurden diese Erfahrungen durch Hess gleichfalls an Centrostephanus?). Hess fand, daß gewisse kölbehenartige Gebilde bei diesem Seeigel nur bei Belichtungsabnahme — niemals aber bei Lichtstärke- vermehrung — in rotierende Bewegung gerieten. Dabei ist die Latenz- zeit sehr kurz, !/, Sekunde. Auch die kleinsten, von einem normalen Menschenauge noch eben als Helligkeitsverschiedenheit wahrgenommene Lichtstärkenunterschiede genügen nach Hess, um solche Bewegungen der Kölbchen hervorzurufen. Auf weitere interessante Eigentümlich- keiten dieser Erscheinung kann hier nicht eingegangen werden. An Schnecken beobachtete V. Franz?) z. T. in Bestätigung früherer Untersuchungen gleichfalls Beschattungsreaktionen. Der Umstand, daß gewisse Tierarten auf Lichtstärkenabnahme besonders fein eingestellt sind, muß zweckmäßig erscheinen, wenn man bedenkt, daß diese Tiere, bei denen das Vermögen in die Ferne sehen zu können fehlt oder mangelhaft ausgebildet ist, durch Beschattung auf das Nahen bedrohlicher Faktoren aufmerksam gemacht werden. Er ist also eine Schutzvorrichtung, deren Auftreten wir auch beim Versuche, kleine Fische in seichtem Wasser zu fangen, regelmäßig beobachtet haben. Daß diese Schutzreaktion erst am ‚‚cerebral‘ vergifteten und da- durch zentral reizbarer gewordenen Palaemon so eklatant ist, ist wohl nur ein quantitativer Unterschied. Das hauptsächlich ‚‚spinal‘“ wirk- same Gift Strychnin löst die photischen Reflexe bei Palaemon nicht aus. Auch bei strychninvergifteten Fröschen und Fischen (Kreidl) können durch optische Reize Reflexzuckungen’niemals ausgelöst werden. Literaturverzeichnis. !) Fröhlich, A., und A. Kreidl, Arch. f.d. ges. Physiol. 18%, 93. 1921. — 2) Uexküll, J. v., Zeitschr. f. Biol. 34, 319. 1896. — 3) Hess, C., Arch. f. d. ges. Physiol. 160, 1. 1915. — *) Franz, V., Biol. Zentralbl. 39, 540. 1919. % (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Graz.) Über die Beziehungen zwischen Herzmittel- und physiologi- scher Kationenwirkung. IV. Mitteilung. Über Nichtelektrolytwirkung aufs Herz. Von 0. Loewi. (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Liechtenstein-Spende.) Mit 12 Textabbildungen. (Eingegangen am 22. November 1920.) Mit Rücksicht auf ihr regelmäßiges Vorkommen im Blut ist die Wirkung sog. indifferenter Nichtelektrolyte wiederholt untersucht worden, ohne daß eindeutige Ergebnisse erzielt worden wären. Das liegt zum Teil daran, daß meist verhältnismäßig hohe Konzentrationen angewandt wurden. Dies machte in Versuchen an isolierten, künstlich gespeisten Organen notwendig, daß man, den Tonus der Flüssigkeiten nicht zu beeinträchtigen, dem Zusatz der Nichtelektrolyten entsprechend, die NaCl-Konzentration herabsetzte; dann ist aber nicht ohne weiteres entscheidbar, ob die zu beobachtende Wirkung spezifische Nichtelek- trolytwirkung oder Folge der herabgesetzten NaCl-Konzentration ist. Daß es aber mindestens an gewissen Objekten eine hiervon unabhängige Nichtelektrolytwirkung gibt, geht mit Sicherheit z. B. aus Magnus’!) Versuchen hervor, der eine deutliche Hemmung der Darmbewegung bereits bei Zusatz von 0,02%, Rohrzucker zu Tyrode-Lösung beobachtete. Bei der Durchsicht der auf diesen Gegenstand sich beziehenden Unter- suchungen fiel mir auf, daß Nichtelektrolyten oft — nicht immer z.B. nicht bei Bethes?) Medusenversuchen, eine dem Ca ähnliche Wirkung ausüben: so hemmen sie, wie erwähnt, die Darmbewegung [Magnus loc. eit., Cohnheim?°)], hemmen die durch Ca-Mangel und andere Mittel hervorgerufenen Muskelzuckungen [Henderson‘%)], die sonst nur durch Ca behebbar sind, und erregen andererseits wie gesteigerte Ca-Zufuhr das Herz [Lussana°), Lambert®), Clark”), Carlson®)]. Und zwar läßt sich gerade an diesem letzteren Objekt eine sehr weitgehende Analogie der Wirkung mit der des Ca beobachten, indem beim frischen, mit 106 O. Loewi: Über die Beziehungen Ringer gespeisten Herzen, wie die Wirkung von Steigerung der Ca- Konzentration, innerhalb gewisser Grenzen, so auch die der Nichtelek- trolyten verhältnismäßig geringfügig ist [Clark, Sakai?)], wogegen am erschöpften Herzen beides die Herztätigkeit beträchtlich bessert [Clark, Lambert, Schücking!®)]. Diese Analogie führte mich dazu zu untersuchen, ob zwischen der Wirkung der Nichtelektrolyten und der des Ca irgendein Zusammen- hang besteht. I. Die von Henderson (loc. cit.) gemachte Beobachtung, daß die Oxalatzuckungen des quergestreiften Muskels völlig gehemmt werden bzw. nicht zustande kommen, wenn statt reiner Oxalat-NaCl-Lösung eine solche benutzt wird, in der ein Teil des NaCl durch einen Nicht- elektrolyten ersetzt ist, führte mich zunächst zur Prüfung der Frage, ob die Oxalatwirkung auch am Herzen durch Nichtelektrolyten gehemmt wird; ich wählte dies Objekt, weil an diesem bei einer allfälligen Wirkung von Nichtelektrolyten deren Zusammenhang mit dem Ca, dank unseren ins einzelne gehenden Kenntnissen über die Wirkungsweise und Wirkungsbedingungen des Ca, von vornherein leichter feststellbar schien als am Skelettmuskel. Ersetzt man den Inhalt eines an der Straubkanüle in Ringer schlagenden Herzens durch Oxalat, so tritt bekanntlich sehr rasch Ventrikelstillstand ein. Entleert man nun das Herz und füllt Ringer- lösung ein, so erholt sich das Herz sehr rasch und zwar dauernd, wofern bei der Entleerung nicht genügend Oxalat zurückblieb, das Ca der Ringerlösung auszufällen. Andernfalls tritt nach einiger Zeit wieder Stillstand ein, der aber durch wiederholtes Waschen mit Ringerlösung endgültig behoben werden kann. Füllt man statt Ringerlösung in das oxalatvergiftete Herz NaCl-Lösung ein, so tritt auch Erholung ein (Gros!!)], aber wesentlich langsamer und unvollkommener als bei Ein- füllung von Ringerlösung. Die Ursache dieser Erholung in von vorn- herein Ca-freier Lösung ist, wie Arima!?) zeigen konnte, die Abgabe von Ca aus dem an sich unwirksamen Bestand des Herzens an die NaCl-Füllung. Ich prüfte nun, ob und in welchem Ausmaß ein oxalatvergiftetes Herz sich unter dem Einfluß von Nichtelektrolyten erhole. Zunächst benutzte ich eine mit 0,01% NaHCO, versetzte reine isotonische Nicht- elektrolytlösung. Als Nichtelektrolyten benutzte ich Harnstoff (1,2%), ® Mannit (3%) und reinsten krystallisierten Rohrzucker (6%). Im U wie im Mannit hatte Herr Dr. Lieb die Freundlichkeit, den Ca-Gehalt zu bestimmen: als trockenes CaCl, berechnet, betrug er 1O mg in 100g Substanz. zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 107 In all diesen Lösungen trat, anders als in NaCl-Lösung, fast momentan Erholung des oxalatvergifteten Herzens ein, die auch, anders - als in Ringer, dauernd blieb, und zwar war die Wirkung von Rohrzucker, Mannit, U annähernd gleich (s. Abb.1). In einer NaCl-Lösung von ent- sprechendem, also 0,0001% CaCl,-Gehalt, trat die Erholung kaum schneller und intensiver ein als in NaCl allein. Es war nun zu entscheiden, ob auch diese Erholung durch vom Herzen abgeschiedenes Ca veranlaßt sei. Zu diesem Behuf gab ich auf dem Höhepunkt der Erholung einige Tropfen Oxalat zu: das Herz stand sofort wieder still (s. Abb. 1). Also ist an der Erholung vom Herzen abgeschiedenes Ca be- teilist. Auffallend ist dabei die rasche und intensive Erholung des Herzens im Gegensatz zu der in NaCl-Lösung. | et 4 2. Ursache dessen könnte Abb.1. 1.Ringer. 2.1%, Natr.oxal. 3.0,6% NaCl. 4:4,3% Mannit. a priori sein eine spezi- fische Wirkung des Nichtelektrolyten derart z. B., daß durch ihn die Ca-Abscheidung vom Herzen beschleunigt und vergrößert, oder die Empfindlichkeit des Herzens für Ca gesteigert wird, oder aber der völlige Mangel des dem Ca bekanntlich antagonistischen NaCl bei Verwendung reiner Nichtelektrolytenlösung oder schließlich ein Zusammenwirken beider Faktoren. Behandelt man das Oxalatherz mit NaCl-Lösung, in der die Hälfte des NaCl durch Nichtelektrolyt ersetzt ist, so tritt auch hier die Erholung sehr rasch und fast völlig ein. Aber auch hier brauchte nicht spezifische Nichtelektrolytwirkung, es könnte die herabgesetzte NaCl- Konzentration Ursache der starken Erholung sein. Der Vergleich mit der Wirkung einer gleichkonzentrierten NaCl-Lösung ohne Nicht- elektrolyt ist nicht angängig, weil ja eine derartige NaCl-Lösung nicht nur durch Fehlen des Nichtelektrolyten, sondern auch durch ihren Hypotonus sich von der NaCl-Nichtelektrolytenmischung unterscheiden würde. Es blieb also, um festzustellen, ob der Nichtelektrolyt eine spezifische, von der Herabsetzung des NaCl unabhängige Wirkung übt, nichts anderes übrig, als nach dem Vorgehen von Sakai (loc. cit.) den - NaCl-Gehalt nur so wenig herabzusetzen, daß laut Kontrollversuch diese Herabsetzung an und für sich nicht in Betracht kommt, und das fehlende NaCl durch Nichtelektrolyt zu ersetzen, Zu diesem Zweck verglich ich die erholende Wirkung auf ein oxalat- stillstehendes Herz einer 0,5%, NaCl, einer 0,7% NaCl-Lösung und einer 0,5% NaCl-Lösung mit einem mit 0,2% NaCl isotonischen Zusatz von Mannit. Wie Abb. 2 zeigt, ist die Wirkung der 0,7% und 0,5% NaCl 108 O. Loewi: Über die Beziehungen annähernd gleich, wogegen die der Mannit-NaCl-Mischung unvergleich- lich stärker ist als beide. Da sie nun einerseits ebensowenig NaCl hält wie die 0,5% und isotonisch ist mit der 0,7%, kann die stärkere Wirkung weder Folge des schwächeren NaCl-Gehaltes noch der Isotonie, sie muß vielmehr in diesem Versuche alleinige Folge einer spezifischen Wirkung sein, und zwar, da sie mit Oxalat, wie wir sahen, aufhebbar ist, in einer Beeinflussung der Ca-Wirkung bestehen. Mit Rücksicht darauf, daß von manchen Seiten (z.B. Gros) die Oxalatwirkung nicht ausschließlich auf Ca-Fällung zurückgeführt wird, I ‚| m A, m ML | u RR, pi In N ) ki I | u Ki I: 3% 4. 5. 4. 5. Abb. 2. 1. Ringer. 2. 1%, Natr. oxal. 3. 0,7%, NaCl. 4. 0,5%, NaCl. 5. 0,5%, NaCl + 1%, Mannit. wurde die Wirkung von Nichtelektrolyten auch bei gleichzeitig Ca-freier Füllung untersucht, wobei ja bekanntlich immer Spuren von Ca vom Herzen in diese abgeschieden werden und wirksam sind. In einer ersten Reihe von Versuchen wurde Ringer ohne Ca, also K-hältige Lösung, benutzt und die Wirkung 0,5% und 0,7% NaCl verglichen mit der von 0,5% NaCl mit 1% Mannit. In diesen Versuchen zeigte sich in der Regel kein Unterschied, ob Mannit in der angegebenen Konzentration in der Lösung vorhanden war oder nicht. Mitunter sind die Kontraktionen in Ca-freiem Ringer bei Nichtelektrolytgegenwart größer (s. Abb.4b). Mit Rücksicht darauf, daß eine etwaige Wirkung durch K-Gegenwart verdeckt sein könnte, wurde daher in weiteren Versuchen das K weggelassen, also nur 0,5% bzw. 0,7%, NaCl-Lösung verglichen mit 0,5% NaCl mit 1% Mannit oder mit 0,4% Harnstoff (Abb. 3). Der Versuch wurde derart'durchgeführt, daß die Ringerlösung durch die Lösung, deren Wirkung untersucht werden sollte, jeweilen ersetzt und diese Lösung noch zweimal gewechselt wurde. Mit der letzten Füllung schlug das Herz dann 5’ lang, um den Grad der Erholung, der ja vom Ca-Gehalt der Füllung abhängt, bei den verschiedenen Regimes zu vergleichen. Abb. 3 zeigt, daß in mannithaltigem NaCl sowohl die Abnahme der Pulsgröße kleiner, als der Grad der Erholung intensiver war als bei 0,5% bzw. 0,7% NaCl; da deren Wirkung annähernd gleich, ist die stärkere zwischen Herzmittel- u. physiol. Kationenwirkung. Wirkung der Mischung, ebenso wie bei den Oxalatversuchen, auf spezifische Nichtelek- trolytwirkung zurückzuführen. In anderen Versuchen wurde abwechselnd 0,5% NaCl-Lösung und 0,5% NaCl-Lösung mit 1% Mannit bzw. 0,4% Harnstoff ein- gefüllt. Gleichzeitig wurde die Wirkung einer Ca-Konzentration verglichen, soviel Ca ent- haltend wie die benutzte Mannitlösung, _ doppelt soviel wie die benutzte U-Lösung. Abb. 4a u. b zeigt, daß die Kontrak- tionen bei Gegenwart des Nichtelektrolyt wesentlich größer sind als in NaCl-Lösung (4a), bzw. Ca-freiem Ringer (4b). Da Ringer mit dem gleichen, bzw. doppelten Ca-Ge- halt, wie der der Nichtelektrolyten so gut wie wirkungslos ist, kann die Wirkung der Nichtelektrolyten nicht auf deren Ca-Gehalt bezogen werden. Die Tatsache, daß Nichtelektrolyten schon in so geringer Konzentration, wie in den ebenerwähnten Versuchen, und inisotonischer Ca-freier Lösung viel größere Pulse erzeu- gen als die gleiche Ca-freie Lösung ohne Nichtelektrolyten, zwingt zu Bedenken gegen die Deutung bestimmter Versuche, die jüngst Pietrkowski!?) mitgeteilt hat, und gegen daraus gezogene bedeutsame Folgerungen. Pietrkowski fand, daß die Kontraktionen des Froschherzens in einer mit 3—5% Rohr- zucker hypertonisch gemachten Ca-freien Ringerlösung, die zudem mit überschüssigem Oxalat versetzt wird, wesentlich größer sind als in soleher ohne Rohrzuckerlösung. Er schloß daraus, daß Hypertoniewirkung ge- wissermaßen mechanisch die Ca-Wirkung ersetzen kann. Nun ist es mir zunächst niemals gelungen, bei Gegenwart von Oxalat einen Unterschied in der Wirkung von 5% rohrzuckerhältiger und einfacher Ca-freier Ringerlösung zu sehen: in beiden Fällen bleiben die Pulse gleich minimal. Anderer- == = = = = == — = = — = m — —— BZ M uf" VUN | U ) NaCl + 1% Mannit. 4. 0,59%, % Nacl. ‘ 3.0, Nacl. 0/ 0,5%, 0) -. 1. Ringer. Abb. 3. 110 O. Loewi: Über die Beziehungen seits habe ich überhaupt Unterschiede zwischen nichtelektrolythaltiger und -freier, Ca-freier Lösung immer nur gesehen, solange entweder von früherer Ca-hältiger Speisung noch Ca-Reste vorhanden waren, bzw. das Herz noch inder Lage war, Caausseinem Bestand andie Füllungabzugeben. Il; 2. 2. 8. 3. 2. En Abb. 4a. 1. 0,6% NaCl. 2. Dasselbe mit 0,0001% CaCl,. 3. Dasselbe mit 0,4% U. il- 1. 1. 2. 1; a le Da 8. Abb. 4b. 1. Ca-freier Ringer. 2. Ringer mit 0,0001% CaCl,. 3. Ca-freier Ringer mit 1% Mannit. Eine gute Illustration hierzu liefert Abb. 5: Identisch wie bei Pietrkowski (loc. cit. Kurve3 und 4, S. 309) ist auch hier der Abfall der Kurve beim Übergang von Ringer zu zucker- haltigem Ca-freiem Ringer viel weniger steil als beim Übergang zu ein- fachem Ca-freiem Ringer. Wenn nun die größeren Pulse wirklich von der Hypertonie der Lösung und nicht von deren Ca-Gehalt, der von der früheren Ringerlösung herrührt und nach einmaligem Wechsel natürlich noch beträchtlich ist, herrühren würden, müßten natürlich auch beim Übergang von Ca-freiem Ringer zu zuckerhaltigem Ringer die Pulse wieder beträchtlich an Größe zunehmen. Abb. 5 zeigt, daß das Gegenteil der Fall ist: die Pulse sind nur ganz wenig größer geworden, um so viel wie wir das auch in den früheren Versuchen mit isotonischer Lösung gesehen haben. Nun unterscheiden sich aber die Bedingungen, unter denen wir zum zweiten Male den hypertonischen Ca-freien Ringer ein- führten, nur dadurch von denen beim ersten Male, daß dort durch vor- gängige Behandlung mit Ca-freiem Ringer das von der Ringerfüllung herrührende Ca nur noch in minimaler Menge vorhanden war. Daraus aber können wir schließen, daß bei Pietrkowski die großen Pulse in der hypertonischen Lösung nicht durch die Hypertonie, sondern durch spezifische, auch in isotonischer Nichtelektrolytlösung bei Ca-Gegenwart beobachtete Nichtelektrolytwirkung bedinst war. zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. al Die Gebundenheit der Nichtelektrolytwirkung an die Gegenwart von Ca wird auch durch folgenden Versuch bewiesen: es wurde ein Herz durch lange dauernde Ringerspülung erschöpft (‚„,nypodynam‘“ gemacht). Nun wurde einige Male Ca-freier Ringer eingebracht. Isotonische Mannit- lösung änderte nichts an den kleinen Pulsen. Nun wurde Ringer eingebracht: die Pulse wurden etwas größer. Als aber danach — also bei Vorhanden- sein von Ca-Resten — Mannit eingebracht wurde, wuchsen sie fast auf die Größe der anfänglichen. Auch ein weiterer Versuch Pietrkowskis ist nicht notwendigerweise in seinem Sinn deutbar. Pietrkowski beobachtete, daß Strophantin in caleiumfrei gespeisten Herzen, bei denen ich niemals nennenswerte Contractur eintreten sah [Lo ewi!®)], zu Contractur führt, wofern dem Ca-freien Ringer 5%, Rohrzucker zugesetzt werden. Auch dies Er- gebnis führt er auf die hypertonische Natur der Füllung zurück, die der durch Ca-Freiheit des Ringers bedingten Quellung entgegenwirke. Nach meinen oben mitgeteilten Versuchen aber war auch hier a priori anzunehmen, daß nicht die Hypertonie, sondern die spezifische Nichtelektro- lytwirkung Ursache des Contractureintritts sei. Dies zu prüfen wusch ich ein Herz wiederholt mit einer 1% Mannit hältigen, Ca-freien Ringerlösung und setzte dann 0,02 mg Strophanthin zu. Im 3. Ca-freier Ringer. — z s 8 1 a u, A f n 3 : 2 © = ai ai 3, Ca-freier Ringer mit 5% Sacharose. BRD, ON N I\ Gegensatz zu nichtelektrolytfreiem, Ca - freiem “ Ringer trat hier Contractur ein. Also auch hier x wirkt der Nichtelektrolyt als solcher und wir 1S brauchen darum auch in Pietrkowskis Ver- = suchen die Contractur nicht als Folgewirkung der Hypertonie zu betrachten. Es fragt sich nun, wie die Nichtelektrolyt- wirkung zu erklären ist. Wir sahen zunächst, daß sie gebunden ist an die Anwesenheit von wirk- samem Ca und daher ganz, bzw. fast ganz aufge- hoben wird, bzw. nicht eintritt unter denselben Bedingungen, die die Ca-Wirkung hemmen (Oxalat, Ca-freies Regime). Danach brauchte sie mit dem Ca selbst nichts zu tun zu haben. Es könnte die Anwesenheit von Ca nur eine Wirkungs- bedingung sein, etwa so, wie sie es für die Umsetzung von chemischer in mechanische Energie am Herzen ist [Locke und Rosenheim°®), a 112 O. Loewi: Über die Beziehungen Mines!°?), Pietrkowski) Andererseits aber sahen wir bis jetzt schon, daß die Nichtelektrolytwirkung bei Gegenwart von Ca unter dem Bild ai Bei allen drei 0,001%, CaCl.. 3. 0,5% NaCl + 1% Mannit. 2. 0,5%, NaCl. 1. 0,7%, Nacıl. Abb. 6. gesteigerter Ca-Wirkung sich äußert. (Be- schleunigung und Steigerung der Erholung von der Oxalatvergiftung, Steigerung der Selbst- erholung bei NaCl-Regime usw.) Natürlich kann man darin einen Zufall erblicken; wahr- scheinlicher aber ist die Annahme, daß das gleiche Wirkungsbild nichts Zufälliges ist, son- dern daß es dadurch zustande kommt, daß die Nichtelektrolyten die Wirkung von Ca steigern. Bevor aber diese Annahme gemacht wer- den darf, muß festgestellt werden, ob in den bisherigen Versuchen (Selbsterholung und Er- holung von der Oxalatvergiftung) die Nicht- elektrolyten nicht etwa nur dadurch wirkten, daß sie irgendwie eine raschere und vollständi- gere Abscheidung des Ca aus dem Bestand des Herzens in die Ca-freie Füllung herbeiführten. Wenn dem nicht so ist, müßte auch bei einem gegebenen COa-Gehalt der Füllung dessen Wir- kung durch Nichtelektrolyten verstärkt werden. Dies zu prüfen, habe ich die Wirkung einer für das Herz nicht optimalen Ca-Konzentration (0,0001%) in 0,5% bzw. 0,7% NaCl enthalten- dem Ringer mit der der gleichen in 0,5% NaCl enthaltendem Ringer mit 1% (0,2% NaCl ent- sprechend) Mannit verglichen (Abb. 6). In der 0,5% NaCl enthaltenden Lösung sind — offenbar infolge des geringen NaCl-Gehaltes und damit stärkerer Ca-Wirkung —- die Pulse etwas größer als in der 0,7% NaCl enthaltenden. Wesentlich größer aber sind sie in der 0,5%, NaCl und 1%, Mannit hältigen (s. Abb. 6). Danach dürfen wiraberannehmen, daßauch in denobigen Versuchen nicht stärkere Ca-Freimachung, son- dern, wie hier, gesteigerte Ca-Wirkung vorliegt. Nachdem diese in hohem Maße wahrschein- lich gemacht, dürfte sie auch bei den folgen- den Versuchen eine gewisse, wenn auch nicht die Hauptrolle spielen. Es wurde oben gezeigt, daß am oxalatvergifteten Herzen reine Nicht- elektrolytlösung wieder zu normaler Pulsation führt. Das gleiche ist zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 113 der Fall, wenn nach wiederholter Waschung mit Ca-freiem Ringer Nichtelektrolyt eingefüllt wird. Unter diesen Umständen fehlt jede Andeutung von Contractur. Wechselt man dagegen bei einem in Ringerlösung schlagenden Herzen den Inhalt gegen isotonische Nicht- elektrolytlösung aus, so bleiben die Pulse zunächst unverändert, nach wenigen Sekunden bis Minuten aber tritt eine rasch zunehmende, nicht maximale Contractur ein. Gibt man in diesem Stadium 0,1 cem 0,01% CaCl, zu, so daß die Füllung die Ca-Konzentration der Ringer- lösung gewinnt, so wird die Contractur viel stärker (s. Abb. 7).. Aus Abb.7 darf man wohl schließen, daß auch die ohne Ca-Zusatz bei Übergang von Ringer zu Nichtelektrölytfüllung auftretende Contractur eine Ca-Contractur ist, zumal sie fehlt, wenn vorher Ca-freies Regime bestand. Die nächstliegende Erklä- rung für diese Contracturen ist wohl die, daß die Wirkung der noch in der Füllung befindlichen Ca-Reste infolge Fehlens des Ca-Antagonisten NaCl übermäßig ist. Gegen diese ı. 2. 3. ee Deutung könnte sprechen, daß bei 4bb.7. Erz 2.3% en: 3. + 0,lccm Entleerung des Herzens, das durch -» Se ea Ca-Zusatz zur Nichtelektrolytlösung stark contracturiert ist, Nachlaß der Contractur (Abb. 6) eintritt, während sonst, wenn ein Herz unter starker Ca-Wirkung steht, wie bei Verwendung sehr Ca-reichen Ringers, oder während Digitaliswirkung, Entleerung die Contractur steigert [Loewi?®!)]. Die Erklärung für diese scheinbar abweichende Erscheinung ergibt sich aber aus dem Folgenden: Gibt man in dem Stadium, wo das Herz durch Zugabe von 0,1 ccm 0,1% CaCl, zu der Nichtelektrolytfüllung stark contracturiert ist, zur Füllung 0,1 ccm 0,1%, KCl (Konzentration der Ringerlösung) hinzu, so tritt, wie während der Digitalis- oder der durch sehr hohe Ca-Konzentration bewirkten Contractur, nicht Lösung, sondern eine weitere Steigerung der Contractur ein. Entleert man das Herz, so löst sich die Contractur (s. Abb. 8). Diese K-Contractur tritt nur nach vorgängiger Ca-Behandlung ein. Gibt man ohne diese während des Nichtelektrolyt-Regimes K, so sinken die Pulse ab (s. Abb. 9). Es war nun die Möglichkeit gegeben, daß auch die Contractur- lösung, die, wie wir sahen, bei Entleerung des nicht unter kom- binierter Ca- und K-Behandlung, sondern nur unter Ca-Behandlung stehenden Herzens eintritt, durch K bedingt sei, und zwar durch die Spuren, die von der letzten Ringerfüllung her in der Nichtelektrolyt- füllung noch vorhanden sind. Dies zu prüfen, wusch ich vor der Nicht- elektrolytfüllung das Herz wiederholt mit K-freiem Ringer aus. Wurde jetzt auf der Höhe der Nichtelektrolytwirkung Ca gegeben und nunmehr Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. i 8 114 O. Loewi: Über die Beziehungen das Herz entleert, so trat in der Tat bei der Entleerung nicht Lösung, sondern, wie wir das früher als Wirkung des reinen Ca beschrieben haben, weitere Contractur ein. Diese Beobachtungen am Herzen, das unter reinem Nichtelektrolyt- regime steht, bilden zwar keinen zwingenden Beweis dafür, daß die Nichtelektrolyten die Ca- Wirkung steigern. In die- sen Versuchen könnten die beobachteten Wirkungen ausschließlich Folge des Wegfalls des Ca-hemmen- den NaCl sein, eine Wir- kung, die uns in der Regel Abb. 8. 1. Ringer. 2. 3% Mannit. 3. + 0,1 ccm 0,01 CaCl],. x 3 4. + 0,1 cem 0,01% KCı. nicht zum Bewußtsein kommt, da wir ausschließ- lich mit NaCl-Lösungen arbeiten*). Immerhin liefern sie im Zusammen- hang mit den oben mitgeteilten Versuchen eine gute Stütze für diese Anschauung. Es fragt sich nun, wie mit dem hier gewonnenen Ergebnis, wonach Nichtelektrolyten für Ca sensibilisieren, vereinbar ist, daß Clark mit >. 3 4. — 2 + Rohrzucker und Sakai mit Rohrzucker, Traubenzucker und U in ihren unge Ian lo il 2. 3. Abb. 9. 1. Ca-freier Ringer. 2. 3% Mannit. 3, + 0,1 ccm 0,01% KCl. Versuchen, in denen sie NaCl durch Nichtelektrolyten ersetzten, keinerlei spezifische Wirkung der Nichtelektrolyten beobachteten, daher beide eine solche leugneten. Auch Lussana sah am frischen Herzen keine Wirkung von Aminosäuren. Auch ich beobachtete keinerlei Änderung, *) Von welcher Bedeutung das Fehlen der Antagonisten des Ca unter Um- ständen sein kann, geht aus folgendem hervor: Schon Clark hat gezeigt, daß ein durch Dauerspülung völlig erschöpftes Herz, das in Ringer kaum mehr schlägt, bei Steigerung der Ca-Konzentration wieder kräftig schlägt. Dasselbe erreicht man durch Weglassen des KCl aus dem Ringer und auch durch Speisung mit . reinem Nichtelektrolyt. Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die Erschöpfung des Herzens infolge lange fortgesetzter Spülung mit Ringer, und zwar infolge Verlustes an ätherlöslicher Substanz (Clark), im wesentlichen zu einer gesteigerten Wirksamkeit der einwertigen Kationen Na und K infolge unzureichender Ca- Wirksamkeit führt. zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 115 wenn ich einen Teil des NaCl der Ringerlösung durch Nichtelektrolyten ersetzte. In diesem Versuch, wie in den Versuchen von Clark, Sakai und Lussana, kamen im Gegensatz zu den obigen Versuchen, in denen ich die Verstärkung der Ca-Wirkung nachweisen konnte, die Nicht- elektrolyten bei gleichzeitiger Gegenwart von Ca in physiologischer Konzentration zur Wirkung. Nun kann man aber bekanntlich in Ringerlösung die Konzentration von Ca um ein Mehrfaches steigern, ohne daß es zu einer Änderung der Herztätigkeit kommt, während bei Fehlen von Ca oder bei unzureichender Wirksamkeit, wie am erschöpften Herzen, die geringste Steigerung sich deutlich ausprägt. So ist es ohne weiteres verständlich, daß die gesteigerte Wirkung sich hauptsächlich bei Ca-armem oder -unwirksamem Regime zeigt (Lambert, Lussana, Clark, Schücking, diese Untersuchung). oo) ER Die Beobachtung, daß die nicht oberflächenaktiven Nichtelektrolyten die Eigenschaft gemeinsam haben, die Ca-Wirkung am Herz zu steigern, legte den Gedanken nahe, zu prüfen, ob es sich um eine ganz allgemeine Nichtelektrolytwirkung handle, die darum auch vielleicht bei den oberflächenaktiven Nichtelektrolyten nachweisbar sei. Eine direkte, günstige Herzwirkung ist nur vom Alkohol bekannt. Sie ist bisher nicht regelmäßig erhalten worden und wenn überhaupt, hauptsächlich an schlecht genährten Herzen, so daß daran gedacht wird, daß die erregende Wirkung des Alkohols auf seiner Eigenschaft als Nährstoff beruht!”). Sonst ist von allenfalls Hierhergehörigem mir nur bekannt, daß Chloralhydrat in sehr hoher Konzentration (2%, in Ringer) eine Contractur des Herzmuskels herbeiführt [Fröhlich und Pick*P)]. Ich untersuchte die Wirkung von Alkohol (0,5%), Äther (0,25%), Urethan (1%). Die angewandten Konzentrationen, von mir auf gut Glück geprüft, sind unphysiologisch hohe, doch kam es mir nur auf eine grundsätzliche Feststellung an. Zunächst wurde dieWirkung der Narcotica in Ringerlösung untersucht. Estratregelmäßig eine mehr oder minder starke reversibleTonussteigerung ein. Diese Wirkung mag im Vergleich mit der der indifferenten Nicht- elektrolyten nur einen quantitativen Unterschied bedeuten, da wir höhere Konzentrationen von diesen wegen ihrer isotonieändernden Wirkung nicht anwenden konnten (s. Abb. 10). Genau wie bei den indifferenten Nichtelektrolyten, ruft Zugabe von CaCl2 und KCl auf der Höhe der primären, in diesem Fall durch Äther gesetzten Contractur, eine weitere hervor, die bei Entleerung sich löst, um bei Wiederfüllung sich wieder einzustellen. Auswaschung mit Ringer führt sofort wieder zu normaler Herztätigkeit (s. Abb. 10). Die Bilder, die man mit Alkohol und Urethan erhält, sind grundsätzlich identisch, 116 O. Loewi: Über die Beziehungen wenn auch in Einzelheiten mitunter, und zwar nicht charakteristisch für ein- und das gleiche Narcoticum, verschieden. Häufig beobachtete ich (siehe Abb. 11) in Bestätigung eines von Löb??2) erhaltenen Befundes, daß im Anschluß an eine selbst nicht steigernde Narcotica- dose, Ringer nachträg- lich viel größere Pulse machte als zuvor. Auch bei Ca-armem Regime ist die Wirkung der Narcotica ganz iden- tisch der der indifferen- 12: 3. 4. 14. 11. Abb. 10. 1. Ringer. 2. Ringer mit 0,25% Äther. 3. + 0,lccm u Nichtelektrolyten. 0,01% CaCl.. 4. + 0,1 ccm 0,01%, KCl. So steigern sämtliche Nareotiea die Größe der Herzkontraktionen bei NaCl-Regime. Als einziges Beispiel gebe ich in Abb. 12 des Interesses halber einen Alkoholversuch wieder. 1; 1. 2» 1. Ile Abb. 11. 1. Ringer. 2. Ringer mit 0,5% Alkohol. Für die meisten Narkotica war eine derartige Wirkung bisher über- haupt noch nicht festgestellt. Die Frage, ob die therapeutische Wirkung des Alkohols mit der hier beobachteten etwas zu tun hat, muß offen I 2. 2, 2 2, 3. 3. 8. > 2. Abb. 12. 1. Ringer. 2. 0,6% NaCl. 3. 0,6% NaCl mit 0,5% Alkohol. bleiben, mit Rücksicht darauf, daß die dosologische Seite des Problems in unseren Versuchen außer acht blieb. Jedenfalls ergibt sich aus den mitgeteilten Versuchen eine Wesensgleichheit in der Wirkung der capillaraktiven und -inaktiven Nichtelektrolyten nach der hier unter- suchten Richtung. zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 1307 Die bisher mitgeteilten Versuche waren in der Zeit von Januar bis Juni angestellt worden. Mit Rücksicht darauf, daß die Digitaliskörper im Sommer wesentlich schwächer wirksam sind als sonst, stellte ich nun sowohl mit indifferenten als mit differenten Nichtelektrolyten im August noch einige Versuche an. Wechselte ich Ringer gegen Ringer mit 0,25%, oder auch 0,5%, Äther, so trat nunmehr keine Andeu- tung der oben beschriebenen Contractur ein, auch nicht nach Zusatz von CaCl?”. Auch die Wirkung reinen Mannitregimes war wesentlich abgeschwächt: es trat wohl eine Contractur ein, dieselbe war aber wesentlich schwächer als die in den Versuchen bis zum Juni eingetretene. Auch Zusatz von CaCl, war wesentlich weniger wirksam: einmal war die Contractur ganz geringfügig, zum anderen machte Zusatz von KCl, nicht die, wie wir sahen, für starke Ca-Wirkung charakteristische weitere Contractur. Wir haben also im Sommer die gleiche Unempfindlichkeit des Herzens gegenüber differenten wie indifferenten Narkoticis, wie sie ihm gegenüber den Digitaliskörpern (vgl. z. B. Gottlieb??)] zu eigen ist. 1DdR Wir haben nunmehr bereits 3 Gruppen von Körpern kennen gelernt, die in annähernd gleicher Weise das Bild bieten, als ob sie die Empfäng- lichkeit des Herzens für den Ca-Reiz steigerten: die Digitaliskörper, die indifferenten und die oberflächenaktiven Nichtelektrolyten. Alle 3 Gruppen spielen, wenn auch in quantitativ ungleichem Ausmaß in der Klinik eine Rolle als fördernde Herzmittel. Von den oberflächen- aktiven Nichtelektrolyten werden in diesem Sinne angewandt nur der Alkohol, allenfalls Äther, dessen direkte Herzwirkung bestritten ist. Von den indifferenten Nichtelektrolyten hat man bekanntlich seit Locke®3) im Experiment Glukose angewandt, die neuerlich von Büdingen?°*) auch klinisch warm empfohlen wird. Ihre Wirkung wird seit Locke und Rosenheim?) auf ihre leichte Verbrennbarkeit zurück- geführt. Wir haben aber oben bereits erwähnt, daß auch die nicht ver- brennbaren Nichtelektrolyten sich vielfach günstig für die Herztätigkeit erwiesen haben und zwar ziemlich unterschiedslos, ob es Rohrzucker oder Harnstoff war [Lussana, Lambert, Backman!?)]. Die Franzosen wenden sie neuerdings auch in der Klinik in Form intravenöser Injektionen an®). Danach liest es natürlich nahe, einen Kausal- zusammenhang zwischen der therapeutischen und der hier festgestellten Wirkung anzunehmen, zumal ich vor kurzem?°) einen solchen für die Digitaliskörper in hohem Maße wahrscheinlich machen konnte. Die andersartige Auffassung von Pietrkowski glaube ich oben genügend widerlegt zu haben. Wir kommen nunmehr zur Frage nach dem Zustandekommen der gesteigerten Ca-Wirkung. 118 O. Loewi: Über die Beziehungen Was die durch Digitalis bedingte anbetrifft, so hat Pietrkowski?!) gefunden, daß Strophantin eine Fällung in kolloidalen Systemen (Gold - sole) herbeiführt. Er fand allerdings dadurch keine Sensibilisierung für Elektrolyte, wie sie Freundlich und Rona??) sowie Meyerhof?®) bei anderen oberflächenaktiven Substanzen (Narkotica) fanden, hat aber nur KCl, nicht CaC], untersucht und ist auch selbst der Meinung, daß in anderen kolloidalen Systemen eine Sensibilisierung nicht ausgeschlossen sei. Uns interessiert hier auf Grund der mitgeteilten Befunde in erster Linie der Mechanismus der Wirkung der Nichtelektrolyten und es ist nunmehr zu untersuchen, ob die Vorstellungen, die man sich über ihren Wirkungsmodusin anderen Systemen gebildet hat, auch für das vor- liegende möglicherweise gelten. Dabei muß vorausgeschickt werden, daß, wenn auch die Erscheinungsweise der Wirkung capillaraktiver und -inak- tiver Nichtelektrolyten in unseren Versuchen sehr ähnlich ist, doch das Zu- standekommen der Wirkung nicht notwendigerweise das Gleiche sein muß. a) Die nicht oberflächenaktiven Nichtelektrolyten. Suchen wir nach einem anderen Objekt, an dem wiederholt und eingehend die Wirkung von Nichtelektrolyten untersucht worden ist, so stoßen wir zunächst auf die Blutkörperchen. Miculiecich?”) hat gefunden, daß Blutkörperchen in reiner isotonischer Nichtelektrolyt- lösung wesentlich resistenter gegen die verschiedenen Hämolytica, sowohl die narkotischen, wie das Saponin, sind, als in den Lösungen irgendwelcher Elektrolyten. Die Ursache der größeren Resistenz in reinem Nichtelektrolyt-Milieu mag darauf beruhen, daß einerseits darin die Ionenzusammensetzung der Blutkörperchen nicht verändert wird, weil keine Ionen in der Lösung sind, wogegen die der Blutkörperchen könnten ausgetauscht werden. Ferner bleiben die Blutkörperchen möglicherweise dadurch in Nichtelektrolytlösungen intakt, daß infolge der Nichtladung.der Nichtelektrolyten keine Entladung mit möglichen schädlichen Folgen für die Permeabilität auftritt. In Ringerlösung lassen die Blutkörperchen z. B. Eiweiß austreten [Scott?”?)]. Jedenfalls sind reine Nichtleiter, worauf Höber?s) (S. 493) zur Er- klärung der Miculiciehehen Befunde hinweist, relativ unwirksam bei Kolloidfällungen. In Analogie hierzu könnte man daran denken, daß, wie der Zustand der Blutkörperchen in reinen Nichtelektrolyten mehr als in Elektrolyten intakt bleibt, und dadurch ihre Resistenz gesteigert wird, so auch der des Herzens intakt bleibt oder gar gebessert wird, was sıch allenfalls in einer größeren Erregbarkeit äußern könnte. Aber schon dabei bliebe ungeklärt, warum sich die größere Erregbarkeit gerade für den Cal- ciumreiz zeigt. Es gibt aber noch weitere Bedenken gegen diese Annahme. Es ist willkürlich eine Analogie gerade mit dem Verhalten der Blut- körperchen aufzustellen. Es ist die Wirkung von reinen Nichtelektrolyt- zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 119 lösungen auch auf quergestreifte Muskeln untersucht worden und dabei hat sich herausgestellt, daß diese in kurzer Zeit völlig unerregbar werden: und zwar dadurch, daß sie ihre Elektrolyten, insbesondere das NaCl, an die Nichtelektrolytlösung abgeben. Beweis: Zusatz von geringen NaCl-Mengen zu dieser, erhält sie’ erregbar??). Muskel und Blutkör- perchen verhalten sich also gerade entgegengesetzt. Welchem von beiden Typen das Herz folgt, läßt sich aber a priori nicht sagen. Wie wenig es erlaubt ist, von dem Verhalten eines Organs auf das eines anderen zu schließen, geht, um nur eine von anderen und auch von uns in dieser Untersuchung gemachte Erfahrung anzuführen, daraus hervor, daß der Harnstoff sowohl in quere Muskeln, als in Blutkörperchen rasch eindringt, während er am Herzen osmotisch wirksam ist wie Salze. Aber noch aus einem anderen Grund verbietet sich die Analogisierung mit den Blutkörperchen. Es liegt doch von vornherein nahe, anzunehmen, daß der Wirkungs- mechanismus reiner Nichtelektrolytlösung und der von Nichtelektrolyt- beimischung, welche beide wir in bezug auf Ca-Sensibilisierung, wenn auch in quantitativ verschiedenem Ausmaß, wirksam gefunden haben, grundsätzlich in beiden Fällen der gleiche ist. Bestünde nun eine Analogie in der Nichtelektrolytwirkung auf Blut- körperchen und Herz, dann müßte, so wie wir es am Herzen gesehen haben, bloße Nichtelektrolytbeimischung die Resistenz von Blut- körperchen steigern. Dies zu prüfen, wurden Versuche über die Resistenz von Blut- körperchen gegenüber Hypotonus angestellt, wobei die in NaCl ge- waschenen Blutkörperchen vergleichsweise in NaCl, NaCl + Glukose, CaCl,, CaCl, + Glukose, und Glukose suspendiert waren. In NaCl- Glukosemischung trat die Hämolyse an der gleichen Grenze ein, wie in reiner NaCl-Lösung, in Ca-Glukoselösung früher als in reiner Ca- oder Glukose-Lösung. Die bloße Beimischung von Nichtelektrolyt ist also bei Blutkörperchen unwirksam. Es muß demnach der Modus der Wirkung am Herzen und an den Blutkörperchen verschieden sein. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß dieser Satz nur für die eben angeführte, den Herzversuchen absichtlich gleichgehaltene Versuchs- anordnung gilt. Vorbehandlung mit reiner Glukose steigert, verglichen mit Vorbehandlung mit NaCl-Lösung, die Resistenz von Blutkörperchen gegenüber nachträglicher Behandlung mit hypotonischer NaCl-Lösung [Snapper°*), eigene Versuche]. Auf der Suche nach anderen Erklärungsmöglichkeiten für die Wir- kungsweise der capillarinaktiven Nichtelektrolyten stieß ich auf Versuche von Carlson?), der an Limulusherzen besondere Nichtelektrolyt- wirkungen beobachtete.- Er fand, in Erweiterung von Versuchen von Arrhenius, Abegg und Hedin, daß Elektrolyten in Nichtelektrolyt- 120 O. Loewi: Über die Beziehungen lösungen langsamer hineindiffundieren, als in Wasser, und zwar die Katio- nen Ca und Ba wesentlich langsamer alsNaund K. Danach könnte mansich allenfalls vorstellen, daß in unseren Versuchen mit nichtelektrolythaltigen Ca-freien Lösungen, das vom Herzen abgegebene Ca länger mit der Herz- oberfläche in Berührung bleibt und so stärker wirkt. Aber einerseits sind die von uns angewandtenNichtelektrolytlösungen viel zu wenig konzen- triert, als daß sie einen nennenswerten Einfluß auf die Diffusionsgeschwin- digkeit ausüben könnten, andrerseits trat ja auch eine stärkere Wirkung von von vornherein in der Nichtelektrolytlösung vorhandenem Ca ein. Von weiteren Möglichkeiten ist die von Kruyt und Dean?) und neuerdings von Freundlich und Rona?”), sowie Meyerhof?®) beobachtete Sensibilisierung der kolloidausflockenden Elektrolytwirkung durch Nichtelektrolyten in Betracht zu ziehen. Diese scheint aber nicht für oberflächeninaktive Nichtelektrolyten (Lit. bei Kruyt und Dean, eigene Versuche an chlorfreigewaschenem Liquor ferri hydroxydati dialysati) zu gelten. Schließlich ist daran zu denken, daß sämtliche untersuchten indif- ferenten Nichtelektrolyten — genauer untersucht ist es namentlich für den Zucker und für den Mannit — mit Salzen, besonders mit denen des Calcium, Verbindungen, bzw. Additionsprodukte bilden; diese könnten vielleicht infolge besonderer physikalischer Eigenschaften anders wirken als die reinen Salze. Jedenfalls hat Schücking (loc. cit.) einen großen Unterschied in der Herzwirkung zugunsten des Caleciumsacharats gegen- über reinem Ca gesehen. b) Die oberflächenaktiven Nichtelektrolyten. Im Gegensatz zur Beimischung oberflächeninaktiver Nichtelektro- lyten steigert die oberflächenaktiver in geringen Konzentrationen die Resistenz von Blutkörperchen gegenüber Hypotonus [Arrhenius und Bubanovic?), von Knaffl?P)]. Vielleicht lassen sich die zur Er- klärung dieser Wirkung vorgebrachten Vorstellungen wenigstens zur Erklärung der beobachteten Herzwirkung der Narkotica heranziehen. Joel!*), der gezeigt hat, daß nichtlösende Konzentrationen von Narkoticis den Austritt von Elektrolyten aus leicht geschädigten Blut- körperchen hemmen, erklärt die gesteigerte Resistenz durch eine infolge Adsorption der Narkotica bedingte Verdichtung der Zelloberfläche. Das Verständnis eines derartigen Vorgangs ist in jüngster Zeit durch die oben erwähnten Untersuchungen von Kruyt und Dean, sowie Rona und Freundlich gefördert worden, die, wie wir sahen, fest- stellten, daß die capillaraktiven Nichtelektrolyten (z. B. Narkotica) Kolloide für die ausflockende Wirkung von Elektrolyten sensibilisieren. Was speziell die uns hier interessierende Frage, nämlich die nach der Förderung der ausflockenden Wirkung des Ca anbetrifft, so ergaben zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. 121 dieVersuche vonKruytund Dean, daß der Fällungsgrenzwert gerade der 2wertigen Kationen, also auch des Ca, nicht nur nicht erniedrigt, sondern erhöhtwird. Freundlich und Rona, die als Kolloid Ferrum dialysatum wählten, haben das Ca nicht ins Bereich der Untersuchung gezogen. Eigene Untersuchungen, analog denen von Freundlich und Rona angestellt, ergaben keine stärkere Sensibilisierung für die Ca-, als für die Na-Wir- kung. Also auch aus diesen Versuchen können wir keinen Anhaltspunkt für die Erklärung des von uns beobachteten Phänomens gewinnen. von Knaffl?°) führt auf Grund von Hämatokrituntersuchungen die durch schwache Narkoticakonzentrationen bedingte Hemmung der Hypotoniehämolyse auf eine durch diese bedingte Protoplasmaent- quellung zurück. Nun könnte man sich vorstellen, daß dadurch die „diehtende‘“ Calciumwirkung auch am Herzen additiv oder potenziert gesteigert wird. Dies zu prüfen, habe ich Herzen mit 2- und 3fach isotonischer Ringerlösung gespeist. Es tritt daraufhin seine deutliche systolische Contractur ein: wird auf deren Höhe nunmehr Ca oder K eingeführt, so tritt aber keine weitere Contractur ein, wie bei der durch Narkotica bedingten. Entquellung führt also nicht zu einer Ca-Sensi- ‘ bilisierung. Danach kann auch die Ca-Sensibilisierung durch Narkotica nicht auf einer durch diese bedingten Entquellung beruhen. Naheliegende Erwägungen über den Zusammenhang der Abhängiskeit der Ca-Wirkung von den Lipoiden (Erfahrungen am erschöpften Herzen) mit den Beziehungen zwischen Narkoticawirkung und Lipoiden, führen beim heutigen Stand unserer Kenntnisse auch nicht zu einer Klärung. Nach alledem ist die Ausbeute an Anhaltspunkten für das Zustande- kommen der das Herz für Ca sensibilisierenden Wirkung der Nicht- elektrolyten so gut wie Null. Es darf uns das nicht wundernehmen, denn die Modelle, an denen man bisher in vitro arbeitete, sind einfachster Natur, das Protoplasma unendlich kompliziert und vor allem von Organ zu Organ wechselnd. Es sei beispielsweise nur daran erinnert,daß, wenn Ca „dichtet‘“ und mit dieser Dichtung ein bestimmter Organzustand ver- bunden ist, dieser in den verschiedenen Organen offenbarein entgegen- ‚gesetzter ist: denn die quergestreifte und glatte Muskulatur wird durch Ca beruhigt, das Herz erregt. Es darf eben nicht vergessen werden, daß neben den physikalischen Einflüssen der Ionen, offenbar auch chemische eine große Rolle spielen, deren Vielgestaltigkeit wir vor allem nach Paulis ergebnisreichen Untersuchungen, die naturgemäß bis jetzt auch an ver- hältnismäßig einfachen Modellen erfolgen mußten, erst ahnen können. Zusammenfassung der Hauptergebnisse. 1. Das oxalatvergiftete Herz erholt sich momentan in r. inen isotoni- schen Nichtelektrolytlösungen und in caleciumfreien Lösungen mit Nicht- elektrolytzusatz; neuerlicher Oxalatzusatz führt wiederum zu Stillstar.d. 122 O.Loewi: Beziehungen zwisch. Herzmittel- u. physiol. Kationenwirkung. IV. 2. In caleiumfreien, nichtelektrolythaltigen Lösungen sind die Pulse größer als in nichtelektrolytfreien. 3. In nichtelektrolythaltigen Lösungen mit nicht optimaler Calcium- konzentration sind die Pulse wesentlich größer als in nichtelektrolytfreien. 4. Isotonische Nichtelektrolytlösung führt zu Contractur; diese wird durch Zusatz von CaCl, in der Ringerkonzentration wesentlich gesteigert; in diesem Stadium führt KCl-Zusatz zu weiterer Steigerung der Contraetur, während ohne vorgängigen CaC],-Zusatz KCl auf der Höhe der Nichtelektrolytwirkung diastolisch wirkt. 5. Narkotica wirken identisch wie die capillarinaktiven Nicht- elektrolyten. 6. Im Sommer sind alle beschriebenen Wirkungen wesentlich ab- geschwächt. _ 7. Aus der Gesamtheit der Versuche geht hervor, daß die capillarin- aktiven und capillaraktiven Nichtelektrolyten, ähnlich wie die Digitalis- körper, das Herz für Calcium empfindlicher machen. Literaturverzeichnis. . 1) Magnus, Arch. f. d. ges. Physiol. 102, 130. 1904. — ?) Bethe, Arch. f. d. ges. Physiol. 124, 541. 1908. — ?) Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 38, 432. 1899. — *) Henderson, Zentralbl. f. 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Mit Rücksicht auf den Reichtum der Neben- nierenrinde an Lipoiden, denen eine Giftwirkungen modifizierende Wir- kung wiederholt zugeschrieben wurde, untersuchte ich zunächst, ob etwa Lipoide schlechthin die Wirkung des Cholin und des wirkungsver- wandten Pilocarpin am Herzen abschwächen. I. Die Versuche wurden an Esculentenherzen mittels Straubscher Kanüle (l ccm Füllung) ausgeführt. Als Lipoide dienten Leeithin puriss. (Merck) und, meistens, Natr. olein. puriss. Es wurde untersucht sowohl wie vorgängige als wie nachträgliche Lipoidbehandlung wirke. a) Versuche mit vorgängiger Lipoidbehandlung. Bei der der Vergiftung vorangehenden Lipoidbehandlung wurde die Ringerlösung auf einen Gehalt von 0,01% Leeithin bzw. Seife gebracht und diese !/,—!/, Stunde lang einwirken gelassen. Es hatte sich näm- lich in anderen Versuchen herausgestellt, daß die Zeit von wesentlichem Einfluß auf die Wirkung der Lipoide ist. So hatte Werschinin?) ge- zeigt, daß gleichzeitige Behandlung von Herzen mit Lezithin und Digitalis den Eintritt des systolischen Stillstands zwar bedeutend beschleunigt; 124 O. Loewi: Über die Beziehungen immerhin betrug die Zeit bis zum systolischen Stillstand minde- stens 10°. Läßt man aber vor der Digitalisvergiftung Lecithin oder Seife 1/, Stunde auf das Herz einwirken, so tritt momentan ein stark systolischer Zustand ein [Abb. 1*]. Im einzelnen gestaltete sich der Versuch derart, daß zunächst das Herz und zwar, um die Wirkung des Cholin (Merck) allein festzu- stellen, wiederholt mit diesem (10/,,) vergiftet 2 wurde. Zwischen den einzelnen Vergiftungen Abb.1. 1. Nach ’/.stündiger wurde ihm solange Erholung in Ringer gegönnt, en von mine nt Dis die Pulsationen wieder normal geworden selbemit 0,02mgStrophantin. waren. Erst dann wurde Lipoid einwirken ge- lassen und Cholin nachgeschickt. Tab. I und II geben über die Ergebnisse Aufschluß. Tabelle I. | Pulshöhe in mm Nr. der | R EE B k Vereiitung | R Fr Abnahme in % Se ea | der Vergiftung I 14 17,7 2 I 13,5 25 3 | 18 12 | 33,4 4 | 18,5 18 2,7 1/, Stunde vor Vergiftung Leci- | thin 0,01%. In diesem Versuch wirkte jede folgende Vergiftung stärker als die vorgängige. Vielleicht war trotz der nach Ausweis der Pulsgröße in den Erholungsperioden scheinbar völligen Erholung noch etwas Cholin im Herzen geblieben. Tabelle I. Pulshöhe in mm ne g| vor während ee Bemerkungen der Vergiftung Be 1 8,5 6 29,4 2 3 De 31,3 3 8 3,9 31,3 4 9,5 9 9,3 Vor der Vergiftung !/, Std. Lecithin 5 9,5 9 5,3 Ringer ohne Lecithin. 6 9 8,5 3,6 > > » *) Auch ganz andre Körper als die Lipoide sind bei längerer Einwirkung wirksamer auch solche, bei denen man, wie bei den Salzen, dies zu übersehen ge- neigt ist. So ist nach Versuchen von Dr. Franz Dietrich in meinem Institut die Hemmung der Narkotikahämolyse in caleiumhaltigem Milieu viel intensiver, zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. V. 125 Abb. 2 gibt die Kurve eines derartigen Versuchs wieder. Aus den Versuchen geht hervor, daß Vorbehandlung mit Lecithin die negativ-inotrope Cholinwirkung stark hemmt, ferner (Tabelle II), daß wiederholte Auswaschung mit Ringerlösung diese Wirkung des Leeithins zunächst nicht beeinträchtigt. Die schlechte Auswaschbarkeit, d. h. das feste Haften am Herzen kommt nach meinen Erfahrungen den meisten Li- . poiden, vor allem auch den Seifen zu. Ähnlich fielen Versuche aus, in denen statt Cholin Pilocarpin (0,01%) und statt Lecithin Natr. olein. (0,01%) benutzt wurde. Immer war die hemmende Wirkung der Seife unverkennbar, wenn auch mit- unter ‚nicht sehr hochgradig. So betrug die Puls- höhenabnahme auf der Höhe der Pilocarpinwirkung in einem Versuch 37%, nach 20° Seifenbehandlung 26%, in einem anderen nach Pilocarpin allein 50%, nach 10’ Seifenvorbehandlung 46,7%, 30’ Seife 100g Y Abb. 2b. 3 38,6%, 2 Stunden Seife 30,4%. In einem dritten Abb. 2a und b. a vor, Versuch: Pilocarpin allein 29,6%, nach Seife 10° ne 1 Kram 17,3%, nach Seife 25” ebensoviel. 2. + 1 mg Pilocarpin. b) Versuche über Erholung durch Lipoide. Zunächst wurde regelmäßig beobachtet, daß Auswaschung mit Ringerlösung auf der Höhe der Pilocarpinwirkung nur bei häufiger Wiederholung und nach verhältnismäßig langer Zeit wirksam war, wogegen Waschung mit 0,01% Natr. olein haltender Ringerlösung schon das erste Mal wirksam zu werden begann. Beweisender für die Gegenwirkung der Lipoide dem Pilocarpin ge- genüber sind Versuche, in denen auf der Höhe der Vergiftung mit Pilo- carpin in Ringerlösung die Füllung ausgewechselt wurde gegen eine zwar die gleiche Pilocarpinkonzentration, aber gleichzeitig Seife enthaltende Ringerlösung. Als Beispiel sei folgender Versuch angeführt: im Lauf von 15’ von Beginn der Vergiftung an, war die Pulshöhe von 12 auf 9 mm ge- sunken. Auswechslung der Füllung gegen frische ließ die Pulshöhe in den nächsten 5’ auf 85 mm sinken. Nunmehr wurde gegen die gleiche Giftlösung, die aker zugleich Seife hielt, ausgewechselt: nach 2’ war die Pulshöhe auf 91/,, nach 5’ auf 10, nach 10’ auf 11,5 mm, also fast wieder zur Norm angestiegen (Abb. 3). wenn man dies vor Zusatz des Narkoticums längere Zeit hat einwirken lassen, als wenn man in der üblichen Weise Narkoticum und Salzlösung gleichzeitig einwirken läßt. Ja. im ersteren Fall kann man sogar die caleiumhaltige Flüssigkeit vor Zusatz des Narcoticums durch caleiumfreie ersetzen, und es tritt doch noch eine Hem- mung ein. 126 O. Loewi: Über die Beziehungen Die Lipoide haben demnach den Vagusgiften gegenüber sowohl eine prophylaktische wie eine therapeutische Wirkung. Von anderen negativ inotrop-wirkenden Gif- ten untersuchte ich bisher nur das Arsen. Eine Lösung von T/;oo00 Natr. arsenicos. in Rin- gerlösung führte im Lauf von 11’ die Puls- höhe von 15 auf 1O mm Bann y Y Gas an EN, (33%) zurück. Zufü- 5 10% 30 15740. 597 2057 9180; gung von O,1cem 19/yp Abb. 3. 1. Ringer. 2. + 0,1 mg Pilocarpin. 3. + 0,1 mg Natr. olein. Seife auf 1 ccm Fül- lungsflüssigkeit (also Seifenconc. 0,01%), brachte nach 1’ die Pulshöhe auf 121/,, nach 2° auf 13mm, so daß der Abfall gegen die ursprüngliche Höhe nur noch 13,4%, (gegen 33% ohne Seife) betrug. Nachdem durch diese Versuche die Möglichkeit der Entgiftung durch Lipoide dargetan ist, wird es Sache weiterer Untersuchungen sein festzustellen, ob die entgiftende Wirkung der Nebenniere tatsächlich durch deren Lipoide zustande kommt. 11. Mich fesselte zunächst die Frage mehr, was wir aus der Entgiftung durch Lipoide für das Wesen der genannten Vergiftungen erschließen können. Nun wissen wir, daß die Lipoide sehr wirksam sind bei dem durch lange geübte Durchspülung hypodynam gemachten Herzen, und zwar bringt hier die Zugabe von Lipoid das in Ringerlösung kaum mehr schlagende Herz wieder auf den Stand des frischen zurück. Die Ur- sache der Durchspülungshypodynamie ist, wie meines Erachtens Clark°) unzweifelhaft dargetan hat, Überwiegen der Kaliumwirkung infolge unzureichender Wirksamkeit des Calciums, die ihrerseits wieder durch den Lipoidverlust des Herzens bedingt ist. Das geht aus folgendem hervor: 1. Es gelingt, wie schon Clark gezeigt hat, auch ohne Lipoidzusatz durch bloße Steigerung des Caleiumgehaltes der Ringerlösung das Herz wieder zu erholen. 2. Ebenso wirkt Weglassen des Kalium aus der Ringerlösung; Zu- fügung einer weit unter der Ringerlösung stehenden Kaliumkonzen- tration genügt dann, um die Pulse wieder stark zu verkleinern. Einen weiteren Beweis für die Überwertigkeit der Kaliumwirkung als Ursache der Durchspülungshypodynamie konnte ich im folgenden erbringen. Burridge®) hat bekanntlich gezeigt und ich®) habe das für | | | | zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. V. 127 den Fall der Digitaliswirkung bestätigt, daß auf der Höhe einer inten- siven Caleiumwirkung Kalium nicht wie gewöhnlich diastolisch, son- dern systolisch wirkt. Wenn anders wirklich zunehmende Kaliumüber- wertigkeit die Ursache der Durchspülungshypodynamie ist, so wäre zu erwarten, daß wie bei normalem Ringerregime die diastolische, so bei erschöpfender Durchspülung mit calciumreichem Ringer die systo- lische Kaliumwirkung allmählich zunehmen würde; dies habe ich ge- prüft und das Ergebnis hat die Voraussetzung überraschend bestätigt. Abb. 4 zeigt, daß je weiter die Durchspülung mit dem caleiumreichen Ringer geht, um so stärker die systolische Wirkung aufgesetzten Kalium- chlorids ist. Durch Lecithin wird diese systolische Wirkung wieder auf den Anfangsstand zurückgeführt. Nachdem die Lipoide sich bei der Kaliumvergiftung infolge er- schöpfender Durchspülung wirksam zeigten, lag es nahe, zu prüfen, ob 1. 2 a" 1. 3% 3. 2 Abb. 4. 1. Ringer mit 0,08% CaCl,. 2. + 0,1 cem 0,05% KCl. 3. Wie 1 + 0,01% Leecithin. diese Wirksamkeit auch gegenüber der Kaliumvergiftung des frischen Herzens besteht. Die Kaliumvergiftung wurde hervorgerufen sowohl durch Herabsetzung des Caleciumgehaltes der Ringerlösung als auch durch Steigerung ihres Kaliumgehaltes. Wurde der Caleiumgehalt der Ringerlösung auf !/,, herabgesetzt (0,001%, CaCl,), so war nachträglicher Seifenzusatz unwirksam in Über- einstimmung mit früheren Versuchen, wobei die Pulse in 0,001% CaCl, enthaltender NaCl-Lösung bei Seifen oder Serumätherextraktzusatz nicht größer wurden (Loewi®). Wurde dagegen der Calciumgehalt der Ringerlösung auf !/, herabgesetzt (0,002%, CaCl,), so bewirkte Zu- satz von Seife (0,01%) eine wesentliche Erholung, und nachträglicher Ersatz der Füllung brachte keine Senkung der Pulshöhe mehr hervor: so betrug einmal die Pulshöhe in Ringer 11 mm, sank während Ringer- lösung mit nur 0,002% CaCl, auf 6 mm, stieg bei Zusatz von 0,01% Seife allmählich auf 9,5 mm und blieb auf dieser Höhe auch nach Wiederfüllung mit dem caleiumarmen Ringer. 128 O. Loewi: Über die Beziehungen ai 2. Ringer mit 0,04% KCl. 3. Ringer mit 0,04% KCl und 0,01% Natr. olein. 1. Ringer. 5. Abb. In einem Versuch, wo mit einer 0,04 proz. KCl-haltigen Ringerlösung ver- giftet wurde, trat nach deren Einfüllung bald Halbierung ein: die Pulsgröße sank gleichzeitig von 15 auf 11,5 mm und blieb auch so bei wiederholter Neufüllung. Seifen- zugabe bewirkte sehr rasch Regularisierung und allmählichen Wiederanstieg auf 14mm. Auswechselung gegen die 0,04%, KCl-hal- tige Ringerlösung hatte jetzt keinen Ab- fall mehr zur Folge (Abk. 5). Damit ist bewiesen, daß auch bei der reinen Kaliumvergiftung die Lipoide wirk- sam sind, und es fragte sich nunmehr, ob auch bei den von uns untersuchten Vergif- tungen eine Überwertigkeit der Kalium- wirkung beteiligt ist, da sie durch Lipoide günstig beeinflußt werden. Zugunsten dieser Anschauung könnte von vornherein die von Ishizaka”) und mir im Jahre 1907 mitgeteilte Beobachtung sprechen, wonach bei Kombination von Muscarinvergiftung und calciumfreier Spei- sung das Herz seine Contractilität einbüßt, um sie bei Calciumzusatz teilweise wieder- zugewinnen; später konnte ich dann zei- gen®), daß ausschließlich die negativ ino- trope, nicht auch die negativ chronotrope Wirkung der Vagusgifte durch Calcium- zugabe gebessert wird. Ganz neuerdings hat die oben auf- geworfene Frage auch durch Zondek°) eine Bearbeitung gefunden, die mir während der Niederschrift zugekommen ist. Wenn anders an der Hypodynamie- wirkung bei unseren Vergiftungen eine Überwertigkeit der Kaliumwirkung betei- list ist, muß während derselben eine am normalen Herzen unwirksame Kaliumdose die Hypodynamie steigern. Das ist in der Tat der Fall. So betrug beispielsweise die Pulshöhe in einem Versuch 12,5 mm und sank während der Pilocarpinwirkung auf zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. V. 129 7,5 mm; Zuführung von 0,1 ccm 0,01% KCl — am frischen Herzen ganz unwirksam — verringerte momentan die Pulshöhe um weitere 2,5 mm. Hierher gehören auch die Beobachtungen Zondeks über Summation von Chloralhydrat- und Kaliumwirkung. In weiteren Versuchen wurde während der Pilocarpinwirkung die pilo- carpinhaltige Ringerlösung ausgetauscht gegen eine pilocarpinhaltige aber kaliumfreie. Sofort stieg die Pulshöhe beträchtlich, wenn auchniezur Norm an; hatte während der Pilocarpinwirkung gleichzeitig Pulsverlangsamung bestanden, so wurde diese durch die kaliumfreie Lösung nie beeinflußt. Zondek hat etwas abweichend von unserer Versuchsanordnung erholende Wirkung statt durch kaliumfreie durch caleciumreiche Ringer- lösung erzielt. In weiteren Versuchen trat nach !/,stündiger Vorbehandlung des Her- zens mit 0,04 (statt 0,01)% calciumhaltiger Ringerlösung auf dreimal wiederholte Zugabe von Pilocarpin nur eine ganz geringfügige Wirkung ein. Sie wurde erst merklich, als die pilocarpinhaltige Füllung gegen giftfreien Ringer vertauscht wurde und ließ sich dann mit Atropin beheben (Abb. 6). ll 2 2 2% o. 4. Abb. 6. 1. Ringer mit 0,04% CaCl,. Zusatz von 0,1 ccm 1°/,, Pilocarpin. 3. Ringer. 4. + 0,1mg Atropin. In diesem Zusammenhang ist noch folgendes von besonderer Be- deutung: es wurde oben erwähnt, daß unter der Bedingung starker Caleciumwirkung Kalium invers, d.h. systolisch wirkt. Nun hat E. P. Pick auf der Naturforscherversammlung in Nauheim in der Diskussion die an sich ganz unverständlich erschei- nende Beobachtung mitgeteilt, daß unter der gleichen Bedingung (starke Calcium- wirkung) Muscarin auch systolisch wirkt und Zondek erzielte unter der gleichen Bedingung mittelst Chloralhydrat systo- lischen Stillstand. Dem kann ich anfügen, il 2. daß ich unter Pilocarpin zwar nicht eine Abb.7. 1. Nach einstündiger Behand- lung mit Ringer mit 0,08% CaCl,. systolische, wohl aber eine deutlich bes- en sernde Wirkung auf die durch langdauernde Caleiumvorbehandlung stark geschwächte Herztätigkeit und gleich- zeitig eine für die Kaliumwirkung bekanntlich charakteristische Regu- larisierung der bis dahin irregulären Schlagfolge erzielte (Abb. 7). Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 9 130 O. Loewi: Über die Beziehungen AnmerkungbeiderKorrektur: Inzwischen habe ich gefunden, daß am isolierten Froschventrikel während der Wirkung einer 0,15% CaCl,-haltigen Ringerlösung eine 1 proz. Lösung von Cocain. mur. nicht nur keine Lähmung, sondern sogar eine reversible Contractur bewirkt. II. Fassen wir zusammen, so ergeben sich eine Reihe wichtiger Ana- logien zwischen der auf übermäßiger Kaliumwirkung beruhenden Er- schöpfungsdynamie und der reinen Kaliumvergiftung einerseits, der durch die untersuchten Gifte bewirkten Hypodynamie andererseits: 1. Beide werden durch Lipoide, kaliumfreie oder calciumreiche Speisung ganz (Erschöpfungshypodynamie, reine Kaliumvergiftung) oder teilweise (Vergiftungshypodynamie) beseitigt. 2. Beide werden durch sonst nicht schädigende Kaliumdosen ge- steigert. Eine weitere Analogie zwischen Kalium und den untersuchten Giften besteht schließlich darin, daß sie bei caleciumreichem Regime sämtlich in- vers, nämlich systolisch wirken. A priori liegen verschiedene Möglichkeiten der Beziehung zwischen der negativ-inotropen Wirkung des Kaliums und der Gifte vor: Zunächst könnte die durch die Gifte bedingte Wirkung Aus- druck ausschließlicher Kaliumwirkung sein. Die Gifte könnten ausschließ- lich irgendeine Veränderung bewirken, die zu Überwertigkeit des Ka- liums führt, etwa wie der Lipoidverlust bei der Erschöpfungshypo- dynamie. Bekanntlich hat man wiederholt daran gedacht und auch experimentell zu begründen gesucht, daß bei Vagusreizung Kalium freigemacht werde und die Wirkung bedingt. Abgesehen von Erwä- gungen allgemeiner Natur, z. B. der, daß bei anderen als der negativ- inotropen Wirkung keine Analogien zwischen den Giften und Kalium bestehen, spricht in unseren Versuchen die Unmöglichkeit, die Ver- giftungen durch kaliumfreie Speisung bzw. Lipoide völlig zu hemmen, wie dies bei der reinen Kaliumvergiftung und der Erschöpfungshypo- dynamie der Fall, gegen die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme. Bliebe dann die weitere Möglichkeit, daß Kalium wenigstens an den Vergiftungen beteiligt ist. Das trifft ganz unzweifelhaft zu; denn einer- seits ist Kalium immer vorhanden, andererseits wurde ja abnorme Kaliumempfindlichkeit während der Vergiftung nachgewiesen. Diese besondere Kaliumempfindlichkeit könnte nun wiederum zweier- lei Ursachen haben. Einmal könnten die Gifte an sich eine von der des Kalium ganz verschiedene Wirkung haben und dabei gleichzeitig die Bedingungen für gesteigerte Kaliumwirksamkeit setzen. Dagegen könnte sprechen, daß auch nach langer Waschung mit kaliumfreier Ringerlösung nach Anwendung der Gifte noch Hypodynamie eintritt. Aber diese könnte ja durch das noch im Herzen vorhandene Kalium zwischen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. V. 131 bedingt sein; auszuschließen wäre jedenfalls diese Möglichkeit nur durch restlose Entfernung des Kaliums. Diese dürfte aber ohne gleichzeitige anderweitige Schädigung des Herzens kaum durchführbar sein. Zum anderen brauchten die Gifte gar nichts direkt mit dem Kalium zu tun zu haben, es könnte vielmehr, wie dies Zondek schon erwägt, eine toxikologische Verwandtschaft, d.h. Ähnlichkeit der Wirkung zwischen Kalium und den Giften bestehen. Bei dieser Annahme würde es sich also lediglich um die bekannte Summation bzw. Potenzierung der Wirkungen des Kaliums und der Gifte handeln. Zwischen den beiden letztgenannten Möglichkeiten zu entscheiden, dürfte derzeit kaum möglich sein. Zusammenfassung. 1. Am lipoidvorbehandelten Herzen wirken Cholin und Pilocarpin sehr schwach. 2. Dieser Lipoidschutz bleibt auch nach wiederholter Auswaschung des Lipoids bestehen. 3. Die Lipoide heben auf oder schwächen auch die bereits be- stehende Cholin- und Pilocarpinwirkung. 4. Die Lipoide wirken auch präventiv und kurativ bei Kaliumver- giftung. 5. Die hypodyname Wirkung verschiedener untersuchter Gifte ist teilweise Kaliumwirkung. Literaturverzeiehnis. 1) Gettwert und Loewi, Arch. f. d. ges. Physiol. 158, 29, 1914. — ?) Wer- sehinin, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 63, 386. 1910. — °) Clark, Journ. of physiol. 4%, 66. 1913. — ?) Burridge, Quarterly journ. of physiol. 5, 347. 1912. — °) Zondek, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 8%, 342. 1920. — ®) Loewi, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. %0, 343. 1912. — ?”) Ishizaka und Loewi, Zentralbl. f. Physiol. 19, 1905. — ®) Loewi, Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 677. 1918. g* Über die Koeffizienten der Reizbildung im Herzen. Von Prof. Dr. H. E. Hering, Köln-Lindenthal. (Eingegangen am 13. Dezember 1920.). Im Jahre 1911 schrieb ich!) auf S. 508 der unten zitierten Abhand- lung: „Als Ursprungsreiz habe ich?) seinerzeit (1902) jenes Geschehen bezeichnet, das dort vor sich geht, wo die automatische Herztätigkeit ihren Ausgangspunkt nimmt. Dazu sei bemerkt, daß der Ausdruck ‚Reiz‘ von mir nur beibehalten worden ist, weil er üblich ist; er würde aber besser durch einen anderen Ausdruck ersetzt werden; denn unter Reiz verstehen wir gewöhnlich nur eine Bedingung, unter der etwas geschieht, während beim Herzen mehrere Bedingungen erforderlich sind, damit es z. B. wieder zu schlagen anfängt, und gewiß niemand gerade jene Bedingung als den Ursprungsreiz wird bezeichnen wollen, die bei Vorhandensein aller übrigen Bedingungen noch hinzukommen muß, damit das Herz zu schlagen anfängt. ‚DieMinimalbedingungen‘, sagte ich?) 1905 auf S. 128, ‚unter denen ein schlagloses Säugetierherz wieder zu schlagen anfängt, sind enthalten in einer entsprechend warmen, etwas Sauerstoff absorbiert enthaltenden, alkalischen Kochsalzlösung..‘ Lassen wir den Sauerstoff oder die Wärme oder die Salze usw. weg, dann schlägt es nicht. Ist nun der Sauerstoff oder die Wärme usw. als Ursprungsreiz zu bezeichnen? Gewiß nicht. Aber auch die Minimal- bedingungen können unter Umständen vorhanden sein, ohne daß das Herz schlägt. Fügen wir jedoch noch eine Bedingung hinzu, d. h. erregen wir den Accelerans, oder fügen wir zu der Durchströmungsflüssigkeit Adrena- lin oder Calcium, dann kann das Herz wieder zu schlagen anfangen.“ Ich hätte nun nicht erwartet, daß heute noch Forscher?) eine Mit- teilung unter dem Titel veröffentlichen würden: ‚Untersuchungen über die Ursache des Herzschlages‘ und in dieser Mitteilung anführen, „daß die Kohlensäure nicht eine Bedingung, sondern offenbar selbst der Reiz für die Herztätigkeit ist“. Ich hätte es nicht erwartet, weil ich glaubte, daß die ätiologische Denkweise infolge der verschiedenen Bestrebungen, sie in die richtigen Bahnen zu leiten, jetzt endlich eine den geklärten Verhältnissen adäquate sein würde. Dies trifft nun nicht zu, vielmehr widerlegt diese Mitteilung neuerdings die Behauptung jener, die meinen, daß die Pluralitätder Ursachen eine ‚‚Binsenwahrheit“ sei. 1) Arch. f. d. ges. Physiol. 141. 2) Arch. f. d. ges. Physiol. 92%, 392. ) 3) Physiol. Centralbl. 19, H. 15. 1905. *) G. Mansfeld und A. v. Szent-Györgyi, Arch. f.d. ges. Physiol. 184, 236. H. E. Hering: Über die Koeffizienten der Reizbildung im Herzen. 133 Wollte man die Frage stellen, ob die Kohlensäure die Ursache des Herzschlages sei, so wäre diese Fragestellung unzutreffend. Gleichgültig, ob man als Bezeichnung den Ausdruck Ursache, Bedingung oder Koeffi- zient, wie ich!) es seit 1912 tue, verwendet, die Frage hätte nur zu lauten, ob die Kohlensäure eine Ursache, eine Bedingung oder ein Koeffi- zient der Reizbildung sei. Dementsprechend ist es auch nicht zutreffend, „daß die Kohlensäure offenbar selbst der Reiz für die Herztätigkeit ist“, oder daß die Autoren ‚‚in der Kohlensäure den inneren Herzreiz erkannt haben‘, sondern die CO, ist nur einer der vielen Koeffizienten, welche die Reizbildung bewirken. Dem Ursprungsreiz entspricht in Wirklichkeit ein Geschehen, an dem sich eine Mehrzahl von Koeffizienten beteiligen, von denen einer die Kohlensäure ist. So viel zur ätiologischen Denkweise und der sich daraus ergebenden Folgerung, daß G. Mans- feld und A. v. Szent -Györgyi nicht etwa in der Kohlensäure ‚‚die Ursache des Herzschlages‘‘ gefunden haben. | Was die Annahme anbelangt, daß die Kohlensäure ein Koeffizient der Reizbildung sei, so sei bemerkt, daß schon E.G. Martin?) im Jahre 1906 auf Grund von Versuchen an Kaltblüterherzen annahm, daß die Kohlensäure ‚den Reiz‘ für die Herzbewegung darstelle. Während ein Herzkammerstreifen in reiner Kochsalzlösung nicht schlug, begann er sofort zu schlagen, wenn zu der Kochsalzlösung Kohlensäure hinzugefüst wurde. Damit aber die Kohlensäure ihre Wirkung entfalten könne, müßten nach Martin Caleiumionen in diffusibler Form vorhanden sein. Das geschehe dadurch, daß das Kochsalz durch Massenwirkung die Kalkverbindungen des Herzens diffusibel mache. Ich®) habe die Kohlensäure als Koeffizient für die heterotope Reiz- bildung angesehen: 1. weil bei Erstickung der Säugetiere Vorhöfe oder Kammern leicht ins Flimmern geraten, 2. nach Verschluß einer Coronar- arterie es in dem von ihr besorgten Bezirk vor dem Auftreten der hetero- topen Reizbildung und des Flimmerns zu einer lokalen Erstickung kommt, 3. weil Magnus beobachtet hat, daß die Durchströmung der Coronar- gefäße mit Kohlensäure die Kammern des isolierten Säugetierherzens zum Flimmern bringt und 4. weil das Flimmern den höchsten Grad hetero- toper Reizbildung darstellt. Ich nehme nun schon seit längerer Zeit an, daß die heterotopen Ursprungsreize ihrer Natur nach den nomotopen Ursprungsreizen gleichartig sind, was ich) als Homotypie der Reizbil- dung bezeichnet habe. Hiermit stimmt überein, daß die Kohlensäure wie für die heterotope Reizbildung, so auch für dienomotope ein Koeffizient ist. !) Die Koeffizientenlehre (Pluralität der Ursachen). Die Naturwissenschaften 1913, H. 7; Münch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 19. 2) Amer. journ. of physiol. 1906, H. 15. 3) Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 22. 4) Kölner Festschrift, Bonn 1915, Mareus & Webers Verlag. 154 H.E. Hering: Bezüglich der Ansicht von Langendorff!): „Das Lebensprodukt der Zelle ist ihr Erreger‘, sei folgendes bemerkt. Wir pflegen einen Ruhestoffwechsel (RS) und einen Tätigkeitsstoffwechsel (TS) zu unter- scheiden. Wenn während der Tätigkeit des Muskels sich Kohlensäure bildet, so hat diese beim TS sich bildende Kohlensäure die Muskeltätig- keit nicht ausgelöst, da diese Kohlensäure erst nach der Auslösung der Muskeltätigkeit auftritt. Solche während der Muskeltätigkeit gebildete Kohlensäure kann aber sehr wohl als Hormon, ähnlich vielen anderen Hormonen, die Tätigkeit anderer Zellen beeinflussen, so auch jener Zellen, von denen die Atmung, oder jener, von denen jeweils die Herz- tätigkeit ausgeht. Wir wissen heute, daß auch beim RS Kohlensäure gebildet wird (Fletcher, Thunberg), und es wäre vielleicht möglich, daß die RS-CO, ein Koeffizient für die Reizbildung in der Medulla oblongata oder im Herzen sein könnte, also daß nach Langendorff „die Reize an Ort und Stelle als Produkt ihrer vitalen Dissimilation ent- stehen‘. Es fragt sich jedoch, ob die beim RS nor maler weise gebildete Menge CO,, ja auch ob die während des TS der Reizbildungszellen ledig- lich von diesen an Ort und Stelle gebildete CO, hinreicht, um als Koef- fizient für die Reizbildung zu genügen; das muß doch noch dahingestellt bleiben. Insofern muß auch die Richtigkeit des Satzes von Langendorff „das Lebensprodukt der Zelle ist ihr Erreger‘, so wie er ihn verstanden hat, noch dahingestellt bleiben, während ich meine, daß es nicht zweifel- haft ist, daß die Dissimilationsprodukte der Zellen Koeffizienten der Erregung anderer Zellen sein können und dementsprechend die von anderen Zellen gebildete CO, ein Koeffizient der Reizbildung im Herzen wie in der Medulla oblongata ist. Vielleicht wirkt die von den Reizbildungs- stellen an Ort und Stelle gebildete CO, und die von den anderen Zellen des Körpers gebildete CO, zusammen als Koeffizient der Reizbildung. In den Versuchen von M. u. S. wurde sowohl die Zufuhr der 00, zu verhindern, als auch die gebildete CO, zu binden gesucht, also sowohl die Wirkung der ortsfremden, zugeführten wie auch die der an Ort und Stelle gebildeten ortseigenen CO, auszuschalten versucht. In den Versuchen am Säugetierherzen war den Autoren unverständlich, wie in den Reizbildungsapparaten am venösen Herzende ‚eine wirksame Konzentration an CO, entstehen könnte‘, wenn nicht ‚trotz Coronar- kreislauf auch noch eine direkte Stoffaufnahme von den Herzhöhlen erfolgt, daß also die Apparate der normalen Reizbildung auch hier unter der Herrschaft des venösen Blutes stehen‘. Diese Auffassung widerspricht aber direkt der von Langendorff, daß die „an Ort und Stelle‘ ge- bildeten Stoffwechselprodukte die Zellerreger seien. Was die Versuche anbelangt, um zu prüfen, ‚ob ein Stoffaustausch zwischen den Zellen des Herzens und dem Inhalt der Herzhöhlen am !) Ergebn. d. Physiol. 1902, S. 324. Über die Koeffizienten der Reizbildung im Herzen. 135 Warmblüter durch einfache Diffusion erfolgen kann‘, so sei hierzu folgendes bemerkt. Zunächst, daß es lange bekannt ist, daß Säugetier- herzen bei lediglicher Speisung von den Herzhöhlen aus regelmäßig schlagen können. Damit hat sich besonders F. H. Pratt!) im Jahre 1898 beschäftigt. Ich habe diese Speisung wiederholt mit einfacher Ringerlösung ausgeführt, während Pratt seinerzeit Blut zu seinen Versuchen nahm. Dabei wird das Herz durch die Thebesischen Gefäße bzw. auch durch die Coronarvene rückläufig gespeist. Dies ist M.u.S. allem Anschein nach nicht bekannt gewesen, da sie von einer „einfachen Diffusion sprechen. Wenn, nachdem die Durchströmung der Coronargefäße mit einer CO,-freien Lösung eine heterotope Reiz- bildung bewirkt hatte, die Durchströmung der Herzhöhlen mit einer CO,-haltigen Lösung die nomotope Reizbildung wiederhergestellt hat, so geht daraus jedesfalls nicht hervor, daß die Aufnahme von CO, von den Herzhöhlen aus durch Diffusion erfolgt. Es beweist aber auch nicht die Annahme der Autoren, daß die Reizbildung im Sinusknoten ‚unter der Herrschaft des venösen Blutes stehe‘. Es sei ferner darauf hinge- wiesen, daß normalerweise der Säftestrom auf den Wegen, auf denen es möglich ist, das Herz von den Herzhöhlen aus zu speisen und zum regel- mäßigen Schlagen zu bringen, in der Richtung gegen die Herzhöhlen er- folgt, also in gerade umgekehrter Richtung als in den obengenannten Ver- suchen. Ob normalerweise eine Diffusion von CO, aus den Herzhöhlen des Warmblüters in das Herz hinein erfolgt, muß also vorläufig dahin- gestellt bleiben. Man sollte doch wohl annehmen, daß, wenn eine Diffusion von CO, aus der Herzhöhle in das Gewebe des Säugetierherzens hinein er- folgt, die CO,-Spannung außerhalb größer sein müßte als in den Geweben. Wie groß die CO,-Spannung der Flüssigkeit war, welche in jenen Ver- suchen die Herzhöhle speiste, geht ausden Angaben der Autoren nicht her- vor. Daß sie aber nicht so hoch zu sein braucht wie in jenen Versuchen, das geht aus meinen obenerwähnten Versuchen hervor, in denen schon die Speisung mit gewöhnlicher Ringerlösung (also ohne erhöhten CO,-Gehalt) genügte, um von den Herzhöhlen aus das Säugetierherz schlagen zu lassen. Endlich sei noch bemerkt, daß ich noch nicht geneigt bin, ‚‚den Beweis“ dafürerbracht zu sehen, ‚daß die erregende Wirkung der CO,aufdie Appa- rate der Reizbildung keine Wirkung der H-Ionen ist, sondern nur eine spe- zifische Kohlensäurewirkung sein kann“. Dazu bedarf es noch weiterer Untersuchungen. Man vergleiche hierzu nur die Arbeiten über die che- mische Regulation der Atmung durch die Wasserstoffionenkonzentration, deren Literatur von den Autoren nur bis zum Jahre 1911 erwähnt wird. 1) Amer. journ. of physiol. 1898, S. 86. Anm.: M.u.S. gebrauchen den Ausdruck Tawaraknoten, der für das Säuge- tierherz gilt, auch für das Froschherz, obwohl er für dieses nicht zutreffend ist. Erwiderung auf die Bemerkung des Herrn H. Handovsky zu meiner Arbeit: Die kolloidehemische Bedeutung des physio- logischen Ionenantagonismus usw. Von S. M. Neuschlosz. (Eingegangen am 22. Dezember 1920.) Im 181. Band dieses Archives habe ich eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht, in welchen ich es versucht hatte das Phänomen des physiologischen Ionenantago- nismus auf Grund kolloidehemischer Tatsachen zu erklären bzw. dasselbe auf diese zurückzuführen. Ich habe in diesem Zusammenhange eine Reihe von Ver- suchen ausgeführt, in welchen es meines Erachtens gelungen ist, einen Ionen- antagonismus, im Sinne des Wortes, wie wir ihn in der Physiologie gebrauchen, an leblosen Substraten nachzuweisen. B Herr H. Handovsky glaubt nun meinen Schlußfolgerungen nicht beipflichten zu können, und unterzieht dieselben in einer im Band 185 (S. 7) erschienenen Schrift einer Kritik. Es sei mir daher gestattet, kurz auf die Bemerkungen des Herrn Handovsky einzugehen. Herr Handovsky eröffnet seine Auseinandersetzungen mit der Bemerkung, ich hätte in allen Versuchsserien stets mit derselben Gesamtkonzentration gear- beitet, obwohl sich aus früheren, wie aus meinen eigenen Arbeiten deren Bedeutungs- losigkeit für den Zustand der Kolloide in Salzgemischen ergab. Diese Behauptung ist mir nun ganz unverständlich, da, wie es ja aus meinen sämtlichen Tabellen hervor- geht, die absoluten Salzkonzentrationen in jeder einzelnen Serie meiner Versuche sich in einer Latitude von 1m bis !/,ss m bewegten. Ferner wird mir vorgeworfen, daß ich stets die Konzentration beider Salze gleichzeitig veränderte, wodurch ein direkter Vergleich der Wirkung eines Ions auf den durch das andere Ion hervor- gerufenen Zustand unmöglich wurde. Dies ist zweifellos richtig. Für mich handelte es sich aber gar nicht darum, die „Wirkung des einen Ions auf den durch das andere Ion hervorgerufenen Zustand‘ quantitativ auszumessen, sondern lediglich um den Nachweis, daß die Oberflächenspannung des Lecithinsols in Salzgemischen — von wenigen Ausnahmen abgesehen — stets geringer ist, als die in den reinen Salzlösungen und daß sich für jedes Kationenpaar ein bestimmtes Verhältnis finden läßt, bei welchem die Oberflächenspannung des Leeithinsols ein Minimum auf- weist. Daß dieser Nachweis z. B. für Na und Ca mir gelungen ist, wird ja auch von Herrn Handovsky zugegeben. Daß aber die Wirkung jedes einzelnen Ions auf den durch ein anderes Ion hervorgerufenen Zustand auch aus meinen Tabellen abzulesen ist, geht schon aus der Tatsache hervor, daß es Herrn Handovsky gelungen ist, Kurventafeln die seinen Gesichtspunkten gerecht werden, aus meinen Zahlen aufzuzeichnen. Es handelt sich also bei diesem Einwand letzten Endes lediglich um eine Verschieden- heit der Darstellungsweise, und ich glaube wohl behaupten zu dürfen, daß die von mir gewählte Art der Kurvenzeichnung den bei bestimmten Verhältnissen be- S. M. Neuschlosz: Erwiderung. IST stehenden Ionenantagonismus demonstrativer darstellt als die Kurven Herrn Handovskys, wenn derselbe auch aus den letzteren selbstverständlich ebensogut abzulesen ist. Des weiteren wird von Herrn Handovsky hervorgehoben, daß bei nicht äquilibrierten Salzgemischen vielfach verschiedene Kombinationen derselben beiden Salze die gleiche Oberflächenspannung am Lecithinsol ergeben. Diese Tat- sache geht aus meinen Kurven unmittelbar hervor und wurde auch niemals geleug- net. Wenn eine Kurve ein Maximum passiert — wie das die Oberflächenspannungs- kurven des Lecithinsols ausnahmslos tun — muß sie notwendigerweise verschiedene Punkte haben, die von der Abszisse gleich weit entfernt sind. In welchem Zu- sammenhange aber diese Tatsache sich mit den in Rede stehenden Fragen des Ionen- antagonismus befindet, ist mir völlig unklar. Auch daß sich bei sehr niedrigen Konzentrationen unter Umständen auch Potenzierungen feststellen lassen, schien mir für meine biologisch gerichtete Frage- stellung belanglos und wurde daher nicht weiter beachtet. Auf diese Erscheinung hingewiesen und weitere Analoga derselben angeführt zu haben, ist daher zweifellos Handovskys Verdienst, berührt aber die von mir besprochenen Fragen — soweit ich es einzusehen vermag — nicht. Schließlich bleibt noch ein Punkt zu besprechen, der Einwand des Herrn Handovsky, daß das optimale Konzentrationsverhältnis von Na und K bloß deshalb bei 1: 20 liegt, weil die Versuche nicht fortgesetzt wurden. Hier liegt nun tatsächlich ein Einwand, der nicht bloß gegen die Darstellungsweise, sondern gegen die Ausführung der Versuche selbst gerichtet ist. Und diesem Einwande dürfte wohl auch Herr Handovsky — wie ich es aus seinen einleitenden Bemerkungen entnehme — die größte Bedeutung zugemessen haben. Herr Handovsky hielte es für eine „biologisch ungemein wichtige Tatsache‘, wenn sich Na und K in ihrem Einfluß auf das Leeithinsol gerade bei dem Verhältnis 1: 20 bzw. 20 : 1 maximal antagonisierten, und nicht bei einer anderen Relation; denn in diesem Falle wurden die zahlenmäßigen Verhältnisse des Ionenantagonismus am Lecithinsol, an roten Blutkörperchen und an Funduluseiern (Loeb) sich vollkommen decken. Nun stellt Herr Handovsky fest, daß aus meinen Zahlen — eine tatsächlich vollkommene Äquilibrierung zwischen Na und K vorausgesetzt — sich durch Extrapolierung etwas andere Zahlenrelationen für das äquilibrierte Gemisch von NaCl + KCl ergeben. Zu dieser Feststellung sei folgendes bemerkt: Erstens ist es noch überhaupt unbewiesen, daß zwischen Na und K tatsächlich eine vollkommene Äquilibrierung bei der optimalen Konzentration zustande kommt, wie sie Herr Handovsky annimmt. Wir müssen vielmehr nach allen unseren sonstigen Erfahrungen an- nehmen, daß mit abnehmendem Gehalt an dem einen Ion die Lösung bald die überwiegende Wirkung des anderen Ions zeigen wird, noch bevor eine völlige Äquilibrierung eingetreten wäre. Infolgedessen scheinen die durch Extrapolation gewonnenen Zahlen Herrn Handovskys keine Bedeutung zu haben. Zweitens aber — und hierauf möchte ich das Hauptgewicht legen — scheinen mir die zahlen- mäßige Verhältnisse der äquilibrierten Lösungen — von biologischen Gesichts- punkten aus betrachtet zumindest — nur von sehr beschränktem Werte, denn wie bereits aus den Versuchen Loebs, Osterhouts, Wo. Ostwalds u. a. hervorgeht, ist das optimale Verhältnis der einzelnen Ionen bei verschiedenen Lebewesen sehr verschieden und daß dies auch für verschiedene leblose kolloidale Substrate zutrifft, zeigen meine Versuche einerseits mit Lecithin, andererseits mit Invertase. Voraus- gesetzt also, daß das optimale Verhältnis der einzelnen Ionen für ein Leeithinsol einerseits und rote Blutkörperchen und Funduluseier andererseits tatsächlich genau zusammenfielen, so könnte diese Erscheinung doch wohl kaum mehr als ein Zufall 138 S. M. Neuschlosz: Erwiderung. “ sein. Aus diesem Grunde schien es mir auch gar nicht von besonderem Interesse zu sein, die genauen Zahlen der äquilibrierten Lösungen zu ermitteln, sondern ich begnügte mich mit der Feststellung, daß dieselben z. B. für Na und K ungefähr eine Relation von 1 : 20 ergeben muß. Die Oberflächenspannung des Lecithinsols ist ja bei dieser Relation schon so gering geworden, daß eine weitere wesentliche Abnahme derselben kaum mehr möglich erscheint. Wenn ich weiter in den verschie- denen Arbeiten der erwähnten Reihe wiederholt von der Bedeutung der Relation 1 Na : 1/,, oder /;, Na : 1 K spreche, so verstehe ich selbstverständlich hierunter die Bedeutung von äquilibrierten Lösungen mit hoher Na und geringer K-Konzen- tration, bzw. umgekehrt. In meinen Arbeiten kam es mir eben nur darauf an, daß es einen Ionenantago- nismus — im selben Sinne des Wortes, wie wir ihn in der Biologie verwenden — auch für leblose Kolloidsysteme gibt und daß dieser Antagonismus in beiden Fällen ganz analoge Eigentümlichkeiten innehat und daher wohl als in beiden Fällen als dem Wesen nach identisch anzusehen ist. Diese Schlußfolgerungen scheinen mir aber durch die Erörterungen des Herrn Handovsky nicht widerlegt zu sein. Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung!). Von Dr. med. B. Feucht, Heilstätte Hohwald (Sachsen). Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. Dezember 1920). Bei der ständig wachsenden Bedeutung, die in neuer Zeit wiederum Blutkörperchenzählungen, vor allem wenn sie durch genaue Hämo- . globinbestimmungen ergänzt werden, für Physiologie und Pathologie gewinnen, ist es angebracht, die Methode, derer man sich zu bedienen pflegt, einmal kritisch zu betrachten, um sich eine klare Vorstellung ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Zuverlässigkeit zu verschaffen. Die Methode, die wir seit mehreren Jahren ausschließlich angewandt haben und der wir vor der Thomaschen unbedingt den Vorzug geben, ist die Bürkersche. Das hat verschiedene Gründe: I. Eshat sich herausgestellt, daß eine regelmäßige Differenz zwischen den mit der Bürkerschen und den mit der Thomaschen Kammer er- mittelten Erythrocytenwerten auftritt, d.h. die Thomasche Kammer ergibt immer zu hohe Werte (Koranyi, Bloch, Bürker). Durch entsprechende Versuchsanordnung konnte Bürker nachweisen, daß dieser Fehler nicht seiner eigenen, sondern der Thomaschen Kammer zuzuschreiben ist; er wird in erster Linie verursacht durch das schnelle Senkungsbestreben der Erythrocyten, von denen sich in der kurzen Frist, die bei Thoma bis zum Auflegen des Deckglases verstreicht, schon ein Teil auf die Zählfläche herabgesenkt hat und so eine erhöhte Zell- dichte in der Kammerbodeneinheit vortäuscht. Dieser bei Thoma regelmäßig auftretende Fehler war zunächst für einen „konstanten‘ gehalten worden; er verdient jedoch diesen Na- men nicht ganz ohne Einschränkung, da er nicht im strengen Sinne der mathematischen Nomenklatur ‚konstant‘ ist, d.h. da er nicht stets die gleiche Größe hat: Bürker fand z.B. bei seinen Versuchen die regelmäßige Differenz 7%, Bloch 10%; die Größe der Differenz pflegt also in hohem Maße von der Schnelligkeit und der Geschicklich- keit abhängig zu sein, mit der die Thomasche Kammer gefüllt wird. Mit anderen Worten: ein Fehler tritt bei der allgemein üblichen Zu- 1) Stark gekürzt nach einer in Leipzig eingereichten, nicht im Drucke er- schienenen Dissertation. 140 B. Feucht: sammensetzung der Thomaschen Kammer immer auf, ist also insofern konstant, ist aber, je nach dem Untersucher, innerhalb gewisser Grenzen persönlich-variabel. So sieht man sich zur Feststellung der Tatsache genötigt, daß fast alle bisher geleisteten numerischen Blutanalysen, die doch allergrößten- teils mit der auch jetzt im In- und im Auslande noch am meisten ge- brauchten Thomaschen Kammer gewonnen worden sind, unrichtig, zum mindesten nur von sehr bedingtem Werte sind, und daß die bis- herigen Resultate nur; dann in beschränktem Maße zu Vergleichen herangezogen werden können, wenn von demselben Untersucher spätere Zählungen veröffentlicht worden sind, die man dann wohl als mit dem gleichgroßen persönlichen Fehler behaftet ansprechen kann. Dieser ‚konstante‘‘ Fehler ist nun bei der Bürkerschen Art der Kammerfüllung selbst bei mangelhafter Beherrschung der Technik schlechterdings ausgeschlossen. II. Esist eine vollständige Blutuntersuchung nach Bürker in kürzerer Zeit durchführbar wie eine solche nach Thoma. Seit Stierlin rechnete man im allgemeinen ungefähr !/, Stunde, „nicht über t/, Stunde‘, schreibt Stierlin selbst, auf eine vollständige Blutuntersuchung nach Thoma. Freilich müßte man schon ein recht geübter Untersucher sein, wenn man in dieser Zeit fertig werden will; Verfasser ist es z. B. nie gelungen. Veranschlagt doch — nach Eller- mann und Erlandsen — Thoma selbst die nur zur vollständigen Leukocytenzählung nötige Zeit auf !/, Stunde unter der Bedingung, daß mindestens 300 Leukocyten gezählt werden, was eine 4—5malige Neufüllung der Kammer erfordert. Zur vollständigen Durchzählung der 169 Erythrocytenquadrate einer Bürkerschen Kammer gebrauchte Verfasser durchschnittlich 12 bis 18 Minuten und noch weniger, wenn er die Resultate einem Gehilfen in die Feder diktieren konnte (3—12 Minuten). Beschränkt man sich aber nur auf die von Bürker geforderten 80 Quadrate, so kommt man mit der reichlichen Hälfte dieser angegebenen Zeiten aus. Zur Durch- musterung der fast 9qmm großen Leukocytenfläche waren dagegen 10—12 (bzw. bei Diktat 7—9 Minuten) nötig. Diese letztere Angabe gilt natürlich nur für nicht-leukämisches Blut; bei den höheren Graden von Leukämie, wo noch bei 20facher Verdünnung 30—50 Zellen in jedem großen Quadrate liegen, muß man auf eine Leukocytenbestim- mung bis zu einer vollen Stunde rechnen. Zusammenfassend läßt sich also sagen: eine vollständige Zählung nach Bürker (rote und weiße Blutkörperchen), verbunden mit vor- heriger Blutentnahme und anschließender Reinigung der Instrumente, ist in einer knappen halben Stunde durchführbar, wenn man sich auf die geforderten — und nota bene ausreichenden — 80 Erythrocyten- u E00 EEE EEE EEE EEE NET WU a ee ee Dell Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 141 quadrate beschränkt, erfordert eine genaue halbe Stunde, wenn man eine Erythrocytenkammer, und erfordert etwa dreiviertel Stunde, wenn man beide Erythrocytenkammern vollständig auszählt. III. Ein dritter Vorzug des Bürkerschen Instrumentariums ist seine gegenüber Thoma vereinfachte Handhabung, da mit der größeren Kompliziertheit jederzeit größere Fehlermöglichkeiten gegeben sind. A. Zu diesen wesentlichen Vereinfachungen sind bei Bürker die verschiedenen Verbesserungen der Kammer und ihrer Füllung zu rech- nen. Sie sind in diesem Archiv bereits wiederholt gewürdigt worden und sind zu bekannt, als daß man noch näher darauf eingehen müßte. Ich führe die hauptsächlichsten daher nur kurz an: 1. Maßnahmen zur Beseitigung der bei Thoma möglichen ver- schiedenen Füllungsfehler: a) Zusammensetzung der Kammer vor der Füllung; b) vereinfachte dauerhafte Erzeugung der Newtonschen Ringe und damit Garantie der vorgeschriebenen Kammerhöhe; e) momentane Füllung der Kammer durch Capillarität; dadurch Ausschaltung des unter I. erwähnten ‚konstanten‘ Fehlers. 2. Bei einmaliger Deckglasauflage sind stets 2 Kammern zur Füllung und Auszählung gebrauchsfertis. Das hat den Vorteil, daß die Bildung des arithmetischen Mittels aus zwei verschiedenen Daten eine beinahe anderthalbfache Sicherheit des Endresultates gegenüber der Einzel- beobachtung ergibt. 3. Vergrößerung des Zählnetzes um das neunfache und Zählung über die ganze große Fläche hin. Dadurch Möglichkeit des Fehler- ausgleiches untereinander, falls wirklich Unregelmäßigkeiten der Zell- verteilung vorgekommen sein sollten. 4. Beigabe von Vordrucken in Buchform zur Eintragung der Re- sultate, die man immer als Dokumente aufbewahren kann. B. Ferner rechne ich unter die Verbesserungen die endgültige Aus- schaltung des Potain und die Rückkehr Bürkers zu zwei getrennten Abmessungspipetten. Trotz der Miescherschen Verbesserungen waren dem Potain im Laufe der Zeit von verschiedenster Seite immer wieder Fehlermöglich- keiten vorgeworfen worden, die man durch Konstruktion von Prä- zisionspipetten usw. zu vermeiden versucht hatte. Die Angriffe richte- ten sich 1. gegen den gläsernen Mischkörper, der a) genaue Justierung erschwere (Veillon, Roerdansz); b) bei kräftigem Mischen Erythrocyten zerschlagen könnte (Brü- nings) — diese Vermutung hat sich nicht bestätigt! — und c) bleiben an ihm, trotz aller empfohlenen Vorsichtsmaßregeln (Kjer - Petersen, Schmidt - Lüthje, Naegeli und viele andere) 142 B. Feucht: Luftblasen haften, die nicht mehr zu entfernen sind und eine zeit- raubende Neufüllung nötig machen. 2. Die gemessenen Volumina sind sehr klein, so daß die Abmessungs- fehler um so mehr ins Gewicht fallen (Hühnerfaut). 3. Die Mischung läßt sich nicht lange aufheben (Roerdansz, Bürker). 4. Die Mischung ist keine gleichmäßige: a) bei Erythrocytenuntersuchungen festgestellt von Geigel, b) bei Leukocytenuntersuchungen festgestellt von Elzholz, Eller - mann, Erlandsen. 5. Wenn die Ringmarken zu weit von der Ampulle entfernt sind, werden die nun zwischen Marke und Ampulle befindlichen Flüssigkeits- säulen nicht in die Mischung einbezogen und vom Glaskörper nicht mit durchgemischt (Bürker) — ein bei den früheren Potains oft zu beobachtender Fehler. 6. Weiter ist die Befürchtung geäußert worden, das Lumen des alten Potains sei zu eng, so daß eine Entmischung beim Eintritt in die Meßcapillare möglich sei (Bürker); eingehende Nachprüfungen, ob dadurch wirklich ein beachtlicher Fehler möglich sei, existieren jedoch in der Literatur nicht. 7. Es sollen durch hintereinandergeschaltetes Aufsaugen zwei ver- schiedene Flüssigkeiten mit dem gleichen Instrumente fehlerfrei abge- messen werden (Bürker, Ellermann, Erlandsen). Dies erscheint am anfechtbarsten und verwerflichsten am ganzen Potain, da ein Fehler in der Abmessung der ersten Flüssigkeit selbstverständlich immer auch ein fehlerhaftes Volumen der zweiten Flüssigkeit nach sich zieht; und zwar wirken dann immer beide Fehler in der gleichen Richtung. 8. Die Ringmarken sind gerade an Stellen angebracht, wo erhebliche Dickenveränderungen des Lumens eintreten. Der obere und der untere Meniskus werden daher ihrem absoluten Volumen nach nicht ganz gleich zu bewerten sein: der untere wird um so größer ausfallen, je höher er versehentlich über der Ringmarke steht und kann dann auch nicht durch ein geringes Höhersaugen der Flüssigkeit über die obere Ringmarke fehlerfrei kompensiert werden. Alle diese 8 Fehlermöglichkeiten sind bei der Bürkerschen Art der Mischung mit einem Schlage beseitigt. Über den Grad der erreichbaren Abmessungsgenauigkeit mit seinen Pipetten hat Bürker selbst berichtet (Arch. f. d. ges. Physiol. 142, 360 und 371). Die erzielte Aufschlemmung der Zellen im Kölbchen ist bei Inne- haltung der Mischvorschriften durchaus gleichmäßig (s. u.). IV. Der vierte undwichtigste Grund, der unsere Bevorzugung der Bürkerschen Kammer in jeder Weise rechtfertigt, ist der, daß sie genauer Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 143 und zuverlässiger arbeitet, wie aus den folgenden Fehlerbestimmungen hervorgeht. Wir haben uns bei diesen Untersuchungen der von. Gauß einge- führten Methode der kleinsten Quadrate bedient, Rechenmethoden, die in ihrem weiteren Verfolg zur Aufstellung des sog. Gaußschen Fehlerhäufigkeitsgesetzes geführt haben, meist kurz G. G. genannt. Es wäre nun zu allernächst die Frage aufzuwerfen, ob dasG. G. und seine Rechnungsarten überhaupt auf die Erythrocytometrie anwendbar sind. Gauß selbst hatte sein Gesetz ursprünglich nur als ‚Gesetz der sog. Beobachtungsfehler‘ aufgestellt, d.h. als Gesetz der zufälligen Abweichungen von arithmetischen Beobachtungsmitteln!) und als solches war es einige Jahre später von Bessel an astronomischen Daten empirisch richtig befunden worden. Ist nun, muß man fragen, dieses Gesetz auch gültig für die zufälligen, tatsächlichen Abweichungen von Kollektivgegenständen irgendwelcher Art von ihrem Mittel, hier also für die innerhalb der Bürkerschen Kammer auftretenden Unregel- mäßigkeiten der Zellverteilung ? Die Erörterung dieser Frage muß jedoch abgelehnt werden, da sie allersubtilste, sehr weitläufige und rein mathematische Untersuchungen erfordern würde, die einer gesonderten Behandlung durch Fachmathe- matiker bedürfen. Uns mag hier genügen, daß Abbe die Anwendbar- keit und Brauchbarkeit des G. G. seinerzeit für die Thomasche Kam- mer dargetan und begründet hat, daß Thoma,später Reinert Abbes theoretische Ausführungen durch zahlreiche praktische Untersuchungen unter Anwendung der vorgeschlagenen Rechnungsarten auf die nume- rische Blutanalyse bestätigt haben, daß in der Folgezeit die Methode der kleinsten Quadrate ungezählte Male angewandt worden und so nach und nach die Alleinherrschaft bei der Zuverlässigkeitsprüfung, d.h. bei der Fehlerbestimmung für alle Blutkörperchenzählmethoden, soweit sie Anspruch auf wissenschaftlichen Wert machen, erlangt hat. So ist sie auch von Bürker ohne weiteres für seinen Zählapparat ver- wandt worden. Nur ein ganz oberflächlicher Vergleich zwischen der Empirie und der Theorie des G.G. sei gestattet, nun natürlich nicht an der Hand seines „unpopulären‘ Integralausdruckes, sondern eines vereinfachten und leicht faßlichen tabellarischem Ausdruckes, durch einfache Gegen- überstellung der Verhältniszahlen der sog. ® (©: e)-Tabelle des Gauß- schen Gesetzes mit unseren sich aus einer Serie von 50 Einzelzählungen ergebenden Resultaten. Diese Tabelle (vgl. Fechner, Kollektivmaßlehre, Leipzig 1897, S. 57ff.) gibt an, in welcher Weise sich ‚unter der Voraussetzung sym- 2) NB. also eigentlich nicht wirklicher realer Fehler, sondern nur im Unter- sucher und in der Methode begründeter Beobachtungsfehler! 144 B. Feucht: metrischer Wahrscheinlichkeit‘““ der durchschnittliche Fehler £ um einen Mittelwert herum gruppiert!). Es ergeben sich theoretisch hier- für folgende Verhältniszahlen (nur auszugsweise wiedergegeben): Tabelle I. t ® (= Verhältniszahl) 0,00 0,0000 0,25 0,1581 0,50 0,3101 0,75 0,4504 1,00 0,5751 1,25 0,6814 1,50 0,7686 1,75 0,8374 2,00 | 0,8895 2,50 0,9539 3,00 | 0,9833 Hat man also einen beliebigen Kollektivgegenstand, der dem G. G. folgt — das am häufigsten in der deutschen, englischen und fran- zösischen Literatur bearbeitete Objekt sind beispielsweise Rekruten- maße —, und hat seinen durchschnittlichen Fehler ausgerechnet, so würden, wenn a das arithmetische Mittel aus allen Einzelbeobachtungen darstellt, bei 10 000 Beobachtungen 1581 Fälle innerhalb der Grenze a + 0,251 bis @ — 0,25 liegen usw. Es ist nun diesseits für 50 Zäh- lungen derselben Blutart nach Bürker das arithmetische Mittel @ ge- bildet und danach 2 berechnet worden. Es ergab sich dabei für « 1039,46 Zellen und für den durchschnittlichen Fehler 14,1 Zellen (die rechne- rischen Belege, die jederzeit eine Nachprüfung dieser Aufstellung ge- statten, folgen weiter unten!); es wurde dann empirisch gefunden, daß fielen 1. innerhalb der Grenze a + 0,25? bis « — 0,251, d.h. innerhalb 1036—1043 10 Fälle, d.i. 0,20%; 2. innerhalb der Grenze a + 0,50 bis a — 0,50, d.h. innerhalb 1032—1046 14 Fälle, d.i. 0,28%; | 3. innerhalb der Grenze a + 0,751 bis a — 0,75t, d.h. innerhalb 1029—1050 24 Fälle, d.i. 0,48%, usw. 1) Eine genaue Definition aller in Betracht kommenden Fehler (grober, kon- stanter und variabler Fehler; wahrer und scheinbarer Fehler; durchschnittlicher, mittlerer und wahrscheinlicher Fehler) sowie eine nur auf elementare Mathe- matik sich beschränkende Entwicklung aller dazugehörigen Formeln unter dem Gesichtswinkel ihrer Anwendungsmöglichkeit in der Erythrocytometrie findet sich auf S. 63—97 der Dissertation. Hier sei zum Verständnis des folgenden nur an- geführt: t{ bedeutet stets durchschnittlicher Fehler, m = mittlerer Fehler, M = mittlerer Fehler des Mittelwertes, r — wahrscheinlicher Fehler, & — wahrer Beobachtungsfehler, » —= scheinbarer Beobachtungsfehler. Zur Bürkerschen Methodik .der Blutkörperchenzählung. 145 Vergleiche weiter die folgende Tabelle: Tabelle II. Praxis Theorie Anzahl der Fälle in Prozenten 0,25 10 0,20 0,15 0,50 14 0,28 0,31 0,73 24 0,48 0,45 1,00 30 0,60 0,58 1;25 36 0,72 0,68 1,50 42 0,84 0,77, 1,25 44 0,88 0,84 2,00 47 0,94 0,89 2,50 49 0,98 0,95 3,00 50 1,00 0,98 Aus dieser Zusammenstellung ist eine näherungsweise Über- einstimmung beider Reihen zu erkennen. Daß selbige nicht noch weitergehend ist, kommt daher, daß den theoretischen Gauß- schen Ableitungen eine unendlich große Zahl von. Einzelbeobach- tungen zugrunde gelegt ist, daß daher Differenzen zwischen Theorie und Praxis um so eher zu erwarten sind, je kleiner die Zahl der zur Bildung von a verwendeten Einzeldaten ist, da un- ausgeglichene Zufälligkeiten dann eine immer größere Rolle zu spielen in der Lage sind. Um nun für die folgenden Fehlerberechnungen und für die damit in Zusammenhang stehenden Erörterungen die nötigen Grundlagen zu schaffen, waren innerhalb einer Woche eine Serie von 50 Zählungen nach Bürker!) aus dem gleichen Kölbchen vorgenommen worden, deren a N 1) Wieviel Messungen bzw. Zählungen zur Bildung eines soliden, d. h. durch weitere Beobachtungen nicht mehr wesentlich verbesserungsfähigen Mittelwertes unbedingt erforderlich sind, darüber findet man keine allgemeinen Angaben in der Mathematik. Kohlrausch erläutert z. B. in seinem Lehrbuche der prakt. Physik den mittleren Fehler an einem Musterbeispiel von 10 Einzelbeobachtungen; Helmert fordert (erwähnt bei Vater l.c.) bei Erörterung der nahe verwandten Frage des Maximalfehlers 10, Czuber (Theorie der Beobachtungsfehler, 1891, S. 208) dafür 20 Einzelbeobachtungen als Mindestmaß. Ziehen wir nun daraus für die Erythrocytometrie unsere Folgerungen und setzen ebenfalls 20 Zählungen als unterste erlaubte Grenze für Fehlerberechnungen fest, seien aber vorsichtig und betrachten erst 30—50 Zählungen als Maß, das einen wissenschaftlich nicht mehr .anfechtbaren Wert zu liefern imstande ist. Es wird immer richtiger sein, im ‚Zweifelsfalle eine höhere Zahl zu wählen als eine zu kleine; denn nur der aus sroßen Versuchsreihen berechnete mittlere Fehler besitzt eine tatsächliche Be- deutung als Maßstab der Genauigkeit, d. h. der Vertrauenswürdigkeit unserer Beobachtungen und der daraus gewonnenen Mittelwerte (vgl. hierzu Koppe, Die Ausgleichungsrechnung nach der Methode .der kleinsten Quadrate, 1885, S. 57). Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 10 146 ANlade * B. Feucht: Ergebnisse, lediglich chronologisch geordnet, in folgender Tabelle wiedergegeben sind (vgl. Tabelle III): Tabelle III. AL 1015 ka 1035 ER 1038 acer 1031 da, 1067 al, 1026 Ti | 1026 Ns 1023 Ang 1019 In 1020 al, 1062 I 1032 Il;-, 1034 me 1048 an 1040 Tu. 1012, Km) 1073 9m, | 10100 mr 210202 ne = 1024 le 1042 I 17) 1040 dr 1026 IR 1047 er 1040 In: 1031 uRer 1025 Aa 1038 I 1058 ID 1055 ar 1049 br 1066 In 1050 At, 1041 en 1069 Ar 1039 Ib 1025 IR 1020 al, 1022 I” 1041 Tr 1045 | Ts 1049 Due 1031 In 1078 er 1030 an 1047 iur 1039 ae 1055 A.M.v A.M.v. A.M.v. A.M.v. A.M.v. T,—T;, | 1038,5 [T,,—T 9, 1044,1|T,,— T39| 1038,2|T,,—T ;9| 1036,47 ,,— To 1040,1 Der durchschnittliche Zellgehalt beträgt danach: | Tabelle IV. as niet Generaimittel Arithmetische Teilmittel (T,—T;,) . T, — To (= a,) 1038,5 Tr — Too (= a,) 1044,1 oı I (= a,) 1038,2 1039,46 31 7 240 (= a,) 1036,4 a oo (= a,) 1040,1 Tab. III gestattet nun schon einen Einwurf, den man gegen Bür ker erhoben hatte, zu widerlegen, nämlich den der Verdunstungsgefahr. Wenn wirklich eine wesentliche Verdunstung beim jedesmaligen Mischen und 'der nur wenige Sekunden beanspruchenden Flüssigkeitsentnahme aus dem Kölbchen stattfände, dann müßten doch ganz entschieden die arithmetischen Mittel aus den ersten 10 und aus den letzten 10 Zäh- lungen erhebliche Differenzen aufweisen; und zwar müßte a,, wenn ein Teil der Hayemschen Lösung verdunstet wäre, ‚weit mehr Zellen enthalten wie a,. Diese beiden Teilmittel a, und a, sind jedoch gerade diejenigen, die dem Gesamtmittel aus allen 50 Zählungen, nämlich 1039,46, am nächsten stehen: sie betragen 1038,5 und 1040,1, während a, 1044,1, a, 1038,2 und a, 1036,4 betragen. Das geringe Plus von anderthalb Körperchen bei a, ist nicht zu verwerten, da gerade die beiden vorangehenden Teilmittel a, und a, sogar einen niedrigeren Wert ergeben wie a selbst. Betrachten wir nun einmal die 50 Zählergebnisse nicht vom \ Stand- punkte des durchschnittlichen Fehlers (vgl. Tab. II), sondern nach ihrer absoluten Größe, so ergibt sich folgende Gruppierung (Tab. V): Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 147 Tabelle V. Es liegen zwischen 1011—1020 > > » 1021— 1030 > „> ” 1031—1040 > >> „> 1041— 1050 » » % 1051—1060 > > nn 1061—1070 > > en, 1071—1080 6 Fälle TOT Sn; 10% b) >} 4 , 2 eb) Abb. 1. Ob das einer symmetrisch-gleichmäßigen Verteilung der Einzeldaten um ihren Mittelwert a entspricht, läßt sich sofort bei Konstruktion der entsprechenden Kurve übersehen. Dabei ergibt sich eine Unregelmäßigkeit der Kurvenlinie in der Gegend der 5 und 4, die sicherlich nur auf die relative Kleinheit von » (= 50) zurückzuführen ist. Denn eine durchaus ebenmäßige Kurve erhält man sofort, wenn man die 650 (50 x 13) Reihenquersummen benützt. Die Häufigkeit der einzelnen Quersummen gibt Tab. VI an: Tabelle VI. 63 0 Fälle TS 39 Fälle 64 3a 716 2b 65 0: 77 AS ce 66 Ar, 78 49. ,; 67 A 79 AD 68 I; so DI: 69 (e 81 34, 5 70 1 ee 82 46: , a Ele. 1, 83.240 ,,, 72 IH 4 | 84 I TEE DDR 82 74 DANN 86 A DEE 87 ' 22 Fälle 88 2 55 89 Se2 90 las, 91 re, 92 Da: 93 De, 94 De, 95 ZA ep 96 Ion 3 Da 98 lo Tab. VII bietet in einer sog. „reduzierten Verteilungstafel‘“ eine Zusammenfassung von immer je 4 aufeinanderfolgenden Querreihen, deren Resultat die darauf folgende Kurve 2 veranschaulicht: Tabelle VII. Es liegen zwischen 63 und 66 » » »» Gerd > = ” U al ; » » VD le = ++ ” 152 > »» 2 83 „86 » » > ST 90 > » » E94 > >» » JOB 93 Abb. 2. Seinerzeit hatte Hayem jede Kammerfüllung durch Capillarität abgelehnt, weil er der Ansicht war, daß sie keine gleichmäßige Füllung sewährleiste, da viele Körperchen vom Eintritt in den capillaren Raum . 103 148 B. Feucht: zurückgehalten würden. Man hätte sich demnach vorzustellen, daß es zunächst zu einer Blutkörperchenstauung vor der Eingangspforte käme; wenn dann der auf den Empfangspavillon gebrachte Tropfen größten- teils eingesogen sei, und die in der Kammer noch wirksamen capillaren Attraktionskräfte auch den Rest des außen befindlichen blutkörperchen- angereicherten Tropfens hineinzögen, müßten diese letztgefüllten und dem Eingange nächstgelegenen Teile der Kammer viel zellreicher sein als die hinteren. Eine praktische Nachprüfung kann diese Hypothese für die Bürkersche Kammer in keiner Weise bestätigen: es wurden von allen 50 Kammerfüllungen erstens die dem Eingange nächst- gelegenen Reihen und zweitens die hintersten Reihen addiert. Es ergab sich als arithmetisches Mittel für die vorderste 79,3 und für die hinterste Reihe 80,1 Zellen (das durchschnittliche Reihenmittel für alle 650 Quer- reihen ist 79,9). Wenn ein konstanter Fehler im Sinne der Hayemschen Vermutungen wirksam wäre, dann müßte sich dieser durch seine 50- fache Summation im arithmetischen Mittel der vordersten Reihe in auffälliger Weise bemerkbar machen; es ist jedoch nicht das mindeste davon zu sehen! Es soll nun weiter aus den in Tab. III zusammengestellten Einzel- resultaten der mittlere Fehler festgestellt werden, auf den man zu rechnen hat bei Bürker, wenn man durchschnittlich 1040 Zellen ver- wendet. Zu diesem Zwecke ist es zunächst nötig, die Abweichungen der Ein- zelresultate von ihrem arithmetischen Mittel festzustellen und sich daraus die Fehlerquadrate zu verschaffen (s. Tab. VIII): Tabelle VII. | Abweichungen ' Anzahl der Zellen Fehlerquadrate | Genau Abgerundet ni 1015 — 24,46 — 94,5 600,25 T, 1026 — 13,46 — 13,5 182,25 Al; 1062 + 22,54 + 22,5 506,25 A, 1012 — 27,46 — 27,5 756,25 Al- 1024 — 15,46 — 15,5 240,25 m, - 1047 1 7,54 es 56,25 ar 1058 —- 18,54 —+ 18,5 342,25 Ts 1041 —+ 1,54 + 15 2,25 Ak, 1022 — 17,46 — 17,5 306,25 To 1078 —+- 38,54 + 38,5 1482,25 T,ı 1035 — 4,46 — 4,5 20,25 le 1026 — 13,46 — 13,5 182,25 Abs 1032 — 7,46 — 7,5 56,25 An | 1071 + 31,54 + 31,5 992,25 | 1042 + 2,54 25 6,25 N 1040 + 0,54 + 05 0,25 Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. Tabelle VIEL (Fortsetzung). 149 Abweichungen Anzahl der Zellen Genau Abgerundet | Fehlerquadrate Ir 1055 + 15,54 Ei; 1069 AN EE DE 1041 Le De 1030 — 9,46 Wi: 1038 — 1a Ind, 1023 — 16,46 Be, 1034 | Ra. 1019 — 20,46 | ur 1057 | 2 1031 — 8,46 a 1049 EN En 1039 06 IB 1045 5%: Eon 1047 a eh {RL 1031 — 8,46 Bu: 1019 — 20,46 1048 + 8,54 E 1022 — 17,46 Rn 1040 a De 1025 — en ; 1066 26,54 | B. 1025 — 14,46 an ı\ 1049 + 9,54 | 1039 — 0,46 1 "1067 a Wo 1020 — 19,46 .. Wis 1040 0 ea 1054 114,54 ‚| Be 1026 — 13,46 1 1038 — 1,46 En 1050 + 10,54 Ben...) 1020 — 19,46 Fa 1031 —346 nn 1055 A Tlspar! 240,25 870,25 2,25 90,25 2,25 272,25 30,25 420,25 306,25 72,25 90,25 0,25 20,25 56,25 72,25 420,25 72,25 306,25 0,25 210,25 702,25 210,25 90,25 0,25 756,25 380,25 0,25 210,25 182,25 2,25 110,25 380,25 72,25 240,25 | | 657,92 | 12634,50 12634,50 49 Nun ist m—| u ,„ also m—|/ n— |] Drücken wir das in Prozenten des Mittelwertes aus, so ergibt sich: m — 1,5%, (genauer 1,5448%). Dieser Wert hängt zunächst vollkommen in der Luft, d.h. bleibt un- anschaulich, solange wir ihn nicht mit einer anderen Größe vergleichen. Rechnen wir daher diesen mittleren Fehler einmal um in den wahr- 150 B. Feucht: scheinlichen Fehler, um ihn dann mit dem Abbeschen theoretischen wahrscheinlichen Fehler zu vergleichen!). Wie anderorts ausgeführt (vgl. Diss., S. 84—85), ist r= m (0 -J2)2), —= m - 0,67449 — 1,5448 - 0,67449 —= 1,0% (genauer 1,0419%). SS 3 1!) In einem sehr großen Teil der älteren Literatur über Erythrocytometrie findet man nicht den mittleren, sondern den wahrscheinlichen Fehler angegeben. Dieser wahrscheinliche Fehler, der von dem Astronomen Bessel in die Wissen- schaft eingeführt und zunächst in der Astronomie viel angegeben wurde, durch Untersuchungen von Gauß und Enke jedoch wieder entthront worden ist, wurde seit den grundlegenden Untersuchungen, die Abb € über seine Größe bei Blutkörperchenzählungen angestellt hatte, von vielen Autoren ausschließlich an- gegeben, z. B. von Thoma. Erst in neuerer Zeit vollzieht sich in dieser Beziehung eine Wandlung und man begegnet in der hämatologischen Literatur auch dem mittleren Fehler. Dieser Übergang zum mittleren Fehler ist ganz allgemein in allen Wissen- schaften zu finden, die sich der Ausgleichungsrechnung bedienen. Bei geodätischen Untersuchungen, bei denen die Methode der kleinsten Quadrate gegenwärtig in größtem Maßstabe angewandt wird, findet man nur noch den mittleren Fehler angegeben. Für die exakte Erblichkeitslehre kommt Johannsen (Elemente der exakten Erblichkeitslehre mit Grundzügen der Variationsstatistik, Jena 1913) auf Grund eingehender Untersuchungen zu dem Schlusse, daß es ‚‚richtiger und klarer‘ ist, immer nur mit dem mittleren Fehler zu operieren (S. 265). In einer neueren Arbeit über Holzmeßkunde hat sich Kunze (Untersuchungen über die Genauigkeit der Inhaltsberechnung der Stämme aus Mittenstärke und Länge, 1912) ausschließlich des mittleren Fehlers bedient. Von Vater, der die Methode der kleinsten Quadrate im Jahre 1902 auf die Bodenkulturversuche übertrug und der ihre Berechtigung und Brauchbarkeit für diesen Wissenschaftszweig seither in mehreren Abhandlungen dargetan hat, wird neuerdings (1918) vorgeschlagen, auch hier nur den mittleren Fehler anzugeben, ‚um in allen Fällen eine Angabe gleicher Art machen zu können“. (Die Ausgleichungsrechnung bei Bodenkultur- versuchen, S. 70.) Nicht ganz ohne Einfluß auf diesen allmählichen Wechsel mag das Buch von Jordan (Handbuch der Vermessungskunde, 5. Aufl., 1. Band, 1904) gewesen sein, aus dem, der hohen Auflage nach zu schließen, ein recht erheblicher Prozentsatz der jetzt diese Methode gebrauchenden Forscher ihre erste Kenntnis der Ausgleichungsrechnung bezogen haben mag. Im Verlaufe seiner lichtvollen Darstellung der Methode der kleinsten Quadrate zitiert Jordan einen Ausspruch von Gauß, wo dieser den „‚sogenannten wahrscheinlichen Fehler ganz proskribiert zu sehen‘ wünscht; infolgedessen befaßt sich Jordan fast nur mit dem mittleren Fehler. Auch Czuber folgert aus seinen rein-mathematischen Überlegungen, daß der mittlere Fehler die sicherste Beurteilung der Genauigkeit bietet (Theorie der Beobachtungsfehler, 1891, S. 182). Bruns (Wahrscheinlichkeitsrechnung und Kollektivmaßlehre 1906, S. 123) faßt abschließend seine Meinung über die wahr- scheinliche Abweichung dahin zusammen, daß man selbige jetzt „ruhig dahin verweisen könne, wohin sie gehört, nämlich in die Sammlung der historischen Altertümer““. :2) Näheres über 0 vgl. Jordan, 1904, Band 1, S. 543ff. Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 151 Nach Abbe erhalten wir für den theoretisch kleinstmöglichen wahr- scheinlichen Fehler bei Zählung von 1039,5 Zellen 0 0,674 , — — — 0,020904 , /1039,5 r —= 2,0% (genauer 2,04%); . d.h. also: der wahrscheinliche Fehler fällt hier bei Bürker genau 50% niedriger aus wie der nach Abb£& berechnete. Es ist das ein Ergebnis, das in höchstem Maße auffällig und be- achtlich ist. Man wird sich hier wohl den Tatsachen beugen und an- erkennen müssen, daß die Bürkersche Methodik, deren Charakteristika: 1. die Art der Mischung und Übertragung und 2. die Verteilung der Blutkörperchen über die Zählfläche hin durch Capillarität darstellen, genauere Resultate zu liefern imstande ist wie die alles Thomasche Methodik. Des Hervorhebenswerten ist aber damit noch nicht genug! Es war nämlich schon Reinert (8.56) aufgefallen, daß beispielsweise bei Durchmusterung von 200 Quadraten mit durchschnittlich 1325 Zellen, wobei 100 Einzelbeobachtungen zugrunde gelegt waren, der gefundene wahrscheinliche Fehler auch für Thoma kleiner war wie der theore- tisch-errechnete (gefunden: + 1,3009%;; theoretisch: + 1,82%); aller- dings war er da nur um !/, kleiner, während er hier um die gute Hälfte (um 50,158%!) kleiner ist. Reinert gibt an Ort und Stelle seiner leb- haften Verwunderung über diese eigenartige und befremdliche Tat- sache Ausdruck, ohne freilich für diese Differenz eine vollkommen befriedigende Erklärung abgeben zu können. Ohne Zweifel wird man der Abbeschen Formel zugute halten müssen, daßsie, dasie jareine Theorie ist, auch die Möglichkeitextrem-hoher Fehler, die ja, wie an anderer Stelle entwickelt, das Resultat ganz besonders zu drücken pflegen, weitgehend und unparteiisch berücksichtigt; nun gibt jedoch schon Reinert an, daß er extrem-hohe Fehler von vornherein zu vermeiden tunlichst bestrebt war, daß er beispielsweise jedes Präparat, bei . dem schon bei bloßer Besichtigung irgendeine Unregelmäßigkeit in der Zellverteilung wahrnehmbar war, verwarf und durch ein neues ersetzte. In gleicher Weise haben wir uns natürlich auch bei Bürker einer pein- lichen Genauigkeit bei all den kleinen Handgriffen befleißigt, speziell stets 2 volle Minuten nach der Uhr gemischt, den Korken nur wenige !) Abbe bezeichnet in seinen Darlegungen mit n immer die Summe. der ge- zählten Zellen und ist diese Benennung hier beibehalten worden, während n an allen übrigen Stellen dieses Aufsatzes die Anzahl der zur Bildung des betreffenden Mittelwertes verwandten Einzelgrößen bedeutet. " 152 B. Feucht: Sekunden zum Aufsaugen in die Übertragungspipette gehoben, um keinen Verdunstungsfehler aufkommen zu lassen und 3. alle Präparate, beidenen die Kammerfüllung makroskopisch in irgendeinem Punkte nicht befrie- digte, ausgeschlossen. Sicherlich ist das ein Grund, weshalb wir hinter der theoretisch-erlaubten Fehlerhöhe hier soweit zurückgeblieben sind. Noch einen zweiten Punkt möchte ich zur Erklärung heranziehen, das ist die bei häufiger Wiederholung aller Technizismen sich ein- stellende große Übung, die gleichfalls fehlerherabmindernd wirkt. Ver- fasser verfügt z. B. aus dem Jahre 1914, wo er noch völlig unvertraut mit der Blutkörperchenzählung war, über eine Serie von 10 Zählungen des gleichen Blutes nach Bürker; jede umfaßt durchschnittlich 1052 Zellen. Auch damals war schon der Abbesche Fehler etwas größer als der praktisch-errechnete, die Differenz machte jedoch nur ein Siebentel aus. Die in der Zwischenzeit erworbene manuelle Geschicklichkeit und Sicherheit in der numerischen Blutanalyse wird höchstwahrscheinlich auch in bescheidenem Maße an der Herabsetzung des Fehlers beteiligt sein. Drittens spielt eine Rolle, daß die Fehlerberechnung jetzt auf einer viel breiteren Grundlage aufgebaut ist als 1914, wo nur 10 Zählungen verwendet werden konnten. Je größer n, d.h. die Zahl der Einzel- beobachtungen, wird, um so leichter werden extrem-hohe Fehler wieder etwas ausgeglichen und gewissermaßen vertuscht werden. Dann fällt aber noch mehr ins Gewicht, daß die Reinertsche Differenz von 1/, zwischen Theorie und Praxis für den Thomaschen Apparat aus 100 Einzelbeobachtungen gewonnen wurde, während wir unsere Differenz von !/, aus nur 50 Einzelbeobachtungen erhalten haben. Jedenfalls ist auf letzteres Ergebnis einiger Wert zu legen und er- blicke ich daher einen besonderen Vorzug der Bürkerschen Kammer darin, daß sie bei der vereinfachten Handhabung auch noch ein ge- naueres Resultat zu liefern imstande ist als Thoma. Tab. VIII bietet übrigens Gelegenheit, die Zahlen von Tab. I nachzuprüfen. Die einfachen Abweichungen!) werden summiert und i, weil es sich um scheinbare Fehler handelt, nach folgender Formel berechnet: [+v] 657,92 ee — ; Yn(n — 1) 50 - 49 6957,92 — — 14,101 ; /2450 idemnach —= 14 Zellen. Hiernach sind dann die Intervalle von a + 0,251 bis & — 0,251, von @ + 0,5: bis « — 0,53 usw. zu ermitteln. !) Zur Berechnung von i sind die genauen Abweichungen benutzt worden; dagegen waren zur Gewinnung von m die Abweichungen zur Vereinfachung der ohnehin weitschweifigen Rechnung auf eine Dezimale abgerundet worden, die dann durchgehend 0,5 lautet; die Quadrierungen wurden alsdann unter Benutzung von Tabelle VII der Wittsteinschen Logarithmentafeln vorgenommen. Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 153 Wenn eben erwähnt wurde, daß die Abweichungen zur Gewinnung von m auf eine Dezimale aufgerundet wurden, so ist damit « mit 1039,5 anzusetzen. Diese geringe und allem Anscheine nach ganz unwesentliche Abrundung um + 0,04 läßt jedoch schon nicht mehr die Anwendung von Formel [v] = 0 als Prüfungsmittel für die Richtigkeit von a zu. Wenn « = 1039,46 Zellen, dann ergibt die Summe der positiven Ab- weichungen + 323,96, die Summe der negativen — 323,96; also: rJ=0, d.h. + 323,96 — 323,96 =0. Wird dagegen a = 1039,5 angesetzt, so erhält man für die Summe der positiven Fehler +323, für die Summe der negativen — 325. Auf Grund eigener Beobachtungen und Berechnungen hatte Bür ker im Jahre 1905 angegeben (Arch. f. d. ges. Physiol. 107), daß bei seiner Kammer schon 80 Quadrate zur Erzielung eines brauchbaren Mittel- wertes genügend seien; das würde, normales Blut vorausgesetzt, die Verwertung von ungefähr 500 Zellen ausmachen. Reinert hatte da- gegen aus seinen ausgedehnten Rechnungen gefolgert, daß bei normalem Blute (und nota bene der gleichen Verdünnung wie bei Bürker) die Zählung von 200 Quadraten ein ‚dem erreichbaren Grad von Genauig- keit schon sehr nahekommendes Resultat zu liefern imstande ist“ (S. 62), fordert also damit die Verwertung von 1500 Zellen. Um festzustellen, ob tatsächlich die 30 Quadrate genügen, wurde von den 50 Zählungen für alle emzelnen Quersummen der mittlere Fehler des Mittelwertes | Formel: M = VE kan] ii berechnet und die 1) Einzelergebnisse zu jeweiligen ne Geraälnitlein vereinist. Für unsere Rechnungen sind wir vom Zellinhalt des einzelnen Quadrates ausgegangen, haben dann die Summe der Fehlerquadrate gebildet und danach den mittleren Fehler des Mittelwertes für diese Reihe berechnet, dann M für die erste bis zweite Reihe, dann für die erste bis dritte Reihe usw. usw. Also Beispiel: die Einzelinhalte der 13 Zählquadrate sind folgende: 5, 7, 3,6, 7,4, 9,5, 7,1, 10, 7,9. Die Quersumme beträgt 80, das arithmetische Mittel für ein Zählquadrat demnach 6,2. Die dazugehörigen Fehlergua- drate sind folgende: 1,44; 0,64; 10,24; 0,04; 0,64; 7,84; 1,44; 0,64; 4,84; 27,04; 14,44; 0,64; 7,34. Die Summe der Fehlerquadrate beträgt 77,72. Es entstand nun für uns die Frage: Ist es nötig, vom genauen (resp. vom genaueren!) arithmetischen Mittel auszugehen, oder ist es erlaubt, auf ganze Zahlen abzurunden, im vorliegenden Falle also den durchschnittlichen Zählflächeninhalt mit 6 anzusetzen und danach die Fehlerquadrate zu bilden ? 1) Der Divisor 13 gibt ja in den meisten Fällen unendliche Brüche, so daß das wirklich genaue arithmetische Mittel im Dezimalsystem überhaupt nicht ausdrückbar ist 154 B. Feucht: A priori muß man sich hier sagen, daß das abgerundete Mittel eine srößere Fehlergquadratsumme geben wird als das genauere; denn ein Teil des G. G. besagt ja eben, daß beimVorhandensein einer größeren Zahl von Einzelbeobachtungen (Messungen, Zählungen, Wägungen usw.) das arithmetische Mittel daraus diejenige Größe ist, für die [es] = Min. gilt. So müssen wir also erwarten, daß der abgerundete, d. h. ungenauere Mittelwert eine größere Fehlerquadratsumme gibt als der genauere. Es ist daher nur durch eine längere Reihe von einander gegenüber- gestellten Doppelzählungen möglich, zu entscheiden, ob die Abrundung des Zählflächeninhaltes trotzdem erlaubt ist. Tab. IX gibt zur Veranschaulichung der Rechenmethodik die Auf- stellung der Fehlerquadrate bei Unterlegung des genaueren und Tab. X des abgerundeten Zählguadratinhaltes für eine beliebig herausgegriffene Kammerfüllung wieder: Tab. XI stellt die erhaltenen Summen der Fehlerquadrate einander gegenüber. Tabelle IX. 1,44| 0,25) 0,09) 4,84| 14,44| 13,69 0,81 0,04 4,41 1,21) 1,96) 2,56 0,01 0,64| 0,25| 0,09) 1,44| 1,44 13,69| 8,41) 1,44| 8,41) 0,81| 0,16, 5,76| 0,01 10,24| 0,25) 1,69| 7,84| 0,64| 1,69| 4,41) 0,04| 0,81) 0,81). 5,76) 1,96 3,61 0,04| 0,25) 1,69| 7,84) 0,04| 2,89| 1,21 10,24|15,21) 0,01| 0,16) 2,56| 1,21 0,64) 2,25 0,49 1,44| 0,04, 0,49| 9,61) 0,04 0,01 1,21) 1,96| 1,96 15,21 7,34| 0,25) 0,09|17,64, 0,64 7,29 3,61 4,84 4,41 0,01 6,76| 6,76| 0,01 1,44 | 0,25, 2,89 10,24| 4,34 5,29| 3,61) 7,84 0,81) 4,41) 1,96) 6,76 0,81 0,64 |30,25| 0,09|23,04| 7,84| 1,69 0,01 0,04| 1,21 0,01 6,76/11,56 | 4,41 4,34| 0,25) 5,29) 1,44 0,04| 0,09| 0,81 | 7,84 1,21 0,31 0,16) 0,36| 4,41 27,04\ 0,25) 0,09 3,24| 4,84 5,29| 0,81 | 4,84! 0,01) 0,01 0,16| 0,36 1,21 14,44 | 0,25| 22,09| 0,64| 1,44 10,89) 1,21) 3,24) 0,01) 0,01, 0,36) 0,16, 1,21 0,64 | 2,25, 0,09. 7,84\10,24 0,09| 0,81) 7,84 4,41| 3,61| 2,56| 0,36| 0,81 7,84| 2,25) 0,09) 4,84| 7,84| 1,69| 9,61, 1,44 0,01, 0,01) 0,36| 1,96| 0,01 77,12 39,25| 34,77 | 92,32| 54,32 | 64,77 44,93| 49,72 40,93| 12,93 | 29,08) 43,08 32,93 Tabelle X. NZ RE ee ne 0 IN i I NET Ye g 1 0 A a ae een | aa 0a 0 AR ne IE 16 0 0 A: a Sad. 1.0.12201,0. 100.2 al ro 00 1 1 1 116 A 202 16 1 eo | 4 0 9 9.2770 9 Om 9 | 1 4 1 SR 1.1525. (0% | 285 9 1 Om 220 1 0 9 9 |.4 1 a0 Ad 1 Oo 9 1 1 0 1 4 250,00 150 4 A I en 4 0 0 0 1 1 16 1 25 1 ll 4 0 0 il Om EA ER) 9 9, 0 9 4 4 au 1 9, re 4 On RS 1 0 0 N 0 Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. Tabelle XI. Genaue Summen Abgerundete Summen Il; 1.—2. 1.—3. 1.—4. 1.—5. 1.—6. 1.—1. 1.—8: 1.—9. 1.—10. 1.—11. 1.—12. 1.—13. In der angegebenen Weise wurde nun diese Doppelrechnung für die 10 Kammerfüllungen T, bis T,, durchgeführt, die der Raumersparnis halber hier im einzelnen nicht angeführt werden sollen, und dann der mittlere Fehler des Mittelwertes nach der oben erwähnten Formel für die erste Querreihe, dann für die 1.—2., dann für die 1.—3. Quer- reihe usw. berechnet. Auf die Wiedergabe der beiden ziemlich umfang- reichen Tabellen, deren eine unter Zugrundelegung des genauen und deren andere unter Zugrundelesung des abgerundeten Zählquadrat- inhaltes gewonnen wurde, muß verzichtet und auf die Dissertation selbst verwiesen werden. Die hieraus gewonnenen arithmetischen Mittel gibt Tab. XII wieder. Reihe 77,12 116,97 151,74 244,06 298,38 363,15 408,08 457,80 498,73 511,66 540,74 583,82 616,75 Tabelle XL. | 78 | 121 157 250 | 305 | 371 | 416 | 466 | 507 520 | 551 | | | 596 629 Arithmetisches Mittel aus den 10 Kammerfüllungen T, bis T,, bei Zugrundelegung des genauen Inhaltes eines Zählflächeneinzel- quadrates zur Bildung des auf Ganze abgerun- deten Inhaltes des Zähl- Nächeneinzelquadrates | von [vv] zur Bildung von [vo] IL. Reihe 0,58652 0,59375 eo ı., | 0,41959 0,42327 | 0,33303 0,33715 ar n,.; | 0,28879 0,29210 ee | 0,25290 0,25598 126: )1,, 0,22976 0,23250 ee 0,20986 0,21199 Beni 0,19437 0,19578 eg: 0,18222 0,18485 110. 5,5 0,17480 0,17687 te, 0,16609 0,16817 or; 0,15811 0,16004 ey, ),; 0,15105 0,15289 156 B. Feucht: Die aus Tab. XIl auf den ersten Blick ersichtliche weitgehende mathematische Ähnlichkeit beider Reihen wird bei Aufrundung auf eine Dezimale noch augenscheinlicher und geht dann in vollständige mathematische Identität über (s. Tab. XIII). Tabelle XII. h. Reihe 0,6 0,6 Bo 0,4 0,4 1 | 0,3 0,3 er 0,3 0,3 N 5, 0,3 | 0,3 Bee 0,2 0,2 RE PN 0,2 0,2 BASS En 0,2 0,2 129g 2: 0,2 0,2 1.206, 0,2 0,2 N 0,2 0,2 a 0,2 0,2 Da 0,2 0,2 Es folgt also hieraus, daß, unbeschadet der Genauigkeit, das auf sanze Zahlen abgerundete arithmetische Mittel des Einzelzählquadrates zum Ausgangspunkte für die Bildung der Fehlerquadrate genommen werden kann; es bedeutet das eine wesentlich zeitsparende angenehme Vereinfachung der ohnehin weitschweifigen Rechnung. Für die folgenden 40 Zählungen wurden die Fehlerberechnungen daher stets in der letzt- erwähnten Weise vorgenommen. Auch hier muß von der Reproduktion der in Serien von je 10 zusammengestellten größeren Tabellen mit Rücksicht auf die Papiernot Abstand genommen werden; die Resultate dieser 4 Tabellen findet man zusammengefaßt in Tab. XIV. Tabelle XIV. | To | Ta Ta | Ta, —To | Tu—T | Tu—T; | Summe A.M. | Abger. Il Reihe | 0,59375 | 0,51534| 0,52696| 0,59382| 0,56924 || 2,79911 |0,55982| 0,6 12.) 5; 0,42327 | 0,34915| 0,35390| 0,39400 | 0,39243 || 1,91275 0,38255| 0,4 1.—3. „1 0,33715|0,28779|0,29801| 0,30834| 0,32310 | 1,55439|0,31088| 0,3 1.—4. ,, 0,29210 | 0,26089| 0,26056: 0,26993| 0,26982 | 1,35330 | 0,27066 | 0,3 1.—5. „ ,0,25598| 0,23387 0,23974 0,24064 0,23868 | 1,20891|0,25178| 0,3 1.—6. ,, 10,23250 |0,21741 0,22087 0,21655| 0,21456 | 1,10189|0,22038| 0,2 1.—7. , |/0,21199 |0,20560| 0,20189| 0,20273| 0,19994 || 1,02215|0,20443 | 0,2 1.—8. ,„ 0,195780,19169| 0,18748| 0,18690| 0,18481 | 0,9446610,18933| 0,2 1.—9. ., ‚0,18485 |0,17955) 0,17623 0,17968| 0,17538 | 0,89569|0,17914| 0,2 1.—10. ,„ ,0,17687 0,17156| 0,16646| 0,17028| 0,16735 | 0,85252|0,17050| 0,2 1.—1l1l. „ ,0,16817 |0,16412| 0,15877| 0,16311| 0,16086 | 0,81503 |0,16301| 0,2 or ,0,16004 0,15912| 0,15353| 0,15460| 0,15355 | 0,78084 | 0,15617| 0,2 ln | 0,15289 | 0,15197| 0,14771| 0,15004| 0,14799 | 0,75060 [0,15012, 0,2 Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 157 Was besagt nun diese Tabelle XIV? Man sieht, daß der mittlere Fehler des Mittelwertes anfangs bis zur Summe der 1.—5. Reihe, d.h. bis zur Verwertung von 65 Zählquadraten schnell sinkt, daß er bei Verwertung der 1.—6. Reihe, also bei 78 Quadraten, bereits den Wert erreicht hat, über den er auch bei Verwendung von 169 Quadraten (Reihe 1—13) nicht mehr herunterkommt. Wir können somit auf Grund unserer Untersuchungen durchaus bestätigen, daß bei der Bürkerschen Methodik die Durchzählung von 80 Quadraten ausreicht, um einen brauchbaren Mittelwert zu erhalten. Bei graphischer Darstellung der Resultate von Tab. XIV würde sich eine parabelähnliche Kurve ergeben, die anfangs steil abfällt, dann immer flacher ausläuft, um sich asymptotisch der Abszissenachse zu nähern, ohne sie je zu erreichen, d.h. der mittlere Fehler des Mittel- wertes wird nie = 0 werden können, außer wenn die Anzahl der ge- zählten Zellen = » ist. Daß wir zu dem gleichen Ergebnis gelangen wie Bürker, ist noch aus einem anderen Grunde beachtlich: Bürker selbst ist für seine Fehlerberechnungen nicht von den Einzelzählquadraten ausgegangen ; mit um so größerer Genugtuung wird man daher vermerken können, wenn man auf einem anderen, weiteren Wege zu einem völlig gleichen Ergebnis gelangt wie Bürker. 80 Quadrate wären somit bei Ausschluß stärkerer Anämien aus- reichend, um sich ein einigermaßen zuverlässiges Bild über den Erythrocytengehalt des Blutes zu verschaffen. Es fragt sich nun, ob man sich auch für wissenschaftliche Zwecke mit diesen SO Quadraten begnügen wird. Hier mag persönliche Ge- wöhnung, vor allem aber das mehr oder weniger große Genauigkeits- bestreben des jeweiligen Untersuchers ausschlaggebend sein; ich selbst bin seit mehreren Jahren so vorgegangen, daß ich mich auf 80 Quadrate (40 in jeder Kammer) nur für rasche Orientierung am Krankenbette beschränkt habe, für genaue Untersuchungen jedoch meist 2 Kam- mern ausgezählt und dann 320 Quadrate verwertet habe. Ebenso pflegt Bürker selbst vorzugehen. Es folgen nun weiter die Resultate einer Serie von 30 Zählungen desselben Blutes nach Bürker (B, bisB,,), die innerhalb von 5 Tagen vorgenommen worden sind. Die durchgeführten Fehlerbestimmungen bestätigen in jeder Weise die Ergebnisse von Serie T, bis T,,, und geben somit den Folgerungen, die wir oben aus dieser Serie (T, bis T,,) ge- zogen hatten, erhöhten Nachdruck. Tab. XV gibt zunächst eine Zusammenstellung der 30 Einzel- zählungen B, bis B,,, ferner enthält sie die jeweiligen Abweichungen vom arithmetischen Mittel und endlich die Fehlerquadrate. 158 B. Feucht: Tabelle XV. Son ne ie u? | ayaclung ee B, 1006 | — 7,9 | 62,41 B, | 1036 | +221 | 488,41 B, | 1005 es Be 10187 | +41 | 1681 B, 99. | | 22,9 524,41 Bi, AO | + 23,1 533,61 B, 1029 | | +151 228,01 B, || 1004 | | — 9,9 98,01 B, 1012 | | — .19 3,61 Bio 1030 + 16,1 259,21 Be 2 + 13,1 171,61 Br 981 — 32,9 1082,41 Br oo — 12,9 166,41 Bua 990 — 23,9 571.21 Be 1021 1013.90 1 u 50,41 Bis 1016 + 2,1 4,41 By; 1024 + 10,1 102,01 Bis 1036 | | +21 488,41 Bi 10100 I + 72,1 4,41 Ba 21016, I) I 4,41 Bi, 10222) | + 81 65,61 Bus 988 | —25,9 670,81 Br 1021 + 71 50,41 B;, 1018 + 41 16,81 Be 1025 +11,1 123,21 Br 1010 — 3,9 15,21 By, 1000 — 13,9 193,21 Bas 1017. | Bl 9,61 Bas 995 | ı —18,9 357,21 5 1025 + 11,1 123,21 Wiederum dient uns die Formel [v] = 0 als Rechenkontrolle für die Richtigkeit des arithmetischen Mittels, d.h. die Summe der positiven und negativen Abweichungen muß = 0 sein: + 183,8 — 183,8 = 0. Der mittlere Fehler berechnet sich alsdann nach der Formel m, NR a 6564,70 357, — 15,046 Zellen = 1,4839%. Wiederum führen wir den mittleren in den wahrscheinlichen Fehler über und erhalten dann: r= 1,0009% , r (nach Abbes theoretischer Formel) = 2,1167 Vor Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 159 Also auch hier gibt die Bürkersche Kammer ein um reichlich 50% besseres Resultat als das nach Abbe bei Thoma theoretisch überhaupt bestmögliche. Die nächste Tabelle (Tab. XVI) bietet eine Übersicht über die Fehlerquadrate aller 30 Zählungen: sie bildet ferner die Grundlage für die anschließenden Berechnungen von M, d. h. für die Be- rechnung des mittleren Fehlers des Mittelwertes, der dann seiner- seits aus Tab. XVII ersichtlich ist. Tabelle XVI. is | . bis 1. bis | 1. bis .bis | 1. bis | 1. bis 1. bis | 1. bis | 1. bis | 1. bis '1,r.|4-bis| 1.bis | 1 1 | 2.R.|3.R.|4.R.|5.R.|6.R. 7.R 3.R:| 9.R. |I0.R. 11.R. | 12.R. | 18. R. B, | 66 | 126 | 172 | 232 | 269 | 312] 385 | 419 | 481 | 548 | 602 | 659 | 693 B, |37 | 70| 139 | 162 218 | 279 | 358 | 403 | 446 | 523 | 555 | 626 | 652 B, |37 | sı | 128 | 163 196 | 239 | 307 | 338 | 362 | 405 | 459 | 508 | 530 B, |42 | 61 113 | 152 | 188 | 257 | 290 | 347 | 390 | 439 | 490 | 535 | 573 B, | 49 | 108 | 151 | 196 | 220 | 251 | 337 | 377 | a21 | 473 | 514 | 568 | 621 B, |44 | 87 | 121 | 147 | 205 | 243 | 280 | 322 | 398 | 439 | 478 | 540 | 577 B, | 38 | 106 | 147 | 215 | 270 | 338 | 357 | 390 | 469 | 521 | 591.| 635 | 671 B, | 52 | 97 | 156 | 184 | 224 | 297 | 334 | 382 | 433 | 496 | 516 | 577 | 657 B, | 39.| 76 | 115 | 147 | 218 | 281 | 320 | 374 | 405 | 431 | 463 | 519 | 545 B;o | 94 | 192 | 245 | 313 | 350 | 405 | 455 | 492 | 555 | 611 | 644 | 694 | 725 Bıı | 43 | 130 | 184 | 219 | 320 | 402 | 425 | 483 | 559 | 610 | 638 | 687 | 771 B.. | 40 | 136 | 182 | 220 | 299 | 415 | 444 | 512 | 575 | 645 | 674 | 709 | 743 Bız| 36 | 83. | 141 | 181 | 230 | 287 | 326.| 389 | 460 | 578 | 637 | 685 | 749 B| 40 | 149 | 182 | 261 | 320 | 376 | 406 | 475 | 562 | 608 | 670 | 719 | 784 B,;, | 73 | 124 | 155 | 199 | 263 | 329 | 369 | 411 | 492 | 589 | 687 | 763 | 795 Bis | 62 | 138 | 213 | 293 | 363 | 451 | 504 | 545 | 571 | 613 | 650 | 690 | 744 B,,|42 | sı|143 171 221 | 246 | 313 | 358 | 409 | 488 | 537 | 621 | 647 Bis | 39 | 116 | 159 | 239 | 326 | 368 | 457 | 511 | 599 | 649 | 715 | 798 | 890 Bis | 47 | 82 | 143 | 178 | 266 | 296 | 338 | 406 | 463 | 520 | 545 | 638 | 679 B,, | 54 | 131 | 210 | 241 | 296 | 384 | 419 | 471 | 549 | 571 | 627 | 660 | 724 B,, |'46 | 117 | 186 | 223 | 321 | 362 | 401. | 448 | 502 | 542 | 596 | 640 | 712 B„»|27 | 53| 95 | 161 | 231 | 323 | 392 | 464 | 541 | 564 | 575 | 640 | 727 B,; | 20 | 82 | 137 | 164 | 217 | 288 | 331 | 381 | 434 | 486 | 524 | 590 | 687 Bz.| 21 | 69 | 134 | 241 | 315 | 372 | 412 | 458 | 509 | 556 | 591 | 665 | 742 B,; | 50 | 71 | 134 | 222 | 286 | 328 | 436 | 495 | 530 | 556 | 585 | 642 | 679 Bzs | 39 | 119 | 184 | 237 263 | 295 | 330 | 419 | 459 | 535 | 590 | 650 | 661 B,, | 31 | 64 | 106 | 166 | 243 | 323 | 390 | 424 | 508 | 552 | 599 | 652 | 718 B,, | 42 | 97 | 135 | 186 | 272 | 305 | 336 | 359 | 412 | 455 | 549 | 576 | 634 B,, || 58 | 114 | 142 | 259 | 281 | 304 | 370 | 432 | 509 | 568 | 613 | 690 | 728 B,, | 36 | 61 | 105 | 168 | 195 | 293 | 346 | 415 | 504 | 531 | 581 | 648 | 679 Tab. XVII lehrt, ebenso wie oben Tab. XIV, daß der mittlere Fehler des Mittelwertes bei Verwendung von 6 Querreihen, d.h. von. 80 Quadraten, bereits den Wert erreicht, unter den er auch bei Aus- zählung der ganzen Zählfläche nicht, heruntergeht. 1860 B. Feucht: Tabelle XVD. M von B, bis By» Genau ‘ Abgerundet 0,53984 8,5 | ea r | 0,39360 0.4 .— „ I 065 0.3 5, 1 Tr 0,3 1.5, | 0358 0.3 ee iii. n 0,2 1.7.0 10 0,2 128. 9, nr 0,2 var In naar 0,2 1-3. 5, FRaNEgı 0,2 AL, -: 1: am. 02 N 0.16279 0.2 1.8. „ | 0235606 0.2 Zusammenfassung: l. Der bei Thoma regelmäßig auftretende, ‚konstante‘ Füllungs- fehler, der stets zu hohe Erythrocytenwerte liefert, wird bei Bürker durch die Abänderungen der Kammerkonstruktion und der Kammer- füllung vermieden. 2. Eine vollständige Blutuntersuchung nach Bürker erfordert kein Übermaß von Zeit, ist vielmehr in Y, bis höchstens ®/, Stunde gut durchführbar, so daß Zeitaufwand und schließliches Untersuchungs- ergebnis in einem angemessenen Verhältnisse stehen. Bei Thoma ver- langte z.B. Laker, der sich allerdings durch besondere Skepsis aus- zeichnete, nur für eine emwandfreie Erythroceytenzählung ‚‚mindestens 2 Stunden“, da man sonst einen Zählfehler bis zu 20% (!) riskiere. 3. Die Füllung der Bürkerschen Kammer ist gegenüber Thoma einfacher und somit weniger der Möglichkeit variabler Fehler ausgesetzt. 4. Die Bürkersche Kammer arbeitet zuverlässiger wie die Thomasche: a) der empirisch bestimmte wahrscheinliche Fehler fällt für die Bürkersche Kammer um 50% niedriger aus als der theoretisch-kleinst- mögliche wahrscheinliche Fehler für die Thomasche Kammer. b) Bei einigermaßen normalem Blute, d.h. bei Ausschluß stärkerer Anämien, ist die Durchmusterung von SO Quadraten oder von rund 500 Zellen zur Erlangung eines verläßlichen Mittelwertes ausreichend. Literaturverzeichnis. !) Abbe&, Sitzungsbericht der Gesellschaft für Medizin und Naturwissen- schaften in Jena 1878, Nr. 29. — °) Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 105. — >) Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 10%. — *) Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 118. — °) Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 142%. — °) Bürker, Arch. f. d. ges. Physiol. 15%. — ') Bürker, Gewinnung, qualitative und quantitative Bestimmung Zur Bürkerschen Methodik der Blutkörperchenzählung. 161 des Hämoglobins. In Tigerstedts Handb. d. Physiol. Methodik 2. Band, I. Hälfte 1911. — ®) Bürker, Zählung und Differenzierung der körperlichen Elemente des Blutes in Tigerstedts Handb. der physiol. Methodik, 2. Bd., Abt. 5, 1912. — %) Bürker, Münchner med. Wochenschr. 1905, Nr. 6. — !°) Bürker, Münch. med. Wochenschr. 1905, Nr. 14. — !!) Bürker, Münch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 1. — !2) Bloch, Prager med. Wochenschr. 1912, Nr. 26. — ") Brünings, Arch. f. d. ges. Physiol. 93. — — *) Ellermann und Erlandsen, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 98. — ®) Ellermann und Erlandsen, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 100. — 2) Elzholz, Wien. klin. Wochenschr. 1894, Nr. 32. — !") Geigel, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 3%. — ') Hayem, Gazette hebdomodaire de Medeeine et de Chirurgie 12, 2. Serie, Nr. 19. 1875. — '?) Hühnerfaut, Virchows Archiv 76. — 20) Kjer-Petersen, Über die numerischen Verhältnisse der Leukocyten bei der Lungentuberkulose.. Würzburg 1906. — ?!) v. Koranyi, Physikalische Chemie und Medizin. Ein Handbuch. Bd. 2, 1907—1908. — °”) Laker, Wien. med. Wochenschr. 1886, Nr. 19. — #2) Miescher, Korrespondenzbl. f. Schweiz. Ärzte 1893, 8.830. — *) Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 3. Aufl, Leipzig 1919. — ®”) Reinert, Die Zählung der Blutkörperchen und deren Be- deutung für Diagnose und Therapie. ©. W. Vogel, Leipzig 1891. —*) Boerdansz, Arch. f. d. ges. Physiol. 145. — ?”) Roerdansz, Arch. f. d. ges. Physiol. 152. — 2) Schmidt-Lüthje, Klinische Diagnostik und Propädeutik innerer Krank- heiten. Leipzig 1910. — 2°) Stierlin, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 45. 1889. — 3) Thoma, Virchows Archiv 84. — ?!) Thoma, Virchows Archiv 89. — 2?) Veil- lon, In den histochemischen und physiologischen Arbeiten des Miescherschen Instituts. Bd. 2. 1891. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 11 Berichtigung zu meiner Arbeit: Beitrag zur Physiologie des venösen Vorherzens (Sinus und Hohl- venen) der Ringelnatter. Von Dr. Ernst Kupelwieser, z. 7. Assistent am Institut für allgem. u. experim. Pathologie der Universität Inusbruck. (Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 50. 1920.) (Eingegangen am 10. November 1920.) Die in meiner obigen Arbeit abgebildeten Kurven, deren nachträg- liche Umzeichnung — wie ich erst jetzt erfahre — während der Druck- legung notwendig wurde, da sich die eingeschickten Originalkurven für direkte Reproduktion als zu zart erwiesen hatten, zeigen einige auffällige Nichtübereinstimmungen mit den zugehörigen Beschreibungen und Tabellenwerten des Textes. Infolge meines Domizilwechsels habe ich die zweite Korrektur nicht erhalten und die Abbildungen vor dem Erscheinen der Arbeit nicht gesehen. Die Revision erfolgte von be- freundeter Seite, und hierbei wurden die Fehler nicht bemerkt. Es werden daher die Kurven in neuerlicher, möglichst getreuer Umzeichnung nachträglich zum Abdruck gebracht. Die neuen Ab- bildungen sind so hergestellt, daß von den Originalen durch episko- pische Projektion vergrößerte Bilder auf der Zeichenf’äche entworfen und nachgezeichnet wurden; diese Zeichnungen wurden hierauf auf photographischem Wege verkleinert und reproduziert. (Maßstab der neuen Abbildungen ca. 1,5: 1). E. Kupelwieser: Berichtigung. 163 Abk. 3. Kurve A. Abb. 4. Kurve B. 0,277 164 E. Kupelwieser: Berichtigung. Abb. 6. Kurve D. Abb. 8. Kurve F und F’. 24 af die Rolle der Milchsäure bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. Von Hans H. Weber, cand. med. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Rostock.) Mit 10 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. November 1920.) A. Zur Geschichte. Fletcher!) hat in seinen grundlegenden Arbeiten die Aufmerksam- keit auf die Eigentümlichkeiten der Milchsäurebildung im Muskel und ihre Bsdeutung für die im ihm postmortal stattfindenden Wasserver- schiebungen gelenkt. Die Wasserverschiebungen erklärte er osmotisch ; wo er einen Einfluß der Milchsäure auf sie annahm, tat er dies auf Grund einer dieser zugeschriebenen osmotischen Wirkung. Mit den Fortschritten der Kolloidehemie gewann die kolloidale Auslegung der Kontraktionserscheinungen an Bedeutung und wurde wohl am umfassendsten durch die v. Fürthsche?) Quellungstheorie ausgebaut: Muskelkontraktion und die verschiedenen Formen der Starrekontraktion wurden durch Quellung, ihre Erschlaffung bzw. Lösung durch Entquellung erklärt — und zwar beides unter Beteiligung von Milchsäure. Dieser bestechenden Anschauung schien ein Versuchskreis von H. Winterstein?) wenigstens in zwei Punkten zu widersprechen. Dieser hatte gefunden: 1. daß bei Zerstörung etwaiger osmotischer Einheiten durch feinste Muske!zerkleinerung (Muskelbrei) Imbibition in hypotonischen Lösungen (Aqua destillata) nicht stattfindet; dies sprach gegen Quellung für einen osmotischen Vorgang. Hergestellt war der Brei durch Zerreiben des Muskels mit Seesand in physiologischer Kochsalz!ösung; 2. ergab sich in }/,„—"/,„ n-Salzsäure sowie t/,,n-Milch- säure für geronnenen (durch Erhitzen auf 70— 100°) Brei keine geringere Wasseraufnahme als für frischen. Dies würde nach H. Winterstein !) Fletceher, The osmotic properties usw. Journ. of physiol. 30, 404. — Derselbe und Hopkins, Lactie acid in amphibian muscle. Ibid. 35, 247. 2) v. Fürth, Die Kolloidchemie des Muskels usw. Ergebnisse der Physiol. 1%, 363. 1919. 3) H. Winterstein, Über osmotische und kolloidale Eigenschaften des Muskels. Biochem. Zeitschr. %5, 48. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 12 166 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure gegen Wasserabgabe durch Entquellung bei Gerinnung sprechen, wie sie v. Fürth z. B. für Lösung der Totenstarre verantwortlich macht. v. Fürth suchte Wintersteins experimentelle Einwände durch folgende Deutung zu entkräften!): Bereits während der (nassen s. o.) Herstellung sei der Brei durch die infolge der mechanischen Verletzung rapide entwickelte Milchsäure gequollen. Nach mechanischen Läsionen fände weiterhin nach Fleteher?) keine nennenswerte Milchsäurebildung statt, so daß man also die Wasseraufnahme bereits mit der Zerkleinerung vor Beginn des eigentlichen Versuches als beendet ansehen müsse. Bringe man aber derartigen Brei in stärker quellungsfördernde Säure [Winterstein®) wählte 1/„—!/sn-Salzsäure oder !/,„n-Milchsäure], so nehme er zwar noch Wasser auf, sei aber doch schon von vornherein so stark hydriert?), daß sein stärkeres Quellungsvermögen gegenüber ge- ronnenem Brei nicht erkennbar wäre, da dieser ja durch die Hitze- koagulation nahezu vollständig dehydriert in den Prozeß einträte. Permeabilitätsversuche Wintersteins?) sprachen nicht unmittel- bar gegen die Fürthsche Theorie, sondern nur insofern, als sie die osmo- tischen Anschauungen stützten ; siezeigten, daß Permeabilitätsänderungen des Muskels („Löcherigwerden der Membran‘) mit seiner Gerinnung einhergingen. Da diese v. Fürthsche Deutung der Wintersteinschen Versuche im wesentlichen rein theoretisch war, regte Prof. Winterstein eine mög- lichst umfassende experimentelle Nachprüfung meinerseits an. B. Eigene Versuche. I. Methodik. v. Fürths Haupteinwand war also: Winterstein habe durch seine Be- obachtung der Imbibition an bereits während der nassen Zerkleinerung gequollenem Muskelbrei die Wasserverschiebungen an einem Material feststellen wollen, bei dem sie bereits ganz oder zum größten Teil beendet waren. Also begann ich alle Versuche an Muskelmasse, die-mit Wasser noch gar nicht in Berührung gewesen war. Die Breiherstellung erfolgte trocken durch feines Zerschneiden des mit Fließpapier getrockneten Muskels auf dem Porzellanbrett. Bei mehrfachem Wechsel der Skalpells ist in etwa 10 Minuten ein gleichmäßiger Brei herzustellen, der in der Kleinheit seiner Partikel dem nach der Winterstein- schen Methode gewonnenen nicht nachsteht. So bereiteter Brei kann also von außen während der Zerkleinerung nur die minimalen dem Muskel anhaftenden Wassermengen aufnehmen, die in ihrer Größenordnung in keiner Weise mit den bei Toten- oder gar Wasserstarre imbi- bierten verglichen werden können. 1) O. v. Fürth, Ergebnisse der Physiol. 1%, 411 und 418. 2) Fleteher and Hopkins, Lactie acid usw. Journ. of Physiol. 35, 247. s) Winterstein, Über osmotische und kolloidale Eigenschaften usw. Bio- chem. Zeitschr. %5, 48. ; 4) Trotz entquellender Ionenwirkung der physiologischen Kochsalzlösung, in der der Brei hergestellt wurde (s. oben). bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre, 167 Zur Bestimmung des Breigewichts vor und nach der Einbringung in ein Bad konnte ich die Wintersteinsche Wägungsmethode nicht anwenden, da mit starker capillarer Wasseraufnahme im Moment des Einbringens zu rechnen war. Immerhin ergaben als Vorversuch gemachte Wägungen nur !/, bis !/, der Gewichtszunahme (durch Aqua dest. und 0,7%, NaCl gleichmäßig) des wasserstarren intakten Muskels. Die eigentlichen Versuche machte ich dann an einem, später zwei Osmo- metern (Abb. ]). In ihnen befindet sich der Muskelbrei in einem Glaskopf A unter einer Mem- bran M, mit der dieser oben zugebunden ist, über Quecksilber!). Der ganze Kopf wird in der Lösung versenkt, deren Wirkung auf die Muskelmasse untersucht wer- den soll. Von ihm geht ein quecksilbergefülltes Rohr C aus, das in einer wage- rechten Ablesecapillare endigt. Diese verläuft in ungefähr gleicher Höhe mit dem oberen Rand des Osmometer- kopfes. Sie kann aber mit Hilfe des beweglichen Zwischenstückes T höher oder tiefer gestellt werden, so daß man für jeden Versuch den während seiner Dauer immer annähernd?) konstanten Quecksilberdruck nach Bedarf einstellen kann. c 7 Ablesekapillare gg ee Abb. 1. A Osmometerkopf. C Erster am Osmometerkopf angeschmolzener Bohrabschnitt. T bewegliches Zwischenstück. M Membran. G Füllgefäß. Ein Quecksilbergefäß, durch dessen Heben und Senken man die Füllung des Osmometers regelt, schließt man mit abklemmbarem Schlauch an das zwischen Osmometerkopf und -capillare befindliche t-förmige Zwischenstück an. Es wurde selbstredend darauf geachtet, daß keine Luftblasen die Quecksilber- säule in den zur Ablesecapillare führenden Rohrabschnitten unterbrachen. Die Vakuumschlauchstücke, die die Rohrteile — Glas auf Glas — verbanden, wurden mit geschmolzenem Fett gegen Luft abgedichtet. Ein Zentimeter Länge der Ablesecapillare entsprach bei Osmometer I 0,0356, bei II 0,0393 cem (festgestellt durch mehrfaches Auswiegen mit Quecksilber). Temperatureinfluß machte sich praktisch nicht geltend. Membran und Zubinden des Osmometerkopfes. Als Eiweißfilter des Osmometers wurde für Wasser, Salze und Säuren gut durchgängiger Rindsdarm verwendet. Bei allen Versuchen wurde dieser vorher 2) Das Quecksilber wurde durch mehrmaliges Waschen von der zum Reinigen dienenden Salpetersäure sorgfältig befreit und bis zur Trocknung durch Fließpapier filtriert. Daß es auf die Imbibition keinen Einfluß hat, beweist die gute Überein- stimmung zwischen Osmometer- und anderen Versuchen. 2) Kleine Druckschwankungen entstehen natürlich durch Hebung oder Senkung des Quecksilberspiegels im Osmometerkopf bei Wasserabgabe oder -auf- nahme des Breies. 0% 168 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure mehrere Tage in der betreffenden Flüssigkeit gequollen. Da dieser säuregequollen für einen straffen Verschluß sich als zu dehnbar erwies, wurde vom ersten Säure- versuch an stets ein Stück ausgekochter Leinwand — möglichst straff — darüber gebunden. Während des Aufbindens der Leinwand muß man das am äußeren Ende der Ablesekapillare luftdicht verschlossene Osmometer durch Absaugen von Queck- silber mittels des Füllgefäßes G unter Unterdruck halten, so daß die ohne große Spannung aufgebundene Rindsmembrane M (vgl. Abb. 2) nach innen wölbt. Läßt man diesen Handgriff außer acht, so strafft sich die Rindsmembran M während des Aufbindens der Leinwand so stark, daß sie sich bisweilen in den folgenden Stunden — also während des Versuchs — über der Osmometeröffnung wieder zusammenzieht. Hierdurch werden die Teile M’ der Membran, die vorher außerhalb des Randes des Osmometerkopfes waren, Leinwand über die Öffnung gezogen, wo sie unter der relativ unnachgiebigen Leinwanddecke eine Vermehrung des Osmometerinhaltes vortäuschen. Dies ergab der Leer- versuch, der sonst nur ein Absinken des Queck- silbers in der Ablesecapillare um 2,9 cm im Höchst- falle — durch Nachdehnung der Leinwand — zeigte. Bei vergleichenden Messungen an zwei Osmometern wird der relative Fehler geringer, da ja an beiden Osmometern — bei Beachtung obiger Regel beim Zubinden — nur negative, meist annähernd gleiche Fehler auftreten. Näheres bei Erläuterung der Pro- Abb. 2. tokolle — besonders auch bei den Versuchen, bei MM’ M = Rindsmembran. denen nicht diese Art des Verschlusses angewendet wurde. Ich habe die Breiversuche von solchen an intakten Muskeln begleiten lassen (Wasseraufnahme durch Wägung auf chemischer Wage nach Trocknung mit Fließpapier) und, wenn sonst keine Bedenken bestanden, letztere wegen größerer Genauigkeit und Übersichtlichkeit als maßgebend angesehen. II. Versuchsergebnisse. Die Versuche wurden zeitlich in 4 Gruppen gemacht: 1. Wasserverschiebungen in Aqua dest. und 0,7 NaCl; 2. ın Salzsäure; 3. in Milchsäure; 4. Versuche in verschiedenen Medien zur Frage der Starrelösung. Die Angabe dieser zeitlichen Reihenfolge soll einige Abweichungen von der obengeschilderten Methodik verständlich machen, die sich ja natürlich erst im Lauf der Versuche in der oben angegebenen Weise herausgebildet hat. In der folgenden Beschreibung werde ich dagegen die Versuche nach der Fragestellung gruppieren. A. Ist die Siarrekontraktion durch eine Milchsäurequellung bedingt? Das von Winterstein beobachtete Aufhören jeder Imbibition nach Zerstörung der osmotischen Struktur schien die Beteiligung einer Quellung mindestens an der Wasseraufnahme aus hypotonischen bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 169 Lösungen als unhaltbar zu beweisen. Mit Rücksicht auf v. Fürths Einwendungen (s. S. 166) war die Methodik dieser Versuche nachzu- prüfen. Den mit trocken hergestelltem Brei im Vorversuch erzielten Resul- taten (s. S. 167) lasse ich eine Tabelle über entsprechende Versuche im Osmometer fo/gen. Dieses war bei diesen zeitlich frühesten Versuchen mit doppelter Schicht eines mit Wasser bzw. 0,7 NaCl vorbehandelten Rindsdarmes zugebunden. In diesen Lösungen ergab auch ein solcher Verschltß ohne Leinwand ganz gute Ergebnsise, wie Kontrollversuche mit in den Osmometer eingelegten intakten Gastrocnemien zeigten. Bei 4 Versuchen wich die im Osmometer gemessene Volumvermehrung von der gewogenen Gewichtszunahme im Höchstfall um 0,036 g ab. Versuchsreihe ]. Wasseraufnahme von Muskelbrei (Rana temp.) im Osmometer in Aqua dest. und 0,7 Nadl. Quecksilberdruck: 15mm; Verschluß: doppelter Rindsdarm; Temp.:16—18°; Monat: Februar—März. In Aqua dest. F II III IV IV YAE Verän- Verän Verän- Verän- Verän Verän- derung derung derung derung | derung derung - | 2 | /0 } Anfangsgew. in g| 4,055 3,3974 4,169 4,291 3,140 4,385 nach !/, Std. +1,66 +0,63 10,77 +05 0,86 Ne ARTE +1,84 +1,00 +1,37 +0,75 +1,15 —0,41 2 EZ RRER +1,84 rl = +0,75 —+1.28 ler a BurF = Y — +0,58 +1,15 } Fr | — +0,72 — — +0,93 —0,24 » 5 ER) | er 0 = — — pe In 0,7 NaCl Anfangsgew. in g|4,615 4,123 4,18% 4,715 3,905 3,235) nach Y/, Std. 10,54 0,06 0 D 1 EIER? 0,92 —0,11 07 —0,19 | 19 ER. 3 42,2 —0,22 +1,2 \ —0,27 | y Ir — — 0,34 15 — 0,08 —0,35 | 4,5 Die im Osmometer mit Muskelbrei erhaltenen Resultate scheinen nun ganz dasselbe Bild zu zeigen, wie es Winterstein!) 1916 durch seine Wägemethode erhalten hat: die Gewichtsveränderungen halten sich zwischen einer Abnahme von im Höchstfall minus 4,5% und einer Zunahme von plus 2,2°/, in allen 12 Versuchen dicht an der Abseisse. Besondere Unterschiede des Verhaltens in Aqua dest. und 0,7 in NaCl treten nicht hervor. Daß die Mehrzahl der Versuche minimale positive 1) H. Winterstein, Biochem. Zeitschr. 75, 48. 1916. 170 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure Ausschläge (im Durchschnitt unter 1%) statt der bei absoluter Ge- wiehtskonstanz durch Membrannachdehnung zu erwartenden negativen zeigt, wurde zunächst als Rest osmotischer Wasserverschiebung ge- deutet. Die Berechtigung hierzu schien dadurch gegeben, daß infolge der Zerkleinerung die Imbibition aus Aqua dest. von ca. 30—50%, am intakten Kontrollmuskel (im Februar, März!) auf ca. 1% beim Brei gesunken war. Eine Quellung, die sich ja auch an der nicht mehr im Sinne einer osmotischen Struktur gegliederten Eiweißmasse hätte voll- ziehen müssen, schien hiernach so wenig in Frage zu kommen, daß es berechtigt schien, jene teilweise noch vorhandene geringe Wasserauf- nahme als osmotisch zu deuten, hervorgerufen durch nicht ganz gleich- mäßige Zerkleinerung. Die Fürthsche Auslegung der Wintersteinschen Versuche, die Quellung finde auch am Brei statt, sei aber nicht fest- zustellen, weil bereits während der nassen Breiherstellung abge- schlossen, erweist sich also durch die Versuche mit trockener Her- stellung widerlegt. Damit scheint zunächst die osmotische Wasseraufnahme aus hypo- tonischen Lösungen bewiesen. Das Fehlen einer Quellung in diesem Sonderfall gewinnt aber allgemeine grundsätzliche Bedeutung durch folgende Überlegung: wie v. Fürth mit Recht hervorhebt, ist seit Fletchers Untersuchungen die Tatsache reichlicher Milchsäure- bildung bei der Breiherstellung nicht mehr anzuzweifeln. Es ent- wickelt sich auf gründliche mechanische Verletzung nach der Analyse dieses Forschers!) ziemlich genau dieselbe Milchsäuremenge wie bei der Totenstarre oder einstündiger Hitzekoagulation bei 45°. Wenn diese Säuremenge nun den Brei nicht einmal in Aqua dest., in dem doch alle dehydrierenden Salzionen fehlen, zur Quellung bringst, würde das ihr völliges Unvermögen beweisen, in den in Frage kommenden Kon- zentrationen überhaupt quellungerregend zu wirken; die Milchsäure könnte gar nicht für Totenstarre oder Kontraktion der Wärmestarre, die doch in physiologischen Salzlösungen der quellunghemmenden Wirkung der Salze zum Trotz stattfindet, verantwortlich gemacht werden. Es gilt also noch einmal zu prüfen: Wirkt die nach Fletcher infolge der Breiherstellung entstehende Milchsäuremenge tatsächlich auf frisches Muskeleiweiß nicht quellend, wie es nach der angeführten Ver- suchsreihe 1 scheint? Vom Boden der Fürthschen Theorie aus ließen sich zwei Einwände gegen ihre Ergebnisse machen: 1. Die Milchsäure, die ja ihr Maximum nach Fletchers Analysen immerhin erst in den ersten Stunden nach der als Reiz wirkenden Verletzung erreicht, ditfundiert so schnell aus dem Muskelbrei heraus, daß eine mit der Wasser- aufnahme des intakten Muskels quantitativ vergleichbare Quellung nicht !) O. v. Fürth, Ergebnisse der Physiol. 17, 411. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. rn zustande kommt. Den zweiten Einwand könnte man aus der Fürthschen!) Anschauung über Lösung der Totenstarre ableiten, die dieser als Ge- rinnung — begünstigt durch Milchsäurewirkung — deutet: nach dieser Anschauung bestände die Möglichkeit, daß der Brei durch die bei der Zerkleinerung entwickelte Milchsäure bereits vor Beginn des Versuches in einer die Quellung verhindernden Weise geronnen sei. Diese beiden Einwände schienen mir nun experimentell nachzuprüfen, ohne daß ich mir damit die dem zweiten zugrunde liegenden Vansalun irgendwie zu eigen machen will?). Folgende Versuchsanordnung wurde hierbei angewandt: Um ein Absinken der Milchsäurekonzentration unter eine gewisse Stärke zu verhindern, wurde die Wasseraufnahme des Muskelbreies in einem Milchsäurebad physiologischer Stärke (für Juli, in dem diese Versuche stattfanden, in einem Fall 0,02, im anderen 0,05n-Milchsäure) unter- sucht. Um übermäßige Säurebildung während der Zerkleinerung des Muskels zu vermeiden, wurde diese [nach Fletchers Beispiel?)] am gefrorenen Muskel vorgenommen. Ein gefroren zerkleinerter, dann in ein geeignetes (s. oben) zimmer- warmes Milchsäurebad gebrachter Muskel müßte also die quellend- wirkende Säurekonzentration passieren, wenn es eine solche überhaupt innerhalb physiologisch vorkommender Konzentrationsbreite gibt. Bei dieser Anordnung bietet sich nun allerdings wieder ein neuer Einwand: hat man so auch den Milchsäuregehalt reguliert, so könnte das vorüber- gehende Gefrieren das Eiweiß chemisch verändern (Kältedenaturierung!) und zur Quellung ungeeignet machen. Deshalb wurde eine zweite Probe nach Zerkleinerung bei Zimmertemperatur (22°) in ein gleiches Bad gebracht. Das Milchsäurebad enthielt gleichzeitig, um die natürlichen Verhältnisse möglichst zu wahren und jede — etwa infolge immer noch ungenügender Zerkleinerung wirksame — osmotische Druckdifferenz auszuschalten, die Salze in physiologischer Menge nach Ringer (nur ohne NaHCO,). Die Versuchsanordnung, die den beiden hier folgenden Doppelversuchen der Versuchsreihe II zugrunde liegt, ist also folgende: in Ringerlösung von physiolo- gischem Milchsäuregehalt [0,05 bzw. 0,02 n-Milchsäure]*) befindet sich in einem Osmometer eine bei Zimmertemperatur, im anderen eine gefroren zerkleinerte Muskelprobe desselben Frosches, deren Wasseraufnahme (bei ca. 22° bis zur Volumkonstanz) gemessen und verglichen wird. Die Osmometer waren in der in dem Abschnitt Methodik (S. 168) angegebenen Weise mit Rindsdarm plus Leine- wand zugebunden. !) O.v. Fürth u. Lenk, Die Bedeutung von Quellungs- und asellunesr vorgängen usw. Biochem. Zeitschr. 33, 341. 1911. 2) Vgl. S. 148. 3) Fletcher and Hopkerns, oc of Physiol. 35, 247. *) Hergestellt aus Gärungsmilchsäure von Kahlbaum (titriert gegen 1/ön-NaOH, Indicatoren: Phenolphthalein und Cochenille). 172 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure Versuchsreihe II. Wasseraufnahme von Muskelbrei (Rana esculenta) im Osmometer in 0,02n und 0,05 n-Milchsäure in Ringer. Quecksilberdruck 10 und 5mm; Verschluß: Rindsmembran und Leinewand; 1 cm der Ablesecapillare bei Osmometer I = 0,0356, bei II = 0,0393 ccm. Temp.: 23°. Monat: Juli. In 0,05 n-Milchsäure in Ringer. Quecksilberdruck 10 mm. Osmometer 1. Osmometer II. m - sa 85 Se EEE se sa S 358 ei! = 8 >= =n ==} os S 8 Sr: Se >= Se > 3 z> S a> S inem in% in cm in, Anfangsgewicht: 2,230 g = 0,0 Der Muskel | 2,400 8— 0,0 Der Muskel wurde bei wurde ange- 23° zerkleinert. nach 3 Std. 0:0: 34 + 5,6 A 4,7 7,5 kleinert. 19,3 + 31,6 E$) 32 „ a 20,2 ” 45 ’ 12,8 u e) 48 cr EAPN 27,5 22 69 BE} 2 ‚8 _—— Se — 32,4 »„ 81 „ 25,8 23 RR St 26,0 + 41,5 | 35,0 + 57,3 2, 35 er iS | 35,3 + 57,8 Bis zu hochgradiger | Verflüssigung ge- quollen, In 0,02 n-Milchsäure in Ringer. Quecksilberdruck: 5 mm. Anfangsgewicht: 1,980 g — 0,0 Muskeizer- | 1,815 g— 0,0 N an nach 16 Std. 102 0000 0 0.0 0.0 2 19 13,0 0,0 + 0,0 als er Gerilemerk E$) 24 Er) 1762 — 30,9 0,4 _ 0,9 wurde. >> 42 ,„ 27,1 — 48,7 ONE 9LS > U 39,4 10,3 >’ 38 > 41,7 + 74,9 1% — 26,4 DL 2ER 43,0 er » 136 „ 43,4 1 78,0 ar E2) 160 ” 43,4 -- 78.0 Der Muskel- Een: brei ist fast gänzlich ver- Nüssigt. Aus diesen Protokollen der Versuchsreihe II ergibt sich nun eine ganze Reihe von Tatsachen: zunächst quellen beide Breifraktionen in beiden Versuchen stark. Milchsäure in physiologischen Konzentrationen wirkt tatsächlich selbst bei Gegenwart der Blutsalze enorm quellend. Die negativen Resultate der Versuchsreihe I erklären sich also wirklich durch Herausdiffundieren der Milchsäure. Beim Vergleich der Wasseraufnahme des gefrorenen bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 173 und des bei 22° zerkleinerten Muskels sehen wir ferner eine wesent- lich geringere Wasseraufnahme des vorübergehend gefrorenen Muskels, die auf die Existenz einer Quellungsminderung durch Kälte hin- weist!). Andererseits spricht die außerordentlich starke Imbibition (bis 94%, s. S. 186) des bei ca. 20° zu Brei zerschnittenen Muskels dafür, daß eine Quellungsminderung durch die bei der Zerkleinerung entwickelte Milchsäure nicht eintritt. Vielleicht noch wichtiger aber ist die Tatsache, daß die Wasseraufnahme des auf Eis zerkleinerten Muskels, am auffälligsten im Versuch 2, bei dem der Muskel durch und durch hart gefroren war, bedeutend — bis zu 24 Stunden — später einsetzt als nach zimmerwarmer Zerschneidung.- Da sich nicht an- nehmen läßt, daß der gefroren zerkleinerte Muskel nach Erwärmung auf Zimmertemperatur erst nach 24 Stunden mit der Milchsäurebildung beginnt, ist anzunehmen, daß bei derartiger Breiherstellung aus ge- frorenem Muskel auch nachträglich im Muskel selbst überhaupt keine Milchsäure entsteht. Die nach 24 Stunden einsetzende Quellung wäre dann auf die Milchsäure des Bades zurückzuführen, die offenbar also recht langsam in den Muskelbrei hineindiffundiert. Daß der bei ca. 22° hergestellte Brei im Gegensatz dazu gerade in den ersten 24 Stunden nach Versuchsbeginn seine stärkste Quellung durchmacht, würde wenigstens diese erste Quellung als durch die im Muskel gebildete Milchsäure hervorgerufen, charakterisieren. Damit verlieren auch die Bedenken an Bedeutung, die sich aus der Verwendung eines gärungs- statt eines fleischmilchsäurehaltigen Bades ergeben könnten. Im wei- teren Verlauf des Versuches würde sich dann ja natürlich die Art und Konzentration der Milchsäure zwischen Muskelmasse und Bad durch Diffusion ausgleichen, so daß wir am Schluß des Versuches bei der relativ großen Badmenge (ca. 300 ccm) auch in der Muskelmasse ver- mutlich die Säurekonzentration des Bades haben. Der gleichmäßige Anstieg der Volumkurve scheint hierdurch nicht beeinflußt worden zu sein. Daß die vom Muskel selbst gebildete Säure auch ohne Beteiligung eines Gärungsmilchsäure enthaltenden Bades diesen zur Quellung bringt, läßt sich noch deutlicher zeigen; es fiel mir auf, daß in der Ver- suchsreihe II die Milchsäure offenbar — ich möchte dies nach dem späten Quellungsbeginn des gefroren zerkleinerten Muskels annehmen — recht langsam durch die Osmometermembran in den Brei hineindiffun- diert, während das Herausdiffundieren in der ersten Versuchsreihe — deren geringem Quellungsergebnis nach zu schließen — sehr viel 1) Hierdurch würden möglicherweise auch die von Siebeck als Kältezer- störung der osmotischen Zellstruktur gedeuteten Tatsachen einer kolloiden Er- klärung zugänglich. (Siebeck, Über die osmotischen Eigenschaften der Nieren. Arch. f. d. ges. Physiol. 148, 443. 1912.) 174 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure schneller ging. Der Unterschied lag offenbar in geringerer Milchsäure- durchgängigkeit des in Versuchsreihe II als Membran verwendeten Rindsdarmes begründet. Bei einer Wiederholung des Aqua-dest.-Ver- suches der Reihe I mit einer Membran aus dem in Versuchsreihe II ge- brauchten Darmstück war also wenigstens während der ersten 24 Stun- den auch in Aqua dest. eine stärkere Quellung zu erwarten. Ergänzungsversuch zu Versuchsreihe I Wasseraufnahme von Muskelbrei (Rana esculenta) im Osmometer in Aqua dest. Quecksilberdruck 13 mm; Verschluß: Rindsmembran und Leinwand; lcm der Ablesecapillare — 0,0356 cem. Temp.: 22°; Monat: August. Stand der Volum- Capillare zunahme 5 in cm in % Anfangsgewicht: 2,11 g = 0,0 nach 4 Std. 5.4 +91 „9%, Std. 5,8 „ 19 „ 10,7 +18,1 „28 ” 9,0 2.28 „ 5,2 +8,8 Das Protokoll dieses Ergänzungsversuches der Reihe 1 zeigt nun tatsächlich in den ersten Stunden nach Versuchsbeginn auch in Aqua dest. eine ebenso rapide Quellung wie die Milchsäurebadversuche, auf die dann allerdings — entsprechend der gegenüber Versuchs- reihe 1 geringeren, aber immer noch großen Milchsäuredurchgängig- keit der Membran — nach 19 Stunden mit Abnahme der in der Muskel- ° masse vorhandenen Milchsäure auch eine entsprechende Abnahme der Quellung folst. In den bis hierher geschilderten Versuchen erhalten wir nun zu- sammenfassend folgendes Bild: In der Versuchsreihe I bei Verwendung offenbar sehr gut milchsäure- durchgängiger Membranen erhalten wir nur eine minimale (im Durch- schnitt ca. lproz.) Wasseraufnahme, die bereits während der kurzen Beobachtungsdauer von 4 Stunden wieder abnimmt. Der Ergänzungs- versuch zu dieser Reihe I wurde mit einer weniger milchsäuredurch- gängigen Membran gemacht. Er ergab dementsprechend eine be- deutend stärkere Quellung um 18,1%, die sich auch erst nach 19 Stunden wieder zu verringern beginnt und nach 27 Stunden noch lange nicht wieder die Abszisse erreicht. Halte ich die Milchsäurekonzentration durch Einbringen in ein Milchsäurebad überhaupt auf einer gewissen Höhe, so beobachte ich die stärkste Wasseraufnahme, die selbst bei dem 7 Tage dauernden Versuch II der zweiten Versuchsreihe keiner Wasserabgabe Platz macht. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 175 Versuche, die Wasseraufnahme des intakten Muskels in Ringer- lösung von demselben Milchsäuregehalt wie die Muskelbreibäder durch Wägung zu messen, mißlangen. In Bädern von 0,02 und erst recht von 0,05n-Milchsäure wird das Muskeleiweiß so stark durch die Quellung verflüssigt, daß bei dem Versuch, die Muskeln zur Wägung zu trocknen, jedesmal zähflüssige Eiweißtropfen am Fließpapier hängenblieben. Gleichzeitig zeigte starke Biuretreaktion des Bades auch noch das Vor- handensein gänzlich verflüssigten Eiweißes in der Lösung an. Dem- entsprechend ergaben Wägungen des intakten Muskels auch nur im einzelnen stark auseinandergehende Gewichtszunahmen zwischen 30 und 40%, gegenüber 50—100°%, des im Osmometer beobachteten Breies. Auf die Frage, wie es möglich ist, daß ein so sehr das Bild der Gewichtskurve beherrschender Substanzverlust bisher nirgends erwähnt ist, möchte ich auf folgendes hinweisen: von dieser hochgradigen Verflüssigung werden in erster Linie nur die echten Muskeleiweiße betroffen; Stroma und Bindegewebe halten trotz der Quellung fester zusammen. Bei Froschmuskeln, deren bindegewebige Hüllen zufällig stärker entwickelt sind, wird also durch sie das Muskeleiweiß, wenigstens solange es noch nicht ganz verflüssigt ist, an seinem Austritt verhindert. Gerade das halbflüssige Eiweiß gibt sich aber durch eine gewisse zähklebrige Be- schaffenheit deutlicher als verlorengehende Substanz zu erkennen als das voll- kommen verflüssigte. Daß die Sarkolem- und Bindegewebshüllen das halbflüssige echte Muskeleiweiß bei Starre in einem nicht milchsäurehaltigen Bade festhalten, wird natürlich durch die oben bewiesene verhältnismäßig rasche Milchsäurediffu- sion erleichtert, die die äußersten, infolgedessen milchsäurearmen Muskelschichten wenig quellen läßt, so daß die feste Hülle durch diese konsistenteren Schichten verstärkt wird. Wie weit vollkommen verflüssigtes Eiweiß doch durch diese Hülle wandert, werde ich bei der Erwägung veröffentlichen, welche Ursachen für die Starrelösung in Frage kommen. Ich möchte also als Ergebnis der bis hierher veröffentlichten Ver- suche feststellen: Wir sehen am Muskelbrei, daß Milchsäure- konzentrationen, wie sie bei den mit Kontraktion ver- bundenen Starreformen sich im Muskel bilden, trotz ent- quellender Wirkung der in der Ringerlösung vorhandenen Salze außerordentlich (bei 0,05n-Milchsäure wurde Wasserauf- nahme des Breies bis zu 94%, beobachtet) quellend wirken. Hier- durch wird die Konsistenz des Breies bis zur Verflüssigung herabgesetzt. Auch diese letzte Tatsache wurde an allen Portionen der Versuchsreihe II sowie bei anderen im Entquellungsteil meiner Arbeit veröffentlichten Versuchen beobachtet, so daß sie wohl für absolut typisch gelten kann. Es besteht also in allen Fällen der Wasseraufnahme von seiten des Muskels, in denen größere Milch- säuremengen vorhanden sind, kein Anlaß, außer den kolloidalen auch osmotischen Faktoren eine größere Bedeutung für die Imbibition zuzusprechen. Allerdings ist ja wohl speziell bei der Einleitung der Wasserstarre um die Annahme eines anfänglich osmotischen Wasserverschiebung nicht herumzukommen, da ja zu- nächst Aqua destillata osmotisch in das Muskelinnere gelangen muß, um dort überhaupt erst einmal die zur Milchsäurequellung nötige Säurebildung anzuregen. Denn daß Wassereinwanderung, nicht etwa Salzauswanderung die. Säureentwick- 176 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure lung hervorruft, muß wohl aus den Overtonschen!) Versuchen mit Zuckerlösungen geschlossen werden. Immerhin wird, sobald erst einmal eine gewisse Milchsäuremenge vorhanden ist, die Wasserbindung vermutlich kolloidal, und damit werden solche gelegent- lichen osmotischen Verschiebungen Durchgangsstadien von nur speziellem Interesse. Die Fürthsche Quellungstheorie bestätigt sich also auch bei einer Versuchsanordnung (Muskelbrei und Ringerlösung), von der man an- nehmen kann, daß sie jede osmotische Wirkung ausschließt, und da doppelbrechende Substanzen sich bei Quellung in der Richtung der optischen Hauptachse verkürzen, steht der v. Fürthschen Auslegung der Starrekontraktion als Milchsäurequellungswirkung nichts im Wege. Als methodisch wichtig ergab sich ferner: 1. Es muß die verhältnis- mäßig rasche Milchsäureauswanderung bei so lange dauernden Unter- suchungen, wie denen über Starrekontraktion, im Auge behalten werden. 2. Vergleichende Wägungen des intakten Muskels zeigen, daß infolge der Quellungsverflüssigung des Muskeleiweißes eintretende Substanz- verluste die Gewichtskurve des Muskels so verändern können, daß weitere Untersuchungen geboten scheinen, ob diese Gewichtskurve überhaupt in allen Teilen die Wasserverschiebungen richtig wiedergibt. B. Ist die Lösung der Starrekontraktion eine Entquellung ? v. Fürth?) erklärt die Lösung der verschiedenen Muskelstarre- formen als ‚„‚Entquellung‘“ des in der Starre hochgradig gequollenen Ei- weißes, und zwar infolge seiner durch übermäßige Säurebildung be- sünstigten Gerinnung. Winterstein wandte ein: Gerinnung (Desolvatisierung) führe bei Säuregegenwart gar keine Entquellung herbei; Beweis schienen ihm die oben (s. S. 165) erwähnten Versuche, nach denen in !/,on-, Y/s,n-Salz- säure, 1/„n-Milchsäure geronnener Muskelbrei mindestens ebenso stark quillt wie frischer. Wegen der von v. Fürth auch gegen diese Winter- steinsche Versuchsreihe erhobenen methodischen Einwände (s. S. 166) erschien auch hier eine Nachprüfung mit trocken bereitetem Brei nötig. 1. Quillt geronnenes Muskeleiweiß in Säure ebenso stark wie frisches? Bei den Muskelbreiversuchen der folgenden Tabelle III stellte das Bad eine Y/ on-Salzsäure mit 0,7% NaCl-Gehalt dar. Da ich bei diesen zeitlich sehr frühen Versuchen den Osmometerverschluß: Rindsdarm plus Leinewand — noch nicht kannte, säuregequollener Rindsdarm allein sich aber für einen straffen Verschluß als zu dehnbar erwies, wurde das Osmometer mit einer mehrfachen Leinwand- schicht zugebunden. Auf diesen, wie sich aus den Versuchen ergab, wichtigen Punkt werde ich später noch zurückkommen. 1) Overton, Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 115. 1909. ®?) OÖ. v. Fürth, Biochem. Zeitschr. 33, 341. | bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 177 Versuchsreihe III. Wasseraufnahme von frischem und hitzegeronnenem Muskelbrei (Rana temp.) im Osmometer in !/on-HCl in 0,7 NaCl. Quecksilberdruck 2—4 mm; Verschluß: Sfache Gazeschicht; lcm an der Ablesecapillare — 0,0356 cem (da nur 1 Osmometer zur Verfügung stand, stammten alle 4 Breiportionen von verschiedenenFröschen); Temp.: 12—15°; Monat: April. I m III IV In 0,7 NaCl von 97° 5 Min. koaguliert Frisch Inz0.E NaCl SpMn Züiber Frisch 70° koaguliert rue ucmilse . nnseme| Cepilars. *Izünatimel ” Copilere ı. [aunahme| ," Ceräfseet |stneirne cm % cm 2 cm 2 cm Ya 1. Ablesung: 3,652 —=00| — [4348 =00| — (580558=00 — (591g8=00| — Nach 16 Stunden 7,0 6,8 10,9 8,2 11,6 al 10,4 6,3 Nach 20 Stunden — — == — — En 13,1 7,9 | 5 Min. in 0,7 NaCl | von 90 — 60° dann 40 | 2,4 Diese Versuche scheinen bei flüchtiger Betrachtung Wintersteins Ergebnisse zu bestätigen: Quellungsdurchschnitt des geronnenen gleich 6,9%, gegenüber 7,2% beim frischen Brei, dieselbe Größenordnung bei beiden Fraktionen auch bei trockner Zubereitung. Die v. Fürthsche Deutung, die Wintersteinschen Versuche seien infolge der nassen Muskel. breiherstellung nicht maßgeblich, scheint in dieser Form nicht richtig. Aber andere Bedenken treten auf: Bei den 4 Gastrocnemiuspaaren, die von denselben 4 Fröschen stammten, verhielt sich die Gewichts- zunahme der frisch zu jener der geronnen gequollenen Muskeln — in genau demselben Bad wie der Brei — etwa wie 3:2. Diese Tatsache könnte man ja nun zur Not durch eine osmotische Komponente der Wasseraufnahme erklären, obwohl diese aus einer 0,7 proz. NaCl-Lösung ja nur möglich wäre unter der Annahme, daß durch die Salzsäure her- vorgerufene Umsetzungen eine Steigerung des intramuskulären osmo- tischen Druckes bewirkt hätten. Außerdem war die Wasseraufnahme der Gastroenemien (auch der geronnenen) während derselben Zeit wesentlich stärker als die des Muskelbreies, etwa 20—30%, des An- fangsgewichtes. Dies konnte natürlich durch einen langsameren Ablauf des Vorganges im Osmometer hervorgerufen sein. Immerhin müssen diese Beobachtungen bei der Bewertung der Resultate der Versuchs- reihe III zur Vorsicht mahnen. Nun findet man aber im Stabe 4 der Breiprotokolle, daß der dort um etwa 8% gequollene frische Brei bei kurzem Erhitzen auf 90—60° den größten Zeil seines Gewichtszuwachses wieder verliert. Wie ist diese Erscheinung zu erklären? Entquellung durch Koagulation dürfte 178 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure nicht in Frage kommen, wenn der frische Brei vorher gar nicht stärker gequollen war als der geronnene. Folgendes Protokoll legt eine Deutung nahe: Versuch Illla. Wärmeeinfluß auf ein intaktes Gastrocnemiuspaar (Rana temp. Mai) in 0,32 HC1 in 0,7 NaCl Gastrocnemius I Gastrocnemius Il 1. Waoune ee Fa: 0,261 g 0,268 g dann 1), Std. in 0,7 NaCl von 37—42° UINachE2BESH. me Be ... 0,294g (+12,6°%) 0,3688 (-+37,3%,) Dann 10 Min. in 0,7 NaCl von 37—40° 0,272g (+4,2°,) 0,354 & (+32,1°/,) Dann 20 Min. in 0,7 NaClvon55° .. 0263 (+0,8°/,) 0,325 & (+21,3%,) Nacht49JStde. oe Pa N re 0,2668 (+1,9°%),) ° 0,3385 (+26,1%,) Dann 10 Min. in 0,7 NaCl von 71° 0,2402 (—8,0°/,) 0,293 & (+9,39) Wir sehen, daß der von vornherein in seiner Myosinfraktion hitze- geronnene intakte Muskel trotz seiner entsprechend geringeren Wasser- aufnahme in Salzsäure bei mehrfachem weiterem langdauerndem Er- hitzen ebensoviel (ca. 20%) Gewicht verliert wie der frische. Ich möchte diesen Gewichtsverlust des von vornherein geronnenen Muskels nicht für einen reinen Wasserverlust infolge intensiverer Gerinnung durch häufigere Wärmezufuhr halten. Ein solcher Einfluß der Erwärmungs- dauer muß zweifelhaft erscheinen, da die lange Erwärmungszeit vor Einbringen ins Säurebad die Wasseraufnahme des geronnenen gegenüber dem frischen Muskel nicht wesentlich stärker minderte, als es in anderen Versuchen (s. Versuchsreihe V) durch kurze Koagulation geschah. Viel- mehr liegt der Gedanke nahe, daß wir es hier nicht mit einem Wasser-, sondern mit einem Substanzverlust zu tun haben. Als zutreffend bewiesen wäre diese Annahme, wenn der Gewiehtsverlust durch eine eiweißundurchgängige Membran hindurch nicht erfolgte. So wurden die beiden Osmometer statt nur mit Leinwand mit einer bis zur Gewichtskonstanz in !/,,n-Salzsäure gequollenen Rindsmembran plus Leinwand in der auf S. 168 angegebenen Weise verschlossen. Es folgen nun drei Protokolle der in einem so verschlossenen Osmometer vor- genommenen Versuche der Versuchsreihe IV über Hitzekoagulation von Muskel- brei, der vorher in 0,055 n-Salzsäure in physiologischer Kochsalzlösung bis zur Gewichtskonstanz gequollen war. Im Stab 4 befinden sich Angaben über eine ebenso behandelte Breiprobe in einem zum Vergleich noch einmal nur mit Lein- wand verschlossenen Osmometer. Die Zahlen der ersten 3 Stäbe (Versuchsreihe IV) zeigen zunächst, daß durch die eiweißundurchgängige Membran hindurch ein Verlust an Gewicht bzw. Volumen tatsächlich nicht eintritt!). H 1) Ein merklicher störender Einfluß der trotz der Säure eintretenden Hitze- koagulation der Rindsmembran ist wohl kaum anzunehmen, da bei 9 Leerver- suchen mit doppelter Membran die äußersten Spannungsveränderungen. durch Gerinnung etwa 3cm der Ablesekapillare betrugen, bei 6 Leerversuchen mit ein- facher Membran im Höchstfall 2,4 cm. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 179 Versuchsreihe IV Wasseraufnahme frischen Muskelbreies (Rana temp.) im Osmometer in 0,055 n-HCl in 0,7 NaCl und Einfluß nachfolgender Erwärmung. lcm der Ablesecapillare bei Osmometer I = 0,0356 ccm Temp., bei Osmometer II = 0,0393 cem Temp. Verschluß: Stab 1 und 2 = doppelter Rindsdarm —- Leinwand; Stab 3 = Rinds- Osmometer I (1) Quecksilberdruck 8 mm darm + Leinwand; Stab 4 = nur Leinwand. Osmometer II (2) Osmometer I (3) Osmometer II (4) Quecksilberdruck 8 mm | Quecksilberdruck 10mm | Quecksilberdruck 8 mm Stand der N Stand der ar Stand der Ks Stand der hen Capillare able Capillare EIER, Capillare | nahme Capillare Er 5 cm % cm Sn cm % cm 9 Anfangsgewicht: 1,755 g = 0,0 1,922 = 0,0 1,5752=0,0| 1420 —= 0,0 Nach 15 Std. -— = - — — 4,9 12,3* oe nn en a2 — m 0,4 1,0 | — 13,7 = 17,5 — — ar id. , — 18,3 e DE a Be as 18:8 | 38,1 20,3 41,5 25,1 56,7 = ae N = = 25,2 56,9* — = „ 9 „19,6 | 39,89 20,5 42,0 Das 1928 — — 1002197: 39,8 20,7 42,4 Ei Aus _ e> Erhitzen: O—3 Min. auf 90—100°; ®=3 Min. auf 60—70°; *= 2 Min. 5uf 85—75°. Stab 1 und 2 sind ein Parallelversuch mit 2 Proben desselben Muskelbreies- Aus dem mit Leinwand verschlossenen Osmometer des Stabes 4 wird also sowohl in der Versuchsreihe III wie in IV bei Erhitzen Substanz, bis zur Ver- flüssigung gequollenes Eiweiß, abgegeben. In derselben Weise erklärt sich natürlich auch der auf S. 178 angegebene Ge- wichtsverlust des intakten säuregequollenen Gastrocnemiuspaares auf Erhitzen. Also auch hier sehen wir wie bei den Milchsäureversuchen den äußerst starken Einfluß eines Substanzverlustes auf die Gewichtskurve des Muskels. Es scheint sich mithin aus den bisher veröffentlichten Versuchen folgendes Bild zu ergeben: Versuchsreihe III: Frischer und hitze- geronnener Brei quellen in Säure auch bei trockener Zubereitung gleich. Versuchsreihe IV: Auf nachträgliche Erhitzung des gequollenen Muskels tritt keine Wasserabgabe ein. Etwaiger Gewichts- bzw. Volumverlust stellt einen Substanzverlust dar. Bis hierher scheinen diese Er- gebnisse Wintersteins Anschauung zu bestätigen, daß geronnener Muskelbrei auch bei trockener Zubereitung ebenso stark in Säure quillt wie frischer. Nun zeigen aber die in den ersten 3 Stäben der Versuchsreihe IV veröffentlichten Zahlen, daß die Wasseraufnahme des Breies durch eine eiweißundurchgängige Membran hindurch selbst aus isotonischer (0,7 proz. NaCl) Lösung wesentlich größer ist als in der Versuchsreihe III — ungefähr ebenso groß (30—50%, des Anfangsgewichtes) wie beim 180 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure intakten Muskel. Dies scheint dafür zu sprechen, daß auch dessen Wasseraufnahme rein kolloidal, ohne osmotische Komponente verläuft. Vielmehr rückt der Gedanke nahe, daß der für nachträgliche Erwärmung des gequollenen Muskelbreies festgestellte Substanzverlust nur eine aus später zu erörternden Gründen besonders rapide Erscheinungsform eines gleichmäßigen dauernden Substanzverlustes war. Aus diesem Grund waren die Resultate der Versuchsreihe III noch einmal unter Verwendung eiweißundurchgängiger Membranen nach- zuprüfen. Ich lasse also die Versuche der entsprechend angeordneten Versuchsreihe V folgen). 40 EN % NS 30 030 nr 5 EN u Q 20 = :S 20 S 2 N S :S 70 70 S 9 EN S [7] 20 40 60Std [7] 20 40 60 80 Sta. Abb.3. VersuchsreiheV, Wasseraufnahme Abb.4. Wasseraufnahme frischer und von frischem und geronnenem Mus- geronnener Gastrocnemien (durch kelbrei im Osmometer in 0,055 n-HCl in Wägung) in 0,055 nHCI in 0,7 Natli. 0,7 NaCl. Quecksilberdruck: 12 mm; Verschluß: Temp. 22—23°. Monat Juli. Rana es- Rindsdarm + Leinewand, Temp. 22—23°, Monat: culenta. Kurve des frischen Juli. Rana esc. Kurve des frischen Muskel- Muskels, -..-.-- Kurve des geronnenen breies. -+«+« Kurve des geronnenen Muskelbreies. Muskels. Diese zeigen nun tatsächlich im Gegensatz zur Versuchs- reihe Ill eine bedeutend stärkere Säurequellung des frischen Breies als des geronnenen. Daß das Zahlenverhältnis nicht ganz dasse!be ist wie bei den gleichbehandelten Gastroenemiuspaaren, liest vermutlich an der durch Osmometerwand und größere Muskelmenge bedingten geringeren Erwärmung im Osmometer. Info'ge dieses Rasultates der Versuchsreihe V müssen wir auch das auf S. 179 ausgesprochene Ergebnis der Versuchsreihe IV anders formulieren: Da geronnenes Muskeleiweiß weniger quillt als frisches, bedeutet das dort festgestellte Fehlen einer Wasserabgabe beim Erhitzen das Fehlen der Hitzekoagulierbarkeit für Muskeleiweiß in 0,055n- Salzsäure. Dies Resultat war nach Pauli?) zu erwarten, ich betone es, weil ich es später bei der Behandlung des Verhältnisses von Säurewirkung und Eiweißgerinnung aufnehmen will. !) Durch die in diesen Versuchen verwendete geringe Koagulationstemperatur wurden nur Spannungsänderungen der Rindsmembran — in 7 Leerversuchen — zwischen 0 und minus 1,6 cm der Ablesecapillare veranlaßt. (Koagulation bei 48°). 2) W. Pauli u. Handovsky, Studien am Säureeiweiß. Biochem. Zeitschr. 18, 340. 1909. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 181 Daß der Quellungsunterschied zwischen frischem und geronnenem Muskelbrei bei den früheren Wintersteinschen, wie bei meinen Ver- suchen der Reihe III so gar nicht zum Ausdruck kam, lag also offenbar daran, daß die größere Wasseraufnahme des frischen Muskelbreies gegenüber dem geronnenen durch einen größeren Substanzverlust des ersteren ausgeglichen wurde. Dieser größere Substanzverlust des frischen Breies erklärt sich einfach auf folgende Weise: Bis zur Verflüssigung sequollenes Eiweiß wandert natürlich leichter aus dem frischen Muskel- brei, einem kolloidalen Gemisch, durch Leinwand oder Gaze hindurch aus, als wenn durch Hitzegerinnung ein gewisser Zusammenhalt der Eiweißteilchen hergestellt ist. Daß diese Verhältnisse nicht auch am intakten Muskel in Erscheinung treten, ist dadurch erklärbar, daß dort die wenig eiweißdurchgängige Membran der Muskel- breiversuchsreihe V durch das vermutlich weniger quellende Muskelgerüst (Stroma und bindegewebige Hüllen) ersetzt wird. Schädigt man dessen Struktur durch Erhitzen, so tritt auch hier (s. S. 178) sofort rapider Substanzverlust ein. Welcher Art diese angenommene Schädigung der Hüllen des echten Muskeleiweißes ist, wurde nieht weiter untersucht. Die auf Erwärmen erfolgende plötzliche Steigerung des Substanzverlustes im leinwandverschlossenen Osmometer erklärt sich durch eine Drucksteigerung; auf die Erwärmung dehnt sich das Quecksilber aus; hierfür steht ihm eigentlich nur der Raum in die Ablesecapillare hinein zur Verfügung, in der seinem raschen Vorrücken eine beträchtliche Wandreibung Widerstand leistet. Also drückt das Quecksilber einige Augenblicke mit vermehrter Kraft auf das säuregequollene Eiweiß, was bei Leinewandverschluß des Osmometers zu einer akuten Auspres- . sung führt. Fasse ich die Ergebnisse der bisherigen Quellungsversuche zusammen, so erhalten wir folgendes Bild: 1. Auch in 0,055n - Salzsäure erhalten wir bei einer Versuchsanordnung (Muskelbrei, physiologischer Koch- salzgehalt des Bades), die osmotische Einflüsse möglichst ausschaltet, eine Verringerung der Wasseraufnahme durch Hitzegerinnung (bei 50°) des noch nicht gequollenen Eiweißes, die für einen quellungmindernden Einfluß solcher Koagulation spricht (Versuchsreihe V). — 2. Führt man dagegen eine größere Wärmemenge (durch Erhitzen auf 100°) zu, nach- dem das Eiweiß bereits gequollen ist, so ergibt sich das Fehlen jeder Entquellung; die Koagulation tritt nicht ein (Versuchsreihe IV). Solches Authören nicht nur der Hitze-, sondern auch der Alkohol- fällbarkeit hat ja schon Pauli!) bei recht geringen Säuregaben am Rinderserum nachgewiesen. Nun ist aber das Eiweiß des in der Starre befindlichen Muskels — bisweilen hochgradig (ich beobachtete bei Wasserstarre eine Zunahme des Gastrocnemiusgewichtes von 200%) — gequollen. Es müßte also als Vorbedingung der Fürthschen Theorie von der Entquellung durch Gerinnung die eben bestätigte Tatsache, daß Koagulation noch ungequollenen Eiweißes die Säurequell- !) W. Pauli und Handovsky, a. a. O. Pflügers Archiv f. d. ges, Physiol. Bd. 187. 13 182 H.H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure barkeit mindert, durch einen 2. Satz ergänzt werden. Dieser würde lauten: Auch am bereits stark säuregequollenen Eiweiß kann noch eine Koagulation eintreten. Einen Beweis hierfür meines Wissens den einzigen — sieht v. Fürth in folgendem Versuch!): Er fand, daß in Salzsäure gequollenes Eiweiß durch 1proz. Rhodankali auch in saurer Lösung entquoll. Da Rhodankali äußerst stark Ge- rinnung erzeugend wirkt, führt v. Fürth diese Entquellung auf Ge- rinnung zurück. Gerinnung ist eine Dispersitätsverminderung der elektrisch neutralen Eiweißpartikel, ihre Desolvatisierung oder Agglu- tinierung. Nun wirkt aber das Rhodanion (entsprechend seiner Stellung in der Hofmeisterschen Anionenreihe) auf Eiweiß in saurer Lösung entionisierend, elektrisch neutrale Partikel bildend, nicht nur sie agglutinierend. Um die durch den Vorgang der Entionisierung hervorgerufene Wasserabgabe von der durch den Prozeß der Agglutinierung be- +30 wirkten zu sondern, schlug Herr Prof. an Winterstein eine Rhodankaliparallel- SH behandlung einer hitzegeronnenen und %rn einer frischen säuregequollenen Muskel- S eiweißprobe vor: nur eine wesentlich stär- So kere Entquellung des frischen gegenüber dem geronnenen Muskelbrei würde zwin- gend für Wasserabgabe durch Rhodankali- koagulation im engeren Sinne gedeutet --._ -7%0 o 20 ww © öa, Abb. 5. Versuchsreihe VI. Wasserabgabe von bis zur Volum- konstanz in 0,055 n-HCl in 0,7 NaCl gequollenem, frischem und geronne- nem Muskelbrei durch 1% KSCN in phys. Kochsalzlösung von 0,055 HCl- Gehalt. Rana esc. Temp. 23°; Monat Juli. (Osmometerversuch bei Queck- silberdruck von 12 mm. Verschluß: Leinwand + Rindsdarm, stärkster scheinbarer Volumverlust durch KSCN-Entquellung des Rindsdarmes bei 9 Leerversuchen 50 mg). —- Kurve des frischen Muskelbreies. ---- Kurve des geronnenen Muskelbreies. An- iangsgewichte: 3,908 bzw. 3,81g. werden müssen. Zu diesen Versuchen wurden die beiden Breiportionen der Reihe V (S.180), sowie sämt- liche Gastrocenemien dieser Reihe (S. 180) ver- wendet. Versuchsreihe VI (von den 5 Gastroenemius- paaren gebe ich Beispiele der KSCN-Entquel- lung in Form zweier Kurven). Wir sehen eine rapide Entquellung durch Rhodankali in 0,055n - Salzsäure eintreten, und zwar auch am von vorn- herein geronnenen Muskel nicht wesentlich schwächer als am frischen. Damit ist diese Wasserabgabe im wesentlichen nicht als Gerin- nungserscheinung zu deuten. Durch die Gerinnung könnte nur jener Wasserverlust von wenigen Prozent hervorgerufen werden, um die die Entquellung des frischen Breies stärker ist als die des vorher hitzekoagulierten. An sich wäre dieser so geringe Entquellungs- unterschied (ca. 10%, bei einer Gesamtentquellung von ca. 60%) auch durch die 1) v. Fürth, Die Kolloidehemie des Muskels usw. Ergebnisse der Physio- logie 1%, 363. 1919. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 183 Paulische Beobachtung zu erklären!), daß entionisierende Salze um so stärker wirken, je mehr Eiweißionen vorhanden sind. Für eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten scheinen mir meine Rhodankaliversuche nicht zu genügen. Sie zeigen aber jedenfalls, daß jene geringe Entquellung durch Rhodan- kaligerinnung, die hiernach nur möglich wäre, sich an bereits wieder durch das Rhodanion weitgehend entquollenem, gleich entionisiertem Eiweiß vollzieht. Die Frage, wie weit milchsäuregequollenes Eiweiß ohne vorherige Entladung durch einen Elektrolyten überhaupt gerinnen kann, ist also durch diese Fürthsche Versuchsreihe in keiner Weise geklärt. Es scheinen weitere Untersuchungen hierüber besonders auch deshalb Mm % EN SEES [S} Yanıın ” - = ”, - Gewichtsänderun .un. —unnsenenn.n ı 20 0 60 80 WO "0 WO 710 7180 200 220 Zu0 260 Abb.6. Versuehsreihe VI: Versuchsbedingungen wie in VL, aber an intakten Gastrocne- mien (Wägungsversuche), zum Schluß Überführung in ein Bad von 1% KSCN- und 0,7 NaCl-Ge- halt ohne Salzsäure. Kurve des intakten frisch säuregequollenen Muskels in 1% RSCN 0,7 NaCl in 0,055 HCl. ++++-- Kurve des intakten geronnenen säuregequollenen Muskels in 1% KSCN in 0,7 NaCl in 0,055 HC. ——— — Kurve des intakten frisch säuregequollenen Muskels in 1% KSCN in 0,7 NaCl ohne HCL ——— Kurve des intakten geronnenen säure- gequollenen Muskels in 1% KSCN in 0,7 NaCl in 0,7 NaCl ohne HCl. geboten, weil ich in den auf S. 184ff. noch zu erörternden Versuchen das Fehlen einer Hitzegerinnung wie der spontanen Plasma- gerinnung beiGegenwart einer physiologischen Milchsäure- konzentration feststellen konnte. Hier möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß bei allen 5 Ver- suchen der Reihe VII der Vertauschung des salzsäurehaltigen Rhodan- kalibades mit einem nichtsauren gleicher Konzentration ein neuer deut- licher Wasserverlust folgte?) (s. Kurve S. 183). Die Säure wirkt also der Rhodankalientquellung in gewissem Umfang entgegen. Diese Beobachtung führt uns zu einem weiteren bedenklichen Punkt der Fürthschen Erklärung der Starrelösung: t) Pauli und Handovsky, a. a. C. ?2) Die saure (lproz.) Rhodankalilösung wurde aus derselben mit AgNO, (Indicator: Eisenalaun) titrierten Stammlösung hergestellt, wie die nichtsaure. 13* 184 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure v. Fürth erklärt die Starrelösung nicht allem durch Gerinnung, sondern durch Gerinnung begünstigt durch Milchsäure. Die ent- scheidende Frage war daher: 2. Kann Milchsäure die Gerinnung begünstigen? Nach Pauli!) bewirkt dauernde Konzentrationssteigerung einer Säure nach einer Periode der Quellung des so behandelten Eiweißes bei vielen Säuren eine Entquellung als Vorbedingung der Gerinnung. v. Fürth?) hat nun selbst nachgewiesen, daß Milchsäure bis weit über physiologische Konzentrationen hinaus nicht zu diesen Säuren gehört, daß mit steigender Konzentration vielmehr stetig die Quellung zunimmt. D. h. also: Milchsäure wirkt um so mehr einer Gerinnung entgegen, je höher ihre Konzentration ist. Obwohl also die Behauptung von der gerinnungfördernden Wirkung der Milchsäure seinen eigenen Resultaten wie dem Paulischen Reaktionsschema in gewisser Weise widerspricht, hält v. Fürth daran fest: „Man kann sieh mit größter Leichtigkeit beim Versuche in vitro davon überzeugen, daß jede Art von Plasmagerinnung, sei es die langsame Spontangerinnung, sei es die durch chemische Agenzien oder Wärmezufuhr beschleunigte Ge- rinnung, schon durch Zusatz minimaler Säuremengen ganz erheblich gefördert wird.“ (v. Fürth, a. a. O. S. 376.) — Diese Tatsache ist als Argument meines Wissens auch später von Fürth nicht widerrufen. Ferner stützt er seine Anschauungen von der gerinnungsfördernden Wirkung der Milchsäure durch die Beobachtung, daß ein in Wasser quellender Froschmuskel unter hohem Sauerstoffdruck die Gewichts- zunahme der Starre viel später und langsamer einbüßt als der Kontroll- muskel. Da dieser hohe Sauerstoffdruck die Milchsäureanhäufung hintanhält, zeigt dieser übersichtliche Versuch allerdings eindeutig, daß jener Abfall der Gewichtskurve, den Fürth mit der Starrelösung in ursächlichen Zusammenhang bringt, durch Milchsäure begünstigt wird. Zunächst zur Frage der Gerinnungsförderung des Plasmaeiweißes durch Säure einige Tatsachen: ich habe bei allen folgenden Versuchen, bei denen (im August mit seinem hohen Milchsäurebildungsmaximum und Temperatur von 22°) alle -Vorgänge sehr schnell abliefen, die Muskelbäder, die keine Milchsäure enthielten, bereits nach 24 Stunden vollkommen trübe von offenbar flüssig aus dem Muskel ausgetretenem und dann geronnenem Eiweiß gesehen; andererseits waren milchsäure- haltige Bäder bis zum Ende jeden Versuches, noch nach 3, ja 6 Tagen, vollkommen klar, obwohl sehr starke, bei den langedauernden Ver- suchen am Schluß rotviolette Biuretreaktion das Vorhandensein relativ großer gelöster, schließlich hydrolytisch peptonisierter Eiweißmengen 1) Pauli und Handovsky, a. a. O. 2) ©. v. Fürth, Biochem. Zeitschr. 33, 341. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 185 anzeigte. Also Fällung des Eiweißes bei Fehlen, absolut klare Lösung, ja selbst hydrolytische Spaltung bei Vorhandensein physiologischer (0,03 und 0,05n) Milchsäuremengen. Aber auch in Formen, die exakt protokollierbar sind, zeigt sich die jeder Gerinnung widerstrebende Wirkung der physiologischen Milch- säurekonzentration; die Gastroenemien der Versuchsreihe VII (S. 183) zeigten einen neuen Abfall der Quellungskurve beim Vertauschen einer l proz. salzsauren mit einer lproz. nichtsauren Rhodankalilösung; es bremste also die Salzsäure die überaus starke Rhodankalientquellung immer noch ein wenig ab. Genau so widerstrebt 0,05n-Milchsäure der Rhodankalientquellung: der wasserstarre Muskel, der in 0,05n-Milch- säure von 1%, Rhodankaligehalt entquillt, verliert in beiden Versuchen weniger Gewicht als der, der zum Schluß auch noch in reines 1 proz. Rhodankali ohne Milchsäure gebracht wird. Ich lasse Raumersparnis halber von dieser Versuchsreihe VIEI nur ein Kurvenpaar folgen. +50 17% KSCH in 0051 Milhsäure Gewichtsanderun S l l I J ! l 0 20 “oo 60 80 %00 %0 WO 710 180 200 Std. Abb. 7. Versuchsreihe VIII, Vergleich der Wasserabgabe wasserstarrer Gastroenemien in 1% KSCN-Lösung mit 0,05 n-Milchsäuregehalt (ausgezogener Kurventeil) und ohne Milchsäure- gehalt (gestrichelter Kurventeil) (Wägungsversuch). Folgende Kurven ( Versuchsreihe IX) zeigen erstens den Einfluß einer 4stün- digen Erwärmung auf 42—45°, zweitens einer Erhitzung von 2Min. auf 85 bis 75° auf eine in Ringer von physiologischem (0,05 n) Milchsäuregehalt und eine in Aqua dest. gequollene Muskelbreiprobe. Der in Milchsäure befindliche Brei zeigt überhaupt keine Entquellung; ein gewisser Abfall der Kurve charakterisiert sich als rein mechanisch hervorgerufen durch eine plötzliche Erhöhung des Queck- silberdruckes um 10 mm. Diese wurde vorgenommen, um ein Äuspressen des etwa bei der nachfolgenden Erwärmung freiwerdenden Wassers aus dem Osmometer zu gewährleisten. Daß es sich bei diesem Absinken tatsächlich um eine reine Druckdehnung der Membran handelt, geht daraus hervor, daß es zum größten Teil sofort auf die Drucksteigerung erfolgte, und das dann noch folgende ganz geringe Absinken immer weiter nachließ. Die Erwärmung selbst übt bei beiden in 186 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure Milchsäure befindlichen Breiportionen überhaupt keinen Einfluß aus: der geringe zu beobachtende Abfall bedeutet in der Ablesecapillare eine Quecksilberverschie- bung für A um 0,8 cm, für B um 2,5 cm. Beides sind Ausschläge, die noch in der Grenze der auch im Leerversuch auf solche Temperaturen hin beobachteten Mem- brandehnung bleiben. Ein ganz anderes Bild sehen wir bei den in Aqua dest. an Milchsäure ver- armten Breiportionen. Die sehr zeitig einsetzende, aber allmähliche Spontanent- 400 \* Ommtg +80 in % (u, |4Stdl auf 42-45° \\ Volumanderun $ S (4) DONE ZONE OR 0 700 m %o 7% & N S Volumonderum S ı IS) Ss Ras -festgeromnen 40 0 ZONE DEE 50EE 700, Abb. 8. Versuchsreihe IX. Vergleich des Einflusses einmaligen Erhitzens auf Muskelbrei (Rana esc.), der das eine Mal in 0,05n milchsäurehaltigen Ringer, das an- Temp. 22—23°. Monat: August. (Osmometerversuch, Quecksilberdruck: Bei den in Aqua dest. befindlichen Portionen 13mm bei den in milchsäurehaltigem Ringer befindlichen Proben am Versuchsanfang 6 mm, nachher 16 mm [s. Kurve], dere Mal in Aqua dest. gequollen ist. Verschluß: Rindsdarm + Leinwand). in 0,05 n-Milchsäure in Ringer vor dem Erhitzen, nur Volumkurve in Aqua dest. vor dem Erhitzen. — — — — Volumkurve nach dem Erhitzen. ne in 85-75° quellung durch Herausdiffun- dieren der Milchsäure, wie sie nach den Ergebnissen von S. 174 und S. 176 zu erwarten war, geht auf das Erhitzen in eine rapide, offenbar echte Gerinnungsent- quellung übert). Wir sehen, 0,05 n-Milch- säure hebt trotz der Anwesen- heit der physiologisch vorhande- nen Salzionen (Ringer)dieHitze- koagulierbarkeit auf, Milchsäure- mangel des Breies läßt ihn auch in Aqua dest. sofort gerinnen. Versuchsreihe VIII und IX zeigen deutlich die der Koagu- lation widerstrebende Wirkung der Milchsäure. Und doch beweist der von Fürth?) beobachtete langsamere Gewichtsverlust des wasserstarren Frosch- muskels unter hohem Sauer- stoffdruck, daß tatsächlich dieser Gewichtsabfall durch stärkere Milchsäureanwesen- heit begünstigt wird. Angesichts dieses schrof- fen Widerspruches fragen wir uns: Muß denn dieser Ge- wichtsverlust überhaupt eine Entquellung durch Gerin- nung sein? Auf der einen Seite steht fest, daß Milch- säure-das Absinken der Ge- wichtskurve begünstigt, auf der andern Seite würde eine solche begünstigende Wirkuns, falls es sich dabei tatsächlich um eine Gerinnung handelt, widersprechen. !) Beim starregequollenen Muskel dürften entsprechend ihrem Milchsäure- gehalt vorwiegend die äußeren Schichten gerinnen, die inneren nicht. ?2) O. v. Fürth und Lenk, Biochem. Zeitschr. 33, 362. bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 187 1. den von Pauli abgeleiteten Gesetzen über die Reaktion quellend- wirkender Säurekonzentrationen mit Eiweiß; 2. meiner Beobachtung, daß flüssig aus dem Muskel ausgetretenes Ei- weiß in Aqua dest. sofort gerinnt, dagegen in Milchsäure selbst bei Salzgegenwart vollkommen klar gelöst bleibt; 3. der Tatsache, daß durch verschiedene Formen der Wärmezufuhr milchsäurearmes Eiweiß sofort koaguliert wird, während milchsäure- gequollenes selbst bei Salzgegenwart offenbar hitzeunkoagulierbar ist (Versuchsreihe IX); 4. der Tatsache, daß selbst bei eintretender Koagulation durch Rhodankali die Milchsäure diese deutlich abschwächt (Versuchs- reihe VIII). Wir wollen einmal angesichts dieser Widersprüche die Möglichkeit ins Auge fassen, daß der von Fürth als Entquellung gedeutete Gewichts- verlust des Muskels gar nicht diese Bedeutung hat. Wenn wir an- nehmen, daß die Starrekontraktion durch eine die doppelbrechende Substanz verkürzende Quellung verursacht wird, so kann sich diese Kontraktion lösen, einmal wenn jene Quellung aufhört und von einer Entquellung abgelöst wird, ferner aber auch ebenso, wenn jene Quellung ihre verkürzenden Eigenschaften verliert, weil die die Quellungs- verkürzung bedingende Struktur der doppelbrechenden Substanz zer- stört wird. Fürth läßt durch seine Erklärung der Starrelösung beides eintreten: durch Gerinnung verliert die doppelbrechende Substanz ihre Struktur und ihr Wasser. . Diese Theorie zwingt noch zu einer zweiten nicht ganz ungezwun- genen Vorstellung: Da nach Fürths!) Beobachtung der Starrelösung noch eine zweite Periode lebhafter Imbibition durch Milchsäurequellung folgt, müssen wir annehmen, daß die Milchsäure abwechselnd quellend und entquellend wirkt, ohne daß eine Zurückdrängung der Eiweiß- ionisation durch sie nachgewiesen wäre. Alle hier behandelten Schwierig- keiten und Widersprüche vermeide ich nun durch folgende Theorie der Starrelösung. Die Milchsäure wirkt immer quellend, um so mehr, je höher ihre Konzentration ist; die Starrelösung tritt ein, sobald die Struktur der allein eine Quellungsverkürzung bewirkenden doppelbrechenden Sub- stanz zerstört ist. Nach v. Fürths?) einleuchtenden Darlegungen ist jene Substanz ganz besonders leicht quellbar. Die auf S. 172 und 186 veröffentlichten Versuche zeigen eine weitgehende Verflüssigung von - Muskeleiweiß in Milchsäurebad. Halten wir diese beiden Tatsachen 1) O. v. Fürth, Die Kolloidehemie des Muskels usw. Ergebnisse der Physiol. 1%, 363. 1919. 2) O. v. Fürth, Die Kolloidehemie des Muskels usw. Ergebnisse der Physiol. 17, 363. 1919, 188 H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure zusammen, so scheint daraus recht sicher die Zerstörung der anisotropen Substanz nicht durch Gerinnung, sondern durch Verflüssigung infolge übermäßiger Quellung zu folgen. Die doppelbrechende Substanz ent- quillt nicht, sie zerquillt. Wie ist nun im Rahmen dieser Anschauung der von v. Fürth als Ent- quellungsfolgegedeutete Gewichtsverlust bei der Starrelösung aufzufassen ? Folgende Imbibitionskurven von vier Gastrocnemien von Rana temp. und zwei Gastrocnemien von Rana esc. in Aqua destillata zeigen (Versuchsreihe X), 32 S +200 N N #180 8 +760 +40 S -N+#720 DO & S Gewichksanderun + + 8 8 SEES | | +40 - eg Starreiös. ung Kana Fermgoranıa -40 | | 0 20 #0 60 80 "0 20 MO 70 180 200 220 2408fd Abb. 9. Versuchsreihe X, Gewichtskurven intakter Gastroenemien mit besonderer Beachtung der Starrelösung (in Aqua dest.). daß der mit der Starrelösung einhergehende Gewichtsverlust durchaus wechselnd ist. Bei drei Muskeln tritt ein Absinken des Gewichts überhaupt nicht ein, nur die Intensität der Wasseraufnahme läßt etwa znr Zeit der Starrelösung (am 2. bis 3. Tag) deutlich nach, um dann entsprechend der von v. Fürth beobachteten zweiten Imbibitionsperiode von neuem (bei Rana esc. sehr steil) anzusteigen. Auch bei den anderen drei Muskeln hält sich der fragliche Gewichtsverlust unter 3%, des Anfangsgewichts. Daß nicht eine größere Abnahme des Gewichts zwischen den einzelnen Wägungen der Beobachtung entgangen ist, beweist ein Vergleich mit der Wasseraufnahme intakter Muskeln im Osmometer, in dem diese dauernd unter Aufsicht waren (Kurve siehe unten), auch dort nur ein Gewichtsverlust von 1%. Auch diese Unregelmäßigkeit des Gewichtsverlustes, der manchmal gänzlich fehlt, manchmal so große Werte erreicht, wie v. Fürth!) sie bisweilen beobachtet 1) O v. Fürth und Lenk, Biochem. Zeitschr. 33, 341. — bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 189 hat, scheint mir dafür zu sprechen, daß es sich nicht um einen rein chemischen Verlust, um eine Entquellung handelt. Diese Schwankungen werden durch mecha- nische Deutung verständlicher: angesichts des großen Einflusses von Substanz- verlusten auf die Gewichtskurve steht nichts der Anschauung im Wege, daß die spontan am Muskel eintretende Starrelösung eine Auswanderung von bis zur Ver- flüssigung gequollenem Muskeleiweiß ist. Daß solch Substanzverlust beträchtliche Größe erreichen kann, ohne sich makroskopisch als solcher zu charakterisieren, zeigt der auf S. 178 veröffentlichte Versuch am Gastrocnemius, der angesichts der Resultate der Versuchsreihe IV einen Substanzverlust von 20% in Salzsäure beweist. Mit physiologischen Verhältnissen am besten vergleichbar sind Substanzver- luste in Bädern von physiologischer Milchsäurekonzentration: in 0,05 n-Milchsäure in Ringerlösung betrug die Volumzunahme des Muskelbreies im Osmometer, in dem 0% . Substanzverluste durch die Membran zu- 300 we rückgedrängt sind, trotz 1O mm Queck- _ ! silberdrucks 57,8%, gegenüber nur 39,1%, 242 1 beim intakten Muskel. Für 0,02 n-Milch- r N säure in Ringerlösung lauten die ent- f sprechenden Zahlen 74,8% zu 51,2%. zuo f Also im ersten Fall 18%, im zweiten Fall n 23,8%, am intakten Muskel feststellbarer 220 r Substanzverlust. In Wirklichkeit ist dieser n natürlich noch größer, da die Quellungs- 290 n I werte auch im Osmometer durch Membran- Se M dehnung und eine auch hier nachweisbare .x Avolumverlust geringe Eiweißauswanderung erniedrigt N 760 , “ werden. S ! So erscheint durch die nachgewie- = f sene hohe Eiweißauswanderung auch So | ! für wesentliche höhere Gewichtsver- n luste als die in Versuchsreihe X 7% ! 2 protokollierten, die Deutung als Sub- rorageguen stanzverlust durch Zerquellung sehr möglich. i 60T WAN 20037 Michsäure Diesen Substanzverlust versuchte ich 40 auszuschalten durch Quellung möglichst intakter Oberschenkelmuskulatur im Osmo- meter unter Eiweiß undurchgängiger Mem- [ 20 0 60 60 00. 12051d. bran. Versuchsreihe XI (Verschluß siehe 0 Methode S. 168). Abb. 10. Versuchsreihe XI, Volumkurven Amdieser Kurve fällt uns zunächst intakter Oberschenkelmuskulatur (Rana esc.) ; : im Osmometer. — —— Volumkurve in auf, daß trotz der die Substanzverluste qua dest. — —_ — — Volumkurve in 0,03 n- zurückdrängenden Membran, beide Brei- Milchsäure. proben — etwa zur Zeit der Starrelösung — nicht nur in ihrer Wasseraufnahme nachlassen, sondern sogar einen geringfügigen Volumverlust aufweisen. Dies scheint zunächst gegen die Theorie: Gewichtsver- lust ist Substanzverlust — zu sprechen. Auf der anderen Seite sehen wir diesen Volumverlust bei derjenigen Breiportion später eintreten, deren Aqua-destillata- Bad noch während der ersten Volumzunahme durch 0,02n-Milchsäure ersetzt 190 | H. H. Weber: Über die Rolle der Milchsäure wurde. Dies spricht gegen die Fürthsche Anschauung von der Entquellung durch Milehsäure. Ich möchte nun zeigen, daß sich der scheinbare Widerspruch zwischen diesen beiden Beobachtungen im Rahmen meiner Theorie von der Zerquellung erklären läßt: Die Auswanderung .des durch die Quellung verflüssigten Eiweißes erfolgt bei beiden Portionen ungefähr gleichzeitig, wohl eher im Milchsäurebad etwas früher. Das aus dem Muskel ausgewanderte Eiweiß wird nun durch die wenig eiweißdurchgängige Membran im Osmometerkopf festgehalten. Wie wir nun im Absatz 1 der Arbeit (Versuchsreihe I und II) gesehen haben, ist diese Membran sehr milchsäuredurchgängig; infolgedessen verliert dieses aus dem Muskel ausgetretene flüssige Eiweiß im Aqua-destillata-Bad durch die Osmometer- membran hindurch seine Milchsäure und entquillt, im Milchsäurebad dagegen nicht. Infolgedessen Abfall der Aqua-destillata-Kurve, weiterer rapider Kurven- anstieg in Milchsäure. Dies Stadium zeigt der Kurvenabschnitt zwischen der 24. und 60. Stunde. Nun ist der Rindsdarm aber nicht absolut eiweißundurch- gängig; darum findet schließlich im Milchsäurebad doch ein Austritt gänzlich ver- flüssigten, wahrscheinlich zum Teil hydrolytisch peptonisierten Eiweißes aus dem Osmometer statt. Dieser geringe Substanzverlust bei der Quellung im Milch- säurebad zeigt sich in der Volumkurve als Absatz in der Volumvermehrung zwischen der 60. und 72. Stunde. Daß dieser Absatz tatsächlich nicht durch eine Gerinnung verursacht wurde, zeigte sich bei der Öffnung des im Milchsäurebad befindlichen Osmometers; es enthielt von den eingebrachten intakten Muskeln nur noch einige Bindegewebsfetzen, sonst nur wasserklar verflüssigtes, also sicher nicht geronnenes Eiweiß. Der hier angenommene Versuchsverlauf erklärt auch das spätere Auftreten des scheinbaren Absatzes in der Wasseraufnahme bei dem in Milchsäure befind- lichen Brei; wir haben bei dem Volumverlust in Aqua dest. und in Milchsäure eben zwei ganz verschiedene sekundäre Vorgänge vor uns: In Aqua dest. entquillt das bereits aus dem Muskel ausgetretene, noch im Osmometer befindliche Eiweiß sehr schnell durch Milchsäureverarmung; im Milchsäurebad dagegen tritt erst ganz allmählich ein geringer Substanzverlust ein durch Austritt von verflüssigtem Eiweiß aus dem Osmometer durch die nicht vollkommen eiweißundurchgängige Membran hindurch. i Meine Anschauung, das Muskeleiweiß werde durch Milchsäure- quellung verflüssigt, erklärt 1. durch Zerquellung der contractilen Substanz die Kontraktions- lösung; 2. durch die Auswanderung des also quellungsverflüssigten Eiweißes den zeitlich mit der Starrelösung beginnenden Substanzverlust, der sich in einem Absinken des Gewichts oder der Gewichtszunahme ausdrückt; 3. durch weiteres Fortschreiten des Quellungsprozesses den zweiten Kurvenanstieg, sobald die Hydration der zunächst weniger quellbaren Eiweißarten die Auswanderung der zunächst verflüssigten überwiegt; 4. den in der Versuchsreihe X zu beobachtenden, zur Auflösung führenden zweiten Gewichtsverlust, sobald die schwerer quellbaren Eiweißfraktionen sich auch verflüssigen. Dabei sieht diese Anschauung die Wirkung der Milchsäure nur in einer — experimentell nachgewiesenen — Eigenschaft begründet, in ihrem eminent quellenden Einfluß auf Muskeleiweiß. Ferner erklärt bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. 191 sich durch die Annahme der Starrelösung als Zerquellung auch un- gezwungen der begünstigende Einfluß der Milchsäure auf die Starrelösung und den damit verbundenen Gewichtsverlust, wie ihn v. Fürth mit seinem Sauerstoffversuch nachgewiesen hat. Zusammenfassung. A. Methodik: Die Verwendung eines Osmometers mit wagerechter Ablesecapillare gestattet die durch Wasserverschiebungen bewirkten Volumveränderungen von Muskelmasse annähernd quantitativ zu messen. Durch Verwendung geeigneter eiweißundurchgängiger Mem- branen (Rindsdarm) lassen sich hierbei Substanzverluste mehr als bei der bisher allein verwendeten Wägemethode ausschalten. B. Versuchsergebnisse: Die bei den verschiedenen Formen der Muskelstarre vorhandene Milchsäurekonzentration wirkt auch bei Gegenwart der physiologisch in Frage kommenden Salze enorm quellend. Die abweichend hiervon zunächst beobachtete geringe Imbibition von Muskelbrei in Aqua dest. erklärt sich durch die über Erwarten große Geschwindigkeit, mit der die Milchsäure aus dem Brei herausdiffundiert. Diese Tatsache spricht außerordentlich für die Fürthsche Theorie, daß der Starreeintritt durch eine Milchsäurequellung ver- ursacht wird. 2. Zur Frage der Starrelösung: a) Die von Fürth gezeigte Imbibitionshemmung durch Koagu- lation ist tatsächlich eine Quellungshemmung: Hitzekoagulierter Muskelbrei nimmt bei Salzsäurequellung auch aus physiologischer Kochsalzlösung weniger Wasser auf als frischer. Bei Muskelbreiver- suchen zunächst erzielte abweichende Resultate erklären sich durch stärkeren Substanzverlust des frischen Breies gegenüber dem geronnenen. b) Doch ist hiermit ebensowenig wie sonst irgendwo bewiesen, daß solehe Koagulation auch an bereits säuregequollenem Eiweiß auftritt. Die Fürthsche Beobachtung, daß 1proz. Rhodankalilösung säuregequollenes Eiweiß entquillt, ist kein solcher Beweis: Die Ent- quellung wird hier — mindestens zum größten Teil — durch eine Ent- ionisierung bewirkt, nicht durch die Gerinnung. Letztere tritt also erst an bereits wieder weitgehend entquollenem Eiweiß ein. ce) Was nun gar die Fürthsche Auffassung anlangt, Säure, besonders Milchsäure begünstige die angeblich die Starrelösung verursachende Gerinnung, so widerspricht dem 1. das Aufhören der Hitzekoagulierbarkeit in 0,05n-Milchsäure und Salzsäure; 2. die deutliche Hemmung der Rhodankalientquellung durch Milch- säure und Salzsäure; 192 H.H.Weber: Über d. Rolle d. Milchs. b. d. Bildung u. Lösung d. Muskelstarre. 3. die Tatsache, daß Muskeleiweiß in 0,02 —0,05n-Milchsäure während einer Beobachtungszeit klar gelöst bleibt, in der es in Aqua dest. voll- kommen gerinnt. d) Vergleichende Versuche im Osmometer und durch Wägung des intakten Muskels ergaben in Ringerlösung von physiologischer Milch- säurekonzentration einen außerordentlich hohen Substanzverlust. Diese Tatsache zusammen mit dem v. Fürth bewiesenen fördern- den Einfluß der Milchsäure auf die Starrelösung führt zu folgendem Schluß: Die Starrelösung ist nicht eine Entquellung, sondern eine Zerquellung, d. h. eine Zerstörung der die Quellungsverkürzung be- dingenden Struktur durch Quellungsverflüssigung. Der dabei auf- tretende Gewichtsverlust ist ein Substanzverlust infolge dieser Ver- flüssigung. Zum Schluß möchte ich noch Herrn Professor Winterstein für die freundliche Anregung zu dieser Arbeit, sowie die Unterstützung mit Rat und Tat, die mir die Durchführung der Arbeit zu einer großen Freude machten, herzlich danken. (Aus dem pathologischen Laboratorium der Universität Amsterdam. [Direktor: Prof. Dr. I. Snapper].) Herzwühlen, Flimmern, Flattern, gehäufte Extrasystolie, paro- xysmale Tachykardie. Von Dr. S. de Boer, Privatdozent in der Physiologie. Mit 23 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Oktober 1920.) A. Einleitung. In dieser Mitteilung werde ich die obenerwähnten anormalen Herz- tätigkeiten näher besprechen; ich werde durch das Experiment nach- zuweisen suchen, daß zwischen allen diesen Abweichungen ein enger Zusammenhang besteht. Diese Auffassung wurde übrigens schon von Wenckebach und Th. Lewis verteidigt. Außerdem werde ich die experimentellen Data beleuchten, welche uns Klarheit über die Genese und den Mechanismus dieser Herzabweichungen verschaffen können. Ehe ich jedoch zu einer näheren Besprechung meiner eigenen Data übergehen kann, möchte ich früheren Untersuchern, deren Arbeit ich in der umfangreichen diesbezüglichen Literatur übersehen hatte, gerecht werden. Ich hatte meine Theorien über das Entstehen von Kammerwühlen und gehäufte Extrasystolie bereits mitgeteilt!), als Prof. Einthoven mich auf die interessanten Untersuchungen von !) S. de Boer, Herzwühlen. Vortrag, gehalten in der Versammlung der Gesellschaft zur Förderung der Natur-, Arznei- und Heilkunde zu Amsterdam. (Sektion für Arzneikunde) am Mittwoch, 12. November 1919. Ned. Tijdschr. v. Geneesk. Jahrg. 1920, erste Hälfte, Nr. 11. S. de Boer, Herzwühlen. Ned. Tijdschr. v. Geneesk. Jahrg. 1920. Erste Hälfte, Nr. 21, S. 1818. S.deBoer, Eine neue Theorie über das Entstehen von Kammerwühlen. Arch. f. d. ges. Physiol. 178, 1. 1920. (Januar). — S. de Boer, Hartwoelen (Herzwühlen) I. Königl. Akad. d. Wiss. zu Amsterdam. Bericht der gewöhnlichen Versammlung der Mathematischen und Physischen Abteilung vom 27. III. 1920. Teil 28, S. 982. — Herzwühlen II. Über die Beziehung zwischen Herzwühlen und gehäufte Extra- systolie. Königl. Akad. d. Wiss. zu Amsterdam. Bericht der gewöhnlichen Ver- sammlung der mathematis hen und physischen Abteilung vom 27. III. 1920. Teil 28, S. 992. — Herzwühlen III. Kammerwühlen und gehäufte Extrasystolie der Kammer, erweckt durch die Erregung, die folgt nach einer künstlichen Extra- 194 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, Garrey!) und Mines?) aufmerksam machte. Garrey brachte die Kammern von Seeschildkröten (large loggerhead turtles) durch inter- mittierende Reizung zum Wühlen. Dann schnitt er ein ringförmiges, 2 cm breites Stück von der Basis ventriculi ab. Solch ein Ring fuhr fort zu fibrillieren. Wenn man solch einen Ring dadurch verschmälerte, daß man ihn in bestimmter Weise einschnitt, hörte das Fibrillieren auf und verlief eine Reihe Kontraktionswellen in derselben Richtung hintereinander über den Ring. Diese Kontraktionswellen liefen un- unterbrochen rundum, und ihre Anzahl verminderte, bis schließlich nur eine Kontraktionswelle übrigblieb. Auch diese verschwand end- lich und dann vermochte Garrey aufs neue eine kreisende Kontraktions- welle durch mechanische Reizung hervorzurufen. Mines schnitt einen kleinen Ring aus den Vorhöfen der Land- schildkröte heraus und erzeugte in demselben mittels eines Reizes eine kreisende Kontraktionswelle. Die beiden Autoren sind der An- sicht, daß die Kontraktionswelle in dem Ring darum zirkulieren bleiben kann, weil das refraktäre Stadium nach einem Umlauf schon abgelaufen ist und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Reizes abgenommen hat. Auf Grund ihrer Experimente stellten Garrey und Mines die Hypothese auf, daß das Fibrillieren aus vielen solchen ‚closed cireuits‘ besteht. Daneben war Garrey der Meinung, daß die Stelle, von der aus die Reize in die Kammer eintreten, für das Auftreten des Flim- merns entscheidend ist. Mit dieser Hypothese kann ich mich nicht einverstanden erklären, hat sich doch aus meinen Untersuchungen?) mit unumstößlicher Sicherheit herausgestellt, daß das Fibrillieren aus- schließlich von dem metabolen Zustand abhängt, in welchem sich eine Herzabteilung in demjenigen Augenblicke befindet, wo ein Reiz diese Herzabteilung trifft. Wenn ein Reiz eine Herzabteilung direkt nach Ablauf des refraktären Stadiums trifft, kann Wühlen dieser Herz- abteilung auftreten. Trifft aber ein Reiz von gleicher Stärke und an gleicher Stelle diese Herzabteilung in einem späteren Zeitpunkt, dann entsteht eine gut koordinierte Extrasystole. Der überzeugende Beweis hierfür wurde von mir geliefert, wenn solch eine Herzabteilung an der Oberfläche gereizt wurde. Aber dasselbe gilt auch, wenn der Kammer längs den atrio-ventrikulären Verbindungssyste- systole der Vorhöfe. Königl. Akad. d. Wiss. zu Amsterdam. Bericht der gewöhn- lichen Versammlung der mathematischen und physischen Abteilung vom 23. VIl. 1920. Teil 28, S. 1208. Delire Ventriculaire. Communication au Congres de Physiologie a Paris 17. Juillet 1920. 1) W.E. Garrey, The nature of fibrillary contraction of the heart. Its relation to tissue mass and form. Amer. journ. of physiol. 33. 1914. 2) G.R. Mines, On dynamic equilibrium in the heart. The Journ. of physiology. Vol. XLVI. p. 349. 1913. ! S)rL.se: gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 195 men von den Vorhöfen eine Erregung zugeleitet wird. Er- reicht solch eine Erregung nämlich die Kammer unmittelbar nach Ablauf des refraktären Stadiums, dann kann Wühlen der Kammer entstehen. Wenn dagegen solch eine Erregung die Kammer in einem späteren Zeitpunkte erreicht, entsteht stets eine koordinierte Extra- systole der Kammer. Die Stelle, an welcher der Reiz in die Kammer eintritt, ist also: für das Auftreten von Kammerwühlen nicht entscheidend, wohl aber: der Augenblick, in welchem der Reiz die Kammer trifft. Das große Verdienst Garreys und Mines liegt nun darin, daß sie zuerst experimentell nachgewiesen haben, daß in einem Herzmuskel- ring eine Kontraktionswelle eine Zeitlang herumkreisen kann. Nachdem ich meine Mitteilungen über das Entstehen von Herz- wühlen schon veröffentlicht hatte, erschien die Arbeit von Th. Lewis!), in welcher er, sich der Hypothese Mines’ und Garreys anschließt. Hier möchte ich noch hinzufügen, daß Wenckebach schon im Jahre 1907?) die Hypothese ausgesprochen hat, daß eine Reihe von Kontraktionen einer Herzabteilung dadurch entstehen kann, daß die eine Kontraktion eine folgende hervorruft und diese ihrerseits wieder eine dritte veranlassen kann usw. B. Eigene Untersuchungen. I. Mißbildete fraktionierte Kammersystolen. Ehe ich zur Behandlung des eigentlichen Gegenstandes übergehen kann, muß ich erst kurz eine Erscheinung erwähnen, die nach Ver- giftung mit Digitalis auftritt. In einem bestimmten Stadium der Vergiftung des Froschherzens mit Digitalis entstehen die mißbildeten fraktionierten Kammersystolen. Der metabole Zustand des Kammermuskels hat dann stark gelitten, so daß Störungen der Reizleitung eintreten. Diese Störungen können nun zweierlei Art sein: 1. die Reizleitung kann durch die ganze Kammer- gleichmäßig verzögert sein; in diesem Falle entstehen Kurven mit einer langsam ansteigenden Linie und stumpfem Gipfel, so daß die ganze Kurve verbreitert ist. Ein Beispiel hierfür sehen wir in der 18. Kurve von Abb. 1. 2. Neben der allgemeinen Verzögerung der Reizleitung durch die Kammer kann eine lokale starke Störung der Leitung vorliegen. Wenn nun diese Reizleitungsstörungen lokal auftreten, stellen sich die miß-- bildeten fraktionierten Kammersystolen ein. Sie entstehen in der fol- !) Th. Lewis, The mechanism and graphic registration of the heart beat. London, Shaw and Sons. Fetter Lane Fleet Street E. C. 4. 1920. 2) K. F. Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herz- tätigkeit. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1907, S. 20—23. 196 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, genden Weise: Nachdem im Anfang ein Teil des Kammermuskels zur Kontraktion gekommen ist, tritt ein demnächst folgender Teil erst nach einer verlängerten latenten Periode in Funktion, dann kann die Erregung wieder eine Strecke weiterdringen. Zum zweiten Male wird die Reizleitung lokal dadurch gestört, daß ein folgender Teil mit einer verlängerten latenten Periode in Aktion tritt. Dies kann sich mehr- mals nacheinander wiederholen, so daß die Erregung die Kammer ruckweise durchläuft. Der Kammermuskel kommt dann wohl als Ganzes zur Kontraktion; aber die verschiedenen Muskelgebiete kon- trahieren nacheinander, in Etappen. Diese lokalen Störungen bewirken in der aufsteigenden Linie der Kammerkurven die Bildung von recht- Abb. 2. winkligen Zacken, so daß die genannte Kurvenlinie das Aussehen eines altholländischen Treppengiebels bekommen kann. Beispiele hiervon sehen wir in Abb. 1, Kurve 4 und 20. In der absteigenden Kurvenlinie bewirkt solch eine lokale Störung das Entstehen einer neuen Erhebung, so daß zweigipfelige Kurven gebildet werden. Hiervon sind Beispiele in Abb. 2 (Kurven 2, 4 und 8) zu finden. In meinen früheren Publikationen!) wurden diese Kurvenformen eingehender beschrieben und durch mehr Figuren erläutert. Auch dort wurde von mir nachgewiesen, daß diese zweigipfeligen Kurven, obwohl ihnen oft eine verlängerte Pause folgt, nichts mit Extrasystolie zu schaffen haben. Ich glaube, mich hier damit begnügen zu können, 1) S. de Boer, Recherches pharmaco-physiologiques sur la contraction du coeur de grenouille. Il L’action de la digitale. Archives Neerlandaises de Physie- logie. Tome 1, 530. 1917. sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 197 auf diese meine früheren Publikationen zu verweisen. Während solcher Systolen, die ich nun mißbildete, fraktionierte Systolen nenne!), kann man in vielen Fällen mit dem bloßen Auge wahrnehmen, daß sich die Kontraktionswelle schraubenförmig durch den Ventrikelmuskel fortpflanzt. (Dies läßt sich dadurch verfolgen, daß sich das Blut stets von der einen noch nicht kontrahierenden Stelle im Ventrikel nach einer anderen fortbewegt.) Diese mit Blut gefüllten schlaffen Ventrikel- teile wölben sich herniaartig hervor und man sieht dann auch am besten die ebenfalls schraubenförmige Verlagerung dieser herniaartigen Her- vorwölbung. Die vorstehend erwähnte Auffassung über das Entstehen der mißbildeten fraktionierten Kammersystolen wurde später durch die Registrierung der elektrischen Kurven voll und ganz bestätigt). In meiner vorigen Publikation über das Herzwühlen im Arch. f. d. ges. Physiol. 178, 7, findet man auch die Elektrogramme solcher mißbildeten Kammersystolen wiedergegeben. Wir können nun die Genese und den Mechanismus der Kontraktionen der mißbildeten fraktionierten Kammersystolen wie folgt kurz zusam- menfassen: Die mißbildeten Kammersystolen entstehen nur dann, wenn der metabole Zustand des Kammermuskels in erheblichem Grade gestört ist (in unserem Falle durch Vergiftung mit Digitalis). Wenn nun eine Kammersystole in einem Augenblicke anfängt, wo sich der Kammer- muskel erst sehr wenig erholt hat, dann pflanzt sich die Erregung nur schwer durch die Kammer fort. Die Erregung durchläuft die Kammer in Etappen infolge des Umstandes, daß jedesmal die aufeinanderfolgenden Muskelgebiete der Kammer mit einem verlängerten latenten Stadium in Funktion treten. Infolgedessen zerfällt die Kammersystole in eine Reihe aufeinanderfolgender Kontraktionen der verschiedenen Kammer- teile, die nacheinander zur Kontraktion kommen. Diese Auseinander- setzung habe ich hier vorausgeschickt, da ich in meinem Gedanken- gang auf derselben meine neue Theorie über das Entstehen des Kammer- wühlens aufgebaut habe. II. Wühlen durch direkte Reizung der Kammer. In meinen vorigen Mitteilungen?) lieferte ich den Beweis, daß allein dann die Kammer eines entbluteten Froschherzens durch einen In- 1) Früher gebrauchte man hierfür die Bezeichnung Kammerperistaltik, eine Benennung, die mir in jeder Hinsicht unrichtig scheint. 2) S. de Boer, L’electrogramme du coeur de grenouille apres intoxication par la digitale ou l’antiarine. Archives Neerlandaises de Physiologie. Tome III 60. 1918. ayal.ie: Pflügers Archiv f.d, ges. Physio], Bd. 187. 14 198 - S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, duktionsreiz!) zum Wühlen gebracht werden kann, wenn dieser die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums trifft. Wende ich dagegen an derselben Stelle und mit gleicher Stärke den Reiz in einem späteren Zeitpunkt der Kammerperiode an, dann entsteht aus- nahmslos eine völlig koordinierte Extrasystole. Diesen Tatsachen kann nicht genug Wert beigelegt werden. Die Kammer fängt also allein dann nach einem Extrareiz zu wühlen an, wenn der metabole Zustand derselben schlecht ist. Letzteres ist im Beginne der reizbaren Periode der Fall, weil der Kammermuskel so kurz nach Ablauf der vorhergehenden Systole noch keine hinreichende Gelegenheit zur Erholung gehabt hat. Dieser schlechte metabole Zu- stand der Kammer hat zur Folge: 1. daß die Kontraktilität des Kammermuskels schlecht ist. Nach einem Extrareiz entsteht eine kleine Zusammenziehung von kurzer Dauer. Mit dieser kurzdauernden Extrakontrak- tion ist ein kurzdauerndes Refraktärstadium ver- bunden; 2. daß die Leitung der Erregung durch die Kammer mangelhaft ist. Für das Entstehen des Deliriums sind diese beiden Umstände ent- scheidend. Ganz anders sind diese Verhältnisse, wenn der Reiz in einem späteren Zeitpunkte die Kammer trifft. Dann ist der metabole Zustand viel besser, weil die Kammer nach der vorangehenden Systole länger Zeit gehabt hat sich zu erholen. Infolgedessen sind die Kontraktilität und: das Leitungsvermögen viel besser; der Reiz geht dann schnell durch die Kammer hindurch und eine normal koordinierte Extra- systole ist dann die Folge eines verabfolsten Reizes. Wenn wir nun das Entstehen des Deliriums gut verstehen wollen, dann müssen wir von dem kurzdauernden Delirium ausgehen. In einem Teile der Versuche dauerte das Delirium nämlich sehr kurze Zeit und bestand nur aus zwei oder drei Ausschlägen in dem Mechano- sramm und Elektrogramm. Was bedeutet dies nun? Wenn 2—3 Ausschläge vorliegen, dann haben wir es mit einer Erscheinung zu tun, die ich schon früher bei Froschherzen, welche mit Digitalis vergiftet waren, als mißbildete Kammersystolen beschrieben habe und die in der Literatur unter dem Namen Kammerperistaltik bekannt ist (s. Kap. 1, S. 7). Derartig miß- bildete Kammersystolen habe ich in dem genannten ersten Kapitel näher erläutert und erklärt. Diese mißbildeten Kammersystolen haben ihr Entstehen dem Umstande zu danken, daß in dem Augenblicke, !) Ein gerade ausreichender Reiz genügt; jedoch empfiehlt es sich, den Reiz etwas stärker zu wählen. Dann reagiert nämlich der Kammermuskel so früh wie möglich in dem relativen Refraktärstadium darauf. Dies ist leichtbegreiflicher- weise für das Entstehen des Wühlens ein Vorteil, gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 199 in welchem der Sinusimpuls die Kammer erreicht, diese sich nur noch mangelhaft erholt hat. Der Kammermuskel gelangt wohl als Ganzes zur Kontraktion, aber in 2—-3 Tempi. So ist es auch bei dem kurz- daurigen Wühlen (s. Abb. 3, 4 und 5 der vorigen Mitteilung)!). Nach dem Extrareiz, der die Kammer in einem Augenblicke trifft, in welchem sich der Kammermuskel nur noch unzulänglich erholt hat, gelangt ein Teil der Kammer zur Kontraktion. Die fortschreitende Erregung bringt erst nach einem längerdauernden latenten Stadium den folgen- den Teil zur Kontraktion und so durchläuft die Erregung die Kammer in zwei oder mehr Etappen. Das kurzdauernde Wühlen ist also nichts anderes als eine mißbildete fraktionierte Extrasystole. Wenn wir nun hiervon ausgehen, dann können wir uns auch eine Vorstellung über das Entstehen des längerdauernden Kammerwühlens in diesen Versuchen bilden. Wie ich schon darlegte, ist das Refraktär- stadium der Zusammenziehung, die zu Beginn der reizbaren Periode hervorgerufen wird, verkürzt. Diese Verkürzung des Refraktärstadiums ist für die Fortdauer des Deliriums von großem Gewicht. Wenn die Erregung nach einem Extrareiz die Kammer in Etappen durchlaufen hat, dann ist die Dauer solch einer Umlaufszeit erheblich verlängert. Gelangt nun die Erregung wieder beim Ausgangspunkt an, dann tritt diese wieder in Aktion und es erfolgt eine neue Kontraktion, da das kurze Refraktärstadium der vorangehenden Zusammenziehung schon ab- gelaufen ist. Aufs neue geht die Erregung durch die Kammer und wieder ruckweise. So fährt also die Erregung fort, gleich einem Irrlicht die Kammer zu durchkreisen, und erst dann, wenn sie auf ein refraktäres Gebiet stößt, hält das Wühlen auf und es entsteht die postundulatorische Pause, die auch fehlen kann. Nach einer Extrasystole, die später in der reizbaren Periode erzeugt wurde, verfolgt die Erregung nach einem Umlauf seinen kreisförmigen Weg nicht weiter, weil er dann nach einer Runde an dem Refraktärstadium abprallt, das bei dieser Extra- systole von längerer Dauer ist. Dieselben Verhältnisse bestehen bei den normalen rhythmischen Systolen. Würde bei diesen nämlich das Refraktärstadium fehlen oder viel kürzer sein, dann würde in dem geschlossenen Muskelsystem der Kammer der Reiz stets weiterkreisen, die Kammer könnte also nicht rhythmisch unter dem Einfluß der Sinusimpulse schlagen. Nach meiner Theorie liegt also dem Herzwühlen eine nicht koordi- nierte Kontraktion zugrunde, nicht in der Weise, wie Winterberg es sich dachte, nämlich derart, daß gesonderte Kontraktionsherde gleichzeitig und unabhängig voneinander funktionieren. Nach meiner Theorie gelangen die verschiedenen Gebiete einer Herzabteilung nach- einander zur Kontraktion und kann eine einmal erzeugte Erregung !) Arch. f. d. ges. Physiol. 198, 4 und 5. 14* 200 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, viele Male hintereinander eine Herzabteilung durchlaufen; das Kammer- delirium besteht aus einer Aneinanderreihung von fraktionierten Kam- mersystolen. | Soll also Herzwühlen entstehen, dann müssen im Momente des Entstehens zwei Bedingungen erfüllt werden: 1. das Refraktär- stadium muß verkürzt sein; 2. die Reizleitung durch die Kammer muß mangelhaft sein. Diesen beiden Bedingungen ist in meinen Versuchen genügt worden. Gleich nach Ablauf des Refraktärstadiums ist der metabole Zustand der Kammer schlecht; die Kontraktilität ist dann gering, also dauert das Refraktärstadium, welches eine Kontraktion begleitet, dann kurz; gleichzeitig ist die Leitung durch die Kammer dann mangelhaft). Winterberg und Rotberger waren der Meinung, daß als Vor- bedingung für das Entstehen des Wühlens allein ein sehr stark ver- kürztes Refraktärstadium ausreichend sei. Aus meiner Untersuchung hat sich gezeigt, daß außerdem die Leitung schlecht sein muß. Nur dann kann die Erscheinung zustande kommen. Es erhebt sich nun die Frage, warum nach Vergiftung des Froschherzens mit Digitalis zwar mißbildete Kammersystolen entstehen (s. oben), aber niemals Kammer- wühlen auftritt. Letzteres wurde hierbei niemals beschrieben und auch ich selbst sah es nach Vergiftung der Froschherzen mit Digitalis niemals entstehen. Die Ursache hiervon liegt nämlich in dem Umstande, daß nach Vergiftung mit Digitalis [mit einer toxischen Dosis]?) das Refraktärsta- dium der Kammer verlängert statt verkürzt ist. Die Reizleitung aber ist dann schlecht, so daß eine mißbildete Kammersystole entstehen kann; jedoch vermag die Erregung dann nicht zum zweiten Male die Kammer zu durchlaufen (da nach einem Umlauf die Erregung gegen das noch refraktäre Gebiet des Kammermuskels beim Ausgangspunkt anprallt). III. Gehäufte Extrasystolen, erzeugt durch direkte Reizung der Kammer. Es ist wohl auffallend, daß, nachdem Kliniker schon einen Zusammen- hang zwischen Kammerwühlen und gehäuften Extrasystolen vermutet 1) Andauerndes Wühlen kann darauf erfolgen, wenn die Erregung nach einem Umlauf immer wieder an dem Ausgangspunkt in einem Augenblicke anlangt, in welchem die Erholung noch mangelhaft ist. So k nn die Erregung in einer Herzabteilung gefangen bleiben und jedesmal aufs neue rundkreisen. Namentlich, wenn das Delirium sich regularisiert (siehe: Koninklijke Akademie van Weten- schappen te Amsterdam. Proceedings Vol 23. Seite 323) ist die Aussicht auf eine spontane Beendigung gering. Wenn dennoch einige Male nacheinander die Erregung in gleicher Weise die Kammer durchlaufen hat, dann kann sich dies jedesmal wiederholen, ohne daß die Erregung auf ein refraktäres Gebiet stößt. ®2) Wenn ich hier von Vergiftung mit Digitalis durch eine toxische Dosis spreche, dann meine ich damit eine Dosis, die das Refraktärstadium verlängert und die Reizleitung verzögert. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 201 hatten, diese beiden anorma- len Herztätigkeiten unter ge- nau gleichen Bedingungen beim Froschherzen entstehen konnten. Wenn nämlich direktnach Ablauf des Refrak- tärstadiums der Kammer diese von einem Induktionsreiz ge- troffen wurde, entstand in einem Teile der Experimente statt Kammerwühlen eine Reihe Systolen dieser Herz- abteilung. Durch drei Abb. möge diese Erscheinung näher erläutert werden. In Abb. 3 sind die Suspen- ° sionskurven und-Elektrogram- me eines entbluteten Frosch- herzens wiedergegeben!). Beil wird beim Gipfeldesnegativen # T-Ausschlages ein Induktions- reiz an der Basis der Kammer verabfolgt. Infolge desselben entsteht eine Extrakontrak- tion der Kammer, die in dem Saitenbild in einem Kammer- elektrogramm zum Ausdruck gelangt, in welchem der R-Aus- schlag verbreitert ist und zu- gleich die Größe des negativen T-Ausschlages zugenommen hat. Während dieser Extrasy- stole wird nun die Erregung 1) In allen Abb. wurden die Elektrogramme abgeleitet durch Anbringen einer unpolarisierbaren Elektrode an der Spitze und einer anderen auf den Vorhöfen. Die Spannung der Saite war derartig, daß Einschalten von Im V. einen Ausschlag der Saite von 1!/, mm bewirkte. Die Zeit wurde in !/, Sekunden registriert. Ill] (} k u Rs! L-} ji 'i ; IA > | ri | |IeErREERRRTTTN ul Au: I!ıitE Diele 202 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, verzögert durch die Kammer fortgeleitet. Dies kommt dadurch, daß das Refraktärstadium der vorangehenden Systole kurz vorher geendigt ist. Der metabole Zustand der Kammer ist dann ja noch schlecht. Eine zweite Folge dieses schlechten metabolen Zustandes ist die geringe Kon- traktilität des Kammermuskels. Daher ist dienach dem Reiz entstehende Extrasystole klein (wie dies aus der Suspensionskurve zu ersehen ist); hiermit geht ein kurzdauerndes Refraktärstadium Hand in Hand. Während dieser Extrasystole haben wir also einerseits eine verlangsamte Leitung der Erregung durch die Kammer und andererseits ein kurzdauerndes Refraktärstadium. Diese beiden Momente begünstigen das Entstehen gehäufter Extra- systolen. Die Erregung hat nun zwar nicht so wie beim Kammer- wühlen die Kammer in Etappen durchlaufen; aber die Zeit, die für einen Umlauf benötigt wird, hat doch zugenommen. Da nun das Re- fraktärstadium verkürzt ist, durchkreist die Erregung die Kammer von neuem. Wenn nämlich die Erregung beim Ausgangspunkt an- gelangt ist, ist die Kammer dort nach dem verkürzten Refraktärstadium schon wieder reizbar. Das zweite Mal geht die Erregung ebenfalls wieder langsam durch die Kammer, und aufs neue dauert die Kontraktion nur kurze Zeit. So kann die Erregung einige Male nacheinander die " Kammer durchkreisen und es entsteht eine Reihe verkleinerter Kammer- .systolen. Die Elektrogramme derselben weisen die vorstehend genannten Kennzeichen einer verlangsamten Reizleitung auf!). So entstanden nach dem ersten Extrareiz drei gehäufte Extrasystolen. Während dieser drei Extrasystolen bemerken wir in der Elektrogrammkurve einen P-Ausschlag (P,), der genau um die Dauer einer Periode dem nächst- folgenden P vorhergeht. Es zeigt sich also, daß während dieser gehäuften Extrasystolen der Kammer die Periodizität der Vorhöfe nicht beein- trächtigt wird. Bei 2 wird beim Gipfel des negativen T-Ausschlages der Reiz wiederholt, und abermals entstehen drei gehäufte Extra- systolen?). Auch nun fahren die Vorhöfe ungehindert fort zu pulsieren. Die Kurven von Abb. 4 wurden demselben Froschherzen entlehnt. Bei 1 wurde gegen das. Ende des T-Ausschlages ein Induktionsreiz an der Basis ven- triculi verabfolgt, worauf drei. gehäufte Extrasystolen folgten. Bei 2 wurde in demselben Zeitpunkt der Kammerperiode der Reiz wiederholt, und nun entstand ein Kurvenbild, das aus einer Mischung von grob unregelmäßigem Wühlen und !) Der Einfluß der Geschwindigkeit der Reizleitung auf die Form des Kammer- elektrogramms wurde ausführlich von mir behandelt in Arch. f. d. ges. Physiol. 173, 78. 1918 und Archives Neerlandaises de Physiologie, Tome III, S.7. 1918. 2) Wir sehen, daß die Dauer der Pause nach den gehäuften Extrasystolen starke Unterschiede aufweisen kann, wie die Abbildungen dies zeigen. Auch die Dauer der postundulatorischen Pause kann stark variieren. In einem folgenden Kapitel komme ich auf diese Tatsachen zurück. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 203 gehäuften Extrasystolen besteht. Die erste Kurve nach dem Reiz ist eine deutliche Extrasystole, wie dies aus dem Saitenbild, in welchem ein R-Ausschlag und ein stark nega- tiver T-Ausschlag vorkommt, zu schließen ist. Darauf wird das Bild der elektrischen Kurve sehr unregel- mäßig, und am Ende kommen wieder zwei deutliche Extrasystolen vor, jede mit einem R- und einem T-Aus- schlag. Wenn die Kammerbasis bei 3 nochmals gereizt wird, ent- stehen zwei Extrasystolen. Abb. 5 zeigt Kurven eines anderen Froschherzens (in den Abbildungen mit Elektrogram- men sind die Reizsignale leider nicht reproduziert. Jeder Reiz verursacht aber eine Lücke in der Saitenkurve. Man findet wohl die Reizsignale in den auf Seite 193 erwähnten Aka- demiemitteilungen). Die Elektrogramme der nor- malen rhythmischen Kammer- systolen weisen breite R-Aus- schläge und dementsprechend sroße negative T-Ausschläge auf. Wir sehen hier — wie dies bei träger Reizleitung meistens deutlich vorhanden ist — in jedem Kammerelektrogramm als eine Äußerung der noch an- haltenden basalen Negativität die Samojloffsche Hacke (in der Abbildung durch ein A ange- deutet) in der verspätet auf- tretenden apikalen Negativität ausgeschnitten. Bei l empfängt die Kammer- basis einen Induktionsreiz eben über dem Gipfel des negativen T-Ausschlages. Hierauf ent- stehen vier Extrasystolen, die il 4i INDBRSSDRHDUDERBRNS 4, Abb, 204 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, sich unmittelbar aneinander an- schließen. Aus den Kammerelek- trogrammen, welche diese Extra- systolen begleiten, erhellt deut- lich, daß die Reizleitung durch die Kammer während jeder Extra- systole stark verzögert ist. Wir folgern dies aus der sehr starken Verbreiterung der R-Ausschläge und der starken Veränderung der T-Ausschläge im negativen Sinne. Auch die Samojloffsche Hacke ist in jedem Elektrogramm deutlich vorhanden. Wenn bei 2 in dem- selben Zeitpunkt der Kammer- periode die Kammerbasis wieder gereizt wird, entstehen fünf zu- sammenhängende Extrasystolen der Kammer. Auch nun ist wäh- . rend jeder Extrasystole wieder ; unverkennbar eine starke Verzö- gerung der Reizleitung vorhanden und bequem aus den Rlektro- grammen herauszulesen. Bei 3 aber trifft ein Extrareiz die Kam- merbasis in einem viel späteren Zeitpunkt der Kammerperiode, kurze Zeit nach dem T-Ausschlag. Nun entsteht eine Extrasystole der Kammer. Während dieser Extrasystole wird die Erregung sehr wahrscheinlich wohl lang- ii 1); samer durch die Kammer fortge- | leitet als während der periodi- © | schen Kammersystolen, doch ge- wiß nicht so langsam wie wäh- rend der vorang henlom gehäuften Extrasystolen!). Der R-Ausschlag e.-.. aur- 5? u Bansun EEEEEH TaRsss ‚ur @ IRERSZHETTERGERDEREZT BERERUNELHERLEEBENE BERREE KERNE ng I t „Re BISRETTRRETAIEEI EEE I ie} 1) Wir können natürlich, wenn wir die Geschwindigkeit der Reizleitung vergleichen wollen, die Extrasystole bei 3 allein vollkommen vergleichen mit der ersten Systole der gehäuften s EBEN TRENEERRERESEREEREE Z se E gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 205 ist längst nicht so breit wie beiden Kammerelektrogrammen der gehäuf- ten Extrasystolen. Wir können auch mit einem Blick auf die viel lang- samere Reizleitung während der gehäuften Extrasystolen schließen. Betrachten wir nämlich die R-Ausschläge der Elektrogramme, dann fällt es direkt auf, daß die aufsteigenden Linien derselben während der gehäuften Extrasystolen sehr deutlich sichtbar sind und sich während der periodischen Kammersystolen und zugleich während der Extrasystole bei 3 als viel dünnere Linien abheben!). Dies bedeutet, daß sich die Erregung vom Ausgangspunkt an während der gehäuften Extrasystolen viel langsamer durch die Basis ventriculi fortpflanzt als bei den periodischen Kammersystolen und der Extrasystole bei 3: Es zeigt sich also deutlich, daß während der Extrasystole bei 3 die Reizleitung durch die Kammer längst nicht so stark verzögert ist wie bei der ersten Systole der gehäuften Kammersystolen. Außerdem ist die Dauer des Elektrogramms der Extrasystole bei 3 größer als diejenige der ersten Elektrogramme der gehäuften Extrasystolen. So wohl die schnellere Reizleitung als auch die längere Dauer des Kammer- elektrogrammes, also die längere Dauer des Refraktärstadiums, begün- stigen den Umstand, daß nach dem Reiz bei 3 nur eine Extrasystole folgt. Nach der schnelleren Umlaufszeit prallt die Erregung auf dem länger dauernden Refraktärstadium ab. Wir sehen also, daß für das Entstehen gehäufter Extrasystolen dieselbe Regel gilt wie für das Entstehen von Kammerwühlen. Wenn der Reiz die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums trifft, können gehäufte Extra- systolen zum Vorschein kommen. Aber wenn bei einem Froschherzen, das nach der Verabfolgung eines Induktionsreizes direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums gehäufte Extrasystolen aufweist, der Reiz in einem späteren Zeitpunkt der Kammerperiode an derselben Stelle und mit derselben Stärke angewandt wird, dann entsteht nur eine einzige Extrasystole. = Die gehäuften Extrasystolen entstehen also nur dann, wenn der metabole Zustand der Kammer schlecht ist und infolgedessen die Erregung träge durch die Kammer fortgeleitet wird. Zugleich entsteht in dem Augenblick, in welchem der metabole Zustand der Kammer Kammersystolen. Denn allein bei dieser geht die Erregung von einer bestimmten und zwar derselben Stelle des Kammermantels aus (nämlich der Stelle, wo die Reizelektrode steht). 1) Es ist eine gewöhuliche Erscheinung, daß bei den Elektrogrammen der Froschherzen, auch wenn die Reizleitung verzögert ist, die absteigende Linie des R-Ausschlages sehr steil oder relativ steil verläuft. Die aufsteigende Linie des B-Ausschlages hat dann einen weniger steilen Verlauf. Die an- und absteigenden Linien von allen R-Ausschlägen dieser Abbildung sind beim Verleger deutlicher gemacht, so daß die oben erwähnten Unterschiede nicht mehr sichtbar sind. Die ursprünglichen Abbildungen stehen jedem zur Verfügung. 206 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, schlecht ist, nach dem Reize eine kurzdauerige Extrasystole mit einem Refraktärstadium von kurzer Dauer. Sowohl die träge Reizleitung als die kurze Dauer des Refraktärstadiums begünstigen also das Ent- stehen der gehäuften Extrasystolen. Dann kann nach dem ersten Umlauf durch die Kammer, der lange dauert, die Erregung nochmals die Runde machen, da der Ausgangspunkt der Erregung dann schon wieder reizbar ist. Dies kann sich darauf mehrmals wiederholen. Die Vorbedingungen für das Zustandekommen der gehäuften Extrasystolen sind daher ähnliche wie für das Entstehen des Kammerwühlens. Der Mechanismus der Prozesse, die sich in dem Kammermuskel beim Herz- wühlen und bei den gehäuften Extrasystolen abspielen. weist allein graduelle Unterschiede auf. Bei beiden Abweichungen des normalen Rhythmus ist die Reizleitung stark verzögert und hat die Dauer des Refraktärstadiums im Augenblicke des Entstehens abgenommen. Bei Delirium cordis durchläuft aber die Erregung die Kammer in so stark verzögertem Tempo, daß jedesmal verschiedene Muskelgebiete der Kammer mit einem verlängerten latenten Stadium in Funktion treten, so daß sich der Reiz verzögert und ruckweise durch die Kammer fortpflanzt. Infolge hiervon entstehen fraktionierte Kammersystolen, die sich aneinanderreihen, solange das Delirium dauert. Während der sehäuften Extrasystolen aber ist auch das Refraktärstadium im Augen- blicke des Entstehens verkürzt; doch nun pflanzt die Erregung sich auch, zwar in langsamem Tempo, durch die Kammer fort, aber ohne Aufenthalt, also nicht ruckweise. Hierdurch entstehen glatt verlaufende und relativ koordinierte Kontraktionen des Kammermuskels!). Die Verwandtschaft zwischen Kammerwühlen und gehäuften Extra- systolen ergibt sich auch noch aus dem Umstande, daß die beiden Formen ineinander übergehen können. Gehäufte Extrasystolen können in Kammerwühlen übergehen und dieses umgekehrt in gehäufte Extra- systolen. Hierauf komme ich in einem folgenden Kapitel zurück. Man kann sich jetzt vorstellen, daß eine Extrasystole einer Herzabtei- lung der am Anfang der reizbaren Periode entsteht, inähnlicher Weise zustande kommt, als die erste Systole der gehäuften Extrasystolie. t) Es ist wohl selbstverständlich, daß bei dieser stark verzögerten Reiz- leitung jede Kammerkontraktion der gehäuften Extrasystolen nicht eine Kon- traktion des ganzen Kammermuskels zu sein braucht. Partielle Asystolien nament- lich der Kammerspitze werden während verschiedener gehäufter Extrasystolen gewiß wohl vorkommen. Dies erhellt wenigstens wohl aus den verschiedenen Abbildungen, die ich im vorstehenden wiedergegeben habe. Von verschiedenen ge- häuften Extrasystolen dieser Abbildungen sind die negativen T-Ausschläge kleiner als man bei der stark verzögerten Reizleitung erwarten sollte. Dies wird ziemlich sicher durch die partielle Apexasystolie verursacht. Auch ist es begreiflich, daß im Anfang der reizbaren Periode die Erregung sich nicht nach allen Richtungen fortpflanzen kann. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 207 IV. Kammerwühlen, durch indirekte Reizung der Kammer erzeugt (durch die Erregung, die nach einer frühzeitigen Extrasystole der Vorhöfe die Kammer unmittelbar nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht). Im zweiten Kapitel wurden von mir Experimente beschrieben, die ich mit dem entbluteten Froschherzen anstellte, und in denen dadurch Kammerwühlen hervorgerufen wurde, daß der Kammer direkt nach Ablauf des Befraktärstadiums ein Induktionsreiz verabfolgt wurde. Es hat sich mir nun gezeigt, daß für das Zustandekommen von Kammerwühlen eine direkte Reizung dieser Herzabteilung nicht einmal erforderlich ist. Wenn nämlich direkt nach Ablauf des Refraktärsta- diums eine Erregung die Kammer erreicht, entsteht das Kammer- wühlen ebenfalls. Wir können dies experimentell dadurch ausführen, daß wir bei dem entbluteten Froschherzen den Vorhöfen im Beginne Abb. 6a. Abh. 6b. der reizbaren Periode dieser Herzabteilungen einen Induktionsreiz ver- abfolgen. Nach der auf diese Weise erzeugten Extrasystole der Vor- höfe schreitet die Erregung längs den atrio-ventrikulären Verbindungs- systemen nach der Kammer fort. Diese Erregung kann allein dann die Kammer erreichen direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums, wenn die Vorhöfe so früh wie möglich gereizt werden. Dies werde durch ein Beispiel erläutert. In Abb. 6 sind die Suspensionskurven der Kammer (V) und die Vorhöfe (A) eines Froschherzens abgebildet, 15 Minuten nach der Entblutung. Zwischen den Kurven von Abb. 6a und 6b sind zwei Herzperioden ausgefallen. Bei dem Ausschlag des Signals in Abb. 6a empfingen die Vorhöfe einen Induktionsreiz, nachdem das Refraktärstadium der Vorhöfe schon einige Zeit beendigt war. Da- durch wird eine Extrasystole der Vorhöfe erzeugt. Die Erregung erreicht hierauf die Kammern am Ende der Diastole (also in einem Augenblick, wo das Refraktärstadium der Kammer schon einige Zeit abgelaufen ist), so daß dadurch eine verfrühte Kammersystole ent- steht. Danach nehmen die Vorhöfe und die Kammer wieder den ge- wöhnlichen Rhythmus auf. In Abb. 6b dagegen werden die Vorhöfe zu Anfang der reizbaren Periode bei 1 gereizt, wodurch eine Extrasystole der Vorhöfe entsteht. Dann erreicht die Erregung die Kammer schon in der Mitte der Diastole, 208 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums. Statt einer verfrühten Kammersystole entsteht nun ein unregelmäßiges Wühlen dieser Herz- abteilung, nach welchem eine kurze postundulatorische Pause folgt. Während dieses Kammerwühlens schlagen die Vorhöfe regelmäßig weiter; nach der Extrasystole der Vorhöfe entsteht die gewöhnliche kompensatorische Pause und danach nehmen die Vorhöfe ihr regel- mäßiges Schlagtempo wieder auf!). Bei 2 werden die Vorhöfe noch einmal im Beginne der reizbaren Periode gereizt. Nach dieser Extrasystole der Vorhöfe geht die Kammer nach Ablauf des gewöhnlichen A-V-Intervalles wieder prompt zum Wühlen über. Wir haben es bei diesem Experiment mit viel verwickelteren Ver- hältnissen zu tun als bei den Experimenten, die im zweiten Kapitel besprochen wurden. Bei diesen letzteren Experimenten wurde die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums gereizt, worauf das Kammerwühlen entstand. Hierbei hatte ich also nach einigem Suchen diesen Punkt leicht gefunden. Bei den Experimenten, die wir jetzt beschreiben, gelingt dies nieht so leicht; dies ist auch sehr be- greiflich. Zunächst muß der Augenblick bestimmt werden, in welchem das Refraktärstadium der Vorhöfe endigt; aber des weiteren hängt das Gelingen des Experimentes noch von zweianderen Faktoren ab, nämlich: 1. von der Geschwindigkeit, mit welcher die Erregung von der gereizten Stelle auf den Vorhöfen nach der Kammer fort- schreitet; 2. von der Dauer des Refraktärstadiums der Kammer. Nur wenn diese Verhältnisse derartig sind, daß die Erregung die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht, geht die Kammer zum Wühlen über. Im allgemeinen erreicht nach einer Extrasystole der Vorhöfe die Erregung die Kammer zu spät für das Entstehen von Kammerwühlen. Um nun das Experiment besser gelingen zu lassen, könnte man er- wägen, das Refraktärstadium der Kammer durch Gifte (Digitalis, Veratrin usw.) zu verlängern. Dann würde nach einer Extrasystole der Vorhöfe vielleicht die Erregung die Kammer wohl besser direkt: nach Ablauf des Refraktärstadiums erreichen können. Aber wie sich schon unter BI dieser Mitteilung (S.72) gezeigt hat, verhindert gerade nach Vergiftung mit Digitalis die Verlängerung des Refraktärstadiums die Fortdauer des Wühlens. Wir müssen also von diesem Kunstgriff absehen. Es ist mir nun gelungen, bei dem vergifteten entbluteten Froschherzen die Ver- !) Die Vorhofkurven sind während des Kammerwühlens kleiner geworden Dies wird durch die infolge des Kammerwühlens veränderten mechanischen Ver- hältnisse der Registrierung verursacht. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 209 hältnisse derartig zu ändern, daß das Experiment doch besser gelingt. Es ist nämlich bekannt, daß die Dauer der postkompensatorischen Systole größer ist als diejenige der periodischen Systolen. Mit dieser längeren Dauer ist eine längere Dauer des Refraktärstadiums verbun- den. Wenn ich also zu Anfang einer postkompensatorischen Systole den Vorhöfen so früh wie möglich in der reizbaren Periode einen In- duktionsschlag verabfolge, wird das Experiment besser gelingen können. In der Tat kann ich dann auch durch indirekte Reizung die Kammer leichter zum Wühlen bringen. Beispiele hiervon finden wir in Abb. 7. In Abb. 7a erhalten die Vorhöfe bei dem ersten Ausschlage des Signals einen Induktionsreiz, worauf eine Extrasystole dieser Herzabteilungen entsteht, denen eine verfrühte Kammersystole folgt. Nun wird der Reiz nach der folgenden Vorhofsystole wiederholt, und zwar so früh wie möglich in der reizbaren Periode. Hierauf entsteht eine Extra- systole der Vorhöfe. Die Erregung, welche dann nach der Kammer weitergeleitet wird, bringt die letztere eine Zeitlang zum Wühlen. Abb. 7a. Während dieses Kammerwühlens weisen die Vorhofkurven einige Un- regelmäßigkeiten auf, die offenbar durch interkurrente, in retrograder Richtung von der Kammer nach den Vorhöfen fortschreitende Er- regungen verursacht werden!). Hierdurch werden die Vorhöfe dann und wann zu einer Extrasystole angeregt. Beim vierten Ausschlage des Signals werden die Vorhöfe aufs neue während einer postkompen- satorischen Systole gereizt; doch nun trifft der Reiz die Vorhöfe etwas später als das vorige Mal. Danach entsteht nun ein kurzdaueriges Wühlen (wir würden dies auch als zwei Extrasystolen bezeichnen können; vorsichtshalber soll man lieber keine scharfen Grenzen zwischen beiden Abweichungen ziehen). Die Kurven von Abb. 7b wurden mit einem Zwischenraum von wenigen Herzperioden nach denjenigen von Abb. 7a registriert. Hierin trifft beim zweiten Ausschlage des Signals ein Induktionsreiz die Vorhöfe, doch ziemlich spät in der reizbaren Periode. Nach der auf diese Weise erzeugten Vorhofextrasystole zeigt dann auch die Kammer eine verfrühte Systole. Wenn bei dem vierten Ausschlag des Signals der Reiz während einer postkompensatorischen Systole in einem früheren Zeitpunkt wiederholt wird, gelingt der Ver- 1) In einer folgenden Mitteilung wird hierfür der exakte Beweis geliefert, 2310 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, such besser. Nun entsteht zu Beginn der reizbaren Periode eine Extra- systole der Vorhöfe. Die Erregung, die hiernach die Kammer erreicht, kommt früh genug an, um ein kurzdauerndes Wühlen zu verursachen. Die Vorhöfe weisen wieder ebenso wie das vorige Mal eine geringe Unregelmäßigkeit auf. Beim sechsten Ausschlage des Signals werden die Vorhöfe noch einmal gereizt während einer postkompensatorischen Systole. Nun trifft der Reiz die Vorhöfe noch etwas früher als das T 7 2 g 3 ; DR N UENUNEH | Z Abb. 7b vorige Mal. Nach dieser Extrasystole der Vorhöfe geht die Kammer unter dem Einflusse der Erregung in ein länger dauerndes Wühlen über. Die Vorhöfe zeigen während dieses Wühlens wieder dieselben Unregelmäßigkeiten wie die vorigen Male. Abb. 8 zeigt Kurven, aus welchen hervorgeht, daß die Contractilität der Kammer noch kräftig war!), während sie doch durch indirekte Reizung zum Wühlen gebracht werden konnte. Bei 1 erhalten die Vorhöfe einen Induktionsreiz, worauf eine Extrasystole der Vorhöfe entsteht. Hiernach folgt mit dem gewöhnlichen A-V-Intervall eine lan » A YOAUULNLI- AAN U LANA Abb. 8. verfrühte Kammersystole. Bei 2 wird der Extrareiz wiederholt, direkt nach der postkompensatorischen Systole, worauf eine kleine Extrasystole der Vorhöfe folgt. Wenn nun danach die Erregung die Kammer noch vor der Mitte der Diastole erreicht, ist das Refraktärstadium der Kammer gerade vorbei. Die Kammer geht daher zum Wühlen über, während die Vorhöfe wieder in dem normalen Rhythmus weiter schlagen. Bei 4 wird aufs neue nach einer postkompensatorischen Systole so früh wie möglich in der reizbaren Periode ein Reiz den Vorhöfen ver- abfolgt, und wieder entsteht nach der Extrasystole der Vorhäfe ein kurzdauerndes Wühlen der Kammer. !) Bei allen mit doppelter Suspension aufgenommenen Kurven wurden die Kammerkurven mit einer 5 maligen Vergrößerung registriert. sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 2 Aus den hier beschriebenen Experimenten geht mit hin- reichender Sicherheit hervor, daß die Kammer zum Wühlen übergeht, wenn direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums eine Erregung diese Herzabteilung erreicht. Erreicht da- gegen eine Erregung die Kammer in einem späteren Zeit- punkte, dann entsteht eine gewöhnliche verfrühte Systole. Wir können also bei dem Froschherzen experimentell durch eine Erregung die Kammer dadurch zum Wühlen bringen, daß wir die Vorhöfe unmittelbar nach Ablauf des Refraktärstadiums mit einem Induktionsschlag reizen. Nach der auf diese Weise erzeugten Extra- systole der Vorhöfe schreitet die Erregung nach der Kammer fort und bringt sie zum Wühlen, wenigstens, wenn sie die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht. Erreicht nun die Er- resung die Kammer zu früh, also während des Refraktärstadiums, dann entsteht eine Extrapause der Kammer, weil die Erregung dann auf der noch nicht reizbaren Kammer abprallt. Kommt dagegen die Erregung zu spät an, dann entsteht eine verfrühte Kammersystole. Es ist klar, daß das Gelingen des Experimentes von den folgenden drei Faktoren abhängt: 1. Von dem Augenblick, in welchem die Vorhöfe gereizt werden. Da nun fast immer die Erregung die Kammer zu spät erreicht, ist es erwünscht, die Vorhöfe so früh wie möglich in der reizbaren Periode zu reizen. 2. Von der Leitungszeit zwischen der Reizstelle auf den Vorhöfen und der Kammer. 3. Von der Dauer des Refraktärstadiums der Kammer. Da die Erregung die Kammer meistens zu spät erreicht, gelingt das Experiment durchweg besser während einer postkompensatorischen Systole, deren Refraktärstadium verlängert ist. Ein zweites begün- stigendes Moment besteht darin, daß während der postkompensatori- schen Systole die Geschwindigkeit der Reizleitung zugenommen hat. Wir können dann leichter dafür sorgen, daß die Erregung im richtigen Augenblick die Kammer erreicht. Indessen ist die Anzahl Schwierigkeiten, auf die wir bei diesen Experimenten stoßen, hiermit noch nicht völlig erschöpft. Im vorher- gehenden wies ich darauf hin, daß die Vorhöfe so früh wie möglich in der reizbaren Periode gereizt werden müssen, wenn das Experiment gelingen soll. Nun entsteht gerade in dem Augenblick, wenigstens wenn der metabole Zustand der Vorhöfe hinreichend schlecht ist, wiederholt nach einem Reiz entweder Vorhofwühlen (s. Kap. VII) oder gehäufte Extrasystolie (s. Kap. VI) der Vorhöfe. In diesen beiden Fällen zeigt die Kammer kein Wühlen, sondern ein ganz anderes Bild, das in den genannten Kapiteln näher beschrieben werden wird. Soll 312 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, daher unser Experiment gelingen, dann muß auf den Extrareiz eine Vorhofextrasystole folgen. Die Erregung, welche danach die Kammer erreicht, kann diese Herzabteilung zum Wühlen bringen. Da nun bei dem suspendierten Froschherzen der metabole Zustand der Kammer viel eher verschlechtert als derjenige der Vorhöfe, gelangt also die Kammer auch eher in einen Zustand, in welchem sie zum Wühlen gebracht werden kann als die Vorhöfe. In dieser Periode bewirkt also ein frühzeitiger, den Vorhöfen verabfolgter Reiz, eine Extrasystole dieser Herzabteilungen. Wenn dann die Erregung hierauf die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht, geht diese zum Wühlen über. Ich verweise hier nachdrücklich auf den Umstand, daß eine Herz- abteilung durch eine Erregung zum Wühlen gebracht werden kann. Für die Klinik scheint mir diese Tatsache nicht ohne Bedeutung. Wenn nämlich beim Menschen durch eine plötzliche körperliche Anstrengung eine Beschleunigung des Herzschlages entsteht, d.h. wenn von der Entstehungsstelle der Sinusimpulse die letzteren in einem beschleunigten Tempo ausgesandt werden, können wir uns vorstellen, daß plötzlich eine Erregung die Vorhöfe oder die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreicht. Die betreffende Herzabteilung kann dann plötzlich zum Wühlen übergehen). Aus diesem und aus dem zweiten Kapitel hat sich hinlänglich ge- zeigt, daß als Vorbedingung für das Entstehen und die Fortdauer des Wühlens der metabole Zustand der betreffenden Herzabteilung ent- scheidend ist. Nur dann, wenn dieser hinreichend verschlechtert ist, kann das Wühlen auftreten. Auch über das Entstehen des plötzlichen Herztodes (nach der Ansicht Herings, die wohl allgemein Eingang gefunden hat, wird dieser im allgemeinen durch Wühlen der Kammern verursacht) können meine neuen experimentellen Data mehr Licht verschaffen. V, Gehäufte Extrasystolen der Kammer nach indirekter Reizung, von den Vorhöfen aus. Aus dem dritten Kapitel hat sich ergeben, daß gehäufte Kammer- systolen unter denselben Bedingungen nach direkter Reizung * der Kammer entstehen können wie das Kammerwühlen. Es erhebt sich nun die Frage, ob gehäufte Kammerextrasystolen auch unter dem Einflusse einer Erregung hervorgerufen werden können, welche die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums von den Vor- 1) Diese Theorie wird in einer nächsten Mitteilung ausgedehnt. Dieselbe Entstehungsart kann man auch annehmen für paroxysmale Tachycardie beim Menschen (siehe Kap. V). gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. höfen aus erreicht. Die Kurven von Abb. 9 geben auf diese Frage eine bestätigende Antwort; die- selben wurden mit dem Saitengal- vanometer (1!/, Stunde nach der Entblutung) aufgenommen. Das Tempo der Kammersystolen weist eine gewisse Unregelmäßigkeit auf infolge des Umstandes, daß nicht auf alle Vorhofsystolen eine Kam- mersystole folgt. Soweit die P-Aus- ‚schläge der Elektrogramme in den Kurven sichtbar sind, setzte ich ein P daneben. Wenn wir nun die Zwischenzeiten zwischen den verschiedenen P-Ausschlägen mes- sen, können wir leicht einen Ein- blick in den Kammerrhythmus erhalten. Intervalle zwischen den P-Aus- schlägen in Zeiteinheiten von !/, Se- kunden: pi p=9, P_pl= 173, pP —_ps=26%), P2— Ps = 263), P5 — Ps = 173/, pe pu 2 ın8), Es zeigt sich also, daß die Dauer der Sinusperioden 8”/, Zeit- einheiten beträgt, so daß zwischen P! und P2, P2und P? und zwischen P* und P® jedesmal zwei P-Aus- schläge mit den Kammerelektro- srammen zusammenfallen. Zwi- schen P3 und P%, P5 und P®, P® und P? fällt jedesmal ein P-Aus- schlag mit den Kammerelektro- grammen zusammen. Die P-R- Intervalle haben eine besonders lange Dauer von durchschnittlich ?/, Sekunden. Die Reizelektrode wurde auf den Vorhöfen unweit der Atrio- ventrikularfurche angebracht. Während dieser Aufnahme emp- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 15 Abb. DO: 214 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, [7 fingen die Vorhöfe zweimal einen Öffnungsinduktionsreiz, nämlich bei 1 und bei 2. Bei 1 empfangen die Vorhöfe einen Öffnungsreiz eben über dem Gipfel des T-Ausschlages (durch sich einschleichende Stromschleifen weist die Elektrogrammkurve im Momente des Reizes eine Lücke auf). Ungefähr ?/, Sekunden nach dem Moment, in welchem der Reiz ver- abfolgt wurde, fängt das Elektrogramm der darauf folgenden Kammer- kurve an. Diese im Vergleich zu dem langen P-R-Intervall relativ kurze Leitungszeit ist der kurzen Entfernung, welche die Erregung zurückzulegen hat, zuzuschreiben, da die Reizelektrode dicht bei der Atrioventrikularfurche steht!). Während nach dem bei 1 angewandten Reiz die Kammer auf die zugeführte Erregung mit einer Kammer-, systole antwortet, ist das Resultat nach dem bei 2 verabfolgten Reiz in bezug auf die Kammer ganz anders. Hier trifft jedoch der Induktions- reiz die Vorhöfe auch etwas früher. Während bei 1 der Reiz die Vor- höfe eben nach dem Gipfel des T-Ausschlages traf, erreicht der Reiz bei 2 die Vorhöfe eben vor dem Gipfel des T-Ausschlages.. Nach einem Intervall von ?/, Sekunden antwortet die Kammer auf die zu- geführte Erregung nun nicht mit einer Systole, sondern mit einer Reihe von fünf aneinandergeschlossenen Systolen. (Man sieht an den Elektrogrammkurven, daß die Saite zwischen den verschiedenen Elektro- grammen nicht oder höchstens eine sehr kurze Zeit im Ruhestande ver- bleibt.) Diese Häufung von Extrasystolen ist dem Umstande zu- zuschreiben, daß die Erregung nun die Kammer etwas früher nach der vorangehenden Kammersystole erreicht hat als das vorige Mal. Wenn wir.nun die Elektrogramme der gehäuften Kammersystolen näher betrachten, stellt sich heraus, daß sie untereinander alle verschieden sind (die zweite und die vierte Kurve werden sehr wahrscheinlich durch partielle Systolen verursacht) ?). Wir sehen also, daß die Kammer des entbluteten Froschherzens nach einer künstlichen Extrasystole der Vorhöfe auf die zugeführte Erregung mit einer Häufung von Extrasystolen antworten kann, wenn diese Erregung die Kammer nur früh genug erreicht. Eine später ankommende Erregung ruft dann eine verfrühte Kammersystole hervor. !) Man könnte auch noch denken, daß die Kammer durch Stromschleifen direkt gereizt war; doch ist 3/, Sekunden für eine latente elektrische Zeit viel zu lang. Dies ist also wohl ausgeschlossen. 2) Der Ausschlag des Signals nach unten wird durch eine Schließung des primären Stromkreises verursacht. Das Signal ist leider nicht reproduziert. Die Schließungsschläge sind .abgeblendet, so daß die Kammersystole, deren Elektro- gramm etwas später (nämlich nach der Schließung des primären Stromkreises zwischen 1 und 2) anfängt, nicht durch diese Schließung verursacht sein kann, Dieses Elektrogramm folgt auf das vorangehende mit einem Intervall von 10%/, gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 215 VI. Gehäufte Extrasystolen der Vorhöfe nach einem Induktionsreiz. Die Experimente, die ich anfangs allein beim Ventrikel verrichtete, wurden von mir bei den Vorhöfen fortgesetzt. Um die Verhältnisse hier übersichtlicher zu gestalten, wurde in dieser Versuchsreihe von mir stets die doppelte Suspension angewandt. Es zeigte sich mir bei dieser Versuchsreihe, daß auch bei den Vorhöfen unter gleichen Be- dingungen ähnliche Resultate erzielt werden konnten, wie ich solche im Vorstehenden für die Kammer mitteilte. Einige Beispiele von gehäuften Extrasystolen der Vorhöfe mögen dies näher erläutern. In Abb. 10 sind die Suspensionskurven der Kammer und darunter diejenigen der Vorhöfe eines Froschherzens wiedergegeben, 5 Minuten nach der Entblutung registriert. Beim ersten Ausschlage des Signals empfangen die Vorhöfe einen Induktionsreiz einige Zeit nach der Vorhofdiastole. Hierdurch entsteht eine Abb. 10. Extrasystole der Vorhöfe, der eine Systole der Kammer folgt. Wenn nun nach der postkompensatorischen Systole der Reiz in einem früheren Zeitpunkt wieder- holt wird, ist das Resultat ganz anders. Dann entstehen 4 Systolen der Vorhöfe in einem beschleunigten und unregelmäßigen Tempo. Diese Vorhofkurven sind unter- einander sehr verschieden groß. Nach dieser Häufung folgt eine verlängerte Pause, nach welcher das regelmäßige Tempo der Herzschläge wieder aufgenommen wird. Wenn wir nun das Auge auf die Suspensionskurven des Ventrikels richten, dann sehen wir, daß während der Häufung der Vorhofsystolen auf jede Systole der Vorhöfe eine Kammersystole folgt. Beim dritten Ausschlage des Signals wird wieder in einem späteren Momente der Vorhofperiode eine Extrasystole der Vorhöfe erzeugt, der eine Kammersystole folgt. Nach der postkompensato- richen Systole wird der Reiz den Vorhöfen in einem früheren Zeitpunkt der Vor- hofperiode verabfolgt. Nun entstehen zwei Vorhofsystolen, deren eine von einer Systole der Kammer gefolgt wird. Offenbar hat nach der zweiten Vorhofsystole die Erregung die Kammer erreicht, während diese noch refraktär war. Dieser Gedankengang liegt darum nahe, weil die Kammersystole, welche nach der ersten Vorhofsystole in einem verfrühten Zeitraum auftrat, ziemlich groß und breit ist. Zeiteinheiten, so daß es um 1°/, Zeiteinheiten verspätet zustandekommt, in- folge des kurzen vorhergehenden Intervalles nach der vorigen Kammersystole. Die Kammer pulsiert also in dieser Aufnahme im halbierten Rhythmus, außer daß hier eine Bigeminusgruppe zum Vorschein kam. Nach den beiden Reizen ist dieser halbierte Kammerrhythmus künstlich gestört. 152 216 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, Die verfrühte Kammersystole ist nämlich jetzt größer und hreiter als die der vorangehenden Gruppe von Kammersystolen, die durch die 4 gehäuften Extra- systolen der Vorhöfe erzeugt wird. Nach dem 5. und 6. Reiz war das Resultat ungefähr dasselbe wie nach dem 3. und 4. Reiz. Merkwürdig sind auch die Kurven von Abb. 11. Nach dem ersten Reiz, der den Vorhöfen verabfolgt wurde, gleich nach Ablauf einer Vorhofkurve, ent- standen 4 Systolen der Vorhöfe von ungleicher Größe. ‚Jeder dieser Vorhofsystolen LMU Ih IM | INNLAINTURLN N Il NN UILLNNN N ALLE NNNANNnANnANnAnen rn U END UND, EERERBEREBEEBENNENNNEE JERNBENEUENENEREEREEIBEREENENENNZER, Abb. 11. folgt eine Systole der Kammer. Darauf folgt sowohl für die Vorhöfe als für die Kammer eine kompensatorische Pause. Ein ähnliches Resultat wurde nach dem 3. Reiz erzielt. Der 4. Reiz ruft eine Extrasystole der Vorhöfe in einem viel späteren Zeitpunkt der Vorhofperiode hervor. Dieser Vorhofextrasystole folgt eine ver- frühte Systole der Kammer. Wir können aus diesen Experimenten, die ich sehr zahlreich aus- führte, die nachstehenden Folgerungen ziehen: Wenn ein Reiz die Vor- höfe direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums trifft, kann eine Häufung von Extrasystolen der Vorhöfe entstehen; jeder Vorhof- systole kann dann eine Systole der Kammer folgen. Trifft dagegen der Extrareiz die Vorhöfe in einem späteren Zeitpunkt der Vorhof- periode, dann entsteht nur eine Extrasystole der Vorhöfe, der eine verfrühte Kammersystole folgt. Die Gruppen von Kammersystolen, die in diesen Experimenten vorkommen, bestehen also aus Kammersystolen, deren jede gesondert auf eine Vorhofsystole folgt. Jeder Vorhofsystole von einer Häufung von Vorhofsystolen folgt also eine Kammersystole. Wir haben hier also mit ganz anderen Verhältnissen zu tun als den- jenigen, die wir in Kap. V behandelt haben. Dort nämlich wurde eine Extrasystole der Vorhöfe erzeugt, der eine kompensatorische Pause folgte. Nach dieser letzteren stellte sich das normale Schlag- tempo der Vorhöfe wieder ein. Die Kammer verhielt sich dort ganz anders. Nach der Extrasystole der Vorhöfe nämlich erreichte die Erregung die Kammer in einem Augenblicke, wo das Refraktär- stadium der letzteren gerade abgelaufen war. Auf diese zugeführte Erregung antwortete die Kammer mit eine Häufung von Kammer- systolen. Hier stellten also die Vorhöfe nach der Extrasystole ihr nor- sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. DT males Schlagtempo unter dem Einfluß der Sinusimpulse wieder her. In der Kammer aber machte die Erregung einige Male einen Umlauf, solange die Häufung der Kammersystolen dauerte. Bei den in diesem Kapitel erwähnten Experimenten ist der Verlauf ein ganz anderer. Hier werden unter dem Einfluß eines frühzeitigen Reizes die Vorhöfe selbst zu einer Gruppe von Extrasystolen angeregt. Der Reiz traf die Vorhöfe, wie ich sagte, in einem frühen Zeitpunkt zu Anfang der reizbaren Periode. Nun entsteht daher eine Reihe von Vorhofsystolen, weil die Erregung nach einem Umlauf durch die Vor- höfe nochmals herumkreisen und dies einige Male wiederholen kann. Dies wird dadurch ermöglicht, daß der Reiz die Vorhöfe in einem Augen- blick traf, in welchem der metabole Zustand d r Vorhöfe noch schlecht war. Dieser schlechte metabole Zustand bringt es mit sich, 1. daß die Contractilität des Vorhofmuskels gering ist, sodaß das Refraktärstadium kurz dauert; 2. daß die Geschwindigkeit, mit der sich die Erregung durch die Vorhöfe fortpflanzt, gering ist, sodaß eine Umlaufszeit durch die Vorhöfe lange währt. Danach kann die Erregung aufs neue durch die Vorhöfe kreisen, weil nach einer derartig langen Um- laufszeit der Ausgangspunkt wieder reizbar geworden ist. Dies kann sich jedesmal wiederholen, bis die Erregung auf ein refrak- täres Gebiet trifft und sie nach keiner einzigen Seite mehr einen Ausweg finden kann. Aus dem Umstande nun, daß die Vorhofkurven einer Häufung nicht gleich groß sind, folgt schon, daß bei jedem Umlauf durch die Vorhöfe nicht der ganze Vorhofmuskel zur Kontraktion gebracht zu werden braucht. Wir können uns vorstellen, daß bald der ganze Vorhofmuskel durchlaufen wird, bald ein Teil desselben und ein folgendes Mal ein anderer. Dasselbe zeigte sich auch für die gehäuften Extrasystolen der Kammer, deren Elektrogramme im vorigen Kapitel behandelt wurden. Wir müssen noch eben bei Abb. 11 verweilen, wo nach dem zweiten Reize eine unregelmäßige Kurvenlinie der Vorhofkurve entstand. Dies ähnelt viel dem Wühlen der Vorhöfe; es dauerte so lange, daß zwei normale Vorhofsystolen ausfielen, worauf das regelmäßige 'Schlagtempo der Vorhöfe wieder aufgenommen wurde. Zu Anfang desselben wurde einmal die Erregung auf die Kammer übertragen, wenigstens wurde eine Systole der Kammer hervorgerufen, auf welche auch eine sehr lange Kammerpause folgte infolge des Ausfallens von zwei normalen Kammer- systolen. Ein ähnliches Resultat erzielte ich häufig bei meinen Ex- perimenten. Wenn wir nun auf die vorstehend beschriebene Weise gehäufte Extrasystolen der Vorhöfe hervorbringen, dann braucht nicht auf jede Vorhofsystole eine Systole der Kammer zu folgen. Wir haben hier also dieselben Verhältnisse wie beim Flattern. Dies erhellt deutlich 218 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, aus den Kurven von Abb. 12. Bei dem zweiten Ausschlage des Signals empfingen die Vorhöfe am Ende einer postkompensatorischen Systole einen Induktionsreiz. Hierauf folgten drei Extrasystolen der Vorhöfe. Nur einmal aber wurde die Kammer zu einer Extrasystole gebracht durch eine zugeführte Erregung. Nach dem 6. Reiz entstanden 6 Extrasystolen der Vorhöfe in einem beschleunigten Tempo. Nun folgten nur 3 Kammersystolen, so daß NN OMNIA MMS NN nicht auf jede zweite Vorhofsystole eine Systole der Kammer folgte oder wenigstens nur eine äußerst kleine Kammerkontraktion stattfand (diese kleine Kammerkontraktion könnte dann die kleine Unregelmäßigkeit in der-diastolischen Linie der Kammerkurven verursachen)!). Oft ist es sehr schwer, zu entscheiden, ob wir mit gehäuften Kammer- systolen zu tun haben, die durch eine Erregung nach einer Extrasystole der Vorhöfe erzeugt werden (wie wir dies in Kap. V beschrieben), oder aber mit gehäuften Extrasystolen der Vorhöfe, denen Kammersystolen folgen. Ich besitze vH WLJ eine große Reihe sol- TUN Aa WW Lu cher Kurven, deren Deutung mir vielMühe gemachthat; eine der- nn gg selben gebe ich hier 7, (BRRNESENBEN wieder. A non Ann nen nenn LA ALS NN ner Abb. 18. In dieser Abb. 13 sind in der oberen Reihe die Kurven der Kammer, in der unteren diejenigen der Vorhöfe wiedergegeben; sie entstammen einem Froschherzen und wurden etwa !/, Stunde nach der Ent- blutung registriert. Bei 1 empfingen die Vorhöfe einen Induktionsreiz, was zur Folge hatte, daß eine Extrasystole der Vorhöfe erzeugt ward. Hierauf folgte eine verfrühte Kammersystole. Nach der postkompensatorischen Systole emp- fingen die Vorhöfe zu Anfang der reizbaren Periode wieder einen Reiz. Nun folgt eine Reihe von Vorhofsystolen und eine Reihe von Systolen der Kammer; 1) Es ist mir schon gelungen, durch einen Induktionsschlag in der Diastole lange Reihen von gehäuften Vorhofextrasystolen zu beendigen. Die rundkrei- sende Erregung und die Erregung nach dem Reiz entstanden prallen dann zusammen und werden beide ausgelöscht. (Siehe Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Teil 29, S. 195. 1920.) sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 319 dann tritt für beide Herzabteilungen eine gleichzeitige postextrasystolische Pause ein. Wenn wir diese Kurven eingehend betrachten, bemerken wir, daß nicht jede Kammersystole einer Vorhofsystole folgt. Die Anzahl Kammersystolen ist auch größer als diejenige der Vorhöfe. Wahrscheinlich haben wir hier mit einer Häufung von Kammersystolen zu tun, die unter dem Einflusse der Erregung entstanden, welche nach der ersten Vorhofextrasystole die Kammer erreichte (wie in Kapitel V. beschrieben wurde). Während dieser gehäuften Kammerextra- systolen würden dann jedesmal durch Zurücklaufen der Erregung nach den Vor- höfen Extrasystolen der letzteren erzeugt werden. Der Umstand nämlich, daß die postextrasystolischen Pausen der Kammer und der Vorhöfe zusammenfallen, weist darauf hin, daß zwischen den Prozessen, die sich in diesen beiden Herzabteilungen abspielen, Zusammenhang besteht. Weil das Bild der gehäuften Vorhofextrasystolen dasselbe ist als das des Vorhofflatterns, ist die oben erwähnte Theorie auch dafür gültig. VI. Wühlen der Vorhöfe,erzeugt durcheinen Induktionsreiz dieser Herzabteilungen. Schon in dem vorigen Kapitel wurde in Abb. 11 nach dem zweiten, den Vorhöfen verabfolgten Reiz eine unregelmäßige Kurvenlinie der Vorhöfe registriert, die an Wühlbewegungen dieser Herzabteilungen erinnerte. Hier mögen noch die Suspensionskurven der Vorhöfe, unterste Reihe, und diejenigen der Kammer eines Froschherzens folgen, 16 Minuten nach der Entblutung registriert (Abb. 14). Beim ersten Ausschlage des Signals empfangen die Vorhöfe einen Induktionsreiz zu Anfang der reizbaren Periode. Darauf folgt eine unregelmäßige Be- wegung der Kurvenlinie der Vorhöfe,. die wohl einem Wühlen der Vor- höfe zugeschrieben wer- den muß. Zu Anfang folgt eine Kammersy- Abb. 14. stole und danach eine verlängerte Kammerpause. Nach diesem ersten Reiz fielen zwei normale Vorhof- und Kammersystolen aus. Gleich nach der postkompensatorischen Systole wird der Reiz auf die Vorhöfe zu Beginn der reizbaren Periode wiederholt. Wieder entstehen unregelmäßige Wühlbewegungen der Kurvenlinie der Vorhöfe. Auch jetzt wieder folgt zu Anfang eine Systole der Kammer. Auch nach dem zweiten Reiz sind zwei normale Vorhof- und Kammersystolen ausgefallen. Dann wird das regelmäßige Schlagtempo der Vorhöfe und der Kammer wieder aufgenommen doch etwas verlangsamt. Na h dem dritten Reiz entstehen gehäufte Extra- systolen der Vorhöfe, auf deren jede eine Systole der Kammer folgt (wie diese im vorigen Kapitel beschrieben sind). Ein anderes Bild bieten uns die Kurvenreihen von Abb. 15. Nach dem ersten Reiz entsteht eine Extrasystole der Vorhöfe, gefolgt von einer Systole der Kammer. Nach der postkompensatorischen Systole wird der Reiz auf die Vorhöfe in einem viel früheren Zeitpunkt der Vorhofperiode wiederholt und nun entsteht ein länger dauerndes Wühlen der Vorhöfe. Das Bild, das die Kammerkurven während des 220 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, Vorhofwühlens aufweisen, erinnert uns an den Pulsus irregularis perpetuus. Die Kammersystolen finden wenigstens in einem unregelmäßigen Tempo statt, was offenbar eine Folge davon ist, daß ab und dann der Impuls nach der Kammer weitergeleitet wir. Es hat sich also herausgestellt, daß wir unter denselben Bedingungen, die wir beim Erzeugen von Kammerwühlen kennen lernten, auch Wühlen der Vorhöfe hervorrufen können. Wir benutzen hierzu einen Reiz auf die Vorhöfe, gleich nach Ablauf des Refraktärstadiums dieser Herzabteilungen. Dann ist die Contractilität gering, sodaß die Dauer des Refraktärstadiums einer Ann erzeugten Kontraktion kurz \ N TON ist. Zugleich wird dann der Reiz sehr langsam durch die Vorhöfe fortgeleitet und zwar ruckweise, sodaß auch bei den Vorhöfen ein Um- lauf in Etappen ausgeführt Abb. 15. wird. Nach solch einem Um- lauf, der lange dauert, tritt der Ausgangspunkt, dessen kurzes Refraktärstadium dann schon ab- gelaufen ist, aufs neue in Funktion, sodaß die Erregung wieder eine Runde macht. Dann geht die letztere zum zweiten Male ruckweise durch die Vorhöfe. In dieser Weise kann die Erregung viele Male hintereinander die Vorhöfe durchlaufen, bis sie sich an einem refraktären Gebiet bricht, wo sie keinen Ausweg mehr findet. VII. Übergang von Wühlen der Kammer in gehäufte Extra- systolie und umgekehrt. | A. Direkter Übergang von Wühlen der Kammer in gehäufte Extrasystolen. Aus meinen vorangehenden Darlegungen über das Entstehen des Wühlens und der gehäuften Extrasystolie wie über die Prozesse, die sich dabei in dem Kammermuskel abspielen, läßt sich schon vermuten, daß beide Prozesse ineinander übergehen können. Wenn es nämlich richtig ist, daß das Wühlen der Kammer dadurch entsteht, daß dabei die Erregung durch den Kammermuskel rundkreisen bleibt, und zwar ruckweise, dann kann man sich vorstellen, daß nach Verlauf einiger Zeit auch die Erregung einige Male hintereinander ohne Stöße durch den Kammermuskel zirkulieren kann. Wenn dies geschehen sollte, dann würde das Wühlen übergehen in gehäufte Extrasystolie. In der Tat kommt dieser Übergang vor. In Abb. 16 sehen wir in der oberen Reihe die Suspensionskurve der Vorhöfe, in der zweiten Reihe diejenige der Kammer eines Froschherzens, 15 Minuten nach sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 2931 der Entblutung!). Beim ersten Ausschlage des Signals wird ein Reiz in der Atrioventrikularfurche verabfolgt, wonach zwei Extrasystolen der Kammer und eine der Vorhöfe entstehen. Bei 1 wird der Reiz wiederholt. Nun entsteht außer einer Extrasystole der Vorhöfe Wühlen der Kammer, das nach kurzer Zeit in gehäufte Extrasystolen übergeht. Dann folgt die postextrasystolische Pause. Nach der Reizung bei 2 entstehen wieder zwei Extrasystolen der Kammer. Aus diesen Kurven erhellt, daß bei demselben Froschherzen Wühlen und Extrasystolen nach einem Reize hervorgerufen werden können. Wir er- hielten (nach 1) Wühlen, wenn der Reiz dicht beim Gipfel der Suspensionskurve der Kammer verabfolgt wurde und zu- vor und gleichzeitig danach zwei Extra- systolen, wenn der Reiz später in der Kammerperiode angewandt wurde. Man könnte hieraus schließen, daß Kammerwühlen nach einem Reize auftritt, der etwas früher in der Kammerperiode ver- abfolgt wird, dagegen gehäufte Extrasystolie bei etwas späterer An- wendung des Reizes. Doch glaube ich, daß wir nicht immer erwarten dürfen, daß die Verhältnisse derartig sind; wenigstens ist meine Er- fahrung derart, daß der metabole Zustand des Kammermuskels bei einem schlagenden Froschherzen jedesmal wohl einige Änderungen erfährt. Diesist nament- lich dann der Fall, wenn immer wieder Reize ver- abfolgt werden, sodaß die Regelmäßigkeit der Pulsationen gestört wird. Der metabole Zustand des Kammermuskels wird nämlich in einem gegebenen Augenblick stark durch seine Tätigkeit während der vorangehenden Sinusperioden beeinflußt; er ändert sich daher, wenn kurze Zeit zuvor längere Kammerpausen eingeschaltet worden sind. Dies möge auch aus Abb. 17 hervorgehen. Hier wurde beim 4. Reiz Wühlen erzeugt, während der 2. Reiz, obwohl derselbe etwas früher in der Kammerperiode angewendet wurde, eine Extrasystole ergab. Während derjenigen Kammerperiode, in welcher der 4. Reiz ver- abfolgt ward, ist nach den drei vorangehenden längeren Kammerpausen Abb. 16. Abb. 17. !) In dieser Abbildung sind die Kurven der Vorhöfe oberhalb derjenigen der Kammer registriert; in allen übrigen Abbildungen war die Registrierung eine umgekehrte: oben für die Kammer, unten für die Vorhöfe. 222 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, der metabole Zustand des Kammermuskels entschieden ein anderer, als in derjenigen Kammerperiode, wo der zweite Reiz angewandt wurde. Wenn dann ein Reiz in diesen beiden Kammerperioden ungefähr in dem gleichen Momente der Kammerperiode, aber mit kleinen Unter- schieden 'verabfolgt wird, dann vermag ein etwas später in der Kammer- periode verabfolgter Reiz wohl Kammerwühlen hervorzurufen, während ein etwas früherer Reiz dann eine Extrasystole zur Folge hat. Dieses scheinbar paradoxe Resultat ist nach der vorangehenden Darlegung wohl erklärlich. Ich weise mit Nachdruck darauf hin, daß wir dies scheinbar paradoxe Ergebnis nur dann vereinzelt erhalten können, wenn die Zeitpunkte in der Kammerperiode, an welchen die Kammer die Reize empfängt, wenig voneinander abweichen. Hierfür sind die geringen Änderungen in dem metabolen Zustande des Kammermuskels verantwortlich zu machen!). Erhalten wir dagegen nach einem früh- zeitigen Reize Kammerwühlen, dann entsteht nach einem Reiz, der viel später in der Kammerperiode verabfolgt wird, ausnahmslos eine Extrasystole der Kammer. Die geringen Änderungen in dem meta- bolen Zustand der Kammer können dieses Resultat niemals beeinflussen. Die Kurven von Abb. 17 bieten auch ein schönes Beispiel dar für den Über- gang des Wühlens in gehäufte Extrasystolen und umgekehrt. Nach dem 4. Reiz entsteht eine schnelle Aufeinanderfolge kleiner Kontraktionen des Kammermuskels. Wir können dies Wühlen nennen. Diese schnelle Tätigkeit der Kammer geht nach kurzer Zeit spontan in drei gehäufte Kammersystolen über, die ihrerseits wieder spontan zu Wühlen übergehen. Dieses Wühlen endigt mit einer Systole des ganzen Kammermuskels, wie dies oft geschieht. Wir sehen in der untersten Kurvenreihe die Vorhöfe ihre regelmäßige rhythmische Tätigkeit ungestört fortsetzen. Es hat sich also gezeigt, was übrigens a priori zu erwarten war, daß das Wühlen der Kammer spontan dire kt in gehäufte Extrasystolen übergehen kann und dieser Prozeß seinerseits wieder in Wühlen. B. Indirekter Übergang von Kammerwühlen in gehäufte Extrasystolen. Wiederholt sah ich auch Kammerwühlen längs indirektem Weg in gehäufte Extrasystolen übergehen. Mit ein paar Beispielen werde ich dies erläutern. In Abb. 18 sehen wir die Suspensionskurven der Vorhöfe und der Kammer eines Froschherzens 15 Minuten nach der Entblutung wieder- gegeben. Nach dem 2. Reiz, welcher der Kammerbasis verabfolgt wurde, entstand Kammerwühlen; wir sehen nun nach Ablauf dieses Kammerwühlens zwei gehäufte Extrasystolen der Vorhöfe auftreten, auf deren jede eine Kammersystole folgt. Die Erklärung hierfür dürfte die folgende sein. Nach Ablauf des Kammerwühlens fließt die Erregung nach den Vorhöfen zurück und erweckt hier zwei gehäufte Extrasystolen. 1) Auch ist es möglich, daß nach einem etwas früheren Reiz durch den etwas schlechteren metabalen Zustand die Erregung nur eine Etappe zurück- legt und sich dann nicht weiter fortpflanzt. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 223 Diesen können, wie wir in Kap. VI gesehen haben, Kammersystolen folgen. Wir haben hier also ein Beispiel von indirektem Übergang. Das Kammerwühlen ging hier nicht direkt in die gehäuften Kammer- systolen über, sondern indirekt. Die beiden Kammersystolen sind eine Folge von zwei gehäuften Extrasystolen der Vorhöfe, die ihrerseits wieder unter dem Einflusse einer retrograden Erregung entstanden sind. N E AN \y NA JAA aha In WATAVAT NIAIMSFALNNZ NIS ANA INN NUN SUITE II AIRENENINE Abb. 18. Bei meinem recht großen Kurvenmaterial, das ich über diese Über- gangsweise besitze, erhielt ich anfangs den Eindruck, daß allein nach Ablauf des Kammerwühlens die in retrograder Richtung verlaufende Erregung die Vorhöfe zu gehäuften Extrasystolen anregen werde. Dies ist jedoch nicht richtig. Übrigens sehe ich, wenn ich meine Kurven, in denen das Kammerwühlen lange Zeit bestehen blieb, näher studiere, daß die Regelmäßigkeit der Vorhofpulsationen wiederholt unterbrochen wird. Diese Störung kann wohl nicht anders entstanden sein, als unter dem Einflusse von Erregun- gen, die von der wühlenden ANMMNM San Kammer aus in retrograder Richtung verlaufend, die Vor- höfe erreichen. So entstanden in Ab. 19, in der die Kurven 5 Minuten nach denjenigen von Abb. 18 bei dem- selben Froschherzen registriert Abb. 19. wurden, schon gehäufte Extra- systolen der Vorhöfe während des Wühlens der Kammer, das nach dem 2. Reiz hervorgerufen wurde. Die erste der 3 gehäuften Extrasystolen entstand schon während des Wühlens der Kammer. Wir müssen also schließen, daß hier während des Kammerwühlens schon eine in retrograder Richtung verlaufende Erregung die Vorhöfe zu gehäuften Extrasystolen anregte. Auf aie erste der- selben konnte keine Kammersystole folgen wegen des Wühlens der Kammer. Den beiden letzten Vorhofsystolen dieser Häufung konnte aber eine Systole der Kammer folgen, weil dann das Wühlen der Kammer beendigt war. Es ist wohl selbstverständlich, daß hier ebenso wie in der vorigen Abbildung nach den ge- häuften Extrasystolen eine postextrasystolische Pause entstand, sowohl für die Vorhöfe als für die Kammer. Auch in Abb. 20 sehen wir Kammerwühlen in gehäufte Extrasystolen über- gehen. Hier wurde einfache Suspension angewandt und gleichzeitig die Aktions- / S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, ai Abb. : ströme registriert. Bei 1 trifft ein Induktionsreiz die Kammerbasis kurz hinter dem Gipfel des T-Ausschlages. Hiernach entsteht Kammerwühlen, das mit einer Extrasystole endigt. Wäh- rend dieses Wühlens pulsieren die Vor- höfe regelmäßig weiter und zeichnen sich in den Suspensionskurven als kleine Erhebungen ab (durch A ange- „deutet). Das Beendigen des Kammer- wühlens durch eine Extrasystole ist eine oft vorkommende Erscheinung. Ich beobachtete es wenigstens in meinem Kurvenmaterial sehr oft. Die Erklärung hierfür ist nach der voran- gehenden Auseinandersetzung leicht zu geben. Auch sah ich oft das Wühlen mit einer stärkeren Erhebung der Suspensionskurve endigen (siehe Arch. £. d. ges. Physiol. 198, 2 und 3, Abb. 1 und 2). Diese stärkere Erhe- bung am Ende der Wühlkurve weist darauf hin, daß das Wühlen dann endigt mit einer Kontraktion eines ziemlich großen Muskelgebietes. An diesem wird dann die Erregung leicht abprallen. Dieselbe Bedeutung hat auch die Extrasystole, mit welcher das Wühlen ein Ende nehmen kann. Nach der Extrasystole tritt eine verlängerte Pause ein und dann entsteht wieder der normale Rhythmus. Auf eine Besonderheit möchte ich hier noch eben die Aufmerksamkeit lenken. Zwischen dem Wühlen und der Extra- systole kommt ein kleiner negativer Ausschlag vor (durch ein Pfeilchen [f] angedeutet). Es ist mir nicht mög- lieh, mit Sicherheit zu entscheiden, wodurch dieser kleine negative Aus- schlag entstanden ist. Es kann an zwei Möglichkeiten gedacht werden. Einmal könnte es sein, daß nach dem Wühlen durch retrograde Reizleitung eine Vorhofkontraktion entstanden ist, die dann gerade in der Suspensions- kurve mit der Kurve der Extrasystole zusammenfallen würde. Wir hätten dann einen negativen P-Ausschlag vor uns, da sich die Erregung in retro- grader Richtung durch die Vorhöfe fort- pflanzte. Zweitens könnten wir denken, sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 2325 daß dieser negative Ausschlag durch eine Bulbuskontraktion verursacht wurde. Wir sehen diese Bulbuselektrogramme während der Kammerelektrogramme der periodischen Kammersystolen und zugleich während der Elektrogramme einiger gehäuften Extrasystolen (in der Abbildung durch ein b angedeutet). Nach dem Wühlen müßte sich dann die Erregung noch über den Bulbus arteriosus verbreitet haben. Bei 2 wird die Kammerbasis wieder gereizt, eben über dem Gipfel des T-Ausschlages. Wieder entsteht Kammerwühlen, während die Vorhöfe in dem ungestörten Sinusrhythmus weiterklopfen. Nach kurzer Zeit geht aber das Wühlen in 5 gehäufte Extrasystolen über, auf welche eine verlängerte Pause!) folgt. Dar- auf wird der normale Rhythmus wiederhergestellt. Es ist nun nicht so leicht zu entscheiden, wie in dem vorliegenden Falle das Wühlen der Kammer in die fünf gehäuften Extrasystolen übergegangen ist. Wenn wir die Suspensionskurven genau betrachten, dann bemerken wir am Ende der diastolischen Linie jeder Kammerkurve eine kleine Erhebung, die wohl nichts anderes sein kann als eine Vorhofkurve. Wir haben also nach, oder wenn man will, vor jeder Kammerkurve eine Kurve der Vorhöfe. Wir können uns nun vorstellen, daß der Übergang von dem Kammer- wühlen nach den fünf gehäuften Extrasystolen in der folgenden Weise zustandegekommen ist. 1. Die zweite Vorhofsystole während des Wühlens (in der Suspensiors- kurve sichtbar) könnte durch eine retrograde Erregung entstanden sein. Danach hätten sich gehäufte Extrasystolen der Vorhöfe bilden können, während dann nach jeder Vorhofsystole eine Kammersystole gefolgt wäre. In diesem Falle hätte der Übergang ebenso wie bei den vorstehend beschriebenen Fällen in Abb. 18 und 19 stattgefunden. 2. Wir können auch denken, daß das Wühlen der Kammer direkt in gehäufte Extrasystolie übergegangen ist. Nach jeder Kammer- systole dieser Häufung würde dann der Reiz nach den Vorhöfen zurück- laufen und diese zur Kontraktion veranlassen. ; 3. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß der Übergang in einer noch anderen Weise zustandegekommen ist. Nach dem Wühlen der Kammer entsteht die erste Kammersystole?2). Danach läuft die Erregung längs einem Teile der atrioventrikulären Verbindungssysteme nach den Vorhöfen zurück und verursacht eine Systole der letzteren. Dann geht die Erregung längs den übrigen Verbindungssystemen nach !) Es fällt auf, daß diese Pause viel länger dauert, als diejenige nach der einen Extrasystole, mit welcher das vorige Wühlen endigte. Die postextrasystolische Pause schwankt stark in Dauer (siehe auch Abb. 3 und 5), ebenso wie auch die postundulatorische Pause, die freilich auch ganz fehlen kann. (Siehe Abb. 21). 2) Diese erste Kammersystole kann direkt, wie es so oft geschieht, aus dem Wühlen entstehen. Für. das Zustandekommen dieser ersten Kammersystole besteht noch eine andere Möglichkeit, indem nämlich die Vorhofsystole, die un- mittelbar vorhergeht, auch die erste Systole der Kammer veranlaßt haben kann. 226 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, der Kammer zurück und veranlaßt die zweite Systole der Kammer. Nach dieser zweiten Systole fließt die Erregung aufs neue nach den Vorhöfen zurück, sodaß danach wieder eine Vorhofsystole entsteht. So kann sich die Erregung jedesmal von der Kammer nach den Vor- höfen und auch in umgekehrter Richtung fortpflanzen. Wenn dies richtig ist, dann würden wir hier den Prozeß der gehäuften Extra- systolie sowohl der Kammer als der Vorhöfe vor uns haben. Wir können dann diese Herzabteilungen als eine Einheit betrachten, in welcher die Erregung einige Male hintereinander rundkreist. Wir können uns also, wie wir dies unter 1. darlegten, denken, daß die Erregung in den Vorhöfen einige Male rundkreist und dann sekundär die Kammersystolen zustandekommen. Oder aber auch wir können der Ansicht sein, die im zweiten Punkt besprochen wurde, daß die Erregung einige Male durch die Kammer zirkuliert und die Vorhofsystolen sekundär entstehen. Schließlich können wir annehmen, daß, wie unter 3 auseinandergesetzt wurde, die Erregung durch Vor- höfe und Kammer zirkulierte, sodaß jede Kammersystole eine Vor- hofsystole zur Folge hatte und jede Vorhofsystole eine Systole der Kammer. Welche von diesen drei Auffassungen nun in ca su die richtige ist, möchte ich nicht gerne entscheiden. In jedem Falle haben wir zu berücksichtigen, daß für das Ent- stehen von gehäuften Extrasystolen oder paroxysmaler Tachykardie diese drei Möglichkeiten vorliegen können. IX. Spontanes Wühlen der Kammer des Froschherzens. In einigen meiner Kurven von entbluteten Froschherzen sah ich spontan Wühlen der Kammer auftreten. Die Kurven von Abb. 21 geben hiervon ein Beispiel; diese wurden !/, Stunde nach der Entblutung regi- striert. Wir sehen in ihnen Wühlen spontan entstehen, das längere oder kürzere Zeit dauern kann. Der Vorhofshythmus ist dabei unverändert. In Abb. 22 entsteht jedesmal ein kurzdauerndes Wühlen der Kammer. Unter dem Einfluß eines normalen Sinusimpulses wird die Kammer immer wieder zum Wühlen angeregt, das sehr kurz dauert; aber dann wiederholt dieselbe Erscheinung sich wieder. Ab und dann kommen zwischendurch normale Kammersystolen vor. Diese Kurven wurden 20 Minuten nach dem Entbluten registriert !). 1) Es ist bemerkenswert, daß in Abb. 21 und 22 das spontane Wühlen nach einer gewöhnlichen oder sogar verlängerten Kammerpause entsteht. Ich vermute deshalb, daß während der periodischen Kammersystolen nur ein Teil des Kammermuskels kontrahiert und der übrige Teil schlaff bleibt. Während des Wühlens würde also die Erregung auch ruckweise durch diesen letzten Teil des Kammermuskels herumkreisen. Wenn wir diese Kurven in dieser Weise deuten, ist es auch begreiflich, daß in diesen Abbildungen der Suspenshebel während des Wühlens nicht herabsinkt. gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. DT Schon einige Zeit vor dem Registrieren dieser Abbildung kam dieses kurzdaurige Wühlen bei diesem Herzen vor. Da ich vermutete, daß vielleicht die Reizelektrode, die an der Kammer angebracht war, die Ursache dieses Wüh- lens sei, hatte ich vor der Registrierung der Kurven von Abb. 22 diese Elek- trode entfernt. Es zeigt sich also, daß die Erschei- nung nicht der Anwesen- heit der Reizelektrode zu- Abb. 21. geschrieben werden kann. Da ich auch keine andere erkennbare äußere Ursache dafür anführen kann, bin ich wohl genötigt, dieses spontane Wühlen dem Umstande zuzuschreiben, daß jedesmal der Sinusimpuls statt einer Systole der Kammer eine Wühlbewe- gung dieser Herzabteilung V PDERTRIINININE UND UV TUN hervorruft. In Abb. 23 ist dieser Zu- sammenhang zwischen dem normalen Sinusimpuls und das in dieser Abbildung vor- kommt, wohl besonders deut- lich. Bei Anfang der Abbil- dung pulsiert die Kammer im halbierten Rhythmus. Nach dem ersten Ausschlage des Signals!) wird eine Extrasystole der Kammer erregt, worauf der halbierte Rhythmus der Kammer in Kammeralternans überführt wird. Beim zweiten Ausschlage des Signals empfängt die Kammerbasis wieder einen Induktionsreiz, NNANAMMMMMNN 4 SUSI AA Abb. 22. N} I un Abb. 29. nach welchem sich aber das Bild der Alternans wenig ändert. Die erste Kammer- kurve, die ja nach der Extrastole zum Vorschein kommt, hat auch in der Dilatationslinie noch eine Erhebung. Ebenso wie in allen vorhergehenden Kurven entsteht diese Erhebung durch eine kleine Kontraktion der Kammer. Diese kleine Kammerkontraktion hat ihr Entstehen einem normalen Sinusimpuls zu danken. 2) In dieser Abbildung war das Reizsignal nicht senkrecht unter den beiden Hebelspitzen angebracht, sondern mehr nach vorn. 228 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, In der Dilatationslinie der zweiten Kammerkurve nach der Extrasystole entsteht nun keine kleine Erhebung, sondern ein kurzdauerndes Wühlen der Kammer, das ohne Zweifel hier zustande kam, weil ein Sinusimpuls die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums erreichte. Auf dieses Wühlen folgte eine postundulatorische Pause. Ä Mit dieser kurzen Auseinandersetzung über das spontane ‚Wühlen beim Froschherzen werde ich mich hier begnügen. Nachdrücklich weise ich jedoch noch darauf hin, daß es sehr selten bei dem entbluteten Froschherzen zutage tritt. (Siehe meine nächste Mitteilung in diesem Archiv). X. Die postundulatorische Pause; die postextrasystolische Pause. Die Pause, die nach dem Wühlen auftritt, wurde von Gewin post- undulatorische Pause genannt. Dieselbe ist nicht eine Folge von Vagus- wirkung, da sie auch nach Atropinisierung unverändert auftrat, wie derselbe Untersucher feststellte. Gewin fand gleichzeitig, daß ihre Dauer von der Schlagfrequenz abhängig ist und zwar um so größer, je langsamer die Schlagfrequenz ist. Dies wurde von Winterberg bestätigt. Außerdem fand Winterberg, daß die Dauer der post- undulatorischen Pause weder von der Reizdauer, noch von der Reiz- stärke, noch endlich von der Dauer des vorangehenden Wühlens ab- hängig ist. Winterberg ist der Meinung, daß die postundulatorische Pause „der kompensatorischen Pause, wie sie nach einzelnen Extrasystolen auftritt, analog zu setzen sei“. Meine Erfahrungen über die Dauer der postundulatorischen Pause stimmen nicht mit denjenigen Gewins und Winterbergs überein. Aus meinen Experimenten zeigte sich, daß unter übrigens genau gleichen Verhältnissen bei einem und dem- selben Froschherzen die postundulatorische Pause bald einmal lange dauerte und bald wieder kurz, ja, sogar kürzer sein konnte als die Pausen zwischen zwei Ventrikelsystolen. Und dies ist auch sehr begreiflich. Während das Wühlen (der Kammer) im Gange ist, kreist die Erregung ruckweise durch den Ventrikel rund; sobald sie nun auf ein refraktäres Gebiet stößt, hört das Wühlen auf. Es wird nun von dem Augenblick der Herzperiode, in welchem das Wüh- len endigt und von dem Zustande der Kammer muskulatur in jenem Augenblick abhängen, wie lange die postundula- torische Pause dauert. Hört das Wühlen nämlich sehr kurze Zeit vorher auf, ehe ein Sinusimpuls die Kammer erreicht, und ist der Zu- stand des Kammermuskels dann ein günstiger, dann fangen direkt die normalen rhythmischen Kammerpulsationen an und dauert also die postundulatorische Pause sehr kurze Zeit. Wenn aber das Wühlen sehr kurze Zeit vorher aufhört, ehe ein Sinusimpuls die Kammer sehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. 229 erreicht, und wenn dann gleichzeitig der metabole Zustand der Kammer schlecht ist, so daß der erste Sinusimpuls die Kammer refraktär vor- findet, dann dauert es noch eine Sinusperiode lang, ehe die normale rhythmische Kammertätigkeit wieder aufgenommen wird. Die post- undulatorische Pause erhält dann eine lange Dauer. Zwischen der sehr kurzen und der sehr langen Dauer der postundu- latorischen Pause kommen allerhand Zwischenformen vor, deren Dauer durch den Augenblick der Kammerperiode bedingt wird, in welchem das Wühlen aufhört. Es zeigt sich also, daß die postundulatorische Pause keine kon- stante Dauer hat, wie dies wohl der Fall mit der kompensatorischen Pause ist. Wir können diesen Gegensatz zwischen der postundulatorischen und der kompensatorischen Pause besser verstehen, wenn wir in Kürze eben auseinander- setzen, warum die kompensatorische Pause eine konstante und verlängerte Dauer hat. Dies wird nämlich dadurch verursacht, daß eine normale Kammersysole ausgefallen und eine verfrühte künstliche Systole (Extrasystole) an deren Stelle getreten ist. Die kompensatorische Pause dauert also immer länger als eine Pause zwischen den normalen Kammersystolen. Diese Verhältnisse sind völlig anders in bezug auf die postundulatorische Pause. Für diese hängt die Dauer davon ab, wann in der Sinusperiode das Wühlen endigt und ob danach der erste Sinusimpuls die Kammer schon reizbar findet. Schließlich will ich noch nachdrücklich darauf hinweisen, daß wir aus dem häufigen Vorkommen einer postundulatorischen Pause (die länger dauert als die Pause zwischen zwei Kammersystolen) nicht fol- gern dürfen, daß das Wühlen seine Entstehung heterotoper Reiz- bildung zu danken hat. Wir dürfen aus dem häufigen Vorkommen einer postundulatorischen Pause allein schließen, daß während des Wühlens die demselben zugrunde liegenden Prozesse sich innerhalb der Kammer abspielen. Die Sinusimpulse, die während des Kammer- wühlens ausgesandt werden, beeinflussen dieses Wühlen nicht weiter. Jedoch kann ein Sinusimpuls, wenn dieser die Kammer aber im An- fange der reizbaren Periode erreicht, die Kammer zum Wühlen an- regen, wie in Kap. IV und IX auseinandergesetzt wurde. Das Vorkommen einer postundulatorischen Pause lehrt uns also nichts über die Ursache des Kammerwühlens, vielmehr können wir daraus allein schließen, daß während des Wühlens die Prozesse sich (unbeeinflußt durch die Sinusimpulse) innerhalb der Kammer ab- spielen. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für die postundulatorische Pause, die nach dem Vorhofwühlen auftritt. Was wir im vorstehenden über die postundulatorische Pause sagten, ist ebenfalls für die post- extrasystolische Pause, die nach gehäuften Extrasystolen folgt, gültig. Diese kann von langer oder kurzer Dauer sein oder auch ganz fehlen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 16 330 S. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, Dies hängt allein davon ab, in welchem Zeitpunkt der Sinusperiode die gehäufte Extrasystolie endigt und in welchem Zustande sich danach die Kammermuskulatur befindet (s. Abb. 3 und 5). Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. 1. Nach Vergiftung mit Digitalis treten in einem gewissen Stadium der Vergiftung die sog. deformierten, fraktionierten Kammersystolen zutage. Diese Systolen haben ihr Entstehen dem Umstande zu danken, daß durch den Sinusimpuls erst ein Teil des Kammermuskels zur Kon- traktion kommt und darauf mit einem verlängerten latenten Stadium ein nächstfolgender Teil. So kommt die Kontraktion des ganzen Kam- mermuskels in 2, 3 oder mehr Etappen zustande, indem die Erregung verlangsamt und ruckweise die Kammer durchläuft (wie schon in 1916 von mir gezeigt wurde). 2. Wenn wir 10 Minuten bis 1!/, Stunden nach der Entblutung, direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums der Kammer eines Frosch- herzens einen Induktionsreiz verabfolgen, kann länger oder kürzer- dauerndes Wühlen der Kammer entstehen. 3. Das kurzdauernde Wühlen kann in der Suspensionskurve und der Kurve der Aktionsströme mit 2—3 Ausschlägen zum Ausdruck kommen. Wir haben dann eine deformierte, fraktionierte Extrasystole vor uns, die dadurch zustandekommt, daß die verschiedenen Teile des Kammer- muskels nacheinander (die späteren mit einer verlängerten latenten Periode) zur Kontraktion kommen. Die Erregung pflanzt sich hierbei verlangsamt und ruckweise durch die Kammer fort. 4. Das länger dauernde Wühlen kommt dadurch zustande, daß die Erregung nach einem Umlauf durch die Kammer aufs neue rund- kreisen kann und zwar wieder verlangsamt und ruckweise. Dies kann sich viele Male nacheinander wiederholen, so daß das längerdauernde Wühlen aus einer Aneinanderreihung von deformierten, fraktionierten Kammersystolen besteht. Die Erregung kann hierbei viele Male hinter- einander durch die Kammer kreisen, weil a) gleich nach Ablauf des Refraktärstadiums die Geschwindigkeit der Reizleitung durch die Kammer abgenommen hat und sich die Erregung dann zugleich ruckweise durch die Kammer fortpflanzt, so daß ein Umlauf durch die Kammer lange dauert; b) gleich nach Ablauf des Refraktärstadiums die Kontraktilität gering ist, so daß dann nach einem Reiz eine kleine Kontraktion mit einem kurzdauernden Refraktärstadium entsteht. Daher ist dann nach einem Umlauf durch die Kammer der Ausgangspunkt wieder reizbar, so daß die Erregung aufs neue rundkreisen kann usw. 5. In einem Teile der Experimente entstanden durch einen Reiz, der bei dem entbluteten Froschherzen direkt nach Ablauf des Refraktär- gehäufte Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie. . 231 stadiums angewandt wurde, gehäufte Extrasystolen. Das Elektro- gramm jeder Kammerextrasystole besteht aus einem R- und einem T-Ausschlag. Hieraus folgt, daß sich die Erregung, obwohl verlang- samt, nicht ruckweise durch die Kammer fortgepflanzt hat. Die schnelle Aufeinanderfolge (Häufung) der Kammersystolen kommt dadurch zu- stande, daß eine Umlaufszeit durch die langsamere Reizleitung länger währt und dadurch, daß zu Anfang der reizbaren Periode die Dauer einer Kontraktion, also die Dauer des hiermit verbundenen Refraktär- stadiums, verkürzt ist. Die Erregung findet dann nach einer Umlaufs- zeit den Ausgangspunkt wieder reizbar und kreist dann aufs neue rund; dies kann sich viele Male hintereinander wiederholen. 6. Während beim Wühlen die Erregung viele Male nacheinander ruckweise und verlangsamt die Kammer durchkreist, macht die Er- regung bei den gehäuften Extrasystolen diesen Weg viele Male hinter- einander in verlangsamtem Tempo durch die Kammer. 7. Wir können bei dem entbluteten Froschherzen auch Kammer- wühlen durch indirekte Reizung hervorrufen. Wenn wir nämlich durch einen Induktionsreiz im Anfang der reizbaren Periode der Vorhöfe eine Extrasystole der letzteren erzeugen, schreitet danach die Erregung nach der Kammerfort. Erreicht nun diese Erregung die Kammer direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums, dann kann Kammerwühlen entstehen. 8. In derselben Weise, wie dies sub 7 für das Kammerwühlen be- schrieben ist, kann auch durch indirekte Reizung gehäufte Extra- systolie der Kammer hervorgerufen werden. 9. Wenn beim entbluteten Froschherzen die Vorhöfe direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums von einem Induktionsreiz getroffen werden, kann Vorhofwühlen entstehen. Die Kammerpulsationen sind dann unregelmäßig wie in der Klinik beim Pulsus irregularis perpetuus. 10. Wenn bei dem entbluteten Froschherzen die Vorhöfe direkt nach Ablauf des Refraktärstadiums von einem Induktionsreiz ge- troffen werden, entsteht in einem großen Teile der Experimente gehäufte Extrasystolie der Vorhöfe. Jeder Vorhofsystole von solch einer Häufung oder einem Teile (der Hälfte) der Vorhofsystolen folgt eine Systole .der Kammer. 11. Kammerwühlen kann direkt in gehäufte Extrasystolen der Kam- mer übergehen und umgekehrt. Auch ein indirekter Übergang zwischen diesen beiden Formen kommt oft vor (s. Kap. B VII). 12. Nach der Entblutung kann die Kammer eines Froschherzens spontan zum Wühlen übergehen. In einigen Fällen läßt sich nachweisen, daß dieses spontane Wühlen durch einen Sinusimpuls eingeleitet wird. 13. Die postundulatorische Pause kann von langer oder kurzer Dauer sein oder ganz fehlen. Die Dauer der postundulatorischen Pause hängt ab 16 * 332 8. de Boer: Herzwühlen, Flimmern, Flattern, gehäufte Extrasystolie usw. a) von dem Augenblicke der Sinusperiode, in welchem das Wühlen der Kammer endist; b) von dem Zustand des Kammermuskels nach dem Wühlen. 14. Was sub 13 für die postundulatorische Pause gesagt ist, gilt mutatis mutandis ebenfalls für die postextrasystolische Pause (die Pause, die auf gehäufte Extrasystolen der Kammer oder der Vorhöfe folet). Nachschrift bei der Korrektur: Nachdem meine Theorie über Kammerflimmern schon in der Versammlung der Gesellschaft zur Förderung der Natur-, Arznei- und Heilkunde zu Amsterdam am 12. November 1919 mitgeteilt war und im Januar 1920 im Arch. f.d. ges. Physiol. erschienen war und meine Theorie über gehäufte Extra- systolie am 27. März 1920 in der Königlichen Akademie der Wissen- schaften zu Amsterdam mitgeteilt war, erschien im August 1920 eine Arkeit von Th. Lewis und seiner Mitarbeiter im ‚Heart‘. Darinkommt Lewis für das Flattern der Vorhöfe zu einer Auffassung, die mit meiner Theorie über gehäufte Extrasystolie übereinstimmt. (Aus der II. chirurgischen Universitätsklinik in Wien.) Röntgenologische Beobachtungen über die Anatomie und Phy- siologie der Kardia. Von Dr. Josef Palugyay, Leiter des Röntgenlaboratoriums. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. Dezember 1920. ) Der Mechanismus des Speisendurchtrittes durch die Kardia konnte röntgenologisch bisher nicht genau festgestellt werden, und unsere Kenntnisse über das normale funktionelle Verhalten der Kardia erreichen lange nicht diejenigen, die uns über den Mechanismus des Pylorus zur Verfügung stehen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Kardia bei den bisher angewandten Körperstellungen nicht zur Darstellung kommt. Bei der Kontrastmitteluntersuchung im Stehen ist wohl der ösophageale Kontur der Kardia im Bereiche der hellen Magenblase als Kontur des kontrastgefüllten untersten Oesophagusabschnittes zu sehen, doch sinkt die schattengebende Kontrastmasse beim "Durchtritt durch die Kardia bis in den untersten Fundusanteil, wodurch der ventrikuläre Kontur der Kardia nicht zur Ansicht gelangt. In Horizontallage, einerlei ob der Patient am Rücken oder am Bauch liegt, wird die Kardia und der unterste Oesophagusabschnitt von Funduspartien, welche die- selbe überragen, verdeckt; weil die Einmündungsstelle der Speiseröhre nicht genau an der rechten Seite des Magenfundus liegt, sondern mehr nach vorn zu gelegen ist. Die Kardia und der unterste Ossophagusabschnitt kommt erst zur genauen Ansicht, wenn der Patient in Rückenlage und in Becken- hochlagerung gebracht wird, so daß sein Körper mit der Horizontalen einen Winkel von beiläufig 45° bildet, wobei die Durchleuchtung mit posterioanteriorem Strahlengang vorgenommen wird. (Über die weite- ren Einzelheiten verweise ich auf meine diesbezügliche Veröffentlichung: Zur Technik der Darstellung der Kardia und des untersten Oesophagus- abschnittes im Röntgenbilde; Med. Klin. 1920, Nr. 46.) Als zweites Moment, welches die genaue Beobachtung des funk- tionellen Verhaltens der Kardia beim Stehen behindert, ist der Um- stand, daß die Kontrastmasse bei der Untersuchung im Stehen die Kardia so rasch passiert, daß eine genaue Beobachtung des Mechanismus nicht möglich ist. 234 J. Palugyay: Röntgenologische Beobachtungen Der physiologische Vorgang der Kontrastpassage durch den Oeso- phagus und durch die Kardia erfolgt in der Beckenhochlage in stark verlangsamtem Tempo gegenüber derselben im Stehen, wodurch die Bewegungen der Kontrastmasse viel leichter beobachtet werden können. In Erkenntnis dieser Tatsache habe ich mir in erster Linie zur Auf- gabe gemacht, die anatomischen Verhältnisse und das physiologische Verhalten der Kardia und deren benachbarten Abschnitte zu studieren und die erzielten Resultate mit dem Bilde und Verhalten im Stehen zu vergleichen, um beurteilen zu können, wieweit das Verhalten der Funktion in der Beckenhochlage zur Bewertung des physiologischen Vorganges zu verwenden ist. Zu diesem Zwecke habe ich 100 Personen untersucht, und zwar 50 Männer und 50 Frauen, im Alter vom 20. bis zum 50. Lebensjahr. Es wurden nur solche Personen zur Untersuchung genommen, welche von akuten Gastriecismen abgesehen, niemals an Erkrankungen der Abdominalorgane gelitten haben und an denen keine Laparatomie vor- genommen worden war. Auch habe ich vor jeder Untersuchung in der Beckenhochlage eine röntgenologische Untersuchung der Speiseröhre und des Magens im Stehen und in Horizontallage vorgenommen; es wurden hierbei alle Fälle ausgeschieden, welche eine verlangsamte Ent- leerung der Speiseröhre und des Magens aufwiesen, sowie eine der Norm nicht entsprechende Größe, Form, Lage und Funktion des Magens zeigten. Bei der Untersuchung dieser Fälle in der Beckenhochlage wurden folgende Momente berücksichtigt: Il. Form des Magens. 1I. Lage der Kardia. III. Durchwanderung der Kontrastmasse durch den Oesophagus. IV. Mechanismus des Durch- trittes der Kontrastmasse durch die Kardia. V. Peristaltik des Magen- fundus. Zur Untersuchung bediente ich mich in der Regel der direkten Schirmbeob- achtung die ich mit orthodiagraphisch aufgenommenen Schirmpausen und einzelnen Plattenaufnahmen ergänzte. Ein Röntgenkinematograph stand mir leider nicht zur Verfügung, üm die einzelnen Phasen des Speisendurchtrittes durch die Kardia in Serienbildern festzuhalten. An Apparatur bediente ich mich eines 40-em- Induktoriums und einer Untertischdurchleuchtungssiederöhre. I. Was die Form des Magens in der Beckenhochlage anbelangt, so hat schon Strauss!) darauf hingewiesen, daß bei der Untersuchung in Beckenhochlage die Magenblase im Fundus fehlt und daß sich der schattengebende Mageninhalt direkt der Wandung der kranialen Magen- partie anlegt, so daß man über deren Form eine gute Orientierung erhält. Die Fundusregion zeigt dabei in der Norm Kuppen- bzw. Ballonform. D4 über die Anatomie und Physiologie der Kardia. 3! DD Bei Untersuchung der normalen Fälle konnte ich stets eine Ballon- form des Fundus ventriculi konstatieren. Bei geringer Füllung gab die Silhouette eine mehr rundliche Form, bei weiterer Füllung des Magens sing dieselbe in die Form einer Ellipse über (Abb. 1), welche mit ihrem größeren Durchmesser parallel zur Querachse des Körpers gestellt war. Erst bei stärkerer Füllung (in der Regel waren hierzu mehr als 250 cem der Kontrastflüssigkeit notwendig) kam es zur allmählichen Entfaltung der Pars media (Abb. 2), und zwar in der Form eines gebauchten Trich- ters, mit der Basis gegen den Fundus mit dem schmalen Ende gegen den Pylorus zu gerichtet. Schon die kleinsten Kontrastmassen, welche mit dem ersten Schluck in den Magen gelangen, repräsentieren sich als runde Silhouette, deren caudale Begrenzung auch bogenförmig ist; in 2 Abb. 1. Nach Schirmpause. Mit 150 ccm Abb. 2. Nach Schirmpause. Mit 400 ccm Bariumaufschwemmung gefüllter Magen Bariumaufschwemmung gefüllter Magen in der Beckenhochlage. in der Beckenhochlage. keinem Falle konnte ich eine horizontale Abschlußlinie unten (kaudal) finden. Dies ist wohl als Beweis dafür anzunehmen, daß sich der Fundus im leeren Zustand, bei verdrängter Gasblase, vollkommmen kontrahieren kann und die Wandung des kardialen Magenabschnittes imstande ist, auch die kleinsten Mengen Kontrastbrei vollkommen zu umschließen; sonst müßte der caudale Kontur der Kontrastsilhouette des Fundus eine horizontale Linie bilden, entsprechend einem freien Flüssigkeits- niveau. Daß die Kontrastsilhouette bei zunehmender Füllung des Magens eine ovale Gestalt annimmt, läßt sich wohl darauf zurück- führen, daß durch die abnormale Belastung des Magenfundus eine Überdehnung der kranialen Magenwand bewirkt wird, wodurch sich dieselbe dem Zwerchfell ganz anlegt und sich den Formen der Zwerchfell- höhlung ganz anpaßt. Und erst wenn bei weiterer Füllung des Magens die Dehnbarkeit der Funduswand überschritten wird, kommt es zur Füllung des Magenkorpus. 236 J. Palugyay: Röntgenologische Beobachtungen 11. Was die Lage der Kardia anbelangt, so ist dieselbe in der Becken- hochlage, auch bei gefülltem Magen, nicht zu sehen, wenn sich der unterste Oesophagusabschnitt nicht gleichzeitig auch im Stadium der Füllung befindet. Jedoch auch im Füllungsstadium weist das Speise- röhrenende nur auf die Lage der Kardia hin, da die Speiseröhre im Ruhe- stadium (bei geschlossener Kardia) gegen den Magen mit einem ab- serundeten Kontur abschließt. In diesem Zustande ist zwischen Kon- trastschatten des Speiseröhrenendes und dem Kontrastschatten des Magens ein Zwischenraum von 5—20 mm zu sehen, je nach der Stärke der Muskulatur, welche die beiden Gebilde voneinander scheidet. Die Größe dieses Spatiums wird bei der Durchleuchtung auch davon ab- hängen, wieweit die Einmündungsstelle des Oesophagus in den Magen durch stärkere Schräglagerung (Beckenhochlagerung) des Körpers aus dem Magenschatten herausprojiziert wird. Die Kardia läßt sich dem- entsprechend in normalen Fällen in der Beckenhochlage nur während des Durchtrittes von Kontrastmasse darstellen. Beim Vergleiche von Schirmpausen, welche bei ein und demselben Versuchsfalle, bei Füllung des Magens mit derselben Menge Kontrast- masse, einmal in horizontaler Rückenlage, das andere Mal in becken- hochgelagerter Rückenlage, aufgenommen wurden, scheint die Kardia in der Beckenhochlage weiter caudal gerückt als in der Horizontallage. Der Fundus erscheint dabei etwas nach rechts gedreht. Dieses Ver- halten läßt sich dadurch erklären, daß die Kardia einerseits durch die Speiseröhre fixiert ist, da diese auf ihrem Wege durch das Zwerchfell so ausreichend befestigt ist, daß auch ihr kurzes Endstück nicht im- stande ist, wesentliche Bewegungen auszuführen; andererseits selbst noch die Kardia durch einige feste Bindegewebszüge an den medialen Anteil des Zwerchfells fixiert ist. Dadurch wird der Magenfundus, um sich der starken Belastung entsprechend der Zwerchfellhöhlung an- passen zu können, bei zunehmender Füllung eine Drehung um die Kardia als Fixpunkt ausführen müssen, wodurch die Kardia schein- bar tiefer zu stehen kommt. Was den untersten Abschnitt der Speiseröhre anbelangt, so weicht die Form seiner Kontrastsilhouette in der Beckenhochlage nur wenig von der in der Vertikalstellung und noch weniger von der in der Hori- zontallage ab. Der vertikale (kraniocaudale) Verlauf des thorakalen Oesophagusteiles geht in dem unterhalb des Zwerchfells gelegenen Ab- schnitt, schon beim stehenden Individuum, in eine schräg nach links verlaufende Richtung über; ebenso wie der Verlauf des untersten Oesophagusabschnittes bei der Horizontallage vom Verlauf in der Vertikal- stellung nur geringgradig abweicht, so zeigt sich auch zwischen dem Verlaufe bei der Horizontallagerung und in der Beckenhochlage kein nennenswerter Unterschied. Beim Vergleiche von Schirmpausen, über die Anatomie und Physiologie der Kardia. 237 welche bei ein und demselben Individuum in Horizontallage und in Beckenhochlagerung aufgenommen wurden, macht es den Eindruck, als würde der subphrenische Abschnitt der Speiseröhre in der Becken- hochlage weniger schräg nach links abweichen als in der Horizontallage ; aber keinesfalls konnte ich eine nennenswerte Differenz im Verlaufe bei den einzelnen Lagen finden. Dies ist eigentlich nach dem über die Lageveränderungen der kardialen Magenabschnittes bei zunehmender Füllung Gesagtem erklärlich, weil ja der Oesophagus mit dem Magen in fester Verbindung stehend, die Bewegungen des kardialen Magen- abschnittes in gewissen Grenzen mitmachen muß. III. Zur Untersuchung der Funktion des normalen Oosophagus in der Becken- hochlage, habe ich einerseits Kontrastflüssigkeit und Kontrastbrei, andererseits Kapseln und Paste verwendet. Um einen Vergleich der Oesophagusdurchwanderung einerseits in Vertikalstellung, andererseits in der Beckenhochlage vornehmen zu können, habe ich bei jedem Fall dieselbe Konsistenz und das gleiche Quantum des Kontrastmittels gegeben und die Versuchsperson in den beiden Lagen nach- einander untersucht. Bei der Untersuchung in vertikaler Stellung sehen wir, daß der Kontrastbrei den Oesophagus in annähernd einer Sekunde durchwandert; bei Paste kann es auch 6 Sekunden dauern, bis der Bissen an die Kardia gelangt, besonders wenn die Paste trocken und nicht gut eingespeichelt ist. Flüssigkeit er- reicht die Kardia in der vertikalen Stellung in der Regel in Bruchteilen einer Se- kunde. Im Vergleiche hierzu konnte ich feststellen, daß die Kontrastmasse zur Durchwanderung des Oesophagus in der Beckenhochlage einen wesentlich längeren Zeitraum beansprucht. Leicht erklärlich ist dies, wenn man in Betracht zieht, daß die Komponente der eigenen Schwere bei der Weiterbeförderung der Speise in der Beckenhochlage wegfällt und der Bissen vom Schlund bis zur Kardia einen schräg nach aufwärts verlaufenden Weg beschreiben muß und die Beförderung nur durch die Peristaltik der Speiseröhre erfolgt. Die bei der vertikalen Stellung bestehende Differenz in der Dauer der Oesophagusdurehwanderung von flüssigen und breiigen Kontrastingesta konnte ich in der Beckenhochlage nicht beobachten. Im Durch- schnitt bekam ich eine Zeitdauer von 7 Sekunden, welche notwendig war, um 20 g Bariumbrei (10 g Bariumsulfat 10 g Grießbrei), oder Bariumaufschwemmung (5 g Bariumsulfat, 15 g Wasser) mit einmaligem Schlucken bis an die Kardia zu befördern. Ich betone: Mit einmaligem Schlucken! Nachdem das wiederholte Nachschlucken die-Beförderung der Kontrastmasse wesentlich beeinflußt, im Sinne einer Beschleunigung. Doch zeigte die Zeitdauer sowohl bei verschiedenen Ver- suchspersonen als auch bei ein und derselben Person zu verschiedenen Zeiten große Variationen, welche zwischen 2 und 30 Sekunden schwankten und ich glaube an- nehmen zu können, daß die so großen Differenzen der Zeitdauer auf die gering- sradigen Unterschiede an Temperatur, Gleitfähigkeit des Bissens und auf die sub- jektive Beeinflussung der Innervation der Oesophagusmuskulatur, durch Hunger, Durst oder Ekelgefühl, zurückzuführen sind; ebenso wie diese Momente die Zeit- dauer in engeren Grenzen bei der vertikalen Körperstellung zu beeinflussen scheinen. So konnte ich beobachten, daß kältere Flüssigkeit oder kälterer Brei zur Durch- wanderung der Speiseröhre stets mehr Zeit beanspruchte als dieselbe Masse im erwärmten Zustande. Ebenso ergab sich eine Differenz von 5—10 Sekunden bei Anwendung von Kontrastaufschwemmung in wohlschmeckender Mandel- milch, die den Geschmack des Bariums übertönte, und zwischen der Barium- aufschwemmung in Trinkwasser, letztere brauchte mehr Zeit zur Passage des Oesophagus. 238 J. Palugyay: Röntgenologische Beobachtungen Die von Holzknecht,zur Untersuchung der Speiseröhre, angegebene Paste benötigt zur Durchwanderung der Speiseröhre in Beckenhochlage in der Regel eine relativ sehr lange Zeit, auch ist die Zeitdauer sehr variabel, und kleinste Kon- sistenzänderungen der Paste ergeben große Zeitunterschiede Kapseln werden ebenfalls nur sehr langsam weiterbefördert. Auch sah ich bei normalen Fällen, bei denen in vertikaler Stellung des Patienten die Kapsel den Oesophagus glatt passierte, dieselbe in Beckenhochlage, in der Höhe der ersten physiologischen Speiseröhren- enge, nämlich an der Trachealbifurkation, steckenbleiben. IV. An der Kardia angelangt, gleitet der Bissen nicht sofort in den Magen, sondern verweilt einige Zeit im untersten Oesophagusabschnitt bis sich die Kardia öffnet und der Bissen in den Magen gelangt. Die Zeitdauer von dem Momente gerechnet, in dem der Bissen den caudalen Pol der Speiseröhre erreicht, bis zu dem Augenblick, da er durch die Kardia gleitend im Magenfundus angelangt, fand ich sehr stark vari- ierend. Jedoch war die Zeitdauer zwischen bestimmten Grenzen wech- selnd, abhängig einerseits vom Füllungszustande des Magens, anderer- seits, wie bei der Durchwanderung der Speiseröhre, von der Beschaffen- heit sowie Konsistenz, Temperatur und Schmackhaftigkeit des Bissens. Was die Zeitdifferenz bei verschiedenen Füllungsgraden des Magens anbelangt, so fand ich, daß bei zunehmender Füllung des Magens der Bissen längere Zeit am unteren Pol des Oesophagus verweilt als bei leerem oder nur geringgradig gefülltem Magen; und zwar nahm die Zeitdauer der Intervalle zwischen den einzelnen Speisedurchtritten durch die Kardia in stärkerem Maße zu als die quantitative Zunahme der Magenfüllung. Umgekehrt wurde gleichzeitig das Quantum der Kontrastmasse, welches auf einmal vom Oesophagus in den Magen ge- langte, d.h. mit einmaliger Öffnung der Kardia, bei zunehmender Magenfüllung geringer. So wurden in der Regel 20 g Bariumaufschwem- mung bei leerem Magen vom untersten Oesophagusabschnitt in den Magenfundus mit einmaliger Öffnung der Kardia befördert, in einem Zeitraum, der nach Sekunden (5—40) zählte. Bei einer Vorfüllung des Magens mit einem viertel Liter Bariumaufschwemmung gelangte die nun nachträglich in Beckenhochlage eingenommene Aufschwemmung von 20 g Bariumwasser vom untersten Oesophagusabschnitt nicht mit einmaliger Öffnung der Kardia in den Magen, sondern in 2 bis 4 Ab- schnitten und in Zeitintervallen, die einige Minuten betrugen. Diese Beobachtung stimmt mit der Lehre überein und dient zur Bestätigung derselben, welche Magendi2) aufgestellt hat und von Johann Müller?) bestätigt wurde, daß mit der größeren Anfüllung des Magens die der Öffnung der Kardia zugemessenen Zeiträume kürzer werden, während die Zusammenziehungen länger dauern. Bemerken möchte ich, daß ich auch bei der Beobachtung des Durchtrittes der Kontrastmasse durch die Kardia darauf geachtet habe, daß nach Verschlucken des zur Be- obachtung bestimmten Quantums an Kontrastmasse keine Schluck- über die Anatomie und Physiologie der Kardia. 239 bewegung mehr erfolst, um damit die Beschleunigung der Passage, welche durch wiederholtes Schlucken eine große ist, auszuschalten. Wenn man die Literatur über die der Kardia unter physiologischen Verhältnissen zukommende Funktion durchgeht, so kann man wohl sagen, daß die hauptsächliche Frage, ob die Kardia für gewöhnlich offen steht oder ihre Wandungen lose aneinanderliegen, oder ob sie durch Muskeltonus geschlossen sind, bis jetzt nicht entschieden werden konnte. Näher auf die einander gegenüberstehenden Annahmen einzu- sehen an dieser Stelle, würde über den Rahmen meiner Arbeit hinaus- führen, doch möchte ich meiner dahingehenden Meinung Ausdruck ver- leihen, daß alle bisher geübten Methoden zur Beobachtung des Kardia- verschlusses, sei es die direkte Beobachtung mittels des Oesophagoskops, oder Palpation durch eine Magenfistel, nicht geeignet sind zu einem einheitlichen Resultate zu führen, nachdem sie doch nie solche Be- dingungen schaffen, daß vollkommen normale Verhältnisse vorgefunden werden könnten. Ebenso ist es klar, daß die röntgenologische Unter- suchung der Kardiafunktion in Beckenhochlage keine Entscheidung darüber bringen kann, ob die Kardia für gewöhnlich offen steht oder geschlossen ist, da die Kardia bei der röntgenologischen Untersuchung auch in der Beckenhochlage erst dann zur Ansicht kommt, wenn das untere Oesophagusende gefüllt ist, wodurch ja schon ein Anreiz zur Öffnung der Kardia gegeben ist und damit die Beobachtung in voll- kommenem Ruhestadium ausgeschlossen ist. Doch möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß ich in keinem der ausgesuchten 100 Fälle die Kardia offen fand, d.h., daß in jedem Falle der Kontrastbrei oder die Kontrastflüssigkeit, wenn auch nur wenige Sekunden bei leerem Magen, an der Kardia stehenblieb; doch stets so lange, daß eine genaue Be- obachtung möglich war, bevor die Kardia passiert wurde. Die Kontrastmasse staut sich, nachdem sie den Oesophagus passiert hat, bekanntlich auch bei der Untersuchung im Stehen am caudalen Ende der Speiseröhre, jedoch nur kaum wahrnehmbare Zeit; dann sieht man einen pfriemenartigen Fortsatzschatten im unteren Oesophagusende sich vorstrecken, der nach Bruchteilen einer Sekunde kürzer wird und zuletzt durch die sich reflektorisch öffnende Kardia verschwindet. Die Kardia selbst und ihr Mechanismus läßt sich in vertikaler Stellung nicht verfolgen, wohl aber in der Beckenhochlage. Bei geschlossener Kardia ist dieselbe bei Rückenlage des Patienten in der Beckenhochlage, wie schon erwähnt, als Spalt zwischen der Silhouette des kontrast- gefüllten Oesophagusendes und der Silhouette des kontrastgefüllten Magens zu sehen. Bei Öffnung des Kardiaverschlusses erfolgt der Durch- tritt der Kontrastmasse auch in der Beckenhochlage in einem sehr kurzen Zeitraum, so daß die Schirmbeobachtung eine schwierige ist. Die durch häufig wiederholten Beobachtungen des Vorganges ge- 340 J. Palugyay: Röntgenologische Beobachtungen wonnenen Bilder zeigten immer wieder dieselben Bewegungen der Kontrastsilhouette: „Der unterste Abschnitt der Speiseröhre sendet an seinem unteren, dem Magen zunächstgelegenen, Kontur gegen den Fundus einen pfrie- menartigen Fortsatz aus, dessen Spitze gegen den Magen zu sieht (Abb. 3). Zur selben Zeit tritt ein gleichgearteter Fortsatz am korre- spondierendem Magenkontur auf. Die beiden Schattenfortsätze nähern sich bis zur Berührung ihrer Spitzen, worauf die Seitenwände der Fort- sätze so lange auseinanderweichen, bis ein parallel konturierter Kanal resultiert, welcher sich nach Bruchteilen einer Sekunde wieder zurück- Abb. 3. Phasen des Speisendurchtrittes durch die Kardia nach Schirmpausen. bildet bis zum Bilde der sich mit ihren Spitzen berührenden Fortsätzen, welche sich nun einerseits in die Silhouette des Magens, andererseits in die des Oesophagus zurückziehen.‘ Auf Grund dieser Beobachtungen stelle ich mir den Mechanismus so vor, daß infolge der Peristaltik der Kontrastbrei an das untere Oesophagusende gepreßt wird, wodurch zuerst eine Erschlaffung der Längsmuskelschichte erfolgt, worauf ich das Bild des pfriemen- artigen Fortsatzes am unteren Oesophagusende zurückführe. Nachdem aber der Beckenhochlage entsprechend der Inhalt des Magens durch seine Schwere ebenfalls einen Druck auf die kardiale Magenwand aus- übt, so dürfte dieser Umstand bei Erschlaffung der Muskulatur, welche ja vom Oesophagus direkt auf den Magen übergeht, auch ein Nachgeben der Wandung von seiten des Magens an der Kardia bewirken. In un- mittelbarem Anschlusse daran dürfte die Erschlaffung der Ringmuskel- schichte erfolgen, welche den eigentlichen Verschluß bildet. Nach erfolgtem Durchtritt des Bissens tritt die Kontraktion der beiden Muskelschichten in umgekehrter Reihenfolge, aber in unmittelbarer Aufeinanderfolge, ein. Daß in der Beckenhochlage bei Öffnung der Kardia kein Rückfluß von Ingesten aus dem Magen in den Oesophagus erfolgt, mag einerseits über die Anatomie und Physiologie der Kardia. 241 auf den Tonus der normalen Speiseröhre zurückzuführen sein, anderer- seits auf die kardialwärts gerichtete Bewegung der tiefen peristaltischen Oesophaguswellen, welche in der Beckenhochlage auftreten. Inwieweit eine eventuelle Drucksteigerung im Oesophagus durch Schling- und Atembewegungen einen Einfluß auszuüben vermag, konnte ich bisher nicht genau feststellen. Der Fortsatz, welcher vor dem Durchtritt des Bissens durch die Kardia von seiten des Magens sich vorstreckt, spricht meiner Ansicht nach gegen die Theorie, welche seinerzeit von Braune und Gubaroff®) aufgestellt wurde, daß durch das schiefe Einsetzen des Ösophagus in den Magen unterhalb der Funduskuppe durch Vorlagerung einer Schleim- hautfalte von seiten des Magens ein Ventil bestünde. Wenn diese Theorie, welche auf Grund von experimentellen Versuchen an gefrorenen mensch- lichen Leichnamen aufgestellt wurde, zu Recht bestünde, so müßte dieses Ventil die Bildung des Fortsatzes, welcher sich beim Durchtritt der Kontrastmasse durch die Kardia in der Beckenhochlage vonseiten des Magens vorstreckt, verhindern. Gegen einen Einwand, daß durch die abnormale Belastung des Fundus eine Überdehnung des kardialen Magenabschnittes erfolgt und dadurch die Ventilwirkung aufgehoben wird, möchte ich betonen, daß die Erscheinungen, welche beim Durch- tritt des Bissens durch die Kardia auftreten, auch bei minimalster Füllung des Magens zu sehen sind, in einem Stadium also, in dem von einer Überdehnung des kardialen Magenabschnittes noch nicht die Rede sein kann und er seinen Inhalt vollkommen umfaßt. V. Einige Zeit, nachdem die ersten Kontrastmassen im Magen- fundus angelangt sind, tritt eine kleinwellige Peristaltik auf. Der Ab- lauf der Wellen ist von der Kardia angefangen entlang der großen Kurvatur deutlich zu verfolgen. Mit zunehmender Füllung der Pars cardiaca ventrieuli nimmt die Tiefe der Wellen in der Regel zu. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, daß diese Peristaltik des Fundus identisch ist mit derjenigen, welche Forssel?) mehrmals in horizontaler Rückenlage wahrgenommen hat. Er nimmt an, daß es sich um zirkuläre Kontraktionen handelt, welche die Nahrung aus dem Fundus in das Korpus hineintreiben sollen. Außer dieser klein- wellisen Peristaltik, welche ich in jedem meiner Fälle beobachten konnte, sah ich in manchen Fällen lange, flache peristaltische Wellen, wie sie auch in den physiologischen Lagen des Magens im oberen Anteile der großen Kurvatur von der Kardia gegen den Pylorus verlaufen®). Wenn man den Vorgang der Durchwanderung der Kontrastmasse durch die Speiseröhre und die Kardia in vertikaler Stellung und Hori- zontallage (soweit die Beobachtung in diesen Lagen möglich ist) mit derselben in Beckenhochlage vergleicht, so kommt man wohl zu dem Resultat, daß das funktionelle Verhalten der Speiseröhre und der Kardia 242 J.Palugyay: Röntgenolog. Beobacht. über d. Anatomie u. Physiol. d. Kardia. in allen drei Lagen das gleiche ist und die Differenz nur in der Zeit- dauer besteht, welche zum Ablauf der Funktion, das ist zur Beförderung der Kontrastmasse, durch die oben angegebenen Teile des Verdauungs- schlauches beansprucht wird. Daher glaube ich annehmen zu können, daß die Ergebnisse meiner Beobachtungen über das anatomische und physiologische Verhalten der Kardia und deren benachbarten Abschnitte als Grundlage dienen können zur Beurteilung von pathologischen Verhältnissen im Bereiche derselben. Literaturverzeichnis. 1) Strauss, Münch. med. Wochenschr. 1918, Nr. 4. — ?) Lund, Vivisek- tionen der neueren Zeit. Kopenhagen 1825. — ?®) Handbuch der Physiologie des Menschen. 1837—1840. Zit. bei Sinnhuber. — ?) Gubaroff, Arch. f. Ant. u. Physiol. 1886, Abt. Anatomie S. 395. — °) Forssel, G., Münch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 29, S. 1588. — €) Holzknecht und Brauner, Mitteilungen aus dem Holzknechtschen Institut. Bd. 1, H. 1. Weitere Studien über die von einzelnen Organen hervorgebraehten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institute der Universität Halle a. S.) Mit 39 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Januar 1921.) Die bis vor kurzem geltende Anschauung, wonach insbesondere für die Schilddrüse, die Thymus und die Geschlechtsdrüsen als Inkret- stoffe Verbindungen zusammengesetzter Natur in Frage kommen, ist in letzter Zeit immer mehr erschüttert worden. Es scheint vielmehr, als ob ganz allgemein die spezifischen Wirkungen durch einfacher ge- baute Verbindungen vermittelt werden. Vielleicht werden diese in den sie hervorbringenden Zellen, solange sie nicht zur Wirkung gelangen sollen, in irgendeiner Form, z.B. durch Bindung an bestimmte Sub- stanzen, unwirksam gemacht und erst dann in Freiheit gesetzt, wenn das wirksame Prinzip zur Geltung kommen soll. Es ist aber auch mög- lich, daß die Zellen beständig unwirksame Vorstufen auf Lager haben und im Augenblick des Gebrauchs die wirksame Verbindung erzeugen. Unser Plan ist der wiederholt entwickelte, nämlich möglichst spezifische Reaktionen für einzelne Organsubstanzen aufzufinden, um an ihrer Hand, dem Ziel die wirksamen Produkte in reinem Zustand zu gewinnen, zusteuern zu können. Leider ist es zurzeit ganz unmöglich, genügende Organmassen zu beschaffen, um den Versuch zu unternehmen, auf Grund der schon jetzt vorliegenden Ergebuisse an Stelle der Optone, aus ihnen gewonnene Stoffe auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Wahr- scheinlich werden wir noch auf Jahre hinaus uns mit dem Suchen nach möglichst mannigfaltigen charakteristischen Wirkungen begnügen müssen. Die hier geleistete Vorarbeit wird gewiß die Erkennung der wirksamen Prinzipien wesentlich erleichtern. Um Mißdeutungen vorzubeugen, möchten wir noch folgendes hervor- heben. Wir arbeiten mit Gemischen. Die Optone enthalten etwa 3—5%, anorganische Bestandteile. Daß sie mit den beobachteten Wir- kungen sicher nichts zu tun haben, haben wir durch direkte Versuche 244 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen "erwiesen. Die organischen Bestandteile der Optone sind sehr mannig- faltig. Es finden sich Vertreter der Kohlenhydrate, der Fette, Phos- phatide, der Proteine und der Nukleoproteide. Im wesentlichen haben wir es mit den Bausteinen der erwähnten Verbindungen zu tun, soweit zu- sammengesetzte Produkte zum Abbau gelangt sind. Dazu kommen dann noch jene Stoffe, von denen wir die spezifische Wirkung erwarten. Man könnte nun einwenden, daß vielleicht bekannte Stoffe, wie Amino- säuren, die von uns beobachteten Wirkungen hervorrufen. Dagegen ist einzuwenden, daß nach unseren Kenntnissen alle Organe sämtliche Aminosäuren beim Abbau liefern. Daß etwa quantitative Unterschiede im Gehalt an einzelnen Bausteinen ausschlaggebend sein könnten, ist nicht sehr wahrscheinlich. Ein viel bedeutungsvollerer Einwand ist der, daß beim Abbau der Organe mittels Fermenten sekun- däre Umwandlungen sich vollziehen können. So könnten aus Amino- säuren Amine hervorgehen, die bekanntlich charakteristische Wir- kungen auslösen. Gegen diesen Einwand ist zu bemerken, daß es auf- fallend wäre, wenn aus dem gleichen Organ immer wieder bestimmte Produkte sich sekundär bilden würden und aus anderen andere. Wir haben selbstverständlich nicht Optone einer einzigen Darstellung ver- wendet, sondern Präparate, die zu verschiedenen Zeiten dargestellt waren. Der Firma Merck, Darmstadt, sagen wir auch hier für die uns zur Verfügung gestellten Präparate herzlichsten Dank. Es liest nach allen Erwägungen wohl kein Grund vor, anzunehmen, daß die fest- gestellten spezifischen Wirkungen etwa nur pharmakologisches Interesse beanspruchen, dagegen physiologisch weniger interessant und wichtig sind. Eine ganz andere Frage ist freilich die, ab man berechtigt ist, aus der Feststellung einer bestimmten Wirkung auf ein bestimmtes Organ den Schluß zu ziehen, daß im Organismus jenes Organ, das den wirksamen Stoff liefert, Wechselbeziehungen zu jenem Gewebe unter- hält, an dem man eine spezifische Wirkung festgestellt hat. Die Mög- lichkeit liest vor, streng bewiesen ist jedoch ein solches Zusammen- wirken noch nicht, denn wir verwenden relativ große Dosen und führen die Stoffe den zu prüfenden Organen direkt zu, und zwar einzeln! Im Organismus heben sich sicherlich mancherlei Wirkungen durch das Zusammenarbeiten mehrerer Organe auf. Wir schließen dieses aus, indem wir isolierte Organe verwenden und diesen künstlich das eine oder andere Opton zuführen. Wir dürfen aus diesem Grunde einst- weilen unsere Ergebnisse nicht in dem Sinne verwerten, daß wir aus- . ihnen endgültige Schlußfolgerungen auf die Funktion jener Organe im Organismus ziehen, aus denen die Optone gewonnen sind. Leider ist in dieser Hinsicht nicht immer die notwendige Zurückhaltung geübt worden. Mancherlei Beobachtungen führen zu der Fragestellung, ob nicht vielleicht allen Organen gewisse Inkretstoffe gemeinsam sind. Es wäre hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 245 wohl möglich, daß bestimmte Wirkungen, wie z. B. solche auf die Ge- fäße usw., von allen Organen ausgelöst werden können; darüber hinaus bringt jede Zellart noch spezifische Produkte mit ganz bestimmten Wir- kungen hervor. Es spricht manches dafür, daß immer mehrere Stoffe zusammen wirken. Die Zelle hat es in der Hand, in dem Gemisch bald den einen oder anderen Stoff hervortreten zu lassen. Bald wird die eine Wirkung, bald eine andere zum Vorschein kommen. Vor allem dürften antagonistisch wirksame Stoffe zusammentreffen. Einstweilen sind wir auf Vermutungen angewiesen. Sie werden durch Tatsachen abgelöst sein, sobald die wirksamen Prinzipien und der Mechanismus ihrer Wirkungen klar erkannt sind. Leider sind wir von diesem Ziel noch recht weit entfernt. Die Wirkung der Optone am Herzstreifen nach Löwe. Nachdem in einer früheren Mitteilung!) das Herzstreifenpräparat nach Löwe unter verschiedenen Bedingungen, besonders hinsichtlich des Einflusses des Sauerstoffes, der Belastung und der Ionen- wirkung unter Berücksichtigung des Ganglienzellengehaltes der Streifen untersucht worden war, schien es uns zweckmäßig, unsere Studien über die Wirkung der Optone auf überlebende Organe auch auf dieses Präparat auszudehnen. Diese Untersuchungen schienen uns deshalb von besonderem Interesse, weil bei dem Studium der Ionen- wirkung auffallende Unterschiede in der Reaktionsweise des Herz- streifens im Vergleich zum Verhalten des ganzen Herzens (in der Ver- suchsanordnung Straubs) zutage getreten waren. Es sei z.B. an die Wirkung von Bariumchlorid erinnert. Mit diesem gelingt es erst bei einer Verdünnung 1 : 300 eine sichere systolische Wirkung zu erzielen, während sie am Straubschen Präparate bereits bei der zehnfach stär- keren Verdünnung beobachtet wird?). Es bestand also die Möglichkeit einer verschiedenen Wirkung der Optone am Herzstreifen und am Straubschen. Präparat. Die Richtigkeit dieser Annahme wurde durch die im folgenden mitgeteilten Versuche bestätigt. Betrachten wir zunächst den Einfluß der am Auge mydriatisch wirkenden Optone®?), des Corpus luteum und des Testis am schlagenden Kammerlängsstreifen von Rana esculenta, so zeigt sich in den Abb. 1 bis 2, daß den genannten Optonen eine negativ inotrope Wirkung, er- kenntlich an der Abnahme der Systole, zukommt. Diese ist uns bereits aus den früher mitgeteilten Versuchen am Straubschen Präparate be- kannt. In Übereinstimmung mit diesen ist auch am Herzstreifen die 1) Abderhalden und Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 303ff. 1920, SElze=S. 329. ®) Abderhalden und Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 28ff. 1920, vgl. auch die Berichtigung 185, 324. 1920. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. Wi 246 E. Abderhalden u. E. Gellhom: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen Wirkung des Corpus-luteum-Optons die stärkere. Das dritte am enucle- ierten Froschbulbus mydriatisch wirkende Opton, das aus der Thymus b 10 5 Min. später. +9 Ringer. a +5 Corpus-luteum-Opton 0,3%. Kammerlängsstreifen. Abb. la u. b. dargestellte, zeigt aber gegenüber dem Testis- und Corpus-luteum- Opton gewisse Unterschiede. Schon aus den Untersuchungen am Straub- schen Präparate: wissen wir, daß zwischen dem Thymusopton einer- seits, dem Corpus-luteum- und Testis- opton andererseits ein Unterschied besteht, da dem Thymusopton nur eine relativ geringe Herzwirkung zu- kommt; denn in Konzentrationen (0,6— 1%), in denen Corpus-luteum- und Testisopton sehr schnell zum diastolischen Stillstand führen, be- wirkt Thymusopton nur eine mäßige Pulsverkleinerung. Am Kammer- längsstreifen zeigt nun Thymusopton in 0,3% -Lösung eine Verkleinerung der Pulsgröße (Abb. 3), in geringerer Konzentration (0,2%) kommt es aber zu einer nicht unbeträchtlichen Pulsvergrößerung (Abb. 3a), eine Wirkung, die am Straubschen Präpa- rate nicht beobachtet wurde. Ge- meinsam ist nun aber den genannten drei Optonen eine stark negative chronotrope Wirkung. Obwohl sie fast niemals fehlt, so ist doch ihr Ausmaß an den verschie- denen Herzstreifen etwas verschieden und derVergleich der Pulsverlangsamung in den Abb. 1—3 gibt keine sicheren vergleichbaren Werte. Immerhin scheint nach zahlreichen Versuchen wiederum dem Corpus-luteum - Opton die stärkste negativ chronotrope Wirkung zuzukommen. Sie äußert sich in Abb. 1 zuerst in eine Periodenbildung, wie wir siein unserer früheren Mitteilung ausführlich geschil- dert haben, dann aber in regelmäßigen, stark verlang- samten Kontraktionen. Die Veränderungen sind reversibel. Sie verschwinden mehr oder weniger schnell nach Erneue- rung der Ringerschen Flüssigkeit. (Vgl. Abb.1la u. b.) +4 Ringer. ULLUAUNANARNKNNNN AU NUN Kammerlängsstreifen. +3 Testisopton 0,3 = = = = | _ = —, + & Abh. 2. WMMIAUNLLLIUUAAAAN Es fragte sich nun, weshalb die Verlangsamung der Pulsfrequenz durch diese Optone, die an zahlreichen Präparaten besonders regelmäßig hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 247 durch Corpus-luteum-Opton und Testisopton erzielt werden konnte, am Straubschen Präparate niemals zur Beobachtung kam. Zunächst mußte daran gedacht werden, daß die Konzentration, in der die Optone angewendet wurden, an der verschiedenartigen Wirkung schuld sei. Hatten doch gerade die oben erwähnten Versuche mit Bariumchlorid gezeigt, daß erst bei sehr differenter Konzentration am Gesamther- zen und am Herzstreifen die gleichen Wirkungen eintreten. Es mußten deshalb die genann- ten Optone am Straubschen Präparate in stärkerer Verdün- nung untersucht werden. Mehr- Abb.3.Kammerlängss fache Untersuchungen zeigten aber, daß selbst in 0,1°%,-Lösung (Abb. 4 u. 5) die Optone des Corpus luteum, des Testis und der Thymus niemals eine Pulsverlangsamung bewirkten. Vielmehr zeigte sich stets nur eine Herabsetzung der Kontraktionsgröße, wenn man fortlaufend von den wirksamen bis zu den unwirksamen Dosen herabgeht. Es Abb. 3a. Kammerlängsstreiien. +3 Thymusopton 0,2%. sei an dieser Stelle gleichzeitig erwähnt, daß auch durch die Optone des Ovars, der Hypophyse und der Thyreoidea am Straubschen Präparate niemals eine Änderung der Pulsfrequenz erzeugt wurde. Wurde Corpus-luteum- oder Testisopton in schwächeren als 0,3°,- Lösungen am schlagenden Kammerlängsstreifen untersucht, so zeigt sich eine Abnahme der diastolischen und negativ-chronotropen Wirkung. Ein Umschlagen der letzteren in positiv-chronotrope Wir- kung wurde nicht beobachtet. Dagegen kommt diese Wirkung zuweilen dem Thymusopton in schwachen Konzentrationen (0,12°%,) zu. Be- sonders deutlich zeigt sich eine Steigerung der Pulsfrequenz, wenn der Herzstreifen, wie in Abb. 6, eine ziemlich langsame Frequenz aufweist. 17* 248 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen nn ii | | Abb. 4. Straubsches Präparat. +3 Corpus-luteum-Opton 0,1%. + Wechsel der Ringerlösung. +5 Testisopton 0,1%. +6 Wechsel der Ringerlösung. Der prinzipielle Unterschied, der nun zwischen einem Herzstreifen- präparat nach Löwe und dem ganzen Herzen in der Straubschen Versuchsanordnung besteht, liegt weniger in der Tatsache, daß bei dem Herzstreifen sowohl Endocard wie Epicard von der Nähr- lösung bzw. dem zu untersu- chenden Stoffe bespült werden, während bei dem Straubschen Präparate dieser nur vom Endo- card aus seine Wirkung zu ent- . falten vermag, als vielmehr darin, daß das Herzstreiten- präparat vom Vorhof und Sinus abgetrennt ist und daher ‚‚auto- matisch‘“!) und nicht „syste- matisch“‘ oder ‚‚koordiniert‘‘ wie das gesamte Froschherz schlägt. Es ist deshalb die Annahme naheliegend, daß die im Oberherzen ge- legenen Ganglien einen Einfluß auf die Erhaltung oder Änderung der Abb.5. Straubsches Präparat. + 7/0 Thymusopton 0,1%. +11 Wechsel der Ringerlösung. IUNGNUSUUUUNGUUUSUAREUKKTRERIELLEN AG) 2 Abb. 6. Kammerlängsstreifien. +6 0,12% Thymusopton. +7 Ringer. Frequenz besitzen, wenn der Nährflüssigkeit Optone in bestimmter Konzentration zugesetzt werden. Die Richtigkeit dieser Anschauung läßt sich in folgender Weise erbringen. Das Herz von Rana esculenta oder temporaria wird derart in zwei Teile geschnitten, daß eine Herz- kammerhälfte isoliert, die andere dagegen mit Vorhof und Sinus in !) Amsler und Pick, Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 62. 1920. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 249 Verbindung gelassen wird, eine Versuchsanordnung, die kürzlich Ams- ler und Pick!) mit Vorteil zur Analyse der Strophantinkontraktur be- nutzten. Hierbei zeigte sich, daß nur dieYom Oberherzen abgetrennten, automatisch schlagenden Kammerstreifen eine Herab- setzung der Frequenz bei Zu- satz von Corpus-luteum- und Testisopton erkennen ließen, während die Streifen, die in Verbindung mit dem Atrium und Sinus stehen und koor- diniert schlagen, diese ver- missen lassen. Eine Ver- ringerung der Pulsgröße wird aber auch an den koordiniert schlagendenStreifen bemerkt. Sie verhalten sich also hin- sichtlich ihrer Reaktionsweise auf Corpus-luteum- und Te- stisopton genau so wie das Froschherz nach Straub. Wir müssen deshalb aus diesen Versuchen den Schluß ziehen, daß im Oberherzen ein Zentrum gelegen ist, das die Herabsetzung der Schlag- folge durch die genannten Op- tone verhindert. Eine inter- essante Parallele zu dieser Annahme bilden dieVersuchs- ergebnisse von Amsler und Pick über die Strophantin- kontraktur. Denn sie schlie- ßen,daß im Oberherzen ein im Sinus außerhalb des Reizer- zeugungszentrums gelegenes Zentrum existiert, das die Strophantinkontraktur hemmt. Aus den Abb. 7u. 8, die diese Wirkung sehr deutlich illustrieren, geht hervor, daß an dem Herzstreifen, der noch mit dem Oberherzen in Verbindung steht, die Beeinflussung der Herzaktion ebenfalls reversibel ist. In Abb. 8, +#Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. 20/ /0* orpus-luteum-Opton 0,3 i) 2 Herzstreifenpräparat in der Anordnung nach Amsler u. Pick. Obere Reihe : Linke Herzkammerhältte in Verbindung mit Vor- +9C E S: hof und Sinus. Untere Reihe : Rechte Herzkammerhälfte. Abb.T. !) Amsler und Pick, Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 62. 1920. 350 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen in der die Pulsverlangsamung durch Testisopton zum Auftreten von Perioden führte, verschwinden diese nicht sofort nach Erneuerung der Ringerschen Flüssigkeit” Nach einiger Zeit tritt aber auch in b Nach Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. a +9 Testisopton 0,3%. DR Wie in Abb. Sau. b. Abb. diesem Falle regelmäßige Pul- sation wieder auf. Aus diesen Versuchen erga- ben sich zwei weitere Fragen: Zunächst mußte entschieden werden, ob der Ganglienzellge- halt des Herzstreifens mitseinem Verhalten gegenüber Optonlö- sungen in Zusammenhang steht, und zweitens mußte versucht werden, den Angriffspunkt der negativ-chronotropen Wirkung der Optone festzustellen. Was die erste Frage anlanst, so kann in Versuchen an sehr kleinen Herzspitzen, die wir ja als gan- glienzellfrei oder sehr arm an Ganglienzellen anzusehen ha- ben, gezeigt werden, daß die Pulsverlangsamung durch Cor- pus-luteum-, Thymus- und Te- stisopton an diesen Präparaten in der gleicher. Weise beobach- tet wird wie bei Verwendung sanglienzellreicher Herzstreifen. Der Gehalt der Herzstrei- fen an Ganglienzellen ist also für das Auftreten der negativ-chronotropen und negativ-inotropen Wir- kung der Optone des Cor- pus luteum, des Testis und der Thymus ohne Be- deutung. Zur Entscheidung des Angriffspunktes der negativ- chronotropen Komponente der Öptone wurden Versuche an atropinisierten Herzstreifen durchgeführt. Wir gingen dabei so vor, daß zuerst am unvergifteten Herzstreifen die bekannte Wirkung der Optone festgestellt wurde. Sodann wurde eine Konzentration von Pilocarpin festgestellt, die fast momentan zum hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. Stillstand in Diastole führte (0,01 g auf 50 ccm Ringersche Flüssigkeit). Die Pilocarpinwirkung wurde durch Atropin. sulf. behoben. Darauf wurde die Ringersche Flüssigkeit erneuert und nunmehr wiederum die Wir- kung der Optone festgestellt. Dabei zeigte es sich, daß am atro- pinisierten Herzstreifen die negativ-chronotrope Wirkung der Optone in gleicher Weise wie am nicht vorbehandelten Herzstreifen auftrat. Daß die Lähmung der Endapparate des Vagus durch Atropin nicht etwa bereits beseitigt war, wurde regeläßig da- durch bewiesen, daß die gleiche Pilocarpindosis, die vor der Atropini- sieruns sofort zum diastolischen Still- stand führte, nunmehr unwirksam blieb. Im speziellen ergibt sich noch folgendes aus den beigefügten Ab- bildungen. Durch 0,2% Corpus- luteum-Opton wurde an einem Kam- merlängsstreifen Abnahme der Puls- frequenz und Pulsgröße erzielt. Er- stere kommt 3 Minuten später (6 in Abb. 9) in sehr selten auftretenden Lucianischen Perioden deutlich zum Ausdruck. Wäre die Pulsverlang- samung durch Erregung der End- apparate des Vagus erfolgt, so hätte man erwarten müssen, daß durch Atropin wieder regelmäßige Kontrak- tionen herbeigeführt werden könnten. Dies ist nun auch nach großen Atro- pindosen (0,01 g auf 50 Ringer), wäh- rend Harnack und Hafemann!) bereits durch !/,, mg Atropin auf die gleiche Menge Durchspülungsflüssig- keit am isolierten Froschherzen 1) Arch. f. experim. Pathol. u. Phar- makol. 1%, 145. 1883. III TERTTUITRETITURIPITERTTEFTREEITERNKTRTRTEITTEEEE ve a & 3 Ei | i + 3 | SUR: 3 1 Eu DE E 251 +8 0,5 mg Atropinsulf. auf 50,0 Ringersche Flüssigkeit. oO [—} 0,01 (Höchst). später. +7 hydrochlor. 6 3Min. 920/ 2%. +5 Corpus-luteum-Opton 0 Kammerlängsstreifen. Abb. 9. Suprarenin. 252 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen den Muscarinstillstand aufheben konnten, nicht möglich (vgl. 7 in Abb. 9). Nunmehr wird 0,5 mg Suprarenin hydrochlor. (Höchst) injiziert. Es treten darauf durch Erregung der reizerzeugenden Zentren mehrere Pulse auf (+ 8 in Abb. 9), ohne daß es durch diese Medikation möglich ist, eine regelmäßige Automatie des Herzstreifens zu bewirken. Abb. 10. Derselbe Streifen nach Wechsel der Ringerschen Lösung und abermaligem Hinzufügen von 0,01 Atropin,. sulf. +71 Corpus-luteum-Opton 0,2%. +12 3 Min. später. Abb. 11a—c. Atropinisierter Kammerlängsstreifen. a +70 Corpus-luteum-Opton 0,3%. b 5 Min. später. ..c Nach Zufügen von BaCl], (1,2 : 1000). Diese kommt erst dann zustande, wenn die Nährlösung gewechselt wird. Die unverminderte Pulsverlangsamung nach abermaliger Anwendung von Corpus-luteum-Opton (0,2%) am atropinisierten Herzstreifen zeigen die Abb. 10 und 11. An letzterem ist besonders interessant, daß die Pulsverlangsamung bei Gegenwart von Corpus-luteum-Opton sich sofort durch Bariumchlorid beseitigen läßt (Abb. 11c). Von der Wirk- samkeit des Bariumchlorids konnten wir uns regelmäßig überzeugen, wäh- rend dem Suprarenin eine sehr ge- ringe oder überhaupt keine Wirkung zugesprochen werdenkann. In Abb. 12 z. B., in der ersichtlich ist, wie nach Zusatz von Corpus-luteum-Opton Puls- verlangsamung und darauf Perioden- bildung eintritt, wird durch 0,6 mg Suprarenin überhaupt keine Änderung bewirkt. Denn die Änderung der Schlagfolge, die danach durch Über- sang der Lucianischen Perioden in ziemlich regelmäßige Kontraktionen von niedriger Frequenz beobachtet wird, tritt auch gelegentlich spontan auf, und vor allem ist die Frequenz auch jetzt genau so niedrig, wie sie vor der Anwendung von Suprarenin gewesen war. Abb. 13 diene zum Beleg, daß auch an der ganglienzellfreien oder -armen Herzspitze nach Atropinisierung die Pulsverlangsamung durch Corpus-lu- teum-Opton eintritt und daß BaCl, die Frequenz nicht allein zu erhöhen vermag, sondern sogar eine Steigerung der Frequenz über die Pulszahl, die zu Beginn des Versuches festgestellt wird, hervorruft. Die Verlangsamung der Kontraktionen im Verein mit der positiven inotropen Wirkung bewirkt auch Thymusopton an der atropini- sierten Herzspitze, wie Abb. 14 dartut. Auch in diesem Falle läßt sich durch BaCl, die Zahl der Pulsschläge pro Minute vermehren. Bei der außerordentlich ähnlichen Zusammensetzung der Asche der Or- gane, aus denen durch autolytischen und fermentativen Abbau die Optone dargestellt wurden, und bei dem relativ geringen Aschengehalt (er beträgt bei TER RENTEN KNTTTERIN TI RIITMTIITEHTRATRTRIRTATIMTERETTIMTA ARTEN ] | | 4 3- i +9 Suprarenin. hydrochlor. 0,6 mg auf 50,0 Ringer. +s Corpus-luteum-Opton 0,3%. Atropinisierter Kammerlängsstreifen. Abb. 12. 254 E. Abderhalden u. FE. Gellhom: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen Corpus-luteum-Opton 5,9%, bei Thymusopton 7,4%) hat die Annahme, die spezifischen Wirkungen der Optone seien durch die qualitative und quantitative Zusammensetzung ihrer Asche bedingt, von vorn- herein wenig Wahr- scheinlichkeit. Es war aber doch wich- KLUH | MR RT tig, sie experimentell | ar zu prüfen. Wir be- 8 | | | nutzten zu diesem De Versuch das Corpus- 57 Ba?) luteum-Opton, des- sen Wirkung besonders ekla- tant ist. In einem Versuche, in dem das Herz von Ran. EN ANAMLÄNAAAAAANLNLAAAILAANALUNN tempor. derart in zwei Teile BERN NER SEE, 10 A zerlegt wurde, daß die linke alla Auuih) ET MEN PROTEIN IIIRTRT ENRTINTCNBTI RN TG RTTENTNDLIRSENRR HI RRRTRATRAUTCN < b an . EN a Herzkammerhälfte mit dem b Öberherzen in Verbindung Abb.13a u.b. Atropinisierte Herzspitze. a +8 Corpus- . zahn i ht luteum-Opton 0,3%. b 9 Unmittelbare Fortsetzung von blieb, N ährend die ES te Abb. 13a. +10 BaCl, (1,2: 1000). Herzkammerhälfte isoliert (automatisch) schlug, wurde die Asche von 0,15 g Corp.-luteum-Opton der Nährflüssigkeit zugesetzt (Abb. 15a). Beide Herzstreifen bleiben in ihrer Tätigkeit völlig unbe- einflußt. Darauf wird an denselben Herzstreifen (Abb. 15b) 0,158 Corp.-lut.-Opton zu der Ringerschen Flüssigkeit hinzugefügt und es tritt sofort die charakteristische Wirkung auf, die an dem koordiniert ” | | | INLAND ANAKLOANLENLAN NOW |NMAAORUNIUDRADIALLKLNKAUAJ ir 716 [NLIERRT PER EFFEEIRETEET PR TETEITLERTTREIETRNTEERTEN N ITRRTETE IR TNIRITERITET TEN TELTRTFLATTSTEETRRRPEFRRRERERRERTNELTTTRTTEITERSTTRRTETERETTT 14 PINTIM FIRE IPIRITNRRIN TER SR RR ITEIESALITERRUETRR ENTRY PRINTER TEEN TRSETTERRER RR 30531 a b Abb. 14a u. b. Atropinisierte Herzspitze.. a +74 Thymusopton 0,2%. b 3 Min. später. +16 BaCl, (1,2: 1000). schlagenden Streifen in einer Verminderung der Pulsgröße, an dem automatisch schlagenden Kammerstreifen noch außerdem in einer Ver- langsamung der Pulsfrequenz in Erscheinung tritt. Damit dürfte der Nachweis, daß die spezifische Wir- kung der Optone lediglich auf organischen Verbindungen beruht, zweifelsfrei erbracht sein. Was die Wirkung der Optone der Schilddrüse, der Hypophyse und des Ovars auf den schlagenden Herzstreifen betrifft, so bieten die Er- hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 255 b Abb. 15a u. b. Herzstreifenpräparat in der Anordnung von Amsler und Pick. Obere Reihe: Linke Herzkammerhälfte in Verbindung mit Vorhof und Sinus. Untere Reihe: Rechte Herz- kammerhälfte. a +1 0,15 Corpus-luteum-Opton, verascht, auf 50,0 Ringer. b +5 0,15 Corpus- luteum-Opton auf 50,0 cem Ringer. or: a RB: “ a Fer RE, en Abb. 16. Kammerlängsstreifen. +13 Ovarialopton 0,3%. +14 Ringer. NUNG Abb. 17. Kammerlängsstreifen. +77 Thyreoideaopton 0,3%. +18 Ringer. DRAN Mas TER 34 Abb. 15. Kammerlängsstreifen. +33 Hypophysisopton 0,24%. +3 Ringer. gebnisse nur wenig Neues gegenüber den Resultaten, die wir bereitsfrüher!) am Straubschen Präparat erzielt hatten. Die genannten Optone zeigen nur eine geringe, zuweilen sogar fehlende negativ-inotrope Wirkung (vgl. Abb. 16-18). Versuche, die mit den Optonen des Vorderlappens !) Abderhalden und Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 1. ce. 56 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen und den des Hinterlappens der Hypophyse getrennt durchgeführt wurden, haben nicht ganz eindeutige Ergebnisse geliefert. Sicher ist, daß beiden Optonen die negativ-inotrope Wirkung zukommt. Inemzelnen Versuchen zeigte sich außerdem, daß das Opton des Vorderlappens eine positiv- chronotrope (Abb. 19), das des Hinterlappens eine negativ-chronotrope Abb. 19.\ Kammerlängsstreifen. +9 Opton des Vorderlappens der Hypophyse 0,2%. +10 Ringer. (Abb. 20) Wirkung besitzt. Erstere tritt besonders deutlich dann ein, wenn der Herzstreifen eine ziemlich geringe Frequenz zeigt. Ob das differente Verhalten der Optone des Vorder- und des Hinterlappens der Hypophyse darauf hindeutet, daß in den beiden Lappen verschiedene Inkrete gebildet werden, kann vorerst noch nieht mit Sicherheit ent- schieden werden. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß den Optonen hin- sichtlich derBeeinflussung derPulsgröße am Herzstreifen die analoge Wirkung zukommt wie am Straubschen Präparat. Die am enucleierten \ ll TITTIn Froscehbulbus my- MM I | driatisch wirkenden Optone des Corpus 77 La, luteum und des Tes- tis, die sich durch ihre starke diasto- ‘ | lische Wirkung am Abb. 20. Kammerlängsstreifen. +76 Opton des Hinterlappens der Hypophyse. 0,1%. +17 Ringer. ganzen Herzen aus- zeichnen, beeinflus- sen die Pulsgröße des Herzstreifens ebenfalls viel stärker als die miotisch wirkenden Optone der Hypophyse und Schilddrüse, die auch am Straubschen Präparate nur eine geringe Pulsverkleinerung (unter Umständen sogar eine Pulsvergrößerung) hervorgerufen hatten. Dem Thy- musopton und Ovarialopton, von denen das erstere eine starke, das letztere nur eine schwache mydriatische Wirkung aufweisen und die beide nur eine geringe Wir- kung am Straubschen Herzen erkennen lassen, kommen am Herzstreifen unterschiedliche Erfolge zu. Thymus- opton bewirkt in 0,3 % - Lösung eine mäßige Pulsverkleine- rung, in schwächerer Konzentration dagegen eine be- — m hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 257 trächtliche Zunahme der Kontraktionsgröße, während Ovarialopton nur in geringem Grade pulsverkleinernd wirkt, ohne die Zahl der Kontraktionen zu beeinflussen. Den am Froschbulbus miotisch wirkenden Optonen der Schilddrüse und Hypophyse kommt auch am Herzstreifen keine oder nur eine geringe negativ-inotrope Wirkung zu. Ein Unterschied in der Wirkung auf ganglienzellreiche und -arme Präparate (Herzspitze) findet sich nicht. Die Mydriatica (Corpus-luteum-, Testis- und Thymus- opton) zeigen aber außerdem noch eine negativ-chrono- trope Wirkung auf die Automatie des Herzstreifens. Sie fehlt, sobald der Streifen mit dem Öberherzen (Vorhof, Sinus) in Verbindung bleibt, da an diesen Streifen ledig- lich die auch am Straubschen Präparate beobachtete nega- tiv-inotrope Wirkung in Erscheinung tritt. Sie ist durch Atropin gar nicht, durch Adrenalin nur in sehr geringem Maße vorübergehend zu beeinflussen, dagegen vermag BaCl, sofort die ursprüngliche oder eine noch höhere Fre- quenz herbeizuführen. Aus diesen Versuchen darf geschlossen werden, daß der Angriffspunkt der negativ-chronotropen Wirkung die Muskulatur selbst ist und daß im Öber- herzen ein Zentrum gelegen ist, das die Änderung der Pulsfrequenz durch die Optone verhindert. Ob dieses hypo- thetische Zentrum mit den bekannten Zentren der Reizerzeugung identisch ist oder nicht, bleibt vorläufig noch unentschieden. Die Wirkung der Optone auf den überlebenden Öso- phagus des Frosches. Die Wirkung der Optone auf die glatte Muskulatur studierten wir zunächst am Froschmagen. Da wir aber den Eindruck gewannen, daß die Kontraktionen des Ösophagus im allgemeinen etwas regel- mäßiger zu sein scheinen, es wird dies übrigens auch von Stiles!) angegeben, so wurden späterhin alle Versuche am Ösophagus von Ran. esculenta oder temporaria ausgeführt. Ein Unterschied in dem Ver- halten beider Froscharten trat ebenso wenig wie der Einfluß der Jahres- zeit — die Versuche wurden vom März — Mai und außerdem im November ausgeführt — hervor. Wir gingen stets so vor, daß aus dem unteren Teile des Ösophagus ein etwa 5mm breiter Ring herausgeschnitten und dieser durch einen in der Längsachse des Ösophagus verlaufenden Schnitt in einen Streifen umgewandelt wurde. Ohne weitere Präpa- ration — die Schleimhaut blieb also erhalten — wurde nunmehr der t) Amer. journ. of physiol. 5, 338. 1901 (zit. nach Kanitz, Temperatur und Lebensvorgänge. Berlin 1915). 258 E. Abderhalden u. E. @ellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen Streifen zwischen zwei Froschherzklammern suspendiert und in ein Gefäß mit 60 cem Ringerscher Flüssigkeit, die kontinuierlich von Luft durchspült wurde, versenkt. Die Kontraktionen wurden gewöhnlich bei einer Belastung von 2,6 g verzeichnet; doch wurde dieselbe erhöht, wenn die Kontraktionen zu groß ausfielen. Da die Regelmäßigkeit hinsichtlich der Größe und Frequenz auch bei den besten Präparaten nur selten so groß ist, wie bei dem über- lebenden Froschherzen, so ist die Wirkung der Optone erst aus einer sehr großen Zahl von Versuchen mit Sicherheit erkennbar geworden. Doch ist in einer Hinsicht ihre Wirkung leicht zu sehen, nämlich in Abb. 21. Ringerpräparat des Oesophagus mit Schleimhaut (Ran. esculent. tempor.). +2 Corpus- luteum-Opton 0,05 auf 50,0 Ringer. der Beeinflussung des Tonus. Dabei zeigt sich, daß im allgemeinen Optone, die den Tonus herabzusetzen vermögen, auch die Größe der Kontraktionen und ihre Frequenz vermindern, während mit einer Erhöhung des Tonus eine positiv-inotrope und positiv-chronotrope Wirkung einhergeht. Die Einteilung der Optone in die Mydriatica (Corpus-luteum- und Testisopton mit starker diastolischer Herzwirkung) und Thymusopton mit nur mäßiger Herabsetzung der Pulsgröße einerseits und die Miotica (Thyreoidea und Hypophysisopton) andererseits, die nur eine geringe Herzwirkung am Straubschen Präparat zeigen, hat sich auch für die Versuche am Oesophagus des Frosches bewährt. Betrachten wir zunächst die Optone des Corpus luteum, des Testis und der Thymus, so zeigen diese eine gemeinsame Wirkung. Sie äußert sich in einer Erhöhung des Tonus, die meistens mit einer Vergrößerung hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 259 der Kontraktionen und einer Zunahme ihrer Frequenz verbunden ist. Dabei ist charakteristisch, daß diesem Erregungsstadium zuerst ein Lähmungsstadium vorausgeht. Die Größe dieses Lähmungsstadiums ist bei den einzelnen Präparaten ziemlich verschieden. In Abb. 21 ist es an der Abnahme des Tonus, die sofort nach Zusatz von 0,05 g Corpus- Abb. 22. Wie in Abb. 21. +6 Corpus-luteum-Opton 0,05 auf 50,0 Ringer. Juteum-Opton (auf 60 cem Froschringer) eintritt, deutlich zu erkennen. Die Kontraktionen, die anfangs völlig verschwunden waren, kommen aber allmählich wieder und nehmen immer mehr an Größe zu, während der Tonus weit über die Norm ansteigt. In Abb. 22 hingegen, in der die Wirkung der gleichen Dosis Corpus-luteum-Opton auf einen schlecht schlagenden Oesophagusstreifen wiedergegeben ist, fehlt das Lähmungs- stadium. Aber das Erregungsstadium, durch die Zunahme des Tonus Abb. 23. Wie in Abb. 21. +5 Testisopton 0,1 auf 50,0 Ringer. und der Größe der Kontraktionen erwiesen, ist deutlich ausgesprochen. Daß für das Fehlen bzw. Auftreten des Lähmungsstadiums etwa der Zustand des Präparates von Bedeutung sein könne, ist deshalb nicht anzunehmen, weil, wie aus den Abb. 23 und 24 hervorgeht, Testis- opton gerade an einem nur schwach schlagenden Oesophagus zuerst ein starkes Lähmungsstadium auslöst, in dem die Kontraktionen voll- ständig fehlen, während an dem regelmäßig und kräftig sich kontra- hierenden Oesophagus der Abb. 24 nur das Erregungsstadium festzu- stellen ist. Vergleicht man noch die Wirkung von 0,05 g Testisopton 260 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen in Abb. 25 mit diesen Kurven, so erkennt man, daß das Zustandsbild, das durch Testisopton am schlagenden Froschoesophagus hervor- gerufen wird, bald durch das Überwiegen der einen oder anderen Kom- Abb. 24. Wie in Abb. 21. +2 Testis- Abb. 25. Wie in Abb. 21. +1 Testis- opton 0,1 auf 50,0 Ringer. opton 0.05 auf 50,0 Ringer. ponente geändert wird. Es ist aber hervorzuheben, daß das Lähmungs- stadium stets vorübergehender Art ist und das Erregungsstadium das Wirkungsbild beherrscht. Die gleichen Verhältnisse ergeben sich auch durch Thymusopton (Abb. 26 u. 27). Während in Abb. 26 die Er- Abb. 26. Wie in Abb. 21. +27 Thymusopton 0,06 auf 50,0 Ringer. höhung des Tonus und die Vergrößerung der Kontraktionen nach einem kurzen Lähmungsstadium am meisten hervortritt, ist dies Er- regungsstadiumn in Abb. 27 hauptsächlich durch die Erhöhung der Fre- quenz und die Zunahme der Kontraktionsgröße charakterisiert. Daß die Erhöhung des Tonus, die während des Erregungsstadiums beobachtet wird, den ursprünglichen Tonus nicht übertrifft, liest daran, daß das hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 261 kurze Lähmungsstadium durch eine besonders starke Abnahme des Tonus sich auszeichnete. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Optone des Corpus luteum, des Testis und der Thymus nach einem kurzen Lähmungsstadium ein Erregungsstadium herbeiführen, das durch eine Zunahme der Arbeitsleistung charakterisiert ist. Nach Wechsel der Ringerschen F.üssigkeit nehmen die Kontraktionen all- mählich wieder die ursprüngliche Form an. Doch hält die Verbesserung der Kontraktionsgröße und Frequenz besonders an den vor dem Ver- suche schlecht schlagenden Präparaten ziemlich lange an. Gehen wir nunmehr zur Besprechung der Miotica (Thyreoidea- und Hypophysisopton) über, so läßt sich an der Hand der Kurven zeigen, daß auch die Mio- tica eine gemein- same, und zwar eine den Mydriatieis ent- gegengesetzte Wir- kung am Oesopha- gus aufweisen. Diese besteht darin, daß der Tonus herab- gesetzt, die Puls- größe und auch die Frequenz vermin- dertwird. InAbb.28 sehen wir alle drei Wirkungen durch 0.05 g Hypophysis- Abb. 27. Wie in Abb. 21. +2 Thymusopton 0,05 auf 50,0 Ringer. 2 opton entstehen, während die Wirkung von Thyreoideaopton (Abb. 29) wesentlich ge- ringer, wenn auch im gleichen Sinne vorhanden ist. Hier wird nämlich erst durch die doppelte Dosis (0,1g) eine nur vorübergehende Ver- minderung der Pulsgröße und eine geringe Tonusabnahme erzeugt. Interessant ist hierzu die Parallele, die wir zu der Intensität der miotischen Wirkung ziehen können. Denn auch in diesen Versuchen hatte sich das Hypophysisopton als das stärkere Agens erwiesen!). Diese Untersuchungen stimmen mit den Ergebnissen von Du Bonis und L. Midulla?) am Froschmagen überein, da diese Autoren nach Hypophysenextrakt, der nicht enteiweißt war, eine Herabsetzung in der Erregbarkeit der Magenmuskulatur beobachteten. Es fragte sich nun, ob dem Vorderlappen und dem Hinterlappen t) Vgl. Abderhalden und Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 46. 1920. Tab. XIIL 2) Archivio di fissiol. 9, 367. 1911. Zit. nach Zentralbl. f. Physiol. 25, 672. 1911. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 18 262 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen der Hypophyse verschiedene Wirkungen zukommen. Wir sind im Laufe unserer Untersuchungen mehrfach auf Tatsachen gestoßen, die in diesem Sinne sprechen. Während nämlich das Opton der Gesamt- hypophyse eine miotische Wirkung am enucleierten Froschbulbus zeigt, kommt dem Vorderlappen eine schwach mydriatische Wirkung zu, "4 Abb. 28. Wie in Abb. 21. +3 Hypophysisopton 0,05 auf 50,0 Ringer. die zwar nicht direkt, aber indirekt durch Verstärkung der Adrenalin- mydriasis sich nachweisen läßt!). Wir hatten ferner oben erwähnt, daß die Beeinflussung der Pulsfrequenz eines schlagenden Herzstreifens nicht selten durch die Optone des Vorder- und Hinterlappens der Hypo- physe in verschiedener Weise erfolgt. Nur war die Wirkung, wie er- Abb. 29. Wie in Abb. 21. + Thyreoideaopton 0,1 auf 50,0 Ringer. wähnt, nicht besonders konstant. Nehmen wir aber zu diesen Er- fahrungen die Tatsache hinzu, daß am Oesophagus des Frosches das Opton des Vorderlappens die entgegengesetzte Wirkung wie der Hypo- physenhinterlappen zeigt, so dürfte es als sehr wahrscheinlich anzu- sehen sein, daß Vorderlappen und Hinterlappen Inkrete produzieren, die in gewisser Hinsicht Verschiedenheiten aufweisen. Aus den Abb. 30 1) Abderhalden und Gellhorn |. c. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 263 und 31 geht nämlich hervor, daß das Opton des Hinterlappens eine Herabsetzung des Tonus bedingt, der nach Erneuerung der Ringerschen Flüssigkeit wieder zur Norm ansteigt. Das Opton des Vorderlappens hat hingegen eine Erhöhung des Tonus und Vergrößerung der Kon- Abb. 30. Wie in Abb. 21. +75 Opton des Vorderlappens der Hypophyse 0,05 auf 50,0 Ringer. +16 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb.31. Wie in Abb. 21. +13 Opton des Hinterlappens der Hypophyse 0,05. +1£ Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. traktionen zur Folge, wie besonders deutlich an einem nur sehr schlecht schlagenden Oesophaguspräparat (Abb. 30) hervortritt. Auch hier ist die Wirkung völlig reversibel, da nach Wechsel der Nährflüssigkeit nur ebenso minimale Kontrak- tionen beobachtet werden wie vor dem Versuch. Es erübrigt noch, die Ver- suche mit Övarialopton an- zuführen. Entsprechend der geringen, wenig charakte- ristischen Wirksamkeit dieses Optons am Herzen und Abb. 32. Wie in Abb. 21. +5 Ovarialopton 0,1 auf Froschauge konnte auch am 50,0 Ringer. Oesophagus keine starke Be- einflussung der Kontraktionen erzielt werden. In einem Teil der Versuche war keine Änderung des Tonus und der Pulsgröße festzustellen, in einigen anderen dagegen zeigte sich eine geringe, vorübergehende Herabsetzung des Tonus (Abb. 32). 18# \ 264 E.Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen Die Wirkung der Optone auf den überlebenden Uterus des Meerschweinchens. Bei unseren Versuchen über den Einfluß der Optone auf den über lebenden Uterus des Meerschweinchens hielten wir uns genau an die Vorschriften Fühners!), so daß ein weiteres Eingehen auf die Methodik vermieden werden kann. Zur Verwendung kamen nur virginelle Meer- schweinchen. Von besonderem Interesse war die Frage, ob die Optone des Vorder- und Hinterlappens der Hypophyse die bekannte erregende Wirkung auf die glatte Muskulatur des Uterushornes besitzen, die nach den Untersuchungen Fühners (l.c.) auch den enteiweißten Extrakten des Hinterlappens der Hypophyse zukommt. Unsere Versuche zeigten nun, daß die Optone beider Hypophysenlappen diese charakteristische Wirkung besitzen. Bei dem Vergleich der Abb. 33 und 34 könnte es scheinen, als käme dem Opton des Vorderlappens die stärkere Wirkung zu. Da aber die beiden Abbildungen von verschiedenen Präparaten herrühren und an demselben Präparat sichere Unterschiede hinsichtlich der Intensität der Wirkung zwischen dem Opton des Hypophysen- vorderlappens und dem des Hinterlappens nicht auftraten, ist die Ursache der verschieden starken Tonuserhöhung auf die ungleiche Erregbarkeit der Präparate zurückzuführen. Die erwähnten Versuche dürften deshalb von Wichtigkeit sein, weil über die Wirkung ent- eiweißter Vorderlappenextrakte bisher keine Versuche vorzuliegen scheinen. Biedl?) hat mit Extrakten aus dem Vorderlappen am Meer- schweinchenuterus Tonuserhöhung erzielt. Er hält es aber für möglich, daß die Wirkung durch geringe Beimengungen von Substanz aus dem Hinterlappen der Hypophyse verursacht sei. Nach unseren Versuchen kommt diese Deutung wohl deshalb nicht in Frage, weil dann der Hinterlappen eine viel stärkere Wirkung als der Vorderlappen hätte herbeiführen müssen, was, wie erwähnt, nicht der Fall war. Wir kom- men also zu dem Schluß, daß im Vorder- und Hinterlappen der Hypophyse nicht eiweißartige Substanzen vorhanden sind, die den Tonus des überlebenden Uterus erhöhen. Die weiteren Untersuchungen zeigten nun, daß auch den übrigen Optonen charakteristische Wirkungen am überlebenden Uterus zu- kommen. Nur gilt an diesem Organ die Zweiteilung der Optone nach ihrem Wirkungstypus, der sich bisher zum größten Teil hat nachweisen lassen, nicht mehr. Wir finden vielmehr, daß außer dem Hypophysis- opton noch Thyreoidea, Testis und Ovar eine Erhöhung des Tonus hervorrufen, während Thymus und Corpus luteum Abnahme des Tonus 1) Fühner, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 1, 397ff. 1913. ?) Biedl, Innere Sekretion. 3. Aufl. 1916. II. Teil. S. 148. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 265 erzeugen. Dabei zeigt sich im allgemeinen auch hier dieselbe Erschei- nung, die wir bereits bei den Untersuchungen am Oesophagus des Frosches erwähnten, nämlich die Parallelität von Tonusabnahme, Verkleinerung der Kontraktionen und Verminderung ihrer Frequenz. Abb. 33. Ringpräparat eines Uterushornes (virginelles Meerschweinchen). +7 Opton des”Hinter- lappens der Hypophyse 0,08 auf 9,0 Ringer. +8 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Bei Erhöhung des Tonus ist aber die Höhe der Kontraktionen meist vermindert, eine Erscheinung, die insofern leicht erklärlich ist, als wir ja aus den Untersuchungen über die Hypophyseninkrete wissen, daß diese bei stärkerer Konzentration unter völligem Verschwinden der einzelnen Kontraktionen zu starker Tonuserhöhung führen. Es sei Abb. 34. Wie in Abb. 33. +5 Opton des Vorderlappens der Hypophyse 0,08 auf 95,0 Ringer. +5 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. ferner betont, daß die Hypophysenoptone unter den erregend auf den überlebenden Uterus wirkenden Optonen bei weitem die stärkste Wir- kung aufweisen. Für die erregende Wirkung von Testisopton (Abb. 35), Ovarialopton (Abb. 36) und Thyreoideaopton (Abb. 37) findet sich in den beigegebenen Abbildungen je ein Beispiel. Die Herabsetzung des 266 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Weitere Studien über die v. einzelnen Organen Tonus durch Thymusopton illustrieren die Abb. 37a und 38. Dabei ist die Herabsetzung der Frequenz in Abb. 38 besonders deutlich. Endlich ist in Abb. 39 noch die Wirkung von Corpus-luteum-Opton wieder- gegeben. Man erkennt in dieser Figur besonders die Verkleinerung der Kontraktionen neben der Tonusverminderung deutlich. Aus allen Ab- bildungen geht ferner hervor, daß entsprechend den Befunden, die wir Abb. 35. Wie in Abb. 88. +3 Testisopton 0.1 auf 95,0 Ringer. +2 Wechsel der Ringerschen Flüssiekeit. +5 Nochmals Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb.37. Wiein Abb. 33. +1 Thyreoidenopton 0,1 auf 95,0 Ringer. +2 Wechsel d. Ringersch. Flüssigkeit. bereits am Froschherzen und Oesophagus gemacht haben, auch am überlebenden Uterus durch die Optone nur reversible Wirkungen hervorgerufen werden. Und zwar genügt in allen Fällen ein- oder mehr- maliges Wechseln der Nährflüssigkeit. Außer den zahlreichen Untersuchungen über die Wirkung der Hypo- physenextrakte auf den überlebenden Uterus, die, wie erwähnt, ebenso wie die tief abgebauten Optone eine Tonuserhöhung hervorrufen, findet sich in der Literatur noch eine Angabe von Fuchs!) über die Ein- wirkung von Schilddrüsenextrakten auf den Uterus. Auch dieser Autor konnte eine Tonuserhöhung feststellen. Soweit also eiweißhaltige mit eiweißfreien Organextrakten verglichen werden konnten, hat sich auch hier wiederum eine Übereinstimmung der Wirkung gezeist. Wir sehen 7 1) Zit. nach Biedl, Innere Sekretion. Berlin 1916. 3. Aufl. Bd. I. S. 265. hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. 267 in diesen Tatsachen in Verbindung mit den Versuchsergebnissen von Abderhalden!), Abelin?) und Romeis?) über die Wirkung eiweiß- freier Schilddrüsenextrakte eine weitere Stütze für die Annahme, daß die Inkrete der untersuchten Organe nicht Eiweißkörper sind, eine Vorstellung, von der der eine von uns (A.) seinerzeit ausgegangen ist und für die er die anderen eindeutigen Beweise an Hand der Kaul- Abb.37a. Wie in Abb.33. +4Thymusopton 0,1 auf 9,0 Ringer. +5 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb.38.Wie in Abb.33. + 1/Thymusopton 0,12 auf 9,0 Ringer. + [Wechsel der RingerschenFlüssigkeit. Abb. 39. Wie in Abb. 33. +6 Corpus-luteum-Opton 0,1 auf, 95,0 Ringer. +7 Wechsel der Rin- ? gerschen Flüssigkeit. quappenversuche zu erlangen vermochte. Wir setzen diese Unter- suchungen fort und werden in einer weiteren Mitteilung über ver- sleichende Versuche berichten, die einerseits mit durch Fermente und andererseits durch Einwirkung von Säure erhaltenen Abbaustufen aus bestimmten Organen durchgeführt worden sind. !) Abderhalden, Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 99. 1915 und 176, 256. 1919. Abderhalden und Schiffmann, Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 197. 1920. 2) Abelin, Biochem. Zeitschr. 80, 259. 1017. ?) Romeis, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 5, 99. 1916/17. 268 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Studien über die von einzelnen Organen usw. Zusammenfassung. 1. Die durch fermentativen Abbau der Organe erhaltenen Optone besitzen spezifische Wirkungen, die lediglich auf ihrem Gehalt an organischer Substanz einfacherer Natur beruhen. 2. Am Herzstreifen zeigen Corpus-luteum-, Testis- und Thymusopton neben einer negativ-inotropen Wirkung — in schwachen Konzentrationen wird durch Thymusopton aber Pulsvergrößerung hervorgerufen — auch eine Ver- langsamung der spontanen Kontraktionen. Diese treten auch an atropinisierten Streifen auf, fehlen aber an Herz- streifen, die noch mit dem Atrium und Sinusin Verbindung stehen, ebenso wie am Gesamtherzen, das als Straubsches Präparat untersucht wird. 3. Die Pulsverlangsamung läßt sich dureh Erneuerung der Nährflüssigkeit oder Zusatz von Bariumchlorid be- seitigen. 4. Die übrigen Optone zeigen nur eine geringe negativ- inotrope Wirkung, die der bereits am Gesamtherzen fest- gestellten analog ist. Eine Beeinflussung der Schlagfolge findet nicht statt. 5. Unterschiede zwischen ganglienzellreichen und gang- lienzellarmen (Herzspitze) Präparaten bestehen bezüglich der Wirkung der Optone nicht. 6. Am überlebenden Oesophagus wird durch Corpus- luteum-, Thymus- und Testisopton eine Erhöhung des Tonus mit positiv-inotroper und positiv-chronotroper Wirkung nach einem vorübergehenden Lähmungsstadium hervorgerufen. Hypophysis- und Thyreoideaopton zeigen hingegen eine geringe negativ-inotrope und negativ- chronotrope Wirkung. 7. Die isolierte Prüfung der Optone des Vorderlappens und Hinterlappens der Hypophyse ergibt, daß der erste erregend, der zweite hingegen lähmend auf die Automatie des Froschoesophagus wirkt. Ss. Am überlebenden Uterus des Meerschweinchens wird gezeigt, daß den Optonen des Vorder- undHinterlappens der Hyperphyse eine erregende, den Tonus erhöhende Wirkung zukommt. Ferner wirken im gleichen Sinne nur schwächer die Optone der Thyreoidea, des Testis und des Ovars, wäh- rend Corpus Juteum und Thymus den Tonus vermindern. Beiträge zur Physiologie der Leber. III. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Glykogenmast. Von P. Junkersdorf. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bonn.) (Eingegangen am 17. Januar 1921.) Zur richtigen Beurteilung gewisser Fragen des Kohlenhydratstoff- wechselsistdie KenntnisdesGesamtglykogengehaltesresp. einesmöglichen Maximalwertes, insbesondere der Leber als Hauptglykogendepot und Regulierungsorgan des Kohlenhydratstoffwechsels unbedingt erforderlich. Dies veranlaßte bereits Schöndorfft), zu diesem Zwecke Versuche an Hunden anzustellen; er fütterte die Tiere mit reichlich Fleisch, Kartoffeln, Reis und Rohrzucker, weil zu erwarten war, daß bei Verab- reichung größerer Mengen von Fleisch neben Kohlenhydraten der srößere Teil des Stoffwechsels vom Eiweiß bestritten und das aufgenom- mene Kohlenhydrat als Glykogen angesetzt würde. Auf diese Weise erzielte er als Höchstwert für die Hundeleber 18,96%, womit er den bis dahin von Pavy?) beobachteten von 12,6%, noch übertraf. Von anderen Autoren waren — was vergleichsweise angeführt werden soll — schon früher gelegentlich gefunden worden: Beang Huhn! von’ Otto®.:.... ... zı0 25.2 12.2719830% BEE RKGminchen) von Otto2).. 2 1. 21 221 2772016,39%% BeigderkGanssvonVoit2) . ... 22. ..0220222510,5% und beim Frosch von Mangold®) . . . . . . . 20,16% In eigenen Versuchen erhielten wir als Höchstwert für die Hunde- leber 16,47%. In Anbetracht der Ergebnisse, die wir unter Berücksichtigung des Lebergewichts, des Glykogen-, Fett- und Wassergehaltes bezüglich des 1) B. Schöndorff, Über den Maximalwert des Gesamtglykogengehaltes von Hunden. Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 191. 1903. :2) Pavy, The Physiology of the Carbohydrates. London 1894, S. 127. 3) Voit, C., Über die Glykogenbildung nach Aufnahme verschiedener Zucker- arten. Zeitschr. f. Biol. 28, 253: 1891. Sa Vloit, Crlz cc. ®) Voit, E., Die Glykogenbildung aus Kohlenhydraten. Zeitschr. f. Biol. 25, 546. 1889. 6) Mangold, E., Über den Glykogengehalt der Frösche. Arch. f. d. ges. Physiol. 121, 309. 1908. 270 | P. Junkersdorf: Verhaltens der Leber im Hunger!) und bei einseitiger Er- nährung mit Eiweiß?) gewonnen haben, dürfte es sich verlohnen, auch die auf Glykogen gemästete Leber einmal in dieser Be- ziehung, näher zu untersuchen. Da uns für diese Zwecke, um ein einwandfreies Urteil zu ermöglichen, zu wenige eigene Versuche zur Verfügung stehen, sei es uns gestattet, Versuchsresultate Schöndorffs3), die in dieser Beziehung noch nicht verwertet sind, hierfür mit heranzuziehen. Aus unseren und Schöndorffs Versuchen ergeben sich nun wieder- um eigenartige Befunde im Verhalten der Leber. Die untenstehende Tabelle bietet eine Übersicht über diese Verhältnisse. Wir beginnen mit der Erörterung des Wassergehaltes der Leber. In unseren Versuchen entspricht im einzelnen Fall einem höheren Glykogengehalt ein niedrigerer Wassergehalt und umgekehrt. Tabelle Hunde mit Glykogenmast?). ER: SEN] A en] Bon|: HH : „ | Leberprozente des |2 „ Glykogen- IS s3ä Ss IE = a ERS Sie Körpergewichts der|2 & "| gehalt in [= 28 = 5 5 Ss2|€852|<> ee en See] Nr. = a a E Bi & E = BR en ©5 2 5 = = | Bemerkungen 3a ro 3 | 5 = | rischen: Ti eien Si 7 | Leber u es = kg | kg | | | ee on las a | : a) Eigene Versuche. 140 | 20,4 |18,4 |21,7 3,96 | 3,31 [34,0 116,47/0,81| 6,06 N 4 Tage Hunger, 4 Tage 141 16,1°14,6. 152 192,967 2,72 301 1 F7320,93 Mast. Mittel: | | | | 3,46 | 3,02 |32,05|11,88|0,87| 9,64 b) Schöndorffs Versuche. UBER I 0 | = a 8 7,0 — [18,69|2,54]| — I a ee ae — ee el \ || 6,2 zu 008 8,23 6,88 — |16,38|3,27 Er Fleisch, Reis, Kartoffeln, VDE ee 0 7810 4,06 365.1 — | 9892,53] Rohrzucker. ua ein A 2 = VII — | 5,87| 6,8 7 6,12 | — ]|14,99 — = : Rn I ı I 16 Tage Fl h-Reisfüt- 1 100 | — 120 | 267 255 | — | 435072] — 1 terms 14 Tue Pferde 1 153,05) — [60,65] 2,49 200 E76 OF fleisch, 9 Tag. Fleisch-Reis. Mittel:140,141u.IHb.VIH| 6,58 558 | — [1352 — | — nn 1007 Iors WAHRE 14,05 Hund 140: Glykogengeehalt 16,2 — Wassergehalt 66,0 °/, Hund 141: Glykogengehalt 7,3 — Wassergehalt 69,9 °), !) Junkersdorf, P., Beiträge zur Physiologie der Leber. I. Mitteilung Das Verhalten der Leber im Hungerzustande. Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 238. 2) Junkersdorf, P., Beiträge zur Physiologie der Leber. II. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei einseitiger Ernährung mit Eiweiß. Arch. f. d. ges. Physiol. 156, 254. 3) Schöndorff, B., 1. ce. ...°) Die Versuchsprotokolle siehe für Versuch Nr.140 u. 141 in unserer Arbeit: Uber die Muttersubstanzen des Glykogens. Arch. f. d. ges. Physiol. 131, 202, für Versuch Nr. I—-VIH, bei Schöndorff,. ce. Beiträge zur Physiologie der Leber. II. 271 In beiden Versuchen ist der Wassergehalt geringer als der Norm entspricht. Bei Hund 140 enthält die Leber sogar nur 66%. In Schöndorffs Versuchen wurde der Wassergehalt nicht be- stimmt. . Auch der Antagonismus im Glykogen- und Fettgehalt der Leber findet sich bei der Glykogenmast bestätigt und tritt hier besonders deutlich hervor. Hund 140 mit 16,47% Leberglykogen weist einen Fettgehalt der Leber von 6,06%, also einen geringeren wie den nach der längsten Hungerperiode!) beobachteten auf, während bei Hund 141 mit relativ geringem Glykogengehalt der Leber, 7,3%, noch 13,22%, Fett auf Trockensubstanz berechnet festgestellt wurden. Man wird also annehmen müssen, daß bei Zunahme des Glykogens das Fett aus der Leber in andere Fettdepots auswandert. Da Schöndorffs Versuchstiere nicht alle in ee Weise vor- behandelt waren, können nur seine Versuche III bis VIII zunächst für unsere Zwecke herangezogen werden. Die Art und Weise der Vorbe- handlung war in diesen Fällen die gleiche wie bei uns, nur daß unsere Tiere 4 Tage hungerten und 4 Tage gemästet wurden, während Schön - .dorffs Hunde 8 Tage hungerten und 8 Tage gefüttert wurden. Was nun neben dem hohen Gehalt der Leber an Glykogen, der im Mittel bei uns 11,88% (Höchstwert 16,47%), bei Schöndorff 14,05% (Höchstwert 18,69%) beträgt und im Mittel aus unseren und Schön - dorffs Versuchen zusammen sich zu 13,52% berechnet, an erster Stelle auffällt, das sind die großen Unterschiede im Glykogen- sehalt der Leber beim Vergleich der einzelnen Versuche unter- einander. Trotzdem Schöndorffs Tiere 8 Tage, also doppelt so lange: wie unsere, gemästet wurden, bieten 5 derselben einen geringeren Glykogen- gehalt als unser Hund 140. Die Leber von Hund 141 mit nur 4tägiger Mast enthält relativ wenig Glykogen, 7,3% ; doch findet sich auch unter Schöndorffs Versuchen derselbe Prozentgehalt trotz doppelt so langer Mast. Weiter geht aus der Übersicht hervor, daß im allgemeimen einem hohen Glykogengehalt der Leber auch ein hohes Lebergewicht im Ver- hältnis zum Körpergewicht entspricht, aber nicht so, daß dem höchsten Glykogengehalt auch das höchste relative Lebergewicht und dem niedrigsten das niedrigste entspricht: Das Lebergewicht steigt nicht dem Glykogengehalt propertional an beim Vergleich der verschiedenen Versuche untereinander; das beobachtete höchste rela- tive Lebergewicht ist 12,43%, bei einem Glykogengehalt von 17,1%, während dem beobachteten höchsten Glykogengehalt von 18,69%, ein 1) Siehe I. Mitteilung 1. c. 202 P. Junkersdorf: relatives Lebergewicht von ‚nur 8,6% gegenübersteht. Bei sehr hohem Glykogengehalt kann das Lebergewicht sogar relativ klein sein (Hund 140: Leberglykogengehalt 16,47, relatives Leber- gewicht 3,96%) und umgekehrt kann bei einem relativ niedri- sen Glykogenbestand das Lebergewicht relativ groß sein (Versuch VII: Leberglykogengehalt 7,3%, relatives Lebergewicht 5,1%). Das hohe Lebergewicht in diesen Versuchen ist nun ebenso wie in unseren Versuchen mit reiner Eiweißmast!) nicht allein durch den Glykogengehalt, auch wenn derselbe noch so hoch ist, zu erklären. Berechnet man es nämlich hier wie dort mit der glykogenfreien Leber, so erhält man als Mittel aus allen 8 Versuchen 5,58% gegen 6,58%, mit der frischen glykogenhaltigen Leber berechnet. Bei den einzelnen Versuchen liegt der Wert mit Ausnahme unserer beiden (Hund 140 — 3,31% und Hund 141 —2,47%) weit über dem als Normalwert?) angenommenen von 3,3%; er beträgt bei Versuch IV sogar 10,41%. Was läßt sich nun hier zur Erklärung der so hohen rela- tiven Lebergewichtswerte anführen? Der niedrige von uns beobachtete Wassergehalt der Leber schließt die Anrechnung des Wassers auf die Lebergewichtszunahme wenigstens für unsere Versuche aus. Nun findet man im Gegensatz hierzu die Annahme vertreten, daß die Glykogenanhäufung in der Leber bei der Glykogenmast mit einer Zu- nahme des Wassergehaltes einhergeht, weil die Ablagerung von Glyko- gen in den Zellen nicht wie bei Fett in Form einer trockenen wasser- freien Masse, sondern wahrscheinlich in gequollenem Zustande erfolgt IN. Zuntz3)]. Selbst wenn dies zutrifft, wird der Wassergehalt der Leber, ebenso wenig wie nach den obigen Darlegungen der Glykogengehalt, für die Gewichtszunahme eine Erklärung zu geben imstande sein. Wenn man z. B. indem Versuch von Schöndorff mit dem höchsten relativen Leber- gewicht von 12,43%, die absolute Glykogenmenge der Leber von 155,4 vom absoluten Lebergewicht mit 909 g abzieht, so bleibt als Gewicht für die glykogenfreie Leber 763 g, und als relatives Lebergewicht er- hält man, wie schon gesagt, statt 12,43%, — 10,41%. Nimmt man nun an, daß trotz der leichten Löslichkeit des Glykogens die dreifache Menge des absoluten Glykogengehaltes, also rund 450 & Wasser zur ‚Auf- quellung‘“ des Glykogens retiniert würden, so bliebe nach Abzug dieser 450 g Wasser von dem Gewicht der glykogenfreien Leber noch ein !) Junkersdorf, P., Beiträge zur Physiologie der Leber. 1]. Mitteilung. 1. c. 2) Siehe I. Mitteilung 1. c. 3) A. Magnus-Levy, Artikel: Die Kohlenhydrate im Stoffwechsel S. 313 im Handbuch der Biochemie des Menschen und der Tiere, herausgegeben von C. Oppenheimer Bd. 4, 1. Teil. Siehe auch: Handbuch der Pathologie des Stoff- wechsels, herausgegeben von Carl von Noorden, S. 447. Berlin 1906. Verl. von Aug. Hirschwald. IS) Beiträge zur Physiologie der Leber. III. 273 absolutes Lebergewicht von 303,6 g. Hieraus ergibt sich als relatives Lebergewicht 4,18%, also ein Wert, der immer noch beträchtlich über dem Durchschnittswert liest und der mithin sicher nicht durch den Wassergehalt der Leber bedingt sein kann. Experimentell fundierte Angaben über den Wassergehalt der Leber bei Glykogenmast fanden wir nur bei Fischer!). Fischer stellte auf Gürbers Veranlassung diesbezügliche Versuche an Kaninchen an. Da die Resultate der Untersuchungen in die Literatur übergegangen, aber nicht einwandfrei sind, und weil die ganze Frage für die Entschei- dung mancher anderer Probleme der Leberphysiologie von Bedeutung und auch für unsere Darlegungen von Wichtigkeit ist, so soll des nähe- ren darauf eingegangen werden. F. fand zunächst bei ursprünglich gleich schweren und gleich ernähr- ten Kaninchen, von denen die einen hungerten, die anderen auf Glyko- sen gefüttert wurden, eine Gewichtszunahme der Leber der gemästeten Tiere durch die Glykogenablagerung, ‚die nur zum kleinsten Teil auf das Gewicht des abgelagerten Glykogens selbst bezogen werden kann, zum größten Teil aber durch Stoffe bewirkt sein muß, deren Natur wir vorläufig noch nicht kennen“. Um diese fraglichen Stoffe zu ermitteln, bestimmte er in weiteren Versuchen außer dem Glykogengehalt auch die Trockensubstanz, den Eiweißgehalt, die Ätherextraktivstoffe, die Asche und den Wassergehalt der Lebern. Er vergleicht dann die Be- funde von Tieren, „die bei gleicher Konstitution und gleicher Ernäh- rung auch gleiches Körpergewicht zeigen“, weil er glaubt annehmen zu dürfen, „daß das Lebergewicht und die Zusammensetzung der Leber beim Beginn der Versuche eine gleichwertige gewesen sei“. Auf Grund der Gewichts- und Analysenbefunde der Lebern je zweier Versuchstiere kommt er zu dem Resultat, daß der weitaus größere Teil der Leberge- wichtszunahme des auf G!ykogen gefütterten Tieres im Vergleich mit dem nicht auf Glykogen gefütterten Tier durch einen größeren Wasser- gehalt bedingt sei, weil die Gewichtsdifferenz der beiden Lebern, die sich nur zum Teil aus der Zunahme der Trockensubstanz der schwereren Leber ergibt, nicht ausreicht, zur Erklärung der Gewichtsunterschiede der frischen Lebern. Als Beispiel seien seine Versuche X und XIII angeführt, die er in dieser Beziehung miteinander vergleicht: „Beide Tiere zeigten ursprünglich ein fast gleiches Körpergewicht, das eine 2470 g, das andere 2360 8... Das eine wurde nach 8 Tagen bei einem Körpergewicht von 1730 g durch Verbluten getötet. Seine Leber wog 40 g und war glykogenfrei. Das andere Tier fütterte ich nach 8 Tagen Hungerszeit 3 Tage mit zuckerreichen Rüben, wobei das Kör- pergewicht wieder auf 2020 & stieg. Die Leber dieses Tieres wog 98 g 1) Fischer, R., Über die Beziehungen zwischen Lebergewicht und Glykogen- gehalt. Inaug.-Diss. Würzburg 1895. * 274 P. Junkersdorf: und enthielt 11,5 g Glykogen. Die Gewichtsdifferenz beider Lebern beträgt sonach 58 g. Die Differenz der Trockensubstanz ist rund 22 8. Davon entfallen auf das Glykogen 11,5 g; es bleibt zur Deckung durch andere Stoffe nahezu eine gleich große Menge. Im Eiweißgehalt sind beide Lebern nahezu gleich; dagegen enthält die glykogenreiche Leber 9 & mehr Ätherextraktivstoffe und ein geringes Mehr Salze, so daß sich aus dem Mehrgewicht an Glykogen, an Extraktivstoffen und an Asche die Gewichtsdifferenz der Trockensubstanz beider Lebern zusammensetzt. Der Mehrgehalt der Trockensubstanz der glykogenreicheren Leber be- trägt jedoch auch in diesem Falle nur etwas mehr als 1/, der Gewichts- differenz der beiden Lebern. Auch hier ist es das mit dem Glykogen in die Leber aufgenommene Wasser, das den Großteil der Gewichtsdifferenz beider Lebern ausmacht.“ - Ganz abgesehen davon, daß es nicht angängig ist, die Lebern zweier auch ursprünglich gleich schwerer Tiere als gleich schwer anzunehmen, beruhen die Schlüsse, die F. aus seinen Analysenergebnissen ‚‚mit absoluter Sicherheit‘ zieht, wohl auf falschen Überlegungen. Wenn man nämlich mit seinem Zahlenmaterial den Wassergehalt im einzelnen Fall berechnet, trifft das gerade Gegenteil von dem zu, was er glaubt bewiesen zu haben. Man erhält dann in seinen Versuchen bei den Tieren mit hohem Leberglykogengehalt durchgehends einen geringeren Wassergehalt als in den Versuchen mit „glykogenfreien‘ resp. glykogen- armen Lebern. So errechnet sich zum Beispiel in den oben angeführten Versuchen X und XIII bei Tier X, das „kein“ Glykogen in der Leber aufweist, der Wassergehalt zu 73,18%, dagegen bei Tier XIII mit einem Leber- glykogengehalt von 12,3% zu nur 66%. Auch in den anderen hier nicht angeführten Versuchen entspricht einem höheren Glykogen- ein niederer Wassergehalt und umgekehrt, wenn die Werte für den einzelnen Fall berechnet werden. Auch Versuche von Bleibtreu!) können in dieser Beziehung ver- wertet werden. Bleibtreu, der Glykogenbestimmungen an Eskulenten und Temporarien ausführte, fand, wie ‚schon in einer früheren Mit- teilung?) erwähnt, bis zu 50% der Trockensubstanz Glykogen in der Froschleber. Aus den sonstigen Analysenresultaten berechnet sich als mittlerer Glykogengehalt der Lebern — aus den vier Versuchsreihen zu je 10 Tieren — 46,64%, in bezug auf die Trockensubstanz der Leber und als Durchschnittswassergehalt 69,28%. 1) Bleibtreu, Über Reservestoffe im tierischen Organismus, insbesondere über die in der Leber angehäuften Reservestoffe der Greifswalder Herbstfrösche im Jahre 1907. Sonderabdruck der Mitteilungen aus dem naturwissenschaftlichen Verein für Neupommern und Rügen. Greifswald 1908. ?) Mitteilung I: Das Verhalten der Leber im Hungerzustande 1. c. Beiträge zur Physiologie der Leber. II. 275 Mithin bieten sowohl Fischers Versuche an Kaninchen als auch Bleibtreus Resultate an Fröschen eine Bestätigung unseres Ergeb- nisses an Hunden, daß ein hoher Glykogengehalt der Leber niehtaucheinen hohen Wassergehalt bedingt, daß im Gegen- teil bei hohem Glykogengehalt der Wassergehalt sogar unter der Norm liegen kann. Es bleibt demgemäß, da auch der Wassergehalt nicht für die Erklärung des abnorm hohen relativen Lebergewichtes bei der Gly- kogenmast in Frage kommt, nur die Annahme übrig, daß außer dem Glykogen Eiweiß in irgendeiner Form hierfür in Anrechnung zu setzen ist. In Analogie zu unseren Beobachtungen in den Versuchen mit ausschließlicher Eiweißzufuhr!) werden wir auch bei der Glykogen- mast als Folge der Kombination der verfütterten Nahrungsstoffe, insbesondere aber durch den beträchtlichen Eiweißgehalt des Nah- rungsgemisches eine erhöhte Inanspruchnahme der Leber- zellen und dadurch bedinst (Reizwirkung Pletnewst)] einen An- satz von Leberzellenprotoplasma für vorliegend erachten dürfen und außerdem wird hier wie dort, jenach dem Zustand der Leber (Vorrat an Reservematerial u. dgl. mehr) und den obwaltenden Bedürfnissen der übrigen Körperzellen an Nährstoffen auch wohl eine mehr oder weniger ausgeprägte Ablagerung von Eiweiß (Zelleinschluß- eiweiß, Reserveeiweiß) wahrscheinlich sein. (Man vergleiche die dies- bezüglichen Ausführungen in Mitteilung IL, S. 257 ff.) Die Untersuchungen von Berg?) über den histologischen Nachweis von Reserveeiweiß in den Leberzellen nach Eiweißzufuhr, die wir in unserer früheren Mitteilung als beweisend für eine Eiweißspeicherung heranzogen, wurden mittlerweile — was bei dieser Gelegenheit noch angeführt sein soll — von Stübel?) an Ratten nachgeprüft. Er konnte bei reichlich mit Eiweiß gefütterten Tieren die von Berg be- schriebenen Produkte der Eiweißspeicherung mit derselben Färbe- methode nachweisen und außerdem zeigen, daß bei nachfolgendem Hunger charakteristische Veränderungen an den ‚Eiweißschollen‘ sich in dem Sinne bemerkbar machen, daß die Eiweißschollen immer spär- licher und immer kleiner wurden. Diese unsere Annahme, daß die Leber unter bestimmten Bedingun- sen Eiweißverdauungsprodukte in irgendeiner Form zurückbehält — ansetzt, umsetzt oder ablagert — findet auch eine gewisse Bestätigung 1) Siehe Mitteilung IT 1. c. 2) W. Berg, Über den mikroskopischen Nachweis der Eiweißspeicherung in der Leber. Biochem. Zeitschr. 61, 428. 1914. ®2)HansStübel, Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 74. 276 P. Junkersdorf: durch Versuche, die ganz neuerdings von Widal, Abrami und Jan- covesco!) veröffentlicht wurden und die wir bei dieser Gelegenheit, da sie uns für die Beurteilung der Anteilnahme der Leber am Eiweiß- stoffwechsel sehr wichtig erscheinen, in diesem Zusammenhang an- führen wollen. Die Verfasser beobachteten, daß nach Injektion von mindestens 5mg Handelspepton pro Kilogramm Gewicht beim Hund Leukopenie, Blut- drucksenkung und Veränderung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes eintritt. Sie bezeichnen diese Blut- und Gefäßveränderungen als ‚‚hämo- klastische Krise“. Da nach Nolf, wie sie angeben, zur Hervorrufung der hämoklastischen Krise Dosen von über 500 mg Aminosäuren er- forderlich sind, da fernerhin bei hungernden Hunden Portalblut in die V. cava übergeleitet, oder in periphere Venen injiziert werden kann, ohne daß die genannten Erscheinungen eintreiten, andererseits aber die hämoklastische Krise jedesmal zutage tritt, wenn man 1—3 Stunden nach reichlicher Eiweißfütterung das Portalblut in die Cava überleitet oder peripher injiziert, 4—5 Stunden nachher dagegen nicht mehr, so schließen sie daraus, daß das Portalblut im Beginn der Resorption höhere Abbauprodukte des Eiweißes enthalten müsse. Da nun beinormaler Verdauung die hämoklastische Kriseausbleibt, so ist nach ihrer Ansicht dies nur dadurch zu erklären, daß die Leber diese Verdauungsprodukte normalerweise fixiert oder verändert. Sie bezeichnen diese Eigenschaft der Leber als proteopektische resp. proteo- phylaktische Funktion und sie glauben, was nebenbei erwähnt werden soll, auf Grund von Beobachtungen am Menschen?) mit Lebereirrhose, Neoplasma der Leber u. dgl. mehr die Verdauungshämoklasie als Diagnostikum für die Insuffizienz der Leber verwerten zu können. Mit der Erklärung der hämoklastischen Krise nach reichlicher Eiweißfütterung durch Resorption höherer Abbauprodukte des Eiweißes im Beginn der Resorption wird man sich ohne weiteres einverstanden erklären können. Wir werden in einer folgenden Mitteilung Gelegenheit nehmen zu zeigen, daß sich durch diese Annahme noch an- dere Erscheinungen (spezifische Wirkung ‚unphysiologischer‘ Abbau- produkte auf den Chemismus der Leberzellen) erklären lassen, wodurch !) F. Widal, P. Abrami et M. N. Jancovesco: Possibilite de provoquer la crise hemoclasique par injection intra-veineus du sang portal recueilli pendant la periode digestive. Action du foie sur les proteides de derintegration incomplete provenant de la digestion et charries par la veine porte. Compt. rend. hebdom. des seances de l’acad. des sciences. Bd. 171, Nr. 2, S. 74. 1920. Zit. nach Be- richten aus d. ges. Physiol. u. experim. Pharmak. 3, H. 6/8, S. 458. 2) F. Widal, P. Abrami et N. Jancovesco: L’&preuve de l’hemoclasie digestive dans l’etude de l’insuffisiance h&patique. Compt. rend. hebdom. des seances de l’acad. des sciences 191. Nr. 3, S. 148. 1920, zit. nach Berichten aus d. ges. Physiol. u. experim. Pharmak. 3, H. 6/8, S. 459. Beiträge zur Physiologie der Leber. III. Dan der Symptomenkomplex der hämoklastischen Krise noch erweitert werden könnte. Nicht berechtigt ist es u. E. dagegen, das Ausbleiben der hämoklastischen Krise bei normaler Verdauung dahin zu deuten, daß die Leber normalerweise höhere molekulare Abbauprodukte der Eiweißkörper zurückbehalte; wir sind vielmehr der Ansicht, daß bei normaler Verdauung, wie sie bei gewöhnlicher nicht überreich- licher Eiweißkost erfolgt, der Leber überhaupt keine derartigen Spaltungsprodukte zugeführt werden, daß diese vielmehr nur bei über- reichlicher Nahrungszufuhr besonders einseitiger Eiweißnahrung als ‚un- physiologische“ Abbauprodukte entstehen und dann den Symptom- komplex der hämoklastischen Krise auslösen, während normalerweise der Abbau der Eiweißstoffe bis zu den Bausteinen, den Aminosäuren, erfolgt. Im übrigen bieten aber, wie gesagt, die Beobachtungen der ge- nannten Forscher eine gewisse Stütze für unsere Deutung der Leber- gewichtszunahme durch Retention von Eiweißabbaumaterial nach über- reichlicher Eiweißzufuhr. Was die so beträchtliche Anhäufung von Glykogen in der Leber betrifft, so wird dieses, wie schon eingangs erwähnt, wohl ausschließ- lich aus dem Kohlenhydrat der Nahrung entstanden sein, da ja erfah- rungsgemäß der Stoffwechsel bei dieser Zusammensetzung des Nahrungs- gemisches zum größten Teil vom Eiweiß bestritten wird, so daß das Kohlenhydrat zur Glykogen- resp. Fettbildung zur Verfügung steht. Aus der bei der Glykogenenart in die Erscheinung tretenden Leber- gewichtszunahme können wir nun auch noch, was besonders hervor- gehoben zu werden verdient, Schlüsse ziehen, die für die allgemeine Stoffwechselphysiologie in mancher Beziehung von Bedeutung sind. Wenn in der Größenzunahme eines Organs die Anpassung an die funktionelle Inanspruchnahme zum Ausdruck kommt, so bietet wohl die Zunahme des Lebergewichts um das drei- bis vierfache hierfür ein äußerst prägnantes Beispiel. Das Verhalten der Leber bei der Glykogenmast gestattet es uns nun sogar im einzelnen die Bedingungen in stoffwechselphysiologischer Hinsicht zu ermitteln, unter denen diese Anpassung zustande kommt. Wir vermögen anzugeben, daß, abgesehen von Einflüssen der Art, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Kör- pergröße u. dgl. mehr ein einzelner Nahrungsstoff wie Eiweiß, in be- stimmter Menge allein oder mit bestimmten Kohlenhydraten kombi- niert gegeben, charakteristische Folgeerscheinungen im Verhalten der Leber auslöst: Die Leberzellen werden je nach der Art und Menge der zugeführten Stoffe unter den jeweiligen Bedingungen in spezifischer Weise beansprucht, ihr Chemismus beeinflußt und hierdurch die Ge- samtleber morphologisch verändert, wie dies in der Größenzunahme des Organs in unserem Falle zum Ausdruck kommt. _ Pflügers Archiv f. d. ges, Physiol. Bd. 187. 19 278 P. Junkersdorf: Daraus erklären sich auch die bisher schon des öfteren!) erwähnten individuellen Unterschiede in der Lebergröße, dem Lebergewicht und damit im Eiweiß-, Glykogen-, Fett- und Wassergehalt der Leber, die wir bei Versuchstieren immer antreffen, und für die außerdem eben- falls Einflüsse von Rasse u. a. m. mit verantwortlich zu machen sind. Auch sie sind zweifellos hauptsächlich durch die Zusammensetzung und Menge der Nahrung begründet. So wird das niedrige relative Lebergewicht in unseren beiden Ver- suchen wohl sicher dadurch bedingt sein, daß unsere Tiere nur 4 Tage ge- mästet wurden, wahrscheinlich hätte die Leber bei längerer Mast ent- sprechend an Gewicht zugenommen resp. sich in ihrer chemischen Zu- sammensetzung verändert. Aber nicht nur die Art und Menge der ang auch der jeweilige Zustand der Leber selbst, ihr Vorrat an Reservematerial u. a. m. sowie der Bedarf der übrigen Körperzellen an Nährstoffen und außer- dem natürlich die Lebensweise (Arbeit usw.) sind bei der individuell verschiedenen Größenzunahme der Leber mit im Spiele. Das kommt in den Versuchen I und II von Schöndorff, die wir in unseren bisherigen Darlegungen nicht berücksichtigt haben, weil die Tiere vor und während des Versuches anders behandelt wurden, deut- lich zum Ausdruck. Sie weisen trotz langdauernder Mast den niedrig- sten Wert für das relative Lebergewicht, durchschnittlich nur 2,58%, und den niedrigsten Glykogengehalt, im Mittel 5,97% im Vergleich mit den bisher besprochenen Versuchen auf. Dies wird seinen Grund wohl mit darin haben, daß diese Tiere vor Beginn der Mast keine Hunger- periode durchmachten; die Leber resp. dis Leberzellen waren beim Eintritt in den Versuch mithin in einem ganz anderen Zustand als die Leber der übrigen Tiere. Eine Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten der Leberzellen unter bestimmten Zuständen zu geben, ist natürlich auf Grund des vor- liegenden Tatsachenmaterials vor der Hand nicht möglich. Vielleicht sind die durch voraufgegangene Karenz an Reservestoffen verarmten Zellen eher imstande, den durch die ungewohnte und überreiche Zu- fuhr von resorbiertem Nährmaterial an sie gestellten Ansprüchen ge- recht zu werden und es speziell in Glykogen überzuführen als die noch mit Vorratsstoffen beladenen und vielleicht dadurch in ihrer Funktion in etwa behinderten Leberzellen. Aber auch dann bleibt es unaufge- klärt, was im letzteren Falle mit dem übermäßig gefütterten Material geschieht, man findet es nicht als Glykogen an anderen Stellen des Kör- pers — der Glykogengehalt der Muskulatur ist ebenfalls geringer —; man könnte in diesem Falle höchstens eine Umformung in Fett annehmen, aber dafür fehlen, wie gesagt, die experimentellen Unterlagen. Auf !) Mitteilung Iu. II 1. c. Beiträge zur Physiologie der Leber. II. 279 jeden Fall müssen wir uns einstweilen mit der Tatsache abfinden, auf die schon von Voit!) und Schöndorff?) aufmerksam gemacht wurde, daß eine vor Beginn der Glykogenmast überstandene Hun- gerperiode begünstigend auf die Glykogenanhäufung wirkt und somit auch zu einer Größenzunahme der Leber beiträgt. Der relativ geringe Glykogengehalt der Leber in den beiden Ver- suchen von Schöndorff soll nun auch darin begründet sein, daß die Reisstärke, die als einziges Kohlenhydrat gegeben wurde, ein schlechte- rer „G!ykogenbildner“ ist als Kartoffelstärke und Rohrzucker, die in den übrigen Mastversuchen mit Reisstärke zusammen gegeben wurden. Wenn das wirklich der Fall ist, so wäre gerade dies ein ausgezeichneter Beleg; für unsere Behauptung, daß ein ganz bestimmter Nahrungsstoff ausschlaggebend sein kann für die Ausbildung und Funktion eines Organs wie der Leber. Auch Beobachtungen, über die wir in einer folgenden Mitteilung berichten werden, wonach Eiweiß unter bestimmten Bedingungen die Bildung von G!ykogen aus gleichzeitig verabfolgten geringen Mengen von Kohlenhydraten zu beeinträchtigen, resp. die Anhäufung von G’ykogen in der Leber nach voraufgegangener Giykogenmast stark zu reduzieren imstande ist, zeigen deutlich, daß die Größe der Leber und ihre chemische Zusammensetzung ausgesprochen einmal von der Art und Menge der jeweils verabfolgten Nahrung oder, genauer gesagt, von bestimmten Stoffen, die spezifisch auf den Chemismus der Leber- zellen wirken, abhängig ist, daß aber andererseits hierbei auch der Zu- stand der Leber selbst wesentlich mitbestimmend ist. Wenn nun aber auch die Verdauungsorgane und insbesondere die Leber sich den jeweiligen an sie gestellten Anforderungen und Verhält- nissen für gewöhnlich anzupassen vermögen und sich sogar einer Über- schwemmung mit Nahrungsstoffen wie bei der Glykogenmast in ihrer Leistungsfähiskeit sowohl morphologisch (Größenzunahme) als auch funktionell (Chemismus) gewachsen zeigen, so wird man die Glykogen- mast in extremster Form doch wohl kaum noch als einen rein physiologischen Vorgang ansprechen dürfen. Schon allein die ganz abnorme Größenzunahme des Organs spricht dagegen. Aber auch noch andere Gründe lassen sich dafür anführen. Bereits bei Gelegenheit der Besprechung der Versuche mit ausschließlicher Eiweißzufuhr deuteten wir darauf hin, und wir werden demnächst in anderem Zusammenhang darauf näher eingehen, daß wahrscheinlich der Abbau der Eiweiß- körper im Verdauungstraktus bei überreicher Nahrungszufuhr nicht so durchgreifend und quantitativ bis zu den letzten Bau- steinen erfolgt wie normalerweise und daß durch Resorption von DaVoit, B., 1. c. 2) B. Schöndorffl. c. 197 280 P. Junkersdorf: evtl. „unphysiologischen“ höheren Abbauprodukten wenig- stens, was das Verhalten der Leber angeht, „unphysiologische“ Folgeerscheinungen der verschiedensten Art sich bemerkbar machen können. | Weitere Versuche, insbesondere solche mit langausgedehnter Glyko- genmast, die wir uns vorbehalten, werden sicher noch über manches Unklare in dieser Beziehung Aufschluß geben und wahrscheinlich uns einen tieferen Einblick in die besprochenen Verhältnisse gestatten. Unseres Erachtens sind manche der von uns angedeuteten Gesichts- punkte bisher in der experimentellen Stoffwechselphysiologie nicht immer in dem Maße berücksichtigt worden, wie wohl nötig ist. Vor allem erscheint uns noch erwähnenswert, daß außer der Art und Menge der im Versuche selbst verabfolgten Nahrung auch der Ernährungs- zustand, also die etwaige Kenntnis der Menge der Reservestoffe, und die Ernährungsweise des betreffenden Versuchstieres vor Beginn des eigentlichen Versuches für die Beurteilung des Versuchsergebnisses von weittragender Bedeutung sein kann. Wer durch Anstellung von Versuchen an umfangreichem Tiermaterial verschiedener Herkunft hierüber Erfahrungen gesammelt hat, wird dies ohne weiteres bestätigen müssen. Gerade die Gewöhnung an eine qualitativ und quantitativ bestimmt zusammengesetzte Nahrung vor Eintritt in den Stoffwechselversuch und die dadurch bedingte Einstellung und Anpassung des Versuchstieres an diese Ver- hältnisse können durch einen p/ötzlich einsetzenden Übergang zu einer ungewohnten Ernährungsweise während des Versuches das nun einsetzende Stoffwechselgeschehen wesentlich beeinflussen und dadurch zu nicht ohne weiteres zu verallgemeinernden Ergebnissen führen und zu irrigen Schlußfolgerungen Veranlassung geben. Wie grundverschieden ist nicht z. B. in mancher Beziehung der Stoff- wechsel eines Versuchshundes, der vorwiegend mit kohlenhydratreichem Futter ernährt wurde, von dem eines fast ausschließlich mit Fleisch gefütterten Tieres und wie verschieden wird demgemäß auch die Re- aktion des Gesamtorganismus eines derartigen Hundes in stoffwechsel- physiologischer Hinsicht auf einen nun plötzlich einsetzenden Wechsel in der Nahrungszusammensetzung und damit in der Beanspruchung der Verdauungsorgane und — wie aus unseren Darlegungen und Versuchs- ergebnissen hervorgeht — insbesondere der Leber sein? Es wird auf jeden Fall eine gewisse Zeit notwendig sein bis der Gesamtorganismus resp. die Verdauungsorgane und die Leber sich der qualitativ und quantitativ ungewohnten Nahrung wieder angepaßt und sich darauf eingestellt haben und erst allmählich wird hierdurch sich wieder ein normales physiologisches Stoffwechselgetriebe herausbilden oder — es treten gar pathologische Folgezustände in die Erscheinung. Beiträge zur Physiologie der Leber. II. 2381 Die beträchtliche Gewichts- und Größenzunahme der Leber bei be- stimmter Ernährung und die in diesem Zusammenhang von uns be- sprochenen stoffwechselphysiologischen Fragen sind natürlich nicht nur von rein physiologischer Bedeutung, sondern beanspruchen auch allgemein klinisches Interesse. Man wird diese Verhältnisse vom klinischen Standpunkte aus sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Ernährungstherapie gegebenenfalls zu berücksichtigen haben. Auch klinisch ist in dieser Beziehung eine zu schematische Verallgemeinerung sowohl in der Be- urteilung als auch in der diätetischen Behandlung gewisser Erkrankun- sen der Verdauungsorgane einschließlich der Anhangsdrüsen und. bei bestimmten Stoffwechselstörungen zu verwerfen; auch klinisch müssen die durch das individuell bis zu einem gewissen Grade verschiedene Stoffwechselgeschehen bedingten in- dividuellen Unterschiede in der Ausbildung und Funktion bestimmter Organe besonders der Leber mehr Berücksich- tigung finden. Zusammengefaßt ergibt sich mithin folgendes: Durch überreichliche Zufuhr von Eiweiß und Kohlen- hydraten (Glykogemast!) wird in der Hundeleber eine sehr beträchtliche Glykogenanhäufung erzielt: der von uns be- obachtete Höchstwert beträgt 16,44 %. Im einzelnen Fali entspricht einem hohen Glykogen- gehalt ein hohes Lebergewicht; beim Vergleich der ver- schiedenen Versuche untereinander steigt aber das Leber- gewicht nicht dem Glykogengehalt proportional an. Die auf Glykogen gemästete Leber ist fettärmer als die normale: Glykogengehalt und Fettgehalt stehen im umge- kehrten Verhältnis. — Ausgesprochener Antagonismus im Glykogen und Fettgehalt der Leber! Der Wassergehalt der auf Glykogen gemästeten Leber ist niedriger als der Norm entspricht. Durch die kombinierte Mast mit Eiweiß und Kohlenhydraten wird eine sehr erhebliche Zunahme des Lebergewichts bedingt: Der beob- achtete Höchstwert beträgt 12,43% des Gesamtkörper- gewichts. — Zunahme um das drei- bis vierfache des Normalgewichts! Die Lebergewichtszunahme kann durch eine noch so be- trächtlicheGlykogenzunahmenichtallein bedingt sein. Eine Erklärung hierfür wird einerseits in einer durch Eiweißan- satz bedingten Hyperplasie der Leber als Folge der durch diekombinierte Mastinsbesondere aber durch die überreich- liche Eiweißzufuhr stark gesteigerten Tätigkeit der Leber- 282 P. Junkersdorf: Beiträge zur Physiologie der Leber. II. zellen gesehen und andererseits durch eine evtl. gleich- zeitige Ablagerung, Aufspeicherung von Eiweiß in irgend- einer Form (Zelleinschlußeiweiß, Reserveeiweiß) gedeutet. Die beobachteten außergewöhnlichen hohen Werte für das relative Lebergewicht weisen neben anderem darauf hin, daß die Glykogenmast in extremster Form wohl kaum noch als ein rein physiologischer Vorgang au 0 Ru werden darf. Beider Glykogenmastsinddieindividuellen Unterschiede im Verhältnis des Lebergewichts zum Gesamtkör pergewicht und im Glykogen-, Fett- und Wassergehalt der Leber beson- ders stark ausgeprägt. Sie sind hier wie ganz allgemein bei Versuchstieren hauptsächlich durch die Art und Menge der voraufgegangenen und der während der Versuchsdauer verabfolgten Nahrung bedingt, an die sich die Leber sowohl morphologisch (Hyperplasie!) als auch funktionell (Che- mismus!) bis zueinem gewissen Grade anzupassen imstande ist, finden aber andererseitsauch in dem jeweiligen Zustand der Leberzellen selbst (überstandene Hun Er u.a.m.!) eine Erklärung. Die Abhängigkeit der Lebergröße von der a und Menge der Nahrung und dem jeweiligen Zustand der Leberzellen oder, weiter gefaßt, die Einstellung der Verdauungsorgane resp. des Gesamtorganismus auf eine gewohnte, qualitativ und quantitativ bestimmt zusammengesetzte Nahrung und Lebensweise und die Anpassung an diese ist nicht nur in stoffwechselphysiologischer Hinsicht für die Beurteilung des Gesamtstoffwechselgeschehensim Stoffwechselversuch von großer Bedeutung, sondern auch in mancher Beziehung, insbesondere was die Diagnostik und Ernährungstherapie angeht, von allgemein klinischem Interesse. Über den Einfluß von Bariumcehlorid auf das Froschherz!). Von Dr. S. de Boer, Amsterdam, Privatdozent der Physiologie. Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. Januar 1921.) I. Einleitung. Bei meinen pharmako-physiologischen Untersuchungen?) wurde die schon bekannte Tatsache bestätigt, daß Veratrin und Digitalis das Refraktärstadium der Herzabteilungen verlängern. Festgestellt wurde, daß auch Antiarin das Refraktärstadium des Ventrikels verlängert. Während des Fortschreitens der Vergiftung mit einer toxischen Dosis eines dieser Gifte wurden u. a. die folgenden Beobachtungen gemacht. 1. Wenn die relative Dauer des Refraktärstadiums Dauer des ganzen men Dauer einer Sinusperiode den Wert 1 übersteigt, geht der normale Kammerrhythmus entweder plötzlich oder allmählich in den halbierten über. a) Die plötzliche Halbierung des Kammerrhythmus kommt auf die folgende Weise zustande: Während des normalen Kammerrhythmus hat die Dauer des Refraktärstadiums dadurch zugenommen, daß im Anfang jeder Kammersystole der Kammermuskel sich noch nicht ganz restauriert hat. Was der Restauration noch fehlt, wurde von mir das Residu-Refraktärstadium genannt. Von jeder Systole wird diesem das periodische Refraktärstadium hinzugefügt, so daß das ganze Refraktärstadium aus 2 Komponenten besteht. Wenn nur die relative Dauer des Refraktärstadiums größer als 1 wird, fällt die 1) Untersuchung wurde angestellt im Physiologischen Institut der Univer- sität Amsterdam im Jahre 1917. 2) Archives Neerl.: des Sciences Exactes et Naturelles, Serie III B 2,425 und 525. 1915. — Archives Neerl.: de Physiologie 1, 271. 1917; 1, 502. 1917; 3, 90. 1918; 3, 60. 1918. — Zentralbl. f. Physiol. 30, 365. 1915, 503. — Königl. Akademie der Wissenschaften zu Amsterdam. Proceedings of the Meeting of Saturday Fbr. 27, March 27, May 29 and Juni 26, 1915, 1% and 18; und Proceedings 18, 1588; 19, 1029; 20, 404; 30, 696. — Quarterly Journal of experimental physio- logy 10, 383. £ 284 S. de Boer: nächste Kammersystole aus.. Eine verlängerte Kammerpause ist die Folge. Die beiden Komponenten des Refraktärstadiums werden durch diese verlängerte Pause im entgegengesetzten Sinne beeinflußt. Der Kammermuskel restauriert sich, so daß einerseits die Dauer des Residu- Refraktärstadiums abnimmt, andererseits aber durch die Restauration die nächste Kammersystole stark vergrößert wird, so daß die Dauer des periodischen Refraktärstadiums zunimmt. Wenn nun diese Zu- nahme der Dauer des periodischen Refraktärstadiums die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums übertrifft, entsteht eine plötzliche Halbierung des Kammerrhythmus. b) Der allmähliche Übergang zum halbierten Kammerrhythmus findet dagegen statt, wenn die Abnahme des Residu-Refraktärstadiums die Zunahme des periodischen Refraktärstadiums übertrifft. Ist dies der Fall, dann bleibt nach einer verlängerten Pause der normale Kammer- rhythmus bestehen, bis aufs neue durch Akkumulation die Dauer des Residu-Refraktärstadiums zunimmt und eine Kammersystole ausfällt, wonach wieder der normale Kammerrhythmus zurückkehrt. Auf diese Weise entstehen Gruppen von Kammersystolen, die allmählich kleiner und kleiner werden, und am Ende wird so der halbierte Kammer- rhythmus erreicht. 2. Spontane Übergänge zwischen dem halbierten und dem normalen Kammerrhythmus finden wiederholt statt. Die Ursache dieser Über- sänge muß man dem Umstande zuschreiben, daß während des halbierten Kammerrhythmus der katabole Index der Kammer!) (ee des Refraktärstadiums der Kammer Dauer einer Kammerperiode infolge der Restauration wieder abnimmt, bis dieser wieder kleiner als 1/, wird. Dann kehrt der normale Kammerrhythmus zurück. Während dieses zweimal so schnellen Kammerrhythmus nimmt jedoch der kata- bole Index der Kammer wieder zu, wodurch unumgänglich der hal- bierte Kammerrhythmus wieder zum Vorschein kommt. Auf diese Weise kann dieser spontane Rhythmuswechsel mehrmals wiederholt werden. 3. Man kann den halbierten Kammerrhythmus in den normalen, doppelt so schnellen überführen, wenn man durch einen Induktions- "schlag eine kleine Kammersystole hervorruft. Es ist dadurch bewiesen, daß während des halbierten Kammerrhythmus auch diejenigen Sinus- impulse, auf welche die Kammer nicht reagiert, wohl diese Herzab- teilung erreichen, jedoch an der noch nicht reizbaren Kammermuskula- tur abprallen. Aber auch der normale Kammerrhythmus kann durch einen Induktionsschlag in den halbierten überführt werden. Die ver- !) Während des normalen Kammerrhythmus hat der katabole Index der Kammer denselben Wert wie die relative Dauer des Refraktärstadiums Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschherz. 285 srößerte postkompensatorische Systole fesselt dann die Kammer in den halbierten Rhythmus. Zur Einleitung habe ich hier nur einige experimentelle Resultate kurz erwähnt. Für die vollständige und aus- führliche Mitteilung verweise ich auf das Literaturverzeichnis. (8. 283). II. Die Untersuchungen mit BaQ],. Als Versuchstier benutzte ich Exemplare von Rana esculenta. Das Herz wurde bloßgelest und an der Kammerspitze suspendiert. Der Blutkreislauf blieb intakt. Das Gift wurde unter die Schenkelhaut eingespritzt. Anfangs war es nötig, diejenige Dosis zu bestimmen, welche noch eben toxisch wirkte; eine zu große Dosis soll ebenso wie eine zu kleine vermieden werden. Wenn man zuviel einspritzt, ver- läuft die Vergiftung zu schnell und kann man nicht ruhig das Bild der Vergiftung studieren. Eine zu kleine Dosis ruft nicht den halbierten Kammerrhythmus hervor und ist deshalb für unsern Zweck untauglich. Wir gebrauchen aiso nur eine eben toxische Dosis, damit der Rhythmus- wechsel ruhig studiert werden kann. Nach einigem Hin- und Her- probieren fand ich, daß nach einer Einspritzung von ungefähr 20 bis 25 Tropfen 1 proz. BaCl, unter die Schenkelhaut ein langsam verlaufendes Vergiftungsbild erscheint. Nach der Einspritzung nimmt die Dauer des Refraktärstadiums der Kammer zu: ein eben zureichender Reiz, der vor der Vergiftung im Anfang der Diastole eine Extrasystole hervor- ruft, muß nach der Vergiftung später, z. B. am Ende der Diastole, verwendet werden, um denselben Erfolg zu haben. Ungefähr 20 Minuten nach der Einspritzung oder später stellt sich spontan der halbierte Kammerrhythmus auf dieselbe Weise ein, wie dies in der Einleitung beschrieben ist. Oder man kann auch vorher durch einen Induktionsschlag den halbierten Kammerrhythmus hervor- rufen. Wie das möglich ist, werde mit einigen Beispielen verdeutlicht. In Abb. 1 sind auf der oberen Reihe die Kurven eines Froschherzens, ungefähr !/, Stunde nach der Einspritzung von 20 Tropfen 1 proz. BaCl, unter die Schenkelhaut, wiedergegeben. Der Kammerrhythmus ist halbiert in dem Sinne, daß auf je 2 Vorhofsystolen 1 Systole der Kammer entfällt. Die Reizelektrode ist in der Atrio-Ventrikularfurche angebracht, so daß sowohl die Vorhöfe als auch die Kammer gereizt werden kann. Beim zweiten Ausschlag des Reizsignals nach oben!) wird der Kammer während der Diastole ein Öffnungsinduktionsschlag verabreicht. Es entsteht eine kleine Extrasystole der Kammer von kurzer Dauer. Die Dauer des Refraktärstadiums dieser Extrasystole 1) Das Reizsignal ist in den primären Stromkreis eingeschaltet. Beim Schließen des primären Stromkreises entsteht ein Ausschlag nach unten, beim Öffnen nach oben. Die Schließungsinduktionsschläge sind abgeblendet. Dies gilt für alle Versuche. Die Zeit wurde in Sekunden registriert. 286 S. de Boer: ist viel kürzer als diejenige der viel breiteren Kammersystolen des halbierten Rhythmus. Deshalb folgt auf die nächste Vorhofsystole eine Kammersystole, und auch diese dauert wieder kurz infolge der Kürze der unmittelbar vorhergehenden Pause; deshalb dauert auch deren begleitendes Refraktärstadium kurz, so daß der nächsten Vorhof- systole wieder eine Systole der Kammer folgt. Auf diese Weise wird durch einen Induktionsschlag aus dem halbierten der normale Kammer- rhythmus hervorgerufen. Für das Gelingen dieses Experiments ist es nötig, den Induktionsschlag in einem bestimmten Moment der Diastole zu verabfolgen. Und das ist sehr begreiflich. Beim ersten Ausschlag des Reizsignals wurde der Reiz später (am Ende der Diastole) an- Abb. 1. gewandt. Danach entstand eine viel größere und breitere Extrasystole mit einem länger dauernden Refraktärstadium. Durch diesen Umstand und weil diese Extrasystole später anfängt, erreicht die Erregung nach der nächsten Vorhofsystole die Kammer noch während des Refraktär- stadiums, so daß eine verlängerte Kammerpause entsteht. Da nach dieser verlängerten Kammerpause die folgende Kammersystole wieder groß und breit ist, bleibt der halbierte Kammerrhythmus bestehen. Beim dritten Ausschlag des Reizsignals nach oben wird durch einen Induktionsschlag der normale Kammerrhythmus in den halbierten verwandelt. Das geschieht folgendermaßen: Der Reiz wird verabfolgt während des Refraktärstadiums der Kammer. Die Vorhöfe hingegen sind reizbar, so daß eine Extrasystole dieser Herzabteilungen entsteht. Da jedoch die Reizelektrode in der Atrio-Ventrikularfurche steht, durchläuft die Erregung die Vorhöfe von der Kammer zum Sinus Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschherz. 287 venosus. Da der Reiz im Anfang der Diastole verabfolgt wurde und ungefähr gleichzeitig der periodische Sinusimpuls in die Vorhöfe eintritt, begegnen beide Erregungen einander in den Vorhöfen und prallen dort zusammen. Beide Erregungen laufen nicht übereinander hin, so daß sie sich aufheben, und zu gleicher Zeit ist eine Vorhofsystole zustande gekommen, die teilweise unter dem Einfluß des normalen Sinusimpulses und teilweise infolge des Extrareizes entstand!). Eine verlängerte Pause der Vorhöfe und der Kammer ist die Fo'ge, und die nächste Kammer- systole ist deshalb vergröß-rt und verbreitert. Das Refraktärstadium dieser Kammersystole ist viel länger geworden, so daß der nächste Sinusimpuls hierauf abprallt und ihm nicht eine Kammersystole folgt. Wieder entsteht eine verlängerte Kammerpause, wodurch die fo!gende Kammersystole auch groß und breit ausfällt. So wird die Kammer in den halbierten Rhythmus gefesselt. Beim 4. Ausschlag des Reizsignals nach oben trifft der Reiz die Kammer am Ende der Diastole zu spät, um den normalen Kammerrhythmus hervorzurufen. Beim 5. Ausschlag wird der Reiz früher angewandt, so daß der normale Kammerrhythmus fo!gt. In der 2. Kurvenreihe, die 15 Minuten später registriert wurde, ward dieser künstliche Rhythmuswechsel noch einige Male wiederholt. Die 3. Kurvenreihe wurde 15 Minuten nach der 2. registriert, aber dann gelang es nicht mehr, den halbierten Kammerrhythmus hervorzubringen. Wohl entsteht noch ebenso wie zuvor nach einem Induktionsreiz im Anfang der Diastole eine Extrapause der Vorhöfe und Kammer; aber danach folst jedem Sinusimpuls eine Kammersystole. Auf diese Weise werden Gruppen von Kammersystolen hervorgerufen, die im Anfang eine deutliche Kammeralternans zeigen. Die Vergiftung des Herz- muskels mit BaCl, ist also in der letzten !/, Stunde zurückgegangen. Tatsächlich sehen wir auch, daß nach einer künstlichen Extrapause der Kammer in der 3. Kurvenreihe die erstfolgende Kammersystole viel schmaler ist als in der 1. und 2. Kurvenreihe. Deshalb kann jetzt nicht der halbierte Kammerrhythmus erreicht werden. Wir haben hier also eine Vergiftung des Froschherzens mit einer kleinen Dosis beschrieben, die nach einer halben Stunde schon wieder abnimmt. Es besteht aber noch ein Moment der Kammerperiode, in welchem durch einen Induktionsschlag der halbierte Kammerrhythmus in den normalen verwandelt werden kann. Davon zeigt Abb.2 ein Beispiel. Die oberste Kurvenreihe wurde !/, Stunde nach der subeutanen Injek- tion von 25 Tropfen 1proz. BaCl, registriert. Der Kammerrhythmus ist schon halbiert. 1) Dieses Experiment wurde ausführlich von mir beschrieben in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Amsterdam. Bericht der gewöhnlichen Ver- sammlung der Math. und Phys. Abteilung vom 26. Juni 1920. Teil 29, S. 195 und Proceedings Vol. 23, p. 542. 288 S. de Boer: Bei dem 2. Ausschlag des Reizsignals nach oben trifft am Ende der Kammerpause ein Induktionsschlag die Kammerbasis. Es entsteht eine sroße Kammerextrasystole. Da diese Extrasystole der Kammer ver- früht ist, kann der nächste Sinusimpuls eine Kammersystole erwecken, die klein und schmal ist wegen der Kürze der vorhergehenden Kammer- pause. Das Refraktärstadium, das diese kleine Kammersystole be- gleitet, dauert kurz, so daß dem erstfolgenden Sinusimpuls auch eine Kammersystole folgt, die wieder klein ist. So wird nach einer großen Kammerextrasystole, am Ende der Kammerpause erweckt, durch den periodischen Sinusimpuls der normale Kammerrhythmus eingeleitet. Während in Abb. 1 durch eine kleine Extrasystole der normale Kammer- Abb. 2. rhythmus eingeleitet wurde, geschieht das hier durch eine kleine perio- dische Kammersystole. In beiden Fällen haben wir eine kleine Kammer- systole nötig, um den halbierten Kammerrhythmus in den normalen überzuführen. Ebenso wie in Abb.1 muß man auch am Ende der Kammerpause den Reiz in einem bestimmten Momente verabfolgen, um den normalen Kammerrhythmus hervorrufen zu können. Wenn wir z. B. den Reiz früher in der Kammerperiode geben wie bei 1 und 3, mißlingt der künstliche Rhythmuswechsel ganz. Da die Extrasystole früher erweckt ist, dauert danach die Kammerpause länger, so daß die nächste Kammersystole groß und breit ist mit einem langdauernden Refraktärstadium. Das verhindert die Zurückkehr des normalen Kammerrhythmus. Auch wenn der Reiz die Kammer später trifft, wie bei 4, kann der normale Kammerrhythmus nicht zurückkehren. Dann ist die Extrasystole noch mehr vergrößert urid verspätet, so daß der nächste Sinusimpuls die Kammer erreicht, wenn diese noch refraktär ist. Die große danachfolgende Kammerpause ist die Ursache davon, Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschherz. 289 daß die nächste Kammersystole groß und breit ist. Der halbierte Kammerrhythmus bleibt also bestehen, Die oberste Reihe von Abb. 3 zeigt Kurven eines Froschherzens 10 Minuten nach der Injektion von 25 Tropfen BaCl, unter die Schenkelhaut. Die Reizelektrode steht in der Atrio-Ventrikularfurche. Bei dem ersten Ausschlag des Reizsignals nach oben wird im Anfang der Kammersystole eine Extrasystole der .Vorhöfe erweckt. Da diese Extrasystole so früh in der Kammersystole anfängt, erreicht danach die Erregung die Kammer, wenn diese noch refraktär ist. Eine langdauernde Extrapause ist die Folgel). Nach dieser Extrapause ist die nächste Kammersystole vergrößert und verbreitert. Dann wird dasselbe Experiment noch siebenmal wiederholt mit dem- selben Erfolg. Auf diese Weise gelingt es leicht, künstlich den halbierten Kammerrhythmus zu behalten. Aber wenn der Reiz unterlassen wird, Abb. 3. kehrt der normale Kammerrhythmus wieder zurück. Der Vergiftungs- prozeß ist also noch nicht weit genug fortgeschritten, so daß eine ver- größerte Kammersystole noch nicht imstande ist, die Kammer in den halbierten Rhythmus zu fesseln. Dies gelingt 15 Minuten später wohl, in der 2. Kurvenreihe. Bei dem 1. Ausschlag des Reizsignals nach oben wird in der Kammerdiastole eine Extrasystole der Vorhöfe erweckt. Danach erreicht die Erregung die Kammer im Anfang der Kammer- pause und ruft eine Kammersystole hervor. Nach der kompensato- rischen Pause bleibt der normale Kammerrhythmus bestehen. Bei dem 2. Ausschlag des Reizsignals nach oben werden die Vorhöfe wieder zu einer Extrasystole angeregt, aber jetzt im Anfang der Kammersystole. ‚Deshalb erreicht danach die Erregung die Kammer, wenn diese noch refraktär ist, so daß keine Systole der Kammer, sondern eine Extra- pause folgt, Die hiernach erscheinende vergrößerte und verbreiterte 1) Diese Extrapause entsteht hier also auf eine ganz andere Weise als die- jenigen von Abb. 1. 290 S. de Boer: Kammersystole ist in diesem weiter fortgeschrittenen Stadium der Vergiftung imstande, die Kammer in den halbierten Rhythmus zu fesseln. Beim 3. Ausschlag des Reizsignals nach oben wird durch einen Induk- tionsschlag am Ende der Kammerdiastole eine kleine Kammersystole hervorgerufen, welche den normalen Kammerrhythmus wieder einleitet. Ebenso wie nach Vergiftung des Froschherzens mittels Digitalis oder Antiarin kommt auch nach subcutaner Injektion von BaCl, Kammeralternans nicht selten vor. Man kann diese Kammeralternans aus dem normalen Kammerrhythmus hervorrufen und andererseits in den halbierten Kammerrhythmus überführen. Das wird in den beiden nächsten Abbildungen gezeigt. Die Kammeralternans ist also eine Zwischenform zwischen dem normalen und dem halbierten Kammer- rhythmus. Die obere Reihe Kurven von Abb. 4 wurde 10 Minuten nach Abb. 4. der Injektion von 25 Tropfen BaCl, registriert. Bei dem 1. Ausschlag des Reizsignals empfängt die Kammerbasis einen Extrareiz, wodurch eine Extrasystole dieser Herzabteilung entsteht. Die vergrößerte postkompensatorische Systole leitet eine Kammeralternans ein. Zwar zig Minuten später, am Anfang der 2. Kurvenreihe, ist der Kammerrhythmus halbiert. Beim 1. Ausschlag des Reizsignals nach oben (bei 2) wird die Kammer am Ende der Pause durch einen Induktionsreiz zu einer großen Extrasystole angeregt. Danach leitet die erstfolgende kleine Kammer- systole den normalen Kammerrhythmus ein. Bei dem 2. Ausschlag des Reizsignals nach oben werden am Ende der Kammerdiastole die Vorhöfe zu einer Extrasystole angeregt. Ebenso wie bei Abb. I beschrieben ist, entsteht jetzt auch eine Extrapause, wodurch der halbierte Kammer- rhythmus notwendigerweise zurückkehrt. => Die Kurven von Abb. 5 werden 20 Minuten nach der Injektion von 20 Tropfen 1proz. BaCl, unter die Schenkelhaut eines Frosches regi- striert. Im Anfang der Abbildung ist eine deutliche Kammeralternans Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschheız. 291 vorhanden. Bei den zwei ersten Ausschlägen des Reizsignals nach oben hat der Induktionsreiz keinen Erfolg. Beim 3. Ausschlag (bei 1) ent- . steht eine Extrasystole der Vorhöfe. Hiernach erreicht die Erregung die Kammer während des Refraktärstadiums, so daß eine große Extra- pause folgt. Die vergrö- ßerte und verbreiterte Kammersystole nach dieser Extrapause leitet den halbierten Kammer- 4 rhythmus ein. funden, daß nach Ver- giftung mit BaCl, ebenso Abb. 5. wie nach Vergiftung mit Veratrin, Digitalis und Antiarin durch eine. Verlängerung des Refraktärstadiums der halbierte Kammerrhythmus zum Vorschein kommen kann. Diesen halbierten Kammerrhythmus kann man durch einen Induktionsschlag in der Diastole oder am Ende der Kammer- pause in den normalen Kammerrhythmus überführen. Es ist eine kleine Kammersystole mit einem kurzen Refraktärstadium, wodurch das leicht gelingt. Umgekehrt kann man den normalen Kammerrhythmus dadurch in den halbierten überführen, daß man eine große Kammer- systole (postkompensatorische Systole) mit einem langdauernden Re- fraktärstadium nach einem Induktionsschlag hervorruft. _ Man könnte nun die Frage stellen: Weshalb geht die Kammer, die im halbierten Rhythmus pulsiert, nicht spontan zum normalen über. Da ja doch der halbierte Rhythmus in den normalen überführt werden kann, ist damit der Beweis geliefert, daß während des halbierten Rhythmus alle Sinusimpulse die Kammer erreichen. Und der metabole Zustand des Kammermuskels ist wohl derart, daß die Kammer imstande ist, im normalen Rhythmus zu pulsieren. Und dennoch bleibt der halbierte Kammerrhythmus fort- bestehen, wenn wir nicht durch einen Induktionsschlag eingreifen. Die Ursache hiervon liegt darin, daß im halbierten Kammerrhythmus die Kammersystolen so breit sind infolge der langdauernden Kammer- pausen. Das Refraktärstadium jeder Kammersystole dauert also lange, so daß die Kammer im halbierten Rhythmus gefesselt ist. Nur mittels einer kleinen En kann die Kammer aus diesem herauskommen. Nach Vergiftung mit BaCl, kommt Ole wie nach Vergiftung mit Disitalis und Antiarin Kam talternans nicht selten vor. Dieser 392 S. de Boer: Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschherz. Alternansrhythmus ist eine Zwischenform zwischen dem normalen und dem halbierten Kammerrhythmus. Man kann dann auch diese Alternans mittels eines Induktionsschlages aus dem normalen hervorrufen oder in den halbierten Rhythmus überführen. Einen merkwürdigen Umstand muß ich hier noch kurz besprechen. Wenn man ein Froschherz mit Veratrin, Digitalis oder Antiarin ver- giftet, dauert auch nach Minimaldosen das 2. Stadium der Vergiftung (das Stadium der Rhythmushalbierungen) nicht länger als 3—4 Stunden. So lange ist man höchstens imstande, den halbierten Kammerrhythmus mittels eines Induktionsschlages zu dem normalen zurückzuführen. Danach fängt das 3. Stadium der Lucianischen Perioden an. Nach Vergiftung mit BaCl, kann das 2. Stadium viel länger dauern. In mehreren Fällen dauerte das Stadium des halbierten Kammerrhythmus nach Minimaldosen 24 Stunden und noch länger. Während dieser ganzen Zeit war es möglich, durch einen Induktionsschlag den normalen Kammerrhythmus zurückzubekommen. Man kann also nach Ver- giftung mit BaCl, leichter einen funktionellen Gleichgewichtszustand während längerer Zeit behalten, ohne daß die Vergiftung fortschreitet. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. 1. Nach Vergiftung von Froschherzen mit BaC], verlängert sich das Refraktärstadium des Ventrikels. Hierdurch entsteht Halbierung des Ventrikelrhythmus. 2. Man kannden halbierten Ventrikelrhythmusmittelseines Induktions- schlages in den zweimal so schnellen normalen Rhythmus überführen. Dieser künstliche Rhythmuswechsel gelingt nur dann, wenn der Induk- tionsschlag ineinem bestimmten Momente der Diastole oder in einem bestimmten Momente am Ende der Pause angewandt wird. Auf diese Weise wird direkt oder indirekt eine kleine Systole des Ventrikels hervorgerufen, die den normalen Ventrikelrhythmus einleitet. 3. Den normalen Ventrikelrhythmus kann man ebenfalls durch einen Induktionsschlag in den halbierten Rhythmus überführen. In diesem Falle wird der Ventrikel in den halbierten Rhythmus gefesselt durch die vergrößerte postkompensatorische Systole. 4. Ebenso wie nach Vergiftung mit Digitalis oder Antiarin kommt nach Vergiftung mit BaCl, als Übergangsform zwischen dem normalen und dem halbierten Ventrikelrhythmus Alternans des Ventrikels vor. Diese Ventrikelalternans kann man durch einen Induktionsschlag in den halbierten Kammerrhythmus überführen. Andererseits kann man die Kammeralternans aus dem normalen Kammerrhythmus durch einen Induktionsschlag hervorrufen. In beiden Fällen wird der Rhyth- muswechsel eingeleitet durch eine vergrößerte Kammersystole, deren Refraktärstadium verlängert ist. Die Reaktionstheorie der Atmungsregulation. Von Hans Winterstein. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Rostock.) (Eingegangen am 21. Januar 1921.) Bei gleichzeitiger Untersuchung der bei Injektion von Säuren oder Laugen in die Blutbahn eintretenden Änderungen des respiratorischen Minutenvolumens einerseits und der Wasserstoffzahl (k) und CO,- Spannung des Blutes andererseits habe ich im Jahre 1915 festgestellt, daß die beiden ersten Größen stets miteinander parallel gingen, während die CO,-Spannung sich in entgegengesetztem Sinne verschob!). Damit ı war, soweit die Kohlensäure in Betracht kommt, wohl end- gültig die Richtigkeit der im Jahre 1910 von mir formulierten „Reak - tionstheorie‘“ bewiesen, nach welcher weder der Sauerstoffmangel als solcher noch eine spezifische Wirkung der Kohlensäure, sondern die Wasserstoffionen - Konzentration die chemische Regu- lierung der Atmung besorgt). Nicht so einfach liegen die Verhältnisse für de O-Mangel- Hyperpnöe. Bei Untersuchung des Einflusses, den die Einatmung eines nur wenige Prozent Sauerstoff enthaltenden Gasgemisches ausübt, gelangte ich zu folgendem Ergebnis [!) S. 69]: „Erzeugt man bei einem Tier eine rasch einsetzende Dyspnöe, indem man es ein Gasgemisch von niedrigem O-Gehalt einatmen läßt, so erweist sich die h des Blutes nicht gesteigert, sondern im Gegenteil herabgesetzt. Dieses Verhalten war von vornherein zu erwarten, da ja die O-Mangel-Dyspnöe durch die Stoffwechselvorgänge, nämlich durch die Ansammlung von Eirstik- kungsstoffen in den Atemzentren selbst ausgelöst wird, ohne daß eine Änderung in der Beschaffenheit des Blutes vorausginge. Die Stei- gerung der Lungenventilation aber muß zu einem Auswaschen der CO, aus dem Blute und damit zu einer Herabsetzung der h desselben führen. In der Tat erweist sich auch die CO,-Tension des Blutes bzw. der Alveolarluft bei O-Mangel-Dyspnöe herabgesetzt, wie ja schon aus den Untersuchungen von Zuntz und Haldane und deren Mitarbeitern 1) H. Winterstein, Biochem. Zeitschr. %0, 45. 1915; daselbst die ältere Literatur. ®2)H. Winterstein, VIII. internat. Physiologenkongreß, Wien 1910 (Zentralbl. _ £. Physiol. 24, 811); Arch. f. d. ges. Physiol. 138, 167. 1911. ‘ Pflügers Archiv f. d, ges. Physiol. Bd. 187, 20 294 2 H. Winterstein: bekannt war.‘ Versuche mit ganz langsam sich entwickelnder Anoxy- ämie führten zu keinem Resultat, weil es nicht gelang, viele Stunden hindurch Narkosegrad, Temperatur und daher Erregbarkeit der Atem- zentren konstant zu erhalten. Wir werden mithin zwei Formen von Hyperpnöe scharf zu unterscheiden haben, die ich nach ihrem Ursprung als hämatogene und als centrogene bezeichnen möchte: Zu der ersteren. gehören diejenigen Hyperpnöeformen, deren primäre Ursache in einer Stei - serung der h des Blutes liegt, wie sie bei Einatmung kohlensäure- reicher Gasgemische, bei Injektion von Säuren in die Blutbahn, bei Ansammlung von Milchsäure infolge starker Muskelarbeit, bei patho- logischer Säurebildung (Acetonkörper) und in leichtem Grade schon bei überwiegender Eiweißkost eintreten wird; die zweite ist die O-Mangel- hyperpnöe, bei der die zu einer Verstärkung der Lungenventilation führende Steigerung der A primär in den Atemzentren selbst stattfindet; denn diese werden infolge des großen O-Bedürfnisses, das, wie wir aus zahlreichen Untersuchungen der neueren Zeit wissen, das Zentralnervensystem auszeichnet, früher als alle anderen Gewebe mit Säurebildung verbundene Störungen des Stoffwechsels erfahren. Nur im ersteren Falle also werden wir eine Steigerung derh desBlutes über die Norm erwarten dürfen, während im zweiten Falle infolge der gesteigerten Lungendurchlüftung und CO,-Auswaschung umgekehrt eine Herabsetzung der h des Blutes eintreten kann. Der experimentelle Nachweis, daß die O-Mangel-Hyperpnöe durch eine Steigerung der % in den Atemzentren selbst ausgelöst wird, ist mir trotz vielfacher Bemühungen, die im einzelnen anzuführen wohl kaum von Nutzen wäre, auch jetzt noch nicht geglückt. Irgendeine Bedeutung aber möchte ich diesem negativen Ergebnis nicht zuerkennen. Berech- nungen lassen vermuten, daß die Änderungen der h, die dabei auftreten, sich auf die zweite Dezimale des negativen Logarithmus beschränken. Das wären Differenzen, die an der Grenze der Nachweisbarkeit für die h des Blutes liegen, und für deren Feststellung in den Geweben unsere bisherigen Methoden der Reaktionsbestimmung nicht ausreichen. Da die Tatsache der Erregung der Atemzentren durch Säuren an sich feststeht, und für den Kaltblüter auch eine reversible Säurebildung in den Nervenzentren unter dem Einfluß von O-Mangel durch die Untersuchungen von Langendorff!) und mir?) nachgewiesen wurde, ist wohl auch ohne direkten Beweis eine völlig gesicherte Grundlage dieser Theorie gegeben. Die im Jahre 1915 von mir experimentell festgestellte Verminderung der h des Blutes bei O-Mangel-Dyspnöe ist nun neuerdings, anscheinend !) O. Langendorff, Centralbl. f. med. Wissensch. 1882, Nr. 50. ®2) H. Winterstein, Biochem. Zeitschr. %0, 130. 1915. Die Reaktionstheorie der Atmungsregulation. 295 ud unabhängig von mir, von englischen und amerikanischen Forschern wieder entdeckt!) und besonders von Henderson und seinen Mit- arbeitern zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht wor- den. Merkwürdigerweise aber haben diese Forscher die von mir gegebene einfache und, wie mir schien, selbstverständliche Erklärung dieser Erscheinung nicht gefunden, ihr vielmehr zum Teil eine komplizierte Deutung gegeben, die zusammen mit einer verfehlten Nomenklatur Verwirrung zu stiften geeignet ist. Nachdem Henderson den theore- tischen und experimentellen Nachweis geführt hat, daß die durch O-Mangel hervorgerufene Hyperpnöe nicht auf einer „‚Acidosis‘‘, d. h. einer durch Auftreten von Milchsäure bedingten Verminderung des CO,-Bindungsvermögens des Blutes beruhen kann, erklärt er ihr Zu- standekommen durch ein „respiratory x“, womit der unbekannte Zu- stand des Blutes bezeichnet wird, durch den die O-Tension ihren Ein- fluß auf die Atemzentren ausübt. Dieses ‚Atmungs-x“ würde sich in seiner Wirkung zu jener der Wasserstoffzahl addieren bzw. die Atem- zentren für die A des Blutes empfindlicher machen. Es liegt wohl auf der Hand, daß dieses in seiner Wirkung von der Blutalkalescenz ab- hängige & eine ganz unnötige Komplikation darstellt, die sogleich eliminiert wird, wenn wir die irrige Voraussetzung fallen lassen, daß die Tätigkeit der Atemzentren ausschließlich von der Beschaffenheit des Blutes abhängt, und statt dessen den maßgebenden Faktor in der h der Atemzentren selbst erblicken. Die übrigen sehr bemerkens- werten Deduktionen von Henderson, die in der Hauptsache auch mit den Ergebnissen der zitierten englischen Forscher übereinstimmen, bleiben zum großen Teile zu Recht bestehen. H,C0, Für das Blut gilt bekanntlich die Gleichung "=K NaHCo, d.h. die Reaktion des Blutes, die der Organismus durch eine Reihe von Regulationsvorrichtungen konstant zu halten sucht, hängt ab von dem Verhältnis der freien zu der gebundenen Kohlensäure, welches Verhält- nis Henderson als „CO,-ratio“ bezeichnet. Eine Störung dieses Ver- hältnisses kann auf zweifache Weise regulatorisch beseitigt werden: Steigt der Quotient über die Norm, so muß dies eine Erhöhung der h zur Folge haben, die durch Steigerung der Atmungstätigkeit (hämato - gene Hyperpnöe nach der oben von mir vorgeschlagenen Bezeich- nungsweise) zu einer Vermehrung der CO,-Ausscheidung führt und so das normale Verhältnis wieder herstellt. Wird dagegen bei O-Mangel durch Säurebildung in den Zentren eine Steigerung der Lungenventi- lation (eentrogene Hyper pnöe) und dadurch der CO,-Ausscheidung 1) Haldane, Kellas and Kennaway, Journ. of Physiol. 53, 181. 1920. Moore, McQueen and Webster, ibid. Proc. physiol. Soc. XXVII, XXXVI Haggard and Y. Henderson, Journ. of Biolog. Chem. 43, 3, 15. 29. 1920. - 20* 296 H. Winterstein: hervorgerufen, die zu einer Verkleinerung des Bruches und daher der h führt, so hilft sich der Organismus durch vermehrte Ausscheidung von Alkali durch den Harn und nach Haldane (a. a. ©.) durch eine Verminderung der NH;,-Bildung, die also nach diesem Autor nicht, wie dies Hasselbalch!) angenommen hatte, die Ursache der unter dem Einfluß des Höhenklimas zu beobachtenden Abnahme des CO,- Bindungsvermögens des Blutes ist, sondern umgekehrt regulatorisch durch die Anoxyämie bedingt wird. Das klinisch .vielleicht bedeutungsvollste Ergebnis dieser neueren Untersuchungen dürfte das sein, daß eine mit Verminderung der alveo- laren CO,-Spannung einhergehende Herabsetzung des CO,-Bindungs- vermögens (der ‚„Titrationsalkalinität‘‘) nicht, wie bisher allgemein angenommen, das Vorhandensein einer ‚Acidosis‘‘ beweist, sondern auf zwei ganz verschiedene Arten zustande kommen kann. Bei Anwesen- heit abnormer Säuremengen im Blut steht sie am Anfang des ganzen Prozesses und geht mit einer Verschiebung der } nach der saueren Seite einher (hämatogener Ursprung), bei allen mit primärer Erregung der Atemzentren (vor allem durch O-Mangel) einhergehenden Zustän- den (centrogenen Ursprungs) tritt sie als Regulationsvorrichtung am Schlusse des Prozesses auf, als eine Folge der Verschiebung der h nach der alkalischen Seite. Diese Erkenntnis muß mit einer Revision der Nomenklatur einhergehen: Bisher war, wie erwähnt, nur die erste Möglichkeit bekannt, und diesem durch das Auftreten abnormer Mengen fixer Säuren im Blute verursachten Zustand, als dessen Kennzeichen die Verminderung von (CO,-Bindungsvermögen und CO,-Spannung angesehen wurde, hat man den Namen „Acidosis‘ gegeben. Die englischen und ameri- kanischen Forscher nun bezeichnen als Gegenstück dazu den mit Ver- minderung der % und Steigerung der Alkaliausscheidung einhergehenden Zustand als „Alkalosis‘. Dies ist meiner Ansicht nach durchaus verkehrt und nur geeignet, die schon durch die Bezeichnung Acidosis vielfach angerichtete Verwirrung zu einer heillosen Konfusion zu stei- gern. Denn wenn man bisher einen durch Verminderung des 0O,- Bindungsvermögens charakterisierten Zustand Acidosis genannt hat, so müßte logischerweise der Ausdruck Alkalosis eine Steigerung der Titrationsalkalinität oder des CO,-Bindungsvermögens kennzeichnen. Davon kann aber gar keine Rede sein; eine solche könnte nur durch Vermehrung der Alkalizufuhr erzeugt werden und kommt bei keinem der vorhin erwähnten Zustände vor. Bei der O-Mangel-Hyperpnöe ist das CO,-Bindungsvermögen des Blutes anfänglich normal, wird später durch vermehrte Alkaliausscheidung kompensatorisch vermin- dert, niemals aber ist es erhöht. Selbstredend muß der Ausdruck !) Hasselbalch und Lindhard, Biochem. Zeitschr. 68, 295. 1915. Die Reaktionstheorie der Atmungsreeulation. 297 „Acidosis‘ auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, bei denen es sich um ein Auftreten abnormer Mengen fixer Säuren im Blut handelt. Da aber bei der außerordentlichen Feinheit der Regulation die Ände- rungen der h des Blutes meist überhaupt nicht nachweisbar sein werden, und die bisher für ein sicheres Kennzeichen der Acidosis gehaltene Herab- setzung des CO,-Bindungsvermögens dies nach dem Gesagten nicht mehr ist, so würde es sich vielleicht empfehlen, die (ohnehin oft mit ‚saurer Reaktion“ verwechselte) Bezeichnung ‚Acidosis“ gänzlich fallen zu lassen. Die Kennzeichnung der verschiedenen erörterten Änderungen der Blutbeschaffenheit dürfte zweckmäßig von dem ihnen allen gemeinsamen Symptom ausgehen, von der Verarmung des Blutes an Kohlen - säure. Bekanntlich hat Mosso!) diese von ihm als Wirkung des Höhenklimas entdeckte Erscheinung „Akapnie‘“ (von Kapnos — Rauch — Kohlensäure) genannt. Da es sich aber niemals um ein Fehlen der Kohlensäure handeln kann, wird statt dessen zweckmäßig der von Henderson gebrauchte Ausdruck „Hypokapnie“ zu verwenden sein (der man vielleicht den normalen CO,-Gehalt als „Eukapnie“ gegen- überstellen könnte). Diese Hypokapnie tritt in zwei Formen auf: 1. charakterisiert durch die Anwesenheit abnormer Mengen fixer Säuren (z. B. Schwefelsäure, Phosphorsäure, Harnsäure bei reichlicher Eiweiß- kost, Milchsäure bei starker Muskelarbeit, Acetonkörper unter patho- logischen Verhältnissen) und Verschiebung der A nach oben, hämato - gene Hypokapnie (Aecidosis); 2. bedingt durch primäre Verstärkung der Atmungstätigkeit, mit Verschiebung der % nach unten und kompen- satorisch verstärkter Alkaliausscheidung und verminderter NH;- Bildung, centrogene Hypokapnie. Zu dieser letzteren gehört die durch Säurebildung in den Atemzentren selbst erzeugte O-Mangel- Hypokapnie, und zwar nicht bloß die akute, sondern nach den neueren Untersuchungen auch die chronische Hypokapnie der Höhenluft, die man bisher für hämatogenen Ursprungs hielt. Auch eine willkürliche Foreierung der Atmung [Collip und Backus2)] oder eine etwa durch Giftwirkung erzeugte Steigerung der Erregbarkeit der Atemzentren wird diese Form der Hypokapnie herbeiführen, deren unmittelbare . Ursache vielleicht auch in den letztgenannten Fällen in einer (durch Stoffwechselsteigerung bedingten) Erhöhung der % in den Atemzentren liegt. Schließlich wird auch noch eine „Hyperkapnie‘ möglich sein, und zwar gleichfalls in zwei Formen: Hämatogene Hyperkapnie (Alkalosis), wenn reichlich Alkali in die Blutbahn gelangt (z. B. medi- kamentell oder bei entsprechender Pflanzenkost) und centrogene Hyperkapnie, wenn die Erregbarkeit der Atemzentren ctwa durch Narkotica so stark vermindert ist, daß die Regulierung der kA auf einem 1) A. Mosso, Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig 1899. 2) Collip and Backus, Amer. Jcurn. of Physiol. 51, 568. 1920. 298 H. Winterstein: Die Reaktionstheorie der Atmungsreeulation. höheren Niveau erfolgt; in beiden Fällen ist die Lungenventilation verringert (hämatogene und centrogene Hypopnöe), die CO,- Spannung erhöht; die h des Blutes wird im ersteren Falle herabgesetzt, im zweiten gesteigert sein. Fassen wir das Ergebnis der vorangehenden Betrachtungen nochmals zusammen, so hat die Reaktionstheorie der chemischen Atmungsregulation in richtiger Fassung nunmehr folgendermaßen zu lauten: Die chemische Regulierung der Lungenventilation er- folgt durch die in den Atemzentren herrschende Reaktion. Jede Steigerung der Wasserstoffzahl!) bewirkt eine Verstärkung, jede Verminderung derselben eine Abschwächung der Lungendurchlüftung. Die h in den Atemzentren hängt ab 1. von den in ihnen sich abspielenden Stoffwechselvorgängen; 2. von der h des Blutes. Der Übergang abnormer Säuremengen in die Blutbahn (Acidosis) erzeugt eine hämatogene, die bei O-Mangel in den Zentren selbst stattfindende Säurebildung eine centrogene Hyperpnöe. In beiden Fällen ist der CO,-Gehalt (und die 00,-Spannung) des Blutes herabgesetzt: Hypokapnie. Diehämatogene Hypokapnie geht mit einer Steigerung, die zentrogene mit einer Ver- minderung der h des Blutes einher, Veränderungen, die jedoch infolge der Feinheit der Regulierung so gering sein können, daß sie sich der Messung entziehen. Das © O,- Bindungsvermögen (die Titra- tionsalkalinität) des Blutes kann in beiden Fällen herabgesetzt sein; diese Herabsetzung ist bei der hämatogenen Hypokapnie der Ausgangspunkt des ganzen Vorganges, bei der centrogenen dagegen der regulatorische Abschluß (infolge kompensatorischer Vermehrung der Alkaliausscheidung und Verminderung der NH,-Bildung). Ganz Analoges, nur in umgekehrtem Sinne, gilt für die durch reich- lichen Übergang von Alkali in die Blutbahn bedingte hämatogene und für die durch primäre Verminderung der Tätigkeit der Atem- zentren erzeugte centrogene Hypopnöe und Hyperkapnie. !) Wenn der Einfachheit halber stets von der Wasserstoffzahl gesprochen wird, so soll damit natürlich nicht gesagt sein, daß die Konzentration der OH’-Ionen nicht vielleicht eine ebenso große Bedeutung besitze. Sehr möglich, daß der ausschlaggebende Faktor von dem Verhältnis beider dargestellt wird. B. Moore (Journ. of Physiol. 53, 1920, Proc. physiol. Soc. LVII) hat darauf hingewiesen, daß die außerordentliche Empfindlichkeit gegenüber Reaktionsänderungen vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß es bei den amphoteren Kolloiden auf das Verhältnis { ’/H ! : : B : Or ankommt, das, wie leicht zu berechnen, sich mit dem Quadrat der Cu OH ändert, so daß z. B. eine Änderung von ?s um 1 eine Änderung des Verhältnisses Opiweig H <= — um das 100fache bedeutet. Ogiweiß OH (Aus dem Neurologischen Institut der Universität Frankfurt a. M. [Direktor: weiland Prof. Ludwig Edinger].) Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. Von Dr. Franz Groebbels, Assistenten am Physiologischen Institut der Universität Hamburg, Allg. Krankenhaus Hamburg-Eppendorf. Mit 1 Textabbildung und Tafell. (Eingegangen am 2. November 1920.) Wenn wir die früheren Arbeiten über die Morphologie des Zentral- nervensystems der Vögel verfolgen, so machte sich schon damals über- all das Bestreben geltend, die Morphologie des Zentralnervensystems in Beziehung zur Biologie zu bringen. Es waren immer zwei Wege, welche die Forschung beschritt, um zu solchen Beziehungen zu gelangen. Einmal der Weg, der das Gewicht des Zentralnervensystems zum Körpergewicht in Verhältnis setzt. Zweitens der Weg, der durch Betrachtung äußerer Form-, Größen- und Lageverhältnisse am Zentralnervensystem selber der biologischen Seite der Frage näherzukommen sucht. Wir sind heute, dank der Forschungen der letzten Jahrzehnte, dank namentlich der wissenschaftlichen Lebensarbeit Ludwig Edin- gers, soweit in das Verständnis des Zentralnervensystems höherer Wirbeltiere eingedrungen, daß wir den ersten Weg als der Kritik nicht standhaltend ablehnen dürfen. Wir wissen, daß wir mit der Wage, beim höheren Wirbeltier in jedem Fall neencephales und paläencephales Areal gemeinsam wägen, daß eine Trennung beider Areale, die uns allein physiologisch-biologische Gesichtspunkte eröffnen könnte, über- haupt nicht möglich ist. Dies gilt, wenn auch in vollem Maße erst für Säugetiere und Mensch, in vieler Hinsicht auch für den Vogel. Es erübrigt sich demnach, auf die Autoren einzugehen, welche diesen ersten Weg zu beschreiten versuchten. Anders der zweite Weg. Er ist schon von einer Reihe früherer Au- toren eingeschlagen worden und bis in die jüngste Zeit verfolgbar. 300 F. Groebbels: Er konnte unter genauer Berücksichtigung mikroskopisch-anatomischer Verhältnisse wesentliche Resultate zutage fördern. Insbesondere gilt das für das Vogelvorderhirn. Durch die Untersuchungen von Edinger- Wallenberg-Holmes!) sind wir heute imstande, morphologisch am Vogelvorderhirn gewisse Verhältnisse zu unterscheiden, die den nach außen sichtbaren Ausdruck der inneren Struktur darstellen. Für einen anderen, sehr wichtigen Hirnteil, das Mittelhirn, das äußerlich ein- heitlich gebaut ist, fällt dieser Punkt fort. Gehen wir kurz auf die Literatur ein, soweit sie diesen zweiten We betrifft. & Schon Tiedemann?) beobachtet den Unterschied in der Lage der Tecta optica zum 'Vorderhin bei verschiedenen Arten. Er fand, daß bei Sperlingsvögeln die Großhirnlappen die Sehlappen fast ganz be- decken, während letztere bei den Falken seitwärts und hinter dem Vorderhirn hervorragen. Serres°?) findet, daß die Größe der Tecta optica, er nennt sie „Vierhügel‘ im Verhältnis zu der Größe des Seh- nerven steht. Gute Sehvögel, Falke und Adler, haben einen großen, schlechte Sehvögel, die Hühnerarten, haben einen kleinen Lobus opticus. Serres macht auch auf einen grauen Wulst aufmerksam, der bei Vögeln mit großen Hemisphären, Passerinen und Palmipeden, auf der dorsalen hemisphären Konfiguration sichtbar wird. Er hat mit diesem Wulst wohl die Erhebung bezeichnen wollen, die dorso-medial von der Fossa limbica am frontalen Pol des Vorderhirns sichtbar wird. Dafür spricht auch die Behauptung desselben Autors, daß Cuvier beim Strauß zwei solcher Erhebungen feststellt. Wir wissen heute durch die Untersuchungen Edingers!), daß die dorso-mediale Er- hebung beiderseits von der Mittellinie eine Rinsenkung, die Vallecula, zeigt, die sie in zwei Wülste teilt. Derselbe Autor findet nun den dadurch entstehenden medialen Wulst besonders kräftig beim Strauß. Mit den Verhältnissen Gehirn und Schädel beschäftigt sich Lelut®). Dieser Autor hat schon zwei Vorderhirntypen beim Vogel unter- schieden, die man, wie wir sehen werden, auch tatsächlich aufstellen kann. Wenden wir uns nun zu den neueren Autoren. Schulgin>) hat das Vorderhirn zum übrigen Gehirn in Verhältnis gesetzt und findet das Verhältnis bei den Papageien 3: 1, Singvögeln 3210 Huhn 220° Bulenle 1% Mit der Morphologie im besonderen befaßt sich eine Arbeit von Turner®). Wir müssen uns mit dieser Arbeit etwas näher beschäftigen, weil sie ziemlich die einzige ist, welche die von mir zu erörternden Probleme eingehend behandelt. Turner untersucht einmal das Riech- hirn, besser gesagt den Lobus olfactorius, den er zur Gehirnlänge in Verhältnis setzt. Er findet dies Verhältnis bei den meisten Vögeln Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 301 — 10%, bei Krähen und Eulen = 10—-20%, beim: Raben nur = 69). Er stellt zwei Klassen von Vögeln auf, solche, bei denen das Riechhirn an der Basis des Vorderhirnpols hervorragt und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Bei der ersten Klasse zerfällt es in zwei, bei der zweiten in einen oder zwei Wülste. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß mit diesen Wülsten der Nuceus basalis und Lobus par- olfactorius gemeint sind, die nach der heutigen Auffassung mit dem Riechhirn bzw. der Geruchsfunktion nichts zu tun haben. Turner hat dann weiterhin versucht, aus dem Größenvergleich einiger Hirn- teile Gesichtspunkte zu gewinnen. Er findet so die Beziehung Vorder- hirnlänge zu Gehirnlänge bedeutungslos. Bei den Eulen ist das Ver- hältnis Vorderhirnlänge zu Vorderhirnbreite annähernd gleich, bei allen anderen von ihm untersuchten Vögeln soll die Vorderhirnbreite die Länge übertreffen. Sehr eingehend befaßt sich dieser Autor mit dem Mittelhirn. Das Verhältnis Tektumlänge zu Gehirnlänge findet er schwankend zwischen weniger als 30% und 40%. Er unterscheidet, wie lange vor ihm Tiedemann?), solche Vögel, bei denen das Vorderhirn das Tectum opticum bedeckt, und solche, bei denen letzteres hinter dem Vorderhirn heraufrückt. Diese Verhältnisse erklärt er, meiner Ansicht nach, fälschlich, aus der Vorderhirnent- wicklung in toto. Die Arbeit von Turner enthält viel richtiges, aber auch viel un- richtiges. Der Probleme, die das Vogelhirn stellt, sind weit mehr, als es aus den Untersuchungen des Autors scheinen will. Als ein Mangel der Arbeit Turners muß es betrachtet werden, daß er zu wenig die mikroskopische Anatomie berücksichtigte, soweit dies überhaupt da- mals schon möglich war, ferner war das Material dieses Autors auch zu gering, um all diese Probleme weiter ausbauen zu können. Ich habe im Jahre 1913 im Neurol. Institut zu Frankfurt a. M. Gelegenheit gehabt, an einem Material von 65 Arten aller Ordnungen diese Frage aufs neue zu studieren. Auch ich ging mit hauptsächlich biologischem Interesse an diese Frage heran. Es wurde von mir nur das Vorder- und Mittelhirn näher untersucht, das Kleinhirn mußte aus Mangel an diesbezüglichen Auf- zeichnungen hier unberücksichtigt bleiben. Ich zweifle nicht, daß auch das Kleinhirn der Vögel sehr wesentliche biologische Fragen morpho- logisch aus sich ableiten läßt. Den von mir bearbeiteten Stoff habe ich folgendermaßen eingeteilt. “A. morphologisch-anatomischer Teil. I. Überblick über die äußere Gestalt und den inneren Aufbau des Vorder- und Mittelhirns im Hinblick auf die Biologie. 302 F. Groebbels: II. Die Größen- und Lageverhältnisse des Vorder- und Mittelhirns an und für sich. 1. Die Größenbeziehungen des Vorderhirns für sich betrachtet. 2. Die gegenseitigen Größen- und Lagebeziehungen von Vorder- und Mittelhirn. III. Die Formverhältnisse des Vorderhirns als äußerer Ausdruck der inneren Struktur. IV. Die Größen- und Lageverhältnisse des Vorder- und Mittelhirns zum übrigen Körper. 1. Vorderhirngröße, Körperlänge, De Flügel. 2. Beziehungen zum Auge. 3. Beziehungen zum Schnabel. B. Physiologisch-biologischer Teil. 1. Das Vorderhirn. 2. Das Mittelhirn. Zusammenfassung der gewonnenen Resultate. A. Morphologisch-anatomischer Teil. I. Überblick über die äußere Gestaltunddeninneren Aufbau des Vorder- und Mittelhirnsim Hinblick auf die Biologie. Betrachten wir zunächst die äußere Gestaltung des Vorder- und Mittelhirns.. Wir unterscheiden vier Hauptteile, in die das Gesamthirn zerfällt: Vorderhirn, Mittelhirn, Kleinhirn, verlängertes Mark. Das Vorderhirn weist morphologisch verschiedene Einzelheiten auf. Sein frontaler Pol zeigt eine deutliche horizontal verlaufende, gru- bige Einsenkung, die Fovea limbica. Sie ist deshalb von Bedeutung, weil Untersuchungen ergaben, daß der Wulst, der sich dorsomedial von ihr erstreckt, dem neencephalen Pallium angehört (Pars pallialis). Das Pallium, die neencephale Rinde reicht frontoventral bis zu dieser Grube. Das, was wir ventral von dieser Grube sehen, die Pars basalis gehört dem Striatum = Streifenhügel = Stammganglion an. So stellt diese Grube eine äußerlich sichtbare Trennung von Neencephalon und Pelaencephalon dar. An der Pars pallialis können wir der Lage nach vier Areale unter- scheiden, die Pars frontalis, parietalis, oceipitalis, temporalis. In der Pars frontalis verläuft oft als äußerer Ausdruck emer Ver- wachsung von Pallium und Striatum an dieser Stelle eine Einsenkung, die Vallecula. Sie teilt also den frontalen Palliumwulst in zwei Wülste, einen medialen, einen lateralen. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 303 Der Frontalpol ist frontobasal in ein keilförmiges, kleines Gebilde ausgezogen, den Lobus olfactorius. Direkt kaudal liegt ihm an der Basis eine wulstartige Erhebung an, der Lobus parolfactorius. Lateral und ventral von ihm liegt, bei vielen Vögeln ein weiterer Wulst, der Nucleus basalis, der ebenso wie der Lobus olfactorius sehr verschiedene Entwicklung erfährt. Für unsere Untersuchungen eıgibt sich aus dem bisher Gesagten, daß es in gewissen Graden möglich sein wird, am Vorderhirn morpho- logisch einzelne Teile abzugrenzen, die den Ausdruck der inneren Struktur darstellen. Es ergibt sich aber auch, daß, wollen wir Größen- beziehungen des Vorderhirns für sich aufstellen, diese sowohl durch Pallium wie Striatum bedingt sein können. Auf den inneren Bau des Vorderhirns weiter einzugehen, fällt außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Diejenigen Vorderhirnbahnen, welche für unsere Erörterungen in Frage kommen, werden wir beim Mittelhirn besprechen. Wenn wir den Körper, der morphologisch als Teectum opticum seu mesencephali in Erscheinung tritt, äußerlich betrachten, so ist er einheitlich. Wenn wir ihn aber auf seine innere Struktur hin zu charakterisieren suchen, so stellt er einen hochkompliziert gebauten Apparat dar, der bis in alle Einzelheiten noch gar nicht erforscht ist. Wir haben immer zu bedenken, daß das, was wir hier äußerlich sehen, messen, vergleichen, eigentlich aus drei Hirnteilen besteht, aus dem Mittelhirndach — Tectum opti- cum, aus dem tiefen Mark des Mittelhirns mit seinen Ganglien und Fasergruppen, aus dem Thalamus, der beim Vogelhirn mit dem Mittel- hirn innige Beziehungen eingeht. Diese drei Areale sind alle in irgendeiner Weise an den Verhält- nissen beteiligt, die wir unten aufstellen wollen, um sie biologisch zu werten. In welcher Weise im einzelnen Fall, diese Frage bleibt vorerst ungelöst. Wir können nur die wichtigsten Beziehungen des mikro- skopisch-anatomischen Aufbaues uns vor Augen führen und vielleicht daraus physiologisch-biologische Gesichtspunkte gewinnen. Betrachten wir in dieser Hinsicht das Mittelhirndach, das für unsere Untersuchungen den Hauptanteil darstellen dürfte. Wir müssen hier etwas näher auf die mikroskopische Anatomie eingehen. Das Mittelhirndach des Vogels stellt einen vielschichtigen Ganglien- zellenapparat dar, der mannigfache Bahnen empfängt, mannigfache Bahnen aussendet. Ich erwähne nur die wichtigsten. Bahnen, die das Tectum opticum als Endganglion empfängt. 1. Auge: Fasern total gekreuzt aus dem Opticus zum Mittelhirn- dach, dieses als primäres Sehzentrum charakterisierend. 2. Rückenmark; Direkte sensorische Fasern aus dem Rücken- mark gekreuzt zum Mittelhirndach. (Fraglich! Tractus spino-tectalis ventralis, Mittelhirnschleife.) 304 F. Groebbels: 3. Kleinhirn: Bahn aus dem Kleinhirn gekreuzt zum Mittelhirn- dach. (Fraglich! Tractus cerebello tectalis.) 4. Vorderhirn; Bahn aus der sagittalen Hemisphärenrinde zum Mittelhirndach ungekreuzt? (Tractus septo-mesencephalicus, Scheide- wandbündel.) Bahn aus dem Striatum zum Mittelhirn ungekreuzt (Tractus strio- mesencephalicus). | Fasern aus der occipitalen Rinde zum ungekreuzten Thalamus, Mittelhirnmark und Mittelhirndach, letztere Bahn fraglich (Tractus occipito-mesencephalicus — vielleicht sekundäre Sehbahn, doppel- läufig). Bahnen, die das Tectum opticum als Ursprungsganglion aussendet. 1. Auge: Fasern aus dem Mittelhirndach zum Opticus total gekreuzt. 2. Rückenmark: Motorische Bahn aus dem Mittelhirndach zum Rückenmark. Kreuzung fraglich (Tractus tecto-spinalis). 3. Verlängertes Mark: Motorische Bahnen aus dem Mittelhirn- dach zu den motorischen Kernen des verlängerten Markes. Bahn aus dem Dache gekreuzt zum Nucleus IV. und motorischen Kern der Haube (Tractus tecto-bulbaris m.edialis cruciatus). Bahn aus dem großzelligen Kern des Daches ungekreuzt zum Kau- muskelkern V (Radix mesencephalica quinti). 4. Mittelhirnmark: Bahn aus dem Dache zum Ganglion mes- encephali profundum derselben Seite. 5. Thalamus: Bahn aus dem Mittelhirn zum runden Kern des Thalamus (Tractus tecto-thalamieus). 6. Kleinhirn: Bahn aus dem Mittelhirndach zum Kleinhirn ge- kreuzt (Tractus tecto-cerebellaris). Setzen wir noch hinzu, daß nun all diese ganglionären Schichten des Daches noch unter sich und mit dem gegenseitigen Tectum ver- bunden sind, so haben wir im Tectum opticum einen nervösen Apparat vor uns, der eine ausgedehnte physiologisch-biologische Wertigkeit be- sitzen muß. Auf die weiteren histologischen Verhältnisse einzugehen, ist hier nicht der Raum. Wir werden sie, wo es uns nötig erscheint, weiter unten besprechen. II. Die Größen- und Lageverhältnisse des Vorder- und Mittelhirns an und für sich. Ich bringe zunächst eine Tabelle (Tabelle I) von 65 Vogelarten, deren Vorder- und Mittelhirne gemessen wurden. Sie sind nach dem System von Gadow geordnet. Es sind alle Ordnungen vertreten. Die Buchstaben «a bis f der Tabelle bedeuten Größenmaße. Die Zahlen cm. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 305 Tabellel. Nr. | Vogel [7 b ce d e | 80 |\.@80 7% Auge | i a8 | A. Ratitae. | | J. Ratites. | s 1 | Rhea americana L. Nandu. 233) E82] 7202 182 28) 2721 70:52 150,34. 70%5 2 Struthio Camelus L. | Strauß), 33|25|22 1710 8 07 |05 05 | B. Carinatae. | | \ ZI. Colymbiformes | 3 | Colymbus glaz. L. Eis- | | | ' taucher le 5 7 u rt I SAT. ectonmes. | | | 4 | Spheniscus dem. L. Bril- | | | lenpinguin . . 124.119) Lz 122) 7 7720 0,20 0,5% 0:62 24,75 \ IV. Procellariiformes. | | | 5 Fulmarus glac. L. Eis- | | | | sturmvogel . 21/14 14/10 62.0722100:52 ,.0:62.0:9575 \ V. Ciconiiformes. 6 | Pelecanus onocrotalusL. | | Gemeiner Pelikan . 30/22|21|12| Ss! 9| 0,7 |04 | 0,7530 7 , Ibis aethiopica L. Hei- Mae | liger Ibis \ 125116 15 9| 6 6|086 | 0,36| 0,7 8 | Phoenicopterus roseus. | | Pallas Rosenroter | OR emineo, ... . az /ı6 | ız 11) 5 7/06 04 | 06 9 | Botaurus stellaris L. ING Kun | | | Mekohrdommel. . ..:. 120/15 1412| 71010, 0,6 0,8 10 | Ardea cinerea L. are: | | | | | Fischreiher . 12214 15|13| 9| 8| 0,7 | 0,6 | 0,6 25 11 | Nycticorax n.L. Nacht- IR | | | reiher . ea el ae | VI. Anseriformes. | NER IR | 12 | Anser anser L. Grau- | | IR | SADS .. . 125117 |18|11| 7 .4| 0,7 1044 04 | 13 | Fuligula f. ib ne | art] Ka) | | | anüe, A 23 13 11106 )7270557).0,43| 0,22 16 14 | Anas boschas L. Wild- | a | ente. : 20) E14 2122 0297 257 533 50:65 7.0:45)1.0,33 117453 15 | Chaulelasmus Snspanns | Ka | | ' L. Schnatterente . I19/12)12| 9) 5/ 2 0,6 | 0,5 | 0,2510 16 | Nettium formosum Ge- N IERAR | | | | orgi. Zierente 20) 12|11|10| 6| 3 0,55) 0,5 | 0,3 17,5 VII. Falconiformes. inet | | | 17 | Catharistesurubu Viel. | | | | | Rabengeier. . . . . 25 17 16/11) 7) 6/06 | 0,44 0,54 18 | Lophaetus occip. Dud. | | | ı\ a | Schopfadler 132|23|25|14| 7| s| 0,2| 04 | 06 |se 306 F. Groebbels: Tabelle I. (Fortsetzung.) Nr. | Vogel [d | b c d ON ar e:a|d:a | ED Auge 19 | Geranoetus melanoleu- | N | cus Vieill. Aguja N! 21 14 8 ı11- 10,950,6 | 0,8 134 20) Aschokter nisus L. Sper- | | ber 5 SCI 21 | Melierax Hallyzomse ı Rüpp- Heuschrecken | e) Il4 |ı 9a |12 10 6 | S 10,85 0,7 | 0,8 118,5 119 14 [15 |ı2 | 7 |10 |0,8 0.6 | 0,8 28,25 22) Circus aeruginosus L | | habicht 00 2219 Rohrweihe .....z 2 [5 10 6 |7 09/06 072125 ı VIII. Galliformes. | 23 |Crax alector L. Glatt- | | schnabelkokko . . . 20 14 15 12 | 85 10,750,6 | 0,4 Gallina dom. Haushuhn 15 |12 1272012276274 0:82110772 2.054 Phasianus colchicus L. ı Edelfasan ... 15 11 ll 10 6| 7 0,731 0,7 | 0,7. 17,75 26 | Cotumix c. L. Wachtel 9/7 Se 4 | 4 1,0, [0,8 | 0,57 10,75 27 Perdix p. L. Rebhuhn 12,8 9,5 |10O 36|6,5 08310,710,7|; 28 |Caccabis petrosa Gmel. | i Klippenhuhn . . . .|14 11° 210,592 05% 529 (0,790:67 20:64 19 29| Tetrao urogallu L.| Auerhuhn . .... 17 11,5 [12,5 11 7 5,5 ‚0,7 |0,65 0,45 20 Opisthocomus hoazin. | Müll. Schopfhuhn 16 11 11/9 ‚5 | 6,750,7 [0,6 | 0,8 | IX. Gruiformes. | | | | 3l |Rallus aquaticus L. Wasserralle. ..... .|15 | 9,751 9 | 825 4 | 5 [0,6 \0,5 | 0,6 [12 32] Grus G L. Grauer | | Kranich . . . 231 155065 |2 |z5 9 0, 0,57 0,7 | 33 | Fulica atra L. Bleßhuhn 16 10,8 |10,8 9,8| 5 | 6,5 10,6 \0,6 | 0,6 | X. Charadriüiformes. | N: Be | 34 | Vanellus v. L. Kiebitz|15 9,5 [10 | 85| 5 5 [/0,660,5 0,6 18 35| Pavocella pugnax L. | | Kamptläufer2 22.272 1115 29 2782 186:55 04 5 10,7 |0,56 0,77 36| Numenius arquatus I Bodd. Brachvogel .|11,512,5 [12,5 9,5 | 5,5) 8,5 |1,8 0,8 | 0,8 |18,5 37 |Scolopax rusticola L. | | | Waldschnepfe. ... .114,510,5 10 | 7 5 5 !0,7 10,5 | 0,7 |16 38 | Stercorarius parasiticus | L. Schmarotzerraub- | | own. ..15,511,7513 | 9,5 5 | 5. 0,920,6 70,6 41 |Alca torda L. Tordalk 14 ı12 13 10 42 | Columba livia L. Felsen- | | | | taube 6,5137 TA TER 76:8 55 01000720 52 252550:95 (077214055 39 |Larus glaucus Beim, | | Eismöwe. .. .,19,5 12,5 |13 |11 6 | 7 |/0,7 10,6 | 0,64 8,5 40 |Rissa tridactyla 1D | | Stummelmöwe . . . 14 111 12,5 10 | 751 5 0,8 |0,7 | 0,5 | Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 307 Tabelle I. (Fortsetzung.) | Vogel [7 b e d e f IK @ | d:a 2 Auge 43 | Turtur lophotes | | Temm Schopftaube | 7,5 6 6 5,2 |4 4 0,8 |0,7 \0,8 XI. Oueuliformes. | | 44 | Amazona a. L. Amazo- | nenpapagei 329 15,5 |16 12 7,25 4 | 0,55 0,4 |0,33| 45 | Palaeornis torquata | | Bodd Halsbandsittich 23 14 13 9,5 |6 3,5 0,56 0,4 0,3 46 | Platycercus eximius | Shaw. Rosella .... 19 11,5 10 | 85|6 | 3 [0,5 /0,44.0,3 XII. Coracii formes. | | | 47 | Megalaema. Grünbärt- | | | 14 | 95/10 |9 |5 |5 [0,7 0,6 [0,55 48 | Eurystomus orientalis E Rachenrake SER 27 os 25040218 (0.880,75 49 | Lophoceros erythro- | | | rhynchus Tem. Tok |24 1155 117,5 |1ı2 |8 5.10,2.10,5 104 50 Surnia ulula L. Sper- | bereule En 19,25) 15,75) 15,25| 10 bi) 7,0532 10,54,057 2235 5l | Syrnium aluco L. | | Waldkauz ... . . .|189 15 |16,9 |10,5 \6 6 |0,9 0,5 10,6 2 En a 24,09% 175 195 0 7 7,5,0,8 0,5 0,64 53 | Asio accipitrinus Pall. | al | Sumpfeule . . 20 | 15 |9 |45| 6 |0,7 0,45 0,75 34 Pieus martius L. | | | Schwarzspecht . . .\21 /15.25114,25| 9,756 3 0,75 0,5 |0,3 55, Gezinus viridis L. Grün- | | specht 18,8 |12,5 11,9 9 |5 |3 [0,6105 03 [16 | XIII. ee iformes. | | | 56. Carrulax leucolophus | | ı Hardw. Hauben- | | | | häherling 223,3) 1851050825 5 0,8 0,6 0,6 57 | Prunella collaris Scop. | | \ Alpenflüevogel . 125,6 78777722 | 4° \0.60,5: 0,6 58 | Pomatorhynchus sene- | | | | galus. L. Buschwürger 11,5 |16,5 111 7 5 1,9,18.210,620,141155 59 Corvus corone L. Ra- - | : | | benkrähe - „25,5 [16,5 | 18,25 10 |7 4 |0,72 0,4 0,4 60 | Sturnus vulgarisL. Star 16 11 95|7 45|4|06 04 '0,6 61 | Fringilla coelebs L. | Buchfink ee. oz 62 | Carduelis cannabina L. 5 | | | Bluthänfling . 10.5207 | 5,5) 581255, 1032105. .05.|06 8 63 | Munia orizivora L. Reis- | | | | vogel el ze | 64 Pyromelana franciscana | | ı osert. Feuerweber 7 Da 5. 2 0,6 0,5 [04 65 | Alauda arvensis L. Feld- | | Ä ee... le 0,7 10,5 10,7 | 308 F. Groebbels: Die Bedeutung der Buchstaben geht aus Tafel I, 1 hervor. Es stellt das Gehirn des Straußes dar, dem eine Reihe von Linien übergezeichnet sind, welche die Größenmaße darstellen sollen. Es bezeichnet in dieser Arbeit «= den größten sagittalen Durchmesser des Vorderhirns, die Vorderhirnlänge, b = den größten dorsoventralen Durchmesser des Vorderhirns, die Vorderhirntiefe, 7; 7 TE, > 77 lm Me Abb. 1. Apus apus. c (auf Bild 3 nicht darzustellen) = den größten frontalen Durch- messer des Vorderhirns, beide Hemisphären zusammen gemessen, die Vorderhirnbreite, d = den größten Längendurchmesser des Mittelhirndaches, e = den größten Breitendurchmesser des Mittelhirndaches, f = gibt das Maß in Prozenten an, in welchen die Mittelhirnlänge oberhalb einer Linie fällt, die durch die horizontal gelegte Vorderhirn- basis gezogen gedacht ist. I. Die Größenbeziehungen des Vorderhirns für sich betrachtet. Ein Blick auf Tabelle I zeigt ohne weiteres, daß aus den Größen a, b, c für sich kein Anhaltspunkt irgendwelcher Art zu gewinnen ist. Es zeigt sich ferner, daß die Größen a, b, ce bei den verschiedenen Arten einer Ordnung — auf Systematik einzugehen, ist hier nicht der Ort — 309 Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. nicht unbeträchtlich schwanken. Man sieht auch, daß bei gleicher Vorderhirnlänge b und c für die Vögel einer Ordnung, sehr verschieden sein kann. Wollen wir in unseren Untersuchungen weiterkommen, so müssen wir ein Größen-,,‚verhältnis‘‘ aufstellen, oder aber ein solches der ein- zelnen Maße a, b, c zueinander. Es ergeben sich die Zahlen ec: a und a—b. Das Verhältnis c:a. Es ist, das ergibt sich aus der Rechnung, um so größer, je größer c, das heißt die Vorderhirnbreite ist. Es liegt bei allen untersuchten Vögeln zwischen 0,5 und 1. Es würde nun nicht weiterführen, wollten wir dieses Verhältnis bei Gehirnen vergleichen, deren Größe a verschieden ist. Wir müssen vielmehr a als festes Maß setzen, d. h. in der Weise vorgehen, daß wir alle Gehirne mit gleicher Größe a, miteinander vergleichen. Dann bekommen wir Tabelle II. Tabelle II. E e:a in cm h aın cm 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 24—25,5 Ibis Brillenpinguin Uhu Aguja Rabengeier Graugarıs Rabenkrähe 20—21 Zierente Wildente Rohrdommel Grauer Kranich Eissturmvogel Schwarzspecht Sumpfeule 18,8—19,5 || Rosella | Schnatterente Nachtreiher | Heuschrek- | Waldkauz kenhabicht Grünspecht Eismöwe Sperbereule 16—17 Bleßhuhn Schopfhuhn Eistaucher | Rohrweihe Star Auerhuhn Felsentaube 14,5—15,5 Wasserralle Waldschnepfe | Haushuhn |Schmarotzer- raubmöwe Kiebitz Edelfasan 13,5 —14 | Klippenhuhn Stummel- Tordalk möwe Sperber 11,5—12,8 Alpenflüevogel Kampfläufer Rebhuhn Feldierche 9—9,3 Buchfink Wachtel 1—1,5 Reisvogel Schopftaube Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 1. 310 F. Groebbels: Aus dieser Tabelle ersehen wir nun folgendes; Der Wert c:a ist nicht von der Ordnung bedingt, der der Vogel angehört, z. B. schwankt er bei den Galliformes und Charadriiformes beträchtlich. (Als Beispiel: Wachtel und Auerhuhn.) Es müssen also andere Momente als die Ordnung eine Rolle spielen. Tabelle Ill. Die größten Werte haben die Tagraubvögel (Ausnahmen Rabengeier). ain cm Vogel a—b e:a in cm 29— 33. ,|"Belieamu ar ar mu le s 0,7 Amazonenpapagei 13,5 0,55 24=25,9.|Agujarı „nu ne a a al. 7 0,9 Um s : 7 0,8 Graugans . . . 8 0,7 INabenkrahen near 9 0,72 leiser Ihisee. » mer. ©) 0,6 20—21 Sumpfeules ra nr er. 6 0,75 Glattschnabelkokko 6 0,75 Bissturmvogel 2. 2.22% 7 0,7 Zierente 8 0,55 18,8—19,5 | Waldkauz . Ange 3,9 0,9 ıSperbereuleies tn. ER. 3,9 0.8 | Heuschreckenhabicht . 5 0.8 | INachtreinerss 5 207 ı Grünspecht . 6,3 0,6 |Schnatterente . . . Y 0,6 Rosella . . 71,8 0,5 16,5—17 | Felsentaube . 3,5 0,9 | INohrwyeihenn ae 5 0,9 ıSchopfhuhn . 5 0,7 Bleßhuhn . . . 5,2 0,6 Star 5 0,6 Auerhuhn . 5,5 0,7 14,5—15,5 |Belsentaube . ...... 3,5 0,9 | Schmarotzerraubmöwe W119 0,9 ı Haushuhn ® 0.8 ıEdeltasan . . .. . = 4 0,73 | Kiebitz . a5 0,66 1305. 149 Tordale tn Er 2 0,9 | Stummelmöwe.. . .» ... 3 0,8 Klippenhuhn 3 0,7 Sperber: 5 0,85 11,5 | Brachvogel +1 1,8 19125 Buschwürger 2 5 ll 91%, \Ekvdchenrake nu 2 mr: 0 1 Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 311 Eulen. Tauben. Möwen. Dann folgen die Hühnervögel, und die Papageien und Entenvögel präsentieren den niedrigsten Wert, der überhaupt gemessen wurde. Auf die Werte bei Brillenpinguin und Tordalk möchte ich besonders aufmerksam machen. Die Differenz a—b. Wir berechnen die Differenz a—b und stellen sie dem Wert c:a gegenüber. Wir erhalten dann Tabelle III. Wir sehen aus der Tabelle, daß die Differenzen a—b in Beziehung zum Verhältnis c:a gesetzt werden kann. Wir finden im allgemeinen, daß bei Vögeln, deren Differenz a—b am kleinsten ist, das Verhältnis c:a sich am größten darstellt. Wir erhalten, wenn wir von der kleinsten Differenz a—b aufwärts gehen, eine Reihe, die der Größe c : a entgegengesetzt verläuft. Bei den kleinen Gehirnen ist das Verhältnis a—b/e:a verwischt. Als Ausnahme von der Regel sei besonders der Sperber genannt. Jedenfalls möchte ich annehmen, daß die Gesetze, welche die Zahl c: a bedingen, auch für die Differenz a—b bestimmend sind. Die eigenartigen Verhältnisse bei Brach- vogel, Buschwürger, Rachenrake weiß ich mir nicht zu erklären. Bei Brachvogel und Buschwürger findet man ebenfalls bei gleicher Größe « ein umgekehrtes Verhältnis von ce: a/a—b. 2. Die gegenseitigen Größen- und Lagebeziehungen von Vorder- und Mittelhirn. (Tafel 1.) Betrachten wir die Größe des Mittelhirns und seine Lagebeziehungen zum Vorderhirn. Wir stellen folgende Tabelle zusammen (Tabelle IV). Diese Tabelle ist sehr interessant. Wir stellen den Wert d: a aufsteigend für gleiche Größe a zusammen: finden, daß irgend eine Beziehung nicht vorhanden ist. Nur bei den größten Gehirnen läuft er der Größe c: a annähernd parallel. Ganz anders wird es, wenn wir diesen Wert in Beziehung zu f% setzen. Diese Zahl 7% scheint mir sehr wichtig zu sein. Es zeigt sich nämlich, daß sie im großen ganzen für alle gleiche Größen a bei den Vögeln ansteigt, bei welchen wir gewisse biologisch-ethologische Charaktere beobachten. Dies wird besonders deutlich, wenn wir für gleiche Größe a gleichzeitig gleiche Größe d: a setzen. Als Beispiel führe ich auf; d:qa f% ansteigend 0,5 Tok, Pinguin, Uhu, 0,45 Wildente, Sumpfeule, 0,5 Schnatterente, Grünspecht, Waldkauz, 0,6 Eismöwe, Nachtreiher, Heuschreckenhabicht, 0,7 Tordalk, Stummelmöwe, Sperber, 2 32 F. Groebbels: Tabelle IV. aincm | Vogel @ u | Om % 8 an ın cm cm ın cm in cm 24 — 25.5) Amar ae 0,6 14 |0,8 | 0,9 34 KL ON BEE RR AN AR LG 0,5 0,64| 0,8 Graugansa a Pe: ee) 0,4 | 0,7 Rabenkrähe . .... DR MOFA 0,4 | 0,72 Heiligerälpisp 2 0 0 0,36 0,7 | 0,6 Rabengeier. 2... 0. ' 0,44 0,54 | 0,6 20—23 ||Rohrdommel ........ 0,6 0,8 | 0,7 Sumpfeuleganer sur 0,45 | 9 |0,7 | 0,75 11 Grauer Kranich ..... 0,57 0,7 | 0,7 Grauer Fischreiher . .... | 0,6 13 [0,6 | 0,7 25 Bissturmyogele 2 ey 2 20595 01022 10:601.087 19,75 Glattschnabelkokko . . . . . 0,6 0,4 | 0,75 Wäldenter... see lackerte 0,45 0,33| 0,6 Halsbandsittich. . .. . . .1 0,4 0,3 | 0,56 Schwarzspecht Pr er 0,5 0,3 | 0,7 IReiherentep wre 0,43 0.22 70,5 18,8—18,5|| Heuschreckenhabicht 222750567 71225088 50:8 23,25 Waldkauzm ee | 0,5 0,6 | 0,9 Sperbereule. ur rn 0,5 |10 /0,7 | 0,8 22,5 INachtreiherger meer 0,6 0,7 , 0,7 IDISTo were er 0,6 8,5 0,64 0,7 1l Grünspecht 2 0 ae 0,5 0,3 | 0,6 Bosella a8 202 Deere Ott 09,3 0,5 Schnatterenter 2 Ser ı 0,5 9 0,25) 0,6 10 16 147 2\\\Schopthubnwe rg a re | 0,6 0,8 | 0,7 IRohr:weih ee 0,6 0,7 0,9 iRelsentaubege in Pa 0,7 0,7 | 0,9 BleBhuhnger nur 0 0,6 | 0,6 SEAT NE RR NEON: | 0,4 \0,6 0,6 Auerhuhn IE | 0,65 11 0,45| 0,7 20 14,5—15,5| Waldschnepfe .. . . .. .| 0,5 0,7 kdelfasanee a.) ee Eee 0,7 O7. dB Wasserralle ! 110,52 12 210:6215.0,6 8,25 Schmarotzerraubmöwe. . . . | 0,6 0,6 | 0,9 Elaushuhnee se re 0,7 0,4 0,8 135142 Sperber e 2... nen... 0,7 1070,38 | 0,85 18,5 Klippenhuhnea pe a 0,6 9 0,86 | 0,7 19 Stummelmöwe . :..... 0,7 10,5 | 0,8 MOTdalk PART N 0,7 10,5 | 09 11,5 12;8|/Brachvogele. 77. ers 0,8 ı|18,5/0,8 + 1,8 9,5 Kampfläutern u re: 0,56 10,77| 0,7 Bebhuhna 2 Eur 0,7 0,7 | 0,8 |"Bluchäntinef ne re 05. | 52106 05 8 9—9,3 |Rachenrake . . ...... 0,8 0,75 +1 IB chin ' 0,5 10,6 | 0,7 Wachtel nn a a ' 0,88 10,57 0,9 7—1,5 \Schopftaube . ....... 0,7 0,8 | 0,8 Beisvogele meer | 0,5 10,7 | 0,6 Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 313 7% ist am größten, d. h. das Mittelhirndach ist der Lage nach am meisten hinter das Vorderhirn hinaufgerückt bei Tagraubvögeln, Eulen, Tauben, Möven. Der Wert ist am kleinsten bei Enten, Spechten, Papa- geien, den meisten Hühnervögeln. Setzen wir nun weiter f% in Be- ziehung zu ce: a, dann ergibt sich wieder etwas Neues. Wir firden dann. daß einige Vögel, die entgegen ihrem biologischen Charakter (siehe unten) eine große Verhältniszahl ce: a haben, eine kleine Zahl f%, aufweisen. Als Beispiele Graugans, Schwarzspecht, Aueıhuhn, Haushuhn, Wachtel. Auch bezüglich der Differenz a—b tritt f%, ergänzend ein. Am schönsten sieht man das beim Sperber. Stellen wir unter Vernach- lässigung von a eine Reihe auf, in der f%, immer größer wird, so haben wir z. B. die Vögel; Schnatterente, Grünspecht, Rabenkıähe, Uhu, Felsentaube, Sperber. Ich möchte hier nur noch auf das interessanteste Gehirn hinweisen, das mir zur Messung vorlag, das Gehirn des Mauer- seglers. (Abb. 1.) Man sieht, daß die Zahl f% hier=1ist. Das Mittelhirn ist vollständig hinter das Vorderhirn gerückt. Werfen wir die Frage auf, ob f% nicht lediglich durch die O:idnung, zu der der Vogel gehört, bedingt ist, so können wir diese Frage im allgemeinen nicht bejahen. Man betrachte die Charadriiformes, Galliformes und Passeriformes. Für die Anseriformes, Cuculiformes und Falconiformes könnte man den Gesichtspunkt der Systematik für f% mit in Rechnung ziehen. III. Die Formverhältnisse des Vorderhirns als äußerer Ausdruck der inneren Struktur. Über diesen Punkt, der nur das Vorderhirn betrifft, können wir uns kurz fassen. Der Lobus olfactorius ist stark entwickelt beim Haushuhn. Einen deutlichen Lobus parolfactoriuswulst zeigen Rabenkrähe, Felsen- taube, Fischreiher, die Eulen, bei denen der Keil an der Basis des Frontalpoles wohl so gedeutet werden muß. Der Wulst dorsal der Fovea limbica tritt besonders stark bei Uhu und Speıbereule in Er- scheinung. Der Lobus temporalis ist sehr ausgep:ägt bei Uhu, Enten- vögeln, Papageien. Der Lobus occipitalis ist mächtig bei Uhu und Sperbereule, bei ersterem sieht man direkt eine kappenartige Über- lagerung der benachbarten Kleinhirnteile durch das oceipitale Vorder- hirnrelief. IV. Die Größen- und Lageverhältnisse des Vorder- und Mittelhirns zum übrigen Körper. 1. Vorderhirngröße, Körperlänge, Flugspannweite, Flügel. Ich habe an Hand von Brenms Tierleben die Maße der Körperlänge und Flügellänge der einzelnen Arten mit den Zahlen a, c:a und f% in Beziehung gesetzt und die Tabelle V aufgestellt. 314 F. Groebbels: Tabelle V. Körper- Flügel- Vogel länge länge [7 c:a I% in cm in cm u j — Wachtel ee ara: 20 10 8) 0,9 0,57 STATE A a NR UENEN: | 13 16 0,6 0,6 Grünspechtt+ . . . . . . | 30—32 18 \ 18,8 0,6 0,3 BPEEbEE/O.F DNA. er: | 20 14 0,85 0,8 Waldschnepfe 7 . ....... 21 I 2145 ı 07 0,7 Schoptauber. Ku... 34—36 15 TH ANERONS 0,8 Amazonenpapagäi + . . - | 19 29 0,55 0,33 Belsentaube ©... ...| | al ' 16,5 0,9 0,7 Kiippenhuhn Pe ner | 28 20 0,75 0,7 Sumpleulg@ sr 0 || 28 20 0,75 0,7 Halsbandsittich + . . . .\ 40-43 15 23 0,56 0,3 Reiherente + . .....| al 23 23 0,5 0,2 Zierente + .. 2... | 22 20 NSS EOS SperbereuleiOr ne. 2E .| 23 19,25 0,8 0,7 StummelmöweO. ... .| 30 14 0,8 0,5 | ok Wehe ehe: . || 46-48 17 24 0,7 | 09,4 MaldkauzOgr er | 29 18,9 0,9 | 0,6 Schwarzspecht +. . . . . | 50-52 IS BR ION] | 0,3 Schnatterente - . . ... | 26 19 0,6 0,25 Ivalbenkıra New || 30 2559 0,72 0,4 Nachtreihereg 32 19 0,7 0,7 Schopfadlesee ee 35 34 0,74 0,6 Wildente . . ........| 60-83 aD 20 0,6 0,33 Rischreiheres || 30 22 0,7 0,6 Schopfhuhne ee | 34 16 0.7 0,8 IBrachyogelODrEE rer rs] 32 195 1,8 0,8 Belcanenn ee 35 30 0,7 0,75 VÜhO REN N | 45 24,5 0,8 0,64 HismowelO er | 47 19,5 0,7 0,64 Glattschnabelkokko + . .| 95-100 42 20 0,75 0,4 Bispauchenoper er | 42 17 0,8 0,7 IRohrdommeler rer | 47 20 0,7 0,8 Graugans +... ... | 47 25 0,7 0,4 Wir sehen hier einmal, daß die Länge der Flügel für annähernd gleich große Vögel ziemlich schwankend ist. Wir sehen ferner, daß die Zahl a, also die Vorderhirnlänge zur Körperlänge in keinem bestimmten Verhältnis steht. Was uns aber ins Auge springt, das sind Beziehungen, die sich zwischen Flügellänge und den hier wiedergegebenen Gehirn- zahlen ergeben. Es finden sich, gleiche Körperlänge vorausgesetzt, Vögel, bei denen die Flügellänge klein, die Zahl «a groß, die Zahlen c: a und f%, klein sind. Es finden sich bei derselben Körperlänge Vögel, Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 315 bei denen die Flügellänge größer, die Zahl a erheblich kleiner, die Zahlen c:a und f% größer sind. Die ersten sind mit einem Kreuz, die letzteren mit einem Kreis bezeichnet. Es gibt nun aber Arten, bei denen solche Gesetze nicht zu gelten scheinen, bei denen vor allem « aus dieser Gesetzmäßigkeit herausfällt, d. h. auffallend groß ist. Ich nenne: Rabenkrähe und Schopfadler, zwei sonst in vielem ungleiche Typen. Auch die Hühnervögel passen anscheinend nicht in diese Gesetze. Wie wir uns alle diese Befunde zu erklären haben, werden wir unten erörtern. 2. Die Beziehungen zum Auge. Stellen wir die Größenzahlen des Auges, gemessen als doppelter Radius des Bulbus oculi an Hand der Tabelle I und IV zusammen, so ergibt sich nichts, was eine Beziehung zu c:a oder f%, erweist. Wohl aber können wir eine gewisse Parallele zwischen Bulbusgröße und Mittelhirnlänge d beobachten. Die Größe der Bulbi wechselt bei ein- zelnen Arten einer Ordnung oft beträchtlich. Die Lage des Mittelhirns scheint von der Größe des Bulbus unabhängig zu sein. Ob die Lage des Auges eine Rolle spielt, kann ich nicht entscheiden. 3. Die Beziehungen zum Schnabel. (Tafel I, 2—10.) Eine Lagebezeichnung des Vorder- und Mittelhirns zum Schnabel scheint nach der Tafel, die ich gebe, unwahrscheinlich. Ziehen wir eine Linie durch die Schnabelspalte und den Schnabelspaltwinkel, so schneidet sie bald das Mittelhirn, bald liegt sie über oder unter ihm. Daß aber hier andere, vielleicht sehr wichtige Beziehungen obwalten, werden wir im zweiten Teil dieser Arbeit sehen. Über die Beziehungen des Vorder- und Mittelhirns zur Schädelhöhle kann ich nichts aussagen, da meine Untersuchungen in dieser Richtung nicht ausgedehnt wurden. Der Schädel hat möglicherweise auf alle der hier erwähnten Gehirnverhältnisse einen gewissen Einfluß. B. Physiologisch-biologischer Teil. 1. Das Vorderhirn. Nachdem wir rein anatomisch-morphologisch die Verhältnisse dar- zulegen suchten, gehen wir zu ihrer physiologisch-biologischen Deutung über und betrachten zunächst wieder das Vorderhirn. Beginnen wir zuerst mit seiner äußeren Gestaltung. Wir haben am Relief des Vorder- hirns einige Einzelheiten unterschieden, die den nach außen sichtbaren Ausdruck der inneren Struktur darstellen und teils paläencephal, teils neencephal sind. Von diesen Einzelheiten seien hier näher betrachtet: Der Lobus olfactorius. Er stellt stammesgeschichtlich den Riech- 316 F. Groebbels: apparat dar. Er ist im allgemeinen schwach entwickelt und spielt auch nach allem, was die mikroskopische Struktur ergibt, Fehlen von Verbindungen dieses Apparates mit der Rinde, eine untergeordnete Rolle. Eine Annahme, die durch die Biologie, geringe Rolle des Ge- ruchsinnes beim Vogel, voll bestätigt wird. Der Wulst des Lobus parolfactorius. Wir fanden diesen Wulst besonders ausgeprägt bei Rabenkrähen, Felsentaube, Fischreiher, Lach- möwe, Papageien, Uhu und Sperbereule. Edinger”) hat nun darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Wulst irgendeine Beziehung zum Schnabel haben muß. Er spricht von ihm als den anatomischen Aus- druck des Oralsinnes. Übertragen wir die physiologische Deutung Edingers auf die Vögel, so finden wir sie für die oben angeführten Arten, gut bestätigt. Es handelt sich durchweg um Aıten, bei denen der Schnabel biologisch eine besondere Rolle spielt. Einmal bei der Nahrungssuche, Rabenkrähe, Felsentaube, die fischende Möwe, der fischende Reiher, wir denken hier an den Schnabel als an ein in ge- wissem Sinne besonders organisiertes Tastorgan. Bei Papageien und Eulen fällt wohl ins Gewicht, daß gerade bei diesen der Schnabel zum Klettern mitbenutzt wird, bei ersteren in ausgesprochenem Maße. Der Wulst des Nucleus basalis. Er ist auf unseren Bildern nicht näher bezeichnet. Wir haben ihn keiner vergleichenden Untersuchung unterworfen. Auch er dürfte eine biologische Rolle spielen, denn der Nucleus basalis, dessen äußeren Ausdruck dieser Wulst darstellt, ist ° Endganglion für eine Bahn aus dem sensiblen V. Kern urd steht nach ‚Edinger!) in einem gewissen Stärkeverhältnis zu diesem Kern. Er ist ferner Ursprungsganglion für eine Bahn zu den motorischen Hirn- nervenkernen der Medulla oblongata. Kalischer®) fand bei Reizung dieser Gegend Bewegungen des Schnabels und der Zunge. Damit dürfte die Richtung seiner biologischen Bedeutung gegeben sein. Über die biologische Wertigkeit des Wulstes oberhalb der Fovea limbica sowie des Lobus temporalis kann nicht entschieden werden. Der Lobus oceipitalis scheint bei all den Vögeln mächtig entwickelt zu sein, bei denen wir biologisch auf eine besondere Rolle des Sehvermögens und eine besondere Breite der mit dem Gesichtssinn in Verbindung stehenden psychischen Assoziationen schließen dürfen. Ich nenne Uhu, Rohrweihe, Rabenkrähe, Möwen. Im Lobus occipitalis entspringt bzw. endet z. T. der Tractus occipito-mesencephalicus, dessen Funktion als se- kundäre Sehbahn in Frage kommt. Bevor wir nun in unseren Betrach- tungen weitergehen, möchte ich etwas näher auf die zwei physiologisch- biologischen Erscheinungen eingehen, die mir, die anatomischen Ver- hältnisse mit der Biologie verglichen, für all die hier in Frage kommen- den Probleme allein in Betracht zu kommen schienen, den Gesichtssinn und das Flugvermögen. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 317 Der Gesichtssinn: Dank der Forschung der letzten Jahre, ich nenne in erster Linie v. Heß°), sind wir heute über den Gesichtssinn der Vögel ziemlich umfangreich orientiert. Wir können rein physiologisch u.a. den Farbensinn, die Refraktion des Vogelauges, die Sehschäife, die Akkommodatiorsbreite und die Augenbewegurg unterscheiden. Zahlreiche Untersuchungen v. Heß ergaben über den ersteren Punkt, daß sich das Vogelauge bezüglich des Sehens der Nahrung so verhalten muß wie unser Auge, wenn ihm rotgelbe Gläser vorgesetzt sind. Mit anderen Worten: Der Vogel hat einen Faırbersinn, der nach dem kurz- welligen Ende des Spektrums hin eingeschränkt ist. Bei Eulen fand v. Heß diese Einschränkung etwas geringer. Durch weitere Unter- suchungen wurde erwiesen, daß von einem Schlechtersehen der Eule bei Tage nicht die Rede sein kann. Die Differenzen im Vorhardersein des Sehpurpurs im Auge verschiedener Arten, der größere Stäbchen- gehalt der Eulennetzhaut sowie die stärkere Pigmentwanderung in dieser bei Belichtung seien hier nur kurz gestreift. Was die Refraktion des Vogelauges betrifft, so fanden mehrere Untersucher eine hyper- metrope Tendenz. Objektive Feststellurgen über die Sehschärfe fehlen. Gerade hier dürften für die Bio!ogie außerordentlich wichtige Fragen vorliegen. Die Akkommodationsbreite fand v. Heß bei Nachtvögeln bis 4 Dioptrien, bei Hühnern und Tauben 8—10 Dioptrien, beim Kormoran 40—50 Dioptrien groß. Daß die Akkommodationsbreite mit der biologisch wechselnden Notwendigkeit der Einstellung auf die Nähe Hand in Hand geht, dürfte naheliesen. Rabl!0) hat auf sehr interessante Beziehungen des sogenannten Ringwulstes, eines längs des Linsenäquators angeordneten Gebildes, zu der Fluggeschwindigkeit aufmerksam gemacht. Er fand ihn am gıößten bei den Schwalben, am kleinsten bei Eulen und Gänsen. Die Bedeutung dieses Gebildes gilt heute noch nicht als voll geklärt. Flugvermögen: Wir können die Physiologie des Vogelfluges in zwei Gruppen einteilen. In der ersten resultiert der Flug aus der Arbeit des Körpers mit den Flügeln = Flatter- und Ruderflug. In der zweiten, die sich biologisch als Gleitflug und Segelflug äußert, wird der Körper durch den Auftrieb der Luft, z. B. den an der Grenze zweier sich mit verschiedener Geschwindigkeit bewegender Luft- schichten, durch die beim Fliegen entstehenden Luftbewegungen, durch den Wind im Fluge unterstützt und gehoben. Die Physiologie des Vogelfluges ist von zahlreichen Forschern aus verschiedenen Ge- sichtspunkten heraus untersucht worden, kann aber heute noch nicht als abgeschlossen gelten. Ich möchte hier nur auf die Einteilung Müllenhoffs!!) näher eingehen, weil sie in ziemlich auffallender Weise mit dem übereinstimmt, was ich unten von der morphologischen Betrachtung des Vogelgehirns aus für das Flugvermögen ableiten werde. . 318 F. Groebbels: Müllenhoff unterscheidet 6 Flugtypen: 1. Den Wachteltypus (Rebhuhn, die schlecht fliegenden Wasser- vögel). Diese Vögel können weder schweben noch segeln. 2. Den Fasanentypus (Hühnervögel mit großen Schmuckfedern). 3. Den Sperlingstypus (Schnepfen, Brachvögel, Ibis). Diese Vögel können auch kurze Strecken segelnd abwärtsgleiten. 4. Den Schwalbentypus (Mauersegler.. Durch die Dauer des Segelfluges ausgezeichnet. 5. Den Geiertypus (Raben, Reiher, Störche, Eulen). Diese Tiere können kreisen. 6. Möwentypus. Er stellt den vollkommensten Typus dar. Zu erwähnen wäre noch das sogenannte Rütteln. Es kommt zustande durch die Arbeit der Flügel im Form des reinen Ruderfluges und wird durch den Wind, falls soleher weht, unterstützt. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unseren Betrachtungen zurück. Wir kommen zu den Größenverhältnissen des Vorderhirns. Wir haben uns vor Augen gehalten, daß die Verhältniszahlen c:a und a—b zwei Komponenten ausdrücken können. Die neencephale des Palliums, die paläencephale des Striatums. Jede Komponente stellt den Ausdruck ihres inneren Aufbaues dar. Es ist zwar an und für sich nicht zu unterscheiden, in welchem Umfange jede dieser Komponenten an einer Größenverhältniszahl beteiligt ist. Trotzdem wollen wir aus didaktischen Gründen “ie beiden Komponenten getrennt betrachten. Wir beschäftigen uns zuerst mit dem Pallium. Das Verhältnis ce :a. Alle Vögel, welche eine große Verhältniszahl c : a zeigen, sind durch eine biologisch weitere Ausgestaltung des Gesichtssinnes ausgezeichnet als solche mit kleiner Verhältniszahl c :a. Ich nenne hier vor allem die Tagraubvögel, Eulen, Tauben und Möwen. Abgesehen von der reinen Physiologie des Gesichtssinnes, die hier wohl nicht allein als maßgebend herangezogen werden kann, sind vor allem die Beziehungen des Gesichtssinnes zu den Lebensfunktionen des Vogels sowie der Gebrauch der Gesichtseindrücke bei der assoziativ-psychischen Tätig- keit in Betracht zu ziehen. Ich denke dabei an das Spähen der Tag- raubvögel, an das Stoßen auf Beute in der Luft, am Boden oder im Wasser, an das Örientierungsvermögen der Brieftaube. Unter den Vögeln, welche die kleinste Zahl ce : a aufweisen, finden wir die Papageien, Entenvögel, Spechte. Daß bei diesen der Gesichtssinn biologisch nicht die Entwicklung erfuhr, wie bei der ersten Gruppe, kann aus vielen - Erscheinungen ihres Lebens geschlossen werden. Das Klettern der Papageien und Spechte, das Grundeln der Ente, die ganze Skala, wie diese Vögel ihre Nahrung aus der Nähe suchen, ist biologisch-physio- Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 319 logisch von der Art der Nahrungssuche der ersten Gruppe durchaus verschieden. Es ist nun interessant, die morphologischen Tatsachen mit denen der mikroskopischen Anatomie zu vergleichen. Edinger!) fand, daß das Vogelgehirn, welches dem Säugergehirn am nächsten steht, dem Papagei angehört. Er fand die stärkste Rinden- faserung bei Singvögeln, Gans und Papagei. Es sind das nun gerade die Vögel, welche die kleinsten oder nur mittleren Zahlen c:a haben. Ich nenne: Rosella, Entenvögel, Star, Buchfink, Feldlerche. Es muß also, so möchte ich weiter schließen, zwei Typen von Vorderhirnen geben: 1. den frontalen Typus, der den höher entwickelten Typus darstellt; (Tafel I, 16—19). 2. den occipito temporalen Typus, der den biologischen Seh- und Flugtypus bezeichnet (Tafel I, 11—15). Die Zahl c:a, welche diese Typen charakterisiert, will ich die Vorderhirnverhältniszahl nennen. Es ‘spielen hier auch Fäden hinüber zur Psychologie, man denke an die ‚geistigen Fähigkeiten“ der Papageien und Singvögel. Es gibt nun einerseits außer diesen beiden Grenztypen Vorderhirne, die zwischen diese zwei Typen fallen. Man vergleiche die Tabelle. Es gibt andererseits Vögel, deren Vorderhirn zwar die größten Vorder- hirnverhältniszahlen zeigen, die biologisch aber weder durch Gesichts- sinncharakter noch durch Flugvermögen besonders imponieren. Beispiele: Wachtel, Haushuhn, Rebhuhn. Bei diesen, einen dritten . Typus darstellend, tritt nun aber, wie wir unten sehen werden, das Mittelhirn ergänzend ein (Tafel I, 20). Wie schon angedeutet, ist der Gedanke naheliegend, daß das Flugvermögen für diese Verhältnisse eine Rolle spielen kann. Und zwar kommt hier unter dem physiologischen Bilde des Fluges, das wir oben charakterisierten, die Geschwindigkeit und Ausdauer des Fluges mit in Frage. Wir finden, daß die Vögel, welche die größten Zahlen c :a zeigen, tatsächlich die besten Flieger sind. Die Vögel dagegen, welche die kleinsten Zahlen c :a darstellen, sind alle durch geringe Ausdauer und Geschwindigkeit des Fluges, z.T. durch Schwerfällig- keit im Erheben zum Fluge aus der Ruhestellung charakterisiert. Ich nenne Papageien und Enten. Man vergleiche ferner biologisch Eulen und Spechte. Man betrachte ferner die Hühnervögel, unter denen die Wachtel morphologisch die größte Vorderhirnverhältniszahl zeigt, biologisch aber ein besseres Flugvermögen als Rebhuhn und Haushuhn. Die bisherigen Betrachtungen legen uns ein weiteres Problem: ‚das Sehen im Fluge‘ nahe. Die Differenz a—b. Wir fanden, daß sie im allgemeinen bei den Vorderhirnen am kleinsten ist, bei denen die Vorderhirnverhältniszahl 320 F. Groebbels: sich am größten darstellt. Wir finden die Differenz a—b also am größten beim frontalen Typus. Es dürften in diesem Sinne für diese Zahl dieselben bio!ogisch-physiologischen Gesichtspunkte gelten, wie sie für die Vorderhirnverhältniszahl aufgestellt wurden. Wollen wir nun in den inneren Bau des Palliums etwas eindringen und uns die Frage vorlegen, welche Bahnen biologisch-funktionell hier in Frage kommen. Für den occipito-mesencephalen Typus dürfte vielleicht der Tr. occipito-mesencephalicus als sekundäre Sehbahn von Bedeutung sein. Der Tracetus ist nach Untersuchungen, die ich anstellte, doppelläufig, wie Edinger vermutete. Es wäre eine dankbare Aufgabe, dieses Bündel bei verschiedenen Arten auf die Stärke seiner Entwicklung hin zu untersuchen. Als weiteres Rindenbündel käme dann der Tr. septomesencephalicus in Frage. Kalischer®) fand, daß diese Bahn physiologisch, mit der Bewegung der Beine und wohl auch der Flügel in Beziehung steht, also auch biologisch von Wichtigkeit . zu sein scheint. i Das Striatum. Diese paläencephale Komponente des Vorderhirns steht unter sich, mit der Rinde und anderen Hirnteilen, z. B. Thalamus, durch Bahnen in Verbindung. Die physiologische Bedeutung dieses Hirnteiles ist bis heute noch unklar. Möglicherweise liegt hier das Wärmeregulationszentrum. Wie ich in meinen Untersuchungen über den Gasstoffwechsel der Vögel nachweisen konnte!2), haben unter den Vögeln die kleinsten Arten den größten Stoffwechsel, dabei die In- sektenfresser einen größeren als die Körnerfresser. Der Gasstoffwechsel _ dieser kleinsten Arten, das scheint bdeutungsvoll, fällt aus dem Rahmen der Stoffwechselgesetze der Säuger heraus, er ist z. B. bein: Rotkehlchen und Kanarienvogel viel größer als bei der kleineren Maus. Man kann daraus schließen, daß namentlicn die kleimen Arten ein sehr ent- wickeltes Wärme- und Stoffwechselregulationszentrun: besitzen müssen. Dem Problem an Hand unserer Tabelle näher zu kommen, mußte ich aufgeben. Ich wollte aber nicht an ihm vorübergehen, ohne auf ge- wisse Tatsachen aufmerksam gemacht zu haben. Fassen wir noch einmal alles zusammen, so scheint alles dafür zu sprechen, daß die Zahlen e :a und a—b durch die neencephalen Kom- ponente, d.h. durch das Pallium, bedingt sind. “ 2. Das Mittelhirn. Wir haben zu Anfang dieser Arbeit gesehen, daß das Mittelhirndach als primäres Sehzentrum anzusehen ist. Das Mittelhirn (Dach + Mark) stellt einen komplizierten assoziierenden Apparat dar, der einmal Seh- eindrücke empfängt und sie durch zuleitende sensible und ableitende motorische Bahnen mit der Empfindungssphäre und den Muskeln des Körpers in Verbindung setzt. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 321 Es ist ferner ein Apparat, der durch seine Verbindungen mit dem Kleinhirn und durch die sekundäre Oktavusbahn, durch das dorsale Längsbündel Beziehungen zum Gleichgewicht des Körpers zum Stato- tonus und Muskeltonus gewinnen dürfte. Nehmen wir die Bahnen zum Thalamus und zur Oceipitalrinde hinzu, so haben wir darin den Ausdruck einer Funktion, die das Mittel- hirn mit höheren Zentren, z.B. sekundärem Sehzentrum, in Ver- bindung setzt. Das Verhältnis d :a. Wir fanden die Zahl f%, die von Bedeutung wird, wenn wir sie für gleiche Größen a und d:a betrachten. Diese Zahl, die ich ‚‚Mittelhirnverhältniszahl‘‘ nennen möchte, scheint für die Biologie sehr wichtig zu sein. Sie ist am größten, wenn das Mitte:hirn- dach am weitesten nach oben hinter das Vorderhirn gerückt ist. Wir finden sie am größten bei Tagraubvögeln, Eulen, Tauben, Möwen, also beim occipito-temporalen Typus, am kleinsten bei Enten, Spechten, Papageien, d.h. beim frontalen Typus. Der dritte Typus, den ich aufstellte, stellt insofern einen neuen Typus dar, als bei ihn. die Vorder- hirnverhältniszahl zwar groß, die Mittelhirnverhältniszahl aber klein ist. Wir finden diesen Typus namentlich bei den Hühnervögeln, deren Zahlen c:a und f% übrigens ziemlich schwanken. Vom Standpunkte der Biologie können wir wohl wieder sagen, daß auch für die Zahl f% Gesichtssinncharakter und Flugvermögen ausschlaggebend sind. Die Reihen, die ich oben aufführte, sprechen in diesem Sinne. Auf das Gehirn des Sperbers trifft diese Deutung besonders gut zu. Das Gehirn des Mauerseglers scheint dafür zu sprechen, daß dem Flugvermögen eine wesentliche Rolle zufällt. Es kann kein Zufall sein, daß bei einem so ausgesprochenen Luftvogel (Begattung im Fluge) das Gehirn den von mir aufgestellten biologischen Gesichtspunkten am besten entspricht. Man möchte hier vor allem an das Pıoblem der ‚‚Stellreflexe‘“ denken, deren Erforschung für die Säuger durch Magnus und seine Mit- arbeiter!?) bereits zu einem aktuellen Problem geworden ist. Für den Vogel fehlen uns bis jetzt die physiologischen Tatsachen. Vielleicht bringen Untersuchungen, die ich demnächst gemeinsam mit Herrn Prof. Kestner über dieses Problem beim Vogel anzustellen gedenke, Licht in die Frage. Vergleichen wir die Verhältnisse c:a und f% für gleiche Größen a und d:a, so finden wir sie im allgemeinen parailel. Beispiele ergeben sich aus den Tabellen. Wir möchten demnach glauben, daß bei Vögeln mit frontalem und oceipitalem Typus die Verhält- nisse c:a und f% sich korrespondierend entwickelten. Wir denken daran, daß die Zahl c: a die neencephale, die Zahl f% die paläencephale Komponente biologischer Komplexe darstellt. Der dritte Typus ist dann dadurch ausgezeichnet, daß diese Korrespondenz aus einem nicht zu eruierenden Grunde nicht mehr besteht. So mochten, was all 322 F. Groebbels: diese Beziehungen betrifft, mannigfache biologische Komplexe auf die Gestaltung der Vogelhirnform eingewirkt haben. Vögel, die durch „geistige Fähigkeiten‘ bekannt sind, Papageien, Singvögel (Gesang!), Vögel, die ihre Füße ethologisch in weiteren Spielräumen gebrauchten, sich auf ihre Kosten gewissermaßen von den Flügeln als Flugorgane emanzipierten (Papageien, Specht, Strauß), mußten eine andere Hirn- gestaltung erfahren als solche, die ethologisch mehr auf Gesichtssinn und Flugvermögen eingestellt waren (Mauersegler als extremstes Beispiel). | Vorderhirngröße, Körperlänge, Flugspannweite, Flügel. Wir haben gesehen, daß in dieser Frage eine Beziehung zwischen Flügellänge und den Zahlen a, e:a und f% zu bestehen scheint. Be- trachten wir die Vögel der Tabelle V, welche mit einem Kreuz bezeichnet sind, so gehören sie alle dem frontalen Typus an, während die mit ' einem Kreis bezeichneten den occipitotemporalen Typus vertreten. Wir müssen also auch hieraus wieder schließen, daß die Zahlen c:«@ und /% eine Beziehung zum Flugvermögen charakterisieren, und daß dieses Flugvermögen morphologisch durch eine neencephale und eine paläencephale Komponente ausgedrückt ist. Was aber die Vögel be- trifft, welche, wie Rabenkrähe und Scnopfadler, aus dem Rahmen dieser Gesetze herausfallen, so dürfte hier ein Faktor in Frage kommen, der — zwar noch sehr ungenau — mit „geistiger Fähigkeit“ bezeichnet werden könnte. Legen uns doch unsere Befunde überhaupt nahe, die bisherigen Ansichten über diese „geistigen Fähigkeiten“ gründlich zu ändern und aufeinenetwas greifbareren anatomisch-physiologischen Boden zu stellen. Was die Hühnervögel betrifft, so zeigt dieser dritte Typus auch hier Verhältnisse, die als besondere bezeichnet, doch vorerst nicht gedeutet werden können. Die Beziehungen zum Auge. Wir finden keine Beziehungen der Bulbusgröße zu c:a und f%- Es wäre aber denkbar, daß die Größe des Bulbus bzw. die Größe der Retina in gewissem Verhältnis zur Größe des sichtbaren Mittelhirn- daches steht. Tabelle I enthält Zahlen, die für die Richtigkeit; dieses Gedankens sprechen können. Auch hier muß ich versucht sein, eine biologische Beziehung anzunehmen. Stellen wir nämlich die annähernd gleichen Bulbi zusammen, so finden wir, daß Vögel, die durch besseres Seh- und Flugvermögen biologisch bekannt sind — zum Teil wenigstens — durch eine größere Mittelhirnzahl d auffallen. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 323 Als Beispiele: Bulbusgröße 8s—8,5 Bluthänfling, Eismöwe, 11—12 Wasserratte, Sumpfeule, 18,5—19,75 Klippenhuhn, Brachvogel, Sperber, Eissumpfvogel. Wahrscheinlich spielen also, so möchte ich schließen, für die morpho- logischen Verhältnisse des Mittelhirns noch andere biologisch-physio- logische Komplexe als der des Sehens eine Rolle. Die Beziehungen zum Schnabel. Wir fanden, daß die Lage des Gehirns zum Schnabel an und für sich keine biologischen Gesichtspunkte nahelegt. Und doch würden wir diese Frage nicht erschöpfen, wollten wir nicht auf andere hierher gehörende Beziehungen eingehen. Drehen wir nämlich an der bei- gegebenen Tafel I, 2—10 die diese Verhältnisse zeigen soll, den Kopf des Vogels so, wie er habituell in der Ruhe gehalten wird, so liegt das Mittelhirn immer horizontal oder annähernd horizontal. Diese inter- essante Beziehung scheint auch durch das Gehirn des Mauerseglers bestätigt zu werden. Dreht man bei diesem Tiere dasMittelhirn horizontal, so fällt eine Linie, welche es rechtwinklig schneidet, mit der Schwer- punktachse des Körpers zusammen. Diese Linie des Schwerpunktes schneidet hier nicht die Füße, fällt vielmenr in die Längsrichtung der Flügel. Das Tier ist auch tatsächlich ethologisch ganz auf das Anklammern - an senkrechte Ebenen eingestellt, auf horizontalen Ebenen ist es hilflos. Diese Beziehungen der Mittelhirnlage zum Körper dürften wohl physiologische Probleme darstellen, die in das moderne Kapitel der „Stellreflexe‘‘ fallen. Ob das Mittelhirn bei der habituellen Ruhe- stellung des Körpers als direktes Zentrum oder erst indirekt von dem, Labyrinth und seinen Bahnen her beeinflußt diese Lage einnimmt, ist eine Frage, die unentschieden bleiben muß. Die Vögel, bei denen im Sitzen: der Schwerpunkt direkt in die Längsachse des Körpers und in die Füße fällt, halten den Kopf habituell annähernd horizontal, wobei dann die Mittelhirnlänge d annähernd horizontal steht, d.h. senkrecht zur Schwerpunktachse. Ruhen sie auf einem Bein, so werden sie diese Kopfhaltung ebenfalls einnehmen. (Singhabicht, Eulen.) Die Vögel, bei denen im Sitzen der Schwerpunkt vor die Füße fällt, müssen aus irgendeinem physiologischen Prinzip des Gleichgewichtes heraus ihren Kopf mehr oder weniger nach vorne zum Boden drehen, wobei die Mittelhirnlänge d dann wieder annähernd horizontal steht. (Ente, Taube, Eichelhäher, Papagei.) Als Bahn, die für diese Verhältnisse in Frage kommen dürfte, wäre das dorsale Längsbündel zu nennen. Wahrscheinlich spielt auch das Kleinhirn dabei eine Rolle. 324 F. Groebbels: Zusammenfassung. Die morphologisch vergleichende Untersuchung des Vorder- und Mittelhirns von 65 Vogelarten aller O:dnungen hat ergeben: 1. Eine strenge Gesetzmäßigkeit zwischen G:ößen- und Lagever- hältnissen dieser Hirnteile und bisheriger Systematik besteht nicht. Der Lobus parolfactorius weist auch beim Vogel auf eine biologische Beziehung zum Schnabel bzw. Oralsinne hin, 2. Wir können an Hand des Vergleiches der Vorderhirnverhältnisse drei Typen von Vogelvorderhirnen aufstellen: a) den frontalen Typus, der den am höchst entwickelten Typus darzustellen scheint, soweit mikroskopisch-anatomische Untersuchungen vorliegen. b) den occeipitotemporalen Typus, dessen Vertreter biologisch im Gegensatz zum ersten Typus durch Gesichtssinncharaktere und besseres Flugvermögen ausgezeichnet sind. Es spricht vieles dafür, daß dieser Typus durch die Entwicklung der sceipitalen Rinde — sekun- däres Sehzentrum — bedingt ist. c) einen dritten Typus, der in seinen Vorderhirnverhältnissen dem zweiten Typus nahesteht, bio!ogisch aber weder durch besondere Gesichtssinncharaktere noch durch gutes Flugvermögen hervortritt (Hühnervögel). d) Die Vorderhirnverhältnisse dieser drei Typen sind morphologisch durch das Verhältnis der Vorderhirnlänge zur Vorderhirnbreite, die Vorderhirnverhältniszahl charakterisiert. 3. Für die morphologische Beziehung des Mittelhirns zum Vorder- hirn ist die Mittelhirnverhältniszahl ausschlaggebend, eine Zahl, die in Prozenten angibt, wieviel von der Mittelhirnlänge oberhalb einer Linie fällt, die durch die horizontal gelegte Basis des Vorderhirns gezogen gedacht ist. Diese Zahl ist groß beim oceipitotemporalen, klein beim frontalen und dritten Typus des Vorderhirns. Sie stellt den paläencephalen Ausdruck dar für die bio!ogischen Seh- und Flugcharaktere der Vögel und steht. mit der Vorderhirnveıhältniszahl als dem neencephalen Ausdruck dieser Charaktere in gewisser Parallele. 4. Für viele Vögel gleicher Körperlänge kann man, die Flügellänge mit den morphologischen Gehirnverhältnissen verglichen, zwei Typen unterscheiden. Bei dem ersten Typus sind Flügellänge, Vorderhirn- verhältniszahl und Mittelhirnverhältniszahl relativ klein, die Vorder- hirnlänge groß. Bei dem zweiten Typus sind Flügellärge,, Vorderhirn- verhältniszahl und Mittelhirnverhältniszahl relativ groß; die Vorder- hirnlänge klein. Die Vögel des ersten Typus gehören dem frontalen, die des zweiten dem occipitotemporalen Typus an. Die Morphologie des Vogelgehirns in ihren Beziehungen zur Biologie. 325 5. Die Größe des Bulbus oculi bzw. der Netzhaut steht in gewissem Verhältnis zur Länge des Mittelhirns. Aus dem Vergleich zwischen Auge und Mittelhirn scheint sich zu ergeben, daß beim occipito- temporalen Typus noch andere physiologisch-biologische Gesichts- punkte als das Sehen für die morphologischen Verhältnisse in Frage kommen. | Das Mittelhirn ist bei einigen Arten dieses Typus etwas größer als die der Bulbusgröße entsprechende Grundzahl. 6. Die Lage des Mittelhirns zum Körper weist auf Beziehungen zur habituellen Kopfhaltung in der Ruhestellung hin. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ein Problem, das mit dem der Stellreflexe im engsten Zusammenhang steht. 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Heß, v., Kapitel „Gesichtssinn“ in Wintersteins Handbuch der vergleichenden Physiologie. Jena 1911. Bd. 4. — 10) Rabl, Über den Bau und die Entwicklung der Linse. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie 6%. 1900. — !!) Müllenhoff, Die Größe der Flugflächen. Arch. f.d. ges. Physiol. 35. 1885. — "?) Groebbels, Experimentelle Untersuchungen über den Gasstoffwechsel der Vögel. Zeitschr. f. Biol. #0, 1920. — 12) Magnus, Beiträge zum Problem der Körperstellung. Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 1916 und 1%4, 1919. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. 23 Autorenverzeichnis. Abderhalden, träge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wir- kung. IV. Mitteilung. Gaswechsel- untersuchungen an mit geschliffenem Reis mit und ohne Hefezusatz er- nährten Tauben. S. 80. und Ernst Gellhorn. Weitere Studien über die von einzelnen Or- ganen hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. V. Mittei- lung. S. 243. de Boer, S. Herzwühlen, Flimmern, Flattern, gehäufte Extrasystolie, par- oxysmale Tachykardie. 8. 193. — Über den Einfluß von Bariumchlorid auf das Froschherz. S. 283. Feucht, B. Zur Bürkerschen Metho- diik der Blutkörperchenzählung. S.139. Fröhlich, Alfred und Alois Kreidl. Pharmakoloeische Unter- suchungen über die Wärmenarkose an marinen Krebsen (Palaemon). S. 90. — —- Lichtreaktionen bei Krehsen (Pa- laemon). S. 102. Gellhorn, Ernst, siehe Abder- halden, Emil und Ernst Gellhorn. Groebbels, Franz. Die Morpho- logie des Vogelgehirns in ihren Be- ziehungen zur Biologie. S. 299. Hering, H.E. Über die Koeffizienten der Reizbildung im Herzen. 8. 132. Holthusen,Hermann. Beiträge zur Biologie der Strahlenwirkung. Unter- suchungen an Askarideneiern. 8.1. Hürthle, K. Beschreibung eines Kaukraftmessers. S. 75. Junkersdorf, P. Beiträge zur Phy- siologie der Leber. III. Mitteilung. Das Verhalten der Leber bei Gly- kogenmast. 8. 269. Kreidl, Alois, siehe Fröhlich, Alfred und Alois Kreidl. Emil. Weitere Bei- Neuschlosz, Kupelwieser, Ernst. Berichtigung zu meiner Arbeit: Beitrag zur Physio- logie des Tan isn Va eanas (Sinusund Hohlvenen) der Ringelnatter. S. 162. Lion, Hans, siehe Maier, Marcus mel Elne Iran. b; Loewi, O. Über die Beziehungen zwi schen Herzmittel- und physiologischer Kationenwirkung. IV. Mitteilung. Über Nichtelektrolytwirkung aufs bBlerr4. 59105: \ — Über die Beziehungen zwischen Herz- mittel- und physiologischer Kationen- wirkung. V. Mitteilung. Über die Wirkung von Lipoiden auf die Hypo- dynamie und deren Beziehung zum Kalium. S. 123. Maier, Marcus und Hans Lion. Ex- perimenteller Nachweis der Endo- lymphbewegunge im Bogengangsappa- rat des Ohrlabyrinthes bei adäquater und kalorischer Reizung. Physiolo- eische Erklärung der‘ Auslösung des Nystagmus durch Endolymphbewe- sung. 8. 47. S. M. Erwiderung auf die Bemerkung des Herrn H. Han- dovsky zu meiner Arbeit: Die kolloid- chemische Bedeutung des physiolo- gischen Ionenantagonismus usw. 8.136. Palugyay,Josef. Röntgenoloeische Beobachtungen über die Anatomie und Physiologie der Kardia. S. 233. Steinhausen, Wilhelm. Über die Latenzzeit des Sartorius in Abhängig- keit von der Stromstärke bei Reizung # mit konstantem Strom. S. 26. v. Uexküll, J. Der Segelflug. S.25. Weber, Hans H. Über die Role der Milchsäure bei der Bildung und Lösung der Muskelstarre. ir theorie der Atmungsresulation. 8.293. S. Hear 8 Winterstein, Hans. Die Reaktions- vaiN Tafel I Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 187. Abb. 1. Struthio camelus L. Abb. 2, Phasianus colchicus, Abb. 3. Ente spec Abb. 10. Melierax Abb. 4. Columba domestica Abb. 5. Sturnus vulgaris Abb. 6, Garrulus glandarius Abb. 7. Rallus aquaticus Abb, 12, Circus neruginosus Abb. 14. Bubo bubo Groehbels, Morphologie des Vorelgehirns. N r rt 5768 | | 1 L —n ıE | | SS Rei ee ER, BERN „“ 77 IE nn ER 8.0... K- 2223 j- 2° = A 2 y IR rule Behty, a jun ehe EHE RETRO E e u Pe