Rain an Hat N IR Ta een sw »“ % “ IK! RER \ RE Dre x AEunLR ; kei atk “"; u N, DEREK er er je IR iR ig h ALATT, EN up Erw Kuh n ESERRERLERTERE ei REN S »“ RR ne aiaar rt, , 2%) “re RN AILASIRLSLSLLLRTRLSLELEIR RITTER NRTORTLICH KEREKE * * Re DEREN si, ururı> NEN Haar, IE SZ ON IK JE un RR re an ger‘ are, EEE REDEN REN Saleiaih x NR TRRRBLR ELLE DR Tat? EEK NEN, ! araaTy KABUN N KR jr BERDERSFNUTRL , 2 ar, are h De? Dar rLR h KORRRRER 5 TEEN, ee EtleT % SR N RS En “er ee nr “ er eine LLTENN. re ge 2 .'r IE EEE wo. LE. Km a RR he ars [ BRLE Muh sie Ela Pr ash ee r “ a SCH BEREHE ern RN [2 je ” Te LE nur er FR A 10 @ “a wie es PFLÜGER’ ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. 8. FRANKFURT A. M. KIEL 196. BAND MIT 201 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 Inhaltsverzeichnis. Kolmer, W. und R. Löwy. Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. (Mit 5 Textabbildungen) . Haffner, F. Über den Mechanismus. von Hämolyse und Aeglatination durch Ionen. (Mit 1 Textabbildung) ; Nirenstein, Edmund. Über das orkommen Meier Sauren im Verdanungstrakt von Oligochaeten Na Brinkman, R. und E. van Dam. Die chemische Übertragbarkeit der Nerven- reizwirkung. (Mit 5 Textabbildungen) Ä } Werner, F. Felix. Physiologische und Dharmakolopische Studien. an der Atmung des Kaltblütlers. (Mit 9 Textabbildungen) Perger, Hans. Untersuchungen über das Aussalzen der Polyenechande und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke i Kohlrausch, Arnt. Untersuchungen mit farbigen Schwellenpritflichtern über den Dunkeladaptationsverlauf des normalen Auges g Abelsdorff, G., W. Dieter und A. Kohlrausch. Weitere Untersuchungen über den Dunkeladaptationsverlauf bei verschiedenen Farbensystemen und bei Adaptationsstörungen h Nakagawa, Tomoichi. Die Wirkung von "Kalebassen- Curare auf die Ihe: beweeung 5 : Hart, C. Beiträge zur biologischen Bedeutung der Anvantellnsanfischen Organe. I. Mitteilung. Schilddrüse und Metamorphose. (Mit 7 Textabbildungen) — Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. Mitteilung. Der Einfluß abnormer Außentemperaturen auf Schilddrüse und Hoden. (Mit 6 Textabbildungen) . N N 6 Lasareff, P. Untersuchungen über die Toneneone der Rene IV. Mit- teilung. Die Theorie der Erscheinungen des Flimmerns beim Dunkel- sehen. (Mit 1 Textabbildung) ie Spiegel, E. A. und Th. D. Demietriades. Beifasen zum Studium des oe tativen Nervensystems. III. Mitteilung. Der Einfluß des Vestibular- apparates auf das Gefäßsystem. (Mit 12 Textabbildungen) REN Mangold, Ernst. Untersuchungen über Muskelhärte. I. Mitteilung. Fine allgemein anwendbare Methode zur physiologischen Härtebestimmung. (Mit 3 Textabbildungen) ER NEN DER RC RES UT RTR SR: — Untersuchungen über Muskelhärte. 1I. Mitteilung. Die Härtemessung in Totenstarre und Wärmestarre. (Mit 1 Textabbildung) v. Wyss, W. H. und N. Messerli. Reflexe vom Mesenterium auf das Herz. (Mit 7 Textabbildungen) Takahashi, N. Hodenatrophie nach Exstirpation des abdominalen "Grenz. stranges. (Mit 2 Textabbildungen) 5 Efimoff, W. W. und A. W. Efimoff. Das yelhenl noelmangeli er ba der Arbeit des Menschenmuskels. (Mit 1 Textabbildung) Seite 113 118 123 127 151 177 185 200 215 229 237 243 Inhaltsverzeichnis. IH Seite Liijestrand G., C. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak? (Mit 5 Textabbildungen) . . . 247 Bohnenkamp, Helmuth. Über die se der Herznerven. (Mit 21 Textabbildungen) . . - 29 Gellhorn, Ernst. eruehunson zur eiherallaprts la chen Tast- empfindungen unter Berücksichtigung der Beziehungen des Tastraumes zum Sehraume. II. Mitteilung. (Mit 11 Textabbildungen) . . . al de Kleyn, A. und (. Versteegh. Beiträge zur Pharmakologie der Kamen stellung und der Labyrinthreflexe. VI. Mitteilung. Über eine Methode zur Lokalisierung der Angriffspunkte verschiedener Arzneimittel auf den vestibulären Nystagmus, mit besonderer Berücksichtigung der Wirkung von Nikotin. (Mit 3 Textabbildungen) . Ä 331 Sehilf, Erich und Ibrahim Mandur. Zur Frage der Alemminamesiinmen Ehen der Schweißdrüsen . . . Er Gellhorn, Ernst. Bee een er ee Art? ale) — Befruchtungsstudien. II. Mitteilung. (Mit 2 Mexahbildnngen) Ye 374 Weiss, Hermann. Über den Einfluß unterschwelliger elektrischer une auf den Permeabilitätszustand von Froschmuskeln . . . . 393 Kahn, R. H. Aus der physiologischen Praxis. (Mit 5 Textabbildunben) 400 Wertheimer, Ernst. Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch . . . 412 Kure, Ken, Tetsushiro Shinosaki, "Michio Kiskimoto; nd Shigeoki Hatano. Die morphologische Grundlage der sympathischen Innervation des quergestreiften Muskels und die Lokalisation der Zwischen- schaltganglien der tonusgebenden Faser für den quergestreiften Muskel. (Mit 3 Textabbildungen) Aa EEE a lea Rn OT Abderhalden, Emil und Ernst Ver nemen! En etere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. Mitteilung. Untersuchungen über den Gesamt- und den Gewebsgaswechsel im anaphylaktischen Schock bei Tauben. (Mit 9 Textabbildungen) . ...429 — — Weitere Studien über das Wesen des ranimiklkkhen Schockes III. Mitteilung. Zugleich ein Beitrag zum Studium des Wesens der alimentären Dystrophie. (Mit 1 Textabbildung) . . - 440 Hertz, Wilhelm. Die Vitalfärbung von Opalina ranarum ni Säurefarb- stoffen und ihre Beeinflussung durch Narkoticum . . 444 Spiegel, E. A. Entgeenung auf R. H. Kahns Kritik den ver dien Klammerreflex nach Sempatliensers ration]: EEE fi . 458 Gellhorn, Ernst und Ernst Wertheimer. Pronkelhtklenzg zu der An: handlung „Über den Parallelitätseindruck“ . . - 462 Lipschitz, Werner. Über den Mechanismus der Kallorspikikianen Kan der Blausäurewirkung. (Mit 8 Textabbildungen) . .. ....... 463 Neuschlosz, S. M. Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. (Mit 13 Textabbildungen) 503 Mittelmann, Bela. Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen des Kontraktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen . . .. . 531 Mond, Rudolf. Untersuchungen über die Wirkung der ultravioletten Strah- len auf Eiweißlösungen. I. Mitteilung. (Mit 8 Textabbildungen) .. . 540 Herrel, Hermann. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden unter- sucht. III. Mitteilung. Differentialzählungen der Lymphocyten und Monocyten im Pferde-, Rinder- und Hundeblut . .. 2.2.2.2... 560 Jonkhoff, J. J. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung und der Laby- rinthreflexe. VII. Mitteilung. Oleum Chenopodü. (Mit5 Textabbildungen) 571 I IV Inhaltsverzeichnis. Abderhalden, Emil und Ernst Gellhorn. Beiträge zur allgemeinen Zell- physiologie. Studien über die Quellbarkeit von Muskeln und ihre Permeabilität unter verschiedenen Bedingungen. (Mit 10 Textabbildungen) — — Das Verhalten des Herzstreifenpräparates (nach Loewe) unter ver- schiedenen Bedingungen. II. Mitteilung. Versuche über den Einfluß von |-, d- und d-l-Adrenalin auf den schlagenden und nichtschlagenden Herzstreiten. „(Mit 27. Dextabbildungen) 0 nen une Noll, A. Zur Kenntnis des Verlaufs der Pupillenfasern beim Vogel. (Mit 5 Textabbildungen) U N ET DE RE Natannsen, Hugo. Sind die duven Salze erzeugten Ruheströme Ströme einer, Beutnerschen Ölkette 21, oa N Rywosch, D. Über die Beeinflussung der Hämolyse "durch Fütterung mit Cholesterin und Fetten . . ER ENOEDENN ie Autorenverzeichnis Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Seite Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. Von W. Kolmer und R. Löwy?). (Aus dem physiologischen Institut der Wiener Universität, Abteil. Prof. Kolmer.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 21. April 1922. Das Zusammentreffen bestimmter klinischer Erscheinungen mit pathologisch-anatomisch und histologischen Veränderungen an der Zirbel- drüse war Veranlassung gewesen, diesem Organ eine innersekretorische Tätigkeit zuzuschreiben. Besonders Frankl-Hochwart und Marburg wiesen auf Grund eigener und in der Literatur niedergelegter Fälle auf Beziehungen zwischen der genitalen Frühreife und Zirbeldrüsentumoren bei jugendlichen Individuen hin. In Verfolg dieser Studien stellte dann Marburg den Satz auf, daß neben dem Hypergenitalismus allgemeine Verfettung ein charakteristisches Symptom der Zirbeldrüsengeschwulst darstellt. Die Annahme Marburgs, daß diese Erscheinungen auf den Wesfall des die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen hemmenden Zirbel- drüsensekretes zurückzuführen sind, blieben nicht unwidersprochen. So sieht Askenasy im frühzeitigen Auftreten der Geschlechtsreife nicht den Ausfall eines hemmenden Zirbeldrüsenhormones, sondern er führt diese Erscheinungen auf die Eigenart der sich dort entwickelnden Ge- schwülste zurück, die, an anderer Stelle sich etablierend, unter den gleichen Voraussetzungen das gleiche klinische Bild zeitigen müssen. Die epi- physäre Fettsucht wird von Zucae als nicht bestehend abgelehnt, sondern auf den durch den Druck der Zirbeltumoren entstehenden Hydrocephalus internus und seine Einwirkung auf die am Ventrikelboden liegenden Zentren zurückgeführt. Als Stütze dieser Ansicht zieht er neben einem eigenen Falle eine klinische Beobachtung Wilhelm Mayers von allgemei- ner Verfettung heran, bei der der ganze Verlauf auf einen Hydrocephalus internus mit besonderer Beteiligung des dritten Ventrikels schließen läßt. Vonbesonderem Belange scheint unserer Meinungdie Tatsache zu sein, daß die Erscheinungen der genitalen Frühreife beim weiblichen Individuum durch Tumoren der Nebennierenrinde bewirkt werden können. Diesem Widerspruch versuchte man damit zu begegnen, daß man die hormonale 1) Vorläufig mitgeteilt in einem am 20. II. 1922 in der Gesellschaft für Biologie in Wien gehaltenen Vortrag. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 1 2 W. Kolmer und R. Löwy: Beeinflussung der Geschlechtsdrüsen durch die Zirbel nur für das männ- liche Individuum gelten lassen wollte. Diese Hypothese würde eine ge- schlechtliche Differenzierung des Pinealorganes erfordern, für die ana- tomisch kein Anhaltspunkt gegeben ist und die sich auch dadurch er- ledigt, daß vereinzelt Anzeichen geschlechtlicher Frühreife bei weiblichen Individuen beobachtet wurden, bei denen keine Veränderungen der Nebenniere, aber, wie der jüngste Fall Askenasys zeigt, eine gewisse Unter- entwicklung der Zirbeldrüse, also scheinbar ein Hypopinealismus be- stand. Doch auch für das männliche Individuum sind diese Beziehungen nicht vollkommen sichergestellt, da einerseits Sacchi das Symptomen- bild der genitalen Frühreife bei einem Fall von Hodenteratom beobachtet hat, welche Erscheinungen sich nach Entfernung der Geschwulst voll- ständig zurückbildeten, und andererseits jüngst von Zandren eine Beob- achtung mitgeteilt wurde, einen 16jährigen Knaben betreffend, bei dem klinisch unter anderem verspäteter Zahndurchbruch und das Fehlen jeglicher Pubertätserscheinungen festgestellt werden konnte; der aut- optische Befund aber eine Aplasie der Zirbeldrüse und eine Unter- entwicklung der Hoden aufdeckte. Um in dieses komplizierte Problem Licht zu bringen, wurden von verschiedenen Autoren Injektions- und Verfütterungsversuche heran- gezogen. Es würde hier zu weit führen, darauf im einzelnen zurückzu- kommen. Sind doch die Ergebnisse, zu denen die verschiedenen Autoren auf Grund ihrer Injektionsversuche gelangten, noch sehr widersprechend. Beachtenswert erscheinen uns hier nur die allerdings nicht nachgeprüf- ten Versuche Fränkls, der mit Epiglandol eine Erweiterung der Kopf- gefäße erzielte. Von den Verfütterungsversuchen sei nur der umfang- reichen Untersuchungsreihen McCords gedacht. Er verfütterte Serien junger Meerschweinchen Zirbeldrüsen junger und alter Rinder. Bei den mit Kälberzirbeln gefütterten jungen Meerschweinchen zeigte sich gegenüber den Kontrollen eine deutliche Gewichtszunahme. Die Ver- fütterung der Zirbeln älterer Tiere blieb ohne jeglichen Einfluß. Der in diesen Versuchsreihen erzielte Gewichtsüberschuß der mit Zirbeldrüsen verfütterten Tiere ließe sich nur durch die Annahme eines Hyperpinealis- mus erklären. Um die Ausfallserscheinungen der Zirbelzerstörung kennen zu lernen, wurde auch das Tierexperiment herangezogen, wiewohl die topographische Lage der Drüse diesem Beginnen große Schwierigkeiten in den Weg legt. Erwähnenswert und uns von Interesse sind die Versuche nur weniger Autoren. Schon vor längerer Zeit unternahmen es Exner und Böse, die Zirbeldrüse beim Kaninchen zu zerstören, doch überlebten diesen Ein- griff nur wenige Versuchstiere durch längere Zeit. Die geringe Anzahl der gelungenen Versuche, aber noch mehr der Umstand, daß die Autoren Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 3 auf Grund ihrer Untersuchungen zum Ergebnis kamen, die Zerstörung der Zirbel bedinge keine Ausfallserscheinung, ein Resultat, das den Er- wartungen vieler Forscher nicht entsprach, bewirkte, daß ihren Unter- suchungen keine Bedeutung beigemessen wurde. Dagegen schienen die Experimente italienischer Forscher den von klinischer Seite voraus- gesetzten hemmenden Einfluß des Pinealorganes auf die Geschlechts- drüsen jugendlicher Individuen zu bestätigen. Auf die Untersuchungs- ergebnisse Fods, die dann auch durch Sarteschi ihre Bestätigung fanden, muß hier näher eingegangen werden, da diese als eindeutig in der Lite- ratur wiederholt Gegenstand der Besprechung gewesen sind, ja sogar gültige Prämissen für Schlüsse anderer Autoren abgegeben haben. Foqa operierte zunächst an Hühnern, bei denen er nach Zerstörung des Pinealorganes eine stärkere Ausbildung des Kammes nachweisen konnte. Bei Ratten fand er nach Zerstörung der Zirbel eine geringe Gewichts- zunahme der operierten Tiere gegenüber den Kontrolltieren und auch eine Vergrößerung der Hoden. Der Gewichtsüberschuß der zirbellosen Versuchstiere verschwand aber nach einigen Wochen, so daß 6—7 Wochen nach der Operation keine Differenzen zwischen Zirbellosen- und Kontroll- tieren nachweisbar waren. Foa bleibt allerdings den histologischen Beleg für die vollständige Entfernung der Zirbeldrüse schuldig, welcher Nach- weis um so notwendiger ist, da wir bei einzelnen Tiergattungen das Vor- kommen von Nebenzirbeln erweisen konnten. Auch die von Fod bei- gebrachten Abbildungen von Hodenschnitten der operierten und der Kontrolltiere gestatten keinen sicheren Schluß auf eine tatsächliche Hyperthrophie der Hoden nach Zerstörung der Zirbel. Am histologischen Aufbau der Geschlechtsdrüsen, wie auch der anderen innersekretorischen Organe hat Fod, wie er ja selbst betont, keinerlei Verschiedenheiten gegenüber der Norm nachweisen können. Wir haben es daher unter- nommen, mittels einer einfachen, später zu beschreibenden Methode die Zirbeldrüse bei ganz jungen Ratten zu zerstören, um das Problem der Ausfallserscheinungen zu studieren. Nach einigen Fehlversuchen gelang die Entfernung der Zirbel einwandfrei und wir konnten die Ver- suchstiere, solange wir wollten, am Leben erhalten. Um den erwarteten Einfluß des Zirbeldrüsenausfalles möglichst ausgeprägt zu finden, ver- suchten wir die Zerstörung der Zirbeldrüse bei noch jüngeren Tieren als die waren, mit denen Fod arbeitete, bei Tieren von 30—50 g Gewicht. Fod operierte an 60—70 g schweren Ratten. Nach leichter Äthernarkoss läßt sich bei entsprechender Übung der Eingriff der eigentlichen Zirbelzerstörung in wenig mehr als einer Minute durchführen und bei bestem Gelingen läuft das Tier 10—15 Minuten nach der Operation wieder umher. Nach Bloßlegung desSchädeldaches durch einen sagittal verlaufenden Haut- schnitt am hinteren Teil des Schädels treten die Konturen der Scheitelbeine her- vor. Der Punkt, an dem die beiden Scheitelbeine mit dem Hinterhauptsbein zu- sammenstoßen, ist, wie wir feststellen konnten, die Projektion der Zirbeldrüse. 1* 4 W. Kolmer und R. Löwy: Geht man nun an dieser Stelle mit einem ganz dünnen elektrischen Thermokauter nach Durchbrennen eines runden Loches von nur 2—3 mm Durchmesser durch die Schädeldecke hindurch, so fällt bei entsprechender Schädelhaltung die Zirbel genau in den Verbrennungskegel des Thermokauters und wird mit Sicherheit zerstört. Die starke Blutung aus dem eröffneten Sinus wird gleichzeitig durch die Hitzekoagulation sicher gestillt, wenn man den schwach rotglühenden Thormo- kauter unter öfterem Abtupfen aus der Wunde herauszieht und vorsichtig wieder einschiebt. Bei genügender Übung lassen sich dabei gröbere Verletzungen des Großhirns sowie des angrenzenden Kleinhirns vermeiden, Mitverletzungen, die, wie im übrigen unsere Versuche zeigen, ohne besondere Störung vertragen werden. Es seien nun im folgenden einige Versuchsprotokolle wiedergegeben: Wurf W1. Dieser Wurf besteht aus 5 Tieren mit einem Gewicht von 5l—55 g, davon wurden am 14. II. 3 Tiere (2 Männchen und 1 Weibchen) operiert, 1 Männchen und 1 Weibchen wurden als Kontrolltier belassen. Kurze Zeit nach der Operation erholten sich die Tiere und waren in ihrem Verhalten von den Kontrolltieren nicht zu unterscheiden. Am 1. III. ergab eine neuerliche Wägung der Tiere dieses Wurfes folgende Gewichte: die operierten Tiere wogen 62, 65 und 67 g, die Kontrollen 71 und 72 ge. 8. III. Das Gewicht der operierten Tiere betrug der Reihe nach 70, 75 und 80 g, das der Kontrolltiere 75 und 78 g. 17. III. Die Wägung der operierten Tiere ergab: 82, 90 und 100 g, der Kontroll- tiere 85 und 88 g. 4. IV. Zwei der operierten Tiere mit einem Gewicht von 135 und 140 & wurden getötet und noch lebenswarm vom Herzen aus durch Injektion von Bichromat- Formol-Sublimat-Eisessiglösung fixiert. Das 3. operierte Tier wies ein Gewicht von 120 g auf, die beiden Kontrollen 120 und 128 g. 10. IV. Das operierte Tier und die beiden Kontrollen wogen 135 g, alle 3 Tiere wurden getötet. Die makroskopische Untersuchung der operierten Tiere ergab fol- gendes: Von den am 4. IV. getöteten Versuchstieren zeigte das schwerste (140 Gramm) nur eine geringe Verkohlung der Zirbeloberfläche und wurde daher als nicht gelungen ausgeschieden, während die beiden an- deren eine deutliche Zerstörung der Zirbeldrüse und teilweise auch der angrenzenden Hirnpartien zeigten. Die uns interessierenden Hirnab- schnitte wurden in eine vollständige Frontalserie zerlest. Von den operierten und auch von den Kontrolltieren wurden die innersekreto- rischen Organe, sowie die Geschlechtsdrüsen genau histologisch unter- sucht. Die Durchmusterung der Serienschnitte durch die uns inter- essierenden Hirnpartien ergibtan den beiden mit Erfolg operierten Tieren eine vollständige Zerstörung der Zirbeldrüse. In dem einen Falle war an der Stelle der Zirbel eine kraterförmige Vertiefung, durch einen Leuko- cytenwall und durch kleinere und größere Blutkoagula begrenzt, zurück- geblieben. In der zweiten Serie fanden wir an der Stelle der Zirbel einen kleinen, von Rundzellen umscheideten Sequester, in dem keinerlei funktionsfähiges Zirbeldrüsengewebe nachweisbar war. Die histologische Untersuchung der anderen Organe ergibt keine Differenz zwischen Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 5 zirbellosen und Kontrolltieren. Besonders sei betont, daß der Hoden und Thymus im histologischen Aufbau vollständig normal waren. Zu betonen wäre noch, daß die wiederholten Wägungen kaum Diffe- renzen ergeben haben, die für einen erhöhten Fettansatz bei zirbel- losen Tieren ins Treffen geführt werden können. Wurf W 2 besteht aus 8 Tieren mit einem Gewicht von 40—47 g, bis auf 2 Kontrollen (1 Männchen und 1 Weibchen) werden alle Tiere dieses Wurfes am 25. IV. operiert. Die Operation wird gut überstanden ‚alle Tiere sind munter, fressen, es läßt sich kein Unterschied zwischen den Tieren mit Zirbelzerstörung und den Kontrolltieren in ihrem Verhalten feststellen. Am 5. V. ergibt die Wägung bei den operierten Tieren Gewichte von: 62, 66, 70 und 76 g. Die Kontrolltiere hatten ein Gewicht von 65 und 72 g. Am 17. V. lassen sich folgende Gewichtsverhältnisse nachweisen: 74, 76, 86 und 94 g. Bei den operierten Tieren 84 und 90 g bei den Kontrollen. Am 27. V. Am Beginn der 6. Woche nach der Operation wiegen die operierten Tiere 98, 100, 105 und 115 g, die Kontrolltiere 100 und 110 g. Am 17. VI., ungefähr 7 Wochen nach der Operation, beträgt das Gewicht der operierten Tiere 110, 120, 122 und 130 g. Die Kontrollen zeigten ein Gewicht von 120 und 125 g. Am Beginn der 9. Woche wurde der eine Teil, Ende der 12. Woche nach der Operation der andere Teil der Tiere dieses Wurfes getötet und einer genauen histologischen Untersuchung unterzogen, diese ergab fast genau dieselben Resultate wie wir sie an den früher operierten Tieren erheben konnten. Wurf W 8. Von den 7 Tieren dieses Wurfes wurden 2 kastriert, an 3 wurde die Zirbel- zerstörung vorgenommen und 2 Tiere wurden als Kontrolle belassen. Am Tage der Operation hatten die Tiere ein Durchschnittsgewicht von 35 g. Am 12. VIII. 12 Tage nach der Operation, wogen die zirbellosen Tiere 42, 47 und 48 g. Die Kontrolltiere 46 und 55 g. Am 14. IX., 4 Wochen nach der Operation, zeigten die epiphysektomierten Tiere folgende Gewichte: 68, 70 und 75 g. Kontrolltiere 65 und 70 g. Am 3. X. wogen die epiphysenlosen Tiere 100, 105 und 115 g, die Kontrollen 90 und 105 g. Auch die weiteren Wägungen ergaben keine verwertbaren Gewichtsdifferenzen, sondern nur geringe individuelle Gewichtsschwankungen, wie in der ersten Periode nach der Operation. Die Tiere dieses Wurfes wurden nach der 10., 16. und 19. Woche nach der Operation getötet. Sowohl die makroskopische und mikro- skopische Serienuntersuchung ergab das volle Gelingen der Zirbelzer- störung. Ebensowenig ließ sich an den Geschlechtsdrüsen eine Differenz der Kontrolltiere erweisen. Gleichartige Versuche, es wurden an solchen Würfen 23 junge Tiere mit gleichgutem Erfolg operiert, hatten durchaus entsprechende Ergebnisse. Es erübrigt sich damit die fast ganz gleich- lautenden Versuchsprotokolle des Näheren anzuführen. Fassen wir die Ergebnisse der oben geschilderten Versuchsreihen zusammen, so ergibt sich demnach folgendes: Bei Ratten kann auch an 6 W. Kolmer und R. Löwy: ganz jungen Tieren die Zirbeldrüse vollständig entfernt werden, ohne daß eine Schädigung irgendwelcher Art zurückbleibt. An untenstehender Abb. 1 sieht man drei verschiedene Typen gelungener Zirbelzerstörung, die sich nur durch die Größe des gesetzten Defektes voneinander unterscheiden. (Das mittlere Bild mit dem klein- sten Defekt zeigt das Resultat eines der bestgelungenen Versuche.) Die dabei gesetzten Nebenverletzungen an anderen Hirnteilen waren an- scheinend bedeutungslos, wenn wir sie nach dem Verhalten der Tiere, die sich in nichts von den Kontrolltieren unterschieden, beurteilen. Die an Serien vorgenommene histologische Untersuchung ergab, daß kein tudiment normaler Zirbeldrüsenelemente zurückgeblieben war. Abb. I. Beispiele von Hirnen von Ratten, denen mit Thermokauter vor drei Monaten die Epiphyse zerstört wurde. Das Mittelbild entspricht dem zumeist beobachteten guten lokalen Erfolg. Die seitlichen stellen die extremsten beobachteten Grade von Nebenverletzungen dar. Dies muß betont werden, denn während an den anderen innersekre- torischen Drüsen, Beinebennieren, Nebenschilddrüsen, Nebenmilzen ısw. gelegentlich beschrieben wurden, ist uns von Befunden von Neben- zirbeln nichts bekannt. Wir fanden aber an der Sagittalserie eines Papio, so ziemlich in der Sagittalebene gelegen, von etwas Arachniodealgewebe und einer besonderen bindegewebigen Kapsel umscheidet, ein aus zwei kleinen Läppchen bestehendes sehr kleines Gebilde (s. Abb. 5) von ca. 150 im Durchmesser, das aus typischen Zirbelzellen zusammengesetzt war. Da diese Zellen durch die eigenartige Kernfaltung, die Färbbarkeit des Protoplasmas, Anordnung des Centrosoms durchaus dem nahege- legenen Zirbelelementen gleichkam, müssen wir dieses Gebilde als Neben- zirbel ansprechen. Sowohl in der das Körperchen einhüllenden Kapsel, als auch im Körperchern selbst fanden sich, sowie in der eigentlichen Zirbel dunkelbraune, fast schwarze Pigmentmassen. Einen ähnlichen Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 7 Befund eines Nebenzirbelkörpers machten wir auch an einem S Tage alten Hund. Es fand sich dorsal von der Commissura posterior, teil- weise zwischen die Faserbündel derselben eingelagert, eine Gruppe von typischen Zirbelzellen, die ebenfalls wie die der nahegelegenen Zirbel zahlreiche Pigmentkörnchen enthielt. Weder in der ersten Periode nach der ersten Operation, die wir mit 6 Wochen begrenzten, innerhalb welcher Zeit Foad bei seinen zirbellosen Tieren eine Gewichtszunahme gegenüber den Kontrolltieren beobachten konnte, noch auch in der zweiten Periode in der 7. bis 14. bzw. 15. Woche nach der Operation konnten wir charakteristische Gewichtsunterschiede feststellen, da Differenzen von 10—15 g in den Bereich des physiologischen gerechnet werden müssen. x In bezug auf die Fort- ON pflanzungsfähigkeit ließ 3 sich bei den zirbelloseen Tieren mit Sicherheit keine Frühreife nachwei- sen, ja wir wären sehr geneigt, eine Verzögerung anzunehmen, doch wollen wir uns diesbezüglich, da ınser Material hierzu zu geringerschien, keinsiche- res Urteil erlauben. Kon- zeption, Wurf und Auf- zucht der Jungen durch epiphysektomierte Weib- Abb. 2. Nebenziıbel der Meerkatze, mit Pigmentmassen chen ging jedenfalls NOr- in der Kapsel. Zeiss Apochr. 4 mm. Pr. Oc. 4. mal vor sich. Die voll- ständige Zerstörung der Zirbeldrüse bei der Ratte erweist demnach, daß das Pinealorgan nicht lebenswichtig ist und wenigstens für unser Versuchstier sein Verlust weder nachweisbare Veränderungen in der Fett- entwicklung bedingt noch eine sexuelle Frühreife, insoweit sie sich überhaupt an solchen Tieren nachweisen läßt. Und wenn man das histologische Bild als bezeichnend für die Tätigkeit der Drüsen mit innerer Sekre- tion hält, so läßt sich an diesen wie auch an anderen Drüsen keine Abweichung von der Norm finden. Unsere Untersuchungsergebnisse stehen im Gegensatz zu den Be- funden Foas. Wir glauben ihnen aber um so mehr Bedeutung beimessen zu können, als wir über genaue histologische Belege verfügen und an Tieren operierten, die noch jünger waren als die desitalienischen Autors, und die Erscheinungen des Zirbelausfalles der Frühreife und des Fett- ansatzes noch deutlicher hätten aufweisen müssen. Wie schon erwähnt, Ss W. Kolmer und R. Löwy: sind Exner und Böse, wenn auch nur an wenigen Versuchstieren zu einem ähnlichen Resultat gelangt und auch Dandy kommt auf Grund seiner Extirpationsversuche zu dem Schluß, daß zwischen zirbellosen und Kontrolltieren keinerlei Unterschied feststellbar war. Die Erhärtung dieser Tatsachen durch unsere Untersuchungsergebnisse erscheinen uns deshalb wichtig, weil die positiven Befunde Foas in der Literatur als Stütze oder experimenteller Beweis für die Deutung gewisser klini- scher Symptombilder als Folge eines bestehenden A- oder Hypopinea- lismus angeführt werden. In einer zweiten Versuchsreihe unternahmen wir es, den Einfluß der Kastration auf die Zirbeldrüsen festzustellen. Auch diesbezüglich liegen verschiedene Ansichten vor. Biach und Hulles fanden an ihren Kastraten (Katzen) eine histologische nachweisbare Atrophie dieses Organes. Aschner hält die Reduktion des Zirbelgewebes nach Ent- fernung der Geschlechtsdrüsen für so ausgeprägt, daß er sie sogar für makroskopisch erkennbar hält, Pellegini hingegen findet nach der Kastration eher eine Hypertrophie der spezifischen Pinealzellen. Von den 6 Tieren dieser Untersuchungsreihe waren 4 im Gewicht von 42 g und 2 im Gewicht von 60 g kastriert worden. Von einer wei- tern Ausdehnung der Versuche konnte wegen Gleichartigkeit der er- hobenen Befunde abgesehen werden. 12—15 Wochen nach der Kastra- tion wurden die Tiere getötet und das Gehirn in eine vollständige Sagittal- serie zerlest. Makroskopisch fielen uns keinerlei Differenzen auf, aber auch die mikroskopische Untersuchung ergab nichts, was auf eine Schä- digung der Zirbeldrüse durch den Wegfall der Keimdrüsenhormone hätten schliepen lassen. Weder eine Zelldegeneration noch eine Vakuolenbildung oder Vermehrung des interstitiellen Gewebes gegenüber der Norm ließ sich nachweisen. Ein Urteil darüber, ob die Pinealzellen mit Pellegrini nach der Kastration vermehrt sind, läßt sich bei dem Reichtum des Normaltieres an spezifischen Zellen auch nicht abgeben. Die Tatsache, daß das Zirbelparenchym wenigstens im Großteil bis ins Alter erhalten bleibt (Krabbe, Schlesinger) — auch wir hatten übrigens bei einer alters- schwachen, 23 Monate in Gefangenschaft gehaltenen männlichen Ratte kaum Veränderungen der Zirbel gefunden — drängte naturgemäß dazu, das Pinealorgan mit einer Funktion in Beziehung zu bringen, die nicht besonders an bestimmte Lebensperioden gebunden ist. So glaubt Marburg in der Zirbeldrüse einen wesentlichen Faktor der Wärmeregu- lierung durch Einfluß auf das Hautgefäßsystem zu sehen; Walter hält die Zirbel für ein Reflexorgan, das die Sekretion des Liquors beherrscht. Äußere Form mit Größenveränderung waren andererseits Anhalts- punkte für Aschner, um daraus einen Einfluß der Gravidität auf die Zirbeldrüse feststellen zu können. Er stellte der kegelförmigen Form der Nullipara die plumpe, kugelige Gestalt der Zirbeldrüse bei einem Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 9 graviden Individuum gegenüber. Aber ebensowenig wie die von Asch- ner beschriebene Kalkvermehrung während der Gravidität in der Zirbel mit Sicherheit festgestellt werden kann, ebensowenig Bedeutung glauben wir der äußeren Formveränderung dieses Organes, die auch nicht konstant eintritt, zuschreiben zu können. Und auch histologisch läßt sich zwischen einem graviden und einem gleichaltrigen Individuum keine Abb. 3. Sagittalschnitt des Hirnes eines in situ vermittels Durchspülung fixierten Hirnes eines sechs Monate alten Jagdhundes. E cauddaler Pol der Epiphyse, NC Nervus conarii längsgetroffen Reichert 2, Proj. Oc. 4." Differenz nachweisen. Auch sonstige Schwangerschaftselemente sind in der Zirbel nicht aufzufinden. Die Größe der Zirbeldrüse weist inner- halb der Tierreihe ziemlich weitgehende Differenzen auf (Kreuzfeldt, Krabbe, Marburg). Jedoch sei hier auch betont, worauf schon Uemura verweist, daß aus der relativen Größe des Organs noch kein Schluß auf die Reichhaltigkeit des spezifischen Parenchyms gezogen werden kann. So sieht man bei der relativ großen Zirbel des Pferdes nur mäßiges Pa- renchym in Follikeln angeordnet, welche durch breite Bindegewebs- 10 W. Kolmer und R. Löwy: lagen voneinander getrennt sind. Relativ klein ist die Zirbel beim Elefanten, sehr stark reduziert bei Dasypus und Phocaena. Aber auch die Insektivoren haben, wie auch Marburg hervorhebt, eine absolut sehr kleine Zirbeldrüse. Wir wollen später darauf noch zurück- kommen. War es uns im Experiment nicht gelungen, einen Einblick in die Funktion der Zirbeldrüse zu erlangen, waren wir sogar gezwungen, für > Abb. 4. Sagittalschnitt von Cercocebus (Meerkatze), sonst wie bei Abb. >. unser Versuchstier, die Ratte, die bisher supponierten Hormonwirkungen abzulehnen, so wollen wir an der Hand von anatomischen Tatsachen den Versuch unternehmen, eine funktionelle Beziehung dieses Organes fest- zustellen. Von besonderem Belange in dieser Hinsicht schien uns der von uns erbrachte Nachweis von Nervenzügen, welche eine Verbindung der Zirbel mit dem System der Vena magna galeni bewirken. Bevor wir aber darauf näher eingehen, sei an der Hand eines Präparates von Papio das bisher Bekannte über die nervösen Beziehungen der Zirbel zusam- mengefaßt. Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 11 Es treten von der Commissura habenulae und posterior in den vor- deren Anteil der Zirbel Fasern ein, die sich im Parenchym verlieren und, wie Walter beschrieb mit den Pinealzellen und den Randgeflechten in Beziehungen treten. Den obenerwähnten Faserzug, welcher eine Ver- bindung der Zirbel mit den Venensystem derVena magna Galeni herstellt, wollen wir an der Hand einer Sagittalserie eines dreimonatlichen Ziegen- bocks in seinem Verlauf genau beschreiben (S. Abb. 5). Abb. 5. Sagittalschnitt des Hirnes eines durchspülten drei Monate alten Böckleins, sonst wie Abb. 1. VMG Vena magna galeni. An einer Reihe von Schnitten fanden wir unterhalb des die Zirbel ein- hüllenden Bindegewebes sowohl oben und unten ein Nervenstämmchen, das, am hinteren Pol des Pinealorganes austretend, sich dicht an dieWurzel der Vena magna galeni anschließt und bis zum Tentorium zu verfolgen ist. An diesem Tier waren die Fasern noch marklos und daher sehr leicht von jenem Fasersystem der Commissura posterior oder habenulae, die bereits markhaltig waren, zu unterscheiden. Ähnliche Systeme, teilweise mark- haltige Fasern enthaltend, fanden wir beim Hund (s. Abb.), bei der Meerkatze und, wenn auch schwächer und in ihrem Verlauf vorläufig noch nicht gut verfolgbar, auch in derselben Gegend beim Menschen aus der 12 W. Kolmer und R. Löwy: [4 Zirbel austreten. Diese Nervenbündel, die wir für vollkommen different von dem in der Gegend der Commissura habenulae entspringenden Nervus parietalis Marburgs halten, möchten wir vorläufig als Nervus conarii be- zeichnen. Vielleicht haben wir hier in diesen Nervenbündeln einen weit verbreiteten dorsalen Hirnnerven der Säuger vor uns, der aber nicht wie der von Marburg bei der Antilope beschriebene Nervus parietalis mit den Parietalnerven der Reptilien homologen Ursprung zeigt. Nicht beim reifen Individuum, aber bei menschlichen Embryonen scheint schon Hochstetter diesen Nerven gesehen zu haben. Die Kleinheit und Zartheit des Nervus conarii, sein Verlauf in einer von Bindegewebe und Gefäßen ausgefüllten Region, deren topographische Beziehungen bei jeg- licher Präparation des Gehirnes sehr leicht gestört werden können, machen es erklärlich, daß der Nachweis dieser Nervenbündel nur an dem in Situ gehärteten Gehirn und in vollständiger Sagittalserie zu erbringen ist. Ähnlichen Schwierigkeiten zufolge hat sich ja auch der Nachweis des Nervus primus oder Nervus terminialis bei den Säugern solange verzögert. Ob dieser Nerv zentrifugal oder zentripetal leitet, können wir vorläufig noch nicht sagen. Doch scheint die Tatsache, daß wir in der Nähe der Nervenstämmchen in der Zirbel Ganglienzellen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den sympathischen aufweisen, sahen, dafür zu sprechen, daß efferente Fasern vorliegen. Besonders muß hervorgehoben werden, daß die von uns beobachteten teilweise recht ansehnlichen Nervenstämmchen bei erwachsenen Tieren markhaltige N ervenfasern mit Schwannschen Scheiden besitzen. Der Umstand, daß unser Nervus conarii mit jenem Venensystem in Verbindung tritt, in welches die Venen der Plexus chorioidei, die als Bildner des Liquors gelten, eintreten, muß den Gedanken aufdrängen, in der Zirbel und in dem hier besprochenen Nerven ein System zu ver- muten, welches die Zirkulationsverhältnisse in den Plexus und damit die Liquorsekretion beeinflussen könnte. Beziehungen zwischen Zirbeldrüse, Ligorströmung und Liquor- sekretion wurden schon von anderer Seite angenommen. Die Ansicht C’yons von der mechanischen Beeinflussung der Liquorströmung durch die Zirbelbewegungen muß wohl abgelehnt werden. Walter kam auf Grund histologischer Erwägungen, deren Hauptstütze der von ihm erbrachte Nachweis von Hypo- bzw. Aplasie der Zirbel in wenigen Fällen von angeborenem Hydrocephalus internus bildete, zur Annahme, daß die Zirbel ein Reflexorgan für die Liquorsekretion darstellt. Diese Be- funde Walters beim Hydrocephalus, die sicherlich nur äußerst selten er- hoben werden können, sind wohl nicht als vollwertiger Beweis für die Richtigkeit seiner Annahme anzusehen. Die, wie erwähnt, von uns vorläufig bei einigen höheren Säugern gefundenen nervösen Verbindungen zwischen der Zirbeldrüse und den Beiträge zur Physiologie der Zirbeldrüse. 13 abführenden Venen des Plexus rechtfertigt die Annahme, daß dem Pinealorgan durch Einflußnahme auf die Zirkulationsgröße bei diesen Tieren vielleicht indirekt ein Einfluß auf die Liquorproduktion zusteht. Wenn es gestattet ist, bei Erörterung eines hypothetischen physiolo- gischen Vorganges vergleichend anatomische Befunde heranzuziehen, so sei darauf hingewiesen, daß bei Insektivoren, worauf auch schon Marburg aufmerksam machte, eine besonders kleine und parenchym- arme Zirbel sich vorfindet. Bei Sorex finden wir nun aber auch einen vollkommenen Verschluß des Zentralkanales vom Calamus scriptorius abwärts, fast keinen vierten Ventrikel, und die Seitenventrikel, ebenso der Aquädukt, haben nur den Wert von engen Spalträumen. Bei Erina- ceus ist ebenfalls die geringe Ausbildung der Ventrikel und der Plexus in die Augen springend. Nicht so deutlich liegen die Verhältnisse bei Talpa.. In dem Zusammentreffen dieser anatomischen Tatsachen, kleine Zirbel geringe Plexus und Ventrikelausbildung sehen wir viel- leicht auch einen Hinweis darauf, daß die Liquorsekretion in der Zürbel einen Regulationsapparat hat, der wenigstens für einige Säugergruppen auf dem Wege des von uns nachgewiesenen Nervus conarii wirken kann. Damit ist keineswegs die Funktion der Zirbeldrüse erschöpft. Wir müssen in ihr vielmehr ein funktionell komplexes Organ sehen, dem vielleicht bei einzelnen Tieren auch eine leichter nachweisbare Hormon- wirkung zukommt. Je nachdem die eine oder die andere Komponente in diesem komplexen Organ hervortritt, ist damit wohl die bei den einzelnen Tierarten eigenartige morphologische Ausbildung oder hoch- gradige Rückbildung des Organes zu erklären. Literaturverzeichnis. Aschner, B., Schwangerschaftsveränderungen der Zirbeldrüse. Zentralbl. £. Gynäkol. u. Geburtsh. 1, 774. 1913. — Aschner, B., Praktische Folgerungen der Lehre von der inneren Sekretion. 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Dies gilt selbst für so einfache chemische Agentien wie H-, OH’- und Metall- ionen. Einblick in den Komplex der an den Zellen sich abspielenden Vorgänge war am ehesten von einer Analyse der Wirkung dieser einfachen Ionen zu erwarten, deren physikalische und chemische Reak- tionsmöglichkeiten heute einigermaßen zu überblicken sind. Eine Klä- rung des Wirkungsmechanismus dieser Stoffe hatte außerdem ein speziell pharmakologisches Interesse, da ihre Zellwirkungen in Form von Ad- stringierung, Entzündung, Ätzung, Desinfizierung und Fixierung praktisch so vielfache Bedeutung besitzen. Versuche in dieser Richtung wurden an roten Blutkörperchen angestellt, den klassischen Objekten zur Untersuchung von akuten Zellwirkungen im Reagensglas. In erster Linie mußte der Mechanismus der ubiquitären H'- und OH’-Ionen interessieren; über ihre große Bedeutung für das Verhalten der Blut- körperchen konnte in letzter Zeit Jodlbauer mit mehreren Mitarbeitern eine Reihe neuer Beobachtungen mitteilen?). Die Wirkungsweise der Kationen wurde außerdem an Metallsalzen untersucht, über deren Wir- kung auf Blutkörperchen ja bereits eine Reihe eingehender Untersuchun- !) Die Hauptergebnisse wurden auf der Tagung der Dtsch. Pharmakol. Ges. im Sept. 1921 in Freiburg vorgetragen. 2) Jodlbauer und Haffner, Arch. f. d. ges. Physiol. 1%9, 121 u. 134. 1920; Haffner, Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 140 u. 144. 1920; ferner die Dissertationen von Sumpf, München 1919, Haid 1919, Grabinger 1919, Kerner 1920, Hug 1920, Moser 1920, Glogger 1921. 16 F. Haffner: gen vorliegt!). Zur Untersuchung des Anionenmechanismus stehen außer den OH’-Ionen nur wenige genügend stark wirkende Elektrolyte zur Verfügung; die stark wirkenden Farbstoffsalze der Fluorescein- gruppe, über deren Wirkungsweise als Anionen bereits berichtet worden ist?2), wurden daher in erster Linie auch für die weiteren Versuche be- nutzt. Gelegentlich kamen dazu auch noch andere Ionen, z. B. Anionen organischer Säuren. Die Kationen kamen als Chloride, die Anionen als Natriumsalze zur Verwendung. Ziemlich gleichwertig erwiesen sich übrigens Verbindungen mit anderen auf Zellen wenig wirksamen Ionen, so der Kationen mit NO,’, CH,COO’, der Anionen mit K', Li. In der Regel wurden mit Kochsalzlösung gewaschene Rinderblutkörper- chen verwendet; bei einzelnen vergleichenden Versuchen mit Pferde- und Hammelblutkörperchen wurden im Prinzip dieselben Verhältnisse gefunden. I. Die Wirkungsbilder der Ionen. a) Wirkung in 0,9 proz. Kochsalzlösung. Vergleicht man die Wirkungsbilder, die sich ergeben, wenn wässerige Lösungen der erwähnten Elektrolyte auf Blutkörperchensuspensionen in 0,9% Kochsalzlösung bei Zimmertemperatur zur Einwirkung gebracht werden, so fällt sofort ein durchgehender Unterschied zwischen den Verbindungen mit wirksamem Anion und denen mit wirksamem Kation auf. Die Wirkungsbilder der Anionen sind einfach und untereinander ganz gleichartig (s. die Versuche mit Natronlauge Tab. 1, ölsaurem Natr. Tab. 3 und mit Rose bengale, dem Natriumsalz des Tetrajodtetrachlor- fluoresceins Tab. 2). Jeweils von einer bestimmten Konzentration an tritt Hämolyse ein. Zur vollständigen Auflösung einer 1 proz. Blutkörper- chensuspension ist von Natronlauge eine Gesamtkonzentration von 1/1000 molar im Gemenge notwendig (bei 10%, Blutkörperchensuspension /g0o mol.); von Rose bengale genügt !/, oo0 mol. Der bei Zimmertemperatur nach etwa 24 Stunden erreichte Stand ändert sich bei Vermeidung von Fäulnis auch nach Tagen nicht mehr wesentlich, die Ablesung nach 24 Stunden wurde daher im allgemeinen als endgültiges Ergebnis betrachtet. Bei Bestimmung der Konzentrationswerte für vollständige Lyse wurde zu ganz ver- schiedenen Zeiten und bei Blut verschiedener Herkunft weitgehendste Überein- stimmung gefunden. Die in der Literatur vielfach angegebenen „eben merklich“ lysierenden Konzentrationen variierten dagegen bei verschiedenen Versuchen zum Teil erheblich, wahrscheinlich deshalb, weil diese stark wirkenden Stoffe äußerst 1) Es sei hier besonders auf folgende vergleichende Untersuchungen verwiesen: Hirschfeld, Arch. f. Hyg. 63, 237. 1907; Dunin-Borkowski und Sszymanowski, Anz. d. Akad. d. Wissensch. in Krakau, S. 746, 1909, Arrhenius, Hygieia Festband IN. 4,S. 1. 1908; Eisenberg, Zentralbl. f. Bakteriol. 69, 173. 1913; Kobert, Sitzungs- bericht u. Abh. d. Naturforsch. Ges. zu Rostock N.F. 6, 281.' 1915, und Abder- haldens Handbk. d. Biochem. Arbeitsmeth. 9, 24. ?) Jodlbauer und Haffner, Arch. f. d. ges. Phyisol. 189, 243. 1921. Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. 17 rasch mit den Körperchen in Reaktion treten, und daher bei der Mischung von Blut und Substanzlösung die zuerst mit der Substanzlösung in Berührung kommen- den Körperchen stärker betroffen werden. — Dies gilt alles auch für die Kationen. Agglutination und Fixierung sind bei Anionen selbst in molaren Konzentrationen noch nicht zu beobachten, Farbänderungen der Blut- mischung sind nur bei OH’ festzustellen. Die hellrote Farbe des Oxy- hämoglobins wird dunkelrot, in höherer Konzentration mit bräunlichem Ton; spektroskopisch erscheinen die Absorptionsstreifen des in alkali- scher Lösung befindlichen HZämatins!) (neben zwei, den beiden O,-Hb- Streifen entsprechenden Bändern ein unscharf begrenzter Streifen im Rot, entsprechend der D-Linie, sich eng an den ersten O,-Hb-Streifen anschließend). Diese Hämatinbildung tritt selbst bei !/,, mol. NaOH erst nach vollständiger Auflösung der Körperchen ein. Nach 3 Stunden zeigen die nächsten Verdünnungen erst eine teilweise Farbstoff-Umwand- lung, von 1/0 mol. an ist keine Spur einer Farbänderung zu sehen. Nach mehreren Tagen ist allerdings im ganzen Lysebereich eine geringe Hämatinbildung nachzuweisen, doch ist sie auch jetzt erst von !/,, mol. an maximal. Die Hämatinbildung ist also sicher keine Vorbedingung für den Lyseeintritt. Abwechslungsreicher sind die Wirkungserscheinungen bei Kationen, wie die Beispiele mit H', Hg”, Fe”, AI”, Ag‘, Cu”, Zn” (Tab. 4—7) zeigen. Neben Lyse treten Agglutinations-, Fixierungserscheinungen und Verfärbungen auf. Immer geht dabei die Iytische Wirkung mit Zunahme der Substanzkonzentration allmählich in eine fixierende über. Dadurch kommt es zu einem Optimum der Lyse bei mittlerer Konzentra- tion. Bei überoptimalen Konzentrationen erfolgt die Lyse verzögert bzw. wird sie nicht mehr vollständlig und bleibt schließlich ganz aus, wie dies ja schon vielfach beschrieben worden ist?). Mit dem vollständigen Ausbleiben der Lyse ist zugleich eine vollständige Resistenz der Körper- chen gegen destilliertes Wasser eingetreten. Dieser Punkt ist im folgen- den mit Fixierung bezeichnet. Die lytische und die fixierende Wirksamkeit ist bei den einzelnen Ionen recht verschieden stark ausgebildet. HgCl, z.B. Iysiert bei lproz. Blutkörperchensuspension von oo oo Mol. an und fixiert erst von !/yp—!/ıo, mol. an; ausgesprochene Agglutina- tion fehlt in allen Konzentrationen. Zinksalze dagen zeigen nur fixierende und agglutinierende Wirkung. Der Vergleich der verschiedenen Kationen zeigt jedoch, daß die Unterschiede nur gradueller Natur sind. Im allgemeinen tritt die Iytische Wirkung gegenüber der fixierenden um so mehr hervor, je edler das Metall ist. An die Edelmetalle?) schließt das t) Vgl. Hoppe-Seyler, Chem. Analyse 7. A., S. 278, 1903; Nagels Handb. d. Physiol., Ergänzungsband S. 50. 1910. 2) Vgl.z. B. bezügl. der Hg-Wirkung Sachs, Wien. klin. Wochenschr. 18, 35. 1905. 3) Über die starke lytische Wirkung der Edelmetallsalze s. u. a. Hatziwassilju, Inaug.-Diss. München 1914. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 2 18 F. Haffner: Wasserstoffion an, das erst in mehrfach molarer Konzentration fixiert. Dieser Gegensätzlichkeit von Lyse und Fixierung ganz analoge Wirkungs- unterschiede zeigen die Metallsalze ja auch gegenüber anderen Objekten. Es sei hier nur an Schmiedebergs Einreihung der Metalle zwischen das am stärksten adstringierende Pb und das am stärksten ätzende Hg erinnert, ferner an die Ergebnisse von J. Loeb u.a. über die Fähigkeit von Metall- salzen, die als eine Verflüssigungswirkung aufgefaßte Giftigkeit reiner Kochsalzlösung auf tierische Zellen aufzuheben. Während dies z.B. mit Zink- und Bleisalzen gelingt, sind Quecksilbersalze, zum Teil auch Kupfersalze hierzu nicht imstande'!). Die am stärksten lysierenden Ionen sind auch sonst am giftigsten?). Den Säuren und Metallsalzen gemeinsam sind ferner Verfärbungen der Blutmischung. Es finden sich alle Übergänge vom Rot des Oxy- hämoglobins zu reinem Braun. Spektroskopisch zeigt sich der für das Hämatin in saurer Lösung charakteristische Absorptionsstreifen im Rot nahe der C-Linie. In den rotbraunen Mischungen sind daneben noch die beiden O,-Hb-Streifen vorhanden, in den maximal-braunen fehlen sie ganz. Die Hämatinbildung ist wie die lytische Wirkung am stärksten beim Wasserstoffion ausgeprägt. Im Gegensatz zur Hämatinbildung durch OH’ tritt die Bildung des braunen Hämatins in enger Verknüp- fung mit der Lyse ein; sie wird z. B. bei H' im ganzen Lysebereich nach kurzer Zeit maximal. Unter Bedingungen, die eine Lyseverzögerung mit sich bringen, wie z. B. Anwesenheit gewisser Anionen (s. darüber später), tritt durch H' schon innerhalb der Körperchen starke Hämatin- bildung ein. Bei Wegfall solcher Lysehemmungen (z. B. bei Hämolyse l proz. Blutkörperchensuspension durch HCl in Kochsalzlösung) läßt sich jedoch vollständige Lyse feststellen, ehe sich Hämatin in erheblichem Umfange gebildet hat. Bei weniger stark hämatinbildenden Metall- salzen wie Sublimat ist noch deutlicher zu sehen, daß auch bei den Kat- ionen Iytische und hämatinbildende Wirkung zwei selbständige Vor- gänge sind (Tab. 5). Zu erwähnen ist noch, daß in den lytisch gewordenen und maximal braun verfärbten Mischungen einige Zeit nach der Lyse braune, sehr lockere Flocken ausfallen. Besondere Betrachtung bedürfen die Agglutinationserscheinungen. Sie sind in allen Graden zu beobachten von der Bildung grober makro- skopischer. Flocken bis zu einer nur noch mikroskopisch sichtbaren trauben- oder reihenförmigen Aneinanderlagerung der Körperchen. Je stärker die Agglutination um so rascher ist im allgemeinen auch die Senkungsgeschwindigkeit. Die verschiedenen Agglutinationsstärken kommen sehr deutlich auch an dem beim Absitzen der Körperchen im Reagensglas sich bildenden Bodensatz zum Ausdruck, wenigstens bei 1) Vgl. Höber, Physikalische Chem. d. Zelle u. d. Gewebe, 4. A., S. 527 u. 532.1914. 2) Vgl. Höber, loc. cit. S. 485. Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. 19 Verwendung nicht zu großer Blutkörperchenmengen: scharf abgesetzte Kuppe bei normalen Körperchen, mit Zunahme der Agslutination immer stärkere Umwandlung der Kuppe in einen ausgebreiteten grie- seligen Niederschlag; die schwächsten Agglutinationsgrade sind auf diese Weise noch sehr scharf zu erkennen und die Unterschiede sind sehr fein abgestuft (Ablesung nach 12 Stunden!). In allen Fällen, in denen Fixierung der Körperchen eintritt, sind auch Agglutinationserscheinungen zu beobachten. Sie sind im allgemeinen schon bei etwas niedereren Konzentrationen vorhanden, als zur vollstän- digen Fixierung notwendig sind ; sie sind in diesem Übergangsgebiet sogar am stärksten und nehmen bei weiterer Konzentrationszunahme wieder ab. Zum Teil, wie beim Zn”, zeigen sie sich in sehr starker Flockenbildung, bei anderen dagegen z. B. beim Hg” sind sie nur eben angedeutet. Bei einigen Salzen wie denen des Kupfers und besonders denen der dreiwertigen Ionen Fe” und Al tritt Agglutination nicht allein im oder nahe beim Fixierungsbereich auf, sondern auch noch in sehr viel niedereren (bei FeCl, z. B. sogar am stärksten in 500 mal geringerer) Konzentrationen, sogar noch unterhalb der lysierenden. Bei diesen Substanzen stellt die Agglutination das erste Zeichen einer Substanzwirkung dar. Im Lyse- bereich geht zum Teil der Lyse eine Agglutination der Körperchen voraus. Die Agglutination durch diese sehr niederen Ionenkonzentrationen hat offensichtlich mit der erst bei viel höheren Konzentrationen ein- tretenden Fixierung der Körperchen nichts zu tun. Wenn sich bei den verschiedenen Kationen auch kein so gleichartiger Wirkungstypus gezeigt hat, wie bei den untersuchten Anionen, so läßt sich doch immerhin ein einfaches Schema aufstellen, in welches die ver- schiedenen Wirkungen der Kationen eingeordnet werden können. Der schwächste Wirkungsgrad ist in der ohne Fixierung einhergehenden Agslutination niederster Konzentrationen gewisser Ionen zu erblicken, dann folgt die mehr oder weniger allgemein vorhandene Lysewirkung und eng anschließend die Hämatinbildung, schließlich die Fixierung und die mit ihr verknüpfte Agglutination. Anionen- und Kationenwirkung lassen sich somit schematisierend etwa in folgender Weise einander gegenüberstellen: Schema der Anion- und Kationwirkung auf rote Blutkörperchen. ImeKonzentrationsbereich Zoom mol ae: U/,, mol. Anionen: Agsl. - Zoe oo Io er ee Hämat. D m WO a A ass DNA StdUH IN EXX yOR I Asistdlie Asıspdr RX RX Ve N Std DL Ast YOX NOR /onod A, 24Std. LL, 48 Std. (H) X x Ihooo A, 6Std. LE, 24 Std. (H) Ra X 48 Std. H N A OA Sta. LEN 24Std HA (X) (X) 48 Std. HH in a ES EB, lsleh aster = U, u Sl iD, lSkal Jenst u nn Yon A Un Sn rin, ish ne e n Thoob-/yA—, "Std. LL, 1Std. HH a — 52 F. Haffner: Tabelle V. Wirkung von HgCl;, auf Blutkörperchen und Lysat. Konzentration der Blutkörperchen und des Lysats: 1%. H5,0l- | Flockung im Lysat bei Konz. | Körperchen-Verhalten bei 18° 18° I LE EI NET d. Alkohol (Molım | | (0,9% NaCl) | (0,9% NaCl) ‚(0,09% NaCl) 50% Liter) m. Stromat. ohne Stromata (0.09% NaCi) 0. AZ 48Std. L- 48Std. H- | 0 110.88 ABER 52 xx 100000 || A—; 48 Std. L—, 48 Std. H— En 307 XX | 45’ X 5 XxXX 1 ooooo | A—, 48 Std. LL, 48 Std. H— _ 30" XX | 45’ X 5’ XX eco | A—, 24 Std. LL, 48 Std. H— _ TE XXX. IE 2’ XX 25000 | A, 4Std, LL, 48 Std. H— — VOTERR | LOERRE I ZRER 1 oso0o || A, 12Std. LL, 48Std. H— | — 30° XX | 45’ X 2’ XX Yon | A—,248td.LL, 48StdH-| — 3 XX|S5X |5X Uso0o || A—, 24 Std. LL, 48Std. H— | — 10° XX.| 45’ X 5X 1/00 | A— 48Std. LL, 48Std.H | — 5’ XX | 60° (X) — Uno | A— 48Std. L, 48Std.H | — IRRE EUR) — U, | (A), 48Std. (L), 488St.H | X 1’ XX | 60° (X) —_ Senn (A), 48 Std. L—, 48 Std. F xXX 1’ XX | 60° (X) _ 1/00 (A), 48 Std. L—, 48Std. FI XX 17 8x1,60/ (X) — Tabelle VI. Wirkung von Ag’, Cu”, AU” und Zn” auf Blutkörperchen. Konzentration der Körperchen: 1%. Ablesung nach 24 Stunden. Konz. der | Metallsalze AgNO, CuCl; AICI, ZnCl; Zn(C;H,0;)s (Mol. Liter) | Ya0oooo || AL, H—1A—,L-,H-/A—,L-,H—A,L-,H— | A, L N Ne N ee Ysoooo | A—, LL,H—A, L, H— A, L-,H—A—,L-,H A—, L- Ussooo \|A—, LL, H— AA, LL, H— AA, L, H— A-,1L-;,H A—, L 12800 || A— LE, H—/AA, LL, H |JAA LH A—,L—,H— A-—,L I A EHE AR ESHIEN AA EA re U/aeoo | A— LL,H-=/AA, L, HH JAA, LE, HHA—,L,H A, L—. | LL,H AA, (L), HH AA, LL, HH! A, L-,H A, L— 2/E0n LE. HH AA)T HN AA, EL HH AAN AA aoo LL,H /AA, L—,F AA, LL, HHAA, L-, H | AA, L-,„ F Moon LE,H AA ER) AAYT, HH ARE ARE ann LL,H 2 AAO mD ART JAN WARE R Tabelle VII. Wirkung von FeÜl, auf Blutkörperchen und Lysat. Konzentration der Körperchen und des Lysats: 5%. FeCl,-Konz. | | Elektrische Bloekungimanysabıbei (Mol im | Körperchen-Verhalten bei 185° | Ladung der 18° 60° Liter) | | Körperchen | nit Stromata | ohne Stromata | | Nach 1 Std. |Nach 1 Std. 0 | 48 Std. A, L— negativ — xXX | 48 Std. A—, L— negativ = xXX | ABısid, A 1 negativ a REX Senn 48 Std. A—, L— negativ = XX N oaoo 20 Min. A,48 Std. L— negativ (X) XX Qt (3b) Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. Tabelle VII (Fortsetzung). FeCl,-Konz. | Elektrische (Mol im Körperchen-Verhalten bei 15° | Ladung der 18° 60° Liter) | | Körperchen mit Stromata | ohne Stromata Ileaoo ı 10 Min. AA, 48 Std. L neutral | x | xXX kenn ' 10 Min. A, 60 Min. AA schwach pos. x XX | 3Std. L, 48 Std. L | | 1800 60 Min. A, 48 Std. LL positiv — (X) a0 | 60Min. A, 6 Std. LL positiv | -br. Fl. | — /a00 | 60 Min. A, 6 Std. LL positiv br. Fl. — Lan | 10Min. A, 3 Std. LL positiv bESORISE | —- Naoo 10 Min. A, 3 Std. LL positiv brra3plss —_- Uso 10 Min. A, 1 Std. LL positiv | br. FH. X gs 10 Min. A, 3Std. LL | positiv | br FE. | XX Uno 10 Min. A, 48 Std. L— F schwach pos. XX | xx Tabelle VIII. Wirkung der H'-Konzentration auf Blutkörperchen und auf stromatafreies Lysat. Herstellung der Phosphatmischungen verschiedener H'-Konzentration. Zu Mischungen von 1,25 ccm !/, mol. primären und 1,25 ccm !/, mol. sekundären Natriumphosphats wurden 1, 2, 3 usw. ccm !/,, n. NaOH bzw. HCl zugegeben und mit !/,, n. NaCl auf 10 ccm aufgefüllt. Die daraus resultierenden Reaktions- gemenge sind im folgenden nach der Anzahl der zugesetzten ccm NaOH bzw. HCl mit 10H, 20H, bzw. 1 H, 2 H usw. bezeichnet. Die py-Werte sind auf Grund einer größeren Anzahl elektrometrischer Messungen der reinen Phosphat- mischungen in abgerundeten Mittelwerten angegeben; bei Blutkörperchen- bezw. Lysatzusatz treten Verschiebungen der p" um höchstens 0,1 nach dem Neutral- punkt zu ein. Versuchsanordnung: 10 ccm 1,5% Blutkörperchensuspension bzw. 1,5% Lysat + 5 ccm Phosphatmischung. Endkonzentration der Blutkörperchen somit 1%, des Phosphat !/,, mol.; NaCl-Gehalt der Lysate = 0,9%. | Flockung im Lysat Phosphat- N Körperchen-Verhalten bei 18° = mischungen H Stand nach 48 Stunden bei 60° u | (50%, 50H 3,0 A—, LL, HH == | = As He 3,5 AB HH (X) | — 4255 H | 4,2 ASS HH IX 5x 4,125 H 4,6 AL. H EXT | FERN! AH bat A, (MD), AEI RX | xXX 35 H oe A He FOR NEXT SU l8l 6,0 A—, L-, H— XX xXX 20 del 6,3 A—, L-, H— xXX | xX 0,0 | 6,8 A—, L-, H— xXX | xXX 2,0 OH 1,2 A—, L-, H— REXE xX 3,0 OH 7,6 En TOR RX 4,0 OH 8,2 A—, L—-, H— xXX XX 4,5 OH | 8,8 A HE RX FOR 4,75 OH 9,8 A—, LL, H— X X 5,0 OH 10,2 A—, LL, H— (X) | X 6,0 OH 10,8 A—, LL, H— 2 — — 54 F. Haffner: Tabelle IX. Wirkung von Rose bengale auf Blutkörperchen und auf stromatafreies Lysat bei verschiedener H'- Konzentration. Anordnung: 5ccm 3% Blutkörperchensuspension bzw. 3%, stromatafreies Lysat + 5 ccm Phosphatmischung (wie Tab. VIII) + 5 ccm Rose bengale-Lösung. Temperatur 18°. I Rose bengale-Gesamtkonzentration Phos- | phat- | 2/00 mol. 2 000.11.01: 10.000, MOl. U so.000, Mol. uch | Körperchen | Lysat Körperchen |Lysat Körperchen | Lysat Körperchen | | | = Fr 7 TE3 z Te ‚48 Star El RR SFSEIREN BER SEAN ER. 2 br Std 2 Ei | F | 6,0 H ‚48 Std. L—- | RR Std. LL |br.FEl.| 1 Std. LL |br.Fl.| 1 Std. LL I F | | | A | 5,0 H |48 Std. L—- | XX [48 Std. L— | XX | 1Std. LL |br.Fl.| 1 Std. LL | F F | | A AA 4,0H,48Std.L | X [48 Std. L- XX [24 Std. L- | — | 20 Std. LL | | F t | | A 3,0 H|48 Std. L | — |48 Std. L- | XX | 6Std. LL | — [20 Sta. LL | F 2,0 H 48 Std. LL | — [48Std L- | x | 3Std. LL " — |48 Std L | | F 00 | 1Min. LL| — | 5Min LL| — | 4Std. LL | — | 48Std. L— 00H. Min. EEE 5 Min. LL I 8 Std. LL — 48 Std. L— 3:00. 1Min. EI | = .110.Mm2 1% 1 ..124.Std. LE — 48 Std. L— 4,00H) 1Min. LL,ı — |10Min. LL | — [48 Std. L — 48 Std. L— Tabelle X. Wirkung von HgCl,;, auf Blutkörperchen und auf stromatafreies Lysat bei ver- schiedener H'- Konzentration. Anordnung: 5 ccm 3%, Blutkörperchensuspension bzw. 3%, stromatafreies Lysat + 5 cem Phosphatmischung (wie Tab. VIII) + 5 ccm HgCl,-Lösung. Temperatur 18°. HgCl,-Gesamtkonzentration Phos I- re phat- 1/00 Mol. 2/00 MOIl. en, kolh 1/00 000 MO]. misch = Se: oe = | Körperchen |Lysat Körperchen | Lysat Körperchen Lysat Körperchen 90 Min. LL | — |90Min. LLı — 31Std BE. 31949 StA. EL 3H | 24Std. LL| — I18 Std. LL | — 5Std. LL | — | 24 Std. LL 2H | 48 Std. L—| X | 24 Std. LL — 5 Std. LL — 24 Std. LL N F 0 ASIStA. IE In X 1130, Std. 2EE — 6 Std. LL -— 24 Std. LL F 20H || 48 Std. L- | XX | 48 Std. L= | (X) 6Std. LL| — 24 Std. LL F Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. 55 Tabelle X (Fortsetzung). | HgCl,-Gesamtkonzentration Phos- = = — — un une phat- 2/00 mol. 1/g000 MOl. 1/30000 MO. 1/00 000 MOl. misch. I | Körperchen ILysat Körperchen | Lysat Körperchen | Lysat Körperchen A | | | 3.0 As Staa me xoxdhAsıstd E | x 12Std. EL.| —- |:24 Std, EL I F | I | 4 OH | 48 Std. L-| XX | 48 Std. L=- XX|18Stdl.LL | — | 6Std. LL I Da een] | 45 | AA | A | | > | A8 Std L-| xx (48 Std. L-| XX| 18Std. LL.| — |.68td. LL OH | | | | AA AA | 5 OH | 48 Std. L-| xx | 48 Std. L- xX| 3Std. LL | — | 3 Std. LL | F F ' I AR AAN | 6 2 48 Std. L-| XxX| 1Std. LL| — Std Er ne 2 1 Std. LL Hi | Tabelle X1. Wirkung von Hg” und Ag’ auf Blutkörperchen und auf Lysat im Rohrzucker- medium. Ablesung nach 48 Stunden. Konzentration der Körperchen und der Lysate: 2%, | Tonen-Konzentration | 1 Y n | N 1 3 [u | # (Mol im Liter) | „eo 280 220 | 1810 (2430 [7290 /22009 [66000 HsCl, | | | | | Körperchen bei 18° | AA | A A AA AA A (A) | A— IL L- | U |L L | LL| (L) | L- { | | | | Stomatahaltiges | | | | | Lysat bei 18° IERDXE X (X) x Ex X | (X) = Stromatafreies | | | Eysatıbei 60 7X (REIF ID | xx | x AsNO, | | | | | Körperchen bei 18° | AA ı AA ı AA AS A— | A— (DB) (de) (L) L LL | L-—- MEZ Stromatahaltiges | | | Lysat bei 18° x x x x (X) Be Stromatafreies | | | Lysat bei 60° | 1, ED DEE ISE| De 56 F. Haffner: Tabelle XII. Verhalten von Körperchen und Stromata bei Variation der H'- und der NaÜl-Konzentration. A = Agglutination. E = Elektrische Ladung (auf Grund der Wanderung im Stromgefälle): n = negativ, p = positiv, 0 = neutral. L— Lyse, F = Flockung, T = nicht ausflockende Trübung, H — Hämatinbildung, X = Fällung der von den Stromata abgehobenen Lysate durch Kochen. Anordnung siehe Text. oem. O.1mNatr.acet.+| o1|0o2 104 |os |ı6 | 32 | 64 |13 | 26 | 05 1,0 | ecm !/io n Essigsäure | Ina: I nE px berechnet | 64 | 59 |56 | 53 | 50 |47 | 42 |aı | a8 | 85 Ba pH gemessen (im Lysat) | | | 5,1 4,5 3,1 Körper- Al |(Aa)l A| A|A|AAlarlarnlaralaıa| A chen! . El, nl. .ner| ns] #n2 na] nor Ep pe op p Q L | | | | 72h 48h 48h | 4sh 2h zZ | | | | LEINEN TEN KE LL X n5Mm F\—|T|F|rF|FF|FF FF FF|RF|FEF| (br. FA.) N Lysat E|j | | 0 |neln(p) pp p:.lap S H | | | 48h | 48h | 48h | 48h 48h Jh Ih I ı Jedlm)|e)|(H)|H HH) HH XXX XX xx XXX XX X — — | — | — — || | | | | | Körper- Al |— | (| a |aa |aa |Aa A A a chen: „Ein an ln an len. ne n2lm)i pen = E | I | — | — |agn |agn |agn |agn | an 7 | ILL| L ILL LL LL „o | | | | a n.15Mnm!)F|i— | — — VB DM) FF | FF| FF | FF|FF| (br. Fl.) 5 Lysat E| | | nen» 2p | p = H | |48h | 4gn | 4gn [48h | 29h | Jh Ih | | | (EI). B |. HE SE HI BIH RIE Körper Al | 1.0.10 Ay A = chen ' E.| m |. .n.|| in. n8 en 2 en nn p)Elp Q L | | | | 48h | 48h | 24h 124 >h 2 IE | | LLIEL\ ELLE) DE oO | | % .n.30Min:)F | | = 2. (EV) WERE OR ER ep: a Lysat E | | nn |/(p). ep H | — | — | — | — |48h | 48h | 48h | 48h | 2h | Ih 1H | | INGEB)EI SETS SET EI SEIRNEDEN HH Körper- A | | — = Er chen; ..E..n. ms ons nun). ns en ag em em > Tu. 2 2 ee ee | DA 2 /n 94H, 04h 1/,h zZ | LE ER ULEICEE LL N ee on). aa x Iysat EI— — |— | — n p j H| 48h | 48h |48n 48n | In | Ih 1h | | | | EL2| SE EI SER EDERV EDEN HH XXX |xx|xX|xx|xXx|xx| xx X |(X)) = — 1) Nach 5 Minuten noch nirgends Flockung. ?) Nach 15 Minuten noch nirgends Flockung; nach 48 Stunden nicht stärker. Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. 57 Tabelle XIII. Resistenz von Rohrzucker- und NaCl- Blutkörperchen gegen Hypotonie. Durch Mischen von isotonischen NaCl- (0,9%) und Rohrzuckerlösungen (8%) mit Wasser werden 2 Reihen von Lösungen gleich abgestufter Hypotonie hergestellt und in einem Parallelversuch zu je 5 ccm derselben 0,1 ccm 100% Blutkörperchen - suspension (teils 3 Tage in Rohrzuckerlösung gehalten, teils in Kochsalzlösung belassen) gegeben. Endkonzentration der Blutkörperchen somit 2%. Tempera- tur 18°. Ablesung nach 15 Stunden; frühere Beobachtungen in Klammer gesetzt. cem isot. Lösung 10|8|66 DARAN TE I 05 |o + er klaus | +.) + al 4 . ccm Wasser 10|2]| 4 | 5 Bd | REN Er) 95 10 Lyse der Kochsalzblutkörperchen in NaCl ı——| L|) UL LL LL LL LL 1% REIS + Wasser (m5%) in Rohrzucker REINIGER, LL LL LL LL LL |LL + Wasser (n.9h) (n. 3") | (n. 5’) Lyse der Rohrzuckerblutkörperchen in NaCl | L Inbe 19 LL LL —+ Wasser | (n. 9b) (n.3h)| (n. 5’) in Rohrzucker —ı—1— L LL |LL + Wasser (n. 9h) Tabelle XIV. Einfluß von NaCl auf die Flockung stromatahaltiger und stromata- freier Lysate durch HgÜl,. 12% Lysate (NaCl-Gehalt — 0,05%) werden sowohl mit wie ohne Stromata (Berke- field-Filtrat) mit abgestuften Konzentrationen von HgCl, versetzt (10 ccm Lysat + 2 ccm HgCl,-Lösung). Beide Reihen werden durch Zusatz von 10%, NaCl-Lösung nach jeweils 10 Min. Einwirkung stufenweise auf höhere NaCl-Konzentrationen gebracht. Hg-Gesamtkonz. | n 7 Fi = 3 (Mol im Liter) | 139 il) /270 | /sıo [2130 [7290 Lysat mit Stromata 0,05%, NaCl BREXE (X) (X) X BxE (X) 0,15%, NaCl EXEX RX RX _ — — 0,3%, NaCl IX DON OL = — _ 0,6% NaCl EROXE DOSE 0X —. — — 0,9%, NaCl EXOXE BROKER EXOXT — — — 1,2% NaCl RX X _ — — —_ 2,4%, NaCl X — — — — — n. 24 Std. FOL No a — —_ Lysat ohne Stromata (Filtrat) 0,05%, NaCl XXX — — || — — — 0,15%, NaCl BROXE OK SOE OO — 0,3% NaCl RR OT, BOCE | NT —_ 06% NaCl EX ROXS IE Bxexe nn Bo — 0,9%, NaCl XX RR ER KO —_ 1,2%, NaCl xx ae _ 2,4%, NaCl x — el ee | -- n. 24 Std. IX Re — 58 F. Haffner: Tabelle XV. Einfluß von NaOH auf die Viskosität von stromatafreiem Lysat. Traubes Viskostagonometer. Temperatur 18°. Durchflußzeit für Wasser 112 Sek. Konzentration des Lysats 30%. Konz. der zugesetzten NaOH Il | (Mol in Liter) | 0 0,006 | 0,02 0,94 0,08 0,16 0,32 Durchflußzeit | | 10 Min. nach Mischung 148 | 147,5 | 148 152 |164,5 | 185 285 2 Stdn. nach Mischung | 148 |148 |148,5 | 152 |165 | 224 | 370 Hämatingehalt 2 Std. nach Mischung | H— | H— | H— | H— | H— | HH | HH Flockung nach Neutra- | | lisation bei 18° —ı — x Flockung durch Alkohol (nicht neutralisiert) RR ARRI ER Rai => — — Lyse im Paralellversuch | mit 80% Blutkörperch. | | (nach 24 Stunden) — — | L LE |=LLE LL | LL u } fl Tabelle XVI. Bindung von H' und OH’ durch Lysat. (Siehe hierzu Kurve im Text.) Gleiche Mengen von Lysat wurden mit abgestuften Mengen von HCl und NaOH versetzt, die p4-Werte der Mischungen elektrometrisch bestimmt. (Elektrode von Michaelis mit stehender Gasblase; Schaltung gegen die gesättigte Kalomelelek- trode; Standart-Acetat bei 20° : 516,6 Millivolt.) Endkonzentration der Lysate 10%. Temperatur 20°. | Eeramtkong der Versuch vom | Versuch vom Versuch vom | Versuch vom | | Flockungs- | er 7. VII. 1921 25. VI. 1921 15. X. 1921 | 2X | en, en bzw. OH’ nl — : = = = =| der ?H-| Neutralisierung M.-V. | = pe | mv. | = va MW. | =pm | MV. | = pi | Mess. 4-10-2 H' | | 359 | 1,90 3,2 -10-? H' | | | 374 | 2,15 2,4 -10-? H' | | 388 | 2,40 DER) SEI: \ 400 2,60 | 406 ARE) bei 18° 1,6 -10-® H' | | 434 | 3,19| (HH 15-1024 | | 445 | 3,34 | | 1.22-210.22°H || | 461 3,65 | 1221022527 || | | | 473 3,86 | 471 3,82 8.1022 H3 11 472: | 3,84 | 475 | 3,89 7,5-15-2H | | 479 3,96 | Huy bei 18° klar 6=710723E7.1,.4935.| 4,20 | 489 4,13, | bei1tozscHe | 501 4,34 | 513 4,55 | 4.1078 H’ -|| 529 | 4,82 | 534 | 4,91 | | 3-10-°H | 572 | 5,54| 574 | 500 | bei18° klar, ke 2:9. 1053 E 594 | 5,95 | ER erhöhte Fällba 2-10-3H' | 606 | 6,16 | 609 | 6,20 | keit durch Hit 1:10-°H: | 636 | 6,66 | oder Alkoho 57.102472 | 649 6,89 | | | Über den Mechanismus von Hämolyse und Agglutination durch Ionen. 59 Tabelle XVI (Fortsetzung). |DÜana nn nn nn i | Versuch vom | Versuch vom Versuch vom | Versuch vom IEEBUmB, | Gesambkonz. der | 7, vır.ig21 | 25. vIL1921 | 15.x.1921 ZIXTEIGDTI nee Flockungs- len H' | | Fa 2.2. verhalten bei bzw. OH’ [ | 2 — derpn-| Neutralisierung u | M.-V. | = PH | m. v. = ?p | M.-V. = ?H | M.-V. | = pp | Me: | en 9-10-5H | | 657 | 7,03 | | 0 6670 7,20 621 | 7.27 674° 77,32| 675 | 7,34 N 210-5 0H’ 1.679 | 7,40 | j | 5-10 -20H’ | 0855 7651 | | { N 1,5 - 10-2 0H’ | 694 7,66. | | | beil8°klar, keine 1-10-30HW | 702 | 7,80 706 | 7,87 | | .H— | erhöhte Fällbar- 15-10-30H | 721 8,13, | | | keit durch Hitze 2-10-30H’ | 756 | 8,73| 759 | 8,78 | | | oder Alkohol 25-10-20H’ | 796 | 9,42 | | | | 3-10.30H’| 825 | 9,92 | | 4.10-20H’| 849 | 10,33) 852 | 10,39 | 850 | 10,35] 10-2 OlEH | | | | 11.9 20 | HH bei 18° XX 4.10-20H’ | | 967 | 12,38| 964 | 12,32] | ; Ei ann jg Jar it all ‚B (Aus der Abteilung für allgem. und vergl. Physiologie an der Universität in Wien [Vorstand: A. Kreidl|.) Über das Vorkommen freier Säure im Verdauungstrakt von Oligochaeten. Von Edmund Nirenstein. (Eingegangen am 28. April 1922. Zu den auffälligsten Eigentümlichkeiten des Verdauungsvorganges bei Wirbeltieren gehört die Zurückhaltung der aufgenommenen Nah- rungskörper in einer Erweiterung des vordersten Darmabschnittes, dem Magen, in dem die Nahrung der Einwirkung eines von der Magen- schleimhaut abgesonderten freie Säure enthaltenden Sekretes unterliegt. Mit Ausnahme einiger Teleostierfamilien, die einen Säuresezernierenden Darmabschnitt vermissen lassen, kann bei sämtlichen Wirbeltieren von den Selachiern bis zu den Säugern das Vorkommen freier Säure im Mageninhalt als Regel gelten. Anders bei den Wirbellosen. Magen- artige Erweiterungen des vorderen Darmabschnittes teils ektodermaler teils entodermaler Herkunft finden sich wohl in weiter Verbreitung, doch ist bisher kein Fall bekannt worden, in dem der Mageninhalt freie Säure enthalten hätte. Unter diesen Umständen verdient nachfol- gende Beobachtung, die sich auf das Vorkommen freier Säure im Ver- dauungstrakt von Oligochäten bezieht, ein gewisses Interesse. Der Organismus, um den es sich handelt, ist der mikroskopisch kleine limikole Oligochät Chaetogaster diaphanus. Was den Verdauungs- apparat der Gattung Chaetogaster auf den ersten Blick von demjenigen anderer Naididen unterscheidet, ist die Gliederung des auf den Oeso- phagus folgenden Darmabschnittes in zwei annähernd gleich große Säcke, einen vorderen, den Magen, und einen hinteren, den eigentlichen Mitteldarm. Beide Abschnitte sind durch ein kurzes, enges, in seinem Bau mit dem Oesophagus übereinstimmendes Darmstück verbunden. Diese Gliederung des auf den Oesophagus folgenden Darmes in zwei an- nähernd gleich große Abschnitte erweckt bei flüchtiger Betrachtung den Eindruck, als ob auch der vordere dem Mitteldarm zugehören würde. Der Vergleich mit anderen Naididen läßt jedoch keinen Zweifel darüber, daß der vordere Abschnitt des Chaetogasterdarmes der als Magen be- zeichneten Erweiterung des hinteren Oesophagealabschnittes anderer Öligochäten bzw. das Verbindungsstück zwischen Chaetogastermagen und Mitteldarm dem Endstück des Oesophagus entspricht. Eine weitere Stütze erhält diese Auffassung durch das völlig verschiedene Verhalten der an dem Aufbau beider Darmabschnitte beteiligten Elemente. Die Zellen des Mitteldarmes zeigen das für die Oligochäeten typische Verhal- ten. Sie sind von zweierlei Art: 1. Resorptionstellen mit Flimmerbesatz E. Nirenstein: Über das Vorkommen freier Säure im Verdauungstrakt usw. 61 und Einschlüssen von körnchenerfüllten Vakuolen und Fetttropfen. 2. Drüsenzellen mit azidophiler Granulation und basophilem Plasma. Im Gegensatz hierzu sind die am Aufbau des Magens beteiligten Zellen von einerlei Art. Je nach dem Kontraktionszustand der Magenwand mehr flach oder mehr kubisch erscheinen sie im lebenden Zustand voll- kommen homogen und erweisen sich entweder ganz frei von Einschlüssen oder enthalten ganz vereinzelte in kleinsten Vakuolen eingeschlossene winzige Körnchen. Größere Vakuolen von der Art, wie sie in den Re- sorptionszellen sich finden, oder Fettropfen sind in den Magenzellen niemals anzutreffen. Ebenso fehlen Drüsengranula. Ein besonders charakteristisches Gepräge erhalten die Epithelzellen des Magens durch den Besitz langer starrer borstenartiger Gebilde, die nur im hintersten Bereich des Magens den Charakter von Flimmern annehmen. Der Verschiedenheit im Aufbau beider Organe entspricht eine weit- gehende Differenz im funktionellen Verhalten. Ihren sinnfälligsten Ausdruck findet sie in den Reaktionsverhältnissen beider Abschnitte. Die wasserhelle Durchsichtigkeit der mikroskopisch kleinen Tiere er- möglicht es, die Farbenreaktion geeigneter Indikatoren unmittelbar unter dem Mikroskop zu verfolgen. Im Gegensatz zum Mitteldarm, dessen Kontraktionszustand von der Erfüllung mit festen Nahrungs- körpern abhängt, erscheint der Magen von Tieren, die sich unter nor- malen Bedingungen befinden, einerlei, ob er feste Nahrungskörper ent- hält oder nicht, stets von einer wasserklaren Flüssigkeit erfüllt, über deren Reaktion folgende einfache Versuche unzweideutigen Aufschluß gaben: Mit Kongorot gefärbtes Filtrierpapier wurde zerfasert und dem Deckglaspräparat, in dem sich die Würmer befanden, zugesetzt. Totes Nahrungsmaterial wird zwar in der Regel von dem räuberisch lebenden Chaetogaster verschmäht, immerhin konnte beobachtet werden, daß rot gefärbte Fasern gelegentlich verschlungen wurden und sofort nach ihrem Eintritt in den Magen eine tiefblaue Farbe annahmen. Die blaue Färbung erhielt sich, solange die Papierfaser im Magen zurückge- halten wurde, um mit dem Eintritt der Faser in den Mitteldarm sofort in Rot umzuschlagen. Noch geeigneter, weil von der Aufnahme geformter Nahrung unabhängig, erwies sich die Prüfung mit Dimethylamido- azobenzol. Wurde ein Tropfen der stark verdünnten Farbstofflösung zum Chaetogasterpräparat hinzugefügt, so nahm die den Magen erfüllende Flüssigkeit sehr bald eine rote Färbung an, die sich rasch vertiefte und schließlich in einen dunkelfuchsinroten Ton überging. Bei intakten Tieren, die sich unter normalen Bedingungen befanden, fiel die Reaktion immer positiv aus. Die Färbung begrenzte sich scharf am Mageneingang und Magenpförtner, beschränkte sich also genau auf den Magen. Der Inhalt der übrigen Darmabschnitte blieb ungefärbt; es sei denn, daß bei einer in Teilung befindlichen Wurmkette der Magen des hinteren 62 E. Nirenstein: [4] Tieres schon vollkommen ausgebildet war. In diesem Falle färbte sich dieser häufig ebenfalls rot, selbst wenn der Pharynx des hinteren Tieres noch keine Verbindung mit der Außenwelt gewonnen hatte, sondern noch mit dem Enddarm des Vordertieres kommunizierte. Die Prüfung mittels der genannten Indikatoren zeigte also, daß die den Magen erfüllende wasserhelle Flüssigkeit freie Säure enthält. Welches ist nun die biologische Bedeutung der Säureabscheidung ? Der nächstliegende Gedanke ist der, daß sie nach Art der Magensäure der Wirbeltiere die Wirkung eines pepsinartigen Fermentes ermöglicht. Zur Prüfung der Frage wurde fein verteiltes Karminfibrin verfüttert. Es zeigte sich, daß die Fibrinpartikelchen selbst bei mehrstündiger Ver- weildauer im Magen daselbst keine Veränderung erfahren und der Magen- saft seine klare farblose Beschaffenheit beibehielt. Im Mitteldarm waren selbst relativ ansehnliche Fibrinflocken nach einer halben Stunde völlig zerfallen, wobei der Darminhalt eine diffuse karminrote Färbung an- nahm. Zu dem gleichen Ergebnis führte die Verfütterung von gefärbtem oder ungefärbtem koagulierten Eiweiß. Im Magen blieb das koagulierte Hühnereiweiß völlig unverändert, um im Darm sehr bald völliger Auflösung anheimzufallen. Das nämliche Verhalten war an aufgenomme- nen natürlichen Nahrungskörpern festzustellen. Chätogaster lebt unter natürlichen Bedingungen räuberisch von mikroskopisch kleinen lebhaft beweglichen Organismen wie Infusionen, Rotatorien, Krebslarven usw. Gelangen Beutetiere der genannten Art mit der Umgebung der Mundöff- nung des Wurmes in Berührung, so wird eine rasche Schlingbewegung ausgelöst, durch die die Beute in die Rachenhöhle und nach kürzerem oder längerem Aufenthalt im Pharynx durch den Oesophagus in den Magen befördert wird. Im Magen gehen die aufgenommenen Tiere bald zugrunde. Bei Infusorien erfolgt der Tod sofort unter Gerinnung des ganzen Zellkörpers; Nauplien von Cyclops lebten im Magen etwa 30 Sekuden, ältere Larven im Copepodidstadium ca. 5 Minuten; ein Rotator ging nach einer halben Stunde zugrunde. Im übrigen erfuhren die aufgenommenen Tiere bei noch so langer Verweildauer im Magen keine Veränderung. Gelangten sie jedoch in den Darm, so setzten sehr bald auf Eiweißverdauung hinweisende Veränderungen ein. Paramäcien waren nach halbstündigem Aufenthalt im Darm völlig zerfallen. Von Copepodidformen von Zyklops war nach 24stündigem Aufenthalt im Wurmkörper lediglich die Chitinhülle übrig geblieben. Aus all diesen Befunden geht also hervor, daß dem Magensaft jedwede proteolytische Wirkung abgeht, während im Darm eine energische Eiweißverdauung statthat!). Von einer Wirkung der Chaetogastersäure nach Art einer Verdauungssäure kann also keine Rede sein. !) Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß auch Fette und Kohlenhydrate im Magen des Chaetogaster unverändert bleiben. Mit Sudan gefärbte Fettkugeln Über das Vorkommen freier Säure im Verdauungstrakt von Oligochaeten. 63 Da die Abtötung aufgenommener Organismen den einzig nachweis- baren Effekt der Magensaftwirkung darstellt, so ergab sich die Frage, ob es angeht die deletäre Wirkung des Magensaftes lediglich als Säure- wirkung aufzufassen. Selbstverständlich setzt die Beantwortung der Frage eine beiläufige Vorstellung von der Stärke der abgeschiedenen Säure voraus. Es gelang dies in folgender Weise. Frheblich säureunempfindlicher als die oben erwähnten Indikatoren Kongorot und Dimethylamidoazobenzol ist der Farbstoff Tropäo- lin 00. Bei einem H*Ionengehalt entsprechend einer "/,g00-Säurelösung erscheint die Tropäolinlösung gelb, bei "/,,o-Säure fleischrot, bei "/,o- Säure himbeerrot?). Nach Zusatz von Tropäolin zum Chätogaster- präparat nahm der Mageninhalt regelmäßig eine ausgesprochene him- beerrote Färbung an. Es wurden nun mit dem Indikator versetzte HCl-Lösungen steigender Konzentration in Capillaren von !/,, mm Lichtung (Weite des Chätogastermagens) gefüllt und jene HCl-Konzentra- tion ermittelt, deren Farbenton unter dem Mikroskop mit der Färbung des Magens ausgewachsener lebenskräftiger Chätogasterexemplare übereinstimmte. Es war dies die ”/,,-HCl. Eine "/,,-Säure repräsentiert somit die Mindestkonzentration der Säure im Chätogastermagen. Es fand sich noch ein zweiter Weg, die Stärke der abgeschiedenen Säure abzuschätzen. Unter den Indicatoren auf freie Säure gehört Kongorot zu den empfindlichsten. Dies gilt nur für die Verwendung des Farbstoffes in Lösung oder als Reagenspapier. Anders liegen die Dinge, wenn mit Kongorot gefärbtes Eiweiß als Indicator verwendet wird. Grob koaguliertes Hühnereiweiß wurde mit Kongorot durchgefärbt, genügend ausgewaschen und in HCl-Lösungen steigender Konzentration eingelegt. Während eine wässerige Kongorotlösung schon bei einem Säuregehalt entsprechend einer "/,„*-Säure einen deutlichen Farbenum- schlag in Violett erfährt, behielt mit Kongorot gefärbtes Eiweiß — unter dem Mikroskop — selbst in einer "/,,- HCl seine rote Färbung bei. Erst von der genannten Konzentration aufwärts änderte sich mit zunehmen- dem H+*-Ionengehalt der Farbenton immer mehr über Rotviolett, Blauviolett in Blau. Andererseits wurde mit Kongorot gefärbtes Eiweiß lebenskräftigen Exemplaren von Chätogaster verfüttert. Nach ihrem zeigten während ihres Aufenthaltes im Magen keine Veränderung, während sie im Darm im Verlauf einiger Stunden teils zu kleinsten unregelmäßige begrenzten Schollen zerfielen, teils ganz verschwanden. In 60° Wasser gequollene, mit Kongo- rot gefärbte Kartoffel-Stärkekörner erfuhren im Magen, abgesehen vom Farben- umschlag in Blau, keine Anderung. Nach Übertritt der Körner in den Darm, wobei die Farbe sofort in Gelbrot umschlug, begannen die Stärkekörner zu schrump- fen; nach einigen Stunden waren die meisten Körner verschwunden, von einzelnen hatten sich unscheinbare Reste erhalten. ?) Friedenthal, K., Methoden zur Bestimmung der Reaktion tierischer und pflanzlicher Flüssigkeiten und Gewebe. In Abderhaldens Handbuch der biochem. Arbeitsmethoden 1. 1910. 64 E. Nirenstein: Eintritt in den Magen wurden die Eiweißflocken sofort blauviolett und blieben es bis zu ihrem Übertritt in den Mitteldarm, in dem die Färbung sofort wieder in Rot umschlug. Der Vergleich der im Magen blauviolett gewordenen Flocken mit dem Farbenton von Kongoeiweiß, das in HÜI- Lösungen steigender Konzentration eingelegt und unter möglichst glei- chen Bedingungen unter dem Mikroskop beobachtet wurde, ergab, daß die vom Magensaft gebläuten Flocken hinsichtlich der Farbennuance mit dem in "%/,„- HCl eingelegten Eiweiß übereinstimmten. Der in solcher Weise ermittelte Aziditätsgrad befindet sich also in Einklang mit dem mittels der Tropäolinmethode erhaltenen Werte. Es erscheint bemer- kenswert, daß der etwa !/,mm lange und !/, mm weite Chätogaster- magen einen Magensaft absondert, dessen Acidität von der gleichen Größenordnung ist, wie sie für den Hundemagensaft angegeben wird. Daß eine Säure von dieser Stärke die oben beschriebene deletäre Wir- kung auszuüben imstande ist, liegt auf der Hand. Die Frage, wie es zugehen mag, daß von schwach alkalischer oder neutraler Lösung umspülte Zellen freie Säure in Konzentrationen ab- sondern, die jede lebende Substanz töten, ist noch immer in dichtes Dunkel gehüllt. Die Hoffnung, bei der ausnehmenden Durchsichtigkeit des hier behandelten Untersuchungsobjektes, die die Anwendungen der stärksten Vergrößerungen zuläßt, zumindest der morphologischen Seite des Problems näher zu kommen, erwies sich als trügerisch. Die Ausbeute nach dieser Richtung war überaus dürftig und beschränkte sich lediglich auf die negative Seite des Problems. Als wichtigster Befund verdient hervorgehoben zu werden, daß die freie Säure nur außerhalb der Zellen nachzuweisen ist. An den mit Dimethylamidoazobenzol behandelten Tieren erscheint der ganze den Magen füllende flüssige Inhalt, aber auch nur dieser rot gefärbt. Die Färbung setzt an der Oberfläche des Magen- epithels scharf ab. Dabei ist zu beachten, daß Dimethylamidoazobenzol zu den Vitalfarbstoffen gehört, die den Zellkörper diffus färben!). In der Tat nehmen bei längerer Einwirkung des Farbstoffes die meisten Elemente des Wurmkörpers, darunter auch die Epithelzellen des Ver- dauungstraktes einen diffusen gelben Farbenton an. Das intracellulare Auftreten freier Säure könnte unter diesen Umständen der Beobachtung nicht entgehen. Noch beweisender nach dieser Richtung erweist sich die Anwendung des Vitalfarbstoffes Neutralrot, der an Säureempfind- lichkeit dem Dimethylamidoazobenzol weit überlegen ist. Der in alka- lischer Lösung gelbe Farbstoff schlägt schon in einer ”/,,’-Säure in Rot um. Zusatz einer Spur von Neutralrot zum Chätogasterpräparat be- wirkt gleich dem Dimethylamidoazobenzol eine intensive fuchsinrote Färbung des ganzen Mageninhaltes, die sich an der Epithelgrenze scharf 1) Nirenstein, E., Über das Wesen der Vitalfärbung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 139. Über das Vorkommen freier Säure im Verdünnungstrakt von Oligochaeten. 65 absetzt. Bei längerer Einwirkung des Neutralrot macht sich die granula- färbende Wirkung des Farbstoffes geltend. Während nun die verschie- densten Elemente des Wurmkörpers von roten Granulationen dicht er- füllt erscheinen, treten gerade in den Epithelzellen des Magens gefärbte Granula nur äußerst spärlich auf. Die meisten Magenepithelzellen bleiben von ihnen ganz frei. Bei Einwirkung stärkerer Lösungen beob- achtet man gelegentlich netzförmig in der Magenwand angeordnete Granulationen. Diese Anordnung entspricht den zwischen den Magen- zellen befindlichen Interzellularlücken, in welche die mit Neutralrot beladenen Granula entleert werden. Anhäufungen ausgestoßener rot- gefärbter Granula finden sich in diesen Fällen meist auch im Oesophagus- lumen; sie stammen aus den Zellen des Oesophaguswand. Es handelt sich bei diesen Vorgängen um ein bei Zellen mit freien Oberflächen mehrfach festgestelltes Phänomen, das eben darin besteht, daß der Zellkörper die mit Vitalfarbstoffen beladenen Granulationen ausstößt!). Mit dem Vorgang der Säureabscheidung hat die Erscheinung nichts zu tun; vielmehr läßt auch die Neutralrotprobe, der mit Rücksicht auf die große Säureempfindlichkeit und das hohe Permeierungsvermögen des Farbstoffes besondere Bedeutung zukommt, Orte saurer Reaktion innerhalb der Zelle vermissen. Eine zweite für die Auffassung des Vorganges der Säureabscheidung bemerkenswerte Feststellung ist die, daß die Säure abscheidenden Ele- mente im lebenden Zustand selbst bei Beobachtung mit den stärksten Systemen vollkommen homogen erscheinen. Auch im Schnittpräparat bietet der Zellkörper der Magenepithelzellen ein vollkommen homogenes Aussehen. Die Säuresekretion erscheint demnach an keine nachweisbare Struktur gebunden. Die einzige morphologisch sich bemerkbar machende Besonderheit, die auf die ausgiebige sekretorische Tätigkeit des Magen- epithels hinweist, ist die reiche Vaskularisation des Magens. Ein System ziemlich dicht gestellter, zirkulär verlaufender Blutlakunen, deren Wan- dung von halbrinnenförmigen Aushöhlungen der entsprechenden Peritoneal- und Magenepithelzellen gebildet wird, umgreift reifenartig den Magen und kommuniziert ventralwärts mit einer an der Ventralseite des Magens gelegenen längs verlaufenden Blutlakune, dorsalwärts mit dem kontraktilen Rückengefäß. Das Auftreten freier Säure im Verdauungstrakt beschränkt sich nicht auf die Gattung Chätogaster. Auch bei anderen Naididen, spez. bei Stylaria lacustris, war, wenn auch nicht so ausgesprochen wie bei Chätogaster, in der als Magen bezeichneten Erweiterung des hinteren Oeso- phagusabschnittes freie Säure nachweisbar. Der Mangel aneinschlägigem Material verhinderte eine eingehendere Verfolgung des Vorganges. 1) Nirenstein, E.,]. c. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 5 Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. Von R. Brinkman und Frl. E. van Dam. (Aus dem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen.) (Eingegangen am 17. Mai 1922.) Die moderne Anschauung über die Ursachen der Muskelkontraktion, möge sie die Lösung des Problems in einer Änderung der Oberflächen- spannung an bisher unbekannten Phasengrenzflächen oder mehr in einer Hydratationsänderung spezifischer Muskelkolloide suchen, ver- langt als Folge des Kontraktionsreizes die Produktion oder die Konzen- trationsänderung bestimmter chemischer Substanzen. Man könnte im allgemeinen unter diesen Muskelreizstoffen Elektrolyte und Anelek- trolyte unterscheiden. Für die quergestreifte Muskulatur scheint wohl in erster Linie die lokalisierte Konzentrationsänderung von H’-Ionen (von der Lactacidogenspaltung) oder von Metallionen wichtig zu sein. Oberflächendynamische Erscheinungen werden bei jeder Kontraktions- theorie in Betracht kommen müssen, da die bezügliche Oberflächen- energie nicht nur durch elektrische Beeinflussung, sondern auch durch chemisch-capillaraktive Wirkung erheblich geändert werden kann. Man kann sich vorstellen, daß die Konzentrationsänderung capillaraktiver Substanzen für die Auslösung oder für die Hemmung von Kon- traktionserscheinungen wichtig sein muß, wie das auch für die amö- boiden Bewegungen gilt. Die Bedeutung dieser genannten Stoffe ist am besten an der Musku- latur mit vorwiegend sympathischer oder parasympathischer Inner- vation studiert worden. Die Theorie, daß die Nervenreizung von der Pro- duktion oder (Lokalisationsänderung) reizender Substanzen gefolgt wird, welche für den Effekt der Reizung verantwortlich gemacht werden müssen, ist erst in letzter Zeit von einzelnen Autoren aufgestellt worden. Bekanntlich wollten die systematischen Versuche Howells!) Beweise dafür beibringen, daß die Folge der Vagusreizung und die Ursache der Vagushemmung des Herzmuskels eine Vergrößerung der Menge diffu- sibler Kaliumverbindungen im Aurikelgewebe war. !) Howell, Americ. ‚Journ. of physiol. 15, 294. 1905; 21, 55, 63. 1902. R. Brinkman u. E. van Dam: Die Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 67 Die Zusammenfassung seiner Arbeit über die Vagusreizung des isolierten durchströmten Säugetierherzens lautet: 1. „Vagusreizung verursachte unter diesen Bedingungen eine Vermehrung im Kaliumgehalt der umlaufenden Zirkulationslösung. Unter den obwaltenden Versuchsbedingungen, nämlich bei wiederholter Umspülung mit einer kleinen Menge der Lösung und bei maximaler Reizung des Nerv. vagus, betrug die Steige- rung im Kaliumgehalt sogar 29%. Diese Steigerung beziehen wir auf ein Frei- werden von Kalium aus der Herzsubstanz. Dieses ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die hemmenden Nervimpulse eine Dissoziation einer indiffu- siblen Form von Kaliverbindung verursachen. Nach unserer Schätzung kann jeder Reiz (eine halbe bis ganze Minute dauernd) zwischen 0,4 und 0,5 mg Kalium in Freiheit setzen. In der Voraussetzung, daß der Prozeß sich im Aurikelgewebe oder in einem bestimmten Teil der Aurikel abspielt, mußte diese Kaliummenge hinreichen, um das Herz zum Stillstand zu bringen. Die mitgeteilten Ergebnisse teilen wir folglich als Beweismaterial für die Anschauung mit, daß die hemmende Einwirkung des Vagus auf die Herzfunktion durch den Einfluß der diffusiblen Kaliumsalze vermittelt wird, die durch Hemmungsreize ausgelöst werden.“ 2. „Reizung des Nerv. vagus erzeugt keine, wenigstens mit der uns zu Gebote stehenden Methode, nachweisbare Veränderung im Calciumgehalt der zirkulieren- den Flüssigkeit.‘ 3. „Reizung des Acceleratornervs bedingt keine Erhöhung des Kalium- gehaltes der Perfusionslösung.‘“ Die Experimente Howells wurden später von J.Ü. Hemmeter!) einer sorgfältigen Nachprüfung unterzogen und konnten in keinem Punkte bestätigt worden. Erstens stellte es sich aus von mehreren Analytikern ausgeführten Kaliumbestimmungen heraus, daß der Gehalt vom gereizten und gehemmten Hundshaiherzen an totalen Kalium- verbindungen nicht abgenommen, sondern eher etwas zugenommen hatte. Zweitens hat Hemmeter eine gekreuzte Zirkulation zwischen den Herzen zweier Hundshaie hergestellt, um in dieser Weise auf die Spur einer Vagussubstanz zu kommen. Das Resultat war völlig negativ; aus einem gehemmten Herzen wird durch das durchfließende Blut nichts ausgeschieden, wodurch die Fähigkeit eines zweiten Herzens derselben Spezies verlangsamt oder zum Stillstand gebracht werden kann. Wir können also jetzt nur sagen, daß das Kalium auf das Herz wie Vagusreizung wirkt, und daß auch die Vagusreizbarkeit durch kleine Mengen K-Ionen erheblich gesteigert wird?); daß aber bei der Vagus- reizung tatsächlich Kaliumionen frei werden, ist nicht bewiesen worden. Ein Hinweis darauf, daß die Lokalisation der Kaliumionen für die Auslösung der Kontraktion wichtig ist, ist auch in den Beobachtungen Mac Callums?) enthalten. Dieser fand durch Anwendung des Natrium- kobaltnitrits als Mikroreagens, daß das Kalium innerhalb der doppelt- 1) Hemmeter, Biochem. Zeitschr. 63, 118, 140. 1914. 2) Howell ]. c. ) Mac Callum, Ergebn. d. Physiol. 11, 631. 1911. 68 R. Brinkman und E. van Dam: brechenden ‚‚sarcous elements‘ lokalisiert sei. Untersuchungen an den ruhenden Flügelmuskeln der Kotfliege ergaben, daß das Kalium inner- halb der doppeltbrechenden Teilchen nicht gleichmäßig verteilt, sondern an den Berührungsflächen mit den isotropen Zwischenscheiben angehäuft ist. Im Kontraktionszustande findet man im Gegenteil eine gleichmäßige Verteilung des Kaliums innerhalb der Teilchen. Mac Callum hält dies für eine Anweisung dafür, daß die Oberflächenspannung der Teilchen durch eine Veränderung der elektrischen Doppelschicht eine Abnahme an den Seitenwänden erfährt. Das K-Ion wird hierbei eine wichtige Rolle spielen, weil es (nach dem H-Ion) die größte lonenbeweglich- keit aufweist. Weitere experimentelle Beweise für diese Theorie stehen noch aus, eine Bestätigung und Erweiterung der histologischen Befunde Mac Callums sind die Untersuchungen Woerdemans!) am elektrischen Organ der Rogge (Raja punctata). Man weiß, daß diese Organe modi- fizierte Muskeln darstellen, deren Kontraktionsfähigkeit allmählich erloschen ist, welche aber die elektrischen Eigenschaften im höheren Maße behalten haben. Woerdeman fand eine starke und typische Lokalisation der Kaliumionen in den elektrischen Plättchen des Organs, was mit den elektrischen Funktionen zusammenhängen muß. Ob diese Lokalisation sich beim Nervenreize änderte, ist nicht untersucht worden. Am weitesten in Beziehung zur biochemischen Funktion der K-Ionen geht Zondek?) mit seiner Hypothese, welche kurzgefaßt sagt: Vagus- reizung — Lokale Konzentrierung von K-Ionen, und Sympathicus- reizung — Lokale Konzentrierung von Ca”-Ionen. Wenn auch diese Hypothese noch vieles unerklärt läßt und nur unausreichend begründet ist, so findet doch der funktionelle Antagonismus beider Systeme hiermit eine gute Beleuchtung. Die primäre Erklärung der biochemischen Kaliumwirkung wird von Loeb in den elektrochemischen Eigenschaften des K’-Ions gesucht), welches durch seine Stellung im periodischen System durch Atomnummer und „ionic radius‘ bedingt sind. Nach Zwaardemaker muß aber die Radioaktivität des Atomkernes die Hauptrolle spielen ?). Die endgültige Entscheidung wird jetzt wohl noch nicht zu geben sein. Eines möchten wir aber hervorheben, nämlich die Tatsache, daß man den Einfluß einer beliebigen K’-Ionenkonzentration nur dann beurteilen kann, wenn die Konzentration der antagonistischen Ionen, im speziellen die der Ca”-Ionen gegeben und fixiert ist; man hat also niemals mit der absoluten Konzentration der K'-Ionen, sondern immer mit dem Quotienten ) Woerdeman, Kon. Akad. van Wetenschappen 29, 567. 1920. *) Zondek, Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 50. 3) Loeb, Journ. Gen. Physiol. 3, 237. 1920. ) Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 69 K : Ca zu rechnen, bei gleichbleibender Konzentration der anderen lonen. Bekanntlich sind nun in letzterer Zeit von ZLoewi!) wichtige neue Beweise für die Entstehung von Vagus- und Sympathicushormonen als Folge der Nervenreizung und als Ursache der Organleistung beigebracht worden; er formuliert seine Auffassung in dem Satze, „daß die Bildung aktionsauslösender bzw. regulierender Stoffe im direkten Anschluß an die Nervenreizung am Ort des Reizeingriffs (auch) beim Tier die Regel sein dürfte“. Nach Loewi sind diese Substanzen organischer Natur. Sie sind zu vergleichen mit den adrenalin- bzw. muscarin- oder cholinartigen Substanzen. Vom Cholin wissen wir durch die Untersuchungen von Magnus und Le Heux?), daß es das normale Hormon der Darm- bewegungen darstellt. Es zeigte sich, daß im überlebenden Dünn- darm Cholin im freien diffusiblen Zustande in solchen Mengen vor- handen ist, daß es durch seine erregende Wirkung auf den Auwerbach- schen Plexus von wesentlicher Bedeutung für das Zustandekommen der automatischen Darmbewegungen sein muß. Es wurde weiter von Le Heux gefunden, daß das Cholin des Darmes als der Angriffspunkt für die Wirkung mehrerer organischer Säuren auf den Darm betrachtet werden muß, da die Wirkung dieser Säuren mit dem Einfluß ihrer Cholinester parallel geht. Zumal diesen Cholinestern (Acetylester, Brenztraubensäureester) kommt eine große physio-pharmakologische Bedeutung zu, weil ihr Wirkungsgrad die des Cholins vielfach übertrifft. Damit wird auch die eventuelle Existenz eines die Cholinestersynthese begünstigenden Ferments wichtig; der Nachweis von derartigen Fermenten in der Darm- wand ist bereits Le Heux gelungen. Ob nun die parasympathische Erregung Einfluß auf die Produktion des Cholins oder des synthetischen Fermentes ausüben kann, ist unseres Wissens nach noch nicht untersucht worden. Wohl ist durch die neuesten Resultate Loewis bekannt geworden, daß der Cholingehalt von Frosch- muskeln durch Nervenreizung gesteigert wird®), und ebenso, daß der Cholingehalt des Herzinhaltes bei Vagusreizung auf das 2- bis Sfache steigt?). Nach Loewe ist die Substanz, welche nach längerer Vago- sympathicusreizung in der Herzflüssigkeit mittelst dem funktionellen Versuch nachzuweisen ist, organischer Natur, aber kein Cholin, weil der tatsächliche Effekt des Herzinhalts aus der Vagusreizperiode viel 1) O. Loewi, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 239. 1921; 193, 201. 1921. Naturwissensch. 10, H. 3, S. 52. 1922. 2) Le Heux, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, Ss. 1919; 1%9, 177. 1920; 190, 230, 301. 1921. ®) E. @eiger und O. Loewi, Biochem. Zeitschr. 12%, 174. 1922. 2) Loewi, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 1. c. 70 R. Brinkman und E. van Dam: intensiver ist, als von der anwesenden Cholinkonzentration erwartet werden könnte. Von Demoor!) ist schon früher die Theorie aufgestellt worden, daß die Reizung der Chorda tympani die Produktion einer sekretinartigen Substanz bewirkt, welche zusammen mit im Blute sich befindenden Stoffen Anlaß zur Speichelsekretion geben würde. Nach Demoor sen- sibilisiert das Nervenreizprodukt die Drüsenzelle für die aktivierende Wirkung eines im Blute kreisenden Komplexes: ‚,... . la seeretion surgit dans les glandes salivaires comme dans le pancreas gräce a l’activite chimique de la cellule, eveillee par des substances sanguines toujours presentes, mais utilisables seulement sous l’influence des corps speeifiques, elabores au moment du travail du nerf.“ Die typischen Hormone mit Sympathicuseffekt stehen doch auch genetisch in inniger Beziehung zum Nervengewebe. Die chromaffinen Ganglienzellen sind nach Gaskell durch das ganze Tierreich bekannt; die Anwesenheit dieser Zellen fällt mit dem Vorkommen eines contractilen Gefäßsystems zusammen. Balfour?) und Kohn?) haben die Entwicklung des Nebennierenmarkes aus sympatischem Nervengewebe festgestellt, so daß an dem neurogenen Ursprung des Adrenalins nicht mehr ge- zweifelt werden kann. Nach dem bekannten Schema von Elliott) muß man zwei Arten von sympathischen Nervenzellen, welche mit den spinalen Zentren in Verbindung stehen, unterscheiden: 1. die sympathischen Ganglienzellen, welche mit ihren postganglionären Fasern mit der glatten Muskulatur usw. in Verbindung stehen, und 2. die Paraganglienzellen (Nebennierenmarkzellen), welche auf Reizung einen Stoff im Blut sezernieren und in dieser Weise die rezeptive Verbindungssubstanz erreichen. Diese zwei Zellarten könnten ursprünglich identisch ge- wesen sein, und die Adrenalinproduktion die direkte Folge der Sym- pathicusreizung; jetzt aber haben sich die Paraganglienzellen zur ausschließlichen Adrenalinproduktion differenziert. Die konstante physiologische Notwendigkeit des Adrenalins ist aber noch nicht sicher erwiesen worden. Auch das Hypophysenhormon, insoweit es die glatte Muskulatur reizt, wird von der Pars nervosa dieses Organs gebildet. Und daß schließlich die Produktion dieser Hormone auf Nervenreiz zustande kommt, ist durch die Untersuchungen Ashers?) festgestellt worden. Die Frage ist nur, ob sich diese Auffassung für alle Nerven- erregungen erweitern läßt. \) Demoor, Arch. int. d. Physiol. 13, 187. 1913. \ ?) Balfour, Development of Elasmobranch Fishes. London, Mac Millan 878. ?) Kohn, Arch. f. mikroskop. Anat. 62, 263. 1903. 1) Elliot, Brain 35, 306. 1913. 5) Asher, Zeitschr. f. Biol. 55, 83. 1910 und zahlreiche andere Arbeiten. Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 71 Nachdem wir also auf die vermutliche Bedeutung der Ionenkon- zentrationsänderungen und daneben auf die Nervenreizstoffe von sozusagen pharmakologischer Natur gewiesen haben, möchten wir einige Bemerkungen über den Zusammenhang dieser beiden Gruppen machen. Was zunächst den Einfluß der Relation K : Ca auf Vagusreizbarkeit angeht, so wissen wir, daß das Fehlen von K’-Ionen sowohl als von Ca”-Ionen in der Durchströmungsflüssigkeit die Reizbarkeit des Herz- und Magenvagus in reversibler Weise verschwinden macht!). Aller- dings sind fast alle Untersuchungen mit einer unphysiologisch großen Ca”-Ionenkonzentration gemacht worden, weil der NaHCO,-Gehalt der Ringer-Lockeschen Lösung zu klein ist, und der Ca” von der Bezie- hung Ca” = on bedingt wird. Deshalb ist es u. E. noch fraglich, 3 ob bei physiologischer Ca” eine Kaliumionenkonzentration absolut notwendig ist. Die Anwesenheit einer Ca” ist unbedingt notwendig, nach Höber für die Erhaltung der Kolloidfestigkeit der Nervmuskel- verbindung). Die Nervenreizbarkeit ist mit Schwankungen der K- und Ca’- Konzentrationen sehr veränderlich, wie das auch für die willkürliche Muskulatur dargetan wurde; im allgemeinen ist man geneigtanzunehmen, daß die Erregbarkeit mit dem Quotienten = zunimmt. Die sym- pathische Erregbarkeit des Herzens scheint nicht in so hohem Grade wie die des Vagus von Änderungen der K'- und Ca”-Konzentrationen abhängig zu sein; die sympathische Erregbarkeit des Froschherzens bleibt sogar bei Durchströmung mit reiner Kochsalzlösung bestehen ®). Die starke Abhängigkeit der Wirkung von Substanzen wie Cholin, Adrenalin usw. von der K’- und Ca’”-Ionenkonzentration ist vielfach untersucht worden. Im allgemeinen ist die Art und Intensität der Wirkung dieser Substanzen nur bei einer bestimmten K’ und Ca” eine Konstante, und hierdurch ist die sehr ausführliche Literatur über diese Prozesse nur schwierig zu interpretieren, und ist der Befund voneinander widersprechenden Angaben etwas ganz (Gewöhnliches geworden. So wirkt z. B. nach den Untersuchungen von Kolm und Pick*) das Adrenalin nur dann sympathicotrop, wenn eine genügende Menge Ca”-Ionen vorhanden ist; Erniedrigung der Ca” bewirkt eine Abnahme resp. ein Verschwinden des sympathischen Einflusses, ver- 1) Literatur s. Brinkman und Frl. v. Dam, Kon. Akad. d. Wetensch. 39. 18. XII. 1920. ?) Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 166, 531. 1917. ®) Ten Cate, Arch. neerland. de physiol. 6, 269. 1921. *) Kolm und Pick, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 137. 1921. 72 R. Brinkman und E. van Dam: bunden mit Erregbarkeitssteigerung des vagalen Endapparates, was dann sogar für Adrenalin empfindlich wird. Und umgekehrt wird die negativ-inotrope Wirkung des Muskarins wieder durch Erhöhung der Calciumkonzentration aufgehoben!). Schematisch scheint man sich noch am besten an die Vorstellung halten zu können, daß mit Steigerung des Quotienten ——. die parasym- Ca pathische Erregbarkeit zunimmt und die sympathische abnimmt, und daß umgekehrt mit Erniedrigung des Verhältnisses der antago- nistischen Ionen die parasympathische Erregbarkeit vermindert und die sympathische vermehrt wird ; die tatsächlichen Beweise für diese Auf- fassung sind aber nicht einwandfrei gegeben. Loewi ist der Meinung, daß ein Einfluß von Ionenkonzentrationsänderung bei der Accelerans- reizung nicht in Betracht kommt, obwohl er selbst die interessante Beobachtung machte, daß bei Durchströmung mit einer 0,01% NaHCO, enthaltenden Ringerlösung die Acceleransreizung die Flüssigkeit saurer macht — Rosolsäure wird schwach gelb (pP # 7). Nach der Formel Ca’ =k H — muß hierdurch die Ca” der HCO, Flüssigkeit erheblich gesteigert sein, und diese Steigerung geht langsam vor sich, proportionell mit der Verringerung der NaHCO,-Konzen- tration. Auch bei der von Loewi ausgeführten Veraschung des Herzinhalts sind die Bedingungen nicht gegeben, daß die ursprünglich im Inhalt des gereizten Herzens anwesenden H- und HCO,-Konzen- trationen wieder hergestellt wurden, also auch nicht die betreffende [Ca”]. Wir würden keineswegs behaupten, daß eine Steigerung des Ca” bei der Acceleransreizung Ursache der Acceleranswirkung sei, möchten aber nur bemerken, daß die bisherigen Experimente Loewis eine derartige Möglichkeit nicht ausschließen. Die neueren Untersuchungen über die Pathogenese der latenten und manifesten Tetanie sprechen ebenfalls aufs bestimmteste für die Kombination des Ionen- und biologischen Reizstoffeinflusses. Ist es jetzt doch wohl ganz sichergestellt, daß die Erniedrigung der physio- logischen Ca” eine typische Nervenübererregbarkeit verursacht. Wenn man nur daran denkt, daß die Größe der physiologischen Ca” von dem Quotienten — ——, bedingt wird, ist es ganz deutlich, wie eine Alkalosis HCO B ; 7 durch Steigerung der NaHCO,-Konzentration oder geringe Vermin- derung der |H'] von einer proportionellen Verringerung der [Ca] begleitet sein muß. In unserem Institut gelang es van Paassen?), durch 1) Loewi und Ishizaka, Zentralbl. f. Physiol. 19, 593. 1905. 2) v. Paassen, Ned. Tijdschr. v. Geneesk. 65, 1162. 1921. Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 73 intravenöse Infusion von NaHCO, die typische Nervenübererregbarkeit des N. peroneus beim Kaninchen hervorzubringen. Die Überventila- tionsversuche von Grant und Goldman!) hatten eine klassische Tetanie zur Folge; Frank konnte diese Resultate bestätigen. Auch Freudenberg und György?) haben die Bicarbonattetanie untersucht und das Bestehen einer Alkalosis bei manifester Tetanie erwiesen. Neben dem Einflusse der Ca”-Erniedrigung ist aber auch die Dime- thylguadinin-Tetanie überzeugend festgestellt worden durch die Unter- suchungen von Koch, Noel-Paton, E.Frank und Mitarbeiter usw. Bei der parathyreopriven Tetanie war die Guanidinmenge im Harn und Blut, ebenso wie im Harn spasmophiler Säuglinge bedeutend erhöht. Somit haben wir auch hier wieder die ätiologische Bedeutung von der Ca” oder besser des Verhältnisses Ca” und eines organischen Nerven- a reizstoffes Hand in Hand gehend®). Das Dimethylguadinin reiht sich wieder in die Gruppe der biogenen Amine ein, wie das Cholin, Neurin, Adrenalin, Histamin usw.®). Der Zusammenhang von Kreatin mit dem direkt durch CO,-Abspal- tung daraus hervorgehenden Dimethylguadinin erscheint uns auch insofern wichtig, daß man in diesem Produkte des Muskeltonusstoff- wechsels nicht ein indifferentes Endprodukt, sondern ein aktiv den Tonus beeinflussendes Agens erblicken könnte. Das Zusammenwirken von Calciumionenkonzentrationserniedrigung und Dimethylguadininvergiftung ist in frappanter Weise bei der para- thyreopriven Tetanie zu beobachten, wo nach Mac Callum u. a. der Ca-Wert sehr erheblich kleiner wird und Guanidinverbindungen im Harn auftreten). Die physico-chemische Erklärung des Zusammenwirkens von Ionenkonzentrationen und organischen Substanzen kam bis jetzt nicht über die allgemeine Analyse von Ionenwirkung auf Zellkolloide hinaus. Die Hypothesen wollen einerseits die betreffenden Zellen durch einen günstigen Ionenquotient für die Wirkung des organischen Stoffes zulässig machen, oder andererseits durch den Einfluß der organischen Substanz die Zellen für bestimmte Ionen sensibilisieren (permeabel machen ?). Sehr wichtig sind in dieser Hinsicht die Untersuchungen von Embden $) !) Grant und Goldman, Journ., Amer., of physiol. 1920, S. 209. 2) Freudenberg und György, Biochem. Zeitschr. 124, 299. 1921. >) Koch, Journ. Biol. Chem. 15. 1913; Noel Paton und Findlay, Quart. Journ. Exp. Physiol. 10, 1916 (mehrere Arbeiten); E. Frank, R. Stern und M. Nothmann, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 24, 341. 1921. *) Vgl. Pütter, Die Naturwissenschaften 8, 88. 1920. >) Mac Callum und Vogel, Journ. exp. Med. 18, 618. 1913. 6) Embden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 1. 1922. 74 R. Brinkman und E. van Dam: und seiner Schüler über den Permeabilitätszustand von Muskel- fasergrenzschichten, hauptsächlich für den Phosphorsäuredurchtritt. Nach Embden steht der Kontraktionseintritt mit einer plötzlichen Steigerung der Permeabilität von beschränkt durchlässigen Grenz- schichten in kausalem Zusammenhang. Weiter wurde durch Lange!) beobachtet, daß das Adrenalin in hohem Maße die Fähigkeit besitzt, die Durchlässigkeit der Muskelfasergrenzschichten für Phosphorsäure und Kaliumionen herabzusetzen. Grundlegend sind auch die Versuche von Freudenberg und György?), welche den Zusammenhang von Calcium- und Guadininwirkung ana- lysieren wollen. Diese Forscher heben mit Recht hervor, daß man bei der Untersuchung der Kalkwirkung nicht nur mit der Konzentration der freien Ca”, sondern auch mit der des kolloidal-gebundenen Calciums rechnen muß. Daß zwischen diesen beiden Konzentrationen eine Art Gleichgewicht bestehen muß, wird zumal nach den neueren Unter- suchungen Loebs wohl nicht mehr bezweifelt werden. Freudenberg und @György zeigten nun, daß Stoffe wie Aminosäure, Peptide, Alkyl- amine, Guanidin, Methylguanidin und Kreatin einen Einfluß auf dieses Gleichgewicht haben, indem sie die kolloide Kalkbindung hemmen. Dadurch würde der Quellungszustand® und auch die Erregbarkeit der Zellkolloide gesteigert werden. Es wird aus der gegebenen Übersicht erhellen, daß eine Unter- suchung nach der eventuellen Existenz von auf Nervenreiz entstehen- den chemischen Agentien sowohl auf die Größe der Ionenkonzentra- tionen, als auf die Produktion organischer Nervenreizstoffe bedacht sein muß. Vor allem ist aber eine Bestätigung und Erweiterung der Befunde Loewis notwendig, und das meinen wir in dieser Arbeit geben zu können. Wir wurden bei der Nachprüfung von der Erwägung geleitet, daß die Loewischen Experimente in dreierlei Weise ergänzt werden könnten, erstens in der Eliminierung etwaiger hydrodynamischer Einflüsse, welche Effekt auf die Herzaktion haben könnten, zweitens Ausbreitung der humoralen Nervenreizübertragung auf weitere Organe, deren vago-sympathische Beeinflussung bekannt ist, und drittens eine mehr physiologische Reizungszeit. Um den Einfluß der Entleerung und Wiedereinfüllung des Herzens zu vermeiden, wäre es besser eine gekreuzte Zirkulation zwischen zwei Froschherzen herzustellen, wie das Hemmeter mit den Hundshai- herzen machte. Wir haben im Anfang unserer Versuche mehrere der- artige Experimente gemacht und konnten auf Nervenreizung des 1) Lange, Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 2, S, 70. ?) Freudenberg und Györgi, Biochem. Zeitschr. 124, 299. 1921. Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 75 ersten Herzens auch immer eine Änderung in der Frequenz und Ino- tropie des zweiten Herzens beobachten. Immerhin erschienen uns auch hier die hydrodynamischen Einflüsse nicht genügend eliminiert, und das Herz kein ideales Reagens auf neurotrope Reizstoffe, zumal wenn man mit abwechselnden sympa- thischen oder parasympathischen Effekten zu rechnen hat. Deshalb wählten wir als reagierendes Organ auf die bei der Herzreizung frei- Vagosympathicus-- Abb. 1. kommenden Substanzen den Magen eines zweiten Frosches und machten die Zirkulation so, daß die Durchströmungslösung in die V. cava des ersten Frosches eingeführt wurde, durch den linken Aortabogen das Herz verließ und dann durch eine Kanüle direkt in die A. gastrica eines zweiten Frosches strömte. Wir reizten dann den Vagosympathicus des ersten Frosches und registrierten die Magenbewegung des Zweiten (Abb. 1). Die Bewegungen des leeren Froschmagens unter dem Einfluß der Vagus- und Sympathicuserregung sind am ausführlichsten von Carlson 76 R. Brinkman und E. van Dam: und Mitarbeiter studiert worden!). Man muß einen Unterschied machen zwischen dem tonischen Kontraktionszustande und den rhythmischen Magenbewegungen. Doppelseitige Vagotomie mit intakten Splanchnici erhöht die Volumkapazität, Durchtrennung der Splanchnici bei unver- sehrten Vagi bewirkt Abnahme der Volumkapazität. Reizung des peripheren Vagusstumpfes gibt immer kräftige Magen- kontraktionen, auch das kardiale Ende des Oesophagus kann sich zusammenziehen. Inhibitorische Fasern konnten im Vagosympathicus nicht aufgedeckt werden. Der Effekt der direkten Splanchnicusreizung auf die Spontanbewegungen des Froschmagens ist uns nicht bekannt; Adrenalin aber gibt eine typische Hemmung der Kontraktionen, auch wenn der Vagus zu gleicher Zeit gereizt wird. Wir werden also von vagalen Reizstoffen eine kontraktionsbeför- dernde Wirkung, von sympathicotropen Substanzen einen hemmenden Effekt erwarten müssen. Methodik. Für jeden Versuch benutzten wir zwei Frösche, am liebsten männ- liche, große Esculenten. Der erste Frosch wird dekapitiert, das Rücken- mark wird zerstört, eine Glaskanüle in die V. cava zwischen den oberen Nierenpolen eingeführt und bis in die Sinus durchgeschoben. Die Hohl- vene wird oberhalb der Lebervene ligiert. Der rechte Aortabogen wird ligiert und in die linke Aorta eine gebeugte Kanüle gebunden und diese mit einem dünnen Gummiröhrchen versehen, zur Verbindung mit der Magenarterienkanüle des zweiten Frosches. Die Durchströmung fängt‘ sofort an, damit keine Gerinnsel in Herz oder Kanülen zurückbleiben. Das Herz bleibt in situ und wird nach der Engelmannschen Methode registriert. Dann wird der zweite Frosch präpariert; auch hier werden Gehirn und Rückenmark zerstört und die vordere Rumpfwand entfernt. Dann wird durch vorsichtiges Zerreißen des Peritoneums die Vereinigungs- stelle der Aortenbogen freigelegt und die Coeliaca aufgesucht. Nach Unterbindung der A. intestinalis und A. hepatica wird eine feine gerade Glaskanüle in die Coeliaca gebracht und bis in die A. gastrica durchge- schoben. Bei gelungener Perfusion sieht man bald die Magenvenen mit der Salzlösung gefüllt, welche durch das Herz das Tier wieder verläßt. Die Bewegungen des Magens wurden durch Luftübertragung re- gistriert. Man muß darauf achten, daß der Magen in situ bleibt und das Mesogastrium nicht gezerrt wird. Das Duodenum wird vorsichtig abgebunden (kleines Loch im Mesenterium) und ein wassergefülltes 1) Carlson und Luckhardt, Patterson, zahlreiche Arbeiten in Americ. Journ. of physiol. 50, 53, 5%. Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkung. 7er rechtwinklig gebeugtes Glasrohr im Oesophagus durch die Kardia in den Magen eingeführt. Bei spastischer Kardia führt man vorläufig das Rohr nur bis an die Kardia ein und preßt dann unter leichtem Druck das Wasser aus dem Rohr in den Magen hinein; die Kardia gibt bald nach und im allgemeinen paßt sich der Magentonus dem eingepreßten Wasser sehr gut an, wenn nur die durch die Magenarterie strömende Lö- sung richtig gewählt ist. Die tonische Anpassung des Magens ist seit den Untersuchungen Pattersons!) gut bekannt. Großer Wert ist auf die Entfernung von Schleim und Blut aus dem Magen zu legen. Nicht nur daß der Magen dadurch zuweilen kontrahiert bleibt, aber wenn man nicht sorgfältig, durch Einführen des Glasrohres und Ansaugen des Blutschleimpfropfes den Magen reinigt, ist die Registrierung der Bewegungen unmöglich durch Verstopfung des Magenröhrchens. Ist der Magen leer, so werden =: 2cem Wasser einge- lassen und das Röhrchen in die Kardia eingebunden, so daß noch leem Wasser im Röhrchen bleibt. Die Kontraktionen werden durch Luftübertragung mittels einer Pelotte registriert. Anfänglich werden also Herz und Magen gesondert durchströmt; durch Verbindung der Aortakanüle des ersten Tieres mit der Gastrica- kanüle des zweiten werden die Organe nacheinander durchströmt, und kommt der Magen unter den Einfluß der Herzprodukte. Die Vagosympathicusreizung des ersten Frosches geschah nach der Methode Muskens?). Hierbei wurden zwei Nägel durch die Tubae eustachii ge- schlagen und mit dem Induktorium verbunden. Im Anfang unserer Versuche (Beginn März) bekamen wir bei der Vagosympathicusreizung noch deutlichen Herzvaguseffekt, später verschwand die Vaguserreg- barkeit fast ganz, und bekamen wir nur Sympathicuseffekt. Durch Froschmangel mußten wir dann weitere Versuche vorläufig abbrechen. Als Durchströmungsflüssigkeit benutzten wir eine Lösung mit konstanter [H ] und [Ca], nl. NaCl 0,55%, CaC], - 6 aq. 0,02%, NaHCO, 0,2% Pu = 8, KCl wurde von 0,005 bis 0,02% variiert. Bis jetzt wurde meistens mit KCl 0,005% durchströmt, weil sich dann der K-Effekt und die Vagusreizstoffwirkung am deutlichsten summieren. Die folgenden Kurven geben ein Bild der Resultate. Abb. 1. Durchströmung von Herz und Magen hintereinander mit NaCl 0,55%, NaHCO, 0,2%, CaC], 6 aq. 0,02%, Pa = 8, KC10,005%.- Zeitintervall 5 Sekunden. Bei 2 Anfang der Vagosympathicus- reizung, bei 3 Ende der Reizung. Am Herzen beobachtet man erst deutlich Vaguseffekt, was aber nach einigen Sekunden durch Sympa- thieuswirkung verdeckt wird. Wenn die Vagusherzflüssigkeit den Magen erreicht haben kann, erfolgt eine mächtige Kontraktionswelle 1) Patterson, Americ. Journ. of physiol. 53, 293. 1920. ?2) Muskens, Americ. Journ. of physiol. 78 R. Brinckman und E. van Dam: welche sich über den ganzen Magen fortsetzt, von Pylorus bis Kardia. Mit dem Durchbrechen des Sympathicuseffektes verschwindet die Magenkontraktion. Wir müssen hierbei noch bemerken, daß die Herzmagendurch- strömung bereits 20 Min. im Gange war, und daß während dieser Zeit il MT hi MN a ulm Ma I ul (( Abb. 1. der Magen nur winzige Spontankontraktionen aufwies, welche so klein waren, daß wir sie nicht registrieren konnten; die intensive Kontraktion muß also unbedingt im Anschluß an die Herzreizung entstanden sein. 1 2 Abb. 2. Abb. 2 gibt dasselbe. Auch hier zeigte der Magen wie gewöhnlich bei der verwendeten Perfusionslösung (KÜl 0,005%) nur winzige Spon- tankontraktionen. Der Effekt der Vagosympathicusreizung ist in der Frequenzabnahme deutlich zu sehen, aber fast ‚physiologisch‘. Bei I Die chemische Übertragbarkeit Anfang der Reizung, bei 2 Ende der Reizung. Der Mageneffekt fängt 15 Sek. nach der Herzrei- zung an, Da wir in dieser Weise immer die Wirkung der Vagusreizstoffe auffinden konnten, wenn nur das Herz des ersten Tieres vaguserreg- bar war, so können wir auf wei- tere Wiedergabe von Kurven dieser Art vorläufig verzichten. Abb. 3 und 4 zeigen die Wir- kung von bei der Reizung frei- kommenden Sympathicus- erregungssubstanzen. Vom Anfang April ab könnten wir am Herzen nur noch Sympathicuswirkung er- zielen, obwohl der Magen bei elektrischer Reizung noch deutlich vaguserregbar war. Der humoral übertragene Sympathicuseffekt zeigte sich ausnahmslos in einer kompletten Hemmung der Spon- tankontraktionen. Man kann das also nur deutlich auffinden, wenn der Magen von vornherein kräftige Spontankontraktionen aufweist. Abb. 3. Durchströmung mit derselben Salzlösung. Der Magen zeigt bereits 10 Min. lang regel- mäßige, kräftige Spontankontrak- tionen. Zeitintervall 5 Sek. Von l bis 2 Vagosympathicusreizung mit rein sympathischem Effekt. Die Spontankontraktion kehrt noch einmal zurück, wird dann schwächer und verschwindet ganz. Auf der Kurve ist nicht mehr zu sehen, daß die Spontankontrak- tionen nach einigen Minuten all- mählich zurückkehrten. Diese Zu- PEHUUVEUCHUTEUTETUERTUETFLEUHTOERG ; ? 3 E EL i 1 ER 3 3 | % 4 4.. SE 3 4 3 EI E| 3 2 3 3 E| ae | ä 3 3 i 3 3 E 2 1 3 N 3 i i 3 Et E + ; i 3 + der Nervenreizwirkung. 79 3, \bb, 4 + A J : E : Rz 58 | R. Brinkman und E. van Dam: Abb. 4. rückkehr der Kontraktionen ist in dem an Abb. 4 wiedergegebenen Experiment zu ersehen. Abb.4. Auch hier zeigte der Magen bereits längerer Zeit inten- sive Spontankontraktionen. Von |] bis 2 Vagosympathicusreizung, der Herzetfekt ist fast nur sympathisch. Man sieht die Magenmbotilität ab- nehmen und den Kontraktions- zustand allmählich verschwinden. Nach Beendigung der Reizung stel- len sich die Kontraktionen kräftig und frequent wieder ein. Wir glauben in dieser Weise mittels Versuchen, welche die oben aufgestellten Anforderungen berück- sichtigen, einen experimentellen Be- weis für das Bestehen von humoraler Übertragbarkeit der Nervenwirkung erbracht zu haben. Etwaige hydro- dynamische Einflüsse sind _ eli- miniert, weil die Lösung durch den Magen auch bei Herzverlangsamung mit fast gleicher Geschwindigkeit strömte. Die Zeit der Nervenreizung und der Effekt der Erregung blieben innerhalb physiologischer Grenzen, und die Wirkung der Reizstoffe konnte an einem anderen Organ demonstriert werden, wo die para- sympathische oder sympathische Er- regung genau zu verfolgen ist. Der funktionelle Antagonismus von vaga- len und sympathischen Reizsubstan- zen war sehr ausgesprochen. Die oben beschriebene Versuchs- anordnung ermöglicht sowohl eine gesonderte als eine hintereinander geschaltete Durchströmung von Herz und Magen. In dieser Weise konnten si 8. Die chemische Übertragbarkeit der Nervenreizwirkun; ZUEBNE 6. Bd. 19 s. Physiol. Pflügers Archiv f. d. ge 82 R. Brinkman und E. van Dam: Die chemische Übertragbarkeit usw. wir also den Einfluß von Änderung der Ionenkonzentrationen in der Perfusionslösung an sich, und auch summiert mit dem Effekt der Herznervenreizstoffe auf die Magenbewegungen untersuchen. Diese Versuche konnten wegen Froschmangels nicht abgeschlossen werden; wir können schon jetzt aber zeigen, wie sich die Einflüsse von lonenkonzentrationen und Herzsubstanzen kombinieren in ihrem Mageneffekt. Ein zusammenfassendes Bild davon gibt Abb. 5. Von 1 bis 5 wurden Magen und Herz gesondert durchströmt mit Lösungen, welche jedesmal um 0,005% KCl mehr enthielten. Also war bei I die Zusammensetzung der Lösung NaCl 0,55%, Pr =; KCl 0,005%. NaHCO, 0,2%, CaCl,;, 6aq. 0,02%, bei 2 dasselbe mit 0,010% KCl, bei 3 mit 0,015%, und bei 4 mit 0,020% KCl. Der einzige Effekt dieser KCI-Steigerung war eine Zunahme des Magentonus; Spontanbewegungen fehlten ganz. Bei 5 wurde auf KCl 0,005°% zurückgeschaltet, aber jetzt wurden Herz und Magen hintereinander durchströmt. Unmittelbar danach kam der Tonus auf sein ursprüngliches Niveau zurück und traten rhythmische Spontanbewegungen auf, welche das KCl allein nicht zum Vorschein hatte bringen können. Bei 6—7 Vago- sympathicusreizung. Der erst entstehende Sympathicuseffekt wurde bald von einem intensiven Vaguseffekt durchbrochen, und einige Zeit später trat die typische Magenvaguskontraktion auf. Wenn wir uns erinnern, daß auch vom ungereizten Herzen Cholin gebildet wird, so ist die Wirkung des Herzinhalts auf die Magenbewegun- gen nicht unerklärlich. Das Kaliumion allein genügt also nicht für das Zustandekommen der normalen Peristaltik; es war noch ein Herzstoff erforderlich. Dieser Befund stimmt mit der Auffassung über das Cholin als normales Hormon der Darmbewegungen. Die Vagusreizung zeigt, wie sehr die normale humorale Wirkung intensifiziert werden kann. Zusammenfassung. Es wurde die Theorie der humoralen Nervenreizübertragung in der Weise untersucht, daß das überlebende Herz eines ersten Frosches und der Magen eines zweiten Frosches hintereinander geschaltet durch- strömt wurden. Reizung des Vagosympathicus des ersten Frosches mit Vagus- effekt wurde von typischer Magenvaguskontraktion des zweiten Tieres gefolgt. Und umgekehrt verursachte Reizung mit sympathischem Effekt des Herzens eine charakteristische Hemmung der Magenbewegungen in dem andern Frosche. Das Bestehen einer humoralen Übertragung von Herznerven- reizstoffen wurde hierdurch einwandfrei demonstriert. Physiologische und pharmakologische Studien an der Atmung des Kaltblütlers. Von Dr. med. F. Felix Werner (z. Z. Freiburg i. Br.). Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 5. Mai 1922.) 1. Teil. . Einleitung (S. 83). . Methodik (S. 84). . Physiologie der normalen Atembewegung (S. 86). . Analyse der pharmakologischen Beeinflussung der Atembewegungen durch Stoffe, A) die primär das Atemzentrum schädigen (S. 86), B) die sekundär das Atemzentrum schädigen (S. 87). 5. Der Atemmechanismus bei Krampfgiften (S. 88). 6. Versuche, das normale Atemzentrum zu erregen und das geschädigte Atem- zentrum wiederzubeleben (S. 89). 7. Zusammenfassung (S. 91). PwmMN — 1. Einleitung. Wenn wir beim Frosch rein äußerlich die Atembewegungen beob- achten, so fällt uns schon auf den ersten Blick auf, daß wir zwei verschiedene Bewegungsformen an der Kehle unterscheiden können: minder oberflächliche Bewegungen wechseln mit einer tiefergehenden Senkung und Hebung des Mundbodens ab. Die reizvolle Aufgabe, den vom Warmblütler grundverschiedenen Typus der Froschatmung aufzuklären, war das Ziel zahlreicher Forschungsarbeiten!). Den Arbei- ten von Baglioni und Gaup folgten in neuerer Zeit die Arbeiten von Willem?), welch letztere mir zum Teil nach Abschluß meiner Arbeit zur Verfügung standen. Willem untersuchte im Verlauf der Erklärung der Atmung die verschiedenen Drucke in der Lunge und im Mundbodenraum, unter gleichzeitiger Registrierung der Mundbodenbewegung. Zusam- menfassend kann festgestellt werden, daß bei Schluß der Glottis die Öscillationen der Kehle bei geöffneten Nasenflügeln erfolgen. Diesem ersten Akt, der den Zweck hat, den Austausch der atmosphärischen Luft mit dem Mundboden zu bewirken, folgt unmittelbar die spontane Öffnung der Glottis unter gleichzeitigem Verschluß der Nasenflügel; 1) Baglioni, Asher-Spiro, Ergebnisse der Physiologie, 11. Jahrg., S. 536. ?) Willem, Archiv Nederlandaises de Physiologie, Tome 3, 3ieme Livraison. 1979! 6* 84 F. Werner: die Luft in den Lungen tritt unter Senkung des Mundbodens in die Mundbodenhöhle (pulmonale Exspiration). Alsdann erfolgt unter Zu- sammenziehung der Mundbodenhöhle, welche die gemischte Luft in die Lunge bei geöffneter Glottis zurückdrängt, die pulmonale Inspiration. Hierauf Schluß der Glottis, Öffnung der Nasenflügel und Wiederbeginn des Atemspieles. Wir sehen also, daß die Atmung beim normalen Tiere aus zwei koordinierten Vorgängen zusammengesetzt ist. Baglioni hat be- wiesen, daß die Trennung dieser beiden Akte durch mechanische Einflüsse nicht möglich ist; beim Verschluß der Nasenflügel (durch Wachs) erfolgte die Erneuerung der Luft in der Mundbodenhöhle durch Öffnung des Maules bei verschlossener Atemritze. Es war nun hochinteressant, sich die Aufgabe zu stellen, ob der gesamte Atemmechanismus nun beim Frosch exakt bewiesen werden konnte, und wie derselbe durch physio- logische Reize einerseits und durch Pharmaka andrerseits beeinflußt werden konnte. 2. Methodik. Es sei vorausgeschickt, daß die Methode, wie sie unten näher be- schrieben ist, genau zu befolgen ist, um gute Resultate zu erzielen. Jeder überflüssige Eingriff, jeder Reiz von außen, sei er akustischert), mechanischer oder optischer Art, ist nach Möglichkeit zu verhindern, Ein Abtrennen der Haut an der Kehle, wie es Nicolaides?) vorschlägt, ist besser zu vermeiden. Nach der guten Fesselung des Frosches auf dem Froschbrett und Anlage einer Serrefine aus Neusilberdraht durch die Haut in der Mitte der Gegend des Musc. submaxillaris wird das mit feuchtem Tuche bedeckte Versuchstier zunächst mindestens 20 Minuten zur Gewöhnung der ihm ungewöhnten Lage in Ruhe gelassen. Zur Registrierung dient ein einfacher Hebel, wie üblich. Zur synchronen Registrierung von Atembewegung und Herztätigkeit kann ein eigens dazu angefertigter Doppelhebel Verwendung finden; siehe Abb. 1. Vor- liegende Methodik genügt, um beispielsweise pharmakologische Beein- flussungen der Atmung für Vorlesungszwecke zu demonstrieren. Für die genaue Analyse der Atmung benutzte ich den Frankschen Kymo- graphion mit Spiegelregistrierung?). Das Licht des kleinen auf dem Hebelzeiger befestigten Spiegels (mit einem Radius von 1,5 mm) wurde von einer Nernstlampe, der ein entsprechendes Objektiv vorgeschaltet war, erzeugt. Die Bewegungen wurden bei einer Spaltbreite von lmm auf die in Bewegung befindliche mit Film bespannte Trommel registriert. (Entwicklung mit Hydrochinon Rapid-Entwickler.) Das Ergebnis dieser Prüfung erläutert Abb. 2. 1) Akustische Reize bewirken beim Frosch das sogenannte ‚„Lauschstadium“ bei sistierten Atembewegungen. 2) Baglioni a. a. O. S. 543. 3) Bezugsquelle: Firma Schmittgall & Cie., Gießen, Nordanlage 9. Physiologische u. pharmakologische Studien an der Atmung d.Kaltblütlerss. 85 Abb. 1. 86 F. Werner: 3. Physiologie der normalen Atembewegung. In A sehen wir die letzte Phase einer Kehldeckelbewegung, der unter Senkung des Mundbodens und unter Öffnung der Glottis bei B die pulmonale Exspiration folgt. Bei geöffneter Glottis erfolgt unmittel- bar die pulmonale Inspiration und bei © Schließung der Glottis. Bei D und E zwei neue Kehldeckelbewegungen, die einen neuen Inspirations- und Exspirationsakt einleiten. 4. Analyse der pharmakologisehen Beeinflussung der Atembewegungen. A. Durch Stoffe, die primär das Atemzentrum schädigen. Bei der Durchführung der Beeinflussung des Atemmechanismus durch Pharmaka können wir schlechtweg die Stoffe einteilen, 1. in solche, die primär das Atemzentrum (Urethan, Chloralhydrat), 2. die sekundär das Atemzentrum schädigen (z. B. Strophantin). Grundsätzlich steht Abb. 3. hier nicht im Vordergrund die Frage, in welcher Dosis die Mittel Schä- dieungen hervorrufen, sondern in welcher Weise die einzelnen Phasen der Atmung beeinflußt werden können. Immerhin mußte ein gewisses Maß auch für die Zeit und Menge der Wirkung anberaumt werden. Als Zeitmaß setze ich eine Stunde fest und bezeichne die Dosis, die innerhalb dieser Zeit eine Atemzentrumslähmung bewirkt, als Dosis Apnoeae totalis minima (D. A. t.m.). Als Versuchstiere wurden Rana temporaria verwendet, in einigen Fällen frischgefangene Exemplare von Bufo vulgaris!). Bei der Analyse der Wirkung des Urethans, dessen D. A.t.m. 0,0037 g pro g Frosch beträgt, ist bei langsamem Gang des Kymographions(Abb. 3) zu ersehen, daß die Amplituden einen deut- lichen Abstieg aufweisen. Bei den nach obiger Methode aufgenommenen Filmkurven (Abb. 4) ergibt sich, daß der letzte Exspirations- und In- spirationsakt 26 Minuten nach der Injektion der D. A.t. m. erfolgt. 1) Die Injektionen erfolgten in den Oberschenkellymphsack. Physiologische u. pharmakologische Studien an der Atmung d. Kaltblütlers. 87 Nach dieser Zeit sehen wir, daß nur noch immer schwächer werdende Kehldeckelbewe- gungen der vollständigen Atemsistierung vor- ausgehen. Es ergibt sich also hieraus, daß die Koordination des Atemmechanismus durch pharmakol. Beeinflussung sehr wohl zu tren- nen ist, wie wir weiter unten noch näher sehen werden. Bei Chloralhydrat (Abb. 5), dessen D. A. t. m. = 0.0003 g pro g Frosch beträgt, sehen wir nach 12 Minuten post injektionem ein vorübergehendes Aussetzen, das wir kurz als intermittierende Apnoe bezeichnen wollen. Es fällt auf, daß im Gegensatz zu Urethan die Oscillationen in diesem Stadium vollstän- dig fehlen, und die verlangsamte Atmung jeweils expiratorische und inspiratorische Phasen aufweist. Daß die Schädigung eines wichtigen Bestandteiles der Atmung schwere Folgen hat und in welcher Weise diese zu- standekommen, ergibt sich von selbst. Sisherung Da a ae ET EN DENE DA ı 40' ' I I ' ı I ' I 1 I I Abh. 4. Abb. 5. B. Die sekundär das Atemzentrum schädigen. 39’ I Von Stoffen, die erst einen sekundären (Abb. 6) Einfluß auf das Atemzentrum aus- üben, seien erwähnt die Digitaliskörper. Als Beispiel wurde Strophantin Böhringer ge- wählt (Dosis in diesem Falle 0,1 mg bei 23g schwerem Tiere). Es wurde gleichzeitig At- mung (i. d. Abbildung oben) und Herztätig- keit (unten) registriert. Charakteristisch ist der Zeitpunkt einer Schädigung der Atmung, die sich auch hier durch intermittierende Apnoeen kundgibt. Erst bei einer deutlichen systolischen Wirkung des Ventrikels sehen wir eine Beeinflussung der Atemtätigkeit. Nach vollständigem Tonus des Ventrikels (die klei- nen Bewegungen sind auf die Atrien zu bezie- hen) nimmt die Atmung ihren Fortgang und kann dieselben längere Zeit überdauern. Auch die Atrientätigkeit erlischt vor der Beendi- gung der Atmung. j ı ! ! el l ı 34' 1 ' U =) l nA N el ' Zeit 75" 12' 26' I 88 F. Werner: ? ie: en ER fort Senemyr Kl / A L IR N x ?® R 6. Abb. pres a ung = re Se Fe 5. Der Atemmechanismus bei Krampigiften. Die Analyse der Atmung bei Krampfgiften, von denen ich das Strych- nin auswählte gibt uns wertvolle Aufschlüsse über den Verlauf der Atemkurve beim Tetanus. Es ist bekannt, daß die Frösche nach einer Injektion des oben erwähnten Stoffes, in diesem Falle 1/10 mg häufig einen Schrei ausstoßen. Bei Registrieren des Vorganges sehen wir in Abb.7, daß eine forcierte Expiration (Schrei) den Tetanus einleitet. Der letztere findet bei kollabierten Lungen statt. Lassen wir die Reize Physiologische u. pharmakologische Studien an der Atmung d. Kaltblütlers. s9 in mäßig rascher Aufeinan- derfolge derart wirken, daß die Refraktärphase nicht be- einflußt wird, so ist das Versuchstier unfähig, den kurzen Intervall zu Oscilla- tionen zu verwenden. Viel- mehr hat es das Bestreben, durch möglichst zahlreiche inspiratorische Phasen die Lungen mit Luft zu füllen. An keinem Beispiele läßt sich in so prägnanter Form dieser mit einer Aufpumpung vergleichbare Vorgang rein äußerlich am Versuchstier zeigen, an der Zunahme des Lungen-Volumens. Als cha- rakteristisch sei die Tatsache hervorgehoben, daß ganz selbstverständlich während der Dauer des Tetanus jede Atemtätigkeit sistiert. Abb. %. Erwähnen möchte ich, daß die Herztätigkeit beim Strychnin- krampf bei Rana in einer ganz anderen Art verläuft, als bei Bufo. Ich komme hier- auf in einer anderen Arbeit näher zurück. 6. Versuche das normale Atemzentrum zu erregen und das geschädigte Atemzentrum wiederzubeleben. Es ist ein Fundamentalsatz der pathologischen Physiologie, daß die Beeinflussung des Atemzentrums jeweils von dem Zustande, in dem sich dasselbe befindet, abhängig ist. Es ist bekannt, daß auch schwache autochthone Reize einerseits und reflektorische Reize andrerseits die Tätig- keit des A. ©. beeinflussen können. Wenn es erst gelingt, Schädigungen, die im Organismus ihre Entstehungsursachen haben, im Tierversuch genau nachzuahmen, werden wir neue Fortschritte in der Erkenntnis der „Erregungsmittel‘‘ gewinnen. Im Hinblick auf die Untersuchungen am Atemzentrum von Warmblütlern sei schon jetzt erwähnt, daß es Mittel geben kann, die das geschädigte A. C. vorübergehend beleben, während sie das intakte A. C. weder günstig noch ungünstig beeinflussen. Trotzdem bleibt nie die Untersuchung auf das normale Atemzentrum überflüssig. In vorliegendem Falle wurde der Atropinschwefelsäure- 90 F. Werner: ester!) auf seine Wirkung auf das A.C. von Rana tempora- ria?) versucht. Es ist klar, daß der Injek- tionsreiz (die Injektion wurde, wie bei allen Versuchen in den Oberschenkellymphsack verab- folgt) jeweils berücksichtigt wurde. In einzelnen Phasen wurde die Wirkung des Atro- pinschwefelsäureesters 0,1 mg in lcem Ringer geprüft. Es wurde (siehe Abb. 8) die At- mung normal bei a) nach 9’, bei ec) nach 11’, bei d) nach 15’, bei e) nach 30° post inj. regi- striertt. Es ergibt sich eine starke ziemlich lang anhaltende Wirkung in erregendem Sinne auf dasA.C. Zur Prüfung des Atropinschwefelsäureesters auf das geschädigte A.C. wurde, wie folgt, verfahren: Der mitder Maximaldosis Chloralhydrat injizierte Rana temporaria er- hielt beim Auftreten der ersten Schädigungen (siehe Abb. 9c 0,1 mg Atropinsch wefelsäure- ester. Es zeigte sich im Ver- lauf der Untersuchung einer Wiedererholung der Atmung und es trat der bestimmt zu erwartende Atemstillstand nach 60’ nicht ein. Die Beobachtung erstreckt sich bei vielen Ver- suchen auf mehrere Stunden. Ebenso zeigten Frösche, die eine halbe Stunde vor der Chlo- ls ) De ee ee a RI ERTFS Abb. 8. Abb. 9. _| | RR " 1) Ich verdanke größere Ver- suchsmengen der Firma chemische Werke, Grenzach. 2) P. Trendelenburg, Arch. f. ex- perimentelle Pathologie u. Pharma- kol. %3, 118. 1913. = = ey J — —_ -; E = = 5 Bee en Physiologische u. pharmakologische Studien an d. Atmung d. Kaltblüters. 91 ralinjektion mit Atropinschwefelsäureester vorbehandelt waren, selbst unter Überschreitung der Dosis keine typische Chloralwirkung. 7. Zusammenfassung. 1. Der physiologische Vorgang der Atmung von Rana temporaria konnte mittels der angegebenen Spiegelmethode am Frankschen Kymo- graphion photographisch registriert werden. 2. Die Koordination der Atembewegungen konnte durch Einver- leibung verschiedener Pharmaka getrennt werden. 3. Bei Urethan konnte mit der photographischen Registrierung die Einstellung der exspiratorischen und inspiratorischen Phasen unter Erhaltung der Oscillationen (Kehldeckelbewegungen) gezeigt werden. 4. Chloralhydrat wies mit der gleichen Methode untersucht Ein- stellung der Oscillationen, Erhaltung der Exspirations- und Inspirations- phasen auf. Dieses Stadium wird als intermittierende Apnoe bezeichnet. 5. Bei Strophantin wird die Atmung erst sekundär geschädigt. Der Zeitpunkt dieser Schädigung fällt meist zusammen mit der ersten Tonuszunahme des Ventrikels. 6. Bezüglich der Atmung bei Strychnintetanus muß auf die kurz- gefaßte Abhandlung verwiesen werden. 7. Atropinschwefelsäureester hat auf das normale und geschädiste Atemzentrum eine erregende Wirkung. Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaecharide und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. Von cand. med. Hans Perger. (Aus dem physiologischen Institut der Westf. Wilhelmsuniversität zu Münster i. W. | Direktor: Prof. Dr. R. Rosemann).) (Eingegangen am 15. Mai 1922.) Seit Kirchhoff!) im Jahre 1811 und 1814 die Spaltung der Stärke durch Kochen mit Säuren und durch die Wirkung der Diastase ent- deckte, haben zahlreiche Untersucher sich bemüht, den Verlauf des Spaltungsvorganges und die Art der dabei entstehenden Zwischen- produkte aufzuklären, ohne daß bisher Übereinstimmung in diesen Fragen erzielt worden ist. Nach Payen?) wird die Stärke zuerst in Dextrin und dann dieses in Glucose umgewandelt, nach Musculus?) entstehen Dextrin und Glucose gleichzeitig aus der Stärke, indem von vornherein Maltose oder Glucose von dem Stärkemolekül abgespalten wird und Dextrin zurückbleibt.. Ebensowenig besteht Übereinstimmung über die Natur der unter der Bezeichnung der Dextrine zusammen- sefaßten Zwischenprodukte zwischen dem ursprünglichen Stärke- molekül und dem Disaccharid. Diese große Gruppe in einzelne chemisch wohl charakterisierte Körper zu zerlegen ist auf die mannigfachste Weise versucht worden; die Resultate waren aber bisher nicht befriedigend. Da es sich hierbei zum Teil jedenfalls um hochmolekulare Körper handelt, lag es nahe, die Methode des Aussalzens durch Neutralsalze, die in der Erforschung der Eiweißkörper so wertvolle Ergebnisse gezeitigt hatte, hierauf anzuwenden und zu versuchen, ob es nicht gelingt, durch fraktioniertes Aussalzen mit geeigneten Salzen die verschiedenen Abbauprodukte voneinander zu trennen. !) Journal de pharmacie %4, 199; Schweiggers Journal 14, 389 (nach v. Lipp- mann, Chemie der Zuckerarten, Braunschweig 1904). ®) Payen, Dextrine et glucose produites sous l'influence des acides sulfurique ou chlorhydrique. Comptes rendus des seances de l’acad. des sciences 53, 1217. 1861. 3») Musculus, Nouvelle note sur la transformation de l’amidon en dextrine et glucose. Comptes rendus des seances de l’acad. des sciences 54, 194. 1862. — Musculus und Gruber, Sur F’amidon. Bulletin de la societe chimique (2) 30, 54. 1878. H. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide usw. 95 Nur die ältere Literatur brachte darüber einige wenige Angaben von Nasset), Pohl?) und Young?). Von einer fraktionierten Aussalzung der Kohlenhydrate haben Baur und Polenske*) zum Zwecke praktischer Untersuchungen Gebrauch gemacht, indem sie bei Untersuchungen von Wurst nach dem Mayrhofer- Polenskeschen Aufschließungsverfahren Stärke und Glykogen durch ?/,-Sättigung mit Ammonsulfat zunächst zusammen ausfällten und dann das schwerer fällbare Glykogen durch Nachwaschen des Filters mit halbgesättigter Salzlösung wieder in Lösung brachten. Nach diesen Ergebnissen erschien es Erfolg versprechend, die Methode der fraktionierten Aussalzung zum Studium der kolloiden Kohlen- hydrate und der fortschreitenden Säurehydrolyse der Stärke weiter aus- zubauen. Die Anregung zu dieser Untersuchung gab mir Herr Prof. Dr. Rosemann, in dessen Institut ich die Arbeit ausführen durfte. Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer für die zahlreichen Anregungen und Hinweise, mit denen er mich stetig unter- stützte, sowie für das rege Interesse, das er dem Fortschreiten meiner Arbeit zuwandte, meinen herzlichen Dank auszusprechen. Der Arbeit lag folgender Gedanke zugrunde: Ein Stärkekleister sollte durch Kochen mit Salzsäure hydrolysiert und die Hydrolyse vor Beendigung des Verzuckerungsprozesses unterbrochen werden. Durch Zusatz verschiedener Salze in mannigfaltigen Konzentrationen sollte versucht werden, für die bis dahin auftretenden Spaltprodukte gewisse „Fällungsgrenzen“‘ im Sinne Hofmeisters festzulegen, der diese für „ebenso charakteristisch für den Eiweißstoff, wie etwa den Löslichkeits- grad für einen kristallinischen Körper“ hielt. Schließlich sollte der Niederschlag und das Filtrat vollständig in Glucose übergeführt und dann durch die polarimetrische Untersuchung festgestellt werden, wieviel von der ursprünglichen Stärke in den Niederschlag, wieviel in das Filtrat übergegangen war. Für sämtliche Versuche wurde das gleiche Stärkepräparat benutzt, das be- kannte Maispräparat Gustin der Nährmittelfabrik Dr. A. Oetker, Bielefeld. Der in der üblichen Weise hergestellte Stärkekleister zeigte nach dem Abkühlen meist zahlreiche Unregelmäßigkeiten in Gestalt von gallertigen Klumpen, zähen, unlös- lichen Häuten und kleinen Flocken. Die gröberen Bestandteile konnten mittels Filtrieren durch ein Porzellansieb aus dem Kleister entfernt werden. Um aber eine möglichst gleichmäßige Lösung für die Untersuchung zur Verfügung zu haben, 1) Nasse, Über das Aussalzen der Eiweißkörper und anderer kolloider Sub- stanzen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 41, 504. 1887. 2) Pohl, Über die Fällbarkeit kolloider Kohlenhydrate durch Salze. Zeitschr. f. physiol. Chemie, 14, 151. 1890. ?) Young, The Precipitation of Carbohydrates by Neutral Salts. Journ. of Physiol. 21, XVI. 1897. 4) Baur und Polenske, Über ein Verfahren zur Trennung von Stärke und Glykogen. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt %4, 576. 1906. 94 NH. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide filtrierte ich später den noch warmen Kleister mittels Wasserstrahlpumpe durch einen mit etwas Glaswolle ausgelegten feinporigen Platinkonus. Durch die Ver- minderung des Druckes in der das Filtrat aufnehmenden Filterflasche kam dieses dort wiederholt zu leichtem Aufkochen, was die Gleichförmigkeit des Kleisters noch zu erhöhen schien. Schließlich wurde die Lösung in einem großen mit einem doppelt durchbohrten Gummistopfen verschlossenen Kolben durch Kochen steri- lisiert. Durch die eine Öffnung des Stopfens führte ein unten mit einem Gummi- ansatz und einer Quetschklammer versehenes Heberrohr, durch das jeweils die gewünschte Menge Stärkelösung entnommen werden konnte. Das erforderliche Nachströmen von Luft in den Kolben wurde durch die andere Öffnung ermöglicht; die dort eingesetzte, oben bauchige Glasröhre war mit einem starken Watte- pfropf versehen, um das Eindringen von Bakterien zu verhindern. Qualitative Voruntersuchungen über die Fällbarkeit der Stärke eines solchen Kleisters durch verschiedene Salze bestätigten im allge- meinen die Angaben Youngs (vgl. S.93). Setzte ich zu einer bestimmten Menge eines etwa 1 proz. Rleisters eine bestimmte Menge gesättigter Salz- lösung Ammonsulfat bzw. Magnesiumsulfat, so ließ sich bei Anwendung beider Salze eine Verstärkung der Fällung mit zunehmender Salz- konzentration erkennen. Bei der Anwendung von Maenesiumsulfat ist in ?/,-Sättigung die Ausfällung vollkommen. Der Vergleich der Wirkung des Magnesiumsulfates mit der des Ammonsulfates zeigt deutlich die stärkere Wirkung des ersteren (vgl. Nasse, a. a. O.). Nach dem Vorbilde Youngs wurden dann auch mit Natriumsulfat, Natrium- acetat und Zinksulfat Versuche angestellt. Doch hatten diese keine be- friedigenden Resultate, was um so beachtenswerter ist, als Zinksulfat beim Aussalzen der Eiweißkörper neben Ammonsulfat an erster Stelle steht. Bei meinen quantitativen Versuchen verfuhr ich zur Bestimmung des Stärke- gehaltes nach der alten Sachsseschen!) Methode, indem die Stärke durch drei- stündiges Erhitzen in 2proz. Salzsäurekonzentration in kochendem Wasserbade am Rückflußkühler in Glucose übergeführt und als solche polarimetrisch bestimmt wurde. Die polarimetrische Bestimmung wurde bei Natriumlicht mit einem drei- teiligen Landolt-Lippichschen Halbschattenapparat von Schmidt und Hänsch ausgeführt, dessen Kreisteilung Ablesungen bis auf 0,01° gestattete. Die Länge des Polarisationsrohres betrug 200 mm. Die angegebenen Werte sind immer das Mittel aus 10 Ablesungen. Ich fand bei meinen Kontrollversuchen, daß zur vollständigen Überführung von Stärke in Glucose eine dreistündige Hydrolyse erforderlich war, daß aber eine noch länger fortgesetzte Hydrolyse die Drehung der Lösung nicht mehr wesentlich veränderte. Durch die dreistündige Hydrolyse einer genau abgewogenen Menge luft- trockener Stärke (14,1%, Wasser) konnte festgestellt werden, daß die Gesamtmenge der Stärke in Glucose verwandelt war. Diese Feststellung stimmt mit den An- gaben Sachsses überein, der bei Mais- und Marantastärke eine Aufspaltung bis zu 100% beobachtete, wogegen er auch bei beliebig lange fortgesetzter Hydrolyse von Reis- und Weizenstärke stets Reste höherer Zucker feststellte. Die Verwendung von Maisstärke für meine Versuche erwies sich also als besonders zweckmäßig. Es mußte nun die Frage aufgeworfen werden, ob diese völlige Aufspaltung in Glucose auch in Gegenwart von Magnesiumsulfat und Ammonsulfat herbei- 1) Sachsse, Chemisches Zentralblatt 1877, S. 732. und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 95 zuführen sei. Meine Untersuchungen ergaben, daß dies keineswegs ohne weiteres der Fall war. Wenn ich starksalzhaltige Lösungen (Ammonsulfat oder Magnesium- sulfat) bei einer Konzentration von 2%, Salzsäure hydrolysierte und dann aus der gefundenen optischen Drehung des Filtrates den Gehalt an Traubenzucker berech- nete, so erhielt ich Werte, die nahezu doppelt so hoch waren wie die, welche sich nach der Hydrolyse desselben Stärkekleisters ohne Salzzusatz ergaben. Bei der ausschlaggebenden Bedeutung, die die quantitative Überführung der Stärke in Zucker für mich hatte, mußte ich versuchen, möglichst genau die Bedingungen der Hydrolyse nach Zeit, Säurekonzentration und der statthaften Magnesiumsulfatmenge festzulegen. Ich benutzte zu den folgenden Versuchen einen sehr gleichförmigen, steril aufbewahrten Kleister, dessen Gehalt nach voll- ständiger Hydrolyse ich im Mittel auf 3,37% Zucker bestimmt hatte. Eine genau abgemessene Menge dieses Kleisters versetzte ich mit Magn. sulfur. pur. crist. in einem bestimmten Verhältnis und hydrolysierte die Lösung in 2 proz. und in 4 proz. Salzsäurekonzentration stets 3 Stunden. Die angegebenen Werte sind immer Mittelwerte aus 2 Parallelversuchen. a) Um die Wirkung bei sehr starkem Salzgehalt festzustellen, wurden zu je 50 cem Kleister eine so große Menge Magnesiumsulfat in Substanz zugegeben, daß die Lösung ganz bzw. halb gesättigt war. Unter Berücksichtigung der Ver- srößerung des Volumens wurde dann so viel Salzsäure zugegeben, daß die HCl Konzentration 2% bzw. 4%, betrug. Sodann wurde 3 Stunden hydrolysiert und darauf auf 100 cem Lösung aufgefüllt. b) Eine Reihe 50 cem-Kölbcehen wurden mit 35 ccm Kleister beschickt, dann 7,5 8, 5,0 g und 2,5 g Magnesiumsulfat und soviel Salzsäure zugesetzt, daß nach Auffüllen bis zur Marke die HCl-Konzentration 2%, bzw. 4%, betrug, mit destillier- tem Wasser bis zur Marke aufgefüllt und 3 Stunden hydrolysiert. Schließlich wurde zu 20 ccm Kleister 33,5 g Magnesiumsulfat zugegeben und nach Ansäuern ebenfalls auf 50 ccm aufgefüllt. Die polarimetrische Untersuchung ergab folgende Werte, in Prozenten der ursprünglichen Flüssigkeit berechnet: Tabelle Ta. MgsSO, | 20, HCl 4% HCl Verhältnis zum Grundwert gesättigt | 6,03%, | 3,826%, 176 : 113 : 100 halbgesättist | 7,61% | 3,867% 225 : 114 : 100 Tabelle Ib. 67% | 6,300% | 3,628% | 178 : 107 : 100 15% | 4,3570, | 3,25%, 129 : 96 : 100 10%, | 3,50%, | 3,329, 103 : 99 : 100 5% | 3,32%, | 3,29% | 99 : 96 : 100 Die Tabe!le zeigt, daß die Hydrolysenbehinderung sehr wesentlich von dem prozentualen Salzgehalt abhängig ist. In stark salzhaltigen Flüssigkeiten läßt sich auch in 4proz. HCl-Konzentration die restlose Verzuckerung anscheinend überhaupt nicht ganz bewerkstelligen; doch wird bei einem Gehalt von nur 15% Magnesiumsulfat die Behinderung unter Anwendung der doppelten Säuremenge aufgehoben. Sinkt der Salzgehalt unter 10%, so genügt auch schon die normale Säuremenge zur völligen Hydrolysierung. In der letzten Abteilung der Tabelle sind die Verhältnisse der berechneten Zuckerwerte zum tatsächlichen 96 H. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide Gehalt der Lösung (3,37% = 100) angegeben. Es zeigte sich, daß in ähnlicher Weise auch die Hydrolyse der ausgefallenen Niederschläge behindert wurde, obschon doch die Menge des im Niederschlage ent- haltenen Salzes nur eine verhältnismäßig geringe sein konnte. Aus bestimmten Beobachtungen über die Stärke der Hydrolysenbehin- derung scheint hervorzugehen, daß bei der Behinderung der Hydrolyse der Niederschläge nicht nur die Salzmengen, sondern vielleicht auch die abso- luten Niederschlagsmengen und die Molekulargröße der ausgesalzenen Produkte von Einfluß sind. Die Frage, in welcher Weise überhaupt die Anwesenheit von Salzen die Hydrolyse behindert, muß ich offen lassen. Auf Grund dieser Ergebnisse verfuhr ich weiterhin bei der endgültigen Hydro- lyse salzhaltiger Filtrate stets in der folgenden Weise: die Flüssigkeit wurde so weit verdünnt, daß der Salzgehalt 15% nicht überstieg, nunmehr auf 4%, HCl gebracht und 3 Stunden lang hydrolysiert. Nach Beendigung der Hydrolyse wurde die Flüssigkeit, ohne zu neutralisieren, in flacher Schale auf dem Wasserbade auf ein kleines Volumen eingedampft und polarisiert. Auch die Hydrolyse der Nieder- schläge erfolgte stets in 4%, HCI-Konzentration. Welchen Einfluß hatte nun die Arwesenheit der an sich inaktiven Substanzen, Magnesiumsulfat und Salzsäure, auf die Drehung der Zucker? Ich verdanke die nachfolgenden Versuche Herrn Professor Dr. Rosemann, der schon früher!) den „Einfluß des Ammonsulfats auf die spezifische Drehung des Milchzuckers“ unter- sucht hatte und nach der in jener Arbeit veröffentlichten Methode die spezifische Drehung des Traubenzuckers in einer 33,5 proz. Magnesiumsulfatlösung (halb- gesättigt) auf 52,44° und in einer gesättigten Lösung auf 50,83° feststellte. — Ebenso untersuchte Rosemann den Einfluß der Salzsäure in verschiedenen Konzen- trationen auf die spezifische Drehung des Traubenzuckers ([&%] = 52,5°) und kam zu dem Resultat, daß Salzsäure die spezifische Drehung des Traubenzuckers erhöhte, und zwar bei 2,68%, HCl auf 52,53°, bei 8%, auf 53,33°, bei 12% auf 53,98°, bei 20% auf 55,72° und bei 29,3%, auf 58,99°. Während also die Anwesenheit von Magnesiumsulfat die spezifische Drehung des Traubenzuckers in gesättigter Salzlösung um 1,67° verminderte, bewirkte Salzsäure eine Erhöhung der optischen Drehung, die allerdings erst in so stark konzentrierten Lösungen beträchtlich in die Erscheinung trat, wie sie für mich praktisch nicht mehr in Frage kamen. Ich glaube den drehungvermindernden Einfluß des Magnesiumsulfates und den drehungvermehrenden Einfluß der Salz- säure vernachlässigen zu können, zumal noch die gleichzeitige Anwesenheit beider Substanzen ihre Wirkung zum Teil kompensieren mußte ?). Da sich nach den Resultaten der Tabelle Ib für mich häufig die Notwendigkeit ergab, stark salzhaltige Lösungen vor der weiteren Hydrolyse der darin enthaltenen zuckergebenden Substanzen stark zu verdünnen, um den Salzgehalt auf höchstens 15%, herabzusetzen, so entstand die Frage, ob bei dem nach der erfolgten voll- ständigen Hydrolyse notwendigen Eindampfen die Glucose durch die Anwesenheit von größeren Säuremengen zerstört werden könnte. Wenn auch nach Rieschbieth?) u.a. Glucose in konzentrierten Säuren (schon bei 7—10% HCl beginnend) unter Bildung von Lävulinsäure und Huminsubstanzen zersetzt werden kann, so konnte 1) R. Rosemann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 89, 133. 1914. 2) Eine gute Literaturzusammenstellung über die Beeinflussung der spezi- fischen Drehung durch die Gegenwart verschiedener optisch inaktiven Substanzen siehe bei Rona und Michaelis, Biochem. Zeitschr. 16, 62. 1909. 3) Rieschbieth, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft 20, 1773. 1887. und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 97 ich doch in einem Probeansatz für meine Versuchsbedingungen keinen Verlust beobachten. Ich hatte auch beabsichtigt, zur Beurteilung der Art der nach den Salzfällungen in den Filtraten noch enthaltenen Dextrine die Jodreaktion mit heranzuziehen. Die dabei erhaltenen Farbentöne waren aber so überaus mannigfaltis, daß ihre Bezeichnung trotz der von Lowartz!) nach Art der Forel-Uleschen Methode aus- gearbeiteten Farbenskala große Schwierigkeiten machte. Die Farben waren Misch- farben aus blau, rot und gelb. Es war nun einerseits möglich, daß eine intensiv blaue Farbe die Färbung sich braun, rot oder violett färbender Dextrine völlig verdeckte; andererseits konnte die Reaktion größerer Dextrinmengen das Erkennen kleiner Mengen blaureagierender Stärke ganz unmöglich machen. Vollständig un- brauchbar wurde aber in dem vorliegenden Falle die Jodreaktion dadurch, daß die Affinität der Stärke und der Dextrine zu Jod ungleich war. Dadurch veränderte sich also bei jedem erneut zugegebenen Tropfen von verdünnter Jodjodkalium- lösung die Farbe zugunsten der weniger leicht reaktionsfähigen Substanzen, falls nicht schon von vornherein eine derart intensive Färbung eingetreten war, daß schwächere Töne daneben gar nicht aufkommen konnten. Es galt nun festzustellen, in welcher Weise die Hydrolyse vorgenommen werden mußte, damit noch eine ausreichende Menge fällbarer Kohlenhydrate zurückblieb. Die begonnene Hydrolyse war also in einem geeigneten Augenblick zu unterbrechen. Die bei den Säurekonzentrationen von 0,125% und 0,25%, HCl ausgefallenen Niederschläge erschienen nach den angesetzten Proben am geeignetsten, um auch bei den erforderlichen Verdünnungen noch genaue Resultate für Niederschlag und Filtrat in Aussicht zu stellen. Das Filtrieren selbst geschah durch einen Glaswollpfropfen, der sich durch den sich absetzenden Niederschlag selbst verdichtete und, von geringen Ausnahmen abgesehen, wasserklare Filtrate ergab. Eine hydrolytische Spaltung der schwach- sauren Filtrate in der Kälte trat nicht ein, was ich durch mehrfach wiederholtes Polarisieren derselben Lösung, nachdem sie mehrere Tage gestanden hatte, nach- wies. Viel mehr war im Laufe der Zeit die bakterielle Zersetzung zu befürchten, die alles zu vermeiden empfahl, was die Dauer der Untersuchung verlängerte. Um daher die Menge der zu filtrierenden Lösungen auf ein möglichst geringes Quantum zu beschränken, ging ich dazu über, das Salz in Substanz in abgewogener Menge zuzufügen, anstatt es den schwachhydrolysierten Lösungen in Form von gesättigten Lösungen in einem bestimmten Volumen zuzusetzen. Im Zusammenhang hiermit war zu untersuchen, in welchen Salzkonzentrationen die schwachhydrolysierten Stärkelösungen gesättigt werden mußten, um in den einzelnen Fällungsfraktionen deutliche Unterschiede zu ergeben. Ich hydrolysierte einen Kleister eine halbe Stunde in 0,25 proz. HCI-Konzen- tration, verteilte je 100 ccm dieser schwachhydrolysierten Lösung in kleine Erlen- meyerkolben, die ich mit Nummer 1—8 bezeichnete und setzte dann 10 g, 20 g, 30 g usw. bis zu 80 g Magnesiumsulfat hinzu. Ohne weiteres konnte man die ver- schiedenartige Bildung der Niederschläge bei den einzelnen Sättigungsgraden be- obachten. Während bei 1 und 2 nur nach längerer Zeit eine schwache Sedimen- tierung am Boden erkennbar war, fand sich bei 3 unter gleichzeitiger Auflockerung des Bodensatzes eine schmale Schicht am oberen Rande der Flüssigkeit, die sich bei 4 deutlich vergrößerte. Bei der 4. Lösung setzte sich die untere Niederschlags- schicht leicht vom Boden ab. Bei der 5. Lösung begannen sich die beiden Schichten zu vereinigen, um von 6 an nur eine gemeinsame Masse darzustellen, die den unter- !) Lowartz, Diastase im Magensaft von Potamobius astacus L. Fermentfor- schung 3, 247. 1919. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 7 98 NH. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide sten Teil der Lösung mehr oder weniger frei ließ und nach S hin deutlich voluminöser wurde. Bei den beiden letzten Lösungen zeigten sich am Boden erhebliche Mengen ungelösten Salzes. Die ganze Beobachtung dieses Vorganges schien mir bereits darauf hinzudeuten, daß die ganze Aussalzung der verschiedenen Polysaccharide in mehreren ziemlich scharf voneinander getrennten Phasen vor sich ging. Dem- entsprechend zeigte auch der Vergleich der für die Niederschläge gefundenen Werte an zuckergebenden Substanzen keineswegs die Form einer arithmetischen Reihe, proportional der Menge des zugegebenen Salzes, sondern es waren deutlich 3 Fraktionen zu unterscheiden, innerhalb deren sich die Werte nicht sehr wesent- lich verschoben. Folgende Tabelle möge das erläutern: Tabelle II. 100 eem Lsg.+g MgSO, | 30 € | 40 50 8 | 60 € 70 8 Ss0 g = in Proz. | = der ur- Be or : ! e ’ 1,26% 1,379 1,92%, 2.1094, 111,2558%. [02.6592 zZ sprüngl. | 8. Lösung NR R | Pc gen. Proz. == oi = 3 der ur- 2 sprüngl. ji / | / &0 1: 5 1143,9% | 47,9%, 67,1% 73,2%, | 90,0% 92,2% 8 vorhand. I RE an an Kae ER © Gesamt- | N menge | Es erschien sich hiernach zu erübrigen, die Salzkonzentration in so mannig- faltiger Weise zu verändern. Ich hielt es vielmehr für ausreichend, die Lösungen in Zukunft nur im Verhältnis von 1:3,2:3 und 3:3 zu sättigen. Es sollte schließlich in einem quantitativen Versuche die fällende Wirkung des Ammonsulfates untersucht werden, um die Angaben Nasses (a. a. O.), die schon durch meine orientierenden Versuche (vgl. S. 94) bestätigt wurden, dahin zu prüfen, ob in den weiteren vergleichen- den Untersuchungen die Anwendung von Ammonsulfat oder von Magnesiumsulfat vorzuziehen sei. Ich muß der Raumersparnis wegen darauf verzichten, meine mit Ammonsulfat angesetzten Versuche ausführlich wiederzugeben und muß mich darauf beschränken, die Endresultate mit denen eines Ver- suches mit Magnesiumsulfat zu vergleichen, was ohne weiteres möglich ist, da bei beiden Untersuchungen der benutzte Kleister auf annähernd die gleiche Weise hergestellt und jedesmal in 0,25 proz. HCl-Konzen- trarion !/, Stunde hydrolysiert war, doch mußte ich zum Zwecke der Vergleichung zunächst für beide Untersuchungen feststellen, zu wieviel Prozent die einzelnen Lösungen mit Salz gesättigt waren. In der folgen- den Tab. III zeigt Stab 1 an, wieviel Prozent der ursprünglich vorhan- denen zuckergebenden Substanz in der schwachhydrolysierten Lösung jeweils ausgesalzen sind. Stab 2 enthält den Grad der Sättigung und Stab 3 den Salzgehalt in Prozenten. In Stab 4 und 5 ist berechnet, und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 99 um wieviel das Volumen von 100 ccm Kleister durch Zugabe verschie- dener Mengen von Magnesiumsulfat vergrößert wurde. Tabelle III. Magnesiumsulfat Ammonsulfat 5 Auen 3 | 2 1 l 2 | 3 cemKleister cem | Salz- | Sättigungs- ausgefallen Sättigungs- Salz- + g Salz | Lösung | prozente | prozente in prozente prozente 1 | | 10,02% | 35,3% | 22,89, 2 |100+30| 116 | 24,1% | 36,1% | 43,9% |43,91% | 67,2%, | 43,3% 3 100 +40| 121,7) 32,0% | 47,6% | 47,9% | 4 | | | 57,47% | 100% | 64,45%, 5 |100+50| 127,1| 39,3% | 58,9% | 67,1% | 6 |100+60| 133,3, 45,0% | 67,4% | 73,2% | 7 |100 + 70| 139,3| 50,2% | 75,2% | 90,0% 8 100 +80| 145,1| 55,1% | 82,6% | 92,2% Die überragende Wirkung des Magnesiumsulfates ist auffallend. Während durch Ammonsulfat in 100 proz. Sättigung nur 57, 47%, des Stärkegehaltes ausfallen, fallen in einer zu 82,6%, mit Magnesium- sulfat gesättigten Lösung 92,2% der Gesamtstärke aus. In Abteilung 2 stimmen die durch Magnesiumsulfat und durch Ammonsulfat ausge- fallenen Mengen der zuckergebenden Substanzen fast überein. Vergleiche ich aber die Stärke der Salzkonzentration, so sehe ich, daß fast doppelt soviel (1,34 :1) Ammonsulfat als Magnesiumsulfat angewandt werden mußte, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Auf Grund der in diesen Voruntersuchungen gesammelten Erfah- rungen konnte ich daran gehen, mittels Aussalzung vergleichende Untersuchungen über den Verlauf des säurehydrolytischen Stärkeab- baues bei verschiedener Dauer der Hydrolyse und verschiedenen Säure- konzentrationen anzustellen. Die Versuchsanordnung war dabei folgende: Ich stellte auf die auf Seite 93 beschriebene Weise eine größere Menge einer möglichst gleichförmigen, sterilen Stärkelösung her. Da sich der Kleister jedoch nach dem Erkalten noch als zu dick erwies, um durch die Glasröhre abgezapft werden zu können, gab ich noch eine größere Menge destillierten Wassers hinzu und wiederholte den ganzen Prozeß. Von dem so erhaltenen Kleister zapfte ich dann die für einen größeren Ansatz (Versuch A oder B) benötigte Menge ab und bestimmte ihren Gehalt an zuckergebender Substanz (vgl. S. 94). Um diesen Kleister schwach zu hydrolysieren, beschickte ich z. B. einen 200 cem-Kolben mittels Bürette mit 190 cem Stärkelösung, fügte dann die einer Säurekonzentration von 0,125— 1,0% HCl entsprechende Menge Salzsäure hinzu und füllte mit destil- liertem Wasser auf 200 ccm auf. Es wurden hierbei stets 2 Parallelversuche an- gesetzt und die beiden Kolben dann eine halbe Stunde (Versuch A) oder eine Stunde (Versuch B) in einem kochenden Wasserbade hydrolysiert. Der Hals der Kolben war beträchtlich über die Marke hinaus verlängert, damit der Kolben so tief in das Wasserbad versenkt werden konnte, daß der ganze Inhalt während der Dauer der Hydrolyse von kochendem Wasser umgeben war. Um nach einer bestimmten Zeit- dauer die weitere Hydrolyse zu verhindern, wurden dann die Kolben unter fließen- 7* 100 H. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide dem Wasser abgekühlt, was in 6—8 Minuten vollständig gelang. — Dann wurden drei 50 cem-Kölbchen mit je 20 ccm der schwachhydrolysierten Stärkelösung be- schickt, 11 g bezw. 22 g oder 33 & Magnesiumsulfat zugesetzt und bis zur Marke aufgefüllt. Ich hatte dadurch eine zu !/,, eine zu ?/, und eine ganz mit Magnesium- sulfat gesättigte Lösung erhalten (a-, ö- und y-Lösung). Nach mehrstündigem Stehen wurde die Lösung dann filtriert, der Niederschlag mit einer Lösung von entsprechendem Salzgehalt nachgewaschen und das Filtrat mit einer ebensolchen Lösung auf ein bestimmtes Volumen aufgefüllt. Ein Teil des Filtrates wurde dann polarisiert, ein anderer Teil zur Vollendung der Hydrolyse unter Zusatz der er- forderlichen Salzsäure in dem Maße verdünnt, wie es die in Tabelle I niedergelegten Erfahrungen verlangten. Es wurden demnach verdünnt: 50 cem Filtrat x auf 100 ccm (4% HCl, 11% MeSO,), 50 ccm Filtrat # auf 200 ccm (4% HCl, 11% MsSO,), 50 ccm Filtrat „y auf 250 cem (4% HCl, 13,75%, MgSO,). Die in diesen Verdünnungen 3 Stunden lang hydrolysierten Filtrate wurden in einer flachen Schale auf dem Wasserbade eingedampft, auf ein bestimmtes Vo- lumen gebracht und ihr Zuckergehalt dann polarimetrisch festgestellt. — Die Niederschläge wurden vom Trichter gelöst, in 4 proz. Säure 3 Stunden hydrolysiert und der Zuckergehalt bestimmt. Leider war es aber nicht möglich, den Nieder- schlag völlig quantitativ zu erfassen. Wenn ich die Trichterfläche mit einem Gummiwischer auch noch so sorgfältig abrieb, zeigten sich beim Übergießen mit Jodjodkaliumlösung immer noch kleine blaue oder blaurote Fleckchen, die nur mit schwacher Salzsäure loszulösen waren. Ebenso zeigten die inneren Flächen der Kölbchenhälse häufig einen trüben Belag, der auf nicht vollständig ausgespülten Kleister zu deuten schien. Diese Tatsache entspricht der Beobachtung Bieder- manns!), der der Stärke eine geradezu spezifische Fähigkeit, an Glas oder Porzellan haften zu bleiben, zuschreibt. Diese Verluste, die ja an und für sich recht winzig waren, mußten also in Kauf genommen werden. Da aber durch die Verdünnungen des Kleisters mit Magnesiumsulfat und mit Wasser die absolute Zuckermenge sehr gering geworden war, wurden die Verluste sofort sehr deutlich sichtbar, so- bald ich den absoluten Gehalt an Zucker auf den Wert der ursprünglichen unver- dünnten Stärkelösung umrechnete. Es war natürlich, daß bei der Fraktion, die den srößten Niederschlag erzeugt hatte, die Möglichkeit eines Verlustes am größten war. Brachte ich nun durch entsprechende Multiplikation die im Filtrat und im Niederschlag festgestellten Mengen zuckergebender Substanz auf den ursprüng- lichen Wert, so mußte ihre Summe theoretisch den Wert ergeben, den ich bei der Bestimmung der zu dem Versuch benutzten Stärkelösung an zuckergebenden Sub- stanzen gefunden hatte. Da dies aber praktisch nie der Fall war, muß ich im Zusammenhang mit den oben dargestellten Verlustmöglichkeiten noch einer Fehlerquelle Erwähnung tun. Bei polarimetrischen Untersuchungen muß von dem abgelesenen Winkel der auf 7/00. abgerundete Mittelwert des Nullpunktes abgezogen werden. Ist z. B. das Mittel des Nullpunktes aus 10 Ablesungen 2,634°, so runde ich auf 2,63° ab; finde ich 2,635°, so resultiert 2,64°. Diese an und für sich geringe Differenz von */;oo° macht sich aber sogleich da sehr stark bemerkbar, wo der abgelesene Winkel sich nur um weniges über den Nullpunkt erhebt, was bei den Zuckerlösungen, die ich aus den Niederschlägen verhältnismäßig stark hydrolysierter Lösungen erhalten hatte, häufig vorkam. Ist z. B. der abgelesene Winkel — 2,656° und subtrahiere ich den Nullpunkt 2,64°, so resultiert ein absoluter Zuckerwert von 0,015% und ein unter Berücksichtigung der Verdünnung auf die Ursprungslösung umgerech- 1) Biedermann, Stärke, Stärkekörner, Stärkelösungen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 168. 1920. und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 101 neter Wert von 0,078% Zucker, was 2,96%, des Gesamtgehaltes ausmacht. Sub- trahiere ich aber 2,63°, so ist der absolute Zuckerwert — 0,024%, und der umge- rechnete Wert 0,126%, d. i. 4,79%, der Ursprungslösung. In einem Falie also, wo der subtrahierte Nullpunkt ursprünglich nur um !/,ooo differiert, können sich schon die auf den Gehalt der Ursprunglösung berechneten Prozentzahlen um fast 2%, verschieben. Ich gebe hier zunächst die Versuchsprotokolle über die !/,stündige Hydrolyse des Kleisters in verschiedenen HCl-Konzentrationen tabellarisch wieder (Versuch A) und wiederhole, daß jeder angegebene Wert das aus zwei Parallelversuchen errech- nete Mittel ist. A. Magnesiumsulfat. HCI= Konzentration : 0,25°/,, 0,5%s 1,0°/,. !/s Std. hydrols. Gehalt des Kleisters an zuckergebender Substanz 2,47%. Tabelle IV. Drehungswinkel des Filtrates x = 100 a b (© Drehungswinkel des Filtrats Mittlere spez. Drehung 1,0% HC: 0,25% 05% | 10% | 05% | 05% | 10% 102% | 0,5% & || 6,854° 7,162° 7012 | 100 100 | 100. | 203° | 189° | 154° ß 4,833° 7,323° 6,96° 705, 94,3| 99,3| 232° | 225° | 174° y 3,159° 6,292° 6,89° 46,1|. 81,1) 98,3| 322° | 244° | 175° Tabelle V. | Zuckergehalt in Prozent Zuckergehalt in Prozent der ur- | der ursprünglichen Lösung sprünglich vorhand. Gesamtmenge HCl: | 0,25% 0,5% 10% 0,25% 0,5% 1,0% “ | 1,69% | 2,05% | 2,28%: | 68,5%, | 83,1% | 92,3% Filtrat 8 | 1,04% | 1,63% | 2,00% | 42,1%, | 66,1% | 81,1% v» | 0,49% | 1,29% | 1,97% | 20,0% | 52,3% | 79,9% © | 0,76% | 0,13% a Er Nieder- { 5 IN zn ao 9,2 /0 schlag P 11270 0,34% Se 45,4% 13,950 | Yan y 1,35% | 0,48% 0,07% 54,9%, 18,1%, 3,0%, 2,47% 2.4.19 098310 2547795 100% 100% ' 1000, Tabelle VI. Zuckergehalt in Prozent der ursprüng- lichen Lösung Zuckergehalt in Prozent der ursprünglich vorhandenen Gesamtmenge | Filtrat Nieder: Summe Fehlbetrag | Filtrat ImeNieder, Summe | Fehlbetrag schlag | | schlag | eo 1,69% 0,76%, 12,45% 0,02%, [68,5% 30,5%, |99,0%, | 1,0% S 70,49% 135% 11,84% | 0,66% |20,0%| 54,9% 74,9% | 25,1% so &|2,05%| 0,13% |2,18%| 0,29% |83,1% 52% 88,3%, | 11,7%, = 81,63% 0,34% 11,97% | 0,50% |66,1%| 13,9% |80,0% | 20,0% »1129% 0,48% 1,77% | 0,70% 52,3% 18,1% 72,4% | 27,6% ss %1228% — 2.28% 0,19% |92,3%| — 92,3% | 7,7% S 812.00% — |3,00%| 0,47% |811% — 81,1% | 18,9% = »11,97%| 0,07% [2,04% | 0,43% |79,9%| 3,0% 829% | 17,1% 102 H.Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide Die Betrachtung dieser Tabellen IV—VI gibt Aufschluß über die Wirkung der verschiedenen HÜCl-Konzentrationen in der gleichen Zeiteinheit (!/, Stunde). Der absolute Gehalt der Filtrate an zucker- sebenden Substanzen muß natürlich stets zunehmen bei einer Ein- wirkung stärkerer Säure und abnehmen, wenn ich durch Anwendung stärkerer Salzkonzentrationen die Möglichkeit des Ausfallens für die hochmolekularen Zuckerarten erhöht habe. Ein entsprechendes Bild kann uns die Tabelle IVa nicht geben. Die dort niedergelegten Zahlen geben Gesamtdrehungen der Filtrate an, die aus der Summe der Drehun- gen einer großen Anzahl verschiedendrehender höherer und niederer Kohlenhydrate resultieren, deren Entstehung nach Art und Menge bei den verschiedenen Säurekonzentrationen nicht gleichmäßig ist. Man kann lediglich ein Abnehmen der Gesamtdrehung bei zunehmender Fällung bei den Filtraten einer Säurekonzentration beobachten. Die Abnahme der Gesamtdrehung der Filtrate bei zunehmender Sättigung ist aber bei den verschiedenen Säurekonzentrationen keineswegs regel- mäßig. Bringe ich zum Vergleich die Zahlen der &-Fraktion alle auf eine gleiche Basis (100) und berechne darauf die Werte der ß- und y-Fraktion (Tab. IVb), so ergibt sich, daß bei den Filtraten der am schwächsten hydrolysierten Lösungen die Wirkung der stärkeren Ausfällung auf die Gesamtdrehung der Filtrate eine bedeutend größere ist, als bei den stärker hydrolysierten Lösungen, woraus geschlossen werden muß, daß auch die Menge der bei den Einzelfraktionen fällbaren Substanzen bei den am schwächsten hydrolysierten Lösungen am größten ist. Ich habe dann versucht, unter Zugrundelegung der Konzen- tration, die aus dem Glucosegehalt der Filtrate nach beendigter Hydrolyse (Tab. V) hervorgeht, für die Gesamtdrehungen der Tab. IVa die mittlere spezifische Drehung zu berechnen, die in Tab. IVce angegeben ist. Vergleiche ich die mittleren spezifischen Drehungen der Filtrate einer Fällungsfraktion, so sehe ich, daß [&] bei der Einwirkung stärkerer Säuren stets geringer wird, ein deutliches Zeichen, daß die im Filtrat enthaltenen Zuckerarten weiter abgebaut sind. In gleicher Weise war zu vermuten, daß die mittlere spezifische Drehung abnehmen mußte, sobald den Filtraten einer Säurekonzentration durch einen größeren Gehalt an ausfällenden Salzen weitere hochmolekulare starkdrehende Substanzen entzogen waren. Ein entsprechendes Bild gibt uns die Tab. IVe nicht. Den Grund glaube ich in Fehlern der Berechnung sehen zu müssen, die aus den oben ausgeführten Gründen bei denjenigen Filtraten, die den geringsten Gehalt an zuckergebender Substanz haben, am stärksten in die Erscheinung treten. Wenn ich aber auch einzelne, ganz auffallend hohe Werte (322°) aus der Betrachtung ausschalte, so glaube ich doch sagen zu können, daß die mittleren Drehungswinkel der Filtrate, die ich aus den schwächsten Hydrolysen und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 103 erhalten habe, zu hoch sind, um eine Anwesenheit von Glucose ([&%] = 52,5°) wahrscheinlich zu machen, da dadurch die Drehung der anderen, noch neben Glucose vorhandenen Zuckerarten auf ein unmöglich hohes Maß gesteigert würde. Tab. V bringt nun die in Glucose übergeführten Mengen an zucker- gebenden Substanzen, sowohl in absoluten Werten, als auch auf die in der Ursprungslösung enthaltenen Zuckermengen berechnet, die unbe- einflußt das Filter passiert haben und die als Niederschläge zurück- geblieben sind. Deutlich tritt hier die schon oben besprochene Zunahme des Zuckergehaltes der Filtrate bei stärkerer Hydrolyse und seine Abnahme bei stärkerer Salzfällung zutage. Bei den Niederschlägen ist das Ergebnis entsprechend umgekehrt. Bei letzteren zeigt sich vor allem, daß bei halbstündiger Hydrolyse eines Stärkekleisters in lproz. Salzsäure bei der &- und f-Fraktion keine durch Magne- siumsulfat fällbaren Substanzen mehr zurückgeblieben sind, und daß bei der y-Fraktion nur Spuren von Dextrinen ausgesalzen werden können. In welchem Maße nun schreitet die Hydrolyse in der gleichen Zeit- einheit voran? Wenn ich auch aus den Erfahrungen der Eiweißfällung und aus meiner Tab. II die Folgerung ziehen muß, daß ein bestimmter vorhandener fällbarer Stoff bei einer gewissen Mindestkonzentration des Salzes auszufallen beginnt und daß seine Aussalzung bei einer höheren Konzentration vollendet ist, so stehe ich doch nicht an, im Rahmen meiner Betrachtungen die einzelnen Fraktionen als annähernd fest- stehend anzunehmen. Der Glucosegehalt der a-Filtrate zeigt, daß die Hydrolyse der leicht fällbaren, also hochmolekularen Stoffe keineswegs um das durch die Verstärkung der Säure gegebene Verhältnis wächst; die Menge der zuckergebenden Substanzen des bei der x-Fraktion in 0,25proz. HClI-Konzentration durchgelaufenen Filtrates wird bei Anwendung der doppelten Menge Säure nur um etwa den 5. Teil ihres Betrages vermehrt und erfährt bei der 4fachen Menge Salzsäure nur eine Zunahme um etwa !/,. Ganz anders ist es bei der y-Fraktion, wo ich nur noch die nicht mehr fällbaren, d. h. also hochdispersen Stoffe im Filtrat habe. Der weitere Abbau der niederen Zucker wächst hier annähernd mit der Säurekonzentration im Verhältnis von 1:2,6:4. Die f-Fraktion zeigt bei dieser Betrachtung ein mittleres Verhältnis: 2:3:4. Es scheint mir hiernach also die Abbaufähigkeit der Poly- saccharide mit der Größe ihres Dispersitätsgrades zu wachsen. In Tab. VI habe ich nun den Glucosegehalt von Filtrat und Nieder- schlag nebeneinandergesetzt und berechnet, um wieviel sich die wirkliche Summe von der theoretischen entfernt. Da ich oben nachgewiesen habe, daß das Filtrat stets quantitativ in Glukose übergeführt werden kann, kann die Differenz nur dem Niederschlage angerechnet werden. 104 H.Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide Daher ist der Gehalt des Niederschlages an Zucker stets als ein Mindest- wert anzusehen. In einem 2. Versuche B wurden die Stärkelösungen jeweils eine Stunde hydrolysiert, und zwar bei einer HCl-Konzentration von 0,125%, 0,25% und 0,5% Salzsäure. Die gefundenen Werte sind in den nachfolgenden Tabellen in der- selben Weise wie beim Versuch A angeordnet. B. Magnesiumsulfat. HCl-Konzentration: 0,125%/, 0,25%/, 0,5°/o- 1 Std. hydrols. Tabelle VII. 243° | 183° .| 169° | Drehungswinkel des Drehungswinkel des ns | Filtrates Filtrates & = 100 Mittlere spez. Drehung | a b c HCl: | 0,125% | 0,25% | 05% 0,125% 0,25% | 0,5% 0,125% 0,25% | 0,5% « 1 '9,854°| 7,952°| 7,282°| 100 100 100 | I 168 1522 . || En | -» - | m p | 8,554 °° 7,668° | 7,305°| 86,8 | 96,4 | 100,3 | 267° 177% 156° y | 5,545°| 6,995°| 7,195°| 56,3 | 88,0 98,6 Tabelle VIII. Zuckergehalt in °%, der ursprüng- | Zuckergehalt in % der ursprünglich lichen Lösung vorhandenen Gesamtmenge HC: 0,15% | 085% | 05% 0,125% 0,25%, 0,5% & || 1,78% | 2,37% | 2,39%, | 74,1% | 91,2% | 90,9% Filtrat P | 1,60% 2,17% 2,34% 66,5% 83,1%5,11,89,29% y ı 114% | 1,91% | 2,13% | 47,2% | 73,1% | 80,9% X | 0,53% 0521052 2051107 22,0% 8,0% 4,3% Niederschlag P | 0,76% 0,41% 0,19% 31,4% 11,695. 27.205 y | 1,37% | 0,61% | 0,07% | 56,8% | 23,5% | 2,7% Gehalt d.Kleisters an | zuckergebend. Subst. | 2,41%, 2,61% 2,63% — _— | —- Tabelle IX. Zuckergehalt in %, der ursprünglichen Zuckergehalt in % der ursprünglich Lösung vorhandenen Gesamtmenge = Filtrat ans Summe n Ge Filtrat a Summe A ke & @ | 1,78%| 0,53% | 2,31% | 0,10%| 74,1%| 22,0% | 96,1% | 3,1% a # | 1,60% | 0,76% | 2,36% | 0,05%| 66,5% | 31,4%| 97,9%) 2,1% > > | 1,14% | 1,37% | 2,51% | +0,1%, | 47,2% | 56,8% 1104,0% | +4,0% S 4 | 2,37% | 0,21% | 2,58% | 0,03% | 91,2% | 8,0% | 992%| 0,8% 2 8 | 2,16% | 0,41% | 2,57% | 0,04% | 82,7% | 15,7%| 98,4% | 1,6% Sy. 191%) 0,61% | 2,52% | 0,07% | 73,1% | 23,5% | 96,6% | 3,4% | | al: 2,39% | 0,11% | 2,50% | 0,13% | 90,9% | 4,3% | 95,2% | 48% a 8 | 234% | 0,19% | 2,53% | 0,10%] 89,2% | 7,2%| 96,4% | 3,6% S 2,13% | 0,07% | 2,20% | 0,43%| 80,9%, | 2,7%| 83,6% | 16,4% und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 105 Die Tabellen haben viel Ähnlichkeit mit den vorigen. In Tab. VIIa sehen wir wieder das Abnehmen der Gesamtdrehung der Filtrate bei stärkerer Sättigung; in VII b, daß diese Abnahme bei den Einzelfraktionen um so schwächer wird, je stärker die Lösung hydrolysiert ist. In Tab. VIIc finden wir wieder die nach der oben beschriebenen Methode berechneten mittleren Drehungswinkel der Substanzen, die unbeeinflußt das Filter passiert haben, und wir sehen, neben der allgemeinen Abnahme der mittleren spezifischen Drehungen der gleichen Fraktion bei stärkerer Säureeinwirkung, in dem mit 0,125% HCl überschriebenen Teil die theoretisch zu erwartende Verminderung des [&] bei stärkerer Salz- sättigung. Im Gegensatz zu Tab. IV c bringt Tabelle VIIlc viel weniger das mögliche Maß erheblich überschreitende Werte, wie ja auch aus Tab.IX zu ersehen ist, daß der Versuch B quantitativen Anforderungen in höherem Maße genügt. Aber auch hier sind die mittleren Drehungen der bei der schwächsten Säurekonzentration (0,125% HCl) bei allen Sättigungsgraden durchfiltrierten Substanzen so hoch, daß ich wie vorher die Anwesenheit von Substanzen von der Drehung der Glucose nicht annehmen möchte. Bei den beiden stärker hydrolysierten Lö- sungen dagegen kann Glucose im Filtrat wohl mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die berechneten mittleren spezifischen Drehungen sind nicht so hoch, um nicht einen höheren Drehungswinkel für einige Substanzen bei gleichzeitiger Anwesenheit von schwächerdrehenden Zuckern gestatten zu können. Bewiesen wird die Anwesenheit noch stärkerdrehender Substanzen qualitativ dadurch, daß die Filtrate der einzelnen Sättigungsfraktionen noch mit Jod eine dunkelgelbe bis braunrötliche Reaktion gaben, die charakteristisch ist für Achroo- dextrin und Erythrodextrin, deren spezifische Drehung auf 190° bis 196° angegeben wird; quantitativ dadurch, daß nach den Hydrolysen in allen Säurekonzentrationen nach Tab. VIII bei zunehmender Sätti- gung stets eine größere Menge zuckergebender Substanzen ausgefällt wird. Auch im Versuch B nimmt der Gehalt des Filtrates an zuckergeben- den Substanzen keineswegs proportional der Säurekonzentration zu, aber analog der Tab. V ist auch hier die zunehmende Wirkung der stärkeren Säurekonzentration bei dem Filtrat am deutlichsten zu er- kennen, das am stärksten mit Magnesiumsulfat gesättigt ist, das also nur noch die niedrigsten Abbauprodukte enthält. Die stärkere Säure- konzentration ist der weiteren Spaltung der schon in einem höheren Grade im Abbau befindlichen Produkte in einem größeren Maße zugute ge- kommen, als den noch fällbaren Substanzen. Auffallend ist, daß die Menge der zuckergebenden Substanzen, die bei einer einstündigen Hydro- lysein 0,125 proz. Salzsäure das Filter unbehindert passierten, durchweg diejenigen Mengen übertrifft, die nach halbstündiger Hydrolyse in 106 NH. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide 0,25proz. HCl-Konzentration nicht mehr fällbar waren. Der größere Einfluß der Zeit auf die Hydrolyse tritt hier ebenfalls bei den am wenig- sten fällbaren Kohlenhydraten am deutlichsten in die Erscheinung. Die längere Dauer der Hydrolyse hat also wiederum besonders das Entstehen nicht mehr fällbarer Abbauprodukte begünstigt. Das Re- sultat beider Versuche zusammenfassend ist also zu bemerken, daß Dauer der Hydrolyse und Säurekonzentration von vornherein darauf hinwirken, die einmal im hydrolytischen Abbau begriffenen Spalt- produkte in möglichst niedrige Zuckerarten umzuwandeln. Bei diesem Prozeß ist die längere Dauer der Hydrolyse von größerem Einfluß als eine Verstärkung der Säurekonzentrationen. Wenn ich nun auf Grund meiner Ergebnisse den Versuch mache, ein Bild von dem Verlauf der Hydrolyse zu gewinnen, so komme ich zunächst auf die eingangs er- Stärke 2000 2 ' U wähnten Theorien Payens f BN Fe , und Musculus’ zurück. Wenn | 20 2500 = 2300 | ich für die Stärke das Mole- „ BZ —r kulargewicht 10.000 annel Dextrin BUNTEN SE ERT = xulargewicht anneh- Bez zZ Se men würde, so würde die 650 650 . en y ELLE NEE ENT EEE/N 24V SpaltungNdieses,Stärkemole: altase Ho m Mm 3 Ho „ 2 \ Ä BR „ küls nach der Payenschen Glunose 769 160 700 30 R Ansi | as ©” ® » Ansicht sich etwa so ge- Schema 1 (nach Payen). — = Linie, die fällbare stalten, wie dasnachstehende A und nicht fällbare y Produkte trennt. i Schema zeigt: Das große Stärkemolekül zerfiele demnach in 2 kleine; diese in 4 noch kleinere vom Molekulargewicht 2500. Diese Spaltung würde dann unter zunehmender Aufnahme von Wassermolekülen so weiter schreiten, bis schließlich 64 Glucosemoleküle vom Molekulargewicht 1580 entstanden wären. Würde ich nun die Hydrolyse eines Stärke- kleisters ganz zu Beginn des Prozesses, z. B. im Punkte a, unterbrechen, so würde eine Lösung resultieren, deren Bestandteile untereinander völlig gleich, durchweg das Molekulargewicht 2500 hätten. Diese Moleküle müßten alle in gleicher Weise entweder durch Aussalzen fällbar oder nicht fällbar sein. Nehme ich an, daß sie fällbar wären, so müßte der ganze ursprüngliche Stärkegehalt als Niederschlag zurück- bleiben und das Filtrat aus reinem Wasser bestehen. Würde ich aber die Hydrolyse etwas weiter, etwa bis zum Punkte b voranschreiten lassen, so würden in der Lösung nur noch Bestandteile vorhanden sein, die nicht mehr fällbar wären, im Filtrat der mit Salz gesättigten Lösung müßte dann die ganze Menge der ursprünglich vorhandenen Stärke in Gestalt niederer Zucker enthalten sein und überhaupt kein Nieder- schlag mehr auftreten. Bei Annahme dieses Schemas kann also das gleich- zeitige Erscheinen eines Teiles der ursprünglichen Stärkemenge im und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 107 Niederschlag und eines anderen Teiles als zuckergebende Substanz im Filtrat, wie es bei meinen Versuchen durchgängig der Fall war, nicht eintreten. Danach scheint mir ein Abbau der Stärke nach diesem Schema ausgeschlossen zu sein. Betrachten wir nun in ähnlicher Weise die Theorie von Musculus, so sehen wir, daß sich nach dieser Anschauung von einem Stärkemolekül so lange einzelne Glucosemoleküle abspalten, bis nur Glucose und Amylodextrin übrigbleibt. Von letzterem spaltet sich dann wieder Glucose ab und der Prozeß setzt sich unter suczessivem Entstehen von Erythrodextrin, Achroodextrin und Maltodextrin so lange fort, bis schließlich nur noch die Maltose in 2 Moleküle Glucose zu zerfallen braucht, damit das ganze ursprüngliche Stärkemolekül in Glucose auf- gespalten ist. Eine entsprechende Darstellung siehe in nachfolgendem Schema: Würde ich nun bei einer nach diesem Schema verlaufenden Hydrolyse den Prozeß etwa in e unterbrechen, so könnte ich das dann in der Lösung vorhandene Amylo- . . . 71 er dextrin, das ich ein- N 00,7 || Stärke // | m | ; A & ‚| mal als durch Aus 5060 G so | Angler] Rüase a) salzen fällbar anneh- Ne — —A_X____., men will, durch Sät- x ik LE 5 i 2 7300 fü tigen mit Magnesium- mx 2 __ Achroodpktrin / Glihase ö 80 Maltodel sultabsvon@dersnicht2r 212 272er 2 I el © 1342 2100 7 AS Bare z mehr fällbaren Gluco- V N u hose se trennen. Das Fil- % ®% Glukose _Glükose trat enthielte in die- Schema 2 (nach Musculus). —-—-— = Linie, die fällbare A und nicht fällbare y Produkte trennt. sem Falle nur Glucose. Länger fortgesetztes Kochen des Filtrates könnte demnach die Gesamt- drehung nicht mehr herabsetzen; sein aus der Konzentration berechneter mittlerer spezifischer Drehungswinkel müßte mit 52,5° dem der Glucose entsprechen. Würde ich dagegen annehmen, daß die Unter- brechung der Hydrolyse erst im Punkte d stattfände, so wäre es möglich, daß die bis dahin entstandenen Produkte Maltodextrin und Glucose gleichzeitig im Filtrat vorhanden wären; es dürfte dann aber kein Niederschlag zurückbleiben. Die mittlere Drehung des Filtrates würde dann bestimmt aus der Summe der Drehung von 1 Teil Malto- dextrin und 61 Teilen Glucose. Der Anteil des Maltodextrins an der mittleren spezifischen Drehung wäre dann aber zu gering, um eine so hohe Drehung der Filtrate zu ermöglichen, wie ich sie auch bei Hydrolyseversuchen in stärkeren Säurekonzentrationen zu verzeichnen hatte. Hiernach dürfte also sowohl die Ansicht Payens als auch die von Musculus nicht zu Recht bestehen können. Meine Beobachtungen 108 H. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide zwingen mich, anzunehmen, daß auf jedem Punkte der Hydrolyse eine gleichzeitige Aufspaltung der Stärke in Produkte von ganz ver- schiedener Größe stattfindet. In diesem Sinne hatte sich schon Moreau!) ausgesprochen. Im wesentlichen schließe ich mich seiner Ansicht an, Stärke - 2 Maltodextrin Achroodextrin Erythrodextrin Amylodextrin 2 Malt. 4 Gluk, Maltose 2 Gluk. Maltod. 2 Maltose Achrood, Maltod. 2 Maltod. Achrood. Erythrod. 10.000 5000 2x180 2x842 4x 180 342 650 I Fr] 342 2x 342 € a 650 Ei 1300 EEE 342 65 2x 650 1300 Bess 2500 2x130 4x180 4x 180 2x 180 2x 180 4x 180 2x 180 342 | 2x 180 l | | 4x 150 2x 342 2x 180 2x342 650 342 650 | 1300 Schema 3. wenn ich auch das Entstehen von sehr schwach drehenden Zuckerarten gleich zu Beginn der Hydrolyse nicht annehmen zu können glaube, da die von mir berechneten mitt- leren Drehungswinkel der in den Fil- traten enthaltenen zuckergebenden Substanzen (Tab. IVe und VIlIe) dafür zuhoch sind. Ich stelle mirden Verlauf der Hydrolyse etwa in die- ser Weise vor (Schema 3) und betone nochmals, daß die Darstellung natür- lich nur ganz grob schematisch auf- gefaßt werden darf: Demnach würden jedesmal ent- stehen aus: 1 Mol. Stärke 1 Mol. Amylodextrin l , Erythrodextrin 1 ,, Achroodextrin 2 ,„,, Maltodextrin 1 ‚„ Amylodextr.1 ‚ Erythrodextrin l ,. Achroodextrin 2 ,, Maltodextrin 1 „, Erythrodextr. 1 ‚,, Achroodextrin - 1 ,, Maltodextrin 2 ,, Maltose 1 ,, Achroodextrin 1 ,‚, Maltodextrin 1 ,, Maltose 2 ,, Glucose 1 ‚, Maltodextrin 1 ,‚, Maltose 2 ,„ Glucose 1 ,. Maltose 2 ,„ Glucose Denke ich mir nun den ganzen Spaltungsvorgang in verschiedene Phasen zerlegt, so würden nach meinem Schema etwa gleichzeitig entstehen in der: 1) Moreau, Annales de la societe Royale des sciences med. et natur. de Bruxelles. 64. annee. Tome XII. Fasc. 3. Referat in: Wochenschrift f. Brauerei 22, 37. 1905. und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. 109 1. Phase: 1 Amylodex. 1 Erythrod. 1 Achrood. 2 Maltod. 2 IB 1 Erythrod. 2 Achrood. 4 Maltod. 5 Maltose 6Gluc. SERIE 1 g 3 3 8 a DB A nEE 1 ® 4 DD 5 Be 1 O2 6 5 64 Die Zunahme der entstandenen Glucose ist besonders stark zwischen der 2. und 3. und zwischen der 3. und 4. Phase; dann wird die Bildung weiterer Glucose langsam immer schwächer. Ich möchte dieses Phasen- schema mit zu der Erklärung benutzen, warum die Bildung der Glucose aus Stärke mit zunehmender Hydrolyse immer langsamer vonstatten geht. Man hat eine Behinderung des Abbaues der Dextrine durch die zunehmende Menge fertiger Glucose angenommen; man hat auch ge- glaubt, daß die schon gebildete Glucose im weiteren Verlauf wieder zu Dextrinen revertiert würde!). Aber diese beiden Annahmen erklären keineswegs, warum letzten Endes doch alle Stärke in Glucose gespalten wird. Nach dem obigen Schema glaube ich sagen zu können, daß die Menge der gebildeten Glucose in jedem Zeitpunkt der Hydrolyse einzig davon abhängt, wieviel höhere Zuckerarten zur weiteren Spaltung überhaupt oder überhaupt noch zur Verfügung stehen. Will ich nun die Resultate meiner Versuche A und B auf obiges Phasenschema übertragen, so würde ich etwa annehmen, daß Amylo- dextrin schon bei !/, Sättigung auszufallen beginnt, Erythrodextrin in 2/, Sättigung fällt, und Achroodextrin durch Ganzsättigung noch teilweise ausgesalzen werden kann. Bei einer !/,stündigen Hydrolyse in 1,0 proz. Säurekonzentration wäre dann die Spaltung etwa bis zur 3. Phase vorgeschritten: Nur bei Ganzsättigung wird noch ein geringer Teil des Achroodextrins ausgesalzen. Alles übrige ist schon in die nicht mehr fällbaren Produkte Maltodextrin, Maltose und Glucose umgewandelt. Ich habe oben schon darauf hingewiesen, daß die längere Dauer der Hydrolyse insbesondere der weiteren Spaltung der niederen Zucker- arten zugute kommt. Dementsprechend wäre die einstündige Hydrolyse in 0,5 proz. Säurekonzentration etwa bis zu einem zwischen der 2. und 3. Phase liegenden Stadium vorgeschritten. Es sind schon bei der &-Fraktion Spuren von. noch nicht abgebautem Amylodextrin ausge- fallen, die $- und y-Fraktion setzt das Aussalzen fort; aber die Dauer der Hydrolyse hat dennoch einen sehr beträchtlichen Teil der Lösung zu nicht mehr fällbaren Substanzen umgewandelt. Bei einer schwächeren Hydrolyse z. B. eine !/, Stunde in 0,25% Salzsäure, ist derVerzuckerungs- prozeß nur bis zum 1. Stadium vorangeschritten. Die Tab. VIII gibt an, daß bei der ß-Fraktion 45,4%, der schwachhydrolysierten Lösung als Niederschlag zurückbleiben, ein Wert, der aus den dort angeführten 1) Wohl, Berichte der Deutschen chemischen Gesellschaft 23, 2101. 1890. 110 NH. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide Gründen als Mindestwert gerechnet werden muß. Ich kann danach annehmen, daß also bei der 5-Fraktion zumindest alles Amylodextrin, wahrscheinlich auch ein Teil des Erythrodextrins ausgesalzen ist. Die ganze Menge der ausgesalzenen Produkte macht nach Tab. VIII, unter Berücksichtigung der Verluste, reichlich die Hälfte aller der ursprünglich in der schwachhydrolysierten Lösung enthalten gewesenen Abbauprodukte aus, was auch dem Phasenschema annähernd ent- spricht, wo ein Teil Amylodextrin der Summe von 1 Teil Erythro- dextrin, 1 Teil Achroodextrin und 2 Teilen Maltodextrin gleichzusetzen ist. Auf welche chemischen oder physikalisch-chemischen Verhältnisse ist nun die eigentümliche Aufspaltung zurückzuführen ? Nach Lippmann (a. a. O.) suchen einige Forscher die Art des Abbaues auf das Bestreben zurückzuführen, zwischen den kolloiden und den kristalloiden Bestand- teilen während der Hydrolyse möglichst lange ein gewisses Gleich- gewicht zu behalten. Mir scheinen die folgenden Überlegungen berück- sichtigt werden zu müssen: Vergleichen wir in Tab. II die bei einer T/,stündigen Hydrolyse in 0,25proz. HCl-Konzentration gewonnen Niederschläge mit den entsprechenden in Tab. V, so ergibt sich, daß im letzteren Falle die bei höchster Sättigung ausgefallene Menge zuckergebender Substanzen um etwa 30%, geringer ist, als bei dem früheren Versuch, obwohl die Ver- suchsbedingungen nicht erheblich verschieden waren. Wesentlich anders aber war die Vorbehandlung des Materials. Dort war der Kleister nach dem üblichen Verfahren einfach durch etwa 10—20 Minuten anhaltendes langsames Kochen hergestellt; hier aber war das kompli- ziertere Verfahren angewandt: Langsames Aufkochen im Topf, Durch- saugen mit Kochen unter vermindertem Druck und Sterilisieren, so daß, zumal das Verfahren ja noch einmal wiederholt wurde, die Stärke zumindest 2 Stunden lang einer Temperatur von 80° ausgesetzt war. Nun hatte schon Bütschli!) eine teilweise Aufspaltung der Stärke in kochendem Wasser für wahrscheinlich gehalten, und Biedermann?) beschreibt eingehend das allmähliche Austreten der reinen Amylose aus dem Stärkekorn. Dieser Prozeß dürfte nun bei dem sterilen Kleister wesentlich weiter vorausgeschritten sein. Nach diesen Erwägungen und unter Berücksichtigung der Tabelle dürfte also die Wirkung der Salzsäure zu Beginn der Hydrolyse um so größer sein, je mehr Substrat ihr an Amylose zur Verfügung steht, die schon in kolloider Lösung sich befindet. Im weiteren Verlauf tritt die Säurewirkung da am erkennbarsten auf, wo sie infolge der größten 1) Bütschli, Untersuchungen über Amylose und amyloseartige Körper. Ver- handl. des naturhist.-mediz. Vereins, Heidelberg 1903. ?) Biedermann, Stärke usw. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 168. 1920. und über den Verlauf der Säurehydrolyse der Stärke. at Oberfläche der suspendierten Teilchen die beste Einwirkungsmöglichkeit hat: das sind jeweils die kleinsten vorhandenen Moleküle, die den höchsten Dispersitätsgrad besitzen. Während dieses Vorganges geht nun allmählich auch der noch im Stärkekorn befindliche Teil der Amylose in Lösung, deren Haftfähigkeit am Pektin umgekehrt proportional zu ihrer Menge sein soll. Ich erinnere hier daran, daß alle früheren Unter- suchungen die Annahme übereinstimmend bringen, daß die Stärke vor dem säurehydrolytischen Abbau ‚in Lösung‘ geht. In diesem Sinne ist es gar nicht sicher, sondern durch nachfolgende Versuche sogar als unwahrscheinlich anzusehen, daß mein auf die komplizierte Art hergestellter Kleister wirklich nur Stärke, d.h. Amylo- pektin und reine Amylose enthielt oder ob sich im Kleister schon von vornherein Abbauprodukte befinden, sei es, daß sie ihr Dasein Bütschlis Kochhydrolyse verdanken, sei es, daß sie bei der Vorbehand- lung des Korns, bei der Gewinnung der Stärke entstanden sind. Ich hatte je 10 ccm eines Kleisters mit steigenden Mengen von Magnesium- sulfat (1—20 ccm gesättigte Lösung) versetzt. Bei einem Zusatz von 5 ccm Lösung (d. i. 22,3%, Magnesiumsulfat) erhielt ich schon klare Filtrate, die sich aber mit Jod stets blau färbten. Erhöhte ich den Salzgehalt durch Zugabe von 10 cem Lösung auf 33,5%, Magnesiumsulfat, so begann das Filtrat sich gleich zu trüben, was bei noch höherer Sättigung (44,7%) noch deutlicher wurde. Die Trübung schien mir auf ein Dextrin zu deuten, das erst bei der stärkeren Sättigung, zunächst unfiltrierbar ausfiel. Nachfolgender Versuch sollte diese Erscheinung quantitativ bestätigen: Ich versetzte je 20 ccm des sterilen Kleisters mit 11 g, 22 g und 33 g Magnesiumsulfat und füllte auf 50ccm auf. Nach längerem Stehen fil- trierte ich mit Glaswolle ab und untersuchte Niederschlag und Filtrate. Die Filtrate der ö- und y-Fraktion ergaben negative Jodproben und eine Drehung von 0,049° bzw. 0,008°, Zahlen, die fast innerhalb der Fehlergrenzen liegen. Die Hydrolyse der aufgelösten Niederschläge ergab nahezu den ursprünglichen Gehalt der Stärkelösung und die Untersuchung des weiter hydrolysierten Filtrates ergab keine ÄAnwesen- heit von Zucker. Die Filtrate der a-Fraktion zeigten dagegen bei einer mittleren Drehung von 0,14° eine zwar schwache, aber deutlich violette Jodreaktion. Der Zuckergehalt des Filtrates wurde nach der Hydro- lyse auf 0,053%, berechnet, was ungefähr 2%, des Gesamtgehaltes ausmachte. Wenn auch die absoluten Mengen des gefundenen Dextrins außerordentlich gering sind, so erscheint mir doch die Tatsache des Bestehens eines Abbauproduktes in dem von mir mit Säure nicht be- sonders vorbehandelten Kleister als sehr beachtenswert. Zusammenfassung. Die wichtigsten Ergebnisse meiner Untersuchungen fasse ich in folgendem zusammen: 112 H. Perger: Untersuchungen über das Aussalzen der Polysaccharide usw. l. Für das Aussalzen von Stärke und ihrer Abbauprodukte sind Magnesiumsulfat und Ammoniumsulfat besonders geeignet; Magne- siumsulfat wirkt dabei unter sonst gleichen Verhältnissen etwa doppelt so stark wie Ammoniumsulfat. 2. Schon nach einer halbstündigen Hydrolyse eines Stärkekleisters in 1%, Salzsäure sind keine mit Magnesiumsulfat ausfällbaren Stoffe mehr vorhanden, die Flüssigkeit enthält aber noch Körper mit hohem Drehungsvermögen. Die Fällbarkeit durch Magnesiumsulfat kommt also nur den besonders hochmolekularen Abbauprodukten der Stärke zu und geht bei fortschreitender Hydrolyse schon bald verloren. 3. Der Abbau der Stärke bei der Säurehydrolyse erfolgt nicht so, daß das Stärkemolekül zunächst in2 gleiche Moleküle eines hochmole- kularen Stoffes, jedes von diesen sodann weiter in 2 Moleküle eines Körpers mit etwas niederem Molekulargewicht und so weiter fort- schreitend zerfällt, — auch nicht so, daß von dem Stärkemolekül gleich anfangs Glucose abgespalten wird unter Entstehung eines Körpers mit etwas kleinerem Molekulargewicht, der dann selbst wieder unter wieder- holter Abspaltung von Glucose immer weiter abgebaut wird. Vielmehr zerfällt gleich von Anfang an das Stärkemolekül in mehrere unterein- ander verschiedene Körper von teils hohem, teils kleinerem Molekular- gewicht; dabei entsteht wahrscheinlich anfangs noch keine Glucose, sondern höchstens Maltose. Die Stoffe von höherem Molekulargewicht zerfallen dann ihrerseits wieder gleichzeitig in Körper von verschieden hohem Molekulargewicht usw., wobei dann allmählich auch Glucose auftritt. 4. Die Spaltbarkeit durch Säurehydrolyse wird um so größer, je kleiner bereits das Molekulargewicht der Stoffe geworden ist. Kurze Mitteilungen. Untersuchungen mit farbigen Schwellenprüflichtern über den Dunkeladaptationsverlauf des normalen Auges. Von Arnt Kohlrauseh. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 20. Juli 1922.) Piper!) fand bei seinen Untersuchungen über den Verlauf der Dunkeladaptation peripherer Netzhautpartien an einer Reihe Ver- suchspersonen, daß die Reziproken der Schwellenwerte als Funktion der Zeit des Dunkelaufenthaltes eine S-förmig gekrümmte Kurve dar- stellen, deren Anfangsstück bis gegen 10 Minuten und Endstück von etwa 45 Minuten Dunkelaufenthalt ab fast parallel zur Abszisse laufen. Ging er nicht von sehr hohen, sondern geringeren Graden der Helladap- tation aus, so fehlten mehr oder weniger lange Stücke des flachen Anfangsverlaufes; d.h. die Kurve war in sich parallel gegen den Null- punkt der Abszisse hin, den Beginn des Dunkelaufenthaltes, ver- schoben. Diese Befunde sind von mehreren anderen Untersuchern bestätigt. Neuerdings hat Hecht?) die Versuche Pipers umgerechnet und gibt an, daß die Logarithmen der von Piper bestimmten Schwellenwerte als Funktion der Zeit auf der Isotherme einer bimolekularen Reaktion liegen. An den von Hecht publizierten Kurven — am deutlichsten auf Abb. 73) — fällt jedoch ebenfalls eine flach S-förmige Abweichung der beobachteten Werte von dem berechneten Verlauf auf; die beob- achtete Kurve fällt erst flacher, dann steiler ab, als die entsprechende Bimolekular-Isotherme. Der Zweck meiner hier kurz mitzuteilenden Versuche?) ist, fest- zustellen, ob und unter welchen Bedingungen auch die Kurve der !) H. Piper, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 31, 178 und 183. 1903. 2) S. Hecht, Journ. of gen. physiol. 2, 499. 1920. DENZ3,0S.511, *) Die ausführliche Veröffentlichung des Zahlen- und Kurvenmaterials er- scheint demnächst.’ Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 8 114 A. Kohlrausch: Untersuchungen mit farbigen Schwellenprüflichtern Schwellenwert-Logarithmen während fortschreitender Dunkeladaptation in S-förmiger Krümmung abfällt, wodurch dieser evtl. komplizierte Verlauf zustandekommt und wie er theoretisch zu verwerten ist. Methodik: Konstanter, ziemlich ausgiebiger Helladaptationsgrad; während der folgenden Dunkeladaptation Bestimmung meines Schwellenwertverlaufs foveal und in 1,5°, 5° und 10° Abstand senkrecht unter dem Fixierpunkt an einem kreisrunden, verschieden gefärbten, monokular beobachteten Feld von 1° Durchmesser. — Helladaptation 10 Sekunden lang bei künstlicher konstanter Beleuchtung eines großen weißen Schirms, dessen Flächenhelligskeit = 0,14 HR/qem, entsprechend etwa 5500 Lux senkrecht auf Magnesiumoxyd. — Schwellenwertmessung je nach der Lichtdurchlässigkeit der vorgesetzten Farbfilter entweder an Pipers Adapto- meter!) oder an einer Doppelzimmeranordnung mit optischer Bank. — Rotes Fixierpünktchen von etwa !/,, Durchmesser auf die jeweils geringste, noch gut zur Fixation zwingende Helligkeit reguliert. — Rhythmische unwissentliche Unterbrechung des Reizes, nicht des Fixierpunktes, durch geräuschlos gehendes Pendel, wodurch Feld abwechselnd 1 Sekunde frei, 1 Sekunde verdeckt. — Un- wissentliche Einstellung der generellen Schwellen von wenig überschwelligen Werten aus im absteigenden Verfahren bis zum eben noch wahrnehmbaren rhyth- mischen Verschwinden und Wiederauftauchen eines Lichtschimmers. — Bei der Aus- wahl der farbigen Lichter wurde das Hauptgewicht auf möglichst große Differenzen in dem Verhältnis ihrer Tages- und Dämmerungswerte?) gelegt und weniger auf spektrale Reinheit, da sich in Vorversuchen ersteres als ausschlaggebend, letzteres ohne merklichen Einfluß erwies. Die Farben der untersuchten Lichtgemische (bzw. die von den Filtern durchgelassenen Wellenlängenbereiche) waren: ein (etwas gelbliches) „Weiß“ (Osramlampe hinter den drei Milchglasscheiben von Pipers Adaptometer), „Rot I“ (730—685 uu), „Rot IL“ (750--595 uu), „Rot III“ (langwelliges Spektralende bis 580 au), „Orange“ (lichtstark: langw. Ende bis 580 un, lichtschwach: 580—470 au), „Grün“ (langwelliges Ende — 700 uu, 575 bis 495 vu), „Blau“ (langw. Ende — 680 wu, 580 uu — kurzw. Ende). „Rot I“ hatte keinen meßbaren Dämmerungswert, alle übrigen einen gut meßbaren und, wie beabsichtigt, sehr verschieden hohen. Verglichen mit dem ‚Weiß‘ war der Quotient 7 (Dämmerungswert: Tageswert) bei ‚Rot I“ — 0,00; „Rot II = 0,02; „Rot III“ = 0,04, „Orange“ —= 0,11; ‚„‚Weiß‘“ (definitionsgemäß) = 1,0; „Grün“ — 2,5; „Blau“ = 3,0. — Die den Kurvenzeichnungen zugrundegelegten Schwellen- wertzahlen sind die Mittelwerte aus je 4-6 unter den gleichen Bedingungen an- gestellten Adaptationsversuchen. Der wahrscheinliche Fehler dieser einzelnen Mittel ist durchschnittlich +4%, des Wertes. Die Zahlen sind absolute und be- deuten für „Weiß“ die Stärke der weißen Beleuchtung senkrecht auf Magnesium- oxyd, die dem jeweiligen Schwellenwert photometrisch gleich ist. Als Einheit der Beleuchtung ist ein Mikrolux (= 1 uLx = 1:10* Lux) gewählt. Bei den Farben bedeuten die für die Schwellen ermittelten Tageswertzahlen die Anzahl Mikrolux !) Beschreibung: H. Piper, Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907, S. 359. ?) Im folgenden ist unter ‚‚Tageswert‘‘ der Lichter ihr für mein Auge unter den Bedingungen des Tagessehens (Helladaptation, helle Lichter) foveal gültiger Helliskeitswert (1° Feld, Flimmermethode) verstanden, unter ‚„Dämmerungs- wert“, wie üblich, ihr extrafoveal für mein Auge unter den Bedingungen des Dämmerungssehens (Dunkeladaptation, Lichtintensität unterhalb der Farben- schwelle) gültiger Helligkeitswert (6° Feld, Fleckmethode). über den Dunkeladaptationsverlauf des normalen Auges. 115 von weißem Licht senkrecht auf Magnesiumoxyd, die den Schwellenwerten für die Fovea meiner normal-trichromatischen Augen flimmerphotometrisch äquivalent sind. Und entsprechend bedeuten die Dämmerungswertzahlen die Anzahl Mikro- lux senkrecht auf Magnesiumoxyd, die den Schwellenwerten für extrafoveale Teile meiner Augen nach der Fleckmethode dämmerungsäquivalent sind. Ergebnisse: Mit dem praktisch dämmerungswertfreien Licht ‚Rot I“ ist der Schwellenwertverlauf an allen untersuchten Netzhautstellen innerhalb der Fehlergrenzen derselbe; bei logarithmischer Ordinatenteilung (Schwellenwerte) laufen die foveal und in den verschiedenen Zentral- abständen mit ‚‚Rot I‘ aufgenommenen Kurven in konstant bleibendem Ordinatenabstand nebeneinander her, wobei die ÖOrdinatenhöhe mit wachsendem Zentralabstand zunimmt. — Bei allen Lichtern mit po- sitivem Dämmerungswert macht es jedoch bezüglich des Schwellen- wertverlaufes einen ausschlaggebenden Unterschied, ob man foveal oder extrafoveal untersucht. Auf 1° Feld in der Fovea fand ich in Übereinstimmung mit v. Kries und Nagel!) keine Spur von Purkinje- schem Phänomen, statt dessen traten hier im Verlauf der Dunkel- adaptation andere verwickeltere Verschiebungen des Schwellenwert- verhältnisses der Lichter auf, die in der folgenden Mitteilung be- schrieben werden sollen. Der Kurventypus ist foveal bei allen Lichtern derselbe, wie extrafoveal bei „Rot I‘: In den ersten Minuten steiler Abfall, der allmählich flacher wird; nach 10—15 Minuten nur sehr langsames Weitersinken. — Auf 1° Feld in 1,5°, 5° oder 10° Fixierpunkt- abstand besteht dagegen überall das Purkinjesche Phänomen, d.h. die Schwellenwerte sinken mit zunehmender Dunkeladaptation um so tiefer ab, je größer das Verhältnis Dämmerungswert: Tageswert (im D folgenden mit 7 bezeichnet) des betreffenden Lichtes ist. Die Unter- schiede zwischen den verschiedenen extrafovealen Netzhautstellen sind lediglich graduell: die Adaptationsbreite und -geschwindigkeit wachsen mit zunehmendem Fixierpunktabstand. — Unter den zuletzt genannten Bedingungen ist nun zugleich der Kurventyp ganz anders: die Schwellenwertkurven fallen mit einer S-ähnlichen Krümmung ab; die genauere Untersuchung zeigte jedoch, daß sie dann tatsächlich aus zwei nach oben konkaven Stücken verschiedener Steilheit bestehen, die mit einem ziemlich scharfen Knick gegeneinander abgesetzt sind. Es ergaben sich dabei folgende Gesetzmäßigkeiten: 1. Die Schwellenwertkurven haben niemals diesen Knick, auch während eines mehrere Stunden fortgesetzten Dunkelaufenthaltes nicht: a) im Netzhautzentrum bei Verwendung beliebiger Schwellen- 1) I. v. Kries und W. Nagel, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 23, 116. 1900. 8* 116 A. Kohlrausch: Untersuchungen mit farbigen Schwellenprüflichtern prüflichter; b) auf beliebigen extrafovealen Netzhautstellen (innerhalb des untersuchten Bereiches) bei Verwendung eines rein-roten Prüf- lichtes ohne Dämmerungswert. 2. Auf extrafovealen Netzhautstellen und bei Schwellenprüflichtern mit Dämmerungswert können die Kurven je nach den Bedingungen früher oder später den Knick haben. 3. Die Zeitdauer bis zu dem Knick ist abhängig: a) von der Stärke der vorausgegangenen Helladaptation; b) vom Netzhautort: c) von der Größe des Quotienten . des Prüflichtes; und zwar wächst die Zeit bis zum Knick mit steigendem Helladaptationsgrad, abnehmendem D Zentralabstand und abnehmendem Quotienten 7: (Daher kann bei geringem Helladaptationsgrad, großem Zentralabstand und kurz- welligem Prüflicht die Kurve erst jenseits des Knickes beginnen.) 4. In der Zeit bis zu den Knicken fallen die Schwellenwertkurven flach ab und das schwellenmäßige Sehen hat noch die charakteristischen Eigenschaften des Tagessehens: die Schwellenwertkurven der ver- schiedenen Lichter fallen innerhalb der Fehlergrenzen auf tagesäqui- valenten Werten zusammen und die Farbenschwelle ist mit der ge- nerellen identisch oder liegt unmittelbar über ihr. 5. Jenseits der Knicke fallen die Kurven plötzlich steiler ab und erst jetzt bekommt das schwellenmäßige Sehen die Charakteristica des Dämmerungssehens: die Schwellenwertkurven der verschiedenen Lichter fallen auf dämmerungsäquivalenten Werten praktisch zusammen und das farblose Intervall wächst mit zunehmendem Dunkelaufenthalt, so daß die generelle Schwelle schließlich bedeutend unter der Farben- schwelle liegt. Zahlen oder Kurvenbeispiele zu geben, ist in dieser kurzen Mitteilung nicht möglich. Die Ergebnisse unter 4 und 5 sind eine anschauliche Demonstration der bekannten Tatsache, daß im Bereich des reinen Tagessehens einer- seits und Dämmerungssehens anderseits die Äquivalenzverhältnisse der verschiedenen Lichter annähernd konstant und einigermaßen un- abhängig vom Adaptationszustand sind. Ferner läßt sich aus den Er- gebnissen folgender Satz ableiten: Ein homogenes Licht und eine beliebige Lichtermischung haben cet. par. extrafoveal dieselbe Adap- tationskurve, wenn sie sowohl tages- wie dämmerungsäquivalent sind. Zu einer theoretischen Deutung der Ergebnisse kommt man ähnlich wie Piper!) und neuerdings Honigmann?) am einfachsten vom Standpunkt der Duplizitätstheorie aus, denn die zwei verschiedenen Kurvenkrümmungen vor und !) H. Piper, Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907, S. 362ff. 2) H. Honigmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 1—72. 1921. über den Dunkeladaptationsverlauf des normalen Auges. alalaı nach dem Knick lassen ungezwungen den Schluß zu, daß sich während der fort- schreitenden Dunkeladaptation die Empfindlichkeiten zweier verschiedener Seh- apparate mit verschiedenen Geschwindigkeiten überkreuzen. In der Zeit bis zu dem Kurvenknick perzipiert man auch an der Schwelle noch mit dem Tages- apparat, jenseits des Knicks erst mit dem Dämmerungsapparat. Nach guter Hell- adaptation ist anfangs die Empfindlichkeit des Dämmerungsapparates noch sehr gering, seine Schwelle liest bedeutend über der des Tagesapparates, erst jen- seits des Knicks ist sie die tiefere. Die Ergebnisse haben zwei noch kurz anzudeutende theoretische Folgerungen: 1. Da die übliche Adaptationskurve (,‚Weiß‘ extrafoveal nach hochgradiger Tageslichtadaptation) aus zwei ganz heterogenen Stücken zusammengesetzt ist, wird sie kaum in ihrem ganzen Verlauf durch einen mathematischen Ausdruck, wie bei Hecht, wiederzugeben sein. Man muß zunächst einmal versuchen, die beiden Teile gesondert zu analysieren. Derartige Analysen haben bei meinen Kur- ven bislang nicht zu einfachen, theoretisch brauchbaren Ausdrücken geführt. 2. Ein Schluß aus derselben üblichen Adaptationskurve auf eine physio- logische Anfangsverzögerung der Sehpurpurregeneration!) ist unzulässig, denn das erste flache Stück der Weißkurve gehört noch zum Schwellenverlauf des Tages- sehens, und dahinter bleibt der Anfangsverlauf des Dämmerungssehens verdeckt. Im Gegenteil zeigen die Versuche mit den für das Dämmerungssehen optimalen kurzwelligen Schwellenreizen bei normaler Adaptation überhaupt keine nachweis- bare Anfangsverzögerung des Dämmerungssehens, denn die Blaukurve fällt auch nach hochgradiger Tageslichtadaptation (51 000 Lux) sofort steil ab. — Daß anomal Adaptationsstörungen mit erheblicher Anfangsverzögerung des Däm- merungssehens vorkommen, wovon in der nächsten Mitteilung die Rede sein wird, bleibt hiervon unberührt. 1) Literatur bei G. E. Müller, Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 54, 20ff. 1922. Weitere Untersuchungen über den Dunkeladaptationsverlaufbei verschiedenen Farbensystemen und bei Adaptationsstörungen. Von G. Abelsdorff, W. Dieter und A. Kohlrausch. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 20. Juli 1922.) In der vorangehenden Mitteilung hat der eine von uns!) kurz über die Ergebnisse von Adaptationsversuchen berichtet, die er (normaler Trichromat) an sich selbst nach ausgiebiger Helladaptation mit farbigen Schwellen-Prüflichtern von möglichst verschiedenem Tages- und Dämmerungswertverhältnis angestellt hat. Wir haben dann weiter gemeinsam?) die Untersuchung auf Vertreter der verschiedenen Farben- systeme ausgedehnt. Von Farbensystemen standen uns bisher 3 Protanopen°?), 2 Deuteranopen, 1 Rotanomaler und 2Grünanomale zur Verfügung. Die Diagnose wurde mit den üblichen Tafelproben und am Anomaloskop und außerdem mit einer Reihe ver- schiedener Farbengleichungen am Helmholtzschen Farbenmischapparat sicher- gestellt. Alle Fälle erwiesen sich dabei als durchaus typisch, die 3 anomalen Tri- chromaten hatten eine Anomalie mittleren Grades und zeigten deutlich die be- kannten mit Farbenschwäche bezeichneten Eigentümlichkeiten gegenüber kleinen, oder lichtschwachen, oder kurz dargebotenen farbigen Objekten, ferner den ge- steigerten Kontrast. — Die Untersuchung der Dunkeladaptation wurde bei allen Versuchspersonen in derselben Weise mit der in der vorstehenden Mitteilung skizzierten Methodik durchgeführt, und zwar nach 10 Minuten langer konstanter Helladaptation, am Piperschen Adaptometer mit einem kreisrunden Feld von 4° Durchmesser, dessen Mitte 10° senkrecht unter dem Fixierpunkt lag. Die benutzten Lichter waren das ‚„‚Orange“, „Weiß“ und „Grün“; der Tages- und Dämmerungs- wert des „Orange“ und „Grün“ wurde für jeden Beobachter besonders in Mikrolux (“Lx) senkrecht auf Magnesiumoxyd bestimmt. Unsere Ergebnisse stimmen insofern mit den Erfahrungen Pipers *) durchaus überein, als wir fanden, daß der zeitliche Verlauf der Dunkel- 1) Arnt Kohlrausch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 113. 1922. 2) Die ausführlicheVeröffentlichung des Zahlen- und Kurvenmaterials erscheint demnächst. 3) Wir verwenden im folgenden die von J. v. Kries vorgeschlagene Nomen- klatur. 4) H. Piper, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 31, 191ff. 1903. G. Abelsdorff, W. Dieter u. A. Kohlrausch: Weitere Untersuchungen usw. 119 adaptation auf peripheren Netzhautstellen vollständig unabhängig von der Art des Farbensystems ist. Die Adaptationsgeschwindigkeit und -breite können bei Personen mit demselben Farbensystem je nach Lebensalter und individueller Eigentümlichkeit extrem verschieden sein. Darüber hinaus stellten wir auch bei diesen Versuchspersonen die Gültigkeit der am Normalen gefundenen Gesetzmäßigkeiten betreffs der Tages- und Dämmerungsäquivalenz der Schwellenwerte und der Lage des Kurvenknickes fest: bei extrafovealer Beobachtung waren die Schwellenwerte der drei Prüflichter im Anfang des Dunkelaufent- haltes sehr nahe tagesäquivalent für jeden Beobachter und wurden jenseits der Knickpunkte dämmerungsäquivalent. Diese Tatsachen gelten demnach allgemein und unabhängig sowohl von der Art des Farbensystems wie von den individuellen Eigentümlichkeiten des Adaptationsverlaufes. Ferner haben Abelsdorff und Kohlrausch mit derselben Methodik zwei Fälle mit verzögerter Adaptation untersucht, von denen der eine normale, der andere außerdem etwas verminderte Adaptationsbreite (erhöhte Endschwellen) hatte!). Sie stellten fest, daß die Verzögerung gegen die Norm am schwächsten oder gar nicht bei langwelligen, stärker bei Weiß und am stärksten bei kurzwelligen Prüflichtern in Erscheinung tritt. Bei ‚Grün‘ war der Knickpunkt um 5 Minuten oder mehr gegen normal hinausgeschoben. Das wesentliche Ergebnis war dabei, daß die verschiedenen Schwellenkurven bis zu diesem verspäteten Knick dieselbe schwache Neigung hatten und auf tagesäquivalenten Werten zusammenlagen; nach dem Knick fiel dann die Kurve bei beiden Fällen erheblich steiler ab als beim Normalen, so daß die eine Versuchsperson mit normalen Endschwellen den Normalen nach kurzer Zeit eingeholt hatte. Mit anderen Worten: bei Fällen mit dieser Adaptationsstörung unterschreitet das Dämmerungssehen beträchtlich später als normal die Schwelle des Tagessehens, um dann nachträglich schneller als normal an Empfindlichkeit zuzunehmen. Über den Anfangsverlauf des Däm- merungssehens dieser Fälle bis zum Knick ist lediglich vermutungs- weise aus dem späteren Kurvenverlauf etwas zu schließen; experimentell würde er sich nur festlegen lassen, wenn Lichter bekannt wären, die auch in beliebiger Intensität keinen Tageswert besitzen. Besondere Eigentümlichkeiten, die von Dieter und Kohlrausch näher untersucht wurden, bot der Schwellenwertverlauf verschieden- farbiger Lichter bei direkter Fixation eines Feldes von 1° Durchmesser, also in der Fovea. Es zeigte sich bei dem Normalen in häufig wieder- holten Adaptationsversuchen, daß die Werte der generellen Schwellen für die verschiedenen Lichter !/, Minute nach Beginn des Dunkel- !) Vgl. K. Wessely, Arch. f. Augenheilk. 81, Ergänzungsheft, 5ff. 120 ©. Abelsdorff, W. Dieter u. A. Kohlrausch: Weitere Untersuchungen über aufenthaltes noch auf flimmeräquivalenten Werten zusammenlagen (85 000 «Lx+3%). Nach 1 Minute war bereits ein Divergieren der Kurven bemerklich, das bei weiterem Dunkelaufenthalt zunahm, so daß nach !/, Stunde Dunkelaufenthalt die Kurven z.T. beträchtlich auseinanderfielen. Bemerkenswert ist dabei das schließliche Lage- verhältnis der Schwellenwerte, das mit dem Purkinjeschen Phänomen nicht das Mindeste zu tun hat: es lagen die Schwellenwerte der drei roten Lichter am niedrigsten (7000—8000 u Lx), wenig höher „Orange“ und ‚Blau‘ (8—9000 u Lx), erheblich höher ‚Grün‘ (16 000 u Lx) und am höchsten ‚Weiß‘ [19000 «Lx]!). Mit anderen Worten: In der Fovea (1° Feld) nahm während des Dunkelaufenthaltes die Empfind- lichkeit für lang- und kurzwelliges Licht beträchtlich stärker zu, als für Licht mittlerer Wellenlänge und für unzerlegtes Weiß. Diese Tatsache wird, wie Kontrollversuche lehrten, weder durch langdauern- den Dunkelaufenthalt, noch durch ein zentrales, eben überschwelliges Fixier- pünktchen und seine Farbe, noch durch die von tonfreiem Weiß abweichende Farbe der zur Helladaptation benutzten Fläche beeinflußt; denn die eben beschriebene Erscheinung blieb dieselbe, gleichgültig, ob der Dunkelaufenthalt !/, oder 4 Stun- den fortgesetzt, ob an Stelle des roten ein gelblich- oder bläulichweißes oder gar kein Fixierpünktchen benutzt, oder ob die vorangehende Helladaptation mit gelblichem elektrischen Licht oder dem blauen Himmel erzielt wurde. Zum Über- fluß ergaben Kontrollversuche mit einer künstlichen Pupille von 2 mm Durchmesser, daß dieser verschiedene Schwellenverlauf nicht durch eine etwaige Inkonstanz der Pupillenweite bedingt ist. Daß bei all den Versuchen die ‚‚Lokaladaptation‘ durch dauernde Verwendung des Pendels hintangehalten wurde, ist selbstverständlich. — Zur sicheren Ausführung derartiger Schwellenbeobachtungen in der Fovea (1° Feld) ist bekanntlich einige Übung erforderlich, da, wie v. Kries und Nagel?) gezeigt haben, eine geringe Blickschwankung (z. B. bis an den Rand unseres Feldes) genügt, um einen Teil des Feldes am gegenüberliegenden Rand infolge des Pur- kinjeschen Phänomens heller und weißlicher aufleuchten zu lassen, wenn das Licht einen merklichen Dämmerungswert hat (z. B. bei unseren Lichtern ‚„‚Rot II“ bis „Blau“, nicht bei „Rot I“). Ebenso sieht man natürlich in Übereinstimmung mit Hering?) und anderen das Purkinje sche Phänomen außerordentlich deut- lich, wenn man wie er das Feld von 1° auf 2,3° Durchmesser vergrößert. Da möglicherweise die Unreinheit der benutzten Lichter, besonders des blauen, von Einfluß auf die oben beschriebenen fovealen Schwellen- verschiebungen sein konnte, haben wir (Dieter, grünanomaler und Kohl- rausch, normaler Trichromat) diesen Befund an uns gegenseitig mit Spektrallichtern des Helmholtzschen Farbenmischapparates im un- wissentlichen Verfahren nachgeprüft. Zu dem Ende stellten wir für eine Reihe homogener Lichter auf direkt fixiertem Feld von 1° Durch- 1) Diese niedrigen absoluten Werte gelten für 1° Feld. Bei 1/,° Feld und „Weiß“ fanden wir in Übereinstimmung mit A. Pertz (Dissertat. Freiburg 1896) Werte um Ts lu: ?) J.v. Kries und W. Nagel, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 23, 173ff. 1900. 3) E. Hering, Arch. f. Ophthalmol. 90, 1—12. 1915. den Dunkeladaptationsverlauf bei verschiedenen Farbensystemen usw. 121 messer vergleichend fest: 1. bei Helladaptation und hellen Lichtern ihr Flimmerwertverhältnis zu einem konstant gehaltenen unzerlegten Weiß (Magnesiumoxyd von Nernstlampe beleuchtet); 2. unter den- selben Bedingungen ihr Helligkeitsverhältnis bei direktem Vergleich mit demselben Weiß und 3. nach !/,- bis 2stündiger Dunkeladaptation und proportionaler Intensitätsminderung aller Lichter (Episkotister oder Okularnikol) ihr Schwellenwertverhältnis. Das Ergebnis bestätigte unseren obigen Befund und war folgendes: Ein foveal auf Flimmeräquivalenz mit dem unzerlegten Weiß eingestelltes Spektrallicht aus der Gegend des Gelb (590, 570 wu) er- scheint diesem 1. bei direktem Vergleich sehr nahe gleichhell und hat 2. nach Dunkeladaptation und proportionaler Intensitätsminderung der Lichter angenähert die gleiche foveale Schwelle wie das Weiß; es sah bei den Beobachtungen unter 1 und 2 vielleicht eben merklich heller aus, als das flimmeräquivalente Weiß, so daß eine Intensitäts- reduktion gar nicht oder nur um wenige Prozent (bis 5%) erforderlich war. Dabei löste das Gelb nahe der Schwelle bei uns beiden in Über- einstimmung mit den Beobachtungen von König!), v. Kries?) u.a. keine Farbenempfindung aus, hatte also ein farbloses Interwall. — Je weiter man sich nun von der Gegend des Gelb nach den beiden Spektral- enden hin entfernt, um so größer wird der Unterschied zwischen der Flimmeräquivalenz einerseits und der bei direktem Vergleich und Schwelleneinstellung andererseits und zwar in dem Sinne, daß die auf Flimmeräquivalenz mit dem Weiß eingestellten Spektrallichter bei direktem Vergleich und an der Schwelle beträchtlich zu hell sind. Die Abweichungen liegen weit außerhalb aller Fehlermöglichkeiten, denn der normale Trichromat mußte die dem Weiß flimmeräquivalenten Lichter 670 und 480 uu um 50% reduzieren, damit sie dem Weiß schwellenäquivalent wurden, der anomale etwas weniger, um 25— 30%. Dabei traten für uns beide die lang- und kurzwelligen Lichter in Über- einstimmung mit den Beobachtungen von König, v. Kries u. a. foveal gesättigt farbig über die Schwelle. — Die Abweichungen der Werte bei Helladaptation und direktem Vergleich von den Flimmerwerten gehen in demselben Sinne, scheinen jedoch nicht ganz so stark zu sein. Analoge Bestimmungen der fovealen Endschwellen bei zwei sicher beobachtenden Dichromaten, einem Prot- und einem Deuteranopen, an Pipers Adaptometer mit unseren Lichtern „Rot II“, ‚Rot III“, „Grün“ und ‚Weiß‘ zeigten dagegen keine merklichen Abweichungen der Schwellen- von der Flimmeräquivalenz der Lichter. Die Ab- weichungen betrugen nur wenige Prozent und gingen unregelmäßig nach oben und nach unten, waren also offenbar Beobachtungsfehler. 1) A. König, Gesammelte Abhandl. S. 354. ?) J. v. Kries, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 15, 347. 1897. 122 @. Abelsdorff, W. Dieter u. A. Kohlrausch: Weitere Untersuchungen usw. Eine Deutung dieser Versuchsergebnisse ist verhältnismäßig einfach, zumal sie in sehr naher Beziehung zu anderweitig gemachten Beobachtungen stehen: A. Mayer!) untersuchte auf großem Feld die Änderungen der spezifischen (Farben-) Schwellen von Pigmentpapieren während der fortschreitenden Dunkeladaptation und stellte fest, daß die Kurven aller Farben in den ersten Minuten am steilsten, dann flacher und nach 10—15 Minuten nur noch wenig abfallen; dabei nahmen die Farbenschwellen bei Rot und Blau am stärksten, bei Gelb am wenigsten ab. Bos- well?) fand, daß die fovealen Schwellenwerte spektraler Lichter vom Na-Licht aus gerechnet sowohl gegen das langwellige, wie gegen das kurzwellige Spektralende hin erheblich weniger steil absinken, als die Peripheriewerte und die Minimalfeld- helliskeiten. Am Farbenkreisel beobachtete Schenck?), daß die Flimmerwerte von roten, orangefarbigen, blaugrünen, blauen und violetten Papieren niedriger waren, als ihre Helligkeiten bei direktem Vergleich mit Grau; die Differenz war am größten bei Rot, Blau und Violett. Er führt die Abweichungen auf Urteilstäuschun- gen bei der Methode des direkten Vergleichs zurück. — Nun gilt für die Flimmer- methode mit weißem Licht oder Grau etwas ähnliches, wie für die farblosen Hellig- keitsbestimmungen mit der Peripheriewert- und Minimalfeldmethode, nämlich daß infolge der starken Weißbeimischung das Feld, sobald das Flimmern aufhört, zwar nicht ganz farblos, aber doch sehr stark weißlich wird. Es dürfte infolgedessen auch auf unsere Beobachtungen die von Boswell gegebene Erklärung zutreffen, daß für die foveale schwellenmäßige Sichtbarkeit der farbige Reizerfolg der Lichter — ihre „farbigen Valenzen‘‘ — außer ihrer farblosen Helligkeit mit in Betracht kommt. Wir können daher die früheren und unsere Beobachtungen über diesen Gegen- stand wohl allgemein folgendermaßen deuten: Die durch Lichter verschiedener Wellenlänge unter bestimmten Bedingungen allein ausgelösten farblosen Tages- helliskeiten werden durch das Hinzutreten der spezifischen Farbenempfindungen verstärkt. Diese Verstärkung ist nur eben merklich im Gelb, wächst gegen die beiden Spektralenden hin erheblich an und ist offenbar um so beträchtlicher, je gesättigter die Farbenempfindung ist. Daraus ergibt sich, daß die Erscheinung in der langwellisen Spektralhälfte des Prot- und Deuteranopen bis hin zum neutralen Punkt nicht merklich auftreten kann, da diese Lichter nach allem, was darüber bekannt ist, bei beiden Systemen nur mehr oder weniger gesättigte Gelbempfin- dungen auslösen. — Die Folge davon ist, daß die verschiedenen Methoden der heterochromen Photometrie für die spektrale Tageshelligkeitsverteilung eines Trichromaten cet. par. nur in der Gegend des Gelb annähernd übereinstimmende, nach den Spektralenden hin kleinere oder größere Werte liefern müssen, je nach- dem sie die Farbenempfindungen mehr oder weniger auslöschen. — Der gesamte Tatsachenkomplex kann wohl nur als „spezifische Helligkeit‘‘ der Farbenempfin- dungen gedeutet werden, die aber im Gegensatz zu der bekannten Hering- Hillebrandschen Theorie lediglich verschieden stark aufhellend wirkt. !) A. Mayer, Dissertation, Freiburg i. B. 1903. ?) F. P. Boswell, Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 4%, 310ff. 1908. 3) Fr. Schenck, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 64, 618ff. und 68, 43. 1896 und 1897. Die Wirkung von Kalebassen-Curare auf die Irisbewegung. Von Dr. med. Tomoichi Nakagawa aus Osaka, Japan. (Aus der operativen Abteilung des physiologischen Institutes der Universität Berlin.) (Eingegangen am 24. Juli 1922. Als Claude Bernard und Kölliker !) (1856) in ihren klassischen Ver- suchen die Wirkung von Curare auf die quergestreifte Muskulatur genau erforscht hatten, war damit der wesentlichste Punkt der Frage nach der Wirkungsweise dieses Giftes aufgeklärt. Daß aber Curare in gewissen Dosen noch andere Organe in ihrer Tätigkeit mehr oder weniger beein- flussen kann, ist erst nach und nach bekannt geworden. Umstritten ist die Frage der Einwirkung von Curare auf das Auge. Es war nämlich sowohl bei Fröschen als auch bei Säugetieren beobachtet worden, daß bei den curarisierten Tieren eine Mydriasis auftrat?). Zelenski bezog sie auf eine ‚definitive Schwächung‘ der Innervation des Oculomotorius®). @. Gianuzzit*) und A. Vulpian 4”) fanden selbst bei starker Curarisierung an Säugetieren und Vögeln noch eine auf Lichteinfall reagierende Pupille. Nikolski und Dogiel?) reizten den Oculomotorius und fanden an curarisierten Hunden eine Verengerung der Iris. Eine Erklärung der bei einer Curarisierung auftretenden Pupillen- erweiterung war durch diese Mitteilungen nicht gegeben. Auf der operativen Abteilung des Institutes war bei Versuchen an curarisierten Katzen hin und wieder aufgefallen. daß die Tiere eine weite reaktionslose Pupille zeigten, wenn sie mit größeren Mengen curarisiert wurden als zur motorischen Lähmung im allgemeinen nötig 1) Siehe in A. Heffters Handbuch der experimentellen Pharmakologie, ® 1. Heft. Abschnitt: Curare und Curarealkaloide von R. Boehm. Verlag Springer, Berlin 1920. 2) F. Bidder, Über die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgiftes zu ver- schiedenen Abteilungen des Nervensystems. Arch. f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1865, S. 337. 2) Zelenski, Zur Frage der Muskelirritabilität. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 24, 363. 1862. aau.b) Zitiert nach Heffters Handbuch s. o. 5) W. Nikolski und @. Dogiel, Zur Lehre über die physiologische Wirkung des Curare. Arch. f. d. ges. Physiol. 4%, 68. 1897. 124 T. Nakagawa: gewesen wäre. Wurde einer solchen Katze, die zu anderen Versuchs- zwecken curarisiert worden war, nach vollständiger motorischer Läh- mung — die Pupillen waren mittelweit und reagierten gut auf Licht — noch einmal dieselbe Curaremenge gegeben, so weiteten sich innerhalb weniger Minuten die Pupillen beiderseits und verengten sich nicht mehr auf Lichteinfall. Eine indirekte Wirkung auf die Pupillenweite durch zentral bedingte Reize, wie sie durch Sauerstoffmangel eintreten können, kommt deshalb nicht in Betracht, weil die Sauerstoffversorgung durch künstliche Atmung während des ganzen Versuches die gleiche geblieben war. Gefäßveränderungen beeinflussen die Puvillenwrite nicht!). Merklich sichtbare Unterschiede der Arbeit des Herzens, die möglicher- weise durch Wirkung auf das Atmungszentrum oder auf die zentralen Ursprungsstellen der die Pupille innervierenden Nerven die Pupillen- weite bedingen könnten, waren nicht aufgefallen, werden auch in weiten Grenzen einflußlos bleiben. Es lag hiernach nahe, der Frage von der Seite der Innervation der Pupillen näherzutreten, wie es ja auch schon die früheren Autoren zum Teil getan hatten. Ich möchte hier nur noch bemerken, daß die Beantwortung der Frage nach der Wirkung von Curare auf Organe deshalb nicht ganz endgültig sein kann, weil die üblichen Curaresorten nicht chemisch einheitliche Körper sind Da aber das Curare allgemein in den Laboratorien in dieser Zusammensetzung gebraucht wird, hat die Beantwortung der dieser Arbeit zugrunde liegenden Frage, so glaube ich, ein gewisses Interesse. Ich machte im ganzen 14 Versuche an 9 Hunden und 5 Katzen. Es wurde eine 1 proz. filtrierte Curarelösung benutzt, die im allgemeinen den Tieren subcutan gegeben wurde. Katzen mit dem Gewicht von 2-3 kg spritzte ich meist 4ccm ein, bei den Hunden war die Gabe vom Gewicht abhängig. So erhielt z. B. ein Skg schwerer Hund 10 ccm der Lösung. Bei der künstlichen Atmung achtete ich darauf, daß den Tieren bei jeder Einatmung ein genügend großes Luftquantum zugeführt wurde. Die Wirkung der Curaremenge auf die Pupillen trat im allgemeinen nach 10 Min. auf. Die Freilegung des Ganglion ciliare, der Nervi ciliares breves und des Nervus oculomotorius geschah nach der Methode, die zuletzt von Paul Schultz angegeben worden ist?). Bei einigen Tieren betupfte ich auch das Ganglion ciliare mit der Curarelösung, ohne sie vorher zu curarisieren. Zur Ruhigstellung des Tieres benutzte ich in diesen Fällen eine Chloro- form-Äther-Narkose. !) J. N. Langley und H. K. Anderson, On the Mechanism of the movements of the iris. Journ. of Physiol. 13, 554. 1892. 2) Paul Schultz, Über die Wirkungsweise der Mydriaca und Miotica. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1898, S. 47. Die Wirkung von Kalebassen-Öurare auf die Irisbewegung. 125 Ich fand sehr oft, daß nach der Freilegung der soeben erwähnten Nerven die Pupille auf der operierten Seite ein wenig weiter war als auf der gesunden Seite, gleichgültig, ob die Tiere curarisiert oder mit Chloroformäther betäubt waren. Der Unterschied in der Weite betrug im allgemeinen 2mm (8 statt 6mm). Er geht innerhalb von 10 Min. zurück. Reizung der Nerven — Ciliares breves, Oculomotorius, Halssym- pathicus — geschah tetanisch mit dem du Bois-Reymondschen Schlitten- apparat. Die elektromotorische Kraft lieferte ein Bleiakkumulator. Als Elektroden dienten mir zwei feine Platindrähte. Ganz allgemein habe ich bei meinen Versuchstieren beobachtet, daß bei den von mir gegebenen Curaremengen, die ja größer waren, als zu einer motorischen Lähmung nötig ist, entweder Mydriasis oder Miosis bei lichtstarren Pupillen auf beiden Augen eintreten. Reizte man bei denjenigen Tieren, die bei fehlender Pupillenreaktion eine Mydriasis haben, die kurzen Ciliarnerven (Rollenabstand 20 cm, auf der Zunge gerade fühlbar), so tritt wie beim normalen Tier prompt Verengerung ein. Reizung des Oculomotoriusstammes dagegen hat nur dann eine Wir- kung, wenn die Ströme sehr verstärkt wurden, so daß die Vermutung von Stromschleifen auf die in der Nähe liegenden kurzen Ciliarnerven be- gründet erscheint. Bei Reizung des Halssympathicus tritt eine Erwei- terung sofort ein. Aus den Versuchen ist also zu ersehen, daß tiefe Cura- risierung die Wirkung einer Reizung des Oculomotorius, bei der normaler- weise Verengerung der Pupille erfolgt, aufhebt, während Reizung der kurzen Ciliarnerven, die ja die postganglionären Fasern der im Oculo- motorius verlaufenden parasympathischen Nervenbahn enthalten, wirksam bleibt. Zwischen den Ciliarnerven, die die postganglionären Fasern führen, und dem Oculomotorius, der die präganglionären para- sympathischen Fasern enthält, liegt das Ganglion ciliare. Es liegt nahe, aus den Versuchen zu schließen, daß eine größere Dosis Curare eine Parese des Ganglion ciliare oder der präganglionären Fasern bewirkt. Dies würde mit der Feststellung, die Langley in seinem Buche „Ihe autonomic nervous system‘ (1921, Verlag W. Heffer and sons, Cambridge) für das Curare allgemein ausgesprochen hat, übereinstimmen, daß nämlich ‚curari paralyses efferent nerves leaving the spinal cord; it paralyses first somatic motor nerves, the phrenie being paralysed somewhat later than the nerves supplying the skeletal muscles, it then paralyses preganglionic fibres and in mammals it has little or no paraly- sing action on postganglionic fibres“. Nach meinen Versuchen kann man die Vermutung aussprechen, daß die Nervenendigungen der prä- ganglionären parasympathischen Fasern, die ja im Ganglion ciliare endigen, durch die große Curaremenge paretisch geworden sind. Bis zu einem gewissen Grade wird die Annahme durch folgenden Versuch sichergestellt: In Chloroform-Äthernarkose legte ich das Ganglion und 126 T. Nakagawa: Die Wirkung von Kalebassen-Curare auf die Irisbewegung. die in Betracht kommenden Nerven frei. Dann rsizte ich die kurzen Ciliar- nerven und den Oculomotorius und sah eine Verengerung der Pupille. Zur Reizung beider Nerven sind fast die gleichen Stromstärken not- wendig. Betupfe ich jetzt das Ganglion mit der Curarelösung, so tritt der schon bei der allgemeinen tiefen Curarisierung von mir beobachtete Effekt ein, daß eine Mydriasis zustande kommt, und Reizung der Ciliar- nerven eine prompte Verengerung ergibt, aber Reizung des Oculomotorius kaum oder nur gering im Sinne einer Verengerung wirkt. Wäscht man aber das Curare mit physiologischer NaCl-Lösung heraus, so wird die Pupille wieder enger. Man kann jetzt denselben Versuch mit der Betup- fung wiederholen. Hiermit ist, denke ich, die bei tiefer Curarisierung auftretende Pupillenerweiterung erklärt, daß nämlich Curare in größeren Dosen, als zur motorischen Lähmung notwendig sind, den Durchgang der Erregung durch das Ganglion ciliare hindert oder wenigstens sehr erschwert. Über den Mechanismus dieser Hemmung kann man nach den vorliegenden Versuchen noch nichts aussagen. Über die bei tiefer Curarisierung ebenfalls vorkommende Miosis werde ich später ausführlich berichten. Herrn Privatdozenten Dr. Schilf, Assistenten am Institut, danke ich für die Unterstützung bei der Anfertigung der Arbeit. Nachtrag. Nach Fertigstellung des Korrekturbogens bin ich von Herrn Prof. Langley in Cambridge durch Vermittlung von Herrn Dr. Schilf darauf aufmerksam gemacht worden, daß Herr Prof. Langley im Jahre 1892 gelegentlich des Studiums der Nikotinwirkung auf das Ciliarganglion!) auch mit Curare Versuche angestellt hat. Ich kannte die Arbeit, hatte aber die kurze Bemerkung über die Curarewirkung — sie steht in kleinem Druck auf S. 492 — übersehen. Langley hatte nach Curari- sierung den Oculomotoriusast gereizt und die Reizung unwirksam ge- funden. Es trat keine Verengerung der Iris ein. Ich habe also in vor- liegender Arbeit die Versuche von Langley bestätigt, erweitert und sichergestellt, daß Curare in größerer Dosis das Ganglion ciliare lähmt. 1) J. N. Langley and H. K. Anderson. The action of nicotin on the cili- ary ganglion and on the endings of the third cranial nerve. Journal of Physiol. 13, 460. 1892. 3 KR ” y j h 1023 rl Te Hl um N j RER 3 ER Ba Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe'). I. Mitteilung. Schilddrüse und Metamorphose. Von Prof. Dr. €. Hart, Berlin-Schönebereg. Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. März 1922. In einer ganzen Anzahl von Arbeiten, die sich mit dem Konsti- tutionsproblem und seinen Beziehungen zur inneren Sekretion be- schäftigen, habe ich, zum Teil schon vor Jahren, von meinen Ver- suchen berichtet, durch Schilddrüsenfütterung den Axolotl zur Me- tamorphose zu bringen. Angerest worden war ich dazu durch die bekannten und nunmehr vielfach mit stets gleichem Erfolge wieder- holten Untersuchungen Gudernatschs?) über die Wirkung als Nahrung verabreichter endokriner Organe auf Wachstum und Metamorphose der Kaulquappen. Ihr wesentliches Ergebnis bestand in der Fest- stellung, daß 'Thymusfütterung das Wachstum mächtig anregt unter Verzögerung oder Hemmung der Metamorphose, während die Schild- drüsenfütterung umgekehrt die Metamorphose beschleunigt und über- stürzt bei nahezu völligem Stillstand des Wachstums. Im einen Falle also entstanden Riesenkaulguappen mit nur spät einsetzender und in den ersten Anfängen steckenbleibender Metamorphose, im anderen hingegen Zwergfröschchen. 1) Roux hat für die inneren Sekrete die Bezeichnung „Inkrete“, der ‚In- kretion“ und „inkretorische Organe‘ entsprechen, eingeführt. Im Gegensatz zu Forschern wie Abderhalden, Weil u.a. haben die pathologischen Anatomen an den alten Ausdrücken festgehalten, da sie seit langem unter Inkreten etwas ganz anderes verstehen und der von Roux vorgeschlagene Ausdruck für sie also schon vergeben ist. Ich verweise auf den kleinen Aufsatz R. Benekes, „Sekrete, Exkrete und ‚Inkrete‘ ( Roux)“ im Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. 31, Nr. 5, S. 114. 1920/21. ?) Gudernatsch, Fütterungsversuche an Kaulquappen. Zentralbl. f. Physiol. 26, Nr. 7. 1912. — Feeding experiments on tadpoles. I. The influence of specific organs given as food on growth and differentiation. A contribution to the know- ledge of organ with internal sekretion. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organismen 35. 1912. Pflügers Archiv f.d. ges. Physiol. Bd. 196. 9 128 ©, Hart: Merkwürdigerweise haben diese wichtigen Fütterungsversuche @u- dernatschs nieht entfernt die Beachtung gefunden, die ihnen in biolo- gischer Hinsicht zukommt, was übrigens auch von Adlers bemerkens- werten Exstirpationsversuchen endokriner Organe bei Kaulquappen gilt. Zwar sind Gudernatschs Versuche wiederholt und ausgebaut worden, so besonders von Romeis!), der namentlich auch die Beein- tlussung der Regenerationsvorgänge in den Bereich der Betrachtung gezogen und neuerdings für die menschliche Konstitutionspathologie wichtige Beobachtungen über den Einfluß der Thymusfütterung auf Kümmerformen ?) veröffentlicht hat, so ferner von Abderhalden), der vor allem die spezifisch wirkenden Substanzen der innersekretorischen Organe bzw. ihres Sekretes zu ermitteln trachtete, aber wenn auch alle diese Versuche, die einzeln hier nicht aufgezählt werden sollen, manches bemerkenswerte Ergebnis gezeitigt haben, so liegen sie doch nicht in der Richtung, die für die Biologie durch Gudernatschs Mit- teilung in erster Linie gewiesen war. Man hätte erwarten sollen, daß die Frage der Neotenie der Am- phibien insbesondere sofort an der Hand der neugewonnenen Erfah- rung einer sehr eingehenden Untersuchung und Erörterung unter- zogen worden wäre. Aus der Tatsache, daß partielle Neotenie nicht selten in der freien Natur vorkommt, daß man wenigstens bei manchen Perennibranchiaten von einer erblichen Fixierung eines ursprünglich vorübergehenden neotenischen Zustandes wird reden können, dab ferner die Metamorphose nicht nur als ein ontogenetischer sondern auch als ein phylogenetischer Vorgang von großer Bedeutung ins Auge zu fassen ist, ergibt sich ohne weiteres, daß Untersuchungen über die Beziehungen der endokrinen Organe zur Metamorphose und ihren Störungen wohl zu wichtigen Aufschlüssen führen können. Ein- zig aber Babak*) hat, wenn ich die Literatur recht übersehe, diese Fol- gerung aus Gudernatschs Untersuchungsergebnissen gezogen und durch seinen Schüler Laufberger®) Fütterungsversuche mit Schilddrüsensub- !) Romeis, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung innersekretori- scher Organe V. Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 6, 101. 1918. Diese große Arbeit enthält die Angaben über Romeis’ frühere Aufsätze. ?) Romeis, Experimentelle Studien zur Konstitutionslehre. 1. Die Beein- flussung minder veranlaster, schwächlicher Tiere durch Thymusfütterung. Münch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 14, S. 420. ®) Abderhalden, Studien über die von einzelnen Organen hervorgebrachten Substanzen mit spezifischer Wirkung. 1. Verbindungen, die einen Einfluß auf die Entwicklung und den Zustand bestimmter Gewebe ausüben. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 99. 1915. *) babak, Einige Gedanken über die Beziehung der Metamorphose bei den Amphibien zur inneren Sekretion. Zentralbl. f. Physiol. 2%, Nr. 10, S. 536. 1913. °) Laufberger, OÖ vzbuzeni metamorfosy axolotlu krmenim zlazon stitnou. Biol. Listy 1913. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 129 stanz am Siredon pisciformis anstellen lassen, die bereits — leider in tschechischer Sprache — ausführlicher beschrieben worden sind. Ich selbst habe meine unabhängig von Babak und Laufberger begonnenen sehr umfangreichen Versuche gleicher Art bisher immer nur gelegent- lich und kurz erwähnt, Da sie inzwischen Ausgang weiterer Betrach- tungen und Versuche geworden sind, soll jetzt etwas eingehender von ihnen die Rede sein. Schon Babak hat auf einige wichtige Ausblicke hingewiesen. Man könnte die vielen Fälle von Neotenie im Hinblick auf das Verhalten des endokrinen Systems untersuchen, andererseits auch jene höchst merkwürdigen Fälle einer stark abgekürzten Metamorphose, in der Erwartung, für beide Erscheinungen eine gesetzmäßige kausale Er- klärung zu finden. Auch ließen sich vielleicht dieser Art systematische morphologische Charaktere einer biologischen Prüfung unterziehen und gleiche Zustände wie bei den Perennibranchiaten dabei in verschie- dener Weise deuten. Vor allem aber bestände vielleicht die Möglich- keit, über an sich gewiß sehr beachtenswerte Ergebnisse rein mor- phologischer Untersuchungen hinaus zu einem tieferen Verständnis auch phylogenetischer Vorgänge zu gelangen. ‚Würde es gelingen, durch Hormone einige Proteiden oder Sireniden zur Umwandlung in nie vom menschlichen Auge gesehene landlebende metamorphosierte Formen zu zwingen, so würde da ein früher undenkbarer Schritt zur experimentellen Erforschung der phylogenetischen Entwicklung getan.“ So schreibt Babak. Will man aber derartige Versuche in großzügiger Weise in Angriff nehmen, dann gilt es eine ganze Reihe von Einzel- fragen zu beantworten, die unbedingt den notwendigerweise sich ein- stellenden rein theoretischen Vorstellungen eine der exakten Forschung zugängliche Grundlage geben müssen. Die Untersuchungen @Gudernatschs und der meisten späteren For- scher gehen über die Frage der Bedeutung endokriner Wirkungen für die Ontogenese nicht hinaus. Ihr Wert liegt besonders darin, an einem für gewisse Beobachtungen besonders geeigneten, weil nament- lich schon auf frühester Entwicklungsstufe vom mütterlichen Or- ganismus unabhängigen, Versuchstier in sehr sinnenfälliger Weise ge- zeigt zu haben, daß die in der Substanz endokriner Organe vorhandenen spezifisch wirksamen, aber bekanntlich artunspezifischen Stoffe durch die Verdauungssäfte nicht zerstört werden, daß ferner die spezifische Wirkung der einzelnen endokrinen Organe in der ÖOntogenese eine sehr verschiedene ist, was aber nach dem Ergebnis aller bisher an- gestellten Untersuchungen nur für Thymus und Schilddrüse deutlich hervortritt, daß endlich eine einseitige starke Betonung einer bestimm- ten endokrinen Funktion zu einer Störung der individuellen Entwick- lung führt und pathologische Formen schafft. Dies alles aber haben 9* 130 C. Hart: wir im Grunde auch schon vorher gewußt. Aus den Erfahrungen der menschlichen Pathologie, ergänzt durch die des Tierexperimentes, kennen wir längst die ungeheure Bedeutung des ganzen endokrinen Systems für die Ontogenese, die seines harmonischen Zusammen- arbeitens für die Bildung physiologischer, art- und rassegemäßer Ein- zelformen und für den normalen Ablauf ihrer Lebensfunktionen. Und wenn auch noch viele Rätsel zu lösen sind, so sind wir doch allmählich auch zu ziemlich klaren Vorstellungen über die Einzelaufgaben der verschiedenen endokrinen Organe gekommen und kennen die Stö- rungen, die sich aus ihrem Ausfall, ihrer Unter-, Über- und Miß- funktion ergeben, wenigstens teilweise, sehr gut. Die eine planmäßige Organotherapie einleitende Verabreichung von Schilddrüsensubstanz mit der Nahrung mußte schon von der Voraussetzung ausgehen, die wirksamen endokrinen Stoffe vermöchten sich vom Magen-Darm aus, unverändert durch die Verdauungssäfte, geltend zu machen. Guder- natschs Versuche haben also nur einen besonders deutlichen Beweis für die Richtigkeit dieser Vorstellung erbracht, die übrigens betont zu werden verdient im Hinblick auf die phylogenetische Entwick- lung der Schilddrüse und der Hypophyse. Namentlich hinsichtlich er- sterer wird von Wiedersheim!) und unter Hinweis auf ihn immer wieder auch von anderen Autoren wie z. B. Kraus?) auf den phylogeneti- schen Funktionswechsel des Organs hingewiesen, zum Ausdruck kom- mend in dem Verlust des Ausführungsganges und damit der Um- wandlung des Organs zu einer reinen „Blutdrüse‘. Die spezifische wirksame Substanz des Schilddrüsensekretes braucht aber dabei eine Änderung nicht erfahren zu haben, sie läßt sich vom Darm aus eben so wirksam denken wie bei ihrem unmittelbaren Übertritt in das Blut, der freilich ökonomischer sein dürfte. Dann läßt sich aber nur in rein anatomischer Hinsicht von einem Funktionswechsel sprechen. Das scheinbar so klare, eindeutige Ergebnis der Fütterungsver- suche an Kaulquappen birgt in Wahrheit eine ganze Reihe wichtiger Fragestellungen in sich. Die Wirkung der endokrinen Substanzen bedarf noch immer fast in jeder Hinsicht einer genauen Analyse. Die eine wichtige Frage ist die, welcher Natur die wirksamen Stoffe sind. Sie hat Abderhalden zu beantworten versucht, indem er die einzelnen endokrinen Organe mittels Fermenten stufenweise abbaute und fest- stellte, bei welcher Abbaustufe bestimmte charakteristische Wirkun- gen verschwinden. Er hatte dabei die richtige Vorstellung, daß von einem und demselben Organ verschiedene Wirkungen ausgehen können, !) Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangenheit. 4. Aufl. Laupp, Tübingen 1908. °) Kraus, Die allgemeine und spezielle Pathologie der Person. Klinische Syzygiologie. Allgemeiner Teil. Thieme, Leipzig 1919. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 131 die möglicherweise einzeln bei stufenweisem Abbau verloren gehen und dadurch in ihrer biochemischen Gebundenheit deutlich erkannt werden können. Auf das Ergebnis dieser Untersuchungen soll hier nicht näher eingegangen werden, nur sei bemerkt, daß die Wirkung der Schilddrüsensubstanz nach Abderhaldens, von Romeis bestätigten Feststellungen nicht an das unversehrte Eiweißmolekül gebunden ist, also nur tiefere Abbauprodukte von Proteinen oder bestimmte ihrer Bausteine in Frage kommen. Eine zweite wesentliche Frage ist die, wie die wirksamen Stoffe verfütterter endokriner Organe zur Geltung kommen. Wirken sie un- mittelbar nach ihrer Resorption aus dem Darm spezifisch oder durch Vermittlung des gleichen oder eines anderen endokrinen Organes oder in welcher Weise sonst?! Das Ergebnis der Versuche G@udernatschs klingt höchst einfach und ist auch immer so hingestellt worden: Der Thymus regt das Wachstum mächtig an unter Hemmung der Meta- morphose, die Schilddrüse umgekehrt aber überstürzt die letztere unter fast völligem Stillstand des Wachstums. Kommen hierin nur einfache Wirkungen zum Ausdruck, derart, daß der hormonale Reiz nur eine biologische Funktion beeinflußt, deren lebhafte Steigerung die Energien des Organismus mehr oder weniger ganz in Anspruch nimmt und damit andere Funktionen hemmt? Sicherlich bestehen derartige Wechselbeziehungen zwischen Wachstum und Metamorphose, wie sie beispielsweise in Barfurths!) Vorstellungen über die Erschei- nungen während der Metamorphose eine Rolle spielen, aber sie brauchen nicht allein das Ergebnis jener Versuche zu erklären. Der Thymus ist ein Organ des Wachstums, seine Funktion fördert die einfache Massenzunahme des Organismus, ohne daß sich darin seine physiologische Aufgabe zu erschöpfen braucht. Wie ich?) früher näher ausgeführt habe, darf man auch dem menschlichen Thymus_ diese wachstumfördernde Funktion in erster Linie zuerkennen. Ganz neuer- dings gibt Demel?) an, durch künstliche Hyperthymisation bei jungen Ratten eine auffällige Steigerung des Wachstums erzielt zu haben. Im Übrigen habe ich das Ergebnis der Versuche @udernatschs erhärtet, in- dem ich das umgekehrte Verfahren einschlug. Kleinen dunklen Axo- lotIn eines Laiches wurde teils ein-, teils zweizeitig der Thymus aus- gebrannt in der Art, wie Adler*) die Exstirpation endokriner Organe !) Barjurth, Der Hunger als förderndes Prinzip in der Natur. Arch. f. mikroskop. Anat. 29. 1887. ?) Hart, Über die Funktion der Thymusdrüse. Jahrb. f. Kinderheilk. 86. 1917. ?) Demel, Beobachtungen über die Folgen der Hyperthymisation. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 34, 4. 1922. *) Adler, Metamorphosenstudien an Batrachierlarven. I. Exstirpation endokri- ner Drüsen. A. Hypophyse. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organismen. 39, 1. 1914. — B. Thymus. €. Epiphyse. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organismen 40, 1. 1914. 132 @®.: Hart: an Kaulquappen vorgenommen hat, während die gleichentwickelten weißen Tiere desselben Laiches als Kontrollen dienten. Soweit die thymuslosen Tiere am Leben blieben, zeigten sie eine hochgradige Hemmung des Wachstums, wie aus der beigegebenen Abbildung (Abb. 1) deutlich zu erkennen ist. Daß der Thymus restlos zerstört worden war, was bei seiner oberflächlichen und sehr leicht bestimm- baren Lage nicht schwer ist, wurde durch die mikroskopische Unter- suchung sichergestellt. Inzwischen hat Romeis (a. a. O.) die wachs- tumfördernde Wirkung des Thymus, wie sie sich übrigens auch bei einfachen Regenerationsvorgängen geltend macht, weiterhin bewiesen, Abb. I. Vier junge dunkle Axolotl, die nach Exstirpation des Thymus stark im Wachstum zurückgeblieben sind. Daneben ein dem gleichen Laich entstammendes weißes Kontrolltier mit normaler Entwicklung. indem er kümmernde Individuen einer Kaulquappenpopulation durch Thymusfütterung im Wachstum so sehr fördern konnte, dab sie die normal entwickelten Kaulquappen nicht nur schnell einholten, sondern teilweise sogar an Größe übertrafen. Im Hinblick auf das nicht seltene Vorkommen von Kümmerformen auch in der freien Natur, bei deren Entstehung durchaus nicht allein Nahrungsmangel eine Rolle spielt!), ist diese Beobachtung nicht minder interessant wie namentlich für die Frage der Neotenie der Tiere und des menschlichen Infantilismus, zwischen denen ich?) schon vor Jahren eine Parallele zu ziehen ver- sucht habe. Zwar verwahre ich mich ausdrücklich gegen eine Gleich- deutung von Kümmertum und Neotenie bzw. Infantilismus, aber in !) Siehe Kammerer, Das Beibehalten jugendlich unreifer Formzustände (Neotenie und Progenese). Ergebn. d. wissensch. Med. Jahrg. 1, S. 10. 1909/10. 2) Hart, Neotenie und Infantilismus. Berl. klin. Wochenschr. 1918, Nr. 26. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 139 beiden Fällen bestehen offenbar Störungen der endokrinen Funk- tionen, die dennoch eine Betrachtung unter einheitlichem Gesichts- punkte ermöglichen !). Nun finden sich aber gerade bei den mit Thymus gefütterten Kaul- quappen zuweilen sehr ausgesprochen, meist aber weniger auffallend, aber doch deutlich genug Erscheinungen, die auf verwickeltere Wir- kungen hinweisen. Sie bestehen darin, daß infolge größeren Wasser- gehaltes der Gewebe die Tiere aufquellen, manchmal in einem solchen Maße, daß der Körper fast Kugelform mit durchscheinender Peripherie annimmt. Diese Auf- quellung darf man EN “ “ nicht unter dem Ein- 1 ER EN 9 er a TE RT =. druck reiner Wachs- Br Ste alone II . en r a 1m NS N tumssteigerung, der DEN > ENT A an N u RP A % N 2 Massenzunahme an PR SE \ % nr 2 raten ER ß Zellen, übersehen. = REED, NR FA { . . or a5 ER, ae‘ ii % { 7 Schon bei meinen en Ye N ir Na £) % U) - r F} te .. un? I, ersten Versuchen un- FERTERR, 07 $ U ET | 8 ae RUHE SZ mittelbar nach Be- Et £ ee Kanntwerden der Ar- I a nt xanntwerden der Ar- Er Re rn, . . NL x le Se | r beit Gudernatschs fie- EN III En EINES - - . z 4 ® = x m a 1% — r len mir diese Tiere FA Val" er SIE r 3 ıY > ° \ el Birs ’ > u y»Y auf, die ich scherzhaft HE ee ! N ‚’ ae cc y ee e 8 a s.lı7 ,„„ Myxödemquappen ERRANG NE 0 RS rar,. v ’ R 4 nannte, ohne zuahnen, le, TR N ie eh . . . ee . . An ’ nd = wie richtig tatsächlich RN ENDE EN; Sr ling . . ‚h ° N Ad or diese Bezeichnung war. nn. ie Inzwischen hat na- mentlich auch Abder- halden (a. a. ©.) die Gewebsquellung bei manchen Thymuskaulquappen beobachtet und die Frage aufgeworfen, ob das eine primäre Folge der Ein- wirkung der Thymussubstanz oder eine sekundäre sei. Er hält es für fraglich, ob die Annahme einer Entwicklungshemmung den Kernpunkt der Wirkung der spezifischen Thymusstoffe trifft. Untersucht man nun die endokrinen Organe solcher wasserreichen Tiere mikroskopisch, so ergibt sich die höchst bemerkenswerte Feststellung, daß die Schilddrüse deutliche Störungen bis zu völligem Schwunde des Kolloides und schwerer Degeneration der Follikelepithelien aufweist, über die ich?) bereits früher berichtet habe. Die hier beigefügten Abbildungen 2—4 Abb. 2. Normale Kaulquappenschilddrüse. !) Hart, Konstitution und Disposition. Lubarsch-Ostertags Ergebn. d. alle. Path. u. path. Anat. 20. 1. S. 1. 1922. ?) Hart, Zum Wesen und Wirken endokriner Drüsen. Berl. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 5, S. 101. 134 C. Hart: lassen die Veränderung deutlich erkennen und rechtfertigen gewiß die Annahme, die Quellung des Gewebes sei ähnlich wie beim menschlichen Myxödem durch eine Unterfunktion der Schilddrüse bedingt. Zugleich seht aber wohl aus diesem mikroskopischen Befunde hervor, daß die Hem- mung der Metamorphose bei mit Thymus gefütterten RKaulquappen keines- wegs nur durch den Energieverbrauch infolge der Steigerung der reinen Massenzunahme bedingt zu sein braucht, sondern durch eine gleichzei- tige Hemmung der Schilddrüsenfunktion — diese zunächst einmal ins Auge gefaßt —, wenn das auch morphologisch vielleicht nicht immer R2 F ea“ 5 <=» S = He R 2) rem un ‘ %s ug % ü Pr 5 Bo i % s vos f} i Be Same Nast ser sh | x ...T 1 & B busleo ser, i Be . 4 u eh” EN 0o { D < Ba N ( *r ec LER 9.“ 3% . 2. ü % r { Pi Pr PR Pad Se a ° rl s Pi x Pr hi 4 a on nhihy ge {) on", ® \ ke / “ < Ä “ ° ’ N \ 6 ? Le . e » f or 2 . J ul D 2 art) Pr [6 77 ir ur &s e u cn 4 s. = , ‚ D fi er \ x ‘ o 25 \ 6 er [;® eo f “ ün er. Ph Sn ® S 0-8 s Dr? en ? ‚EI © & ® e er or6 x N: R v r -»r ”- . [\ „in - 8 ZnT 6 > N ea) BILL ER = e Fe 8 , Er aA Te N RN et \ / \ R gur w ES y | . Rn En IL > ae I} * \ N ET Aeneon rg en? } LK \ e . FG N Re IL a BIO N 6) EU / $ “og 04 ’e Ni e / un 2 # \e \ ‚7? e| a s x ir kr 7 \ Abb. 3. Atrophie der Schilddrüse einer mit Thymus gefütterten Kaulquappe. Die Follikel sind welk und enthalten kein Kolloid. deutlich oder gar nicht erkannt werden kann. Denn morphologisch können wir an den endokrinen Organen nur schwerere Grade der Funk- tionsstörung feststellen und ich habe oftmals schon in meinen Arbeiten betont, wie wenig es uns mit dem Mikroskop möslich ist, den feinen Schwankungen der funktionellen Einstellung endokriner Organe zu folgen, wie sie sich immerfort abspielen. Überraschen kann die Feststellung von Schilddrüsenveränderungen bei Thymusfütterung in keiner Weise, im Gegenteil durfte man von vornherein mit etwas derartigem rechnen. Ist es doch ein biologisches Gesetz, nicht allein aus Erfahrungen der menschlichen Pathologie, sondern auch aus denen des Tierversuches abgeleitet, daß jede Um- Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 135 stimmung und Störung eines einzelnen endokrinen Organes sich am ganzen System geltend macht und in entsprechenden morphologischen und funktionellen Änderungen der einzelnen Teile zum Ausdruck kommt. Hierauf beruht das physiologische Wechselspiel der ständig schwankenden Konstellation im endokrinen System, sein harmoni- sches Ineinanderarbeiten, dem Harmonie in Gestaltung und Lebens- äusserungen des Organismus entspricht, hierauf auch der pluriglan- duläre Charakter pathologischer Zustände, die man wie beim Morbus Basedowi fälschlicherweise bis vor kurzem noch auf eine ausschließ- R a / u A m 2 t< TER uns d 6 m = = 1a ein \ mu .— vis - « na ‘ am ? ... < RL 7 & 0.0 f x - - [4 x ys \ [N 9" 24 7 re ” er N a IL eh 2 \ ‚ 6 ö p - er « « Pr er - .; ag v ’ 5 - v ” — I o . - w z en x = 0% ” _ . rn [Fr u . » > - % 7 Bi © S ‘u P7 Da ” Du S D > . # . x ®. Re En - HS e Y DB o “ = ET . 0 D IS r BE “ P \ € » > . s D “ e ’ Kine ‘ P} > Ri . e o % . ._ - en ® r r Abb. 4. Hochgradige Atrophie der Schilddrüse einer mit Thymus gefütterten Kaulquappe. liche Erkrankung eines einzigen endokrinen Organes zurückgeführt hat. Was insbesondere die Versuche an Kaulquappen anbelangt, so verweise ich auf die von Adler (a. a. ©.) erhobenen Befunde, die na- mentlich Veränderungen der Schilddrüse nach Exstirpation anderer endokriner Organe betreffen. Es ergibt sich somit die unbedingte Notwendigkeit einer freilich ziemlich mühseligen eingehenden mikroskopischen Untersuchung aller endokrinen Organe bei den uns beschäftigenden Versuchen. Nicht dann erst allein, wie Abderhalden (a. a. O.) schreibt, wird die Erfor- schung der endokrinen Funktionen eine sichere Grundlage erhalten, wenn die einzelnen wirksamen Stoffe isoliert und ihre Wirkung fest- gestellt werden kann, sondern diese Wirkung bedarf noch zweitens 136 C. Hart: einer besonders sorgfältigen Untersuchung im Hinblick auf den Weg, den sie über das endokrine System nimmt, auf ihren mittelbaren und unmittelbaren Charakter. Wie ich glaube, kann hier das Mikroskop noch gute Arbeit leisten, ehe wir die chemische Konstitution der wirk- samen endokrinen Stoffe gefunden haben. Es ist aber die Beurteilung der mikroskopischen Befunde großenteils eine recht schwierige. Denn wie ich selbst gesehen habe, handelt es sich großenteils nur um Größen- unterschiede, deren Wert besonders deshalb schwer abzuschätzen ist, weil einmal Größe und Funktion eines Organes bekanntlich keineswegs einander parallel zu gehen brauchen und weil zweitens das Verhalten der einzelnen Tiere im Versuch ziemlich verschieden sein kann. Gerade letztere Beobachtung läßt sich immer wieder machen und mahnt zur Vorsicht im Urteil. Was nun die Versuche mit Schilddrüsenfütterung anbelangt, so kommt ihnen deshalb eine besonders große Bedeutung zu, weil sie den Blick über die Ontogenese hinaus auf die Phylogenese zu lenken geeignet sind. Die Metamorphose stellt ja nicht nur eine einschnei- dende Entwicklungsphase im Individualleben vieler Tiere dar, die sich jahraus, jahrein immer wieder in gesetzmäßiger Weise abspielt und abspielen muß, wenn sie ihre fortpflanzungsfähige Reifeform er- langen sollen, so daß es sich also um einen artgemäßen, erblich voraus- bestimmten und festgelegten Vorgang handelt, sondern auch in der Phylogenese bedeutet es ein Ereignis von allergrößter Wichtigkeit, insofern es der Weiterentwicklung der Arten gedient hat, dem Über- sang gewisser kiemenatmender Wassertiere zur Lungenatmung und zum Landleben. Am schönsten zeigt uns der Axolotl unserer Aqua- rien (Siredon pisciformis) die Form, aus der sich die Molche weiter- entwickelt haben. Ist er doch die neotenische und dennoch fortpflan- zungsfähige Form der Molches Amblystoma, die sich aus irgendwelchen Gründen einmal erhalten hat und dann erblich fixiert worden ist. Zwar wissen wir, daß auch diese ‚totale‘ Neotenie keine völlig starre, unwandelbare ist, da bekanntlich zuerst Dumeril!), dann vor allem in jahrelangen Versuchen M. v. C’hawvin?) und nach ihr manchem anderen Forscher die Umwandlung der neotenischen Jugendform in die Molchform gelungen ist, aber das war immer mit viel Schwierig- keiten verbunden, von mancherlei Zufälligkeiten abhängig, in recht !) Dumeril, Observations sur la reproduction dans la menagerie des reptiles du museum d’histoire naturelle des Axlotls batraciens urodeles A branchies ex- terieures du Mexique sur leur developpement et sur leurs m&ötamorphoses. Nouv. arch. du museum d’hist. nat. I. % Paris 1866. ?) Marie v. Ohauvin, Über die Verwandlung des mexikanischen Axolotls in Amblystoma. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 25 Suppl. 1875 und 2%. 1876. — Über die Verwandlungsfähigkeit des mexikanischen Axolotls. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 41. 1885. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 137 verschiedener Weise erreichbar, so daß eigentlich die zweifellos gerade notwendige Summe der Bedingungen für die Umwandlung oder um- gekehrt die Gründe für das Verharren des Axolotls in seinem neote- nischen Zustande voll und ganz nie erkannt worden sind. Die tieferen inneren Gründe für die Metamorphose sowohl in der Phylogenese wie in der Ontogenese sind überhaupt ganz unklar geblieben, bis Guder- natschs Versuche Licht auf das große Problem geworfen haben. Wie schon gesagt, haben diese merkwürdigerweise niemand auf den Weg einer wahrscheinlich äußerst wichtigen und aussichtsreichen Forschung geführt, wenn wir von Babaks kurzer, aber wohl von ihm selbst nicht weiter verfolgten Anregung absehen. Ich glaube den Grund darin sehen zu dürfen, daß sich die Biologen überhaupt noch sehr wenig mit der Bedeutung des endokrinen Systems beschäftigt haben. Dabei steht heute fest, daß das endokrine System in einem früher ungeahnten und ganz unerhörten Maße die gesamte Entwicklung beherrscht und, wie das ja Fischel!) auch ausgesprochen hat, fast vom Augenblick der Einnistung des Eies an durch Diosmose der inneren Sekrete aus dem mütterlichen Blute seinen bestimmenden Einfluß auf das Wachstum und die Entwicklung des Individuums, die hier allein ins Auge gefabt sein sollen, ausübt. Lebhaft beschäftigt mit der Frage der Entstehung besonderer in. dividueller Konstitutionen und ihre Beziehungen zum endokrinen System?), mit der Frage der Einpassung des Individuums mit seiner Kon- stitution in die Umwelt unter äußeren Bewirkungen, kam mir bei @u- dernatschs Mitteilung der Gedanke, durch das Studium der Metamor- phose zu gewissen grundlegenden Vorstellungen und möglichst auch zu ihrer exakten Begründung zu kommen. Die damals in meinem Institute in Gang befindlichen Untersuchungen Adlers zeigten die leichte Beeinflußbarkeit der endokrinen Organe bei Kaulquappen, insbe- sondere auch unter äußeren allgemeinen Wirkungen wie Hitze und Kälte, und die deutlichen Beziehungen der Metamorphose zu den Ver- änderungen der Schilddrüse, worüber Adler?) in einer schönen Arbeit berichtet hat. Gerade aber der Siredon pisciformis schien mir wegen der großen Beständigkeit seiner Neotenie ein Objekt zu sein, an dem nach dem Beispiele Gudernatschs weitergeforscht werden könne. Der Krieg hat mich dann verhindert, über meine unabhängig von Babak 1!) Fischel, Die Bedeutung der entwicklungsgeschichtlichen Forschung für die Embryologie und Pathologie des Menschen. Roux’ Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik 16. 1912. 2) Hart, Über die Beziehungen zwischen endokrinem System und Konstitution. Berl. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 45. ®) Adler, Untersuchungen über die Entstehung der Amphibienneotenie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 164, 1. 1916. 138 C. Hart: ausgeführten Untersuchungen an mehreren hundert Axolotln aus- führlich zu berichten, wozu noch kam, daß ich immer hoffte, zur histo- logischen Aufarbeitung des großen Materiales und damit zu einer breiteren Grundlage für meine Betrachtungen kommen zu können, die inzwischen zu einem Weiterschreiten auf dem eingeschlagenen Forschungswege geführt haben. Die Tiere, mit denen ich meine Versuche anstellte, entstammten zwei Zuchtpärchen, die unmittelbar aus Rovigno bezogen worden waren und dort einem alten Stamme (Amblystoma mexicanum) an- gehört hatten, in dem niemals eine spontane Umwandlung der neote- nischen Jugendform in die Molchform beobachtet worden war. Bei dem einen Pärchen war das Männchen ein Albino, woraus sich eine günstige Gelegenheit ergab, aus dem Laich für die verschiedensten Versuche natürliche, leicht erkennbare Kontrollen zu gewinnen. Ich berichte nur über die Versuche mit Schilddrüsenfütterung, die mit Kalbs-, Rinder-, Hammel- und Menschenschilddrüse vorgenommen wurden. Um das Ergebnis mit wenigen Worten vorauszunehmen: Ebenso wie bei Kaulquappen gelingt es beim Axolotl leicht, mit Schilddrüsen- fütterung die Metamorphose beliebig herbeizuführen und zu über- stürzen. Die Funktion der Schilddrüse ist offenbar bei allen Wirbel- tieren mit Metamorphose ein treibendes und beherrschendes Moment für diese. Schon ganz wenige kleine Bissen genügen zur Einleitung der Umwandlung des Axolotls und für den auffallend schnellen Ablauf ihrer wichtigsten Erscheinungen. Auch bei den entsprechenden Kaul- quappenversuchen tritt uns diese Tatsache entgegen. So sei auf Ab- derhaldens (a. a. ©.) Mitteilung verwiesen, daß auch dort nur äußerst geringe Mengen von Substanz genügen, um die sehr charakteristischen Wirkungen zu entfalten. Verwandte er doch nur 5—20 ccm einer Lösung von lg Trockensubstanz in 100 ccm physiologischer Koch- salzlösung. Ferner hat Romeis (a. a. O.) gezeigt, daß es genügt, die Eier während der ersten Furchungsstadien ein einziges Mal für 24 Stun- den in eine schwache Jodothyrinlösung zu bringen, um acht bis vierzehn Tage später die charakteristischen Schilddrüsensymptome auftreten zu sehen. Deshalb kommt auch nach meiner Meinung den Versuchen, den Wert therapeutischer Schilddrüsenpräparate durch Verfütterung an den Axolotl zu prüfen, keine allzu große Bedeutung zu, es müßte sich denn um den Nachweis der Abwesenheit von Schilddrüsensubstanz in den Präparaten überhaupt, also von Fälschungen handeln, die wir den in Betracht kommenden Firmen doch wohl nicht zutrauen dürfen. Die Umwandlungsversuche gelingen an Axolotln jeden Alters. Nur wenige Zentimeter lange wandeln sich in gleicher Weise um wie aus- gewachsene, am geeignetsten sind aber doch nach meinen Erfahrungen Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 139 die halb bis fast ganz ausgewachsenen Tiere, aus denen allein sich lebensfähige Landbewohner gewinnen lassen, wie sie sich unter natür- lichen Umständen etwa entwickelt haben könnten. Der Eintritt der Metamorphose bei noch ganz kleinen Axolotln, die unter natürlichen Verhältnissen noch weit von der Umwandlung entfernt wären, zeigt, welch gewaltige, unwiderstehliche Wirkung der Schilddrüse zukommt, deren im Übermaß zugeführte wirksame Substanz die Metamorphose einfach erzwingt. Alle Beobachtungen weisen darauf hin, daß der Organismus der Versuchstiere dem Übermaß von Schilddrüsenwirkung machtlos gegenübersteht und nicht fähig ist, den — wenigstens vom Darm aus zugeführten — spezifisch wirksamen Stoff etwa durch Umstellung im endokrinen System schnell zu neutralisieren, wenn ich mich kurz so ausdrücken darf. Die Um- und Neueinstellung des endokrinen Sy- stems, die wir bei übermäßigem Funktionieren eines endokrinen Or- ganes feststellen können, und die auch unter pathologischen Verhält- nissen der Herstellung eines Gleichgewichtszustandes, dem Bemühen um Harmonie, dient, ist offenbar nur möglich bei allmählichem Ein- treten der krankhaften Organfunktion bestimmten Grades, weil die physiologischen, schnell wirksamen Schwankungen ihre Grenze haben. Dabei ist die Breite der physiologischen Funktionsschwankungen endo- kriner Organe wahrscheinlich eine recht erhebliche, denn die Organe sind, wie das z. B. auch @Gley!) betont, auf eine Luxusfunktion ein- gerichtet und die jüngst noch von KRössle?) angeführte Tatsache, dab man die menschliche Schilddrüse bis auf ein Siebentel, das Pankreas bis auf ein Viertel, von den vier Epithelkörperchen zwei entfernen kann, ohne die Funktion wesentlich zu beeinträchtigen, zeigt, dab unter gewöhnlichen Lebensbedingsungen die volle Funktion der endo- krinen Organe (wie auch anderer) nicht in Anspruch genommen wird und sich nach den durch entsprechende Reize bedingten Anforderungen richtet. Erst wenn die endokrine Organfunktion die physiologische Breite etwa wie beim Morbus Basedowi überschreitet unter Bedin- gungen, die uns noch so gut wie ganz verborgen sind, kommt Unord- nung in das endokrine System, gestaltet sich das Leben krankhatt, fehlt dem Organismus die Kraft, des Übermaßes einer einzelnen endo- krinen Funktion Herr zu werden und einen Ausgleich zu schaffen. Die durch Schilddrüsenfütterung erzwungene Metamorphose des Axolotls ist im Hinblick auf diese Betrachtung besonders deshalb be- !) Gley, Die Lehre von der inneren Sekretion, ihre physiologischen Grund- lagen und ihre Anwendung in der Pathologie. Übers. von Al. Lipschütz. Abhandl. u. Monogr. a. d. Geb. d. Biol. u. Med. 1920, Heft 1. Bircher, Bern-Leipzig. ”) Rössle, Beiträge zur Kenntnis der gesunden und der kranken Bauch- speicheldrüse. Zieglers Beiträge z. allg. Path. u. pathol. Anat. 69, 163. 1921. 140 C. Hart: merkenswert, weil es eine alte, namentlich schon von M. v. Chauvin (a. a. O.) ausgesprochene Ansicht ist, die Neotenie beruhe auf einem endogenen, eingeborenen mächtigen Triebe, der den Wirkungen äu- ßerer Lebensbedingungen entgegenarbeite und nie ganz unterdrückt werden könne. Ob man nun annehmen will, es habe sich phylogene- tisch die Metamorphose, also die Weiterentwicklung, des Siredon pis- ciformis überhaupt nicht vollzogen, oder mit (ameranot), Wichand?) und besonders Weismann?) einen Atavismus annimmt, derart, daß gewisse Veränderungen der Lebensbedingungen die Amblystomen wieder auf die Stufe von Perennibranchiaten zurücksinken ließen, immer zeigt uns die nie zu spontaner Umwandlang führende Bestän- digkeit des Siredon pisciformis, wie fest verankert im Organismus, in seinen Erbsubstanzen, die Neotenie ist. Es muß eine erblich fixierte Einstellung des endokrinen Systems, eine bestimmte konstitutionelle „pluriglanduläre Formel‘ gegeben sein, die jede zur Metamorphose treibende Funktion der Schilddrüse hemmt und die wir nur durch einen Gewaltakt ihrer Bedeutung im Leben des Tieres berauben können. Bedenken wir, mit welch kleinen Gaben das gelingt, so erhalten wir zugleich eine Vorstellung, mit welch geringen Mengen endokriner Stoffe die großartigen Wirkungen im Organismus auch unter phy- siologischen Verhältnissen ausgeübt werden. Die Metamorphose des Axolotls unter der Schilddrüsenwirkung eingehend zu schildern erübrigt sich, da sie in nichts verschieden ist von der, wie sie namentlich M. v. Chawvin und spätere Untersucher beschrieben haben, wenn man vielleicht von ihrem schnellen Eintritt und stürmischen Ablauf absieht. Ich berühre daher, zumal es mir hauptsächlich auf große allgemeine Gesichtspunkte ankommt, nur einige, teilweise schon von Laufberger hervorgehobene, Einzelheiten kurz. Am auffallendsten ist natürlich der Schwund der Kiemenbüschel. Zunächst schwinden die feinen Zöttchen, die Kiemen nehmen eine Form an, wie sie sich spontan bei alten Axolotin ausbildet. Es bleibt gewissermaßen nur der Grundstock der Büschel mit den groben Ästen stehen. Auch diese schrumpfen weiterhin zusammen, werden zu kurzen, plumpen Stummeln, dann zu rundlichen, dicken knospenartigen Ge- bilden und schließlich kann der Schwund so weit gehen, daß der Rand der Kiemenspalte fast glatt ist und keine Spur der Kiemenbüschel mehr erkennen läßt. !) Oamerano, Intorno alla Neotenia ed all sviluppo degli Anfibi. Atti della acad. di Torino. 19. 1883/84. ?) Wichand, Über Neotenie bei Tritonen. Bl. f. Aquar.- u. Terrar.-Kunde 17. 1906. 3) Weismann, Über die Umwandlung des mexikanischen Axolotls in ein Am- blystoma. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Suppl. 25. 1875. — Studien zur Descendenz- theorie. Leipzig 1875. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 141 Die zweite auffällige Erscheinung, die gleichzeitig mit der Atrophie der Kiemenbüschel auftritt, ist die Rückbildung des mächtigen Ruder- schwanzes bzw. des langen Bückenkammes. Er wird eigentümlich welk, lest sich um und geht mehr und mehr verloren, bis vom Schwanz nur noch die fleischige Achse einen dünnen niedrigen Rest darstellt und auf dem Rücken sich über der Wirbelsäule eine mediane Furche aus- gebildet hat, wie man sie sehr schön auf den Abbildungen (Abb. 5 u. 6) Abb. 5. Lichtbild eines durch Schilddrüsenfütterung umgewandelten Axolotls. Fast ausge- wachsenes Tier. */, der natürlichen Größe, erkennen kann, die überhaupt besser als viele Worte die Wirkung der Schilddrüsenfütterung zeigen. Zugleich mit diesen Veränderungen findet eine deutliche Umgestal- tung des Kopfes, aber auch des Rumpfes statt. Was die Kopfform an- belangt, so vergleicht man am besten die Abbildungen der metamor- phosierten Tiere mit dem weißen Kontrollaxolotl der ersten Abbildung. Bei der Metamorphose wird der Kopf länger, lanzettförmig, vorn zu- gespitzt, zugleich niedriger und die Augen geraten in eine ausgespro- chen seitliche Lage. ‚Jeder, der einen Axolotl aus dem Aquarium genau kennt, wird mit Verwunderung die Veränderung des Kopfes wahr- nehmen, wie sie besonders auch auf der Seitenansicht der Tiere zum Ausdruck kommt. Dadurch, daß der Rumpf in seinem vorderen Ab- schnitte höher und schmäler wird, zeigt die Seitenansicht etwas, das an Bilder von alten Sauriern erinnert. 142 C. Hart: Zwei Beobachtungen möchte ich ferner noch besonders hervor- heben. Das ist einmal der ausgesprochene Exophthalmus, den alle vollkommen metamorphosierten Axolotl aufweisen und zweitens die Prognathie. Ich erkläre mir den ersteren im wesentlichen aus der übermäßigen Schilddrüsenwirkung, ähnlich wie beim menschlichen Morbus Basedowi, indem ich es dahingestellt sein lasse, wieweit die Umformung des Kopfes dabei eine Rolle spielt. Ganz auf letztere beziehe ich aber das starke Vorstehen des Unterkiefers, der bei seinem festen Gefüge nach meiner Meinung nicht den Veränderungen des knorpligen Kopfskelettes in genügend schnellem Maße oder überhaupt nicht zu folgen vermag. Am stärksten ausgeprägt waren Exophthalmus und Prognathie bei dem am längsten am Leben gehaltenen Tier, auf dessen nach der Natur gemaltes Bild (Abb. 7) ich hiermit verweise. Abb.6. Lichtbild eines durch Schilddrüsenfütterung umgewandelten Axolotls. Halb erwachsenes Tier. °/, der natürlichen Größe. Schließlich will ich noch hervorheben, daß während der durch Schilddrüsenfütterung unterhaltenen Metamorphose unter wiederholter Häutung, die natürlich auch bei dem Schwinden des Ruderschwanzes eine Rolle spielt, eine bemerkenswerte Pigmentverschiebung stattfindet, die zu besonders mikroskopisch sehr interessanten Bildern führt, über die ich später einmal näher zu berichten beabsichtige. Der Einfluß endokriner Organe auf die Pigmentverhältnisse ist uns längst wohl- bekannt und auch in den Kaulquappenversuchen fast regelmäßig be- obachtet und erwähnt worden. Indem man den in der Metamorphose begriffenen AxolotIn immer wieder von Zeit zu Zeit etwas Schilddrüse gibt, kann man die Häutung in einem solchen Maße anregen und über- stürzen, daß eine die andere jagt, ohne daß ein rechter Ruhezustand der Haut eintritt. Ergibt sich hier vielleicht ein neuer Ausblick aut endokrine Auslösung und Beeinflussung der Häutung ? Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 143 Alle metamorphosierten Axolotl sind kleiner und leichter als vorher. Zuweilen und besonders bei den vollständig umgewandelten Tieren ist dieser Unterschied sehr beträchtlich. Die Größenabnahme beruht natürlich zum Teil auf dem Verlust des Ruderschwanzes und der ganzen Umgestaltung des Körpers. Es läßt sich aber sehr leicht erkennen und feststellen, daß eine große Bedeutung Änderungen im Wassergehalt der Gewebe zukommt, wie solche schon physiologisch bei der Reifung und dem Altern auch des menschlichen Organismus eine Rolle spielen. Bei mit Schilddrüsensubstanz gefütterten Kaulquappen kann man die Änderungen des Wassergehaltes der Gewebe besonders schön sehen. Romeis (a. a. ©.) stellte bei manchen seiner Versuchstiere eine in kür- zester Zeit erfolgende Gewichtsverminderung auf etwa 70 %, des An- fangsgewichtes fest. Auch auf Abderhaldens Bemerkung über den Wassergehalt der Gewebe sei hingewiesen. Bezüglich der Bedeutung der Schilddrüsenfunktion für den Wasserhaushalt bezieht sich Romeis auf Eppingers Beobachtung, nach der Schilddrüsenfütterung auch beim Menschen eine diuretische Wirkung übt. In der Pathologie kennen wir aber längst das Myxödem, die wäßrige Gewebsquellung, als Folge des Schilddrüsenausfalles. Vielleicht kommen wir einmal dazu, die Beziehungen bestimmter Einstellungen des endokrinen Systems in den verschiedenen Lebensaltern zum Wassergehalt des Organismus genauer kennenzulernen. Unter diesem Gesichtspunkte ließe sich gewiß die Tatsache betrachten, daß ein neugeborenes Kind 66—89 %, ein Er- wachsener aber nur 55% Wassergehalt besitzt, der mit dem Altern des Organismus immer weiter sinkt!). Zum großen Teile beruht aber die Größen- und Gewichtsabnahme der umgewandelten Axolotl auf einer mangelhaften Nahrungsauf- nahme. Die metamorphosierenden Tiere hören nämlich auf zu fressen, was bekannten Erfahrungen entspricht. Ob das darauf beruht, dab die Metamorphose das Nahrungsbedürfnis zeitweilig herabsetzt oder !) bechhold, Die Kolloide in Biologie und Medizin, 4. Aufl. Steinkopff, Dresden-Leipzig 1922. Pflügers Archiv f, d. ges. Physiol. Bd. 196, 10 144 C. Hart aufhebt, wobei dann nur Körpersubstanz verbraucht wird, oder ob, wie es namentlich von Loos!) behauptet worden ist, die Tiere nicht fressen können, ist eine alte Streitfrage, zu der ich nicht näher Stel- lung nehmen will. Meine Beobachtung über die Prognathie und eine mit ihr möglicherweise verbundene Störung der Mechanik des Kiefer- gelenkes sind, soweit wenigstens der künstlich metamorphosierte Axo- lotl in Betracht kommt, geeignet, die Ansicht von Loos zu stützen. Auch in den Raulquappenversuchen Romeis’ (a. a. O.) ist es übrigens, wie ich hier bemerken will, zu Mißbildungen der Mundöffnung ge- kommen, die ein Schließen derselben unmöglich machten. Doch wie dem auch sei, jedenfalls besteht bei den in Umwandlung begriffenen Axolotln ein schwerer Hungerzustand, den man fast nur durch künst- liche Ernährung bessern oder hintanhalten kann. Ich sehe aber keinen Anlaß, auf ihn etwa die Häutung zurückzuführen, wie es Ruzicka 2) getan hat. Erhalten die Axolotl nur wenige Gramm Schilddrüsensubstanz, so bleibt die Freßlust bzw. das Freßvermögen leidlich erhalten oder stellt sich wieder her. Aber es kommt auch zweifellos die Metamorphose nicht zu völligem Abschluß. Will man diesen erzielen, so muß man immer wieder Schilddrüse verabreichen, was schließlich nur noch zwangsweise möglich ist, während die ersten Male die hingehaltenen Brocken gierig weggeschnappt werden. Erwarten muß man nament- lich, daß die metamorphosierten Axolotl spontan an Land gehen, so- mit sich als lungenatmend erweisen. Meine Versuchstiere wurden in einem l m langen und !/, m breiten Aquarium mit einem tiefsten Was- serstand von 10cm gehalten; ganz allmählich erhob sich aus dem Wasser eine feinkörnige Kieselsteinschicht, die vom Rande des Was- sers an noch mit einer Lage von Moos bedeckt war, das ständig feucht gehalten wurde. So oft auch die völlig umgewandelten Axolotl ins tiefste Wasser gesetzt wurden, strebten sie doch dem Lande zu und blieben im seichten Wasser liegen oder verkrochen sich in das Moos. Ich hatte den Eindruck, als seien die Tiere lichtscheu. Ein nach der Natur gemaltes Bild (Abb. 7) zeigt das Tier, bei dem mir die Um- wandlung am weitesten gelungen ist. Die hellen Hautflecke zeigten einen etwas gelblicheren Farbenton, die feine Runzelung der Haut ist nicht zur Darstellung gekommen, man sieht sie dafür sehr deut- lich auf den Lichtbildern (Abb. 5 u.6). Die Bauchhaut des gemalten Tieres sah weißlichgelb aus?). 1) Loos, Über Degenerationserscheinungen im Tierreich usw. Leipzig 1889. ?) Ruzicka, Restitution und Vererbung. Experimenteller, kritischer und synthetischer Beitrag zur Frage des Determinationsproblems. Roux’ Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik %3. 1919. ») Anmerkung bei der Korrektur. Erst nach Einreichung dieser Abhand- lung bin ich durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Geh.-Rat Abderhalden auf Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 145 Für die aus diesen Versuchen sich ergebenden Folgerungen bleibt es gleichgültig, ob die erzeugte Molchform in jeder Hinsicht der- jenigen entspricht, die bei natürlichem Eintritt und Ablauf der Meta- morphose hervorgebracht worden wäre. Die Versuche sind ja im Grunde recht gewaltsamer Art und arbeiten zweifellos mit einer Schild- drüsenwirkung, wie sie in der Natur unter normalen und wahrschein- lich auch abnormen Verhältnissen nicht vorkommt. Davon abgesehen aber darf die künstliche Metamorphose des Axolotls durch Schild- drüsenfütterung eine ganz besondere Bedeutung beanspruchen. Wie bei den Kaulquappenversuchen @udernatschs und späterer Forscher sehen wir den Eintritt und Ablauf der Metamorphose von der Funk- tion der Schilddrüse beherrscht. Bei den Kaulquappen ist die Meta- morphose eine rein ontogenetische Erscheinung, die physiologischer- weise und unter normalen Lebensbedingungen der Tiere zu einem ganz bestimmten Zeitpunkte der individuellen Entwicklung einsetzt und eine wesentliche artgemäße Phase der Reifung der Tiere darstellt. In dieser Hinsicht ist also die Metamorphose erblich fixiert. Wir müs- sen uns vorstellen, daß das endokrine System ein für allemal erblich so eingestellt ist, daß zu einem in engen Grenzen schwankenden Zeit- punkt der Entwicklung die Funktion der Schilddrüse in den Vorder- grund tritt, was in sehr verschiedener Weise vor sich gehen kann, und nun den Beginn der Umwandlung auslöst, sie weiter bis zur Vollendung beherrscht, während etwa die das Wachstum, die reine Massenzunahme, fördernde Thymusfunktion zurücktritt. Ein solches abwechselndes die Arbeiten Ed. Uhlenhuths aufmerksam geworden, die im Journ. of exper. med., Journ. of general physiol., Journ. of exper. zool. und in den Studies from the Rockefeller Institute for medical research in den Jahren 1915—1920 erschienen sind. Aus letzteren führe ich besonders an: Nature of the retar- ding influence of the thymus upon amphibian metamorphosis. Vol. 33, S. 147. 1920; Relation between thyreoid gland, metamorphosis and growth. Vol. 33. S. 249. 1920; Relation between metamorphosis and other developmental phe- nomena in amphibians. Vol. 34. S. 1. 1920. In diesen Aufsätzen führt Uhlen- huth den Nachweis, daß die Hemmung bzw. Verhinderung der Metamorphose durch Verfütterung von Thymus nicht etwa auf einer derart spezifisch wir- kenden Substanz dieses Organs beruht, sondern auf dem Nichtvorhandensein von Jod. Insbesondere ist die Häutung und die Rückbildung der Kiemen von der Anwesenheit mit der Nahrung aufgenommenen Jodes abhängig, was für andere Erscheinungen der Metamorphose nicht gilt. Außer dem Jcd ist nach Uhlenhuth für die Metamorphose noch eine während des Wachsums sich bil- dende ‚„sekretorische Substanz‘ wichtig, welche die spezifische Funktion der Schilddrüse auslöst. Hierbei spielen Temperatureinflüsse eine große Rolle. Auf gewisse bemerkenswerte Einzelheiten denke ich später näher eingehen zu können, hier sei nur kurz darauf hingewiesen, daß Uhlenhuth sehr schöne Bilder des umgewandelten Amblystoma tigrinum mit gelben Flecken und Streifen je nach der Temperaturwirkung bringt, an denen besonders auch der Exophthalmus, weniger gut die Veränderung der Kopfform zu sehen ist. 107 146 C. Hart: Hervortreten einzelner Organe in Wachstum und Entwicklung ist uns ganz allgemein wohlbekannt und ganz besonders begegnet man ihm auch an dem endokrinen System, wobei ja nur an die gewaltige Um- stellung der endokrinen Funktionen zur Zeit der Pubertät erinnert zu werden braucht. Die totale Neotenie des Axolotls ist natürlich auch eine ontogeneti- sche Erscheinung. Aber wenn auch die Metamorphose der Kaulquap- pen eine Wiederholung der Phylogenese in der Ontogenese, kurz nach dem schon von Wichand herangezogenen sogenannten biogenetischen Grundgesetz Häckels ausgedrückt, darstellt, so führt uns die Neotenie des Axolotls den wichtigen phylogenetischen Vorgang viel deutlicher vor Augen. Man nimmt allgemein an, daß ganz bestimmte Lebens- bedingungen, Eintlüsse der Umwelt, zu irgendeiner Zeit die Meta- morphose des Amblystoma verhindert und das Tier gezwungen haben, in einer neotenischen Form, die uns die nächst voraufgehende, tie- fere Entwicklungsstufe erblich fixiert, dauernd zeigt, der Umwelt sich anzupassen. Diese Einwirkungen müssen wohl sehr nachhaltiger Art nach Stärke und Dauer gewesen sein, da sie zu einer totalen Neotenie seführt haben, ohne krankmachend wirken zu dürfen oder gar die Lebensfähigkeit zu beeinträchtigen. Auch jetzt noch können wir immer wieder den Einfluß äußerer Lebensbedingungen auf den Eintritt und Ablauf der Metamorphose bei Kaulquappen namentlich erkennen. Denn besonders unter der Wirkung niedriger Temperaturen begegnen wir einer mehr oder weniger starken Verzögerung der Metamorphose in der freien Natur durchaus nicht selten, und wie diese sich bei den Einzelindividuen mancher Arten unter solchen ungünstigen Bedin- gungen bis in das nächste Jahr hinein verschieben kann, so ist es offen- bar eine allmählich entstandene Anpassungserscheinung, daß manche Arten überhaupt neotenisch überwintern, um erst im nächsten Früh- jahr und Sommer zu metamorphosieren. Nachdem wir so zu der Überzeugung gekommen sind, daß allem Anschein nach ganz allgemein, ontogenetisch und phylogenetisch, die Metamorphose sich vollzieht bzw. vollzogen hat unter dem beherr- schenden Einfluß der Schilddrüsenfunktion!), daß andererseits aber ') Eine experimentelle Hemmung dieser Funktion muß also auch den Ein- tritt der Metamorphose aufhalten. In der Tat macht Romeis auch die kurze Be- merkung, daß es ihm durch Thyreoektomie gelungen sei, eine mehrmonatige Verzögerung der Umwandlung bei Kaulquappen zu erzielen. (Romeis, Der Einfluß innersekretorischer Organe auf Wachstum und Entwicklung von Froschlarven. Die Naturwissenschaften, Jahrg. 8, S. 44, 860. 1920.) Ebenso gelang es Schulze neuerdings, bei Rana fusca durch Exstirpation der Schilddrüse Neotenie zu er- zeugen, die sich durch Fütterung mit Rinderschilddrüse beheben ließ. (Wern. Schulze. Weitere Untersuchungen über die Wirkung innersekretorischer Drüsen - substanzen auf die Morphogenie. Klin. Wochenschr. I. Jahrg. Nr. 18. 8. 895. 1922.) Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. IL. 147 die Metamorphose ganz zweifellos bestimmt wird durch die Wirkung äußerer Lebensbedingungen auf den Organismus, ergibt sich diese Folgerung ganz von selbst: Die äußeren Faktoren der Umwelt wirken bestimmend auf Eintritt und Ablauf der Metamorphose nur durch die Beeinflussung der Funktion der Schilddrüse. Damit ist eine feste Brücke geschlagen zwischen den beiden, be- sonders früher sich lebhaft bekämpfenden Anschauungen, deren eine das Ausbleiben der Metamorphose und die Bildung neotenischer, im Wasser bleibender Dauerformen auf äußere Einwirkungen zurück- führt, während die andere endogene Kräfte als wirksam annimmt, ohne sich freilich bisher von diesen eine klare Vorstellung bilden zu können. Welcher Art die äußeren Einflüsse auch sein mögen, wir werden heute nicht mehr mit M. v. Chauvin fragen, ‚ob die Beschaffen- heit des Wassers oder ob die umgebende Temperatur die Tiere beein- flußt oder ob ein innerer Impuls vorwiegend den Trieb zur Metamor- phose erweckt‘, sondern können mit Gewißheit sagen, daß äußere Fak- toren neben inneren und durch sie wirken. So ist also der Gegensatz zwischen den ‚Milieueinflüssen“ und andererseits den beispielsweise von Kollmann!) als für die Neotenie maßgebend angenommenen ‚in dem Organismus der Larven selbst wirkenden Umständen“ geschwun- den. Und selbst in der Hinsicht, daß verschiedene äußere Einwir- kungen in Betracht kommen, besteht Übereinstimmung, insofern durch- aus nicht behauptet werden soll, daß die Schilddrüse als einziges endo- krines Organ auf die Metamorphose Einfluß übt. So konnte beispiels- weise Abderhalden eine deutliche Förderung der Entwicklung bei Hy- pophsyenwirkung auf Kaulquappen erkennen. Auch weist Adler schon darauf hin, daß Hahn?) bei zufällig in Kulturen R. Hertwigs entstan- denen Riesenkaulgquappen Veränderungen der Hypophyse gefunden hat, über deren Bedeutung sich aber ebensowenig etwas Bestimmtes aussagen läßt wie über die von BDabak geäußerte Vermutung, die ihm durch Zerstörung gewisser Hirnteile?) gelungene Hemmung der Meta- morphose sei möglicherweise durch eine gleichzeitige Schädigung der Hypophyse bedingt gewesen. Dagegen ist auf Adlers (a. a. ©.) gelun- genen Versuch hinzuweisen, bei Temporarialarven den Eintritt der Metamorphose durch Wegbrennen der Hypophyse zu verhindern. In- dem Adler auf die Ansicht Kammerers verweist, daß auch die durch 1) Kollmann, Das Überwintern von europäischen Frosch- und Tritonlarven und die Umwandlung des mexikanischen Axolotls. Verhandl. d. naturf. Gesellsch. Basel 1884. ?) Hahn, Einige Beobachtungen an Riesenlarven von Rana esculenta. Arch. f. mikroskop. Anat. 80, 1. Abt.1I. 1912. 2) Babäk, Über die Beziehung des zentralen Nervensystems zu den Gestaltungs- vorgängen der Metamorphose des Frosches. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 109, 78. 1905. 148 C. Hart: Kastration bedingten Veränderungen in gewissem Sinne als Neotenie aufzufassen seien, meint er, es könne nicht zweifelhaft sein, ‚„‚daß tat- sächlich die Funktion des vieldrüsigen innersekretorischen Systems den Eintritt und den Verlauf der Metamorphose reguliert, daß die Blut- drüsen — in Einzel- oder Korrelativwirkung — einen direkten forma- tiven Reiz bei der Verwandlung der Larven abgeben‘. Aber alle wei- teren Untersuchungen werden schwerlich etwas an der Annahme än- dern, daß die Schilddrüsenfunktion am wichtigsten für Eintritt und Ablauf der Metamorphose ist, sei es, daß sie unmittelbar durch äußere Einwirkungen gesteigert wird, sei es, daß sie mehr mittelbar infolge des Wegfalls gewisser Hemmungen bei Umstellungen im endokrinen Sy- stem in den Vordergrund tritt. Für die hohe Bedeutung der Schilddrüse hat schon vor Jahren Adler (a. a. O©.) auf anderem Wege wichtige Stützen beigebracht. Er fand bei Hitzekulturen von Temporarialarven eine Verzögerung der Metamorphose bei histologisch mehr oder weniger stark verkleinerter, aber einen normalen Bau aufweisender Schilddrüse, bei Kälte-Hitze- kulturen gleichfalls Verzögerung der Umwandlung mit noch stärkerer Hemmung des Wachstums bei einer Atrophie der Schilddrüse, die manchmal einer völligen Zerstörung des Organs gleichkam, bei Hitze- Kältekulturen endlich eine bis zur gänzlichen Hemmung sich stei- gernde Hinausschiebung der Metamorphose, während die Schilddrüse starke Wucherung des Follikelepithels nebst Verflüssigung des Kol- loides aufwies. So konnte er bald Zwergfröschchen, bald Riesenkaul- quappen, auch Fröschchen mit äußeren Miß- und Hemmungsbildungen gewinnen mit ganz verschiedener Schilddrüsenstruktur. Mit Recht be- merkt Adler, daß sich hier der Weg zeige, auf dem exogene Lebens- bedingungen die Merkmale der Organismen zu verändern imstande sind. ‚Es erscheint zweifellos, daß die Thyreoidea unter dem Einfluß verschiedener extremer Temperaturen spezifische morphologische Ver- änderungen zeigt, und es ist daran zu denken, daß auch geringere Temperaturveränderungen jedesmal von einer entsprechenden funk- tionellen — wenn auch nicht morphologisch zum Ausdruck kommen- den — Einstellung gefolgt sind.“ Diese Ansicht entspricht in der Tat den Vorstellungen, die wir uns von den feinen fortwährenden Schwan- kungen der Funktionen im endokrinen System machen müssen. Wenn man sie im allgemeinen auch histologisch zum Teil gar nicht, zum Teil nur schwer wird erkennen können, so muß man doch. damit rechnen, vielleicht bei den unter verschiedenen klimatischen Verhältnissen lebenden Lokalrassen mancher Arten histologische Unterschiede der Schilddrüsen zu finden. Das ist in der Tat auch Adler gelungen, in- dem er feststellte, daß Froschlarven und metamorphosierte Frösche der von ihnen bewohnten Gegend bzw. deren Klima entsprechende Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 149 Schilddrüsen besitzen. Nach Adler haben nämlich die kältegewohnten Alpentiere relativ große Schilddrüsen mit vielen kleinen Follikeln, während die wärmeliebenden Adrialarven sich durch verhältnismäßig kleine Schilddrüsen mit wenig zahlreichen großen Follikeln auszeichnen und dem Klima in Mitteldeutschland entsprechend die Schilddrüsen der Frösche eine Mittelstellung zwischen den beschriebenen beiden Formen einnehmen. Noch in einer anderen Arbeit hat Adler!) nachgewiesen, daß die verschiedenen Lokalrassen von Grasfröschen starke Unterschiede im Verhalten der Schilddrüse zeigen, die um so interessanter sind, als sie möglicherweise in Zusammenhang mit der sexuellen Differenzie- rung stehen.. Es konnte nämlich festgestellt werden, daß in den bay- rischen Alpen (Ursprungstal) eine Lokalrasse von Grasfröschen vorkommt, bei denen sich im jugendlichen Alter eine Schilddrüse entsprechend dem histologischen Bau der menschlichen Basedowschilddrüse findet, während sie bei 1!/,jährigen und älteren Tieren derselben Gegend die gewöhnliche Struktur zeigt. Zugleich soll eine Markhyperplasie des Thymus vorhanden sein, die aber meiner Meinung nach nur mit größter Vorsicht zu beurteilen ist, nachdem der Begriff durch den bekannten schwedischen Anatomen und Thymusforscher Aug. Hammar stark erschüttert worden ist. Da bei den Grasfröschen des Ursprungtales als einziger Lokalrasse zudem von Witschi?2) ein bedeutendes Über- wiegen der ausgewachsenen Männchen festgestellt worden ist, glaubt Adler, daß die stark funktionierende Schilddrüse männchenbestimmend wirke. In einer weiteren Arbeit werde ich Gelegenheit haben, auf die Beziehungen der Schilddrüse zu der Keimdrüse ganz allgemein ein- zugehen, die Adler namentlich auch auf Grund seiner Untersuchungen über den Wirkungsmechanismus überreifer Eier annimmt. Hier ge- nügt uns die Feststellung, daß sich weitere Beweise für die Abhängig- keit der Schilddrüsenfunktion von den Einflüssen der äußeren Lebensbedingungen ergeben haben. Diese sind selbstverständlich sehr vielfältiger und verwickelter Natur, aber wir werden kaum fehlgehen in der Annahme, daß den Temperaturverhältnissen eine besonders wichtige Rolle zukommt. Ich sehe eine wichtige, freilich schwere Auf- gabe der Forschung darin, in möglichster Reinheit die einzelnen Be- dingungen in ihrer Wirkungsweise auf die endokrinen Organe zu er- mitteln, die sich unter den bequemen, allgemeinen Ausdrücken wie !) Adler, Experimentelle Untersuchungen über die sexuelle Differenzierung bei Rana temporaria. I. Der Wirkungsmechanismus überreifer Eier. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 23. 1920. ?) Witschi, Experimentelle Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Keimdrüsen von Rana temporaria. Arch. f. mikroskop. Anat. 85. 1914. — Studien über die Geschlechtsbestimmung bei Fröschen. Arch. f. mikroskop. Anat. Ss6. 1914. 150 €. Hart: Beiträge zur Bedeutung der innersekretorischen Organe usw. Klima und Milieu verbergen. In ihrem Zusammenwirken und Inein- andergreifen werden sie nicht minder verwickelt sein wie der innige funktionelle Zusammenhang im endokrinen System, der gleichfalls der Forschung noch ein weites Arbeitsfeld bietet. Unter Verallgemeinerung der über die Beeinflussung der Schild- drüse durch äußere Faktoren gemachten Erfahrungen bin ich!) zu der Aufstellung des biologischen Gesetzes gekommen, daß äußere Ein- flüsse auf den Organismus, wie sie sich aus den Lebensbedingungen (Er- nährung, Klima, Milieu) ergeben, im wesentlichen nur wirksam werden durch die Vermittlung des endokrinen Systems. Die äußere Bewirkung wandelt sich in eine innere um, es findet eine Transformation der Kräfte statt, die den äußeren Einfluß verfeinert und spezialisiert... Diese Um- wandlung äußerer Kräfte in innere durch das endokrine System dient einer von diesem ausgehenden und beherrschten Regulation des Organis- mus, infolge deren dem Individuum die Einpassung in die Lebensbedin- gungen seiner Umwelt ermöglicht wird. Die Lebens- und Entwicklungs- möglichkeit der hier in Betracht kommenden Tiere liegt — in ontogene- tischer wie phylogenetischer Hinsicht — wesentlich begründet in diesem Gesetz der Umwandlung äußerer Kräfte in innere durch die endokrinen Organe. t) Hart, Konstitution und endokrines System. Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionsl. 6, 71. 1920. — Zum Wesen und Wirken der endokrinen Drüsen. Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 21, S. 533. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. Mitteilung. Der Einfluß abnormer Außentemperaturen auf Schilddrüse und Hoden. Von Prof. Dr. C. Hart, Berlin-Schöneberg. Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. März 1922.) Alle Lebewesen stehen dauernd unter dem Einfluß der in ihrer Um- welt gegebenen Lebensbedingungen. Die Entwicklung des Individuums von der Eizelle zur vollendeten Form, zum artgemäßen Phaeno- (Jo- hannsen) oder Paratypus (Siemens), vollzieht sich also nicht nur auf Grund vererbter Anlage sondern zugleich unter der fortgesetzten Ein- wirkung sehr verschiedener äußerer Faktoren, die im Gegensatz zu jener nicht ein für allemal vorausbestimmt sind, vielmehr großen ‚‚Zu- fälligkeiten‘ unterliegen. Nur insofern sind dieser äußeren Bewirkung Schranken gesetzt, als sie natürlich nur das aus dem Organismus her- ausholen kann während seiner Entwicklung, was Art und Stärke seiner art- und individualgemäßen Reaktion auf alle solche Reize möglich ist. Immer wird diese Reaktion ihre physiologischen Grenzen haben, innerhalb deren ein ‚normales Individuum sich entwickeln kann, außerhalb deren es aber zur Bildung pathologischer Formen oder zum Untergange kommt. Inwieweit dann bei krankhafter Entwicklung noch eine Fortpflanzung unter Erzeugung wieder normaler Früchte möglich ist oder es zur Entstehung fortpflanzungsfähiger „patholo- gischer Rassen‘ kommt, von denen man jetzt häufiger in der mensch- lichen Konstitutionspathologie spricht, hängt von der Schwere der Schädigung ab. | Will man experimentelle Beweise für die Wirkung der äußeren Lebensbedingungen auf die individuelle Entwicklung verlangen, so genügt es, aus ihrer Fülle vielleicht besonders im Hinblick auf unsere zu besprechenden Untersuchungen die Versuche Fischers!) und Stand- !) Fischer, Transmutation der Schmetterlinge infolge Temperaturverände- rungen. Experimentelle Untersuchungen über die Phylogenese der Vanessen. Berlin 1895. — Experimentelle Untersuchungen über die Vererbung erworbener Eigenschaften. Allg. Zeitschr. f. Entomol. 6/%. 1901/02. 152 O0. Hart: /uß’*) an Schmetterlingen, vor allem aber die Towers?) am Kolorado- käfer (Leptinotarsa) anzuführen, die bekanntlich im Hinblick auf die Vererbung erworbener Eigenschaften lebhaft erörtert worden sind. Andere Versuche z. B. von Kammerer, Hertwig und Adler beanspruchen deshalb unser besonderes Interesse, weil sie an Tieren mit endokrinen Organen angestellt worden sind, die ja im Brennpunkte unserer Be- trachtungen stehen. Aber auch die Phylogene das „Werden der Organismen“, kann sich nur unter dem Einfluß der äußeren Lebensbedingungen vollzogen haben. Jene Erbfaktoren, die ganze Erbmasse in ihrer unüberseh- baren Verwickeltheit, von denen in erster Linie die Entwicklung des Individuums abhängt, sind alle erst entstanden zu denken unter äußeren Bewirkungen. Es wird sich in Zukunft immer deutlicher zeigen, d. h. streng wissenschaftlich beweisen lassen, daß die Idiomutationen auf äußere Einflüsse zurückgehen, wie sprunghaft sie uns oftmals auch erscheinen mögen. Stellen wir uns dann aber vor, daß die Selektion, dieser zweite wichtige Entwicklungsfaktor in der Phylogenese, der Festigung des Neugewordenen, seiner Nutzbarmachung für die Art selbst und damit der Weiterentwicklung der Arten dient, so ergibt sich die große Bedeutung, die namentlich der Häufigkeit der Mutation zukommt. Über diese schrieb soeben Morgan®): „Die Entdeckung neuer Mutantentypen bei fast jeder Pflanze und jedem Tier, das sorgfältig untersucht wurde, weist doch auf das sehr allgemeine Vorkommen mutativer Veränderungen hin, und die große Mannigfaltigkeit der Ty- pen, die wir bei fast allen unseren Haustieren und Kulturpflanzen finden — Varietäten, die den Mendelschen Gesetzen folgen — scheint eine weitere Bestätigung der Anschauung zu liefern, daß der Muta- tionsprozeß weitverbreitet ist.‘‘“ Dabei ist es in hohem Grade beach- tenswert, daß die gleiche Mutation wiederholt und gleichzeitig in der Mehrzahl auftreten kann, aber leider ist die Erforschung der Erschei- nung. deshalb äußerst erschwert, weil die Mutation, wenn die mu- tierten Gene recessiv sind, einige Generationen früher, als sie in Erscheinung tritt, sich abspielt. Wie aber gesagt, stehen alle diese Vorgänge im wesentlichen unter dem Einfluß äußerer Wirkungen, die somit das treibende Moment in der Phylogenese sind. Auch heute noch! Denn die Lebensbedingungen der Umwelt wirken fort und fort auf die Organismen und so müssen und können wir uns auch den Men- schen mitten drin stehend in der Phylogenese denken und es ist falsch, 1) Standfuß, Experimentelle zoologische Studien an Lepidopteren. Denkschr. d. Schweiz. naturf. Gesellsch. 36. Basel 1898. ?) Siehe ©. Hertwig, Das Werden der Organismen. 2. Aufl. Fischer, Jena 1918. ?) Morgan, Die stoffliche Grundlage der Vererbung. Deutsch von Nachtheim. Bornträger, Berlin 1921. Beiträge zur biologischen Bedeutung der. innersekretorischen Organe. Il. 153 ihn als artfest zu bezeichnen (Martiust). Freilich sind wir nicht in der Lage, in der kurzen überblickbaren Zeitspanne des historischen Men- schen etwas von einer phylogenetischen Veränderung seines Organis- mus wahrzunehmen, auf die uns dennoch viele Befunde hinweisen. Progressive Variationen, wie wir sie beispielsweise von Auge?) betont finden, sind aber etwas ganz anderes als ganze individuelle Erschei- nungsformen, die man unberechtigterweise unter periodischen äußeren Einflüssen sich entstanden denken wollte. ?) Wie in der vorhergehenden Abhandlung darzutun versucht worden ist, wirken die äußeren Lebensbedingungen durch die Vermittlung der endokrinen Organe auf den Organismus, indem sich gewissermaßen die äußeren Kräfte in innere umwandeln und damit spezialisieren. Daraus läßt sich für die ontogenetische Entwicklung des einzelnen Individuums wie auch für die Phylogenese, die Einpassung der Or- ganismen in die Umwelt und damit die Beständigkeit und Erhaltung der Arten, die ungeheure Bedeutung des endokrinen Systems ableiten, von der wir erst neuerdings eine rechte Vorstellung zu gewinnen beginnen. Auch der Mensch läßt uns deutlich den Einfluß der äußeren Le- bensbedingungen auf die Funktion der endokrinen Organe und deren Auswirkung in mannigfachen Störungen morphologischer und funk- tioneller Natur erkennen, Sehen wir ab von der nach meiner Überzeu- gung im Grundgedanken richtigen, aber der Stütze eines strengen Be- weises zurzeit noch ganz entbehrenden, auch zu sehr schematisierten Ansicht des bekannten englischen Anatomen Keith*) über die Bedeu- tung der endokrinen Organe für die Entstehung der menschlichen Rassen, lassen wir auch die Erfahrungen über den endemischen Kropf aus dem Spiele, die sich durchaus im Sinne der Bildung einer patho- logischen Lokalrasse unter äußeren, die Schilddrüsenfunktion stören- den Einflüssen verwerten lassen, so sind namentlich während des Krie- ges und der ihm noch folgenden Hungerzeit gesammelte Beobach- tungen anzuführen. Für die Wissenschaft dürfen natürlich nur strenge Beweise gelten. Es ist in der Tat nichts weiter als eine Vermutung, wenn v. Hentig®) in einer geistreichen kleinen Studie über den !) Martius, Pathogenese innerer Krankheiten. Deuticke, Wien 1899—1908. — Konstitution und Vererbung in ihren Beziehungen zur Pathologie. Verlag von Julius Springer, Berlin 1914. 2) Ruge, Die Körperformen des Menschen in ihrer gegenwärtigen Abhängig- keit und ihrem Bedingtsein durch den aufrechten Gang. Engelmann, Leipzig 1913. ®) Albu, Die Bewertung der Visceralptose als Konstitutionsanomalie. Berl. klin. Wochenschr. 1909, S. 225. *) Keith, On the differentiation of mankind into racial types. Lancet 1919, Nr. 5013. 5) v. Hentig, Über den Zusammenhang von kosmischen, biologischen und sozialen Krisen, Mohr, Tübingen 1920. 154 C. Hart: Zusammenhang von kosmischen, biologischen und sozialen Krisen zu der Annahme kommt, ‚daß möglicherweise unter dem Einfluß ge- waltiger physikalischer Agentien, deren spezifischer Effekt sich nicht nur aus dem Grade ihrer Stärke, sondern auch aus einer gewissen Dauer der Einwirkung erklärt, unter dem Anstoß atmosphärischer und tel- lurischer Umwälzungen, sowohl für biologische wie für die gemein- same Gruppe der politischen, sozialen und religiösen Krisen Störun- gen innersekretorischer Natur als gemeinsame Ausgangspunkte an- zunehmen sind‘. Wichtiger erscheinen dem gegenüber folgende An- gaben. Curschmann!) und Hinz?) haben über Erscheinungen des Hy- pothyreoidismus infolge der qualitativ unzureichenden Kriegsernäh- rung berichtet. Wiederholt hat man auch auf Beziehungen der Ödem- krankheit zu Störungen der Schilddrüsenfunktion hingewiesen und von jenen Fällen leichten Myxödems bis zu dieser tödlichen Stoffwechsel- störung alle möglichen Übergänge angenommen. Weiter hat Sehrt?) auf die Schädigung der Schilddrüse und Nebenniere nicht nur beim Menschen, sondern auch bei unseren Haustieren unter der Hungersnot hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß die Ausbeute der chemischen Industrie an Adrenalin aus den Nebennieren und an ge- nügend jodhaltigen Präparaten aus der Schilddrüse schließlich so ge- tingfügig wurde, daß sich diese Herstellung nicht mehr lohnte. End- lich habe ich selbst eben eine Abhandlung über den Adrenalingehalt der menschlichen Nebennieren veröffentlichen lassen ®), aus der sich eine durchschnittliche Verminderung des Adrenalins um ein Drittel des Normalwertes unter der Wirkung der Hungerszeit erge- ben hat. Zweifellos muß man auch die Mitteilungen Moros®) über die krank- hafte Zunahme der Erregbarkeit des vegetativen Nervensystems im Frühjahr und die Bettmanns®) über die im Frühjahr eintretende Häufung gewisser Dermatosen, deren Beziehungen zum endokrinen !) Ourschmann, Hypothyreoidismus und Konstitution. D. Zeitschr. f. Ner- venheilk. 68/69. 1921. ®) Hinz, Kriegsernährung und Hypothyreoidismus. Med. Klinik 1920, Nr. 12, S. 313. 3) Sehrt, Blockade und innere Sekretion. Münch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 9, S. 268. 4) Peiser, Über die Beziehungen der Hungerblockade zur Funktion der Nebennieren. Münch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 7, S. 251. — Störungen der Adrenalinbildung in den Nebennieren unter äußeren Einflüssen und ihre biolo- gische Bedeutung. Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. %%, 234. 1922. 5) Moro, Über den Frühlingsgipfel der Tetanie. Münch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 45, S. 1281. — Übererregbarkeit des vegetativen Nervensystems im Frühjahr und Ekzemtod. Münch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 23, S. 657. 6) Bettmann, Über jahreszeitliche Schwankungen von Hautkrankheiten. Münch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 23,.8. 656. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. 155 System eben wahrscheinlich zu werden beginnen !), hier anführen. Äußert sich Bettmann nur unbestimmt und allgemein dahin, ‚daß die Gesamt- heit der kosmisch-meteorologischen Bedingungen im Frühjahr in kom- pliziertester Weise den menschlichen Organismus beeinflußt und labi- lisierende und sensibilisierende Wirkungen ausübt, was im Grunde nichts Neues besagt, so faßt Moro den Kern der Sache in folgende Worte zusammen: ‚Der Frühling ist die Zeit der inneren Sekretion.‘ Von der Richtigkeit dieses Satzes ist wohl jeder überzeugt, der das Geschlechtsleben der Tiere ins Auge faßt. Hier sehen wir deutlich die wechselnde Einstellung des endokrinen Systems je nach der Jahreszeit. Die experimentelle Erforschung des Einflusses äußerer Lebens- bedingungen auf die endokrinen Organe kann natürlich mit einem so komplexen Begriff, wie ihn das Wort „Klima ausdrückt, nicht ar- beiten. Will man etwa seine jahreszeitlichen Schwankungen nachahmen, so wird man stets auf Teilwirkungen zurückgehen müssen. Um mit den Worten Lotzes?) zu reden: es gilt die einzelnen Bedingungen, von denen die Erfolge abhängen, zu ermitteln und sich nicht mit schönen poetischen Beschreibungen atmosphärischer Einflüsse auf den Orga- nismus zu begnügen, die bestenfalls in bequemer hippokratischer Be- trachtungsweise ganz allgemein einen ganzen Komplex von Erschei- nungen richtig darstellen. Einer der wichtigsten Faktoren des Klimas ist die Temperatur der Außenwelt, unter der ein Organismus lebt. Seine Bedeutung läßt sich auch am leichtesten im Versuch untersuchen, ohne daß es aber ganz gelingt, seine Wirkungen von denen anderer Faktoren, wie z. B. des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft mit unbedingter Sicherheit zu tren- nen. Das ist ja auch aus den Beobachtungen des Lebens in der freien Natur wohlbekannt. Ein heißer trockener Sommer oder kalter trockener Winter besitzt eine ganz andere Bedeutung beispielsweise wie ein hei- Ber feuchter Sommer oder kalter feuchter Winter. Daher braucht auch in den von mir angestellten Temperaturversuchen, die den Einfluß äußerer Lebensbedingungen auf die endokrinen Organe warmblütiger Wirbeltiere zeigen sollen, keineswegs die Wirkung verschiedener Tem- peratur ausschließlich gefunden zu sein, vielmehr will ich es ausdrück- lich dahingestellt sein lassen, ob etwa noch andere Faktoren bei den Veränderungen mitgewirkt haben. Hierüber werden fortgesetzte Un- tersuchungen Aufschluß geben. Es ist aber doch wohl die Bedeutung des Temperatureinflusses als so wesentlich anzusehen, daß andere Fak- toren zunächst wenigstens bei den folgenden Betrachtungen vernach- lässigt werden können. ‘) Brock, Thymus und Hautkrankheiten. Strahlentherapie 11, 2. 1920. *j Lotze, Allgemeine Pathologie und Therapie als mechanische Naturwissen- schaften. Weidmann, Leipzig 1848. 156 @: Hart: Ich benutzte zu meinen Versuchen graue Hausmäuse, die zunächst bei Zimmertemperatur gehalten wurden. Die zu den Wärmeversu- chen benutzten Tiere wurden vorher einige Tage lang in großen Glas- gefäßen auf den Brutschränken gehalten. Die abnorme Temperatur betrug in den Versuchen 32—40- C. Die Mäuse wurden nach verschie- den langer Zeit getötet oder unter der abnormen Wärmewirkung be- lassen, bis sie von selbst starben. Als Nahrung diente möglichst oft angefeuchtetes Brot. Die abnorme Kältetemperatur betrug 4—7C.; die Mäuse wurden ihr ohne besondere Vorbereitung unterworfen. Die Wirkung der verschiedenen abnormen Temperaturen auf die Schilddrüse war eine sehr auffällige und charakteristische. Der Befund war stets der glei- che, wenn auch un- ELSE TE N es verkennbar indivi- a NN Fa 5, ZEN BED ER duelle Unterschiede EIER de j ar Stärke DE in der Stärke der : Veränderungen fest- zustellen waren. Mit wenigen Worten ist das Wesentliche ge- sagt. So findet sich beispielsweise bei einer Maus, die 38 Tage lang bei hoher Temperatur gehal- ten wurde, dieSchild- drüse stark verklei- nert (Abb. 1), mit entweder ganz zu- Abb. 1. Hochgradige funktionelle Atrophie mit völligem Kolloid- sammengefallenen mangel in der Schilddrüse der grauen Hausmaus bei langdauern- oder nur ein enges der Wirkung hoher Wärme. spaltförmiges Lumen zeigen den Follikeln, die nirgends mehr eine Spur von Kolloid enthalten. Nur hier und da sind äußerst geringfügige Mengen einer feinkrümeligen Masse im Follikellumen zu finden. Die Epithelien sind kubisch, röt- lich durch Eosin gefärbt, mit zentral gelegenem runden und dunklen Kern. Das Zellprotoplasma erscheint auch bei starker Vergrößerung homogen und läßt nur einige ganz vereinzelte kleinste Vakuolen er- kennen. Hingegen zeigt eine andere Maus, die nur wenige Tage unter dem Einfluß abnorm hoher Temperatur gestanden hat, anstelle der welken, unregelmäßigen und dicht beisammenliegenden leeren Fol- likel zwar noch voll entfaltete Follikel mit einem hellen kubischen Epi- thel, aber auch hier fehlt die gleichmäßige Kolloidfüllung, statt deren Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. Il. 157 sich eine mit Eosin blaßrot färbende krümelig-fädige Masse findet, die nirgends das Lumen ausfüllt, sondern teils als halbmondförmiger Saum der Wand anhaftet, teils sich auch etwas mehr ausbreitet, während andererseits manche Follikel schon ganz leer sind (Abb. 2). Über dieses Bild finden sich alle Übergänge von der normalen Schilddrüsen- struktur zu jener erst beschriebenen hochgradig atrophischen je nach der Dauer des Versuches. Wie ganz anders zeigt sich hingegen die Schilddrüse einer lange bei abnorm niedriger Temperatur gehaltenen Maus. Hier sehen wir die Follikel prall gefüllt mit einem Kolloid, daß sich färberisch vom Fol- if 4 er ei . ya Te 5 age o..’ ° . . 8 Abb. 2. Herabsetzung der Funktion und Kolloidschwund in der Schilddrüse der grauen Haus- maus bei Wirkung hoher Wärme. likelinhalt normaler Schilddrüsen durch einen dunkleren Farbenton und größere Dichte unterscheidet (Abb. 3). Die kubischen Epithelien enthalten massenhaft Sekretvakuolen, das Kolloid liegt der Oberfläche des Epithelsaumes so eng an, daß die Zellgrenzen vielfach mit dem Follikelinhalt verschwimmen. Bei starker Vergrößerung zeigt das Kolloid eine ganz feinschaumige Beschaffenheit. Die unter der abnormen Temperaturwirkung entstandenen Ver- änderungen der Schilddrüse sind ausgleichbar und umkehrbar. Bringt man die Mäuse wieder unter den Einfluß normaler Temperaturen, so bildet sich stets wieder das histologische Bild aus, wie es uns gewöhn- lich entgegentritt und deshalb als normal bezeichnet werden kann. Andererseits zeigen Kältemäuse, die sich übrigens den Versuchsbedin- gungen gegenüber widerstandsfähiger als Wärmemäuse erweisen, nach 158 C. Hart: Verbringung unter abnorm hohe Temperatur und umgekehrt Wärme- mäuse unter der Wirkung abnormer Kälte ein histologisches Schild- drüsenbild entsprechend der letzten Temperaturwirkung, sofern diese nachhaltig genug gewesen ist. Was geht aus diesen Beobachtungen hervor? Wir sehen, daß ge- setzmäßig bei Hitzewirkung die Schilddrüse atrophiert, während sie umgekehrt bei Kältewirkung eine unverkennbar gesteigerte Funktion aufweist. Unter dem Einfluß der in der Umgebung der Tiere herr- schenden Temperatur stellt sich also die Schilddrüsenfunktion in bestimmter Weise ein, und zwar derart, daß die Funktions- änderung auch histo- logisch zu recht cha- rakteristischem Aus- drucke kommt. Die sewählten abnormen Temperaturen, unter denen die Hausmaus höchstens ganz vor- übergehend einmal unter natürlichen Ver- hältnissen zu leben kommt, sind also extrem genug, umsehr beträchtliche Schwan- kungen der Schild- drüsenfunktion zu be- dingen. Doch zeigt der letzteren Ausgleich- und Umkehrbarkeit, daß es sich noch nicht um dauernde Schädigungen handelt, sondern wohl gerade noch um die Gren- zen der physiologischen Einstellung, die sich fortwährend in kleinsten Schwankungen abspielt und der Regulation der wichtigsten Lebens- vorgänge dient. Der spontane Tod der Hitzemäuse hängt nach mei- nen Feststellungen wesentlich mit den Störungen des Wasserhaushaltes zusammen. Abb. 3. Gesteigerte Funktion in der Schilddrüse der grauen Hausmaus bei dauernder Kältewirkung. Äußere Umweltwirkungen, wie in unseren Versuchen die abnormen Temperaturen, wirken also auf die Einstellung der Schilddrüse und durch deren regulatorische Tätigkeit weiterhin auf den Gesamtorganis- mus, auf dessen Einpassung in veränderliche Lebensbedingungen. Wenn wir uns der hohen Bedeutung erinnern, die der Schilddrüsenfunktion Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. 159 für den Stoffwechsel und insbesondere den Wärmehaushalt des Kör- pers zukommtt), so ergibt sich ohne weiteres aus den geschilderten Versuchsergebnissen, daß bei dauernd hoher Wärmewirkung die Atro- phie der Schilddrüse mit ihrer Hemmung der spezifischen Hormon- bildung der Herabsetzung des gesamten Stoffwechsels und der Wärme- bildung dient, während die Steigerung ihrer Funktion bei langwäh- render Kältewirkung den Stoffumsatz erhöht und der Anforderung erhöhter Wärmebildung gerecht wird. Sowohl die tatsächlichen Versuchsergebnisse als auch die aus ihnen gezogenen Folgerungen finden eine wertvolle Ergänzung und Stütze in den schönen Untersuchungen L. Adlers!) an der Schilddrüse winter- schlafender Tiere wie der Fledermaus und des Igels. Bei den Fleder- mäusen ergaben sich während des Winterschlafes histologisch die ver- schiedensten Grade einer regressiven Umwandlung der Schilddrüse. Es fanden sich alle Übergänge von leicht atrophischen Schilddrüsen zu solchen, bei denen die Rückbildung fast einer völligen Zerstörung gleichkam. Gegen das Frühjahr sah man zahlreiche neugebildete Fol- likel, und während im Sommer die Schilddrüse ein ganz normales Ver- halten darbot, zeigten sich im Herbst, oft schon vor Eintritt des Win- terschlafes, die ersten Merkmale der beginnenden Atrophie. Bei Igeln waren die Veränderungen während der verschiedenen Jahreszeiten we- 'niger auftallende. Im Winter zeigten sich die Follikelepithelien nied- rig, fast platt, im Frühjahr hochkubisch bis zylindrisch. Das Kolloid war im Winter fast in allen Follikeln gerbsäurefest, im Frühjahr hin- gegen vorwiegend fuchsinophil, im Sommer aber fanden sich neben- einander Follikel mit bald der einen, bald der anderen Art von Kolloid, wie es nach der Vorstellung von Kraus?) beim Menschen dem nor- malen Verhältnis entspricht. Gehen schon aus diesen histologischen Verhältnissen mit größter Wahrscheinlichkeit Beziehungen der Schilddrüsenfunktion zum Wach- und Schlafzustand der Winterschläfer hervor, so ist dies durch Ver- suche Adlers (a. a. O.) völlig sichergestellt. Wenn er nämlich winter- schlafenden Igeln Schilddrüsenextrakt einspritzte, so stellte sich sehr bald eine starke Zunahme der Atemtätigkeit ein und unter schnellem Ansteigen der Körpertemperatur erwachte das Tier und lief munter umher. Adler hat dann weiterhin nachgewiesen, daß das Schilddrüsen- sekret nicht die Erregbarkeit des Wärmezentrums, seinen ‚Tonus‘‘, t) Adler, Schilddrüse und Wärmeregulation (Untersuchungen an Winter- schläfern). Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 86, 159. 1920. — Über den An- griffspunkt der Blutdrüsenhormone bei der Wärmeregulation. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 8%, 406. 1920. ?) Kraus, Das Kolloid der Schilddrüse und Hypophyse des Menschen, Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 218. 1912. FR Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 11 160 C. Hart: reguliert, sondern an den peripherischen Stätten des Verbrauchs die Oxydationsprozesse anregt oder sie vielleicht überhaupt erst möglich macht. Indem Adler es für möglich hält, daß die endokrinen Organe verschiedene Stoffe für die einzelnen Verbrennungsvorgänge liefern und daß beispielsweise die Schilddrüse den Eiweißverbrauch, das Adre- nalsystem hingegen den Zuckerverbrauch regelt, sagt er: ‚Der Winter- schlaf ist eine Folge einer Hypofunktion der Schilddrüse und wahr- scheinlich auch der Hypophyse und der Nebennieren.‘ Aber nur der erste Teil dieses Satzes ist vorerst als sicher bewiesen zu betrachten, so richtig es auch sein wird, daß bei der innigen Zusammenarbeit des endokrinen Systems auch noch andere endokrine Organe in den Be- reich der Betrachtung zu ziehen sind. Man muß sich offenbar vor- stellen, daß bei den Winterschläfern infolge einer Atrophie der Schild- drüse im Herbst die gesamten Oxydationsprozesse zurückgehen und daß dadurch der Schlafzustand hervorgerufen wird. Die durch die Hemmung der Schilddrüsenfunktion bedingte mehr oder weniger er- hebliche Einschränkung des Stoffverbrauches ermöglicht ein langes Haushalten mit den aufgespeicherten Brennstoffen, bis im Frühjahr mit der Regeneration der Schilddrüsenfollikel und der Neubelebung ihrer Funktion eine regere Lebenstätigkeit wieder erwacht. Ist aber somit die Regulation wichtiger Lebensvorgänge des Organismus von dem Wechsel der Schilddrüsenfunktion abhängig, so darf weiterhin mit großem Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß zweifellos dieser Funktionswechsel seinerseits abhängig von mindestens einem Faktor atmosphärischer Einflüsse ist, nämlich von der in der Um- gebung herrschenden Außentemperatur, wie meine Versuche deutlich gezeigt haben. In diesem Sinne sehen wir also den Satz durchaus be- wiesen, daß äußere Einflüsse durch Vermittlung der endokrinen Or- gane auf den Körper wirken, dab eine Umformung äußerer Kräfte in innere stattfindet. Der Gegensatz der Versuchsergebnisse bei der grauen Hausmaus und den Fledermäusen bzw. bei dem Igel ist lediglich als ein schein- barer anzusehen. In Wahrheit handelt es sich um den Ausdruck der besonderen Einpassung der Arten in die Umwelt, die sich in der erb- lich fixierten besonderen Einstellung des endokrinen Systems zeigt. So kann im Grunde auch das negative Ergebnis der Schilddrüsen- fütterungsversuche, die Romeis und v. Dobkiewiez!) mit der Schmeib- fliege (Calliphora vomitoria) anstellten, nicht überraschen. Insekten und Wirbeltiere sind doch gar zu verschieden organisiert und in die 1) Romeis und v. Dobkiewiez, Experimentelle Untersuchungen über die Wir- kung von Wirbeltierhormonen auf Wirbellose. I. Der Einfluß der Schilddrüsen- fütterung auf Entwicklung und Wachstum der Schmeißfliege (Calliphora vomitoria). Arch. f. Entwicklungsmech, d. Organismen 47, 119. 1920. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. 161 Umwelt eingepaßt, als daß man bei ihnen ohne weiteres gleiche Wir- kungen der Schilddrüsensubstanz voraussetzen darf. Die graue Maus braucht in gleicher Weise Schutz gegen zu große Wärme wie Kälte unter Aufrechterhaltung eines physiologischen Optimums der Oxy- dationsprozesse und Wärmebildung. Das endokrine System, insbeson- dere die Schilddrüsentätigkeit, ist eingestellt für eine dauernde rege Lebenstätigkeit des ganzen Organismus in Sommer und Winter, wenn auch sie natürlich gewisse Schwankungen aufweist. Es wird also bei Wärme die Schilddrüse schwächer, bei Kälte stärker funktionieren, um ein gewisses Gleichmaß aufrechtzuerhalten. Bei den Winter- schläfern hingegen kommt für die Erhaltung des Lebens mehr oder weniger viel darauf an, daß sie die kalte, nahrungsarme Jahreszeit gut überstehen, die Einpassung in die Lebensbedingungen ist erfolgt durch eine besondere Einstellung der Schilddrüse — um diese allein ins Auge zu fassen —, die umgekehrt wie bei anderen Tieren unter der Kältewirkung atrophisch wird und unter Herabsetzung oder völliger Hemmung ihrer Funktion den der Erhaltung des Individuums wie der Art günstigen Schlafzustand herbeiführt. Ebensowenig wie die Schilddrüse das einzige endokrine Organ ist, das in bestimmter Weise auf äußeren Einfluß reagiert, ist dieser selbst übrigens immer einer und derselbe. Nur kurz will ich darauf hinwei- sen, daß man eine Degeneration der Schilddrüse auch durch einseitige Ernährung der Mäuse beispielsweise mit Mehl erzeugen kann, worauf schon Watson!) hingewiesen hat. Ich habe darüber mancherlei Be- obachtungen gesammelt?). Auch Adberhalden?) weist neuerdings wie- der mit Nachdruck auf die Feststellung hin, daß eine einseitige reiz- lose Nahrung zu schwerster Schädigung des Organismus führen kann und namentlich auch Unfruchtbarkeit der Versuchstiere bedingt. Er berichtet von Versuchen an Ratten, die als Nahrung entweder Bohnen oder Erbsen oder Reis oder Lupinen usw. erhielten. Alle Tiere ver- fielen einer schweren Entartung und büßten ihre Fortpflanzungsfähig- keit ein. Gelang es noch in den ersten Wochen der einseitigen Ernäh- rung Nachkommenschaft zu erzeugen, dann war diese minderwertig und die geworfenen Jungen starben gewöhnlich schon innerhalb der ersten zehn Tage nach der Geburt, niemals blieben sie aber am Leben. Im Hinblick auf meine späteren Angaben über die Degeneration der Hoden ist es schade, daß Adderhalden offenbar keine mikroskopische Unter- suchung der endokrinen Organe seiner Versuchstiere vorgenommen hat. 1) Watson, Journ. of exp. physiol. 5, 239. 1913. 2) Hart, Zum Wesen und Wirken der endokrinen Drüsen. Berl. klin. Wochen- schr. 1921, Nr. 21, S. 533. 2) Abderhalden, Neuere Untersuchungen über das Wesen und die Bedeutung der Nutramine (Vitamine). Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 4, S. 160. 1a 162 C. Hart: In einem früheren kleinen Aufsatze habe ich (a. a. O.) die regula- torische Tätigkeit der endokrinen Organe unter dem Einfluß äußerer Bewirkungen in Beziehung gebracht zu dem von Roux geschaffenen Begriff der Selbstregulation, die uns als eine Grundeigenschaft der elementaren lebendigen Substanz gilt und schon mehr als einmal als das Wesen des Lebens selbst bezeichnet worden ist. Diese Selbst- regulation im elementaren Leben der Zelle spielt sich aber nur unter der Wirkung äußerer Einflüsse ab, ist die Antwort der reaktionsfähigen lebendigen Substanz auf die mannigfachsten Reize. Wollen wir das Leben eines höher organisierten Individuums als die Summe unzäh- liser ständiger, der Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes dienender Reaktionen auf äußere Einwirkungen bezeichnen, so müssen wir auch Klarheit darüber zu gewinnen suchen, auf welchem Wege die auslösenden Reize an die Zellen herantreten und wie bei deren tausend- fältiger Differenziertheit eine dauernde Harmonie sich ergibt. Die in der Funktion der endokrinen Organe gegebene innige chemische Korre- lation mit ihrer Abhängigkeit von äußeren Einflüssen einerseits, ihrer Beherrschung der wichtigsten Lebensfunktionen, ihrer Wirkung durch die Körpersäfte auf alle Elemente des Organismus andererseits läßt uns jene Harmonie verstehen. Es ist, als habe sich der Organismus mit zunehmender Kompliziertheit ein besonderes System schaffen müssen (natürlich nicht in teleologischem Sinne), das als ein übergeordnetes Reaktionsgebiet auf äußere Reize die Eigenschaft der Selbstregulation besitzt und für das Ganze und seine Funktionen wirksam werden läßt, ohne daß die äußeren Reize notwendigerweise unmittelbar auf die ein- zelne Zelle wirken müssen. Immer wieder zeigt die Betrachtung, daß die Umwandlung äußerer Kräfte in innere durch das endokrine System einer von diesem aus- gehenden und beherrschten Regulation des Organismus dient, durch die offenbar eine Einpassung des Organismus in die Lebensbedingungen seiner Umwelt gewährleistet wird. Damit ist ein überaus wichtiges Moment für die Entstehung der Arten und Rassen in der Phylogenese gegeben. Ich zweifle nicht an der Berechtigung des Satzes, dab alle Lebens- und Entwicklungsmöglichkeit der Wirbeltiere in dem Gesetz der Umwandlung äußerer Kräfte in innere durch das endokrine Sy- stem begründet liegt. Die Einpassung der Individuen in nicht allzu jäh sich ändernde Lebensbedingungen läßt sich so gut verstehen, wäh- rend die Selektion zwar nicht als Neues schaffender, wohl aber als Neues erhaltender Faktor in voller Bedeutung anerkannt werden kann. Dabei bleibt freilich noch die Frage endgültig zu lösen, in welcher Weise sich der mit der Einpassung des Organismus in veränderte Lebensbedingungen verbundene Neuerwerb von Eigenschaften oder Reaktionsweisen auf die Nachkommenschaft überträgt. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. 163 Einem Verständnis näher führen uns vielleicht die Beobachtungen, die sich weiterhin bei den beschriebenen Temperaturversuchen ergeben haben. Es fanden sich nämlich sehr merkwürdige, wenngleich nicht bei allen Tieren gleich ausgeprägte Veränderungen in den männlichen Keimdrüsen, die etwas eingehender geschildert werden müssen. Bei einer nur fünf Tage unter hoher Außentemperatur gehaltenen Maus zeigen die Kanälchen des Nebenhodens ein schön ausgebildetes, durchaus normales Epithel, aber im Lumen finden sich neben massen- haften normalen Spermien zahlreiche unreife ein- und mehrkernige Zellen mit erheblichen Größenunterschieden und ferner viele blaß- rötlich gefärbte kernlose Zellschatten. Schon dieser Befund weist auf a es ve, o° "o A025 RR I ,;,® P. ) L e) F\ 7 “ 197 > J 0: » U} 20 ® en N de R% Is ls ef, 9 > Rn N f d g. ‚e3 13 X x „9 ee id we‘ PO Pl ' Fr - u Ey £ ® 4 . o 0° 5 vo he s m EC} .. e- R 5 S & os ds 7 BR } „oa ge T 20R SCH d 1%) u) ® a 7 o’- — "eo ı a» / 9. b 0,,0,0o A Re 7 „° ... ae 4277777 os e 9.709089 5 _ —s8% 0,2.IF NE Pen g Do BALL 5 Feyg 6 EZ} -) e..© eg £ SIERT ge, ES 7 TEA 2005 e 5% os ER 90, ,/® = 047] & I © ee£d nr Du 7 A RAT RN PN _ De FG EA FEN 2 58.0 GO GL = I en a0 „ei. # U RE re 3 Ns, ® LEITET BE FELD \.\Nfe ul DE RR TR BE 27N N \Neooo SET ALLES FRI SA DIN 7 .2- TR RP FEN me Sem Ä © Abb. 4. Atrophie der samenbildenden Epithelien im Hoden der grauen Hausmaus bei Wirkung hoher Wärme. Während das eine Kanälchen noch normale Verhältnisse zeigt, ist das andere bereits schwer geschädigt. eine Schädigung des Hodens hin. An ihm (Abb. 4) erkennt man dem- gemäß schon bei schwacher Vergrößerung ein sehr ungleichmäßiges Verhalten der Samenkanälchen. Zwar sind alle voll entfaltet und umgrenzt von einer zarten Basalmembran, aber in unmittelbarem Nebeneinander sieht man Kanälchen mit lebhafter Spermiogenese und solche, in denen sie fast ganz oder ganz aufgehoben ist, wobei neben dem Schwund der samenbildenden Zellen besonders zahlreiche große Riesenzellen auffallen. Kanälchen letzterer Art liegen namentlich an der Peripherie unter der fibrösen Hodenkapsel, doch besteht keines- wegs etwa ein scharfer Gegensatz zwischen zentralen normalen und peripherischen veränderten Kanälchen, da sich sowohl an der Peri- pherie in manchen Kanälchen lebhafte Spermiogenese, andererseits in zentralen eine schwere Degeneration feststellen läßt. 164 @. Hart: Was zunächst die besser erhaltenen Kanälchen anbelangt, so zei- gen auch diese zumeist bei starker Vergrößerung nicht mehr ganz normale Verhältnisse. Bei guter Erhaltung der einzelnen Schichten samenbildender Zellen, von denen sich gegen das Lumen ein Kranz wohlausgebildeter Spermien loslöst, fällt vielfach der Mangel aller Kernteilungstiguren auf, während zwischen den Spermatocyten und Spermatiden bereits große runde Riesenzellen mit wechselnd zahl- reichen, zum Teil sehr vielen Kernen und einem eigenartig schaumig vakuolisierten Protoplasma auftauchen. Die gleiche nur weniger aus- geprägte Protoplasmaveränderung läßt sich aber auch an den innersten Lagen einkerniger Zellen, also der Spermatiden, feststellen, zwischen denen zugleich rötliche runde Schatten von Zell-, vielfach aber auch nur Kerngröße wahrzunehmen sind, wie sie sich auch im Lumen der Kanälchen reichlich inmitten des zumeist dichten fädigen Inhaltes finden. Es ist also eine Degeneration der Spermatiden, teilweise auch der Spermatocyten vorhanden, die von dem an sich noch nicht viel besagenden Aufhören der Teilungsvorgänge und Spermienbildung sich bis zur Zellnekrose steigert, während die Spermatogonien unversehrt sind und noch Kernteilungen erkennen lassen. In manchen Kanälchen ist die Degeneration schon weiter vorgeschritten. Zwar finden sich in ihnen immer noch in Loslösung begriffene normal gebildete Sper- mien, aber fast die Gesamtheit der Spermatiden und auch der Sper- matocyten ist der Degeneration verfallen und in kernlose Schollen umgewandelt, wobei es ganz an Riesenzellen fehlen kann. Man ge- winnt den Eindruck, als habe sich der Degenerationsprozeß in diesen Kanälchen stürmischer als in den vorerwähnten abgespielt, indem be- sonders auch die Kernteilungen schnell unterdrückt und damit die Bildung von Riesenzellen verhindert worden sei. Zwischen den Bil- dern nach unserer Auffassung langsamerer Zelldegeneration mit Bil- dung von Riesenzellen und solchen schnellen Zellunterganges finden sich alle nur möglichen Übergänge. Der Schwund der Spermien geht im allgemeinen dabei dem Grade der Zellschädigung parallel, wäh- rend die schaumig-vacuoläre Protoplasmabeschaffenheit der unter- gehenden oder dem Untergange geweihten Elemente im wesentlichen in den Kanälchen stärker ausgesprochen ist, die das Bild einer lang- sameren Entartung aufweisen. In letzteren Kanälchen kann man zweifellose Bilder einer gestörten Spermienbildung wahrnehmen. Zunächst finden sich in Spermato- cyten mit unverkennbarer Protoplasmaschädigung und bereits ein- geleitetem Untergang noch Kernteilungsfiguren, die durch die Ver- klumpung und auch durch Absprergung von Chromosomen auffallen. Zwischen den teilweise noch gut erkennbaren, teilweise in rote Schollen umgewandelten Spermatiden liegen weiterhin kleine runde oder an- Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. Il. 165 deutungsweise ovale pyknotische Kerne, dann mehr spindlig ausge- zogene, den Spermien ähnelnde Kerne und dann auch solche, die ihnen zwar völlig in der Form gleichen, aber ganz erheblich größer sind. Die Chromatinmasse ist in solchen Kernen vielfach sehr ungleich- mäßig verteilt, bildet bald einen dunklen Halbmond, bald eine dunkle, dem Lumen zugewendete Kappe, endlich sieht man auch ganz unregel- mäßige Bilder. Sie zeigen uns offenbar eine unvollendete Spermiogenese mit degenerativen Veränderungen der Kernsubstanz. Bei zunehmender Schwere der Degeneration finden sich auch die Spermatocyten und Spermatogonien zerstört und in homogene runde, sich rötlich färbende Schollen umgewandelt. So können sich schließ- lich Kanälchen finden, die nichts weiter als eine basale Lage erhaltener Sertolischer Zellen aufweisen. Diese selbst zeigen sich stets unversehrt und bilden selbst bei schwerster Degeneration eine kontinuierliche ein- schichtige Lage auf der gleichfalls überall zart bleibenden Basalmem- bran. Die Zerstörung der inneren Zellagen ergreift nicht überall gleich- mäßig in ganzem Umfange die Zellen, sondern kann sich auch mehr herdförmig entwickeln und gegen die Außenhaut hin ausbreiten. Was die mehr oder weniger zahlreichen und verschieden großen Riesenzellen anbelanst, so sind sie meist rund oder etwas oval, zeigen aber auch teilweise eine unregelmäßige Protoplasmabegrenzung und selbst syncytialen Charakter. Die wechselnd zahlreichen Kerne lie- sen bald unregelmäßig im Zelleib zerstreut, bald nehmen sie als dich- ter Haufen das Zentrum ein, bald und selten bedingen sie auch in peripherischer Anordnung den Langhanstypus der Riesenzellen. Die Gestalt der Kerne ist rund, ein Chromatingerüst und Kernkörperchen zum Teil gut zu erkennen, während andere Kerne eine Pyknose ver- schieden schweren Grades und manchmal eine unregelmäßige Vertei- lung des Chromatins erkennen lassen. Die Riesenzellen entstehen offenbar sowohl aus den Spermatiden wie aus den Spermatocyten, vielleicht teilweise auch aus Sperma- togonien. Es ist aber schwer, ihre Ursprungszellen genau zu bestim- men. Nur bei noch nicht allzu weit vorgeschrittener Degeneration gelingt dies sicher aus der Lage und Größe der Riesenzellen. Bei weit vorgeschrittener Degeneration können sich im Kanälchenlumen nur noch Riesenzellen über den erhaltenen Sertolizellen finden. Auch die Rie- senzellen verfallen dem Untergange, so daß man also an ihnen viel- fach die Merkmale der Degeneration sehen kann. Sie spielt sich so ab, daß die Grenzen des Protoplasmas unscharf werden, wie ausge- franst erscheinen, während die Kerne allmählich verblassen und un- sichtbar werden. Mit dem toten Protoplasma bilden sie dann eine homogene schollige Masse. Wie bereits erwähnt, ist an letzterem als erstes Kennzeichen der Entartung eine vacuoläre Beschaffenheit fest- 166 C. Hart: zustellen, die bald gleichmäßig den ganzen Zelleib betrifft, bald nur im Zentrum oder der Peripherie ausgesprochen ist. Was schließlich noch das Verhalten der Zwischenzellen anbelangt, so findet sich keine Vermehrung. In ihrem Protoplasma sind teil- weise reichlich Lipoidsubstanzen nachweisbar, die den Zellen in den Paraffinschnitten oft ein wabiges Aussehen geben. Bei einer anderen Maus, die mehrere Wochen bei abnorm hoher Temperatur gehalten worden war, fehlt in den Kanälchen des Neben- Abb. 5. Hochgradige Degeneration der samenbildenden Epithelien, völlige Aufhebung der Spermiogenese im Hoden der grauen Hausmaus bei langer Wirkung hoher Wärme. hodens jede Spur von Spermien und man findet nur einen rötlichen feinkörnigen Detritus, in dem höchstens einige Schatten ein- und mehr- kerniger Zellen erkennbar sind. Im Hoden (Abb. 5) ist gleichmäßig die Spermiogenese völlig erloschen. Überall begegnet uns das Bild schwerster Degeneration. Die Mehrzahl der Kanälchen zeigt nur noch einen einschichtigen Belag von im übrigen gut erhaltenen, nirgends Wucherungserscheinungen aufweisenden Sertolizellen auf der immer zart bleibenden Basalmembran. Diese weist an solchen verödeten Kanälchen deutliche feine Fältelungen auf, nirgends sind aber die Kanälchen kollabiert. Über den Sertolizellen füllt das Lumen eine fädig-körnige Masse wechselnder Menge, die oft das Zentrum frei läßt Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. Il. 167 und zäh der Wand, anzuhaften scheint. In dieser Masse liegen zahl- reiche Riesenzellen der beschriebenen Art, oft mit degeneriertem Pro- toplasma und pyknotischen, auch verschieden großen Kernen. So- weit noch einkernige Elemente, also wohl hauptsächlich Sperma- tocyten und Spermatogonien, erhalten geblieben sind, zeigen sie zu- meist vacuoläre Entartung ihres Protoplasmas, die im übrigen am deutlichsten an den Riesenzellen sichtbar ist. Auch in diesem Hoden sind alle Übergänge von besser erhaltenen Kanälchen zu völlig ver- ödeten festzustellen. An den erhaltenen Zellen begegnet man sogar Kernteilungsfiguren, die freilich meist Verklumpungen erkennen las- sen. Bemerkenswert ist, daß auch in den Riesenzellen sich Teilungs- erscheinungen manchmal an allen Kernen zugleich wahrnehmen lassen. Auch ist hervorzuheben, daß sich vielfach Unregelmäßigkeiten der Teilungsfiguren und vor allem Absprengungen von Chromosomen zei- gen. Während der Kernteilung kann man die Zelle in Auflösung sehen, so daß die Chromosomen noch gut erkennbar in die fädig-körnige De- tritusmasse geraten, in der man sie vielfach in Gruppen und einzeln liegen sieht. Ja, je nach der vom Zelluntergang überraschten Phase der Kernteilung kann man Monastern und Diastern entsprechende Chromosomengruppen im Detritus erkennen. Nirgends führt die Kern- teilung zur Bildung von Spermien oder ihnen ähnlicher Elemente. Doch ist sicher die gestörte Kernteilung vielfach zum Ablauf gekommen. Wo sich normale Kerne gebildet haben, kann man das freilich nicht ohne weiteres feststellen, aber es haben sich z. B. Riesenzellen auf- finden lassen, in denen neben Kernen kleine Chromatinklümpchen, an- scheinend sogar einzelne Chromosomen zu sehen waren, woraus man wohl mit Recht auf eine abgelaufene fehlerhafte Kernteilung und zweitens auch auf die Entstehung der Riesenzellen nicht durch Kon- fluenz, sondern durch Ausbleiben der Protoplasmateilung schließen darf. Auch in solchen ganz schwer veränderten Hoden hat sich keine nennenswerte Vermehrung der Zwischenzellen, sondern nur eine An- reicherung mit lipoiden Substanzen nachweisen lassen, die ich auf die Resorption untergehenden Zellmaterials beziehe. Von den normalen Hodenbildern der Kontrolltiere zu den beschrie- benen Bildern schwerer Degeneration der samenbildenden Zellen haben sich je nach der Höhe der abnormen Temperatur und der Dauer ihrer Einwirkung alle stufenweisen Übergänge gefunden. Es hat sich genau verfolgen lassen, daß immer zuerst die letzte Ausbildung der Samen- täden gehemmt bzw. aufgehoben wird und daß die Schädigung der samenbildenden Zellen von den inneren Schichten, also den gereifteren Elementen, zu den äußeren fortschreitet. Obwohl ich selbst nähere Untersuchungen darüber nicht angestellt habe, dürfte es nicht schwer sein, die Grenze der optimalen Temperatur zu bestimmen, über die 168 C. Hart: hinaus es zu einer Hemmung der Spermiogenese kommt. Hierüber wird später berichtet werden. Im Gegensatz zu diesen Befunden an den Hoden der Wärme- mäuse hat sich in allen Fällen bei den Kältemäusen eine gut er- haltene, ja vielleicht sogar zuweilen gesteigerte Spermiogenese gefunden (Abb. 6). Fassen wir das Ergebnis unserer Untersuchungen kurz zusammen, so haben wir es also mit einer mit der Dauer der abnormen Hitze- wirkung zunehmenden, anfangs ungleichmäßigen Entartung des spe- zifischen Hodenparenchyms zu tun, die schließlich einer nahezu völligen Zerstörung der samenbildenden Zellen gleichkommt. Doch bleiben wohl immer einige Spermato- sonien erhalten, von denen eine Neubildung der Samen- zellen ausgehen kann. Denn ausgedehnte Versuche haben gezeigt, daß bei der Verbrin- .“ LIT Fre .* PB R gung der Hitzemäuse in eine > normale Außentemperatur die samenbildenden Zellen sich regelmäßig regenerie- ren und damit auch wieder normale Bilder der Spermio- senese auftreten. Es ist also die Schädigung des Hoden- parenchyms ausgleichbar, was auch die Feststellung an Abb. 6. Lebhafte Spermiogenese im Hoden der grauen Hitze-Kältemäusen lehrt. Hausmaus bei länger dauernder Kältewirkung. Die beschriebenen Bilder der Degeneration der samen- bildenden Zellen sind uns wohlbekannt. Wir begegnen ihnen nicht nur bei der soeben eingehend von @oette!) behandelten Atrophie der menschlichen Hoden im Verlaufe der verschiedensten, besonders chronischen und abzeh- renden Krankheiten, sondern auch bei den von Herxheimer?), Hoff mann?), 0° (0 © !) Goette, Beitrag zur Atrophie des menschlichen Hodens. Veröffentl. a. d. Kriegs- u. Konst.-Pathol. 1921, Heft 9. Fischer, Jena. ?) Herxheimer und Hoffmann, Über die anatomischen Wirkungen der Röntgen- strahlen auf den Hoden. Dtsch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 36. 3») Hoffmann, Über den Einfluß der Röntgenstrahlen auf den Kaninchenhoden. Inaug.-Diss. Bonn 1908. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. Il. 169 Simmonds!), Kyrle’) u. a. geschilderten Hodenschädigungen durch Röntgenstrahlen und Mesothorium, ferner durch Gifte, wie den Alkohol [Weichselbaum und Kyrle?)] und das Jod [Adler®)]. Die De- generation verläuft in allen Fällen wahrscheinlich in gleicher Weise und wird im wesentlichen nur graduelle Unterschiede aufweisen. Wenn ich aus dem Vergleich der beschriebenen Bilder mit solchen, die von mir mit Röntgenbestrahlung oder durch Jod geschädigte Mäusehoden zeigen, etwas hervorheben soll, so ist es die Feststellung, daß die Sper- mien sich nicht so gut erhalten zeigen wie bei der Röntgenbestrahlung der Hoden und dann das besonders reichliche Auftreten der Riesen- zellen. Die letzteren beherrschen bei den Hitzemäusen in einem ge- wissen Stadium völlig das Bild. Es ist nicht allzu schwer, sich die Verschiedenheit des Degenerationsbildes aus der Art, Schnelligkeit und Dauer der Hodenschädigung zu erklären, worauf hier näher nicht weiter eingegangen werden soll.-. Es mag die allgemeine Feststellung genügen, daß auch unsere Versuche Goettes Ausspruch berechtigt er- scheinen lassen, es sei die Spermiogenese ein besonders empfindlicher „Indikator“ für abnorme Vorgänge im Organismus. Man darf aber keineswegs nur an krankhafte Einflüsse auf das Hodenparenchym denken. Mit aller Bestimmtheit ist es auszusprechen, daß die oben be- schriebenen Veränderungen nichts anderes sind als der Ausdruck einer Ansprechbarkeit, die unter physiologischen Verhältnissen bereits eine Rolle spielt und von uns als Teilerscheinung einer jeweiligen Einstellung des endokrinen Systems aufgefaßt wird. Zur Begründung dieser Annahme läßt sich folgendes anführen. Wenn man die schwere, bis zu nahezu völliger Zerstörung der spezi- fischen Keimdrüsenzellen gehende Schädigung der Spermiogenese bei Einwirkung abnorm hoher Außentemperatur auf den Organismus er- klären will, kommen drei Möglichkeiten in Betracht. Erstens wäre es denkbar, daß die abnorme Wärme gleichzeitig mit der Schilddrüse und unmittelbar das Hodenparenchym zur Atrophie bringt. Zweitens könnte diese der Ausdruck der Hemmung und des Darniederliegens der Stoffwechselvorgänge infolge Schädigung der Schilddrüsenfunktion, also einer mittelbaren Wirkung der Schilddrüsenschädigung, sein. Drittens endlich wäre in Erwägung zu ziehen, ob nicht die Atrophie 1) Simmonds, Über die Einwirkung von Röntgenstrahlen auf den Hoden. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 14, 229. 1909. — Über Mesothoriumschädigun- gen des Hodens. Dtsch. med. Wochenschr. 1913, Nr. 47. ?) Kyrle, Über experimentelle Hodenatrophie. 14. Verhandl. d. Dtsch. path. Gesellsch. Erlangen 1910. ®) Weichselbaum und Kyrle, Sitzungsber. d. kais. Akademie d. Wissensch. Wien, math.-naturw. Klasse 121. 1912. *) Adler, Über Jodschädigungen der Hoden. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 73, 362. 1914. 170 ©. Haıt: der Schilddrüse einen unmittelbaren Einfluß auf die samenbildenden Zellen ausübt auf Grund physiologischer Beziehungen der Schilddrüsen- funktion zur Spermiogenese. Eine sichere Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten, die mir nach reiflicher Überlegung allein der Erörterung wert erscheinen, ist schwer zu treffen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Am unwahrscheinlichsten dünkt mir ein unmittelbarer Ein- fluß der abnormen Temperatur auf die Keimzellen, wie er etwa im Hin- blick auf die Versuche Towers an Leptinotarsa angenommen werden könnte. Andererseits spricht namentlich die Schwere der Hodenver- änderung gegen die Annahme, daß sie Ausdruck der allgemeinen Schädi- sung des Organismus durch die Wärme oder der Herabsetzung der Lebensvorgänge im Organismus infolge der Schilddrüsenatrophie sei. Während des Winterschlafes liegt natürlich auch die Spermiogenese dar- nieder, aber man wird vergeblich nach Bildern wie den beschriebenen suchen und vielmehr nur solche einer Atrophie finden, wie sie beispiels- weise @oette (a. a. ©.) als solche leichten Grades beschreibt. Und doch geht in meinen Versuchen die Atrophie der Schilddrüse teilweise eben- soweit wie bei den Fledermäusen unter natürlichen Verhältnissen. “ine Schädigung der Mäuse durch die Hitze unmittelbar ist mir um so weniger aufgefallen, als die Tiere ihre Freßlust bewahrten und sich bei den lange im Versuch gestandenen sogar recht reichliches Fett- sewebe vorfand. Ist das nun etwa wieder eine Wirkung der Hoden- atrophie? Die Erörterung derartiger Fragen führt zu leicht ins Ufer- lose, so lange nicht ein eindeutiges Versuchsergebnis vorliegt. Immer- hin will ich bekennen, daß ich geneigt bin, unmittelbare Beziehungen zwischen der Funktion der Schilddrüse und der Spermiogenese anzu- nehmen, wofür manches spricht und ich zur Zeit noch stichhaltige Be- weise suche. So sind z. B. augenblicklich noch Versuche im Gange, den Einfluß abnorm hoher Temperaturen auf die Schilddrüse durch Gaben wirksamer Schilddrüsensubstanz auszugleichen und dabei das Verhalten der samenbildenden Zellen zu prüfen, worüber später be- richtet werden soll. Besonders bemerkenswert mußten mir die regressiven Verände- rungen in den Hoden bei gleichzeitiger Atrophie der Schilddrüse er- scheinen im Hinblick auf den schon vor Jahren in meinem Institut von Adler (a. a. ©.) geführten Nachweis, daß unter den hodenschädi- senden Giften namentlich auch das Jod eine wichtige Rolle spielt. Mit Peptonum jodatum, Natrium jodoalbuminatum, Jodvasogen und Lugolscher Lösung subcutan vorbehandelte Kaninchen erwiesen sich steril und in den Hoden fanden sich leichtere und schwerere, bis zu völliger Zerstörung der samenbildenden Zellen gehende Degenerati- onen des spezifischen Parenchyms, die im wesentlichen dem Bilde der Röntgenschädigung der Hoden entsprachen und auch, wie ich Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 171 mich aufs neue überzeugt habe, keine grundsätzliche Abweichung von den oben beschriebenen Bildern erkennen lassen. Adler kam damals zu der Ansicht, daß es sich ausschließlich um eine Wirkung des mole- kularen Jodes handle, was besonders daraus hervorzugehen scheint, daß die Wirkung der Jodpräparate ganz von der lockeren oder festeren Bindung des Jodes in den benutzten Präparaten abhängt. Auf Grund dieser Feststellung wäre zunächst der Frage nachzu- gehen, ob etwa der Jodgehalt des spezifischen Schilddrüsenhormones bei übermäßiger Bildung schädigend auf die Spermiogenese wirkt. Man wird also vor allem den menschlichen Morbus Basedowi ins Auge fas- sen, bei dem man eine Hyperfunktion der Schilddrüse als gegeben an- nimmt, während freilich neuerdings von den meisten Forschern auch eine Dysfunktion vermutet und vielfach sogar für am wesentlichsten gehalten wird. Die vorliegenden Angaben sind spärlich und wenig brauchbar. Zwar läßt sich bei weiblichen Basedowkranken oftmals eine Hypoplasie und ein durchaus mangelhaftes Funktionieren der Keimdrüsen feststellen, aber bezüglich der Hoden lauten die wenigen Angaben recht widersprechend. In der Monographie Chvosteks!) fin- den wir nur die Angabe, daß Walzberg und Kocher bei jugendlichen Basedowkranken je einmal auffallend kleine Hoden sahen und daß Pick wie Bonamour eine Abschwächung bzw. das Erloschensein der Geschlechtsfunktion in schweren Fällen betont haben, während Chrus- talew nur ganz allgemein bemerkt, die Hodenveränderungen pflegten weniger schwer als die der Ovarien zu sein. Demgegenüber besteht aber nach anderen Autoren umgekehrt sogar eine Steigerung der Ge- schlechtsfunktion?). Kein Wunder also, wenn C'hvostek nichts von spe- zifischen Basedowveränderungen der Keimdrüsen wissen will und viel- mehr, wie es wohl der allgemeinen Auffassung auch entspricht, die Anomalien der Keimdrüsen als die Teilerscheinung einer primären minderwertigen hypoplastischen Konstitution ansieht, auf deren Bo- den erst die Schilddrüsenstörung sich entwickelt bzw. zur Geltung kommt. Diese Ansicht habe auch ich3) in meinen Arbeiten über den Morbus Basedowi von jeher vertreten. Offenbar ist aber die Wirkung t) Chvostek, Morbus Basedowi und die Hyperthyreosen. Enzyklopädie der klinischen Medizin. Springer, Berlin 1917. | ?) Eine eingehende experimentelle Prüfung der Frage ist sehr wünschens- wert. Nach Monterosso (Arch. de Biol. 28. 1913) führt die Verabreichung von Schilddrüsensubstanz zu einer Degeneration der samenbildenden Zellen. Auch ist die Angabe Bleibtreus (Über den Einfluß der Schilddrüse auf die Entwicklung des Embryos. Dtsch. med. Wochenschr. 1907, Nr. 1, S. 15) beachtenswert, daß bei auffallend viel mit Schilddrüse gefütterten Kaninchen Sterilität nachweis- bar war. 2) Hart, Die Bedeutung des Thymus für Entstehung und Verlauf des Morbus Basedowi. Dtsch. Arch. f. klin. Chirurg. 104. 1914. 172 €. Hart: eines im Übermaß gebildeten jodhaltigen Hormons anders zu beur- teilen als die freien molekularen Jodes, wie sie eben beim Morbus Ba- sedowi nicht vorliegt. Für die Erklärung der Hodenveränderungen unter der Wirkung abnorm hoher Temperaturen kommt aber ohnehin die Überfunktion der Schilddrüse nicht in Frage. Es wurde ja im Gegenteil eine bis zu völligem Schwunde des Kolloides gehende Atrophie des Organs fest- gestellt. Ist vielleicht damit eine mangelhafte Entgiftung des Orga- nismus irgendwelcher Art verbunden, die zur Schädigung der samen- bildenden Zellen führen könnte? Verschiedene Annahmen ähnlicher Art sind möglich. Jedoch halte ich es nicht für angebracht, über sie alle in nähere Betrachtung einzutreten, die nach meiner Ansicht nicht über Mutmaßungen hinausgehen könnte. Ich will mich deshalb mit der ausdrücklichen Feststellung hier begnügen, daß bereits Beobach- tungen über nähere Beziehungen zwischen der Schilddrüse und den Keimdrüsen freilich noch ganz unklarer Natur vorliegen, auf die hier kurz verwiesen sei. Auch hier kann ich wieder auf Untersuchungen Adlers verweisen. Er fand einmal!) bei der Lokalrasse von Gras- fröschen im Ursprungtal der bayrischen Alpen, bei der Witschv?), wie im früheren Aufsatze erwähnt, ein beträchtliches Überwiegen der aus- gewachsenen Männchen nachgewiesen hat, in jugendlichem Alter eine stark veränderte Schilddrüse, die histologisch dem Bau der mensch- lichen Basedowschilddrüse glich, andererseits sah er die gleiche Schild- drüsenveränderung bei Larven und Fröschchen, die aus überreifen Eiern gezogen worden waren und fast ausnahmslos männlich differen- zierte Keimdrüsen besaßen. Aus dem vollkommenen Parallelismus zwischen der Beeinflussung der sexuellen Differenzierung und der Ausbildung der Schilddrüsen in diesen Versuchen schloß Adler: ‚Die stark funktionierende Schilddrüse wirkt männchenbestimmend.‘‘ Die gleiche Feststellung der Wirkung überreifer Eier, ohne Angaben über die Schilddrüse, hat Hertwig gemacht. Nach Adlers Beobachtungen scheint, ohne daß zunächst eine Erklärung der Erscheinung möglich ist oder versucht werden soll, festzustehen, daß die Funktion der Schild- drüse einen Einfluß auf die Keimzellen besitzt. Wie ich bemerkt habe, möchte ich in den bei gleichzeitiger Atro- phie der Schilddrüse gefundenen Veränderungen der Hoden einen allerdings ins Pathologische gesteigerten Ausdruck einer Umstellung im ganzen durch abnorme Hitzegrade beeinflußten endokrinen System !) Adler, Experimentelle Untersuchungen über die sexuelle Differenzierung bei Rana temporaria. I. Der Wirkungsmechanismus überreifer Eier. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 23. 1920. ?) Witschi, Studien über die Geschlechtsbestimmung bei Fröschen. Arch. f. mikroskop. Anat. 86. 1914. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. II. 173 erblicken. Und zwar betrachte ich die Korrelation zwischen Schild- drüse und Hodenzellen als eine rein chemische. Alle nur möglichen Grade und Schwankungen dieser Korrelation sind denkbar und kommen sicher vor. Was die beschriebenen Versuche zeigen, geht natürlich weit über die physiologische Grenze der immerfort im endokrinen Sy- stem stattfindenden Einstellungen hinaus. Bei nicht plötzlich und stark gesteigerter Temperaturwirkung machen die Versuchstiere einen munteren Eindruck, die Schilddrüse und Hoden sind mikroskopisch zwar geschädigt, aber erstere enthält noch Kolloid, in letzteren ist noch Spermiogenese festzustellen, was natürlichen Verhältnissen eher entsprechen dürfte. Sollten solche Tiere nicht noch begattungs- und zeugungsfähig sein?!) Sind dann aber gegebenfalls auch die befruch- tenden Spermien als unbedingt unveränderte anzusehen ? Könnte nicht diese oder jene Samenzelle eine so geringfügige Abänderung erfahren haben, daß sie befruchtungsfähig bleibt, dennoch aber ihre Abände- rung in den Eigenschaften der Nachkommen zur Geltung kommt? Darin sehe ich die große Bedeutung der beschriebenen Beobach- tungen, daß aus ihnen nicht nur eine Beeinflussung der Schilddrüsen- 1!) Über Untersuchungen in dieser Hinsicht werde ich später ausführlich berichten. Ich werde mich dabei namentlich auf die Abhandlung von Steinach und Kammerer über Klima und Mannbarkeit (Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organismen 46. 1920) und ihre Kritik durch Stieve (Entwicklung, Bau und Be- deutung der Keimdrüsenzwischenzellen. Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. 23. 1921) beziehen. Steinach und Kammerer haben nämlich, worauf ich erst nach Abschluß dieser Arbeit aufmerksam geworden bin, gleichfalls Versuche über die Wirkung abnorm hoher Außentemperatur auf Warmblüter, und zwar auf Wanderratten, angestellt, wobei sie ein leichteres Gewicht der Hoden, eine Ver- mehrung der Zwischenzellen, eine erhöhte Fruchtbarkeit bei Steigerung des Ge- schlechtstriebes festgestellt zu haben glauben. Stieve aber — und das ist für meine Betrachtungen besonders wichtig und hat mich zum Beginn zahlreicher neuer Versuche veranlaßt — kommt in seiner Kritik der Mitteilung von Steinach und Kammerer zu einem gerade entgegengesetzten Ergebnis. Er stellt auf Grund ihrer zahlenmäßigen Angaben und Abbildungen fest: schon bei einer Wirkung von 25° ist die Zahl der sterilen Weibchen erheblich größer als bei niederen Tem- peraturen, denn sie beträgt mehr als 50%. Somit ist trotz der Steigerung des Geschlechtstriebes, trotz der erzielten Frühreife eine schwere Schädigung der Keimdrüse die Folge abnorm hoher Temperaturwirkungen, was in einer starken Verminderung der Fruchtbarkeit zum Ausdrucke kommt. Bezüglich des histo- logischen Verhaltens der Keimdrüsen stellt Stieve fest, daß im Kanälchenlumen der Hitzehoden nur ganz spärliche oder keine Spermien vorhanden sind, während die Kontrollhoden vollgepfropft von ihnen sind. Auch hieraus ergibt sich also eine Erklärung für die Tatsache, daß nur ein Drittel der Versuchstiere fortpflanzungs- fähig war. Was die Zwischenzellen anbelangt, so mögen sie hier aus dem Spiele bleiben. Mit Stieve halte auch ich die ihnen von Steinach und Kammerer zuge- sprochene Bedeutung für unrichtig. Bei der Verwandtschaft unserer Versuche ist aber wohl die Feststellung nicht unwesentlich, daß ich im Gegensatz zu jenen Forschern keine Vermehrung der Zwischenzellen in den degenerierten Hoden der- Hitzemäuse gefunden habe, höchstens ein deutlicheres Hervortreten. 174 C. Hart: funktion durch äußere Lebensbedingungen hervorgeht, die dadurch nachhaltig auf die Lebensvorgänge im Organismus wirken, sondern daß auch, wahrscheinlich infolge sekundärer Wirkungen im endokrinen System, ein tiefgreifender Einfluß auf die Keimzellen sehr wahrschein- lich gemacht worden ist, der möglicherweise zu einer Veränderung der Erbfaktoren, zu einem Erwerb neuer Eigenschaft, zu einer Idiomutation führt. Was wir beschrieben haben, sind schwere Veränderungen der samenbildenden Zellen, denen natürlich eine solche biologische Be- deutung nicht zukommt. Sie sind ausgesprochen pathologisch, aber als solche doch nur als das Extrem physiologischer Vorgänge anzu- sprechen. Die groben Versuchsbedingungen mit ihren nicht minder groben Wirkungen kommen natürlich nicht im mindesten den Wir- kungen in der Natur gleich. Sie lassen aber deren Wesen erkennen, wir erfahren, auf welche Weise die natürlichen Lebensbedingungen wohl feine Veränderungen der Erbsubstanz hervorbringen können, die sich zwar der Wahrnehmung entziehen, aber doch eine ungeheure biolo- gische Bedeutung besitzen. Wir haben Störungen der Kernteilung wie z. B. auch Absprengung von Chromosomen in den geschädisten samenbildenden Zellen ge- funden. Aus ihnen könnte eine Änderung des Chromosomenbestandes lebensfähig bleibender Elemente hervorgehen, was im Hinblick auf die Tatsache belangreich ist, daß man immer mehr als wahrschein- liche Grundlage der Mutation eine Änderung des Chromosomenbestandes erkannt hat. Ich verweise auf das letzte Werk Morgans (a. a. ©.) und auf einen kleinen Aufsatz Levys!), in dem die Veränderungen des Chro- mosomenbestandes und ihre Bedeutung kurz besprochen werden. Nachdem schon früher festgestellt worden ist, daß Mutationen der durch die Untersuchungen de Vries’ berühmt gewordenen Nachtkerze (Oenothera) ein gegenüber der Ausgangform abweichender Chromo- somenbestand der Zellen zugrunde liest, und es Winkler?) gelungen ist, durch bestimmte Maßnahmen bei Tomaten und anderen Nacht- schattengewächsen Adventivsprosse und aus ihnen ganze blühende Pflanzen mit einem abgeänderten Chromosomenbestand zu erzeugen, hat in neuester Zeit Levy?) sehr bemerkenswerte Angaben über künst- liche Änderungen der Chromosomenzahl und über die bekanntlich von Boveri*) besonders hoch bewerteten ‚poikiloploiden‘‘ Zellen gemacht, !) Levy, Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren und anderer Gewebs- mißbildungen. Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 34, S. 989. ?2) Winkler, Zeitschr. f. Botan. 8. 1916. ?) Levy, Die Kernverhältnisse bei pathenogenetischen Fröschen. Ein Beitrag zur Physiologie und Pathologie der Zelle. Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 24. 1920. 4) Boveri, Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. Fischer, Jena 1914. Beiträge zur biologischen Bedeutung der innersekretorischen Organe. I. 175 wobei besonders auch auf die direkte Beobachtung!) von atypischen Kernteilungen im Froschhoden hinzuweisen ist, aus denen teils poi- kiloploide Kerne bzw. Zellen, teils bei Ausbleiben der Protoplasma- teilung vielwertige Riesenzellen hervorgingen. Auf diese Weise durch atypische Kernteilnng entstandene verschiedenwertige Spermatozoen sind von Levy?) beschrieben worden. Längst bekannt sind schon aus den Versuchen der Gebrüder Hert- wig?) die Veränderungen der Kernteilung auch unter chemischen Ein- wirkungen, wie sie wohl auch in der freien Natur vorkommen. Wenig- stens bin ich der Überzeugung, daß die von Ewald“) im Kiemenblätt- chen aus einem Tümpel gefangener Salamanderlarven gefundenen aty- pischen Mitosen, die Ewald selbst auf eine Überstürzung der Kerntei- lung durch äußere Einflüsse zurückführt, nicht mechanisch, sondern thermisch-chemisch bedingt sind. Wie aber die befruchtete Eizelle und Zellen der Oberhaut unter chemischen Einwirkungen eine atypische Kernteilung oder überhaupt eine Störung der Karyokinese erleiden können, so ist das auch für die reifende Samenzelle im Hoden des warmblütigen Wirbeltieres denk- bar unter der Wirkung eines endokrinen chemischen Stoffes, wie er beispielsweise von der Schilddrüse an das Blut abgegeben wird. Dieser muß nur unmittelbar auf die Samenzellen wirken, wie es unserer Vor- stellung entspricht, und nicht etwa durch Vermittlung des Nerven- systemes, die uns in diesem Falle ganz unverständlich erscheinen würde. Die Möglichkeit einer Beeinflussung der Keimzellen durch innere Sekrete in der angedeuteten Weise halte ich für kaum mehr anzweifelbar. Doch hat Grote?) wohl schwerlich durch die Thymus- fütterung der Elterntiere eine Keimesänderung erzeugt, wie er kurz beschrieben hat, da seine Versuche einer ganz anderen Deutung fähig sind. Wenn wir annehmen, daß gewisse äußere Wirkungen zunächst endokrine Organe wie die Schilddrüse in ihrer Funktion beeinflussen und daß eine solche Funktionsänderung innerhalb des endokrinen 1) Levy, Über die sogenannten Ureier im Froschhoden. Biol. Zentralbl. 40, 1. 1920. ?) Levy, Sitzungsber. d. Gesellsch. naturforsch. Freunde zu Berlin 1921, Nr. 8/10, S. 210. 3) O. Hertwig, Über pathologische Veränderungen des Kernteilungsprozesses infolge experimenteller Eingriffe. Internat. Beitr. z. wissensch. Med. 1891. — O. und R. Hertwig, Über den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einfluß äußerer Agentien. Jena 1887. 4) Ewald, Über atypische Mitosen im Kiemenblättchen der Salamander- larve. Frankf. Zeitschr. f. Pathol. 23, 1. 1920. °) Grote, Versuche über Keimesänderung durch Inkreteinfluß. Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 48. Pflügers Archiv f.d. ges. Physiol. Bd. 196. 12 176 C. Hart: Beiträge zur biologischen Bedeutung der Organe. II. Systems auf dem Wege einer chemischen korrelativen Um- und Neu- einstellung auch auf die Keimzellen wirkt, so haben wir ein wesent- lich besseres Verständnis für die Annahme gewonnen, daß äußere Lebensbedingungen abändernd auf die Erbsubstanz der sich damit jenen einpassenden Individuen wirken und die Entstehung neuer ver- erbbarer Eigenschaften bedingen. So allein wohl ist, wie ich schon wiederholt ausgeführt habet), die Vererbung erworbener Eigenschaf- ten zu erklären und es ist mir eine besondere Genugtuung, daß ein so angesehener Forscher wie R. Fick?) sich beistimmend zu meinen Aus- führungen geäußert hat. In praktischer Hinsicht mag es zutreffen, wenn Mathes?) noch unlängst betont, der Körper beherberge die Keim- zellen wie einen selbständigen Organismus, der den Einflüssen der Außenwelt und damit auch der Somazellen entrückt sei, was die Er- haltung ihrer ihnen eigentümlichen Entwicklungsrichtung anbelangt, aber biologisch ist der Satz nicht haltbar. Ich möchte ihn sogar in praktischer Hinsicht anfechten auf Grund gewisser Vorstellungen über die Bildung ‚‚pathologischer Rassen“. In einem wichtigen Punkte erfahren meine Vorstellungen neuerdings eine wesentliche Unter- stützung. Man kann sich nämlich eine Beeinflussung der Keimzellen durch Faktoren der Umwelt auf dem Wege über das endokrine Sy- stem um so leichter vorstellen, je mehr man sich zu der besonders von Stieve (a. a. O.) vertretenen, aber auch von den meisten patho- logischen Anatomen?) geteilten Auffassung bekennt, es sei die innere Sekretion der Keimdrüsen nicht an die Zwischenzellen, sondern an die Keimzellen selbst gebunden. Die beschriebenen Beobachtungen stützen entsprechend meinen Vorstellungen diese Ansicht. Weitere Folgerungen sollen Gegenstand einer späteren Abhandlung sein. 1) Hart, Über die Vererbung erworbener Eigenschaften. Berl. klin. Wochen- schr. 1920, Nr. 28, S. 654. ?) Fick, Bemerkungen zur „Vererbung erworbener Eigenschaften“. Anat. Anz. 53, 475. 1920. 3) Mathes, Über Konstitution und Vererbung erworbener Eigenschaften. Münch. med. Wochenschr. 1922, Nr. 4, S. 109. *) Siehe 18. Verhandl. d. Dtsch. path. Gesellsch. Jena 1921. Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. IV. Mitteilung. Die Theorie der Erscheinungen des Flimmerns beim Dunkelsehen. Von Dr. P. Lasareff, Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Petrograd, Professor der Universität und Techni- schen Hochschule zu Moskau. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 8. Mai 1922.) In meinen Arbeiten habe ich gezeigt, daß man von überaus einfachen Voraussetzungen ausgehend die Bedingungen folgern kann, unter welchen ein unterbrochenes Licht einen kontinuierlichen Eindruck hervorruft!). Das Material zur Kontrolle dieser Theorie haben die sehr sorgfältigen und genauen Versuche von Schaternikoff?) geliefert. Aber alle Folgerun- gen der Theorie zu kontrollieren haben uns die Versuche von Schaterni- koff nicht erlaubt, da dieselben bei einer konstanten Lichtstärke ausge- führt wurden. Vor allen Dingen war es interessant, den Einfluß der Lichtstärke auf die Unterbrechungszahl des Lichtes aufzudecken, wenn eine ununterbrochene Empfindung eintreten soll. Außerdem waren in der Theorie einige Annahmen enthalten, die ebenfalls eine experimen- telle Begründung erforderten, und die Aufgabe dieser Arbeit besteht darin, diese Lücken auszufüllen und die allgemeine Theorie des peri- pherischen Sehens bei der intermittierenden Beleuchtung zu ent- wickeln. Die allgemeine Theorie. Die Versuche zeigen, daß, wenn in das Auge ein periodisch unterbro- chenes Licht von solcher Stärke fällt, bei welcher nur ein Dunkelsehen eintritt, man immer eine solche Zahl von Unterbrechungen finden kann, bei welcher die durch das Licht im Auge hervorgerufene Empfin- dung kontinuierlich wird. Wie die Beobachtung zeigt, wächst die Zahl der Unterbrechungen, die erforderlich sind, um eine Verschmelzung der 1) P. Lasareff, Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. 116. Mos- kau 1916 (russisch).); P. Lasareff, Recherches sur la theorie ionique de l’excitation. 114. Moscou 1918. ?) M. Schaternikoff, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane 29, 241. 1902. 12* u 178 P. Lasareff: Empfindungen hervorzurufen, mit der Stärke des einfallenden Lichts. Daher erscheint die Annahme möglich, daß die Grenzzahl der Unter- brechungen von der Amplitude der Konzentrationsschwankungen der Zerfallprodukte (Ionen) abhängt, die durch das Licht hervorgerufen werden und die Erregung der Nervenden bewirken. Wenn wir durch AC/ die Amplitude der Schwankungen der Konzentration bezeichnen, so können wir die Bedingungen für eine Verschmelzung der Empfindun- gen erhalten, wenn wir annehmen, daß N = p(AC\) ist, wobei (4C\) eine vorläufig nicht näher bestimmbare Funktion von AC sein soll. Indem wir die Funktion in eine Reihe entwickeln und nur die ersten Glieder derselben beibehalten, so erhalten wir N— N. MAC are (I) wenn N,=_(0) und M = 9’ (0) ist. Durch Verkleinerung von 4C/ , indem wir geringere Konzentrations- schwankungen der Ionen hervorrufen, können wir uns allmählich der Zahl der Unterbrechungen N , nähern; diese Zahl ist die überhaupt gering- möglichste Zahl der Flimmerungen. Um die Größe A407 berechnen zu können, schreiben wir die Differen- tialgleichung der photochemishen Reaktion im Sehpurpur beim Dunkel- sehen. Diese hat folgende Form!t): dC, wobei C; die rn der reizenden Substanzen (Produkte der Reaktion) x, und &, die Reaktionskonstanten, k eine Absorptionskon- stante, J die Lichtintensität und © Sehpurpurkonzentration ist. Wenn F eine periodische Funktion der Zeit ist, so können wir setzen, daß F=J(l=sin nt), und wenn dabei © klein ist und © als Konstante betrachtet werden kann, so wird das Integral der Gleichung (II) für den stationären Zustand durch die Formel gegeben: Or e abet. sin mt = = X Ya3+ n? Ist n sehr groß, so unterscheidet sich die dabei erhaltene ©/ nicht merk- R &X F lich von der Konzentration 0 zu kJ,€C. Diese Tatsache stellt einen all- 2 gemeinen Ausdruck des Talbotschen Gesetzes, welches wir näher in einer folgenden Mitteilung studieren werden, dar. Die Amplitude der Kon- 4 ., &ıkJO zentrationsänderung ist ee ‚ und © ist durch die folgende Formel 5 + n? gegeben = (©, (1 — e” *')?), wo t die Zeit der Dunkeladaptation nach der vollkommenen Helladaptation ist. !) P. Lasareff, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 154, 464. 1913. ?) P. Lasareff, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155, 310. 1914. Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. IV. 179 Indem wir 2 zn. N, mit n, bezeichnen, erhalten wir aus den Gleichungen [(I) und (II)] die gesuchten Bedingungen zur Verschmelzung der Ein- drücke in der Form (n—n)ya +n2=2na,kJCM= RJC, (III) wobei R=2n0,kM ist. Die Untersuchungsmethode der Erscheinungen des Flimmerns. Für die Untersuchung der Erscheinungen des Flimmerns wurde folgende Anordnung angewandt. Der Adaptome- ter A , welcher uns gestattet, willkürlich die Stärke des das Auge beleuchtenden Lichts (Abb.1) zu ändern, wurde hinter dem Sektor mit den Ausschnitten $S, der das auf der Zeichnung bezeichnete Aus- sehen hat, aufgestellt, wobei die runde Öffnung des Adaptometers a, die durch ein weißes Milchglas geschlossen ist, als Lichtquelle für das Auge O des Beobachters, welcher sich in einer Entfernung von 50 cm von a befindet, dient. Der Sektor S wurde mit einem Elektromotor in Bewegung gesetzt durch eine Reihe von Transmissionen, die gestatteten, dem Sektor eine beliebige Umdrehungsgeschwindigkeit zu geben, die genau durch einen Zähler gemessen wurde. Bei den Versuchen wurde eine konstante Umdrehungsgeschwindigkeit des Sektors hergestellt. Nach einer 5 Mi- nuten anhaltenden Beleuchtung des Auges des Beobachters durch grel- les Licht (durch weißes Papier diffus reflektiertes Licht), wurde dasselbe in Dunkelheit versetzt und nach Adaptation während einer bestimmten Zeit auf den BeobachtungsortO gebracht; es betrachtet dann die beleuch- tete Flächea, die ein intermittierendes Strahlenbündel aussendet; hierbei wurde die Stärke der Beleuchtung des Auges von dem Beobachter selbst mit Hilfe einer Stange @G von Null reguliert, bis er eine Empfindung des Flimmerns empfand. In diesem Moment zählt der Assistent die An- gaben des Adaptometers, die die relative Stärke J der das Auge beleuch- tenden Strahlen geben und die Geschwindigkeit der Umdrehung des Sektors, somit die Zahl N der Unterbrechungen, bestimmen. Vorversuche und die Bestimmung von N, Zur Bestimmung von N, wurden Versuche mit einer gerade noch bemerkbaren Zahl von Flimmerungen angestellt bei verschiedenen Stär- ken des einfallenden Lichts J, darauf wurde eine Beziehung zwischen n 180 P. Lasareff: J und Var ne rechnerisch und graphisch dargestellt, worauf auf die ’&3 (be Abszissenachse n abgetragen wurde und auf die Ordinatenachse mat ai 5 ın 5 Wie aus der Gleichung III ersichtlich, ist die Beziehung zwischen n und ————; linear; der Wert von n, entspricht der Abszisse n bei Yas + n? J= 0; wenn wir daher auf die der Zeichnung gefundene Gerade bis zum Schnittpunkt derselben mit der Abszissenachse verlängern, so finden wir n, und berechnen auch N, Wie aus der Formel zu ersehen ist, hängt die Größe des Wertes von n, nicht von der Zeitdauer des Adaptation ab, folglich also von der Konzentration C,. Wir führen weiter unten (Tab. I) ein Beispiel der Bestimmung des Wertes von n, an, wobei derselbe gleich 35,8 gefunden wurde und RJC die Gleichung n — n,= —,——, die Form von n — 35,8 = —— 25,01) hatte. I Ya+n Tabelle I. Zeitdauer der Adaptation 20 Minuten. n — 050% 2n- 358 yve2+n? 81,6 120 40,7 45,8 69,1 85 30,4 33,3 62,2 75 29,8 26,4 62,0 80 31,8 26,2 60,9 60° 24,2 24,2 52,1 49 23,0 16,3 47,7 35 18,0 11,9 41,4 10 5,75 5,7 Wenn wir die Kurve so konstruieren, wie das eben der Fall ist, so finden wir n, = 35,8, woraus N, = 5,7 ist. Für mein Auge gab N, unter verschiedenen Bedingungen der Mes- sung immer eine und dieselbe Größe. Bei andern Beobachtern kann N, andere Werte haben. Eine Reihe von Beobachtungen der Gesetze des Flimmerns wurde von mir an einem Beobachter (Frl. E. Prudnikova) angestellt, bei welchem N, = 5 ist. Über die Beziehungen der Zahl der Unterbrechungen des Lichts und die Stärke des Lichts J, das die Netzhaut beleuchtet. Wie aus der Formel III zu ersehen ist, muß zwischen der Größe (n —n,) ya: + n? und der Lichtintensität J eine linieare Beziehung !) Die Methode der Berechnung der Werte von %, ist in meiner Monographie: P. Lasareff, Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. 100, Moskau 1916 russisch) oder P. Lasareff, Recherches . ..., 99, Moscou 1918 beschrieben (%, — 9,75). Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. IV. 181 bestehen, wenn nur C konstant bleibt, d.h. wenn die Adaptation sich nicht ändert. In der nachfolgnden Tabelle sind die Resultate meiner Beobachtungen auf diesem Gebiete angeführt (N = 5,7). Tabelle II. Adaptationszeit — 10 Minuten. (n — n,)Yn? +% N | (n — n,)Y&2 + n? - 9,5 98 1680 17,1 7,4 36 700 19,4 7,1 32 620 19,4 6,5 25 400 16,0 Mittel 17,4 Tabelle III. Adaptationszeit = 20 Minuten. N J (n — n), Va + n® (n — ale +% 13,0 120 4150 34,6 10,0 85 2610 34,6 9,9 75 1920 25,6 9,1 60 1800 30,0 8,3 49 1110 22,8 7,6 35 800 22,8 Mittel 28,4 Tabelle IV. Adaptationszeit = 35 Minuten. (WE nV +n N J (n — n,)Yx + n? 7 8,7 30 1270 42,4 8,0 25 950 38,0 7,4 20 710 35,4 6,7 15 470 31,3 6,2 9 300 33,4 Mittel 36,1 Über den Einfluß der Adaptation auf die Zahl der Flimmerungen, welche eine kontinwierliche Erregung hervorrufen. Aus diesen bei verschiedenen Graden der Adaptation ausgeführten Versuchen läßt sich auch die Beziehung zwischen der Flimmerungs- zahl N und der Zeitdauer der Adaptation 7 ableiten. Wie wir früher sahen, genügt der Grenzwert von N der Gleichung (n—n)y®+n?= RJC, wobei die C Konzentration des Sehpurpurs im gegebenen Zeitpunkt be- zeichnet. Wenn man annimmt, daß die Größe C nach voller Lichtadap- tation gleichOwird, so ist dieKonzentration des Pigments nach Verweilen 182 ; P. Lasareff: des an Licht völlig adaptierten Auges während der Zeit T im Dunkeln gleich Ce Non, wobei C die Quantität des Pigments in der Netzhaut nach unendlich langem Verweilen im Dunkeln bezeichnet, während &, eine Konstante gleich 0,055 ist, wenn die Zeit der Adaptation 7 in Minuten ausgedrückt ist 2). Aus diesen zwei Formeln und Messungen ergibt sich, daß (nr — no) Vz + n? — RR — konst: Je) Tabelle V. b Rn) Ya;+n® et a-m)Vaatn = ei 7 (1 — es T) 10 17,7 0,42 42,6 20 28,4 0,67 42,4 eb 36,1 0,85 42,5 Wie aus der Tabelle hervorgeht, ist die Beziehung zwischen den obengenannten Größen tatsächlich linear, und die Größe en "0182 en — e7% ist konstant. In meinen vorhergehenden Arbeiten?), die die Theorie der Flimmer- erscheinungen behandeln, habe ich mich zur Kontrolle der theoretisch gewonnenen Gleichungen der bei homogenen Strahlen vorgenommenen Versuche Schaternikoffs bedient. Hierbei ist in Ermangelung genauer Daten betreffs der Größe N, und wegen der Unmöglichkeit, diese zu bestimmen, da die Größe J unbekannt ist, N, = O angenommen worden, bei welcher Annahme sich denn auch eine Übereinstimmung von der Theorie mit dem Versuch ergab. Da die eben angeführten Versuche zeigen, daß N, nicht gleich Null ist, so sind die Resultate von Schaternv- koff einer Neuausrechnung unterworfen worden, die folgendes Ergebnis beiN,= 5 und N, = 5,7 geliefert hat: (N, = 5,7 fand man für mein Auge, N, = 5 für das Auge von Frl. E. 8. Prudnikova. Die Resultate dieser Ausrechnungen sind in den Tab. VI und VII angeführt. Der Wert von n,, in den Tabellen entspricht dem Werte von n bei 7 —. !) Die Methode der Berechnung von %, ist in meiner Monographie: Unter- suchungen usw. oder Recherches... beschrieben. Vgl. auch J. Schechtmann, Die Untersuchung der Theorie der Adaptation von P. Lasareff, Bericht des phys. Inst. des wissensch. Instituts zu Moskau 1, 70. 1920 (russisch). ?) P. Lasareff, Untersuchungen über die Ionenheorie der Reizung. Moskau 1916 (russisch). Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung IV. ; 183 Tabelle VI. (4 = 510,5 wu.) or (n — no) VYa3 + n? oo — N) Vo 2, N=5 (M=5n en No = 5 N. 51 10 11,4 2900 2500 0,37 0,34 0,42 15 13,4 4480 4070 0,57 0,55 0,56 25 14,4 5650 5410 0,74 0,72 0,75 35 lsyr7/ 6670 6180 0,86 0,84 0,34 50 16,2 7200 6710 0,92 0,91 0,94 70 16,4 7400 6910 0,95 0,94 0,98 90 16,7 7700 7270 0,99 0,99 0,99 6%) 16,8 Tabelle VII. ( = 589 uu,) 2 EN Eee (N, = 5) (N, = 5,7) = = " - — (N=5) (N, = 5,7) 10 11,3 2800 2450 0,43 0,37 0,42 15 12,4 3650 3320 0,56 0,50 0,56 25 13,8 4810 4440 0,73 0,67 0,75 35 14,1 5100 4700 0,78 0,71 0,54 50 15,0 5550 5500 0,84 0,82 0,94 70 15,4 6370 6100 0,97 0,92 0,98 90 15,5 6470 6500 0,99 0,99 0,99 x 15,6 Wie aus den Tab. VI und VII zu ersehen ist, erhalten wir überaus befriedigende Resultate bei der Annahme, daß N, =5 .(Bei N, = 5,7 stimmen die Resultate schlechter überein.) Nach der von mir entwickelten Theorie muß die Beziehung beim NN Doaees monochromatischen Lichte @ zn ] T at. (k bedeutet eine Ab- sorptionskonstante) unabhängig von der Wellenlänge des A-Lichtes sein. Es wäre deshalb interessant, die Flimmererscheinungen im mono- chromatischen Lichte zu untersuchen, und wir geben in der nachfol- genden Tabelle die Resultate von Beobachtungen von M. Polikarpov!), welche in meinem Laboratorium ausgeführt wurden. Tabelle VIII. ) = 589 uu T= 10Min. NG N 10 111 11,8 13,3 I x. 1010 1700 3100 5200 7500 WE) ae 0,29 0.24 0,31 Mittel 0,27 1) M. Polikarpov, Bericht des Phys. Inst. des Wissensch. Instituts zu Moskau 1, 187. 1921. ®) W. Trendelenburg, Zeitschr. f. Physiol. u. Psychol. der Sinnesorg. 3%, 1. 1904; vgl. auch P. Lasareff, Untersuchungen usw., 91. 184 P. Lasareff: Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung VI. 2 — Hab un T = 10Min. No N 108... 11.00, 89 aa 150 J x 1010 750 1010 1680 1960 2430 PERTEFER m Aullz ae 12 13 13 16 1,5 Mittel 1,4 Wenn wir die Werte k aus Trendelenburgs?) Beobachtungen ent- nehmen, so erhalten wir k für A=535 = 0,41 und für 589 = 0,05. Daraus erhalten wir (n — n,) Va3 le kJ iA = 535 uu 3,4 i = 583 5,4 Mittel 4,4 Mit der Genauigkeit von etwa 23%, können wir"die entwickelte Theo- rie auch in diesem Fall als vollkommen bestätigt betrachten. Meinen Mitarbeitern Frl. E. Prudnikova und Herrn M. Polikapov spreche ich an dieser Stelle meinen besten Dank aus. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. Mitteilung. Der Einfluß des Vestibularapparates auf das Gefäßsystem !). Von E. A. Spiegel und Th. D. Demiötriades. (Aus dem Neurslogischen Institut der Universität Wien.) Mit 12 Textabbildungen. (Eingegangen am 20. Mai 1922.) Die Reflexe, die vom Ohrlabyrinth ausgelöst werden, haben bisher fast nur in ihrer Wirkung auf die quergestreifte Muskulatur die Auf- merksamkeit der Kliniker und Physiologen auf sich gelenkt. Nicht minder beachtenswert erscheint aber die Einwirkung des Vestibular- apparates auf das vegetative Nervensystem, eine Einwirkung, die sich schon bei oberflächlicher Betrachtung in dem nach Vestibularisreizung auftretenden Erblassen der Versuchsperson, in der Neigung zum Er- brechen kundgibt. Von den Untersuchungen, welche über diese Fragen im Gange sind, sei zunächst über eine Versuchsreihe berichtet, welche die bei Labyrinth- reizung zu beobachtenden Erscheinungen seitens des Gefäßsystems analysieren sollte. Die bisherigen Angaben der Literatur über den Einfluß des Ohrlabyrinths auf das Gefäßsystem sind recht spärlich. Finkelnburg?) untersuchte an Menschen mit- tels der von Strasburger u. a. geübten Methode der Bestimmung des maximalen und minimalen Druckes mit dem Riva-Roccaschen Apparat fortlaufend hinterein- ander systolischen und diastolischen Druck im Sitzen, weiter im Stehen, sowohl während die Versuchsperson sich an die Wand anlehnte, als auch wenn sie frei stand und Augen und Füße geschlossen hielt, schließlich beim Bücken. Er fand bei Ge- sunden und bei den meisten untersuchten Neurasthenikern nur beim Bücken, wie nach jeder körperlichen Anstrengung ein vorübergehendes Ansteigen von Maximal- und Minimaldruck, sonst aber keine Veränderungen, ob die Personen angelehnt oder frei oder mit geschlossenen Augen und Füßen standen. Bei organischen Erkrankun- gen des Nervensystems (Tabes, Hirntumor, multiple Sklerose) und des Hörapparates, die mit Schwindel einhergehen, fand sich beim Sitzen und angelehnten Stehen keine Blutdruckschwankung. Sobald sich aber bei freiem Stehen mit oder ohne Augen- schluß starkes Schwindelgefühl einstellte, zeigte sich bei gleichbleibendem oder nur vorübergehend gesteigertem Gesamtdruck ein erhebliches Ansteigen des diasto- lischen Minimaldruckes. Der Pulsdruck (= systol. Druck minus diast. Druck) 1) Mitgeteilt in d. Ges. d. Ärzte, Wien, 31. III. 1922. ?) Finkelnburg, Münch. med. Wochenschr. 1906, S. 238. 186 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: wird demnach geringer. Es verkleinert sich also auch der Blutdruckquotient (Puls- druck durch Gesamtdruck) während der Dauer des Schwindels. In dieser Ver- kleinerung des Blutdruckquotienten bei steigendem oder gleichbleibendem Maximal- druck sieht er mit Strasburger einen Beweis für eine Erhöhung des Gefäßtonus ohne wesentliche Veränderung der Herzarbeit. Nur in einzelnen Fällen, wenn nämlich der Gesamtblutdruck beim Schwindel gleichzeitig sinkt, würde auch noch eine Verringerung der Herzarbeit vorliegen. Denn Verkleinerung des Blutdruck- quotienten und gleichzeitiges Sinken des Blutdruckes bedeutet Erhöhung des Ge- fäßtonus und Verringerung der Herzarbeit. Ohne daß hier auf die Frage näher ein- gegangen werden soll, inwiefern sich aus dem Verhältnis des Pulsdruckes zum Ge- samtdruck sichere Schlüsse auf eine Änderung des Gefäßtonus resp. der Herzarbeit ableiten lassen, sei nur darauf hingewiesen, daß der Autor selbst beschreibt, daß sich das Auftreten des Schwindels bei seinen Versuchspersonen in Schwankungen des Körpers dokumentierte, daß diese Personen also sicherlich unwillkürliche Re- aktionsbewegungen ausführten, welche auf die Resultate der Blutdruckmessung natürlich nicht ohne Einfluß gewesen sein konnten. Für unsere Frage nach dem Einfluß des Vestibularapparates auf den Blutdruck erscheinen daher die Ergeb- nisse dieser Arbeit wenig verwertbar, zumal ja bei einem Teil der Fälle Finkeln- burgs (z. B. Tabes) der Schwindel überhaupt nicht rein vestibulärer Herkunft ge- wesen sein kann. Über recht merkwürdige Resultate berichtet Camis!). Er reizte bei Hunden nach einseitiger oder bilateraler Labyrinthexstirpation den zentralen Stumpf des Vagus-Sympathicus und schrieb den Carotisdruck und das Plethysmogramm der hinteren Extremitäten; während normalerweise bei Senkung des Carotisdruckes das Plethysmogramm eine Vasodilation, bei Blutdrucksteigerung eine Vasokon- striktion an der Extremität anzeigt, fand er nach Entfernung des Labyrinths auf der operierten Seite eine Volumsverminderung bei Blutdrucksenkung, einen Vo- lumenzunahme der Extremitäten bei Blutdrucksteigerung. Er stellt sich vor, daß die Zerstörung des Labyrinths die funktionelle Ausschaltung des Vasoconstrictoren- zentrums zur Folge habe und vergleicht die Folgen der Labyrinthausschaltung mit denen der Entfernung der Bauch-Sympathieci, denn auch im letzteren Falle findet man nach Bayliss?) das Fallen des Blutdruckes nach Reizung des zentralen Vagus- endes von einer Verminderung des Volumens der Extremitäten begleitet. Er meint also, nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation kommen ähnliche Erscheinungen zustande wie bei Tieren, bei welchen die Innervation der Vasoconstrictoren für die hinteren Extremitäten durch die Zerstörung des Bauchsympathicus vernichtet ist. Leider fehlt eine nähere Analyse der von dem Autor beschriebenen Erschei- nungen. Er gibt z. B. nicht an, ob er diesen paradoxen Effekt der Reizung des zentralen Vagusstumpfes nur dann erhielt, wenn er den Vagus auf der Seite der La- byrinthexstirpation reizte, oder ob er diese Wirkung auch von der Gegenseite aus- lösen konnte, ferner, wie sich das Extremitätenvolumen bei Reizung anderer Ner- venstämme verhielt. So muß er denn auch selbst zugeben, daß er von einer Aus- schaltung des Vasoconstrietorenzentrums nur aus „commodite de language“ spreche, da ebensogut das Zentrum, wie afferente oder efferente Bahnen lädiert sein können. Wenn man bedenkt, daß bei der vom Autor geübten Labyrinth- exstirpation die zahlreichen durch das Mittelohr ziehenden Nerven des Plexus tympanicus vernichtet worden sein müssen, deren etwaige Beteiligung am Zu- standekommen der geschilderten Phänomene der Autor nicht einmal in Erwägung zieht, wird man daher diese Arbeit nur mit Vorsicht für den Nachweis etwaiger Beziehungen des Labyrinths zum Gefäßsystem heranziehen können. 1) Camis, Arch. de biol. 57, 439. 1912. 2) Bayliss, W. M., Journ. of physiol. 28, 276. 1902. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. Unsere Versuche wurden an 55 Kaninchen ausgeführt, der Blutdruck an den in Urethan- Äther-Narkose befindlichen Tieren an der Arteria carotis communis in der gewöhnlichen Weise mit einem Quecksilbermano- Wirkung einer Spülung mit kaltem Wasser, Abb. 2 den viel stärkeren Effekt des warmen Wassers. Die Senkung des Blut- druckes, die sowohl bei Kalt- wie bei Warmspülung der Bulla ossea zu beobachten ist, tritt ziemlich rasch nach Beginn des Reizes ein. Das Wiederansteigen der Kurve erfolgt dagegen viel allmäh- licher, so dal3 die Depression des Blutdruckes ziemlich lang, bis zu 50 Sekunden, bestehen bleiben kann. In einigen Fällen ist die Depression von einer leich- ten Steigerung des Blutdruckes gefolgt, indem der aufsteigende Schenkel der Kurve schließlich das ursprüngliche Niveau überschreitet. Was das Verhältnis dieses Reflexes zum meter registriert. Als Reiz E wurde zunächst die Spülung x desäußerenÖhres mit kaltem, E resp. warmem Wasser ver- Ei wendet; weiterhin wurde & 5 aber zur Erzielung eines > wirksameren Reizes die Ka- = S nüle des Irrigators direkt ins =iE Mittelohr eingeführt, das ent- n@ weder nach Freilegung der on Bulla ossea vom Halse aus 33 oder nach Abtragung des er äußeren Gehörganges eröftf- EiE net wurde. Abb. 1 zeigt die Bi = > en = m Wasser. mit 18°ig » des Nystagmus. Spülung der Bulla Abb. des Nystagmus. xNex Ende xN Beginn, A Einde der Spülung ; y Beginn, Spülung der Bulla ossea mit 52% igem Wasser. 19} Abb. Auftreten des Nystagmus anlangt, so geht der Beginn der Blut- drucksenkung demselben um einige Sekunden voraus; im Moment, wo die alte Blutdruckhöhe wieder erreicht ist, hat meist der Nystag- 188 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: mus schon aufgehört. Er kann aber diesen Zeitpunkt auch über- dauern. Die gleiche Wirkung auf den Blutdruck ließ sich auch durch gal- vanische Reizung erzielen. Nachdem, ähnlich wie für die kalorische Reizung der äußere Gehörgang abgetragen!) und weiterhin die mediale Wand des Mittelohres durch Aufmeißelung freigelegt war, wurde die Kathode an die Prominenz des äußeren Bogenganges angelegt. Schon bei 2Milliamp. ließ sich ein ziemlich steiles Absinken der Blutdruckkurve feststellen, die erst allmählich wieder die Norm erreichte (Abb. 3). Bei der Analyse dieses depressorischen Effektes ist zunächst zu unter- suchen, inwiefern die Reizung der Schleimhaut des Mittelohres resp. der hier durchziehenden Fasern des Plexus tympanicus eine Rolle spielt. EineWirkung auf den Nerv. trigeminus konnte dadurch ausgeschlossen werden, daß bei Spülung der Conjunc- tiva bulbi mit heißem Was- ser eine leichte Blutdruck- steigerung erfolgte. Auch der Gedanke, daß die Blut- Abb.3. Galvanischer Reiz. Kathode am äußeren Bogen- gang. 3 MA. x Beginn, A Ende der Reizung. drucksenkung Folge eıner durch die Wärme bedingten Gefäßerschlaffung sei, mußte zurückgewiesen werden, da ja sowohl Wärme als auch Kaltspülung und auch galvanische Reizung den Effekt her- vorbrachten und ferner weder Berieselung der Ohrmuschel, noch der Bauchhaut mit warmem Wasser eine ähnliche Depression des Carotis- druckes verursachte. Die Tatsache, daß durch die kalorische Reizung der Bindehaut des Auges oder der Ohrmuschel sogar eine Steigerung des Blutdruckes erzielt wurde, zeigt wohl auch, daß in dem Stadium der Urethan-Äther-Narkose, in welchem die Blutdrucksenkung nach Ausspritzung der Bulla zu beobachten war, noch keineswegs eine Lähmung vasoconstrictorischer Reflexe eingetreten war, was übrigens durch die prompte pressorische Wirkung einer faradischen Reizung des N. ischiadicus bewiesen werden konnte. !) Das Ohr wird in der Richtung gegen das kontralaterale Auge gezogen, der Hautschnitt entsprechend dem palpabeln Übergang des knorpeligen in den knöcher- nen Gehörgang von vorn nach hinten unten in einer Länge von 5 cm geführt, der knöcherne Gehörgang freigelegt, der knorpelige abgetrennt und nach Abschiebung des Periosts die obere und hintere Wand des knöchernen Gehörgangs mit dem an- grenzenden Teil der Schuppe mit dem Meißel abgetragen, die untere und vordere Wand vorsichtig unter Vermeidung einer leicht eintretenden Splitterung der Bulla mit einer feinen Knochenzange abgezwickt. Am Übergang der oberen zur hinteren Circumferenz ist die Öffnung des dort liegenden Emissariums zu vermeiden. So liegt schließlich die mediale Wand des Mittelohres frei. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 189 Schwieriger ist es dagegen, die Beziehung der beobachteten Druck- senkung zum N. depressor vagi resp. zum N. glossopharyngeus klar- zulegen. Bespülung des N. depressor mit warmen resp. kaltem Wasser verursachte eine ganz ähnliche Wirkung, wie sie bei der Ausspritzung der Bulla ossea geschildert wurde und auch von seiten des N. glosso- pharyngeus sind depressive Wirkungen bekannt [Knoll!)]. Es mußte darum daran gedacht werden, ob die beobachtete Blutdrucksenkung nicht auf eine Reizung von Fasern der Glossopharyngeus-Vagus-Gruppe zurückzuführen sei, welche mit dem Mittelohr in Beziehung treten. Es schien daher nötig, die Kalorisierung der Bulla nach Ausschaltung der vom Labyrinth ausgehenden Erregungen durchzuführen. Die Labyrinthexstirpation konnte zu diesem Zwecke nicht gewählt werden, weil bei dieser Operation die durch das Mittelohr über das Promontorium ziehenden Nerven des Plexus tympanicus mit zerstört werden. Wir entschlossen uns daher zur intrakraniellen Durchschneidung des N. octavus. Zwei Wege konnten zu diesem Zwecke gewählt werden. Erstens jener durch den Floceulus, wie er von Ferrier und Turner ?), Leidler?) geübt wurde und zweitens den Zugang von der Membrana atlanto-occipitalis *). Der erstere Weg hat den Vor- teil, daß größere Blutungen vermieden werden, sein Nachteil liest darin, daß man, durch den Flocculus hindurchstechend, nicht sieht, welche Gebilde man eigentlich in der Tiefe zerstört und Nebenverletzungen setzen kann, welche auch die nach- folgende Sektion nicht immer klarstellt. Wir wählten darum den zweiten Weg, den Zugang von der Membrana atlant o-occipitalis, weil sich auf diese Weise das Ope- rationsfeld viel klarer überblicken läßt. Allerdings wird der Erfolg dieser Operation oft durch beträchtliche Blutungen gefährdet, die von den meningealen Plexusge- fäßen des 4. Ventrikels, insbesondere aber von den längs des Os petrosum ver- laufenden Blutleitern her drohen und oft erst nach gelungener Operation und Ver- schluß der Wunde bei einer Rollbewegung des Tieres oder einem Stoß seines Kopfes gegen die Wand des Käfigs zum Tode des Versuchstieres führen. Wir suchten auf folgendem Wege eine möglichst gute Ansicht des Operationsfeldes zu gewinnen, ohne von Blutungen zu sehr gestört zu werden ’°). Nach Freilegung der Membrana atlanto-occipitalis in der üblichen Weise (Hautschnitt von der Protuberantia occip. ext. abwärts, Ablösung der Nacken- muskulatur einer Seite vom Hinterhauptbein) wurde diese Membran zunächst nicht eröffnet, sondern vorerst die Lamina externa des an die Membran nach vorn angrenzenden Teiles des Os occipitale einer Seite bis zum Schläfenbein hin vorsichtig mit dem Meißel abgetragen (Abb. 4a), weiterhin die Diploe und die Lamina vitrea mit der Alexanderschen Curette entfernt, so daß in Fortsetzung der Membrana atlanto-occipitalis bis zum Os petrosum hin ohne Eröffnung der venösen Blutleiter N 1) Knoll, Sitzungsber. d. Wien. Akad. d. Wiss. 9% (III), 449. 1885. 2) Ferrier u. Turner, Phil. Transact. Roy. Soc. of London 190, B. 1. 1898. 3). Leidler, Arb. a. d. Wien. Neurol. Institut 21, 151. 1916. *#) Vgl. Trendelenburg, Handb. d. phys. Method. von Tigerstedt 3, 2, 105. 1912. 5) Herr Geh. R. Bethe macht uns freundlichst darauf aufmerksam, daß Landolt in seiner Habilitationsarbeit ‚Über die Innervation der Thränendrüse“. Pflügers Arch. 98, 189 (206). 1903 die Durchschneidung des Acusticus, resp. Facialis auf diesem Wege vorgenommen hat. 190 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: die bindegewebige Bedeckung des 4. Ventrikels frei lag, unter der man den Strick- körper dieser Seite, die Fossa rhomboidalis und den Unterwurm durchschimmern sah. Erst jetzt wurde die Membran gespalten und der entstehende Schlitz unter sorgfältiger Vermeidung der durchschimmernden Venen nach vorn zu erweitert. ® a RL a) Abb. 4a und b. a) Die Membrana atlanto-oceipitalis freigelegt, der an dieselben angrenzende Teil des Oceipitale, der zur Darstellung des Nerv. acusticus abgetragen werden muß, ist durch die punktierte Linie begrenzt. b) Rautenhirn und Unterwurm sind bloßgelegt und werden durch einen Spatel von der Felsenbeinpyramide abgedränst, so daß die in den Porus acusticus ein- tretenden Nerven sichtbar werden. Mit einem schmalen Spatel wurden nun vorsichtig Medulla oblongata und Unter- wurm von der medialen Wand der Felsenbeinpyramide abgetrennt und damit ein Zugang zum Porus acust. int. gewonnen (Abb. 4b). Erst wenn auf diese Weise die in den Meatus acusticus eintretenden Nerven dargestellt waren, wurden sie mit einem gekrümmten Messerchen durchschn tten. Der Erfolg der Operation ließ sich an den nachher eintretenden Rollbewegungen, dem Spontannystagmus, der durch kalorische Reizung der operierten Seite unbeeinflußt blieb und durch die gleichseitige Facialisparese kontrollieren. Nach durchgeführtem Versuch erfolgte selbstverständlich die anatomische Kontrolle, die am besten gelingt, wenn man den Schädel in einer Frontalebene vor dem äußeren Gehör- gang durchsägt. Der Schnitt fällt knapp vor den Porus acust. int., so daß sich leicht durch Abheben der Oblongata von der Pyramide des Felsenbeins das Erhaltenbleiben resp. Fehlen von Nerven, die in den Porus eintreten, kontrollieren läßt. Dies sei besonders hervor- gehoben, da Ewald!) die Unsicherheit der anatomischen Kontrolle der Acusticusdurchschneidung hervorhebt. Sobald sich das Tier einigermsaßen von der Operation erholt hatte, wurde die Bulla ossea beiderseits eröffnet, in jede eine Kanüle ein- geführt, die abwechselnd mit warmem und kaltem Wasser durchspült werden konnte und der Druck wieder von der Carotis geschrieben. Man sah den typischen Effekt bei Reizung auf der nicht operierten Seite so- wohl bei Warmspülung als auch, wenn auch weniger ausgesprochen, 1) Ewald im Handb. d. physiol. Method. v. Tigerstedt 1912, Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 191 bei Kaltspülung, sein Ausbleiben bei Reizung auf der Seite der Operation. Damit ist allerdings der strenge Beweis, daß die beobachtete Blutdruck- senkung nach Warm- resp. Kaltspülung der Bulla ossea allein auf eine Vestibulariswirkung zurückzuführen sei, nicht erbracht. Es läßt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß Fasern des Plexus tympanicus, die durch Vermittlung einer Anastomose mit dem Ganglion Geniculi den N. intermedius zum Eintritt in das Gehirn benützen, am Zustande- kommen dieses Reflexes beteiligt sind; denn die Durchschneidung des N. vestibularis läßt sich ja isoliert an den Versuchstieren, die uns zur Verfügung standen, nicht durchführen. Wir können demnach nach den Durchschneidungsversuchen eine Mitbeteiligung der Fasern des Plexus tympanicus, die mit dem N. intermedius centripetal verlaufen, an der erzielten Blutdrucksenkung nicht mit Sicherheit ausschließen. Es ist darum notwendig, einen Reiz zu setzen, der den N. vesti- bularis allein trifft. Dies kann aber nur die Erzeugung einer Endo- lymphströmung auf mechanischem Wege sein. Anfangs wurden Fistel- versuche angestellt, indem die mediale Wand des Mittelohres in der oben beschriebenen Weise vom äußeren Gehörgang aus freigelegt und nun in das Promontorium resp. in die Wand des äußeren Bogenganges ein kleines Loch gemeißelt und in dieses eine stumpfe Kanüle eingelegt wurde, die mit einem Gummiballon in Verbindung stand. Durch einen mit dem Gummiballon erzeugten Luftstrom gelang es wohl, einzelne Zuckungen der Augen, einmal auch eine typische Blutdrucksenkung zu erzielen. Die Unsicherheit der Erzeugung einer Fistel ohne Öffnung des peri- resp. endolymphatischen Raumes ließ uns jedoch bald diese Methode verlassen und daran denken, die Endolymphströmung durch Drehung des Tieres zu erzeugen. Es mußte darum eine Methode er- sonnen werden, um den Blutdruck des Tieres zu schreiben, während dasselbe in Drehung versetzt wurde. Hierzu diente folgende Versuchs- anordnung (Abb. 5). Am Fuß eines Kaninchenbrettes ist entsprechend dessen Längsachse eine in eine Kurbel endigende Eisenstange befestigt, während an der Kopfseite eine kreis- runde Scheibe derart fixiert ist, daß ihr Mittelpunkt in der Fortsetzung der Längs- achse des Brettes liegt. Stange und Scheibe gleiten in entsprechenden Vertiefungen zweier Holzblöcke, so daß bei Drehung der Kurbel das Brett mit dem angeschnallten Tier ungehindert um die Längsachse gedreht werden kann, der Mittelpunkt der Kreisscheibe dagegen seine Lage im Raume beibehält. Durch den Mittelpunkt der Scheibe geht ein Metallrohr, das in Fortsetzung der Längsachse des Brettes verläuft und in seiner Höhlung ein Glasrohr trägt, das nach doppelter Biegung am Kaninchenbrett fixiert ist und mittels eines kurzen Schlauchstückchens mit der in der Carotis befindlichen Kanüle in Verbindung steht. Dreht man also das Tier, so dreht sich das in der Metallhülse befindliche Glasrohr, ohne sonst seine Lage im Raum zu verändern. Dieses Glasrohr steht mit einer an der Außenseite geschliffenen Glasröhre in Verbindung, welche mit möglichst geringer Reibung in einem an der Innenfläche geschliffenen genau anliegenden Rohr gleitet (diese Vorrichtung läßt Sich aus einer Luer-Spritze improvisieren). Das Außenrohr ist in einem Stativ fixiert Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 13 192: E. A. Spiegel und Th, D. Demetriades: und steht mit dem Manometer in Verbindung; dadurch, daß das Innenrohr allein die Drehung des Brettes mitmacht, ist es demnach möglich, auch während der Drehung den Blutdruck zu schreiben. Es ist nur noch nötig, eine gegenseitige Abb. 5. Apparat zur Blutdruckschreibung während der Drehung des Versuchstieres. I Ka- ninchenbrett, 2 Carotis-Kanüle, 3 Verbindungsstück in der Drehachse, 4 inneres, rotierendes, 5 äußeres, fixiertes Glasrohr, M Verbindung mit dem Manometer. Verschiebung der beiden Rohre in der Längsrichtung zu vermeiden, da jede der- artige Verschiebung durch Änderung des Volumens sofort den am Manometer re- gistrierten Druck beeinflussen muß. Deshalb ist an dem Außenrohr eine Stahl- feder angebracht, welche einen konisch zugespitzten Stift trägt, der in einer am Innenrohr befestigten Rinne läuft. Immerhin waren auch trotz dieser Vorrichtung kleine Schwankungen des Druckes bei jeder Drehung zu beobachten, über deren Größe die Kontrollkurve (Abb. 6) Auskunft gibt. Diese Kurve wurde in der Weise gewonnen, daß die Kanüle in die Carotis eines toten Kaninchens eingebunden, das ganze System so lange mit Na,00,-Lösung gefüllt wurde, bis ein bleibender Überdruck im Manometer (30 mm Hg) erzielt wurde. Abb. 6. Kontrollkurve. Manometer- Nun wurde das Brett in anfangs lang- schwankungen bei Drehung eines same, weiterhin immer rascher werdende a Be Drehungen versetzt, deren letzte, zehnte mit plötzlichem Anhalten geschlossen wurde. Es wurde also dieselbe Art der Drehung geübt, wie sie weiterhin am lebenden Tier zur Anwendung kam. Die Kurve zeigt, daß wohl jeder einzelnen Drehung eine Schwankung des Mano- meters entspricht, daß aber nach jeder Drehung und auch am Schluß aller 10 Drehungen das Manometer wieder den gleichen Druck wie vor dem Versuch anzeigt. Die Bilder, welche durch Drehen eines Versuchstieres gewonnen werden, geben demnach, abgesehen von den jeder Einzeldrehung entsprechenden Schwankungen, den im Flüssig- keitssystem Tier-Apparat herrschenden Druck wieder. Abb. 7 zeigt den Erfolg von 12 Drehungen an einem normalen Kaninchen, wieder während einer Urethan-Äther-Narkose. Die Kurve hat einen ähnlichen Verlauf wie die bei kalorischer Reizung gewonnene. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 193 Sie zeigt nur insofern Modifikationen, als die Blutdrucksenkung einmal schon während der Drehung einsetzt, um nach deren Aufhören einige Zeit bestehen zu bleiben und allmählich sich wieder zurückzubilden, ein andermal die Senkung erst nach dem Sistieren der Drehung eintritt Abb. 7. Normales Kaninchen wird 12 mal nach rechts gedreht. Blutdruck 160 mm Hg. Zeit in Sekunden. (Abb. 8), in seltenen Fällen schließlich die während des Drehens auf- tretende Depression nach dem Einhalten der Bewegung noch weiter fortschreitet, um dann wieder in sanft ansteigender Kurve dem normalen Druk Platz zu machen. Bei Abstufung des Reizes durch Variation der Zahl der Drehungen zeigte sich, daß sogar schon eine einzige Drehung genügt, um die Blutdrucksenkung auszulösen !). Bei weiterer Steigerung Abb. 8. Blutdrüucksenkung erst am Ende der Drehung. Der Nachnystagmus dauert bis zu A. der Drehungszahl konnte man bei manchen Tieren wieder ein Geringer- werden der Depression beobachten. Es scheint demnach, daß, ähnlich wie dies Brünings?) für die Wirkung des Vestibularapparates auf die quergestreifte Muskulatur gezeigt hat, schon minimale Reize einen Ein- fluß auf den Blutdruck auszuüben vermögen, daß es aber bei Steigerung des Reizes, wie Kobrak?) bei abgestufter kalorischer Reizung erst jüngst 1) Ein solcher Versuch ist in unserer vorläufigen Mitteilung auf dem Wies- badner Kongreß d. D. Ges. d. Hals-, Nasen- u. Ohrenärzte (S. Z. f. Hals-, Nasen- u. Ohrenheilkunde 1922) reproduziert. 2) Brünings, Verhandlg. d. Deutsch. Ges. d. Hals-, Nasen- und Öhrenärzte. Nürnberg 1921. 3) Kobrak, Beitrag zur Lehre von d. stat. Funktionen d. menschl. Körpers. Berlin 1922, Karger. — Derselbe, Beiträge von Passow-Schaeffer 11. 1918. 132 194 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: für den Nystagmus zeigte, zu einer ‚Dämpfung‘ dieser Wirkung kommen kann. Was den Wiederanstieg der Blutdruckkurve anlangt, so erfolgt dieser, wie schon bemerkt, meist viel langsamer als die Senkung. Oft zeigt sich ferner, daß der aufsteigende Schenkel der Kurve, ähnlich wie wir es schon bei der kalorischen Reizung erwähnt haben, schließlich die ursprünglich vor dem Versuch beobachtete Höhe überschreitet, die anfängliche Blutdrucksenkung also einer leichten Steigerung Platz macht (Abb.9), ein Phänomen, das vielleicht der von Sherrington !) Abb. 9. Die während der Drehung auftretende Depression ist von einer leichten Blutdruck- steigerung gefolgt. y Nachnystagmus nach 12 Rechtsdrehungen. beschriebenen sekundären Induktion analog zu setzen ist; ähnlich wie bei dem von diesem Autor beschriebenen Beugungsreflexe des Hundes die zur Zeit der Beugung durch reflektorische Hemmung erschlafften Extensoren nach dem Aufhören der Tätigkeit der Flexoren in eine leb- hafte Kontraktion geraten, so daß der Reflex biphasisch wird, also die Hemmung des Extensorenzentrums von einer Erregung gefolgt ist, sehen wir auch hier die anfängliche Depression des Blutdruckes in eine leichte Steigerung übergehen. Wir finden demnach, daß auch durch Drehung des Tieres Blut- drucksenkung eintritt, ein Effekt, der sowohl beobachtet wurde, wenn Körper und Mundspalten — Hinterhauptachse des Tieres in einer Geraden lagen, als auch, wenn dieselben in senkrechter Stellung zueinander fixiert wurden. Es fragt sich, ob diese Depression tatsächlich als reflektorische Wirkung der durch die Drehung erzielten Vestibularisreizung aufzufassen sei oder ob sie nicht auf anderem Wege, vielleicht durch eine peripher bedingte Erschlaffung der Gefäßwand oder durch eine Reizung anderer sensibler Nerven zustande komme. Es ist ja wahrscheinlich, daß durch die Rotation die Strömung des Blutes in den Gefäßen nicht unbeeinflußt bleibt, und diese Veränderung der Strömung könnte einen Reiz abgeben, der die Gefäßwand zur Erschlaffung veranlaßt. Diese Möglichkeit wird aber dadurch ausgeschlossen, daß nach Unterbrechung der weiter unten noch zu erörternden zentrifugalen Wege der beobachteten Vestibularis- Gefäßreaktion, also nach Abtrennung der bei diesem Reflex sich er- 1) Sherrington, Integr. action, 206. 1908 und Folia neurobiologica 1, 356. 1908. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 195 weiternden Gefäßgebiete vom Zentralnervensystem die Blutdruck- senkung unterblieb, was bei einer rein peripheren Wirkung natürlich nicht der Fall sein könnte. Immerhin könnte noch der zweite Einwand erhoben werden, die erzielte Blutdrucksenkung nach Drehen sei nicht Folge der Vestibularis- erregung, sondern einer Reizung anderer sensibler Nerven, welche diesen Reflex auslösen. Wenn auch dieser Einwand schon durch die Tatsache unwahrscheinlich schien, daß wir bei einem albinotischen Kaninchen, das auf kalorischen Reiz und auf Drehung einen Nystagmus vermissen ließ, also anscheinend eine Unerregbarkeit des Vestibularapparates aufwies, auch die Depression des Blutdruckes nach Drehung vermißten, so schienen doch Drehversuche nach doppelseitiger Labyrinthaus- schaltung nötig. Zu diesem Zwecke schien die von de Kleijn!) und anderen geübte Ausschaltung durch Injektion einer Cocainlösung am geeignetsten. Wir fanden nämlich bei Versuchen, in welchen wir den Nerv. octavus im Porus acusticus freilegten, daß schon die mechanische Reizung dieses Nerven durch Druck zur Erzeugung einer Blutdruck- senkung genügt, so daß nach Totalexstirpation beider Labyrinthe infolge der damit verbundenen Aufmeißelung der Wände des Porus acusticus internus und Durchschneidung des Octavusstammes bei der Drehung des Tieres ein mechanischer Reiz an diesem Nerven gesetzt werden kann, welcher neben dem Liquorabfluß das Versuchs- resultat störend beeinflußt. Auch die doppelseitige intrakranielle Durch- schneidung des 8. Hirnnerven schien für diesen Versuch nicht geeignet; denn mit dieser Durchschneidung wird ja durch die unvermeidliche gleichzeitige Durchtrennung der Art. auditiva interna eine Blutung gesetzt, die schon bei einseitiger Durchschneidung recht unangenehm werden kann, bei doppelseitiger Durchschneidung und nachfolgender Rotation des Tieres aber ein brauchbares Resultat in Frage stellt. Aus diesen Gründen wurde die doppelseitige Labyrinthausschaltung durch Einspritzung einer 20 proz. Cocainlösung in das Labyrinth gewählt. Daß die geringen Mengen Cocain, die ins Labyrinth injiziert werden, nicht zur Resorption gelangen, hat schon de Kleijn gezeigt. Wir modifizierten die von de Kleijn angegebene Methodik nur insofern, als wir nicht den Zugang zur Bulla ossea vom Hals her wählten, sondern die Frei- legung der medialen Wand des Mittelohres nach Abtragung des äußeren Gehör- ganges und Aufmeißelung der Schläfenbeinschuppe nach der oben beschriebenen Methode vorzogen, weil auf diese Weise ein besserer Überblick auf die Außenwand des Labyrinths zu gewinnen war, als nach Aufmeißelung der in der Tiefe des Halses freigelegten Bulla. Das Eintreten der Cocainwirkung wurde aus dem Ausbleiben des Nystagmus nach Drehen und kalorischer Reizung erschlossen. Auch die t) de Kleijn, Arch. f. d. ges. Physiol. 145, 549. 1912. 196 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: Blutdrucksenkung auf kalorische Reizung blieb nun aus. Bei galvanischer Reizung war eine Wirkung auf den Blutdruck bei Anlegen der Kathode an den äußeren Bogengang erst bei 20—25 Milliamp. zu erzielen (Wirkung auf den Stamm des Nerv. VIII?).. Mit dem Eintreten dieser Cocain- wirkung konnte nun bei Drehen der Tiere in zwei Versuchen ein Ver- schwinden der vorher deutlich nachweisbaren Blutdrucksenkung nach- gewiesen werden. In zwei Fällen ließ sich wenigstens eine deutliche Abschwächung dieser Wirkung erzielen. In weiteren Fällen war sogar zu beobachten, daß eine schon an normalen Tieren manchmal im Be- ginne der Drehung zu beobachtende geringe Drucksteigerung mit der Labyrinthlähmung immer mehr zunahm (Abb. 10). Diese letztere Erfahrung könnte dafür sprechen, daß der geschilderte depressorische Effekt vielleicht normalerweise blutdrucksteigernden Reflexen super- poniert ist, die durch Erregung anderer sensibler Nerven bei der Drehung bedingt werden. In dieser Richtung könnte vielleicht auch, wenn über- haupt eine teleologische Be- trachtungsweise in der Biolo- Abb. 10. Cocainausschaltung beider Labyrinths. E Mattes 1 Si A Leichte Blutdrucksteigerung nach 2 Rechtsdrehun- gıe statthalt ist, der Dınn der gen (bei y). Kein Nystagmus. beobachteten Vestibulariswir- kung gesucht werden: ähnlich wie der Nerv. depressor vagi Druckschwankungen, die durch Stei- gerung des Aortendruckes bedingt werden, paralysieren soll, könnte da:an gedacht werden, daß der N. vestibularis Drucksteigerungen, die durch Erregung anderer sensibler Nerven, etwa bei jähen Kopf- bewegungen ausgelöst werden, auszugleichen habe. Doch diese Vorstellung soll vorderhand höchstens als Arbeitshypothese geäußert werden, da erst analysiert werden muß, wieso die nach Vesti- bularisausschaltung manchmal beobachtete Drucksteigerung zustande kommt, bevor ein Zusammenhang dieser Wirkung mit der des Vesti- bularapparates auf den Blutdruck genauer erörtert werden kann. In dieser Arbeit soll nur noch auseinandergesetzt werden, auf welchen efferenten Bahnen die nach kalorischer und galvanischer Reizung des Labyrinthes, sowie auch Drehung erzielte Blutdrucksenkung zustande kommt. Haben wir es mit einer Herz- oder einer Gefäßwirkung zu tun? Eine Hemmung der Herznerven durch Erregung der Vaguszentren läßt sich ausschließen, da nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung sowohl der Effekt des kalorischen, als auch jener des Drehreizes bestehen blieb. Was die Beteiligung des Gefäßsystems anlangt, so scheint eine Erweiterung der Kopfgefäße von keiner oder höchstens untergeordneter Bedeutung zu sein, da auch doppelseitige Durchschneidung des Hals- Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 197 sympathicus den Reflex fast unverändert bestehen bleiben ließ {Abb. 11). Durchschneidung des Rückenmarkes ober dem Abgang der Nn. splanchnici am Übergang des Cervicalmarks in das Thorakal- mark läßt dagegen die Blutdrucksenkung fast völlig verschwinden (Abb. 12)!). Nur in einigen Versuchen wurde eine geringe, noch erhaltene Abp. 11. Doppelseitige Durchschneidung des Vagus und Halssympathicus verhindert nicht die depressorische Wirkung der Drehung. Depression beobachtet. Es scheint also, daß der depressorische Vesti- bularisreflex ganz ähnlich wie die Wirkung des N. depressor vagi durch eine Erweiterung der Bauchgefäße zustande kommt. Wie wir aber vom letztgenannten Nerven wissen, daß seine Wirkung wohl. vor- wiegend, aber nicht ausschließlich durch eine Erweiterung der Ein- geweidegefäße bewirkt wird, indem auch nach doppelseitiger Splanchni- Abb. 12. Durchschneidung des Rückenmarks zwischen Cervical- und Thorakalmark. Die vor- her durch Drehung bewirkte Depression ist.nicht mehr zu erzielen, man bemerkt nur die den einzelnen Drehungen entsprechenden Schwankungen des Manometers. cusdurchschneidung die Blutdrucksenkung nach Depressorreizung zu beobachten ist, wenn der Blutdruck (beispielsweise durch Infusion von Kochsalzlösung) in der Höhe gehalten wird [ Porter und Beyer?)], scheint auch der Vestibularisgefäßreflex nicht ausschließlich über die Splanchnici zu verlaufen. Wenn wir nämlich durch vorheriges Abbinden der Aorta abdominalis, knapp nach ihrem Durchtritt durch das Zwerchfell, der Vena cava inferior und der Vena portae ein Abfließen des Blutes aus dem übrigen Körper in die Bauchgefäße bei der nachfolgenden Splanchni- cidurchschneidung verhinderten, also höchstens durch die Vv. hepaticae Blut rückläufig in die erweiterten Lebergefäße einfließen konnte und !) Diese Durchschneidung wurde zweizeitig ausgeführt, indem die beiden Rückenmarkshälften an zwei aufeinanderfolgenden Tagen durchtrennt wurden. Dadurch ließ sich ein zu jähes Absinken des Blutdrucks infolge der Durch- schneidung verhüten. 2) Porter u. Beyer, Americ. Journ. of Physiol. 4. 283. 1901. 198 E. A. Spiegel und Th. D. Demetriades: auf diese Weise trotz Splanchnicidurchschneidung der Druck auf der alten Höhe erhalten war, konnten wir auch nach beiderseitiger Splanchni- eidurchschneidung die Blutdrucksenkung deutlich beobachten. Es dürfte also eine Erweiterung der Muskelgefäße neben der Splanchnicus- wirkung beim Zustandekommen der Blutdrucksenkung mitbeteiligt sein, wie wir ja ähnliches auch durch plethysmographische Unter- suchungen von Bayliß!) vom N. depressor kennen. Welche Bedeutung die hier beschriebene Blutdrucksenkung für die Klinik hat, inwiefern eine im Rahmen dieser Blutdrucksenkung zu erwartende Hirnanämie für das Zustandekommen des Schwindels in Betracht zu ziehen ist, das werden weitere Untersuchungen zu zeigen haben; ebenso ist die Frage der zentralen Bahnen des beschriebenen Reflexes, der Mitbeteiligung des hypothetischen Vasomotorenzentrums noch offen. Hierüber sind Versuche im Gange, über die weiterhin zu berichten sein wird. Zusammenfassung. 1. Kalorische und galvanische Reizung des Labyrinths führt bei Kaninchen zu Senkung des Blutdruckes, ein Effekt, der ziemlich rasch nach Beginn des Reizes einsetzt und erst allmählich wieder zurückgeht. Die gleiche Wirkung läßt sich auch bei mechanischer Reizung des im Porus acusticus internus freigelegten Nerv. VIII beobachten. 2. Durch Drehen der Versuchstiere ließ sich ebenfalls eine Senkung erzielen, die schon während des Drehens oder erst mit dem Aufhören desselben e'nsetzt, weiterhin manchmal einer nachträglichen leichten Blutdrucksteigerung Platz machen kann. Diese Depression tritt schon bei Anwendung von minimalen Reizen, ja schon nach einer einzigen Drehung auf. 3. Nach einseitiger Acusticusdurchschneidung ruft kalorische Rei- zung der operierten Seite keine Depression mehr hervor (galvanischer Reiz nach dieser Operation wurde nicht geprüft); nach Cocainaus- schaltung des Labyrinths war ein Effekt der galvanischen Reizung erst bei 20— 25 Milliamp. (vielleicht durch Reizung des VIII. Stammes selbst) zu erzielen. Nach doppelseitiger Labyrinthausschaltung durch Cocainjektion konnte teils Rückgang resp. Aufhebung der Blutdrucksenkung, teils Verstärkung einer manchmal schon normalerweise zu beobachtenden kurzdauernden initialen Blutdrucksteigerung konstatiert werden. Diese Beobachtung spricht vielleicht dafür, daß die geschilderte depressorische Wirkung bei Reizung des Vestibularapparates pressorischen Effekten, die durch Reizung anderer Nerven bei Drehen der Versuchstiere aus- gelöst werden, superponiert ist. 1) Bayliß, Journ. of physiol. 14. 303. 1913. Beiträge zum Studium des vegetativen Nervensystems. III. 199 4. Die geschilderte Blutdrucksenkung bleibt nach Vagus- und Hals- sympathicus-Durchschneidung bestehen, sie verschwindet fast ganz nach Durchschneidung des Rückenmarks ober dem Abgang der Nn. splanchnici; wenn man nach der Splanchnici-Durchschneidung den Blutdruck auf der alten Höhe erhält, kann man aber durch Vestibu- larisreizung noch eine deutliche Depression erzielen, was dafür spricht, daß ähnlich wie bei der Reizung des N. depressor neben der Splanchni- cuswirkung noch andere Gefäßgebiete am Zustandekommen der Depression beteiligt sind. (Aus dem physiologischen Institut Freiburg i. Br.) Untersuchungen über Muskelhärte. I. Mitteilung. ‚Eine allgemein anwendbare Methode zur physiologischen Härte- bestimmung,. Von Ernst Mangold. «(Ausgeführt mit Unterstützung der Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft). Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 18. Mai 1922.) In der Festschrift für Zwaardemaker habe ich!) kurz über ein neues Verfahren berichtet, das ich in dem Bestreben ausgearbeitet habe, eine für physiologische und klinische Zwecke der Härtemessung an Muskeln und andern Organen möglichst allgemein brauchbare Methode zu schaffen. Dort habe ich auch die einschlägige Literatur bereits ‚ausführlich berücksichtigt, ebenso schon darauf hingewiesen, daß meine Methode, die wie die von Noyons?) angegebene als eine Gewichts- Sklerometrie bezeichnet werden kann, trotz theoretischer Bedenken hinsichtlich der elastischen Nachwirkungen sich praktisch so gestalten läßt, daß sie durchaus brauchbare Ergebnisse für eine quantitative Verfolgung von Veränderungen der Muskelhärte, gemessen an der Eindrückbarkeit, liefert. Dies soll im folgenden näher erwiesen werden. Zunächst ist eine Beschreibung der neuen sklerometrischen Methode zu geben. Die für isolierte wie am Körper belassene Warm- und Kaltblütermuskeln und auch für die Untersuchung am lebenden Menschen ausgearbeitete Methode erfordert ‚die folgenden einfachen Vorrichtungen (s. Abb. 1). Den für alle diese Objekte unentbehrlichen und einheitlichen Hauptbestandteil bildet ein an einem Stativ befestigter, an einer wagerechten Achse drehbarer, zweiarmiger Hebel (H). Der längere Arm dieses aus einem runden, 2 mm dicken Messingstabe bestehenden Hebels ist einschließlich seiner auf die Länge von 60 mm aus dünnem Hartgummi geschnittenen Spitze 240 mm lang. In 40 mm von der Achse entfernt trägt er einen 40 mm langen, 1,5 mm dicken Messingstab, in ge- 1) Mangold, Arch. Neerland. de Physiol. 1922. 2) Noyons und v. Uexküll, Zeitschr. f. Biol. 56, 139. 1911. E. Mangold: Untersuchungen über Muskelhärte. 1. 201 lenkiger Verbindung, so daß dieser in der Längsrichtung des Hebels drehbar be- weglich ist, seitlich dagegen nicht ausweichen kann. An dem kleinen Messingstab ist eine runde Pelotte aus dem gleichen Metalle mit ebener Fläche von 5 mm Durch- messer angeschraubt, die mit anderen Scheiben verschiedener Größe ausgewechselt werden kann. Weiter befindet sich an dem langen Hebelarme noch ein kurzes, auf ihm verschiebliches Röhrchen mit einem Häkchen daran, so daß der Hebel in jeder beliebigen Entfernung von der Achse nacheinander mit verschiedenen angehängten Gewichten belastet werden kann, die in einem Satze von 2, 5, 10, 20, 50, 100 g die Vorrichtung ergänzen. Ferner trägt noch der kurze Hebelarm ein mit einem übergeschobenen Metallzylinder verschiebliches Laufgewicht zum horizontalen T Abb. 1. Vorrichtung zur Sklerometrie. Ausbalanzieren des Hebels, und endlich wird hinter dessen Spitze eine Millimeter- Skala angebracht. Die Hebelspitze macht dann die vertikalen Bewegungen der Pelotte entsprechend den angegebenen Massen unter 6facher Vergrößerung mit. Während diese Anordnung bereits alles wesentliche für die Messung der Muskelhärte am lebenden Menschen enthält, dessen zu untersuchender Muskel, z. B. Biceps brachii, in geeigneter, später zu beschreibender Weise unter die Pelotte gebracht wird, werden für die Versuche am i soliertenMuskel weitere, aus der Abb. 1 ersichtliche Vorrichtungen erforderlich. Als Unterlage für den Muskel, z. B. Triceps surae von Kaninchen oder Meerschweinchen, Gastrocnemius bezw. Semi- membranosus-Gracilis vom Frosche, dient zweckmäßig eine Glasplatte, die auf ein schmales aber stabiles Holzgestell (G) gelegt ist, an dem für diese Messungen auch unmittelbar die Hebelvorrichtung angebracht wird (s. Abb. 1). Auf der einen Seite wird dann der Muskel mittelst des mit ihm im Zusammenhang belassenen Knochenstückes (Femur bezw. Tibia) an einer Klemme befestigt, die zugleich für 202 E. Mangold: Reizungszwecke als die eine Elektrode dienen kann (X). Auf der anderen wird er, falls er belastet oder Messungen bei verschiedener Spannung vorgenommen werden sollen, an seiner Sehne durch ein Häkchen oder Fadenschlinge mit einem horizontal zu einer Rolle (R) führenden starken Faden verbunden, an dem ver- schiedene Gewichte aufgehängt werden können. Auch für Messungen am in situ verbleibenden Muskel läßt sich die Vorrichtung ohne Schwierigkeit verwenden. Soll z. B. der am Körper belassene Wadenmuskel eines Kaninchens untersucht werden, so wird das ganze abgehäutete Tier in einer breiten Stativklemme fixiert, der Unterschenkel mit Wade nach oben auf das Holz- gestell aufgelegt und die Pelotte dann auf die Muskeloberfläche gebracht. Endlich läßt sich in gleicher Weise auch am lebenden Tiere ein freigelegter Muskel auf seine Härte untersuchen. Um nun die Härte eines Muskels nach dem Grade seiner Eindrückbarkeit zu bestimmen, wird der Hebel in horizontal ausbalanzierter Lage am Stativ so ein- gestellt, daß die Pelotte gerade eben mit ganzer Fläche ohne Druck dem Muskel aufliegt. Sodann wird an dem z. B. auf 80 mm Entfernung von der Achse fest- gestellten Häkchen ein Gewicht, z. B. 2 oder 5 g, angehängt, und das Einsinken der Pelotte in 6facher Vergrößerung an der Hebelspitze vor der Millimeter-Ein- teilung abgelesen. Das sofort wieder abgenommene Gewicht wird hierauf nach Kontrolle der Nullstellung der Hebelspitze durch das nächste ersetzt, dann wieder abgelesen usf. Die erhaltenen Zahlen werden tabellarisch protokolliert und ge- gebenenfalls mit denjenigen zusammengestellt, die nach solchen Zu- standsänderungen des Muskels gewonnen werden, deren Einfluß auf die Härte untersucht werden soll. Als Beispiel seien in Tabelle I die bei einem Versuche erhaltenen Werte für die Eindrückbarkeit wiedergegeben. Tabelle 1. Härtemessung am isolierten Muskel nach 1", 71/,h, 24h post mortem (Kaninchen 12. linker Triceps surae. Hebelbelastung in 80 mm Entfernung von der Achse. Ovale Pelotte 5:8 mm). Hebelbelastung Hebelausschläge in mm g ih p. m. 71/;h p. m. 24h p. m. 2 12 4 1 5 26 1l 2,5 10 35 19 5 20 26 9 50 20 Das Zahlenbild ergibt sofort viel geringere Hebelausschläge, d.h. eine weitaus geringere Eindrückbarkeit nach 71/, Stunden und eine noch viel geringere nach 24 Stunden als am frischen Muskel. Der Unterschied ist durch die Härtezunahme infolge der Totenstarre bedingt. Das Ergebnis kann auch in Kurvenform veranschaulicht werden, indem die gemessenen Zahlen in ein Koordinatensystem eingetragen werden, auf dessen Abszisse die g-Werte der Hebelbelastung, auf dessen Ordinate die mm-Werte der Hebelausschläge stehen (s. Abb. 2). Die Hebelbelastung wird bei den einzelnen Messungen im allgemeinen nur soweit gesteigert, daß die Hebelausschläge bis höchstens etwa 30 mm gehen. Ein solcher Untersuchungen über Muskelhärte. T. 203 Ausschlag der Hebelspitze bedeutet bei der sechsfachen Vergrößerung schon ein Ein- sinken der Pelotte auf der Muskeloberfläche um 5 mm. Da dies bei einem etwa 13 mm dicken Muskel wie dem Triceps surae des Kaninchens schon eine beträcht- liche Deformation bedeutet, die zwar stets von ganz kurzer Dauer ist, aber doch besonders durch die Wiederholung vielleicht einen Einfluß haben könnte (s. weiter unten), so erscheint es geboten, die Hebelbelastung durch geeignete Wahl der Gewichte und der Entfernung von der Achse niedrig zu halten, was auch für die Beurteilung der Härte vollkommen genügt. Je härter ein Muskel, je ge- ringer daher der Hebelausschlag bei der Anfangsbelastung, um so höher kann man auch mit den Gewich- ten gehen, da dann Ausschläge von 20—30 mm erst bei viel höheren Be- lastungen erreicht werden. Um von den absoluten Werten der gefundenen Zahlen unabhängig zu werden, die naturgemäß bei verschiedenartigen Muskeln und unter verschiedenen Bedingungen verschieden sind und sich auch auf verschiedenen Anfangswerten aufbauen, und um zu quantitativ vergleichbaren Werten für die z Härte verschiedener Muskeln oder desselben Muskels in verschiedenen Zuständen zu gelangen, kann man in ähnlicher Weise, wie es schon Noyons tat, die Berechnung der + prozentischen Veränderungen der 2 Eindrückbarkeit vornehmen. Die Anfangswerte werden jeweils — 100 Hetelnelaung gez und nun j berechnet, yon Abb. 2. Spontane Härtezunahme (Abnahme der wieviel Prozent die Eindrückbar- Eindrückbarkeit) durch Totenstarre.. Versuch keit nach der auf ihre Wirkung ne en ne zu untersuchenden Zustandsände- Untere Kurve 24 Stunden post mortem. rung abgenommen hat. Aus der Tabelle 1 ergibt sich z.B. für die bei 2g Belastung ge- messenen Werte 12,4, 1 ohne weiteres, daß die Eindrückbarkeit nach 7!/, Stunden auf den dritten, nach 24 Stunden auf den zwölften Teil des Anfangswertes, also auf 33,3 bzw. 8,3%, gesunken ist. Oder, wie man auch sagen kann, sie ist um 2/3 bzw. 11/12 oder um 66,6 bzw. 91,6%, gesunken. Da nun die Eindrückbarkeit hier als Maßstab für das, was man als die Härte bezeichnet!), bestimmt wird und diese Härte mit MM 35 örlerometerwerte | 5 70 75 20 1) Siehe Mangold, 1. c. 204 E. Mangold: dem Sinken der Eindrückbarkeit steigt, so daß schließlich der kleinsten gemessenen Eindrückbarkeit die größte Härte entspricht, so könnte man mit entsprechenden Vorbehalten in dem hier herangezogenen Beispiel auch sagen: die Härte des Muskels ist nach 71/, Stunden um das 3fache, nach 24 Stunden um das 1l2fache gestiegen. Um indessen bei einer exakten Ausdrucksweise zu bleiben, wird die Veränderung der Muskelhärte zweckmäßig nur durch die prozentische Veränderung der Eindrückbarkeit gegenüber dem Anfangswerte derselben wieder- gegeben. So läßt sich in jedem Versuche auf Grund der Messungsergebnisse einzeln für die verschiedenen Muskelbelastungen berechnen, um wieviel Prozent des Anfangswertes sich die Eindrückbarkeit verändert hat. Als Beispiel ist dies für den Versuch der Tabelle I in der Tabelle II zusammengestellt. Tabelle II. Abnahme der Eindrückbarkeit in Prozent der Anfangswerte. (Kaninchen 12. Versuch der Tabelle I.) Hebelbelastung % Abnahme g 71/,h p.m. 24h p. m. 2 66,6 91,6 5 8757 90,4 10 55,8 85,8 Hebelbelastung und Spannung. Aus dieser Tabelle geht zugleich hervor, daß die prozentische Abnahme der Eindrückbarkeit unter dem Einfluß der größeren Hebel- belastung geringer wird. Die Methode gestattet daher die Vergleichung dieser Werte bei verschiedenen Muskeln, oder bei demselben Muskel in verschiedenen Zuständen, immer nur bei gleicher Belastung des Hebels. Das gleiche gilt für den isolierten Muskel auch von derjenigen Belastung, die an dem mit seinem Sehnenende verbundenen und über die Rolle R (s. Abb. 1) geführten Faden gehängt wird und die ihm eine bestimmte Spannung erteilt. Wie sich aus umfangreichen Versuchs- reihen ergibt und noch besonders ausgeführt werden soll, sinkt mit Erhöhung der Spannung die Eindrückbarkeit, so daß bei jeder Spannung andere Anfangswerte gemessem werden. Für diesen Einfluß der Spannung mögen die Tabellen III und IV als Beispiel dienen, die beide einen Versuch am gleichen Muskelindi- viduum wiedergeben und die zugleich die sehr beträchtliche Härte- zunahme unter einem weiteren, nämlich dem Einflusse der Wärme- starre, vor Augen führen; auch diese Einflüsse können nach den ge- messenen Werten wie die der Totenstarre (s. Abb. 2) in Kurvenform dargestellt werden. Untersuchungen über Muskelhärte. 1. 205- Tabelle III. Tabelle IV. Einfluß der Spannung auf die Eindrückbarkeit. Derselbe Muskel in Wärme- (Kaninchen 5. Trieeps surae, frisch isoliert) starre. Hebelbelastung Hebelausschläge in mm bei Spannung mit g 50 g 500 g 1000 g 50 g 500 g 1000 g 5 14 10 6 4,5 2,5 1 10 24 13 8 8 4 2,5 20 34 18 13 13 q 4,5 50 43 28 22 23 14 10 Auch kann diese Abnahme der Eindrückbarkeit, wie die mit steigender Spannung, in Prozenten des Anfangswertes, hier also der Werte bei der‘ geringsten Spannung, berechnet werden. So zeigt z. B. die Tabelle IV, daß die Eindrückbarkeit des wärmestarren Muskels bei einer Hebel- belastung von 10 g durch Erhöhung der Spannung von 50 auf 500 g, von 8 auf 4mm, d.h. um 50%, und bei einer Spannungserhöhung von 50 auf 10008 von 8 auf 2,5 mm, also um 69% des Anfangswertes zurückgeht. Für die verschiedenen Hebelbelastungen ist dies nach den Werten der Tabelle IV in Tabelle V berechnet. Tabelle V. Abnahme der Eindrückbarkeit mit erhöhter Spannung in % der Anfangswerte.. (Versuch der Tabelle IV.) Hebelbelastung % Abnahme g von 50 auf 500 & von 50 auf 1000 g {5} 45 88 10 50 69 20 46 58 50 32 57 Auch hier zeigt sich wieder, daß die prozentische Abnahme der Eindrückbarkeit mit steigender Hebelbelastung geringer wird. Nach den hier in einzelnen Beispielen charakterisierten Ergeb- nissen fragt es sich nun, bei welcher Hebelbelastung, und für isolierte Muskeln auch bei welcher Spannung die Messungen der Eindrückbarkeit am besten ausgeführt werden, um die brauchbarsten Werte für die Ver- gleichung der Härte verschiedener Muskeln oder desselben Muskels- in verschiedenen Zuständen zu erhalten. Auf diese Frage ergibt sich eine Antwort aus den tabellarischen Zusammenstellungen und Durch- schnittsberechnungen der langen Reihen von Messungen, die ich an 20 Wadenmuskeln von Kaninchen in ihrem frischen Zustande und in verschiedenen Stadien der Wärme- und Totenstarre ohne Spannung und mit solcher durch 50, 500, 1000 und 1500 g, zugleich bei wechselnder Hebelbelastung mit 2, 5, 10, 20, 30, 50, 100 g zur praktischen Ausar- beitung der Methode durchgeführt habe. Für die günstigste Hebelbelastung zeigte sich dabei, daß man für die prozentische Veränderung der Eindrückbarkeit fast ausnahmslos zu: den gleichen Durchschnittswerten gelangt, wenn man die Messungen. 206 E. Mangold: nur mit 10 oder 20 g Belastung ausführt, als bei Erweiterung der Ver- suchsreihen durch Messung auch bei 5, 50, 100g. Die bei den höheren und geringsten Belastungen gewonnenen Werte gleichen sich also wieder auf die bei 10 und 20 g erhaltenen Durchschnittswerte aus. Eine zu niedere Hebelbelastung ist ohnehin nicht günstig, da sie zu so niederen Ausschlägen führt, daß besonders bei den höheren Spannungen, die die Werte noch verringern, eine Berechnung in Pro- zenten der Anfangswerte mißlich ist. Eine zu hohe aber führt zu so starken Deformationen des Muskels durch die einsinkende Pelotte, daß hierin ein zunächst nicht übersehbarer schädigender Einfluß ge- sehen werden könnte. Stets aber empfiehlt es sich, die Messung zur erhöhten Sicherheit des Ergebnisses nicht nur mit einer, sondern mit zwei verschiedenen Hebelbelastungen, also mit 10 und 20g auszu- führen. Für die günstigste Spannung des isolierten Muskels, sofern es sich nicht um Untersuchung des Einflusses verschiedener Spannungen selbst auf die Muskelhärte, sondern um die der Veränderungen der Eindrück- barkeit unter verschiedenen anderen Bedingungen handelt, zeigt die Berechnung aus den gesamten Versuchsreihen, daß die Durchführung der Messungen allein bei einer Spannung mit 500 g das Gleiche leistet, wie bei 3 verschiedenen Spannungen durch Belastung mit 50, 500 und 1000 g, und fast ausnahmslos zu den gleichen Gesamtdurchschnitts- werten führt. Eine zu hohe Spannung hat hier auch wieder den Nachteil, daß sie sehr kleine absolute Werte bedingt, eine mittlere den Vorteil einer geringen elastischen Nachwirkung, wie sie bei fehlender oder zu niedriger Muskelspannung die Genauigkeit der Messungen beein- trächtigen kann. Die elastische Nachwirkung spielt, wie ich schon anderorts!) unter Hinweis auf die hierzu von Gildemeister und Dittler gemachten Bemerkungen ausführte, für die Messungen der Eindrückbarkeit durch die hier angegebene Methode der statischen Sklerometrie eine Rolle sowohl beim Einsinken der Pelotte auf der Mwuskeloberfläche nach dem Anhängen der Hebelbelastung, wie auch bei dem Ausgleich der Deformation des Muskels nach dem Abnehmen des Gewichtes. Beides kommt bei hoher Spannung des Muskels kaum in Betracht, da hier die Pelotte sofort um einen de- finitiven Wert einsinkt und sich der Hebel nach Abnehmen des Ge- wichtes sofort wieder auf die Nullstellung zurück erhebt. Bei geringer Muskelspannung dagegen folgt einem ersten schnellen ein weiteres langsames Einsinken der Pelotte und man muß sich für einen Zeitpunkt zur Ablesung des Hebelausschlages entscheiden. Hier erweist sich nun 1) Mangold, Festschr. f. Zwaardemaker, Arch.- Neerl. de Physiol. 1922. Untersuchungen über Muskelhärte. I. 207 als zweckmäßig und unschwer durchführbar, die Ablesung in dem Augenblicke vorzunehmen, wo das erste rasche Einsinken der Pelotte zu Ende ist und wonach nun noch ein verlangsamtes Weitersinken erfolgt, ein Augenblick, der bei Beobachtung der Hebelspitze vor der mm-Skala nach einiger Übung leicht zu erfassen ist. Es hat dies zu- gleich den Vorteil, daß die Deformation des Muskels bei den einzelnen Hebelbelastungen auf ein geringes Maß, und da das Gewicht sofort nach der Ablesung wieder abgenommen wird, auch auf eine kürzere Zeit beschränkt bleibt. Die Kontrolle der abgelesenen Werte durch die graphische Registrierung des Absinkens der Hebelspitze zeigte eine Übereinstimmung der Zahlen. Die empirische Prüfung meiner Methode mit einer in die Tausende gehenden Zahl von Einzelmessungen in den verschiedensten Versuchen ergibt gegenüber den theoretischen Bedenken hinsichtlich der elastischen Nachwirkung, daß diese für eine durchaus brauchbare Anwendung des Verfahrens keineswegs ein Hindernis bildet, wenn sie auch seiner Genauigkeit besonders für Messungen bei geringer Härte des Objekts und geringer Muskelspannung eine gewisse, nicht zu leugnende Grenze setzt. Der Grad dieser Ungenauigkeit läßt sich gut beurteilen aus Ver- suchen mit wiederholter Messung am gleichen Muskel, dessen Zustand sich inzwischen nicht geändert hat. Wenn man z.B. an einem frisch in extreme Wärmestarre versetzten Muskel täglich wieder bei zwei verschiedenen Spannungen die Eindrückbarkeit bestimmt und dabei die in Tabelle VI zusammengestellten Werte erhält, so wird man ohne weiteres sagen dürfen, daß sich die Härte dieses wärmestarren Muskels in 3 Tagen nicht mehr verändert hat. Man wird aber aus diesen Zahlen- bildern zugleich ersehen, daß bei unserm Verfahren für die abgelesenen Hebelausschläge mit einzelnen Abweichungen von 1—2 mm zu rechnen ist und sich gelegentlich ein einzelner Wert (Tab. VI. 22) durch eine bedeutendere Abweichung als fehlerhaft erkennen läßt. Tabelle VI. Mehrtägige Härtebestimmung am wärmestarren Muskel. (Kaninchen 14. Triceps surae. Hebelbelastung in 80 mm von der Achss, runde Pelotte 5 mm.) Hebelbelastung Hebelausschläge in mm g 3h p.m. _ 24h p.m. 45h p.m. 72h p.m. A. Bei Spannung mit 50 g 5 4 3 3 3 10 7 6 5 6 20 11 9 10 10 50 18 17 17 22 B. Bei Spannung mit 500 g 5 2 2,5 3 2 10 4 4 5 3 20 U 6 8 6 50 14 13 16 14 Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 14 208 E. Mangold: In den gleichen Grenzen hält sich der Fehler der Methode auch bei den absolut größeren Werten, die sich am frischen Muskel ergeben. Dies geht aus dem in Tabelle VII wiedergegebenen Versuche hervor, der bei 4 verschiedenen Spannungen mit Smaligem Wechsel derselben innerhalb von 10 Minuten, zugleich mit 4 verschiedenen Hebelbelastungen und 36 Einzelmessungen durchgeführt wurde. Tabelle VII. Härtemessung mit unmittelbar aufeinanderfolgenden Wiederholungen. (Kaninchen 13. Triceps surae, isoliert.) Hebelbelastung mm Hebelausschlag bei Spannung mit g 50 500 1000 50 [0 1000 500 50 1000 8 2 10 4,5 3:92,10 187, 3 5 10 4 5 23 10 9 23 32 8 10 21 9,5 10 20 17 13 17 13 20 29 22 20 27 20 Man wird nicht sagen können, daß dieser Fehler die Brauchbarkeit der Methode in Frage stellt. Da er indessen immerhin auf die Berech- nung des Grades der Härteveränderungen in Prozenten des Anfangs- wertes nicht ohne Einfluß ist, erscheint es ratsam, allgemeinere Schlüsse möglichst auf Durchschnittswerte aus größeren Versuchsreihen zu begründen, wie dies ja auch sonst eine allgemein geltende Forderung ist. In dem gleichen Umfange von 1—2 mm, selten mehr, halten sich auch die Unterschiede, die man zwischen zwei symmetrischen Muskeln desselben Tieres bei den einander entsprechenden Einzelmessungen erhält. Hierfür mögen die in Tabelle VIII wiedergegebenen Messungs- protokolle als Beispiel dienen. Tabelle VIII. Vergleichung der bei zwei verschiedenen symmetrischen Muskeln desselben Tieres erhaltenen Werte für die Eindrückbarkeit (Kaninchen 4. rechter und linker Triceps surae, isoliert. Werte des einen ohne, des anderen mit Klammer.) Hebelbelastung Hebelausschläge in mm bei Spannung mit g 50 8 500 g 1000 g 5 12 (12) 8 (8) zlez) 10 21 (19) 12 (11) 10 (10) 20 30 (30) 18 (17) 15 (14,5) 50 41 (44) 30 (28) 26 (23,5) 100 42 (40) 38 (36) Auf die Anwendung der als günstig erprobten Hebelbelastungen (10 und 20 g) und Spannungen (500 g), bei denen die elastische Nach- wirkung möglichst wenig störend wirkt, wurde bereits hingewiesen. Dies gilt zugleich für diejenige elastische Nachwirkung, die sich am nicht oder nur wenig gespannten Muskel jeweils nach dem Abnehmen der Hebelbelastung darin äußert, daß die Hebelspitze nicht sofort wieder auf die Nullstellung zurückgeht. Letzteres muß aber vor einer etwa gleich anzuschließenden weiteren Messung jedesmal abgewartet werden, Untersuchungen über Muskelhärte. 1. 209 ud es läßt sich übrigens durch Lüften der Pelotte von der Muskeloberfläche beschleunigen. Unter Bezugnahme auf den in Tabelle VII wiedergegebenen Ver- such erscheint hier ein Hinweis darauf am Platze, daß bei der vor- stehend dargestellten Anwendung meiner Methode ein wesentlicher Einfluß der Messungen auf die Muskelhärte und damit wieder auf die früher oder später folgenden weiteren Messungen nicht in Betracht kommt. Tabelle VII zeigt, daß selbst sehr häufige und schnell aufeinander folgende Wiederholungen der Messung und ein ebensolcher Wechsel der hierbei angewendeten Spannungen die Eindrückbarkeit des Muskels nicht irgendwie nachhaltig verändern. Daß die Dehnungen hierbei keinen Einfluß haben, war zu erwarten, da der Muskel nach Dehnung auf glatter horizontaler Unterlage nach der Entlastung mit elastischer Vollkommenheit in die Anfangslänge zurückkehrt!); offenbar gilt dies ebenso von der Druckelastizität. Eichung des Sklerometers. Um die bei den Messungen ausgeübten Drucke physikalisch näher zu bestimmen, kann man bei meinem Sklerometer eine empirische Eichung der Hebelvorrichtung vornehmen. Hierfür wird ein Glasrohr, in welches die runde Pelotte mit 5 mm Durchmesser gerade hineinpaßt, zu einem zweischenklisen Hg-Manometer umgebogen, dessen kürzerer Schenkel bis fast vollkommen zum Rande mit Hg gefüllt wird. Sodann wird die Pelotte bei horizontal ausbalanciertem Hebel auf die Hg- Oberfläche aufgesetzt und nun festgestellt, um wieviele mm die Hg- Säule bei Belastung des Hebels herabgedrückt wird. Hierbei werden die gleichen Gewichte in der gleichen Entfernung von der Hebelachse angebracht wie bei den Messungen am Muskel. Für die Entfernung von SO mm ergeben sich die in der Tabelle IX zusammengestellten Werte für das Absinken der Pelotte mit dem Hg-Meniscus. Tabelle IX. Eichung des Sklerometers (Pelotte5 mm. Hebelbelastung in SO mm von der Achse.) Hebelbelastung Hg mm Druckwert mm Hg Dyupi. 5 10 5 12 24 10 23 46 20 32 64 Den einfachen Werten entsprechen die doppelten Druckwerte in mm Hg und bei der 6fachen Vergrößerung der Ausschläge bis zur Hebelspitze die 6fachen mm-Werte der Hebelausschläge an der mm- Skala. 1) Siehe Triepel, Physikalische Anatomie. Wiesbaden 1902, S. 104. 14* 210 E. Mangold: Hiernach läßt sich der Druck der Pelotte, der bei den verschiedenen Hebelbelastungen auf dem Muskel ruht, in mm-Hg ausdrücken, und man könnte in den Tabellen der Messungsergebnisse an Stelle oder neben den Hebelbelastungen auch den diesen jeweils entsprechenden Druck in mm-Hg angeben. Führt man die Eichung noch bei andern Pelotten und bei andern etwa für die Messungen in Betracht kommenden Entfernungen der Hebelbelastung von der Achse oder für andere ähnliche Apparate durch, so ergibt sich ein vergleichbares Maß für die ver- schiedenen Messungen. Auch in den kurvenmäßigen Darstellungen der Ergebnisse (s. z. B. Abb. 2) lassen sich entsprechend an Stelle der in g angegebenen Hebelbelastungen auch die Druckwerte in mm-Hg auf der Abszisse eintragen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Härte des Muskels oder sonstigen Organs mit der eines leicht herstellbaren Testobjekts zu vergleichen, wie schon Noyons die Härte von Organen auf Gelatine- platten bezog. Als solches lassen sich zweckmäßig hierfür @elatine- zylinder von verschiedenem Prozentgehalt und bestimmten Dimensionen herstellen, an denen die Eindrückbarkeit in ganz der gleichen Weise gemessen und in Tabellen oder Kurven dargestellt wird wie am Muskel. Durch Vergleichung der am Muskel und am Gelatineblock gemessenen absoluten Werte lassen sich dann übereinstimmende Zahlen finden und hiernach die Härte bzw. Eindrückbarkeit eines Muskels nach der der Gelatine ausdrücken. Tabelle X. Gelatinezylinder als Testobjekte. Durchmesser 30 mm. Höhe 10 mm. Pelotte 5 mm. Entfernung der Hebelbelastung 80 mm von der Achse. Sklerometerwerte in mm. %-Gehalt Hebelbelastung 5% 10% 20% 2 4,5 3 125 5 10 6 2,5 10 18 11,5 4 20 18,5 7 Die Tabelle X gibt die Eindrückbarkeit von solchen Gelatine- Testplatten wieder, die durch Eingießen von vorher auf 50° erwärmten Gelatinelösungen von 5, 10 und 20% Gelatinegehalt in zylindrische Gläschen von 30 mm Durchmesser mit einer Dicke von 10 mm her- gestellt werden. Bei diesen Dimensionen stimmen die Sklerometerwerte von Gelatineplatten innerhalb solcher Gläschen mit denjenigen freier gleichgroßer Platten überein. Daher eignen sich die angegebenen Maße für solche leicht herzustellende Testobjekte aus Gelatine, die zur Gewinnung von Normal- und Vergleichswerten für die Härtemessung von Organen empfohlen werden können. Die Herstellung derartiger Untersuchungen über Muskelhärte. I. 211 Gelatine-Normalplatten erfolgt in ähnlicher Weise, wie es Gildemeister!) für seine Zwecke ausführte, durch Auflösung der abgewogenen Menge käuflicher weißer Gelatine in der dem gewünschten Prozentgehalte entsprechenden Menge ag. dest. unter Erwärmung und Umrühren, sodann Umgießen in die Glasgefäße von den angegebenen Dimensionen. Vergleicht man nun mit diesen in Tabelle X zusammengestellten Sklerometerwerten für derartige Gelatine-Normalplatten z.B. die in der Tabelle VI wiedergegebenen Werte für einen wärmestarren Muskel, jeweils für die gleichen Hebelbelastungen, so läßt sich sagen, daß dieser bei Spannung mit 50 g etwa ebenso eindrückbar ist, wie eine 10 proz. Gelatine-Normalplatte und bei Spannung mit 500 g ebenso hart wie eine Gelatine-Normalplatte von 20%. Ebenso würde ein Vergleich für die Sklerometerwerte bei Totenstarre (s. Tabelle I) mit den Gelatine- normalwerten der Tabelle X für den Kaninchen-Triceps nach 7!/, Stun- den post mortem die gleiche Härte wie bei einer 5proz., nach 24 Stunden post mortem bereits wie bei 20 proz. Gelatine ergeben. In der gleichen Weise wie in den der Tabelle X zugrunde liegenden Versuchen kann man auch für verschiedene Pelottengrößen einzeln eine sklerometrische Messung mit verschiedenprozentiger Gelatine vor- nehmen und sich danach Eichungstabellen herstellen. Dabei werden die Sklerometerwerte um so kleiner, je größere Druckplatten ver- wendet werden. Einfluß der Unterlage und Dicke des Objekts. Derartige Gelatineblöcke eignen sich auch weiter für die syste- matische Ausarbeitung unserer Methode hinsichtlich gewisser, bei den Messungen in Betracht kommender Einflüsse, so besonders des- jenigen der Dicke des Muskels oder sonstigen Messungsobjekts wie auch der Unterlage. Hierüber habe ich auch noch anderweitige Ver- suchsreihen angestellt, die den Untersuchungsbedingungen am Muskel genau entsprachen. Die Frage nach dem etwaigen Einfluß der Dicke wie auch der Unterlage des auf seine Härte zu untersuchenden Organs, wie sie besonders für die Messungen am lebenden Menschen, und ganz allgemein am in situ verbleibenden Muskel, von Bedeutung ist, läßt sich ja auch am Muskel selbst prüfen. Ich habe zu diesem Zwecke die Messungen am isolierten Triceps surae des Kaninchens mehrfach mit veränderter Art und Dicke der Unterlage ausgeführt, während der- selbe für die sonstigen systematischen Untersuchungen stets auf einer Glasplatte lag (s. Abb. I). Wurde zwischen diese und den Triceps eine 20—35 mm dicke Lage aus Kaninchenmuskulatur gebracht, hierdurch also sozusagen die Dicke des Muskels selbst verändert, so ergab sich gegen die Erwartung kein wesentlicher Unterschied der Eindrückbarkeit. 1) Gildemeister, Zeitschr. f. Biol. 63, 175. 1914. E. Mangold: Dies geht z. B. aus dem in der Tabelle XI wiedergegebenen Versuche hervor, in dem sich die Abweichungen zwischen den, jeweils bei gleicher Hebelbelastung und Spannung am gleichen Muskei bei geringer und erheblich größerer, auf das 3fache erhöhter Dicke gewonnenen Zahlen nicht als größer erwiesen wie sonst bei Wiederholung der Messungen unter völlig unveränderten Bedingungen. Tabelle X1. Einfluß der Muskeldicke auf die Härtemessung. (Kaninchen Triceps surae, isoliert.) Hebelbelastung Muskel auf Glasplatte Muskel auf 35 mm Muskelschicht g Spannung mit: Spannung mit: 0 50 500 1000 g 0 50 500 1000 & 2 21 16 Ü (5) 22 15 S 6 5 28 30 14 10 32 DaR| 13 10 10 22 16 21 16 20 24 23 An einem spontan erstarrten, isolierten Muskel wurden die bei den verschiedenen Spannungen gemessenen Werte für die Eindrückbarkeit durch eine Unterlage von 45mm Muskelschicht bei den höheren Be- lastungen teilweise etwas größer. Jedenfalls übt aber hiernach bei der Dicke eines Kaninchen-Triceps, d.h. bei 12—13 mm, die Dicke des Muskels und die Konsistenz der Unterlage keinen wesentlichen Einfluß auf die an seiner Oberfläche gewonnene Eindrückbarkeit aus. Offenbar drückt sich dabei in den sklerometrischen Werten vorwiegend und im wesentlichen die Ein- drückbarkeit der oberen Schichten des Muskels aus. Für den Wadenmuskel des Kaninchens ersetzt daher auch eine Glas- platte ziemlich vollkommen die natürliche Unterlage; dies geht aus der Übereinstimmung der Werte bei frisch oder nach der Entwicklung der Totenstarre zuerst in situ und gleich darauf nach Isolierung ge- messenen Muskeln hervor; dabei stimmen, wie die in Tabelle XII wiedergegebenen Beispiele zeigen, die Werte in situ mit denen vom isolierten Muskel überein, solange dieser ohne oder nur bei einer Spannung mit 50 g gemessen wird. Tabelle XII. Härtemessung am in situ belassenen und am isolierten Muskel. Kaninchen 12, link. Triceps | Kaninchen 12, r. Triceps Kaninchen 11, Triceps Hebel | r isoliert | isoliert isoliert belastung in situ ih p. m. in situ 24h p. m. in situ 7h p. m. Spannung 24h p.m. | Spannung | 7b p.m. Spannung N g BRAT 0g ie 50 0g 3 HR 0 508 2 11 12 9 15) N | 4 4 5 5 22 11126 ..21/22 3,5 3 10 1l 11 10 35 34 6 5 20 22 18 20 10/11 10/11 35 35 28 Untersuchungen über Muskelhärte. I. 213 Für diese wie alle wiederholten Härtemessungen an demselben wie an verschiedenen Muskeln, empfiehlt es sich, um möglichst gleiche Bedingungen und dadurch gut vergleichbare Werte für die Eindrück- barkeit zu erhalten, die Pelotte jedesmal der gleichen Stelle der Muskel- oberfläche aufzusetzen. Als solche eignet sich in der Regel die Mitte des Muskelbauches, da hier auch bei Verkürzung und Verdickung des Muskels durch Reizkontraktion oder Starre das Druckplättchen immer noch horizontal mit ganzer Fläche aufliegen kann, während dann die Teile der Muskeloberfläche seitlich der Höhe des Muskelbauches hierfür zu abschüssig werden. Die Vergleichung der Werte bei Aufsetzen der Pelotte auf verschiedene Stellen eines Muskels ergibt auch am frischen Muskel Unterschiede, die zweckmäßig sonst zu vermeiden sind und durch Markieren des einmal gewählten Punktes ja auch leicht vermieden werden können. Diese Unterschiede sind nach den Enden des Muskels hin wohl zum Teil auch durch die hier immer beträcht- licher werdende Dickenabnahme, z. T. jedenfalls aber durch die nach der Sehne zu veränderten Bindegewebsverhältnisse des Muskels be- dingt. In weiteren Mitteilungen soll über die mit dem vorstehend ge- schilderten sklerometrischen Verfahren gewonnenen Ergebnisse der Härtemessung an tierischen Muskeln in verschiedenen Zuständen der Starre und Reizkontraktion wie am Menschen berichtet werden, worüber ich kurz zusammenfassend bereits an anderer Stelle ge- sprochen habet). Als Beispiel für die Sklerometrie am Menschen, die mit meiner Apparatur in sehr einfacher Weise auszuführen ist und lediglich ein Stativ mit der Hebelvorrichtung (s. Abb. 1 H.) und eines mit der Millimeterskala erfordert, die sich unschwer auch am, oder auf geeigneter fester Unterlage selbst im Krankenbette aufstellen lassen, seien in Tabelle XIII einige Durchschnittswerte für den Extensor carpi radialis longus und den Biceps angegeben. Sie zeigen den Unter- schied der Eindrückbarkeit bei Ruhe und starker Willkürkontraktion, wie er für den Biceps noch durch die Kurven der Abb. 3 ersichtlich gemacht ist. Auch für die physiologische Härtebestimmung an andern Organen ist das Verfahren ohne weiteres anwendbar. !) Mangold, Freiburger Med. Gesellsch. 9. V. 1922. 214 E. Mangold: Untersuchungen über Muskelhärte: 1. HR fe J6 = = = o a —i & s ES! SZ 30 E a mwowmo Q — -_ S ® m 3 = 2, o o 25) je! 3 © [ee] EI Es =] zs ovao = e 2 -“—an S ® 20 Na 5 .: © © = 2.2 I Seren: % Mea Abb. 3. Härtekurve des menschlichen Biceps S (Sklerometerwerte für die Eindrückbarkeit). Obere 5 Kurve: bei Ruhe. Untere Kurve: bei willkürlicher S Kontraktion. > Zusammenfassung. Es wird eine neue Methode für die physiologische Härtemessung angegeben, die auf dem Prinzip der statischen Sklerometrie beruht und mit der als Maßstab der physiologischen Härte die Eindrückbarkeit der Organe zahlenmäßig bestimmt wird. Das zunächst besonders an isolierten Kaninchenmuskeln ausgearbeitete Verfahren läßt sich ebenso auch am in situ befindlichen Tiermuskel und in sehr einfacher Weise auch am Menschen für die Messung der Muskelhärte und ihre Ver- gleichung in verschiedenen Zuständen ausüben, ferner auch für die Härtebestimmung an andern Organen. Die Methode besitzt eine all- gemeine Verwendbarkeit zur Härtemessung für physiologische, patho- logische und klinische Zwecke. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) Untersuchungen über Muskelhärte. II. Mitteilung. Die Härtemessung in Totenstarre und Wärmestarre. Von Ernst Mangold. (Ausgeführt mit Unterstützung der Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 18. Mai 1922.) Die Erforschung der Veränderung des Muskels durch die spontane Totenstarre und die Wärmestarre hat sich neben der chemischen Unter- suchung bis jetzt fast vollkommen auf die Registrierung der Ver- kürzung beschränkt. Im übrigen wird immer nur ohne weitere ex- perimentelle Prüfung davon gesprochen, daß der Muskel ein getrübtes Aussehen und eine festere, steife, weniger elastische Konsistenz annimmt. So sehr die Veränderungen der Zug- und Druckelastizität bei diesen Zuständen, zu deren Bezeichnung als Starre sie ja den Anlaß gaben, im Vordergrund des Bildes stehen, so haben sie doch bisher keine physiologische Bearbeitung erfahren. Nur für die Wärmestarre be- stehen einige Angaben über die verringerte Dehnbarkeit. Die Härte- veränderungen sind aber allgemein fast völlig unbeachtet geblieben. Durch meine neue, für die Messung der Härte des Muskels und anderer Organe allgemein verwendbare Methode der physiologischen Sklerometrie!), bei der als Maßstab für die Härte die Eindrückbarkeit gemessen wird, sind nun auch die während jener Starrezustände auf- tretenden Härteveränderungen quantitativ meßbar und vergleichbar geworden und können in ihrer Entwicklung stufenweise leicht ver- folgt werden. Über derartige Messungen der Muskelhärte im Verlaufe der Toten- und Wärmestarre will ich im folgenden berichten. Dabei sollen zunächst die Härteveränderungen während der Totenstarre und ihrer Lösung, t) Mangold, Unters. über die Muskelhärte. 1. Mitteilung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 1922; Arch. Neerland. de Physiol. Festschr. f. Zwaardemaker, 1922; Freiburger Med. Gesellsch. 9. V. 1922. 216 E. Mangold: danach die stufenweisen Veränderungen durch die Wärmestarre be- handelt, und nach dem quantitativen Vergleich der Härtegrade des Muskels in beiden Zuständen die Beziehungen beider zueinander erörtert werden, wie es bis jetzt vorwiegend nur auf Grund der chemischen Untersuchung der Muskeleiweißkörper geschah. Die ausgedehnten Versuchsreihen wurden von mir an Muskeln von Kaninchen, zum Vergleich auch an solchen von Katzen und Meer- schweinchen, durchgeführt, und zwar wurde als besonders geeignet stets der isolierte oder je nachdem auch der in situ freigelegte Triceps surae beider Hinterbeine verwendet. An diesem wurden die Härte- messungen in der in voriger Mitteilung angegebenen Weise vorge- nommen und zu den verschiedensten Zeiten nach dem Tode wiederholt, auch die Wärmestarre zu verschiedenen Zeiten herbeigeführt. In- zwischen wurden sie in feuchter Kammer bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Die Herstellung des Triceps surae als physiologisches Muskelpräparat erfolgt in der Weise, daß sofort nach der Tötung des Tieres durch Nackenschlag der Schenkel abgehäutet, die Achillessehne umschnitten und der Muskel nach Ab- präparieren der ihn bedeckenden oberflächlichen Muskelschicht und Durch- schneiden des Ursprunges des kleinen dritten Kopfes, bis über das Knie isoliert wird. Durch dieses Gelenk hindurch wird dann der Unterschenkel mit der Knochen- zange abgetrennt, während der Muskel in dem von der übrigen Muskulatur be- freiten und, um eine Splitterung zu vermeiden, durchgesägten Femur eine Hand- habe zum Festschrauben in der Klemme des Stativs!) erhält. 1. Änderungen der Muskelhärte im Verlaufe der Totenstarre. Für die Totenstarre ist durch die quantitative Bestimmung der Muskelhärte ein neues mebßbares Kriterium gewonnen. Die mit meinem Sklerometer am totenstarren Muskel erhaltenen Werte für die Ein- drückbarkeit zeigen, wie schon das in der ersten Mitteilung gegebene Beispiel lehrte (s. S.202 u.203, TabelleI u. Abb. 2), gegenüber dem frischen Muskel sehr große Unterschiede. Diese Härtemessung kann daher auch bei den Muskeln, deren vorhergehende Schicksale nicht bekannt sind, zur Erkennung des totenstarren Zustandes benutzt werden. Besonders von forensisch-pathologischem Interesse würde es sein, diese Härte- messung für die Bestimmung der Todeszeit einer Leiche zu verwenden. Nach meinen Erfahrungen an Kaninchen muß es zweifellos auch bei der menschlichen Leiche möglich sein, den Zeitpunkt seit dem Tode auf diese Weise in vielen Fällen mit großer Annäherung zu bestimmen. Findet sich der Muskel nach der sklerometrischen Messung noch weich, nimmt dann aber seine Härte von Stunde zu Stunde zu, so befand er sich sicher in den ersten Stunden post mortem. Nimmt die Härte bei wiederholter Prüfung nicht mehr oder nur noch langsam und wenig 1) Siehe Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 1922, S. 201, Abb. 1. Untersuchungen über Muskelhärte. II. 217 zu, so stammte er oder die Leiche aus einer späteren Zeit post mortem: aus einer noch späteren, wenn die Härte sich anfangs beträchtlich er- weist, dann aber gleichbleibt oder wieder abnimmt, wodurch die Lösung der Totenstarre erkennbar wird. Der hier bereits skizzierte Verlauf der Härteänderung während der Totenstarre sei zunächst an dem Zahlenbilde der Tabelle I erläutert. Tabelle I. Änderungen der Härte im Verlauf der Totenstarre. Sklerometerwerte (Hebel- ausschläge) inmm. Hebelbelastung in SO mm von der Achse. Pelotte 5:8 mm. Muskel ohne Spannung. (Kaninchen 12). Hebel- | Stunden post mortem Fe. in situ isoliert ge 3 Be A en 24 3 | 8 72 A. rechter Tricsps surae, in situ bis 24" h. p. m.; danach isoliert. | 2 12. a 6 4 1,5 1 2 1 2 Da | 03300 0.25 2 021835 1.07137 12.102 5.355 3 4 3 4 107 En sen 240. 96. 2 18 6 5 9 6 6,5 20 | | 38 34 2853| 10:5,.710:5.215 18 12 12 50 | Da an 92222 B. Linker Triceps surae, frisch isoliert See aa | a | 2 Be 226. 25 19 11 | 4 2 74 TO 102300 0..520 19525 10.319 15 De 9 u 200 | DEU EN 9 | 160 0150015 50: || | | 259961042501 11526 C. Linker Triceps surae, wie bei B, doch Spannung mit 500 g [ 2 ar Aue Sal Re | 1 Du |) 6 5 3 2 2,5 2 2 10 | Ne a 1) 10 5 4 5 4 4 200019232 10,25 | a] 16 9 9 9 9 9 BONS |LEAAE rA4 30 | 529 19 | 19 TS 20 17 Dieselbe zeigt die mit meinem Sklerometer gemessenen Werte für die Eindrückbarkeit zweier symmetrischer Muskeln desselben Kaninchens zu verschiedenen Zeitpunkten während der 1. bis 72. Stunde post mortem. Aus dem gesamten Zahlenmaterial dieses Versuches, bei dem, um zugleich dabei dieMethode auszuarbeiten und durchzuprüfen, die einzelnen Messungen jedesmal mit verschiedenen Hebelbelastungen (2, 5, 10, 20, 50 100 g), am isolierten Muskel auch bei verschiedenen Spannungen (mit 0,50, 500, 1000 g) durchgeführt wurden, sind hier in der Tabelle unter A und B nur die ohne besondere Spannung, und unter C noch für den einen Muskel die bei Spannung mit 500 g erhaltenen Werte wiedergegeben. Die einzelnen horizontalen Zahlenreihen der Tabelle lassen alle leicht die Abnahme der Hebelausschläge und damit DS E. Mangold: die der Eindrückbarkeit der Muskeln erkennen. Dieselbe beginnt aber erst nach 5" p. m. deutlich zu werden, während nach 3" gegenüber den Werten der ersten Stunde noch keine Veränderung erkennbar ist, da die Zahlen hier noch nicht mehr als 1—2 mm von den ersten abweichen und diese Abweichungen, wie wir in der vorigen Mitteilung hervor- hoben, innerhalb der Fehlergrenzen dieser Methode liegen. Die Tabelle zeigt weiter die Übereinstimmung sowohl der absoluten Werte für die Eindrückbarkeit, wie demnach auch ihrer Veränderungen während der Totenstarre, zwischen den beiden symmetrischen Muskeln (A u. B), obwohl der eine sofort nach dem Tode des Tieres heraus- Öklerometerwerte IEON7ENTO 20 67] 40 50 60 70 Öluden postmortem Abh.1. Zeitlicher Verlauf der Härtezunahme (Abnahme der Eindrückbarkeit) in der Totenstarre. Versuch der Tabelle I. Kurvendarstellung für die Sklerometerwerte bei Hebelbelastung 10 g Kurve A rechter Triceps, erst in situ, nach 24 Stunden isoliert, ohne Spannungsbelastung- Kurve B linker Triceps, isoliert, ohne Spannung. Kurve C derselbe bei Spannung mit 500 g. präpariert und daher von vornherein isoliert untersucht wurde, während die Härte des andern bis 24" p. m. in situ, weiter aber nach der darauf stattfindenden Isolierung bestimmt wurde. Besonders erweisen sich die 24h p. m., vor und nach der Isolierung, gemessenen Werte als gleich. Die Übereinstimmung beider Muskeln wird noch besser durch die Kurven der Abb. 1 veranschaulicht, in der die bei der Hebelbelastung 10g gemessenen Werte für die Eindrückbarkeit eingetragen sind. Die gleiche Übereinstimmung ergab sich auch, wenn der eine Muskel überhaupt viel später zum ersten Male gemessen wurde. Die sklerometrischen Messungen bei höheren Spannungen zeigen den grundsätzlich gleichen Verlauf für die Härteänderung während der Totenstarre, nur beginnen sie naturgemäß der höheren Spannung entsprechend, die die Eindrückbarkeit herabsetzt, mit kleineren Werten. Untersuchungen über Muskelhärte. II. 219 Als Beispiel hierfür ist aus diesem Versuch noch das Ergebnis bei Spannung mit 500 g in der Tabelle I wie auch in der untersten Kurve der Abb. 1 wiedergegeben. Ausdrücklich möchte ich auch hier hervorheben, daß derartig umfangreiche und zeitraubende Messungen, wie ich sie zur gleich- zeitigen Durchprüfung der Methode jedesmal angestellt habe, so daß z. B. Tabelle I nur einen Teil der in einem Versuche erhaltenen Werte umfaßt, keineswegs jedesmal für die Härtebestimmung erforderlich sind. Es genügt vielmehr bei jeder Wiederholung der Messung die Beschrän- kung auf eine Spannung des Muskels und 1 oder höchstens 2—3 ver- schiedene Hebelbelastungen. Abb.1 zeigt, daß sich dabei schon ein gutes Bild des Verlaufes gewinnen läßt. Für den Beginn der Totenstarre ist bemerkenswert, daß nicht nur in dem hier näher erläuterten Beispiel, sondern bei allen von mir gemessenen Kaninchen-Triceps nach 3" p. m. stets noch keine Härteänderung meßbar hervortrat, obwohl an dem übrigen Tierkörper, der in feuchter Kammer aufbewahrt wurde, nach 3h bereits allenthalben an dem vermehrten Widerstand gegen Bewegung ein schwacher Beginn der Totenstarre bemerkbar war; auch nach Bierfreund!) beginnt, wenigstens bei den weißen Muskeln des Kanin- chens, die Totenstarre nach 1— 3", In eigenen größeren Untersuchungs- reihen hatte ich bei Mäusen den Beginn der Totenstarre am ganzen Körper auf durchschnittlich 2" p. m., bei Ratten auf 3% p. m., ebenso bei graphischer Registrierung des isolierten Gastrocnemius bei Ratten auf 31/,h, beiMäusen dagegen schon nach 25’ feststellen können ?). Nach diesen Angaben macht sich im Beginn der Totenstarre die meßbare Verkürzung offenbar gleichzeitig oder etwas früher geltend als die sklerometrisch meßbare Härtezunahme des Muskels, die nach 4, jeden- falls aber nach 5% p. m. beginnt und nach 7N regelmäßig bereits in be- trächtlichem Maße nachweisbar ist. Für den Höhepunkt der Totenstarre ergibt sich aus dem als Beispiel (s. Tabelle I u. Abb. 1) herangezogenen, wie aus meinen übrigen Versuchen die Tatsache, daß nach 24" p.m. jedenfalls der Höhepunkt der Härtezunahme erreicht ist. Die gleich zu besprechende prozentische Berechnung der Härtezunahme wird über diese Verhältnisse weiteres ergeben. Nach 24h findet keine be- trächtliche Härtezunahme mehr statt. Die Härte bleibt vielmehr danach tagelang gleich, steigt höchstens noch unbedeutend oder aber sie nimmt mit der beginnenden En. Lösung der Totenstarre 1) Bierfreund, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 43, 195. 1888. ®) Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 102. 1921. 220 E. Maneold: zu Die in der vorigen Mitteilung (S. 204, Tabelle II) erwähnte prozentische Berechnung der Härteänderungen gibt nun die Möglichkeit der quantitativen Verfolgung dieser Ver- änderungen in allgemein vergleichbaren Werten. Hiermit wird ein Maß gefunden, durch das die Grade der Starre bei verschiedenen Muskeln oder verschiedenen Starrezuständen unmittelbar vergleichbar werden, und man unabhängig wird von den dieser Berechnung zunächst zu- grunde gelegten absoluten Werten der Messungen. Wird der am frischen Muskel bei einer bestimmten Spannung und Hebelbelastung mit dem Sklerometer gemessene Wert des Hebelausschlages als Anfangswert gleich 100 gesetzt, so läßt sich nach den unter gleichen Bedingungen später bestimmten Werten leicht ausrechnen, um wieviel Prozent des Anfangswertes in jedem Zeitpunkt post mortem die Eindrückbarkeit als Maßstab der Muskelhärte sich verändert hat. Dies habe ich in großen Versuchsreihen am Triceps surae des Kaninchens für den Ver- lauf der spontanen Totenstarre durchgeführt, wobei die Zeitpunkte von 7, 17, 18, 24, 72h p. m. mit dem gesamten Material der zu diesen Zeiten bei den verschiedenen Spannungen und Hebelbelastungen ge- wonnenen Einzelmessungen zugrunde gelegt wurden. An diesem wurde zunächst für die einzelnen Muskeln und Zeitpunkte die pro- zentische Abnahme der Eindrückbarkeit berechnet, wie es in der Ta- belle II zusammengestellt ist. Um ferner zu Gesamtdurchschnitts- werten zu gelangen, habe ich die sämtlichen an diesen 14 Muskeln gemessenen Zahlen verwertet, wobei aber, wie Tabelle II zeigt, nicht für deren jeden aus allen verschiedenen Zeiten Härtemessungen vor- lagen, für jeden aber natürlich der zugrunde zu legende Anfangswert des frischen Zustandes. Tabelle 11. Spontane Härtezunahme durch Totenstarre. (Abnahme der Eindrückbarkeit in Prozenten des Anfangswertes am frischen Muskel.) a __ Kaninchenmuskel postmortem| 41 | 41T | 51 61 | zENNsir.|'97 | 9 101 [1011| 111 | 121 | 1217| 141 | | 1 Iba,8 133,2 [54,5 165,5 128,5 135,6 17—18 | 40 | 30 | 30 69.5 | 81 | | 24 | | | Ay | 75 |44 68,7 172,9 82 48—49 | 54,8 | 63 68,6 [72,1| 71 | | | | | 67,9 |72,1 | 56 Obwohl besonders bei den kleineren absoluten Werten, die sich bei den höheren Härtegraden und Spannungen ergaben, schon durch kleine Abweichungen die Prozentberechnung stark beeinflußt wird, dürften bei dem großen Gesamtmaterial an Einzelmessungen die hier mitzuteilenden Durchschnittswerte eine gewisse absolute Gültigkeit: Untersuchungen über Muskelhärte. II. 221 ge für den Kaninchenmuskel besitzen und eine Orientierung über diese Verhältnisse am Warmblütermuskel gestatten. Tabelle III. Härtezunahme durch Totenstarre und Wärmestarre. (Abnahme der Eindrückbar- keit um ?% des Anfangswertes vom frischen Muskel.) 1 2 3 4 Stunden Totenstarre I. Wärmestarre 2. Wärmestarre post mortem Gesamtdurchschnitt Gesamtdurchschnitt Gesamtdurchschnitt 3 0) 68,6 70,3 7 43,5 — _ 17—19 46,5 56,1 5,8 24 66,5 65,1 —— 46—49 63,9 — 67,1 12 68,2 — = Die auf diese Weise gewonnenen, in der zweiten Reihe der Tabelle III eingetragenen Gesamtdurchschnittswerte zeigen, ebenso wie die ein- zelnen Durchschnittswerte in Tabelle II, daß die Härtezunahme schon nach 7N eine beträchtliche Höhe erreicht hat; die Eindrückbarkeit ist schon um 43,5%, also auf 56,5% zurückgegangen und sinkt von da ab nur langsam weiter, so daß sie bis 24h p.m. um 66,5% abgenommen hat. Hiermit ist die absolute Höhe der Härtezunahme erreicht. 48" p. m. ist die Abnahme der Eindrückbarkeit gegenüber dem Anfangswert schon wieder geringer. Wenn sie sich dann 72h p. m. wieder gestiegen zeigt, so deutet dies, sofern sich aus dem geringen Unterschiede von 1,7% Schlüsse ziehen lassen, darauf hin, daß bei manchen Muskeln auch später als 24 bzw. 48h p.m. noch eine weitere, wenn auch sehr geringe Härtezunahme stattfindet (vgl. Tabelle II, Muskel 6II). Auf diesen Wert als Gesamtdurchschnittswert für die Eindrückbarkeit nach 72h p. m. möchte ich indessen kein größeres Gewicht legen, da ich zu diesem Zeitpunkt nur an 3 Muskeln Messungen ausgeführt habe. Wenn man hierzu den Härteverlauf bei einzelnen Muskeln vergleicht, wie er in Tabelle II (121, 12 II, 14 I) angegeben ist, so zeigt sich, daß ein Muskel vom 2. bis zum Beginne des 4. Tages auch bei der erreichten Härtezunahme stehen bleiben (12I, 12 II; vgl. auch Abb. 1) oder aber in dieser Zeit mit der prozentischen Abnahme seiner Eindrückbarkeit wieder zurückgehen (14 I), d.h. wieder weicher werden kann. Dieses Ergebnis bestätigt die bisherigen Erfahrungen über den zeitlich stark wechselnden Beginn und Verlauf der Lösung der Totenstarre!). Auch hinsichtlich des zeitlichen Höhepunktes der Totenstarre lassen sich die über die Härteänderungen festgestellten Tatsachen gut mit den Er- gebnissen der Verkürzungskurve in Einklang bringen. Auch hier war der (bei Maus und Ratte) durchschnittlich auf 7—9% p.m. festzu- setzende Höhepunkt der Starre noch kein absoluter, ich erhielt vielmehr !) Vgl. Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 102. 1921. 222 E. Mangold: am isolierten Muskel noch sehr oft jenseits dieses relativen Höhe punktes einen weiteren, sehr geringen langsamen Anstieg der Starre- kontraktion !). Aus alledem ergibt sich der Eindruck, daß bei der Totenstarre die Härteänderung wohl im allgemeinen mit der Verkürzung des Muskels gleichen Schritt hält. Dabei braucht aber keine direkte Proportionalität zu bestehen. Auch bleibt die Verkürzung nach den Registrierversuchen ja gelegentlich aus, während die sklerometrisch meßbare Härtezunahme nach meinen bisherigen Erfahrungen am Warmblütermuskel eine völlig regelmäßige postmortale Erscheinung ist. Es sei hier vorgreifend gleich bemerkt, daß bei der Wärmestarre Härtezunahme und Verkürzung weitgehend unabhängig voneinander sind. Offenbar sind Verkürzung und Härtung des Muskels nicht als Maß- stab für einander gültig. Für die Totenstarre, die bezüglich der Ver- kürzung ja stets eine verschiedengradige und wohl nur partielle und submaximale ist?), ergibt sich noch die Folgerung, daß man allein nach dem Fehlen der Verkürzung nicht mehr vom Ausbleiben der Totenstarre sprechen darf, da die Starre dann doch in einer Härte- zunahme zum Ausdruck gekommen sein kann. Und weiter ergibt sich die Frage, ob sie wenigstens in dieser Beziehung wohl stets eine totale und maximale ist. Nach den Unterschieden, die ich bei den verschiedenen Muskeln zwischen den Maxima ihrer prozentischen Härtezunahme fand, die sich im einzelnen auf 54,35—82°% belief (s. Tabelle II), ist diese Frage zu verneinen; freilich ist hier noch damit zu rechnen, daß die wieder- holte sklerometrische Messung bei einigen Muskeln den absoluten Höhepunkt der Härtung gerade verpaßt hat; in Tabelle II zeigt sich am Beispiel des Muskels 6 II, daß auch noch nach 24" weitere Härte- zunahme stattfinden kann, und am Muskel SII, daß schon nach 17 bis 15h eine Härtezunahme erreicht sein kann, wie sie bei andern erst nach 24h p.m. (vgl. 14 I) erreicht wird. 2. Änderungen der Muskelhärte im Verlaufe der Wärmestarre. Die Wärmestarre der Muskeln ist bisher vorwiegend beim Frosche mit graphischer Aufzeichnung der Verkürzung untersucht worden. Auch für den Warmblütermuskel hat man den stufenweisen Verlauf der Erstarrung bei fortschreitender Temperaturerhöhung festgestellt und mit der Gerinnung der verschiedenen Muskeleiweißkörper in Zu- sammenhang zu bringen versucht?). Auch die Härteänderungen sind dabei aufgefallen; es wird aber stets ohne jede experimentelle Prüfung !) Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 103. 1921. ?) Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 212. 1920. ?) Siehe v. Fürth, Ergeb. d. Physiol. 1%, 474. 1919; v. Frey, Nagels Handb. d. Physiol. 4, 467. 1909. Untersuchungen über Muskelhärte. II. 223 und nur nach dem subjektiven Eindruck von dem Hartwerden ge- sprochen, sogar gelegentlich nach dieser oberflächlichen Beurteilung der Grad der Härte in Wärmestarre und Totenstarre verglichen!). Hier sei zunächst über die quantitative Messung der Härte und ihrer Zunahme durch die Wärmestarre nach den Versuchsreihen be- richtet, die ich an Kaninchenmuskeln (Triceps surae) mit meiner sklerometrischen Metnode durchgeführt habe. Die Wärmestarre wurde an den in der angegebenen Weise isolierten Muskelpräparaten zu verschiedenen Zeitpunkten post mortem in der Weise herbeigeführt, daß der sonst in feuchter Kammer aufbewahrte Muskel vermittels des an ihm belassenen Femurstückes durch eine Stativklemme fixiert und, ohne oder mit sehr geringer Belastung am Sehnenende, frei in einem Becherglase in Ringerlösung oder chemisch reiner NaCl-Lösung aufgehängt wurde, die nun von Zimmertemperatur an, unter ständigem Umrühren mit dem Thermometer, erwärmt wurde. Dabei lassen sich leicht zwei Verkürzungsstufen und deren Beginn und Beendigung beobachten. Ich kam dabei zu nicht vollkommen gleichen Temperaturangaben wie frühere Autoren?). Die erste Verkürzung be- ginnt bei meinem Verfahren am Wadenmuskelpräparat des Kaninchens bei 52° C, in annähernder Übereinstimmung mit Kühne [49—50°]3), und ist nach langsamer, stetiger Weitererwärmung bei 56—59° C beendet; die zweite beginnt dann bei 62°C und erreicht bei 68—69° C ihren Höhepunkt. Ich möchte diese beiden, bei 59 bzw. 69° C abgeschlossenen Verkürzungszustände als die erste und zweite Wärmestarre bezeichnen. Die Verkürzung dieses, in frischem Zustande je nach der Größe des Kaninchens 70—90 mm langen Muskels (gemessen wurde nur bis zum Ende der Muskelsubstanz oberhalb des Sehnenendes) beträgt nach den vor und nach der 1. Wärmestarre vorgenommenen Messungen an 13 Muskeln, die zu verschiedenen Zeitpunkten post mortem in die erste Wärmestarre versetzt wurden, im Gesamtdurchschnitt 13%, der Anfangslänge, wm die der Muskel sich dann verkürzt hat; ziehe ich nur diejenigen Muskeln in Rechnung, die gleich frisch vor der Möglichkeit einer Verkürzung durch Totenstarre in erste Wärmestarre versetzt wurden, so ergeben sich 20% als Durchschnitt. In der zweiten Wärme- starre fanden sich die Muskeln dagegen im Durchschnitt um 42%, der Anfangslänge (vor der 1. Wärmestarre) verkürzt. Die Verdickung des frischen, meist 13mm dicken Muskels geht, nach Messung der Höhe des Muskelbauches bei Lagerung des Muskels 1) Brodie und Richardson, Philos. Transact. roy. Acad. of Sc. 191, 143. B. 1899. ®) Brodie und Richardson, Philos. Transact. 191, 137. B. 1899 (Mäusegastrocne- mius); Vincent und Lewis, Journ. of Physiol. %6, 454. 1901 (Kaninchen); siehe auch v. Fürth, Ergebn. d. Physiol. 17, 475. 1909. ?) Kühme, Myolog. Unters. Leipzig 1860. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 15 224 | E. Mangold: auf der Glasplatte, bei der 1. Wärmestarre meist nur bis auf 14—15 mm, bei der 2. Wärmestarre auf 16—17 mm. Das Aussehen des Muskels wird durch die 1. Wärmestarre kaum verän- dert, er behält mit nur geringer Trübung seine frische Farbe, während er in der 2. Wärmestarre stark weißlich getrübt, wie gekocht, aussieht. Stellt man nun diesen verschiedenartigen Unterschieden, die der wärmestarre Muskel im Vergleich zum frischen Zustande aufweist, und die bei der 1. Wärmestarre noch sehr gering, bei der 2. Wärmestarre dagegen sehr beträchtlich sind, diejenigen Veränderungen gegenüber, die der sklerometrisch quantitativ gemessene Härtezustand des Muskels im Vergleiche zum frischen Zustande durch die Wärmestarre erfährt, so ergibt sich ein überraschendes Verhalten. Wie bei den Versuchen über die Totenstarre habe ich auch die Härtemessung an den wärmestarren Muskeln, für die bereits in der vorigen Mitteilung ein Beispiel auszugsweise wiedergegeben wurde (s. S. 207, Tabelle VI), jedesmal mit verschiedener Hebelbelastung meines Apparates (ö, 10, 20, 50 g) und bei verschiedener Spannung der Muskeln (mit 50, 500, 1000 g) durchgeführt. Die außerordentlich zahlreichen dadurch erhaltenen Einzelwerte wurden tabellarisch pro- tokolliert; durch Vergleich jedes Einzelwertes mit dem unter genau gleichen Bedingungen vorher festgestellten Sklerometerwerte des frischen Muskels wurde dann seine prozentische Veränderung gegen- über dem Frischwerte, der gleich 100 gesetzt wurde, berechnet. Die Gesamtdurchschnittswerte für die prozentische Abnahme der Eindrückbarkeit sind für die 1. und 2. Wärmestarre neben denen für die Totenstarre in der Tabelle III angegeben. Wenn man nun zunächst nur diejenigen Muskeln berücksichtigt, bei denen sowohl die 1. wie die 2. Wärmestarre sogleich nach der Her- stellung des Präparates oder doch noch innerhalb der ersten 3 Stunden post mortem herbeigeführt wurde, also zu einer Zeit, wo, wie wir oben sahen, die Totenstarre noch keine Härteänderung verursacht, so er- gibt sich die auffallende Tatsache, daß die durch die 1. Wärmestarre bedingte Härtezunahme durch die 2. Wärmestarre nicht mehr ge- steigert wird. Die Eindrückbarkeit sinkt durch die 1. Wärmestarre im Gesamtdurchschnitt bereits um 68,6%, in der 2. Wärmestarre um 70,3% des Anfangswertes vom frischen Muskel. Der Differenz von 1,7%, möchte ich keine Bedeutung beilegen, da sie gewiß innerhalb der Fehlergrenzen der prozentischen Berechnung liegt. Hiernach erreicht, im Gegensatz zur Verkürzung, Verdickung und Trübung des Muskels, die Härtezunahme schon in der 1. Wärmestarre den gleichen Wert wie in der zweiten. Wie für den frischen, innerhalb der ersten 3" p. m. in 1. und 2. Wärme- starre versetzten Muskel, gilt dies auch für solche, die zu anderer späterer Untersuchungen über Muskelhärte. II. 225 Zeit in Wärmestarre gebracht wurden. Eine Reihe von Muskeln wurde erst 17—18h p. m. in die 1. und anschließend dann in die 2. Wärme- starre gebracht. Ihre Eindrückbarkeit hatte nach der 1. Wärmestarre um 56,1%, nach der 2. um 55,8% des im frischen Zustande gemessenen Wertes abgenommen (s. Tabelle III). Bei einem Muskel, der nach 22" p. m. in 1. Wärmestarre versetzt wurde, betrug die Abnahme 65,1%. Bei vier andern, bei denen die 1. Wärmestarre nach 7 bzw. 8, 24 und 48h, die 2. Wärmestarre nach 46—49h hervorgerufen wurde, ergab sich in der letzteren eine durch- schnittliche Abnahme der Eindrückbarkeit um 67,1%. Die Härtezunahme infolge der beiden, zwischen I und 49h p.m. herbeigeführten Wärmestarren, schwankt demnach in dieser Versuchs- reihe nur zwischen 70,3 und 55,8%. Die absoluten Skerometerwerte, die bei der Wärmestarre erreicht werden, zeigen für die zwei symmetrischen Muskeln des gleichen Tieres jeweils eine ziemlich gute Übereinstimmung. Hierfür seien in Tabelle IV zwei Beispiele angeführt. Tabelle IV. A. Kaninchen 13. r. u. 1. Triceps surae in der 1. Wärmestarre !/, bezw. 1" p. m. Werte des einen der beiden Muskeln in Klammern. Hebelbelastung Hebelausschläge bei Spannung mit: g 50 500 1000 g 5 4,5 (7) 2 (1,5) 2 (1,5) 10 10 (11) 4 (3) 3 (3) 20 14 (20) 9 (6) 5,5(5)% 50 30 16 (17) 11 (13) B. Kaninchen 10. r. u. ]. Triceps in der 2. Wärmestarre 48 bezw. 49h p. m. 5 4 (3,5) 3(3) -- 10 6,5 (6) 5(5) — 20 10 (10) 8 (9) — 50 20 (21) 15 (18) — 3. Die Interferenz der Wärmestarre mit der Totenstarre. Wie die Tabelle III zeigt, bleiben die höchsten Werte, die die Härte- zunahme (Abnahme der Eindrückbarkeit) in der Totenstarre erreicht, kaum hinter denjenigen in der 1. oder 2. Wärmestarre zurück. Nach beiden Zustandsänderungen reicht dieses Maximum an 70% des An- fangswertes heran. Hieraus ergibt sich schon, daß ein totenstarrer Muskel durch Erwärmung nicht mehr wesentlich härter gemacht werden kann. Die Übersicht der Versuche zeigt denn auch, wenn man den Härtezustand nach der zu verschiedenen Zeiten p. m. erfolgten Erwärmung auf 1. oder 2. Wärmestarre mit den jeweils gerade vorher gemessenen Werten vergleicht, folgendes: Die Erwärmung auf 1. Wärme- starre (59°C) bis zu St p. m. bewirkt ausnahmslos eine beträchtliche Härtezunahme. (8—17% p. m. liegen keine Messungen vor.) Nach 18h p.m. wird der Muskel durch Erwärmung nur wenig härter oder 155 226 E. Mangold: bleibt meist ziemlich gleich, kann sogar schon etwas weicher werden als unmittelbar vorher. Nach 22h p. m. wurde ein Muskel noch etwas härter, nach 25" aber wurden zwei Muskeln weicher als vorher. Auch die Erwärmung auf 2. Wärmestarre (69° C) ergab 13—19 und 46h p. m. ein Gleichbleiben oder schon Weicherwerden gegen vorher, 28 und 48h p. m. dagegen in den vorliegenden Fällen eine Härtezunahme. Die Wirkung der Erwärmung hängt also von dem bis dahin er- folgten Fortschritt der Totenstarre ab; ist dieselbe noch im Anstieg begriffen, so wirkt Erwärmung steigernd auf die Härtezunahme. Ist dieselbe schon zum Stillstand oder einer gewissen Höhe gelangt, so läßt sie diese unbeeinflußt oder wirkt bereits wieder erweichend. In einem extremen Ausnahmefalle wurde ein Muskel auf diese Weise sogar wieder ebenso weich als im frischen Zustande (s. Tabelle V). Tabelle V. (Kaninchen 11. Triceps I.) Hebelbelastung Spannung mit: g 50 500 1000-8 A. Frisch 20° p. m. 5 20 AM 6 10 13 10 20 22 16 B. Totenstarre 24P p. m. 5 6 4 3 10 10 9 6 20 16 14 10 C. 1. Wärmestarre 25h p. m. 5 16 9 6 10 23 15 1l 20 32 24 19 Es erübrigt noch, auf einige 4. Theoretische Schlußfolgerungen einzugehen, die sich aus diesen Untersuchungen ergeben. Zunächst kann auf Grund der sklerometrischen Ergebnisse be- stätigt werden, daß ein wärmestarrer Muskel nicht mehr totenstarr werden kann. Er kann es hinsichtlich der Härtezunahme deshalb nicht, weil schon die erste Wärmestarre einen Härtegrad bedingt, der dem maximalen der Totenstarre gleichkommt; der experimentelle Beweis hierfür liegt in dem selbst dann weiteren Gleichbleiben des Härtezustandes nach einmal herbeigeführter 1. oder 2. Wärmestarre, wenn diese schon vor oder im Beginne der Totenstarre erzeugt wurde. Das in der ersten Mitteilung (s. S. 207, Tabelle VI) gegebene Beispiel zeigte diese Kon- stanz bis zum 4. Tage. Das Gleiche gilt auch für die durch die 2. Wärme- starre erreichte Härte. Hierdurch bestätigt sich zugleich auch für den Härtezustand, daß die Wärmestarre im Gegensatz zur Totenstarre nicht wieder in Lösung übergeht. Daß die Wärmestarre und Toten- Untersuchungen über Muskelhärte. II. S 227 starre auf gleichen inneren Vorgängen im Muskel, insbesondere auf der Gerinnung der Muskeleiweißkörper beruhe, würde sich nach unsern Ergebnissen nur für die 1. Wärmestarre aufrechthalten lassen, während für die 2. Wärmestarre entweder verschiedene innere physikalisch- chemische Vorgänge zugrunde liegen oder zum Teil verschiedene Ge- webselemente beteiligt sein müssen. In diesem Sinne haben bereits Vincent und Lewis!), die ebenso wie ich die (bei ihnen dritte) letzte Stufe der Wärmestarre bei den Temperaturgraden über 60°C be- obachteten, derselben Temperatur, die auch die Kontraktion des Sehnen- gewebes verursacht, die Ansicht ausgesprochen, daß die Verkürzung bei 63° C ganz oder fast ganz auf einer Veränderung der bindegewebigen Elemente im Muskel beruhe. Danach wären nur bei der (oder den) Verkürzungen vor der 2. Wärmestarre besonders oder allein die spezifisch muskulären Elemente beteiligt; das Gleiche könnte nun auch für die Härtezunahme in der 1. Wärmestarre gelten. Da durch die 2. Wärme- starre keine weitere Härtung mehr bedingt wird, würde sich dann er- geben, daß die Wärmeverkürzung des bindegewebigen Anteils nicht mit Härteänderung des Muskels einhergeht. Eine Abänderung muß die verbreitete Angabe erfahren, wonach der totenstarre Muskel noch in Wärmestarre überzugehen vermöge?). Dies läßt sich nicht mehr allgemein aufrecht halten; es gilt vielmehr nur für die Verkürzung, die dann allerdings besonders durch die 2. Wärme- starre noch in höherem Grade herbeigeführt werden kann; nicht aber für die eigentliche, sich in der Härteänderung kundgebende Starre- erscheinung. Denn wir sahen, daß der totenstarre Muskel von einem gewissen Zeitpunkt ab durch Erwärmung nicht mehr härter wird. Ferner läßt sich nicht mehr allgemein die Angabe vertreten, daß der wärmestarre Muskel härter oder fester sei als der totenstarre?). Die quantitative sklerometrische Messung ergibt jedenfalls, zunächst für den Kaninchenmuskel, daß selbst durch die 2. Wärmestarre kein höherer Härtegrad erreicht wird, als die höchsten Härtegrade bei Totenstarre es sein können. Die höheren unter den in der Tabelle III wiedergegebenen Werten liegen wohl in der Fehlergrenze; auch ist in Betracht zu ziehen, daß sich die Wärmestarre mit größerer Sicherheit erzielen läßt, während die Totenstarre ja auch schon hinsichtlich der Ver- kürzung starke Schwankungen zeigt und in dieser Beziehung kaum jemals eine maximale ist?). Für die Härtezunahme scheint sie nach unserm Ver- gleich mit der Wärmestarre doch meist den maximalen Wert zu erreichen. !) Vincent und Lewis, Journ. of Physiol. %6, 457. 1901. 2) Vincent und Lewis, Journ. of Physiol. 26, 454, 1901; vgl. v. Fürth, Ergebn. d. Physiol. 17, 475. 1919. 2) Brodie und Richardson, Philos. Transact. 191, 143 B. 1899; v. Fürth, Ergebn. d. Physiol. 1%, 475. 1919. 4) Mangold, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 211. 1920. E. Mangold: Untersuchungen über Muskelhärte. II. DD D (0 0) Zusammenfassung. Mit der in der vorigen Mitteilung angegebenen sklerometrischen Methode wurde an Kaninchenmuskeln (Triceps surae) die durch die Totenstarre und Wärmestarre bedingte Härtezunahme quantitativ verfolgt. Bei der Totenstarre beginnt die Härtezunahme erst nach 3 Stunden nach dem Tode und befindet sich nach 24h p. m. auf dem Höhepunkt. Im Gegensatz zur Verkürzung, die am isolierten Muskel zur Zeit der erwarteten Totenstarre manchmal ausbleibt, scheint die postmortale Härtezunahme regelmäßig aufzutreten. Verkürzung und Härtung sind auch bei der Wärmestarre weitgehend unabhängig von- einander. Am Triceps surae des Kaninchens läßt sich bei der Wärme- starre eine bei 52° © beginnende und bei 58° C vollendete Verkürzungs- stufe und eine bei 62° © beginnende und bei 68° C zum Stillstand ge- langende Verkürzungsstufe unterscheiden, die als erste und zweite Wärmestarre benannt werden. Die Verkürzung findet in der ersten Wärmestarre um 13—20%, in der 2. Wärmestarre um 42%, der An- fangslänge statt; der in der 1. Wärmestarre noch kaum getrübte, frisch aussehende Muskel wird in der 2. Wärmestarre vollkommen weiß- lich getrübt, wie gekocht. Im Gegensatz zur Verkürzung und dem Aussehen ändert sich der in der 1. Wärmestarre erreichte Härtegrad durch die 2. Wärmestarre nicht mehr. Dies spricht für eine Verschieden- artigkeit der der 1. und 2. Wärmestarre zugrunde liegenden inneren Veränderung im Muskel oder für die Beteiligung verschiedener Gewebs- elemente. Der Zeitpunkt nach dem Tode ist für den Grad der durch die Wärmestarre bedingten Härtezunahme im Vergleich zum Anfangs- werte am frischen Muskel gleichgültig; nicht aber im Vergleich zu dem gegebenenfalls vorher bereits durch spontane Totenstarre hervorge- rufenen Härtezustand, da dieser durch die Erwärmung auch gleich- bleiben oder herabgesetzt werden kann. Der einmal wärmestarre Muskel verändert seinen Härtezustand tagelang nicht mehr; es be- stätigt sich also auch für die Härtezunahme, daß der wärmestarre Muskel nicht mehr totenstarr werden kann. Umgekehrt kann aber, hinsichtlich der Härtezunahme, im Gegensatz zur Verkürzung, auch ein totenstarrer Muskel nicht mehr in Wärmestarre versetzt werden, da die maximale Härtezunahme des Muskels durch die Totenstarre in Prozenten der am frischen Muskel gemessenen Sklerometerwerte ebenso groß ist wie diejenige durch die 1. oder 2. Wärmestarre; sie beträgt im Gesamtdurchschnitt der Versuche am Triceps surae des Kaninchens nahezu 70%. Nur während des unvollendeten Anstieges der Totenstarre wird der Härtegrad durch die Wärmestarre noch, auf jenen Wert, erhöht. Reflexe vom Mesenterium auf das Herz. Von W. H. v. Wyss und N. Messerli. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.) Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. Mai 1922. Vor kurzem haben W. R. Hess und W. H. v. Wyss!) über Unter- suchungen berichtet, welche sich mit der sensiblen Ausstattung der Baucheingeweide befassen. Als Versuchstier hatte der Frosch gedient. Bei den erwähnten Experimenten zeigte sich, daß die mechanische Reizung des Mesenteriums darin eine Sonderstellung einnimmt gegen- über andern Reizmöglichkeiten, daß sie stets von einer Herzhemmung beantwortet wird ohne Begleiterscheinung von Seiten der Skelett- muskulatur wie bei Schmerzreizen. Die Autoren kamen deshalb zu dem Schluß, daß es sich in diesem Falle um eine besondere Afferenz- qualität handle, deren physiologische Auswirkung offenbar im Bereich der Bauchhöhle selbst zu suchen ist, während der Herzeffekt lediglich als ein Übergreifen der Erregung auf das Herzvaguszentrum im Sinne einer Irradiation zu deuten ist. Die leichte Ansprechbarkeit, welche durch bestimmte Versuchsbedingungen noch eine bedeutende Stei- gerung erfährt, und die Möglichkeit, vom Herzen graphische Auf- zeichnungen zu erhalten, prädisponieren das Herz zum Indicator für ins zentrale Nervensystem einströmende Impulse, auch aus dem Gebiet der vegetativen Organe. Bereits bestehen in der Literatur einige auf Warmblütler sich be- ziehende Angaben über Herzreflexe. Solche kamen zur Beobachtung bei Aufblasen des Magens [ Mayer und Pribram?)], ferner bei Hungerkon- traktionen des Magens [Carlson®)]. Von besonderem Interesse sind die Feststellungen von Boruttau und Braun). Diese Autoren lehnen ausdrück- lich ab, daß von den Eingeweiden sich Reflexe auf das Herz des Warm- blütlers erzielen lassen. Immerhin geben sie zu, daß ihre Ileusversuche ı) W. R. Hess und W. H. v. Wyss, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 195. 1922. ?) Mayer und Pribram, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. 66. Abt., 3 S. 102. 1872. ?) Carlson, Americ. journ. of physiol. 31, 318. 1913. *) Boruttau und Braun, Zentralbl. f. Physiol. 24, 711. 1910. 230 W.H.v. Wyss und N. Messerli: an decerebrierten Tieren nicht absolut beweiskräftig sind infolge des schlechten Allgemeinzustandes der Tiere durch die operativen Schä- digungen des Decerebrierens und des künstlich erzeugten Ileus. Die Tiere waren infolge dieser schweren Eingriffe derartig erschöpft, daß sie sich vielleicht zur Entdeckung etwa vorhandener Reflexbeziehungen nicht mehr eigneten. Versuche. Meerschweinchen mittlerer Größe wurden zunächst in Äthernarkose decere- briert, und zwar wurden sowohl Großhirn wie Thalami optici vollständig entfernt. Diese Operation gestattete uns den späteren Versuch ohne Narkose vorzunehmen und doch das Bewußtwerden von Schmerzreizen auszuschalten. Damit waren die günstigsten Bedingungen für das Zustandekommen von Reflexen ohne Beein- flussung von dieser Seite gewährleistet. Nach 4—5 Stunden kamen die Tiere zum eigentlichen Versuch. Zuerst wurde die Tracheotomie vorgenommen zum Zweck der später notwendigen künstlichen Atmung. Darauf eröffneten wir in einer Wärmekabine Brust- und Bauchhöhle. Mit der Eröffnung der Brusthöhle wurde die künstliche Atmung von einer Sauer- stoffbombe aus eingeleitet unter Verwendung des Ganterschen Apparates. Die Sauerstoffzufuhr war derart dosiert, daß mit Sicherheit eine ausreichende Lungen- ventilation gewährleistet war. Die Registrierung der Herztätigkeit erfolgte unter Verwendung eines Schleifen-Kymographions. Der Jaquetsche Chronograph schrieb die Zeit auf den Kurven. Da es uns in erster Linie darauf ankam, Aufschluß über die Mög- lichkeit einer reflektorischen Beeinflussung des Herzens zu gelangen, machten wir von den früheren Beobachtungen von Hess und v. Wyss Gebrauch, daß Eingießen einer Phosphatlösung in die Bauchhöhle die Ansprechbarkeit des Vagussystems beim Frosche bedeutend er- höhte. Ferner gestützt auf die Erfahrungen am Frosche wandten wir hier ausschließlich die mechanische Reizart an, und zwar in Form von Zug am Mesenterium. Von den mehr als 20 Tieren, die wir operierten, verloren wir eine größere Zahl durch die Folgen des Decerebrierens, bevor wir mit Rück- sicht auf das Abklingen der Schockerscheinungen und der Narkose zur Registrierung schreiten konnten. Im ganzen erzielten wir einwand- freie Kurven von 8 Tieren. Mehrere Tiere blieben trotz der schweren operativen Eingriffe in so gutem Zustand, daß verschiedene Gruppen von Einzelversuchen ausgeführt werden konnten. Diese waren getrennt durch ein Intervall von ca. 5 Minuten. Bei andern Tieren verschlechterte sich der Zustand bald nach Eröffnung der Brusthöhle und nach Beginn der Registrierung zusehends, so daß wir uns mit Resultaten aus einer relativ kurzen Versuchszeit begnügen mußten. An derartig operierten Tieren ist natürlich nicht mehr mit einem unbeeinflußten Herzrhythmus zu rechnen. Tatsächlich beobachteten Reflexe vom Mesenterium auf das Herz. 231 wir auch meistens kurz nach dem Anfassen des Herzens zur Regi- strierung eine Periode von FExtrasystolen, Die Herzaktion wurde hernach wieder regelmäßig. Die Schlagfrequenz war aber nicht immer stetig, und endlich kam es in einer vorgerückten Phase des Versuchs in der Regel zu Herzblock. Diese Tatsachen müssen bei der Inter- pretation der Reizeffekte berücksichtigt werden. Reizeffekte: Als die häufigste Form eines derartigen Herzeffektes kam die Hemmung der Herztätigkeit zur Beobachtung. Dies trat besonders dann in Erscheinung, wenn der Reiz in einer Phase hoher Schlagfrequenz Abb. 1. Oben Vorhof, unten Ventrikel. Zeitmarke 1’. Der aufwärts gerichtete Pfeil bedeutet hier wie auf allen übrigen Kurven Zug am Mesenterium. Der abwärts gerichtete Pfeil Loslassen. Der Zug am Mesenterium ist gefolgt von Verlangsamung. Beachte die Rückkehr zum frühern Rhythmus mit Gruppenbildung. (Die Verschiebung der Kurvenbasis nach unten bedeutet hier wie auf allen Kurven die durch den Zug am Mesenterium erfolgte geringe Verlagerung des Herzens.) An der Stelle der weißen Vertikallinie ist die Kurve zur Reproduktion um die an- gegebene Sekundenzahl gekürzt. appliziert wurde. Diese Verlangsamung des Herzschlages war bisweilen von längerer, bisweilen von kürzerer Dauer. Als Beispiel für den ersten Fall diene Abb. 1 (Kurve 3). Bemerkenswert ist auf dieser Kurve die allmählich erfolgende Rückkehr zum Ausgangsrhythmus über Gruppenbildung. Die gleiche Reaktion, wie sie in der Figur zum Ausdruck kommt, wurde bei diesem Versuchstier mehrfach beobachtet. Als Beispiel für den 2. Fall (nur flüchtige Hemmung) diene Abb. 2 (aus Kurve 5). Auch hier fiel der auslösende Reiz in die hohe Schlag- frequenz. Abb. 3, die einem Ausschnitt aus derselben Kurve entnommen ist, zeigt uns nun ganz andere Verhältnisse. Der Reiz wurde hier appliziert in einer Phase von langsamer Herztätigkeit und zwar kurz nach einem spontan erfolgten Umschlagen der in Abb. 2 registrierten hohen Frequenz ; Resultat: eine Beschleunigung der Herztätigkeit durch Zug am Mesenterium. 232 W.H. v. Wyss und N. Messerli: id Als Beispiel einer Mischung verschiedenartiger Reflexeffekte diene Abb. 4 (Kurve 7). Wir haben hier zunächst eine kurz dauernde Hem- mung des gesamten Herzens bei rascher Schlagfrequenz nach Zug am Ki aM M ya ya ——— = = A Y Abb.2. Oben Vorhof, unten Ventrikel. Zeitmarke 6”. Beispiel einer kurzdauernden Hemmung. Mesenterium. Dann aber schlägt der Vorhof im ursprünglichen Rhythmus weiter, während noch eine Ventrikelsystole ausfällt, also eine Leitungs- hemmung in Erscheinung tritt. Endlich sehen wir in diesem Falle nach U Au UT IITEINRARRTEN. KIN. INTER aan Min ie N! m Ma I Es = | a ae BEE “ A an : y 6” Abb. 3. Oben Vorhof, unten Ventrikel. Zeitmarke 6’. Beschleunigung der Herztätigkeit durch Zug am Mesenterium. An der Stelle der weißen Vertikallinien ist die Kurve zur Reproduktion um die angegebene Sekundenzahl gekürzt. Unterbrechen des längere Zeit am Mesenterium ausgeübten Reizes, wie die Vorhofsamplituden beträchtlich anwachsen. Nach Überschreiten eines Maximums nim mt die Höhe der Ausschläge dann ohne weiteres Dazutun wieder ab. Reflexe vom Mesenterium auf das Herz. D wo ) J Abb.5 (aus Kurve 2) zeigt bei voll entwickeltem Herzblock und rascher Vorhofsaktion eine reflektorisch ausgelöste Hemmung des Vor- hofs beim Loslassen des Mesenteriums. Sie führt zu einem regelmäßigen langsamen Rhythmus des gesamten Herzens. 10” Nach Loslassen des Mesen- An der Stelle der weißen Vertikallinien Bei Anfassen kurz dauernde Hemmung. ist die Kurve zur Reproduktion um die angegebene Sekundenzahl gekürzt. Vorher Ausfall einer Ventrikelsystole. Abb. 4. Oben Vorhof, unten Ventrikel." Zeitmarke 1’. teriums Verstärkung der Vorhofstätigkeit. Bei diesem selben Tier haben wir vorher interessante Beobachtungen auf derselben Kurve registriert. Leider eignen sich diese Kurvenab- schnitte wegen mangelhafter Schreibung der Ventrikeltätigkeit nicht zur Reproduktion. Es handelte sich um Reize, die einer Phase voll- Änderungen des Vorhofrbythmus bei Herzblock, Zeitmarke 3°, Loslassen des Mesenteriums. unten Ventrikel. Oben Vorhof, D. Abb. *4zıny93 [yezuapunyag suagaZadue aIp um uorgyupoldayy InZ 9AINM 91p IST oLum -[eytJIo A USHTOM I9P 909g Ip uy 'wnLIaJuasoW we änz yoınp 480[93 Y90IqzIaH TONYIIYuaA usgun “JoyIoA uagO "MONZIIEIZIOH SIy99IyaS 7 ‘gay „OL i "UNLI9FU9SIW We InZ yomp 331998I9A NOOoJqzIaH °,,T ayTewyIoz "ToylıyuaA uayun “ToyIoA u9gg 'ONYSTIBIZIaH FIy9aLyaS '9 'qay : A Y H. v. Wyss und N. Messerl ELSE Bor) EFT EEE N IE ERDE BEE EEE TEE EEE RT Eye 6 BEER W. 234 Reflexe von Mesenterium auf das Heız. 235 et ständiger Dissoziation zwischen Vorhof- und Ventrikeltätigkeit appli- ziert wurden. Und zwar war die Leitungsstörung insofern atypisch, als der Ventrikel häufiger schlug als der Vorhof. Einzelne der Ven- trikelschläge unterschieden sich von den übrigen durch besonders hohe Amplituden, damit war die Erklärung nahegelest, daß die Einfügung von Extrasystolen an der Überzahl der Ventrikelschläge schuld sei. Auf kurzen Zug am Mesenterium sprang die Vorhofsfrequenz augen- blicklich in die Höhe bei vollkommen unbeeinflußter Ventrikeltätigkeit. Ein neuer gleichartiger Mesenterialreiz kurz nachher löste vorerst den- selben Effekt aus, nach einiger Zeit aber verschwand dann auch plötz- lich der Herzblock und es kam zu einer regelmäßigen Tachycardie des gesamten Herzens. In Abb. 6 endlich, die Kurve 4 entnommen ist, sehen wir eine Ver- stärkung der bereits vorhandenen Leitungsstörung auf Zug am Me- senterium. Bemerkenswert ist, daß dieser Block durch dieselbe Reizart für kurze Zeit wieder aufgehoben werden konnte. Siehe Abb. 7. Diskussion der Resultate. Die im obigen beschriebenen Kurven liefern den experimentellen Beweis für die Existenz von Reflexbeziehungen zwischen Bauchein- geweiden und Herz auch für die Säugetiere. Dies Resultat ist im direkten Gegensatz zu den Feststellungen von Boruttau und Braun. Markant ist dabei der Mangel jedweder Gesetzmäßigkeit in bezug auf die Art der Herzeffekte. Diese Mannigfaltigkeit der Resultate wird dadurch noch erhöht, daß gelegentlich das Anziehen des Mesenteriums ohne Effekt verläuft, dagegen das Loslassen einen Effekt hervorruft. Dieses Wechselvolle der Beziehungen erinnert ganz an die Resultate von Engelmann beim Frosch, wobei wir allerdings darauf Gewicht legen, daß in unserm Fall des Warmblütlers nur einerlei Reiz mit immer demselben Angriffsort zur Anwendung kam, während Engelmanns Untersuchungen alle möglichen Reizorte und Reizarten in sich schlossen. Bei der Betrachtung unserer Ergebnisse erhebt sich natürlich die Frage, ob es sich hier um Reflexäußerungen handelt, die auch bei einem intakten Tier sich abspielend angenommen werden dürfen. Es steht außer Zweifel, daß unsere Versuchsbedingungen besondere Verhält- nisse geschaffen haben, welche für die Intensität und Art und Weise der Effekte mit verantwortlich zu machen sind. Das gilt sowohl für das Decerebrieren (Diaschisiswirkung und Steigerung von Reflexerreg- barkeit durch Wegfall von Hemmungen) als auch für die Bloßlegung des Herzens und endlich die künstliche Sensibilisierung durch die Phosphatlösung (Störung des Ionengleichgewichts im Blut?). Durch alle diese Momente kann die Ansprechbarkeit des Vagus- oder Accelera- torensystems verändert werden. Auf keinen Fall aber können nicht 236 W.H.v. Wyss und N. Messerli: Reflexe vom Mesenterium auf das Herz. vorhandene Reflexbeziehungen durch diese künstlichen Bedingungen entstehen. Obgleich unsere Feststellungen unter anormalen Verhältnissen klar- gelegt wurden, haben sie unseres Erachtens dennoch grundsätzliche Bedeutung als experimentelle Belege für Herzsymptome, welche beim Menschen unter gewissen pathologischen Bedingungen zur Beobachtung kommen. Gerade das Anormale der Zustände schafft eine gewisse Parallele zu krankhaften Bedingungen. Wir denken dabei speziell an plötzliche Herzlähmungen im Verlaufe von Bauchoperationen, die als reflektorische Inhibition des Herzens zu deuten sind. Und ferner spielt ja gewiß die Sensibilisierung des Herznervensystems in der mensch- lichen Pathologie ebenfalls eine nicht geringe Rolle, z. B. beim plötz- lichen Entstehen neuer Rhythmen, wie bei Anfällen von paroxysmaler Tachycardie usw. Von besonderem Interesse für die Kliniker sind auch die Beobachtungen über Verstärkung oder Lösung eines schon be- stehenden Herzblocks auf reflektorischem Wege von den Bauchein- geweiden aus. Eine weitere Aufgabe, deren systematische Bearbeitung speziell den Chirurgen interessieren muß, würde nun darin liegen, festzustellen, welchen Einfluß die Narkose auf diese Reflexmechanismen hat. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Gefahr des reflektorischen Herzstillstandes mit Vertiefung der Narkose zu begegnen ist. Zusammenfassung. Bei decerebrierten Meerschweinchen wurden nach Eröffnung von Brust- und Bauchhöhle mechanische Reize in Form von Zug am Mesen- terium appliziert und dabei die Herztätigkeit registriert. Es wird dabei die Tatsache belegt, daß von dieser Reizstelle aus die Herztätigkeit in sehr prägnanter Weise beeinflußt werden kann. Dabei kommt es sowohl zu experimentell erzeugten Tachycardien, Bradycardien als auch zur Erregung und Lösung von Herzblock. Daraus ergeben sich Anhaltspunkte betreffend Genese analoger Herzsymptome in der menschlichen Pathologie. Hodenatrophie nach Exstirpation des abdominalen Grenz- stranges. Von N. Takahashi. se (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Mai 1922. In Band 193 dieses Archivs habe ich!) über Untersuchungen be- richtet, welche darauf abzielten, einen Beitrag zur Physiologie des Sympathicus zu liefern. Das Interesse galt in erster Linie dem heute zur Diskussion stehenden Thema der sympathischen Innervation des Skelettmuskels. Der Versuchsplan war durch die Überlegung ge- geben, daß sich ein evtl. Einfluß der sympathischen Innervation auf den Skelettmuskel auch in der Erhaltung des Massenbestandes der Muskulatur Ausdruck verschaffen könnte. Im besondern war zu er- warten, daß bei einer Beteiligung des Sympathicus an der tonischen Innervation die operative Ausschaltung desselben eine mehr oder minder ausgesprochene Atrophie zur Folge habe. Das Resultat fiel — wie an anderer Stelle durch Zahlen belegt— absolut negativ aus. Ein- seitige Exstirpation des Bauchsympathicus im Bereiche der untern 3 Lumbal- und obern 1 bis 2 Sakralwirbel blieb ohne Rückwirkung auf das Totalgewicht der Muskulatur des gleichseitigen Hinterschenkels. Das Resultat war gleichlautend bei allen Tieren (Meerschweinchen), ohne Unterschied, ob der Intervall zwischen Operation und Tötung 14 Tage (kürzeste Kontrollzeit) oder 227 Tage (längste Kontrollzeit) dauerte oder aber dazwischen lag. Gleichzeitig mit der Hinterschenkelmuskulatur wurden noch ver- schiedene Organe einer analogen Kontrolle unterworfen, d.h. es wurde auch bei diesen eine Rückwirkung der einseitigen, bei einzelnen Tieren auch doppelseitigen Sympathicusexstirpation auf den Massenbestand geprüft. So kamen von paarig angelegten Organen zur Untersuchung: Niere, Nebenniere, Ovarien, Hoden, Hinterschenkel-Skeletteile, Ar- terienstücke. Auch hier fielen die Resultate negativ aus, ausgenommen bei Hoden. Hier ergab sich ein sehr prägnanter Effekt. Wägung und Messung erwiesen den Hoden der operierten Seite als atrophisch. ı) N. Takahashi, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 322. 1921. 238 N. Takahashi: Die Ausnahmestellung, welche die Hoden gegenüber andern Organen einnehmen, legen naturgemäß den Gedanken nahe, es könnten Neben- verletzungen im Spiele sein. Als solche kommen in Frage Läsion des Vas deferens evtl. der Arteria spermatica. Positive Anhaltspunkte, welche eine solche Auffassung rechtfertigen, liegen keine vor. Leider mußten die Untersuchungen aus äußern Gründen vorläufig abgebrochen werden, so daß die geeigneten Kontrollexperimente noch nicht ausgeführt werden konnten. Unabhängig von solchen besteht ein Interesse, unsere Ergebnisse durch histologische Untersuchungen zu ergänzen. Herr Dr. B. Slo- topolsky vom Anatomischen Institut Zürich hat die Verarbeitung über- nommen. Sein Bericht, für den ich an dieser Stelle gebührend danke, lautet: „Die mir in Formol fixiert übergebenen Hoden bettete ich über Collodium in Paraffin ein, machte in verschiedenen Höhen des Organs 7,5, 10 und 15 « dicke Querschnitte und färbte diese nach van Gieson. Der Befund war bei den einzelnen Individuen folgender: 1. Versuchstier Nr. 14. (Linksseitig operiert. Intervall seit Operation 14 Tage. Hodengewicht rechts = 1,83 g, links — 1,11 g.) Rechts: Normal ausgebildete Spermiogenese. Links: Weitgehende Atrophie; Samenkanälchen von Sertolizellen ausgekleidet, daneben ab und zu (offenbar degenerierende) Reste des Samen- epithels. Zwischenzellen nicht vermehrt. 2. Versuchstier Nr. 12. (Doppelssitig operiert. Intervall seit Operation 17 Tage. Hodengewicht rechts 1,50 g, links 1,38 g.) .Beiderseits durchaus normale Verhält- nisse. 3. Versuchstier Nr. 8. (Linksseitig operiert. Intervall seit Operation 21 Tage. Hodengewicht rechts 0,60 g, links 0,61 g.) Beiderseits totale Atrophie. In den Tubuli nur Sertolizellen. Die Tubuli sind wesentlich enger, als bei den übrigen untersuchten Hoden, die Zwischenzellen treten stärker hervor. 4. Versuchstier Nr. 6. (Linksseitig operiert. Intervall seit Operation 59 Tage. Hodengewicht rechts 1,86 g, links 1,32 g.) Rechts: Normale Spermiogenese. Links: Geringfügige (d. h. nur streckenweise) Atrophie; es sind nur vereinzelte Tubuli auf den. Schnitten, die lediglich Sertolizellen enthalten. 5. Versuchstier Nr. 5. (Doppelseitig operiert. Intervall seit Operation 117 Tage. Hodengewicht rechts 0,71 g, links 0,82 g.) Rechts: Ausgesprochene Atrophie. Die Schnitte lassen einen dunkler und gefüllter aussehenden zentralen und einen peripheren Abschnitt unterscheiden, der ganz hell und leer erscheint. In ersterem findet sich über den die Kanälchen auskleidenden Kerpen der Sertolizellen eine geronnene faserige Masse, offenbar verflüssigtes Protoplasma von Samenzellen bzw. Sertolizellen in mehr oder minder reichlicher Menge; in den Kanälchen der hellen Randpartie ist diese Masse stark reduziert. In der peripheren Partie stoßen die sehr weiten Kanälchen fast lückenlos aneinander, in dem zentralen Bereich haben sie ein engeres Lumen und lassen eher etwelche Zwischenräume zwischen sich, in denen man Leydigschen Zellen in recht spärlicher Zahl begegnet. Normal gefüllte Kanälchen sieht man in beiden Partien fast keine; die Tubuli erscheinen auf den Schnitten meist ausschließlich von Sertolizellen ausgekleidet; ab und zu finden sich neben diesen einige Spermiogonien, weiter gegen das Lumen (offenbar degenerierende) Spermiocyten. In den Kanälchen der Randpartien sind die Sertoli- zellen platter und spärlicher, Spermiogonien und Spermiocyten trifft man dort Hodenatrophie nach Exstirpation des. abdominalen Grenzstranges. 239 weit seltener an, als im zentralen Teile. Die Kanälchen sind dabsi nicht kolla- biert; ihre bindegewebige Wand ist nicht verdickt; das intertubuläre Bindegewebe ist sehr spärlich; keinerlei Vermehrung der Zwischenzellen. Links: Mäßige Atro- phie; neben zahlreichen gut gefüllten bezw. völlig normalen Tubuli sieht man atrophische Kanälchen, die dasselbe Bild bieten wie die atrophischen Kanälchen im zentralen Bezirk des rechten Hodens. 6. Versuchstier Nr. 4. (Linksseitig operiert. Intervall seit Operation 163 Tage. Hodengewicht rechts = 1,34 g, links — 0,38 g). Rechts: Normal. Links: Der betreffende Hoden fehlte unter den mir zur Untersuchung übergebenen Stücken; er hatte bei einer von anderer Seite gemachten Untersuchung eine starke Atrophie gezeigt. 7. Versuchstier Nr. 1. (Doppelseitig operiert. Intervall seit Operation 227 Tage. Hodengewicht rechts — 2,47 g, links — 2,55 g). Beiderseits völlig normale Verhältnisse. Wir konstatieren mithin bei den einseitig operierten Tieren (mit Ausnahme des Tieres Nr. 8) eine auch histologisch deutlich ausge- sprochene Atrophie an dem Hoden der operierten Seite bei völlig nor- malem histologischen Bilde des andersseitigen Hodens. Bei den doppel- seitig operierten Individuen finden wir entweder beiderseits normale Verhältnisse (Nr. 12 u. Nr. 1) oder beiderseits Degeneration (Nr. 5). Die im histologischen Bild festzustellende weitgehende Atrophie der Hoden von Nr.5 u.8 harmoniert gut mit den für diese Hoden ge- fundenen auffallend niedrigen Gewichten. Für die bei den Versuchs- tieren zu beobachtende Hodenatrophie ist (wiederum mit Ausnahme von Nr. 8) Reduktion des Samenepithels ohne gleichzeitige Vermehrung des intertubulösen Bindegewebes und der Zwischenzellen charak- teristisch. Von dem rechten Hoden des Tieres Nr. 5, der diese Atrophie am ausgesprochensten zeigt, gebe ich nachstehend zwei Abbildungen. Man sieht ohne weiteres die minimale Ausbildung des Zwischen- gewebes; die weiten und nicht kollabierten, aber leeren Kanälchen stoßen eng, ja in manchen Partien lückenlos aneinander, ab und zu findet man zwischen ihnen ein paar Leydigsche Zellen. Der Wandbelag der Tubuli wird von Sertolizellen gebildet, die an ihren typischen blassen Kernen mit den stark hervortretenden Kernkörperchen er- kennbar sind); mitunter finden sich zwischen ihnen auch einige Sper- miogonien, weiter gegen das Lumen auch gelegentlich (offenbar de- generierende) Spermiocyten, aber die Sertolizellen beherrschen das Bild. Ist die Atrophie weniger ausgesprochen (Nr. 5 links, Nr. 6 links), so sieht man neben Kanälchen mit normaler Spermiogenese weniger gut gefüllte und leere, die nur von Sertolizellen ausgekleidet sind; !) Anmerkung bei der Korrektur: Ich folge der herrschenden Übung, wenn ich diesen bekannten Wandbelag atrophischer Samenkanälchen mit der Bezeich- nung „Sertolizellen‘‘ belege; ich bin mir aber dabei wohl bewußt, daß es gar nicht sicher ist, ob diese Elemente mit den differenzierten Sertolizellen des no:- malen Hodens identisch sind. oder ob sie nicht vielmehr .‚indifferente‘‘ Zellen darstellen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 16 240 N. Takahashi: auch hier keine Verengerung der Kanälchen und keine Vermehrung des Zwischengewebes. Einen entschieden andern Eindruck machen die Hoden des Ver- suchstieres Nr. 8; hier sind die nur Sertolizellen enthaltenden Kanälchen eng, das intertubulöse Bindegewebe und die Zwischenzellen sichtlich vermehrt. Das Auffallende bei diesem Individuum ist einmal die doppelseitige, starke und gleichmäßige Atrophie, obwohl nur einseitig operiert wurde und ferner ihr abweichender histologischer Charakter. Beides scheint mir leicht zu erklären, wenn wir annehmen, daß das Versuchstier Nr. 8 eine Altersatrophie beider Hoden hatte, die unab- Abb. 1. Schnitt durch den rechten Hoden des Versuchstiers Nr. 5. Mikrophotographie. Man sieht unten im Bilde die „zentrale“ dunklere und oben die „periphere“ hellere Partie, die Weite, Leere und das dichte Gefüge der Samenkanälchen ; „keinerlei Vermehrung des Zwischengewebes“. hängig von dem operativen Eingriff bestand. Ich weise diesbezüglich auf das Körpergewicht dieses Tieres hin, das es als älteres Meerschwein- chen erscheinen läßt; auch hatte ich neulich Gelegenheit, bei einem offen- bar alten Meerschweinchen, das ich aus anderm Anlaß untersuchte, eine Hoden-Atrophie vom gleichen histologischen Charakter zu beobachten.‘ Wir müssen uns begnügen, diesen histologischen Befund den be- reits früher ausgeführten über die makroskopisch erkennbaren Ver- hältnisse zur Seite zu stellen ohne eine endgültige Deutung zu geben. Von besonderem Interesse erscheint die Tatsache, daß mit Ausnahme des letzt referierten Falles nichts von einer Hypertrophie des inter- tubulösen Bindegewebes und der Zwischenzellen feststellbar ist. Warum die eine Ausnahme, ist vorläufig nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Hodenatrophie nach Exstirpation des abdominalen Grenzstranges. 241 Auffallenderweise ist bei diesem Individuum auch der rechtsseitige Hoden atrophisch, obgleich nur einseitig operiert wurde. Ich habe in der früheren Arbeit die Vermutung ausgesprochen, es könnte etwas vom rechtsseitigen Sympathicus, speziell im Bereich des kleinen Beckens wegen der großen Nachbarschaft der Gebilde mit herausgenommen worden sein. Wie mir jetzt auffällt, müßte diese Annahme auch für andere Tiere in Anspruch genommen werden; denn bei Vergleich mit Normaltieren zeigt jeder Fall linksseitiger Operation ein Zurückbleiben auch des rechten Hodens, wenn auch bei weitem nicht in dem aus- gesprochenen Maße wie bei Tier Nr. 8. Nur hier ist die Atrophie rechts ebenso stark ausgeprägt wie links!). Wenn wir uns schließlich die Frage vorlegen, auf welche Weise das Zustandekommen der Atrophie über- haupt zu erklären ist, sofern die Kontrollexperimente die oben er- spg. 8 spe z Abbildung 2. Stück aus der „zentralen“ Partie des Präparates, welches die Abb. 1 darstellt bei stärkerer Vergrößerung (330 fache Vergr.). Auf ?/, verkleinert. s = Kerne von Sertolizellen, spy = Kerne von Spermiogonien, spe = Kerne von Spermiocyten oder Spermiocytenzellen, z = Zwischenzellen. wähnten Einwürfe als ungerechtfertist erkennen lassen, so müssen wir die Antwort schuldig bleiben. Man kann daran denken, daß primär die Innervationsstörung der Blutgefäße schuld ist. Diese Erklärung erscheint aber nicht plausibel; denn die Rückwirkung der Sympathicus- exstirpation auf die Blutgefäße hat deren Erweiterung zur Folge. Ein anderer Gedanke ist die Auslegung unserer Befunde durch die Annahme der Zerstörung von sog. trophischen Nerven. Wir hätten hier direkt eine Demonstration der Existenz solcher. Gemäß der heutigen !) Bei dieser Sachlage verdient der besondere histologische Befund bei Tier Nr. 8 Beachtung. Dieser legt, wie im histologischen Bericht schon angedeutet, den Gedanken nahe, daß es sich hier um eine von der Operation unabhängige Er- scheinung handelt, nämlich um Altersatrophie. 16* 242 N. Takahashi: Hodenatrophie n. Exstirpation d. abdominalen Grenzstranges. Einstellung der Physiologie können wir uns aber schwer zu einer solchen Auffassung verstehen, sofern es sich um zentrifugale Nervenfasern handeln soll. Dagegen ziehen wir als eventuelle Ursache gestörter Trophik die Ausschaltung afferenter Fasern in Betracht. Wir tun dies entsprechend der von W. R. Hess!) entwickelten Vorstellung über die Regulierung der Gewebeernährung, nach welcher eine spezifische, alle Gewebe durchsetzende Sensibilität bei der Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes zwischen Blutbedarf und Blutversorgung eine ent- scheidende Rolle spielt. In unserm konkreten Fall müßten wir den Faserverlauf dieser ‚‚chemischen Gewebesensibilität" in sympathische Bahnen verlegen. !) Hess, W. R., Die physiologische Grundlage für die Entstehung der reaktiven Hyperämie und des Kollateralkreislaufes. Bruns Zeitschr. f. klin. Chirurg. 122, H.1. — Ferner W. R. Hess, Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 168, 439. 1917. Kurze Mitteilung. (Aus dem Psycho-neurologischen Institut zu Moskau.) Das Weber-Fechnersche Gesetz bei der Arbeit des Menschen- muskels. Von W. W. Efimoff und Frau A. W. Efimoff, Assistenten des Physikalischen Instituts und Psycho-neurologischen Instituts zu Moskau. Mit 1 Textabbildung. nm (Eingegangen am 7. August 1922.) Trotz der ungeheuren Literatur über das Weber-Fechnersche Ge- setz!) besitzt es noch immer für den Forscher großes Interesse, und fortwährend erscheinen neue, demselben gewidmete Arbeiten. Die dem Weber-Fechnerschen Gesetz gewidmeten Arbeiten können in zwei Grup- pen eingeteilt werden: 1. Die Arbeiten der ersten Gruppe wollen das Gesetz mehr der Tiefe nach studieren. Hierher gehören z. B. der Artikel von P. Lasarew?) und die neuerdings in Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. erschienene Arbeit von Pütter, die zu beweisen sucht, daß die Weber-Fechner sche Formel A = log R nur eine Interpolationsformel darstellt. 2. Diejenigen der zweiten Gruppe stellen hauptsächlich Studien der Weite nach dar, nämlich im Sinne der Verwertung des genannten esetzes für diejenigen Lebenserscheinungen, wo es noch nicht ange- wandt war. Hierher gehören die Studien von Stark?) auf dem Gebiete der vegetativen Physiologie, sowie diejenigen von V. Henri*) auf dem 1) W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 5. Auflage. 2) P. Lasarew, Weber-Fechnersches Gesetz und ionische Theorie der Erregung. Berichte des physikalischen Instituts zu Moskau. 1921. (Russisch.) ®) P. Stark, Das Webersche Gesetz in der Pflanzenphysiologie. Zeitschr. f. alle. Physiol. 18. 1920. *) V. Henri, Die Gesetze der Erregung mit ultravioletten Strahlen. Arch. d. Seiene. phys. 1918. 244 W. W. Efimoff und Frau A. W. Efimoff: Gebiete der Erregung der Cyklopen mittels ultravioletter Strahlen, wo es gelang, die Anwendbarkeit des Weberschen Gesetzes in der Fech- nerschen Formulierung zu beweisen. Die vorliegende Arbeit gehört zur zweiten Gruppe und bezweckt, das Fechnersche Gesetz auf die Arbeit des menschlichen Musculus biceps bei Hebung verschiedener Lasten und maximalem Tempo zu übertragen. Unsere Studien wurden an Sportsleuten und Gymnasten der Schule für physische Kultur angestellt; die Methodik war sehr einfach. Der Betreffende nahm eine ‚„Habtacht‘‘-Stellung ein, bog dann seinen Arm im Ellbogengelenk bis auf 45° (Ausgangspunkt aller Versuche). Auf ein Signal sollte er so schnell als möglich den Vorderarm bis dicht an den Oberarm und zurück bewegen während 5 Sekunden. Die Zahl der Bewegungen wurde notiert und dann wurde derselbe Versuch mit fortwährend wachsendem Gewichte fortgesetzt. Je größer das gehobene Gewicht wurde, desto geringer wurde natürlich die Zahl der Bewegungen (siehe Tabelle I). Tabelle 1. Gewichte | lg der Gewichte | u nn En ae 0,6 kg 0,77.815 —1 15,6 0,65 Kilogrammeter 2.05, 0,30 103 | 1275 125) >> AS | 0,68 124 8,8 2,96 10,0 „, | 1,00 000 | 5,8 3,96 N 12.0555 | 1,07 918 4,9 4,20 20.05; | 1,30 103 18,9 4,76 Ohne Gewicht | | | (unbelasteter Arm) | — | 3,4 | — Es zeigte sich nun, daß die maximale Zahl der Koniraktionen bei ein und demselben Individuum ziemlich konstant blieb und von Tag zu Tag nur in sehr engen Grenzen schwankt. Müdigkeit wurde na- türlich sorgfältig ausgeschlossen. Der Versuch selbst, wie die Kontrollversuche es zeigen, verursachte keine Ermüdung, ganz abgesehen davon, daß das zu hebende Gewicht vergrößert oder verringert wurde, da die Arbeitszeit ganz gering war (5 Sekunden). So wurden 87 Mann untersucht, viele auch mehrfach. Mittlere Zahlenwerte aller Angaben geben wir in Tabellel wieder. Wenn wir das Gewicht als ‚Reiz‘, die Zahl der Kontraktionen als ‚Erregung‘' be- zeichnen, und laut der Fechnerschen Formulierung des Gesetzes A = lg x (wo A = Größe der Erregung und x = Reiz) auf der Abszisse dic Logarithmen der gehobenen Gewichte, und auf der Ordinate die Zahl der Kontraktionen während 5 Sekunden graphisch darstellen, so erhalten Das Weber-Fechnersche Gesetz bei der Arbeit des Menschenmuskels. 245 wir eine Gerade, falls das oben genannte Gesetz bei Muskelarbeit an- wendbar ist. Wie die Kurve I auf Abb. 1 zeigt, liegen alle Punkte ziemlich genau geradlinig, mit Ausnahme des Punktes des unbelasteten Armes. (Da- bei findet eine Abweichung statt wegen des zu kleinen Reizes.) Zahl d. Conftractionen inS sec. Arbeit, pro 1sec (g. d. Gewichten Abb. 1. Wir finden also genau dieselben Abweichungen, die auch von an- deren Forschern konstatiert worden sind. Zur Korrektion der genann- ten Abweichungen schlägt Pütter!) eine neue Formel statt der alten Fechnerschen vor. Ferner wurde festgestellt, daß keine Proportionalität vorhanden ist zwischen Länge des das Gewicht hebenden Vorderarms (die Länge wurde gemessen vom Ellbogen bis zur Mitte des Handtellers) und der Zahl der Kontraktionen mit oder ohne Gewicht. Tabelle II. Zahl d. Kontraktionen in 5 Sek. Länge des Vorderarms ————— ohne Gewicht | mit 0,6 kg IRommeSIlcmer 19 | 17 Choroschkewitz 36 cm 19 | 17 Sosnin 3Iem .... 15 | 14 Getje 39, 5em.... 20 | 17 Multiplizieren wir Gewicht und Zahl der Kontraktionen pro Sekunde, so erhalten wir Werte für die Leistung, d.h. die Größe der Arbeit in 1 Sekunde. 1) A. Pütter, Studien zur Theorie der Reizvorgänge. Pflügers Arch. f. d. ges. Phys. 171. 1918. 246 W. W.Efimoff u. Frau A. W. Efimoff: Das Weber-Fechnersche Gesetz usw. Tragen wir die erhaltenen Werte als Ordinaten in die Abb. 1 ein, so erhalten wir wiederum eine Gerade (II), die abhängt von den Loga- rithmen der Größe der zu hebenden Gewichte. Dieselbe Gesetzmäßigkeit wird auch bei einer einmaligen individuellen Untersuchung beobachtet. Abweichungen werden nur bei sehr starken Individuen mit mäch- tigen M. biceps, und zwar bei geringem Gewicht angetroffen. Also die Leistung des arbeitenden Muskels bei fortwährend steigendem Gewicht scheint dem Weber-Fechnerschen Gesetze unterworfen zu sein, falls die Kontraktionenzahl pro Sekunde maximal ist. Ist die Lunge undurehgängig für Ammoniak? Von 6. Liljestrand, €. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) (Mit 5 Textabbilduneen.) (Eingegangen am 5. Mai 1922.) Einleitung. In einer 1902 erschienenen Arbeit vertritt Magnus!) die Auffassung, daß die Lunge für Ammoniak undurchgängig sei. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Beobachtung von Knoll?), daß bei tracheotomierten und vagotomierten Tieren auch länger dauernde Einatmung konzen- trierter Ammoniakdämpfe keine Symptome hervorruft, während be- kanntlich schon kleine NH,-Mengen, intravenös eingespritzt, Atmungs- erregung, Krämpfe und zentral bedingte Kreislaufstörungen bewirken. Die zur Aufklärung dieses Widerspruches von Magnus angestellten Versuche schienen zu zeigen, daß die gesunde Lungenwand für NH; undurchgängig ist. Erstens wurde die Knollsche Beobachtung bestätigt, zweitens wurde 0,35% NH, in die Vena jugularis oder die Arteria pul- monalis in solchen Mengen eingespritzt, daß das Blut danach roch und darübergehaltenes Lackmuspapier bläute, die durch Nesslers Reagens streichende Exspirationsluft ließ aber die Vorlage vollständig ungetrübt. Wurde aber die künstliche Atmung des Versuchstieres fortgesetzt, nachdem dieses durch Einspritzung einer größeren Ammoniakmenge getötet war, so trat nach einigen Minuten Trübung der Nesslerschen Flüssigkeit auf. Den Magnusschen Schlußfolgerungen wurde von Höber?) wider- sprochen. Dieser findet es a priori unwahrscheinlich, daß die Lunge eine so gut lipoidlösliche Substanz zurückhalten soll, und glaubt, daß das experimentelle Ergebnis durch den hohen Absorptionskoeffizienten des NH, bedingt sei (Absorptionskoeffizient für O, 0,045, CO, 1,713, H,S 4,686, NH, 1298,9), wodurch dieses nach intravenöser Einspritzung leicht im Blut und den Geweben festgehalten werden muß. Bei Durch- 1) R. Magnus, Schmiedebergs Arch. 48, 100. 1902. ®2) Ph. Knoll, Wien. Akad. Sitzungsber. III, 68, 245. 1873. ®) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 57. 1912. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 17 248 (x. Liljestrand, C. de Lind van Wijngaarden und R. Maenus: leiten von Luft durch Blut mit verschiedenen Ammoniakmengen wird nach Höber NH, erst mit Nesslers Reagens nachweisbar, wenn das Blut 0,095% Ammoniak enthält. Höber selbst findet nach Einspritzung von Ammoniak in die Art. pulmonalis nur einmal unter 7 Versuchen nach sehr schneller Injektion NH, in der Ausatmungsluft; in den übrigen 6 Ver- suchen trat Lungenödem auf, wodurch nach seiner Annahme der Über- tritt von Ammoniak in die Ausatmungsluft verhindert wird. In 2 wei- teren Versuchen bestimmte Höber den Ammoniakgehalt des Blutes vor und nach der Einatmung von Ammoniak. Die Blutentnahme erfolgte gleichzeitig mit der NH,-Inhalation. In dem einen Versuche stieg der Ammoniakgehalt des Blutes hierbei von 0,00061%, auf 0,028%, in dem anderen von 0,001% auf 0,022%. Die Einwände von Höber werden von Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen!) ausführlich erörtert. Es wird u.a. darauf hingewiesen, daß in den älteren Versuchen von Magnus das Blut immer nach Ammo- niak roch und darübergehaltenes Lakmuspapier bläute, also Ammoniak in abdunstungsfähigen Mengen enthielt; ferner, daß in diesen Versuchen kein Lungenödem aufgetreten war. In einer ersten Versuchsreihe wurde dann die Aufnahme von NH, ins Blut bei Einatmung von Luft unter- sucht, welche durch 8,5% NH,3-Lösung gestrichen war. Es fand sich unter gewöhnlichen Versuchsbedingungen nach drei Minuten langer Einatmung ein Ansteigen des NH, im Blute um nur 0,0023%, nach 6 Minuten langer Einatmung um 0,0035%,. unter besonders günstigen Versuchsbedingungen nach 6 Minuten sogar nur um 0,0020%. Da in Fällen, in welchen die Irachealkanüle sehr hoch in der Trachea saß, nach 3 Minuten Zunahmen bis um 0,006% und nach 6 Minuten bis 0,008°% gefunden wurden, war der Schluß naheliegend, daß durch die Trachealschleimhaut eine beträchtliche Ammoniakaufnahme statt- finden kann, und daher vermutet, daß die gefundene geringe NH,- Aufnahme durch die Lungen ganz oder überwiegend auf Resorption durch die Bronchial- und Trachealschleimhaut zurückgeführt werden muß. — In anderen Versuchen wurde zur Erklärung der sehr viel höheren Ammoniakwerte von Hoöber gezeigt, daß der NH,-Gehalt des Blutes sehr viel größer ausfällt, wenn die Blutentnahme zur Analyse während der Ammoniakeinatmung stattfindet, wodurch nach- weisbare Schädigungen (Hämorrhagien, Exsudate) in den Lungen auf- treten. Die zweite Versuchsreihe umfaßt Experimente an der überlebenden; am Brodieapparat mit Katzenblut durchströmten und künstlich ge- atmeten Katzenlunge. Die Expirationsluft entwich durch ein Seitenrohr der Trachealkanüle und blies gegen ein vor der Mündung desselben 1) R. Magnus, G. B. Sorgdrager und W. Storm van Leeuwen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155, 275. 1914. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 249 aufgehängtes Stück neutrales Lackmuspapier. Über dem geöffneten Thorax oder in dem Plethysmographen, welcher die Lunge einschloß, war ein gleiches Papier befestigt. In allen Fällen färbte sich das Lackmus- papier über dem Thorax bzw. im Plethysmographen nach Zusatz von 2 ccm 0,78—0, 85% NH, zu 75—150 ccm mit Kochsalzlösung verdünn- ten Blutes nach 45 Sek. bis höchstens 4 Min. blau. Dagegen blieb in 11 Versuchen das Lackmuspapier am Exspirationsrohr unverändert, und nur in 2 Versuchen ließ sich nach dem beschriebenen Verfahren Ammoniak in der Exspirationsluft nachweisen; in beiden Fällen handelte es sich aber um krankhaft veränderte Lungen. Bei gesunden Lungen trat keine nachweisbare NH,-Ausscheidung ein, solange der NH,-Gehalt des Durchströmungsblutes 0,015—0,024 %, betrug, dagegen wurde das Lackmuspapier vor der Trachealkanüle gebläut bei Ammoniak gehalten zwischen 0,027 und 0,045%. Da nach 0,0080% im Blute bereits beim Kaninchen Krämpfe auftreten, liegen alle diese Werte hoch über den bei den Knollschen Versuchen möglichen Konzen- trationen. Im Jahre 1919 haben Herzfeld und Klinger!) gegen die referierten Versuche hervorgehoben, daß die Undurchlässigkeit der Lunge für Am- moniak nur eine scheinbare sei und in dem relativ hohen CO,-Gehalt dieses Organes ihre Erklärung finde: ‚Denn aus ammoniumcarbonat- haltigen Eiweißlösungen tritt Ammoniak nur dann in die Luft über, wenn sie sich in ihrer Alkalinität über diejenigen der Bicarbonate erheben.‘“ Es mag hier gleich darauf hingewiesen werden, daß dieser Einwand das Wesen der Sache nicht trifft, da die entscheidenden Versuche an der überlebenden isolierten Lunge angestellt wurden, welche, wie weiter unten gezeigt werden soll, so gut wie keine Kohlen- säure ausscheidet. Auch Lipschitz?) mißt der Kohlensäure große Bedeutung bei und meint, daß das Ammoniak bei seinem Durchtritt durch das Epithel der Lunge — dem Orte der größten CO,-Entladung — an Kohlensäure ge- bunden wird und leicht als Ammoniumcarbonat oder -bicarbonat im Zellsaft in Lösung bleibt. Er macht ferner darauf aufmerksam, daß der Unterschied im Ammoniakgehalt des Blutes nach NH,-Inhalation in den Versuchen, in welchen während und nach der Ammoniakeinatmung verblutet wurde, darauf beruhen kann, daß im ersten Falle ein Teil des aus der Carotis fließenden Blutes weder mit der entgiftenden Leber noch der ausscheidenden Niere in Berührung gekommen ist, während im letzteren Falle das Blut den ganzen Kreislauf durchlaufen hat. In eigenen Versuchen findet er nach Ammoniakeinatmung von 6—10Min. 1) E. Herzfeld und H. Klinger, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 143, 385. 1919. ?) W. Lipschitz, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 1. 1919. 14* 250 (@. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: Dauer (Inspirationsluft streicht durch 7%, Ammoniaklösung) NH,-Werte im Blut von etwa derselben Größe wie Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen. Er bestimmt aber außerdem die aus dem Inspirationsventil verschwundene sowie in einigen Fällen die im Exspirationsventil wieder- gefundene Ammoniakmenge und glaubt, daß man bei Berücksichtigung der während des Versuches aus den Ventilen verschwundenen Ammoniak- menge überhaupt keine höheren Werte im Blute zu erwarten hat, als sie tatsächlich gefunden werden. „Wählt man, um einen ungefähren Anhalt zu haben, als Durchschnittswert des gefundenen Blutammoniaks 0,004, und subtrahiert von der gebrauchten Gesamtmenge Ammoniak den im entsprechenden Expirationsventil wiedergefundenen Betrag, so kommt man — ebenfalls approximativ — zu einem im Respirations- traktus verschwundenen Wert von 0,04, also dem zehnfachen des Blut- wertes, während das Gesamtgewicht von Kaninchen etwa das Dreizehn- fache des Blutgewichtes beträgt. Durch die zuletzt genannte Arbeit von Lipschitz ist die Frage nach der Ammoniakaufnahme in der Lunge von neuem zur Diskussion ge- stellt. Denn durch den Nachweis, wie klein die absoluten in den bisherigen Versuchen zur Einatmung kommenden Ammoniakmengen sind, bekommen auch die von allen Experimentatoren gefundenen sehr geringen Ammo- niakzunahmen im Blute der Versuchstiere eine erhöhte Bedeutung, und es fragt sich, besonders nach den Erfahrungen von Lipschitz, ob hierfür die Resorption von der Tracheo-Bronchialschleimhaut aus herangezogen werden muß. Demgegenüber bleibt aber immer noch der umgekehrte Versuch: keine Ammoniakausscheidung durch die Lunge, wenn abdunstungsfähiges Ammoniak im Blute kreist, unerklärt. Denn die Kohlensäurespannung in den Alveolen kann hierfür jedenfalls nicht die ausschließliche Ursache sein, sonst müßte die isolierte durchblutete Lunge zum Blute zugesetztes Ammoniak ausscheiden. Wenn also auch während des Lebens die Kohlensäure eine unterstützende Rolle spielen kann, so müssen noch andere Faktoren bei der benutzten Versuchs- anordnung von Einfluß sein. Zur Aufklärung dieser Verhältnisse haben wir die nachstehenden Versuche angestellt, welche zu dem Ergebnis geführt haben, daß das Alveolarepithel für Ammoniak durchgängig ist, aber zugleich die Er- klärung für die früheren Versuchsergebnisse lieferten. Alle Versuche wurden an der nach Brodie durchbluteten isolierten Katzenlunge angestellt, an der sich alle Versuchsvariabelen quantitativ bestimmen lassen, wobei ferner eine Resorption durch die Tracheo-Bron- chialschleimhaut keine wesentliche Rolle spielt, und wobei das zirku- lierende Blut keine anderen Organe durchfließt, dieden Ammoniakgehalt des Blutes vermindern können. Ist die Lunge undurchgängie für Ammoniak ? 251 II. Spannung und Menge der Kohlensäure im Biut bei der überlebenden, künstlieh durehbluteten Lunge. In denjenigen Versuchen von Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen, die unter den einfachsten Bedingungen ausgeführt wurden und demnach am beweisendsten erscheinen, nämlich in den Versuchen an der überlebenden, künstlich durchbluteten Lunge, wurde Blut, welches durch energisches Schlagen defibriniert und mit physiologischer NaCl-Lösung verdünnt war, verwendet. Es war schon im voraus wenig wahrscheinlich, daß unter diesen Bedingungen eine irgendwie größere CO,-Menge im Blute vorhanden sein kann; wir hielten es aber für wünchenswert, die Größe derselben durch direkte Versuche festzustellen. Zur Ermittlung der CO,-Spannung und des O,-Gehaltes des mit physiologischer NaCl-Lösung verdünnten Blutes in der überlebend durchbluteten Lunge haben wir uns derselben Versuchsanordnung (nach Brodie) bedient, welche in der vorher- gehenden Arbeit!) ausführlich geschildert ist, worauf wir hier verweisen können. Da die Vorbehandlung des Blutes von großer Bedeutung für seinen CO,-Gehalt ist, haben wir dasselbe, ebenso wie früher, stets in offenen Porzellanschalen de- fibriniert, ohne daß natürlich streng quantitativ gleiche Verhältnisse vorlagen. Nachdem am Durchblutungsapparat der künstliche Blutstrom und die Lüftung gut in Gang gekommen waren, wurde die CO,-Spannung des Blutes bestimmt. Da nach den Angaben von Evans und Starling?) die Kohlensäureproduktion der Lunge sehr klein ist (durchschnittlich !/,, ccm pro Min. und kg Tier), wird sie auf die Menge und Spannung der Kohlensäure im Blute und in den Alveolen beim Durchblutungsversuch nur eine ganz verschwindende Wirkung haben. Es ist deshalb möglich, die Lunge selbst als Tonometer zu benutzen. Man braucht nur die Lunge aufzublasen und nach eingetretenem Spannungsausgleich zwischen Durchströmungsblut und Lungenluft eine Probe der Alveolarluft zu analysieren. Um letztere zu erhalten, haben wir in die Trachea eine T-Kanüle eingebunden, deren einer Schenkel mit der künstlichen Atmung in Verbindung stand, während der andere kurze Schenkel in der Wand eine feine Röhre zur Probeentnahme besaß und am Ende mit einem kurzen Schlauch versehen war. Die Entnahme einer Alveolarluftprobe geschieht nun folgendermaßen: Während einer Lufteinblasung aus der künstlichen Atmung wird das Seitenrohr der T-Kanüle mit Hilfe des Schlauches abgeklemmt, so daß also die Lunge aufgeblasen wird. Dann wird auch die Leitung von der künstlichen Atmung möglichst nahe der Kanüle abgeklemmt. Nach einer bestimmten Zeit wird dann der „schädliche Raum‘ der Kanüle und der Bronchien ausgespült, wozu immer hinreichende Luft zur Verfügung steht. Zu diesem Zwecke wird das Seitenrohr der Kanüle schnell geöffnet und wieder geschlossen. Durch die Lungenelastizität wird dann eine hinreichende Luftmenge aus der Kanüle und der Lunge getrieben, und die Probe kann in gewöhnlicher Weise aus der erwähnten kleinen Seitenröhre entnommen werden. Als Beispiel führen wir den folgenden Versuch an: Versuch 1. (4. V. 1920). Katze von 2750 g wird in Äthernarkose verblutet und liefert 100 ccm Blut, das definibriert und filtriert wird. Danach wird es im Durchblutungsapparat mit 45 ccm physiologischer NaCl-Lösung gemischt. !) Magnus, Sorgdrager und Storm v. Leeuwen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155. 293. 1914. 2) ©. L. Evans, Journ. of Physiol. 45, 213. 1912; C. L. Evans und E. H. Starling, Journ. of Physiol. 46, 413. 1913. 252 @. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Maenus: 4" 20°”. Beginn der Durchblutung. Durchblutungsdruck 25 mm Hg. Tem- peratur des Blutes 30°. 4h 23°. 4 kleine Tropfen Adrenalin zum Blut zugesetzt. 4 25°. Pro 10 Sekunden strömen 44 ccm Blutgemisch durch die Lungen. 4h 27°. Durchblutungsdruck 21 mm Hg, Temperatur des Blutes 31,5°. Zu- nahme der Durchströmungsgeschwindigkeit. 4h 31°. Durchblutungsdruck 24 mm He. 4h 32°. Alveolarluftprobe (Probe 1), wird in oben beschriebener Weise ent- nommen, wobei die Spülung des schädlichen Raumes und die Probeentnahme unmittelbar nach dem Aufblasen der Lungen stattfinden. 4h 34’. Neue Alveolarluftprobe (Probe 2), jedoch wird Spülung und Probe- entnahme erst ausgeführt, nachdem die Lunge 20 Sek. lang in aufgeblasenem Zustande gewesen ist. 4h 35°. Durchblutungsdruck 26 mm He, Bluttemperatur 33,6°. 4h 39’. 3 Tropfen Adrenalin zugesetzt. 4h 40°. Durchströmungsdruck 33 mm Hg. Strom nimmt ab (Lunge steht zu niedrig). 4h 44°. Lunge höher gesetzt. Strom nimmt sofort zu. 4h 45°. Durchblutungsdruck 35 mm Hg. Temperatur des Blutes 34,5°. 4h 45°. Alveolarluftprobe (Probe 3) wird entnommen wie Probe 1. 4h 46°. Alveolarluftprobe (Probe 4) wird entnommen wie Probe 2. 4h 47°. Lungenödem. Versuch abgebrochen. Gewicht der Lungen 53 g. Bar. 770 mm. Die Analyse der Proben ergab: | co, | in Proz. | in mm He. Probe 1 014, 1,7, 10 De 0,14 1,0 Det RO 0,95 4 0,13 0,95 Der Versuch zeigt, daß sehr schnell vollständiger Druckausgleich zwischen dem Blute und der Lungenluft eingetreten ist, da die Proben 1 und 2 bzw. 3 und 4 genau dieselben Ergebnisse lieferten, obgleich die Probeentnahme in 1 und 3 unmittelbar, in 2 und 4 dagegen erst 20 Se- kunden nach dem Aufblasen der Lungen stattfand. Ebenso ergibt sich, daß die CO,-Produktion in der überlebenden Lunge innerhalb der Ent- nahmezeit nicht störend wirkt. In dem ausgeführten Versuch betrug der gesamte „schädliche Raum der Trachealkanüle 2,4ccm. Im Verhältnis dazu war die Spülung zweifelsohne mehr als hinreichend. In mehreren Versuchen haben wir uns auch durch graphische Aufzeichnung der Volumenänderungen der Lungen während der Spülung und Probeentnahme direkt hiervon über- zeugt. Der folgende Versuch möge als Beispiel gelten. Versuch 4 (10. V. 1920). Zwei mittelgroße Katzen, in Äthernarkose verblutet, liefern insgesamt 140 cem Blut, das definibriert und filtriert und dann mit den 45 ccm physiologische NaCl-Lösung im Apparat gemischt wird. Die Lunge wird Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 253 in einen Plethysmographen !) eingeschlossen und die Volumenschwankungen während der künstlichen Atmung und bei der Probeentnahme mit dem Piston- recorder registriert. Durchströmung beginnt 3" 57°. Temperatur des Blutes 26°. Um 4h werden 4 Tropfen Adrenalin zugesetzt. 4h 2°. Durchblutungsdruck 50 mm Hg, wird etwas vermindert. 4h 4’. Beginn der Registrierung. 4h 7’. Sehr guter Blutstrom. Temperatur 29°. Atemfrequenz 34 pro Min. Volum des einzelnen Atemzuges etwa 20 ccm. Alveolarluftprobe wird nach vor- heriger Aufblasung und Spülung entnommen, Die Spülung umfaßt 32 ccm, die Probe etwa 20 cem Luft. Um 4h 8° 15”. Alveolarluftprobe 2, gewonnen wie die vorige. Spülung mit 14 ccm, Probe von 15 cem Luft. Atmungsfrequenz nachher 33 mit einer Größe der Atemzüge von 8,8 ccm. 4h 13°. Durchblutung 21 ccm pro 5 Sek. Versuch abgebrochen. ’ | zu Vol-%400, | in Proz. | in mm Hg. Brope EB ER NE | 0, 27 ” 2,0 2 | a ” Zi . . . | Barometer 766 mm. Die in diesem Versuch gebrauchte Trachealkanüle hatte ein Volumen von 3,4 ccm, die Spülung war folg- lich 9,4 bzw. 4,1 mal größer. Wir verfügen insgesamt über 9 Versuche dieser Art, wobei in allen Fällen die CO,-Span- nung bestimmt wurde. In 3 von diesen Versu- chen wurde außerdem auch die CO,-Menge und in 2 Fällen die O,-Menge des Blut-Kochsalzgemi- q ne 00,-Dr. N 5 sches nach Barcroft bestimmt. Die verwendeten »». 1. Kohlensäurespan- Apparate waren nach Münzer und Neumann?) nungskurve im Blut bei nied- kalibriert worden. In Tab. I sind die Versuche ee zusammengestellt. Die 00,-Spannung des Blutes et schwankt innerhalb ziemlich enger Grenzen, (verdünntes Katzenblut). nämlich 08 und 2,Imm Hg. Es ist dies ein außerordentlich niedriger Wert, wenn man bedenkt, daß die Zimmer- luft gleichzeitig 0,09% .CO, enthielt, d. h. eine CO,-Spannung von 0,6 mm besaß. Auch der CO,-Gehalt des Blutes ist sehr niedrig: 2,3 bis S Vol.- Prozent. Die Werte liegen noch niedriger als die Beobachtungen von Bohr?), und die von Ühristiansen, Douglas und Haldane?) zeigen, was ja auch wegen der Verdünnung des Blutes mit Kochsalzlösung zu 1 ) S. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155, 303. 1914. 2) Biochem. Zeitschr. 81, 319. 1917. ) ) w Bohr ‚ Nagels Handb. der Physiol. 1, 105. 1909. Journ. ef Physiol. 48, 244. 1914. 4 254 @G. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: erwarten ist. (Vergleiche auch die niedrigen O,-Werte in Versuch 8 und 9.) Die Temperatur ist zwar in unseren Versuchen etwas niedriger, das reicht aber nicht aus, um die Wirkung der Verdünnung zu kom- pensieren. Tabelle I. AI |Pnysiol. Zeit n.| __C0: der | Osaes| | z | Blut Koch- | Beeinn | Plutkochsalz- Biut- mem f f Des . | | p. des Sem salz- | der mischung | xkoch- : S AnparstlTocine Durch: Su En Sala. | Blutes | Bemerkungen | in App. 'blutung| nung | Vol. %, misches r; cem ccm | Min. |mm Hg | Vol.% | Grad —- — | ne 1 100 45 | 11 | 10 | 30— 34,5 | Lungenödem 24 | 0,95) Gewicht der Lungen | 19,5 g pro ke 2| 60 45 1899 1 o | 28 | Etwas Ödem 3I A O2 | 28,5 | Ü el | 4 140 45 02:0 | | 1425 | , 26—29 | Gute Durchströmung 6.6110, 10 30.817. 10) 221.00 | | | 200.039 | 25—26 | (ute Durchströmung | 30 08 | | | | | | | 7| 60 45 NO 6.979) Gute Durchströmung | 14 | 29—32 | Gewicht der Lungen ia (OSDANMOTE | 9g pro kg 85 65 45 10 | N — — 33,5—35 | Sehr gute Durchblutung. | 12 | — [4,2;5,88,5;9,4 \ Lungengewicht 8« 26 | 0,86 nn — | I. pro kg ZU N 12,3;2,88,6; 8,7] 9| 55 45 10 | 14 [7,8;8,08.0;8,2) 35 | Durchblutung ziemlich | 19 | 1,1 6,4:6,78,6;8,5| eut. Liuungengewicht | | | | | ' 10,6 8 pro kg 10| 142 0 ON | "E"6 29,531 | Schlechter Strom (Glas- | | ' wolle in der Lungen- | | arterie). Die Versuche lehren also, daß man bei den Durchblutungsversuchen mit einem CO,-Gehalt des Durchblutungsblutes von 2,3—8 Vol.-Proz., und mit einer alveolaren CO,-Spannung von 0,8— 2,1 mm Hg zu rechnen hat. Im Vergleich zu den Verhältnissen im intakten Körper sind diese Werte minimal. Da die CO,-Spannung in den Alveolen nur wenig höher liegt als die der Zimmerluft, muß es zum mindesten als sehr unwahr- scheinlich erscheinen, daß die Passage des Ammoniaks aus dem Blute durch die Lungenwände in die Außenluft bei diesen Versuchen durch die Kohlensäure verhindert wird. Ist die Lunge undurchgängie für Ammoniak ? 255 Dagegen ist es natürlich durchaus nicht ausgeschlossen, daß die grö- ßeren CO,-Mengen und -Spannungen beim intakten Tier einen Einfluß in dieser Richtung haben können. Hierauf wird später einzugehen sein. III. Quantitative Bestimmung der Ammoniakaufinahme dureh die isolierte Lunge. Die Bestimmungen des Ammoniakgehaltes des Blutes am ganzen . Tier vor und nach Einatmung von Ammoniak als Maß der etwaigen NH,-Aufnahme durch die Lungen leiden an dem Mangel, daß nur ein Teil des Ammoniaks im Blute bleibt, so daß es schwierig ist, aus der- artigen Bestimmungen zuverlässige Angaben über die wirklich aufgenom- mene Ammoniakmenge zu erhalten. Hier bieten Versuche mit der über- lebenden und künstlich durchbluteten Lunge große Vorteile, da das Blut-Kochsalzgemisch nicht mit anderen Geweben als der Lunge selbst in Berührung kommt, und außerdem die Menge des Durchströmungs- blutes bekannt ist. Während in der vorhergehenden Arbeit mit dieser Methode nur Versuche ausgeführt wurden, um den eventuellen Übertritt von Ammoniak aus dem Blute in die Exspirationsluft festzustellen, ist der umgekehrte Weg an der isolierten Lunge bisher nicht verfolgt worden. Wir haben nunmehr eine Reihe solcher Versuche ausgeführt. Die überlebende, künstlich durchblutete Lunge wurde hierbei stets in einen Plethysmographen eingeschlossen, und die Größe der Atemexkursionen von hier aus registriert. Nachdem der künstliche Kreislauf durch die überlebende Lunge eingeleitet worden ist, wird zuerst künstliche Atmung mit gewöhnlicher Luft ausgeführt. Es wird dann auch eine Probe der Blutkochsalzmischung zur Analyse auf NH, genommen. Dann wird während einer gemessenen Zeit die Luft der künstlichen Atmung durch eine Waschflasche mit Ammoniaklösung (von 2,25 bis 8%) geleitet, so daß die Luft durch die Lösung streicht. Damit kein Ammoniak in die Zimmerluft entweichen kann, muß die Exspirationsluft Flaschen mit Bims- stein und Schwefelsäure passieren, welche der Exspiration keinen Widerstand bieten. Nachdem die künstliche Atmung mit NH,-haltiger Luft genügend lang gedauert hat, wird eine neue Blutprobe entnommen. Die Proben werden nach der auch früher verwendeten, von Krüger und Reich!) angegebenen Methode analy- siert. Die Zuverlässigkeit der Methode in der von uns gebrauchten Anordnung haben wir nach Zusatz einer bekannten Menge Ammoniak zum Blute geprüft; die Ammoniakmenge wurde hierbei quantitativ zurückgefunden. — Der Ammoniak- gehalt der zugeführten Luft wurde so bestimmt, daß eine Luftprobe mit etwa der- selben Geschwindigkeit wie in dem nachfolgenden Versuch mit der überlebenden Lunge, erst durch die NH,-Lösung durch eine Waschflasche mit 25 cem "/o Schwefelsäure und etwas Rosolsäure und schließlich in ein kleines, genau kalibriertes registrierendes Spirometer nach Krogh getrieben wurde. Durch Titrieren der Schwefelsäure ließ sich die von dem Luftstrom aufgenommene Ammoniakmenge be- stimmen. Besondere Versuche zeigten in einer zweiten ähnlichen Waschflasche, mit H,SO, keine weitere NH,-Aufnahme. Da durch die Entfernung des Ammoniaks das Volumen der durch die Schwefelsäure geleiteten Luft etwas vermindert wird, muß der gefundene Wert auf das ursprüngliche Volumen umgerechnet werden. In dieser Weise wird der Ammoniakgehalt der Luft vor und nach dem Versuche an !) M. Krüger und O. Reich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 165. 1903. 256 G. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Maenus: der überlebenden Lunge bestimmt. Die Lüftung der Lunge während der Zufuhr von ammoniakhaltiger Luft ist leicht aus der plethysmographischen Kurve zu er- mitteln. Wir sind also in der Lage, die gesamte zugeführte Ammoniakmenge zu berechnen. Andererseits gibt uns die Kenntnis der Blutmenge im Apparat sowie ihres NH,-Gehaltes die nötigen Daten, um die durch die Lungen aufgenommenen NH;,-Mengen zu berechnen. Der folgende Versuch möge zur Veranschaulichung dienen. Versuch 17 (21. VI. 1920). Eine Katze, in Äthernarkose verblutet, gibt 85 cem definibriertes und filtriertes Blut. Von einer zweiten Katze (2,57 kg) werden 85 ccm Blut erhalten. Die 170 cem Blut werden mit 45 ccm physiologischer Koch- salzlösung im Brodieapparat gemischt, und die Lunge der zweiten Katze in ge- wöhnlicher Weise mit dem Durchblutungsapparat verbunden und dann in den Plethysmographen eingeführt. Darauf wird eine Blutprobe von 30 cem zur Be- stimmung des normalen Ammoniakgehaltes entnommen. 10h 56° beginnt der Blutstrom. 10h 57° 3 Tropfen Adrenalin zugefügt. 10h 59° Durchblutungsdruck 30 mm Hg. Temperatur des Blutes 30°. 11% Durchblutungsdruck 40 mm He. 11% 3° Registrierung der Atemexkursionen beginnt, Durchblutungsdruck 36 mm He. 11" 7° Die Inspirationsluft wird durch eine Waschflasche mit Ammoniak (2,25%) geleitet, die Exspirationsluft passiert durch zwei Türme mit Bimsstein und konzentrierter Schwefelsäure. 11" 9° Blutstrom sehr gut. Durchblutungsdruck 35ccm, Temperatur des Blutes 32°. 11h 10° bis 11% 10710” Blutprobe 2 wird entnommen (26 ccm). 11" 13° bis 11" 13°15° Blutprobe 3 wird entnommen. Versuch abgebrochen. Gewicht der Lungen 9,8 g pro kg. Wenig Stauung, kein Ödem. Die Atmung war während des ganzen Ammoniakversuches gut. Die Ausmessung der Kurve ergibt für die Zeit 11% 7° bis 11" 10° 10’ eine gesamte Ventilation von 1,39 1. und für die Zeit von da bis 11" 13° 15” von 1,271. Die Luft der künstlichen Atmung enthielt hinter der Ammoniakflasche un- mittelbar vor dem Versuch 0,0121 g NH, pro l. Luft und unmittelbar nach dem Versuch 0,0115 g NH, pro ]. (Mittel 0,0118). Die Analysen der Blutproben ergaben: Blutprobe 1 :0,0006% NH;. Blutprobe 2 :0,0026% NH,. Blutprobe 3 :0,0050% NH; Die während der ersten bzw. zweiten Ammoniakperiode zugeführten NH;- Mengen waren 1,39 x 0,0118 = 0,0164 & und 1,27 x 0,0118 = 0,0150 g NH,. Von diesen Mengen wurde im Blute 185 (0,000026—0,000006) —= 0,0037 g und 159 (0,00005—0,000026) — 0,0038 g gefunden. Das Verhältnis der wiedergefunde- nen NH,-Menge zu der zugeführten beträgt folglich 1 : 4,4 (23%) und 1 : 3,9 (26%). Die Möglichkeit, daß NH, aus dem Blute während des Kreislaufs verloren geht (z. B. durch Diffusion durch die dünnen Gummimembranen des Brodieapparates) haben wir in der Weise geprüft, daß 90 cem Blut und 45 cem Kochsalzlösung im Apparat gut umgetrieben wurden (Schlauch statt Lunge). Dann wurde etwas NH, zugefügt und eine Probe 1 (30 ccm) entnommen. Nach 12 bzw. 24 Minuten wurden die Proben 2 (30 ccm), und 3 entnommen. Der NH,-Gehalt derProben war: Probe 1: 0,0134%,, Probe 2: 0,0129%, Probe 3: 0,00123%. Der Verlust spielt also in unseren Versuchen eine sehr untergeordnete Rolle. Mit der geschilderten Methodik haben wir insgesamt 8 Versuche ausgeführt, die in der Tab. II summarisch zusammengestellt sind. r Ammoniak ? ie fü äng] {e) Ist die Lunge. undurchg "9Uy995 %LOOO'O UOA „‚sornjgqfeunon‘“ sop 9 011.58 Nox) 'sne "untou | UOYOS UOSUWT "NS WOK | | NZ SEANJ9 ur "puo} 9:7 | 88000 | 87000 | 22000 | 8GI -N9PaqLm ATTOS 9819 SunuvY Ca eo) 2200°0 (— G8I -3yord 3Q] "Moduodung 6&:L , 88000 0000 | 92000 | 681 XaL 'S Yonsıon aomg |Gac | FR:T | 280000 ' 97000 | 90000 | «sl "wopO SPpuameopag | | -un] 3 oad 30T IyPınod | | -uosun?] 'Mmö ayos Sunwgv | Cr Bias 51200 8EL00 | An gg sy o01d 8 ZI 4yPIA9d | | -UOSUWT NZ uuep uou | | -yOUL WON 9819 VONZWoIY | -SUNWOAISYIINCT 9) | — a G7600°0 22000 (Ts= Gel Sy 01d 5 7z AOSUBSUunT | | "wop() UI “SunneIg NZ | | ep uowmou "op os | soueJun UHUOISINYXOUDD | ZUNGJESITEISSH TO NUZUTOTIS FLUT EI = 89:1 | EO0O L200°0 (= DEI -5y oad SI] uodung | OP JUOIMOH "WOLIS 10} | | -n5 4sUOS "Sungnfqyaamer | UN OZ TOZMmy puoage NM | — ee KR 26 10°0 | 89000°0 GG] "2 011.5 [7 "Sunf'p nos) | | 'wopg) uroy sep Sumnegs 19 | Fr:1 | F1100 60100 | 80000 | E11 U9poUaSUunT "ITOLJIJU9A | 4yoru OsToNgIez 9dunT "y | AOOTYOS YOTLorz WOISMIE 8), CE9 EI | 6C10'0 IELOO | E8000°0 OLL oa VER : | J yonsıaA Wap | u | ‚ aydseg | 9?UON-HN ee en, RS : -ypposey ENIyngPAnzZ j ME een op 'p nz somıq % Sale yoeu OA | A ul ur uorg | "pP awyeunz a —— i Be -eıquoz -"HN 'sqe ' a 3 5 > oa one SIUIOSIN N: ri En = ON2IRAL eyas) WweUuD Jul uof[e] USSOIp ur Pata SH (1 | | Kt vs 88000 | 8820 ZIIOO |- FII00 | „a,H ST 09100 | LET Ey] r9100 6ET | EI100 210.08 OEL 800 | STz| 9200 820°0 ‚ |91 120°0 | 8200 FE00 | „08,8 | Sl 2STOO | 2E0 | SIEOO 500 | 8 |#1 8200 ge7 £0°0 &£60°0 | „OLE EI 0E0°0 98T | KE00 100 | 2800 | 1° - 8800 | 0700. | „og,r | IL 3 = Enns yonsıaA ap "um < -T9 A Sop, | I pusı | peu 0A , Junuge & Se "HN SE 3 U Tun (a0yr] oad 3) = epunFänz uorye] yeıuowwmy u® INT 5 -uUaA | usgaynyosnz Tap Neuss KB 258 @&. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: Die nähere Prüfung der Tabelle zeigt, daß in sämtlichen Fällen Ammo- niak in nicht unbeträchtlichen Mengen im Blute wiedergefunden wird. Die Ergebnisse schwanken indessen sehr, so daß unter den günstigsten Verhältnissen (Versuch 16) 36 bis (Versuch 18) 42%, der gesamten zugeführten Ammoniakmenge ins Blut aufgenommen ist, während das Minimum (Versuch 15) nur 13% beträgt. Wo die Ursachen dieser Unter- schiede zu suchen sind, ist nicht leicht zu entscheiden. Zu erwähnen ist aber, daß zwei von den Versuchen mit kleinen zurückgefundenen Mengen (Versuche 11 und 14) technisch nicht gut gelungen sind. Doch wurde in dem technisch guten Versuch 15 auch nur 13% wiedergefunden. Die Frage ist, wo ist das andere Ammoniak geblieben ? Es handelt sich relativ um beträchtlich, absolut aber um geringe Mengen (z. B. 0,05 & in Versuch 13, 0,06 & in Versuch 15). Ein Teil verdunstet, wie von Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen gezeigt wurde, von der Pleuraoberfläche der Lunge, geht also in den Plethysmographen. Ein anderer Teil wird durch das Lungengewebe gelöst. Aus dem oben ausgeführten Kontrollversuch ergibt sich, daß durch die Gummimembranen des Apparates nur verschwindende Mengen entweichen. Auf Grund eines Versuches der früheren Arbeit (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155, 299. 1914) können wir diese Verluste zusammen zu etwa 4—5 mg in 5 Minuten annehmen. Hieraus ergibt sich, daß der größte Teil des Defizits durch die Schleimhaut der Trachea und Bronchien und außerdem durch die Flüssigkeits- tropfen im Inneren der Trachealkanüle absorbiert sein muß (in Versuch 11 außer- dem durch die Lungenödemflüssigkeit), was bei der enormen Löslichkeit des NH, nicht Wunder zu nehmen braucht. Das die Schleimhaut der Luftwege Ammoniak aus ammoniakhaltiger Atemluft aufnimmt, ergibt sich schon aus der bei intakten Versuchstieren auftretenden starken Hyperämie und Reizung (a. a. OÖ. S. 286). Lehmann!) hat nachgewiesen, daß bei einem Gehalt der Atemluft an 0,03%, NH; 80—90% an den Schleimhäuten der oberen Luftwege absorbiert werden. Da wir die Menge der geatmeten Luft durch Lungenplethysmographie be- stimmten, kann der (in unseren Versuchen sehr kleine) schädliche Raum nur eine geringe Rolle spielen. Es ist aber auch außerdem möglich, daß die aus den Alveolen wieder ausgeatmete Luft nicht vollständig frei von NH, gewesen ist. Alle diese Momente lassen es erklärlich erscheinen, daß nicht 100% des in die Lungen eingeatmeten Ammoniaks im Durchströmungsblute wiedergefunden wird. Es ist dieses übrigens auch für die vorliegende Fragestellung von untergeordneter Bedeutung. Die Hauptsache ist, das überhaupt ein beträchtlicher Durchtritt von NH, durch die Lungen- wände stattgefunden hat. Will man die von uns gefundenen Werte für Ammoniakaufnahme ins Blut mit denjenigen vergleichen, die Magnus, Sorgdrager und Storm van Leeuwen am intakten Tier erhielten, so ist zu berücksichtigen, daß sie die Inspirationsluft in einer Reihe von Fällen 3 bzw. 6 Minuten lang durch 8,5%, in anderen Fällen durch 2% Ammoniak streichen ließen. In unseren Experimenten wechselt der NH,-Gehalt der Müllerventile in der Reihe der Versuche von 7,5— 8 bis 2,25%. Es sind somit annähernd 1) K. B. Lehmann, Arch. f. Hygiene 1%, 324. 1893. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 259 unsere Versuche 11—13 mit denjenigen der Tab. I von Magnus, Sorg- drager und Storm van Leeuwen zu vergleichen, und unsere Versuche 17 und 18 mit ihrer Tab. III. Die von uns gefundenen Werte sind nun etwa 2-6 bis 7 - 8 mal größer im ersten und 1-4 bis 8 mal größer im zweiten Falle, wozu noch zu bemerken ist, daß die ‚„Blut‘mengen in unseren Versuchen, besonders in den beiden letzterwähnten, ziemlich groß waren. An und für sich sind ja auch in den Versuchen an der überlebenden Lunge viel größere Werte zu erwarten, da ja das Blut bei Versuchen am ganzen Tier wesentliche Mengen von Ammoniak an die Gewebe abgeben muß. Um einen Eindruck von den quantitativen Verhältnissen hierbei zu erhalten, haben wir folgenden Versuch ausgeführt. Versuch 20 (25. VI. 1920). Ein Kaninchen von 2,27 kg bekommt 1 g Urethan pro kg per os, dann werden Kanülen in die Art. Carotis und die Vena jugularis eingeführt. Dann wird 1 ccm 1,016% NH, langsam in 3 Minuten intravenös in- jiziert. Keine Erregung oder Krämpfe. Nach 1 Minute Pause wird noch I cem derselben Lösung in 1!/, Minuten ebenfalls ohne Symptome eingespritzt. 1 bis 1!/, Minuten nach der zweiten Injektion werden 25 ccm Blut aus der Carotis ent- nommen und auf NH, analysiert. Der NH,-Gehalt war 0,0019%, d. h. 0,001% höher als der Normalwert. Wird die Blutmenge zu 7% des Gewichtes gerechnet, d. h. zu 159 cem, so müßte der NH,-Gehalt des Blutes bei ausschließlicher Ver- teilung im Blute 0,0126%, über den Normalwert liegen. Die Verteilung zwischen Blut und Geweben beträgt folglich 1 : 12,6. \ Von Interesse ist, daß bei der Einspritzung keine Krämpfe entstanden, offen- bar weil die Injektion so langsam vor sich ging. In ähnlicher Weise dürfte man die Erklärung des Fehlens von Krämpfen nach Einatmung von NH, darin zu suchen haben, daß die zugeführten absoluten Mengen nicht groß genug sind, um die NH,-Konzentration des Blutes bei allmählicher Aufnahme durch die Lunge hinreichend zu erhöhen. Stärkere NH,-Konzentrationen oder langdauernde Einwirkung der schwächeren Konzentrationen führen zur Schädigung der Lungen. Nimmt man die Versuche am intakten Tier in der früheren Arbeit sowie die Versuche von Lipschitz mit unseren quantitativen Befunden an die überlebende Lunge zusammen, so ergibt sich eine befriedigende Übereinstimmung. Die absoluten Mengen des eingeatmeten Ammoniaks sind gering; ein Teil wird an den Schleimhäuten der Luftwege absorbiert, ein Teil gelangt in die Alveolen und wird hier ins Blut aufgenommen. Beim Durchblutungsversuch ist der Ammoniakgehalt im Blute höher als beim intakten Tier. Zum Teil beruht das sicherlich auf dem Über- tritt von NH,-Salzen ins Gewebe. Ob beim intakten Tier die alveolare CO, eine schützende Rolle spielt, wird später erörtert. Aus den in diesem Abschnitt mitgeteilten Versuchen geht also mit Sicherheit hervor, daß Ammoniak in deutlich nachweisbaren Mengen durch die überlebende, künstlich durchblutete Lunge aufgenommen werden kann. 260 @. Liljestrand, OÖ. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: IV. Die Ammoniakausscheidung durch die isolierte künstlich durch- blutete Lunge. Nachdem in dem vorigen Abschnitt gezeigt ist, daß durch die iso- lierte Lunge Ammoniak aus der Atemluft ins Blut aufgenommen wird, erhebt sich von neuem die Frage, warum in den älteren Versuchen nach Ammoniakzusatz zum Blute dieses nicht in die Exspirationsluft ausgeschieden wird. In diesen älteren Versuchen war sowohl am intakten Tier wie an der überlebenden durchbluteten Lunge eine solche Ammo- niakkonzentration im Blute hergestellt worden, daß Ammoniak von der Pleurafläche der Lunge abdunstete und dort befindliches Lackmuspapier bläute. Trotzdem ließ sich in den älteren Versuchen mit Nesslers Reagens und in den neueren Versuchen an der überlebenden Lunge mit Lackmus- papier vor dem Seitenrohr der Trachealkanüle kein Ammoniak in der Exspirationsluft nachweisen. Wie schon oben erwähnt, ist in den Ver- suchen an der überlebenden Lunge es vollständig ausgeschlossen, daß dieser Unterschied zwischen der Pleuraseite der Lunge und der Exspi- rationsluft aus der Trachealkanüle auf dem Kohlensäuregehalte der Alveolarluft beruht, denn dieser ist nur wenig höher als der der Zimmer- luft und kann daher im Durchblutungsversuche keine Rolle spielen. Erste Versuchsreihe. Wir haben uns zunächst nochmals von der Richtigkeit der ursprüng- lichen Beobachtung überzeugt und zu diesem Zwecke 5 Durchblutungs- Press-Yluft versuche angestellt. Hierbei wurde ge- | nau die gleiche Versuchsanordnung ver- wendet, wie bei der Arbeit von Mag- nus,Sorgdrager und Storm van Leeuwen. Die Lungen wurden also durch Ein- blasen von Luft künstlich geatmet. Vor der Mündung der Seitenröhre der Tra- chealkanüle war ein Stück angefeuch- tetes neutrales Lackmuspapier aufge- hängt, gegen welches die Exspirations- luft blies. Über dem geöffneten Tho- .ahms- ax des Tieres lag ein Stück weißes Schreibpapier mit viereckiger Öffnung, über welches ein anderes angefeuchtetes Stück neutrales Lackmuspapier ausge- Abb. 2. spannt war. Die Versuchsanordnung ist schematisch auf Abb. 2 wiedergegeben. area nn E4 S s „..2-- IL Saa«.r-n a or x N nn. Der folgende Versuch mag als Beispiel mitgeteilt werden. Versuch 31 (10. XI. 1920). Die Anordnung des Brodieapparates war die gleiche, wie sie in der vorhergehenden Arbeit beschrieben ist. Die Luft, welche in Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 261 “die Lunge geblasen wurde, strich durch eine Waschflasche mit Schwefelsäure welche durch Rosolsäure gefärbt war, und danach durch eine zweite Waschflasche mit destilliertem Wasser. Als Reagenspapier diente sehr empfindliches neutrales Lackmuspapier aus dem Laboratorium von Prof. Ringer. Das Papier über dem Thorax war über die viereckige Öffnung in einem Stück Schreibpapier gespannt, welches auf der Thoraxöffnung lag. "Das Lackmuspapier vor der Trachea war in einer messingenen Klemme befestigt, aber vor dem Berühren mit dem Metall durch ein Stück Schreibpapier geschützt. Füllung des Apparates mit 140 ccm Blut von zwei Katzen + 40 ccm Ringer- lösung (zusammen 180 ccm). Katze 2,05 kg. Äthernarkose. Tracheotomie. Durchtrennung der Vagi. Verblutung. Eröffnung des Thorax. Einführung der Kanülen in Art. und V. pulmonalis, welche mit dem Durchblutungsapparat verbunden werden. 2h 38” Beginn der Durchströmung. Durchblutungsdruck 29 mm Hg. Tem- peratur des Blutes 29°. Durchblutung gut. 2h 41’ Druck 25 mm. Temperatur 30°. Linker Unterlappen atmet nicht gut mit. 2h 43° Druck 27 mm. Temperatur 31°. Durchblutung gut. Atmung ausge- zeichnet. 2h 54° Druck 24 mm Hg. Durchblutung und Atmung vorzüglich. 2h 551/,’ Zusatz von 2 ccm NH, (0,85%) zum Durchblutungsblut. Das Blut- kochsalzgemisch enthält jetzt 0,0094%, NH;,.!) Danach keine Blaufärbung beider Lackmuspapiere. 2h 581/,” Zusatz von 1 ccm NH, (0,85%): im Durchströmungsblut sind jetzt 0,0149, NH,. 2h 591/,” Noch keine Blaufärbung zu sehen. 3h 1° Zusatz von 1 ccm Ammoniak: im Blute jetzt 0,018%, NH;,. 3127 Das Thoraxpapier zeigt blaue Randverfärbung. 3h 3° Das Trachealpapier ist ungefärbt, das Thoraxpapier deutlich gefärbt, (also S Minuten nach der ersten und 2 Minuten nach der dritten Injektion). 31 5° Deutliche Verfärbung des Thoraxpapieres, Trachealpapier vollständig ungefärbt, Durchblutung und Atmung während des ganzen Versuches vorzüglich. 3b 61/,” Thoraxpapier stark blaugefärbt, Trachealpapier vollständig ungefärbt. Der Versuch wird abgebrochen. Nach dem Versuche ist das Thoraxpapier (ent- sprechend der Öffnung in dem über dem Thorax befindlichen weißen Karton) stark blau. Das Trachealpapier zeigt keinen Unterschied der Farbe vor der Öffnung des Seitenrohrs der Trachealkanäle im Vergleich mit dem Teile des Papiers, das in der Klemme aufgehängt war. Die Lunge kollabiert während der Sektion vorzüglich, zeigt keine Hyperämie. Lungengewicht 20 g — 10 g pro kg. Bei sorgfältigem Auspressen erscheint keine Spur von Flüssigkeit oder Schaum an der Bifurkation. Ergebnis: Bei einem Ammoniakgehalt von 0,018%, im Blute war 4 Minuten nach der letzten Einspritzung das Thoraxpapier blau gefärbt, das Trachealpapier ungefärbt. In den übrigen Versuchen ergab sich, daß bei einem Ammoniakgehalt des Durchströmungsblutes von 0,0155%, 0,013%, 0,016%, 0,024%, 0,014%, 0,018% das Papier über dem Thorax sich deutlich blau färbte, während gleichzeitig das Trachealpapier ungefärbt blieb. (In einem 1!) Bei diesem und den folgenden Versuchen ist der geringe normale Ammoniak- gehalt der Blutkochsalzmischung (im Mittel etwa 0,0006%) für die Berechnung unberücksichtigt gelassen. 262 (+. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: Versuche, in welchem Lungenstarre auftrat, war 3!/, Minuten nach Durchblutung mit 0,014% NH, eine ganz minimale Blaufärbung am Trachealpapier zu sehen, während gleichzeitig das Thoraxpapier dun- kelblau gefärbt war.) Die Versuchsreihe hat also eine völlige Bestätigung der früheren Beob- achtungen gebracht. Nach Ammoniakkonzentrationen im Blute zwischen 0,013 und 0,024%, trat eine deutliche Blaufärbung des Lackmuspapieres über den Thorax auf während das Trachealpapier ungefärbt blieb. In der vorhergehenden Arbeit konnte mitgeteilt werden, daß das Trachealpapier sich erst dann färbte, wenn der Ammoniakgehalt des Durchströmungsblutes Werte von 0,036%, 0,027%, 0,035%, 0,045% und 0,033% erreichte. Hiermit stimmt, daß nach unseren neueren Ver- suchen in einem Falle bei Durchblutung mit 0,033%, NH, nach 2 Minuten eine Spur von Blaufärbung des Trachealpapieres auftrat, und nach Durchströmung mit 0,053% nach 6!/, Minuten das Trachealpapier deutlich blau wurde. Es ist also mehr als die doppelte Ammoniak- konzentration im Blute erforderlich, um in der Exspirationsluft bei der hier gewählten Versuchsanordnung soviel Ammoniak erscheinen zu lassen, daß das Lackmuspapier vor der Trachealkanüle gebläut wird. Zweite Versuchsreihe. Die erste Versuchsreihe hatte die Richtigkeit der früheren Versuche vollinhaltlich bestätigt. Bei Ammoniakkonzentrationen im Blute unter 0,03% dunstet das Ammoniak von der Pleuraseite der Lunge ab, wäh- rend bei der verwendeten Versuchsanordnung sich mit hochempfindlichem Lackmuspapier kein Ammoniak in der Exspirationsluft nachweisen läßt. Nun haben wir aber oben zeigen können, daß bei Einatmung von ammo- niakhaltiger Luft der NH,-Gehalt des Durchblutungsblutes deutlich zunimmt, daß also das Alveolarepithel für Ammoniak durchgängig ist. Wie kommt es, daß bei Durchströmung der Lunge mit ammoniakhalti- gem Blut das Gas nicht in der Exspirationsluft erscheint? Von den verschiedenen Erklärungsmöslichkeiten erwies sich schließlich folgende als die richtige: Wird eine Lunge mit der künstlichen Atmung durch Einblasen ventiliert, und prüft man die Exspirationsluft auf ihren Ammoniakgehalt vor dem Seitenrohr der Trachealkanüle, so wird die jenige Luft, welche in die Alveolen eingeblasen wird, sich dort eventuell mit Ammoniak beladen kann und bei der nachfolgenden Exspiration durch das Seitenrohr der Trachea entweicht, mit sehr viel Luft verdünnt, welche gar nicht in die Alveolen der Lunge gelangt. Hierdurch muß der Ammoniaknachweis in der Exspirationsluft beträchtlich erschwert werden. Auf der Pleuraseite der Lunge kann dagegen das Ammoniak einfach abdunsten und das über dem Thorax ausgespannte Lackmus- papier bläuen. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 263 Um diese Möglichkeit zu prüfen, mußte eine Versuchsanordnung gewählt werden, bei welcher die Verhältnisse für den Ammoniaknach weis in der Exspirationsluft günstiger, in der Pleuraluft ungünstiger liegen. Zu diesem Zwecke wurde folgendermaßen vorgegangen: Die Lunge wird (siehe Abb. 3) in einen Ple- thysmographen einge- schlossen. Als solcher dient ein weites Glasge- fäß mit vierfach durch- bohrtem Stopfen. Zwei der Öffnungen dienen für den Durchtritt des Durchströmungsblutes vom Brodieapparat zur Arteria und Vena pul- monalis. Die dritte Öff nung nimmt die Tra- chealkanüle auf. In die kelchartige Erweiterung wird das Lackmuspapier gelegt. Im ersten Ver- suche dieser Reihe mün- dete der Kelch frei in die Zimmerluft, in den folgenden Experimenten wurde ein mit Bims- Abb.3. Lunge durchblutet vom Brodie-Apparat. stein und Schwefelsäure gefülltes Röhrchen vorgelegt, um einen etwaigen Eintritt von NH, aus der Zimmerluft auszuschließen. Die vierte Öffnung des Stopfens wurde für die künstliche Atmung benutzt. Zu diesem Zwecke wurde vom Blasebalg aus rhythmisch an einem T-Rohr gesaugt, dessen einer Schenkel in den Plethysmographen führt, während der andere frei in die Zimmerluft mündet. Dieser letztere kann mit einer Schraub- klemme passend verlängert, und so jeder Grad der respiratorischen Entfaltung der Lungen eingestellt werden. Die Atemexkursionen der Lunge sind bei dieser Anordnung so ausgiebig, daß eine wirkliche Lüftung des Pleuraraumes bei der Atmung zustande kommt. Als Beispiel diene folgendes Versuchsprotokoll. Versuch 35. (17. XI. 1920.) Vorher war eine sehr sorgfältige Reinigung des Apparates vorgenommen worden. Die Gummischläuche, welche das Herz mit dem Durchblutungsapparat verbinden, werden erneut, der Kelch mit verdünnter Schwefelsäure gewaschen, und der Kork, mit welchem der Kelch an das Rohr mit Bimsstein angeschlossen ist, erneuert, ebenso der Atmungsschlauch. Im Apparat Pflügers Archiv f. d. ges, Physiol. Bd. 19. 18 264 (+. Liljestrand, C. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: selber war das Blut entfernt und ausgewaschen, alle Röhren und Schläuche mit strömendem Wasser durchgespült, bis alle Blutreste entfernt waren, der Apparat zusammengesetzt und darauf längere Zeit durchspült: a) mit Wasser, b) mit stark verdünnter Salzsäure, c) mit Ringerlösung, d) mit gewöhnlicher 0,9 proz. NaCl- Lösung. Katze 2,18 kg. Bei der Verblutung 68 ccm Blut erhalten, welche mit 40 ccm Ringerlösung im Apparat gemischt werden. 10h 27° Beginn der Durchblutung. Druck 20 mm Hg. Gute Durchströmung. Sehr gute Atmung. 10% 36° Durchströmung vortrefflich. Atmung ausgezeichnet. 10h 38” Zusatz von 2 ccm NH, (0,85%). Im Durchströmungsblute sind also 0,015%, NH; 10h 39° (Eine Minute 20 Sekunden nach Ammoniakzusatz). Trachealpapier blau, Thoraxpapier (im Plethysmographen) unverändert. 10% 39?/,° (Eine Minute 45 Sekunden nach Ammoniakzusatz) Trachealpapier blitzblau, Thoraxpapier zeigt beginnende Blaufärbung. Schluß des Versuches. Keine Stauung. Lungengewicht 18,5g = 8,5 g pro kg. Die Lunge ist makro- skopisch normal, keine Spur von Lungenödem. Zusammenfassung: Guter eigwandfreier Versuch. Bei einem Gehalt des Durchströmungsblutes von 0,015% NH, färbt sich das Tracheal- papier zuerst und wirkt schließlich stark blau, während das Thorax- papier nur schwach blau gefärbt ist. Die Lunge zeigt am Schlusse normales Gewicht und keine Spur von Ödem. Über das Ergebnis der nach dem gleichen Versuchsverfahren ange- stellten Experimente unterrichtet nachstehende Tab. III (S. 265). Das Ergebnis dieser Versuche läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In allen Fällen trat Blaufärbung des Trachealpapieres ein, aller- dings von wechselnder Stärke und nach verschieden langer Zeit. In Versuch 34 und 35 wurde das Trachealpapier vor dem 'Thoraxpapier gefärbt, in Versuch 32, 33 und 36 das 'Thoraxpapier vor dem Tracheal- papier, in Versuch 37 erfolgte die Färbung beider Papiere etwa gleich- zeitig. Diese Unterschiede hängen zweifellos mit der von Versuch zu Versuch wechselnden Größe der Lüftung durch die künstliche Atmung zusammen. In einem Versuche (Nr. 37) erfolgte Bläuung des Tracheal- papieres schon bei einem Ammoniakgehalte des Durchströmungs- blutes von 0,0123%, in Versuch 33 und 35 bei 0,015%, in Versuch 32, 34 und 36 bei 0,021%, und 0,022%. Hieraus ergibt sich also, daß, wenn man die Verdünnung der Exspi- rationsluft durch den eingeblasenen Luftüberschuß der künstlichen At- mung vermeidet, und das Trachealpapier im schädlichen Raum der Trachealkanüle unterbringt, während man andererseits die Lunge in einem Plethysmographen anbringt und durch Saugung respiriert, wobei der Raum des Plethysmographen (künstlicher Pleuraraum) mehr oder weniger stark ventiliert wird, sich der Übergang von Ammoniak in die Alweolen und die Trachea bei Durchströmung der Lunge mit ammo- niakhaltigem Blute tatsächlich nachweisen läßt, und zwar bereits bei Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 265 Tabelle III zu Versuchsreihe 2. Pi NH, im Pr = Drei Dauer ee = | strö- R | B mungs- in Sn Plethys- Bemerkungen © | blut in der Tra- | mographen 02 Min. jchealkanüle (Pleuraseite) 32 10,0147| 3 0 0 Guter Versuch 0222 le 0 deutlich — —_ 2118, 0 stark _ — 3 minimal stark —_ — 0 — u Neue Lackmuspapiere — 2 0 deutlich _ — 3 0 deutlich | Kein Ödem. Lunge 9,4 g pro kg 33 10,0147| 3 0 Beginn | Anfangs guter Versuch. — 5 0 stark = u 5t/, | Beginn stark — — [WR — — Atmung nimmt ab auf 9 ccm. Spur Ödem. | Lunge 12,6 g pro kg. 34 0,0147) 7 0 0 Luftembolie. Stauung. Kein Ödem. 0,021 2 blau 0 Lunge 10 g pro kg. I 3 blau 0 _ 35 10,015 | 1'/, blau 0 Guter Versuch s. Protokoll. Lunge 8,5 g _ 1°/, | blitzblau | Beginn pro kg 36 | 0,014 32/e 0 0 Sehr guter Versuch 0.021 | !/a 0 Beginn — -- 1!/, 0 stark — — 3 Beginn stark = — 0 — = Neue Lackmuspapiere. Lunge 8,5g prokg —= 3 Beginn 0 = 3710,0123] 2 Beeinn ; Beginn | Vorzüglicher Versuch. Lunge 8,8g prokg | —.| 4 stark deutlich = Größe des schädlichen Raumes der Trachealkanüle: weniger als 5 ccm. Atem- tiefe 20 ccm und darüber. Ammoniakkonzentrationen von 0,012—0,022%. Das sind Werte, bei denen in der ersten Versuchsreihe kein Ammoniak in der Exspirations- luft nachweisbar war, und welche in einzelnen Versuchen nicht höher lagen, als diejenigen, bei welchen in der ersten Versuchsreihe Abdunsten des Ammoniaks nach der Pleuraseite erfolgte. Dritte Versuchsreihe. In der ersten Versuchsreihe waren die Verhältnisse für den Ammoniak- nachweis in der Exspirationsluft ungünstig, an der Pleuraseite dagegen sehr günstig gewesen. In der zweiten Versuchsreihe waren umgekehrt die Verhältnisse für die Färbung des Thoraxpapieres ungünstiger, für das Trachealpapier dagegen günstig. In der dritten Versuchsreihe sollte 18* 266 G. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: möglichst ein zwischen diesen Extremen liegender Zustand geprüft werden. Zu diesem Zwecke wurde die Lunge nicht in den Plethysmographen eingeschlossen, sondern wie in der ersten Versuchsreihe in situ ge- lassen und durch Ausblasen von der Trachea aus ventiliert. Über dem geöff- neten Thorax war das Lackmuspapier quer über die Öffnung eines Fensters aus- gespannt, das in ein Stück Karton- papier geschnitten war. Das Tracheal- papier wurde nunmehr aber nicht vor dem Seitenrohr der Trachealkanüle auf- gehängt, sondern lungenwärts von dem Seitenrohr in einer ballonförmigen Erwei- terung der Trachealkanüle angebracht (Abb. 4), so daß hier nur diejenige Luft vorbeiströmte, welche wirklich zur Lüf- tung der Lunge verwendet wurde. Die ballonförmige Erweiterung der Tracheal- kanüle lag etwa in der Höhe der oberen Thoraxaperatur, so daß der schädliche Raum so klein wie irgend möglich ge- macht wurde. Folgendes Versuchsprotokoll diene zur Veranschaulichung. Versuch 40 (24. XI. 1920). Katze 2,3 kg. Im Apparat 80 cem Blut und 40 ccm Kochsalzlösung. 12" 1° Beginn der Durenströmung. Geringer Blutstrom. 12h 2° Zwei Tropfen Adrenalin. Durchströmung besser. 12h 7° Zwei Tropfen Adrenalin. Darauf schwindet der vorher vorhandene Bronchialmuskelkrampf. 12h 10° Ausgezeichnete Atmung. Temperatur 32°. Blutstrom sehr gut. Durchblutungsdruck 34 mm. Hg. 12h 111/,” Zusatz von 2 ccm NH, (0,85%) zu 120 cem Durchströmungsblut. Ammoniakgehalt 0,0141%. 12h 12° Druck 34 Hg. Beträchtliche Zunahme des Blutstroms. 12h 14° Druck 22 mm. Sehr starke Durchströmung. 12h 141/,° (3 Minuten nach Ammoniakzusatz). Druck 30 mm. Trachealpapier und Thoraxpapier beide ungefärbt. Darauf Zusatz von 1 cem NH, 0,85 %. Ammo- niakgehalt jetzt also höchstens 0,021%. 12" 15° Lungenbewegungen lassen nach. Rechter Unterlappen atmet stark, rechter Oberlappen etwas, die übrige Lunge nicht. 12h 161/,° Druck 34 mm Hg, Strom maximal, beide Papiere ungefärbt. 12h 171/,° Beginnende Randverfärbung des Thoraxpapiers. 12h 181/,° Trachealpapier unverändert. Atmung viel besser. Die rechte Lunge atmet stark. Blutstrom dauernd vortrefflich. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? 267 12h 19° Atmung besser. Die Randverfärbung des Thoraxpapiers deutlicher. Trachealpapier fängt an sich zu verfärben. 12h 191/,’ Thoraxpapier und Trachealpapier beide blau. 12h 20° Schluß des Versuches. Die Lackmuspapiere werden auf weißes Papier gelegt und verglichen. Das Thoraxpapier zeigt schwache Randverfärbung. Das Trachealpapier ist an dem nach der Lunge zugekehrten Rande hin deutlich blau. (Die Verfärbung hat später angefangen, ist aber schließlich stärker geworden als die des Thoraxpapieres). Lunge atmete gut, ist makroskopisch normal, zeigt kein Ödem. Lungen- gewicht 9,4 g pro kg. Zusammenfassung: Bei einem Gehalte des Durchblutungsblutes von 0,021%, beginnt das Thoraxpapier sich nach 3, das Trachealpapier nach 4 Minuten zu verfärben und ist nach 5 Minuten deutlich blau. Nach 6 Minuten ist das Trachealpapier stärker gefärbt als das Thorax- papier. Kein Lungenödem. Das Ergebnis der nach diesem Verfahren angestellten Tierversuche ersieht man aus nachstehender Tab. IV. Tabelle IV zu Versuchsreihe 3. Rn | NH, im | | F @ Ye | Dauer | een e BL | ing | Bemerkungen E | blut | in der Tra- | über dem | > | 0, | Min, | chealkanüle| Thorax I 38, 0,0147) 21, 0 | Beginn | Lunge 9,2'g pro kg. Kein Ödem I 31/; | deutlich | deutlich _ 39 | 0,0155 | 34/, | 0 Beginn | 0 ‚Rand blau) Guter Versuch | 00231| 0 | — _ Neue Lackmuspapiere II — 1yr| 50 ‚Rand blau| Guter Versuch ' 0,031 On Eu | Neue Lackmuspapiere li — ! 1 0 ‚Rand blau| Atmung schlechter = 0 — — Neue Lackmuspapiere 0 3 0 ‚Rand blau) Stauung, schlechte Atmung, Ödem | Lunge 27,7 g pro kg 40 0,0141 | 3 0 0 Guter Versuch | 0,021 SE 0 Beginn | Lunge 9,4 g pro kg | — 5 deutlich | deutlich Te 4) 0,018 3 0 deutlich | Guter Versuch | _ 5i/, | 0 ' deutlich | Lunge 9,7 g pro kg I — |11 | deutlich | deutlich | — In dieser Reihe ist in allen Fällen die Färbung des Thoraxpapieres eher aufgetreten als die des Trachealpapieres, aber in 3 von 4 Versuchen erfolgte auch jetzt Blaufärbung des Trachealpapieres. Diese trat ein: bei einem Gehalt des Durchströmungsblutes an 0,0147%, nach 3!/, Minuten, bei einem Gehalt von 0,021%, nach 5 Minuten und bei einem Gehalt an 0,018%, nach 11 Minuten. Es ließ sich also auch in 268 G. Liljestrand, C. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: dieser Versuchsreihe die Ammoniakausscheidung durch das Alveolar- epithel bei den angegebenen Ammoniakkonzentrationen mit Sicherheit nachweisen. Das Ergebnis der drei Versuchsreihen ist deutlich genug. Bei einem Gehalt des Durchströmungsblutes an 0,012—0,015—0,018%, dunstet das Ammoniak an der Pleuraseite der Lunge ab und läßt sich hier durch die Blaufärbung von Lackmuspapier nachweisen. Der Nachweis des Ammoniaks in der Exspirationsluft aus der Trachea hängt von den Ver- suchsbedingungen ab. Atmet man durch Einblasen von Luft und hängt das Lackmuspapier vor das Seitenrohr der Trachealkanüle, so daß die Ausatmungsluft stark verdünnt wird, so gelingt der Ammoniaknachweis erst bei einem Gehalt des Durchblutungsblutes über 0,03%. Wird dagegen die Lunge durch Saugen künstlich geatmet und das Lackmuspapier im schädlichen Raume d.h. in einer Erweiterung der Trachealkanüle angebracht, so kann unter Umständen die Blaufärbung schon bei einem Gehalt des Durchblutungsblutes von 0,0123% nach 2 Minuten deutlich werden. In anderen Fällen trat sie erst bei 0,015 und 0,021%, auf. In manchen Fällen dieser Versuchsreihe erfolgte die Blaufärbung des Trachealpapieres früher als die des Thoraxpapieres. Wird dagegen die Lunge von der Trachea aus durch Einblasen künstlich geatmet, und das Lackmuspapier im schädlichen Raum, d.h. in einer Erweite- rung der Trachealkanüle untergebracht, so war in einem Versuche bei einem Gehalte des Durchblutungsblutes von 0,0147%, die Blaufärbung nach 3!/, Minuten deutlich, in anderen Versuchen erfolgte sie erst bei höheren Ammoniakgehalten (0,018 und 0,021%). Hieraus ergibt sich, daß auch für die Ausatmung des Ammoniaks an der künstlich durch- bluteten überlebenden Lunge die Durchgängigkeit des Alveolarepithels für NH, sich nachweisen läßt, und daß in den früheren Arbeiten erhal- tene Ergebnis, welches zu der Annahme der Undurchgängigkeit der Alve- olarwand für Ammoniak führte, auf den Besonderheiten der Versuchs- anordnung beruht. Vierte Versuchsreihe. In den Versuchen an der isolierten, überlebenden, künstlich durch- bluteten Lunge spielt, wie im ersten Abschnitt der Arbeit gezeigt wer- den konnte, der Kohlensäuregehalt der Alveolarluft keine Rolle. Es erhebt sich aber nunmehr die Frage, in wieweit beim lebenden Tier, bei welchem die Alveolarluft normaliter 5—6%, Kohlensäure mit einer Spannung von durchschnittlich 40 mm und darüber enthält, der Koh- lensäuregehalt der Alveolen die Ammoniakausscheidung durch die Lun- genwände erschwert. Um dieses festzustellen wurde die vierte Versuchs- reihe angestellt, in welcher die isolierte, künstlich durchblutete Lunge Luft mit einem Kohlensäuregehalt von ungefähr 5—6% einatmete. Ist die Lunge undurchgeängig für Ammoniak ? 269 Die Versuchsanordnung war folgende: Die Lunge war (Abb. 5) genau wie in der zweiten Versuchsreihe in einem Plethysmographen eingeschlossen und wurde durch Saugen künstlich geatmet. In der Trachea befand sich dieselbe Trachealkanüle wie in Versuchsreihe 2. An Stelle des mit Bimsstein und Schwefelsäure gefüllten Glasrohres wurde nunmehr aber mit Hilfe einer möglichst ) Zur Gasentnahme ) —— > Aythm.Saugluft ---Lakmuspapier Abb. 5. Lunge durchblutet vom Brodie-Apparat. kurzen Rohrverbindung ein Atmungssack vorgeschaltet, der mit Sauer- stoff und einem bestimmten Prozentgehalt CO, gefüllt war. Als Atem- sack diente eine vom Schlachter bezogene geräucherte und getrocknete Rinderblase, welche in Wasser aufgeweicht wurde. Die Öffnung war auf einen durchbohrten paraffinierten Kork gebunden. Durch diesen führte ein kurzes gebogenes Glasrohr zur Trachealkanüle und außerdem ein verschiebbares Metallröhrchen zur Probeluftentnahme, um am Anfang und Ende des Versuches den Kohlensäuregehalt im Atemsack bestim- men zu können. Der gesamte schädliche Raum, d.h. die Trachealkanüle mit ihrer Erweiterung und das in den Luftsack führende Glasrohr- 270 (x. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: hatten zusammen einen Inhalt von 7 ccm. Während des Versuches konnte man deutlich die Exkursionen der Rindblase bei der künstlichen Atmung sehen. Der verwendete Sack bewährte sich für unsere Zwecke sehr gut. In einem Versuche wurde die Blase mit einem Sauerstoff-Kohlensäure- gemisch von 7,95% CO, gefüllt. Nach einer halben Stunde fand sich ein Kohlensäuregehalt von 7,61%, also eine Abnahme von 0,34%, in 30 Minuten. Für die kurzen Perioden in unseren Versuchen ist daher der Kohlensäuregehalt der Blasenluft als ziemlich konstant anzunehmen. In einigen Versuchen war es notwendig während der Durchströmung den Atmungssack zu entfernen, um das Lackmuspapier in der Tracheal- kanüle zu wechseln. Auch hierdurch werden keine großen Veränderungen des Blaseninhaltes bedingt. In der ganzen Versuchsreihe wurde einmal ein Unterschied vor und nach dem Versuche von 1,2% CO, festgestellt, sonst bewegten sich die Differenzen der beiden Bestimmungen zwischen ° 0 und 0,8%. In der nachfolgenden Tabelle ist immer das Mittel aus beiden Kohlensäurebestimmungen angegeben. Sämtliche Kohlensäurebestimmungen in der Luft wurden von Dr. J. W. Le Heux nach dem Hempelschen Verfahren vorgenommen, wofür wir ihm auch an dieser Stelle bestens danken. Die Atemexkursionen der Lunge wurden stets so groß gewählt, daß der schädliche Raum eine möglichst geringe Rolle spielte, die Atem- tiefe betrug bis zu 50 cem. Folgendes Versuchsprotokoll diene als Beispiel. Versuch 46 (12. I. 1922). Katze 3 kg. Im Apparat 100 ccm Blut und 40 ccm physiologische Kochsalzlösung — 140 ccm. 2h 27° Beginn der Durchströmung. Druck 25 mm Hg. 2h 30° Sehr starker Strom, vortreffliche Durchblutung. Druck 30 mm Hg. Thorax- und Trachealpapier eingelegt. 2h 301/,’° Einfügen des Atmungssackes. 2h 31° Durchblutung vortrefflich im Gange. Temperatur 30,5°. Druck 24 mm Hg. 2h 35%/,° Erste Luftprobe aus dem Atmungssack entnommen. 2h 36° 2 ccm NH, 0,83%, zugesetzt. Ammoniakgehalt des Durchströmungs- blutes 0,0119%. 2h 36'/,” Thorax- und Trachealpapier ungefärbt. Zunahme des Blutstromes. Druck 23 mm Hg. Sehr kräftige Atmung. Blase atmet stark mit. 2h 381/,” Noch keine deutliche Verfärbung der beiden Lackmuspapiere. 2h 39° Noch 1 ccm NH, 0,83% zugesetzt. Konzentration 0,0178%. 2h 40° Zweite Luftprobe aus dem Atmungssack entnommen. 2h 42° Erstes Thoraxpapier entfernt, zweites Thoraxpapier eingelegt. 2h 431/,” Erstes Trachealpapier entfernt, neues Trachealpapier eingelegt. 2h 441/,’ Noch 1 ccm NH, zugesetzt. Konzentration 0,0237% NH;. 2h 45° Abnahme des Blutstromes. Druck 26 mm Hg. 2b 46° Thoraxpapier anscheinend schwach verfärbt. 2h 47° Thoraxpapier deutlich blau. Die Durchblutung wird besser. Lackmus- papiere entfernt. Darauf Schluß des Versuches. Ist die Lunge undurchgängig für Ammoniak ? Du Das Blut aus dem Apparat färbt darüber gehaltenes Lackmuspapier in 5 Minu- ten stark blau. Die 4 Lackmuspapiere werden nebeneirander auf weißes Papier gelegt. Das erste Trachealpapier ist nicht verfärbt, das zweite Trachealpapier ist deutlich blau. Das erste Thoraxpapier ist nicht verfärbt, das zweite Thoraxpapier zeigt einen blauen Rand. Lungengewicht 26 g — 8,66 g pro kg. Die Lunge ist hellrot, gleichmäßig se- färbt, keine Spur Ödem, keine Spur Stauung, nirgends Emphysem. Kohlensäuregehalt der Blasenluft: erste Probe 6,7% CO,, zweite Probe 6,3% 60: Tabelle V zu Versuchsreihe 4. n } O.-Ge-) | Blaufärbung des ® SS ER Een der Dauer | Lackmuspapieres E mungsblut ar | in Er dam Te Plethys- zungen 2 % 0%) Min. | Chealkanüle |ienraesite) 42 | 0,0126 | 9,6 5 0 | minimal | Schlechter Strom, Lunge 11,2 g | pro kg 43 | 0,0172 | 4,6 2 0 ı minimal | Strom und Atmung vortrefflich, — N B) 0 blau Lunge 10,1 g pro kg = 5 minimal | blau 44 | 0,0119 4,0 3 0 | 0 Strom und Atmung vortrefflich, 0,0174 3, 0 | schwach | Lunge 7 g pro kg _— Dale 0 ' deutlich 45 0,0119 | 6,1 B) 0 blau Anfangsstrom und Atmung gut. 00174 | r = 3 0 0 Ödem. Lunge 26,2 g pro kg | Ödemschaum alk. 46| 0,0119 | 6,5 3 0 0 Strom und Atmung vortrefflich, DON 31/ı _ 0 Lunge 8,6 g pro kg (siehe a 41, 0 0 Protokoll) 000370 2 0 schwach — I B) deutlich | deutlich 47| 0,0119 | 6,3 5 0 0 Atmung gut, Strom mittel, 0a Da ) ) ' Lungenödem, Lunge 25,5 g pro ke 48| 0,0119 | 6,5 5 0 Spur Strom und Atmung vortrefflich, Ber | — 5 .O0(Grenze?)| deutlich Lunge 9 g pro kg 49 || 0,02075 | 6,1 5 Grenze blau Strom gut, Atmung vortrefflich, 0,0237 — De ablaıı blau Lunge 12,6 g pro kg 50 | 0,02075 | 5,7 3 0 schwach | Strom und Atmung vortrefflich, 0,0237 | — 3 ) blau Strom nimmtab, Odem, Lunge | 33,9 g pro kg 51 | 0,02075 | 6.2 3 (Grenze?) 0 ' Strom gut, Atmung vortrefflich, 0,0237 | _ 3 0 (Grenze?) Bronchitis, Lunge 145 g =. Hile blau 0 ' pro kg 521 0,02075 | 6,0 5 Grenze 0 Strom und Atmung vortrefflich, 0,0237 | — 5 blau |starkblau, Lunge 6,4 g pro kg 531 0,02075 6,3 3 0 schwach Strom und Atmung vortrefflich, a | — 3 schwach blau Lunge 12,9 g pro kg = —- 5) blau | 2712 (@. Liljestrand, ©. de Lind van Wijngaarden und R. Magnus: Ergebnis: Bei einem Kohlensäuregehalt der Alveolarluft von 6,7 bis 6,3%, und einem Ammoniakgehalt des Durchströmungsblutes von 0,0237% färbt sich das Trachealpapier nach 3 Minuten deutlich blau, das Thoraxpapier zeigt bereits nach 2 Minuten schwach blaue Färbung. Bei einem Ammoniakgehalt von 0,0119 und 0,0174% blieben sowohl Thorax- wie Trachealpapier ungefärbt.. Das Gesamtergebnis sämtlicher Versuche ersieht man aus vorstehen- der Tab. V (8. 271). Nach Atmung eines Sauerstoff-Kohlensäuregemisches von 9,6%, CO, färbt das Durchblutungsblut mit einem Gehalt von 0,0126%, NH, darüber gehaltenes Lackmuspapier noch blau. Bei einem Gehalt der Atmungsluft von 6,1% CO, läßt Durchströmungsblut mit 0,0119%, Ammoniak noch NH, nach der Pleuraseite hin abdunsten. In sämtlichen Versuchen war also abdunstungsfähiges Ammoniak im Blute vorhanden. Das Ergebnis der Experimente ist eindeutig. Betrachtet man zu- nächst die Versuche 42—48, so ergibt sich, daß bei einem Gehalte des Durchströmungsblutes zwischen 0,0119% und 0,0174%, das Lackmus- papier in der Trachealkanüle stets ungefärbt bleibt. Nur in Versuch 43 war nach 5 Minuten bei 0,0172% NH, eine minimale Blaufärbung zu sehen. Vergleicht man hiermit die Versuchsreihe 2, so sieht man dort in Versuch 35 schon bei 0,015% Ammoniak nach 1!/, Minuten Blaufär- bung eintreten, und in Versuch 37 nach 0,0123%, Ammoniak nach 2 Mi-. nuten beginnende Blaufärbung des Trachealpapieres, die nach 4 Minuten stark wird. Derartige Fälle sind in der vierten Versuchsreihe nicht vor-- handen. Wir müssen also den Schluß ziehen, daß die Ammoniakausschei- dung durch die Lunge durch das Vorhandensein von etwa 6%, Kohlensäure in der Alveolarluft deutlich gehindert wird. Dieses wird durch die Ver- suche 49—53 bestätigt. Diese zeigen, daß bei einem Gehalt des Durch- strömungsblutes von 0,02075% NH, in 3 Minuten das Trachealpapier ungefärbt bleibt, während nach 5 Minuten eine Grenzreaktion erfolgt. Bei einem Gehalt des Durchströmungsblutes von 0,0237%, ist nach 3 Mi- nuten in der Hälfte der Fälle noch keine Blaufärbung, in der anderen Hälfte schwache bis deutliche Blaufärbung vorhanden, während nach 5 Minuten bei dieser Konzentration das Trachealpapier stets blaugefärbt wird. Da in Versuchsreihe 2 bei einem Ammoniakgehalt von 0,021% stets nach 3 Minuten Blaufärbung vorhanden war, ergibt sich auch hier- aus, daß durch die verwendeten Kohlensäurekonzentrationen in der Atemluft die Ammoniakausscheidung durch die Lunge deutlich behindert wird. Es ist möglich, daß dieses in den ältesten Versuchen von Magnus eine Rolle gespielt hat. Wenn man Ammoniaklösung in die Arteria pulmonalis einspritzt und danach im Exspirationsventil keinen Niederschlag in Nesslers Reagens be- kommt, während nach dem Tode bei fortgesetzter künstlicher Atmung nach einiger Zeit die Ammoniakreaktion mit Nesslers Reagens deutlich wird, so könnte hierbei Ist die Lunge undurchgäneig für Ammoniak ? 273 das Aufhören der Kohlensäureausscheidung durch die Lunge nach dem Tode eine unterstützende Rolle spielen. Natürlich kommt außerdem als weiteres Moment noch die Zeit hinzu, denn auch in den Durchblutungsversuchen trat bei gleicher Ammoniakkonzentration im Durchströmungsblute nach 5 Minuten häufig eine Blaufärbung auf, welche nach 3 Minuten noch nicht deutlich war. In den älteren Versuchen von Magnus wurden bei mittelgroßen Kaninchen wiederholte intravenöse Einzeleinspritzungen von 5 ccm 0,35% NH, gemacht. „Jede Injektion würde also sehr annäherungs- weise den Ammoniakgehalt des Blutes um 0,017% erhöhen, wenn gar kein Übertritt in die Gewebe stattfände, ein solcher erfolgt aber natür- . lich zwischen den verschiedenen Einzelinjektionen. Hieraus ergibt sich, daß die Ammoniakkonzentrationen im Blute in diesen älteren Versuchen annäherungsweise von der gleichen Größenordnung sind, wie sie in den hier geschilderten Durchblutungsversuchen verwendet wurden, so daß die Ergebnisse der Durchblutungsversuche mit zur Erklärung der feh- lenden Ausscheidung von Ammoniak in den damaligen Einspritzungs- versuchen an Kaninchen herangezogen werden können. Alles in allem ergibt sich, daß die quantitative Prüfung der Ammoniak- ausscheidung aus dem Blute durch die überlebende Lunge keine Daten ergibt, welche zu einer Annahme der Undurchgängiskeit des Lungen- epithels für Ammoniak führen, und daß sich sämtliche experimentellen Ergebnisse zwanglos erklären lassen, wenn man berücksichtigt, wie groß der Absorptionskoeffizient des Ammoniaks in wäßrigen Flüssigkeiten und im Blute ist, und daß der Nachweis des Ammoniaks in der Atemluft davon abhängt, ob die Exspirationsluft bei der künstlichen Atmung mit mehr oder weniger großen Luftmengen verdünnt wird, die die Lungen überhaupt nicht passiert haben. Vermeidet man diesen Versuchsfehler, so ergibt sich, daß aus der Trachea zweifellos Ammoniak exhaliert werden kann, und zwar schon bei einem Ammoniakgehalt des Blutes von 0,012 bis 0,015%. Enthält die Alveolarluft Kohlensäuremengen von etwa 6%, so wird die Grenze für die Ammoniakausscheidung in der Atemluft auf etwa 0,021°/, erhöht. Es zeigt sich also, daß weder für die Aufnahme des Ammoniaks aus der Atemluft, noch für die Ausscheidung des Ammoniaks aus dem Blute in die Alveolarluft, ein Widerstand durch das Alveolarepithel nachgewiesen werden kann. Zusammenfassung. l. Die CO,-Spannung in der Alveolarluft beträgt bei der künstlich durchbluteten überlebenden, isolierten Lunge 0,8—2,1 mm Hg, ist also nur wenig höher als die der Zimmerluft (0,6 mm). Der CO,-Gehalt des Blutes ist 2,3—8 Vol.-Proz. Diese kleinen CO,-Mengen können die NH,-Ausscheidung durch die isolierte Lunge nur wenig hindern. 274 Liljestrand— Magnus: Ist die Lunge undurchgängie für Ammoniak ? 2. Die Einatmung von ammoniakhaltiger Luft durch die künstlich durchblutete isolierte Lunge mit Mengen von 0,009—0,08 g (0,001 bis 0,004%) NH, findet man bis zu 42%, des zugeführten NH, im Blute wieder (Minimum 13%). 3. Bei einem Ammoniakgehalte des Durchblutungsblutes von 0,012 bis 0,018%, dunstet an der Pleuraseite der Lunge NH, ab. Der Nachweis des Ammoniaks in der Exspirationsluft hängt von den Versuchsbedin- gungen ab. Atmet man die Lunge durch Einblasen und hängt das Lack- muspapier vor dem Seitenrohr der Trachealkanüle auf, so wird die Aus- atmungsluft stark verdünnt und der NH,-Nachweis gelingt erst bei mehr als 0,030% NH, im Blute. Wird dagegen das Lackmuspapier in den schädlichen Raum gebracht, so wird die NH,-Ausscheidung schon bei 0,012, 0,015, 0,018, 0,021% im Blute nachweisbar, also bei der gleichen Konzentration, bei denen Ammoniak nach der Pleuraseite abdunstet. 4. Bei einem Gehalt der Alveolarluft von 5—6% CO, wird die Ammoniakausscheidung durch die Lunge deutlich gehindert, so daß bei weniger als 0,02% NH, im Blute innerhalb der Versuchszeiten kein Ammoniak in der Ausatmungsluft erscheint, auch wenn die Ver- suchsbedingungen möglichst günstig gewählt werden. 5. Das Alveolarepithel ist für Ammoniak in beiden Richtungen durchgängig. (Aus dem Physiologischen Institut zu Freiburg i. Br.) Über die Wirkungsweise der Herznerven. Von Dr. Helmuth Bohnenkamp, z. Zt. Assistent der Medizinischen Klinik zu Heidelberg. Mit 21 Textabbildungeen. (Eingegangen am 23. Mai 1922.) Die neuerlichen Erfahrungen am Skelettmuskel und die daran geknüpften Überlegungen lassen erkennen, daß die durch einen ein- maligen Reiz ausgelöste Zusammenziehung, die ‚„Zuckung‘‘, aus einer Anzahl von Teilvorgängen zusammengesetzt ist. Für das Herz wird dies in noch höherem Grade gelten, da hier die automatische Reizer- zeugung, mögen wir sie dem Muskelgewebe selbst oder nervösen Ele- menten zuschreiben, als etwas Weiteres hinzukommt. Damit ist auch für eine Theorie der Herzinnervation Weg und Aufgabe vorgezeichnet. Es wird bei allen Formen nervöser Beeinflussung zu ermitteln sein, welche Texilvorgänge jedesmal Angriffspunkte der Wirkung sind und wie sie beeinflusst werden. Solange uns aber die Teilvorgänge nur sehr unvollkommen bekannt sind, ist es für die Forschung jedenfalls der richtige Weg, die Formen, in denen die Herztätigkeit beeinflusst werden kann, möglichst vollständig kennen zu lernen und in einer rein beschreibenden Weise darzustellen, wie dies Engelmann mit seiner be- kannten Unterscheidung von vier Hauptarten der Wirkung getan hat. Es versteht sich jedoch, daß die Modifikationen, deren der Herzschlag fähig ist, und die er auch tatsächlich unter dem Einfluß der Herznerven erfährt, durch die Unterscheidung jener vier Erfolgsarten nicht wirk- lich erschöpfend angegeben werden können. Tatsächlich sind in der grundlegenden Darstellung Engelmanns die greifbarsten, leichtesten sichtbaren, vielleicht die wichtigsten Änderungen herausgehoben. Es können aber auch daneben noch manche andere ins Auge gefabt werden. Zu diesen gehört namentlich der zeitliche Verlauf der Zu- sammenziehung. Seine Abhängigkeit von der Innervation ist bis jetzt verhältnismäßig wenig untersucht worden. Und doch kommt gerade diesem Gegenstand im Hinblick auf unsere Vorstellungen von der Natur des Zuckungsverlaufes im Skelettmuskel ein erhöhtes Interesse zu. Der sichtbare Verlauf der Zuckung wird nämlich, wie es scheint, 276 H. Bohnenkamp: wesentlich durch das Zusammenwirken von zwei Vorgängen bestimmt, die sich aneinanderschließen, zum Teil auch wohl noch ineinander- greifen, und die im Anschluß an Betrachtungen, die uns seit Fick ge- läufig sind, als zusammenziehende und erschlaffende, kontrahierende und distrahierende nach der Benennung Ecksteins!) bezeichnet werden können. Naturgemäß erhebt sich, wenn wir eine Änderung des Kon- traktionsablaufes beobachten, die Frage, wie daran Änderungen des einen und anderen jener beiden Vorgänge beteiligt sind. Auch wird sich fragen, ob es gelingt, die Innervationen in dem Sinne des Genaueren zu deuten, daß wir uns ein Bild davon machen, ob jene Vorgänge beide oder nur einer von ihnen, gegebenenfalls welcher, modifiziert wird. Wie schon bemerkt, liegen über die durch nervöse Einwirkungen hervorzurufenden Veränderungen der Kontraktionsform des Herzens einige, jedoch nicht gerade viele und nicht erschöpfende Beobachtungen vor. An die Spitze ist hier eine Arbeit von Baxt?) über die Ver- kürzung der Systolenzeiten durch den N. accelerans cordis zu stellen. Baxt ging von der Tatsache aus, daß beim Säuger (Hund) durch Reizung des Accelerans leicht Frequenzen des Herzschlages erreicht werden, bei denen die Dauer der ganzen Herzperiode kleiner ist, als die Dauer der Systole allein bei normaler Frequenz. Er wies demgemäß darauf hin, daß durch die Reizung des Accelerans offenbar nicht nur das Tempo der Reizentwicklung, sondern auch der zeitliche Ablauf der einzelnen Herzkontraktion geändert wird. Eine genauere Verfolgung der Tat- sache wurde nach einer direkt kardiographischen Methode unter- nommen. Und zwar wurde auf das bloßgelegte Herz des Hundes ein Stäbchen gesetzt, das durch eine passende Übertragung mit einem Registrierapparat in Verbindung gesetzt wurde. Wir wissen seit langer Zeit, daß ein solches Verfahren nicht geeignet ist, uns von dem wirk- lichen Kontraktionsablauf ein treffendes Bild zu geben. Auch ist bekannt, daß dieses Ziel für das Säugerherz, wenn überhaupt, jedenfalls nur mit Überwindung großer Schwierigkeiten zu erreichen ist. Darin mag der Grund liegen, daß weitere, unsern Gegenstand betreffende Untersuchungen am Säugerherzen, so weit mir bekannt, nicht angestellt worden sind. Für das Kaltblüter- insbesondere das Froschherz stehen dagegen mancherlei Verfahrungsweisen zur Verfügung, mittels deren der zeitliche Verlauf der Tätigkeit mit befriedigender Genauigkeit und ohne Schwierigkeit zur Anschauung gebracht werden kann. Hier ist dann die Frage des Kontraktionsablaufes und seiner nervösen Be- 1) Eckstein, A., Vergleichende Untersuchungen über den Einfluß der Tempe- ratur auf den Ablauf der Kontraktion im Muskel. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183. 1920. ?) Baxt, N., Die Verkürzung der Systolenzeiten durch den N. acelerans cordis. Du Bois Reymond Arch. 1878, S. 122#f. Über die Wirkungsweise der Herznerven. DT eınflussung mehrfach ins Auge gefaßt worden. Hier ist zunächst die durch ihre Namengebung so bekannt gewordene Arbeit Engelmanns!) zu nennen. In seinen Kurven findet sich mehrfach verflachtes An- steigen. Auch steilerer Anstieg als bei der gewöhnlichen Kontraktion vor dem Reiz ist vereinzelt zu beobachten. In einem Falle (Abb. 21, S. 339 seiner Arbeit) ist er geneigt, „das sehr verflachte Ansteigen und den gedehnten Verlauf auf eine Verzögerung der Leitung innerhalb des Ve-Si-Gebietes zurückzuführen“, bei Abb. 23 (S. 340) sagt er: „Das schnellere Ansteigen der Ventrikelsystole zum Gipfel erklärt sich aus der infolge der A-Lähmung geringeren Füllung der Kammer mit Blut.‘ Kurze aber nicht besonders bedeutsame Erwähnung einer Kon- traktionsänderung bei Vaguserregung findet sich auch bei Eckard?). Eingehender befaßt sich O. Frank?) mit der Frage nach der Form der Kontraktionskurve des vaguserregten Herzens und kommt zu dem Schlusse, daß beim Einfall des Reizes in der Diastole einige Zeit vor Beginn der Systole die Kurvenform so verändert wird, „daß die Zu- sammenziehung etwas langsamer (besonders im späteren Teil) erfolgt, und daß die Erschlaffung etwas früher beginnt (Verkürzung der Gipfel- zeit) und schneller von statten geht als sonst. Dabei wird die Kurve (sowohl bei der isotonischen als bei der isometrischen Zuckung) spitzer und kann eine geringere Höhe erreichen als sonst... Diese Ver- änderungen der ersten nach dem Reiz erfolgten Zuckung des Kammer- muskels sind sehr regelmäßig.‘ Zuletzt hat F. B. Hofmann?) diese Frage zum ausdrücklichen Gegenstand einer Untersuchung gemacht. Er zog seine Schlüsse jedoch wesentlich nicht aus Beobachtungen am spontan schlagenden Herzen, sondern am künstlich stillgelegten Scheide- wandnervenpräparat, das er in beliebigen Abständen reizen und auch durch Vaguserregung in einen ‚„hypodynamen‘ Zustand versetzen konnte. Auch er kommt übereinstimmend mit O. Frank zu dem Er- gebnis eines je nach dem Grad der Vaguserregung verflachten An- stieges und eines verfrühten Abbrechens der Kontraktion, so daß die Kurven spitzer und die Kontraktionsdauern verkürzt erscheinen. Als das Wesentliche faßt er zusammen: „Die Verkürzung der Kontraktionsdauer ist also für den hypodynamen Zu- stand genau ebenso charakteristisch wie die Abschwächung der Kontraktion“ (S. 164). „Bei negativ inotroper (abschwächender) Vaguswirkung verändert sich 1) Engelmann, Th. W., Über die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Engel- manns Arch. 1900, S. 315. ?) Eckard, C., Erregung des durch Vagusreizung zum Stillstand gebrachten Herzens 1883. Beitr. z. Anat. u. Physiol. 10, 22. ®) Frank, O., Die Wirkung von Digitalis (Helleborein) auf das Herz. Sitzungsber. d. Ges. für Morph. u. Physiol. in München 1897, Heft 2. *) Hofmann, F. B., Über die Änderungen des Kontraktionsablaufes am Ven- trikel und Vorhofe des Froschherzens bei Frequenzänderung und im hypodynamen Zastande. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 130. 1901. 278 H. Bohnenkamp: die Kontraktionsform ganz so wie bei Frequenzvermehrung unterhalb des Opti- mums des Reizintervalls. Negativ inotrope Vaguswirkung und Frequenzvermin- derung bis zum Optimum wirken also antagonistisch auf den Kontraktionsablauf ein und können sich gegenseitig in ihrer Wirkung kompensieren. (Maskierung des hypodynamen Zustandes)“. Über die Änderungen der Kontraktionsform des Kaltblüterherzens durch fördernde Innervation liegen bis jetzt gar keine Angaben vor. Dies hat seinen Grund wohl unzweifelhaft darin, daß diese Reizerfolge überhaupt nur schwer und mehr oder weniger unsicher zu erhalten sind. Zwar, daß das Kaltblüterherz auch eine fördernde Innervation besitzt, ist seit langem außer Zweifel gestellt. Heidenhain!) zeigte, daß unter verschiedenen Bedingungen durch elektrische und chemische Reizung mitunter Beschleunigung und Verstärkung der Herztätigkeit erzielt wird. Vorher hatte schon Schmiedeberg?®) bei Reizung des Vagus- stammes nach Einwirkung von Atropin und Nikotin Acceleranswir- kungen gesehen. Auch Gaskell?) und später Löwitt) haben nach An- wendung verschiedener chemischer Mittel, letzterer auch in bestimmten Stadien der Austrocknung den beschleunigenden Einfluß von Vagus- reizungen beschrieben. @Gaskell war es, der den anatomischen Verlauf der betreffenden Herznerven am Frosch untersuchte; er fand, daß sie vom 1. bis 3. Ganglion des Sympathicusstranges entspringen und gleich in den Vagusstamm eintreten. Um die Erfolge der fördernden Inner- vation zu erhalten, boten sich nach den schon länger bekannten Tat- sachen drei Wege. Man kann ähnlich, wie es bei den klassischen Unter- suchungen am Säugerherzen geschehen ist, die accelerierenden Fasern an einer Stelle aufsuchen, wo sie noch nicht in den Vagusstamm ein- getreten sind. Man kann ferner durch chemische (pharmakologische) Einwirkungen die Hemmungserfolge ausschalten. Endlich kann man die Reizung des Vagusstammes in der Nähe des Herzens und ohne irgendwelche besonderen Kautelen vornehmen. In diesem Falle erhält man zwar, ganz wie es für das Säugerherz durch die bekannten Unter- suchungen von Bazxt festgestellt ist, fast stets zunächst Hemmungs- !) Heidenhain, R., Untersuchungen über den Einfluß des Nervus vagus auf die Herztätigkeit. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %%, 383. 1882. ”) Schmiedeberg, Untersuchungen über einige Giftwirkungen am Froschherzen. Ber. d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss. 1870, S. 130. ?) Gaskell, W. H., On the Rythm of the Heart of the Frog and on the nature of the Action of the Vagus Nerve. Procedings of the Royal Society of London. Vol. 33, S. 199. 1881/82; On the Rythm of the Heart of the Frog and on the nature of the Action of the Vagus Nerve. Philosophical Transactions 193, 3. 4. 1882. S. 993 (mit Kurven). 4) Löwit, M., Beitrag zur Kenntnis der Innervation des Herzens. III. Mitt. Die Deutung einiger Giftwirkungen am Froschherzen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18, 312; IV. Mitt. Über Hemmung und Beschleunigung der Herztätigkeit durch elektrische Reizung des N. vagus. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %9, 469. Über die Wirkungsweise der Herznerven. 279 wirkungen. Jedoch scheinen auch hier die accelerierenden Wirkungen die hemmenden zu überdauern, so daß sie, zunächst verdeckt, häufig in einem etwas späteren Stadium nach der Reizung beobachtet werden können. Von diesen Verfahrungsweisen ist die letztgenannte aus selbst- verständlichen Gründen unvollkommen. Denn für die Beobachtung der fördernden Nervenwirkungen ist es mindestens eine störende Komplikation, wenn gleichzeitig hemmende Wirkungen ins Spiel kommen. Dagegen scheint das erste Verfahren, Reizung der accele- rierenden Fasern an hoher Stelle, vor dem Eintritt in den Vagusstamm auf große technische Schwierigkeiten zu stoßen. So erwähnt v. Skram- lik!), daß es ihm niemals gelungen sei, auf diese Weise positive Erfolge zu erzielen. Ich selbst habe sie auf diese Weise nur in geringem Grade erzielen können. Daß man endlich bei Reizung des Vagusstammes nach Atropinisierung zwar beschleunigende Erfolge erhält, aber keines- wegs regelmäßige und oft nur sehr geringfügige, ist zwar in der Literatur nicht besonders hervorgehoben, dürfte aber bekannt sein, und mag wohl damit zusammenhängen, daß jene Gifte nicht gerade, ganz aus- schließlich den Hemmungsapparat ausschalten, sondern daneben auch noch andere Veränderungen hervorrufen. Für die Untersuchung der Acceleranswirkung am Froschherzen schienen sich nun günstigere Aussichten zu bieten, nachdem v. Skramlik gefunden hatte, daß man. wenn nicht immer, so doch häufig durch eine vorsichtige Zerlegung des. Vagusstammes (nahe am Herzen) einzelne feine Fädchen isolieren kann, durch deren Reizung Beschleunigungen des Herzschlages in höherem Betrage als nach den andern genannten Verfahrungsweisen und ohne eine bemerkbare Einmischung hemmender Wirkungen erzielt werden können. Gerade hierin lag auch für mich der Anstoß, diese Untersuchungen in Angriff zu nehmen, da ich gerade in diesem Punkte durch günstigere Untersuchungsbedingungen weiter als meine Vor- gänger zu gelangen hoffen durfte. Selbstverständlich erschien es jedoch geboten, die Aufgabe ganz allgemein zu stellen und die Änderungen der Kontraktionsform nicht allein durch die fördernden, sondern auch durch die hemmenden Innervationen systematisch zu untersuchen. Verfahrungsweise: Bei der Präparation der Herznerven ging ich zur Sonderung gleichartiger Fasersysteme im Vagusstamm unter einer linear zehnfach vergrößern- den Binokularlupe in der von v. Skramlik geschilderten Weise vor. Es gelinst dabei den Ramus cardiacus N. vagi nicht nur in 2 oder 3, sondern gelegentlich in 8—10 Fäserchen aufzusplittern, die erregte Hemmung oder Beschleunigung hervor- rufen. Bei der Präparation der Nervenfasern war eine fortdauernde Betropfung, bzw. Betupfung mit Ringerlösung zur Erhaltung der Leitfähigkeit der abgespal- tenen Nervenfibrillenbündel unerläßlich. Um bessere Übersicht über das Operations- gebiet zu erhalten, war es oft notwendig, die gleichseitige Art. carotis nahe ihrer !) v. Skramlik, Über den beschleunigenden Nerven des Froschherzens. Zen- tralbl. f. Physiol. 34, Nr. 9. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 19 280 H. Bohnenkamp: Verzweigung in die Art. cutanea magna und Art. pulmonalis zu durchschneiden, den distalen Teil umzuklappen und so bequem Einblick in das Gebiet der Lungen- wurzel zu gewinnen. — Gereizt wurde mit feinen Platinelektroden, die an die Sekundärspule eines gewöhnlichen Du Bois Reymondschen Schlitteninduktoriums angeschlossen waren. Aufgezeichnet wurde die Tätigkeit von Vorhof und Kammer zugleich, mittels der Suspensionsmethode nach Gaskell-Engelmann mit ganz gering- fügig durch je ein angeklebtes Wachsstück belasteten Strohhalmhebeln, die linear zehnfach vergrößernd mit möglichst geringer Reibung über die berußten Trommeln Baltzarscher Kymographien glitten und die Zusammenziehung und Erschlaffung der Herzteile möglichst getreu verzeichneten. Bei den Baltzarschen Kymographien wurden meist große Umlaufgeschwindigkeiten angewandt, so daß in der Mehrzahl der Versuche eine Geschwindigkeit von ca. 1 cm pro Sekunde innegehalten wurde. Die Versuche erstrecken sich von Oktober 1920 bis zum März 1921, zusammen sind es 64. Fast durchweg: wurden mittelgroße und große Exemplare von Rana esculenta, nur vereinzelt von Rana temporaria gewählt, die meist 2 Tage vorher bei Zimmertemperatur gehalten wurden. Während der Versuchsdauer wurde der Wärmegrad der Umgebung genau bestimmt. Um die Änderungen der Kontraktionsform zur unmittelbaren Anschauung zu bringen, wurden sorefältig über einer durchleuchteten Glasplatte Pausen von Kontraktionskurven nach der Erregung der Herznerven über solchen vor der Er- regung derselben angefertigt. Dabei war zu berücksichtigen, daß in den Fällen, wo eine größere Erschlaffung des Herzens als Reizfolge des Vagus eintrat und die Fußpunkte der Kurven absanken, zum Zwecke der Pausung immer genau die Fußpunkte aufeinander gelegt wurden, dabei aber jede Neigung zur Horizontalen vermieden wurde. Zudem wurden nur Kurven mit keinem oder nur sehr geringem Absinken der Fußpunkte gewählt. Das Entsprechende gilt für die Pausung der Kurven bei Erregung d. n. accelerans. Was nun die hemmenden Vaguswirkungen anlangt, so versteht sich, daß es sich hier in erster Linie um eine genauere Prüfung der soge- nannten inotropen Wirkungen handelt. Denn es liegt eigentlich schon in dem Begriff der chronotropen Wirkung, so wie er von Engelmann aufgestellt wurde, daß es sich dabei lediglich um eine Verminderung der in die Zeiteinheit fallenden Anzahl von Kontraktionen, ohne Änderung der einzelnen Tätigkeit handeln soll. Doch mag hervorgehoben werden, was übrigens ja auch jedem Untersucher bekannt ist, daß man oft genug durch Vagusreizung solche rein chronotropen Wirkungen erhält, Verminderungen der Frequenz ohne bemerkbare Modifikation der einzelnen Zusammenziehung. — Die dem Vagus zukommenden „negativ inotropen“ Wirkungen bestehen nun nach der Engelmannschen Definition darin, daß der Umfang der Kontraktion verkleinert oder die Gipfelhöhe verringert wird. Unter den vorhin dargelegten theore- tischen Gesichtspunkten erschien als die vornehmlich interessierende Frage die, ob hierbei es sich um eine Verminderung, beziehungsweise auch Verzögerung der kontrahierenden Vorgänge oder um eine Verstärkung und Beschleunigung der erschlaffenden Vorgänge oder um beides handelt. Die Beantwortung dieser Fragen wird dadurch erschwert, daß die Modifikationen des Kontraktionsverlaufes sich keineswegs allemal in genau übereinstimmender Weise darstellen. Sie weisen vielmehr Über die Wirkungsweise der Herznerven. 281 beträchtliche Unterschiede auf, deren Gründe offenbar in individuellen Verschiedenheiten der einzelnen Herzen gesucht werden müssen, wie ja auch ähnliche individuelle Unterschiede es mit sich bringen, daß überhaupt ino- trope Wirkungen an manchem Herzen leicht und in beträchtlichem Ausmaß erhalten werden, an anderen ganz oder fast ganz fehlen. Immerhin läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß jedenfalls die zweite der vorhin erwähnten Möglichkeiten verwirk- licht ist, die Vagusreizung eine Begünsti- gung der Erschlaffungsvorgänge mit sich bringt. Es geht dies einmal daraus her- vor, daß ganz schwach, eben am Kon- traktionsablauf bemerkbare Vagusreiz- erfolge immer, und zwar ausnahmslos sich in der Weise darstellen, daß wir zwar noch keine Verringerung der Gipfel- höhe, aber eine deutliche Verfrühung des diastolischen Abstiegs beobachten. Es erscheint diese Wahrnehmung des- wegen von Wichtigkeit, weil es sich hier offenbar um den Beginn einer Wirkungs- weise handelt, um einen ersten Vorgang bei der Muskelbeeinflussung. Es erhellt dies die Tatsache, daß in Fällen dieser Art mit der Verstärkung der Reize nach und nach die neg. inotropen Wirkungen zur Beobachtung gelangen. Ein Beleg für dies angegebene Verhalten eines ver- frühten Abstiegs ohne Erniedrigung der Gipfelhöhe gibt die folgende Abb. 1. Ferner zeigt sich, daß man, wenn auch keineswegs regelmäßig, doch häufig, sogar eine recht ausgesprochene Vermin- derung der Gipfelhöhe in der Form zu sehen bekommt, daß der anfängliche Anstieg keinerlei Veränderungen, nament- lich keine Abflachung erkennen läßt. Die Verminderung der Gipfelhöhe kommt ausschließlich so zustande, daß die Zuckung früher abgebrochen wird. Als Beispiel dieses Verhaltens teile ich die Abb. 2a, b, ce mit. Abstieg ohne Verminderung der Gipfel- ipfel erscheinen steiler. { ” nach der Vagusreizung der vertrühte Die ( 1 3 j = i I 4 3 j 1 N 3 I 3 1 1 1 4 R De | 1 174 = höhe erkennbar, An der Kammer ist 6cm. A, Vagusreiz bei R. I Reiz Vorhof Kammer Zeit in 1/, Sek. Ahh. 195 282 H. Bohnenkamp: In Abb. 2a, b,c liegen Beispiele von verminderten Hubhöhen mit vorzeitigem Beginn des Kurvenabstieges vor. Der aufsteigende Kurven- ast erscheint gar nicht oder kaum merklich verändert, während deut- lich der Beginn der Erschlaffung nach der Reizung immer früher zur Beobachtung kommt, sowohl am Vorhof wie an der Kammer. Dabei tritt die Erschlaffung ersichtlich um so früher ein, je stärker die neg. inotrope Wirkung zur Geltung kommt, also nach Vagusreizung mit inotropem Erfolg setzt die diastolische Erschlaffung verfrüht im Ver- hältnis zur ganzen Herzperiodendauer ein, so daß die Systole verkürzt sein muß. Tritt hier die Begünstigung des Erschlaffungsvorganges ganz rein und demgemäß einwandfrei zutage, so ist die gleiche Tatsache doch Abb. 2a—c. a) Vers. 15 A vom6. Xl. 20. Reizung des linken N.vagus bei R. A. 6,3 cm. Reiz- dauer 0,6 Sek., oben Vorhof. A = Letzte Kontraktion vor der Reizung. b=1., c=2, d=B., e=4., i=8. Kontraktion nach der Reizung. — Unten Kammer. A, b, c. d wie oben, e=7. Kontraktion nach der Reizung. b) Vers. 25 vom 27. XI. 20. R. Vagusast gereizt bei R. A. Scm. A = Letzte Kontraktion vor der Reizung. 1,2, 4,5 =1., 2., 4., 5. Kontraktion mit Reizbeginn (Vorhof). c) Vers.35 A. vom 28. XII. 20. L. Ram. card. n. vagi gereizt bei R.A. lcm (Kammer). A=1, 3, 4, 13, 15, so wie bei b). auch vielfach in etwas anderer Form nicht minder deutlich erkennbar. Hier ist namentlich zu erwähnen, daß häufig unter dem Einfluß der Vagusreizung der absinkende Teil der Zuckung besonders scharf und steil einsetzt, so daß die Kurve nach einem annähernd plateauartigen Gipfel wie plötzlich abgebrochen erscheint. Zum Beleg dient das folgende Mechanogramm 3. Nicht ganz so einfach ist die Frage zu beantworten, ob die inotropen Vaguswirkungen auf den eben besprochenen Umstand, die Begün- stigung erschlaffender Vorgänge allein zurückgeführt werden können, oder ob daneben auch einer der anderen oben erwähnten möglichen Erfolge, eine Verminderung der kontrahierenden Vorgänge, angenommen werden muß. Wir werden von einer solchen vor allem eine Verminderung Über die Wirkungsweise der Herznerven. 283 derjenigen Steilheit zu erwarten haben, mit der die vom Herzen ge- zeichnete Kurve ansteigt. Da es für die folgenden Besprechungen wünschenswert ist, auch für diese Veränderung eine kurze Bezeichnung Reiz Kammer Vorhof Zeit in 1], Sek. Abb. 3 Vers. 48 vom 29.1.20. Reizung einer Faser aus dem r. N vagus bei R.A. 8,5 cm. An der Kammer brechen nach der Reizung beim Beginn der Diastole die Kurven steiler als vorher ab. Verkleinert auf '/.. festzulegen, so will ich diese Wirkung eine klinotrope!) nennen, wobei in Analogie mit Engelmanns Bezeichnungen die Vermehrung bzw. Verminderung der Anstiegssteilheit als positiv oder neg. klinotrope Wirkung zu benennen sein wird. Eine neg. klinotrope Wirkung wird nun zwar, wie schon gesagt, in ein- zelnen Fällen vermißt. In den meisten Fällen ist sie jedoch in ausgespro- b) ec) d) ıC; Abb. 4a—d. a) Vers. 8 vom 28.X.20. Reizung des rechten Vagus bei R. A. 3,5 cm. Reizdauer 1,34 Sek. a=Kontraktion vor der Reizung. b=1, e=2,d=3.,e= 4. f=5., 9=9. Kontraktion nach Reizbeginn. A = Vorhof. Kontraktion nach Kühlung der Venen dicht beim Sinus mit spitzen Thermoden, die von 6° € kalten Wasser durchflossen waren. Umgebungstemperatur 17°C. b) Vers. 13 A vom 2. XI. 1920. Reizung des rechten Vagus bei R. A. 5,2 cm, Reizdauer 1,7 Sek. Oben Vorhof: A=Kontraktion vor der Reizung, 1, 2,3, 4,5 und 6 bezeichnen die entsprechenden Kontraktionen nach Reizbeginn; unten Kammer. Bezeichnung s. oben. c) Vers. I7C vom 12. XI. 1920. Reizung des linken Vagus bei R.A. 5cm, Reizdauer 1,2 Sek. Oben Vorhof, unten Kammer. Bezeichnung wie bei 4b. — d) Vers. 39 Cı vom 6. I. 192]. Reizung einer ausgesonderten Faser vom linken N. vagus (ram. cardiac.) bei R. A. 9,4 cm. Reizdauer 2,73 Sek. Oben Vorhof. A=letzte Kontraktion vor dem Reiz, b=1., e=3. Kontraktion nach dem Reiz, unten Kammer. A wie oben, b=2., e=3. Kontraktion nach dem Reizbeginn. chener Weise vorhanden. Als Beleg seien hier die Kurven 4a, b, ec, d mit- geteilt, in denen die Verlangsamung des Anstieges deutlich erkennbar ist. 1) Wenn mit dieser Bezeichnung die ohnehin schon reichhaltige Terminologie der Herztätigkeit um eine weitere Bezeichnung vermehrt wird, so wird das vielleicht nicht sehr slücklich erscheinen. Es kommt noch dazu, daß die klinotropen Wir- 284 H. Bohnenkamp: Die Kurve, Abb. 5, zeigt besonders für die Kammerkontraktionen die negative klinotrope Wirkung. |: Ein vollständigeres Bild von den Änderungen der Anstiegssteilheiten durch hemmende Vaguswirkung geben die folgenden Tabellen. Zur zahlenmäßigen Darstellung der gefundenen Verhältnisse wurde die Be- stimmung der Steilheit der Kurve durch Ausmessung des Winkels vorgenommen, den die an steilster Stelle an die Kurve gelegte Tangente mit der Grundlinie bil- det. Dabei wird die Tangente oft schon vom Anfang des aufsteigenden Kurven- armes hinreichend genau gebildet. Zweck- mäßig wird dabei die Steilheit wie beı der Wegeberechnung in % Steigung dargestellt, wenn die systolische Stei- gung vor der Reizung jeweils gleich 100% gesetzt wird. Die Winkel wurden durch Ablesung des tg. des Steigungs- winkels bestimmt, und wegen der Fehler- breite die Bestimmungen nur in ganzen ° angegeben. Zur Erläuterung der Tabelle sei ge- sagt, daß die Zahlen im 3. Stab unter Kontraktionen angeben, bei der wie- vielten Kontraktion nach Reizbeginn die Veränderung der Anstiegswinkel in die Erscheinung tritt. Man hätte statt dessen ebenso die Zeit nach dem Reizbeginn bestimmen können, bei der die klinotrope Wirkung jedesmal beobachtet wird. Doch erschien die obige Angabe über- sichtlicher. ee | | | An den negativ inotropen Systolen nach der Reizung erkennt man”bei der Kammer die negativ klinotrope Anstiegswirkung (Verkleinerung auf '/s). kungen ja nichts Unabhängiges dar- stellen, sondern mit den inotropen in engstem Zusammenhang stehen. Indessen ist zu beachten, daß auch die von Engelmann festgelegten Wirkungen wohl schwerlich ganz voneinander unabhän- gig sind, sondern in mancherlei Weise zusammenhängen dürften. Es handelt sich eben, wie schon bemerkt, um Be- zeichnungen, die zunächst ohne jede theo- retische Deutung in rein beschreibendem z Sinne zu nehmen sind. Wie sehr solche N = Benennungen Bedürfnis sind, erhellt aus dem umfangreichen Gebrauch, der von der Enyelmann schen Nomenklatur gemacht wird. In gleichem Sinne scheint mir auch der Wunsch nach einer kurzen Bezeichnung für die Steilheiten, d. h. für die nach der Zeit genommenen Differentialquotienten von Muskelzuständen be- rechtigt und notwendig. 39 (6. I. 1921). Vers. > Abb. Reiz- eu marke Vorhof Kammer Über die Wirkungsweise der Herznerven. 385 Tabelle 1. N Steilster Anstiegswinkel Differenz in° u It Inu Kontrakbionf7 Inne vorhoran GERammer Teer: Versuch I Nerv | nach Beginn (abgerundet) | (abzerundet)| Vor- | Kam- | der Reizung - = —- ——] hof | mer | | In lEind | in° |in% | 2A Linker Vor d. Reizung| 82 | 100 | | | R. A. 10,0cm | Vagus | Nachd. Reizung | | | Reizdauer | 1 60 74 | —22| 22, Sek | 2 7 8! | — u | 3 is |? 22) — 64 4 48 | 59 | — 34 | 5 70 | 8] — 12 | 6 76 | 92 —' N A 79 | 97 — 93 3A | Rechter | Vor d. Reizung| 79 | 100. R. A. 3,5 cm | Vagus | Nachd. Reizung | Reizdauer | 1 FT 98 — % 1,4 Sek. | 2 10 31 — 69 | | 3 40 öl | 39 | | 4 5l 54 | —28 | | > 55 69 | — 24 6 64 sl —15 | 7 69 87 — 10 | 3 74 3] —5 | 9 716, 9% | —E 10 | 8 | ee | | | 13 A Rechter Vor d. Reizung| 92 | 100 | 76 | 100 R. A. 5,2 cm | Vagus Nach d. Reizung | | | Reizdauer 1 | er 1,7 Sek. 2 19a 1a gas san 708 3 3 23062 | 82|—-59| —14 | 4 54 66 68 | 89| 28 | — 8 | > 37189 70| 91-25 — 6 i 6 64 | 738|73| 96|—-18| 3 | 7 68 | 83 | | —14| | 8 70 | 85 | 9) 39C | Linker | Vor d. Reizung| s4 | 100 75 |, 100 R. A. 9,4 cm | Vagus | Nachd. Reizung | | Reizdauer 1 26 31, 72 | 96|—58| — 3 2,7 Sek. 2 76 91159 79 |— 8| —16 3 76.0 WER ae 4 76 | 91 | 68 911 —- 8/| — 7 5 a2 938, | | Von besonderem Interesse ist es, festzustellen, wieweit die ino- und klinotropen Wirkungen im Zusammenhang stehen. Schon die eben angeführten Tatsachen lehren, daß dieser Zusammenhang wohl sicher- lich vorhanden, aber anscheinend kein ganz fester ist. Um dies noch 256 H. Bohnenkamp: deutlicher hervortreten zu lassen, habe ich für eine größere Zahl unter dem Einfluß der Vagusreizung stehender Herzschläge die beiden Wir- kungen gemessen und in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle II). I Inotrope Klinotrope | Gipfelzeit Verzalnsch Wirkung in % Wirkung in % in % such Reiz- Zu —f ii beginn Vorhof | Kammer | Vorhof | Kammer | Vorhof | Kammer | 14 A 1 100,0 100 85,5 13 A 1 3,6 100,0 A798 27,3 s9,5 > 9,1 54,5 1a nn 39 37.8. 10649 3 18,2 43,7 28 8 289 51,1 | 62,8 4 24,5 54,5 66 s9 77,5 66,7 5 36,3 63,7 69 93 32,3 75,6 6 44,6 69,0 78° |. 96 34,5 77,0 16C 1 1100,0 100,0 98 98,7 | 90,9 92,3 2 9,15 | 76,7 AS | 0A 37,8 80,3 3 36,6 82,8 91 | 8 57.6: 1.88,2 4 59,2 90,5 93711706 69,5 98,1 5 70,0 96,0 5 |.9 78:8°1100:0 15. A 1 100,0 99,5 | 91,0 2 77,5 | 9 117229 3 90,0 92 | 13:3 4 92,0 | 9 Nie 5 96,7 E07 | 83,4 39C 1 6,5 35,3 31 79 34,5 | 49,2 5222111399 21055.5 gI N Wr 85H) 48,30 169,5 | 3 65,5 67,3 2 19 67.2 1235 | 4 75,2 79,8 910 93 75,38 | 84,0 11650 21.81507 1 2.84:0 93 94 79,3 | 81,0 47B| 1 90.5 97 53,4 12 60,0 94 40,0 3 65.0 95 | 46,7 4 75,0 95 54,6 25 95,0 99 86,5 26A | 1 87,4 96,6 98 99 7er, 991 79 31,2 96,6 96 99 4443 11 09740 178 40,0 95,7 97 97 48.7 1.931 4 51,5 97,8 98 100 52820119845 5 65.6 99 62,0. | 63 A 1 34,8 82,2 90 96 59,0 | 65,0 2 33,8 97,0 89 100 62,3 | 75,0 3 47,4 100,0 92 100 38m 18913 4 52,5 .:1.103,5 95 | 10 75,4 100,0 5 60,0 95 | SET t) Erläuterung s. folg. Seite. Über die Wirkungsweise der Herznerven. 287 Zur Erläuterung der Tabelle sei gesagt, daß die Gipfelhöhe, der steilste An- stiegswinkel und die Gipfelzeit vor dem Reizbeginn des Vagus jeweils — 100% gesetzt wurden und nun die entsprechenden Verhältnisse nach dem Reizbeginn darauf bezogen wurden. War z. B. die Gipfelhöhe vor der Reizung 20 mm — 100% und nach dem Reizbeginn bei der ersten Kontraktion 15 mm, so ist die inotrope Wirkung — 75% gesetzt. In einem 3. Stabe sind noch die Gipfelzeiten angegeben, jene Zeiten, die verstreichen vom Beginn einer systolischen Kurvenerhebung bis zu ihrem Höchstpunkt, weil allein die Veränderung dieser Zeitabschnitte einen Einblick in eine Verfrühung oder Verspätung des diastolischen Abstiegs gewährt. Die Fälle sind vorzugsweise so geordnet, daß die klinotropen Wirkungen vor allem hervortreten sollten. Es geht aus der Tabelle hervor, daß eine neg. klinotrope Wirkung ohne neg. inotrope nicht zu beobachten ist. Ferner zeigt sich, daß die neg. klinotropen Wirkungen, wenn auch nicht proportional, im all- gemeinen um so deutlicher in die Erscheinung treten je mehr die neg. inotropen Wirkungen zur Beobachtung gelangen. Schließlich sei noch einmal darauf hingewiesen, daß in den Fällen, wo wir keine Ver- änderung der Gipfelhöhe und des Anstiegswinkels sehen, doch eine Form- veränderung der Kontraktionskurve des Herzens in der Weise besteht, daß die Erschlaffung früher einsetzt (Vers. 14 A in Abb. 1). Während nun über das Bestehen solcher neg. klinotroper Wirkung in rein deskriptivem Sinne kein Zweifel besteht, muß man beachten, daß eine direkte Hemmung oder Schwächung der die Zusammenziehung bedingenden Vorgänge nicht ganz ohne weiteres erschlossen werden kann. Zunächst ist zu beachten, daß, wie die Erfahrungen am Skelett- muskel zeigen, die erschlaffenden Vorgänge nicht etwa erst dann ein- setzen, wenn die Zuckung ihren Gipfel erreicht hat, sondern sicherlich schon mehr oder weniger vorher. Der Zuckungsgipfel ist nicht als der Punkt aufzufassen, wo die Vorgänge der einen Art aufhören und die entgegengesetzten beginnen, sondern als der Punkt, wo die einen und anderen sich gerade das Gleichgewicht halten. Demgemäß ist denn an die Möglichkeit zu denken, daß die Verflachung des Anstieges lediglich darauf beruht, daß die erschlaffenden Vorgänge unter dem Einfluß der Vagusreizung früher und stärker einsetzen als bei unverändertem Herzzustande. Ich sehe vor der Hand nicht, wie man diese Annahme mit voller Sicherheit ausschließen kann. Gewiß aber darf man sagen, daß sie doch sehr wenig Wahrscheinlichkeit besitzt. Denn wenn auch die erschlaffenden Vorgänge schon während des Zuckungsanstieges einsetzen, so wird man sich doch nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit nicht leicht zu der Annahme entschließen, daß sie schon im ersten Beginn der Zuckung vorhanden seien, also mit den kontrahierenden gleichzeitig in die Erscheinung treten sollten. — Auch die Tatsache, daß die inotropen Hemmungen zuweilen so stark werden, daß sichtbare Zusammenziehun- gen gar nicht mehr vorhanden sind, wird sich mit der Annahme, daß es sich lediglich um eine Begünstigung der Erschlaffung handle, nicht in Ein- 288 H. Bohnenkamp: klang bringen lassen. Ein solcher sogenannter ‚‚inotroper Stillstand‘ ist, wie bekannt, am Vorhof oft beobachtet worden. Er ist durch dasregel- mäßige Weiterschlagen der Kammer bei Stillstand des Vorhofes charakte- risiert. Auch ich habe diese Erscheinung häufig beobachtet. In der Regel zwar gelingt es, bei sorgfältiger Lupenbetrachtung minimale Bewegungen der Vorhofsmuskulatur wahrzunehmen. Ob das in allen Fällen sich so verhält, muß ich dahingestellt sein lassen. Ich habe diese Frage noch nicht des Genaueren verfolgt, da im gegenwärtigen Zusammenhange schon die Möglichkeit, die Kontraktion auf ein kaum mehr wahrnehm- bares Minimum herabzusetzen, von entscheidender Bedeutung ist. Ein letzter, hier zu berücksichtigender Punkt ist der folgende. Zu den Erfolgen der Vagusreizung gehört auch derjenige, den ngel- mann als einen dromotropen bezeichnete, die Verminderung der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit. Nun muß man im Auge behalten, daß das nach dem Suspensionsverfahren aufgeschriebene Mechanogramm uns eine Formveränderung darstellt, an der, wenn nicht das ganze Herz, jedenfalls doch ein großer Teil desselben beteiligt ist. Da der Erregungsanstoß nun nicht die ganze Kammermuskulatur gleichzeitig trifft, sondern an ganz bestimmten Stellen einsetzt, um sich von dort aus auf die übrigen Teile auszubreiten, so versteht sich, daß eine Ver- minderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit geeignet ist, die Form des Mechanogramms zu ändern, auch wenn der Ablauf an jedem ein- zelnen Herzteilchen nicht geändert ist. Doch ist zu beachten, daß bei den zur Illustration der neg. klinotropen Wirkungen verwandten Mechanogrammen nur solche Kurven Verwendung gefunden haben, in denen das Intervall zwischen Beginn der Vorhofszuckung und Beginn der Kammerzuckung vor wie nach der Vagusreizung das gleiche war, also ein dromotroper Einfluß in den Überleitungsgebilden nicht erkennbar war. Dies dürfte auch eine Verringerung der Fortpflanzungsgeschwindig- keit in den Vorhofs- oder Kammerteilen selbst unwahrscheinlich machen. Ich wende mich zur Besprechung der Acceleranswirkungen und möchte hier zunächst anführen, daß es mir nach einiger Einübung mit dem v. Skramlikschen Verfahren gelungen ist, solche Wirkungen zwar nicht in jedem Falle, aber doch so häufig zu erzielen, daß eine Unter- suchung auf diesem Wege durchführbar war. Auch bei dieser Inner- vation begegnen wir in sehr ausgesprochener Weise zunächst den chronotropen Wirkungen. Obwohl deren Untersuchung zunächst außerhalb der gestellten Aufgabe lag, so möchte ich doch nicht unter- lassen anzuführen, daß solche vielfach in ansehnlichem Betrage er- halten wurden. Ich beobachtete Frequenzvermehrungen meist auf das 2—2,5fache, in einem Falle auf das 5,5fache. Was nun die uns hier eigentlich interessierenden Änderungen des Kontraktionsverlaufes anlangt, so kann in erster Linie eine vermehrte Über die Wirkungsweise der Herznerven. 289 Steilheit des Anstieges, eine positiv klinotrope Wirkung festgestellt werden. Wir werden daraus unbedenklich auf eine Verstärkung und Beschleunigung der kontrahierenden Vorgänge schließen dürfen. Aus den folgenden Pausen 6a, b, c,d, e geht diese Beobachtung einheitlich hervor. Ich möchte in dieser Änderung der Kontraktionsform sogar das wichtigste und konstanteste Merkmal der fördernden Wirkungen er- blicken. Oft ist die Aufrichtung des vor der Reizung gedehnter an- steigenden Kurvenarms so ausgesprochen, die Kraftvermehrung der systolischen Zusammenziehung so heftig und plötzlich, daß man diese Kontraktionsänderung schon wahrnehmen kann, bevor die positiv inotropen Wirkungen in die Erscheinung treten. In Abb. 6, Pause c (Vers. 33 vom 23. XII. 1920) liegt ein derartiges Beispiel vor. Ein genaueres Bild von den klinotropen Erfolgen gebe ich auch hier durch die nachfolgenden Tabellen, die ebenso, wie die vorhin mitge- teilten, auf die Vaguswirkung bezüglichen, eingerichtet sind. Tab. III. 5b Vorhot D i Vorhot 2 a c) \ / Yd | | Kammer Bi b) Vorhof | \ \ e) Vorhof d) Vorhof — —_ —— Kammer Abb. 6a—e. a) Vers.30D vom 8. XI.20. Reizung des rechten Accelerans. a = Letzte Kon- traktion vor dem Reiz, b=4. Kontraktion nach Reizbeginn. b) Vers. 37 Ey, vom 3.1.21. Reizung des rechten Accel., oben Vorhof. 5=9. Kontraktion nach Reizbeginn, unten Kammer. b=7.Kon- traktion nach Reizbeginn, sonst wie bei c). c) Vers.33 A vom 23. XII. 20. Reizung des rechten Accel.. oben Vorhof. b = 7. Kontraktion nach Reizbeginn, unten Kammer. Links 5b = 10. Kon- traktion nach dem Reizbeginn ; rechts drei aufeinanderfolgende Kontraktionen nach Reizbeginn. Bei 2. sieht man vor dem Eintreten pos. inotroper Wirkung die pos. klinotrope Wirkung. d) Vers. 37 E; vom 3.1.20. Reizung des rechten Accel., oben Vorhof. 5=11. Kontraktion nach Reizbeginn, unten Kammer. b=11.Kontraktion nach der Reizung. e) Vers. 45 D;, vom 18. 1. 21- Reizung des linken Accel., oben Vorhof. 5 = 5. Kontraktion nach Reizbeginn, unten Kammer. b =5.Kontraktion nach Reizbegiun, sonst wie oben. — Der Mangel einer pos. inotropen Wir- kung ist nur scheinbar. Er erklärt sich aus dem Höhenrücken der Fußpunkte der einzelnen Kontraktion (gleichsam aus einer „Tonuszunahme“). | | Ditterenz 290 H. Bohnenkamp: Tabelle I11. Z Steilster Anstiegswinkel | Kontraktion > Vorhof ——— Versuch | Nerv nach Beginn der oTNO } | Reiring (abgerundet) Kammer | ine. Ein In in % | Vorhof Kamm. iny- 30 D |R. Accel. RA! | | 0,0 cm Reizdauer 5,4 Sek. 33 A R. Accel.| R. A. 1,0 cm Reizdauer | 2,4 Sek. 37 E R. Accel. RA: 0,0 cm Reizdauer 2 Sek. 45 D L. Accel. | R. A. | 4,0 cm Reizdauer 3,2 Sek. 50 A IR. Accel.| 3,0 cm Reizdauer 2,3 Sek Vor d. Reizung Nach.d. Reizung 2 77 3 s0 6 s3 Vor d. Reizung 54 Nach d. Reizung 1 2 6 1 15 10 83 Vor d. Reizung 70 Nach d. Reizung 1 73 2 77 3 78 4 78 5 78 6 79 2] s0 8—17 Vor d. Reizung 74 Nach d. Reizung | 1 19.) 2 Vor d. Reizung 72 Nach d. Reizung | 1 74 | 2 sl 3 84 4 87 5 35 6 83. 7 83 | s 83 g sl 10—13 79 14 77 15 Zi 16 ar 17 75 100 102 106 110 100 135 153 100 104 110 112 112 112 113 115 100 107 100 102 112 116 120 118 115 115 115 112 109 106 106 106 104 100 107 114 115 100 115 115 122 125 125 125 125 125 100 106 107 100 109 119 119 119 125 125 121 114 114 114 114 114 111 +5 Über die Wirkungsweise der Herznerven. 291 Auch füge ich noch einige Tabellen ebenfalls gleicher Einrichtung hinzu über Versuche, in denen bei Reizung des ganzen Vagusstammes erst die hemmende und dann deutlich die fördernde Wirkung in Er- scheinung trat. Tabelle IV. Steilster Anstiegswinkel m Kontra Kufon _ Vorhof | Kammer | Differenz in ° Versuch | Nerv | nach Beginn (abgerundet) | (abgerundet) | der Reizung |- —— Se | | in ° in %, in °® | in % 1 Vorhof ı Kammer || | 54 D _|R.Vago Vor d.Reizung| 40 | 100 | 47 | 100 R. A. 16,0 | Accel. |Nachd.Reizung Reizdauer | | 1 28 72 39 84 | —12 —3 3,0 Sek. | 2 13 3 63 ; 134 | —27 | —16 | 3 B6RE EIOTEE E76 NOS 7262102029 | 4 77 194 812 21722 |7-62370 1.134 B) sl 206 +41 6 33 211 +43 55 A | L.Vago Vor d. Reizung| 58 ' 100 77 100 R. A. 4,0 cm Accel. Nachd.Reizung | Reizdauer 1 32 | 56 73 94 |—26 — 4 3,2 Sek. 2 37 | 65 sl 105 [27 +4 3 48 | 8 33 1071 —10 | +6 4 54 93 — 4 5 58 | 100 0 | 6u.7 | 70, | 121 195 s 73 126 +15 | 10 | s0 | 139 +22 | Endlich gebe ich auch hier noch eine Zusammenstellung, die ge- eignet ist, den Zusammenhang zwischen der Vermehrung der Steilheit und der Zunahme der Gipfelhöhe (klino- und inotroper Wirkung) er- kennbar zu machen. Im fünften Stab ist noch die Gipfelzeit angegeben, welche allein einen Einblick in eine Verfrühung der Diastole zu ge- währen imstande ist. — Es ist aber bei der Bewertung des Zusammen- hanges zwischen klino- und inotroper Wirkung hier sowohl wie auch bei den neg. Erfolgen des Nerv. vagus früher wohl zu beachten, daß für den Einfluß klinotroper Wirkung auf die Gipfelhöhe, also auf die ino- trope Erscheinung, nicht allein der steilste Anstieg maßgebend ist, sondern auch die Zeitdauer, während welcher eine gewisse Steilheit des Anstieges innegehalten wird (s. Tabelle V folgende Seite). Wenn wir in der Betrachtung des unter dem Einfluß der Accelerans- reizung gelieferten Mechanogramms weitergehen, so finden wir da, wenigstens in manchen Fällen, daß der Gipfel verbreitert erscheint. Man wird hierin den Ausdruck einer nicht nur verstärkten, sondern auch zeitlich ausgedehnten Kontraktionstätigkeit erblicken können. Zum 292 H. Bohnenkamp : Beleg diene Abb. 6, Pause c (s. Seite 289). Diese Erscheinung ist jedoch keineswegs durchgängig zu beobachten. In vielen Fällen ist im Gegen- teil festzustellen, daß der Gipfel der Zusammenziehung unter dem Ein- fluß der Acceleransreizung früher erreicht wird als normal. Wir werden ver Br Inotrope Wirkung in % | KlinotropeWirkung in% | nae | Reizbeginn Vorhof such - | 33 A| I ii 37E| 30B | B| DD - IO9O pw IQ PwWN »uwWwe- 19 Qu an PD -u. ff. 54D \Vor d. Reizung | Nachd. Reizung 7 ago Die Erläuterung siehe im Text Seite 293. Ordinatenhöhe des steilsten F beim Beginn d. Gipfelhöhe Abstiegsin ° EIER) steilst. Abstiegs Vorhof | Kam- | yornos | Kam- Vorhof | Kan; Vorhof | Kam- 8 | me S e | BAR 3 ANer 92 11,0 16.0 ) 93 ) 12,0 16,0 | 9] Re 14,0 18,0 | 89 en 14,9 19,8 | 89 BR 16,5 20.1 92 12,8 15.1 92 0 12,8 15,1 94 1.79 12,0 17,0 93 Eu 13,5 18.2 95 el 13,7 18,2 | 92 0. 14,0 18,5 95 93 14,2 18,5 | om 17,5 20,2 99 en 17,5 20,2 93 1209 17,0 20,3 88 8 22,8 | 25,8 89 0 22,8 | 25,8 87 ses 23,0 ı 28,5 87 —5| 23,0 | 28,3 97 128 65 1: 3,6,| 92 | 46 94 128173 (U E2 3,6 | 11,0 4,6 930217196. 0422 21102975.0. 20712 es 94 124 1-3 — 395 | 21 |13,20 48 93: 1240| 4032110, 07 7 Ta 5 96 124 5,6 NOT 9% 126 0x1. 3| 5:6, |7.54210.6.9 0270 93.°1.1997 403; | 2. 7280,810.21, 6:2.910° 8:96 Dal 927 oo A380 2 ga Ta era 9 ea | Er rl 149 161 1,2 Le a | ala | oe DS 3,8 135 1145. > 10.2101 30.500 38017260 116,185. 22. 161. 40.|.55 1.607269) 101. 112500123300 2 299,956 6 TO > 97... 1198 12 35, K206 164 0700| te 97. 10800 95.97.10 ,7702 2.70 21,10:00 0,82 96: | az ae > 27.1.1702 17,8:0.1,10:1421078:5 %6 115 12236 | 29780 | 84011052790 Über die Wirkungsweise der Herznerven. 295 Folge von Reizen dauert die dem einzelnen Reiz entsprechende Längen- verminderung weit kürzer als der Anstieg einer gewöhnlichen einzelnen Zuckung. Auch beim Abbrechen der Reize erfolgt das Absinken von der tetanischen Kontraktionshöhe mit einer Schnelligkeit, die bei dem Abstieg der gewöhnlichen Zuckung nicht erreicht wird. Diese und ähnliche Erscheinungen gestatten die Aufstellung der Regel, daß die Erschlaffung wm so schneller Platz greift, je höher der Kontraktionsgrad ist. — Versucht man dies hier in Anwendung zu bringen, so kann man darauf hinweisen, daß in der Tat bei den Reizungen von Accelerans- Fasern, wenigstens wenn sie inotroper Natur sind, höhere Grade der Zusammenziehung erreicht werden, wie das ja darin zum Ausdruck kommt, daß wir von positiv inotropen Erfolgen sprechen. Gleichwohl ist es doch zweifelhaft, ob wir das beschleunigte Absinken der Kurve hierauf beziehen müssen. Um hierüber ein Urteil zu ermöglichen, habe ich in der obigen Tabelle immer noch zugleich denjenigen Grad der Zusammenziehung eingetragen, bei dem der Abstieg die größte Steil- heit des Abfalls zeigt. Betrachtet man die Tabelle mit Rücksicht hierauf, so zeigt sich, daß die Neigungswinkel um so steiler sind bzw. die Er- schlaffung wm so rascher verläuft, je höher der Kontraktionsgrad des Herzens ist. Dabei liegen die Zeitpunkte, zu denen die Erschlaffungs- geschwindigkeiten am größten sind, ersichtlich um so früher, d.h. sind die Ordinatenhöhen, bei denen erstmals die größte Steilheit des Abstieges beobachtet wird, um so höher, je größer die Gipfelhöhen der Kontraktionen überhaupt sind (s. bes. Vers. 54 D). Daß die steilsten Abstiegwinkel nicht gleich nach Überwindung der Kurvengipfel auf- treten, das liegt offenbar nach dem oben Erwähnten daran, daß hier die Gipfelbedingungen vorliegen, wonach die durch den N. acc. verursachte Verstärkung der kontrahierenden Vorgänge noch hemmend auf die Erschlaffungsprozesse einwirkt. (Rundung der Kurvengipfel.) Sehr lehrreich ist in dieser Hinsicht Vers. 33 A, wo bei der ersten und zweiten Kontraktionskurve nach Reizbeginn weder eine Erhöhung des Kon- traktionsgrades noch eine Beschleunigung des Abstieges bemerkbar wird, vielmehr die Erschlaffung langsamer verläuft als vor der Reizung. Dies erklärt sich dadurch (s. Tab. 5, Vers. 33 A), daß bei diesen beiden Kontraktionen schon positiv klinotrope Wirkung am Anstieg zu sehen ist, eine positiv inotrope Wirkung aber noch vermißt wird. Hier erfolgt nun auch, wie erwähnt, das Absinken der Kurve nicht steiler, sondern sogar flacher als vorher. — Eine Ausnahme von dem angegebenen Verhalten macht nur Vers. 30 E. Ein Grund hierfür ist zunächst nicht aufzufinden. — Es geht jedenfalls aus der Tabelle VI hervor, daß die Abstiegsbeschleu- nigungen zu den positiv inotropen Wirkungen in fester Beziehung stehen. Nach den Ergebnissen Bazxts ist zu erwarten, daß gerade die Fre- quenzvermehrung mit einer Beschleunigung des ganzen Kontraktions- Pilügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 20 Reiz Vorhof Zeit in !/, Sek. 296 H. Bohnenkamp: ablaufes einhergehen wird. Richtig ist nun, daß die Beschleunigung des Abstieges oft nicht stark genug ist, um einen vollen Rückgang der Kurve auf die Nullinie zu ermöglichen, vielmehr bei beträchtlich er- höhter Frequenz ein gewisses Maß von Verschmelzung, eine Abszissen- erhebung eintritt. Selbst bei beträchtlicher Steigerung der Frequenz, wenn eine Erhöhung der Zuckungsgipfel gar nicht oder nur in sehr geringem Betrage eingetreten ist, ist die erhöhte Steilheit des Abfalles nur manchmal und in geringem Betrage, aber nicht durchgängig zu be- merken. Es sei hier eingeschaltet, daß die Wirkung des Accelerans nicht allein als eine Verstärkung einer zuvor bestehenden Herztätigkeit zur Erscheinung kommen kann. Sie kommt auch in der Form zur Be- obachtung, daß ein überhaupt nicht mehr schlagendes Herz wieder in Tätigkeit gebracht wird. Schon H. E. Hering!) hat einmal gesagt, daß man durch die Erregung der sympathischen Herznerven geradezu tote Herzen wieder zum Schlagen bringen könne. Ich habe nun tatsäch- lich einen solchen Fall bei Vers. 41 am 8.1. 1920 beobachtet?). u Te De RU TI RTNIUTITITPETRERTITTIELTTUITTEITERRUTILTTETTTEPETEETTEUERETEREIURERFETTPETTELTTERRFRELFREFTRTPRTHRTFTIFTTFFERLLTRUITTERTETFURTERETTETETETTEIPEETEEFEREEETNTUTRETEETTFTEL ALT FENTFLTTLTETEITTLLTEETLUTTIT IT Abb. 7. Vorversuch vom 1. VI. 1922. Probeweise Reizung eines Astes vom linken Ram. card. n. vagi bei R. A. 1,0 cm bei einem nicht mehr schlagenden Herzen. Das Fehlen eigener Rhyth- mik konnte schon !/, Stunde lang festgestellt werden. Die Rhythmik kam auch durch vorher gegebene Reizgruppen nicht in Gang. Nach 4stündigem Experimentieren an einem Froschherzen und fortgesetzter Nervenzerfaserung gab ich die Präparation schließlich auf, weil das Herz spontan nicht mehr schlug. Um mir aber später noch einmal über die anatomischen Ver- hältnisse und den Grad der Nervenaufteilung Rechenschaft zu geben, hielt ich das nicht mehr funktionierende Herz mit Watte, die in Ringerlösung getaucht war, feucht. 4!/, Stunde später, also 81/, Stunde nach der Tötung des Frosches, lud ich einen der fraglichen accelerierenden Nervenästchen auf die Elektroden. Das nicht schlagende Herz beantwortete zwar mechanische Reize mit einer spitzen Nadel mit einer Kontraktion, aber die Rhythmik war auch durch mechanische Reiz- gruppen nicht in Gang zu setzen. Die Reize waren zu ganz anderen Zwecken, ı) H. E. Hering, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 578. 1901; 115, 354. 1906. 2) Inzwischen sind mir nach Abschluß dieser Arbeit bei elektrographischen Untersuchungen noch 2 weitere derartige Fälle zugestoßen. In einem Falle war zufällig probeweise die Trommel zur Registrierung in Gang gesetzt worden, so dab ich als einen Beleg solchen Verhaltens die Kurve 7 vorlegen kann. Uber die Wirkungsweise der Herznerven. 297 nämlich um die recht- und rückläufige Erregungsleitung am Froschherzen zu be- obachten, gesetzt worden Als ich nun einen Probereiz der aufgeladenen Nerven- faser gab, begann zu meinem Erstaunen das Herz in beschleunigtem Tempo zu schlagen und allmählich in langsamer Schlagfolge wieder zu verharren, aus der es jedoch noch jedesmal wieder zu beschleu- nigter und verstärkter Tätigkeit durch Erregung jener Acceleransfaser erweckt werden konnte. Diese Beobachtung konnte ich noch über zwei weitere Stunden ausdehnen. Erst am nächsten Tage fand ich das völlig entblutete Herz tot und nicht mehr erregbar. Wenn das Herz durch starken Blut- verlust oder durch andere Schwächung seiner Muskelkraft durch Absterben oder Ermüdung nicht mehr recht schlug, so gelang es mir mit voller Sicherheit bei überhaupt noch reaktionsfähigem Herzen die minimalen, wellenförmigen und kaum merklichen Zusammenziehungen durch Erregung des N. accelerans in deutliche, um das Mehrfache verstärkte, gute Sy- stolen zu verwandeln. Als Beleg zeige ich die Kurve von Vers, 54 D in Abb. 8, wo bei Reizung des Vagoaccelerans der verstärkende Erfolg am Vorhof wie be- sonders an der Kammer überraschend sich darbietet. (Man beachte zugleich die positiv klinotropen Wirkungen.) Obgleich ich mir, wie erwähnt, in erster Linie die Aufgabe gestellt hatte, den Ein- fluß der Innervationen auf den Zuckungs- ablauf zu untersuchen, so gaben die Ver- suche doch zugleich auch noch zur Prü- fung weiterer Verhältnisse Gelegenheit, die zwar in gewissem Umfange seit lan- gem bekannt sind, aber auch noch keine erschöpfende Bearbeitung gefunden haben. Es sind dies die zeitlichen Verhältnisse der einzelnen nervösen Einwirkungen auf den Herzschlag. Schon in den grundlegen- den Versuchen des Zudwigschen Instituts ist eine hierher gehörige Tatsache ge- Iuanamımarn HERUNTER war Reiz rennen NN J Abstieg. Anstieg und eroße Verstärkungswirkung von Fasern aus dem rechten Varusstamm. die klinotropen Wirkungen am Auffallend 1921. Man beachte zugleich 54 D vom 28. II. Vers. Ss Abb R . N Zeit in [EEE EFErUBETErERFEEr Fr OUT U HI U U OrOE UI GLEN BEI DEE ORBFEL URELETGFG EI GIG GL GG EEE DEE EEE EEE ERSUGEEEEEENUHUNEREWE UNE EM ERU EEE TEOHUENUHEHEUUERUEE. IAE Sek. Vorhof Kammer 55 Jr funden worden, die nämlich, daß beim Hund der Vagus mit einer kurzen Latenz und kurzer Nachdauer, der Accelerans dagegen mit einer beträchtlich größeren Latenz und namentlich einer sehr langen 20* 298 H. Bohnenkamp: Nachdauer (durchschnittlich 2—3 Minuten) wirksam wird. Damit hängt es zusammen, daß die Acceleransreizung, auch wenn sie während ihrer ganzen Dauer durch eine gleichzeitige Vaguserregung maskiert wird, hinterher in vollem Umfange wirksam werden kann. Es dürfte wohl jedem, der sich mit Reizungsversuchen am Herzvagus des Frosches beschäftigt hat, die Tatsache bekannt sein, daß auch die Zeitverhält- nisse chronotroper und inotroper Wirkungen nicht übereinstimmen. Sind, was ja nicht immer, aber doch häufig der Fall ist, beide Erfolge stark ausgeprägt, so kann man fast jedesmal sehen, daß nach Be- endigung der Reizung die chronotrope Wirkung alsbald abklingt, die inotrope aber noch beträchtlich andauert, so daß dieser eine erheblich ausgedehntere Nachdauer zugeschrieben werden kann. Genauere, namentlich messende Untersuchungen über diese Verhältnisse liegen aber, soweit mir bekannt, nicht vor. Sehr eingehend sind dagegen die Anfjangsstadien negativ chronotroper sowohl wie inotroper Wirkung, also Latenz und Anstiegszeiten dieser Reizerfolge, untersucht worden. Trendelenburg!), der auch über die älteren Versuche von Donders, Nudl, Engelmann u. a. berichtet, fand die Latenzzeit für chronotrope Wirkung ca. 1 Sekunde, für inotrope 0,3—0,4 Sekunden, die Anstiegszeiten für chronotrope Wirkung 1—1,5 Sekunde, für inotrope 3—3,5 Sekunde. Sind wir über einige Punkte durch die vorliegende Untersuchung ge- nügend unterrichtet, so ist doch damit von den ganzen sich hier bietenden Fragen nur ein Bruchteil erledigt. Um die zeitlichen Verläufe der einen und anderen Reizerfolge er- kennbar zu machen, bediente ich mich am besten einer graphischen Veranschaulichung. Um zu einer solchen zu gelangen, bin ich nach allgemeiner Übung so zu Werke gegangen, daß die Zeit als Abszisse, die jeweilige Stärke einerseits des chronotropen, anderseits des ino- tropen Erfolges als Ordinaten aufzutragen waren. Im einzelnen ist dabei mehrerlei zu bemerken. Was den inotropen Erfolg anlangt, so habe ich als Ordinatenwert das Verhält- nis einer jeden einzelnen Kontraktionshöhe zu der vor der Reizung bestehenden normalen Kontraktionshöhe gewählt, also den Bruch C/C,, wenn C' die Höhe der jeweiligen einzelnen Zusammenziehung, C, die normale Kontraktionshöhe be- zeichnet. Dementsprechend kommt die negativ inotrope Wirkung als Senkung der Kurve unter die der Eimheit entsprechenden Ordinatenhöhe, die posi- tiv inotrope als Steigen über die Einheit zur Erscheinung. Als Ab- szissenpunkt, über dem diese Ordinate aufzutragen ist, habe ich immer den Anfangspunkt der betreffenden Kontraktion gewählt. Dies wird einem Be- denken um so weniger unterliegen, als wenn man statt dessen den Zeitpunkt des Kontraktionsgipfels oder irgendeinen Punkt des Anstiegs wählen wollte — woran man ja denken kann — damit kaum eine nennenswerte Anderung der Kurve sich 1) Trendelenburg, W., Über die Summationserscheinungen bei chronotroper und inotroper Hemmungswirkung des Herzvagus. Engelmanns Arch. 1902, Supplementband. Über die Wirkungsweise der Herznerven. 299 ergeben würde. Zu beachten ist freilich, daß die Kontraktionsumfänge nicht immer ein ganz richtiges Bild von der Stärke der inotropen Wirkung geben, wie das vorhin besprochen wurde. Man könnte im Hinblick hierauf wohl auch daran denken, als Maß der inotropen Wirkung lediglich die Höhe der Kontraktionsgipfel zu verwenden. Doch würde diese Darstellung wohl zu noch größeren Bedenken Anlaß geben. Man wird also nun im Auge behalten müssen, daß eine graphische Veranschaulichung der hier gewünschten Art, da sie die Stärke des inotropen Erfolges durch einen Wert auszudrücken hat, niemals ganz erschöpfend sein kann und daß man daher niemals unterlassen darf, neben der graphischen kurven- mäßigen Darstellung auch die Aufzeichnung der Herztätigkeit selbst zu betrachten und zu prüfen. Was die chronotropen Erfolge anlangt, so schien es mir richtig, ihre Darstellung möglichst nach dem gleichen Prinzip wie die der inotropen auszuführen. Ich habe also als Ordinaten die Beträge der Herzfrequenzen, d. h. den reziproken Wert der Herzperiode aufgetragen. Wird dabei als Einheit die vor der Reizung bestehende normale Frequenz zugrunde gelegt, so sind die aufzutragenden Werte durch den Bruch P,„/P gegeben, wo P die jeweilige, P„ die normale Periode bedeutet. Wiederum wird sich der negative verzögernde Erfolg als Senkung der Kurve unter dem Einheitswert, der positive beschleunigende als Erhebung über die Einheit dar- stellen. — Einer besonderen Erwägung bedarf es hier, auf welchen Punkt der Abszisse ein solcher Ordinatenwert aufzutragen ist. Wie lang die einzelne Herz- periode ist, d. h. wie lange nach der voraufgehenden eine Herzkontraktion einsetzt, das bestimmt sich ja offenbar durch einen Ablauf von Vorgängen, dıe sich über einen beträchtlichen Teil dieser ganzen Periode erstrecken. Beziehen wir die in der angegebenen Weise gemessene Größe chronotroper Wirkung, wie es für eine graphische Darstellung erforderlich ist, auf einen bestimmten Zeitpunkt, so ist das stets mehr oder weniger ungenau oder mindestens willkürlich. Ich habe mich schließlich dafür entschieden, den Beginn einer Herzperiode, also den Anfangs- punkt bezw. Fußpunkt einer Kontraktion, der also zugleich auch den Endpunkt der abgelaufenen Herzperiode darstellt, als Abszissenpunkt zu wählen. Dadurch erscheinen die Ordinatenwerte für chronotrope Wirkung über denselben Abszissen wie für die inotrope Wirkung. Die Lösung der vorgezeichneten Aufgabe wird durch mehrerlei Umstände erschwert. Erstlich unterliegt es keinem Zweifel, daß die Stärke der einzelnen Herztätigkeiten durch den zeitlichen Zwischen- raum, in dem sie auftreten, beeinflußt wird. Vergrößerung des Inter- valls, Verminderung der Frequenz vergrößert im allgemeinen den Zuckungsumfang. Unter Umständen geschieht das in der Form, daß die diastolische Erschlaffung weitergeht, also die Ausgangshöhen abnehmen (Sinken der Abszisse), öfter aber auch so, daß die erreichten Kontrak- tionshöhen steigen. Im letzteren Falle pflegt man anzunehmen, daß bei längerem Intervall eine ausgiebigere Wiedererholung stattfindet. Wie dem im einzelnen Fall auch sein mag, jedenfalls haben wir es hier mit einer indirekten Beeinflussung des Kontraktionsumfanges zu tun. Es versteht sich, daß hierdurch vorhandene inotrope Wirkungen mas- kiert, ebenso aber auch inotrope Wirkungen vorgetäuscht werden können, wo in Wirklichkeit solche nicht vorliegen. Schon im Hinblick hierauf ist bei der Deutung der Versuchsergebnisse eine gewisse Vor- sicht geboten. 300 H. Bohnenkamp: Ein weiterer hier zu beachtender Punkt ist der folgende. Die be- schleunigenden Wirkungen sind, wie bekannt, als Wirkungen aufzu- fassen, die die Stellen der Reizerzeugung in den großen Hohlvenen und dem Sinus venosus betreffen. Wird durch eine Beeinflussung dieser Stellen eine starke Beschleunigung herbeigeführt, so kann es kommen, daß die anderen Teile des Herzens, namentlich die Kammer, nach Maß- gabe ihres physiologischen Zustandes sich auf eine so hohe Frequenz nicht einstellen können und demgemäß sich entweder dauernd auf eine Halbfrequenz einstellen oder auch wohl in nicht ganz regelmäßiger Weise ab und zu einen Schlag ausfallen lassen. Endlich wird die Erkennung der zeitichen Verläufe dadurch erschwert, daß im allgemeinen eine Mehrzahl von Fasern gereizt und dadurch eine Kombination mehrerer Wirkungen herbeigeführt wird. Ist z. B. nach der Reizung eines gemischten Nerven eine Verlangsamung des Herz- schlages eingetreten, die nach einer bestimmten Zeit ihren Höchstwert erreicht hat, um einer Wiedervermehrung der Frequenz Platz zu machen, so kann man im Zweifel sein, ob wirklich die negativ chronotrope LA € U,D0S. INO Wirkung Wirkung Unag. ım reg.chronolrope 905. Chronofr: Abb. 9. Vers. 48 A. (29.1.1921). ———— Zeitlicher Verlauf der chronotropen Wirkung des Vor- hofs. Zeitlicher Verlauf der inotropen Wirkung des Vorhafs. | | Reiz beiR.A.S,5 cm. Wirkung, die verlangsamende Reizwirkung in diesem Zeitpunkt ihren Gipfel! überschritten hat, oder ob hier der später einsetzende Erfolg beschleunigender Fasern bemerkbar wird. Dieser letzten Schwierigkeit würde sich allerdings ausweichen lassen, wenn es gelänge, mit Hilfe der Auffaserung Fasergruppen zu isolieren, die in funktioneller Hinsicht als einheitlich betrachtet werden dürfen. Es ist daher hier der Ort, auf diese eingangs gestreifte Frage zurückzukommen. In dieser Hinsicht sei zunächst angeführt, daß man oft bei Reizung schon ungemein dünner Faserbündel noch in ausgesprochener Weise die Kombination fördernder und hemmender Wirkungen zu sehen be- kommt. Beispiele hierfür bietet die Abb. 9, die den Erfolg der Reizung eines auch unter der Lupe nicht mehr weiter zerlegbaren Bündelchens veranschaulicht. Man sieht hier, daß die verlangsamende Wirkung bei der 11. Sekunde ihren Höchstwert erreicht hat, bei der 14. Sekunde ist sie der ursprünglichen wieder gleich geworden. Von der 30. Sekunde ab ist die Beschleunigung unmittelbar erkennbar. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber sind die Kammerschläge von der 14.— 28. Sckunde auf Halbfrequenz eingestellt gewesen, denn wir sehen bei der Über die Wirkungsweise der Herznerven. 301 33. Sekunde nochmals ein weit größeres Intervall eingeschoben. Jedenfalls ist der kombinierte Erfolg, Verlangsamung mit darauffolgender Beschle unigung hier unzweideutig erkennbar, trotz der Kleinheit des gereizten Faserbündels. Auch inotrop sieht man die anfängliche Abschwächung von einer allerdings nicht sehr ausgesprochenen Verstärkung gefolst. Ein ähnliches Bild zeigt die Abb. 10. Hier ist zuerst, noch während der Reizung ein verfrühter und verstärkter Herzschlag erkennbar (Stromschleifen ?). Dann folgt nach vorübergehender Verlangsamung eine sehr ausgesprochene Beschleu- nigung, während inotrop nur eine mäßig positive Wirkung hervortritt. [1 Zn. _, Wirkung ‚205. chronotr: ‚Pos. Mofr. U, N De chronofrd) uneg. inofrope Wirkung SSS Sm SISYo2 — .-_ ——- En un En a ra 1. ol ı en ee | Er Er N 5 22 TRZESNBESEE .- 0" Tui Alf 255 30” 35% 40” 45" 50" Abb. 10. Vers. 37. EI. (8. I. 1921). Vorhof. | __ | Reiz bei R. A. 0,0 cm. Sonst s. oben. In nicht seltenen Fällen gelingt aber die Isolierung rein fördernder Fasern. Besonders belehrend sind die Fälle, in denen zunächst ein Bündelchen erhalten wird, bei dessen Reizung man zwar starke be- schleunigende Wirkung erhält, der jedoch noch eine Hemmungswirkung vorausgeht. Bei nochmaliger Aufspaltung aber erhält man dann zuweilen ein kleineres Faserbündel, bei dessen Reizung die fördernde Wirkung rein hervortritt, von einer vorausgehenden Hemmung aber nichts wahr- nehmbar ist. Ein Beispiel dieses vorzugsweise wichtigen Verhaltens bietet Abb. Ila und b. Sie zeigt den Verlauf der ganzen Arbeitsweise STE 16 SS SERIE gas] 72 SS_,y 33 08 SS S] 06 SIT 0% SPS], IISyo2 en 2345” 10° 15” 20” 25” 30” 35” un” 45” 50” 55 50" 65° Abb. 11a. Vers. 45A. (181. 21.) Zeitlicher Verlauf der chronotropen Wirkung des Vorhofs. - - - — Zeitlicher Verlauf der inotropen Wirkung des Vorhois. | ZalnReizibei R.A. 11;5:cm. Io IS SIT III SIz ISS sI So = oo —1,0 ze=mme mann | LEER ENTE 70” 7 KRESEIEZ 0 ZIEEEaer 5 "EERTE3 0 UNEmaR 7572 0BERIR GO EEE UST EEE 50 RSS ET; Abb. 11b. Derselbe Versuch nach Aussonderung beigemischter Vagusfasern. Reiz bei R.A. 65 cm. 302 H. Bohnenkamp: bis zum eigentlichen Endziel der Auffindung reiner accelerierender Fasern. Abb. 1la erweist noch die Beimischung von Vagusfasern, in I11b kommt die Acceleration rein zum Ausdruck. Man hätte wohl erwarten können, in ähnlicher Weise auch zu einer Sonderung chronotroper und inotroper Hemmung gelangen zu können, Denn, wenn man auch von mehr oder weniger bestrittenen theoretischen Gesichtspunkten ganz absieht, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß die chronotropen Erfolge durch Fasern hervorgerufen werden, die an den Sinus oder die großen Hohlvenen gehen, die inotropen dagegen durch solche, die in die Muskulatur der Vorhöfe und der Kammer selbst ein- treten. Diese Erwartung hat sich indessen nur zum Teil bestätigt. Daß das Verhältnis des verzögernden und des abschwächenden Er- folges ein sehr wechselndes ist, darf als bekannt gelten. Auch ich habe mich ausgiebig davon überzeugt. Es ist mir nun bei meinen Auffase- rungen mehrfach vorgekommen, daß zwar nicht dieses Verhältnis sich änderte, wohl aber die chrono- und inotropen Erfolge im allgemeinen durch Reizung verschiedener Nervenfibrillenbündel sich sehr ver- schoben haben. Ich bekam gelegentlich negativ inotrope Wirkungen bei positiv chronotropen und positiv inotropen Wirkungen bei Ver- langsamung des Herzschlages oder unveränderter Frequenz zu sehen. Am selben Herzen einmal ein nur schwächendes, und ein- mal ein nur verlangsamendes Bündel zu erregen, ist mir aber nicht gelungen. Trotz der erwähnten Schwierigkeiten lassen sich nun aus den Be- obachtungen, sobald die Erfolge in der angegebenen Weise graphisch veranschaulicht werden, eine Anzahl von Tatsachen einwandfrei er- weisen. So bestätigt man zunächst leicht, was häufig auch der Versuch schon unmittelbar erkennen läßt, daß die chronotropen und die ino- tropen Erfolge hinsichtlich ihres zeitlichen Verlaufes verschieden sind. Und zwar besteht dieser Unterschied wesentlich darin, daß die Ab- schwächungen eine längere Nachdauer zeigen. Dagegen sind die Zeiten, während deren der Erfolg zunimmt, die Anstiegszeiten nicht oder doch nur unerheblich verschieden, so sieht man in Abb. 12, 13, 14, 15, 16 und 17 die beiden Kurven genau oder doch annähernd in gleichem Zeitpunkt ihre tiefste Einsenkung erreichen. Das Nämliche gilt auch für die Abb. 18, die die Verhältnisse des Kammerschlages darstellt. Nur in Abb. 19 fallen die tiefsten Einsen- kungen etwas auseinander, und zwar erreicht die Verzögerungswirkung hier bei Sekunde 5,2, die Abschwächung erst bei Sekunde 7,2 den Höchstwert. Ich habe, um diesen Punkt näher hervortreten zu lassen, in der folgenden Tabelle für eine größere Zahl von Versuchen die Gipfelzeiten der chronotropen und der inotropen Hemmung zusammengestellt. Über die Wirkungsweise der Herznerven. 303 ‚905, Chrono y 1,4 - uposmom \4g2| | Wirkung 7 eg. chronofr Leg mol 0,6 Wirkung |\0,4\ | 0,2 Fa ' 1 FR Seas enter nenei Arena ent lenererenelereneeneleeerenen 00T gg 3 wor 707 Zu 20” 25° 30" 35” VOUS 507 55 Abb. 12. Vers.?9 CI (6. 1.21) Vorhof. [7] Reiz bei R. A. 9,4 cm. 203. mo | 7, 4005.10 | 7, Wirkung _\ , ), x [7 SA neg. chronofr SS S u, neg. molr. 96 SSS Wirkung | 0# Sex [0 02 a | Se Nee | 077 2345” 70" 75 20” ITTAIRT 70" 760 20” 25” 30" Abb.13. Vers. 15 A (6. XI. 20). Abb. 14. Vers. 13 A (3. XI. 20) Vorhof. ezmsmlFReiz'bei R.A. 6,3!cm. SmmmlReiz bei R. A. 5,2 cm. IS) chronofr inofr Z Wirkung eg, um SSSSSAN < SUR SS 12345 TE 7 FT zo Abb. 15. Vers.8B Vorhof. | | Reiz bei R. A. 3,5 cm. v,905.1No!r. irkung p2 ‚005. Chronolr: ' 14 ” 08 veg.chronor \ gg uneg.inofr |, Wirkung | [7 == —— = 00 Tau! | TEN ERTRSYOR ERS re Esel SORT 5% 70” 7 20" 25” 30" Ba [7 45" 50” 55" Abb. 16. Vers. 39 Cz (6. I. 21.) Kammer. | Reiz bei R. A. 9,4 em. —70 SQ Ss ,[07 SS |g6 INS SPS |a4 SIS 102 00 zzemSmsH: l ! ! H JE n ıLJ a j ET EZI3 SE 70” 75” 20° 25 30” 35” [7 Abb. 17. Vers. 46 Ayr (20.1. 21). Vorhof. | _ | Reiz bei R. A. 10 cm. 5 3 Sr INES Ss SS D | SS, Dazukdlen | | Ta3U5” 70” 72 20” 277 30” 35” Abb. 18. Vers. 18 A (20. XI. 20.) Kammer. | | Reiz bei R. A. 11 cm. 005. Chrono. 1 T I u. p05. imofr hr En : irkung N Ohronot: 02 neg. chronofr. u.neg. MoIR 28 Wirkung \0# 0,2 00 L—- - > \ - - ZZ — z — ” IA TRT 10” 75” 20” 25 30 35 Abb. 19. Vers. 35 A (28. XII. 20) Vorhof. * | Reiz bei R. A. 1 cm. >04 H. Bohnenkamp: Tabelle VII. | Höchstwert Versuch | nach Sekunden für Wirkung || ehronotrope | inotrope I 2 Moses 2580 1B 552 22,8:09 2A 11,36 | 7,41 2B 5,62 | 9,35 2C | 4,54 | 6,77 5A | 8,60 | 8,60 (!) 6B | 8,63 8,63 (!) 7B | 12,45 | 15,18 IC | 4,75 | 7,63 SsB 9,05 10,66 13 A 14,74 | 14,74 (!) 15Al 4,93 7,02 15A2 3.94 5,81 17 A 8,43 | 6,30 17 Bl 4,91 | 1,32 17B2 7,46 5,55 15 A 12,08 12,08 (!) 20 A 5,74 | 7,82 142,87 154,76 Es zeigt sich, daß bald die eine, bald die andere Gipfelzeit größer ist. Die aus der obigen Tabelle gewonnenen Durchschnittswerte 8 und 8,6 stimmen fast genau überein. Die Befunde stehen in einem scheinbaren Widerspruch zu denjenigen T'ren- delenburgs, der die Anstiegszeiten für die chronotropen Erfolge kürzer als für die inotropen, überdies für beide beträchtlich niedrigere Werte angibt. Nämlich für die chronotrope 1—1,5, für die inotrope Anstiegszeit 3—3,5 Sek. Bei dem Vergleich muß zunächst berücksichtigt werden, daß die Trendelenburgschen Anstiegszeiten vom Beginn der sichtbaren Wirkung, vom Ende der Latenz gerechnet sind, während ich sie vom Beginn der Reizung gerechnet habe. Wichtiger ist jedoch, daß Tren- delenburg mit ganz kurz dauernden Reizgruppen arbeitete, während ich lange dauernde Reizungen (bis zu 5 Sek.) anwendete. Ich habe dies Verfahren bevorzugt, da es dabei im allgemeinen leichter gelingt, ausgiebige Wirkungen der einen und anderen Art zu erhalten, überdies auch die komplizierten Hilfsmittel entbehrlich werden, die für eine genaue Festlegung der Reizrahl bei den kurzen Gruppen erforderlich sind. Ich bin mir aber wohl bewußt gewesen, daß meine Versuche dadurch für die Beurteilung des anste'genden Verlaufes weniger geeignet werden. Denn es kann natürlich wohl der Fall sein, daß z. B. die einen Reize stark unter- maximal sind, demgemäß eine länger andauernde Summation stattfindet und auch die letzten Reize der ganzen Reizungszeit noch stark ins Gewicht fallen, während vielleicht die anderen relativ stärker sind, so daß der Erfolg schon durch die Reize der ersten Sekunde oder Halbsekunde bestimmt wird und die späteren Reize in dieser Richtung ohne Bedeutung sind. Dieser Schwierigkeit entgeht man, wenn man sich, wie Trendelenburg tat, auf kurzdauernde Reizgruppen beschränkt. Da also in bezug auf diesen Punkt die sorgfältigen Bestimmungen T'rendelenburgs vorlagen, so habe ich nicht für notwendig erachtet, meine Versuche durch die Einrichtungen zu komplizieren, die erforderlich gewesen wären, um in dieser Uber die Wirkungsweise der Herznerven. 305 Beziehung ganz einwandfreie Ergebnisse zu erhalten. Als Resultat kann ich demgemäß meinen Beobachtungen auch nur entnehmen, daß die chronotropen und inotropen Ansti>gszeiten sich nicht sehr erheblich unterscheiden. Es wird also anzunehmen sein, daß die von Trendelenburg gefundenen Unterschiede bei meinen Erfahrungen durch zufällige Schwankungen von anderen Seiten verdeckt werden. Daß also, wie wir aus den angegebenen Versuchen Trendelenburgs entnehmen dürfen, die abschwächenden Wirkungen etwas träger als die verzögernden schon im Anstieg verlaufen, gewinnt an Interesse durch die weitere Feststellung, daß die inotropen Erfolge in den meisten Fällen die weit längere Nachdauer zeigen. Es ist dies an den mitgeteilten Versuchen 13, 14, 17 und 19 sehr deutlich zu sehen, wie ein Blick auf die Kurven erkennen läßt. Um auch einen zahlenmäßigen Beleg für diese Verhältnisse zu geben, habe ich in der folgenden Tabelle VIII im 3. Stab d’ejenigen Beträge inotroper Wirkung ange- gegeben, die in demjenigen Zeitpunkt vorhanden sind, in dem der verzögernde Erfolg zu Ende ist. Im 2. Stab ist der Höchstbetrag angegeben, den die ab- schwächende Wirkung überhaupt erreicht hat. Es ist auf diese Weise leicht erkennbar, daß in dem Augenblick, wo die ursprüngliche Frequenz erreicht ist, die Abschwächung noch in erheblichem Betrage andauert, ja sogar meist erst in mäßigem Ver- hältnis von ihrem Höchstbetrage abgesunken ist. Tabelle VIII. (Erklärung s. u.) Höchstbetrag | Betrag inotroper Wir- Versuch | INOSEODEr en a. ne le nn Bemerkungen | VERSENS | unmittelbar ce N 70 0,74 0,22 Vorhof | 0,22 0,17 0,23 Kammer 6B | 0,92 0,93 Höchstwert noch Vorhof | nicht erreicht SıBine 2 0,91 | 0,82 0.09 Vorhof 13 AI | 0,95 0,73 0,23 Vorhof | 0,55 0,55 6,0 Kammer 35 A | 0,64 0,64 0,0 Vorhof | 0,30 0,30 0,0 Kammer 39C | 0,93 0,17 0,82 Vorhof | 0,67 0,08 0,88 Kammer 46 A | 0,94 0,44 0,53 Vorhof | 0,14 0,10 0,29 Kammer ABI | 0,95 0,95 0,0 Vorhof | 0,50 0,47 0.06 | Kammer Ein vielleicht noch besseres Bild gewinnt man, wenn man die Zeitpunkte ermittelt, zu denen die inotrope Hemmung auf einen bestimmten Bruchteil ihres Höchstwertes abgesunken ist. Wie man dies des genaueren definieren will, ist allerdings einigermaßen willkürlich, aber auch nicht von großer Bedeutung, da es sich nur darum handelt, eine bestimmte zahlenmäßige Illustration zu geben. Ich 306 H. Bohnenkamp: bin so zu Werke gegangen, daß ich als Maß für den jeweiligen Grad inotroper Wir- kung den Betrag genommen habe, um den der mehrerwähnte Quotient O/C\ hinter der Einheit zurückbleibt. Ist also z. B. der geringste Wert desselben 0,3» so würde hier die inotrope Wirkung mit 0,7 bewertet. Als ein bestimmtes Absinken derselben wäre z. B. dann anzunehmen, wenn dieser Wert sich auf die Hälfte ver- mindert hat, also 1—0,35 geworden ist, oder, mit anderen Worten, unsere, die inotrope Wirkung darstellende Kurve die Höhenlinie 0,65 schneidet. Die Zusammen- stellung Tab. VIII enthält für eine Anzahl von Versuchen einerseits das Ende der chronotropen Wirkung, andererseits die Zeitpunkte, zu denen die inotrope Wirkung auf einen gewissen Teil ihres Höchstwertes abgesunken ist. Obwohl diese Verhältnisse mit großer Regelmäßigkeit zur Beobechtung kommen, darf ich doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß ich auch ge- legentlich Abweichungen beobachtet habe. Eine solche bildet z. B. der in Abb. 12 und 18 dargestellte Versuch, in dem die verzögernde und die abschwächende Wir- kung annähernd parallel verlaufen. Wenn man den mitgeteilten Tatsachen die Folgerung entnimmt, daß der zeitliche Verlauf der chronotropen und der inotropen Hemmungs- wirkungen namentlich hinsichtlich der Nachdauer verschieden ist, so kann dagegen ja nun der Einwand erhoben werden, daß die Nachdauer der chronotropen Wirkung durch die später einsetzenden beschleu- nigenden Erfolge verdeckt worden sei. In ganz zwingender Weise läßt sich das allerdings wohl kaum ausschließen. Doch kann man wohl mit Grund diese Deutung für sehr unwahrscheinlich erklären. Denn wir finden in zahlreichen Fällen, daß die Frequenzverminderung nach Ablauf einer bestimmten Zeit einfach auf den ursprünglichen Wert zurückgeht, eine positiv chronotrope Wirkung aber gar nicht zur Be- obachtung kommt. Dies läßt ein Blick auf die Abb. 15, 17 und 18 erkennen. Wenden wir uns dem zeitlichen Verlauf der fördernden Wirkungen zu, so läßt schon ein Blick auf die Kurven 20 und 11b!) erkennen, daß ‚20s.chronolr. u.p05.1nofr Wirkung ET ee "au am au" ae” ea Abb. 20. Vers.37C (8.1.21) Vorhof. | ____| Reiz bei R.A. 0,5 cm. wir hier," wie es nach dem für den Säuger bekannten Tatsachen zu er- warten war, einen noch beträchtlich trägeren Verlauf als bei den Hemmungserfolgen haben. Auch hier jedoch läßt die Einzelbetrachtung eine Anzahl von Tatsachen erkennen, die nicht so selbstyerständlich sind, z. T. sogar etwas Überraschendes haben. 2) s. Seite 301. Über die Wirkungsweise der Herznerven. 3 Zunächst sei hier noch darauf hingewiesen, daß von den erhaltenen Kurven einige, 9 und 10, Unregelmäßigkeiten erkennen lassen, die eine genauere Prüfung und Erörterung not- wendig machen (s. Seite 300 und 301). Die sprungweisen Einsenkungen, die diese Kur- ven darbieten, zeigen ja an, daß in eine Reihe von Herzschlägen höherer Frequenz ein oder einige Male eine längere Periode eingeschaltet ist. Hier liegt offenbar die vorhin schon angedeutete Erscheinung vor, daß die Kammer den schnellen Vorhofsschlägen noch nicht ganz zu folgen vermag und daher ein Kammerschlag ausfällt. Ist aber dies der Fall, so wird mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, daß auch schon vorher die Kammer der Frequenz des Vorhofschlages nicht mehr voll zu folgen vermochte, sondern sich auf Halbfrequenz eingestellt hat. Die mit dieser Komplikation behafteten Versuche sind also nicht geeignet, uns ein Bild von dem Zeitverlauf der accelerierenden Wirkung zu geben und müssen hier ausscheiden. In anderen Fällen sehen wir die fördernden Wirkungen zwar ohne diese Komplikation dargestellt, doch gehen ihnen die hemmenden Wir- kungen voraus, so daß wir daraus auf den Reizerfolg gemischter Faserbündel schließen dürfen. Nehmen wir an, daß in dem Zeitpunkt, wo die fördernde Wir- kung bemerklich wird, die hemmenden Erfolge bereits sanz abgeklungen sind, so würde sich in diesen Kur- ven der Zeitverlauf der fördernden Wirkungen, ab- gesehen von einem kurzen Anfangsstück, erkennen lassen. Doch kann das namentlich für die inotropen Erfolge nicht als sicher betrachtet werden. Ganz ein- wandfrei sind also für die uns hier beschäftigende Frage nur die Versuche zu verwerten, in denen bei Reizung rein fördernder Nervenbündel eine voraufgehende Hemmungswirkung nicht erkennbar ist und in denen der glatte und einheitliche Verlauf der Kurven mit Wahrscheinlichkeit den Schluß gestattet, daß lediglich fördernde Fasern gereizt worden sind. Von dieser Art sind die Kurven 20, 21 und 11b. Prüft man zunächst, nach wie langer Zeit die Höchstwerte der Wirkung erreicht werden, so sieht man, daß diese beträchtlich schwanken. Sie bewegen sich zwischen 6 Sekunden bei Abb. 21 und 18 Sekunden bei Abb. I1b vom Beginn der Reizung an gerechnet. Es ist wohl anzunehmen, daß diese Unterschiede mit den oben erwähnten Verhältnissen der Summation in Zusammenhang stehen. Es würden Versuche 95" 700" 90" 35” 75" 70” Go 60" Reiz bei R. A. 70" Zu Vers. 54 A (28. II. 21.) Vorhof. a up" 75 ee + Bseenaeen 70” „ SL | Az Ne SS | iS l | j | } NOS SNOIS SH ND VÄTRORRTUONS SO ST ——— Bunyıy | you 'sod'n 40U04/2 500 22 cm. 21. Abb. 308 H. Bohnenkamp: mit kurzen Reizgruppen erforderlich sein, um dies des genaueren auf- zuklären. Vorderhand läßt sich nur sagen, daß auch der Unterschied in den Zeitverhältnissen beschleunigender und verlangsamender Wir- kung im Anstieg und Gipfelzeit doch relativ wenig hervortritt, da- gegen aber in dem Abklingen des Erfolges sich vorzugsweise ausgeprägt findet. Hier fällt ja in der Tat die sehr lange Nachdauer sogleich ins Auge. Die Messung lehrt, daß, wenn wir die Größe des jeweiligen Er- folges in der gleichen Weise bewerten, die vorhin für die hemmende Wirkung angewendet wurde, daß noch 50, 60, ja selbst SO Sekunden nach der Reizung noch sehr ansehnliche Beschleunigungen vorhanden sind (s. Kurven). Bemessen wir die Stärke des jeweils vorhandenen Erfolges nach dem gleichen Prinzip, das vorhin für die verzögernde und schwächende Wirkung angewendet wurde, so ist hier zur zahlen- mäßigen Angabe der gewünschten Verhältnisse eine kleine Abänderung nötig. Um nämlich den Zeitpunkt festzustellen, zu dem die Beschleunigung abge- klungen war, die Herzperiodendauer, also die gleiche, wie vor der Reizung war, reichten die mechanographischen Kurven oft wegen der langen Dauer der Wirkung und dem raschen Trommelumlauf nicht aus. Es wurde deshalb in der folgenden Tabelle so verfahren, daß in der Herzperiode, die gerade 30 Sekunden nach teizbeginn ablief, jeweils in der oben erwähnten Weise die chrono- und inotrope Wirkung festgestellt wurde. Das weitere geht aus den Angaben der Tabelle hervor. Tabelle IX. | | Betra E Betrag | \ a | Höchstbetrag Reizbeginn | Höchstwertes Höchstbetrag | Reizbeginn Höchstwertes | unmittelbar | unmittelbar 39D | 0,8 0,53 0,09 04 | 0 0,0 oE | 07 | 027 0,0 0200018 0,10 3A | 045 0,33 0,27 0390217 #039 0,0 37.20 12.0.9085 1100.95 0,03 0,54 0,54 0,0 | 098 | 0,9 0,03 0,19 0,19 0,0 sD | 10 | 116 0,17 0,14 0,10 0,27 50CH| 136 | 1,08 0.20 0,65 0,63... 0100.03 4A | 018 | 012 0,33 1,20 0,9000 7250,07 SIE. |. 2032 0. 2002 70200 0,73 0,70 0,04 Die Tabelle lehrt, daß offenbar !/, Minute nach Reizbeginn des N. sympathicus nur eine ganz geringe Abnahme der Höchstwirkungen chrono- und inotroper Art wahrzunehmen ist. In der Mehrzahl der Fälle hat an diesem sehr früh gewählten Zeitpunkt die chronotrope Wirkung bereits mehr von ihrem Höchstwerte eingebüßt als die ino- trope. Doch können sichere Schlüsse aus oben dargelegten Gründen aus dieser Tabelle nicht gezogen werden. In den Fällen, in denen die Wirkung längere Zeit, 1 Minute und länger, verfolgt werden konnte, Über die Wirkungsweise der Herznerven. 309 zeigt die inotrope Wirkung ohne Ausnahme einen trägeren Verlauf, d.h. eine geringere Abnahme als die chronotrope Wirkung. Wir haben an letzter Stelle noch zu prüfen, wie sich bei den för- dernden Erfolgen die chronotropen und die inotropen hinsichtlich ihres zeitlichen Verlaufes gegeneinander verhalten. In dieser Hinsicht scheinen die Kurven zu lehren, daß der Gipfel der verstärkenden Wirkungen in der Regel später als der der beschleunigenden erreicht wird. Nur der Versuch Abb. 20 bildet in dieser Richtung eine Ausnahme. Man wird jedoch gerade hier die vorhin schon als Deutungsschwierigkeit erwähnten Zusammenhänge zwischen Frequenz und Schlaggröße beachten müssen. Hat der beschleunigende Erfolg seinen Höchstwert überschritten und beginnt das Herz wieder langsamer zu schlagen, so kann natürlich allein hierdurch eine Vermehrung der Schlagstärke bewirkt und ein Ansteigen verstärkender Erfolge vorgetäuscht werden. Ein ganz bestimmtes Urteil kann also über diesen Punkt nicht abgegeben werden. Zusammenfassung: Durch die Auffaserung des Vagusstammes nach v. Skramlik gelingt es in vielen Fällen, rein hemmende und rein fördernde Stämmchen zu erhalten, während bei Reizung des ganzen Stammes oder anderer (gemischter) Bündel wechselnde Kombinationen beider Erfolge erzielt werden. Eine Zerlegung in Fasern, die rein chronotrop oder rein inotrop wirkten, gelingt dagegen nicht. Das Studium der Kontraktionskurven lehrt, daß der Vagus eine Verfrühung der Diastolen bewirkt, die Systolen also verkürzt; auch setzt die Diastole plötzlicher ein als bei unerregten Nerven. Der Vagus veranlaßt außerdem eine Verlangsamung der Zusammenziehung, die Anstiege werden flacher (negativ klinotrope Wirkung). Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß der Vagus die Erschlaffungs- (distrahierenden) Vorgänge begünstigt und verstärkt; ob er auch den Vorgang der Zu- sammenziehung hemmt, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden. Der N.accelerans bewirkt eine Beschleunigung der Kontraktion, die in einem steileren Anstieg der Kurve zur Erscheinung kommt (po- sitiv klinotrope Wirkung). Auch ist in vielen Fällen die Kontraktion zeitlich verlängert. Letzteres t.ifft jedoch nicht immer zu; vielmehr erscheint oft auch die Erschlaffung beschleunigt. Dies hängt vermutlich nicht davon ab, daß der Accelerans die distrahierenden Vorgänge direkt antriebe, sondern die Erschlaffung wird indirekt dadurch verstärkt, daß ein höherer Kontraktionsgrad erreicht worden ist. Durch Erregung der sympathischen Nerven kann der Zustand des Herzens auch in tiefergehender und dauernder Weise geändert werden; es gelingt, erschöpfte, sich kaum merkbar kontrahierende Herzteile zu deutlichen und guten Zusammenziehungen zu veranlassen; auch ist 310 FH. Bohnenkamp: Über die Wirkungsweise der Herznerven. es mir in einigen Fällen gelungen, ein nicht mehr schlagendes Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Eine kurvenmäßige Darstellung des zeitlichen Verlaufes der ver- schiedenen Wirkungen lehrt, daß die beiden hemmenden Wirkungen ungleich verlaufen: beim Abklingen hört die chronotrope Wirkung relativ früh auf, während die inotrope meist weit länger nachdauert. Der Verlauf der fördernden Wirkungen ist noch beträchtlich langsamer als der der inotropen Hemmungen. Auch hier schwindet der chronotrope Erfolg früher als der inotrope. Die Zeiten, nach denen die verschiedenen Wirkungen ihren Höchst- betrag erreichen, wurden bei verschiedenen Herzen stark wechselnd gefunden, was sich mit den von Trendelenburg untersuchten Verhält- nissen der Summation in Zusammenhang bringen läßt. Meinem hochverehrten Teheer Bon Kries möchte ich auch an dieser Stelle für die Anregung zu dieser Arbeit, die Anteilnahme daran und die mannigfach gewährte Unterstützung meinen besten Dank sagen. Ebenso bin ich von Skramlik für seine Hilfe und methodischen Rat- schläge zu Dank verpflichtet. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle.) Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen des Tast- raumes zum Sehraume. II. Mitteilung. Von Privatdozent Dr. phil. et med. Ernst Gellhorn, Assistent am Institut. Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Juni 1922.) Die Beziehungen des Tastraumes zum Sehraum sind außerordentlich enge. Es geht dies nicht allein aus der entwicklungspsychologischen Forschung!) hervor, sondern zeigt sich noch besonders deutlich, wenn die Verwertung räumlicher Gesichtseindrücke schwer beeinträchtigt ist?2). Trotz der Einheitlichkeit unserer Raumwahrnehmung bestehen dennoch erhebliche Diskrepanzen zwischen den räumlichen Empfin- dungen und Vorstellungen, die von dem gleichen Reiz durch verschiedene Sinnesorgane ausgelöst werden. Die Beziehungen zwischen der Größen- schätzung durch Bewegungsempfindungen und -Vorstellungen und durch Gesichtswahrnehmungen sind in der ersten Mitteilung dargelegt worden). Ebenso konnte die Schärfe des Ortssinnes der Haut mittels taktiler Empfindungen und Vorstellungen verglichen werden mit der Genauig- keit, mit der eine Versuchsperson lediglich durch Gesichtsvorstellungen die Lage eines gereizten Druckpunktes wiederfindet. Interessant sind auch die neueren Untersuchungen Lohmanns*) zur absoluten Tiefenlokalisation. Doch soll eine weitere Erörterung der Literatur an dieser Stelle unterbleiben, da ich an anderem Orte?) kritisch auf die ganze Frage eingegangen bin. Zweck der vorliegenden Mitteilung ist es, festzustellen, inwieweit durch den Raumsinn der Haut im Verhältnis zur Raumwahrnehmung durch das Auge verschiedene Auffassungen extensiver Größen ver- !) William Stern, Zeitschr. f. angew. Psychol. 2. 1909. — Bühler, Die geistige Entwicklung des Kindes. Jena 1919. 2) Vgl. Gelb und Goldstein, Zeitschr. f. Psychol. 83, 1. 1919. 3) Gellkorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 215. 1921. *) Lohmann, Arch. f. Augenheilkunde 88, 16. 1921. 5) Gellhorn, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 72, 267. 1921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 21 312 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- mittelt werden. Für einfache Distanzen sind wir in dieser Hinsicht durch die Untersuchungen von Fit!) unterrichtet. Es fragte sich nun, inwieweit wir durch den ruhenden Tastsinn auch komplizierter gebaute geometrische Formen wahrzunehmen imstande sind. Doch wollten wir uns nicht mit der rein qualitativen Feststellung, unter welchen Bedingungen bestimmte geometrische Figuren?) erkannt werden, be- gnügen, sondern die Verhältnisse quantitativ studieren, um so gleichsam die physiologischen Grundlagen einer Elementargeometrie des Tast- sinnes zu bestimmen. In der vorliegenden Mitteilung wird untersucht, inwieweit der ruhende Tastsinn die Erkenntnis des Winkels vermitteln kann, den zwei auf die Haut aufgelegte Schenkel miteinander bilden und welchem Sehwinkel der jeweilige Tastwinkel entspricht. Dabei wird der rechte Winkel eine besondere Berücksichtigung erfahren, In einer weiteren Mitteilung wird die Unterschiedsschwelle für Tastwinkel in ihrer Abhängigkeit von der Größe des Winkels, sowie die Geradheitsschwelle und die Be- dingungen des taktilen Parallelitätseindruckes untersucht werden. Methodik. Nachdem ich mich anfangs mit gutem Erfolg eines rein behelfsmäßig kon- struierten Winkelmessers bedient hatte, ließ ich folgenden kleinen Apparat anfertigen, der in Abb. 1 wiedergegeben ist. Der Apparat?) besteht aus einem in Winkelgrade eingeteilten Transporteur, an dem eine in der Nullinie fixierte und eine um den Kreismittel- punkt drehbare Messing- platte befestigt ist. Beide Messingplatten tragen je eine mit Schrauben ver- stellbare dünne Lamelle, die dünne Messingplatten von 0,2mm Dicke und _ belie- biger Länge fixieren. Durch wenig Handgriffe kann also: die Schenkellänge des Reizwinkels variiert werden, oder der Winkel kann auch durch Einsetzen entsprechender Ersatzteile teilweise oder ganz durch Punkt- distanzen ersetzt werden. Die Hand, bzw. der Unterarm wird durch eine ge- eignete Unterlage fixiert. Die Länge der Schenkel beträgt 25mm. Die Kanten .!) Arch, f. d. ges, Psychologie 3%, 420. 1914. 2) Hierüber hat Herr Geheimrat Ziehen gründliche Untersuchungen durch Karl Schulze (Gestaltwahrnehmung von drei und mehr Punkten auf dem Ge- biete des Hautsinnes. Langensalza 1921) anstellen lassen (Dissertation. Halle 1921). Die Einsichtnahme in die Arbeit wurde mir durch die Liebenswürdigkeit von Herrn Geheimrat Ziehen noch vor dem Erscheinen möglich. Die vor- li.genden Untersuchungen waren aber bereits abgeschlossen. 3) Zu beziehen durch den Universitätsmechaniker Paul Polikeit, Halle a. 8. dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 313 des Apparates sind von dem Scheitelpunkt je 6mm entfernt. Der Scheitel- punkt selbst berührt nicht die Haut, so daß strenggenommen nicht ein Winkel die Haut berührt, sondern vielmehr zwei Seiten, deren Verlängerungen sich in einem bestimmten Winkel schneiden, Allgemeine Vorbemerkungen. Bei simultaner Darbietung beider Schenkel ist für die meisten Versuchspersonen die Beurteilung der Winkelgröße eine so schwierige Aufgabe, daß Winkel von 40° oder 130° häufig nicht als spitz bzw. stumpf erkannt werden. Es ist deshalb bei allen Versuchspersonen die sukzessive Darbietung der Schenkel vorgezogen worden. Dabei wird der erste Schenkel stets in der Längsachse des Armes aufgelegt; nach 2—4 Sekunden wird der zweite Schenkel aufgesetzt, während der erste Schenkel unverändert liegen bleibt. Nach abermals 2—3 Se- kunden wird der Winkel abgehoben. Bei allen Versuchspersonen wird jeder Winkel zweimal hintereinander dargeboten, da nach einmaliger Darbietung ein sicheres Urteil, ob der Winkel spitz, stumpf oder recht sei, oft nicht abgegeben werden konnte. Nur bei Vp. Ha., deren Tast- sinn zweifellos am feinsten ausgebildet ist, genügte fast immer die einmalige Applikation des Reizwinkels. Die Verwendung von Pappe oder ähnlichem Material für die Schenkel des Winkels, das von anderen Autoren!) zur Untersuchung des Raumsinnes der Haut herangezogen wird, um das Auftreten von Temperaturempfindungen zu vermeiden, erwies sich als unzweckmäßig, da wir mit sehr schmalen (0,2 mm starken) Kanten arbeiten müssen, um eine sichere Winkelvorstellung zu erhalten. Für die Untersuchung der Erkennung von Winkeln durch den ruhen- den Tastsinn — es wurde stets streng darauf geachtet, daß feine Tast- bewegungen (Tastzuckungen) von der Versuchsperson nicht ausgeführt wurden — wurden drei Hautbezirke benutzt: 1. rechte Hohlhand; 2. rechter Handrücken; 3. rechter Unterarm in seinem am meisten distal gelegenen Bezirk. An der Hohlhand wird der erste, in der Längsachse des Armes liegende Schenkel stets auf dem Hypothenar so aufgesetzt, daß der Scheitelpunkt des Winkels proximal gelegen ist. Ist der Winkel spitz, so verläuft also der zweite Schenkel etwa in der Richtung nach dem Grundgelenke des zweiten oder dritten Fingers, ist er recht oder stumpf, so geht seine Richtung nach dem Daumenballen. Die Applikation des Reizwinkels auf dem Handrücken war erheblich schwieriger, weil die geringere Muskulatur des Handrückens und seine individuell seh: verschieden starke Wölbung es sehr erschweren, die Schenkel des Reiz- winkels der Haut in ihrer ganzen Länge gut anzupassen. Es wurde 1) Ziehen. DU 314 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- deshalb, je nachdem welcher Hautbezirk des Handrückens günstiger ist, bald die radiale bald die ulnare Hälfte zu den Versuchen benutzt, im übrigen aber auch hier wieder gleichmäßig verfahren, indem zuerst der in der Längsachse des Armes befindliche Schenkel aufgelegt und der Scheitelpunkt stets proximal gewählt wurde. Am Unterarm wird der erste Schenkel in der Längsachse an der ulnaren Seite aufgelegt. Auch hier liegt der Scheitelpunkt des Winkels stets proximal. Mit Ausnahme der Vp.Ei., deren Konfiguration des Handrückens ein einigermaßen gleichmäßiges Aufliegen der Schenkel des Winkel- apparates unmöglich machte, wurden bei allen Versuchspersonen die Versuche in der Reihenfolge: Hohlhand, Handrücken, Unterarm (Volarfläche) vorgenommen An jedem Versuchstage wird jeder Winkel ein- bis zweimal gegeben; die Reihenfolge ist dabei völlig unregelmäßig. Die Fortführung der Versuche während 10—15 Tagen für jeden der drei Hautbezirke gestattete es, mittels der Vollreihenmethode die Schwellenwerte zu berechnen und dadurch festzustellen, welchem Winkel an jedem der drei Hautbezirke die Vorstellung des rechten Winkels entspricht. Bei den Versuchen mußte peinlichst darauf geachtet werden, keine lokale Ermüdung der Haut herbeizuführen. Aus diesem Grunde mußte die Zahl der täglichen Versuche auf höchstens 20—25 Winkel beschränkt werden. Dabei gingen wir stets in der Weise vor, daß der Winkel niemals an genau derselben Stelle aufgesetzt wurde; vielmehr wurde darauf geachtet, daß der folgende Winkel mit seinem ersten Schenkel gegen den vorhergehenden mit einer Verschiebung von einem oder mehreren Millimetern aufgesetzt wurde. Was die Intensität des Druckes anlangt, so konnte von einer auf mechanischem oder elektrischem Wege erreichbaren Gleichmäßigkeit deshalb abgesehen werden, weil die Stärke des Druckes, die bei den einzelnen Versuchspersonen zur Wahrnehmung des Reizwinkels not- wendig war, außerordentlich variierte. Bei Vp. Ha. z. B. genügte ein sehr geringer Druck, wie er durch leichtes Aufsetzen des Winkelapparates erzielt wurde, stets zur Erkennung des Winkels. Stärkeres Aufsetzen des Reizwinkels wirkte schon sehr störend durch das gleichzeitige Auf- treten von Schmerzempfindungen. Anderseits zeigte sich die Vp. Ei. bei Anwendung des gleichen Druckes völlig außerstande, den Reiz- winkel wahrzunehmen. Vielmehr mußte der Winkel so stark aufgesetzt werden, daß deutliche Spuren auch nach Fortnahme des Reizwinkels auf der Haut fortbestanden. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich die Drucke, die bei den übrigen Versuchspersonen angewendet wurden. Maßgebend für die Intensität des Druckes war ebenso wie für die Dauer der Berührung der Haut mit den Schenkeln und das Intervall zwischen dem Aufsetzen des ersten und des zweiten Schenkels dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 315 lediglich das Bestreben, für jede Versuchsperson die individuell ver- schiedenen optimalen Versuchsbedingungen herzustellen, sowie beide Schenkel mit gleichem Druck aufzusetzen. Versuche. Es wurden stets sogenannte Vollreihen angewendet, d.h. die Größe der Reizwinkel bewegte sich in einem so großen Intervall, daß die extremen Winkel stets (in 100%) richtig, d.h. als spitz bzw. stumpf erkannt wurden. Je mehr die Winkelgröße sich dem rechten näherte, nahm die Zahl der ‚Spitz-“ bzw. ‚„Stumpf“-Urteile ab. Die Angabe der Versuchsperson, der Winkel sei rechtwinklig oder unsicher, wird relativ selten gemacht. Es hat sich deshalb als zweckmäßig erwiesen, die Zahl der Urteile: ‚unsicher‘ oder ‚rechtwinklig‘ zu gleichen Teilen auf die Zahl der ‚spitzen‘ bzw. „stumpfen‘‘ Urteile zu verteilen. Die Zahl der ‚Stumpf“-Urteile ergibt sich aus den Tabellen durch Sub- straktion der Prozentzahl der ‚Spitz‘-Urteile von 100% In den Ab- bildungen gibt die Ordinate die Prozentzahl der ‚Spitz‘-Urteile, die Abszisse die Größe der Reizwinkelan Dieselben umfassen die Winkel von 50 bis 120 oder 130° mit je 5° Differenz zwischen den einzelnen Winkeln. Die Zahl n beträgt für jeden Winkel 25. Die ausgezogenen Linien geben die Kurven der Hohlhand, die — — — stammen vom Handrücken, die fein gestrichelten von dem Unterarm (Volarfläche). Die Sicherheit des Urteils und seine Güte kommen in objektiver Weise in den Kurven auf zweierlei Weise zum Ausdruck. Einmal in der Stetigkeit der Kurve, d.h. in ihrem Fehlen von sogenannten Un- richtigkeiten, die z. B. darin bestehen, daß für einen stumpferen Winkel sich mehr ‚Spitz‘-Urteile finden als für den nächst spitzeren. Zweitens darin, daß der Winkelbezirk zwischen dem in 100% richtig (spitz) er- kannten Winkel und dem Winkel, der in 0% für spitz gehalten wird, sehr engist. Wären die Werte, die wir von der Versuchsperson erhalten, ideal, d.h. bestände eine vollständige Übereinstimmung zwischen dem Reiz- winkel und der Vorstellung, die die Versuchsperson mittels des Tastsinnes erhält, so müßte in der Abbildung bei 85° der Winkel in 100% für spitz, bei 95° in 100% für stumpf gehalten werden. Es ergäben sich dann für den Winkel von 90° 50% ‚Spitz“- und 50% ‚Stumpf‘“-Urteile. Der Bezirk von 0—100° ‚„Spitz“-Urteile umfaßt also nur 10 Winkelgrade. Beurteilen wir nach diesen beiden Kriterien den Kurvenverlauf (vgl. Abb. 2-5) an den verschiedenen Bezirken der Haut bei den ein- zelnen Versuchspersonen, so zeigt sich bei allen völlig übereinstimmend, daß die Kurven der Hohlhand am stetigsten verlaufen. Unrichtigkeiten fehlen an ihnen völlig, während sie sich an den Kurven des Hand- rückens und Unterarms mehr oder minder ausgeprägt finden. Auch 316 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- nach dem zweiten Kriterium erweisen sich die Hohlhandkurven als die besten. Bezeichnen wir den Bezirk, der zwischen dem Reizwinkel liegt, bei dem in 100%, und jenem, bei dem in 0% der Fälle das Urteil „spitzer Winkel“ abgegeben wird, für jede einzelne Versuchsperson und jede untersuchte Hautzone in Graden, so ergibt sich folgendes: Vvp. Hohlhand Handrücken Unterarm Hasen | 15°— 95% =202 13752105: 30%) 25° 1102— 352 Schi. . - | 70°—100° = 30° | 65°—130° = 65° | 65°=110° = 45° Bi. er 8095 — abe 60°—125° = 65° Hi... . » || 55°— 70° = 15° | 70°-105° = 35° | 60°-110° = 50° Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß am Handrücken und Unter- arm die Winkel, die zwischen 0 und 100% ‚Spitz‘“-Urteile ergeben, einen mindestens 50—75% ‚größeren Bezirk umfassen (Vp. Ha.) (bei den übrigen Versuchspersonen ist er aber sogar % 700 300—400% größer als an der Hohlhand). ” Mit diesen objektiven Kriterien der Leistung stimmen die Urteile der Versuchspersonen 80 völlig überein; denn diese geben an, daß a die Erkennung der Winkel an der Hohl- hand ungleich leichter ist als am Hand- 50 rücken und Unterarm. Dies zeigt sich en auch daran, daß der Druck, mit dem die Schenkel des Reizwinkels auf die Haut 70 aufgesetzt werden, an der Hohlhand am 30 geringsten zu sein braucht. Daß zwischen Handrücken und Unterarm bedeutende ze individuelle Differenzen vorliegen, die darin 10 I zum Ausdruck kommen, daß bei den Ver- n | suchspersonen Ha. und Hi. der Bereich nn oo %0 %o 0 der „Spitz“-Urteile am Unterarm weiter Abb. 2. Vp. Ha. ist als am Handrücken, während für die Abb. 2-5. Auf der Abszisse ist die Größe der Reizwinkel, auf der Ordinate die Prozentzahl der Spitz- Urteile eingetragen. Versuche an der Hohlhand: ausgezogene Kurve, an dem Handrücken gestrichelte Kurve, an der Volarfläche des Unterarms fein gestrichelte Kurve. Versuchsperson Schi. das Gegenteil zutrifft, liest daran, daß die anatomische Konfi- guration des Handrückens, wie erwähnt, eine gute Anpassung der Reizwinkel nicht selten verhindert. Wir können deshalb in der Kurve, die wir vom Handrücken er- halten, nicht immer den reinen Ausdruck der Empfindlichkeit des Tastsinnes sehen, sondern müssen berücksichtigen, daß die Tatsache der etwas ungleichmäßigen Applikation des Reizwinkels in ihr zum Ausdruck kommen kann. dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumeszum Sehraume. 317 Die Reihenfolge, in der — mit dem besten Hautbezirk beginnend — die verschiedenen Hautzonen die Erkennung von Winkeln zulassen, ist also nach den erwähnten objektiven wie subjektiven Kriterien: Hohlhand, Handrücken, Unterarm. Die Unterschiede zwischen Hand- rücken und Unterarm sind aber infolge der mehrfach erwähnten un- gleichmäßigeren Appli- %,, kation des Reizwinkels 700 auf dem Handrücken nicht so scharf, wie theo- retisch erwartet werden mußte, und daher kommt es gelegentlich (Vp.Schi.) zur besseren Erkennung von Winkeln am Unter- arm als am Handrücken. Von ganz besonderem Interesse ist nun die Frage, ob die erwähnten Hautbezirke nicht nur in der Leistungsfähigkeit, einen durch sukzessive Darbietung der Schenkel gegebenen Reizwinkel zu Abb. 3. Vp. Schi. erkennen, verschieden sind, sondern ob auch die Schätzung der Winkelgröße als solcher eine ungleiche ist und ob sich in der Schätzung Beziehungen zu den übrigen Kennzeichen der Feinheit des räumlichen Tastsinnes, d.h. den simultanen bzw. sukzessiven Raumschwellen ergeben. Auch hierüber geben die Kurven eine bemerkenswerte Auskunft. Der Winkel, der der Vorstellung des rechten Winkels entspricht, findet sich als Schnittpunkt der Kurve mit der zur Abszisse parallelen Geraden, _ die durch den Punkt der Ordinate der mit 50 bezeichnet ist, gelegt wird. Denn dieser Schnittpunkt bedeutet, daß für den betreffenden Winkel 50% ,Spitz“- und 50% ‚„Stumpf“-Urteile abgegeben werden. Diese Winkel sind für die verschiedenen Versuchspersonen und Haut- bezirke die folgenden: Vp. | Hohlhand Handrücken Ünonn. lies 88 90,5 Schi. . | 88 102,5 90 BR Va. ||, Sch 92,5 Ei | not 91,5 83,5 318 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- Diese Zahlen besagen, daß sämtliche Versuchspersonen die Winkel an der Hohlnand überschätzen. Die Vp.Ha., Schi. und Ei. tun dies % 700 90 0 70 60 50 40 30 Abb. 4. Vp. Ei. nur in geringem Grade, da die Abweichung von dem objektiven rechten Winkel nur 2—4° beträgt. Bei der Vp. Hi. findet sich aber eine ganz enorme Überschätzung von 29°. Dabei ist aus der vorigen Tabelle Abb. 5. Vp. Hi. ersichtlich, daß die Sicherheit des Urteils dieser Vp. nichts zu wünschen übrig läßt. Denn die Ausbreitung der „Spitz“- Urteile beträgt an der Hohl- hand nur 15°. Gemeinsam ist ferner allen Versuchspersonen, daß am Unterarm bzw. Hand- rücken die Überschätzung, so fern sie noch auftritt, wesent- lich geringer ist oder aber bei den Versuchspersonen, die be- reits an der Hohlhand nur eine geringe Überschätzung zeigen (Vp. Schi., Vp. Ei.) in Richtig- bzw. Unterschätzung übergeht. Dabei ist interes- sant, wie auch Vp. Hi., die an der Hohlhand ganz enorm überschätzte, am Handrücken bereits eine geringe Unterschätzung zeigt. dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 319 Zur Charakterisierung der Winkelschätzung seien noch folgende Daten aus den Kurven abgelesen: 1. Die Schwelle, die sich aus der Differenz der obigen Zahlen und dem Winkel von 90° ergibt. 2. Die obere und die untere Schwelle, die angeben, bis zu welchem Grenzwinkel wenigstens 75% richtige Urteile abgegeben werden. In der folgenden Tabelle sind wiederum die Differenzen zwischen diesen Winkeln und dem rechten Winkel angegeben. Hohlhand Handrücken Unterarm Vp: Untere ; Obere Untere Obere | Untere Ru "O8 nal ee en in Korte re kanain Kan arel el anal Ha...| —7 | -4 | +0 | -45|-2 | +05 | Ye | el Schi. —6 —2 +2 — 2 +125| +22 1 —8 +0 +3,5 Bo ao 208 ) Sean | Ar IE: —32 —29 —26 —6 -+1,5 +55 | -16,5| -6,5 +7 Aus dieser Tabelle ist folgendes zu ersehen: Die Überschätzung durch die Hohlhand kommt nicht allein durch die negativen Vorzeichen der Schwellenwerte zum Ausdruck, sondern ganz besonders auch dadurch, daß auch die obere Schwelle, d.h. der Winkel, der in 75° der Fälle stumpf geschätzt wird, fast immer kleiner als 90° bzw. (Vp. Ha.) 90° ist. Am Handrücken hingegen fällt die obere Schwelle stetsin das Gebiet der stumpfen Winkel. Eine Entscheidung, ob an dem Handrücken oder an dem Unterarm stärker unterschätzt wird, kann generell nicht gegeben werden. Das wechselnde Verhalten der Versuchspersonen hängt wohl mit der ungenügend gleichmäßigen Applikation des Reizwinkels am Handrücken zusammen. Versuche, in denen die Schenkel durch Berührung der Haut an zwei Punkten gegeben werden, sollen hierüber Klarheit schaffen. Immerhin glauben wir, daß auch aus diesen Versuchen mit hoher Wahrscheinlichkeit hervorgeht, daß zwischen der Hohlhand, mit der stets Überschätzung und dem Unterarm, mit dem fast ausnahmslos Unterschätzung erfolst, der Handrücken mit annähernd richtiger Winkelschätzung gelegen ist. Jedenfalls zeigt Vp. Ha., deren besonders feiner Raumsinn in der Sicherheit des Urteils, der Ansprechbarkeit auf sehr geringe Druckreize ebenso wie in der sehr geringen Ausdehnung des zwischen unterer und oberer Schwelle gelegenen Bezirkes zum Ausdruck kommt, die stärkste Überschätzung an der Hohlhand, eine geringere am Handrücken, end- lich eine geringe Unterschätzung am Unterarm. So ist ohne weiteres aus Analogie zu den Versuchen Fitts!) anzunehmen, daß stets indivi- duelle Unterschiede sich zeigen werden, von welchen Hautbezirken t) Fitt, Arch. f. d. ges. Psychol. 32, 420. 1914. 320 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- Überschätzung bzw. Unterschätzung erfolgt. Braucht doch nach den Versuchen dieses Autors selbst bei ein und derselben Versuchsperson während einer längeren Versuchsreihe die Schätzung, die durch die Tastempfindungen vermittelt wird, nicht konstant zu bleiben. Viel- mehr kann aus der Unterschätzung eine Richtigschätzung oder sogar Überschätzung entstehen. Maßgebend allein ist die Feinheit der Raum- schwelle der Haut. Bezirke mit relativ feinem Raumsinn führen zu Überschätzung (Hohlhand), solche mit hoher Raumschwelle (Unterarm) zu Unterschätzung. Die Größe der Überschätzung bzw. der Unter- schätzung unterliegt sehr starken individuellen Differenzen, wie der Vergleich der Vp. Hi. und Schi. z. B. an der Hohlhand deutlich zeigt. Sie kann nicht etwa als Maßstab der Feinheit des Raumsinnes gelten, wie denn überhaupt die Bedeutung obiger Zahlen stärker durch den Vergleich mit den von derselben Versuchsperson an anderen Teilen der Haut erhaltenen Werten in Erscheinung tritt, als wenn sie zu den individuell stark variablen Werten anderer Versuchspersonen in Be- ziehung gesetzt werden. Wenn auch die Raumschwelle an einem. be- stimmten Bezirk der Haut bei zwei Versuchspersonen an zwei bestimmten Stellen der Haut völlig übereinstimmen kann, so braucht doch die Schätzung der Größe von Punktdistanzen oder von Winkeln nicht an- nähernd übereinzustimmen. Die Verarbeitung ein und desselben Reizes durch die Sinnesorgane von zwei verschiedenen Versuchspersonen muß auch bei gleicher Empfindlichkeit (gleiche Raumschwelle) der perzipierenden Sinneselemente deshalb zu verschiedenen Vorstellungen führen, da an der Entstehung derselben Erinnerungsbilder usw. mit- wirken, die in hohem Maße als Ausdruck der während des individuellen Lebens erworbenen Erfahrung angesehen werden müssen. Die vorliegenden Versuche suchten wir noch durch eine weitere Gruppe von Experimenten zu ergänzen. Wir begnügten uns nämlich nicht mehr mit der Angabe der Versuchspersonen, daß ein Winkel spitz oder stumpf sei, sondern suchten genau zu bestimmen, welcher optischen Winkelgröße der jeweilige durch Tastempfindungen und -vorstellungen gegebene Winkel entspräche. Wird nämlich an einer be- stimmten Hautstelle überschätzt, so daß ein spitzer Winkel für 90° gehalten wird, so ist anzunehmen, daß auch jeder spitze Winkel für wesentlich spitzer gehalten wird, als der Reizgröße entspricht. Von besonderem Interesse waren die Versuche auch deshalb, weil bei der Vp. Hi., von der eine so besonders starke Überschätzung erhalten wurde, untersucht werden konnte, ob und in welcher Weise mit zunehmender Größe der Reizwinkel die Täuschung auch bei strenger Unwissentlichkeit des Versuchsverfahrens sich ausgleichen könnte. Diese Versuche wurden an denselben Versuchspersonen durchge- führt und folgten zeitlich den eben beschriebenen Versuchen. ' Wir dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 321 hatten dadurch den Vorteil, schon recht geübte Versuchspersonen verwenden zu können. Die Applikation des Reizwinkels geschieht in genau derselben Weise, wie oben beschrieben wurde. Zur Einstellung des optischen Winkels, der nach Angaben der Versuchsperson mit dem „taktilen“ Winkel übereinstimmt, bediente ich mich des folgenden Verfahrens. In dem Mittelpunkt des Halbkreises eines in vertikaler Stellung befestigten Transporteurs ist ein Faden befestigt, der über eine Rolle läuft, die über eine zum Durchmesser des Transporteurs parallele Holzleiste gleitet. Der Versuchsleiter verschiebt nun auf dieser Seite die Rolle, damit auch den Zwirnsfaden und ändert hierdurch den Winkel, den der Faden mit dem horizontalen Radius des Transporteurs bildet. Die Versuchsperson gibt an, wann der Faden die richtige Stellung hat, und nunmehr liest der Versuchsleiter die Größe des Winkels an der der Versuchsperson abgekehrten Seite des Transporteurs, der die Kreis- einteilung trägt, ab. Die Bewegung der Rolle und des Fadens wird, um jede suggestive Beeinflussung unmöglich zu machen, von dem Versuchsleiter bei abgewandtem Blick durchgeführt. Die Reihenfolge, in der die Winkel aufeinander folgen, ist wiederum eine völlig unregel- mäßige. An jedem Versuchstage wird nur jeder Winkel einmal ge- geben. Dieser Versuch wird für jeden Hautbezirk 5 oder 6 Tage lang ausgeführt. Der aus diesen Tagen berechnete Mittelwert wird den Kurven zugrunde gelegt. Eine derartige Berechnung des Mittelwertes ist aber nur dann statt- haft, wenn die Einzelwerte nicht sehr erheblich variieren. Hier zeigte sich nun bei allen Versuchspersonen, mit Ausnahme von Vp. Ha., daß die variablen Fehler am geringsten an der Hohlhand und am größten am Unterarm sind. Letzteres steht in Übereinstimmung mit der sub- jektiven Angabe der Versuchspersonen, daß sie keine genaue Vor- stellung der Winkelgröße am Unterarm besitzen. Berechnet man den durchschnittlichen Wert des variablen Fehlers für die verschiedenen Hautbezirke, so ergeben sich folgende Zahlen: Vp. | Hohlhand Handrücken Unterarm 3,4 3,8 3,0 Sen igniag 70 10.0 Bil A 5,7 = 9,5 HERE. 5,3 6,3 8,3 Die Verteilung der Größe des variablen Fehlers auf die verschiedenen Reizwinkel ist in Abb. 6 wiedergegeben. Man erkennt hier sofort, daß der mittlere variable Fehler im Bereich des rechten Winkels (85—95°) ein Maximum zeigt. Es ist dies Verhalten ja auch dadurch leicht er- klärlich, daß gerade in der Grenzzone die Reizwinkel teils als spitz, teil als stumpf beurteilt werden. 322 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- Die großen Werte der variablen Fehler am Unterarm bedingen die Unverwertbarkeit der so erhaltenen Zahlen mit Ausnahme der Angaben der Vp. Ha. Diese sind dadurch bemerkenswert, daß der variable Fehler auf allen drei Hautgebieten fast gleich groß ist. Will man die geringe Verminderung des variablen Fehlers, die sich am Unterarm im Ver- hältnis zum variablen Fehler an der Hohl- hand findet, nicht als rein zufällig bewerten, so kann eine Erklä- rung darin liegen, daß bei dem zuletzt unter- suchten Hautgebiet (Unterarm) die Ver- suchsperson für die Erkennung von Win- keln wesentlich geüb- ter war als im Beginn der Versuchsperiode. Diese Vermehrung der Übungscheint auch die verminderte Raum- 0570 7580.85 90 35 00105 #5 7076 80 85 903505 CWPlindlichkeit des Unterarms gegenüber Abb. 6a. Vp. Ha. Abb. 6b. Vp. Schi. Abb. 6. Auf der Abszisse ist die Größe des Reizwinkels, aut der der Hohlhand in ge- Ordinate der mittlere variable Fehler für verschiedene Haut- wisser Weise ausglei- gebiete ( Hohlhand; — -— -— Handrücken ; — » — + — Unter- ® ER arm) eingetragen. chen yarı können. Diese Übungserscheinungen stehen nicht isoliert da; vielmehr zeigten sie sich an allen Ver- suchspersonen im Laufe der mehr als 3 Monate währenden Versuche und treten besonders deutlich dadurch in Erscheinung, daß Unrichtig- keiten der Kurven sich allmählich mehr und mehr mindern oder ver- schwinden. Daß diese Übungsphänomen um so schneller auftreten, je feiner die Empfindlichkeit des jeweiligen Hautbezirkes ist, ist eine durch mannigfache psychologische wie sinnesphysiologische Experimente gegründete Anschauung!). Deshalb gelang es auch bei der Mehrzahl der Versuchspersonen nicht, eine Verkleinerung des variablen Fehlers am Unterarm herbeizuführen, während an der Hohlhand eine vermehrte Sicherheit in der Winkelschätzung relativ schnell erfolgte. —#t 1 Seal Zee I: Se Bee !) Vgl. hierzu meine Versuche über die Änderung der Unterschiedsschwelle im Gebiete des optischen Raumsinnes und der Bewegungsempfindungen. Bei ersteren wurde das Übungsmaximum wesentlich früher erreicht als bei letzteren. (Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 170. 1921.) dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 323 Tabelle I. Reiz- re Hohlhand Handrücken Unterarm Graden Vp. Ha. 65 | 63| 62] 65] 64| 63] 63] 62 60) 66) 60] 67) 63] 63] 62] 62] 58] 61] 61 70 | 65| 73| 73| 75| 69] 71] 72| 69) 77| 62| 74 69| 7o| 68| 65) 67| 69 68 75 || 78| 67) 76) 681 75| 78| 73] 73) 72] 81) 71) 74| 67| 66] 72] 64 68 67 80 | sıl sol 77! sıl 77! 79| 73| 68 75 76 72] 73| so) 68| 67) 76| 65 71 85 | 78| 80) 8o| 801 8ıl SO| 77| 98) 73 84] 90] SA| 78| 8o| 78| 70| 78| 77 90 105) 80) 99| 801105 94| 90) 80 90) 90) 90 88] 76 90) 90, 70) 76) 80 95 ||11311001104104) 97) 104| 108112 97103) 98| 108] 1031011107 104) 90/101 100 114/106112]105.105| 108| 107 98100108 104| 103] 102102101/1001105 102 105 |117113/115[1171112) 115] 1091109102104 1108| 106] 110,109 109 10711101109 Vp. Schi. 65 || 69| 65] 68| 691 7Al69 | 65| 67 64| 65| 55| 63 70 | 7a 67| 75| 64| 7370,51 63| 52] 57| 57| 57] 57 75 | 78| 66| 72) 8o|l 75\74 | 64! 66 60) 63| 74| 65 80 || 79| 73| 90| 65| 8177,5| 68] 681 63! 79| 78I 71 s5 || 8s| 96| 84| 67| 99187 | Tel 61| 65| 71) 78) 71 90 103] 901104108 1051102 | 77| 90108 60) 54 78 95 | 1071071110,1031101/107 | 84| 57) 90101) 58 78 100 || 10411021105 1221108108 | 108| 991191107108 108 105 |111/1071161109116112 | 108,109, 96.112)117) 106 Die Zahlen geben die mit dem Reizwinkel gleich groß erscheinenden op- tischen Winkel an. Mitteln, die der graphischen Darstellung zugrunde gelegt sind. Die fett gedruckten Zahlen entsprechend den arithmetischen Die Ergebnisse dieser Versuche sind in den Abb. 7—10 enthalten. Die graphische Darstellung zeigt nun in Übereinstimmung mit den bisher geschilderten Versuchen, daß von allen Versuchspersonen an der 720 7710 700 90 80 70 6 50 von links nach rechts: / 770 ‘ Di i / 24% 70 80 60 7080, 60 705 2.80577.907 100% 170, Abb. 7. Vp. Ha. Hohlhand. Handrücken. Unterarm. Abb. 7—9. Abszisse und Ordinate bezeichnen die Winkelgröße. Die ausgezogene Gerade gibt die Größe der ‚„taktilen“ Reizwinkel an; die gestrichelten bzw. punktierten Kurven geben die entsprechenden arithmetischen Mittelwerte der gleich groß erscheinenden „optischen“ Winkel an. 324 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- Hohlhand Überschätzung erfolgt, daß diese am Handrücken oder Unter- arm sehr viel geringer ist (Vp. Hi.) oder völliger Unterschätzung weicht. Im speziellen ergeben sich noch folgende bemerkenswerte Einzelheiten. Die Kurven der Vp. Ha. zeigen an der Hohlhand eine deutliche Überschätzung. Diese betrifft aber die Winkel von 65 bis 115° nicht in gleichmäßiger Weise, sondern die spitzen Winkel werden annähernd richtig geschätzt, während die stumpfen Winkel überschätzt werden. So ergibt sich z. B. für den Reizwinkel von 90° der Winkel 94 ” »> „ „> 95° PR „ 104 »» » Pr) ” 105° ” >) 115 Der Handrücken derselben Versuchsperson liefert annähernd richtige Werte. Natürlich stimmten die von der Versuchsperson angegebenen 120 | | Werte nicht völlig mit den | | Reizwinkeln überein, sondern zeigen kleine Abweichungen. Die Kurve läßt aber jede Ten- denz im Sinne einer Über- oder Unterschätzung vermissen Hingegen zeigt die Kurve am Unterarm eine deutliche Unter- schätzung. Diese erstreckt sich auf die Winkel von 75—90°, I En EN or En) 25 ER während die kleineren und grö- en tan ßeren Reizwinkel annähernd von links nach rechts: Hohlhand. Handrücken. richtige Werte ergeben. Analog sind die Ergebnisse bei den übrigen Versuchspersonen. Nur sind die Abweichungen ent- sprechend ihrem geringer ausgebildeten Raumsinn größer. So zeigt Vp. Schi. in völliger Übereinstimmung mit Vp. H. eine Überschätzung vor- wiegend des rechten Winkels und der stumpfen Winkel an der Hohl- hand, während am Handrücken fast sämtliche Winkel unterschätzt werden. Auch Vp. Ei. zeigt starke Überschätzung an der Hohlhand; nur die Winkel, die kleiner als 80 ° sind, werden ein wenig unterschätzt. Endlich geht aus den Kurven der Vp. Hi. die schon aus der Lage der Schwelle gefolgerte enorme Überschätzung an der Hohlhand hervor. Handrücken und Unterarm zeigen hingegen nur eine ganz geringe Überschätzung; für eine Reihe von Winkeln besteht sogar eine annähernd richtige Schätzung. Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, daß natürlich von ver- schiedenen Versuchspersonen mit den gleichen Hautgebieten (z. B. Handrücken) auch aus theoretischen Gründen eine verschiedene Schät- 170 7100 90 80 dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 325 zung erwartet werden muß. Deshalb sehen wir das Ziel unserer Versuche nicht etwa in der Aufstellung bestimmter Hautbezirke mit Über- und solcher mit Unterschätzung als vielmehr in der Erkenntnis der Tat- 740 130 720 770 700 90 80 70 60 50 40 40 50 60 70 Abb. 9. Vp. Hi. — — — Hohlhand. —- — - — 90 700 710 Handrücken. ------ Unterarm. sache, daß die Überschätzung geringer wird oder sogar zur Unterschät- zung führt, wenn wir von Hautgebieten mit niedriger zu solchen mit relativ hoher Raumschwelle übergehen. Maßgebend für das auf Grund räumlicher Tastempfindungen und -vorstellungen gebildete Urteil, daß ein gegebener Winkel spitz, recht oder stumpf sei, ist also die Größe der simultanen und sukzessiven Raum- schwelle. Noch eine Beobachtung bedarf noch besonderer Erwähnung. Die Vp. Hi. zeigt, wie erwähnt, an der Hohlhand eine ganz außerordentlich große Unterschätzung. Entsprechend der mit —29 errechneten Schwelle für den rechten Winkel zeigt sich auch in den zuletzt geschilderten %/o 130 —————— | | | 7 120\- - — | ea | ZEN: 110 - / | ME: 700 | + EN 70 80 90 700 10 Abb. 10. Vp. Ei. Hohlhand. Versuchen (Abb. 9) eine mit wachsender Größe des Reizwinkels zu- nehmende Überschätzung. Sie beträgt bei den Reizwinkeln von 100 und 105° etwa 40°! Nun fragte es sich, ob nicht durch Verwendung noch größerer Reizwinkel die Versuchsperson ihren Fehler — auch bei strenger Geheimhaltung der bisherigen Versuchsergebnisse — erkennen 326 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- würde. Das Ergebnis war völlig unerwartet. Es wurden an vier auf- einanderfolgenden Tagen die Reizwinkel von 105—125° gegeben (vgl. Tabelle II). Dabei zeigte sich, daß dem wachsenden Reizwinkel nicht Tabelle Il. Vp. Hi. 1. Versuchsreihe (Hohlhand). 2. Versuchsreihe. Reizwinke] | Arithmetisches Mittel aus 6 Ver-_ Es werden an vier aufeinanderfolgenden | suchstagen Tagen nur extreme Reizwinkel gegeben. 70 87 75 | 103 Reizwinkel | 1 Vt. | 2 Vt. | 3 Vt. | 4 Vt. 80 | 108 85 117 105 1437| 21252.%.1370 0 2116 90 124 110 148..°135212710,120 95 131 115 152.1. .12027126 1124 100 138 120 148 | 144 | 148 | 139 105 141 125 158712.147 171432 1.156 3. Versuchsreihe (gekürzt). ne | Arithmetisches Mittel aus Reizwinkel | 5 weiteren Versuchstagen 30 37 40 41 50 Sl 60 75 70 100 80 In 90 | 104 100 117 110 128 120 136 130 138 in gleichem Maße steigende Winkel angegeben wurden. Vielmehr findet sich für 110 und 120° Reizwinkel in beiden Fällen am ersten Versuchstage der Winkel von 148°. Die Unterscheidung für Größen- unterschiede nimmt also mit steigendem Reizwinkel abt). Ferner zeigt sich, daß bereits bei einmaliger Wiederholung kleinere Winkel an- gegeben werden. Die Verkleinerung nimmt noch an den folgenden Versuchstagen zu und hat eine dauernde Änderung in der Schätzung der Winkelgröße zur Folge. Die aus fünf weiteren Versuchstagen er- haltenen durchschnittlichen Werte finden sich gleichfalls in Tabelle II. Man sieht, daß auch jetzt noch eine Überschätzung stattfindet, die aber — indem die Versuchsperson gewissermaßen ohne Belehrung über die von ihr gelieferten Ergebnisse durch Verwendung größerer 1) Ob für diese Frage das Webersche Gesetz Gültigkeit hat, werde ich später erörtern. dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumeszum Sehraume. 327 Reizwinkel ad absurdum geführt wurde — bedeutend gemindert ist. Dabei ist interessant, daß die Versuchsperson keine sichere Vorstellung über die Art der Schätzung hatte. Es war eingangs betont worden, daß die Darbietung der Reizwinkel stets sukzessiv erfolgte, weil es anfangs allen Versuchspersonen unmög- lieh war, die dargebotenen Winkel bei simultaner Reizung selbst in ihren Extremen zu erkennen, oder weil eine Regelmäßigkeit in dem Urteil fast völlig fehlte. Nach Abschluß der bisher geschilderten Versuche suchten wir aber bei der Vp. Ha., die sich durch besonders niedrige Schwellenwerte auszeichnet, festzustellen, ob mit simultaner Reizung eine Änderung in den Schwellenwerten auftritt. Die Versuchsanordnung war die gleiche wie die im ersten Teil der Arbeit geschilderte. Jeder Winkel wird im Verlaufe von 5 Versuchs- tagen je zweimal gegeben. Die Dauer der Berührung betrug 1 Sekunde oder weniger. Subjektiv war auch eine bedeutende Zunahme in der Schwierigkeit, den Reizwinkel zu erkennen, vorhanden. Aus der graphischen Darstellung ergeben sich folgende Schwellenwerte: Hohlhand Handrücken Unterarm = B Untere Obere Untere ' Obere Untere = ' Obere } 1 | Ss Y | Schwelle Sunwolo Schwelle] Schwelle SanselE | Schwelle | Schwelle ainmolie Schwelle | | ; | E ee ee Die Betrachtung der Kurven (Abb. 11) zeigt, daß auch hier wieder- um die Beurteilung der Winkelgröße an der Hohlhand am sichersten, am Unterarm aber am unsichersten ist. So weist die Kurve der von der Hohl- hand perzipierten Winkel keine Un- richtigkeiten auf, die Kurve des Un- terarms zeigt hingegen innerhalb der Reizwinkel von 75—95° sehr starke Unrichtigkeiten. Auch erstreckt sich der Bereich der Winkel, in denen in 0—100% das Urteil ‚spitz‘ abgegeben wird, auf einen Bereich von 15° an ur Ken ul A 77 70 80 90 700 10 30° an dem Handrücken, Abb. 11. Auf der Abszisse ist die Größe 40° am Unterarm. der Reizwinkel, auf der Ordinate die Pro- . . on © zentzahl der .‚Spitz“-Urteile eingetragen. Ist somit die Parallelität in der Die Versuche sind an Vp. Ha bei simulta- Sicherheit des Urteils bezüglich der ner Reizgebung an Hohlhand ( ); 0 . Handrücken (— — — —) und Unterarm Erkennung von Winkeln und Fein- rt Ss en BT Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 22, 328 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der räumlichen Tastempfin- heit des Raumsinnes ebenso wie bei sukzessiver Darbietung der Reizwinkel erhalten, so hat die Richtung der Schwellen durch die simultane Reizung eine völlige Umkehrung erfahren. Die Schwelle nämlich, die entsprechend dem zur Hälfte mit „spitz“, zur Hälfte mit „stumpf“ bezeichneten Winkel dem rechten Winkel entspricht, zeigt an der Hohlhand keine wesentliche Abweichung von 0, d.h. an der Hohlhand wird ein Winkel von etwa 90° für einen rechten gehalten. Mit zunehmender Größe der Raumschwelle (Handrücken — Unterarm) tritt zunehmende Überschätzung auf. Eine Erklärung für die paradoxe Tatsache, daß von derselben Versuchsperson an der gleichen Hautstelle, die bei sukzessiver Darbietung der Schenkel des Reizwinkels zur Unterschätzung führt, Überschätzung eintritt, sobald die Schenkel des Reizwinkels simultan dargeboten werden, steht noch aus. Sie kann schwerlich auf physiologischem Gebiete gesucht werden. Entsprechend den bedeutenden quantitativen Unterschieden, die zwischen simultaner und sukzessiver Raumschwelle bestehen, wäre eine erhebliche Änderung des Grades der Über- bzw. Unterschätzung durchaus verständlich. Die Tatsache, daß die Reihe der Hautbezirke nach dem Grade der Überschätzung geordnet bei a) sukzessiver Reizdarbietung: Unterarm Handrücken > Hohlhand lautet, deutet darauf hin, daß vermutlich nicht periphere Faktoren als vielmehr zentrale Vorgänge, die an der Gestaltauffassung wesentlich beteiligt sind, in irgendeiner Weise eine vollständige Änderung er- fahren. Endlich wurde noch an dieser Versuchsperson eine Versuchsreihe am Handrücken und an der Hohlhand während 5 Tagen durchgeführt, in der die Schenkel der Winkel sukzessiv aufgesetzt wurden, der erste Schenkel aber nicht in der Achse des Armes zu liegen kam, sondern eine beliebige, von Versuch zu Versuch wechselnde Lage erhielt. Die Ver- suchsperson zeigt an dem Transporteur in der oben beschriebenen Weise den Winkel an, der nach ihrer Auffassung mit dem Reizwinkel über- einstimmte. Bei diesen Versuchen trat sofort eine ganz erhebliche Unsicherheit auf, die sich in einer Zunahme des variablen Fehlers kundtat. Der variable Fehler, der in der gleichen Versuchsreihe bei Lage des rechten Schenkels in der Längsachse des Armes nur 3,8 be- tragen hatte, ist hier zu dem Werte von 8,4 angewachsen. Die Un- richtigkeiten der Kurven lassen eine Berechnung der Schwellenwerte als untunlich erscheinen. Einige Einzelbeobachtungen seien noch kurz berichtet. Einmal zeigte sich, daß an Hautbezirken mit relativ schlechtem Raumsinn (Unterarm) nicht allein die um den rechten Winkel herum gelegenen Reizwinkel besonders unsicher geschätzt werden, sondern daß dies dungen unter Berücksichtigung der Beziehungen d. Tastraumes zum Sehraume. 329 auch für die sehr spitzen (ca. 30° oder kleiner) und sehr stumpfen Winkel (> 140°) gilt. So erklärte eine Versuchsperson, daß sie bei diesen Werten spitz und stumpf gar nicht mehr zu unterscheiden vermag. Die Versuchsperson nimmt offenbar bei diesen Extremen lediglich wahr, daß die Richtung der Schenkel annähernd die gleiche ist. Ob der Winkel spitz oder stumpf sei, bleibt dann unentschieden. Das Befragen der Versuchspersonen, wie die Vorstellung des Winkels durch die Berührung der Haut zustande kommt, ergibt, daß an der Hohlhand allgemein die Winkelvorstellung so schnell entsteht, daß die Versuchspersonen über ihr Zustandekommen nichts auszusagen ver- mögen. Am Handrücken oder Unterarm tritt bei einem Teil der Ver- suchspersonen eine optische Vorstellung des gereizten Hautbezirkes, auf dem die Lage der Schenkel abgebildet ist, und die Versuchsperson liest gewissermaßen von diesem Vorstellungsbild die Größe des Winkels ab. Daß eine derartige optische Vorstellung im Anschluß an die taktile Reizung auch dort entstebt, wo sie sich introspektiv nicht nachweisen läßt (Hohlhand), wird dadurch wah:scheinlich, daß durch Kompli- zierung des Versuches, indem der erste Schenkel des Reizwinkels keine zur Achse der Extremität konstante Lage erhält, auch an der Hohlhand das optische Vorstellungsbild entsteht. Interessant ist, daß bei letzteren Versuchen die Versuchsperson bat, die berührte Hand nach Fortnahme des Reizwinkels betrachten zu dürfen, weil es offenbar leichter ist, durch den Ortssinn sich durch Betrachtung der Hand eine Vorstellung von der Lage des Reizwinkels zu verschaffen, als wenn die Versuchsper- son gezwungen ist, die Lage der Schenkel in der nur vorgestellten Hand zu beurteilen. Diese Analyse zeigt, daß an der Erkennung der Reizwinkel in her- vorragendem Maße der Ortssinn der Haut beteiligt ist. Die ungleiche Sicherheit der Versuchsperson an verschiedenen Stellen der Haut findet in der ungleichen Feinheit des ÖOrtssinnes ebenso seine Er- klärung wie die mit zunehmender Übung wachsende Präzision in der Übbarkeit desselben!). Daß aber an manchen Hautbezirken Über-, an anderen Unterschätzung erfolgt, ist in der ungleichen Raumschwelle der Haut begründet. Aus der Vereinigung taktiler Empfindungen mit den optischen Vorstellungen von der Lage der gereizten Hautpartien wird auf der Grundlage des Raumsinnes der Haut die Vorstellung der Winkel- größe synthetisiert. Hieraus folgt, daß für die individuellen Variationen nicht nur Verschiedenheiten des Orts- und Raumsinnes der Haut, sondern ebenso der Grad der Visualität der Versuchsperson verant- ‚wortlich zu machen sind, ganz abgesehen davon, daß auch für die Auffassung von Winkeln durch den Raumsinn der Haut vielleicht 1) Vgl. @ellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol. 189, 228. 1921. [89 9% 330 E. Gellhorn: Untersuchungen zur Physiologie der Tastempfindungen usw. jene psychischen Vorgänge eine wesentliche Rolle spielen, die man unter dem Begriff der „Gestaltproduktion‘ subsummiert!). Frl. Dr. Schiffmann, Frl. Hagemann, Herrn stud. med. Eisler und Hintsche danke ich für ihre Liebenswürdigkeit, sich mir als Versuchs- personen zur Verfügung zu stellen. Zusammenfassung. Es wird über Versuche an vier Versuchspersonen berichtet, in denen festgestellt wird, inwieweit Unterschiede zwischen dem optischen und taktilen Erkennen von Winkeln bestehen. Die Reizgebung erfolgt durch einen Winkelmesser, der die Variation der Winkelstellung ebenso wie der Schenkelgröße in beliebiger Weise gestattet. Es wird im wesent- lichen nur die sukzessive Applikation der Schenkel angewendet. Die Ergebnisse sind folgende: 1. Entsprechend der Feinheit des Raumsinnes der Haut, gemessen an der Größe der simultanen und sukzessiven Raumschwelle, ist die Schärfe des Urteils am größten in der Hohlhand, dann folgt Handrücken, schließlich Unterarm. 2. Auf der Hohlhand wird der Winkel von allen Versuchspersonen überschätzt. Diese Überschätzung wird auf Hautgebieten mit höherer Raumschwelle (Handrücken, Unterarm) geringer, bzw. sie schwindet, oder es tritt sogar Unterschätzung ein. Daher liegt der 90° erscheinende Tastwinkel auf der Hohlhand bei einem Winkel < 90°, auf dem Unter- arm dagegen beträgt er > 90°. 3. Diese Feststellungen werden in weiteren Versuchen bestätigt, in denen die Versuchsperson den jedem Tastwinkel entsprechenden optischen Winkel anzuzeigen hat. Dabei zeigtsich, daß die Überschätzung (auf der Hohlhand) vornehmlich die Winkel > 90°, die Unterschätzung auf Unterarm bzw. Handrücken im wesentlichen die Winkel <90° betrifft. t) Vgl. den Nachweis von Gestaltgesetzen bei dem optischen Parallelitäts- eindruck: E. Gellhorn und Wertheimer, Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 535. 1922. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung und der Laby- rinthreflexe. VI. Mitteilung!). Über eine Methode zur Lokalisierung der Angriffspunkte verschie- dener Arzneimittel auf den vestibulären Nystagmus, mit besonderer Berücksichtigung der Wirkung von Nikotin. Von A. de Kleyn und (. Versteegh. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 8S Textabbildungen. (Eingegangen am 2. Juni 1922.) Beim Zustandekommen eines vestibulären Nystagmus läuft be- kanntlich der primäre Reflexbogen vom Labyrinth über den N. vesti- bularis, das vestibulare Kerngebiet und die Augenmuskelkerne nach den Augenmuskeln. Das Auftreten von Änderungen eines solchen Nystagmus beweist also nicht ohne weiteres, daß dieses Gift für ein Vestibulargift in engerem Sinne gehalten werden muß. Unter Vestibulargift im engeren Sinn verstehen wir nur diejenigen Gifte, welche entweder auf das Labyrinth selbst oder den N. vestibularis oder auf das Vestibularkerngebiet ein- wirken. Der Zweck der vorliegenden Untersuchung war, eine Methode aus- zuarbeiten, welche eine möglichst genaue Lokalisation der Giftwirkung an jeder einzelnen Stelle des vestibulären Reflexbogens zuläßt. Methodik. Als Versuchstiere wurden Kaninchen verwendet. In Äthernarkose wurden die Tiere tracheotomiert und danach künstliche Atmung eingeleitet. Die Vagi wurden durchschnitten um Kreislaufs- und At- mungsstörungen zu verhindern; dieCarotiden temporär oder während des ganzen Versuchs unterbunden, das Großhirn entfernt und die MM. externus und internus von einem Auge isoliert. Diese isolierten Muskeln wurden mit Fäden an Hebeln be- festigt, welche ihre Bewegungen auf dem Kymographion registrierten (Methode von Topolanski-Bartels). oa !) Die ersten 5 Mitteilungen erscheinen in den Acta oto-laryngologica 1922. we os [9) A. de Kleyn und E. Versteegh: Auf diese Weise erhält man ein Tier, mit welchem man ohne weitere Narkose stundenlang experimentieren kann, und bei welchem nach Auslösung eines vesti- bulären Nystagmus die Augenmuskelbewegungen genau registriert werden können. In allen Versuchen war die Registrierung derartig, daß das Steigen der Kurven- linie einer Kontraktion der Augenmuskeln entsprach. Der vestibuläre Nystagmus wurde entweder durch thermische Reizung oder durch Labyrinthexstirpation ausgelöst. ar eh ee] Was die Lokalisation einer Giftwirkung auf den vestibulären Nystag- mus anbelangt, ist es zum Schluß gelungen, eine Methode auszuarbeiten, mittels welcher es möglich ist, die vier folgenden Angriffspunkte des Reflexbogens vollkommen oder nahezu voneinander getrennt zu untersuchen: a) Augenmuskeln, b) Augenmuskelkerne, c) vestibuläres Kerngebiet, d) Labyrinth und Nervus vestibularis. Diese Methode möge in nachfolgendem für jeden Angriffspunkt einzeln beschrieben werden. a) Augenmuskeln. Bei diesen Versuchen wurden die Tiere wie oben angegeben vor- bereitet und außerdem noch an der Seite der präparierten Augen- muskeln der N. oculomotorius an der Schädelbasis durchschnitten. Auf diese Weise wurde der M.rectus internus vom Zentralnerven- system vollständig getrennt, so daß, wenn nach Verabreichung eines Giftes eine Reaktion (sich äußernd in Kontraktion oder Erschlaffung dieses Muskels) auftritt, daraus geschlossen werden kann, daß das Gift peripher den Augenmuskel selbst angreift. b) Augenmuskelkerne. Um die Wirkung auf die Augenmuskelkerne isoliert untersuchen zu können, muß die Wirkung auf die Augenmuskeln selbst ausge- schaltet werden. Den Weg hierzu weisen die Untersuchungen von Wessely!) an, der gezeigt hat, daß bei Kaninchen die Carotiden die praktisch einzigen Blutversorger der Orbitae sind. Werden also die Carotiden während des ganzen Versuches unterbunden, so können die in die Vena jugularis eingespritzten Gifte nicht mehr in die Orbita bzw. in die Augenmuskeln selbst gelangen. Um sicher zu sein, daß nicht trotz der Unterbindung der Carotiden doch noch eine durch abnorme anatomische Verhältnisse (z. B. abnorme Kollateralen) er- 1) Wessely, H., Über den Einfluß der Carotisunterbindung auf die Blut- versorgung des Auges; nach gemeinsam mit Herın Wolf ausgeführten Unter- suchungen. Verhandl. d. Ges. D. Naturforscher und Ärzte. 1908. Siehe auch Münch. med. Wochenschr. 1909, S. 688. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VI. 333 möglichte Wirkung auf die Augenmuskeln selbst der Beobachtung entgeht, wurden die Versuche auf die folgende Weise gemacht: Die Versuchsanordnung war wie bei a); die Carotiden blieben jedoch während des ganzen Versuches unterbunden. An den eventuell auf- tretenden Bewegungen des M. rectus externus wurde die Giftwirkung auf die Augenmuskelkerne beobachtet, während der M. rectus internus, dessen motorischer Nerv (Öculomotorius) durchschnitten war, als Kon- trolle einer eventuellen Wirkung auf die Augenmuskeln selbst diente. Trat tatsächlich trotz Unterbindung der Carotiden eine Reaktion des M.internus auf, so wurde der Versuch als wertlos betrachtet. c) und d) Labyrinth und vestibuläres Kerngebiet. (Vestibuläres Gebiet im engeren Sinne.) Die bisher geschilderten Wirkungen lassen sich an den Präparaten erkennen, wenn sich dieselben in Ruhe befinden. Will man aber die Wirkung eines Giftes, das selbst keinen Nystagmus hervorruft, auf das Vestibulargebiet untersuchen, so muß man dieses zuerst in Tätig- keit versetzen (also einen Nystagmus hervorrufen) und dem Einfluß des Giftes hierauf nachgehen. Um diese Wirkung :soliert untersuchen zu können, mußten entweder solche Gifte verabreicht werden, welche überhaupt keine Wirkung auf die Augenmuskeln und Augenmuskelkerne ausüben, oder andere Gifte in solchen Dosen, welche die genannten Gebiete nicht beein- flussen. Die Wirkung auf die Augenmuskeln selbst kann außerdem noch ausgeschaltet werden durch die Unterbindung der beiden Carotiden. Ist also auf die hier angegebene Weise die Wirkung eines Giftes auf die Augenmuskeln und die Augenmuskelkerne mit Sicherheit aus- geschlossen worden und treten nach Einspritzung Änderungen eines bestehenden vestibulären Nystagmus auf, so kann hieraus geschlossen werden, daß das Gift im Reflexbogen nur auf das Vestibulärgebiet im engeren Sinne eine Wirkung ausüben kann. Es ist nun die Frage, ob eine noch genauere Lokalisation bezüglich der Wirkung auf das Labyrinth und das vestibuläre Kerngebiet durch- führbar ist. Teilweise gelingt dieses, wenn man den vestibulären Nystagmus nebeneinander untersucht erstens bei Tieren mit intakten Labyrinthen, und zweitens bei labyrinthlosen Tieren mit dem kom- pensatorischen vestibulären Nystagmus von Bechterew. Diese letztere Form von Nystagmus tritt bekanntlich auf, wenn man bei einem vor einigen Tagen einseitig labyrinthektomierten Tier das andere Labyrinth entfernt. Es tritt hiernach ein Nystagmus auf mit der schnellen Phase nach der zuerst operierten Seite. Wenn also ein Gift einen Einfluß ausübt auf den von den Labyrinthen ausgelösten Nystagmus und den kompensatorischen Nystagmus un- 394 A. de Kleyn und ©. Versteegh: beeinflußt läßt, so kann daraus mit Sicherheit geschlossen werden, daß das Gift seinen Angriffspunkt im inneren Ohr hat. Hat man es mit einem Gift zu tun, welches in gleichem Maße den labyrinthären wie den kompensatorischen Nystagmus beeinflußt, so kann angenommen werden, daß der Angriffspunkt sich hauptsächlich im vestibulären Kerngebiet befindet. Braucht man zum Schluß für die Beeinflussung der beiden ge- nannten Nystagmusformen ganz verschiedene Dosen ein und desselben Giftes, so weist dies darauf hin, daß der Angriffspunkt sowohl im Labyrinth als im vestibulären Kerngebiet lokalisiert werden muß. Bei sämtlichen hier zu besprechenden Versuchen ist als Gift Nicotin zur Verwendung gekommen. Die Veranlassung hierzu bildete eine vor einigen Jahren mit Prof. Rochat bei Versuchen mit vestibulärem Nystagmus gemachte Beobachtung. Damals wurde zur Lähmung der sympathischen Ganglien Nicotin intravenös eingespritzt. Dabei ergab si:h, daß nach der Einspritzung der vestibuläre Nystagmus verschwand. Bei dem Versuch, diese Erscheinung zu erklären, stellte sich heraus, daß es sich um sehr verwickelte Vorgänge handelt, so daß sich die Notwendigkeit ergab, die oben beschriebene Methode zur Lokalisation der Giftwirkung auszuarbeiten. Als die Untersuchung beinahe beendigt war, stellte sich heraus, daß diese zufällige Wahl des Nicotins als Gift in einer Hinsicht keine glückliche gewesen war. Bei sämtlichen hier be- schriebenen Versuchen ist Nicotin zur Verwendung gekommen aus ein und derselben Flasche, welche im Laboratorium vorrätig war. Dieses Nicotin erwies sich in seiner Wirkung auch bei verschiedener Dosierung konstant. Als nun jedoch dieses Nicotin verbraucht war und für einige ergänzende Versuche neues Nicotin angeschafft werden mußte, übte dieses letztere in derselben Dosis eine ganz andere Wirkung aus. Es hat sich übrigens später herausgestellt, daß auch andere durch Nicotin verursachte Vergiftungserscheinungen bei der Verwendung von Nicotin verschiedener Herkunft wechselnd sind. Dieses inkonstante Verhalten von Nicotin wird zur Zeit von Herrn Dr.le Heux im hiesigen Institut näher un- tersucht. Wenn es daher auch zweifelhaft bleibt, ob in diesen Versuchen von einer reinen Nicotinwirkung gesprochen werden kann, so hat sich doch anderseits herausgestellt, daß das von uns benützte Präparat wegen seiner mannigfaltigen und konstanten Wirkungen äußerst geeignet war zur genauen Feststellung der Lokalisation der Giftwirkung auf den vestibulären Nystagmus. Versuchsergebnisse. 1. Wirkung von Nicotin auf die Augenmuskeln. Versuchsanordnung: Kaninchen Äthernarkose, Tracheotomie, Vagi durch- schnitten, Carotiden temporär unterbunden. MM. rectus externus und internus von einem Auge präpariert und mit Registrierhebeln verbunden. Großhirnexstir- Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VI. 335 pation und Durchschneidung des N. oculomotorius an der Seite des präparierten Auges. Hierauf Athernarkose abgestellt und Aufhebung der temporären Unter- bindung der Carotiden. Einspritzung von Nicotin in eine Vena jugularis. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht der Wirkung von verschie- denen Dosen Nicotin auf die Augenmuskeln. Tabelle 1. Kaninchen | mg Nicotin | Die nach Nicotin auftretenden Reak- Nr. | pro kg Tier | tionen der MM. rectus externus und internus j | 10 3 Starke Kontraktion von beiden Augenmuskeln 11 3 Kontraktion von beiden Augenmuskeln. 13 115) idem 14 1 idem 15 0,75 idem 17 0,5 | Geringe Kontraktion von beiden Augenmuskeln. 18 | 0,5 idem 36 | 0,3 idem 35 | 0,3 sehr geringe Kontraktion von beiden Augenmuskeln 19 | 0,25 Zweifelhafte Wirkung. Kontraktion? 20 | 0,2 Keine Reaktion. Aus dem an dem denervierten M. rectus internus erhobenen Befund geht also hervor, daß Nicotin peripher eine Wirkung auf die Augen- muskeln ausübt, welche sich in Kontraktionen dieser Muskeln äußert und auftritt bei ungefähr 0,25 mg pro kg Tier, um mit steigender Dosis stärker zu werden. Als Beispiel einer derartigen Wirkung möge hier die Abb. 1 von Kaninchen Nr. 36 wiedergegeben werden. M. rect. int. BER M. rect. ext. Abb.1. Kaninchen Nr. 36. Thalamustier. Caroditen offen. Gewicht 1,5 kg. Linker N. oculomo- torius intrakraniell durchschnitten. Verzeichnung der Bewegungen der linken Augenmuskeln. Obere Linie — Musculus rectus internus. Mittlere Linie — Musculus reetus externus. Untere Linie — Zeit in Sekunden. Einspritzung von 0,45 mg. Nicotin (0,8 mg pro kg Tier). Die Auf- stellung in diesem sowie in allen anderen Versuchen war, wie schon oben bemerkt, eine der- artige, daß das Steigen der Kurvenlinie einer Kontraktion der Augenmuskeln entsprach. 2. Wirkung von Nicotin auf die Augenmuskelkerne. Die Versuchsanordnung war hierbei dieselbe wie bei 1, mit Aus- nahme davon, daß die beiden Carotiden bleibend abgebunden waren, um hierdurch eine Wirkung auf die Augenmuskeln selbst auszuschalten. 336 A. de Kleyn und C. Versteegh: Die folgende Tabelle gibt das Resultat der Versuche wieder. Tabelle II. Kaninchen mg Nicotin | Die nach Nicotinverabreichung auftretenden Nr. pro kg Tier | Reaktionen der beiden Augenmuskeln 8 | 3 Keine Augenmuskelbewegungen 12 | 3 idem. 571) | 3 | Kontraktion von beiden Augenmuskeln. 9 | 2,5 Keine Wirkung außer einigen kleinen klonischen Kon- | | traktionen des M. rectus externus. 7 | 2 ' Keine deutliche Wirkung. 3 | 145 ' Kontraktion des M. externus. Keine Reaktion des | | M. internus. 60°) \ 1:5 ' Kontraktion von beiden Augenmuskeln. 4 | 1:5 ' Kontraktion des M. externus. Keine Reaktion des M. | | internus. 52 | 155 | idem. 1 | 1 idem. 2 1 ' Keine Reaktion. 5 | 0,75 idem. 6 0,75 | idem. 16 0,5 | idem. | 0,4 Kontraktion von beiden Augenmuskeln. 38 | 0,3 \ Keine Reaktion. 39 | 0,3 | idem. Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß Nicotin auch, auf die Augenmuskelkerne eine Wirkung ausübt, welche sich ebenso wie die periphere Wirkung in Kontraktionen der Augenmuskeln äußert; die Wirkung beginnt bei Img Nicotin pro kg Tier. Bei 3mg war keine Wirkung mehr zu beobachten, was wahrscheinlich auf eine Lähmung der Augenmuskelkerne durch diese hohen Dosen zurückgeführt werden muß. Eine genauere Untersuchung mit noch höheren Dosen konnte wegen Mangel an dem bisher benützten Nicotinmaterial nicht durch- geführt werden. Die Wirkung des Nicotins auf die Augenmuskelkerne veranschaulicht Abb. 2 von Kaninchen 52. Diese Wirkung, welche hier nach Ein- spritzung von 1,5 mg Nicotin per kg Tier auftrat, äußerte sich darin, daß sich der mit dem Zentralnervensystem verbundene M. rectus externus kontrahierte, während der denervierte M. rectus internus keine Spur von Bewegung zeigte. 1) Bei diesem Versuchstiere trat trotz Unterbindung der Carotiden doch noch eine Kontraktion des denervierten M. rectus internus auf, so daß wahrscheinlich infolge abnormer kollateraler Verhältnisse die Unterbindung der Carotiden nicht genügt hat, um eine Wirkung auf die Augenmuskeln selbst zu verhindern. 2) Bei diesem Kaninchen ist der N. oculomotorius intakt gelassen, so daß in diesem Fall die „Wirkung auf die Augenmuskelkerne“ sich an beiden Augenmuskeln äußern konnte. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VI. 337 Abb. 3, welche von Kaninchen 39 stammt, zeigt, daß eine Dosis Nicotin von 0,3 per kg Tier zu gering ist, um eine Wirkung auf die Augen- muskelkerne auszulösen. Die unter normalen Umständen bei diesen Dosen auftretende Wirkung auf die Augenmuskeln selbst (siehe Abb. 1) ist durch die Unterbindung der beiden Carotiden ausgeschaltet worden. M. rect. int. M. rect. ext. Abb. 2. Kaninchen Nr. 52. Gewicht 1,9kg. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Linker N. oculomotorius intrakraniell durchschnitten. Verzeichnung der Bewegungen der linken Augen- muskeln. Obere Linie: Musculus rectus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus externus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. Beim Pfeile Einspritzung von 2,85 mg Nicotin (15 mg pro kg Tier). M. rect. int. M. rect. ext. Abb.3. Kaninchen Nr.39.. Gewicht 1,7 kg. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Linker N. oculomotorius intrakraniell durchschnitten. Verzeichnung der Bewegungen der linken Augen- muskeln. Obere Linie: Musculus rectus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus externus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. Einspritzung von 0,51 mg Nicotin (0,3 mg pro kg Tler). 3. Wirkung von Nicotin auf das Vestibularsystem im engeren Sinne. (Labyrinth und vestibulares Kerngebiet.) Um eine Wirkung auf dieses Gebiet isoliert zu untersuchen, muß, wie schon gesagt, die Wirkung auf die Augenmuskeln und die Augen- muskelkerne ausgeschaltet werden. Hierfür wurden einesteils die Carotiden abgebunden (Ausschalten der Wirkung auf die Augen- muskeln) und andernteils Dosen von weniger als 1 mg pro kg Tier ge- braucht (Ausschalten der Wirkung auf die Augenmuskelkerne). 338 A. de Kleyn und C. Versteegh: Unter diesen Bedingungen muß eine Wirkung von Nicotin auf einen vestibulären Nystagmus als Wirkung auf das ‚„Vestibularsystem im engeren Sinne‘‘ betrachtet werden. Als vestibularer Nystagmus wurde Kaltwassernystagmus benützt; Temperatur des Wassers 15°C; Fallhöhe 1!/, m. Tabelle III gibt das Resultat einer Versuchsreihe wieder, wobei darauf geachtet wurde, ob und bei welchen Dosen Nicotin den kalorischen vestibulären Nystagmus beeinflußt. Tabelle IIl. Beeinflussung des Kaltwassernystagmus durch Nicotin. Kaninchen | mg Nicotin | Die nach Nicotinverabreichung auftretenden Nr. | pro kg Tier Reaktionen der beiden Augenmuskeln 30 0,4 Stillstand der beiden Augenmuskeln in Deviations- | | stellung. 32 | 0,35 | idem. 9 | 0,3 | idem. 34 | 0,3 | idem. 48 I 0,3 idem. 33 | 0,3 idem. 5 | 0,3 Keine deutliche Reaktion. 46 | 0,3 Stillstand der beiden Augenmuskeln in Deviations- | stellung !). 53 | 0,3 idem. 26 1002 idem. 27 0,2 Stillstand des primär erschlafften Muskels in erschlaff- tem Zustand; die schnelle Erschlaffung des primär | kontrahierten Muskels wird kleiner. 47 | 0,1 die schnellen Erschlaffungen resp. Kontraktionen | (schnelle Phase des Nystagmus) der beiden Augen- | muskeln werden kleiner. 49 | 0,065 idem. 59 | 0,05 idem. 48 | 0,025 Keine Reaktion. Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß bei einer Dosis von 0,025 mg Nicotin pro kg Tier überhaupt keine Veränderung des vestibulären Nystagmus auftritt, bei einer Dosis von 0,05 bis 0,1 mg die schnellen Bewegungen der antagonistischen Augenmuskeln (schnelle Phase des Nystagmus) kleiner werden, während bei Dosen von 0,2 bis 0,75 mg die beiden Augenmuskeln in Deviationsstellung still stehen, d.h. der infolge des vestibulären Reizes primär kontrahverte Muskel in kontra- hiertem, und der primär erschlaffte Muskel in erschlafftem Zustande, während die schnelle Phase verschwindet. Diese Wirkung ist also als reine Wirkung auf das ‚‚Vestibulärgebiet im engeren Sinne“ zu betrachten. 1) „Stillstand der beiden Augenmuskeln in Deviationsstellung‘‘ bedeutet, daß der infolge des vestibulären Reizes primär kontrahierte Muskel in kontrahiertem und der erschlaffte Muskel in erschlafftem Zustande stillsteht. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VI. 339 Es wurden auch noch einige Versuche mit höheren Dosen gemacht. Wie schon oben bemerkt, übt Nicotin in Dosen von 1 mg pro kg Tier eine Wirkung auf die Augenmuskelkerne aus, welche sich in einer Kon- traktion der Augenmuskeln äußert. Es hat sich nun herausgestellt, daß, wenn man bei abgebundenen Carotiden während eines vestibulären Nystagmus die gleiche Dosis Nicotin intravenös einspritzt, die beiden Augenmuskeln sofort in Kontraktion stillstehen, so daß eine eventuelle Wirkung auf das Vestibulärgebiet im engeren Sinn durch diese doppel- seitige Kontraktion nicht zur Geltung kommen kann. Bei Dosen von 0,75 mg pro kg wurde, wie aus Tabelle II hervorgeht, keine Wirkung auf die Augenmuskelkerne beobachtet; in Überein- stimmung hiermit wurde in einem Teil der Versuche bei Einspritzung von dieser Nicotindosis während eines vestibulären Nystagmus Still- stand der Augenmuskeln in Deviationsstellung wahrgenommen. In einem anderen Teil der Versuche trat jedoch Stillstand beider Augen- muskeln in kontrahiertem Zustande auf, so daß es den Eindruck macht, daß während eines vestibulären Nystagmus die Augenmuskelkerne schon durch diese Dosis erregt werden können. Alle die soeben besprochenen Versuche wurden mit abgebundenen . Carotiden gemacht, wodurch eine Wirkung auf die Augenmuskeln selbst ausgeschaltet wird; arbeitet man dagegen mit offenen Carotiden, so tritt auch schon bei kleineren Dosen (s. Tabelle I) eine Kontraktion der Augenmuskeln auf, infolge der Einwirkung des Nicotins auf die Augenmuskeln selbst. Dies ist die Ursache, daß wenn man bei offenen Carotiden während eines vestibulären Nystagmus kleinere Dosen Nicotin intravenös einspritzt, die oben nachgewiesene Wirkung auf das Vestibulärgebiet im engeren Sinn nicht auftritt, weil die beiden Augenmuskeln infolge der peripheren Wirkung des Nicotins sofort in kontrahiertem Zustande stillstehen. Das eben Gesagte möge durch drei Kurven veranschaulicht werden. Zur Erläuterung dieser Kurven möge folgendes bemerkt werden: Kaninchen 33 (Abb. 4); vestibulärer Nystagmus ausgelöst durch Ausspritzung des linken Gehörganges mit kaltem Wasser. Beide Carotiden während des ganzen Versuches abgebunden. Isolierung des linken Mm. rectus externus und rectus internus. Auf der Kurve sind die Bewegungen des M. rectus externus durch die untere Linie, die des M.rectus internus durch die obere Linie wiedergegeben. Infolge der obengenannten calorischen Reizung sieht man am M. rectus externus langsame Kontraktionen unterbrochen durch schnelle Erschlaffungen, und am M. rectus internus umgekehrt langsame Erschlaffungen unter- brochen durch schnelle Kontraktionen. Die Einspritzung von 0,3 mg Nicotin pro kg Tier ist auf der Kurve mit H—-I markiert. Durch die 340 A. de Kleyn und ©. Versteeeh: allgemeine Unruhe des Tieres nach der Einspritzung werden beide Kurvenlinien nach aufwärts verschoben %. Gleich danach sieht man die, durch Nicotineinspritzung ausgelöste, typische Reaktion des M. Tect. int. in M.rect.ext. N 1 Abb. 4. Kaninchen Nr.33. Gewicht 4,22kg. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Aufzeich- nung der Bewegungen der linken Augenmuskeln. Ausspritzung des rechten Gehörganges mit warmem Wasser. Obere Linie: Musculus rectus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus ex- ternus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. ———| Einspritzung von 1.26 mg Nicotin (0,3 mg per kg Tier). ‚„Vestibulärgebietes im engeren Sinn“, welche sich äußert im Auf- hören der schnellen Phase des vestibulären Nystagmus mit Stillstand des primär kontrahierten Muskels (in diesem Fall des M. rectus externus) in kontrahiertem Zustand und des primär erschlafften Muskels (in diesem Fall des M.rectus internus) in erschlafftem Zustand. Nach kurzer Zeit tritt wieder Nystagmus in der früheren Form auf. Auf dieser Kurve ist die Erschlaffung des M. rectus internus stärker ausgeprägt als die Kontraktion des M. rectus externus. Die verschiedenen Versuchstiere verhielten sich in dieser Beziehung wechselnd; bisweilen trat wie in dieser Kurve, die Erschlaffung mehr in den Vordergrund, M. rect. int. ' J ' u Mi I hu im ) M. rect ext. aaa it Abb.5. Kaninchen Nr.51. Gewicht 1,46 kg. Thalamustier. Carotiden offen. Aufzeichnung der Bewegungen der linken Augenmuskeln. Ausspritzung des linken Gehörganges mit kaltem Wasser. Obere Linie: Musculus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus externus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. H——J Einspritzung von 0,438 mg Nicotin (0,3 mg per kg Tier). Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthrefiexe. VI. 341 in anderen Versuchen war das Umgekehrte der Fall und manchmal waren Kontraktion und Erschlaffung ungefähr gleich stark ausgeprägt. Kaninchen 51. (Abb.5.) Die Aufstellung war genau dieselbe wie bei Kaninchen 33 (Abb. 4), mit dem Unterschied, daß die Carotiden während des Versuches nicht abgebunden waren. Demzufolge sieht man in diesem Fall die Wirkung des Nicotins auf das ‚„Vestibulargebiet im engeren Sinn‘ nicht auftreten, da durch den peripheren Nicotineinfluß auf die Augenmuskeln selbst beide Augenmuskeln sich nach der Einspritzung sofort kontrahieren und in diesem Zustand stillstehen. M. rect. int. ALL ANMINMM Mm ll LU nz Mech ot | INA Abb. 6. Kaninchen Nr.58. Gewicht 1,53 kg. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Aufzeich- nung der Bewegungen der linken Augenmuskeln. Ausspritzung des linken Gehörganges mit kaltem Wasser. Obere Linie: Musculus rectus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus ex- ternus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. Einspritzung von 2,8 mg Nicotin (1,5 mg per kg Tier). Kaninchen Nr. 58. (Abb. 6.) Die Aufstellung war genau dieselbe wie beim Kaninchen 33 (Abb. 4), also mit abgebundenen Carotiden. Nach Einspritzung von 1,5 mg Nicotin pro kg Tier gehen beide Augenmuskeln, infolge der Wirkung auf die Augenmuskelkerne, in Kontraktion und hört der bestehende Nystagmus auf. Zum Schluß muß noch die Frage entschieden werden, auf welchen Teil des Vestibulargebietes im engeren Sinn das Nicotin seine Wirkung ausübt. Hierfür kommen das Labyrinth und das Vestibularkerngebiet in Betracht. Um das Vestibularkerngebiet, mit Ausschaltung des La- byrinths, isoliert untersuchen zu können, muß wie schon früher gesagt, der Einfluß des Nicotins auf den kompensatorischen Nystagmus von Bech- terew nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation näher untersucht werden. Bei vier Versuchen hat sich nun herausgestellt, daß nach intra- venöser Einspritzung von 0,3 mg Nicotin pro kg Tier die Wirkung auf den kompensatorischen Nystagmus sich darin äußert, daß ebenfalls die schnelle Phase des Nystagmus verschwindet und die Augen in Deviationsstellung stillstehen. Auf Grund der Tatsache, daß die typische Wirkung von Nicotin auf einen vestibulären Nystagmus auch auftritt bei einem Tier, bei M. rect. int. M. rect. ext. 3492 A. de Kleyn und (©. Versteegh: welchem beide Labyrinthe entfernt sind, kann geschlossen werden, daß das Nicotin jedenfalls eine Wirkung auf das vestibuläre Kern- gebiet ausübt. Eine isolierte Wirkung auf das Labyrinth selbst könnte nur dann mit Sicherheit angenommen werden, wenn es sich herausstellen würde, daß bei bestimmten Nicotindosen nur auf den normalen und nicht auf den kompensatorischen Nystagmus eine Wirkung nachgewiesen werden könnte. Leider konnte aus Mangel an Nicotin keine neue Ver- suchsreihe mit verschiedenen Dosen angestellt werden, um diese Frage zu lösen. Als Beispiel der Nicotinwirkung auf den kompensatorischen Nystag- mus möge Abb. 7 dienen. Aus dieser Kurve 7 geht hervor, daß nach Einspritzung von Nicotin (0,3 mg pro kg Tier) ebenfalls die schnelle Phase des kom- Abb. 7. Kaninchen Nr. 62. Gewicht 1,8kg. 19.11. 1921 Labyrinthexstirpation auf der rechten Seite. Der Versuch ist am 24. 11. 1921 gemacht. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Auf- zeichnung der Bewegungen der linken Augenmuskeln. Labyrinthexstirpation auf der linken Seite. Obere Linie: Musculus rectus internus. Mittlere Linie: Musculus rectus externus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. Vom Ende von a bis zum Beginn von b ist eine Pause von 90 Sekunden. 50 Sekunden vor Beginn von a wurde 0,54 mg Nicotin eingespritzt (0,3 mg per kg Tier). pensatorischen Nystagmus aufhört, während die Augen in Deviations- stellung stillstehen (siehe das Ende von Teil a der Kurve). Bei b ist die Wirkung des Nicotins vorüber und AR CK sell die schnelle Phase zurückgekehrt. & EEE Die Wirkung des Nicotins auf den vestibulären Nystagmus, nämlich das Aufhören der schnellen Phase und Still- stehen der Augen in Deviationsstellung, kann auf zweierlei Weise erklärt werden. Erstens könnte angenommen wer- den, daß Nicotin während eines vesti- bulären Nystagmus einen Reiz auf das Vestibulärgebiet ausübt, in dem Sinne, daß die Deviation der Augen zunimmt und als Folge dieser Deviationszunahme die schnelle Phase des Nystagmus verschwindet. Daß diese Auffassung Berechtigung hat, beweist der folgende Ver- such: Lösen wir durch Ausspritzen eines Gehörganges mit kaltem Wasser Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VI. 343 vestibulären Nystagmus aus und verstärken wir die Augendeviation, indem wir den anderen Gehörgang mit warmem Wasser ausspritzen (oder umgekehrt), so sieht man, daß die schnelle Phase kleiner wird, bis die Augenmuskeln in starker Deviationsstellung stillstehen (siehe Abb. 8). IN ie nt mm Ni KobAE mas | a nn | Abb. 8. Kaninchen Nr.31. Gewicht 225 kg. Thalamustier. Carotiden abgebunden. Aufzeich- nung der Bewegungen der linken Augenmuskeln, Obere Linie: Musculus rectus internus. Mitt- lere Linie: Musculus rectus externus. Untere Linie: Zeit in Sekunden. Bei „Warm A.D.“ wird der rechte: Gehörgang mit warmem Wasser von 43° C ausgespritzt und bei „Kalt A.S.“ der linke Gehörgang mit kaltem Wasser von 13° C. Die zweite Möglichkeit ist, daß durch das Nicotin an irgendeiner Stelle der Reflexbahn die schnelle Phase des Nystagmus unterbrochen wird. Da über diese Reflexbahn experimentell nur sehr wenig bekannt ist, soll hier auf diese Frage nicht näher eingegangen werden. Zusammenfassung. 1. Mit der im vorhergehenden beschriebenen Methode ist es mög- lich, die Angriffspunkte verschiedener Gifte und Arzneimittel auf den vestibulären Nystagmus näher zu lokalisieren. Die folgenden Angriffspunkte wurden untersucht: a) Die Augenmuskeln selbst. b) Die Augenmuskelkerne. c) Das Vestibularkerngebiet. d) Das Labyrinth. 2. In der vorliegenden Mitteilung wurde die Methode beim Nicotin angewandt. Dabei hat sich nach intravenöser Injektion von Nicotin herausgestellt: a) Die Augenmuskeln selbst. Nicotin übt eine periphere Wirkung auf die Augenmuskeln selbst aus, welche sich in Kontraktion dieser Muskeln äußert und auftritt bei 0,25 mg per kg Tier und bei steigender Dosis stärker wird. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 33 344 A.de Kleyn und 0. Versteegh: Pharmakologie der Körperstellung usw. b) Die Augenmuskelkerne. Nicotin übt auf die Augenmuskelkerne eine Wirkung aus, welche sich ebenso wie die periphere Wirkung in Kontraktion beider Augenmuskeln äußert; die Wirkung fängt bei 0,75 mg per kg Tier an und erreicht ihren Höhepunkt bei 1—2mg. Bei 3mg war keine Wirkung mehr zu beobachten, was wahrscheinlich auf eine Lähmung der Augenmuskel- kerne durch diese hohen Dosen zurückgeführt werden muß. c) Das Vestibularkerngebiet während eines vestibulären Nystagmus. Die Wirkung des Nicotins auf das Vestibularkerngebiet in Dosen von 0,05—0,1 mg per kg Tier äußert sich darin, daß die schnelle Phase des Nystagmus kleiner wird; bei Dosen von 0,2—0,75 mg verschwindet die schnelle Phase, so daß die Augen in Deviationsstellung stillstehen. Bei Dosen von 0,025 mg und weniger wurde keine Wirkung auf den vestibulären Nystagmus beobachtet. Bei Dosen von 0,75 mg und höher kommt bei dieser Untersuchungsmethode eine etwaige Wirkung auf das Vestibularkerngebiet nicht zum Vorschein, weil sie verdeckt wird durch die bei diesen Dosen auftretende Wirkung auf die Augenmuskel- kerne. Das obengenannte Verschwinden der schnellen Phase und Ver- harren der Augen in Deviationsstellung kann erklärt werden durch die Annahme, daß Nicotin während eines vestibulären Nystagmus das Vestibularkerngebiet erregt. d) Das Labyrinth. Eine isolierte periphere Wirkung von Nicotin auf das Labyrinth konnte nicht festgestellt werden, (Aus der operativen Abteilung des Physiologischen Institutes der Universität Berlin.) Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. Von Erich Sehilf, und Ibrahim Mandur, Assistent des Instituts, stud. med. aus Kairo (Ägypten). (Eingegangen am 6. Juni 1922.) Inhalt. Seite A Eimleitunge.r a... . 345 B. Methode . N Er RE RA BOZEN RR, . 349 ®. Versuche: 3... RA ll) a) Wirkung einer Närenalineinepritzung & in einen Sohlenballen bei er- haltenem und durchschnittenem Ischiadieus. . . - . 22... . .. 350 b) Wirkung einer Einspritzung von physiologischer Köchealldsndg in einen Sohlenballen bei erhaltenem und durchschnittenem Ischiadicus 352 c) Adrenalinversuche bei durchschnittenen hinteren Wurzeln und neurogalvanische Versuche. . . . . en d) Degenerationsversuche der sekretionsbefördernden Fasern ee) IDRSOZUSSTOTTENTASBUNION Er RRREE EN u N A. Einleitung. Die Schweißdrüsen gehören zu den Organen, die nicht in das all- gemeine Schema der unwillkürlichen Innervation hineinpassen. Dieses baut sich vor allem auf pharmakologischen Beobachtungen auf, die mit gewissen Giften gemacht worden sind. Die Vertreter dieser Gifte sind auf der einen Seite die Piliocarpingruppe und als Gegengift hierzu das Atropin; das Nervensystem, welches von diesen Stoffen erregt bzw. gelähmt wird, nennt man das parasympathische. Auf der anderen Seite steht das Adrenalin, welches das sogenannte sympathische Nerven- system erregt. Die Betrachtung des gesamten autonomen Systems von pharmakologischen Gesichtspunkten aus hat gewiß auch Nach- teile. Solange aber in funktioneller Beziehung eine mehr ins einzelne gehende Kenntnis des autonomen Systems noch nicht vorhanden ist, muß das pharmakologische Experiment nach dem soeben genannten Schema über die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Teil des autonomen Nervensystems entscheiden. Dieses allgemeine Schema paßt nun nicht, wie wir schon oben sagten, auf die Innervation der Schweißdrüsen. Esist vor allem durch die Arbeiten 346 E. Schilf und I. Mandur: Luchsingers!) und seiner Mitarbeiter bekannt, daß bei der Katze die Schweißnerven anatomisch sympathischen Ursprungs sind; Langley?) hat diese Befunde bestätigt und im einzelnen ausgearbeitet. Diese augen- scheinlich sympathisch innervierten Drüsen werden nun durch para- sympathische Gifte beeinflußt. Beim Menschen nämlich ruft Pilocarpin eine lebhafte Schweißsekretion auf der ganzen Körperoberfläche, bei Katzen an den Sohlenballen, hervor; Atropin unterdrückt diese Se- kretion. Adrenalin dagegen läßt bekanntlich die Drüsen beim Men- schen?) und bei der Katze unbeeinflußt. Das Pferd, das intensiv schwitzen kann, schwitzt aber auch auf Adrenalineinspritzung®) hin und Pilocarpin®) zeigt sich bei diesem Tier ebenfalls wirksam im Sinne einer starken Schweißabsonderung. Die Schweißdrüsen des Pferdes reagieren also nach den genannten Autoren auf beide Giftgruppen. 1) Luchsinger, B., Die Schweißabsonderung, in Hermanns Handbuch der Physiol. 5, I. Teil, S. 430. 1883. 2) Langley, J. N., a) On the course and connections of the secretory fibres supplying the sweat glands of the feet of the cat. Journ. of physiol. 12, 347. 1891. b) Further observations on the secretory and vasomotor fibres of the foot of the cat etc. Journ. of physiol. 1%, 296. 1894/95. 3) Allerdings hat Ernst Freund (Wien. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 46, S. 100) bei Untersuchungen mit Adrenaliniontophorese an sich selbst gefunden, daß Adre- nalin unter bestimmten Umständen eine Schweißsekretion hervorrufen könne. ,‚So- fortnach Abnahme der Elektrode zeigt sich eine auf das Gebiet der Elektrode be- schränkte intensive Blässe. Die Haut ist daselbst elfenbeinweiß, trocken, gelegentlich zeigtsich auch Gänsehautbildung. Nun brachte ich dieselbe Hand in den Heißluft- apparat, um das Verhalten der anämischen Hautpartie unter Einwirkung der Wärme zu beobachten. Bei meinem ersten derartigen Versuche konnte ich nun ein auffälliges Verhalten der anämisierten Stelle konstatieren. Nachdem die Wärme einige Minuten eingewirkt hatte, war das noch anämische Gebiet bereits mit dieken Schweißtropfen bedeckt, während die übrige von der Wärme bereits intensiv ge- rötete Haut kaum anfing, feucht zu werden. Die intensive Schweißabsonderung war scharf auf das anämische Gebiet beschränkt“. Wir haben die Versuche wieder- holt und können den Versuch insofern bestätigen als die Möglichkeit eines elek- trischen Hereintreibens von Adrenalin vorhanden ist. Das war aber schon früher bekannt. Auch die Gänsehautbildung können wir bestätigen. Eine vermehrte Schweißabsonderung in dem Elektrodengebiet haben wir bei Anwendung von Heißluft nicht finden können. Doch da Freund meinte, daß die Fähigkeit zur Schweißabsonderung bei verschiedenen Menschen in sehr ungleicher Weise ent- wickelt ist, so kann doch erst ein größeres Versuchsmaterial die Frage der Adrenalin- wirkung auf die Schweißsekretion bei Heißluft entscheiden. 4) Götze, Richard, Oszillatorische Blutdruckmessungen an gesunden und Osteo- malazie leidenden Pferden. Inaug.-Diss. Dresden 1916, S. 103. Herrn Prof. Scheunert sagen wir unseren besten Dank für den Hinweis auf diese Arbeit, die unter seiner Leitung gemacht wurde. b) Kiichiro Muto, Über die Wirkung des Adrenalins auf die Schweißsekretion. Mitteilungen aus der med. Fakult der kais. Universität zu Tokio 15, 2. Heft, S . 365. 1916. 5) Siehe Luchsinger S. 426. Bemerkung zu ?) und °): Herr Prof. Langley hat uns brieflich mitgeteilt, daß nach einem älteren Versuche eines englischen Tierarztes Pilocarpin beim Pferde Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 347 Der Frosch, der zahlreiche Hautdrüsen hat, die allerdings wohl andere Funktionen haben werden als die Schweißdrüsen gleichwarmer Tiere, reagiert sowohl auf Adrenalin!) als auch auf Atropin?) und Pilo- carpin?) im Sinne einer Produktion oder einer Hemmung der Schweißsekretion. | Auf Grund dieser Befunde über die Wirkungsweise von Adrenalin bzw. Pilocarpin und Atropin auf die Schweiß- bzw. Hautdrüsen äußerte Heubner*), die Ansicht, daß die Nerven der Schweißdrüsen pharmako- logisch zum konsensuellen (parasympathischen) Nervensystem gehören, während die Hautdrüsen des Frosches sympathisch innerviert seien. Wenn wir von der pharmakologischen Fragestellung, deren Be- arbeitung zweifellos zur Lösung des Problems der Schweißdrüsen- innervation beiträgt, absehen, so bleibt die anatomisch-physiologische Betrachtung dieses Problems zurück. Sie ist von Zuchsinger?) beider Katze und von Langley®) bei der Katze und Frosch und von Brücke”)bei der Kröte zum Studium der Schweiß- bezw. Hautdrüseninnervation herangezogen worden. In neuester Zeit haben dann Schilf und Mitarbeiter®) dieses Unter- suchungsverfahren in Zusammenhang mit der psychogalvanischen bzw. neurogalvanischen Methode gebraucht, die Innervation der eine Schweißsekretion nicht hervorruft. Er selbst habe keine Versuche am Pferd angestellt. Herr Prof. Scheunert, der uns liebenswürdigerweise Auskunft gab, hat jedoch viele Versuche mit Pilocarpin bei Pferden gemacht und kann die Angaben von Luchsinger und von Muto über die Wirksamkeit des Pilocarpins bestätigen. Die Wirkung von Adrenalin auf die Schweißsekretion kann nicht zentral sein, da sie nach Muto auch bei durchschnittenen Nerven auftritt. Dieser Autor hält sie deshalb für peripherisch. Herr Prof. Scheunert sprach die Vermutung aus, daß möglicherweise bei Adrenalineinspritzung die glatte Muskulatur der Haut an der Schweißsekretion beteiligt sei. 1) a) Ehrmann, R., Über die Wirkung des Adrenalins auf die Hautdrüsen- sekretion des Frosches. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 53, 137. 1905; b) Wastl, H., Über die Wirkung des Adrenalins auf die Drüsen der Krötenhaut. Zeitschr. f. Biol. 74, Heft 1—2, S. 77. 1921. 2) a) Stricker, S. und A. Spina, Untersuchungen über die mechanischen Leistungen der acinösen Drüsen. Wien. med. Jahrb. 1886, S. 355. b) Schilf, E. und A. Schuberth, Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch usw. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 75. 1922. 3) Drasch, O., Beobachtungen an lebenden Drüsen mit und ohne Reizung der Nervenzellen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1889, S. 131. *) Heubner, W., Ein Vorschlag zur Nomenklatur im vegetativen Nerven- system. Zentralbl. f. Physiol. 26, Nr. 24, S. 1180. 1913. SO) 5 6) a. a. O. und Langley and M. A. Orbeili, Observations on the sympathetic and sacral antonomic system of the frog. Journ. of physiol. 41, 450, 1910/1911. ?) von Brücke, E. Th., Über die sympathische Innervation der Krötenhaut. Zeitschr. f. Biol. 44, Heft 1/2, S. 99. 1921. ®) a) a.a. OÖ. b) Hara, Y., Der psychogalvanische Reflex bei Katzen und Hunden. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 195, 288. 1922. 348 E. Schilf und I. Mandur: Schweißdrüsen bei der Katze und die der Hautdrüsen des Frosches klarzustellen bzw. die Erfahrungen, die schon früher gemacht worden waren, nachzuprüfen!). Eine Vereinigung der pharmakologischen und physiologischen Methode ist dann von Dieden?) benutzt worden, um die Innervation der Schweißdrüsen zu studieren. Wenn auch die früheren Autoren beide Methoden vereinigt in Anwendung gebracht haben, so glaubten wir Diedens Versuchsmethodik besonders anführen zu müssen, weil er auf Grund seiner Beobachtungen wichtige Tatsachen der Schweiß- drüseninnervation klargelegt zu haben schien. Gelegentlich der Studien über den psychogalvanischen Reflex und das neurogalvanische Phänomen — Güldemeister nennt neuerdings das psychogalvanische Reflexphänomen den galvanischen Haut- reflex?) — machten wir einige Feststellungen, die mit den Beobachtungen von Dieden nicht zu vereinbaren waren. Wir glaubten daher, uns durch Versuche von der Richtigkeit der Diedenschen Resultate überzeugen zu sollen. Dieden ging von der Tatsache aus, daß die meisten Organe, die nicht dem Willen unterworfen sind, eine doppelte Innervation besitzen, eine befördernde und eine hemmende. Für die Schweißdrüsen war nur eine befördernde Innervation bekannt, deren Fasern durch die vorderen Wurzeln das Rückenmark verlassen, dann in dem Grenz- strang weiter verlaufen, um schließlich peripheriewärts sich den spina- len Nerven anzuschließen. Der Autor war nun auf Grund seiner Versuchsresultate von dem Vorhandensein einer Hemmungsinner- vation überzeugt. Dieselbe verliefe für die Hinterpfote der Katze durch diejenigen hinteren Lumbalwurzeln, die die sensiblen Fasern des Ischiadicus enthalten. Auf die Versuche im einzelnen werden wir weiter unten einzugehen haben. Die Arbeiten Diedens sind in den neuesten Lehrbüchern usw. überall berücksichtigt. 1) Nach Drucklegung der Korrektur ist noch eine Arbeit von K. Uyeno (The sympathetic innervation of the skin of the toad. Journal of physiol. 56, 359-366. 1922) über diesen Gegenstand erschienen. Der Autor hat unter Langleys Leitung noch einmal die früheren Arbeiten von Langley und Orbelli wiederholt und die alten Resultate bestätigt. Brücke [siehe unter Nr. ?) der Literaturangabe $. 347] war nämlich bei der Innervation der Hautdrüsen der Kröte zu einem etwas anderen Ergebnis gekommen. Der eine von uns (Schilf) hat gelegentlich einer früheren Mitteilung (siehe unter Nr. 2 b der Literaturangabe S. 347) ebenfalls die Befunde von Brücke nicht bestätigen können, sondern sich der Ansicht von Langley und Orbelli angeschlossen. 2) Dieden, H., a) Klinische und experimentelle Studien über die Innervation der Schweißdrüsen. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 11%, 180. 1915. b) Über die Wirkung des Adrenalins auf die Schweißsekretion. Zeitschr. f. Biol. 66, 387. 1916. c) Die Innervation der Schweißdrüsen. Dtsch. med. Wochenschr. 49, 1049. 1918. 3) @ildemeister, Martin, Der psychogalvanische Reflex. Vortrag, gehalten am 19. V. 1922 vor der physiol. Gesellschaft zu Berlin. Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 349 Wir sagten schon oben, daß wir in dieser Arbeit die Versuche Diedens nachzumachen beabsichtigen, um dann später in weiteren Mitteilungen tlie Frage der Schweißdrüseninnervation bis zu ihrem mehr zentral gelegenen Teile zu bearbeiten. Als wir unsere Versuche beendet hatten, kamen wir durch Zufall in den Besitz von Langleys Buch ‚‚The Autonomic Nervous System‘ (vom Jahre 1921). Hier sahen wir, daß Langley die Versuche von Dieden zu einem kleinen Teil auch nachgemacht hatte. Da Langley in seinem Buche mitteilte, daß er weitere Versuche über dasselbe Thema anstellen würde, schrieb der eine von uns (Schilf) im Zusammenhang mit einer anderen hier nicht interessierenden Frage an Langley, daß von uns alle Versuche von Dieden wiederholt worden seien. Wir teilten weiter Langley auf Grund unserer Versuche unsere Ansicht über die von Dieden gefundene Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen der Katze mit. Langley antwortete sofort mit einem Briefe und sandte auch einen Se- paratabdruck der letzten Nummer des Journal of physiology. Die Veröffentlichung!) enthielt das Resultat seiner Nachprüfung der Diedenschen Versuche. Langley war in seinem Urteil über die Hemmungs- innervation der Schweißdrüsen zu demselben Schluß gekommen, den wir ebenfalls aus unseren Versuchen gezogen, und den wir auch Langley mitgeteilt hatten. Wenn wir trotzdem hiermit unsere speziellen Versuchsergebnisse veröffentlichen, so möchten wir dies in erster Linie deshalb tun, weil wir, wie schon gesagt, weitere Versuche über die Schweißdrüseninner- vation hinsichtlich des mehr zentral gelegenen Teiles in Vorbereitung haben. In zweiter Linie gewinnt, so glauben wir, das Resultat durch die Übereinstimmung der Mitteilung von Langley und unseren Befunden an Sicherheit. B. Methode. Wir benutzten zu unseren Versuchen Katzen, die für gewöhnlich erst 14 Tage im Käfig gehalten wurden. Wir haben die Beobachtung gemacht, daß die Tiere innerhalb dieser Zeit sich an ihre Umgebung gewöhnten und dann auch das Futter annahmen. Das Innehalten dieser Wartefrist ist vor allem bei solchen Katzen. wichtig, die längere Zeit nach einer Operation lebend gehalten werden sollen. Die Nahrungsaufnahme, vor allem von Flüssigkeiten — Milch —, ist wohl für die Erhaltung des Tieres nach einer eingreifenden Operation entscheidend. Weiter nahmen wir zu unseren Versuchen nur Katzen mit dunkel pigmen- tierten Fußballen. Man ist bei diesen Tieren besser in der Lage, die Sekretion zu beobachten. Zu den Einspritzungen von Lösungen unter die Haut oder in die Sohlenballen (in das subcutane Gewebe) zwecks Erreichung einer Schweißsekretion, banden wir. die Tiere nie auf. Der Wärter hielt die Katze auf dem Arm. Während I) Langley, N., The sekretion of sweat. Part. I. Journ. of Physiol. 56, 110. 1922. 350 E. Schilf und I. Mandur: er es streichelte, konnten wir bequem unsere Injektionen vornehmen, selbst die sicher nicht ganz schmerzlosen in den Sohlenballen der Pfote. Die Tiere bleiben meistens ruhig, und man ist auf diese Weise in der Lage, die Wirkung der Ein- spritzungen ohne weitere Beunruhigung der Tiere zu studieren. Zu den Einspritzungen benutzten wir physiologische NaCl-Lösungen, Supra- reninum hydrochloricum syntheticum (D. A. B. 5. Farbwerke vorm. Meister Lucius und Brüning) Lösung 1 : 1000, und eine I proz. Lösung von Pilocarpinum hydrochloricum. Sämtliche Katzen, die zum Versuch kamen, wurden zuerst einem Pilocarpin- vorversuch unterworfen. Den Tieren wurde 4 mg Pilocarpin unter die Rückenhaut gespritzt, um zu sehen, ob sie überhaupt sichtbaren Schweiß sezernieren. Es gibt nämlich Katzen, die weder auf Pilocarpin noch auf Reizung der zugehörigen Se- kretionsnerven mit einer für das Auge wahrnehmbaren Schweißproduktion reagieren. Langley!) hatte ähnliche Erfahrungen gemacht. Von 30 untersuchten Katzen reagierten 2 nicht auf Pilocarpin. Bei der einen von beiden erhielten wir auch auf Ischiadicusreizung keine Schweißsekretion an der betreffenden Extremität. Auch neurogalvanisch (Methode siche bei Hara a. a. O.) war ein Galvanometer- ausschlag nicht zu beobachten ?). Bei der Pilocarpineinspritzung beobachtet man gewöhnlich zuerst Speichel- fluß und zwar 2—4’ nach der Injektion. Die Tiere fangen zunächst an zu schlucken, um dann auch Speichel aus der Schnauze zu verlieren. Zu gleicher Zeit tritt dann auch eine Schweißsekretion auf, zuerst langsam, nach 5’ in kleinen zahlreich auf den Zehen- und Sohlenballen sich zeigenden Perlen. Meist ist der Schweiß zuerst an den Zehenballen zu beobachten und dann erst auf den Sohlenballen. Hatten wir uns bei den Tieren von der Möglichkeit des Schwitzens über- zeugt, so schritten wir in den nächsten Tagen zu den Versuchen, die wir vornehmen wollten. Die Versuche fanden im Frühjahr im geheizten Laboratorium statt. C. Versuche. a) Wirkung einer Adrenalineinspritzung in einen Sohlenballen bei erhaltenem und durchschnittenem Ischiadicus. Zu den Versuchen spritzten wir gewöhnlich 0,5—1l ccm unserer Adrenalinlösung unter die Haut des Sohlenballens. Die Katze wurde vom Wärter gehalten und nicht aufgebunden. Dieden bezog sich in seiner Arbeit über die Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen, deren Nachprüfung das Thema der vorliegenden Arbeit ist, auf einen Befund in einer Veröffentlichung von Langley. Als nämlich Zangley?) die Wirkung des Nebennierenextraktes auf verschiedene Organe studiert hatte, fand er diesen im Sinne einer Vermehrung der Speichelsekretion wirksam, während eine Schweiß- sekretion selbst bei Einspritzung des Extraktes in einen Sohlenballen nicht eintrat. Er benutzte zu seinen Untersuchungen über die Speichel- !) a. a. OÖ. Journ. of Physiol. 56, 110. 1922. ?2) Vor kurzem hatte unser Mitarbeiter Dr. Hera im Laufe seiner Unter- suchungen ebenfalls eine Katze gefunden, die bei Ischiadicusreizung kein neuro- galvanisches Phänomen zeigte. 3) Langley, J. N., Observations on the physiological action of extracts of the suprarenal bodies. Journ. of physiol. %%, 237. 1901. Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 351 sekretion Katzen, denen er eine Submaxillaris-Fistel angelegt hatte und zählte die Tropfen. Das Extrakt gab er gewöhnlich intravenös in die Beinvene. Die beiden zugehörigen sekretorischen Nerven, Chorda tympani und Üervicalsympathicus, hatte er durchschnitten, um auch den Effekt einer peripherischen elektrischen Nervenreizung studieren zu können. Dieden glaubte nun, daß, wenn er der Katze die sekre- torischen Schweißdrüsenfasern durchschneiden würde, die Schweiß- drüsen möglicherweise auch nach einer Adrenalininjektion sezernieren könnten. Aus der Arbeit Langleys ging allerdings nicht hervor, daß er die sezernierenden Nerven der Submaxillarisdrüse deshalb durchschnitten hatte, weil er an irgendeine Beziehung zwischen der Wirkung von Adre- nalinextrakt und Nervendurchschneidung gedacht hat. Doch hatte der Schluß, den Dieden aus der Langley schen Arbeit über die Speicheldrüsen zog, was die Schweißdrüsen anbetraf, einige Wahrscheinlichkeit für sich. Dieden fand wie Langley, der in der Arbeit auch Versuche über die Wirkung des Extraktes auf die Schweißdrüsen gemacht hatte, daß Adrenalin auch bei Injektion in den Sohlenballen bei intaktem Ischia- dieus wirkungslos blieb. Nachdem er aber den Ischiadicus durchschnitten hatte, ‚war der Erfolg ein prompter. Schon nach wenigen Sekunden trat ganz profuser Schweißerguß auf.” Dieden erklärt sich die Fest- stellung, daß Adrenalin bei erhaltenen Nerven wirkungslos ist, aber nach Abtrennung der Schweißdrüsen von ihrem nervösen Zentrum wirkt, so, daß im ersten Falle eine Hemmung ‚‚durch Einwirkung des Giftes entweder reflektorisch oder durch Einwirkung des Giftes auf die Hemmungszentren des Rückenmarks zustande kommt.‘ Diese Hemmungswirkung müsse wegfallen, wenn die Nerven durchschnitten seien oder wenn bei unversehrtem Nerv das Tier tief narkotisiert sei. Wir beobachteten bei unseren Versuchen folgendes: Es gibt Katzen, die bei noch nicht durchschnittenem Ischiadicus auf eine Adrenalin- einspritzung in einen Sohlenballen gar nicht mit einer Schweißsekretion reagieren. Bei einigen Tieren — unter 10 Katzen waren es 3 — war um die Injektionsstelle herum eine geringe Sekretion zu bemerken. Wischte man den Schweiß weg, so trat nach einigen Minuten doch wieder ein feuchter Glanz der Sohlenballenhaut auf. Wir meinen trotzdem, daß Adrenalin bei erhaltenem Ischiadicus keine oder doch nur eine örtlich um die Injektionsstelle herum sich findende geringe Schweißsekretion hervorruft, deren Stärke in keinem Verhältnis zu der durch Pilocarpin hervorgerufenen steht und deshalb für unsere Versuchszwecke nicht maßgebend sein kann. Wir kommen weiter unten noch einmal auf die geringe und örtlich um die Einstichstelle herum sich findende Schweiß- sekretion zurück. Durchschnitten wir den Ischiadicus, — Eingriff in der Glutäal- gegend unter aseptischen Vorsichtsmaßregeln in leichter Chloroform- 352 E. Schilf und I. Mandur: Äthernarkose, am Tage nach der Operation Fortsetzung des Adrenalin- versuches —, so haben wir in keinem Falle eine Änderung in der Wirkung des Adrenalins gefunden. Adrenalin, in einen Sohlenballen injiziert, hatte in 10 Fällen einer Ischiadieusdurchschneidung keine andere Schweißsekretion hervorgebracht, wie sie auch bei erhaltenem Ischia- dicus zu sehen war. Wir sind mit diesem Versuchsresultat in Übereinstimmung mit dem von Langley. Versuche mit tiefer Narkose sind nach unserer Be- obachtung nicht ganz einwandfrei anzustellen. Es kommt schon beim Aufbinden und dann auch zu Beginn der Narkose fast immer zu einer lebhaften Schweißsekretion. Wäre die Pfote aber trotz allem trocken geblieben, wir haben einen solchen Fall nicht beobachtet, so ist eine Schweißsekretion auf Adrenalininjektion auch noch so zu deuten, daß zufällig irgendwelche zentralen Vorgänge, die durch die Narkose hervorgerufen sein können, die Schweißsekretion bedingt haben, und nicht die Adrenalineinspritzung in einen Sohlenballen. Indessen hat Langley in seiner letzten Arbeit berichtet, daß eine tiefe Narkose keines- wegs die Adrenalinwirkung — starke Schweißsekretion —, die Dieden bei tiefer Narkose erreicht hat, zustande brachte. Das Tier schwitzte nicht. Wir nehmen an, daß bei den Katzen, die Dieden benutzte, wahr- scheinlich Kreislaufänderungen, durch die Nervendurchschneidung und Narkose bedingt, zu den von dem Autor gemachten Beobachtungen geführt haben. Darauf läßt vielleicht auch besonders die Feststellung schließen, die Dieden angestellt hat, daß nämlich 6 Tage nach der Ischiadicusdurchschneidung eine nicht mehr profuse, sondern nur noch geringe Sekretion durch örtliche Adrenalinwirkung zu erzielen war!). Aus unseren Versuchen konnte nicht geschlossen werden, daß eine Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen besteht, da Durchschneidung der Nerven die Wirksamkeit der Adrenalingabe nicht änderte. b) Wirkung einer Einspritzung von physiologischer Kochsalzlösung in einen Sohlenballen bei erhaltenem und durchschnitienem Ischiadicus. Dieden hatte aus Vergleichsgründen Kochsalzlösungen unter die Haut gespritzt und gefunden, daß die Lösung eine Schweißsekretion nicht hervorrief. 1) Nach Fertigstellung des Korrekturbogens schickte uns Herr Prof. Langley den zweiten Teil seiner Arbeit über die Schweißdrüsensekretion zu (The secretion of zweat. Part. II. The effect of vaso-constrietion and of adrenaline, [zusammen mit K. Uyeno]. Journal of physiol. Bd. 56, 206. 1922). Aus der Arbeit geht hervor, daß Änderungen in der Blutversorgung der Schweiß- drüsen Unterschiede in der Stärke der Schweißproduktion hervorbringen. Sie können aber doch nicht ganz die so auffälligen Unterschiede zwischen den Resultaten von Dieden und denen von Langley und uns erklären. Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 353 Wir fanden, daß viele Tiere nach einer Einspritzung von lcem— NaCl-Lösung um die Injektionsstelle herum örtlich gering schwitzten. Bei einigen Tieren — von 13 waren es 7 — war diese Schweißsekretion sogar stärker als bei den Tieren, die auf eine Adrenalineinspritzung um die Einstichstelle herum mit einer Schweißproduktion reagierten. Wir gingen dabei so vor, daß wir einer Katze in den linken Sohlenballen Adrenalin, in den rechten NaCl-Lösung spritzten. Es läßt sich dann bei genauem Hinsehen der Unterschied wahrnehmen. Eine beider- seitige Ischiadieusdurchschneidung änderte nichts an dem Befunde. Man muß allerdings darauf vorbereitet sein, daß die örtliche Schweiß- sekretion an den verschiedenen Tagen sehr wechselnd auftritt, und so ist es sehr gut möglich, daß Dieden zufällig auf Kochsalzeinspritzung keine Schweißsekretion gesehen hat. Wir stimmen also mit Dieden überein, daß NaCl-Lösung keine oder doch nur eine geringe um die Injektionsstelle herum auftretende Schweißsekretion zur Folge hat. Langley hatte ähnliche Beobachtungen gemacht und schloß weiter, daß die örtliche Schweißsekretion auf Adrenalin nicht eine Adrenalin- wirkung wäre, sondern durch das Lösungsmittel bedingt sei. c) Adrenalinversuche bei durchschnittenen hinteren Wurzeln und neurogalvanische Versuche. Aus seinen Adrenalinversuchen sah sich Dieden im Gegensatz zu den späteren Befunden von Langley und uns veranlaßt, Hemmungs- nerven für die Schweißinnervation anzunehmen. Und es lag nahe, diese Nerven weiter zu verfolgen. Da die sekretorischen Fasern mit den Vasoconstrictoren verlaufen, setzte er die Hemmungsfasern mit den Vasodilatatoren in Analogie. Durchschneidung der hinteren Wurzeln des Plexus lumbosacralis mußte die Hemmung verschwinden lassen, die Katze müßte jetzt auf eine örtliche Injektion von Adrenalin in die Sohlenballen ebenso schwitzen wie vorher bei durchschnittenem Ischiadieus. Tatsächlich trat nach seinen Angaben bei den Katzen, denen der Autor die hinteren Wurzeln des unteren Dorsal- und des Lendenmarkes durchschnitten und in den betreffenden Sohlenballen Adrenalin injiziert hatte, „starker Schweiß auf, der vorne völlig aus- blieb. Bei Reizung der hinteren Wurzeln schien der Schweiß bei den drei bis jetzt in dieser Richtung angestellten Versuchen zu versiegen“. Wir wiederholten auch diese Versuche. Zur Durchschneidung der hinteren Wurzeln einer Seite wurden die Versuchstiere mit einer Äther- Chloroformmischung betäubt und der Rückenmarkskanal unter asep- tischen Vorsichtsmaßregeln in einer Länge von ungefähr 10cm in Höhe der in Betracht kommenden Wurzeln freigelegt. Dann wurde die Dura gespalten und alle freiliegenden hinteren Wurzeln wurden durchschnitten. Uns standen 5 Katzen zu dieser Operation zur Ver- 354 E. Schilf und I. Mandur: fügung. Ein Tier starb in der Narkose, ein zweites am Tage nach der Operation, ein drittes war durch den Eingriff an beiden Hinterextremi- täten motorisch gelähmt. Die anderen zwei Tiere haben den Eingriff überstanden. Wir fanden 3 Tage nach der Operation, daß sowohl das gelähmte Tier als auch die beiden anderen lebenden Katzen auf eine Adrenalineinspritzung in die Pfote sich nicht anders verhielten als normale Tiere. Starker Schweiß trat nie auf. Alle drei Tiere wurden dann getötet und seziert. Wir zählten die Wurzeln von der ersten Wurzel zwischen Schädel und Atlas anfangend aus, um uns zu über- zeugen, daß auch tatsächlich die hinteren Wurzeln, die zum Ischiadicus laufen, durchschnitten worden waren. Wir hatten keinen Grund, eine Reizung der hinteren Wurzeln vorzunehmen, um eine eventuelle Hem- mung der Schweißsekretion zu beobachten, da eine Adrenalinein- spritzung keine oder nur eine geringe örtliche Schweißsekretion um die Injektionsstelle herum hervorgerufen hatte. An vier Katzen machten wir weiter folgenden Versuch, wie er auch von Langley zum Nachweis einer eventuell in den hinteren Wurzeln verlaufenden Hemmungsinnervation ausgeführt worden ist. In tiefer Choroform-Äthernarkose legten wir in Höhe des unteren Lenden- und des Sakralmarkes das Rückenmark frei. Dann gaben wir dem Tier 4 mg Pilocarpin. Es trat an allen vier Pfoten eine starke Schweiß- sekretion auf. Diese suchten wir, wenn wir mit Dieden annahmen, daß in den hinteren Wurzeln Hemmungsfasern verlaufen, dadurch zu verhindern, daß wir sie elektrisch reizten. Wir sahen indessen keinen Erfolg der Reizung. Allerdings haben wir nie mehr als zwei Wurzeln auf einer Seite gleichzeitig gereizt. Trotzdem hätte sich doch irgendeine Wirkung an der Pfote, die von den beiden Wurzeln versorgt wurde, zeigen müssen. Auch Zangley hatte die Reizung unwirksam gefunden. Neuro- galvanisch hatte eine mäßige Reizung der hinteren Wurzeln auf die Wanderung des Galvanometerspiegels keinen Einfluß. Zum mindesten hätte man annehmen müssen, daß die Wanderungsgeschwindigkeit des Galvanometerspiegels, die bei einem nicht gereizten Tier im Sinne der Widerstandsvermehrung, d.h. im Sinne der Zunahme der Polarisation!) zu sehen ist, zunehmen müssen. Dies war aber nicht zu beobachten ge- wesen. Wohl aber haben wir bei überstarker elektrischer Reizung — Rollenabstand Null eines großen du Bois-Reymondschen Schlitten- induktoriums und ein Akkumulator als Kraftquelle — ein neurogalva- nisches Phänomen erhalten. Hieraus könnte man schließen, daß auch in den hinteren Wurzeln Sekretionsfasern verliefen. Aber schon Luch- singer:) hat bei Anwendung starker Ströme an die Stromschleifen ge- 1) Güildemeister, M., Der sogenannte psychogalvanische Reflex und seine physikalisch-chemische Deutung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 489. 1915. 2) a.ra. 0.79.1432: Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 355 dacht, so daß wir glauben, daß unser neurogalvanisches Phänomen durch Stromschleifen, die den in der Nähe liegenden Grenzstrang treffen, hervorgerufen wurde. Auf mechanische Reizung der hinteren Wurzeln — Quetschen mit einer Pinzette — war ein neurogalvanisches Phänomen nie zu erzielen, während es doch bei mechanischer Reizung der betreffenden vorderen Wurzeln — untere Brust- und obere Lenden- wurzeln — stets zu erhalten ist. Gegen das Vorhandensein einer Hemmungsinnervation spricht auch folgende Beobachtung, die wir gelegentlich von Versuchen über das neurogalvanische Phänomen bei Katzen und Fröschen häufig angestellt haben. Das Tier liegt mit den Hinterpfoten im Stromkreis. Durchschneidet man nun einzeln die hinteren Wurzeln, so müßte jedesmal ein Ausschlag des Galvanometers im Sinne des neurogal- vanischen Phänomens auftreten, weil ja eine Hemmungsinnervation fortfällt. Wir haben einen Ausschlag des Galvanometers nie beobachten können. Aus den Versuchen geht hervor, daß wir keinen Grund haben, in den hinteren Wurzeln verlaufende Hemmungsfasern für die Schweiß- drüsen anzunehmen. Ihre Innervation ist mit derjenigen anderer unwillkürlich innervierter Organe nicht in Parallele zu setzen. Einen Hemmungs- und einen Beförderungstonus, wie er z.B. beim Herzen oder beim Auge vorhanden ist, gibt es nach unseren Versuchen bei den Schweißdrüsen nicht. Zu ähnlichen Resultaten ist A. Loewy!) von einer anderen Seite her gekommen. Der Autor stellte die Wasserabgabe fest, die rein physikalisch von der Hautoberfläche stattfindet. Und zwar kamen drei blutsverwandte Personen in Betracht, ‚die an eigen- tümlichen ektodermalen Hemmungsbildungen litten und denen im speziellen die Schweißdrüsen und größtenteils auch die Hauttalgdrüsen fehlten“ ?). Die Menge der Wasserabgabe verglich er mit derjenigen, die normalerweise bei Gesunden gefunden wird, wenn diese einer Tem- peratur ausgesetzt werden, die keine sichtbare Schweißsekretion zur Folge hat. Es zeigte sich dann, daß die Hautwasserabgabe bei den Gesunden ebenso groß war, wie die der Schweißdrüsenlosen, wenn eine mittlere Umgebungstemperatur und Körperruhe innegehalten wurde. Hieraus schloß Zoewy, daß ‚unter allen Bedingungen, die keine stärkere Erwärmung des Körpers verlangen, die Schweißdrüsen untätig sein würden; sie würden nicht perpetuierlich, vielmehr nur temporär tätige Drüsen darstellen“. Hiermit ist ausgesprochen, daß bei der Innervation 1) Loewy, A. {Berlin), Untersuchungen über die physikalische Hautwasser- abgabe. Biochem. Zeitschr. 6%, 243. 1914. 2) Loewy, A. und W. Wechselmann, Zur Physiologie und Pathologie des Wasserwechsels und der Wärmeregulation seitens des Hautorgans. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Pathol. 206, 79. 1911. 356 E. Schilf und I. Mandur: der Schweißdrüsen ein Tonus der Innervation nicht vorhanden ist. Wir haben ja bei unseren hautgalvanischen Versuchen dasselbe ge- funden, wenigstens ergab Durchschneidung der hinteren Wurzeln, in denen nach Dieden die Hemmungsfasern verlaufen sollten, keinen Anhalt für die Annahme, daß jetzt der befördernde Tonus überwiege. Wir schließen also aus den Versuchen dieses Kapitels, daß hemmende Fasern in den hinteren Wurzeln nicht vorhanden sind. Die alte Frage nach dem Vorkommen von Sekretionsfasern im direkten Verlauf der Wurzeln wird in einer weiteren Arbeit, die schon angefangen worden ist, mit Hilfe der hautgalvanischen Methode erörtert werden. d) Degenerationsversuche der sekretionsbefördernden Fasern. Goltz!) und später Pearce?) haben nachgewiesen, daß bei Durch- schneidung und Degeneration des Ischiadicus in dem betreffenden Gebiet zuerst die Vasoconstrietoren absterben und dann die Dilatatoren. Die ersteren sterben beim Hunde innerhalb von 6 Tagen ab. Reizt man also nach dieser Zeit den Ischiadicus, so kommt es nicht zu einer Gefäß- verengerung, sondern zu einer Erweiterung der Gefäße. Inwieweit aus einem derartigen Versuche auf ein Vorhandensein gefäßerweiternder Fasern im üblichen Sinne, die bei dem Versuch noch nicht degeneriert sind und infolgedessen gereizt wurden, geschlossen werden kann, lassen wir hier unberücksichtigt. Dieden glaubte aus diesen Versuchen ähnliche Umkehrwirkungen bei der Innervation der Schweißdrüsen vermuten zu dürfen. Er durch- schnitt deshalb bei einer Katze den Ischiadicus und wartete einige Tage, bis eine Reizung des peripherischen Nervenendes keine Schweißsekretion hervorrief. Dann gab er Pilocarpin; das Tier schwitzte jetzt an allen 4 Pfoten. Reizte er aber das peripherische Nervenende, so versiegte der Schweiß. Mit diesem Versuch glaubte Dieden die Hemmungsfasern gereizt zu haben, da ja die sekretionsbefördernden Nerven abgestorben seien. Bei der Nachprüfung des Versuches stießen wir auf einige Schwierig- keiten, die ein endgültiges Resultat nicht zustande kommen ließen. Durchschnitten wir den Ischiadicus und warteten wir einige Tage, bis eine Reizung des peripherischen Stumpfes keine Schweißsekretion mehr hervorrief, so fanden wir, daß auch die Wirkung einer Pilocarpin- injektion, die unter die Rückenhaut vorgenommen wurde, so gering war, daß man quantitative Beobachtungen nicht gut machen konnte. 1) Goltz, Fr., Über gefäßerweiternde Nerven. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 9, 174. 1874 und 11, 52. 1875. ?) Pearce, R. @., Studien über antagonistische Nerven. Zeitschr. f. Biol. 62, 243. 1913. Zur Frage der Hemmungsinnervation der Schweißdrüsen. 357 Wir haben 5 Versuche mit Degeneration der sekretorischen Nerven angestellt. Ein sicheres Urteil läßt sich aber aus diesen Versuchen nicht gewinnen. E. Zusammenfassung. Unsere Versuche haben folgendes ergeben: 1. Adrenalin, in den Sohlenballen eingespritzt, hat sowohl bei erhaltenem als auch bei durchschnittenem Ischiadicus keine oder nur ganz geringe Wirkung im Sinne einer Schweißsekretion. 2. Durchschneidung der hinteren Wurzeln ergibt keine Änderung des unter 1. angegebenen Befundes. 3. Neurogalvanische Versuche sprechen gegen das Vorhandensein von Hemmungsfasern. 4. Degeneration schweißbefördernder Fasern in Verbindung mit Pilocarpinversuchen kann kaum als Methode zum Nachweis schweiß- hemmender Fasern benutzt werden. Wir glauben aussprechen zu dürfen, daß wir auf Grund unserer Versuche eine Hemmungsinnervation, die im Ischiadicus und in den hinteren Wurzeln verlaufen sollte, nicht annehmen können. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Befruchtungsstudien. I. Mitteilung. Von Privatdozent Dr. phil. et med. Ernst Gellhorn, Assistent am Institut. (Eingegangen am 14. Juni 1922.) In einer Reihe von Abhandlungen!) konnte der Einfluß besonders von Elektrolyten und Elektrolytgemischen, sowie die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration für die Beweglichkeit von Spermatozoen gezeigt werden?). Weiter wurde der Nachweis erbracht, daß die aus Testis und Ovarium dargestellten Optone insbesondere auf die Sperma- tozoen des Frosches eine spezifische Wirkung besitzen. Die Beweg- lichkeit der Spermatozoen ist nämlich in 0,1 proz. Lösungen von Testis und Ovarialopton (als Lösungsmittel dient Brunnenwasser) lebhafter als in Brunnenwasser und zu einem Zeitpunkt, in dem die Spermatozoen der Kontrollflüssigkeit abgestorben sind, kann man in ihnen noch zahl- reiche, gut bewegliche Spermatozoen erkennen. Was die Ergebnisse der Untersuchungen über die Wirkungen von Elektrolyten auf die Beweg- lichkeit und Lebensdauer der Spermatozoen anlangt, so gelten für die Kationen und die Anionen die Reihen L<0C | % 2 & Don Dr) & | oo & 5 A lo onmnmor- 0-00 a | |SArnSsa SS | um | I || x = Sa] ı © % An 2 | | © o no | co | | © © *#n| a | = 2 27 lo ownoo © | SER 5 | ehe & a u ©) je) Te) (ee = ® | ©® Re) ie) 15 =) RO © > BRARE DDman m | a | roosr | 2 N | & (>) roaee o© | 2 Schr 2o or) = = lono o MS oraree Ian& [Ar | a|n53n9 N za m Th Eu — — — nmeman l|ooomo©o SSS| a © aan Aaamn n er) | Sn es | © MH © A| | © an) AR SS = I rn MB. en o ao oo | a2 Dr) or) mn mn ala oxı ooooM-m oO SH er a a Se ee I aa» - on © _ S Ne) EZ Sm Dr 1% ID | m in er | [e}} ao a 1 | =) © SS r n = u} [Sr ne oe ©) | | (>) ma aynrix | a | an m- FMermr | | oo co ® © a [e}) © es — oar en) NEsıNern am a | a am n or-r«4ano corsa a o a SAN Arm nn ® o ae | 8 | o ar} Keil! ii N | _i ea x nn o | .2ı0 en -_ - si oaa x los wesen er |S4-5850 © aan | ra oa ® Ne) | DD © No ID | -© 2 10 =) je nö © | 7) Da as» on es a = Dr BE | | Ir —— =—— — = u un © DM ca Be] Fan In = > oo oao SE8 %|.3 | 558 | = en o 2 ar | ARTE au H.S.8 I KEINER .- = 7 ES \BOBAARAFSZSı Sa ı RBe lgsesesesss| 322-5; zKeamzazzazızıa zZ e.- His sroc hat, berechne, so ergeben sich für die verschiede- nen Anionen folgende Zahlen }): Phosphat 36% Tartrat 832% Acetat 851% Sulfat 73% Chlorid 70%, Bromid 65% | Nitrat 53% Citrat 39%, | Jodid 25% | Die auf diese Weise erhaltene Reihe zeigt nun eine sehr weitgehende Übereinstimmung mit der Anionenreihe, die bei der Untersuchung der Beweg- lichkeit der Spermatozoen erhalten wurde. Es fällt lediglich auf, daß Sulfat kaum weniger schädlich als Chlorid ist, während die früheren Untersuchun- gen Sulfat der Phosphat- gruppe (Tartrat, Phos- phat, Acetat) eingereiht hatten. Daß Jodid und Citrat erheblich giftiger als die Anionen der Chlo- ridgruppe (NO,, Br, Cl) ist, wird durch die Be- fruchtungsversuche völlig 1) Ich möchte trotz der nicht geringen Variation der Prozentzahlen in den einzel- nen Versuchen die Aufstel- lung von Durchschnittszahlen deshalb für berechtigt hal- ten, weil diese Zahlen die Quersumme meiner sämt- lichen Versuche darstellen und für jedes Anion Befruch- tungsversuche an mehreren hundert Eiern vorliegen. Befruchtungsstudien. 1. 365 bestätigt. Die Reihenfolge innerhalb der Chloridgruppe stimmt zwar in den Befruchtungsversuchen nicht mit den Spermatozoenversuchen überein; doch ist ja häufig betont worden, daß innerhalb der ver- schiedenen Gruppen Umstellungen der einzelnen Glieder nicht seen, beobachtet werden. Ist aber die oben aufgestellte Behauptung richtig, daß innerhalb der kurzdauernden Versuche Unterschiede nur deshalb oft in geringem Maße auftreten, weil die Beweglichkeit der Spermatozoen auch in Chlorid noch annähernd optimal geblieben ist, so muß die nach langdauernder Vorbehandlung der Spermatozoen durchgeführte Befruchtung auch in der Befruchtungszahl stärkere Differenzen aufzeigen. Dies ist nun in der Tat der Fall. So ist z. B. in den Versuchen 26a und 29a der Ta- belle II nach 100 bzw. 110 Minuten Vorbehandlung die Befruchtungs- fähigkeit der Kochsalzspermatozoen erloschen, während die in Na- tartrat verbliebenen Spermatozoen in 87%, normale Eier befruchteten. Daß Bromid und Nitrat gewöhnlich etwas weniger schädlich ist als Chlorid, geht in Übereinstimmung mit den früheren Spermatozoen- versuchen aus Versuch Nr. 26a und 29a deutlich hervor. Auch für die Überlegenheit von Sulfat gegenüber Chlorid gibt Versuch Nr.5a ein Beispiel. In einem anderen Versuche, in dem die Vorbehandlung der Spermatozoen 80 Minuten dauerte, erzielten die NaCl-Spermatozoen in 70%, die Na,SO,-Spermatozoen dagegen in 100% normale Furchung der Eier. Endlich konnte noch der Nachweis erbracht werden, daß die geringe Schädlichkeit des Phosphats im Verhältnis zum Chlorid nicht etwa auf Rechnung der alkalischen Reaktion der Lösung des sekundären Na- triumphosphats zu setzen ist. So beträgt z. B. in einem Versuche die Zahl der befruchteten Eier, die sich zu Kaulquappen entwickeln, in SENAT EN I ne . 6rte 37% | 0% 2. Phosphatgemisch p =7 ..... 85% | 80% Dauer der Vorbehandlung in Minuten 30 100 Während also bei kurzer Vorbehandlung sich kein Unterschied zeigt, tritt in dem Versuche mit lang dauernder chemischer Beeinflussung der Spermatozoen die geringe Schädlichkeit der neutralen Phosphat- lösung sehr deutlich zutage. Die Ergebnisse der bisher geschilderten Versuche lassen sich folgender- maßen zusammenfassen. ;% ww Die Geltung der Übergangsreihen: L<0Cs ) Ernst Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196. Befruchtungsstudien. II. 377 die Ergebnisse von drei Versuchen mitgeteilt, in denen Lösungen von 1/. bis !/g,0u Normalität während 30—55 Minuten auf die Spermatozoen einwirkten. Man erkennt sofort die große Schädlichkeit hypertonischer Lösungen. Denn in "/,-Na,HPO, verbliebene Spermatozoen können nur ganz vereinzelt normale Eier befruchten. Verwendet man Na,HPO, in fast isotonischer Lösung (!/,, normal), so zeigt sich bei länger dauernder Vorbehandlung ebenfalls eine starke Schädigung der Spermatozoen. So ist z. B. im Versuch 8 nach 55 Minuten dauernder Einwirkung über- haupt keine Befruchtung zustande gekommen. Bei kürzerer Einwir- kungszeit ist noch bis zu rund 50% Befruchtung möglich. Wie aber die Tabelle zeigt, steigt die Befruchtungsziffer mit steigender Hypotonie. Zwischen "/,, und "/,, normaler Lösung bestehen keine wesentlichen Unterschiede!). Vermindert man den osmotischen Druck noch weiter, so zeigt bei relativ kurzer Einwirkungszeit (35 Minuten) die Befruch- tungsziffer das Maximum (100%), bei längerer Einwirkung nimmt sie wieder etwas ab. Bemerkenswert ist aber, und dies konnte auch in weiteren Versuchen bestätigt werden, daß in !/,,,-Normallösungen die Befruchtungsziffer stets besser ist als in !/,„Normallösung und dies Resultat gilt ebenso für NaCl wie für Na,HPO,. Durch diese Versuche ist also bewiesen, daß nicht eine isotonische, sondern eine ziemlich stark hypotonische Lösung die Spermatozoen am besten unversehrt läßt, so daß sie in sehr hohem Prozentsatz befruchten. Es ist nun schon seit langem bekannt, daß gerade Spermatozoen starke Verän- derungen des osmotischen Druckes vertragen. Immerhin ist den älteren Versuchen von Köllicker?) gegenüber zu bemerken, daß die Beobachtungs- zeit wie bereits früher 3) hervorgehoben, eine viel zu kurze ist und deshalb nichts über die Lebensdauer der Spermatozoen besagt. Wenn wir auch die Befunde Galeottis*) nicht bestätigen konnten, daß die Sper- matozoen von Tieren mit innerer Begattung wesentlich empfindlicher gegenüber Schwankungen des osmotischen Druckes sein sollen als solehe mit äußerer Befruchtung (z. B. Amphibien), — denn auch die Spermatozoen des Meerschweinchens vertragen eine Verminderung des osmotischen Druckes auf !/, der Isotonie?’) —, so möchte ich doch 1) Aus diesem Grunde scheint auch eine genaue Berechnung des optimalen osmotischen Druckes kaum möglich. Ebensowenig ist eine Berücksichtigung des etwas höheren osmotischen: Druckes von Na,HPO, im Verhältnis zu NaCl not- wendig. 2) Kölliker, Zeitschr. f. wissensch. Zool. %, 201. 1856. 3) Ernst Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 279, Anm. 1920. 4) Galeotti, eit.n. Godlewskii. Handb.d. vergleich. Phys. Bd. III, 2. Hälf., S. 585. 5) Ernst Gellhorn, 1. c. S. 278. Vielleicht besteht aber in dem Sinne ein Unter- schied zwischen Warmblüterspermatozoen (z. B. Meerschweinschen) und den Samenfäden des Frosches, daß erstere nach Vorbehandlung mit hypotonischen Lösungen in ihrer Fähickeit, normale Eier zu befruchten, geschädigt werden. Experimentelle Erfahrungen liegen aber bisher hierüber nicht vor. 25* 378 E. Gellhorn: die Deutung Galeottis für die Widerstandsfähigkeit der Spermatozoen von Rana temporaria als einer Anpassungserscheinung annehmen. Wesentlich aber ist der Nachweis, der erst durch die Befruchtungs- versuche erbracht werden konnte, daß die Befruchtunssziffer in stark hypotonischen Lösungen das Optimum zeigt. Tabelle I. Zahl der ent- wickelten Eier rn ns OZe d Gesamtzahl der Eier Prozentzahl der | entwickelten Eier 1. Na,HPO, ?/, | L.|.d |..2.| 25. 30,,85. |. 4.) Vase 2. NaaHPO, 2... .| 0, 7.| 18 1125, | 30 35 | 0 | 20m" 3. Na,HPO, %. | 16 | 29 | 25 | 30 | 35 | 64 83 4. Na,HPO, "a I 20 | ı3 | 24 | 25 | 30 | 35 1 so | a3 | 68 5. Na,HPO, "soo 13 |ı3 | 35 | 25 | 30 | 35 | 52 | 43 100 nen des een: IEISE EG) 13 8 10 | 3 8 LOWER Dauer der Vorbehandlung | 5, | 40 | 30 | 55 | 40 | 30.| 55 | a0 | so in Minuten | | Es war nun die weitere Aufgabe, die Bedeutung des osmotischen Druckes für die Befruchtung von Froscheiern festzustellen. Die Methode war die gleiche wie für die Spermatozoen. Es wurden Eier in Uhrschäl- chen eine bestimmte Zeit in Salzlösungen von verschiedenem osmo- tischen Druck ausgesetzt, darauf die Lösung abgespült und die Eier mit unvorbehandeltem Sperma befruchtet. Sofort nach der Befruchtung wurden die Eier in Schalen mit 200 cem Brunnenwasser übertragen. Die Ergebnisse sind in Tabelle II zusammengestellt. Tabelle II. | Zahl der entwickelten Eier ‚esamtzahl der KBier Prozentzahl der | entwickelten Bier | | | 1.Na,HPRO,a GE 0/1 | | Isolaı 0| 3 2. Na,HPO,"/, |16| 6 Ta 2525| |21|34 64 | 24 33| 14 3. NasHPO,2/n |25) 0 | 25253 | | | Too o 4. Na,HPO,Y/, |\18| 1) | 2525| | 72| 4 5. Na-Acetat %/o 32 | | 32 100 6. Na-Acetat n/, 140 1,5125 | 56 7. Na-Acetat "/,o0 0 ‚40 0 8. 0,9% NaCl | 13:10 1.0) 28 9. 0,6%, NaCl | | | 43 10. Ag. dest. IE Ho) 0 | | 40 0 Nr. des Versuches | 30 |30a| 33 | 31 pi 253130 30a| 33 | 31 [31a |25a| 30 30a 33 |31 31a Dauerd. Vorbehand}\/75.l30 Noo 1530 30 15 30 \ 20 \15 30 |30 [15 | 30 | 20 I15 Jung inMinuten | | | | Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß der osmotische Druck auf die Befruchtungsziffer bei vorbehandelten Eiern fast die umgekehrte Befruchtungsstudien. II. 379 Wirkung wie bei Spermatozoen ausübt. Denn hier zeigt sich, daß mit steigender Hypotonie der Lösung die Befruchtungsziffer abnimmt. So wurde z. B. niemals nach Vorbehandlung der Eier mit Y/,,,-Normal- lösungen ein Befruchtungserfolg erzielt, während anderseits in stark hypertonischen Lösungen (T/,-Na,HPO, und 0,9% NaCl) hohe Be- fruchtungszahlen gefunden wurden. Auch in etwa isotonischen ("/,,) oder schwach hypotonischen Lösungen ist die Befruchtungsziffer eine ziemlich hohe, sofern die Dauer der Einwirkung keine zu große ist. Wenn sich die Dinge, wie eben geschildert, verhalten, so ist anzu- nehmen, daß, wenn man Spermatozoen und Eier gleichzeitig aniso- tonischen Lösungen aussetzt, die Befruchtung in stark hyper- und hypotonischen Lösungen einen sehr geringen Erfolg haben wird. In dem ersten Falle wegen der Schädigung der Spermatozoen, im zweiten infolge der Wirkung auf die Eier. Ein Beweis für dieses Verhalten ist durch den Versuch Nr. 34 gegeben, der in Tabelle III wiedergegeben ist. Tabelle IIT. Esel ee ea Wesiusn se I So. So am Sau Sees Na Resasa a 3 | 30.010. is 302 E50, Do 2. Na-Acetat"/,, | 19 0m 63 7 280.302 10.095 A 0 3. Na-Acetata/,, | 30 | 35 | s5 | 26 | so | sz | ı3 | 30 | 4 4. Na-Acetatn2/,, | 35 | 35 |100 | 24 | 30 | so 3 30 E10 5. Na-Acetat"/,o| 33 | 33 | 100 es 3 08 0830 | 0 6. Kontrolle in | | | | Brunnenwasser | By | 12 | | | | Vorbehandlung Vorbehandlung |Vorbehandelte Sper- ı der Spermatozoen | der Eier 20 Min. |matozoen (30 Min.) | 30 Min. -+- vorbehandelte | Eier (20 Min.). Während die Befruchtungsziffer bei Vorbehandlung der Sperma- tozoen einerseits, der Eier anderseits das typische Verhalten zeigt, — daß die Befruchtungsziffer bei Vorbehandlung der Eier in "/,- Lösung geringer als in ”/,, ist, habe ich öfters beobachtet, z. B. auch in dem Versuch Nr. 30 der Tabelle IT; die Überlegenheit der hypertonischen Lösung gegenüber der isotonischen tritt besonders in Versuchen mit länger dauernder Vorbehandlung in Erscheinung — ergibt tatsächlich der Befruchtungsversuch nach Einwirkung anisotonischer Lösungen auf Sperma und Eier das Maximum der Befruchtungsziffer bei einer Lösung mittlerer Konzentration, die einen mäßigen Grad von Hypotonie (!/sd) Normal) besitzt. (Vgl. hierzu die graphische Darstellung in Abb. 1.) 380 E. Gellhorn: Eine Erklärung für das gegensätzliche Verhalten von Spermatozoen und Eiern gegenüber den Schwankungen des osmotischen Druckes dürfte darauf beruhen, daß die Quellung der Eigallerte mit sinkendem [8 \- | 2 I Ne JE ] 0 7 7 7 77 Ta 2} 70 20 409 200 Abb.1. Die Abszisse gibt die Normalität von Natriumacetat, die Ordinate den Pro- zentsatz der entwickelten Keime an. Der ausgezogenen Linie liegen Versuche mit alleiniger Vorbehandlung der Spermato- zoen, der gestrichelten Kurve solche mit Vorbehandlung der Eier zugrunde. Die ——— = Kurve gibt einen Versuch wieder, in dem Spermatozoen und Eier gleichzeitig osmotischen Druck der umgebenden Flüssigkeit zunimmt und so aus me- chanischen Gründen dem Eindringen des Spermatozoons Widerstand leistet. Wo eine derartige Gallerte fehlt, wird daher das Verhalten von Spermatozoen und Eiern gegenüber den Veränderun- gen des osmotischen Druckes wenig- stens im Prinzip das gleiche sein. Hier- für geben z. B. die Befunde von Kono- packi!) einen interessanten Beleg. Denn hier verhalten sich die Eier in den Ver- dünnungen des Seewassers ebenso widerstandsfähig, z. T. sind sie es so- gar in höherem Grade, wie die Sper- matozoen. In einer Konzentration des Seewassers 50/50 sind nach 20 bzw. 50 Minuten Einwirkungszeit 90 bzw. 60% der Eier noch befruchtungsfähig vorbehandelt wurden. und entwickeln sich zu normalen Plu- tei. Bei einer Konzentration 40/60 ist die Zahl der befruchteten Eier etwa die gleiche, die Entwicklung zeigt aber gewisse Störungen, so daß das Pluteusstadium nicht erreicht wird. Erwähnt sei ferner, daß die befruchteten Eier, die den Tabellen zugrunde gelest sind, sämtlich das Kaulquappenstadium erreichten und noch mehrere Wochen ohne irgendwelche Störungen erhalten werden konnten. Ganz vereinzelt beobachtete ich Mißbildungen. Die geringe Zahl macht es aber vorerst sehr unwahrscheinlich, daß sie durch die Beeinflussung von Sperma oder Eiern vor der Befruchtung verursacht ist. Ebenso war das Entwicklungstempo, soweit darüber die äußere Betrachtung des Eies mit der binokularen Lupe Aufschluß gibt, un- gestört. Nachdem durch unsere Untersuchungen die Grenzen fest- gestellt sind, innerhalb der die Entwicklung normaler Kaulquappen stattfindet, ist nun die Möglichkeit gegeben, besonders bei Anwendung der Grenzkonzentrationen auf feinere Störungen zu achten. Eine weitere Versuchsreihe beschäftigt sich mit der Frage, welche Änderungen des osmotischen Druckes das befruchtete Ei ertragen kann, ohme in seiner Entwicklung Störungen zu erleiden und inwieweit der Zeitpunkt und die Dauer der Einwirkung von Bedeutung sind. Wir !) Konopacki, Arch. f. Entwicklungsmech. 44, 361. 1918. Befruchtungsstudien. II. 381 scheiden die Versuche in temporäre und Dauer-Versuche. Über erstere gibt Tabelle IV Auskunft. Tabelle IV. Dauer der Einwirkung: 24 Stunden. ee | Gesamtzahl | qrimieneiten |Vesamtzanı| "üserene | wickelten Eier | (er Bier Eier der Bier | wickelten Eier 1: ur 7094 ca. 300 2.2, Ndl | 0 ca. 300 | 3. 0,9% NaCl ] | ca. 300 0 30 0) 4. 0,6% NaCl |) 07 | ca. 300 On 50 0 5. 0,3% NaCl | ao 300 15 30 50 6. Ag. dest. | ca. 300 29 30 97 tmanktider Etwa 12 Std. | Sofort a nach der Be- nach der 5 fruchtung!) Befruchtung Nummer des | E | an Versuches | Il I Aus diesen Versuchen geht unzweifelhaft hervor, daß der Zeitpunkt, in dem das befruchtete Ei der Einwirkung von Kochsalzlösungen verschiedenen osmotischen Druckes ausgesetzt wird, von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Eies ist. Je näher er der Befruch- tung liegt, um so stärker ist die Schädigung des Eies. Man könnte nun daran denken, daß vielleicht eine Schädigung der Spermatozoen das ungünstige Resultat hervorruft. Das ist aber deshalb auszuschließen, weil nach Einwirkung isotonischer Lösungen auf Spermatozoen stets ein nicht unerheblicher Teil der Eier befruchtet wird, wenn die Dauer der Vorbehandlung 30 Minuten nicht überschreitet. Es liegt deshalb nahe, anzunehmen, daß NaCl das Ei kurz nach der Befruchtung deshalb stärker schädigt, weil die Gallerte noch nicht ausgebildet ist und somit dem Eindringen des Kochsalzes kein Hindernis im Wege steht. In- teressant ist die weitere Tatsache, daß zwischen 0,9 und 0,3% NaCl- Lösung keine Unterschiede hervortreten, wenn diese Lösungen erst etwa 12 Stunden nach der Befruchtung einwirken; denn die Befruch- tungsziffer ist dieselbe wie in der Kontrolle. Erst bedeutend stärkere Konzentrationen (2%) bewirken auf osmotischem Wege Schrumpfung und vollständige .Entwicklungshemmung der Eier. Lassen wir aber Kochsalz sofort nach der Befruchtung auf die Eier einwirken, so bleibt selbst in 0,6proz. Lösung die Entwicklung vollkommen aus; auch in 0,3% NaCl ist erst die Hälfte der Eier normal entwickelt, während die gleich lange Einwirkung von destilliertem Wasser in fast 100% normale Entwicklung zuläßt. 1) Zu dem Versuche wurde normal befruchteter Laich verwendet. 382 E. Gellhorn: Zu diesen Versuchen ist noch zu bemerken, daß die unter der Rubrik „Zahl der entwickelten Eier‘ enthaltenen Zahlen die Eier betreffen, die sich zu völlig normalen Kaulquappen entwickelten. Auch nach mindestens l4tägiger (z. T. auch mehrwöchentlicher Beobachtung) treten an ihnen keine Anomalien auf. Daneben konnte aber noch fest- gestellt werden, daß in Versuch 21 ein Teil der Eier, die während 24 Stunden in 0,3 proz. NaCl-Lösung verblieben, sich zwar entwickelten, aber vor dem Ausschlüpfen auf einem Stadium eingingen, in dem bei äußerer Betrachtung bereits Kiemenspalte, Mund- und Nasengrube differenziert waren. Endlich wurden noch eine Reihe von Versuchen durchgeführt, in denen Eier teils sofort, teils 24 oder 48 Stunden nach der künst- lichen Befruchtung Kochsalzlösungen verschiedener Konzentration (0,3%, 0,6%, 0,7%, 0,9%, 1,2%) bis zum Ausschlüpfen der Kaul- quappen ausgesetzt wurden. Sofort nach der Befruchtung ist 0,3% NaCl die höchste unter den untersuchten Kochsalzkonzentrationen, in der es noch zur Entwicklung normaler Kaulquappen kommt (in rund 50%). Die Dauereinwirkung hat also kein ungünstigeres Ergebnis als der temporäre Versuch von 24 Stunden (in Tabelle IV). Läßt man aber die Kochsalzlösungen erst 24 Stunden nach der Befruchtung ein- wirken, so gelingt es unter Umständen, auch in 0,9% NaCl in einem hohen Prozentsatz normale Kaulquappen zu züchten. Allerdings scheint gerade hypertonischen Lösungen gegenüber die Resistenz der Eier starken Schwankungen zu unterliegen. Denn in einigen Versuchen bleibt die Entwicklung kurze Zeit nach dem Zusatz 0,9 proz. NaCl- Lösung stehen und die Keime sterben ab. Und auch in isotonischer Kochsalzlösung geht ein Teil der befruchteten Eier zugrunde, obwohl in manchen Versuchen 100% normale Kaulquappen erhalten werden konnten. Die Tatsache, daß befruchtete Eier in verschiedenen Entwicklungs- stadien eine ungleiche Resistenz gegenüber bestimmten Reizen (z. B. osmotischen Drucken) besitzen, ist nicht neu. So hat z. B. auch Kono- packi!) in seiner mehrfach erwähnten Arbeit derartige Versuche ange- stellt, die jedoch insofern mit unseren Versuchen schwer vergleichbar sind, als dieser Autor die Eier nur für ganz kurze Dauer (5 Minuten) auf verschiedenen Stadien der Entwicklung hypotonischen Lösungen aussetzte. Seine Dauerversuche über die Wirkung hypotonischer Lösungen ergaben starke Hemmung der Entwicklung mit atypischem Verlauf. Zu den gleichen Ergebnissen waren im wesentlichen auch andere Autoren Driesch?), Conklin?) gelangt, die an Echinus micro- !) Konopacki, Arch. f. Entwicklungsmech. 44, 337. 1918. ?) Driesch, Mitteilungen aus der Zoologischen Station zu Neapel 11. 1893. ®) Conklin, Journ. of the Acad. of Natur. Science of Philadelphia 15. 1912. Befruchtungsstudien. II. 383 tuberculatus bzw. Crepidula experimentiert hatten. Auch .J. Loeb!) erwähnt, daß Arbaciaeier im Gastrula-Stadium resistenter gegenüber anisotonischen Lösungen als eben befruchtete Eier. Eine genauere Untersuchung der Hemmungsmißbildungen mußte aus äußeren Gründen unterbleiben. Über die mikroskopischen Ver- änderungen sind wir ja auch durch die Untersuchungen O. Hertwigs?) hinreichend unterrichtet. Uns interessierte hier im wesentlichen nur die Variationsbreite, innerhalb der die Entwicklung keine Störungen aufweist. So erhalten wir Eier, die als durchaus normal anzusehen sind und die ein geeignetes Material zum Studium der Wirkungen des osmotischen Druckes auf bestimmte Funktionen der Eizelle abgeben. Diskussion der Ergebnisse. Es sind im wesentlichen zwei Tatsachen, die zu erklären und in die auch die an anderen Tierarten gewonnenen Ergebnisse einzuordnen sind. Erstens die optimale Bewegungs- und Befruchtungsfähigkeit der Sper- matozoen in stark hypotonischen Lösungen, zweitens das differente Verhalten befruchteter Eier gegenüber anisotonischen Lösungen, je nach dem Zeitpunkt — von der Befruchtung ab gemessen —, in dem der Versuch begonnen wird. Was die erste Frage anbetrifft, so wäre die einfachste Erklärung, daß die hypotonischen Lösungen als Reiz auf die Geißelbewegung der Spermatozoen wirken und deshalb erhöhte Beweglichkeit und Lebensdauer, sowie die optimale Befruchtungs- ziffer bei Verwendung normaler Eier hervorrufen. Zugunsten dieser Erklärung läßt sich auch die Tatsache anführen, daß die Spermatozoen sofort nach der Zerzupfung des Hodens im allgemeinen keine hohe Beweglichkeit zeigen; vielmehr beginnt diese erst, wenn das Sperma einige Minuten in hypotonischer Lösung verblieben ist. Wenn auch diese Erklärung richtig sein kann, so dürfte es doch keinem Zweifel unterliegen, daß gewisse allgemein-physiologische Erfahrungen mit ihr im Widerspruch stehen. Wir haben gelernt, die Bedeutung des osmo- tischen Druckes weniger darin zu suchen, daß er die Wasserbewegung (Sekretion) im Organismus erklären könne, als vielmehr in der Erkenntnis der Wichtigkeit der Isotonie für alle Zellen. Ihrer Aufrechterhaltung dienen alle Mechanismen, die wir unter dem Begriff der Osmoregulation zusammenfassen. Offenbar beruht die günstige Wirkung isotonischer Lösungen auf die Zellen des Organismus in einer Beeinflussung des Zustandes der Zellkolloide. Mit der Änderung des osmotischen Druckes werden diese und damit auch die Durchlässigkeit der Zelle in einer für die Erhaltung der Integrität ungünstigen Weise geändert. Wir müssen also, wenn wir an der oben geäußerten Vorstellung festhalten wollen, 1) J. Loeb, Arch. f. Entwicklungsmech. 1, 453. 1895. :2) O. Hertwig, Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften 24. 1890. 384 E. Gellhorn : eine Sonderstellung für die Spermatozoen des Frosches annehmen (die vermutlich auch für alle anderen im Süßwasser laichenden Tiere gilt) und könnten sie als auf phylogenetischer Basis erworben denken. Aber diese Erklärung ist nicht die einzig mögliche. Man könnte nämlich daran denken, daß die Anpassung der Froschspermatozoen an das Süßwasser und infolgedessen überhaupt an hypotonische Lösungen in der gleichen Weise zustande komme wie die der Eier. Denn daß die Entwicklung der Froscheier in Brunnenwasser am besten vor sich geht, liegt daran, daß der osmotische Druck des unbefruchteten und des befruchteten Eies völlig verschieden ist. Backmann konnte nämlich gemeinsam mit Runnström!) und Sund- berg?) für das Froschei und Bialaszewicz?) für das Hühnerei auf kryo- skopischem Wege feststellen, daß mit der Befruchtung des Eies der osmotische Druck erheblich absinkt und sogar mehrere Wochen hin- durch vermindert bleibt; erst im Laufe der Embryonalentwicklung steigt er wieder zur normalen Höhe an. Will man in dem Verhalten der Spermatozoen und der befruchteten Froscheier gegenüber hypotonischen Lösungen nicht nur eine äußere Analogie, sondern auch einen inneren Zusammenhang sehen, so könnte man die Hypothese aufstellen, daß auch die Spermatozoen einen ge- ringeren osmotischen Druck als die übrigen Zellen des Frosches be- sitzen und daß diese Änderung mit den Reifeerscheinungen in Ver- bindung steht. Allerdings sprechen die Untersuchungen von Hamburger?) nicht für diese Anschauung. Dieser Autor findet nämlich bezüglich der Volumenänderungen von Spermatozoen in anisotonischen Lösungen die gleichen Verhältnisse wie bei den Blutkörperchen des Frosches. Man wird aber diese Versuche noch in anderer Weise ergänzen müssen. Es fragt sich nämlich, ob bestimmte Funktionen der Zelle, wie z.B. die Atmung, bei Blutkörperchen und Samenfäden in anisotonischen Lösungen die gleichen Veränderungen erleiden oder nicht. Ich hoffe, hierüber später berichten zu können. Immerhin ergibt sich aus den Untersuchungen Backmanns und seiner Mitarbeiter, sowie aus unseren Befruchtungsversuchen die wichtige Tatsache, daß für die Spermatozoen ebenso wie für die be- fruchteten Eier von Rana temporaria die Verminderung des osmo- tischen Druckes Vorbedingung des funktionellen Optimums dieser Zellen ist. Der Mechanismus, der zur Verminderung des osmotischen Druckes befruchteter Eier führt, ist aber ebenso wenig bekannt wie die Ursache der Funktionssteigerung der Spermatozoen in hypoto- nischen Lösungen. 1) Backmann und Runnström, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 144, 287. 1912. 2) Backmann und Sundberg, Ebenda 146, 212. 1912; 148. 141. 1912. 3) Bialaszewiez, Arch. f. Entwicklungsmechanik 34, 489. 1912. 4) Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre 3. Wiesbaden 1904. Befruchtungsstudien. 11. 385 Aber noch eine Reihe weiterer Fragen ergeben sich aus diesen Unter- suchungen. Einmal gilt es zu erforschen, ob die Resistenz der Genera- tionszellen gegenüber Schwankungen des osmotischen Druckes, sowie anderen Reizen wirklich wesentlich größer ist als die anderer Zellen oder ob bei Verwendung kernhaltiger Blutkörperchen ähnliche Resultate erhalten werden und deshalb von einer physiologischen Sonderstellung der Spermatozoen nicht gesprochen werden kann. Weiter wäre dann noch zu untersuchen, ob auch an anderen Zell- arten eine Funktionssteigerung durch Verminderung des osmotischen Druckes beobachtet werden kann!). Daß die Vermehrung des osmo- tischen Druckes in diesem Sinne wirkt, wissen wir ja z.B. aus den Versuchen J. Loebs?), der durch kurze Verwendung hypertonischer Lösungen Pathonogenese erzeugte. Ferner konnte vor kurzem Ph. Broemser?) nachweisen, daß Erhöhung des osmotischen Druckes die Leitungsgeschwindigkeit im Nerven vergrößert. Anderseits ist aber auch bekannt, daß hypertonische Lösungen funktionsvermindernd wirken. So zeigten Vles und Dragoin*), daß die Zellteilung bei Seeigel- eiern durch Erhöhung des osmotischen Druckes gehemmt wird. In gleichem Sinne sind ja auch die älteren Versuche ©. Hertwigs?) über den Einfluß von Kochsalzlösungen verschiedener Konzentration auf die Entwicklung von Froscheiern zu deuten. Soweit unsere bisherigen Kenntnisse ein Urteil zulassen, ist eine funktionelle Scheidung der Spermatozoen von Tieren mit äußerer von solchen mit innerer Befruchtung, wie sie Galeotti®) vertritt, daß nämlich die Resistenz der ersteren erheblich die der letzteren überträfe, nicht richtig. Denn aus den Versuchen von Konopacki?’) geht mit großer Deutlichkeit hervor, daß z. B. bei den Spermatozoen von Strongy- locentrotus lividus die Befruchtungsfähigkeit von Spermatozoen stark abnimmt, wenn sie einige Zeit in verdünntem Meerwasser verbleiben. Bei einer Konzentration des Wassers von 50/50 (Meerwasser : Süß- wasser) beträgt z. B. die Zahl der befruchteten Eier nach TORNInSEe N 3 > 95%, SO. DENE WR 40% Some en 10% !) Ich behalte mir vor, über entsprechende Versuche später zu berichten. 2) J. Loeb, Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies. Berlin 1909. 3) Th. Broemer, Zeitschr. f. Biol. 42, 37. 1920. *) Vles und Dragoin, Compt. rend. hebdom. des seances de l’acad. des sciences. 172, Nr. 18, S. 1127. 1921. Zit. nach Berichte über die ges. Physiol. 8, 236. 1921. 5) O. Hertwig, 1. c. 9) Ik @& LE 356 E. Gellhorn: Aber schon bei einer Konzentration 30/70 bleibt nach 15 Minuten Einwirkungszeit die Befruchtung völlig aus, ganz abgesehen davon, daß auch bei geringer Dauer der Vorbehandlung, bei der die Sper- matozoen in einem kleinen Prozentsatz zum Teil noch stärkere Ver- dünnungen vertragen, die Entwicklung der befruchteten Eier niemals das Plutensstadium erreicht. Danach ist die Anpassung an das Milieu, in dem physiologischerweise das Spermatozoen seine Aufgabe zu er- füllen hat, die Ursache für die große Resistenz der Froschspermatozoen. Es wäre interessant, zu untersuchen, ob Unterschiede in dem Quellungs- vermögen verschiedener Spermatozoen bestehen. Die Quellung ist für die Spermatozoen des Frosches deshalb so gering und in physio- logischer Beziehung ohne großen Belang, weil die Gerüstsubstanz nach Hamburgers Untersuchungen 70% beträgt und selbst der Quellung nicht unterworfen sein soll. Das Verhalten befruchteter Eier in anisotonischen Lösungen scheint nach den Angaben der Literatur für Meerestiere (z. B. Seeigel) und Tiere, die im Süßwasser ablaichen, prinzipiell verschieden zu sein. Für erstere hat Loeb!) die Zunahme des osmotischen Druckes durch die Befruchtung wahrscheinlich gemacht, während Backmann?) den ent- gegengesetzten Vorgang für die Eier des Frosches nachweisen konnte. Aber dieser Gegensatz dürfte nur ein scheinbarer sein; denn der Erfolg ist in jedem Falle der gleiche. Durch die Befruchtung wird nämlich be- wirkt, daß der osmotische Druck des befruchteten Eies etwas größer als der des umgebenden Wassers ist, ein Vorgang, der für die Wasser- aufnahme des sich entwickelnden Keimes von prinzipieller Bedeutung sein dürfte. Für das verschiedene Verhalten befruchteter Eier gegenüber anisotonischen Lösungen liegen, wie bereits oben erwähnt, auch von anderen Autoren einige Beobachtungen vor. Es scheint mir aber auch für diese Fragen von Vorteil, sich nicht mehr mit der morphologischen Analyse der Keime, die bestimmten anisotonischen Lösungen aus- gesetzt waren, zu begnügen und etwa ihre ungleiche Quellbarkeit als Ausdruck ihrer verschiedenen Resistenz anzusehen, wie es Konopacki®) getan hat, sondern die physiologische Analyse heranzuziehen. In diesem Sinne möchte ich die Änderung des Sauerstoffverbrauches befruchteter Eier in verschiedenen Entwicklungsstadien als Indikator für ihre Re- sistenz verwenden und auf diese Weise auch in die Ursachen der Re- sistenzverschiedenheiten einzudringen versuchen. t) J. Loeb, Arch. f. Entwicklungsmech. 1, 453. 1895. Ah @ ®) l. c. Diesen Versuchen gegenüber ist noch besonders zu betonen, daß die Untersuchungen an fixiertem Material vorgenommen sind und deshalb eine ein- fache Übertragung der Ergebnisse auf den Zustand der lebenden Keime kaum statthaft sein dürfte. Befruchtungsstudien. 11. 387 II. Über die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration für Befruchtung und Entwicklung. Einige vorläufige Beobachtungen über die Bedeutung verschiedener Wasserstoffionenkonzentrationen für die Beweglichkeit der Sperma- tozoen finden sich bereits in meiner ersten Mitteilung!) über Sperma- tozoen. Ich komme auf diese Frage mit Berücksichtigung der Wirkung von Neutralsalzen auf die optimale Wasserstoffionenkonzentration in einer besonderen Mitteilung noch zurück. Hier sollen lediglich die Grenzen der Wasserstoffionenkonzentration festgestellt werden, inner- halb deren die Spermatozoen die Fähigkeit bewahren, normale Eier zur Entwicklung zu bringen. Zweitens sind Versuche angestellt worden, in denen normale Eier mit Lösungen bestimmter (H') vorbehandelt und darauf mit unverändertem Sperma befruchtet wurden. Endlich wurden normal befruchtete Eier auf verschiedenen Entwicklungsstadien bestimmten (H') ausgesetzt. Über die Einfluß der (H') auf die Fähigkeit der Spermatozoen, nor- male Eier zu ungestörter Entwicklung zu bringen, gibt Tabelle V eine kurze Übersicht. Tabelle V. Prozentzahl der ent- Gesamtzahl der Zahl der entwickelten Eier Eier wickelten Eier l. Giykokoll +HC® u, =3 |6|3|5| 30 | 30 | 30 20/10 16 2. Glykokoll + HC] py =4 Ita aleıl 33%] 28 |30 30| 46 43 16 3. Glykokol + NaOH» =11 | 6, 5 17) 25 | 30 | 30 24 | 16 56 A. Glykokoll + NOH „u —=12 | 7 o 17 25 |30 30, 28| 056 5. Glykokoll+ NOOH p=13 | 1 1 6) 25 | 30 | 30 4, 3|20 6. Brunnenwasser | 50 30 | 50 | 50 | 100, 60 7. NaH,PO, + Na,HPO, pu =5 | |45 | ı | |50 | 50 IL u 90 2 Fe NaH.PO, + Na;HPO,m=8 | | | 5120| | 50 | 50 | 90, 40 % NaH,PO, + Na,HPO, pa =9 | | | 130.5 \50 50 [eo | 10 Nummer des Versuches | 8 10 13 16 16a| 8 |10 113 16 16a| 8 | 10 13 |16 16: a I | MT Gl Erd Boa Re N TE RE | Bauer der Vorbehandlung der | 55 |35 |35 | 40 [20155 |35 35 | 40 1220| 55 |35 |35 | 40 1220 Spermatozoen in Minuten | I | IL DORE | Da die Beweglichkeit der Spermatozoen in Glykokoll + Salzsäure von ?p = 2 nur sehr gering ist und nach kurzer Zeit aufhört, wird die Vorbehandlung der Spermatozoen nur innerhalb der 9, 3 und 13 vor- genommen. Außer Glykokollpuffern finden noch Phosphatlösungen Verwendung, dessen günstige Wirkungen auf Beweglichkeit und Er- haltung die Befruchtungsfähigkeit der Spermatozoen früherer Unter- 1) Ernst Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 262. 1920. 2) Es wurden stets Puffergemische nach Sörensen verwendet. Die Gesamt- konzentration ist !/,, normal. 385 FE. Gellhorn: suchungen sichergestellt hatten. Glykokoll scheint aber in den ge- brauchten Konzentrationen ebenfalls die Beweglichkeit der Sper- matozoen etwas zu fördern, da die Lebensdauer der Spermatozoen in Brunnenwasser, dem etwas Glykokoll zugesetzt ist, nicht selten größer als in reinem Wasser ist. Aus den Versuchen geht hervor, daß selbst eine halbstündige Ein- wirkung von ?p = 13 die Befruchtungsfähigkeit der Spermatozoen nicht völlig aufhebt. In Versuch Nr. 13 haben sich sogar 20%, der Eier zu normalen Kaulquappen entwickelt, die sich von den Tieren des Kontrollversuches in keiner Weise unterschieden. Nach der sauren Seite liegt die Grenzkonzentration etwa bei ?y5 = 3. Die Zahl der ent- wickelten Eier ist in diesen Versuchen im allgemeinen etwas geringer als bei entsprechender Konzentration der OH-Ionen, so daß auch die Froschspermatozoen gegen H-Ionen etwas empfindlicher als gegenüber OH-Ionen sind. Doch ist der Unterschied sicherlich nur gering und gelegentlich können auch die in sauren Lösungen vorbehandelten Spermatozoen in gleichem oder sogar etwas höherem Prozentsatze normale Eier befruchten wie die in entsprechender Alkalilösung be- findlichen Samenfäden (vgl. Versuch Nr. 16). Mit Rücksicht auf die in nicht zu starken Säuren und Laugen be- obachtete erhöhte Beweglichkeit der Spermatozoen wurde auch ein Befruchtungsversuch ausgeführt, der die Frage entscheiden sollte, ob auch die Befruchtungsfähigkeit der Spermatozoen in solchen Lösungen länger erhalten bleibt oder eine höhere Befruchtungsziffer als mit den in Brunnenwasser befindlichen Spermatozoen des Kontrollversuches zustande kommt. Aus Versuch 16 und 16a der Tabelle V geht nun hervor, daß dies nicht der Fall ist. Nach relativ kurzer Vorbehandlung der Spermatozoen werden auch mit Phosphatlösungen von pp 5, 8 und 9 hohe, wenn auch etwas geringere Befruchtungsziffern als im Kontroll- versuche erzielt. Verlängert man aber die Dauer der Vorbehandlung bedeutend, so nimmt die Befruchtungszahl besonders in den Versuchen mit 24 =5 und ?% = 9 wesentlich stärker als in der Kontrolle ab. Nach der Vorbehandlung der Eier mit Lösungen verschiedener Wasserstoffionenkonzentration wurde diese Flüssigkeit, bevor die Besamung mit normalem Sperma vorgenommen wurde, wie in den früher beschriebenen Versuchen, gründlich mit Brunnenwasser entfernt. Wie aus Tabelle VI ersichtlich ist, besitzen auch die Froscheier eine erhebliche Resistenz gegenüber Säuren und Alkalien. So konnte z. B. im Versuch Nr. 22 sogar bei ?5 = 3 und ?5 = 11, wenn die Dauer der Einwirkung 15 Minuten beträgt, die gleiche Befruchtungsziffer wie im Kontrollversuche (Brunnenwasser) erhalten werden. Dagegen gelang es niemals, Eier, die in Glykokoll-- NaOH von pn — 13 vorbehandelt waren, zur Entwicklung zu bringen. Man sieht also, Befruchtungsstudien. II. 389 daß die Resistenz der Eier gegenüber Säuren und Alkalien nicht wesent- lich geringer als die der Spermatozoen ist. Daß in günstigen Fällen auch längere Einwirkung (30 Minuten) von p, = 3 vertragen wird, zeigt Versuch 25a, in dem eine Befruchtungsziffer von 68% festgestellt werden konnte. Auch in diesen Versuchen entwickelten sich fast sämtliche Eier zu normalen Kaulquappen. Mißbildungen kamen nur ganz ver- einzelt vor (einmal auch im Kontrollversuche), so daß ihnen keine Bedeutung beigemessen werden kann. in Minuten Tabelle VI. a + 7 Ir Zahl bp OR aaa der | Era ar wickelten Eier Eier entwickelten Eier e = 24 | | —— Ser eisen 1. Brunnenwasser | 52 | >08 | 83 2. Glykokoll + NaOH py, —10 | 25 | 30 83 3. Glykokoll + NaOH 7, = 11 | 25 1724 802250 83 | 48 4. Glykokoll + NaOH 7, =12 | 10 35 | 28 5. Glykokoll + NaOH 9» =13 | 08 50 (0) 6. Glykokoll + HCl p4 = 3 I 28 | 14 | 34 | 30 | 29 | 50 | 93 | 46 | 68 7. Glykokoll + HCl pı = 4 | 26 92 5115173021230 | 50 | 86 | 30 |22 Nummer des Versuches I 22 | 25 | 25a | 22 | 25 |25a | 22 | 25 | 25a Dauer der Vorbehandlung 15.15 20 | > 5 solls 135.39 Eine letzte Reihe von Versuchen hat die Feststellung der Grenz- konzentrationen zum Ziel, in dem noch normale Entwicklung statt- finden kann. Wir werden auch bei diesen Versuchen die temporären von den Dauerversuchen zu scheiden haben und den Zeitpunkt, in dem die Einwirkung beginnt, besonders berücksichtigen. Aus der Tabelle VI, in der die Ergebnisse der temporären Versuche wiedergegeben sind, geht hervor, daß die vorübergehende (3 bzw. 24 Stunden dauernde) Einwirkung von Y/,oo n-Säure bzw. Lauge ohne wesentliche Schädigung vertragen wird. Die Befruchtungsziffern sind in Übereinstimmung mit den oben geschilderten Versuchen über die Wirkung des osmotischen Druckes auch in diesen Versuchen größer, wenn der Versuch nicht sofort, sondern nach mehr als 12 Stunden nach der Befruchtung begonnen wird. Ebenso wie die Versuche mit Vorbehandlung der Spermatozoen bzw. der Eier eine größere Schäd- lichkeit der Säuren gezeigt hatten, ist auch die Zahl der normal be- fruchteten Eier, die sich in Säuren entwickeln, kleiner als in Laugen von gleicher Normalität. Allerdings sind diese Unterschiede, wie die Tabelle zeigt, bei Verwendung von !/,oo0o n-Säure und Lauge nur gering, bei zeitweiser Einwirkung von !/,., n-Säure und Lauge treten sie aber deutlich hervor. Hier gelang es nur in einem einzigen Versuche (Nr. 7), einige Eier, die 24 Stunden in t/,., n-Säure verblieben waren, zur Ent- 390 E. Gellhorn: wicklung zu bringen; während die gleiche Laugenkonzentration einen erheblich höheren Prozentsatz normal entwickelter Eier zuläßt. Tabelle VII. 7111er — Zahl der ent- wiekelten Eier Prozentzahl der Gesamtzahl der Eie E x 2 ; : | entwickelten Eier 1. Brunnenwasser | | ae el | ey a 2. 2/1000 NaOH | 25.1 26 | 28] | a0 | 40 | 30 | eure 62 | 65 N oe | | | etwa) | | S 9 3. R/j00 NaOH 1.202 | 30 | 10: Wo5 A207 4. 2/,000-HC1 722 1 37. | 27 | 40 | 40 | 30 5 | 92 5. "oo HL | BR 40 | 40, 30 5210200 1570 Dan der Bin: | | Ä | | ” Ka Er wirkung in Std. | 24 | 3 | 31 24 24 | 3 | 3 | 24 24 | 3 3 Beginn der Einwir- | | 2 \etwa sofort 17 \sofort| etwa |sofoıt 17 sofort] etwa sofort 17 sofort kung nach der Be- | | | | x 12 | | 12 | 12 K Ei | fruchtung in Std. Nummer d. Versuchs | 7a 12 |12a | 21 | 7| 12 |12a°| 21 | 12 128 | Die Dauereinwirkung (72 bis 96 Stunden) von Säuren und Laugen ergibt im wesentlichen die gleichen Resultate. Kurz vor dem Ausschlüp- fen der Keime aus der Gallerte wird stets die Lauge bzw. Säure durch Brunnenwasser ersetzt. Werden die Eier gleich nach der Befruchtung in Y/, 00 n-Säure übertragen, so unterbleibt die Entwicklung vollständig. Die Eier quellen sehr stark und die Gallerte zeigt eine starke Trübung. Ebenso sistiert die Entwicklung, wenn die Eier etwa 12 Stunden nach der Befruchtung, für 72 Stunden in t/,oon-HCl gebracht werden. Da- gegen wird in einigen Versuchen die Dauerwirkung von }/joon-NaOH ertragen, wenn die befruchteten Eier erst nach 12 Stunden in diese Lösungen überführt werden. Die Zahl der entwickelten Eier betrug in zwei Versuchen 20 bzw. 30%, während in Brunnenwasser 80 bzw. 95%, sich entwickelt hatten. Bei Verwendung von U oon-HCl bzw. NaOH ergeben sich die gleichen Befunde wie nach temporärer Ein- wirkung. In einigen Versuchen konnten sogar 100% normale Kaul- quappen festgestellt werden. Auch in diesen Versuchen wurden nur ganz vereinzelt Mißbildungen beobachtet. Dagegen gelingt es regelmäßig sogar ganz groteske Miß- bildung zu erzeugen, wenn man befruchtete Eier in destilliertes Wasser überträgt. Bereits Rauber!) hatte die Beobachtung gemacht, daß normal befruchtete Eier sich in destilliertem Wasser entwickeln können, Läßt man aber die Eier mehr als 48 oder 72 Stunden in Aq. dest., so beobachtet man, daß fast sämtliche Keime sich zu Ödemtieren entwickeln, wie sie O. Hertwig?) bei seinen Studien über die physikalische 1) Rauber, Sitzungsber. d. Naturforsch. Ges., Leipzig 1885. 2) O0. Hertwig, Sitzungsber. d. Kgl. Pr. Akademie 20. VI. 1912 u. 12. VI. 1913. Befruchtungsstudien. II. 391 und chemische Beeinflussung des Idioplasmas beobachtet hatte. Abb. 2 gibt hierfür ein Beispiel, in dem sofort die gewaltige Auftreibung des Leibes auffällt. Dabei können diese Mißbildungen, sofern sie recht- zeitig aus dem destillierten Wasser entfernt werden, noch mehrere Tage am Leben bleiben und sogar lebhafte Schwimmbewegungen auf- weisen. Ferner sei noch die inter- essante Beobachtung erwähnt, daß die vorübergehende (24 bis 48 Stun- den) Einwirkung von destilliertem Wasser eine deutliche Entwicklungs- beschleunigung hervorruft, ein Be- fund, auf den ich später noch genauer zurückkommen werde. Vergleichen wir unsere Ergebnisse anRanatemporariamitdenVersuchen Abb. 2. Ödemtiere, durch 72stündige Ein- J. Loebs!) über die Entwicklung von errichtete Bier entstanden. Die oben rechts Arbacia und Fundulus in Säuren bzw. abgebildete Kaulquappe ist ein normales Alkalien, so zeigen die Eier vonArbacia Re etwa die gleiche Resistenz ; dagegen ist diese bei Fundulus erheblich größer. Denn Funduluseier entwickeln sich noch in Süßwasser, dem auf 100 ccm 12—15 cem !/,, n-NaOH hinzugefügt ist. Und auch in diesen Versuchen zeigt sich die erheblich schädlichere Wirkung der H-Ionen, da schon bei Zusatz von l cm !/,„ n-HCl die Mehrzahl der Eier abgetötet werden. Zusammenfassung. l. Werden die Spermatozoen von Rana temporaria anisotonischen Lösungen etwa 30 bis 50 Minuten ausgesetzt und darauf zur Besamung normaler Eier verwendet, so steigt die Befruchtungsziffer mit fallendem osmotischen Druck. Etwa die umgekehrte Kurve ergibt sich, wenn die Eier vorbehandelt und darauf mit normalem Sperma besamt werden. Bei gleichzeitiger Vorbehandlung der Spermatozoen und der Eier zeigt die Befruchtungsziffer in mittleren Konzentrationen ("/,,) das Maximum. 2. Normal befruchtete Eier werden teils sofort nach der Befruchtung, teils 12 bis 24 Stunden später vorübergehend oder bis zum Ausschlüpfen der Kaulquappen aus der Gallerte in Kochsalzlösungen verschiedener Konzentration überführt. Hierbei zeigt sich, daß mehr als 0,3% Koch- salzlösungen sofort nach der Befruchtung die Entwicklung aufheben. Werden aber die Eier 12 bis 24 Stunden nach der Befruchtung in Koch- salzlösungen übertragen, so entwickeln sich noch in 0,9%, NaCl normale Kaulquappen. !) I. L:ob, Arch. f. Entwicklungsmechanik %. 631. 1898. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 26 392 E. Gellhorn: Befruchtungsstudien. II. 3. Zur Feststellung der Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration für die Befruchtung werden Spermatozoen und Eier mit verschiedenen Puffergemischen (Glykokoll + Salzsäure bzw. Natronlauge und Phos- phatgemischen nach Sörensen) vorbehandelt und darauf die Befruchtung ausgeführt. Mit vorbehandelten Spermatozoen werden normale Eier besamt und zur Besamung vorbehandelter Eier normales Sperma verwendet. Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß die Grenzen, inner- halb deren normale Entwicklung noch zustandekommt, für die Sper- matozoen bei 5 = 3 und ?% = 13 und für die Eier bei ?g = 3 und Py = 12 liegen, wenn die Konzentration der Puffer !/,, normal ist. 4. In Y/,ooo n-HCl und n-NaOH wird die Entwicklung befruchteter Eier nicht gehindert. In stärkeren (!/,o a) Konzentrationen von HCl wird die Entwicklung fast stets unterdrückt und die Eier sterben ab, auch wenn die Einwirkung nur vorübergehend (3 bzw. 24 Stunden) währt. Dagegen entwickeln sich in !/,o n-NaOH bis zu 30% normale Kaulquappen. Auch in diesen Versuchen zeigt sich eine Zunahme der Resistenz an 12 oder 24 Stunden alten Keimen gegenüber eben be- truchteten Eiern. 5. In sämtlichen Versuchen fehlen Anzeichen für eine Beeinflussung des Idioplasmas im Sinne O. Hertwigs. 6. Wenn befruchtete Eier in destilliertes Wasser für etwa 72 Stunden übertragen werden, so erhält man regelmäßig Mißbildungen, die den Ödemtieren ©. Hertwigs vollständig gleichen. (Aus dem Institut für vegetative Physiologie der Universität Frankfurt.) Über den Einfluß unterschwelliger elektrischer Reizung auf den Permeabilitätszustand von Froschmuskeln. Von Hermann Weiss. Ausgeführt mit Unterstützung der Manfred Bernhard Schiff-Stiftung. (Eingegangen am 25. Juni 1922.) In mehreren, früher veröffentlichten Arbeiten wurde festgestellt, daß die im Anschluß an stärkere Muskelarbeit auftretende Ermüdung von Froschmuskeln — wenigstens zum Teil — auf eine Änderung des Permeabilitätszustandes und der Alterationsfähigkeit von membran- artigen Muskelfasergrenzschichten zurückzuführen ist. Es zeigte sich nämlich, daß während der Ermüdung der Austritt von Phosphorsäure aus dem Muskelinnern verstärkt!) und der Eintritt von Kalium-Ionen aus der Umgebungsflüssigkeit beschleunigt ist. Das Letztere wurde aus dem beschleunigten Eintritt der Kali-Lähmung beim Aufenthalt des Muskels in abnorm kalihaltigen Flüssigkeiten erschlossen ?). Mit dem Aufhören der Ermüdung verschwindet die vermehrte Phosphorsäureausscheidung und gleichzeitig der schnellere Eintritt der Kalium-Ionen wieder. Daraus wurde auf die Wiederherstellung des Zustandes geringer Permeabilität geschlossen. In einer kürzlich von mir veröffentlichten Arbeit?) wurde nun geprüft, wie der Permeabilitätszustand der membranartigen Grenz- schichten sich bei der elektrischen Durchströmung mit konstantem Strom, ohne daß irgendeine Kontraktion eintrat, verhält. (Um jeden Einzelreiz zu vermeiden, wurde mit einem Schieberrheostaten der Strom ein- und ausgeschlichen.) Auch hier wurde eine reversible Erhöhung des Permeabilitäts- zustandes gefunden, die zeitlich an eine reversible Erregbarkeits- minderung gebunden war. Es lag nunmehr nahe, zu untersuchen, ob auch bei der Reizung mit unterschwelligen Einzelinduktionsschlägen den eben geschilderten ähnliche Änderungen an den Muskelfasergrenzschichten eintreten. Der- artige Untersuchungen bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 1) Embden, G. und E. Adler, Zeitschr. f. physiol. Chemie 118, 1. 1922. 2) Vogel. Zeitschr. f. physiol. Chemie 118, 50. 1922. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, Heft 1/2. 1922. 26* 394 NH. Weiss: Über den Einfluß unterschwelliger elektrischer Reizung Methodik: Zu den Versuchen wurden die Musculi gastrocnemii und semimembranosi, von denen letztere sich in meinen früheren Versuchen als wesentlich besser geeignet erwiesen hatten, verwandt. Die Muskeln waren gerade so wie in der oben erwähnten Arbeit von Embden und Adler an zwei als Elektroden dienenden Platinhaken auf- gehängt. Beim Gastrocnemius wurde der obere Haken im Muskel, der untere in der Achillessehne befestigt, während beim Semimembranosus beide Haken in der Muskelsubstanz angebracht waren. Die obere Elektrode war mit einem Schreibhebel verbunden, der die Muskel- bewegungen auf einem Kymographion registrierte. Der Muskel war mit dem Sekundärkreis eines Induktionsapparates verbunden. dessen primärer Kreis durch einen Metronomunterbrecher geschlossen und geöffnet werden konnte. In jedem Versuche wurden die beiderseitigen gleichartigen Muskeln, die sich in 15 ccm sauerstoffdurchperlter Ringerlösung (0,6% NaCl, 0,02% KCl, 0,02% CaCl,, 0,02% NaHCO,) im Kopyloffschen Gefäße befanden (siehe Embden und Adler a. a. O.), mit einander verglichen. In früher geschilderter Weise wurde zunächst abgewartet, bis die unter der Einwirkung des Präparationsreizes vermehrte Phosphorsäureausscheidung soweit abgeklungen war, daß an die Ringerlösung während einer Stunde keine erkennbare Phosphorsäuremenge abgegeben wurde. Nunmehr wurde der Induktionsapparat in Tätigkeit gesetzt, und der eine der beiden Muskeln während einer Stunde mit etwa 90 durchaus unterschwelligen In- duktionsschlägen pro Minute durchströmt. Es wurde natürlich streng darauf ge- achtet, daß während der ganzen Durchströmung keinerlei Kontraktionserscheinun- gen auftraten. Die Temperatur des zur Kühlung verwandten Leitungswassers betrug ca. 15°. Vor der Reizung mit unterschwelligen Induktionsschlägen waren die Zuckungs- höhen beider Muskeln bei einem bestimmten Rollenabstand miteinander verglichen worden, wobei die beiden Muskeln nebeneinander geschaltet waren. Zum Durchströmungsversuch wurden nur Muskeln benutzt, die bei der Vor- prüfung annähernd gleiche Zuckungshöhen zeigten, wobei auch ihr nach der Phos- phorsäureausscheidung beurteilter Permeabilitätszustand ein sehr ähnlicher war. Nach Ablauf der einstündigen Periode unterschwelliger Reizung wurden die Ringerlösungen beider Muskelgefäße auf Phosphorsäure untersucht und die Zuckungshöhen genau in der gleichen Weise wie in der Vorperiode miteinander verglichen. Hierauf folgte nun in einem Teile der Versuche eine Erholungsperiode von ebenfalls einstündiger Dauer in frischer Ringerlösung, wonach Phosphorsäure- ausscheidung und Kontraktilität erneut geprüft wurden. In einem anderen Teil der Versuche kamen beide Muskeln unmittelbar nach Abschluß der Durchströmung gleichzeitig in isotonische Kaliumsulfatlösung (1,57%) oder in ein Gemisch von Ringerlösung mit isotonischem Kaliumsulfat zu gleichen Teilen, wobei festgestellt wurde, welche Zeit bis zur vollkommenen Unerregbarkeit jedes Muskels für den von vornherein angewandten Rollenabstand verstrich. Die Reizung erfolgte bei beiden Muskeln stets gleichzeitig, aber so selten wie möglich, um den Lähmungs- eintritt nicht zu beschleunigen!). Bei den meisten Versuchen wurden in den einzelnen Perioden die Muskeln mit- einander vertauscht in der Weise, daß der zuerst durchströmte Muskel später als Kontrolle diente und umgekehrt. Versuchsergebnisse. Ich lasse zunächst den Protokollauszug eines Versuches am Semi- membranosus folgen: 1) Siehe hierüber Vogel a. a. O. u. Behrendt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118. 1922. auf den Permeabilitätszustand von Froschmuskeln. Versuch 1 (Versuch 7 des Protokolls). 395 Muskel A Muskel B Buhun Bemerkungen über Versuchsanordnung ete. Phosphor- | Phosphor- | Zuckungs- säUTe- säure- | höhe 13. X. 21 reaktion reaktion | in mm $h00’a.m. 2 Semimembranosi von Rana escu- | lenta (klein) eingespannt, Apparate | mit je 15 cem R.L. gefüllt, 0,-Zu- fuhr, beide gut errregbar Hohn, = = 70 his 9% 30° | beide Muskeln gut ausgewaschen — m er 3h00’p.m. | R. L. gewechselt Trübung Trübung | 66 bis 38 50° | R. L. gewechselt m eg Ir 4130” | R. L. gewechselt \ klar Klar ar 4h45’ | R.L. gewechselt. Periode I: EL | 1 Std. dauernd unterschwellig gereizt 6,5 R. A. 90 Reize pro Minute. Mus- kel B bleibt ungereizt 5 a — IE 5h45 | R.L. gewechselt . Trübung | klar 66 51 48° | beide Muskeln kommen in Re SO, nd R.L. zu gleichen Teilen. Kontraktur, die allmählich zurückgeht. Der unter- schwellig gereizte Muskel zeigt die geringere Kontraktur bei Einbringung in K,SO, . = E75 FE 5h 50’ || gereizt IN TAN OR TEE Ti: .- 38 5h 59’ | gereizt, nach Abnahme der Kontraktur = Fr 53 Su 55’ A v7 TE 25 5 58 ” Zur; rap 32 Hu 597 „ eg” Ken 13 6h 0% 2 IF Er 8 61.057 4 = Fr 5 6806 S — — flimmern 607’ RN a I 5 EN as URN ee == Zar gelähmt 608 beide Muskeln kommen in R. L. und werden gut ausgewaschen. Nachts O,-Zufuhr . rue Fr GR 4X. 21. m "al a.m.| R. L. gewechselt starke starke 55 i Trübung Trübung Nachtaus- Nachtaus- ) scheidung scheidung bis8h15’ | R. L. öfter gewechselt _ Fu er 1% | R.L. gewechselt MR klar klar = | 990° || Periode 2: Muskel B 1 Std. dauernd unterschwellig gereizt 6,5 R. A. | 90 Reize pro Min. Muskel A Kontrolle — == Zus Sr | 10120° | R. L. gewechselt . klar 6 Trübung 45 396 H. Weiss: Über den Einfluß unterschwelliger elektrischer Reizung Versuch 1 (Fortsetzung) Muskel A Muskel B Dam Bemerkungen über Versuchsanordnung ete. | Phosphor- | Zuckungs- | Phosphor- | Zuckungs- säure- höhe säure- höhe 14.X. 21 A reaktion in mm reaktion in mm 10h 25° | beide Muskeln kommen in das Gemisch] von K,;, SO, und R. L. Kontraktur, die allmählich zurückgeht . . . .. = == = = OPERA Nrereizt 5,4% 2 a ae, — 37 — 19 1072 r a ER ne aa Er — 34 — 37 10% 28° | gereizt, nach Abnahme der Kontraktur — 48 = al 10% 29° | = ER Re RE RR BR = 38 - 7 10h 30° | n Rn Bar SIE IREHEER — 29 — gelähmt ı LOSE | nA at RN 17 — Mi: r | 10% ee | “ NE ER RER NE U RAREN TE ee E= » — N 102357] BEN ES ES R — gelähmt -- au Das Ergebnis des geschilderten Versuches ist folgendes: Nach Periode I, in der Semimembranosus A unterschwellig gereizt wurde, Muskel B ungereizt blieb, zeigte sich bei dem gereizten Muskel deutliche Phosphorsäureausscheidung, während er in der gleichlangen Vorperiode keine erkennbare Phosphorsäuremengen an die Ringerlösung abgegeben hatte und auch der ungereizte Kontrollmuskel keine Phos- phorsäureausscheidung aufwies. Ferner zeigte sich nach der Reizungs- periode I des Versuches beim gereizten Muskel A eine Abnahme der Zuckungshöhe um 11 mm, während die des Kontrollmuskels die gleiche wie in der Vorperiode geblieben war. Nachdem sodann beide Muskeln in das Gemisch von Ringerlösung und isotonischer Kaliumsulfat- lösung gekommen waren, wurde der gereizte Muskel A bereits nach 11 Min. unerrregbar, bei Muskel B dagegen trat vollständige Lähmung erst nach 19 Min. ein. Die Periode II am nächsten Tage, in der die Ver- suchsbedingungen umgekehrt waren, gab das entsprechende Ergebnis. Der gereizte Muskel B zeigte nach der unterschwelligen Reizung deutlich Phosphorsäurenausscheidung, Abnthme der Zuckungshöhe (um 10 mm), während bei Muskel A, der als ungereizte Kontrolle diente, keinerlei Phosphorsäurenausscheidung bemerkbar war und die Zuckungshöhe unverändert blieb. Die Kalilähmung trat beim Kontrollmuskel nach 10 Min. ein, während der unterschwellig gereizte Muskel bereits nach 5 Min. gelähmt war. Ebenso wie in diesem ergab sich aush in einigen weiteren, hier nicht im Einzelnen zu schildernden Versuchen am Semimemcranosus, daß der nach der unteschwelligen Reizung eintretende Erregbarkeitsverlust mit einer deutlich erkennbaren Phosphorsäureausscheidung verknüpft war. A auf den Permeabilitätszustand von Froschmuskeln. 397 Versuch 2 (Versuch 4 des Protokolls). Muskel A Muskel B Bemerkungen über Versuchsanordnungen ete. | Phosphor- | Zuckungs- | Phosphor- | Zuckungs- säure- höhe säure- höhe reaktion in mm reaktion in mm 2 Gastrocnemien von Rana esculenta (mittelgroß) eingespannt, Apparate mit je 15 ccm Ringerlösung (R.-L.) gefüllt, O,-Zufuhr, beide Muskeln gut erregebar. R.-L. öfters gewechselt . En 52 — 52 Rn. eewechselt en nu me Stark 34 stark 35 öfterer Wechsel der R.-L.. . . . . . —_ — — — IRA Wore wechselt ran klar 393 klar 33 Ringerlösung gewechselt. Periode I, Muskel B 1 Std. unterschwellig ge- reizt, 7 cm Rollenabstand (R.-A.) 90 Induktionsschläge pro Minute. Muskel A bleibt ungereizt. . . . - — — _ — BRelisgewechselt. u. „n.r2r. ER, klar 39 klar 30 Beide Muskeln kommen in 15 ccm, eines Gemisches von gleichen Teilen iso- tonischer Kaliumsulfatlösung und R.-L. Sie zeigen Kontrakturen, die allmählich Zurückvehenin u re — — -- — Sereizia ae elle ren: = 12 == 11 B ER RER ENAENRCHENR, — 9 — 10 „ beiderseits haben die Kontrak- turen abgenommen”. SR mn: — 22 == 14 SROIREAÄN u" non Due eo = 12 — gelähmt hr DER EL ERS AFTER — 6) = n KO ROTEN PER — 3 == n ne N RE IPA — Flimmern — , ha BB Re N EEE — gelähmt — > beide Muskeln kommen in R.-L., werden öfters ausgewaschen, nachts 0,-Zufuhr ir = = ara BrIesrewechselis sus Sa ng: starke starke Trübung Trübung (Nachtaus- (Nachtaus- scheidung) — scheidung) — R.-L. öfters gewechselt . ...... — — — — Rees sewechselt ee klar 30 klar 30 Periode 2: Muskel A 1 Std. unterschwellig gereizt, 7 cem R.-A. 90 Induktionsschlä- ge pro Min. MuskelB bleibt ungereizt _ — = IE Reg oewechselser 0 wa. fast klar 24 klar 30 beide Muskeln kommen gleichzeitig in das Gemisch von K;,SO, und R.-L. Kontraktun as ee a — u 28 398 H. Weiss: Über den Einfluß unterschwelliger elektrischer Reizung nn en EEE | Muskel A Muskel B | | Bemerkungen über Versuchsanordnungen ete. | Phosphor- Zuckungs- | Phosphor- | Zuckungs- säure- höhe säure- höhe reaktion in mm reaktion in mm 9h 43° gereizt. - — 6 — 12 9n 44° u ee Le UNE 3 ee — eelähmt — 12 9h 45’ „ (nach Abnahme der Kontraktur) _- ” —_ 17 7, 9h 47 er = au — 11 9h 48 RL: RE RL OR te Eh AS _ n — flimmemn | gu 497 a SS Na an Y = gelähmt | Schluß des Versuches. Im Prinzip ganz gleichartig verliefen auch die Versuche am Gastro- cnemius, wenngleich ganz ähnlich, wie ich schon in meinen früheren Versuchen mit konstantem Strom gefunden hatte, sich die Permeabih- tätssteigerung weniger deutlich als am Semimembranosus zu erkennen gab. Dies stimmt ganz mit der von Behrendt auf Grund seiner Versuche entwickelten Anschauung überein, daß die Grenzschichten des Semi- membranosus zarter und alterationsfähiger als die des Gastrocnemius sind. Auch für einen Gastrocnemiusversuch sei aus einer größeren, im wesentlichen gleichartig verlaufenen Versuchsreihe ein Beispiel im vorstehenden Protokollauszug wiedergegeben. In dem vorstehenden Versuche wurden die beiden Gastroenemien eines Frosches, die sich in bezug auf Phosphorsäureausscheidung und Erregbarkeit ungefähr gleich verhielten, unterschwellig gereizt , und zwar so, daß am ersten Tage Muskel A als Kontrolle diente, Muskel B gereizt wurde, während am folgenden Tage umgekehrt Muskel A ge- reizt wurde, und Muskel B zum Vergleich sich außerhalb des sekun- dären Stromkreises des Induktoriums befand. Dabei zeigte sich nach Periode I am ersten Tage des Versuches, daß die Erregbarkeit des unterschwellig gereizten Muskels B (allerdings nur wenig) abgenommen hatte (um 3 mm), während die Erregbarkeit des Kontrollmuskels die gleiche geblieben war. Die Phosphorsäureausscheidung beider Muskeln hatte sich nicht erkennbar geändert. Jedoch trat an dem unterschwellig -gereizten Muskel B die unmittelbar nach der Reizung eingeleitete Kaliläihmung weitaus schneller als am ungereizten Kontrollmuskel ein. (Muskel B war 6 Minuten, Muskel A erst 12 Minuten nach Ein- bringen in Kalilösung völlig gelähmt.) Über Nacht erholte sich Muskel B wieder völlig. Er zeigte die gleiche Zuckungshöhe wie Muskel 4. Nach der zweiten Periode unterschwelliger Reizung am nächsten Tage, in der Muskel A gereizt wurde, war das Resultat umgekehrt. Die Zuckungshöhe dieses Muskels nahm nach der Reizung ab (um 6 mm), während sich die von B nicht änderte. Auch Phosphorsäureausscheidung des gereizten Muskels war — im Gegensatz zum Verhalten des un- | \ \ ) auf den Permeabilitätszustand von Froschmuskeln. 399 gereizten — eben erkennbar. Deutlicher zeigte sich auch jetzt wieder die Änderung des Permeabilitätszustandes durch das verschieden schnelle Eintreten der Kalilähmung: Muskel A war bereits nach 1 Minute unerregbar, bei dem Kontrollmuskel B dauerte es 6 Minuten, bis völlige Lähmung eingetreten war. Nach der unterschwelligen Reizung ergibt sich beim Musculus gastrocnemius demnach eindeutig ein schnellerer Eintritt der Kali- lähmung, sowie eine geringe Abnahme der Erregbarkeit. Dies konnte — wie bereits erwähnt — durch die Ergebnisse mehrerer weiterer Versuche bestätigt werden. Obwohl bei diesen allen am Ende der Reiz- periode eine Abnahme der Zuckungshöhe festgestellt wurde, ließ sich eine Erhöhung der Phosphorsäureausscheidung im Gegensatz zum Verhalten des Semimembranosus nicht regelmäßig nachweisen. Es konnte auch hier dargetan werden, daß die nach der unter- schwelligen Reizung auftretenden Veränderungen durchaus reversibel sind. i Zusammenfassung. Wie durch frühere Untersuchungen aus dem hiesigen Institut festgestellt wurde, ist die Ermüdung des Muskels nach der Arbeit außer mit Verminderung der Zuckungshöhe auch mit vermehrter Phosphorsäureausscheidung und beschleunigtem Eintritt der Kali- lähmung verbunden. Das gleiche Verhalten tritt, wie ich früher zeigen konnte, auch nach länger andauernder Durchströmung des Muskels mit relativ starken, nicht zu sichtbarer Kontraktion führenden konstanten Strömen ein. Aus den eben geschilderten Versuchen geht hervor, daß ganz ent- sprechende Veränderungen auch bei unterschwelliger, zu keinerlei Kontraktionserscheinungen führender Reizung, mit Einzelinduktions- schlägen auftreten können. Aus der physiologischen Praxis. I. Ranviers Muskelspektrum. — II. Eine Methode der Bestimmung des Glykogens in geringen Mengen von Muskelsubstanz. — IH. Ein Speichel- versuch am Kaninchen. — IV. Ein Froschhalter ohne Binden. — V. Opera- tive isolierte Durehschueidung des cerebrospinalen und sympathischen An- teiles des Vago-Sympathicus und Hypoglossus beim Frosche. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) » Mit 5Textabbildungen. (Eingegangen am 18. Juni 1922. l. Ein Muskeldauerpräparat zur Demonstration des Muskelspektrums von besonderer Schönheit stellt man nach folgender Methode her. Der Sartorius von Rana fusca oder esculenta wird ohne Nebenver- letzung präpariert. An seiner Fläche etwa haftende Reste des Septum femorale werden mit feiner Schere entfernt. Nun heftet man den Muskel, indem man ihn mit der Dorsalfläche auf eine Korkplatte legt, am proximalen Ende durch zwei, am distalen durch einen Igelstachel an diese an. Die Stacheln werden durch die Muskelsehnen gestochen und dann ganz kurz abgeschnitten. Es ist von Wichtigkeit, daß der Muskel völlig ausgebreitet, ohne Faltenbildung und ohne seitliche Krümmung auf der Korkplatte liegt, indem er gerade zu seiner natür- lichen Länge oder eben etwas darüber hinaus gestreckt ist. Auch darf er während der Manipulation nicht eintrocknen, noch ist es zweck- mäßig, ihn künstlich zu befeuchten. Nun wird die Korkplatte mit dem Muskel nach abwärts auf die Oberfläche einer in einer Schale betindlichen Lösung von 0,5 g Chloralhydrat, 2ccm Eisessig und Scem Glycerin in 50 ccm Wasser gelegt. Die Lösung soll nicht ganz frisch verfertigt sein, weil sich sonst leicht kleine Luftblasen auf der Oberfläche des Muskels bilden, welche nur schwer zu entfernen sind. Wie man sieht, handelt es sich hier um eine Flüssigkeit, wie sie in der Histologie seit langem zur Maceration und Quellung der Gewebe verwendet wird. Unmittelbar nach Einbringung in dieselbe vollführt der Muskel (so- weit es seine Fixation gestattet) eine Zuckung, sodann wird er R. H. Kahn: Aus der physiologischen Praxis. 401 allmählich weißlich und trüb und quillt. Nach etwa 12 Stunden löst man ihn ohne Zerrung und Verletzung von der Korkplatte. Er wird in eine reichliche Menge von Glycerin übertragen. Wenn der Muskel auf den Boden der Schale gesunken ist, wird das Glycerin gewechselt. Jetzt ist der Muskel völlig durchscheinend geworden. Über einen dunklen Grund gehalten und von Sonnenlicht oder guter künstlicher Licht- quelle beleuchtet, zeigt er ein auffallend lebhaftes Farbenspiel. Nun läßt sich auf zweierlei Weise ein Dauerpräparat herstellen. Man hebt den Muskel mit einem Spatel aus dem Glycerin, läßt die Flüssigkeit möglichst abtropfen und legt ihn mit der dorsalen Fläche nach unten auf einen Objektträger. Er wird reichlich mit erwärmter Glycerin- gelatine!) bedeckt. Sodann wird ein Deckglas aufgelegt, indem man dasselbe leicht der Oberfläche des Muskels andrückt, und so lange parallel zur Objektträgerebene festhält, bis die Gelatine fest geworden ist. Luftblasen sind sorgfältig zu vermeiden. Die Gelatineschicht wird auf solche Weise 1—1,5 mm hoch. Man schneidet sie dem Deck- glasrande entsprechend mit dem Messer glatt ab, reinigt sorgfältig Öbjektträger und Deckglas und überzieht die Schnittfläche nebst den anstoßenden Glasflächen mit einer dicken Lösung von Celluloid in Aceton. Der Muskel dunkelt in der Folge etwas nach, das Präparat hält sich unbegrenzt lange. Um das Muskelspektrum zu betrachten, schneidet man in ein schwar- zes steifes Papier einen Spalt von 0,85—1,2 mm Breite, welcher an Länge die Breite des quer über den Spalt gebrückten Muskels etwas übertrifft. Nun blickt man durch den Muskel und den Spalt gegen eine gut be- leuchtete, nicht zu kleine weiße Fläche. Dabei ist zwischen Muskel und Spalt eine Entfernung von 10—15 mm einzuhalten. Von der außer- ordentlichen Schönheit des farbigen Phänomens wird ein jeder über- rascht sein. Man erblickt beiderseits neben dem Spalt breite und sehr reine Spektren erster, zweiter und dritter Ordnung. Breite, Reinheit und gegenseitige Entfernung der Spektren hängt nicht nur von der Breite und Entfernung des Spaltes, sondern auch von den im Muskel gelegenen Verhältnissen der Lagerung seiner Elemente ab. Je sorg- fältiger man den Muskel den oben erwähnten Punkten entsprechend auf die Korkplatte gelagert hat, desto günstiger sind seine inneren Be- dingungen für die Erzeugung des Muskelspektrums. Es kommt hier offenbar neben der parallelen Lagerung der einzelnen Muskelfasern in gestreckter Stellung auch auf eine bestimmte Dehnung derselben an, welche ein Optimum der Breite der einzelnen Querelemente erzeugt. Von dieser hängt dann die für den einzelnen Fall optimale Spaltbreite und Entfernung ab. Diese beiden letzteren sind also für jedes Präparat gesondert auszuprobieren. 1) Weigert, C., Encyklopädie der mikr. Technik 1, 439. 1903. 402 R. H. Kahn: Eine zweite Art der Herstellung des Dauerpräparates besteht darin, daß man den Muskel aus Glycerin in Canadabalsam überführt. Er wird- zunächst für 24 Stunden in 96 proz, sodann für ebenso lange Zeit in ab- soluten Alkohol übertragen. Dabei wird er wesentlich dünner und schmäler. Durch entsprechende Lagerung (eventuell zwischen Watte) ist dafür zu sorgen, daß er sich nicht über die Kante krümmt. Nun wird der Muskel auf einen ÖObjektträger gelegt, mit einem zweiten, ebenso großen bedeckt und beide Gläser durch Ligaturen derart an- einandergedrückt gehalten, daß die ventrale gewölbte Muskelfläche leicht abgeplattet ist. Auch hier ist darauf zu achten, daß der Muskel sich nicht über die Kante krümmt. Nunmehr wird die ganze Vor- richtung in eine Schale mit Xylol versenkt und unter gelegentlichem Schwenken so lange darin liegen gelassen, bis der Muskel ganz durch- sichtig geworden ist. Dann folgt die Entfernung der Glasplatten und die Einbettung in dicken Canadabalsam. Dieses Präparat unter- scheidet sich von dem oben erwähnten vor allem dadurch, daß der sehr durchsichtige Muskel über dem Spalt betrachtet nur sehr wenig sichtbar ist. Während man bei Betrachtung des Gelatinepräparates den Sartorius mit den auf ihm Jiegenden Spektrenreihen erblickt, also einen sehr demonstrativen Anblick des ‚„Muskelspektrums‘ hat, er- innert das zweiterwähnte Präparat völlig an ein Glasgitter. Man sieht in großer Klarheit die farbige Erscheinung zunächst ohne auf den Muskel aufmerksam zu werden, und es ist erstaunlich, wie sehr das klare und regelmäßige farbige Bild bei solcher Beobachtung mit der großen Unregelmäßigkeit kontrastiert, mit welcher man bei mi- kroskopischer Betrachtung des Präparates die Querelemente der ver- schiedenen Muskelfasern zueinander gelagert sieht. 1. Die Methode beruht auf der vielen bekannten Erscheinung, dab ungeformte, schmierige Niederschläge, nachdem sie abzentrifugiert wurden, sehr fest am Boden und der Wand des Zentrifugenglases haften. Ein solcher Niederschlag ist die Fällung des Glykogens mittels Alkohols aus wässeriger Lösung. Indem man also bei der Darstellung des Glykogens aus sehr geringen Mengen von Muskelsubstanz das sonst gebräuchliche Filtrieren durch Abzentrifugieren der Glykogenfällung ersetzt, ist man in der Lage, die öfters nötigen Lösungen und Fällungen ohne jeden Substanzverlust vorzunehmen, indem sämtliche Mani- pulationen vom ersten bis zum letzten Akte in demselben Zentrifugen- glase vorgenommen werden. Der ganze Vorgang gestaltet sich folgender- maßen. Ein 30 cem fassendes Zentrifugenrohr von etwa 10 cm Höhe und 20 mm lichter Weite, an welchem man sich für 11 cem Inhalt eine ringförmige Marke eingeätzt hat, wird in ein entsprechend großes, Aus der physiologischen Praxis. 403 mit Wasser gefülltes Becherglas eingesenkt, indem es durch die zentrale Bohrung eines das letztere verschließenden Korkstöpsels hindurch- geschoben wird. (Abb.1.) Mit der Pipette werden, ohne die Wand des Zentrifugenglases zu benetzen, 2ccm 60 proz. Natronlauge in das- selbe eingebracht und hierauf das Wasser im Becherglase zum Sieden erhitzt. Der zu untersuchende Muskel im Gewicht von 0,2—0,4g (die Methode wurde bisher vielfach zur Untersuchung von einzelnen Froschmuskeln benutzt) wird rasch präpariert, von Sehnengewebe befreit, gewogen und in einer kleinen Uhrschale mit feiner Schere zu einem Brei zerkleinert. Ist die Schere gut vernickelt und blank poliert, so bleibt bei einiger Übung keinerlei sichtbare Substanz an ihr hängen. Zum Schlusse wird das Häufchen Muskelbrei auf einen Platinlöffel gebracht, welchen man sich herstellt, indem man einen dünnen Platin- draht in das Ende eines Glasstäbchens einschmilzt, sein freies Ende spiralig aufwindet (ca. lcm Durchmesser) und die so geschaffene Conchospirale im rechten Winkel zu dem Drahte umbiegt. Mit der geschlossenen Schere wird der Muskelbrei daraufgeschoben. Bei einiger Übung läßt sich die ganze Manipulation sehr rasch durch- führen, ohne daß auf der Uhrschale oder Schere der geringste Rest von Muskelsubstanz zurückbleibt. Nun versenkt man die Platinspirale, ohne die Wand des Zentrifugenglases zu berühren, in die Lauge. Der Brei | ballt sich zunächst in Klumpen, welche sich unter \ ) fortwährendem Rühren mit der Platinschaufel sehr Abb. 1. schnell zu einer dunkelbraunen. trüben Flüssig- keit gleichmäßig verteilen. Es bilden sich feine Flöckchen und nach etwa 20 Minuten ballt sich eine Wolke schmieriger Substanz, welche aufsteigt und eine bräunliche Oberschicht bildet. Zerrührt, verteilt sie sich leicht, sammelt sich aber immer wieder klumpig an der Oberfläche. Nach 1!/, Stunden wird das Zentrifugenglas aus dem Wasserbade genommen, in einen Halter gefaßt und nun spült man die Platinspirale, indem man sie aus der Lauge heraushebt, mit 3cem Wasser aus einer Pipette ab, ohne die Wand des Zentrifugenrohres zu benetzen. Wenige Tropfen genügen bereits, um die an dem Drahte haftende bräunliche Schmiere zu lösen. Nach völliger Abspülung hebt man die Spirale aus dem Glase heraus. Der ganze Inhalt desselben hat sich zu einer klaren, hellgelben, ganz schwach opalescierenden Flüssigkeit gelöst. Zusatz von 6ccm 96proz. Alkohol verursacht sofort eine sehr feine Trübung, welche bald grobflockig wird und sich zu Boden senkt. Nun wird durch eine halbe Stunde scharf (ca. 3000 Touren pro Minute) zentrifugiert. Über einem schmutziggrauen Niederschlage steht eine 404 R. H. Kahn: klare, gelbliche Flüssigkeit. Dieser Niederschlag sitzt sehr fest auf dem Boden und der Wand des Glases. Man kann dasselbe ausgießen, völlig umdrehen, austropfen lassen, ohne daß das Mindeste von dem Niederschlag verloren geht. Hiervon kann man sich leicht überzeugen, wenn man einige mg Glykogen im Zentrifugenglas, nachdem das Ganze gewogen wurde, in etwas Wasser löst, mit Alkohol fällt, eine halbe Stunde zentrifugiert, den Alkohol abgießt, sorgfältig trocknet und wiederum wägt. Zentrifugiert und getrocknet wird dabei das Glykogen auf dem Boden des Glases vollkommen durchsichtig, so daß man sich von seinem Vorhandensein nur durch die Wage überzeugen kann, sowie da- durch, daß ein wenig Wasser in das Glas gebracht ganz leicht opalisiert. Der Niederschlag im Zentrifugenglase wird nun in 4cem Wasser gelöst, was ohne Erwärmung in kürzester Zeit vor sich geht. Es re- sultiert eine klare, farblose, leicht opalescierende Flüssigkeit, in welcher ein Zusatz von 5ccm Alkohol eine feine weiße Trübung verursacht. Der ganze Vorgang des Zentrifugierens, Lösens und Fällens kann beliebig oft wiederholt werden, es genügt aber, ihn zwei- bis dreimal durchzuführen, um das Glykogen zu reinigen und eine wässerige Lösung desselben zu erhalten, welche bei sorgfältiger Neutralisation mit ver- dünnter Essigsäure keine Spur von Trübung zeigt. Als Indicator dient am besten ein ganz kleines Stückchen Lackmuspapier, welches man in die Flüssigkeit hineinwirft. Nach dem letzten Zentrifugieren wird der Niederschlag in 6 ccm Wasser gelöst, mit 0,l ccm 25proz. Salzsäure versetzt und das Zentri- fugenglas neuerlich in das Wasserbad gebracht. Durch 21/, Stunden wird das Glykogen auf dem siedenden Wasserbade invertiert. Dabei vermindert sich das Volumen der Lösung etwa auf ein Viertel, während die Opalescenz schwindet und der Inhalt des Glases wasserklar wird. Nach Abkühlung wird wiederum neutralisiert und bis zur Marke mit Wasser aufgefüllt. Mit der Pipette werden 10 ccm der Zuckerlösung entnommen, nach Bang titriert und das Glykogen berechnet. Auf solche Weise lassen sich in einzelnen Froschmuskeln genaue Glykogen- bestimmungen ausführen. Zusatz bei der Korrektur: Ich ersehe nach- träglich, daß in der Arbeit von I. K. Parnas (Üb. d. Kohlenhydrat- stoffwechsel d. isol. Amphibienmuskeln, Biochem. Zeitschr. 116, 71 [75]. 1921) eine von I. v. Przylecki ausgearbeitete Methode der Bestimmung von Glykogen in kleinen Muskelmengen kurz mitgeteilt und verwendet ist, welche sich ebenfalls der Zentrifuge bedient. IM. Bekanntlich bewirkt das Pilocarpin rege Speichelsekretion. Aber es dürfte wenig bekannt sein, in wie außerordentlichem Maße die Spei- chelsekretion beim Kaninchen durch eine Instillation dieses Giftes in Aus der physiologischen Praxis. 405 den Conjunctivalsack gefördert wird. Diese Tatsache läßt sich zu einem sehr anschaulichen Demonstrationsversuche ausgestalten. Das Tier wird auf dem Kaninchenbrette mit dem Bauche nach abwärts gefesselt und der Kopf in möglichst natürlicher Stellung durch einen Kopf- halter (am besten mit Ring und Nackengabel) fixiert, so daß die Ebene der Mundspalte eine Neigung nach vorne und unten erhält. Unter die Mundöffnung wird ein Becherglas gestellt und hierauf ein bis zwei Tropfen einer 2proz. Pilocarpinlösung in den Bindehautsack eines Auges instilliert. Bereits nach 5 Minuten beginnt eine rege Speichel- sekretion, welche in kurzer Zeit so hochgradig wird, daß aus dem vorderen Ende der Mundspalte ein Speichelstrom in das vorgelegte Becherglas läuft. Der Speichel erscheint zuerst als Tropfen an der Spitze der Unterlippe, tropft durch einige Minuten mit zunehmender Geschwindigkeit ab, bis sich schließlich ein dicker Speichelfaden, ohne abzureißen, aus dem Maule ergießt. Diese profuse Sekretion dauert etwa 30 Minuten an, wobei sich in die Vorlage bis zu 20 ccm leicht trüben, fadenziehenden Speichels entleeren. 30 bis 45 Minuten nach der Instillation klingt das Phänomen langsam ab, indem wieder einzelne Tropfen fallen, bis die Übersekretion ganz versiegt. Eine Probe des ausfließenden, noch warmen Speichels, in ein Reagensglas mit etwas Stärkekleister gebracht, hat sehr starke saccharifizierende Wirkung. Ohne weitere Erwärmung läßt sich nach kurzer Zeit die hochgradige Verzuckerung der Stärke zeigen. Die Wege, auf denen das instillierte Pilocarpin zur Wirkung gelangt, sowie sonstige, vermutliche Wirkungen instillierten Pilocarpins werden gesondert zu untersuchen sein. Äußer- lich ist an dem Tiere, abgesehen von der Miosis und einiger Unruhe der Nasenflügel, nichts zu bemerken. IV. Im folgenden sei ein Froschbrett beschrieben, welches sich mir zur Injektion von Flüssigkeit in die Vena brachialis, zur isolierten Rei- zung der ungefesselten vorderen Extremitäten, sowie überhaupt zur raschen vorübergehenden Immobilisierung des auf dem Rücken liegenden Frosches seit 20 Jahren außerordentlich bewährt hat. Abb. 2 zeigt eine schematische Skizze desselben. Das Tier wird mit der linken Hand erfaßt, mit dem Rücken nach abwärts auf das Brett gelegt, so daß die beiden stumpfen Haken (Ah h,) mit ihren rechtwinklig umgebogenen Enden jederseits ventral von der Scapula zu liegen kommen. Das Tier ist also, indem die Haken die Haut unter die Sca- pulae einstülpen, gleichsam an diesen Knochen aufgehängt. Indem man nun die Hinterbeine anzieht und gleichzeitig durch Lösen der Schraube 5 den Hakenträger H verschiebt, orientiert man leicht die Hinterbeine zu den am Fußende des Brettes eingeschlagenen Stiftpaaren derart, 406 R. H. Kahn: daß man dieselben durch extreme Beugung in den Fußgelenken an den Stiften befestigen kann. Die rechts unten in der Abbildung sicht- bare Skizze zeigt ohne weitere Erklärungsnotwendigkeit die Lage des Unterschenkels und Fußes. Zum Schlusse wird der Hakenträger leicht kopfwärts gezogen und mit der Schraube S festgeklemmt. Die ganze Abb. 2. Manipulation ist in einigen Sekunden erledigt und das Tier ist in schonender Weise unbeweglich fixiert. Die vorderen Extremitäten sind völlig frei. Es sei noch erwähnt, daß die beiden Arme des Hakenträgers in einem Gelenke gegeneinander drehbar und daß die Dimensionen der ganzen Vorrichtung so bemessen sind, daß Tiere jeder Größe fixiert werden können. Ein bindenloser Froschhalter, auf welchem das Tier auf dem Bauche liegt, soll bei späterer Gelegenheit beschrieben werden. V. Die Untersuchung des Zustandes einer Reihe von Organen des Frosches nach Ausschaltung ihrer cerebrospinalen bzw. sympathischen Innervation erfordert besondere Operationsmethoden, von denen hier jene, welche sich auf das Herz und gewisse Organe des Kopfes. bezieht, geschildert werden soll. Die Ausführbarkeit dieser Operation beruht vor allem auf der besonderen Stellung, in welche das Tier zur besseren Zugänglichkeit der Austrittstellen des Glossopharyngeus, Vagus und Hypoglossus gebracht werden muß. Es wird nämlich der Kopf exzessiv gebeugt, so daß die Gewebe, welche das Hinterhaupt mit dem Rücken und der Schulter verbinden, stark gespannt sind und nach ihrer Durch- trennung weite Lücken klaffen. Eine nicht zu kleine Rana esculenta wird mit Äther unter der Glas- glocke tief narkotisiert, an den Hinterbeinen vertikal gehalten und in dieser Stellung derart in eine Klemme gefaßt, daß deren Branchen den vorderen Teil des Oberkopfes bis gegen die Augen bzw. den Mund- Aus der physiologischen Praxis. 407 ‚höhlenboden zwischen sich fassen und die Mundspalte annähernd vertikal steht. Hierzu eignet sich ganz gut ein in allen Laboratorien vorhandener starker Muskelhalter zur Befestigung des Femurstumpfes des Nervmuskelpräparates vom Frosche. Er wird derart auf den Tisch gelegt, daß die Stange, an welcher die Klemme befestigt ist, senkrecht in die Höhe ragt. Zur Schonung der Haut wird zwischen Klemmenarme und Kopf ein weicher Tuchlappen gelegt. Nun läßt man bei so fixiertem Kopfe den Leib des Tieres herabsinken, so daß durch sein Gewicht der Kopf stark gebeugt, die Nackengegend also stark gespannt wird. Die Klemme darf scharf zugezogen werden. Die dabei etwa entstehenden Druckmarken schwinden nach Abnahme des Tieres in ganz kurzer Zeit. Die eigentümliche Stellung des Tieres zeigt Abb. 3. Das Operationsgebiet befindet sich auf der Höhe der vom Nacken gebildeten Kuppe. Durch einen T-förmigen Schnitt wird der dorsale Lymphsack eröffnet, indem man die Haut in der Sagittalebene hinter den Augen beginnend bis hinter die Verbindungslinie der Armansätze durchschneidet und mit der Schere senkrecht auf diesen Schnitt gegen die Gegend hinter dem 'Trommelfelle einen Quer- schnitt setzt. Hierbei ist eine Verletzung des daselbst in Begleitung des R. auricularis des Vagus zur Haut verlaufenden Ram. dorsalis ) der Art. cutanea magna sorgfältig zu ver- meiden. Die Hautlappen werden durch Klem- ; men auseinandergehalten und die Fascia dor- Ss \ salis neben der Wirbelsäule der Länge nach Se stumpf durchtrennt. Mit feinem Finder wird ) der Musc. rhomboideus anterior, sowie der Abb. 3. Musc. levator scapulae sup. durchrissen, so daß die Suprascapula gehoben werden kann. Von ihrem medialen Knorpelrande wird mit der Schere ein Streifen von etwa 1—2 mm Breite abgetragen. Nunmehr geht man mit dem Finder unter die vorderste Partie des Musc. longissimus dorsi von seinem lateralen Rande her und durchreißt ihn da, wo er sehnig wird, unter sorgfältiger Scho- nung der zwischen seinen beiden Portionen hindurchtretenden, stets sehr gut sichtbaren Art. occipitalis. Der vor der Durchreißung stark gespannte Muskel klafft sogleich mit breiter, querer Lücke, auf deren Grunde der Musc. intertransversarius capitis superior erscheint. Die Durchreißung dieses Muskels wird ebenso bewerkstelligt, wie die des vorher genannten, jedoch empfiehlt es sich, seine einzelnen Faserbündel Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 27 408 R. H. Kahn: gesondert und die medial gelegenen mit besonderer Vorsicht zu durch- trennen, da knapp ventral von seinem medialen Rande die Arteria oceipitalis verläuft, deren Verletzung eine unstillbare Blutung, welche jedes weitere Operieren vereitelt, zur Folge hat. Auch dieser Muskel klafft stark nach seiner Durchreißung und es öffnet sich unter ihm ein rechteckiger Raum, welcher vom Hinterhaupte, der Wirbelsäule, dem langen Querfortsatze des zweiten Wirbels und lateral von der Supra- scapula begrenzt ist. In seiner medialen vorderen Ecke sieht man in einen pigmentzellenführenden Mantel gehüllt, das gelbliche Gangl. jugulare Vagi, seine vordere Schmalseite entlang zieht das Nerven- bündel des Glossopharyngeus-Vagus mit deren Asten. Den Boden dieses Raumes bildet der Musc. intertransversarius capitis inferior, seine hintere Schmalseite der Querfortsatz des zweiten Wirbels, an welchen sich dieser Muskel breit ansetzt. Die mediale Wand schimmert weiß und sehnig. Sie wird zum Teil durch die Seitenfläche des Atlas, zum Teil durch den Condylus oceipitalis des Hinterhauptsbeines und deren Bänderüberzug gebildet. An ihrem oberen Rande erblickt man, aus der Tiefe zwischen Atlas und medialem Rande des M. intertransvers. cap. inf. auftauchend, die pulsierende Art. occipito-vertebralis, welche sich eben in die oralwärts laufende Art. ocei- pitalis und in die caudalwärts ziehende Art. vertebralis dorsi teilt. Am unteren Rande ver- läuft der oberste Teil der Pars cervico-brachi- alis des Sympathicus, nämlich der Verbin- dungsast zwischen dem zweiten sympathi- schen Ganglion (am Hypoglossus) und dem Gangl. jugulare Vagi. Er hat ein schwarz- graues Aussehen, da er gleich diesem Gang- ash, lion von pigmentzellenführendem Bindegewebe Abb. 4. Skizze des Operations- eingehüllt ist. N Nach Gaupp!) besteht diese Pars cephalica en 2a en des Sympathicus aus zwei nebeneinander ver- belsäule, sch = Schädel, s- laufenden Nerven, von denen der eine dem en zweiten sympathischen Ganglion entstammend Muse. intertransyv. cap. infer, am Gangl. jugulare vagi vorbei durch das k = Kapsel der Atlanto-Occi- . . pitalverbindung, ov — Art. Foramen jugulare zum Ggl. prooticum com- oceip.-vertebral., o = Art. occi- muneziehen soll, während der andere eben- A er Een et falls aus dem sympathischen Hypoglossus- sy = Sympath. Verbindungs- sanglion stammend sich in das Gangl. jugulare nerv zwischen Gangl. symp. II. z ° und Gangl. jug. vagi. einsenkt. Diese Angaben beruhen offenbar auf einem Irrtum. Bei keiner der sehr zahlreich qu !) Gaupp, E., Anatomie des Frosches. III. Nervensystem, $. 217. Siehe auch Abb. 40 und 62. Aus der physiologischen Praxis. 409 durchgeführten Operationen habe ich jemals eine Verdoppelung dieses obersten Abschnittes des sympathischen Grenzstranges gese- hen. Auch an der Leiche läßt sich immer nur ein Verbindungsnerv feststellen, welcher vom zweiten sympathischen Ganglion zum Ganglion jugulare vagi hinzieht. Ein anschauliches Demonstrationsobjekt der anatomisch vorliegenden Verhältnisse stellt man her, indem man nach anatomischer Präparation dieser Gegend den Hypoglossus bei seinem Austritte, den Grenzstrang zwischen zweitem und drittem Ganglion und Glossopharyngeus-Vagus unterhalb des Gangl. jugulare durch- schneidet, diese Nerven mit einem feinen Tuche leicht umhüllt und das Ganze aus dem foramen jugulare mit kurzem Rucke herausreißt. Das Nervenpräparat wird dann auf einem Blatte schwarzen Papieres vorsichtig ausgebreitet und in halber Eintrocknung in Alkohol fixiert. Abb.5 zeigt ein solches Präparat in doppelter Vergrößerung. Rechts ist die Kreuzungsstelle des Hypoglossus (Austrittsstelle oben abgeschnitten) mit dem Grenzstrange zu sehen, links neben ersterem das zweite sym- pathische Ganglion, welches in den Verbin- dungsast zum Gangl. jugulare vagi übergeht. Dieses selbst in der Figur links, nach unten abgehend der Vagus mit seinem Ram. auri- cularis und der Glossopharyngeus aus einem besonderen links unter dem Jugularganglion liegenden kleinen Austrittsganglion entsprin- gend. Nach links oben ziehen die aus dem Foramen jugulare ausgerissenen Glosso- ABBIE: pharyngeus Vaguswurzeln als ein dicker, die sympathische Verbindung zwischen Jugularganglion und Gangl. pro- oticum commune in der Schädelhöhle als ein feiner Nervenstrang neben- einander. Es liegen also die Verhältnisse für den obersten Teil des Grenzstranges so, daß vom zweiten sympathischen Ganglion ein ein- ziger Verbindungsast die sympathischen Fasern dem Gangl. jugulare zuführt, welches sie dem Vagus Glossopharyngeus und dem Ganglion prooticum commune zuteilt. Es hat den Anschein, daß ganz feine, kaum präparierbare Nervenfäden sympathischen Ursprunges gegen die Gefäße dieser Gegend hinziehen; von Gaupp sind solche für die Art. occipitalis ausdrücklich angegeben worden. Das bisher geschilderte Operationsverfahren ermöglicht die ge- sonderte Durchschneidung der sympathischen und autonomen (para- sympathischen) Innervationsbahnen des Herzens. Mit einem feinen Häkchen hebt man den Sympathicus da, wo er an der lateralen Wand des Atlas verläuft, von der Unterlage ab und schneidet ihn mit feiner Schere durch. Bekanntlich führt dieser Nerv die sympathischen för- 27* 410 : R. H. Kahn: dernden Herznervenfasern dem Gangl. jug. vagi zu. Um die Durch- schneidung des Vagus vor seinem Eintritt in das Gangl. jug. also ohne Verletzung der sympathischen Herznervenfasern vorzunehmen, bedarf man eines eigenen Instrumentes. Aus einer mittelstarken Nähnadel, welche in einen Nadelhalter gefaßt ist, schleift man sich auf dem Schmirgelstein ein Messer mit möglichst starkem Rücken und zieht dieses sehr fein auf Ölstein und Streichriemen ab. Mit diesem Messerchen wird, indem man das ganze Nervenbündel unterhalb des Gangl. jugulare mit einem feinen Häkchen leicht caudalwärts zieht, das Ganglion jugulare vom Hinterhaupte abgeschnitten. Dabei führt man das Messer am besten von außen nach innen hart am Knochen. Weder das Ganglion noch der Sympathicus werden dabei verletzt. Durch diesen Schnitt werden die herzhemmenden Nervenfasern durchtrennt. Die ganze Operation, bei welcher bei genügender Erfahrung und Geschicklichkeit kein Tropfen Blut zu fließen braucht, läßt sich nun einfach beenden, indem man das Tier aus dem Halter herausnimmt und auf den Tisch legt. Dadurch wird die Nackengegend entspannt. Die durchrissenen Muskeln werden, soweit es nötig erscheint, genäht, einige stärkere Nähte vereinigen den knorpeligen Teil der Supra scapula mit der Fascia dorsalis. Die Hautschnittränder werden durch Knopfnähte vereinigt. Um am Hypoglossus zu durchschneiden, führt man die Operation nach Durchreißung des M. intertransversarius cap. superior derart weiter, daß man auch den Boden des oben beschriebenen Operations- raumes, den M. intertransv. cap. inferior von außen und seiner Ventral- fläche her durchreißt, wiederum unter sorgfältiger Schonung der an seinem medialen Rande verlaufenden großen Gefäße. Die Reste dieser beiden Muskeln werden hart am oralen Rande des Querfortsatzes des zweiten Halswirbels mit der Schere abgetragen und nunmehr auch der M. intertransversarius zwischen zweitem und drittem Wirbel durch- rissen. Mit den Spitzen einer feinen Knochenzange wird der Quer- fortsatz des zweiten Wirbels von der Dorsalseite her an seinem Grunde abgeschnitten. Dabei ist darauf zu achten, daß der Hypoglossus der Ventralfläche dieses Fortsatzes unmittelbar anliegt. Der Knochen wird mit einem Häkchen zur Seite gezogen. Es erscheint das zweite sympathische Ganglion, der Hypoglossus an seiner Austrittsstelle, seine Kreuzung mit dem Grenzstrange (der Hypoglossus liegt dorsal) und ein weiteres Stück des Grenzstranges. Nun läßt sich leicht der Hypoglossus oberhalb der Kreuzung mit der feinen Schere durch- schneiden, so daß sein peripherer Stamm nur noch intakte sympathische Nervenfasern. enthält. Desgleichen gelingt leicht die Ausrottung des zweiten Sympathicusganglions unter vorsichtiger Schonung der Art. occeipitalis. Die Durchschneidung des Grenzstranges zentral von der Kreuzung aber ist: schwierig, da an dieser Stelle die Art. oceipito- Aus der physiologischen Praxis, 411 vertebralis mit dem Nerven durch Bindegewebe verlötet ist. Es bedarf einer schonenden und nicht immer ohne Gefäßverletzung gelingenden Prä- paration, um ihn genügend zu isolieren. Nach Ausrottung des Ganglions und der eben erwähnten Durchschneidung sind die im Hypoglossus ver- laufenden sympathischen Innervationsbahnen durchtrennt. Der ab- geschnittene Querfortsatz wird entfernt oder an seinen Muskelresten mit der Fascia dorsalis vernäht, und die Operation, . wie oben beschrie- ben, vollendet. Natürlich ist es leicht möglich, mit dem beschriebenen Verfahren gesondert den Glossopharyngeus zu durchschneiden, die ge- nannten Gefäße zu unterbinden und die Details der Nervendurchschnei- dungen noch anders zu kombinieren, als es eben beschrieben wurde. Von Versuchsresultaten, welche mit dieser Operation gewonnen wur- den, wird bei anderer Gelegenheit die Rede sein. Hier sollnur noch zweier Symptome gedacht werden, welche im Gefolge der isolierten Sympathi- cus- bzw. Vagusdurchschneidung zu beobachten sind. Die Durchschnei- dung des obersten Teiles des Grenzstranges führt zur Verengerung der Pupille des gleichseitigen Auges. Dieser Erscheinung wurde schon früher von mirt) bei ähnlicher Gelegenheit gedacht. Merkwürdigerweise scheint die Abtrennung des Ganglion jugulare von der Schädelbasis, wobei doch alle durch das Foramen jugulare tretenden Gebilde durchschnitten wer- den, nicht regelmäßig das gleiche Resultatzur Folge zu haben. Wie ich schon seinerzeit bemerkt habe, bedarf die Frage der sympathischen Inner- vationswege der Froschiris einer neuerlichen Bearbeitung, zumal ja auch sonst gewisse Verschiedenheiten im Verhalten der Pupille nach Sympa- thieusdurchschneidung und Ganglienexstirpation bekannt sind. Die beiderseitige Durchschneidung des Vagus oberhalb des Ganglions hat nun weiter noch ein grob wahrnehmbares charakteristisches Sym- ptom zur Folge. Nach einer Reihe von Tagen bemerkt man als fast regelmäßiges Ergebnis der Operation im Maule des Tieres einen großen, mit Schleimhaut überzogenen, nach der rechten Seite gekrümmten, wurst- förmigen Körper. Die Autopsie ergibt, daß essich um eine Invagination des Magens in den Oesophagus mit Inversion und Prolaps desselben in die Mundhöhle handelt. Diese Erscheinung ist offenbar so zu erklären, daß die bei so hoher Vagusdurchschneidung eintretende Lähmung des Pharynx die Disposition für den Prolaps schafft. Die Ursache für denselben liegt vermutlich in der Wirkung der Bauchpresse bei gelähmtem Oesophagus?). Die Details der Operation, sowie die charakteristische Pupillen- veränderung und der Oesophagusprolaps wurden in der Sitzung der biologischen Sektion des deutschen naturw.-medizin. Vereines ‚‚Lotes“ in Prag am 20.1. 1920 demonstriert. !) Kahn, R. H., Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus II. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 192, 110. 1921. ?) Zwei Fälle von spontaner Invagination des Magens bei Anuren beschrieb E. Michl in Arch. f. Anat. u. Physiol. (Anat. Abt.) 1914, S. 313. Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch. Von Ernst Wertheimer. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangan am 3. Juli 1922). Läßt man auf einen curarisierten oder narkotisierten Frosch durch eine stärkere Lichtquelle, — wir benutzten eine Nernstlampe — Licht auffallen, so gelingt es leicht, den Kreislauf in den verschiedensten Organen zu beobachten. Die Beobachtungen des Kreislaufes im auf- fallenden Licht, namentlich an den Hautcapillaren des Menschen, wurden besonders durch die Untersuchungen in der medizinischen Klinik in Tübingen gefördert!). Basler?) gibt eine sinnreiche Methode der Untersuchung im durchfallenden Licht an mit Hilfe eines Licht- leiters, der einfach aus einem Glasstab besteht. Für unsere Beobach- tungen erwies sich die Untersuchung im auffallenden Licht am prak- tischsten. Die Erwärmung des Objekts, mit der hierbei gerechnet werden muß, kann herabgesetzt werden durch mösglichste Entfernung der Nernstlampe und durch Berieselung des Organes. Der Temperatur- einfluß kann dadurch so gut wie ausgeschaltet werden, wie Kontroll- versuche mit der Baslerschen Methode ergaben. Wir haben den Kreis- lauf folgender Organe mit Hilfe dieser einfachen Anordnung unter- suchen können: Muskel, Lunge, Darm, Niere und Nebenniere, Herz, Milz, Hoden, Haut. Die Beobachtung am Muskel gestaltet sich nicht so einfach. Meist findet man auf der Beugseite des Ober- und Unterschenkels die schönsten Stellen. Man suche eine solche mit möglichst viel Capillaren, beriesele dann zunächst mehrmals mit Ringerlösung von Zimmertemperatur, dann mit der zu untersuchenden Flüssigkeit. Beim Muskel hat man genau zu achten, auf die Weite der Gefäße, namentlich der kleinsten, ferner auf die Zahl der Capillaren; dann mache man sich eine Vorstellung von der Geschwindigkeit des Blutstromes, endlich verschaffe man sich 1) E. Weiss, Beobachtung und mikrophotographische Darstellung der Haut- capillaren am lebenden Menschen. Habilitationsschrift Tübingen. Bei F. C. W. Vogel, Leipzig 1916 (mit einschlägiger Literatur). ?®) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 228. 1917. E. Wertheimer: Untersuchungen am intakten Kreislauf beim Frosch. 413 ein Bild von dem Capillarkreislauf des ganzen Gesichtsfeldes durch Verschieben der Mikrometerschraube. Namentlich beim Muskel ist eine genaue Beobachtung der angeführten Stellen notwendig. - Aus Vorstellungen heraus, die sich im Laufe der Untersuchungen + gebildet haben, haben wir verschiedenartige Stoffe auf die Muskel- gefäße einwirken lassen. Die einzelnen Protokolle anzugeben würde zu weit führen. Wir beschränken uns auf Zusammenfassungen. Mit Adrenalin 1/10 000—1/40 000 bekamen wir eine langsam sich ein- stellende, deutlich Wirkung. Die Capillaren verengern sich, der Kreis- lauf steht schließlich still. Die Adrenalinwirkung ist beim Muskel lange nicht so prompt wie z. B. beim Darm. Mit Atropin konnten wir eine solche Wirkung nicht erzielen. Wir versuchten nun den entgegenge- setzten Einfluß zu erreichen. Cholin, Acetylcholin und Pilocarpin zeigten keine Wirkung. Von einem anderen Gesichtspunkte versuchten wir, ob wir durch Stoffwechselprodukte Gefäßerweiterung bekommen könnten. Wir begannen mit Milchsäure in Verdünnungen von 1/2000 — 1/10 000 Die Wirkung war nicht zu verkennen. In allen Fällen ist eine deutliche meist sehr auffallende Beschleunigung des Kreislaufes wahrzunehmen. Bei den erwähnten Konzentrationen tritt weiterhin allmählich eine Erweiterung der kleinen und besonders der kleinsten Gefäße ein. Es werden Capillaren im Kreislauf sichtbar, die vorher nicht zu sehen waren. Manchmal erweitern sich diese Capillaren derart, daß eine Verlangsamung der Strömung eintritt. Zu hohe Konzentrationen wirken zunächst ver- engend und dann tritt die Erweiterung und Beschleunigung ein. Die Wir- kung klingt allmählich ab. Oft ist die Wirkung am besten zu sehen, wenn man nach Aufträufeln der Milchsäure einige Minuten wartet und dann beobachtet. Übrigens sieht man schon makroskopisch, wenn man einen mit Milchsäure behandelten Muskel der einen Seite, mit dem (mit Ringer bespülten) der anderen Seite vergleicht, eine deutliche Hyperämie des Säuremuskels. Der weitere Weg war nun klar vorgezeichnet. Wir untersuchten zunächst die Phosphorsäure. Die Wirkung war mindestens so stark wie bei der Milchsäure in entsprechenden Verdünnungen. Mit Kohlensäure, Essigsäure, wie auch mit Salzsäure war die Wirkung schwächer, unsicherer und weniger nachhaltig. Jedenfalls sei schon hier darauf hingewiesen, daß Stoffwechselprodukte des Muskels, wie Milchsäure und Phosphorsäure, den Muskelkreislauf im Sinne einer Förderung beeinflussen. Anderseits wissen wir schon lange, daß im willkürlich, ebenso wie im unwillkürlich kontrahierten Muskel sich die Gefäße erweitern. Alkalien verlangsamten im Gegensatz den Kreislauf im Muskel, verengerten die Gefäße, brachten Capillaren im Gesıchtsfeld zum Verschwinden, ja konnten den ganzen Capillarkreislauf zum Ver- 414 E. Wertheimer: schwinden bringen. Wir prüften mit 1°), NasCO;-Lösungen und schwächeren Konzentrationen. Die Alkaliwirkungen waren bei den angewandten Verdünnungen reversibel und konnten durch Säuren glatt beseitigt werden. — Endlich sei noch erwähnt, daß es gelang die Adre- nalinwirkung durch Säuren (Milchsäure usw.) abzuschwächen. Als wesentliches Ergebnis der Untersuchungen am Muskelkreislauf können wir feststellen, daß es gelingt durch geringe Mengen von Milch- säure und Phosphorsäure die kleinen und kleinsten Gefäße zu erweitern und den Kreislauf zu beschleunigen. Die Wirkung ist ziemlich nachhaltig, Mit Essigsäure und namentlich mit Salzsäure war die Wirkung nicht so ausgeprägt und, wenn vorhanden, nur von kurzer Dauer. Mit Natrium- carbonat läßt sich am Muskel eine Gefäßverengerung bis zum Stillstand des Blutkreislaufes hervorıufen. Adrenalin hat eine deutliche Wirkung auf die Muskelcapillaren. Außerordentlich schöne Bilder liefert der Lungenkreislauf des Frosches. Voraussetzung ist nur, daß die Lunge gebläht ist. Oft findet man schon beim nicht besonders vorbehandelten, nur curarisierten Frosch eine solche vor, häufiger wird sie beim narkotisierten Tier ge- funden. Künstlich läßt sie sich fast regelmäßig eızeugen durch In- jektion von 1 cm 1/200n KCN-Lösung. Vergleichsuntersuchungen hatten erwiesen, daß diese Menge Blausäure den Lungenkreislauf primär nicht schädigt. Einwenden könnte man aber, daß durch die Lungenblähung der Kreislauf schon verändert wird. Wir hatten im Laufe der Unter- suchungen Gelegenheit, den Kreislauf bei verschiedenstem Dehnungs- grad, auch bei der nicht gedehnten Lunge, zu untersuchen. Die Ver- hältnisse blieben dieselben, nur der Maßstab war verändert. Schließ- lich machen wir bei der geläufigen Untersuchung des Kreislaufes der Schwimmhaut genau dasselbe, wenn wir diese ausspannen. Das ge- wöhnliche Bild des Lungenkreislaufes ist sehr instruktiv. Die Ver- teilung des Blutes auf eine Riesenoberfläche wird sehr gut veranschau- licht. Uns interessierte wieder die Frage, durch welche Stoffe der Lungenkreislauf beeinflußt werden konnte. Es lag nahe, zuerst das Adrenalin zu untersuchen. Aus allen Untersuchungen hat sich ergeben, daß Adrenalin in den üblichen Dosen (1/40 000—1/10 000) den Lungen- kreislauf unverändert läßt. Ebensowenig übten Atropin, auf der anderen Seite Prlocarpin und Cholin eine Wirkung aus. Vergleicht man die Adrenalinwirkung auf die Lungengefäße und die Wirkung der gleichen Lösung auf die Leber oder den Darm, die man kurz hintereinander verfolgen kann, so ist der Unterschied dermaßen auffällig, daß gar keine Zweifel bestehen können. Bis jetzt hat man die Beeinflussung der Lungengefäße fast ausschließlich an isolierten, überlebenden Gefäß- streifen studiert und daraus weitgehende Schlüsse,. z. B. über die Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch. 415 Innervation der betr. Gefäße gezogen!). Ob die Versuche an Gefäß- ringen von Warmblütern, die oft stundenlang in eisgekühlter Ringer scher Flüssigkeit liegen, genau die Verhältnisse wiederspiegeln, wie sie am lebenden Tier herrschen, können wir nicht entscheiden. Vorsicht ist auch geboten bei der Verwertung der Resultate am künstlich durch- strömten Organ. Cushny und Gunn?) fanden, daß, wenn man das isolierte Kaninchenherz mit Ringer durchströmt, die Coronargefäße durch das eigene Plasma bzw. Serum abnorm verengt werden. Wir müssen bei der Durchströmung der Gefäße von isolierten Warmblüter- organen immer mit solchen Umstimmungen und abnorm gewordenen Reaktionen rechnen und können die Befunde nicht ohne weiteres auf das lebende Tier übertragen. Dasselbe gilt auch für das Läwen-Trendeln- burgsche Präparat?) ; ganz besonders aber für den isolierten Gefäßstreifen. Wie sehr Vorsicht geboten ist, das zeigen die Versuche an über- lebenden Lungengefäßen. ©. B. Meyer*) und Langendorff°) fanden, daß Pulmonalarterien der verschiedensten Säugetiere durch Adrenalin verengt werden. (ow®) hingegen konnte in einer sehr eingehenden Darlegung zeigen, daß extraviscerale Lungenarterien eine mäßige Kontraktion auf Adrenalin gaben, intraviscerale jede Reaktion vermissen ließen. Auch durch andere sehr stark constrietorisch wirkende Stoffe wie Ergotin, Tyramın, Isoamylamin waren nur diese Gefäße nicht zu beeinflussen. Über die Beeinflussung des Capillarkreislaufes kann diese Methode natürlich gar nichts aussagen. Ferner wurde die Adrenalinwirkung auf den Lungenkreislauf duren Druckmessungen?) studiert. Obwohl sich auch gegen diese Methode Einwände machen lassen 8), ist sie doch geeigneter, um sichere Schlüsse zu ziehen, als die vorhergenannte. Das Resultat war, daß der Druck im kleinen Kreislauf auf Adrenalinzufuhr unverändert blieb, was mit unseren Beobachtungen am intakten Kreislauf übereinstimmt. Plethysmographische Messungen sind schwer durchzuführen, die Re- sultate sind oft nicht eindeutig®). Nachdem sich der Lungenkreislauf am lebenden Kaltblüter durch die stärksten Gefäßmittel als unbeein- flußbar erwiesen hatte, versuchten wir die CO,-Wirkung festzustellen. 1) Langendorff, Zentralbl. f. Physiol. 21, 551. 1908. 2) The Journ. of Pharm. and exp. Ther. Vol. V, Nr. 1. 1913. ®) Siehe auch R. J. Hamburger, Biochem. Zeitschr. 129, 153. 1922. *) O. B. Meyer, Zeitschr. f. Biol. 30, 352. 1907. Dialsge: 6) The Journ. of Physiol. 42, 125. 1913. ?) Velich, Wien. med. Wochenschr. 1898, S. 1257; Gerhard, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 44, 161. 1900. 8) Tigerstedt, Ergebn. d. Physiol. 2, II, 528. 1903. ) Oloetta und Anders, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. %6, 125. 1914; daselbst die Diskussion mit E. Weber %%, 251. 1914. 416 E. Wertheimer: Wir ließen übersättigte CO,-Lösungen auf die Lunge einwirken und wir hatten einen deutlichen Erfolg. Der Kreislauf erfuhr eine starke Be- schleunigung, allmählich erweiterten sich die kleinen und großen Arterien und buchteten sich oft deutlich vor. Die Wirkung war am bereits verlangsamten, geschädigten Kreislauf, der sonst nicht zu beeinflussen war, oft besonders deutlich. Analoge Wirkungen haben wir durch Milchsäure bis 1/10 000 nicht erzielen können, auch nicht mit den übrigen gebrauchten Säuren. Anderseits erzielten wir mit alkalischen Lösungen (Na,CO, 1/1000) deutliche Verlangsamung des Kreislaufes und Verengerung der Gefäße bis zum Stillstand. Coffein und Digitalis- präparate, Alkohol und Äther, ferner K, Ca und Ba waren ohne jeden deutlichen Einfluß auf die Lungengefäße. Der Lungenkreislauf erwies sich im hohem Grade unabhängig von den gewöhnlichen Gefäßmitteln. Adrenalin hat keinen Einfluß, Kohlen- säure hingegen beschleunigt den Kreislauf in der Lunge, erweitert die Gefäße, schwach alkalische Lösungen bewirken das Gegenteil. Die Bulbusgefäße am Herzen sind schwieriger zu beobachten. Man findet zwar unschwer Stellen, die ein übersichtliches Bild geben, aber die Beurteilung von Wirkungen ist sehr schwer. Daß Adrenalin keine constrictorische Wirkung an den Gefäßen des Herzens ausübt, ist für das Säugetier bekannt!) und kann auch am intakten Kreislauf des Kaltblüters leicht gezeigt werden. Eine Erweiterung durch Adrenalin konnten wir nicht beobachten. Wir hatten den bestimmten Eindruck, daß die erhöhte Herztätigkeit das primäre ist, auf die sekundär eine stärkere Durchblutung folgen kann. Cholin war unwirksam, ebenso Pilocarpin; mit Säuren und Alkalien verschiedener Konzentrationen (wie beim quergestreiften Muskel) erzielten wir keine Wirkung auch nicht mit Ca und ba. Durch zahlreiche Beobachtungen wird man zu der Annahme geführt, daß die Weite der Bulbusgefäße des Herzens beim Kaltblüter lediglich von der Aktion des Herzens beeinflußt ist. Ob bei der Herztätigkeit erst Stoffe entstehen, die auf die Gefäße wirken, oder ob die Wirkung eine rein mechanische ist, wird schwer zu entscheiden sein. Einen breiten Raum können die Beobachtungen am Kreislauf des Darmkanals einnehmen. Am vorteilhaftesten beobachtet man, ohne auch nur die Därme zu berühren, an einer vorliegenden Darm- schlinge. Der Kreislauf am Darm ist übersichtlich, aber auch hoch empfindlich. Bei längerer Beobachtung stellen sich Trübungen ein, die auf eine beginnende Entzündung hinweisen. Man untersuche nicht zu lange und namentlich nicht die verschiedenen Substanzen hinter- einander an dem gleichen Präparat; der Grund hierfür geht aus dem 1) Langendorff, Zentralbl. f. Physiol. %1, 551. 1908. N. P. Krawkow, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 15%, 501. 1914. — Daselbst auch weitere Literatur. Die Ergebnisse der zahlreichen Untersucher widersprechen sich großen Teils. Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch. 417 Folgenden ohne weiteres hervor. — Wir gingen von der Beobachtung am Muskel aus, daß Stoffe die in dem betreffenden Organ im Stoff- wechsel entstehen und für die Funktion des Organs von Bedeutung sind, auch einen entsprechenden Einfluß auf die Gefäßweite haben. Gerade der Darm mußte für solche Untersuchungen geeignet sein. Aus den Untersuchungen le Heuxs geht hervor!), daß im Darm Oholin gebildet wird, und daß dieser Stoff als Urheber der normalen Darm- bewegung zu gelten hat. Unser Versuch gestaltet sich nun folgender- maßen. Nach der Eröffnung der Bauchhöhle warten wir einige Mi- nuten, befeuchten mit Ringerlösung und geben schließlich einige Tropfen einer Acetylcholinlösung 1/2000 (wir untersuchten zwischen 1/1000 und 1/10 000) auf eine frei zutage liegende Schlinge. Der Erfolg ist ganz auffallend. Die Gefäße erweitern sich mächtig, und zwar Ar- terien und Venen. Es wird ein Capillarkreislauf sichtbar, der vorher gar nicht zu sehen war. Der Blutumlauf ist sehr stark beschleunigt. Oft setzt gleichzeitig eine Bewegung der Darmschlingen ein, die einer beschleunigten Normalbewegung gleichkommt und keinen krampf- artigen Charakter hat?). Daß die Bewegung des Darmes nicht die Ursache der Gefäßerweiterung sein kann, geht schon daraus hervor, daß die Mächtigkeit in gar keinem Verhältnis zu der mäßigen Darm- bewegung steht, daß die Gefäßerweiterung noch zu sehen ist, wenn die Bewegung längst wieder langsam ist oder überhaupt aufgehört hat, ferner daß Gefäßerweiterung zu beobachten ist, auch wenn gar keine gesteigerte Bewegung eintritt. Die Pilocarpinwirkung ist entsprechend, wenn auch ruckartiger und rascher abklingend. Nur am veränderten oder vorbehandelten Darmkreislauf sieht man auf Cholin oft eine pri- märe Kontraktion mit folgender Erweiterung der Gefäße (siehe später). Im Gegensatz hierzu ist die stark constrictorische Wirkung des Adrenalins auf die Darmgefäße bekannt. Der Darm, der vorher noch gut durchblutet war, wird vollkommen weiß. Meist erfolgt gleichzeitig eine krampfartige Bewegung der Darmschlinge. Aber auch hier gehen genau wie oben Gefäßwirkung und Wirkung auf die Darmbewegung nicht Hand in Hand. Eine eigenartige Stellung nimmt das Atropin ein. Atropin 1/1000 wirkt auf den intakten Darmkreislauf überhaupt nicht ein. Hat man aber durch Cholin eine starke Gefäßerweiterung erzielt und läßt dann Atropin einwirken, so erhält man prompt eine sehr deutliche Ver- engerung der Gefäße, die über die Normalenge hinausgeht. Ob die Adrenalinwirkung anderseits durch Atropin begünstigt wird, ließ sich !) Le Heux, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%3, 8. 1918; 179, 177. 1920. 2) Siehe auch Abderhalden und Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 168. 1922. 418 E. Wertheimer: nicht eindeutig feststellen; wir hatten den Eindruck, daß es nicht der Fall war. Wir haben weiterhin die Wirkung von Säuren und Alkalien auf die Gefäßweite untersucht. Es ergab sich, daß durch Milchsäure keine sichere Wirkung zu erzielen war, höhere Konzentrationen, z. B. 1/1000, können ätzend wirken (irreversible Verengerung). Auch CO, in gesättig- ter Lösung ergab keinen sicheren Einfluß auf die Gefäßweite des Darmes. Alkalien in höheren Konzentrationen, z. B. Sodalösung 1/1000, ergab eine deutliche Verengerung. An den Darmgefäßen haben wir weiterhin noch verschiedene Ionen- wirkungen untersucht. Mit 0,5proz. und 1proz. Ca0l,-Lösung, aber auch mit stark Ca angereicherter (0,2 CaCl,) Ringerscher Flüssigkeit erhielten wir eine deutliche Gefäßerweiterung und Strombeschleunigung. Die Ca-Wirkung blieb weit hinter der Cholinwirkung zurück. Auch die Darmbewegung konnte durch Ca angeregt werden. Ganz analog wie Calcium verhielt sich Magnesium. Kalium, wie oben angewandt, ergab eine prompte, sehr starke Gefäßkontraktion, gewöhnlich verbunden mit einem Darmspasmus. Barium übte eine gleiche Wirkung aus. Die Kaliumwirkung ist dureh Pilocarpin bzw. Cholin nicht ohne weiteres aufhebbar. Erst wenn vorher etwas CaCl,-Lösung zugegeben wird und dann Cholin, so tritt die Cholin- wirkung sofort ein. Zur normalen Cholinwirkung ist ein bestimmtes Verhältnis K/Ca notwendig. Ist Kalium im Überschuß, so tritt die Cholin- wirkung nicht ein, oder erst wenn die Cholinlösung weggespült ist, oder CaCl,-Lösung zugegeben wird. Ist Caleium stark im Überschuß, so tritt eine inverse Cholinwirkung ein, wie wir noch auseinandersetzen werden. Angeregt durch die Untersuchungen von Abderhalden und @ellhorn!) haben wir versucht, das Cholin, welches ja auch als ein Inkret aufzufassen ist, in seiner Wirkung durch andere Inkrete zu beein- flussen. Zunächst fanden wir, daß T'hyreoideaopton und Hypophysis- opton (0,05/10) primär keine Wirkung auf die Gefäßweite zeigten. Wurde nun eine Darmschlinge mit Thyreoidea- oder Hypophysisopton vorbehandelt und nachher Cholin zugegeben, so trat merkwürdiger- weise eine deutliche Verengerung der Gefäße ein. Wir haben also durch diese Art der Vorbehandlung eine direkte Umstimmung der Cholin- wirkung erzielt. Durch Vorbehandlung mit CaCl,-Lösung können wir ebenfalls eine solche Umstimmung erzielen. Ob der Mechanismus beide Male der gleiche ist, ist fraglich. Ferner sei erwähnt, daß um- gekehrt durch Vorbehandlung mit Cholin die Ca-Wirkung umgestimmt wird, so daß eine Verengerung der Gefäße eintritt. Es gelang uns nicht die Adrenalinwirkung in gleicher Weise um- zustimmen. Daß die Adrenalinwirkung nach Vorbehandlung mit 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 47. 1921. = Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch. 419 -Thyreoideaopton verkürzt und abgeschwächt war, sei noch erwähnt. Wichtig erscheint uns, daß es gelingt, die nach Vorbehandlung einge- tretene Cholin- oder Adrenalin- und auch die maximale Cholin-Adrenalin- Kontraktion der Gefäße durch wenige Tropfen Thyreoideaopton oder Hypophysisopton zu einer starken, oft maximalen Erweiterung zu bringen. Bestand gleichzeitig eine Darmkontraktion, so wurde diese augenblicklich gelöst und eine beschleunigte normale Darmbewegung trat wieder ein. Es sei nochmals betont, daß diese Untersuchungen am frischen, gut durchbluteten Präparat auszuführen sind. Selten ist man in der Lage den Leberkreislauf in vollem Gange zu beobachten. Meist kommt er sehr rasch zum Stillstand. Man kann also nur hoffen am ganz frischen Präparat einigermaßen gute Bilder zu bekommen. Wir haben nun, ausgehend von der Darmwirkung, zunächst versucht mit Cholin, Pilocarpin, ferner durch Ca den Kreis- lauf zu beschleunigen. Es ist nicht gelungen, auch nur die geringste Wirkung zu erzielen. Auch Säuren waren ohne Wirkung. Dagegen wirkte Adrenalin sofort und sehr stark, wie auch makroskopisch schon zu senen ist. Meist kommt der durch Adrenalin zum Stillstand ge- kommene Kreislauf nicht mehr in Gang. Leichter ist es, den Milz- kreislauf zu beobachten. Wir können-uns kurz fassen, weil auch am Milzkreislauf nur Adrenalin von sicherer Wirkung war. Zur Untersuchung des Kreislaufes in Niere und Nebenniere ver- wendet man zweckmäßigerweise männliche Frösche. Die Organe der Leibeshöhle werden vorsichtig zur Seite geschoben, die Niere wird so freigelegt, ohne daß ein anderes Organ entfernt werden muß. So ist es leicht, den Nierenkreislauf in vollem Gang zu Gesicht zu bekommen und auf diese Weise bleibt er oft stundenlang gut im Gange. Zunächst orientiert man sich über die einzelnen Teile: Aa renales, Pfortader- kreislauf der Niere, Ven. revehentes usw.!). Wir begannen die Untersuchungen mit dem Studium der Adrenalin- wirkung an der Niere. Wir verwendeten Konzentrationen von 1/10 000 bis 1/50 000. Die Wirkung tritt augenblicklich ein. Das Gesichtsfeld erblaßt. Schaut man jedoch näher zu, so sind doch quantitative Unter- schiede zu beobachten, Die Arterien kontrahieren sich maximal und verharren einige Zeit in diesem Zustand. Am Pfortadergebiet und namentlich an den großen Ven. revehentes ist die Wirkung sofort zu sehen, aber weniger stark und weniger nachhaltig, so daß aus den letzteren bald wieder Blut abzufließen beginnt, während die Arterien noch stark kontrahiert sind. Wir haben gleichzeitig die Wirkung des Adrenalins an den Gefäßen beobachtet, die die Nebenniere massenhaft durchziehen. Wir vermißten nicht nur eine Verengerung, sondern es trat augenblicklich eme Erweiterung der Gefäße ein, verbunden mit 1) Siehe Gaupp, Anatomie des Frosches 2, II, 330 u. 416. 1899. 420 E. Wertheimer: einer Beschleunigung des Blutstromes. Vergleichen wir mit der an- liegenden Niere, so ist der Unterschied augenscheinlich; in diesen Stillstand und maximale Kontraktion der Arterien und der feinen Verzweigungen des Pfortadergebietes, die großen Venae revehentes allein zeigen noch Strömung, in jener der ungestörte beschleunigte Kreislauf in den erweiterten Gefäßen. Wir sehen gerade an diesem Bei- spiel, wie wichtige Produkte eines Organs die Gefäßweite gerade in diesem Organ bestimmen können. Wir haben beim Frosch bei keinem Organ eine Gefäßerweiterung durch Adrenalin erzielen können, außer gerade bei der Nebenniere. Cholin, Pilocarpin, Atropin erwiesen sich als unwirksam. Kalium, das am Darm prompt vasoconstrictorisch wirkt, erweitert die Venen des Nierenkreislaufes und beschleunigt den Blutstrom. Von Ca und Mg sahen wir keine deutliche Wirkung. Ba wirkte con- strietorisch. Säuren und Alkalien in den immer angewandten Kon- zentrationen hatten keine Wirkung. Endlich untersuchten wir noch die Coffeinwirkung. Meist sahen wir eine Beschleunigung des Blut- stromes dabei, während die Vasodilatation nicht immer ausgeprägt war. Wenn wir alle Untersuchungen überblicken, so müssen wir zunächst betonen, daß jedes Organ seine eigenartigen, ihm angepapten Gefäße hat, jedes Organ hat seinen individuellen Kreislauf. Vergleichen wir z. B. Lungengefäße und Darmgefäße, diese mit Nierengefäßen, diese wieder mit den Leber- und Milzgefäßen, die Haut- gefäße mit den Muskelgefäßen (Hautgefäße reagieren auf Milchsäure z. B. gar nicht, erweitern sich durch Einwirkung von Alkalien!) usw., überall treffen wir Unterschiede. Greifen wir das Adrenalin heraus, oder verschiedene Ionen, oder Säuren und Alkalien, in jedem Organ- gebiet haben wir andere Wirkungen. Im Laufe unserer Untersuchungen kamen wir nun zu der Vor- stellung, daß die Gefäßweite der verschiedenen Organe von Stoffen beeinflußt wird, die im Stoffwechsel der betreffenden Organe entstehen, oder in ihnen ausgeschieden werden, und die gewöhnlich auch funk- tionelle Bedeutung haben. Diese Vorstellung soll nochmals zusammen- fassend hier erörtert werden. Es muß betont werden, daß übergeordnete Regulatoren ebenfalls von großer Bedeutung sind. Wir konnten zeigen, daß der intakte Kreislauf des Muskels durch Milchsäure und Phosphor- säure beschleunigt wird und die Gefäße erweitert werden. Gaskell?) berichtet zum ersten Male über Gefäßerweiterung des Muskels durch verdünnte Milchsäure auf Grund von Durchströmungsversuchen. 1) W. Jacoby, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 86, 49. 1920; 88, 333. 1920. ?) W. H. Gaskell, Journ. of physiol. 3, 48. 1880. Untersuchungen am intakten Kreislauf verschiedener Organe beim Frosch. 421 Dieser Befund wurde später teils bestätigt, teils vollkommen abgelehnt!). Wir glauben, daß gerade für die Fragestellung, ob Stoffwechselprodukte auf die Gefäßweite eines Organes eine Wirkung ausüben, unsere Ver- suchsanordnung geeigneter war als die Durchströmung. Die Stoff- wechselprodukte wirken zunächst und in stärkster Konzentration von außen auf die Gefäße ein. Sind diese Stoffe erst in die Blutbahn gelangt, so tritt einmal starke Verdünnung ein, ferner in den meisten Fällen Umwandlung in womöglich unwirksame Produkte. Ferner wissen wir nicht mit Sicherheit, wie wir durch unsere Durchströmungsflüssigkeit die Reaktion der Gefäße vollkommen verändern. So hat R. J. Ham- burger?) in neuester Zeit darauf aufmerksam gemacht, daß das K : Ca- Gleichgewicht die Gefäßweite beeinflußt; geringste Abweichungen vom normalen Verhältnis K :Ca bedingen Gefäße, die nicht normal sind und man kann aus dem Verhalten verschiedener Substanzen auf die abnormen Gefäße keine Schlußfolgerungen bezüglich ihres Verhaltens auf normale Gefäße ziehen. Ob nicht noch andere Einflüsse am Tren- delenburgschen Präparat von ähnlicher Bedeutung maßgebend sind, wissen wir noch nicht. Diese Säurewirkung an den Muskelgefäßen ist schon von Gaskell. derart verallgemeinert worden, daß er zur Ansicht gelangt, daß saure Stoffwechselprodukte ganz allgemein die Erweiterung der Gefäße tätiger Organe bedingen. Diese allgemeine Auffassung können wir durch unsere Versuche nicht bestätigen. Am intakten Kreislauf bleibt diese deutliche Milchsäurewirkung auf den Muskelkreislauf beschränkt. Wir konnten ferner zeigen, daß Cholin, von dem wir seit den Unter- suchungen le Heuxs?) wissen, daß es in der Darmwand gebildet wird und hervorragenden Anteil hat an der Hervorbringung der normalen Darmbewegung, die Darmgefäße stark erweitert und die Blutströmung maximal beschleunigt. Auch diese Cholinwirkung konnten wir aus- schließlich an den Darmgefäßen beobachten. Gerade an der Cholinwirkung konnten wir zeigen, daß diese nicht. für allemal als gegeben zu betrachten ist, sondern wie hier andere Inkretstoffe (Thyreoidea und Hypophysis) regulatorisch eingreifen können. So konnten wir durch die erwähnten Inkrete eine Umkehr der normalen Cholinwirkung erzielen. Anderseits konnten wir maxi- male Gefäßkontraktionen, und was besonders interessant ist, starke Darmspasmen am vorbehandelten Darm glatt durch diese beseitigen. 1) Tomitu, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 116, 299. 1907; Schwarz und. Lemberger, daselbst 141, 149. 1911; H. Ischikawa, Zeitschr. f. allg. Physiol. 16, 233. 1914; R. G. Pearce, Zeitschr. f. Biol. 62, 243. 1913; A. Fleisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 76. 1918; siehe auch E. Atzler und @. Lehmann, Pflügers. Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 118. 1921. 2) R. J. Hamburger, Bioch. Zeitschr. 129, 153. 1922. 9) Ib 422 E. Wertheimer: Untersuchungen am intakten Kreislauf beim Frosch. Ferner erwies sich die Cholinwirkung als abhängig von einem gewissen Verhältnis von Ca :K-Ionen. Tritt ein Überschuß einer der beiden Ionen ein, so wird die Cholinwirkung verändert. Wir sehen also, daß die gewöhnliche Cholinwirkung nur am Darm beobachtet wird, der sich in einem bestimmten Gleichgewichtszustand befindet. Durch die Untersuchungen an der Nebenniere wurde unsere oben erwähnte Vermutung besonders bestätigt. Die Gefäße, die durch die Nebenniere ziehen, werden durch Adrenalin erweitert, der Blutstrom beschleunigt. Es ist wiederum interessant, daß Adrenalin gerade in dem Organe, in welchem es gebildet wird, eine Gefäßerweiterung her- vorruft, während es an allen übrigen untersuchten Organen entweder eine maximale Verengerung, oder wie an den Herz- und Lungengefäßen keine Veränderung hervorbringt. Gefäßerweiterung durch Adrenalin konnten wir am Frosch jedenfalls ausschließlich an der Nebenniere beobachten. Die Beobachtung am Lungenkreislauf, wo wir allein durch CO, übersättigte Lösungen Gefäßerweiterung erzielen konnten, während die große Zahl der anderen (sonst wirksamen) Substanzen wirkungslos war, stützt in gewissem Sinne ebenfalls unsere Anschauung. Es ist uns wahr- scheinlich, daß die Gefäßweite im Lungenkreislaufhauptsächlich bestimmt wird durch den CO,-Gehalt des Capillarblutes bzw. der Alveolarluft. Endlich sei hier noch hervorgehoben, daß schon Henderson und Loewv auf Grund sehr eingehender Versuche an der Speichel- drüse zu dem Resultat kommen, daß die Vasodilatation bei gesteigerter Drüsentätigkeit, hervorgerufen in dem speziellen Falle durch Pilocarpin, durch die vasodilatatorische ‚Wirkung der bei der Drüsentätigkeit entstehenden Produkte, erzeugt werdet). — Auch Ebbecke?) kam beim Studium der lokalen vasomotorischen Reaktion nach Ausschluß anderer Erklärungsmöglichkeiten zur Ansicht, daß die Erweiterung der Capillaren durch ausgeschiedene Stoffwechsel- produkte herbeigeführt wird. — Die lange Latenzzeit, die vergeht, bis auf einen starken Reiz die dilatatorische Wirkung eintritt, ferner die Dauer der Nachwirkung sind Gründe, die schon von Frey?) ver- anlaßten, sich die dilatatorische Wirkung als chemisch vermittelt zu denken. Vor allen Dingen dürfte auf Grund der Beobachtungen von Emil Abderhalden und E. Gellhorn*) bestimmten Inkretstoffen mit an Ort und Stelle entstehenden Stoffwechselprodukten zusammen ein Einfluß auf die Regelung der Weite der Blutgefäße zukommen. t) Arch. f. exp. Pathol, u. Pharmakol. 53, 62. 1905; siehe auch Barceroft, Proc. of physiol. 6, Nr. 28, S. 361. 2) U. Ebbecke, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 1. 1917. ?) Vorlesungen über Physiologie, Berlin 1904, S. 96. *) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 47.. 1922. Vgl. auch Emil Abder- halden, Klinische Wochenschr. 1, Nr. 1. 1922. ; Die morphologische Grundlage der sympathischen Innervation des quergestreiften Muskels und die Lokalisation der Zwischen- schaltganglien der tonusgebenden Faser für den quergestreiften Muskel. Von Prof. Dr. Ken Kure, Priv.-Doz. Dr. Tetsushiro Shinosaki, Dr. Michio Kishimoto und Dr. Shigeoki Hatano. (Aus der I. med. Klinik der kaiserlichen Universität zu Fukuoka.) Mit 3 Textabbilduneen. (Eingegangen am 4. Juli 1922). 1. Die morphologische Grundlage der sympathischen Innervation des quergestreiften Muskels. Die doppelte (autonome und motorische) Innervation des Tonus der quergestreiften Muskeln haben wir experimentell und klinisch fest- gestellt und in früheren Mitteilungen genau beschrieben. Dabei haben wir schon die Meinung geäußert, daß die sympathische Innervation je nach den Muskeln graduell stärker sei. Diese Tatsache sicherzustellen, haben wir zuerst versucht, die Zahl von Boekes akzessorischen End- plättchen in allen Muskeln zu vergleichen. Es war aber fast unmöglich, weil die Technik für die Färbung der letzteren äußerst schwierig war. So wollten wir den Grad der sympathischen Innervation des Muskels aus der Größe des Kreatingehaltes schließen. So hat Hoshino von unserer Klinik an Kaninchen, Katzen, Hunden, Pferden und Affen den Kreatin- gehalt von verschiedenen Muskeln gemessen. Aus seinem Resultate sah man, daß die Stammuskeln und die starken Muskeln, die dem Stamme näher liegen, größeren Kreatingehalt zeigen als die schwachen Muskeln, die von dem Stamme entfernt liegen. Das Untersuchungs- resultat an den menschlichen Leichen war nicht hoch zu schätzen, weil die Kranken vor. dem Tode schon lange Zeit ans Bett gefesselt waren; doch ist hervorzuheben, daß der Kreatingehalt der Kleinhand- muskeln auffallend klein war. Shimbo von unserer Klinik hat in manchen peripheren Nerven zahlreiche größere und kleinere Bündel von sympathischen Fasern konstatiert, die im Querschnitt des mit Weigertscher Färbung be- handelten Nerven als helle Herde hervortreten. Er hat weiter festge- stellt, daß solche sympathischen Bündel am N. phrenicus, an den Nn. intercostales und an Muskelästen für die Rückenmuskeln am reichlichsten, dagegen am N. medianus äußerst gering sind. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 28 AD K. Kure,. T. Shinosaki, M. Kishimoto und S. Hatano: Hatano vom pathologischen Institut hiesiger Universität hat diese Forschung von Shimbo fortgesetzt. Er hat festgestellt, daß die helle Stelle in der Weigertschen Färbung durch Bielschowskys Färbungs- methode als Achsenzylinderbündel sich äußern. Um zu beweisen, daß diese sogenannte marklose Faser!) zum Sympathicus gehört, hat Hatano einen Hund, dem der linksseitige Grenzstrang vor 9 Monaten fast vollständig exstirpiert worden war, zur histologischen Unter- suchung genommen. Hatano hat an diesem Tiere beide Nervi femorales KM GM GU 02) SK Abb. 1. Querschnitt des N. peroneus communis des Menschen, Vergrößerung 1100, Weigertsche Markscheidenfärbung. @M = sroße markhaltige Faser. KM = kleine markhaltige Faser. S = sym- pathische Faser. SK= Neurilemmkern der sympathischen Faser. und die Muskeläste für den M. giutaeus maximus vergleichend unter- sucht: er hat im rechten Femoralis im ganzen 197 größere und kleinere Herde von sympathischen Bündeln gefunden. Im linken. Femoralis konnte er dagegen nur 29 Herde derselben konstatieren; in diesen zu- ıüückgebliebenen Herden war die Zahl der sympathischen Fasern auch bedeutend vermindert. An entsprechender Stelle im linken Femoralis, wo rechts gerade sympathische Bündel nachweisbar waren, sah er bloß homogene Bindegewebsmasse. Am linken Muskelast für den M. slutaeus maximus hat er ebenfalls hochgradige Verminderung der sympathischen Fasern konstatiert. 1!) Ob solche Faser in der Tat marklos ist, soll hier dahingestellt bleiben. Die morphologische Grundlage der sympathischen Inneryation usw. 425 KM SK 3 Abb. 2. Querschnitt des N. femoralis des Hundes (rechts, ohne Operation), Vergrößerung 800, Weigertsche Markscheidenfärbung. SK = Neurilemmkern der sympathischen Faser. S = Bündel der sympathischen Faser. GM = große markhaltige Faser. KM = kleine markhaltige Faser. GM KM KM IN EN Abb.3. Querschnitt desN.femoralis desselben Hundes (links, linker Grenzstrang war vor 9 Monaten exstirpiert). Vergrößerung 1000, Weigertsche Markscheidenfärbung. M = große markhaltige Faser. KM = kleine markhaltige Faser. H = Herd des homogenen Bindegewebes, welcher dem Bündel der sympathischen Fasern in Abb, 2 entspricht, SK = Neurilemmkern der sympathischen Faser, 426 K. Kure, T. Shinosaki, M. Kishimoto und S. Hatano: An einem anderen Hunde, dem der linke Grenzstrang vor 2 Wochen exstirpiert worden war, kamen wir zu ähnlichem Resultate. Durch diese Versuche ist es festgestellt, daß die marklosen Fasern im peripheren Nerven fast ausschließlich zum Sympathicus gehören, und das durch die Exstirpation des Grenzstranges die Verbindung dieser sympathischen Fasern mit ihrem trophischen Zentrum durchgetrennt ist. Hatano hat die peripheren Nerven des menschlichen Körpers (an 18 nervengesunden Leichen untersucht) nach dem Grade des Sym- pathicusgehaltes in fünf Gruppen geteilt. l. Nerven, die sehr reichlich sympathische Fasern enthalten: N. phrenicus, Nn. intercostales, Rami musculares für Rückenmuskeln. 2. Nerven, die reichlich sympathische Fasern enthalten: N. fe- moralis, R. muscularis für M. pectoralis major, R. muscul. für M. slutaeus maximus, R. muscul. für M. quadriceps femoris. 3. Nerven, die die sympathischen Fasern mittelmäßig enthalten: N. ischiadieus, R. n. für M. trapecius und für M. biceps brachü, N. radialis, N. ulnaris, N. tibialis, N. peroneus, R. m. für M. deltoid. 4. Nerven, die etwas weniger sympathische Fasern enthalten: R. m. für M. gastrocnemius, N. medianus, N. axillaris. 5. Nerven, die bloß wenige sympathische Fasern enthalten: R. m. für M. pollicis brevis, R. m. für Mm. lumbricales. Diese Einteilung stimmt gut mit Shimbos Ergebnis überein. Er hat sonst noch an schönen Präparaten von N. peroneus die Zahl der enthaltenen marklosen und markhaltigen Fasern berechnet und bekam folgendes Resultat: Markhaltige Fasern | Marklose Fasern N. peroneus profundus 7115 | 5592 rund 1,3 | 1 N. peroneus superficialis 5956 | S7ll rund 1 | 1 Aus diesem Resultate ersieht man, daß die peripheren Nerven der dritten Gruppe doch bedeutend zahlreiche sympathische Fasern ent- halten, und daß in den Nerven, die zur ersten und zweiten Gruppe ge- hören, die Zahl der marklosen Fasern die der markhaltigen meist über- trifft. Obwohl die sympathischen Nervenfasern im Muskelast möglicher- weise nach den Gefäßen ihrer Zone hinziehen, muß man doch wohl annehmen, daß der größte Teil dieser sympathischen Fasern den be- treffenden Muskel selbst innerviert. Unserer Behauptung, daß gewisse Skelettmuskeln besonders stark sympathisch (tonisch und trophisch) innerviert sind, ist dadurch eine unleugbare morphologische Stütze gegeben. Die morphologische Gründlage der sympathischen Innervation usw. 427 2. Lokalisation der Zwischenschaltganglien der tonusgebenden Faser für den quergestreiften Muskel. Wir versuchten durch Nikotinapplikation die Lokalisation der Zwischenschaltganglien der tonusgebenden Faseın zu bestimmen. Es wurde an vier Hunden und einer Katze experimentiert. Hund Nr. I. 5 Kilo. 29. III. 1922. Vor der Operation wurden die Rigidität und der Kniereflex beider Hinter- heine untersucht, Kniereflex war beiderseits gleich stark und lebhaft. Die Bauch- höhle durch große Bauchschnitte geöffnet, der linke Grenzstrang bloßgelest. 1 proz. Nicotinlösung auf denselben gepinselt. Nach 5 Minuten bemerkte man klonische Krämpfe, Atemstörung und Salivation. Beide Hinterbeine wurden ver- gleichend untersucht, die Rigidität war beiderseits, besonders links stärker herab- gesetzt. Kniereflex war links vollständig erloschen, rechts stark herabgesetzt. Adrenalin 1 ccm (1°/,) subcutan injiziert, 15 Minuten nach der Injektion wurde der Kniereflex wieder deutlich auslösbar, links stärker als rechts. Nach 1,5 Stunden wurde die Rigidität und der Patellarreflex des linken Hinterbeines stärker als vor der Operation, rechts gerade wie vor der Operation. Hund Nr. 2. 3,7 Kilo. 29. III. 1922. Vor der Operation war die Rigidität normal, der Kniereflex lebhaft. Dünne Nicotinlösung auf den linken Grenzstrang gepinselt. Sofort nach der Bepinselung war die Rigidität und der Patellarreflex links stärker als vor der Operation, rechts normal. Dann wurde reichliche Menge von 1proz. Nicotinlösung auf den linken Grenzstrang gepinselt. Die Rigidität und der Patellarreflex waren links stärker herabgesetzt als in der anderen Seite. Nach 1 Stunde war die Rigidität und der Patellarreflex noch deutlich herabgesetzt. HundaNr. 3% 3,27. Kilo. 15. 1V.1922: Vor der Operation. Rigidität der Hinterbeine beiderseits normal. Patellar- reflex beiderseits normal. 1lproz. Nicotinlösung auf den linken Grenzstrang ge- pinselt. 2 Minuten nach der Bepinselung: Rigidität links ganz schlaff, rechts fast normal. Patellarreflex links fast erloschen, rechts fast normal. 5 Minuten nach der Bepinselung: Rigidität beiderseits schlaff. Patellarreflex links erloschen, rechts stark herabgesetzt. 10 Minuten nach der Bepinselung: Rigidität und Pa- tellarreflex dasselbe. 25 Minuten nach der Bepinselung: Rigidität beiderseits fast normal, Patellarreflex ebenso fast normal. Hund Nr. 4. 11 Kilo. 15. IV. 1922. Vor der Operation war die Rigidität normal und der Kniereflex lebhaft. Geringe Menge von 1lproz. Nicotinlösung auf den linken Grenzstrang gepinselt. Sofort nach der Bepinselung und 4 Minuten darnach untersucht, die Rigidität und der Patellarreflex fast normal. 10 Minuten nach der Bepinselung war der linke Patellarreflex etwas gesteigert. Größere Dose von 1proz. Nicotinlösung wurde wieder auf den linken Grenzstrang gepinselt. 4 Minuten nach der Bepinse- lung waren beide Beine ganz schlaff, besonders links war es hochgradig, der Pa- tellarreflex links erloschen, rechts deutlich herabgesetzt. 10 Minuten nach der Bepinselung war die Rigidität beiderseits stark herabgesetzt, Kniereflex beider- seits vollständig erloschen Katze, 3,050 Kilo. 19. IV. 1922. Vor der Operation war Rigidität normal, Patellarreflex lebhaft, beim Hängen am Nacken zog das Tier die Hinterbeine an den Leib. Auf linken Grenzstrang eine 1 proz. Nicotinlösung appliziert, 2 Minuten nach der Bepinselung untersucht. Rigidität war links bedeutend schwach, Kniereflex schwer auslösbar, während A428 K. Kure—Hatano: Sympathische Innervation des Muskels usw. er rechts noch leicht nachweisbar war. An beide Beine wurde ein Gewicht von 600 g gebunden, linkes Bein hängt tiefer, also hat es die physiologische Beuge- stellung verloren. Während der Untersuchung wurde die Differenz undeutlich. 7 Minuten nach der Bepinselung waren beide Patellarreflexe nicht mehr hervor- zurufen. Rigidität beider Beine stark herabgesetzt. Beim Hängen am Nacken waren beide Beine nicht an den Leib gezogen, sondern langgestreckt. Bald nachher starb das Tier durch Vergiftung. Aus den oben beschriebenen Versuchen ersieht man, daß die Ri- gidität und der Kniereflex des linken Beines durch Applikation von Nicotinlösung auf den linken Grenzstrang stark herabgesetzt werden. Vor dieser Herabsetzung sieht man manchmal im Frühstadium das Reizsymptom. Die Nicotinaffektion des anderseitigen Grenzstranges kann man gut verstehen, wenn man daran denkt, daß die beiderseitigen Grenzstränge nebeneinander ganz nahe vor der Wirbelsäule liegen, so daß die Nicotinlösung von einem Grenzstrang nach dem anderen leicht diffundieren kann. Das obenerwähnte Experiment zeigt uns, daß der zentrale tonus- gebende Impuls auf die Hinterbeine durch Nicotinapplikation auf den Grenzstrang unterbrochen wird, auch zeigt es gleichzeitig, daß die sym- pathische Faser für den quergestreiften Muskel ihre Umschaltungsstelle im Grenzstrang findet, weil seit Zangley es als Regel betrachtet wird, daß das Nikotin elektiv auf die Zwischenschaltganglien lähmend wirkt. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. Mitteilung. Untersuchungen über den Gesamt- und den Gewebsgaswechsel im anaphylaktischen Schock bei Tauben. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 5. Juni 1922. Wir haben unsere Versuche nach dem Wesen des anaphylaktischen Schockes weiter fortgesetzt. Wir konnten in einer früheren Mitteilung!) zeigen, daß bei Meerschweinchen in diesem Zustande ein Sinken des Gesamtgaswechsels stattfindet. Ferner wurde gezeigt, daß auch der Gas- wechsel der Gewebe verringert ist. Von besonderer Bedeutung ist, daß der Abfall des Gaswechsels in keinem Zusammenhang mit den im anaphylaktischen Schock auftretenden äußeren Symptomen steht, d.h. er ist nicht durch eine Atmungsbehinderung etwa infolge eines Bronchialmuskelkrampfes oder durch vasomotorische Lähmung be- dingt. Wir haben diese Versuche fortgesetzt, und zwar wählten wir als Versuchstier die Taube. Sie erwies sich für derartige Versuche als besonders geeignet. Über Anaphylaxie bei Tauben ist nur wenig be- kannt. Friedberger und Hartoch?) führen einige Versuche an. Zwischen der ersten Injektion und der Reinjektion ließen wir im Durchschnitt 3 Wochen Zwischenraum. Die erste Injektion wurde intramuskulär, die Reinjektion teils intraperitoneal, teils intramuskulär ausgeführt. Bei der letzteren Art der Reinjektion waren die Erscheinungen deut- licher ausgeprägt. In allen Fällen wurde Rinderplasma benutzt. Das 1!) Abderhalden, Emil und Ernst Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 487. 1922. ?) Friedberger und Hartoch, Zeitschr. f. Immunitäts-Forsch. 3, 638. 1909. 430 E. Abderhalden und E. Wertheimer: symptomatische Bild des anaphylaktischen Schocks ist sehr arm an auffallenden Erscheinungen. Die Taube wird nach der Reinjektion nur bei ausgeprägter Wirkung allmählich etwas matter. Oft bemerkt man, daß das Tier zu zittern anfängt. Das einzige sichere Symptom des anaphylaktischen Schocks bei der Taube ist die Temperatursenkung. Diese vollzieht sich bei der normalen Taube ganz allmählich; dann bleibt die Temperatur auf einem Tiefstand stehen, um endlich allmählich wieder anzusteigen. Normale Tauben sterben nur ganz selten im Schock. Die Tem- peratur sinkt dann weiter oder wird unregelmäßig. Gleichzeitig wird die Taube zusehends matter. Die individuellen Verschiedenheiten sind bei der Anaphylaxie der Tauben lange nicht so ausgeprägt, wie etwa beim Meerschweinchen. Bei sechs Tauben, von denen zwei im Schock starben, vier im Schock getötet wurden, haben wir die Sektion ausführen können. In keinem Falle war eine deutliche Lungenblähung vorhanden, ebensowenig konnten wir die Anzeichen einer bestehenden Vasomotorenlähmung erkennen. Es war nun von Interesse, bei solchen Tieren, die weder Atmungs- störungen noch Vasomotorenlähmung zeigten, und nur die Temperatur- senkung als einzig greifbares Symptom im Schock aufwiesen, den Gas- wechsel zu verfolgen. Zu diesem Zwecke wurden die Tauben gleich nach der Reinjektion in den Gaswechselapparat gesetzt, worauf in Einzelversuchen von einer halben Stunde Dauer der Gasumsatz ge- messen wurde. Das Ergebnis der einzelnen Versuche war vollkommen eindeutig. Der Gaswechsel sank nach der Reinjektion ziemlich rasch und zwar sehr beträchtlich, blieb mehr oder weniger lang auf dem Tiefstand stehen, um dann ziemlich rasch wieder anzusteigen. Annähernd ent- sprechend verlief die Temperaturkurve. Nachdem das Sinken des Gaswechsels nach erfolgter Reinjektion von Serum im anaphylaktischen Schock festgestellt war, entstand die Frage, wie sich die Gewebsatmung im gleichen Zustand verhält. Es ergab sich, daß der Herzmuskel und die übrige Muskulatur der anaphylaktischen Tiere eine herabgesetzte Atmung zeigten. In besonders hohem Grade war die Atmung der Gehirnsubstanz vermindert, während die Leberzellen eine nur wenig verminderte Atemtätigkeit aufwiesen. Wir haben somit bei den Tauben die gleichen Feststellungen machen können, wie bei den Un- tersuchungen an anaphylaktischen Meerschweinchen. Um sicher zu sein, daß die erwähnten Feststellungen über den Ge- samtgaswechsel und denjenigen einzelner Gewebe im anaphylaktischen Schock wirklich diesem Zustand eigen und nicht etwa durch Zufuhr des artfremden Plasmas an und für sich bedingt sind, sondern vielmehr Bedingungen zur Voraussetzung haben, die durch eine erste Plasmazufuhr Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. 431 hervorgerufen werden, untersuchten wir das Verhalten des Gesamt- und des Gewebsgaswechsels nach der ersten Injektion von artfremdem Plasma. Gleichzeitig wurde auch das sonstige Verhalten der Tiere und der Verlauf der Temperaturkurve studiert. Es erhielten normal ernährte Tauben intramuskulär Rinderplasma zugeführt. Das äußere Verhalten der Tiere zeigte keine Besonderheiten. Nur ganz vereinzelt trat leichtes Zittern auf. Die Körpertemperatur fiel im Verlauf der ersten Stunden nach der ersten Injektion um etwa 1,0° bis 1,5°. Der Gesamtgaswechsel sank. Es war jedoch die Senkung erheblich geringer, als nach erfolgter Reinjektion. Nur ganz vereinzelt war schon bei der ersten Injektion von artfremdem Plasma ein stärkeres Sinken des Gas- wechsels bemerkbar. Ein solcher Ausnahmefall ist in Abb. 7 dar- gestellt. Die Untersuchung der Gewebsatmung nach erfolgter erster In- jektion von artfremdem Plasma ergab für den Herzmuskel, die übrige Muskulatur und die Leber Werte, die im Bereiche des Normalen lagen. Nur die Atemtätigkeit des Gehirns war leicht herabgesetzt. (Vgl. Seite 438, 439.) Es treten somit bereits bei der ersten Injektion von artfremdem Plasma Erscheinungen auf, die den nach der Reinjektion auftretenden ähnlich, jedoch quantitativ verschieden sind. Alle artfremden Plasmen wirken je nach ihrer Art nach der ersten Injektion in verschiedenem Grade giftig. Dörr!) hat zuerst darauf hingewiesen, daß die Symptome bei der Vergiftung normaler Tiere durch artfremdes Plasma die gleichen sind, wie bei der Anaphylaxie. Tauben sind gegen Rinderplasma be- sonders empfindlich. Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß wir zur Kontrolle den Einfluß der Einspritzung einer 0,9proz. Kochsalzlösung auf den Gaswechsel und die Körpertemperatur studiert haben. (Vgl. das .Protokoll zu Taube 20, Seite 437 und Abb.9.) Gaswechsel und Temperatur blieben unbeeinflußt. Unsere Beobachtungen über das Verhalten des Gesamtgaswechsels und desjenigen einzelner Gewebe geben uns ein neues und ganz be- sonders empfindliches Mittel in die Hand, um das Wesen des anaphy- laktischen Zustandes zu studieren. Das Studium des Gaswechsels ist ohne Zweifel ein noch empfindlicheres Reagens auf Veränderungen im Zellstoffwechsel als die Verfolgung der Körpertemperatur (vgl. z.B. Taube Nr. 15, Abb. 7). Wir kommen auf Grund der an Meerschweinchen und an Tauben erhobenen Befunden zu dem Ergebnis, daß die im anaphylaktischen Schock zur Beobachtung kommenden Erscheinungen nicht einzig und allein in Veränderungen des Blutplasmas begründet sind, vielmehr 1) Dörr und Moldowan, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. %, 223, 1910. 432 E. Abderhalden und E. Wertheimer: spielen schwere Störungen im Zellstoffwechsel eine und wahrscheinlich die ausschlaggebende Rolle. Wie der herabgesetzte Zellgaswechsel zu erklären ist, wurde nicht aufgeklärt. Es ist leicht möglich, daß Veränderungen im Zustand von Zellinhaltsstoffen das Primäre sind. Wir stützen mit unseren Feststellungen die Ansichten jener Autoren wie Richet, Dörr, Beneke u. A., die bei der Anaphylaxie Veränderungen in den Zellfunktionen annehmen!). Experimenteller Teil. Gaswechselversuche an anaphylaktischen Tauben. Taube Nr. V. Dunkelgrau, weiß gesprenkelt (Abb. 1). Am 10. III. 1922 werden 1 cem Rinderserum intramuskulär injiziert. Am 30. III. 1922 4" 10. Rein- a jektion von 1 ccm Rinderserum in 5323 den Brustmuskel, vorher wurden Se die Vorversuche ausgeführt. Se Gewicht an diesem Tage 310 g. SE Temperatur vor der Injektion 19 Gr de = Pr Nach der Reinjektion kommt 2” die Taube sogleich in den Gas- a wechselapparat. BE Bel BR WE I. Versuch: 4 15—4%45. ‚Die 13 ei Taube zeigt keine auffallenden Er- 7 2 7 R 7 7 R gzh i RENNER a scheinungen. Temperatur am Ende Abb. 1. Am 10. III. 1922 gespritzt mit 1 cCm Rinderplasma. Am 30. III. 1922 gespritzt mit des Versuchs 37,9. n 1 ccm: Rinderplasma.. Am 1. IV. 1922 früh II. Versuch: 5h—5h 30°. Das tot im Käfig. Tier wird etwas matter. Die Tem- peratur sinkt auf 35,8°. III. Versuch: 5% 45’—6N 15’. Keine Veränderung. Temperatur 35,7°. « IV. Versuch: 6% 30°— 7". Das Tier ist noch matt. Temperatur 35,8°. 31. III. 1922. V. Versuch: 12h 30’—1®. Das Tier ist noch im gleichen Zustand wie gestern. Temperatur 38,0°. VI. Versuch: 4%—4h 30’. Temperatur 37,9°. VII. Versuch: 4h 45’—5h 15’. Temperatur 37,9°. VII. Versuch: 6h 45”—7h 15’. Temperatur 38,0°. Außer einer deutlich fest- stellbaren Mattigkeit zeigt das Tier nichts Auffallendes. Am 1. IV. liegt die Taube tot im Käfig. Die Sektion ergab folgenden Befund: Die Lungen sind zurückgesunken, wie gewöhnlich. Die Leber ist nicht besonders groß und nicht auffallend blutreich. Auch sonst kein besonderer Befund. 1) Vgl. zu dem ganzen Anaphylaxieproblem die gründliche kritische Übersicht von Dörr in den Ergebn. d. Hygiene, Bakteriol., exper. Therapie, Immunitätsforsch. Herausgegeben von W. Weichardt, 5, 71. 1922. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. Taube Nr. VI, reinweiß. 433 Hierzu Abb. Nr. 2. I. Injektion von 1,0 cem Rinderplasma intramuskulär am 5. IV. 1922. Reinjektion nach den Gaswechselversuchen am 27. IV. 1922 (1 cem intra- muskulär) 2" 45’. Temperatur der Taube vor der Reinjektion 41,0°. Gewicht: 345 g. Nach der Reinjektion kommt die Taube in den Gas- wechselapparat. I. Gaswechselversuch nach der Reinjektion 3% 45’—4" 15. Die Taube bietet keine s|| irgendwie auffälligen Erschei- I S:8 ’ I SS nungen. Temperatur 4®15 SSR 39,3% RR SS II. Gaswechselversuch NO 4N 30’—5N. SI An der Taube fällt keine SL Veränderung auf. Tempera- 7 tur 5h 39,6°. TE EEE, REP RR III. Gaswechselversuch App. 2. Taube Nr. VI. Am 5. IV. 1922 gespritzt mit 5h—5h 30”. Die Taube istetwas matter. Temperatur 5h 307 39,1°. lccm Rinderplasma. Am 27. IV. 1922 gespritzt mit 1 cem Rinderplasma. IV. Gaswechselversuch 5% 50”—6h 20°. Keine Veränderung. Temperatur 6h 20’ 39,1°. V. Gaswechselversuch 6" 30’—-7h, Keine Veränderung. Temperatur 7h 38,6°. Die Versuche werden am anderen Morgen (28. IV. 1922) fortgesetzt. VI. Gaswechselversuch 10" —10N 30. Die Taube macht einen völlig normalen Eindruck. Temp. 40,3°. Gew. 329 g. VII. Gaswechselversuch 10h 45°”—11" 15’. Temperatur 11" 15’ 39,5°. VIII. Gaswechselversuch 11h 45°—12h 15°. Temperatur „2° 12h 15° 40,1°. 827 IX. Gaswechselversuch 246 12h 25°x 12h 55°. Temperatur 22° 12h 55” 40,5°. Sa X. Gaswechselversuch 5 2? bis 5h 30°. Temperatur 530° 22 40,2°, 2 Die Taube bietet keine auffallenden Erscheinungen. n Taube Nr. X. Abb. 3. 7 I. Injektion von 1,0 ccm 16 Rinderplasma intramuskulär 15 Kess] am 6. IV. 1922. a ee ER N Reinjektion nach den Gas- wechselversuchen am 1. V. 1922 (1 ccm in den Brust- muskel) 11h 30’. Abb.3. Taube Nr. X. Am 6, IV. 1922 gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma intram. Am1.V. 1922 11h 30° gespritzt mit lcem Rinderplasma intram. Temperatur der Taube vor der Reinjektion 38,5°. Gewicht 160 g. (Es handelt sich um eine besonders kleine, anscheinend sehr resistente Rasse.) A32 E. Abderhalden und E. Wertheimer:- Nach der Reinjektion kommt die Taube in den Gaswechselapparat. I. Versuch 12h—12h 30. Die Taube scheint matt zu sein. Temperatur 12h 307 38,5°. II. Versuch 12h 45°—1h 15°. Temperatur 1% 15’ 37,8°. III. Versuch 3% 30”—4%. Temperatur 4". 36,6°. Die Taube ist matt, zeigt aber sonst nichts Auffallendes. IV. Versuch 4h 45°—-5h 15°. Temperatur 5h 15’ 37,3°. TORTE TZ EEE TE LETELEEN Abb. 4. Taube Nr. VII. Am 5. IV. 1922 gespritzt mit 1 ccm Rinderplasma intramusk. Am 3. V. 10h 40’ ge- spritzt mit 1 ccm Rinderplasma intramusk. V. Versuch 5h 30’—6N. Tem- peratur 68 37,5°. Keine Verän- derung im Verhalten der Taube. VI. Versuch 6% 15°—6R 45”. Temperatur 6h45’° 37,5°. Die Taube ist lebhafter. Taube Nr. VII. Weiß mit braunen Flecken. (Siehe Abb. 4). I. Injektion von 1 cem Rinderplasma intramuskulär am 5. IV. 1922; Am 2. V. 1922 werden die Gaswechselversuche ausgeführt. Am 3. V. wird nach dem Vorversuch reinjiziert 10% 40° (1 ccm intramuskulär). Temp. der Taube vor der Reinjektion 40,3°; Gewicht 277 g. Nach der Reinjektion werden erneut Gaswechselversuche ausgeführt. I. Versuch: 10% 45°—11" 15’. Die Taube kauert sich etwas zusammen. Tem- peratur 11h 15’ 40,3°. II. Versuch: 11" 30”—12". Keine Veränderung. Temperatur 12% 38,4°. III. Versuch: 12% 20’—12h 50°. Die Taube zittert deutlich und ist matter. "0g% NANNTE Abb. 5. Taube Nr. VIII. Am 5. IV. 1922 gespritzt mit l ccm Rinderplasma intramusk. Am 9. V. 1922 9h 55’ gespritzt mit 1 ccm intramusk. Temperatur 12h 50° 37,7°. IV. Versuch: 3h 15°—3# 45’. Keine wesentliche Änderung. Temperatur 3" 45’ 37,0°. 3h 45’ wird das Tier zwecks Bestimmung der Gewebsatmung getötet. Die Sektion ergibt einen vollkommen normalen Befund. Die Lungen sind nicht erweitert. Die Leber ist blaß. Taube Nr. VIII. Weiß, Kopf und Flügel grau. Zwei schwarze Streifen an den Flügeln (siehe Abb. 5). I. Injektion von 1 ccm Rin- derplasma intramuskulär am 5. IV. 1922. Am 8. V. werden die Gas- wechselvorversuche ausgeführt. Am 9. V. 9% 55’ wird nach dem Vorversuch reinjiziert (1 ccm intramuskulär). Temperatur der Taube vor der Reinjektion 39,8°. Gewicht 256 g. Nach der Reinjektion wurden folgende Gaswechselversuche ausgeführt: Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. 435 I. Versuch 10%—10R 30’. Das Tier zeigt nichts Auffallendes. Temperatur 10h 30° 39,8°. II. Versuch 10% 45’— 11" 15°. Keine Veränderungen. Temperatur I1g 15’ 39,2°. III. Versuch 11# 30’—12". Temperatur 12h 38,8°. IV. Versuch 12" 15°—12" 45°. Temperatur 12 45’ 38,4°. V. Versuch 3h—3h 30’. Temperatur 3h 30’ 37,8°. 3% 30’ wird das Tier zur Bestimmung der Gewebsatmung getötet. Die Sektion ergibt vollkommen normale Organe. Taube Nr. IX. Dunkelgrau, gesprenkelt. (Abb. 6.) I. Injektion von 1 ccm Rinderplasma intramuskulär am 6. IV. 1922. Gaswechselvorversuche am 27. u. 28. IV. Reinjektion von 1 cem Rinderplasma intramuskulär am 1. V. 11% nach dem Gas>- wechselvorversuch. Temperatur der Taube vor der Reinjektion 41,0°. Gewicht 284 g. Nach der Reinjektion werden folgende Gaswechsel- versuche gemacht: I. Versuch 11"—11h 30°. = [RES | Keine Besonderheiten. Tem- le SS peratur am Ende des Ver- ; NSS . BL TSSS = suchs 41,0°. ” SSNER ZN a II. Versuch 121230. |TRS | 7 15 Bess A Temperatur am Ende des Ver- 2 NER | 75, Sees suchs 40,3°. Keine Verände- rungen. II. Versuch 12445 bis „)p.6. Taube Nr. IX. Gespritzt am 6, IV. 1922 mit 1% 15”. Temperatur am Ende ccm Rinderplasma. Am 1. V. 1922 gespritzt mit 1 ccm des Versuchs 38,3°. Keine Rinderplasma. Veränderungen. IV. Versuch 3" 30’—4". Temperatur am Ende des Versuchs 38,6°. Die Taube - ist etwas matt, zittert ab und zu. V. Versuch 6"—6h 30°. Temperatur am Ende des Versuchs 39,8°. Die Taube macht einen ganz normalen Eindruck. 7A ar E3 A yR 5 6er 7R NS > N En N I Taube Nr. XI. Hellgrau, schwarz gesprenkelt, weißer Ring. I. Injektion von 1 ccm Rinderplasma intramuskulär am 6. IV. 1922. Gaswechselvorversuche am 10. V. 1922. Nach weiteren Vorversuchen Reinjektion von 1 ccm Rinderplasma intra- _ muskulär am 12. V. 1922 11% 30°. 3 Temperatur der Taube vor der Reinjektion 41,4°. Gewicht 328 g CO,-Abgabe pro kg-Stunde in den Vorversuchen: 10. V. 1,955 g, 2,009 g, 2,539 g, 2,264 g, 1,950 g; 12. V. 2,066 g, 1,885 g. Nach der Reinjektion werden folgende Gaswechselversuche ausgeführt: I. Versuch von 12h 45 bis 12h 15’. Die Taube zittert merklich, keine Atemnot. Temperatur 12" 15’ 38,8°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde 1,810 g. II. Versuch von 12h 30’ bis 1”. Keine Veränderungen. Temperatur IN 38,8°, CO,-Abgabe pro kg-Stunde 1,619 g. 436 E. Abderhalden und E. Wertheimer: III. Versuch von 3h 30—4N". Die Taube wird etwas matter. Keine sonstigen auf- fallenden Erscheinungen. Temperatur 4" 38,1°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde 1,303 g. IV. Versuch von 4" 30° bis 5". Temperatur 5% 38,5°. CO,-Abgabe pro kg- Stunde 1,391 g. Die Taube wird um 5 15’ getötet zur Bestimmung der Gewebsatmung. Die Lungen werden vollkommen normal gefunden. In der Leber finden sich mehrere scharf abgegrenzte Knötchen. Die Ursache dieser Veränderung konnte nicht festgestellt werden. Sonst war die Leber mittelgroß und nicht blutreich. Taube Nr. XII, reinweiß. Gewicht der Taube 380 g. Temperatur vor der Reinjektion 40,5 °. Nach den Vorversuchen Reinjektion am 15. V. 4" 15° (1 ccm Rinderplasma intramuskulär). Nach der Reinjektion werden folgende Gaswechselversuche ausgeführt: CO,-Abgabe pro kg-Stunde in den Vorversuchen: 2,542 g, 2,280 g, 2,349 g. I. Versuch 4" 15°—4N 45°. Die Taube zittert auffallend. Temperatur am Ende des Versuchs 39,4°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde: 1,676 g. II. Versuch 5h—5N 30’. Keine Veränderung. Temperatur 5" 307 39,4°. CO;- Abgabe pro kg-Stunde 1,569 g. III. Versuch 5h 45°—6h 15°. Die Taube ist matt. Temperatur 39,7°. CO,- Abgabe pro kg-Stunde: 1,350 g. IV. Versuch 6" 30°— 7". CO,-Abgabe pro kg-Stunde 1,236 g. V. Versuch am 16. V. 3"45°—4N 15”. Die Taube ist vollkommen normal. Gewicht 390 g. Temperatur 40,8°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde 3,512 g. Gaswechselversuche nach der Erstinjektion von Rinderplasma. Taube Nr. XIV. Dunkelgrau, weiße Flügel, blauer Ring. ® Gewicht des Tieres 418 g. Temperatur vor der Injektion 41,2°. Nach den Vorversuchen am 23. u. 24 V. wird dem Tier 1 cem Rinderplasma als Erstinjektion intramuskulär injiziert (am 24. V. 11® 15°). Danach werden folgende Gaswechselversuche ausgeführt. I. Versuch 11% 15°—11N 45’. Das Tier zittert ein wenig. Temperatur 11h 45’ 40,5°. CO,-Abgabe pro kg- 2 Stunde: 1,670 g. a2 T II. Versuch 12h 15’ bis Q&2,7 120: 9} SZ 3, 12" 45’. Nichts Besonderes. Temperatur 12h 45’ 40,2°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde: Bee 1,352 e. % | Ras III. Versuch 44h 30”, 3 Sl Temperatur 4" 307 40,3°. CO,-Abgabe pro-kg-Stunde: 1,273 .g. IV. Versuch 5h—5N 30”. Die Taube zeigt nichts Auf- fallendes. Temperatur 5" 30’ Abb. 7. Normale Taube Nr. XV. (Schwarz-grau gesprenkelt.) 40,6°. CO,-Abgabe pro kg- Stunde 1,275 g. CO,-Abgabe in den Vorversuchen: 1,836, 1,928, 1,827, 1,733, 1,943 g pro kg-Stunde. Taube Nr. XV Dunkelgrau, gesprenkelt. (Abb. 7.) Gewicht 280 g. Temperatur vor der Injektion 40,8°. Nach den Vorversuchen Erstinjektion von ] cem Rinderplasma intramuskulär, SS I IEENEEN BE 65 | Ver Al ( are ol 1 ls | mn 10h Zd zr 3 Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. Danach folgende Gaswechselversuche (31. V. 2" 30°) I. Versuch: 3% 30—4N". Die Taube zittert. Temperatur 4" 39,7°. II. Versuch: 4" 30’—5". Nichts Bssonderes. Temperatur 5" 39,8°. III. Versuch: 5h 15°—5" 45°. Temperatur 5h 45’ 39,9°. IV. Versuch: 6h 15°—6N 45’. Temperatur 6N 45’ 39,9°. V. Versuch 1. VI. 10% 30’—11®. Die Taube ist vollkommen normal. Gewicht 297 g. Temperatur 41,0°. Taube Nr. XVI. Hellgrau, 2 schwarze Streifen auf den Flügeln. sewicht der Taube’345 g. Temperatur vor der Injektion 40,4°. Nach den Vorversuchen Erstinjektion von 1 ccm Rinderplasma intramuskulär am 2. VI. 4h 30”. Danach werden folgende Gaswechselversuche ausgeführt: I. Versuch 4" 30°—5". Die Taube zeigt leichtes Zittern. Temperatur 5h 40,9°. CO,-Abgabe 1,717 & pro kg-Stunde. 457 II. Versuch 5" 15°— 5" 45’. Die Taube zeigt nichts Besonderes. Temperatur 5h 45’ 39,9°. CO,-Abgabe 1,782 g pro kg-Stunde. III. Versuch 6" —6N 30°”. Temperatur 6" 307 39,4°. CO,-Abgabe pro kg-Stunde 1,356 g. CO,-Abgabe in den Vorversuchen: 1,584 g, 1,649 g, 1,711 & pro kg-Stunde. Taube Nr. XVII. Schwarz-weiß gefleckt. (Siehe Abb. 8.) Gewicht der Taube 321 g. Temperatur vor der Injektion 41,1°. Nach den Gaswechselvorver- suchen am 7. u. 8. VI. Erstinjek- tion von 1 ccm Rinderplasma intra- muskulär am 8. VI. 11h. Danach werden folgende Gas- wechselversuche ausgeführt: I. Versuch 12h—-12h 30°. Die Taube zeigt nichts Besonderes. Temperatur 12" 307 40,4°. II. Versuch 3h 30’—4N, Tem- peratur vor dem Versuch 40,1°. Keine Veränderungen. Um 4" wird das Tier getötet zur Bestimmung der Gewebsatmung. Die Sektion ergibt keine be- sonderen Veränderungen. Die Gewebsatmung s. S. 438. Kontrollversuch Taube Nr. XX. (Siehe Abb. 9.) Injektion von 1,0 ccm 0,9 proz. Kochsalzlösung. Taube schwarz, grau gespren- kelt. Gewicht der Taube 300 g. Temperatur vor der Injektion: 41,2°. Nach den Gaswechselvorver- suchen am 29. u. 30. V. Injektion Brustmuskel (am 30. V. 12" 10°). 2,2 KS Abb. 8. Normale Taube Nr. XVII. gefleckt.) R Sl _—_r SIT RSSN ISO | INS SIE ET SSR ET 2 ga 5A (Schwarz-weiß Normale Taube, Gewicht 300g. Schwarz- grau gesprenkelt. von 1,0 cem 0,9proz. NaCl-Lösung in den 438 E. Abderhalden und E. Wertheimer Danach werden folgende Gaswechselversuche ausgeführt: I. Versuch 12" 15°— 12h 45. An der Taube ist keine Veränderung wahrnehm- bar; Temperatur 12" 457 41,0°. II. Versuch 3" 30’—4N. Keine Veränderung. Temperatur 4" 41,2°. III. Versuch 5" 15°—5N 45°. Temperatur 5% 45’ 41,1°. Die Gewebsatmung verschiedener Organe von Tauben, die im anaphylaktischen Schock getötet wurden. Die Versuchsdauer war bei allen Versuchen 30 Minuten. flüssigkeit wurde in allen Fällen 1 ccm Ringerlösung verwandt. Taube Nr. VII (nähere Angaben im Protokoll S. 434). Temperatur während des Versuchs 22°, Atmende Substanz Leber 0,5 g Brustmuskel 0,5 & Herzmuskel 0,5 & Gehirn 1 g Gehirn 1 g Taube Nr. VIII (siehe auch das Protokoll S. 434). Temperatur während des Versuchs 21°. Leber 0,5 g Brustmuskel 0,5 & Herzmuskel 0,5 & oO Gehim 1 g 4 82 280 212 201 58 Taube Nr. XI (siehe das Protokoll S. 435). — Temperatur Leber 0,5 g Brustmuskel 0,5 & Herzmuskel 0,5 & Gehirn 1,0 & = g Gchirn 1,0 g Taube Nr. XVII getötet nach der Erstinjektion von 1,0 cem Rinderplasma 302 242 316 115 126 Als Suspensions- O,-Verbrauch pro g und Std. in cemm. 362 342 336 intramusculär (siehe hierzu das Protokoll S. 437). Temperatur 22°, Gewebsatmung: Leber 0,5 g Brustmuskel 0,5 & Herzmuskel 0,5 g Gehirn 1,0 g Taube Nr. XIII. Dunkelgrau, gesprenkelt. 1. Injektion am 5. IV. 1922 (1 ccm intramuskulär). Reinjektion am 6. V. 1922 9% v, Temperatur vor der Reinjektion 41,2°. Gewicht der Taube 256 g. 402 436 394 162 Temperatur 10h 39,0°; 114 30° 38,2°; 12h 45’ 38,0°; 3h 37,8°. Um 3" wird das Tier getötet. Die Sektion ergibt einen vollkommen normalen Befund. Die Lungen sind nicht gebläht. Keine Zeichen von Vasomotorenlähmung. Versuchstemperatur 21°. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. II. 439 Gewebsatmung: Atmende Substanz O;,-Verbrauch pro g und Std. in cmm Leber 0,5 g 376 Muskel 0,5 g 298 Gehirn 1,0 g 128 Gehirn 1,0 g 120 Zum Vergleich seien hier die Werte angegeben, wie wir sie bei Normaltauben gefunden haben!) (Normaltaube Nr. 88). “ Leber 0,5 g 374 Muskel 0,5 g 526 Herzmuskel 0,5 g 402 Gehirn 1,0 g 246 1) Abderhalden, E. und E. Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 192, 174. 1921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 29 Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. III. Mitteilung. Zugleich ein Beitrag zum Studium des Wesens der alimentären Dystrophie. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 12. Juni 1922. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, daß Tauben, die aus- schließlich mit geschliffenem Reis ernährt werden, schließlich einen Zustand zeigen, in dem eine herabgesetzte Körpertemperatur und ein verminderter Gesamt- und Gewebsgaswechsel vorhanden ist. Im Ge- folge der herabgesetzten Oxydationsvorgänge in den Zellen treten dann die bekannten Symptome der alimentären Dystrophie: Krampfer- scheinungen usw. auf. Es konnte die verminderte Fähigkeit der Zellen, der im Stadium der alimentären Dystrophie befindlichen Tauben, Oxydationsvorgänge durchzuführen, nicht nur an direkten Gaswechsel- versuchen klargelegt werden, vielmehr gelang es mit Hilfe anderer Methoden, wie Herabsetzung des Sauerstoffgehaltes der Luft!) und ferner der Erhöhung ihres Kohlensäuregehaltes?) Erscheinungen hervor- zurufen, die mit aller Deutlichkeit dartun, wie sehr im erwähnten Zustande der Zellstoffwechsel und insbesondere der Gaswechsel gelitten hat. Es schien uns nun von großem Interesse zu sein, Studien über das Wesen der Anaphylaxie an Tauben durchzuführen, die längere Zeit ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt worden waren. Die Frage- stellung war die folgende: Welchen Einfluß hat die im anaphylaktischen Schock auftretende Herabminderung des Zellgaswechsels auf das Be- finden von Tieren, deren Gewebsgaswechsel sowieso schon geschädigt vst? Wir spritzten normal ernährten Tauben und solchen, die ausschließ- lich geschliffenen Reis erhielten, zu gleicher Zeit gleiche Mengen von Rinderplasma ein (vgl. die Einzelheiten in den auf Seite 442 mitge- teilten Protokollen). Sämtliche Reistauben starben im Laufe des anaphy- laktischen Schocks und zwar im Verlaufe eines Tages. Akute Todesfälle haben wir nicht beobachtet. Von den Kontrolltauben starb ein Tier, 1) Abderhalden, Emil und Ernst Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 647. 1922. 2) Abderhalden, Emil und Ernst Wertheimer Ebenda. 195, 460. 1922. E. Abderhalden u. E. Wertheimer: Studien üb. das Wesen des Schockes. III. 441 bei dem bei der Reinjektion Plasma intramuskulär und zugleich intra- peritoneal zugeführt worden war. Die übrigen Tiere waren intra- peritoneal reinjiziert worden. Alle diese Tiere blieben am Leben. Die einzige Kontrolltaube die starb, verendete 18 Stunden später als die entsprechende Reistaube. Der Tod dieser Kontrolltaube stellt eine Ausnahme dar. Alle normal ernährten Tiere überstanden sonst, wie schon erwähnt, die Reinjektion ohne weitere Folgen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Reistauben durch die Reinjektion von Plasma viel schwerer geschädigt wurden, als die normal ernährten Tauben. Ein Unterschied ergibt sich auch bei der Betrachtung des Verhaltens der Körpertemperatur. Intraperitoneal reinjizierte normale Tauben zeigten nur geringe Temperatursenkungen. Bei den Reistauben hingegen trat ein deutlicher Temperatursturz ein (vgl. Abb. 1). Man könnte gegen die Annahme, daß der alimentäre Zustand die stärkere Reaktion im Anschluß an die Reinjektion von Plasma be- wirkt habe, einwenden, daß nicht der besondere Zustand, der im Gefolge der ausschließlichen Ernährung mit Reis auftritt, an dem erwähnten Verhalten die Schuld trage, sondern, daß vielmehr der allgemein geschwächte Zustand in Frage komme. Um dieser Mög- lichkeit nachzugehen, haben wir mit normaler Nahrung ernährte Tauben benutzt, die sich in einem schlechten Ernährungszustande befanden. Wir haben ferner als Kontrolltier eine Taube verwendet, die vor der Reinjektion 6 Tage gehungert hatte. Alle diese Tiere blieben am Leben. Das Verhalten der Körpertemperatur war wie das einer normal ernährten anaphylaktischen Taube. Besonders interessant ist Versuch 2. Es erhielt eine anaphylaktische Reistaube Hefe. Die Erscheinungen der alimentären Dystrophie konnten damit bekämpft werden. Die Körpertemperatur stieg und die Krämpfe ließen nach. Die Taube ging trotzdem zugrunde. Offenbar waren durch die Hefezufuhr jene Erscheinungen im Zellstoffwechsel günstig beeinflußt worden, die durch das Fehlen bestimmter Stoffe in der Nahrung hervorgerufen sind; dagegen blieben jene Störungen im Zellstoffwechsel, die durch die Reinjektion von Plasma hervor- gerufen waren, unbeeinflußt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Studium des Verlaufes des anaphylaktischen Schocks unter verschiedenen Bedingungen berufen ist, uns noch mancherlei wertvolle Einblicke in sein ganzes Wesen und zugleich in das Wesen mancher unbekannter Störungen bei mannig- fachen pathologischen Zuständen zu geben. Eine veränderte Reaktion zeigt uns die Beobachtung, daß die mit Reis gefütterten Tauben viel stärker auf die Reinjektion von artfremden Material reagieren, als normal ernährte Tauben und auch als hungernde Tauben. Wäre noch nicht bekannt gewesen, daß im Stadium der alimentären Dystrophie 295 442 E. Abderhalden und E. Wertheimer: die Gewebsatmung schwer geschädigt ist, so wäre man durch die vor- liegenden Versuche auf diesen Umstand hingewiesen worden. Es hätte sich in umgekehrter Reihenfolge die Frage angeschlossen, aus welchem Grunde bei der Reistaube der Gaswechsel bei der Reinjektion von Plasma soviel schwerer geschädigt wird als bei einer normal ernährten Taube. Man hätte dann zwei schädigende Komponenten erkannt und ihre Summation als die Ursache des letalen Ausganges der Reinjektion bei Reistauben festgestellt. Die verminderte Widerstandsfähigkeit von einseitig ernährten Organismen gegenüber mancherlei Eingriffen und vor allen Dingen gegenüber Infektionen muß von den eben her- vorgehobenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Es gilt dies ohne Zweifel auch für manche Erscheinungen beim Menschen. Auch hier kann eine Summation von Schädigungen, die zwar an verschiedenen Stellen eingreifen, jedoch zum gleichen Ergebnis führen, einen Grad der Störung hervorrufen, der mit dem Leben unverträglich ist, während jede einzelne Schädigung für sich keine so schwer wiegenden Folgen zu haben braucht. Wir sind überzeugt, daß der anaphylaktische Schockzustand in Zukunft noch oft verwendet werden wird, um zu prüfen, wie das Hinzukommen der in diesem vorhandenen Schädigungen zu bereits vorhandenen Störungen sich auswirkt. Experimenteller Teil. Versuch I. Taube 1, dunkelgrau, roter Ring (Abb. 1). 1. Injektion von Rinderserum intramusculär am 4. III. 1922. Die Taube wurde ausschließlich mit geschlif- fenem Reis ernährt. Am 24. III. treten die ersten Erscheinungen der alimentären Dystrophie auf. Das Tier ist matt. Der Gang unsicher. Die Temperatur beträgt 38,8°. Gewicht 176 g. Um 4% Reinjektion von 1,0 cem Rinderserum intraperitoneal. Temperatur 44 35’ 34,0°; 5h 45’ 35,0°; TR 15’ 36,7°. Das Tier ist während der ganzen Beobachtungs- zeit sehr matt, zeigt aber keine auffallenden Erschei- nungen. Am anderen Morgen liegt die Taube tot HC U 5 6 Thnm gAum Abb. 1. m Temperaturverlaufimanaphylak- !M Käfig. tischen Schock: a bei einer Reis- Kontrollversuch. Hellgraue Taube; dunkelge- taube Nr.1 (s. Vers. D, db beider sprenkelt. Gewicht 198 g (normal ernährt). Tempe- normaljernährben Kontrolltaube "tur vor. der Reinjektion 40,4° C. (intraperitoneale Reinjektion). Denen ken Temperatur 4h 35’ 38,8°; 5h 45’ 39,2°; 7 15’ 40,0°. Keine besonderen Er- scheinungen. Am anderen Morgen ist das Tier wie ein normales. Temperatur 39,8°. Versuch II: Taube 2, grau, schwarz gesprenkelt. 1. Injektion von Rinderplasma intramusculär am 7. III. 1922. Reinjektion am 23. IlI. (0,75 ccm intraperitonea!). Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Schockes. III. 443 Die Taube wurde ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt. Am 22. III. ist das Tier noch munter und sitzt auf der Stange. Am 23. III. leichte Krämpfe. Temperatur vor der Reinjektion 37,2°. Temperatur 1 Stunde nach der Reinjektion 34,9°. Nach 1!/, Stunden 35,2°. Das Tier ist sehr matt, zeigt sonst nichts besonderes. Nach 1!/, Stunden 34,0°. Die Taube bekommt sehr starke Krämpfe. Sie erhält 0,5 g Hefe. Nach 5 Stunden 38,2°. Die Krämpfe haben nachgelassen. Das Tier ist matt. — Es erhält intramusculär 1,0 ccm Hefeautolysat. Am anderen Morgen liegt die Taube tot im Käfig. Die Sektion ergibt nichts besonderes. Versuch II Kontrolltaube (normal ernährt). Dunkelsrauschwarze Taube. Gewicht 252 g. Temperatur vor der Reinjektion am 23. III. 41,2°. Temperatur 1 Stunde nach der Reinjektion 39,8°, nach 11/, Stunden 39,6 °, nach 2 Stunden 39,5°, nach 5 Stunden 40,0°. An der Taube ist nichts Auffallendes zu bemerken. Am anderen Morgen 9% ist die Temperatur 40,6°. Versuch III. Taube 3, schwarz, kleine graue Flecke auf den Flügeln. 1. Injektion von Rinderplasma intramusculär am 4. III. Die Taube wird ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt. Am 22. III. zeigt die Taube bereits starke Mattigkeit, sie schwankt beim Gehen. Das Gewicht beträgt 223 g, die Temperatur 37,5°. Nachmittags 5% Reinjektion von 1 ccm Rinderplasma intraperitoneal. 5h 10° Temperatur 35,2°; 52 20° Temperatur 34,3°; 51 30° Temperatuı 33,2°; 5h 45° Temperatur 32,5°; 6% Temperatur 32,4°; 7 Temperatur 31,3°. Am anderen Morgen war die Temperatur auf 36,3° gestiegen. Im Laufe des Nachmittags starb das Tier. Kontrolltaube zu Versuch III. Dunkelgrau. Temperatur vor der Reinjektion um 5h 40,9°. Gewicht 220 g. Temperatur 5h 30’ 40,0°; 6h 38,4°; Th 38,6°. Am anderen Morgen war die Temperatur wieder normal 40,5°. Versuch IV. Taube 4 grau-schwarz, weiße Flecke. Die Taube wird aus- schließlich mit geschliffenem Reis ernährt. 1. Injektion von Rinderplasma intramusculär am 4. III. Am 25. III. treten deutliche Zeichen der alimentären Dystrophie auf. Die Taube ist matt, das Gefieder aufgeplustert, der Gang unsicher. Das Gewicht der Taube ist 268 g. Die Temperatur beträgt am 25. III. morgens 37,3 (am 24. 111. 39,8°). Um 11h Reinjektion intraperitoneal und intramusculär je 1 ccm. Die Temperatur um 11# 10° beträgt 37,3°; um 12h 36,5°; um 1h 36,0°; um 1h 30° 35,5°. Um 3% mittags liegt das Tier tot im Käfig. Die Sektion ergibt nichts Besondres. Kontrolltaube: Gewicht 246 g. Temperatur 41,1°. Um 11" Reinjektion intraperıtoneal und intramuskulär je 1 ccm. Um 11h 10° ist die Temperatur 39,6°; um 12" 38,5°; um 1h 36,6°; um 3" 36,5°. Um 6h abends ist die Taube matt, sie ist in Hockstellung gegangen. Tem- peratur 36,5°. Am anderen Morgen um 10h liegt die Taube tot im Käfig. Leber und Lunge sind normal. Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen und ihre Beeinflussung durch Narkotieum. Von Wilhelm Hertz. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Eingegangen am 20. Mai 1922). Einleitung. Bei den Untersuchungen über die Färbbarkeit lebender Zellen haben besonders die Ergebnisse mit Säurefarbstoffen Schwierig- keiten für die Deutung bereitet. Während sich fast alle tierischen und pflanzlichen Zellen mit basischen Farbstoffen ohne weiteres in kurzer Zeit anfärben, gibt es nur eine beschränkte Zahl von Zellarten, welche die meisten Säurefarbstoffe in sichtbarer Menge aufnehmen. Es ist nun sowohl für die Theorie der Vitalfärbung, als auch insbesondere für die Theorie der Zellpermeabilität von höchstem Interesse, dafür eine Erklärung zu geben. Nach der Auffassung von Overton und Höber ist die beschränkte Anfärbbarkeit mit der Mehrzahl der Säurefarbstoffe Ausdruck einer ‚physiologischen Permeabilität“, d. h. einer Anpassung an besondere Aufnahmebedürfnisse, die sich unter den tierischen Zellen bei gewissen Epithelien der Nieren, bei phagocytierenden Zellen, wie den Goldmannschen ‚‚Pyrrolzellen‘ des Bindegewebes, den KXupfferschen Sternzellen der Leber sowie anderen Retikuloendothelialzellen in der Milz, dem Knochenmark und anderen Organen eben in der Aufnahme der Säurefarbstoffe, und zwar in einer aktiven Aufnahme äußert; nach den neuesten sorgfältigen Untersuchungen von Oollander!) an Pflanzen- zellen ist auch da offenbar die Fähigkeit zu dieser Art Vitalfärbung bei gewissen Zellen, wie Blumenblattzellen, jugendlichen halb embryo- nalen Zellen und Zellen, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Leit- bündel liegen, vorhanden, während andere Zellen, wofern sie nur unver- sehrt sind, ungefärbt bleiben. — Einen abweichenden Standpunkt nehmen Ruhland, Bethe und von Möllendorff ein; sie sind der Ansicht, daß die tierischen und pflanzlichen Zellen generell auch für die Säure- farbstoffe passiv durchlässig sind, daß also die Anfärbung in jedem Fall die Folge nicht einer physiologischen, sondern einer „physikalischen 1) Collander, Jahrb. f. wiss. Bot. 60. 354. 1921. W. Hertz: Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen usw. 445 Permeabilität‘ im Sinne Höbers sei, daß aber das Eindringen der Farbe immer nur dann sichtbar werde, wenn irgendwie eine Farbspeicherung stattfindet. Das Speicherungsvermögen der Zellen ist aber verschieden und hängt nach Bethe von ihrer Innenreaktion ab; wie Gelatinegallerte und Eiweißsole sich nur dann stark mit Säurefarbstoffen anfärben, wenn sie selber angesäuert werden, während Alkalisierung die Säure- farbstoffe fernhält, so soll auch nur ein saurer Zellinhalt zu reichlicher Aufnahme von Säurefarbstoff prädisponieren, während neutrale oder gar alkalische Reaktion das Gegenteil bewirkt. Bethe!) hat für seine Theorie zahlreiche eigene Beobachtungen und solche von Schülern ins Feld geführt; Nirenstein?) und Collander haben Versuche mitgeteilt, die teils eine andere Deutung für den Einfluß der Reaktion auf die Anfärbung, als Bethe sie gibt, zulassen, und die teils den Anschauungen von Bethe widersprechen. Doch kann auf das Für und Wider hier nicht eingegangen werden. Wohl aber soll zu der Frage der Vitalfärbung mit Säurefarbstoffen von neuem durch Versuche Stellung genommen werden, die an Opalina ranarum, dem im Froschenddarm parasi- tierenden Infusor, angestellt wurden. Kozawa?) und Rohde?) haben nämlich mitgeteilt, daß die lebenden Opalinen sich mit zahlreichen Säurefarbstoffen wundervoll durchfärben, wenn man die Farbstoffe an die Frösche verfüttert. Dies ist nach dem, was vorher über das beschränkte Vorkommen einer Durchfärbung mit Säurefarbstoffen gesagt wurde, an sich sehr interessant, zumal da diese Infusorien kein Cytostoma. besitzen, so daß die Tatsache ihrer Anfärbung das Per- meabilitätsproblem von neuem aufrollt. Dazu kommt, daß die Opalinen zwar außerhalb des Darmes noch mit Sicherheit im Darminhalt ange- färbt werden können, aber in Ringerlösung die Farbe nicht oder höchstens nach längerer Zeit aufnehmen. Da die Bedingungen für diese Unterschiede bisher nicht genauer durchforscht sind, so habe ich dies auf Veranlassung von Prof. Höber genauer zu präzisieren versucht; zugleich erhielt ich die Aufgabe, durch Untersuchung des Einflusses der Narkose auf die Färbung mit basischen und mit Säurefarbstoffen eine deutliche Unterscheidung von physikalischer und physiologischer Permeabilität anzustreben. Zur Methodik. Bei den folgenden Versuchen wurde vor allem darauf geachtet, daß die Eigenbewegung der Opalinen nicht wesentlich beeinträchtigt wurde und die Tiere ein normales Aussehen behielten. Vor Versuchen mit Farblösungen 1) Bethe, Wien. med. Wochenschr. 1916, Nr. 14; Kolloidzeitschr. 27, 16. 1920; Biochem. Zeitschr. 1%%, 18. 1922; Rohde, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 114. 1920 u. 168, 411. 1917; Pohle, Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 48. ?) Nirenstein, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 199, 233. 1920. 3) Höber, Biochem. Zeitschr. 67, 420. 1914 nach Versuchen von Kozawa. *) Rohde, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 168, 411. 1917. 446 W. Hertz: Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen wurde stets untersucht, inwieweit die beabsichtigten Beimengungen zu den Lösun- gen auf die Infusorien schädigend einwirkten oder nicht. Um einwandfreie Resul- tate zu erhalten, übertrug ich die Opalinen nicht direkt mit der Platinöse aus dem Darm in die Farblösung, sondern erst in ein Schälchen mit reiner Ringerlösung, woraus ich sie dann mit einer feinen Capillare in die endgültige Lösung brachte. So wurden unbeabsichtigte Verunreinigungen aus dem Darm möglichst aus- geschaltet. Ferner stellte ich die Farbschälchen im dunklen, kühlen Zimmer auf, um möglichst dieselben äußeren Bedingungen zu schaffen, wie sie die Infusorien im Froschdarm gewohnt sind. Der Einfluß saurer Lösungen auf die Vitalfärbung der Opalinen mit Sulfosäurefarbstoffen. Schon Bethes Schüler Rohde hat den Versuch gemacht, im Sinne von Bethes Speicherungstheorie die Opalinen zur stärkeren Aufnahme von Säurefarbstoffen durch Ansäuern ihres Mediums zu veranlassen. Er gibt darüber an, daß die Opalinen sich in einem Acetatgemisch von Cy = 10°%%, soweit sie am Leben bleiben, nach längerer Zeit, aber nicht regelmäßig anfärben, während sie in Leitungswasser oder Ringer- lösung ungefärbt bleiben. Ich stellte entsprechende Versuche mit sauren Acetat- und Phosphatgemischen!) an. Aber schon die Vorversuche ohne Farbstoff ergaben eine recht ungünstige Wirkung der 1/10 Mol. Acetatgemische. Bei cp = 0,11 x 10°? wird die normale Beweglichkeit sehr schnell gehemmt, nach 5 Min. bleibt nur ein schwaches Flimmern, das nach 20 Min. aufhört. Die Tiere zeigen dann ein dunkles Plasma. Bei cy = 0,28 x 10°° halten sich die Infusorien bis 7 Std. ganz gut. Auch mit Ringerlösung auf 1/100 mol. verdünnte Acetatgemische wirken schnell schädigend. Phosphatgemische sind weniger ungünstig für die Tiere. Bei cz = 10% bleiben einige noch 10—15 Min. ziem- lich normal bewegt. Nach einer Stunde sind sie zum Teil schon voll- kommen zerstört, nach zwei Stunden alle. Färbungen an einigermaßen normalen Tieren in nicht zu stark schädigenden Acetat- oder Phosphat- gemischen?) wurden nicht beobachtet trotz Verwendung von Farb- stoffkonzentrationen von 0,1—0,5%/, (Cyanol, Lichtgrün F.S. und Benzoblau) und einer Versuchsdauer bis zu 24 Stunden, Der Einfluß bestimmter organischer Substanzen auf die Vitalfärbung der Opalinen mit Sulfosäurefarbstoffen. Bei Wiederholung der Kozawaschen Versuche zeigte sich, daß sich Opalinen sowohl in einem mit 1proz. Farblösung abgebundenen iso- lierten Froschdarm als auch bei Zusatz von Darminhalt zu 1proz. Farblösungen in 8—24 Stunden sehr gut färben. Für erstere Versuche 1) Kozawa, Biochem. Zeitschr. 60, 146. 1914. 2) &;; = Ian und ihre Beeinflussung durch Narkoticum. 44T wurde dies mit Cyanol, Lichtgrün F.S., Benzoreinblau, Benzoblau und Trypanblau erwiesen, für letztere mit Lichtgrün, Cyanol und Benzoblau. All diese Farbstoffe sind solche, die in keinerlei Weise ‚lipoidlöslich “ sind, d.h. sich aus wässeriger Lösung weder auf Cholesterin- oder Lecithinlösungen in organischen Lösungsmitteln noch auf das Niren- steinsche Gemisch von Diamylamin, Ölsäure und Öl verteilen, und die ferner nicht generell, sondern nur speziell die in der Einleitung genannten Zellsorten färben. — Die Kontrolltiere in einfacher Ringer- lösung waren ungefärbt, aber sie hatten meist ihre Eigenbewe- gung eingebüßt. Nur das Flimmern der Cilien war geblieben, öfter waren sie auch ganz zerstört und stark gefärbt. Auf diese Wirkung der reinen Ringerlösung komme ich weiter unten noch ausführlich zu sprechen. Bei weiteren Versuchen zeigte sich nun, daß auch durch Einlegen von Stückchen gereinigten Dickdarms, von Dünndarm, Leber und Niere (vom Frosch) in die Farblösungen sehr gute Färbungen eintraten bei vollkommen normalem Verhalten der Tiere. Auch in einem fil- trierten Auszug der Froschleber wurden die gleichen guten Resultate erzielt. Ich ging dann zu künstlich gereinigten organischen Substanzen über, zu Pepton (Präparat Witte), Pepsin (Witte), Trypsin und Albu- min!). Diese Substanzen wurden in Konzentrationen von !/,—1°/, in der endgültigen Farblösung verwendet und die Farbstoffe Cyanol und Benzoblau (1/,°/,) benutzt. Ferner blieb die Salzkonzentration bei den Versuchen stets die gleiche. Nach der angegebenen Zeit in farblose Ringerlösung übertragen, schwammen die Tierchen wieder wunderbar schön gefärbt und lebhaft herum. Auch die Vorversuche in farblosen Lösungen ergaben eine gute Haltbarkeit der Opalinen bei Anwesenheit dieser organischen Zusätze. In einer 1proz. Peptonlösung hielten sich die Infusorien fast 10 Tage recht gut, in einer !/,proz. Trypsinlösung 4 Tage sehr gut. Prüfung der organischen Lösungen mit Methylrot und Neutralrot ergab ziemlich neutrale Reaktion. Methylrot blieb immer gelb; keinesfalls überstieg also die H-Ionen- konzentration 10 "®. Bei der Verwendung von Pepsin- und Trypsinpräparaten konnte der Gedanke naheliegen, daß es sich hier vielleicht um eine ‚Anver- dauung‘‘ der Tiere handeln könnte, und daß diese vielleicht auch im Froschdarm stattfindet. Dieses ist aber nicht der Fall. Sowohl auf- gekochter Darminhalt, als 5 Min. stark gekochte Pepsin- und Trypsin- lösung, wie auch Pepton und filtrierter Leberauszug ändern nichts an den Färbeergebnissen. Unter den Körpern, bei deren Anwesenheit !) Das durch Ammonsulfat-Fällung aus Serum gewonnene Albumin muß durch Dialyse völlig von dem Salz befreit werden, da schon kleine Mengen davon auf Opalinen schädlich wirken und die Färbung verhindern. 448 W. Hertz: Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen Vitalfärbung der Opalinen mit Cyanol usw. eintritt, befinden sich also auch kochbeständiget). Bei den Kontrolltieren in reiner Ringerlösung machte sich wieder z. T. eine schlechte Haltbarkeit in den 24Std. der Versuchsdauer geltend, wie oben schon erwähnt wurde. Sehr oft war die Eigenbewegung stark herabgesetzt, z. T. nur starker Flimmerschlag vorhanden. Auch in farbloser Lösung und bei Verwendung von doppelt destilliertem Wasser kamen diese Fälle vor. Dabei waren die Tiere in den farbigen Kontrollösungen stets ganz hell und ungefärbt. Diese Tatsachen führten zu einer näheren Untersuchung über die Wirkung der Ringerlösung auf die Opalinen. Die Zusammensetzung meiner Ringerlösung war 0,65% NaCl, 0,014% KCl, 0,012% CaCl, und 0,01% NaHCO,. Das Bicarbonat kann ohne Veränderung der Versuchsergebnisse fortgelassen werden. ,„Wäscht‘ man nun Öpalinen in Ringerlösung, indem man sie aus dem ersten Schälchen in ein wieteres gleiches überträgt, so daß Verunreinigungen immer mehr aus- geschlossen werden, so zeigt sich meist schon bei der zweiten und dritten Über- tragung, daß einige Tiere die Bewegung einstellen und stark flimmernd am Boden des Schälchens ‚„‚kleben‘‘, so daß man sie kaum mit der Capillare fortnehmen kann. Läßt man eine solche 4. Übertragung in reine Ringerlösung 12 Std. stehen, so sind nach dieser Zeit die Opalinen z. T. tot und cytolysiert, z. T. ohne jeden Flimmer- schlag, dabei hell und feinblasig im Innern, z. T. zeigen sie langsame Eigenbewegung, sind aber sehr dunkel und groß-granuliert. Bringt man solche Tiere in Neutralrot- lösung (0,001%), so färben sich besonders diese bräunlichen „Granula‘“, während die schmalen Zwischenräume nur schwach gefärbt erscheinen. Kontrolltiere in einer Lösung mit Organauszug, die auch zu gleicher Zeit in Neutralrotlösung gebracht werden, zeigen stärkere Diffusfärbung mit nicht so vielen und so stark hervortretenden Granulis. Die diffuse Plasmafärbung zeigt etwas schwächer roten Farbton als die Granula. In anderen Fällen vertragen die Opalinen das „Waschen“ sehr viel besser, sind nach 12 Std. noch hell und normal beweglich, zeigen aber nach längerem Verweilen in Neutralrot auch jene merkwürdige stärkere Granulafärbung?). Setzt man aber einer Ringerlösung eine Spur Verunreinigung aus dem Darminhalt zu, so steigt die Haltbarkeit der Opalinen sehr stark, ohne daß in einer solchen Lösung mit 1/,0/, Cyanol oder Benzoblau schon Färbung auftritt. Daher wurden fernerhin die Kontrollösungen in dieser Weise angesetzt und erheblich bessere Resultate erzielt. Sobald man aber stärkere Verunreinigungen aus dem Darmzusetzt, so treten schwache Färbungen mit den Säurefarb- stoffen auf. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß entsprechende Fär- bungsversuche negativ verliefen bei Zusatz von Traubenzucker, Gly- !) Die Trypsinwirkung ist vielleicht nur auf das Eiweiß zu beziehen, das dem benutzten Präparat anhaftete. ?) Jedenfalls ist die Resistenz der verschiedenen Opalinengenerationen aus den verschiedenen Froschdärmen nicht gleich, wie auch Form und Größe der Tiere stark wechselt. und ihre Beeinflussung durch Narkoticum. 449 kogen, Lecithin (Merck, puriss.) und auch Pferde- und Rinderserum, für die Kozawat) positive Resultate angibt. In reiner isotoner Traubenzuckerlösung hört die Eigenbewegung der Opalinen schon nach einer !/, bis ®/, Std. auf; ihre Form bleibt normal. Nach dieser Zeit in Ringerlösung zurückgebrachte Tiere leben wieder einigermaßen auf, nicht mehr nach 1!/, Std. Nach 4 Std. ist völliger Verfall der Infusorien eingetreten. Zusatz von 0,1 ccm Ringer zu 0,9 ccm isotoner Traubenzuckerlösung steigert die Haltbarkeit stark. Farbversuche in solchen u. a. Lösungen verliefen negativ, ebenso in 0,75proz. Glykogen- und Stärkelösung oder 0,0008 proz. Lecithin- Emulsion, trotzdem die Tierchen noch unbeeinträchtigt und hell herumschwimmen. Aktives Rinder- oder Pferdeserum auf die richtige Salzkonzentration mit Wasser verdünnt wirkt schnell tödlich. Nach 5 Min. hört die Eigenbewegung auf. Man sieht, wie sich kleine Gerinnsel auf den Cilien niederschlagen und sie einbetten. Nach 1 Std. sind alle Opalinen zerstört. Inaktiviert man aber das Serum durch halbstündiges Erwärmen auf 56°, so fällt diese starke Schädigung fort. Trotzdem bekam ich nur einmal eine unregelmäßige Färbung. '* Zur Erklärung der Erscheinungen blieb noch zu untersuchen, ob sich die Zellinnenreaktion unabhängig von der äußeren bei Nahrungs- aufnahme nach der saueren Seite hin verändert, so wie E. Nirenstein?) dies an den Nahrungsvakuolen von Paramaecium caudatum beobachtet hat. Um einen etwa vorhandenen Zusammenhang hiermit und der Färbung mit den fraglichen Säurefarbstoffen festzustellen, wurden Opalinen aus demselben Froschdarm einerseits in 0,5proz. Cyanol- lösungen mit und ohne Leberauszug, andererseits in ebensolche farblose Lösungen gebracht. Nach 12—14 Std. waren die Infusorien in der Cyanol-Organextraktlösung wieder tadellos gefärbt, dagegen in der Kontrollösung absolut ungefärbt. Die Opalinen in den farblosen Lö- sungen wurden nun auf ihre Innenreaktion mit Neutralrot geprüft?). Es konnte absolut kein Unterschied in der Farbtönung festgestellt werden. Also wird auch keine stärkere H-Ionenkonzentration im Zellinneren an ihrer Färbbarkeit schuld sein. Betrachten wir die bisher angeführten Versuche, so müssen wir sagen, daß sichere positive Schlüsse daraus noch nicht gezogen werden können. Ziemlich gesichert scheint die negative Feststellung, daß eine stärkere H-Ionenkonzentration für die gute Opalinenfärbung mit jenen Säurefarbstoffen nicht verantwortlich gemacht werden kann. Auch wenn man annehmen wollte, daß beim Verweilen in Lösungen mit ÖOrganzusatz nur zeitweise die Zellinnenreaktion sauer sei, so wie in der Nahrungsvakuole von Paramaecium®), so müßte doch der ge- speicherte Farbstoff beim Umschlagen der Reaktion in neutral bis 1) Höber, Biochem. Zeitschr. 60, 146. 1914. 2) Nirenstein, E., Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 199, 298. 1920. 3) Vgl. auch die Rohdeschen Angaben über die Zell-Innenreaktion der Opa- linen. 4) Nirenstein, E.. 1920. 450 W. Hertz: Die Vitalfärbung von ÖOpalina ranarum mit Säurefarbstoffen schwach alkalisch nach der Betheschen Ansicht wieder abgegeben werden, wenn die Zellpermeabilität keine Rolle spielte. Im Gegenteil wird aber der Farbstoff (z. B. Benzoblau) ziemlich lange von Opalinen festgehalten, die nach Übertragung in farblose Ringerlösung noch weitere 24 Std. beobachtet wurden. Weiterhin kann nur die starke Vermutung geäußert werden, daß es sich bei der Anfärbung mit den genannten Säurefarbstoffen um einen aktiven Vorgang von Seiten der Opalinen handelt, der mit der Nahrungs- aufnahme der Tiere zusammenhängt. Es sei nochmals daran erinnert, daß die Opalinen kein Stoma besitzen und die Nahrungsstoffe also wohl durch die ganze Oberfläche aufnehmen müssen. Aufnahme sichtbarer Partikel beobachtete ich nicht!). Als Nahrungsstoffe kommen sehr wahrscheinlich Eiweiß oder eiweißähnliche Stoffe in Betracht. Jedenfalls können auch Eiweißbruchstücke in Frage kommen, die nicht durch Hitze koagulierbar sind. Intensive Nahrungsaufnahme tritt wahrscheinlich nur bei stärkerem Angebot an Nahrungsstoffen ein, so wie es die Infusorien im Froschdarm gewohnt sein mögen. In sehr schwach mit Darminhalt verunreinigter farbiger Ringerlösung findet auch wahrscheinlich keine stärkere Nahrungsaufnahme statt, so daß auch keine Färbungen auftreten. Absolut reine Ringerlösung scheint kein günstiges Medium für diese parasitierenden Infusorien zu sein. Es ist denkbar, daß eine Änderung der einzelnen Salzkonzentrationen eine Besserung in der Haltbarkeit der Opalinen hervorruft. Die teilweise granuläre Bräunung nach 12 Std. wäre vielleicht als eine teilweise Kolloidfällung durch die Salze der Lösung anzusehen’). Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß durch die reine Salzlösung und gar durch das „Waschen“ in dieser Bestandteile der Plasmahaut fortgespült?) werden, wodurch die Zellpermeabilität verändert würde und die Salze, wenn auch langsam, ins Zellinnere dringen könnten, um dort jene Fällungen hervorzurufen. Jedoch sind dieses nur Vermutungen, ohne daß diese Erscheinung noch weiter verfolgt ist. Einfluß der Narkose auf die Vitalfärbung mit den Säurefarbstoffen. Der Einfluß von Narkoticum auf die Vitalfärbung mit Säurefarb- stoffen ist bisher nur von Collander (s.o.) an den Kelchblättern von Hyacintus beiläufig untersucht worden. Für tierische Zellen sind bisher !) Merkwürdig ist, daß bei sehr guten Vitalfärbungen mit Cyanol usw. sehr oft das Vorderende der Tiere fast ungefärbt bleibt, besonders bei den langen Opalinen aus R. esculenta. Bei schwachen Anfärbungen ist zuerst meist das Hinter- ende gefärbt. Vielleicht besteht ein Zusammenhang hiermit und der Beobachtung, daß am Hinterende der Tiere meist eine cilienfreie Stelle sichtbar ist, mit der sich die Opalinen oft aneinander oder an Partikeln festsetzen. Bei basischen Farb- stoffen wurde solche verschieden starke Färbung an ein und demselben Tiere nicht beobachtet. ?) Vgl. Spek, Acta Zoologica 1921, S. 191. ?) Vgl. die Beobachtungen über Hypodynamie beim Herzen; ferner Brinkman und van Dam, Biochem. Zeitschr. 108, 35. 1920. und ihre Beeinflussung durch Narkoticum. 451 keine diesbezüglichen Angaben bekannt. Auf Veranlassung von Prof. Höber versuchte ich nun, die Färbung der Opalinen im isolierten, mit Farblösung gefüllten Froschdarm durch Narkoticum zu beeinflussen. Als Narkoticum benutzte ich Propyl- und Isobutylurethan. Die brauchbare Konzentration für Isobutylurethan ergab sich zu 0,05 bis 0,03 Mol., für Propylurethan 0,14—0,08 Mol. Die Versuche zur Auffindung dieser Konzentrationen wurden aus praktischen Gründen nicht in reiner Ringerlösung, sondern unter Zusatz von filtriertem Leberauszug angesetzt. Insofern haben die Angaben also keinen ab- soluten, sondern nur praktischen Wert. Unter diesen Umständen stellen die Infusorien z. B. bei 0,14 Mol. Propylurethan innerhalb 4—6 Std. ihre Eigenbewegung ein. Es ge- schieht dieses langsam; die Bewegung wird immer schwächer, bis nur noch ein lebhaftes, bei längerer Narkose allmählich ermüdendes Flimmern der Tierchen übrig bleibt. Ihr Aussehen ist trotzdem ganz normal. In diesem Zustand des Flimmerns bleiben die Infusorien 8 bis 11 Std. ungeschädigt. Nach Verweilen von 12—15 Std. in einer Nar- koticumlösung kehrt also die Eigenbewegung der Opalinen bei Übertragung in einfache Ringerlösung mit etwas Leberauszug bald zurück. Oft sind sie schon innerhalb 5—10 Min. wieder normal bewegt, in anderen Fällen dauert es !/,—?/, Std. Narkotisiertt man auch noch das Flimmern fort, so ist die Narkose nach längerer Zeit nicht mehr reversibel. Für den Hauptversuch wurde nur die Hälfte eines Froschenddarmes mit 1 proz. Benzoblaulösung gefüllt und gut abgebunden in einen ver- schlossenen Kolben mit 40 cem Narkoticum-Ringerlösung eingehängt. Benzoblau hatte sich als praktisch erwiesen, da es nicht so diffusibel ist, daß es die Darmwand passieren könnte, andererseits aber sehr schöne Färbungen der Infusorien abgibt!). Die andere Hälfte des Darmes wurde mit Opalinen aus demselben Frosch in ein Schälchen mit etwas lproz. Benzoblau-Ringerlösung gelest. Nach 9—10 Std. waren diese Infusorien wie immer sehr schön gefärbt und lebendig, die narko- tisierten Opalinen dagegen vollkommen ungefärbt. Sie wurden aus dem Darm erst in farblose Narkoticumlösung derselben Konzentration über- tragen, um den Grad der Narkose festzustellen. Es zeigte sich stets ein sehr schönes Bild: der ganze Haufen gut normal aussehender Tier- chen trotz kräftigen Flimmerschlages ganz unbewegt. Die Eigen- bewegung kehrte dann nach wenigen Minuten normal zurück, wenn die Infusorien, wie beschrieben, in narkoticumfreie Lösung gebracht wurden. Öftere Wiederholungen des Versuches ergaben dasselbe Resultat. !) Bei sehr vorsichtiger Behandlung und frischem Material bleibt der Darm auch in Narkoticumlösung 12 Std. vollkommen dicht für den Farbstoff. 452 W. Hertz: Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen Natürlich ging mein Bestreben nun dahin, diese Versuche auch außerhalb des Darmes auszuführen, da dann auch Versuche mit diffu- siblen Farbstoffen, wie Cyanol, ausführbar waren. Die Versuchs- anordnung ergibt sich aus dem vorigen: es wurden 1/,proz. Cyanol- oder Benzoblaulösungen unter Zusatz von filtriertem Leberauszug und Propylurethan (0,14—0,08 Mol.) angesetzt. Salzkonzentration und Menge des zugesetzten Organauszuges war stets gleich gehalten mit der narkoticumfreien Kontrollösung. Nach 13—15 Std. zeigten sich dieselben verblüffend guten Ergebnisse auch mit dem diffusiblen Cyanol, wie sie eben für die Versuche im isolierten Froschdarm mit- geteilt wurden. Bei den niedrigen Propylurethankonzentrationen (0,1 bis 0,08 Mol.) war die Eigenbewegung oft noch schwach erhalten, eine Anfärbung aber meist absolut nicht vorhanden oder nur minimal, während in 0,14—0,12 Mol. Narkoticumlösungen niemals eine Färbung zu sehen war. Erwähnt sei, daß öfters vereinzelte fleckenweise oder stark angefärbte Tiere vorkommen, die sich aber stets als geschädigt herausstellen, z.T. vakuolisiert sind und niemals Reversibilität der Narkose zeigen. Daß endlich Färbung oder Nichtfärbung wirklich von dem Nar- kosegrad der Opalinen und nicht von irgendwelchen anderen Um- ständen abhängen, zeigten mir deutlich zwei Fälle. Nicht alle Opalinen sind, besonders bei den niederen Narkoticumkonzentrationen, gleich schnell und gleich stark beeinflußt. So zeigte sich einmal bei einer Narkose im Darm (0,1 Mol. Propylurethan) und einmal außerhalb desselben (0,08 Mol.) eine Opaline, die nach 9 Std. noch recht lebhaft und sehr gut gefärbt in der farblosen Narkoticumlösung, in die ich sie übertragen hatte, herumschwamm, während alle übrigen Tierchen nur sehr langsam oder gar nicht bewegt und ganz ungefärbt waren. Sehr verlockend war es nun im Hinblick auf die Ergebnisse E&. Niren- steins an Paramaecien, die Färbbarkeit der Opalinen mit diamylamın- löslichen Säurefarbstoffen und ihre Beeinflussung durch Narkotica zu untersuchen. Es gibt nämlich eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Säurefarbstoffen, die in ähnlicher Weise ‚„lipoidlöslich‘“ sind, wie die basischen Farbstoffe, und diese selben Säurefarbstoffe sind im Gegen- satz zu den übrigen anscheinend gerade so zur generellen Färbung tierischer Zellen geeignet, wie die basischen Farbstoffe, wie wohl aus Nirensteins Gegenüberstellung der relativen Löslichkeit in seinem oben schon einmal erwähnten Gemisch aus Öl, Ölsäure und Diamyl- amin und ihrer Fähigkeit zur Vitalfärbung hervorgeht. Die Färbung mit diesen Säurefarbstoffen wäre natürlich als ein rein passiver Vor- gang aufzufassen. Ich verwendete Tuchscharlach G, Tuchrot 3G A und Tropaeolin 000/2 (Merck). und ihre Beeinflussung durch Narkoticum. 453 . | Farbstoff Ä en Teeleng | Grad der Färbung Tuchscharlach G 0,005 Pl | gut Tuchrot 3 G A 0,015 1—2!/, | deutlich, aber schwach Tropaeolin 000/2 (Merck) 0,04 1—2!/, | deutlich, aber schwach Die beiden ersten Farbstoffe, besonders Tuchrot, sind schwer löslich in Wasser und fallen bei Salzzusätzen leicht aus. Die wässerigen Lösungen wurden daher stark erwärmt und vor jedem Versuch frisch hergestellt. Sie wurden dann zu gleichen Teilen mit Ringerlösung vermischt!). Die Ringerlösung wurde möglichst spät zu der Farblösung hinzugegeben. Die Opalinen zeigen keinerlei verändertes Aussehen in solchen Lösungen?). Die obige Tabelle gibt die Färbeergebnisse an normalen frischen Opalinen in reiner „!/,-Ringerlösung‘ an. Ein Zusatz von Leberauszug hat keinen Einfluß auf die Färbungsgeschwindig- keit oder Stärke auch bei langer Versuchsdauer. Um den Einfluß von Narkoticum auf diese Vitalfärbung fest- zustellen, wurden Opalinen in farbloser Ringerlösung mit Organzusatz in üblicher Weise narkotisiert. Nach 5—12 Std. übertrug ich sie dann in die reinen Farblösungen mit der gleichen Narkoticumkonzentration und „*/s-Ringerlösung‘“, die Kontrolltiere (aus dem gleichen Darm) in die entsprechende Lösung ohne Narkoticum. Nach 1—3 Std. in farblose Lösung zurückgebracht und unter zwei nebeneinanderstehenden Mikroskopen verglichen, zeigten narkotisierte und Kontrolltiere absolut gleiche Färbungsstärken. Die Narkose war stets reversibel. Die Ver- suche zeigten eindeutig 1., daß die erprobten diamylaminlöslichen Säurefarbstoffe im Gegensatz zu den unlöslichen auch in gewöhnlicher physiologischer Salzlösung ohne organische Zusätze in nicht langer Zeit Opalinen deutlich färben; 2., daß diese Färbung durch Narkoticum nicht geschwächt oder verzögert wird. In derselben Weise wie bei den diamylaminlöslichen Säurefarb- stoffen wurde nun schließlich die Beeinflussung der Vitalfärbung mit basischen Farbstoffen geprüft. Schon narkotisierte Opalinen wurden zu gleicher Zeit mit den Kontrolltieren in die reinen Farb-Ringer- lösungen mit und ohne Narkoticum gebracht und die schnell eintretenden Anfärbungen wie oben verglichen. Zur Verwendung kamen: Neutralrot 0,0005 —0,001°/,; Methylgrün 0,0005 —0,01°/,, lipoidunlöslich nach Ruhland und Höber; ölsäure-diamylaminlöslich nach Nirenstein®); 1) Solche Lösungen sind fernerhin als ‚„!/,-Ringerlösung‘‘ bezeichnet. 2) Dagegen quellen Opalinen in destilliertem oder Leitungswasser in V, Std. auf und zeigen nach einer Stunde kaum noch Eigenbewegung. 3) Nirenstein, 1. c. S. 315. Tab. V. 454 W. Hertz: Die Vitalfärbung von Opalina ranarum mit Säurefarbstoffen Rhodamin B 0,02°/,, sehr diffusibel; Nachtblau 0,001°/,, hochkolloidal. Es ergab sich wieder, daß im wesentlichen das Narkoticum keinen Einfluß auf Anfärbungsgeschwindigkeit und Farbspeicherung hat. Mit Methylgrün zeigten sich fast nie Unterschiede. Nur einige Male war die Farbintensität bei den Opalinen in beiden Lösungen zwar gleich, aber die Kontrolltiere erschienen etwas bläulicher als die mehr grünen narkotisierten Opalinen. Indicatoreigenschaften hat Methylgrün nicht; auch bei Reduktion mit Traubenzucker wird es nur entfärbt. Der Grund der Farbänderung konnte also nicht fest- gestellt werden. Mit Rhodamin gab es niemals irgendwelche Unter- schiede in Zeit oder Intensität der Anfärbung. Da eine 0,02 proz. Farblösung sehr stark gefärbt erscheint, mußte nach einigen Minuten die Lösung im Schälchen bis auf einen kleinen Tropfen abgesogen werden, um den Anfärbungsgrad der Opalinen zu vergleichen. Auf diese Weise erscheinen die Tiere schön gefärbt gegen die in dieser Schichtdicke farblos aussehende Lösung. Gibt man dann unter dem Mikroskop farblose Ringerlösung in das Schälchen, so sieht man sehr schön, wie die Infusorien erst noch einige Augenblicke gefärbt bleiben, dann aber sehr schnell ganz abblassen bis auf eine minimale Granulafärbung. Auf diese Weise erklärt es sich, daß ich bei Übertragung von Opalinen aus Rhodamin in farblose Lösungen zuerst niemals gute Färbungen erhielt. Das rasche Verschwinden des Rhodamins aus dem Opalinen- plasma wird wohl eher auf seiner Diffusibilität als auf seiner Zerstörung beruhen, da es durch Traubenzucker nicht reduziert wird. Nach An- gaben von Overton!) und Ruhland?) soll es allerdings langsamer als andere basische Farbstoffe eindringen. — Wegen der geringen Wasser- löslichkeit und der großen Elektrolytempfindlichkeit wurde Nachtblau in Äthylalkohol gelöst (0,002 g in 3 cem), in 100 cem Wasser eingetropft und die Lösung wieder zu gleichen Teilen mit Ringerlösung gemischt?). Die Giftigkeit des Farbstoffes schrieb kurze Versuchsdauer vor (10 Min.). In dieser Zeit färben sich die Opalinen aber sehr gut ohne Schädigung und ohne Beeinflussung durch Narkose. — Am unklarsten und ver- schiedensten fielen die Versuche mit Neutralrot aus. Hier spielt die Indicatoreigenschaft des Farbstoffes eine Rolle und macht den Ver- gleich oft unmöglich. Aber die Reaktionsverhältnisse lassen keine Regelmäßigkeit erkennen. Schon die Kontrolltiere sind unter sich ganz ungleich gefärbt. Viele bleiben während 45 Min. und länger nur orange bei gleich guter Beweglichkeit, wie die stärker rot gefärbten. Ebenso zeigen die narkotisierten Opalinen einmal etwas rötlicheren, 1) Overton, Jahrb. f. wiss. Bot. 34, 669. 1900. ?) Ruhland, Jahrb. f. wiss. Bot. 46, 1. 1908. 3) Die geringen Mengen Alkohol hrben keinen Einfluß auf die Opalinen. “und ihre Beeinflussung durch Narkoticum, 455 einmal etwas gelblicheren Farbton. Ein Zusammenhang mit dieser Erscheinung und der Narkosezeit konnte nicht erbracht werden. Meist waren also die Kontrolltiere gleich orange gefärbt wie die narkotisierten; bei den ersteren kamen jedoch häufiger Opalinen vor, die stärkere Rotfärbung aufwiesen, besonders infolge stärkerer Farb- speicherung in den Granulis. Ein eindeutiges Resultat ließ sich mit Neutralrot nicht erzielen. — Trotzdem darf im ganzen gesagt werden, daß Narkoticum auch auf die Vitalfärbung mit basischen Farbstoffen keinen Einfluß hat. Die Theorien der Vitalfärbung. Wie verhalten sich diese Ergebnisse zu den Theorien der Vital- färbung? Es sei zunächst auf die schon angeführte Theorie Bethes eingegangen, nach der alle Zellen auch für Säurefarbstoffe gut permeabel sind, und nach der über eine sichtbare Speicherung innerhalb der Zellen die Reaktion im Zellinneren entscheidet. Die vorliegenden Ver- suche zeigen demgegenüber keinen engeren Zusammenhang der Vital- färbung mit der H-Ionenkonzentration im Zellinneren der Opalinen. Weder ein Zusatz von Organen oder organischen Präparaten zu den Farblösungen, noch die Narkose scheinen die Zellinnenreaktion wesentlich und eindeutig zu beeinflussen, obwohl sie die Anfär- bung aufs stärkste verändern. Am ersten könnten noch die schwan- kenden Ergebnisse an narkotisierten Opalinen mit Neutralrot zu- gunsten der Betheschen Theorie sprechen. Es ist aber gegenüber den verschiedenen Resultaten mit Neutralrot die absolute Einheit- lichkeit der Ergebnisse mit diamylaminlöslichen und -unlöslichen Säurefarbstoffen, sowie den drei anderen basischen Farbstoffen her- vorzuheben. Auch erklärt die Theorie den großen Unterschied zwischen diamylaminlöslichen und -unlöslichen Säurefarbstoffen in Färbung und im Verhalten gegenüber narkotisierten Opalinen keines- wegs. Daher dürfte wohl ein so entscheidender Einfluß der H-Ionen- konzentration auf die sichtbare Farbstoffaufnahme, wie die Theorie ihn fordert, wenigstens für die vorliegenden Versuche nicht in Frage kommen. Auch die Haftdrucktheorie Traubes kann nicht zur Erklärung der Vitalfärbung an Opalinen herangezogen werden, wenigstens soweit es sich um einen Vergleich mit den Messungen der Oberflächenaktivität für die Grenzfläche Wasser—Luft handelt. Vergleicht man die stalagmo- metrischen Messungen Collanders in Tabelle I seiner angeführten Arbeit, so findet man z.B. für Cyanol und Tuchscharlach dieselbe Tropfen- zahl, obwohl diese Farbstoffe gegenüber Opalinen ein ganz verschie- denes Verhalten zeigen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. =30 456 W. Hertz: Die Vitalfärbune von ÖOpalina ranarum mit Säurefarbstoffen Die schon zur Genüge von anderer Seite!) widerleste Ultrafilter- theorie Ruhlands kann auch hier keine Stütze finden. Man beachte etwa die guten Färberesultate mit dem kolloiden Nachtblau und Tuch- scharlach und die in reiner Ringerlösung negativen Resultate mit dem diffusiblen Cyanol. Dagegen stützen die vorliegenden Versuche gut die Ansicht Höbers, daß es sich bei den wenigen Zellen, die sich mit diamylaminunlöslichen Farbstoffen färben, um einen aktiven Vorgang handelt. Bei Opalinen wird dieser wahrscheinlich nur durch bestimmte organische Zusätze zu den physiologischen Salzlösungen hervorgerufen und ist narkoti- sierbar. Demgegenüber ist dann die Vitalfärbung mit diamylamin- löslichen sauren und mit basischen Farbstoffen als ein rein physikalischer (oder chemisch -physikalischer, falls Salzbildung in Frage kommt) Vorgang anzusehen, der nicht vom Funktionszustand der Zelle abhängt und dem- gemäß auch nicht narkotisierbar ist. Mit den Resultaten stimmt auch die modifizierte Lipoidtheorie Nirensteins sehr gut überein. Danach geht ja die Vitalfärbung von Paramaecium der Ausschüttelbarkeit des Farbstoffes durch das Ölsäure-Diamylamin-Gemisch aus der wässerigen Lösung ausnahmslos parallel. Soweit die von mir benutzten Farbstoffe in Betracht kommen, bestätigen meine Versuche voll- kommen die Ansichten Nirensteins, wobei wohl auch auf die große Verwandtschaft der untersuchten Objekte hingewiesen werden muß. Die Färbungen mit diamylaminunlöslichen Farbstoffen fallen dann also ganz aus dem Rahmen dieser Theorie heraus durch die besonderen Bedingungen, die ihre Aufnahme in die Infusorienzellen vorschreiben, und sind einstweilen erklärt mit der erwähnten Höberschen Hypothese. Zusammenfassung. Opalinen färben sich mit diamylaminunlöslichen Säurefarbstioffen außerhalb des Froschdarmes in Ringerlösung nur bei Zusätzen von bestimmten organischen Substanzen. Hierfür kommen wahrscheinlich Eiweiß oder eiweißähnliche Körper in Betracht. Die erwähnte Färbung ist durch Narkoticum vollständig zu hemmen. Dagegen färben sich die Infusorien auch in reiner Ringerlösung in nicht langer Zeit mit diamyl- aminlöslichen sauren und basischen Farbstoffen. Diese Färbung ist durch Narkoticum nicht zu hemmen oder anderweitig zu beeinflussen. Nur bei Neutralrot konnte wegen der Indicatoreigenschaft des Farb- stoffes kein sicheres Resultat erzielt werden. Auch die Reaktionsver- hältnisse im Zellinnern ergaben kein einheitliches Bild. Es kann somit der H-Ionenkonzentration im Zellinnern für die vorliegenden Versuche 1) R. Höber, Physikal. Chemie der Zelle u. der Gewebe, 5. Aufl., S. 522; Nirenstein, 1. c. S. 327; Collander, 1. c. S. 397. und ihre Beeinflussung durch Narkoticum. 457 nicht der Einfluß auf die Vitalfärbung eingeräumt werden, wie ihn die Bethesche Theorie fordert. Dagegen berechtigen die erprobten Bedingungen, unter denen Opalinen diamylaminunlösliche Säurefarb- stoffe aufnehmen und die Hemmung dieser Färbung durch Narkoticum sehr wohl zu der Höberschen Annahme, daß es sich hier um einen aktiven Zellvorgang handelt, der noch nicht näher geklärt ist. Mit dieser Vor- stellung und den übrigen Ergebnissen mit diamylaminlöslichen sauren und mit basischen Farbstoffen steht auch die modifizierte Lipoid- theorie Nirensteins im besten Einklang. Zum Schluß möchte ich meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. R. Höber auch an dieser Stelle noch einmal recht herzlich danken für die überaus freundliche Anleitung und das lebhafte In- teresse, das er der vorliegenden Arbeit stets entgegenbrachte. 30* Kurze Mitteilung. Entgegnung auf R. H. Kahns Kritik der Arbeit „Der Klammer- reilex nach Sympathieusexstirpation“. Von E. A. Spiegel und E. Sternschein. (Aus dem neurologischen Institut der Wiener Universität.) (Eingegangen am 13. September 1922.) Als wir beim Erscheinen unserer Arbeit „Der Klammerreflex nach Sympathicusexstirpation‘t)in dem gleichen Heft des Pflügerschen Archivs eine Mitteilung von R. H. Kahn?) über ‚Zustand und Innervation der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Um- klammerung‘“ fanden, konnten wir mit Befriedigung feststellen, daß unsere Resultate in guter Übereinstimmung mit denen des ausgezeichneten Pra- ser Physiologen standen. Waren wir zu dem Schlusse gelangt, daß der efferente Schenkel des Klammerreflexes des brünstigen Frosches nicht über den Grenzstrang verlaufe, so hatte Kahn seine Untersuchung über diese Frage dahin zusammengefaßt, daß ‚die die Innervation der Um- klammerungsmuskeln besorgenden Nervenfasern ... ohne Beteiligung sympathischer nervöser Elemente‘ verlaufen. Um so mehr muß es in Erstaunen setzen, daß derselbe Autor sich zu einer Kritik unserer Untersuchungen im Band 195 des Pflügerschen Archivs S. 366 veranlaßt sieht. Kahn muß zwar zugeben, daß unser oben angeführter Schluß richtig sei, da er ja zu demselben Ergebnis gekommen war. Er meint aber, daß wir zur Aufstellung dieses Schlusses nicht berechtigt seien, da unsere Untersuchungen ‚methodisch so unvollkommen seien, daß aus ihnen für oder wider eine sympathische Innervation der Umklammerungsmuskeln gar nichts hervorgehe“. Zwei Einwände sind es,-aus welchen Kahn sein Urteil ableiten zu können glaubt. Er wendet sich zunächst gegen die Methoden, die wir zur Kontrolle der Sympathicusexstirpation anwendeten. Wie er selbst zitiert, haben wir hierzu den mikroskopischen Nachweis der exstirpierten Ganglien und die Veränderungen an den !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 192, 115. 1921. ?®) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 192, 93. 1921. E. A. Spiegel u. E. Sternschein: Entgegnung auf R. H. Kahns Kritik usw. 459 Gefäßen der operierten Extremität verwendet. Wir hätten nach Kahn die Ver- engerung der Pupille auf der Seite der Operation übersehen. Wenn wir dieses Symptom nicht registriert haben, so geschah dies, weil es keineswegs als Kriterium der gelungenen Ausschaltung der sympathischen Innervation einer Extremität gelten kann. Die Miosis auf der Seite der Operation beweist doch nur, daß sympathische Fasern an irgendeiner Stelle zwischen Grenzstrang und Auge verletzt worden sind. Es ist durch ihre Beobachtung in keiner Weise der Beweis erbracht, daß die Durchtrennung gerade an der Stelle erfolgte, wo die zum Auge ziehenden Fasern mit den die Extremität versorgenden gemeinsam verlaufen oder weiter peripherwärts. So kann denn die von Kahn besonders hervorgehobene Miosis höchstens in Begleitung mit anderen Erscheinungen als Beweis der ge- lungenen Ausschaltung der sympathischen Innervation einer Extremität gelten. Hierüber finden wir nun in Kahns eigener Arbeit sehr spärliche Angaben. Ob eine anatomische Kontrolle der Operation regelmäßig erfolgte, wird von Kahn nicht erwähnt. Daß aber eine solche Kontrolle nicht ganz unnötig sei, geht wohl aus des Autors eigener Darstellung solcher Fälle seiner Beobachtung hervor, in denen die Tiere ‚im Laufe der ersten Tage (nach der Sympathicusexstirpation) den künstlich auslösbaren Ergreif- und Haltereflex der Finger, sowie die ‚Lust‘ zur Um- klammerung‘‘ verloren. Wenn wir bei allen operierten Tieren, bei welchen wir uns vom Gelingen der Ausschaltuug der sympathischen Innervation der Extremität durch die mikroskopische Kontrolle der exstirpierten Ganglien und durch die Unter- suchung der Änderung der Zirkulation an der operierten Extremität überzeugten, die Umklammerung auf der Seite des Eingriffs gleich stark wiederfanden wie auf der Gegenseite, so müssen wir es einer unbefangenen Kritik überlassen, gegen wen der Vorwurf der größeren methodischen Unvollkommenheit gerichtet werden kann. Was die Beobachtung der Gefäßveränderung an der operierten Extremität anlangt, so mußten wir an jenen rudimentären Schwimmhautbildungen, die auch an der Vorderpfote vorhanden sind, Gefäße zu finden trachten, um Änderungen der Zirkulation gegenüber der operierten Seite feststellen zu können. Kahn hält hierzu folgende Bemerkurg für notwendig: Die „Frösche“ von Spiegel und Sternschein hatten also an den vorderen Extremitäten Schwimmhäute (das Anführungszeichen stammt vom Autor). Wir verzichten, im Tone des Herrn Prof. Kahn auf diese Be- merkung zu erwidern; sie charakterisiert wohl genügend die Mentalität der ganzen „Kritik“. Es sei nur auf die Anatomie des Frosches von Ecker- Wiedersheim-Gaupp (II. Auflage, Braunschweig 1904, III. Abteilung, S. 453 und Ab. 98, 99) verwiesen, wo das Vorkommen von Schwimmhäuten an den vorderen Extremitäten in Form von schmalen Hautsäumen sowohl bei Rana esculenta, als auch bei der von uns untersuchten Rana fusca beschrieben und abgebildet ist. Der zweite Vorwurf, den Kahn gegen uns erhebt, betrifft die Art der Prüfung der operierten Tiere, er meint, uns sei der Unterschied zwischen der Umklammerung aus tetanischer, alterativer Innervation der Armmuskeln und dem ruhigen, to- nischen, dauernden Verkürzungs- bzw. Spannungszustand, der „Sperre“ der um- klammernden Muskeln gar nicht klar geworden, bei den von uns zur Prüfung ver- wendeten Maßnahmen habe der Umklammerungsreflex in tetanischem Festhalten des Weibchens bestanden, es wäre dagegen von uns zu untersuchen gewesen, ob die Tiere spontan umklammerten, ob sie in ruhiger, ungestörter Umklammerung tage- lang verharrten, ob sich hier etwa ein Unterschied zwischen links und rechts zeigte. Sogar die Lektüre der Arbeit Kahns (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 192) habe den einen von uns (Sp.) noch nicht belehrt, da er in einer weiteren Mitteilung (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 7) die Gleichartigkeit der von ihm und Sternschein erhobenen Befunde mit denen Kahns erwähne. 460 E.A. Spiegel u. E. Sternschein: Entgegnung auf R. H. Kahns Kritik Was die Auffassung des einen von uns über den Begriff des Muskeltonus anlangt, so braucht nur gerade auf die von Kahn angeführte Mitteilung (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 11) verwiesen zu werden, wo der Tonus als ein Spannungszustand definiert wird, der eine bestimmte Haltung der dem Muskel zur Insertion dienenden Skeletteile bedingt und so lange andauert, als dieselben unbewegt bleiben, und wo weiter ausgeführt wird, inwiefern Haltungsänderungen als Zeichen für Änderungen des Muskeltonus verwendet werden können. Bezüglich der von uns angewendeten Prüfung des Klammerreflexes wird wohl jedem, der verstehen will, aus unserer Beschreibung klar werden können, daß wir auch das ruhige, dauernde Umklammerthalten des Weibchens beobachtet haben. Sogar Herr Professor Kahn wird zugeben müssen, daß man nur dann den Versuch unternehmen kann, einen Zustand aufzuheben, wenn dieser überhaupt vorhanden ist. Wenn wir also ein Bild von dem Widerstand zu gewinnen trachteten, welchen die klammernde Muskulatur nach der Operation entfaltete, so konnte das selbstverständlich erst geschehen, wenn einmal das Männchen auf einem Weibchen, es umklammernd, saß. Für den, der das nicht einsieht, sei aus- drücklich hervorgehoben, daß wir auch das andauernde Umklammerthalten des Weibchens wie an normalen Fröschen beobachteten. Daß jede Änderung dieses Zustandes tetanische Kontraktionen auslöst, ist ohne weiteres zuzugeben, das Ver- halten der Tiere gegenüber der Änderung der Belastung haben wir auch gar nicht untersucht, sondern den Widerstand, den sie einer gleichbleibenden Dauerbe- lastung entgegensetzen. Wenn wir beschrieben, daß wir das Männchen, während es ein Weibchen umklammerte, an den Beinen in die Höhe hielten, so liegt im Be- griff des Haltens die Beschreibung eines Dauerzustandes; solange die Vorderarm- muskulatur des Männchens der gleichmäßige Zug durch das Gewicht desangehängten Weibchens trifft, ist eine Dauerkontraktion gegeben, welche gegenüber der mit einer Zustandsänderung einhergehenden, durch alterative Innervation bedingten wohl als tonisch zu bezeichnen ist. Ebenso ist bei unserem Versuch, einen Keil zwischen dem Weibchen und dem darauf sitzenden Männchen einzuschieben, die selbstverständlich notwendige Vor- aussetzung, daß das Männchen vorerst überhaupt das Weibchen umklammert hält. Im Moment des Einschiebens des Keils werden gewiß tetanische Kontraktionen ausgelöst. Solange aber derselbe ruhig liegen bleibt, hat die Klammermuskulatur einem konstanten Zug Widerstand zu leisten, man hat also wohl das Recht, auch diesen Versuch als eine Prüfung der tonischen Komponente des Klammerreflexes anzusehen. Wir müssen gestehen, daß wir die Anstellung unserer Versuche, welche den Widerstand der kontrahierten Umklammerungsmuskulatur gegen dauernde Belastung prüfen sollten, als durchaus notwendig, die bloße Beobachtung, daß die Froschmännchen nach der Sympathicusexstir- pation einer Umklammerung überhaupt fähig sind, mit der allein sich Kahn schon zufrieden gab, für unzureichend halten. Der bloße Nachweis, daß der Klammerreflex nach Ausrottung der Pars brachialis des Sympathicus erhalten bleibe, gestattet den Einwand, daß der effe- rente Schenkel dieses Reflexes über das Axon der motorischen Vorder- hornzelle und über den Grenzstrang verlaufe; erst wenn nachgewiesen wird, daß nach der Sympathicusexstirpation auch die Stärke der to- nischen Verkürzung nicht abgenommen hat, kann ausgeschlossen werden, daß über den Grenzstrang verlaufende Impulse am Zustandekommen der Arbeit „Der Klammerreflex nach Sympathieusexstirpation“. 461 dieser Contractur beteiligt sind. Über diesen Nachweis, der nur durch Untersuchung des Verhaltens einseitig operierter Tiere gegenüber Dauerbelastung erbracht werden kann, vermissen wir in der Untersuchung des verehrten Herrn Kritikers jede Bemerkung. Er begnügt sich mit der Feststellung, daß doppelseitig operierte Tiere ‚‚die Verstärkung der Umklammerung bei Lösungsversuchen“ zeigten. Doch möchten wir darum an seine Untersuchungen nicht jenes Maß anlegen, das von ihm bei Beurteilung unserer Arbeit verwendet wurde. Berichtigung zu der Abhandlung ‚Über den Parallelitätseindruck“. Von Ernst Gellhorn und Ernst Wertheimer. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 194, 535. 1922. Der Versuch, welcher der Abb. 9, S. 549 zugrunde liegt, hat ver- sehentlich eine irrige Deutung erfahren. Aus der Tatsache, daß die Feh- lerkurve bei Stellung der Ebene der Kreisscheiben von links vorn nach rechts hinten umgekehrt verläuft wie bei Stellung der Ebene der Kreis- scheiben von rechts vorn nach links hinten — in diesen Versuchen dient der Durchmesser der vorderen Kreisscheibe als Reizlinie —, folgt, wie eine einfache Überlegung zeigt, daß der Parallelitätseindruck in beiden Fällen unter den gleichen Bedingungen eintritt. Steht also die Ebene der Kreisscheiben in einem Winkel von 45° zur Frontalebene und bildet die Reizlinie einen Winkel von 0—90° mit der Vertikalen, so scheinen nach oben konvergierende Grade parallel zu sein. Bei weiterer Drehung der Reizlinie von 90—180° ist aber der Parallelitäts eindruck an die Konvergenz der Geraden nach unten gebunden. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Frankfurt a. M.) Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blau- säurewirkung. Von Werner Lipschitz. (Ausgeführt mit Unterstützung der Oskar Löw-Beer-Stiftung der Senckenbergi- schen Naturforschenden Gesellschaft). Mit 8Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Juni 1922,) In früheren Untersuchungen!) wurde die Tatsache des Eingreifens der aromatischen Nitrogruppe in den physiologischen Atmungs- und Gärungsmechanismus unter gleichzeitigem reduktiven Übergang in die ß-Phenylhydroxylamingruppe festgestellt und aus vielfältigen Einzelbeobachtungen auf korrelative Oxydationsvorgänge in den Zellen geschlossen. Diese Beobachtungen fügten sich zwanglos in die von Dredig?) und besonders von H. Wieland?) ausgesprochene Dehy- drierungstheorie, nach der die katabolischen, zu einer Entbindung von freier Energie und Bildung von CO, führenden Stoffwechselprozesse nicht auf echter Oxydation, d.h. Übertragung von Sauerstoff, beruhen, sondern auf Dehydrierung, d.h. Aktivierungund Wanderung von Wasser- stoff. Es ließ sich weiterhin die biologische Reduktion von m-Dinitro- benzol zu dem gelben m-Nitrophenylhydroxylamin als Prinzip einer sehr einfachen und empfindlichen vergleichend-quantitativen Methode zur Messung der Atmungs- oder Gärungsgeschwindigkeit benutzen, bei der also statt der Sauerstoffzehrung oder der Kohlensäureproduktion der intermediär entstehende Wasserstoff bestimmt wurde. Diese kolo- metrische Meßmethode erwies sich der so vielfach angewandten Me- thylenblau-Entfärbungsmethode®) sowohl prinzipiell als in der Hand- habung überlegen. Sie ist unterdessen auch von anderer Seite 1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 109, H. 5. 1920; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol- 183, 275. 1920; Med. Klinik. 1920, Nr. 49; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 1, 33,51. 1921; Klin. Wochenschr. 1, Nr. 1, 33. 1922; Arch. exper. Path. u. Pharm. 92%, S. XXVI. i 2) Zeitschr. f. physikal. Chem. %0, 34. 1910. 3) Ber. d. dtsch. Chem. Ges. 46, 3327; 47, 2085; 54, 2353. 1921. *) Skandin. Arch. 35, 165. 1918; 40, 1. 1920; 41, 1. 1921. Pflügers Archiv f.d. ges. Physiol. Bd. 196. 31 464 W. Lipschitz: [W. R. Hess!)] dem Studium von pathologisch veränderten Zellprozessen (Avitaminose) mit Erfolg dienstbar gemacht worden. Die mit dieser Methode von Hess gewonnenen Ergebnisse führten zu der Erkenntnis, daß die katabolischen Zellprozesse von an alimen- tärer Dystrophie leidenden Tauben herabgesetzt sind, und decken sich mit den Respirationsversuchen von Abderhalden?). Darüber hinaus ist Hess zu der Vermutung gelangt, daß die Ursache für diese Atmungsver- minderung -auf einer Schädigung des Atmungsfermentes beruhe, und hat die Avitaminose der Tauben durch schwache Blausäurevergiftung zu imi- tieren versucht, mit dem Erfolg, daß die Tauben tatsächlich ganz ähnliche Erscheinungen zeigten, wie sie bei der Avitaminose beobachtet werden. Die weitere eigene Prüfung der Dinitrobenzol-Methode an atmenden Froschmuskelzellen führte im folgenden zu dem gewünschten Ziel, nämlich. der möglichst lückenlosen Eingliederung des Reduktionsprozesses zwi- schen die bisher bekannten Tatsachen der Zellatmung, speziell zur Auf- findung einer quantitativen Beziehung zu der aeroben Sauerstoffzehrung und CO,-Produktion. Diesem Zwecke dienten einmal absolut quantitative Messungen des Dehydrierungswasserstoffes und zweitens die Feststellung, daß die Nitroreduktion den korrelativen de- hydrierungsartigen Abbau per Zellnahrungsstoffe zum Teil bis zu CO,, ihrem Endprodukt, führt. Dieser Befund findet eine gewisse Parallele in der von ©. Warburg?) kürzlich an der Grünalge Chlorella pyrenoidea Chick. gemachten Be- obachtung, daß der Reduktion von Salpetersäure eine Bildung von sog. Extrakohlensäure entspricht, die mit keinem Verbrauch von Luft- sauerstoff zusammenhängt. Allerdings macht der Umstand, daß sich in den ersten Stunden mehr als 2 Mol. Extrakohlensäure pro Mol. zu NH, reduzierter Salpetersäure bilden, den Vorgang undurchsichtiger; offenbar verflechten sich hier Stickstoff und Kohlensäure betreffende Assimilationsvorgänge, Atmungs- und Reduktionsvorgänge in nicht leicht abzugrenzender Weise miteinander. Immerhin schließt Warburg aus seinen Versuchen, daß jedenfalls ein Atom der Salpetersäure ver- atmet werden kann wie freier Sauerstoff, wobei Nitrit entsteht; dabei ist jedoch bemerkenswert, daß diese Reduktion zu Nitrit durch Blau- säure nicht gehemmt wird, umgekehrt aber die Reduktion zu Ammoniak unter CO,-Bildung 20 000 mal empfindlicher gegen HCN ist als die Sauer- stoffatmung und 20 mal empfindlicher als die Kohlensäureassimilation. Der Sauerstoffatmung, Nitratreduktion zu Nitrit und Nitratreduktion zu Ammoniak liegen also wohl verschiedene Mechanismen zugrunde. Glücklicherweise stellen sich im Falle der Nitroreduktion durch die differenziertere Muskelzelle die Verhältnisse etwas einfacher dar. t) Zeitschr. f. physiol. Chem. 11%, 284. 1921. :) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. viele Bände 1920—1922. 3) Biochem. Zeitschr. 110, 66. 1920. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 465 Nachdem schon früher H. Wieland!) gezeigt hatte, daß die katalytische Dehydrierung von Traubenzucker mittels Palladium und ebenso die biologische durch das Ferment der Essigsäurebakterien bei Gegenwart von Methylenblau bis zum Endprodukt geleitet werden könne, ist nunmehr auch für die Zellen höherer Tiere erwiesen, daß eine anaerobe — nicht carboxylaseartige — Bildung von Kohlensäure prin- zipiell möglich ist bei Gegenwart geeigneter Wasserstoffacceptoren. Damit ist auch der Begriff der ‚„Pseudoanoxybiose‘ festgelegt, der be- sagt, daß die energieliefernden Stoffwechselprozesse und die damit verbundenen mechanischen Funktionen auch der Zellen höherer Tiere ohne Luftsauerstoff bei Gegenwart von Wasserstoffacceptoren erhalten werden können?) — vgl. die alte Theorie vom Reservesauerstoff! Die Möglichkeit, den aktivierten Wasserstoff, resp. das durch Re- duktion gebildete Nitrophenylhydroxylamin nunmehr quantitativ gleichzeitig mit der gebildeten CO, zu bestimmen, gestattete die Er- weiterung des Begriffes vom respiratorischen Quotienten. Bisher wurde eine Änderung des respiratorischen Quotienten stets nur bei Änderung des verbrennenden Substrats beobachtet und umgekehrt von einer Ver- änderung des respiratorischen Quotienten auf eine Änderung der Stoff- wechselvorgänge geschlossen, z. B. Übergang von Kohlenhydrat- in Fettverbrennung. In neuester Zeit hat weiter Meyerhof?) gezeigt, daß bei Schädigung oder Partialvergiftung von Zellen (durch Natrium- tluorid) sich der respiratorische Quotient auch ohne Wechsel der ver- brennenden Substanz verändern kann, nämlich indem die Reaktions- geschwindigkeiten von aufeinanderfolgenden Stufen der Oxydation Bernsteinsäure ar Fumarsäure = Kohlensäure sich gegenein- ander verschieben. Daher konnte er mit wachsender Fluorid- konzentration durch Vergiftung und Hemmung des Vorganges I eine relativ wachsende Oxydationsgeschwindigkeit des fluoridbeständigen Vorganges II und damit eine Vergrößerung des respiratorischen Quo- tienten von O0 auf 0,8 erreichen. Aber auch dieser Vorgang bedeutet im Grunde ja einen Wechsel des verbrennenden Substrates unter Bei- behaltung desselben Verbrennungsmittels. Die Verwendung endlich von Methylenblau zur Atmungssteigerung von erhitzten Acetonkokken?) oder von zerkleinertem Froschmuskelgewebe?) ergab den gleichen 2) loc. eit. 2) Lipschitz, Med. Klin. 1920, Nr. 49; Lipschitz und Hertwig, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 5l. — H. Braun und Cahn-Bronner bez ichnen die gl iche Erscheinung beim Bac. pyocyaneus, der, an sich streng anaerob, seine Lebens- energie auch durch Nitratreduktion gewinnen kann, ganz analog als „Schein- anaerobiose“. Zentralbl. f. Bakt. I, Bd. 86, H. 5, 380 (1921). 3) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%5, 46. 1919. *) Ebendort 169, 118. 1917. >) Ebendort 175, 34. 31* 466 W. Lipschitz: respiratorischen Quotienten wie die ohne Methylenblau verlaufenden Oxydationsvorgänge; also trat auch in diesem Falle kein Wechsel des Verbrennungsmittels (Luftsauerstoff) ein, ein Beweis dafür, daß der Farbstoff nicht als Wasserstoffacceptor funktionierte, sondern als Katalysator wirken kann, und daß die Thunbergsche Methylenblau- methode zur Erforschung des Mechanismus von Fermentvorgängen mit diesem prinzipiellen Mangel behaftet ist, worauf schon früher ein- gegangen wurdet). Eigene orientierende Versuche haben sogar weiter gezeigt, daß die Entfärbung von 0,50/,,iger Methylenblaulösung durch atmende Muskel- zellen wohl mit ihrer Reduktion einhergeht, daß die Entfärbungs- geschwindigkeit der Lösung aber nicht völlig identisch ist mit der Ge- ‘ schwindigkeit der reduktiven Überführung des Farbstoffs in die Leuko- verbindung. Während nämlich die durch chemische Agenzien, z.B. Palladiumwasserstoff, reduzierte Lösung sich bei Abfiltrieren in Be- rührung mit Luftsauerstoff äußerst schnell reoxydiert und wieder bläut, kann man die durch die Muskelzellen fast farblos gewordene Methylenblaulösung abfiltrieren und mit Luftsauerstoff, Wasserstoff- superoxyd oder Eisenchlorid in Berührung bringen, ohne Bläuung zu beobachten. Das rührt davon her, daß die Lösung Jarbstoffrei geworden ist, während die Muskelstückchen das Methylenblau adsorbiert haben und als Leukoverbindung adsorptiv festhalten; die Muskelmasse selbst bläut sich daher nach Abfiltrieren schnell wieder von der Oberfläche her, gibt aber auch den reoxydierten Farbstoff nur sehr unvollständig an Wasser ab. Wir sehen also, daß die Adsorptionsgeschwindigkeit des Methylenblaus an die Muskelzellen für die Entfärbungsgeschwindigkeit ein beherrschender Faktor ist, der ohne direkte Beziehung zu der eigent- lichen Atmungsgeschwindigkeit mit den Milieubedingungen variiert und beispielsweise mit abnehmender Farbstoffkonzentration ansteigt. Werden nun die Reduktionsversuche mit Methylenblau ohne dauernde Schüttelung vorgenommen, wie es von Thunberg, Gunnar Ahlgren?), A. H. Drew?) beschrieben ist, so tritt noch die Diffusionsgeschwindigkeit des Farbstoffs als komplizierendes Moment hinzu — weitere Gründe, die die Verwendung der Methylenblauentfärbung in vorliegender Form als Indicator der Atmungsgeschwindigkeit von Zellen nicht rätlich erscheinen lassen ®). Viel klarere Verhältnisse liegen bei der Nitroatmung vor: Hier ist eine katalytische Wirkung des irreversiblen Reduktionsvorganges 1) Lipschitz und Gottschalk, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191. 1. °) Skand. Arch. loc. cit. 3) Brit. journ. of exp. pathol. 1, Nr. 2; 115. 1920. *) Vgl. M. Henze, Bioch. Zeitschr. %6, 255. 1910 u. Warburg, Ergebn. d. Physiol. 1914, S. 266. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 467 ausgeschlossen, es handelt sich vielmehr um einen Wechsel des Ver- brennungsmittels, nicht des Substrates. Am schlagendsten wurde das schon früher durch Versuche!) bewiesen, die die reversible Aufhebung der Nitroreduktion durch Sauerstoffversorgung der Zellen zeigten, also das konkurrierende Eingreifen der beiden Wasserstoffakzeptoren in die Zelloxydationen. Es liegt demgemäß die Notwendigkeit vor, hinfort die Angabe des respiratorischen Quotienten mit der des jewei- ligen Wasserstoffacceptors zu verbinden. Während der respiratorische Quotient sowohl der unbeeinflußten atmenden Muskelzelle als auch bei durch Methylenblau katalytisch gesteigerter Atmung CO, :O, (gasförmig) nach Meyerhof?) etwa 1,06 ist, berechnet er sich für den Wasserstoffacceptor Dinitrobenzol nur zu 0,1—0,15, wenn man die Menge gebildeter Dehydrierungskohlensäure durch die Menge des dabei reduktiv verbrauchten Nitrosauerstoffs dividiert — unter entsprechender Berücksicht'gung der Molekular- gewichte: gefundene Menge CO; / 44 — 0, Tebist 0415: gefundene Menge reduziertes Dinirobenzel/ ER 168 Es entspricht nämlich einer Reduktion von im Durchschnitt 20 mg Dinitrobenzol (entsprechend 4 mg Luftsauerstoff) durch 2 g Mus- kulatur nur 0,6 mg produzierte CO, oder von der doppelten Dinitro- benzolmenge in optimalem Milieu ca. 1,3 mg CO,. Da nun durch die Untersuchungen von Meyerhof?) und Laquer!) mit größter Wahr- scheinlichkeit festgestellt ist, daß die verbrennende Substanz der Frosch- muskelzelle in der Hauptsache Milchsäure ist, ergibt sich, daß pro Gramm Muskulatur bei der Nitroatmung in optimalem Milieu erheblich mehr als 0,4%, Milchsäure verbrannt wird, von diesen aber mehr als 80% unvollständig. Eine Überschlagsrechnung läßt erkennen, daß offenbar viel größere Mengen von Milchsäure bei der Nitroatmung oxydativ angegriffen werden als bei der Sauerstoffatmung, daß aber diese Mengen noch im Einklang stehen können mit den als maximal bildungsfähig festgestellten Werten; nur ein kleiner Teil der Milchsäure liefert dabei Kohlensäure, ein Vorgang, der seine Parallele in der ver- schwenderischen Verwertung von Nährmaterial bei den anoxybion- tischen Tieren findet. Damit ist eine neue Möglichkeit gegeben, den Kohlenhydratabbau in Zellen zu studieren: die Verwendung von Wasserstoffacceptoren als Verbrennungsmittel läßt bereits rechnerisch eine starke Anhäufung von intermediären Verbrennungsprodukten voraussehen, die zwischen 1) Joc. eit. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 175, 35. ®) Ebendort 182, 284; 185, 11. 1920; 188, 114. 1921. *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 93, 60. 1914; 116. 1921. 468 W. Lipschitz: Milchsäure und Kohlensäure stehen. Es ist auch zu erwarten, daß die bei der „Acceptoratmung‘ nachzuweisenden Produkte unvollständiger Oxydation eine Rolle als Durchgangsstufen der physiologischen Kohlen hydratverbrennung spielen. Neben der von Neuberg angegebenen!) und von seinem Schüler J. Hirsch?) auf die Kohlenhydratzersetzung in den Froschmuskelzellen angewandten Dimethylhydroresorcin-Abfang- methode, die zum Nachweis von Acetaldehyd geführt hat, bietet also der: neue Weg der anaerob durchgeführten „Acceptor- Atmung‘ eine allgemein anwendbare aussichtsvolle Methode zur weiteren Klärung des Atmungsmechanismus. Allerdings spricht speziell im Falle der Nitroatmung alles dafür, daß nicht nur die Nitrogruppe den Oxydationsvorgang in Gang setzt, sondern daß die reduktiv entstehende Hydroxylamingruppe ihn bremst durch Fixierung unvollständiger Oxydationsprodukte. Als eines dieser Produkte wurde Acetaldehyd in kleinen Mengen gefunden. Nach dem sehr niedrigen respiratorischen Quotienten kommen aber in der Haupt- sache höher oxydierte Dreikohlenstoffprodukte in Frage, von denen vor allem an die Brenztraubensäurestufe und P-oxydierte Produkte zu denken ist. Denn bereits erhebliche Acetaldehydbildung ginge mit einer um- fangreichen CO,-Abspaltung einher, die bei quantitativem Verlauf der Milchsäureverbrennung sogar einen respiratorischen Quotienten von 2 erteilen würde. Ein Teil der Produkte allerdings entgeht konstant der Fixierung und liefert CO,, ebenso wie unter optimalen Atmungs- bedingungen oder bei Dinitrobenzolmangel auch ein Teil des Nitro- phenylhydroxylamins weiter bis zum Amin (Nitranilin, kenntlich an der Azofarbstoffbildung) reduziert wird; — reduktive Entgiftung. Es handelt sich also bei dem studierten Vorgang wohl um eine Kombi- nation von Acceptoratmung und von gleichzeitiger Abfangung erster OÖxydationsstufen der Milchsäure. Es sei daran erinnert, daß auch H. Wieland?) bei seinen Methylen- blau- oder Chinon-Dehydrierungen von Kohlenhydrat weit geringere Ausbeuten an Endprodukt erhielt, als sie bei der Verbrennung mit Sauerstoff gewonnen werden, was gleichfalls auf Anhäufung von unvoll- ständigen Abbauprodukten schließen läßt. Sauerstoff ist eben der optimale Wasserstoffacceptor, wie sich schon energetisch ergibt: Die Reduktion des Sauerstoffs verläuft nämlich exotherm: OÖ + H, > H,O (gasförmig) + 59,4 Cal, während die Reduktion von anorganischen oder organischen Verbindungen mit negativer Wärmetönung verläuft; z. B. NO; NH; — 65500 cal [A. Pick*)]; daher wohl u.a. der £ 1) Biochem. Zeitschr. %8, 238. 1916; 89, 365; 9%, 234. 1918. 2) Ebendort 14%, 113. 1921. S)Sloc.neib. 4) Zeitschr. f. Elektrochem. %6, 182. 1920, zit. n. Warburg und Negelein Biochem. Zeitschr. 110, 82. 1920. Über den Mechanisınus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 469 höhere Nutzeffekt der mit dem Begriff der ‚Sauerstoffatmung‘“ zu sammengefaßten Stoffwechselvorgänge gegenüber dem der ‚„gärungs“- artigen. Will man einen Vergleich wagen, so kann man den oxydativen Kohlenhydratabbau bei Gärung oder Acceptoratmung in Parallele setzen mit der Verbrennung von Kohle im schlecht ziehenden Ofen, die bei Inanspruchnahme großer Mengen von Brennmaterial zur Bildung von unvollständigen Verbrennungsprodukten neben relativ wenig Kohlensäure führt. Hand in Hand mit dem Studium des Mechanismus der biologischen Oxydo-Reduktionen wurde weiter mit Hilfe der Dinitrobenzolmethode die Rolle der Blausäure als Zellgift untersucht. In vorhergehenden Mitteilungen!) war bereits darauf hingewiesen worden, daß die Hemmung der gärungsartigen Nitroreduktion des Ascaris unverhält- nismäßig geringer ist als die Hemmung der atmungsartigen Nitro- reduktion des Froschmuskels und darin übereinstimmt mit der sehr verschiedenen Empfindlichkeit der ganzen Tiere gegenüber Cyankalı. ‚Es war aber weiter schon aufgefallen, daß auch die atmungsartige Nitro- reduktion weder von Muskelzellen noch von Spermatozoen?) durch KCN komplett aufzuheben ist — ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten gegenüber unspezifischen Narkotica. Der Verlauf der Konzentrations- hemmungskurve von (neutralisiertem) KUN gegenüber reduzierenden Muskelzellen?) hatte nach einem erreichten Hemmungsmaximum von 60—70%, einen eigenartigen Wiederanstieg der Reduktion trotz (von 0,50/,, auf 6°/,,) weiter steigender Giftkonzentration erkennen lassen. Am gleichen Ort war schon die Möglichkeit einer dabei mitspielenden uncharakteristischen Reduktionssteigerung durch OH’-Ionen dadurch ausgeschaltet worden, daß Versuche mit wässeriger HCN-Lösung stets eine inkomplette Reduktionshemmung, ja selbst eine gewisse Hemmungs- verminderung bei steigender Giftkonzentration erkennen ließen. Es wurden nun die Bedingungen der Blausäure-Konzentrationshemmungs- kurve genauer studiert und festgestellt, daß ein erheblicher Anteil der Hemmungsverminderung unter neutralisiertem Cyankali durch steigende reduktionsfördernde Alkalisalzmengen verursacht wird, daß aber auch in Lösungen von identischem Salzgehalt die steigende Blausäurekon- zentration selbst einen gewissen stimulierenden Einfluß gegenüber der Nitroreduktion besitzt. Was die Wirkung von Neutralsalzen betrifft, so ist hervorzuheben, daß schon durch sehr kleine Mengen von Ca” eine beträchtliche Hemmung der Nitroreduktion eintritt, die bei Gehalt der Suspensions- EZ) Ioc.reib: Si loczteib: 3) loc. eit. AT0 W. Lipschitz: -flüssigkeit an CaCl, von der in der Ringerlösung enthaltenen Konzen- tration 40%, beträgt. Damit stimmen Beobachtungen von Warburg!) über den Atmungsabfall von Vogelerythrocyten mit verletzter Plasma- haut unter CaCl, überein und von Meyerhof?), der wegen der Atmungs- hemmung durch Ca-Ionen das Atmungskoferment der Froschmuskel- zellen nicht mit Leitungswasser extrahierte, sondern mit destilliertem Wasser. — Umgekehrt zeigte sich, daß die Nitroreduktion HCN-ver gifteter wie unvergifteter Muskelzellen durch Zusatz von Salzen der fixen Alkalien zu destilliertem Wasser um 30—40%, ansteigt und bei Isotonie der Salzlösung ihr Optimum hat. Dabei ist die Wirkungsstärke von KCl fast identisch mit der von NaCl; aie von Ph. Ellinger?) an er- öffneten Vogelerythrocyten gefundene Atmungssteigerung speziell durch Kaliumsalze ist also keine allgemeine Erscheinung biologischer Oxydationen, sondern hängt mit den besonderen Bedingungen zu sammen, die in der roten Blutzelle herrschen, vielleicht gerade mit ihrem physiologischen Reichtum an Kalium. Von größerem Interesse scheinen Beziehungen der hier festgestellten Wirkung von Chlornatrium gegenüber der Froschmuskelzelle zu älteren Beobachtungen von Jacques Loeb und Warburg. Dieser *) fand nämlich, daß NaCl-Lösungen die Atmung des befruchteten Seeigeleies — Mac Clendon auch die von unbefruchteten Arbaciaeiern — sehr erheblich steigern, und daß die daraus resultierende Giftwirkung aufgehoben werden könne durch kleine Mengen von Cyanid. Dieses kompensiert nach Warburg die abnorme Atmungssteigerung des Kochsalzes, das primär die Zellgrenzschicht verändert und schließlich zur Cytolyse führt. Obwohl Warburg eine Wirkung des NaCl auf die Oxydations- geschwindigkeit von Vogelerythrocyten und Froschsartorien vermißte, betonte er, daß auch diese Gebilde durch reine Kochsalzlösungen ge schädigt werden, und vermutete als Ursache dafür die gleiche Ver- änderung der Zellgrenzschicht wie beim Seeigelei. Wir sehen nun, daß tatsächlich an den künstlich eröffneten Muskelzellen die Zelloxydo- reduktionen durch NaCl erheblich gesteigert werden, und erkennen somit auch am Modell der eröffneten Muskelzelle, daß eine antago- nistische Oxydationsbeeinflussung zwischen Blausäure einerseits und Chlornatrium — allerdings entsprechend auch KCl — auf der andern Seite besteht. So erklärt sich zum großen Teil die in der ersten Mit- teilung?) dargestellte rückläufige Cyanidhemmungskurve der Nitro- t) Ergebn. Physiol. 14, 273. 1914. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%5, 1. 1919. 3) Zeitschr. physiol. Chem. 116, 266. 1921. *) Siehe Ergebn. Physiol. 14, 278; vgl. auch Meyerhof, Biochem. Zeitschr. 33, 291. 1911. °) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 1. 1921. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 471 reduktion, die entsprechend auch bei einem Gehalt der Lösung von ca. 0,5% Neutralsalz ihr neues Minimum hat. Dadurch wird aber nicht die in jedem Fall unvollständige Blausäurehemmung prinzipiell erklärt, für die ein besonderer Mechanismus anzunehmen ist. Schon von Thunberg!) und in jüngster Zeit wieder von Roger?) war beobachtet worden, daß das Reduktionsvermögen von Zellen gegen- über Methylenblau durch Cyankali nicht aufgehoben werden kann, sondern daß ein Teil der Methylenblaureduktion blausäurefest. ist; jedoch kam diesem Befund nach Roger selbst keine erhebliche biolo- gische Bedeutung zu, da ja die Methylenblaureduktion rein chemisch bereits durch ein Gemisch von Globulin und Albumin bewirkt wird, und so ist Roger der Meinung, die biologische Methylenblaureduktion werde durch Blausäure aufgehoben, die chemische bleibe erhalten. Das würde auch zu dem Befund von T’hunberg stimmen, daß die Bern- steinsäureoxydation wasserextrahierter Pferdemuskulatur in Gegen- wart von Methylenblau durch KCN gehemmt wird, nicht aber die Farbstoffreduktion. Diesen kaum eindeutigen Befunden stehen nun folgende eigene gegenüber: einer biologischen reduktiven Bildung von ca. 20 mg Nitro- phenylhydroxylamin bei der HCN-Konzentration O entspricht die Bildung von 4—9 mg Nitrophenylhydroxylamin bei HCN-Konzentra- tionen zwischen 0,1 und 4°/,,; auch in 1,5% K,HPO, enthaltendem Milieu beträgt die maximal erreichbare HUN-Hemmung nicht mehr als ?/, bis ?/, der Normalreduktion. Dieser Befund erhält nun weiter reichendes physiologisches Interesse durch parallele CO,-Analysen mit der Warburg-Dornerschen Versuchs- anordnung: Es ergab sich, daß nicht nur die anaerobe Nitroreduktion, sondern sogar die Nitroreduktion der mit den angegebenen hohen Blausäurekonzentrationen vergifteten Froschmuskelzelle zur Bildung von Kohlensäure führt, während nach Warburg?) und Meyerhof*) die normale Sauerstoffzehrung und entsprechend CO,-Produktion der Zellen längst aufgehoben ist. Im Gegensatz zu dieser Beobachtung ver- trat Warburg die Auffassung, daß ‚‚eine zweite arbeitliefernde chemische Reaktion, die an Stelle der Sauerstoffatmung treten könnte, im Frosch- muskel nicht existiert‘ 5). Es gibt also prinzipiell keinen unmittelbaren Blausäure-Zelltod, wie alle bisherigen Beobachtungen anzunehmen zwangen, sondern es sind 1) Skand. Arch. 35. 165. 2) Presse med. Jg. 28, Nr. 84, 825. 1920. Compts. rend. soc. Biol. 83, 30. 1352; 31, 1377. 1920. ®) Vgl. Physikal. Chem. d. Zellatmg. Bioch. Zeitschr. 119, 134. 1921. 4) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 20. 1919. °) Ergebn. d. Physiol. 14, 261. 1914. 472 W. Lipschitz: an verschiedenen Zellarten (Muskein, Spermatozoen, Bakterien) unter Blausäure verlaufende .energieliefernde Stoffwechselprozesse nachweisbar, die bis zu Stoffwechselendprodukten führen. Die an Froschmuskel- und Ascariszellen vergleichend gemachten Erfahrungen gestatteten nun aber ein tieferes Eindringen in den Me- chanismus der unter HUN verlaufenden Oxydoreduktionen. Dabei erschien die aktivierende Wirkung der Blausäure so prägnant, daß sie mitunter nicht nur mehr als quantitativ, sondern als qualitativ im- ponierte. - Während wasserextrahierte Froschmuskulatur nicht merklich atmet oder reduziert, wird sie bei Suspendierung in z. B. 0,5proz. Bernstein- säure oder Fumarsäurelösung wieder atmungs- und reduktionsfähig. Füst man aber den konstant gehaltenen Lösungen dieser Säuren steigende Mengen HCN oder neutralisiertes KCN zu, so erhält man im Falle der Bernsteinsäure eine steil abfallende allerdings wiederum von der Abszisse entfernt bleibende Reduktionskurve, — im Falle der Fumarsäure je- doch eine mit der Oyanid-Konzentration über den Anfangswert erheblich steigende Reduktionskurve. Während die durch Eintauchen in flüssige Luft und Pulvern struktur- zerstörte Muskulatur in Wasser oder Salzlösung kaum mehr atmet!) oder Dinitrobenzol reduziert, steigen die Reduktionswerte mit steigender Cyanid-Konzentration zu meßbarer Größe an. In ihrem von der Zell- struktur unabhängigeren Verlauf entspricht also die durch Blausäure aktivierte Nitroreduktion der Froschmuskeln der Gärungsreduktion der Ascariszellen?) oder Hefemacerationssäfte. Während die atmungsartige Reduktion der Froschmuskeln durch optimale Sauerstoffversorgung der Zellen völlig unterdrückbar ist, läßt sich die unter Blausäure eintretende Nitroreduktion der gleichen Zellen nicht mehr durch konkurrierenden Sauerstoff aufheben. Auch in diesem Punkte ist eine Ähnlichkeit der durch Blausäure umgeschal- teten Atmungsreduktion mit der Gärungsreduktion des Ascaris unver- kennbar. Hierher gehört wohl auch die Ähnlichkeit der Blausäureun- empfindlichkeit von Ascariszellen und der Widerstandsfähigskeit von schwach blausäurevergifteten Muskelzellen gegen noch steigende Cyanid- konzentrationen. Übereinstimmend mit dem Verhalten von atmungsartig oder gärungsartig Dinitrobenzol reduzierenden Frosch- oder Ascariszellen ist auch die unter Blausäure verlaufende Nitroreduktion der Muskelzelle thermolabil und an die Gegenwart kofermentartiger Substanzen ge- bunden. 1) Thunberg, Zeitschrift f. Hammarsten, S. 20ff. 1906. ?) Lipschitz und Gottschalk, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 33. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 473 Nun hat in jüngster Zeit O0. Warburg!) seine Vorstellungen vom Wesen der Zellatmung und der Blausäure-Giftwirkung dahin formuliert, daß die Zellatmung eine Schwermetall- speziell Eisenkatalyse an den Oberflächenelementen der Zelle sei; diese seien mosaikartig so an- geordnet, daß nur immer einzelne von ihnen mit Eisen beladen seien. Die Blausäure bedecke adsorptiv — da reversibel — die Fe-haltigen Strukturelemente und hemme dadurch die Oxydationen. Diese Vor- stellungen ruhen auf folgenden Befunden Warburgs: Im Seeigelei ist eine winzige Menge Eisen enthalten, die ihrer Größenordnung nach die hemmende KCN-Konzentration stöchiometrisch verständlich macht. Zufügung entsprechender Mengen Fe! (als Mohrsches Salz) machte atmungsunwirksame Vogelblutstromata atmungsfähig. Die von War- burg zu seinen Modellversuchen benutzte Blutkohle enthielt gleichfalls winzige Mengen Eisen und verlor ihre Atmungsfähigkeit durch Blau- säurezusatz. Eine zwanzigmal eisenärmere aus Benzoesäure herge- stellte Kohle bewirkte die Cystinoxydation erheblich langsamer und übertrug wiederum nach Behandlung mit Eisensalz den Sauerstoff dreimal so schnell wie vorher trotz unveränderten Adsorptionsver- mögens. Da Blausäurelösungen von geringerer Konzentration als !/,, normal keine nachweisbare Adsorptionsverdrängung mehr besitzen — ent- sprechend der niedrigen Adsorptionskonstante der Blausäure — trotz- dem aber die Oxydationen stark verlangsamen, kann es sich bei der Blausäurewirkung um keine unspezifische Oberflächenwirkung handeln wie bei den allgemeinen Narkotica. Will man nun also den neuen mit Hilfe des Wasserstoffacceptors Dinitrobenzol gewonnenen Erkenntnissen gerecht werden, die darin gipfeln, daß zwar die Nitroreduktion hochgradig empfindlich gegen Blausäure ist, anderseits aber durch noch so hohe Konzentrationen nicht aufgehoben werden kann und stets zur Kohlensäurebildung führt, so bleibt offenbar nur zu wählen zwischen der Annahme einer dritten energieliefernden Zellreaktion neben Atmung und Gärung, einer ‚eisen- freien Atmung‘ oder aber der Annahme eines Überganges von Atmungs- vorgängen in gärungsartige, wofern man die letzten definiert als schwer- metallfreie, von gasförmigem Sauerstoff unabhängige Oxydoreduktionen, die zu Kohlensäure und unvollständigen Verbrennungsprodukten führen. Theorie: ‚Die Blausäure hemmt (nach Warburg) die Zellatmung, indem sie die verbrennenden Stoffe von den eisenhaltigen Oberflächen- elementen verdrängt dank ihrer eigenen Affinität zu Schwermetallen. — Trotzdem werden durch Blausäure unter geeigneten Bedingungen, d.h. Gegenwart leicht reduzierbarer Gruppen (Wasserstoffacceptoren), Oxydo- 1) Bioch. Zeitschr. 119, 134. 1921. 474 W. Lipschitz: reduktionen der Zellen aktiviert resp. erhalten, die nach Ausschaltung von Schwermetall bei Unabhängigkeit von Luftsauerstoff zu Kohlensäure führen, also unter den Begriff der Gärung fallen. — Die Blausäure schaltet Atmungsvorgänge in Gärungsvorgänge um.“ Einige besondere Gründe scheinen der hier erörterten Hypothese von dem Mechanismus der Blausäurewirkung ein gewisses Gewicht zu verleihen. Zunächst ist im Falle der Nitroatmung zu erwähnen, daß die experimentellen Bedingungen zur Erkennung einer solchen Umschaltung des Oxydationsmechanismus besonders günstig sind; stricto sensu verläuft ja die Nitroatmung bereits der unvergifteten Zelle äußerlich nach einer Gärungsformel: Kohlenhydratverbrennung bei Unabhängigkeit von Luftsauerstoff, dabei Bildung von Kohlen- säure und erheblichen Mengen unvollständig verbrannter Produkte, die aus dem sehr niedrigen respiratorischen Quotienten für den Wasser- stoffacceptor Dinitrobenzol erschließbar sind. Unter Blausäure findet nun die Umschaltung auch des Mechanismus der Milchsäureverbrennung statt: Nichtverwertung zugeführten Sauerstoffes, Unwirksamwerden der Peroxyde spaltenden Muskelkatalase!), geringere Bedeutung der intakten Zellstruktur, Unempfindlichkeit auch gegen höhere Blau säurekonzentrationen; trotzdem Bildung von Kohlensäure und sauer- stoffärmeren Verbrennungsprodukten, und bemerkenswerterweise relativ bessere Verbrennbarkeit der ungesättigten Fumarsäure als der ge- sättigten Bernsteinsäure. Auf Grund dieser Befunde scheint die alte Vorstellung vom ‚‚Re servesauerstoff der Zellen“ in veränderter Form Berechtigung zu gewinnen und scheint die Vermutung nahegerückt, daß auch im normalen Zellgeschehen bei Gegenwart von physiologischen Wasserstoffaccep- toren, unter denen neben Doppelbindungen besonders an das Glutamin- säure-Öystein-Dipeptid von Hopkins?) zu denken ist, Teilvorgänge der Atmung unter Blausäure nicht sistieren, sondern gärungsartig ver laufen, ohne freilich das normale Endprodukt (CO,) zu erreichen. Dafür scheint mir auch die von v. Weizsäcker) studierte überraschend große mechanische Leistung des blausäurevergifteten schlagenden Froschherzens zu sprechen — kurz, der Wirkungsmechanismus der Blausäure als Zellgift gibt sich als noch komplizierter zu erkennen, als es bisher den Anschein hatte. Auch unter den durch anorganische Katalysatoren beschleunigten Reaktionen sind Fälle realisierbar, in denen Zusatz von Giften die Gesamtheit der Oxydationen oder Reduktionen nicht gleichmäßig 1) Santesson, Skand. Arch. 23, 99. 1909. 2) Bioch. Journ. 15, 286. ®) Sitzungsber. Heidelberg. Akad. d. Wissensch. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 14%, 135. 1912. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 475 steigert oder lähmt, sondern Reaktionsverschiebungen durch Kataly- satorbeeinflussung hervorruft. Es sind vor allem die in jüngster Zeit von Rosenmund und Zetzsche!) studierten Reduktionen aromatischer Säurechloride und Oxydationen aromatischer Alkohole mit Hilfe von Palladium zu erwähnen, bei denen Zusätze von geschwefeltem Chinolin oder Xanthon die Wasserstoffanlagerung resp. -Abspaltung unter mehreren theoretisch möglichen Richtungen eine ganz bestimmte vorwiegend einschlagen ließ. Die Verfasser stellen sich — auf die Be- rechtigung oder Unanfechtbarkeit?) ihrer theoretischen Formulierungen sei hier nicht eingegangen; — die Gesamtheit aller bei einem kataly- sierten Prozeß beteiligten Komponenten als ein besonders labiles System vor, „Komplex“, der nach verschiedenen Richtungen wieder zerfallen kann. Sie fassen von hier aus bereits den Fall ins Auge, daß ein unwirk- sames, d.h. in die ursprünglichen Bestandteile zerfallendes System durch Zusätze erst zu einem wirksamen, d.h. zu neuen Reaktionspro- dukten führenden wird, und meinen, daß besonders geeignete Stoffe solche mit stark ungesättisten Gruppen seien. Die Bedingungen zur Aktivierung eines an sich unwirksamen Sy- stems sind natürlich bei der stark ungesättigten Blausäure theoretisch gegeben, ebenso wie sie zum Unwirksammachen eines an sich wirksamen Komplexes (Atmungssystem) gegeben sind. Jedenfalls ist vorläufig kein Grund zwingend, für jede neu gefundene Zellfunktion ein be- sonderes Enzym anzunehmen, wie es bisher üblich ist, und etwa die Dehydrasen (,Hydrogenotransportasen‘‘) als Individuen nach ihrer Kryo- resp. Thermolabilität differenzieren zu wollen (Thunberg°). Experimentelles. Die Methodik entspricht der früher) geschilderten prinzipiell, doch sind einige Angaben zu vervollständigen: 1. Das verwendete m-Dinitrobenzol muß sorgfältig gereinigt sein; die Krystal- lisation darf nur aus Alkohol erfolgen, nicht aber z. B. aus einem Gemisch von Benzol und Petroläther, aus dem es sich besonders schön abscheidet. Jedenfalls wurde die Beobachtung gemacht, daß ein für biologische Versuche brauchbares Präparat nach Umkrystallisieren aus diesem Lösungsmittel und sorgfältigem Luft- trocknen nicht mehr durch Zellen reduziert wurde; wir führen das Unwirksam- werden auf hartnäckig in den Krystallen festgehaltene winzige Reste des Lösungs- mittels zurück, das ein starkes Oxydationsgift darstellt. 2. Die erforderliche feine Aufteilung der Muskulatur und Homogenisierung sowie das genaue Abwägen der 2,0 g-Portionen wurde schon betont°). Als Sus- pensionsflüssigkeit diente je nach dem speziellen Zweck 10 ccm destilliertes Wasser, 1) Ber. dtsch. Chem. Ges. 54, 425, 638 u. 1092. 1921. 2) cf. Abel, Ber. Chem. Ges. 54, 1407. 1921 u. 55, 322. 1922. 3) Skand. Arch. 40, 71 u. 80. 1920. *) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 1. 1921. 5) loc. eit. 476 W. Lipsehitz: isotonische Neutralsalzlösungen, gepufferte Phosphatlösungen (pı = 7,4) oder 1,5proz. K,HPO,-Lösung, die ev. Muskelkochsaft enthält; diese Phosphatlösungen bewirken die größte Reduktionsgeschwindigkeit; doch muß ev. die infolge der alkalischen Reaktion rötliche Reduktionsflüssigkeit zwecks colorimetrischer Ein- stellung mit 5 Tropfen 15proz. Essigsäure versetzt werden, wobei die Farbe in rein gelb umschlägt. Im Verlauf der Untersuchung erwies es sich als vorteilhaft, die Filtrate mit 95 proz. Alkohol auf das Doppelte resp. Vierfache zu verdünnen; dabei fallen gelöste Eiweißkörper und Trübungen farblos nieder, und die neuerdings filtrierten gelben Lösungen eignen sich wegen ihrer vollkommenen Klarheit und reinen nicht zu intensiven Färbung zu mühelosem colorimetrischen Vergleich, so daß die von Hess!) vorgeschlagene photographische Registrierung nur für ganz besondere Bedürfnisse reserviert bleiben kann. 3. Als Keilfüllung diente in den meisten der Versuche eine passend gewählte alkoholische Lösung von reinem m-Nitrophenylhydroxylamin, dessen Darstellung, früher?) beschrieben wurde. Die Lösung wird trotz Aufbewahrens unter Glas- schliffverschluß im Dunkeln allmählich durch Zersetzung heller; der Keil kann aber dennoch relativ lange zur Benutzung dienen, wenn man ihn selbst jedesmal gegen eine frisch bereitete genau definierte (z. B. 1prom.) alkoholische Lösung einstellt. Fällt diese nun auf Teilstrich « der Skala des Keils, so berechnet sich der Gehalt an Milligrammen gelösten Nitrophenylhydroxylamins: x, in 10 ccm einer beliebigen Versuchslösung entsprechend ihrer Verdünnung mit Alkohol auf das n-fache und ihrer Colorimeterzahl x nach folgender Formel: (100 — 2) 10 N 100 — a Die prozentualen Beduktionshemmungen resp. -Steigerungen werden nach der in der ersten Mitteilung?) angegebenen Formel ebenfalls direkt aus den Colori- meterzahlen unter Berücksichtigung des Verdünnungsgrades berechnet: -mg Nitrophenylhydroxylamin . (1) = on = (2; —a) % Hemmung (2) ! 1 ne n[@— 10 4 |. (2a) & — Colorimeterzahl des Normalversuchs, n — Verdünnungsgrad in dem zu vergleichenden Versuch gegenüber dem Normalversuch, x = Colorimeterzahl des zu vergleichenden Versuchs, x, — Colorimeterzahl des zu vergleichenden Versuchs nach Berücksichtigung des Verdünnungsgrades, Ist der Verdünnungsgrad der Lösung des Normalversuchs und des Serien- versuchs identisch, so wird x = x, und Formel (2) direkt anwendbar. 4) Die Kohlensäurebestimmungen wurden nicht mit der eleganten Warburg- Siebeckschen Druckdifferenzmethode sondern mit dem mühsameren Baryttitra- tionsverfahren nach Warburg-Dorner *) ausgeführt; das hatte zwei Vorteile: einmal wurde in jedem Falle feststellbar, daß das entstandene Gas wirklich Kohlensäure 1) Zeitschr. physiol. Chem. 11%, 284. 1921. ?) Zeitschr. physiol. Chem. 199, Heft 5. 120; s. auch K. Brand u. .J. Steiner, Ber. dtsch. Chem. Ges. 55, 875, 1922. ®) loc. eit. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. *) Zeitschr. physiol. Chem. 61, 261. 1909; 81, 202. 88, 425. 1914. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 477 war; zweitens konnte durch Zwischenschaltung einer AgNO,-Waschflasche, die das CO,-haltige Gasgemenge durchstrich, und Wägen von evtl. entstandenem AgCN die nach Beendigung des Atmungsversuchs noch vorhandene Blausäurekonzen- tration bestimmt werden, so daß der Einwand hinfällig wird, die Blausäure sei durch die Nitrokörper fortoxydiert worden, die CO,-Produktion der Zellen habe also vielleicht erst nach Blausäurezerstörung stattgefunden. Methodische Einzelheiten in dem betreffenden Abschnitt. A. Mechanismus der Nitro-Atmung. 1. Quantitative Bestimmung des Dehydrierungswasserstoffes atmender Frosehmuskelzellen. Reaktionsdauer 20 Stunden bei 20°. Willkürlicher Keil. | | Reduktions-| Gebildetes Ver- ERIOTE R Colori- |, steigerung | Nitrophen.- suchs- Milieu Y ErdEnnumgsgrd es LINES meter- oder Hydroxyl- Nr. filtrats n = zahl |--hemmung amin x A in % mg al aq. dest 4 | 57 20 | 0,5 prom. Nitrophenyl- | | hydroxylaminlösung | 59 2 | ag. dest D 40 24 | EN 4 Nat 24 „ „ 2 | 45 22 | 31 6) 4 | 13 22 | 2 prom. Testlösung 0 a aq. dest. 2 54,5 0 21,4 | NaC105% 2 39 +34 28,7 0,75% 2 44 +23 26,1 | 1,0% 2 46:5 721745 DL \Frosch-Ringerlös. 2 62 — 16,5 17.9 | 1 prom. Testlösung a) 4 | ag. dest. 2 46 0 25,4 | 0,01% CaCl, 2 70 — 44,4 14,4 | 1 prom. Testlösung HbD Den EI EN AN 2 | 50 0 2345 ' dgl.u.0,08% CaCl, D) IT —54 10,8 1 prom. Testlösung | 37,5 6 aq. dest. D) 57.5 0 Na01 0,5% 2 42 +36,5 1,0% 2 52 +12,9 Ü aq. dest. 2 47 0 24,9 0,08°/, CaCl;, 2 695E4225 14,4 1 prom. Testlösung 97.8 8 ag. dest. 2 47 0 ı 1,5% KsHPO, | (5 Tropfen Essigsäure) 8 | 62 —+186,8 478 W. Lipschitz: | nn f Gebildetes Ver- SHE Colori- Nitrophe- suchs- || Milieu suchs- Verdünnungsgrad meter- nylhydro- Nr. | Dauer ne zahl xylamin | | Std. mg 9 | 1,5%KsHPO, | 2 | (5 Tropfen Essigsäure) 2 | 59 20 | | 20 16 N Es ) 4 60 37,2 | | ' 0,5 prom. Testlösung 78,5 10 | aq. dest. 4 4 84,5 13,8 3 16 | 4 72,8 24,4 16 Muskulatur und Lösung mit || Ather erschöpfend extrahiert, | Ätherextrakt a. Volum. 40 cem | | 4 74.5 22,7 | | 4 , (5 Tropfen Essigsäure) 4 74,5 22,1 | Muskelkochsaft || 16 del. 4 67 29,3 M | 0.5 prom. Testlösung 77,5 11 |ca. 1proz. Na- | | | triumphosphat- 20 4 54 | 30,6 | gemisch | 20 4 5il 32,6 | 1 prom. Testlösung 40 | 0.5 prom. Testlösung: | 69 12 dgl. 11:20 4 60,5 49,4 x | 20 4 56,5 54,4 | 1 prom. Testlösung 68 13 | “ | 20 4 67 41,2 | „ 20 4 67 41,2 | l prom. Testlösung 68 14 aq. dest. 20 | Probe +n-HC1 + 05% Natriumnitrit; dazu 1proz. alkoholische Lösung von «-Naphthol, die sodaalkalisch war; Diazo-Reaktion: (+). In die Hauptmenge des gelben Muskelfiltrats (Soda- Reaktion: +---+) werden wiederum 2 & ' Muskelzellen hineingeschnitten und 24 Std. E stehen gelassen. Das nunmehr blaßgelbe Filtrat ' wie oben mit «a-Naphthol geprüft; Diazo- ı Reaktion: +++. Filtratprobe mit Soda ver- | setzt; Soda- Reaktion: — . 1,5% K,HPO, 20 | Filtrat kräftig rotgelb: Diazo-Reaktion: ++; | Soda-Reaktion: +++. 15. Methylenblau-Reduktionsversuch: Es wurde reinstes chlorzinkfreies Methylenblau verwendet. 40 cem einer 0,5°/ „igen wässerigen Lösung, die gleichzeitig 0,25% Natrium- phosphatgemisch (?p = 7,4) enthielt, wurde in einer 75 cem-Saug- flasche mit 12,5g fein zerschnittener Froschmuskulatur vermischt. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 479 Die Flasche wurde mit Stopfen verschlossen und evakuiert; gleichzeitig wurde bei Zimmertemperatur öfters kräftig durchgeschüttelt. Es wurde bald Entfärbung bemerkbar, die nach ?/, Stunden immer rascher zu werden schien und nach 1!/, Stunden vollständig war. Dann wurde durch trockenes Filter abgegossen; das Filtrat war nur schwach blau- grün gefärbt, ließ sich jedoch weder bei saurer noch alkalischer Reaktion spontan durch den Luftsauerstoff, noch durch 5proz. frisch bereitetes Wasserstoffsuperoxyd reoxydieren, noch bei schwach saurer Reaktion durch Eisenchlorid. Dagegen färbten sich die auf dem Filter liegenden Muskelteilchen von der Oberfläche her intensiv blau, gaben aber den Farbstoff auch nach Suspendierung in 2proz. Wasserstoffsuperoxyd nur zum kleinsten Teil wieder an das wässerige Medium ab. Ergebnis: Der Reduktionsumfang von 2g Froschmuskelzellen in 8— 24 Stunden (ohne Unterschied; vgl. die Reduktionszeitkurve S. 484) beträgt 20—25 mg Nitrophenylhydroxylamin in destilliertem Wasser. In isotonischer NaCl-Lösung ist der Reduktionsumfang um 35% ge- steigert, Gegenwart von 0,01% CaCl, drückt ihn dagegen um 40—50%, herab, so daß Ringerlösung kein günstiges Reaktionsmilieu darstellt. Die Reduktionsgeschwindigkeit schnellt in Phosphatlösungen stark empor; sowohl in 1,5proz. K,HPO,-Lösung als in Phosphatpufferge- misch von 94 — 7,4 werden in 2—4 Stunden bereits 20 mg Nitrophenyl- hydroxylamin gebildet, in S—24 Stunden ca. 40 mg. Die Steigerung in Phosphat gegenüber destilliertem Wasser beträgt also rund 100%. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Nitrophenylhydroxylaminbildung nur bei reichlichem Überschuß an reduzierbarem Dinitrobenzol ein eindeutiges Maß oxydo-reduktiver Zellprozesse ist, da sonst das Hy- droxylamin selbst weiter bis zum schwächer gefärbten Amin reduziert wird; z. T. findet das bereits bei der hohen Reduktionsgeschwindigkeit in sekundärem Phosphat statt, kenntlich an dem Ausfall der Prüfung auf Azofarbstoffbildung mit &-Naphthol. Daß es sich dabei aber in vorliegenden Versuchen noch um keinen sehr ins Gewicht fallenden Fehler handelt, zeigen im folgenden zu schildernde Bestimmungen der jeweils gebildeten Kohlensäuremenge, deren Werte in Phosphat gegenüber destilliertem Wasser entsprechend gesteigert sind. Aus Versuch 10 geht übrigens auch hervor, daß das Herausdiffun- dieren des entstandenen Nitrophenylhydroxylamins aus den Muskel- zellen in die Lösung so gut wie vollständig ist, da der Ätherextrakt des gesamten Reaktionsgemisches keinen höheren colorimetrischen Wert zeigte als das Muskelfiltrat selbst. Es ist bemerkenswert, daß bei der Nitroreduktion die Indicatorsubstanz eine hohe Zelllöslichkeit und minimale Wasserlöslichkeit besitzt, das Reduktionsprodukt dagegen äußerst schnell aus den Zellen in die wässerige Lösung diffundiert. ‚Umgekehrt ist sowohl Methylenblau als seine Leukoverbindung in hohem Pfiügers Archiv. f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 32 480 W. Lipschitz: Maße an die Muskelzellen adsorbierbar; gleichwohl ist die Adsorptions- geschwindigkeit aus einer 0,5prom. Lösung nicht unmeßbar groß, da sonst die Muskelzellen von vornherein den Farbstoff unreduziert der Lösung hätten mehr oder weniger vollständig entziehen müssen. — Der Umfang oder die Geschwindigkeit der Methylenblauentfärbung ist demnach kein getreues Maß für den Atmungsvorgang, sondern wird z. T. beherrscht von seiner noch ungenügend studierten Adsorptions- geschwindigkeit an die Zellen, die ja von den verschiedensten Faktoren, u.a. der Farbstoffkonzentration in der Lösung, weitgehend abhängt. 2. Quantitative Bestimmung der anaerob gebildeten Dehydrierungskohlensäure. Die Warburgsche Methode wurde in der von Dorner beschriebenen Modifikation fast unverändert übernommen und gab Resultate, die an Genauigkeit den von den Verfassern angegebenen etwa entsprechen, wie aus folgenden Kontrollanalysen zu entnehmen ist. Die verwendete phenolphthaleinhaltige Salzsäure war genau Y/,.n normal; 10 ccm entsprachen demnach 2,2 mg Kohlensäure. Das verwendete Barytwasser war heiß hergestellt und filtriert; 10 ccm entsprachen 12,0 cem "/;o0-Salzsäure. Die nach Durchleiten durch Kalilauge und Natronkalkröhren zum Übertreiben der Muskelgase verwendete Luft war kohlensäurefrei. 20 1 gereinigte Luft durch Barytwasser geleitet. Titerabnahme entsprechend 0,15 cem ?/00-Däure = 0,033 mg CO,. Die ungereinigte Luft enthielt dagegen er- hebliche Mengen Kohlensäure; 600 ccm aus einem leeren Atmungskolben über- geleitet. Titerabnahme = 3,55 cem "/795-Säure = 0,778 mg CO,. Also 100 cem ent- halten 0,13 mg CO,, was gleichfalls mit Warburgs Angaben übereinstimmt: „Etwa 0,1 mg.“ — Zur Prüfung der Methode wurde die CO, einer gemessenen Menge reinster Sodalösung im Atmungskolben mit 10—15 ccm ausgekochter 20 proz. Schwefelsäure oder 10 proz. Phosphorsäure in Freiheit gesetzt und im Laufe einer Stunde mit 9 Litern kohlensäurefreier Luft übergetrieben. Die Sodalösung wurde durch Lösen von 0,4939 g Natriumcarbonat, das aus frisch gefälltem Bicarbonat dargestellt und im Platintiegel vorsichtig geglüht war, in 2 Litern ausgekochtem Wasser bereitet und vor CO, geschützt in der üblichen Weise aufbewahrt. Ihr Gehalt war durch direkte Titration in der Hitze kontrolliert. Angewandte Sodalösung Titerabnahme des Ba(OH), 0 gefunden ccm in cem n/o0-Säure mg CO, berechnet. 1,073 10.0 4,88 1,024 2,11 20,0 9,6 2,048 2,107 20,0 9,58 2,048 2,10 20,0 9,52 ' > 2,048 2,15 20,0 9,75 ‘ 2,048 2,046 20,0 9,30 = 2,048 Weitere Kontrollversuche finden sich bei Gelegenheit der Blausäureversuche:- aufgeführt (S. 491). Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 481 Die Reduktionsversuche wurden bei Zimmertemperatur (20°) in Jenaer 500 cem-Rundkolben mit evtl. verkürzten Hälsen ausgeführt, die mit fest schließenden, dreifach durchbohrten Gummistopfen ver- sehen waren; durch die erste Bohrung führte ein Gaseinleitungsrohr bis fast auf den Boden des Kolbens; in der zweiten Bohrung saß ein Tropftrichter; die dritte nahm ein mit Tropfenfänger versehenes, kurz abgeschnittenes Ableitungsrohr auf. Beide Gasrohre waren an ihrem Ende mit auf Gasdichtheit geprüften Hähnen versehen, so daß der ganze Kolben leicht vollkommen verschlossen werden konnte. Auch die Warburgschen mit den Büretten und miteinander verbundenen Kohlensäure-Absorptionsgefäße waren an den freien Enden ihrer Gas- leitungsrohre mit Hähnen versehen, so daß sie nach Spülung mit kohlen- säurefreier Luft verschlossen mit dem Atmungskolben verbunden werden konnten, ohne Verunreinigung mit Luftkohlensäure zu er- leiden. Die größte Schwierigkeit bereitete die vollständige Entfernung des Sauerstoffs aus der relativ großen Muskelmasse!) und die möglichst weitgehende Eliminierung im Kolben befindlicher und präformierter Kohlensäure. Sie wurde in einem Teil der Versuche durch längeres Durchleiten von Wasserstoff durch das Gemisch von Muskeln, Wasser und Dinitrobenzol bezweckt, wobei natürlich nicht zu vermeiden war, daß währenddessen schon die Reduktion einsetzte, in den späteren Versuchen durch rasches Evakuieren der Kolben auf 60—100 mm Druck und darauf folgendes Auffüllen mit Wasserstoff durch das in die Flüssigkeit eintauchende Rohr. Wie bei den im Abschnitt ‚Methodik‘ beschriebenen Versuchen zur Be- stimmung des Dehydrierungswasserstoffs wurde eine für je eine Versuchsre’he ausreichende Muskelmasse gemeinsam fein zerschnitten und in 2 g-Portionen geteilt. Diese wurden ohne Verlust in die Kolben überführt, mit 10 ccm Flüssig- keit und 0,2 g Dinitrobenzol vermischt und behandelt, wie bei den einzelnen Versuchen angegeben wird. Die Nitroatmung wurde jeweils in dem betreffenden Kolben unterbrochen, indem durch den Tropftrichter 10 ccm über Atzkalk de- stillierter, vor Kohlensäure geschützt aufbewahrter Alkohol + 10 ccm 10 proz. Phosphorsäure in den Kolben gegeben und nach Verschluß durch Schütteln mit den Muskeln gründlich vermischt wurden. Die Kohlensäurebestimmung wurde je nach der Zahl der Analysen am gleichen oder an einem der folgenden Tage aus- geführt; aus der Verzögerung ergaben sich keine Fehlerquellen. Der Beginn der gemessenen Reduktionszeit wurde durch Abtötung der Zellen des Kontrollversuchs markiert, der also die „zu Versuchsbeginn präfor- mierte Kohlensäuremenge“ ergab. Die Brauchbarkeit der Versuchsanordnung wurde weiter durch angesetzte Kontrollen ohne Zufügung von Wasserstoffacceptor (Di- nitrobenzol) geprüft: Wenn auch Zahlen für ‚‚anaerob“ gebildete Kohlen- 1) Gewisse Schwierigkeiten, den Sauerstoff vollständig auszuschließen, zeigten sich schon Meyerhof bei Verwendung der vierfach kleineren Muskelmenge. (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%5, 1/2, 37, 1919). 325 482 W. Lipschitz: säure mitunter gefunden wurden, die schon außerhalb der Fehlergrenzen der Analysenmethode lagen, so wurde die Bedeutung der erhaltenen Werte von Dehydrierungs-CO, dadurch kaum beeinträchtigt. Be- sonders klar erscheint die Beziehung von Dehydrierungskohlensäure zu Dehydrierungswasserstoff beim Betrachten der beiden weitgehend parallel verlaufenden Zeitkurven. Die letzte Sicherheit geben weiter die Kohlensäurebestimmungen an HCN-vergifteten Zellen, bei denen die Notwendigkeit eines vollständigen Entfernens von gasförmigem Sauerstoff entfällt, weil dieser ja unter Blausäure nicht verwertet wird; demgemäß wurde bei diesen Versuchen in Abwesenheit von Dinitrobenzol keine Bildung von Kohlensäure beobachtet. 1. Versuch (Kurve 2a): Fünf Atmungskolben je mit 2,0 g Muskulatur und 10 cem Wasser beschickt und 45 Minuten mit reinem Wasserstoff durchperlt, dann Kolben 2—5 kurz geöffnet und mit 0,2 g Dinitrobenzol versetzt, alle Kolben nochmals 1 Stunde lang mit Wasserstoff durch- perlt und verschlossen. Kolben 2 durch den Tropftrichter sofort mit Alkohol und Phosphorsäure versetzt: präformierte €O,; Kolben 3 nach 2 Stunden, 4 nach 4 Stunden, 5 und 1 nach S Stunden. Titerabnahme des Ba(OH), Eben in ccm P/joo-Säure men 00: 1 2,26 0,497 2 1,3 0,286 3 2,75 0,605 4 3,15 0,693 5 4,25 0,935 Produzierte Dehydrierungs kohlensäure in 22 0,319 mg, 4h 0,407 mg, 85h 0,649 mg, „anaerob“ 8h 0,211 mg. 2. Versuch (Kurve 2b): Sechs Atmungskolben mit je 2 g Muskulatur, 10 ccm destilliertem Wasser und (Kolben 4—6) 0,28 Dinitrobenzol versetzt, gemeinsam auf 100 mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt. Dauer 1 Stunde. Reduktion schon recht deutlich. Kolben 1 und 4 sofort mit Alkohol und Phosphorsäure versetzt, 2 und 5 nach 4 Stunden, 3 und 6 nach 8 Stunden. 5 Titerabnahme des Ba(OH), Kolben in ccm A/joo-Säure mg CO, l 4,35 0,957 2 4,7 1,034 3 4,55 1,001 4 4,3 0,946 5 6,25 1,373 6 6,5 1,43 Produzierte Dehydrierungskohlensäure in 4" 0,429 mg, - 8h 0,484 mg, „anaerob“ 44 0,077 mg, „anaerob“ 8h 0,044 mg. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 483 3. Versuch (Kurve 2c): Sechs Atmungskolben mit Muskulatur, 10 cem Flüssigkeit und evtl. 0,2g Dinitrobenzol beschickt und ge- meinsam in 30 Minuten auf 170 mm Druck evakuiert, danach in weiteren 30 Minuten mit Wasserstoff gefüllt. Kolben 1 enthält destilliertes Wasser, Kolben 2 enthält destilliertes Wasser mit Dinitrobenzol, Kolben 3 enthält Muskelkochsaft!) und 0,15 g K,HPO, und Dinitrobenzol, Kolben 4 enthält destilliertes Wasser mit Dinitrobenzol, Kolben 5 enthält destilliertes Wasser mit Dinitrobenzol, Kolben 6 enthält destilliertes Wasser. Kolben 1 und 2 sofort mit Alkohol und Phosphorsäure versetzt, 3 und 4 nach 8 Stunden, 5 und 6 nach 24 Stunden. Titerabnahme des Ba(OH), on in ccm A/jo0- Säure meicd: 1 4,9 1,078 2 5,0 151 3 11,19 2,462 4 7,55 1,661 5 8,25 1,815 6 9,40 1,188 Produzierte Dehydrierungskohlensäure: in Phosphatkochsaft in 8": 1,362 mg, in destilliertem Wasser Sh: 0,561 mg, in destilliertem Wasser 24": 0,715 mg, „anaerob“ in destilliertem Wasser 24h: 0,11 me. 4. Versuch (Kurve 2d): Vier Atmungskolben enthalten je 10 ccm 1,5proz. K,HPO,-Muskelkochsaft!), 3 und 4 noch je 0,2g Dinitro- benzol; sie werden gemeinsam 45 Minuten lang kräftig mit Wasser- stoff durchperlt, dann werden die Muskelportionen zugefügt, und es wird nochmals während 15 Minuten Wasserstoff hindurchgeleitet. Während- dessen setzt bereits die Reduktion ein. Kolben 1 und 3 sogleich mit Alko- hol und Phosphorsäure versetzt, Kolben 2 und 4 nach 11 Stunden. Titerabnahme des Ba(OH), Kolben in ccm D/jo0-SÄure mg CO, l 1,6 0,352 2 2,85 0,627 3 1,05 0,231 4 ad 1,265 Produzierte Dehydrierungs kohlensäure in Phosphatkochsaft in 11": 1,034 mg, „anaerob“ in 11: 0,275 mg. 5. Versuch (Kurve 2e): Vier Kolben mit 10 ccm Phosphatmuskel- kochsaft und 2g Muskulatur beschickt, 50 Minuten gemeinsam mit Wasserstoff durchperlt; Kolben 1 und 3 mit Dinitrobenzol versetzt, 2 und 4 aber ebenso lange (ca. !/, Minute) geöffnet; dann alle gemeinsam weitere 30 Minuten mit Wasserstoff behandelt. Kolben 1 und 2 sofort mit Alkohol und Phosphorsäure versetzt, 3 und 4 nach 11 Stunden. 1) Aus gleichen Teilen Muskulatur und Wasser durch kurzes Kochen und Filtrieren bereitet. 484 W. Lipschitz: alben in ccm P/joo-Säure 1 1,65 2 0,78 3 4,9 4 2,8 Titerabnahme des Ba(OH), mg CO, 0,363 0,172 1,738 0,616 Produzierte Dehydrierungskohlensäure in Phosphatkochsaft in 11N: 1,375 mg, „anaerob“ in 11N: 0,444 mg. 6. Versuch (Kurve 2f): Muskel- kochsaft durch Auskochen von fein zerschnittener Muskulatur mit der gleichen Menge 1,5proz. K,HPO,- Lösung und Filtrieren dargestellt. — Zwei Atmungskolben mit Mus- kulatur, Kochsaft und Dinitroben- zol beschickt und 15 Minuten mit einem möglichst kräftigen Wasser- stoffstrom luftfrei gemacht. Die Reduktion ist unterdessen schon deutlich. Kolben 1 sofort, 2 nach 1l Stunden mit Alkohol und Phos- phorsäure versetzt. Titerabnahme des Ba(OH), Kolben in ccm n/,o0-Säure mg CO, 1t 2,9 0,638 2 8,25 1,815 Produzierte Dehydrierungs kohlensäure in 11h: 1,177 mg. 74 mg COz Kurve WETTE: 24 l. Zeitkurve des Dehydrierungswasserstoffes (vgl. dieses Arch. 191, 10!) Kurve 2. Zeitkurve der Dehydrierungskohlensäure. Respiratorischer Quotient: 0,1—0,11. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 485 3. Prüfung auf Bildung unvollständig verbrannter Produkte der Milchsäure. Diese Untersuchung hatte nicht den gewünschten Erfolg, größere Mengen eines intermediären Stoffwechselproduktes der Kohlenhydrat- verbrennung zu isolieren; nur wurden mehrfach kleine Mengen einer flüchtigen, jodoformgebenden Substanz nachgewiesen, die ammoniakali- sche Silberlösung reduzierte und den Titer von Kaliumbisulfit herab- setzte, also wohl als Acetaldehyd anzusprechen ist. Wegen der sehr kleinen gefundenen Mengen, die keine Erklärung für den niedrigen respiratorischen Quotienten und den Umfang der Milchsäuredehy- drierung geben konnten, wurde auf den exakteren Nachweis des Aldehyds mit Hilfe umfangreicherer Reduktionsversuche verzichtet. Versuche: Reinstes, aus Alkohol umkristallisiertes Dinitrobenzol wurde viele Stunden lang bei 12mm Druck und 78° über Phosphor- pentoxyd getrocknet, dann gepulvert. 1. 150 ccm Wasser, das 4 g reinstes Na,HPO, - aq enthielt, wurde im Atmungskolben ausgekocht und im Wasserstoffstrom abgekühlt, mit 3g Dinitrobenzol versetzt und weiter mit Gas durchperlt. Dann wurden 30 g Froschmuskulatur fein zerschnitten, dem Gemisch zugefügt, noch !/, Stunde mit Wasserstoff durchperlt und schließlich bei ge- schlossenem Gasableitungsrohr unter Wasserstoffdruck gehalten. Unter diesen Umständen setzt die Reduktion in wenigen Minuten ein. Nach 7 Stunden Zusatz von 50 ccm n-Salzsäure durch den Tropftrichter; nach einer weiteren Viertelstunde Zusatz von 30 ccm gesättigter Lösung von mehrfach aus Wasser krystallisiertem Sublimat. Nach 20 Stunden wird unter Eiskühlung rasch filtriert und das gelbe Filtrat nach Zusatz von Tonstückchen unter Verwendung eines hohen Destillationsauf- satzes und eines Schlangenkühlers mit in die Vorlage tief eintauchendem Vorstoß vorsichtig über freier Flamme destilliert. Die Vorlage bestand aus einem gründlich vorgekühlten mit Schliff versehenen Meßzylinder, der 10 ccm eiskaltes Wasser enthielt. Es wurden 30 ccm farbloses Destillat aufgefangen, das auf Lackmus sehr schwach sauer reagierte. Die Hälfte des Zylinderinhalts, 20 ccm, wurde mit 20 cem ca.%/,,„-KHSO;- Lösung versetzt und !/, Stunde bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Rücktitration der KHSO,-Lösung ergab 20,30 ccm "/,,-Jod, während 20,0 ccm KHSO, bei mehrfacher Titrierung 20,65 ccm Jod verbrauchten. Das Gesamtdestillat von 40 cem enthielt also 0,35 mg auf Aldehyd be- rechnet. Die andere Hälfte des Destillats diente zu folgenden Reaktionen: Eine Probe mit Jod und Kalilauge versetzt, zeigte in der Kälte Jodo- formgeruch und nach einigem Stehen die charakteristischen Krystalle. Die Riminische Reaktion und die Reaktion mit fuchsinschwefliger Säure fielen nach kurzem Stehen noch negativ aus, nach 48 Stunden Stehens unter Verschluß waren beide deutlich positiv (gelbrot und hellviolett), während Kontrollen mit destilliertem Wasser völlig negativ blieben. 486 W. Lipschitz: Eine vierte Probe zeigte mit ammoniakalischer Silberlösung bei leichtem Anwärmen Dunkelfärbung, die auch bei Überschuß an Am- moniak bestehen blieb und ohne Zusatz von Destillat nicht eintrat. 2. Ein zweiter Versuch ganz entsprechend angesetzt. Als Vorlage der ersten Destillation diente diesmal "/,,-KHSO,-Lösung. Diese wurde nach beendeter Destillation mit überschüssigem Calciumcarbonat (nach Neuberg) versetzt und nochmals destilliert. Es wurde 20 ccm ca. Uno: KHSO,-Lösung, mit 50 ccm H,O verdünnt und eisgekühlt, vorgelegt. Danach betrug der Titer statt 18,0 ccm nur mehr 17,40 cem "/,g-Jod: 0,6ccm "/,-Jod = 0,3 mg Aldehyd. 3. Reduktionsversuch mit den doppelten Mengen Muskulatur, Dinitrobenzol und Phosphatlösung. Destillat in Wasser aufgefangen: SO cem. 40 cem Destillat + ”/,,„.KHSO,: Titerabnahme von 1,0 cem N/„, Jod. Gesamtaldehydmenge: 0,8 mg. Qualitative Reaktionen: Jodoformtrübung in der Kälte nach 1 Minute und Abscheidung charakteristischer Krystalle; mit ammoniakalischer Silberlösung: Dunkelfärbung; mit essigsaurem p-Nitrophenylhydrazin: Trübung ohne deutliche Krystallisation. 4. Reduktionsversuch mit 30g Muskulatur. Diesmal wurde das saure gelbe Filtrat von der Sublimatfällung sofort mit CaCO, versetzt und in Y/,,n-KHSO, hineindestilliert, bis ein Fünftel des Filtrats über- gegangen war. Titerabnahme 0 cem N/g, Jod. Aldehydmenge: 0. Demnach scheint der Aldehyd erst durch Erhitzen in saurer Lösung freigemacht zu werden. B. Mechanismus der Blausäurewirkung. 1. Messung des Dehydrierungswasserstoifes blausäurevergifteter Muskelzellen. a) HON-Konzentrationskurven. l. Ca. 2proz. wässerige HCN-Lösung (Merck DAB.) mit n/,-Kali- lauge neutralisiert, verdünnt und titriert. Je 10 ccm Lösung, 2 g Mus- kulatur und 0,2 g Dinitrobenzol. Nach 24 Stunden filtriert, mit Alkohol 2fach verdünnt und wieder filtriert. HCN-Konzentration Colorimeter- Reduktionshemmung Nitrophenylhydroxylamin 9/00 zahl Ur mg 0 11 Ö 18,16 0,1175 61,5 57 7,85 0,2125 62 57,3 7,75 0,935 61,5 57 71,85 2,0 57 51,7 8,8 4,1 54 48,3 9,4 0,5prom. Nitro- phenylhydroxyl- aminlösung 5l Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 487 2. 6prom. mit 1 Tropfen "/,-KOH neutralisierte HCN-Lösung (ti- triert), entsprechend verdünnt. Muskelfiltrate (nach 24stündiger Re- aktionsdauer) mit Alkohol 4fach verdünnt. HCN-Kon- Colori- Reduktions- Nitrophenyl- [2) zentration meterzahl hemmung hydroxylamin ERSRRURG ©/oo %o mg 0 59,5 0 18 0,15 837 67,9 5,8 155 33,9 59,2 7,56 3. Milieu: 1,5proz. K,HPO,-Lö- sung, die gleichzeitig einen Gehalt von a0/yo HEN (nicht neutralisiert) hat; in dieser Lösung 2 g Muskulatur suspen- diert, erst nach !/, Stunde Zusatz von 0,28 Dinitrobenzol. Reduktionsdauer ” 2 Stunden; dann Zusatz von je5 Trop- 04 08 12 16 20 24 28 32 36 40 44 SR a %0 HCN fen 15 proz. Essigsäure, filtriert, Ver- Kurve! k dünnung mit Alkohol 2fach. HCN-Konzentration Colorimeter- Reduktionshemmung Nitrophenylhydroxylam in Yo zahl IR mg 0 68,5 0 36 0,5 80,5 38,1 22,3 5,0 90 68,2 11,4 l prom. Nitro- phenylhydroxyl- aminlösung 85 2 prom. Nitro- phenylhydroxyl- aminlösung 65 4. Wiederholung. Reduktionsdauer 5 Stunden. Zusatz von je 5 Tropfen Essigsäure. Verdünnung mit Alkohol 4fach. HCN-Konzentration Colorimeter- Reduktionshemmung oo zahl 85 0) 15 0 0,05 63,5 57 0,11 65 58,8 1625 68 62,5 5,0 78 74,1 b) Reduktionszeitkurve unter HCN. 5. HCN-Konzentration 0,2°,, (nicht neutralisiert). Zusatz des Dinitrobenzol unmittelbar nach Suspendierung der Muskulatur in der Lösung; keine Verdünnung der Muskelfiltrate. 488 W. Lipschitz: Reduktionsdauer Colorimeter- Reduktionshemmung Nitrophenylhydroxylamin Std. zah io mg 2 87,5 42,3 1,73 4 84,5 28,3 2,15 6 33 21,3 2,36 21 78,5 0 3,0 0,5 prom. Testlösung 64 Zi] ©, R 6. Wiederholung. HCN-Konzen- 1 0 ” tration 0,2%/0- 20 Reduk- Colori- Reduk- Nitrophe- 30 tions- meter- tions- nylhydro- dauer . zahl hemmung xylamin #0 Std. Sr mg 50 7 2 32 36,8 2,46 60 7 4 79 26,3 2,87 70 6 77 19,2 3,15 R S n2 0,2 3,83 2 5 ) 3; en 5 l 2125 ( 3,9 0,5 prom. 0.2, 26 2 KurveA 27% Vestlösung 63,5 c) Bedeutung der Einwirkungsdauer der Blausäure auf die Zellen vor Beginn der Reaktion mit dem Dinitrobenzol. (BReihenfolgeversuche.) 7. 22 Muskulatur + 5 ccm Muskulatur + 10 ccm HCN H,O + 0,2 g Dinitrobenzol; nach a \ ’ von — °/..; nach 30 Minuten Zu- 30 Minuten Zusatz von 5 cem 2 oo: HCN von ad yo- satz von Dinitrobenzol. Reduktionszeit 20 Stunden. Verdünnung mit Alkohol 2fach. HCN-Endkonzentration Colorimeter- Hemmung Colorimeter- Hemmung 9/90 zahl rs zahl In 0 10 v 9 0 0,1 68 64,4 90 89 0,5 67,5 63,9 90 89 5,0 64,5 60,55 834,5 83 8. 2g Muskulatur in 10 ccm Dasselbe; jedoch Zusatz des HCN +0,28 Dinitrobenzol sofort. Dinitrobenzol erst nach 30 Min. Reduktionszeit 21 Stunden. -- - - - = ! | Colo- ER, ae I Col Hemmung mg Nitro- i HCN-Endkonzentration °/,, | meter- Bemmnne mg meter- InWo,, phenyl- | zahl in % | zahl | bezogen auf A hydroxylamin 0 «(Verdünnung 4fach) | 52,5 0 26,4 59,5 | 14,5 22.5 0,2 (Verdünnung 1fach) | 78,5 0 Kal er 21,3 2,36 0,5 prom. Testlösung .| 63,5 | 9. 0 (Verdünnung 4fach) | 45. .| 0 ı 304 | 55 18,2 24,65 0,2 (Verdünnung 1fach) | 71,5 0 39 79 | 26,8 2,87, 0,5 prom. Testlösung .| 63,5 Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 489 Die Hemmungswirkung der Blausäure auf die Zellreduktion ist pro- gressiv mit der Einwirkungsdauer. Es scheint von Interesse, daran zu erinnern, daß schon Overtont) in Versuchen an Kaulquappen diese progressive Wirkung der Blausäure festgestellt und als gegensätzlich zu der Wirkung allgemeiner Narco- tica betrachtet hat. Nach Overton deutet die progressive Natur der Wirkung darauf hin, daß zwischen der betreffenden Substanz und einem Bestandteil des Protoplasmas eine langsam ablaufende chemische Reaktion stattfindet. d) Wirkung von Neutralsalz auf die Reduktion der blausäurevergifteten Muskelzellen. (Vgl. Absatz A,l Versuch 3—6, S. 477 dieser Arbeit!) Reduktionsdauer 20 Stunden, Verdünnungsgrad 2 fach. - | ti 3 i . Nitro- a | an Colorimeterzahl a ne eye | % | Prozenten amin in mg RO || 0 55 0 19,56 | bezogen | auf: 0,25 | 0 07782 — 60 0 7,82 er | NaCl 0,1 78 —51,1 |+22,25 9,56 03. 0012 74,5 —43,3 |+41,7 11,08 = en, 0) 74 — 42,2 |+44,5 153 = KCl 0,1 77,5 2.502 1.1525 9,78 Es 02 74 — 42.2 | +44,5 113 1°/yo ige Nitrophenylhydroxylaminlösung = 54 2 088 0 46 0 21,2 bezogen | auf: 0,21 | ) 78 — 59,3 0 8,6 — | NaCl 0,2 71 — 46,3 |+31,94 11,4 u 00 68,5 —41,6 | +43,49 12,3 —.l KM 72 —48,1 |+27,5 11 40 015 67,5 —39,8 |+48 12,7 1°/oo ige Nitrophenylhydroxylaminlösung = 49 3) 0 0 57,5 On | | \bezogen | auf: 0,21 0 | 89,5 — 15,3 0 _ NaCl 0,25 | 85,5 —65,5 |+38,46 = OB | 85 —64,7 +42,91 ar oa 189 a 59 1) Studien über die Narkose. Jena. @. Fischer 1901, S. 75 und 105. 490 W. Lipschitz: Das Reduktionsvermögen der HÜN-vergifteten Zellen — ebenso wie der unvergifteten — steigt mit dem Gehalt der Lösungan Neutral- salz (NaCl und KCl ohne wesentliche Verschiedenheit) bis zur isoto- nischen Konzentration um 40%, an. 2. Messung der Dehydrierungskohlensäure bei HCN-Vergiftung. Die Trennung der veratmeten Kohlensäure von der Blausäure ver- läuft quantitativ, wenn man das Gasgemisch vor Erreichen der Baryt- absorptionsgefäße durch eine Waschflasche mit 10 proz. Silbernitrat- lösung leitet, die gleichzeitig 2%, reine Salpetersäure enthält. Unter diesen Bedingungen wird die Blausäure quantitativ als AgCN gefällt, während die Kohlensäure ohne Verlust passiert. Zur Sicherheit wurde jedoch hinter die Silbernitratflasche noch eine Walthersche Gaswasch- flasche mit der gleichen Lösung geschaltet, so daß ein Entweichen von Cyanwasserstoff unmöglich wurde. Doch blieb diese zweite Wasch- flasche stets frei von Silbercyanür. Das gefällte Silbersalz konnte durch Abfiltrieren, gründliches Auswaschen und Trocknen bei 110° quanti- tativ gleichzeitig mit der Kohlensäure bestimmt werden. Im übrigen wurden die Zelldehydrierungsversuche ganz entsprechend den im Ab- schnitt A, 2 S. 480 geschilderten angestellt. Nur wurden die Muskeln mit dem Dinitrobenzol in den Atmungskolken in 5 ccm Wasser (resp. Phosphatlösung) suspendiert, und es wurde erst nach dem Evakuieren und Wasserstoffdurchleiten durch den Tropftrichter 2,5 ccm HCN zu- gefügt und mit 2,5 ccm Wasser nachgespült, damit keine HCN-Ver- luste eintraten. Da im Abschnitt B,1c S. 480 festgestellt wurde, daß die Blausäurewirkung auf die Zellen progressiv verläuft, und speziell, daß die Reduktionshemmung geringer ist, wenn die Zellen eine Zeitlang mit dem Dinitrobenzol in Berührung waren, ehe Blausäure auf sie ein- wirkte, als umgekehrt, lassen sich die Blausäurehemmungskurven der CO,-Produktion nicht genau mit den unter anderen Bedingungen ge- wonnenen des Dehydrierungswasserstoffes vergleichen, wie etwa die früher dargestellten Zeitkurven beider Funktionen; es ergab sich trotz- dem kein Anhaltspunkt dafür, daß der respiratorische Quotient des Wasserstoffakzeptors Dinitrobenzol von 0,1—0,15 sich unter HCN etwa wesentlich verschiebt. Das wichtigste Ergebnis jedenfalls ist eindeutig, daß unter HCN Dehydrierungskohlensäure gebildet wird, während nach Warburg und Meyerhof die Atmung sistiert. Bestimmung von Kohlensäure aus einem Gemisch mit Blausäure. Die verwendete Sodalösung enthielt 2,2 mg CO, in 20 cem. Die verwendete HCN-Lösung war ca. 2proz. (D. A. B. Merck); KCN war unbrauchbar, weil es erhebliche Mengen Carbonat enthielt. Aus der vor Luft geschützten Bürette wurde Sodalösung in den Kolben gegeben, der mit den beiden Silbernitratflaschen und den CO,-Absorptionsgefäßen verbunden war, der Apparat wurde mit kohlen- Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 491 säurefreier Luft gespült, die Barytlauge eingefüllt, schließlich durch den Tropf- trichter des Atmungskolbens HCN und 15 ccm 20 proz. Schwefelsäure oder 10 ccm 1Oproz. Phosphorsäure hineingelassen und das Gasgemisch mit 9 Litern Luft übergetrieben. Sodalösung | 2% HCN Titerabnanme des Ba(OH), | gef. ccm | ccm | in cem n/,o Säure | en ber. — — STERN? —— —— — = = — = — — — | 0,095 0 10 0.43 nn | 0 | | 0,462 5 | 5 Fl — | ; 0,512 1,047 10 5 4,76 1,024 1,06 10 | 5 4,82 Ahr 1,024 1 „467 14 5 6,67 Sen 1,434 15 | 5 7,12 East | 1,536 I 5) En 20 5 9,35 203 2,048 20,5 5 92 a 2,099 2,748 } 30 5 12,49 2) | 3,072 2,935 30 5 13,34 2 3,072 Zellversuche. 1. Vier Atmungskolben mit je 2g Muskulatur, 0,2 g Dinitrobenzol und 5 ccm destilliertem Wasser beschickt, gemeinsam auf 100 mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt; Dauer 30 Minuten. Dann durch Tropftrichter je 2,5cem HCN und mit noch 2,5 ccm Wasser nachge- spült. Die HCN-Stammlösung wurde mit 1 Tropfen /,-Kalilauge, die CO,-frei war, neutralisiert. HCN-Konzentration im Tropftrichter 1: 0, 2:0,086%, 3 und 4:0,86%. Kolben 4 sofort mit je 10 ccm Alkohol + 10 ccm Phosphorsäure versetzt; Zellen darin abgetötet, Kolben 1 bis 3 erst nach 9 Stunden. Kolben HCN-Konzentration Inad/so Titerabnahme des Ba(OH), ale) zu Beginn wiedergefunden in ccm A/jo0-Säure = - il 0 0 8,0 1,76 2 0,215 Spur 7,0 1,54 3 2,15 0,92 6,77 1,489 4 2,15 1,38 5,9 1,298 t) Da hier wohl ein Analysenfehler vorlag, wurde die Bestimmung wiederholt. 492 W.Lipschitz: HCN-Konzentration in °/o Dehydrierungs-CO, in 9b mg 0 0,462 0,215 0,242 2,15 0,191 2. Fünf Atmungskolben wie oben auf 75mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt. Dauer 30 Minuten. Dann durch Tropftrichter 2,5 ccm HCN + 2,5 cem Wasser. Kolben 1 und 2 enthält kein Dinitro- benzol und 2,15%/,, HCN, Kolben 3—5 enthält 0,2 g Dinitrobenzol und HCN. Die Zellen in Kolben 1 und 3 mit Alkohol und Phosphorsäure sofort abgetötet, in den übrigen Kolben nach 12 Stunden. HCN-Konzentration °/go Titerabnahme des Ba(OH), Kolben zu Beginn wiedergefunden in ccm N/joo-SÄure ms CO: 1 2,15 nicht bestimmt 4,41 0,97 2 2,15 nicht bestimmt 4,80 1,056 > 2,15 1,47 5;37 1,181 4 2.15 1,55 6,71 1,476 5 0,215 0,2 1,9 1,738 HCN-Konzentration in °/go Dehydrierungs-CO, in 12h mg 0,215 0,557 2,15 0,295 2,15 „anaerob“ 0,086 3. Sechs Atmungskolben wie oben in 50 Minuten auf SO mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt. Die Zellen in Kolben 1 sofort abgetötet. Reduktionsdauer in den übrigen 10 Stunden. Die mit 1 Tropfen "/,-KOH neutralisierte HCN-Stammlösung war 16,4 prom. HCN-Konzentration °/go Titerabnahme des Ba(OH), Kolben zu Beginn wiedergefunden in ccm N/joo-Däure mg CO, 1 4,1 4,75 2,9 0,638 2 4,1 4,2 3,86 0,849 3 2,0 2,29 4,9 1,078 4 1,0 1,23 5,85 1,287 5 0,213 0,24 5,75 1,265 6 0) 0 6,4 1,408 HCN-Konzentration °/go Dehydrierungskohlensäure in 10h mg 0 0,77 0,213 0,627 1,0 0,649 2,0 0,44 4,1 0,211 4. Sieben Atmungskolben wie oben auf 75mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt; Dauer 35 Minuten. Kolben 5 enthält kein Dinitrobenzol und 1,020/,, HCN, alle übrigen enthalten Dinitrobenzol, Kolben 1 wird sofort mit Alkohol und Phosphorsäure fixiert, alle übrigen nach 91/, Stunden. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 493 4 ER i A en ec 1 4,1 nicht bestimmt 2,65 0,583 2 4,1 3,65 5,15 1133 3 2,0 nicht bestimmt 4,8 1,056 4 0,25 5 55 5 1,122 5 0,25 > > 2,45 0,539 6 0,142 2 = 51 1,122 7 0 ss 9 5,4 1,188 HCN-Konzentration °/gs \ Dehydrierungskohlensäure in 9!/,h mg 0 0,6 0,142 0,539 0,25 0,539 2,0 0,473 4,1 0,55 0,25 „anaerob“ 0 (—0,04) 5. Versuch in optimalem Milieu: Sieben Atmungskolben mit Mus- kulatur und je ccm 1,5proz. K,HPO,-Muskelkochsaft beschickt und gemeinsam auf 100 mm Druck evakuiert und mit Wasserstoff gefüllt. Dauer 35 Minuten. Zusatz von 2,5 cem Blausäure oder destilliertem Wasser durch den Tropftrichter und wieder nachgespült mit 2,5 ccm Phosphat-Kochsaft. Kolben 1 und 2 enthalten kein Dinitrobenzol, Kolben 1 und 3 sofort fixiert, alle übrigen nach 8 Stunden. HCN-Konzentration in °/os Titerabnahme des Ba(OH); Kolben zu Beginn wiedergefunden in cem 2/,o0-Säure mg CO, 1 0,25 nicht bestimmt 4,0 0,88 2 2 0,25 nicht bestimmt 4,3 0,946 3 4,2 (reichlich) 2,45 0,539 nicht bestimmt 4 ) 0 9,55 2,101 5 0,25 nicht bestimmt 9,3 2,046 6 0,55 0,34 8,85 1,947 7 4,2 3219 1639 1,617 HOCN-Konzentration Dehydrierungskohlensäure in 8 Std. in Phosphat-Kochsaft oo mg 0 1,562 0,25 1,507 0,55 1,408 4,2 1,078 0,25 „anaerob“ 0,066 6. Versuch in optimalem Milieu: Vier Atmungskolben wie oben beschickt und 30 Minuten mit Wasserstoff durchperlt. Kolben 1 und 3 enthalten 0,2 g Dinitrobenzol, 2 und 4 keines. Zusatz von je 2,5 ccm 2%, HEN (Merck DAB) durch alle vier Tropftrichter, mit 2,5 ccm Phos- 494 W. Lipschitz: 72 phat-Kochsaft nachgespült. Die Reduktion setzt in 1 und 3 bereits ein. Kolbenl und 2 mit Alkohol undPhosphorsäure sofort fixiert, 3 und 4 nach 11'/, Stunden. Bei allen vier CO,-Analysen reichlicher Nie- derschlag von AgCN. HCN-End- konzentration überall 5%/g9- Titerabnahme Kolben des Ba(OH); mg CO, i. ccm P/jo0- Säure 1 1,35 0,297 2 2,1j 0,462 3 5,34 1,175 4 1,66 0,365 HCN-Kon- Dehydrierungskohlensäure nach zentration 11'!/, Std. in Phosphat-Kochsaft o/ | [oo mg 4 2) ogoHch 3 0878 Kurve5. 5 „anaerob“ 0 (—0,097) 3. Wirkung der Blausäure auf die Bildung von Dehydrierungswasserstoff unter besonderen experimentellen Bedingungen. a) Strukturzerstörung der Muskelzellen. Die Methode der Strukturzerstörung mittels Gefrieren in flüssiger Luft und Pulverisieren ist früher beschrieben. Je 2,08 Muskelpulver in 10 ccm Flüssigkeit eingetragen und mit 0,2 g Dinitrobenzol vermischt. 1. Milieu: Destilliertes Wasser. Der Versuchsausfall nach 1?/, Stunden entspricht dem nach 20 Stunden. Dann abfiltriert und gegen willkür- lichen Keil eingestellt. KCN (mit HC1 neutralisiert) IR Colorimeterzahl !) 0 > % (völlig farblos) 0,6 62 1,2 54,5 5,0 21 2. Milieu: 0,5% NaCl-Lösung. HCN-Lösung nicht neutralisiert. Reduktionsdauer 20 Stunden bei 20°. HCN zucn Be Kölemneterzahl N PUR ER 0 >80 <13 0,2 63 2,4 2,0 63 2,4 0,2°%/ ige Nitrophenylhydroxylaminlösung: 69. !) Bei diesen wie anderen Versuchen war die Möglichkeit noch nicht erkannt, die Menge gebildeten Nitrophenylhydroxylamins quantitativ zu messen. Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 495 3. Milieu: 1,5 proz. K;,HPO,-Lösung. Reduktionsdauer 4!/, Stunden. Jedes Kölbchen mit 5 Tropfen 15proz. Essigsäure versetzt und nach Filtrieren colorimetriert. ae Chlormeterzanl en 0 34 2,2 0,2 79 2,87 2,0 74 3,56 Die Stimulation der strukturfreien Nitroreduktion ist in jedem Falle deutlich. b) Optimale Sauerstoffversorgung der Zellen. Als Gefäße wurden konische 75 cem-Saugflaschen benutzt, die mit 10 ccm Flüssigkeit, 2g Muskulatur und 0,2g Dinitrobenzol versetzt wurden, so daß das Gemisch ca. 1,2cm hoch den Boden bedeckte. Sie wurden dann mit Gummistopfen fest verschlossen und mit ihren Glasansätzen durch Druckschläuche an das gleiche Sauerstoffgasometer angeschlossen und in der gleichen Maschine bei ca. 0,4 Atmosphären Sauerstoffdruck langsam geschüttelt. Unter diesen Umständen wird die Nitroreduktion gegenüber der Sauerstoffatmung völlig ausgeschaltet. 1. Versuch: Lösungen ohne Muskulatur und Dinitrobenzol fest verschlossen unter 0,4 Atmosphären Sauerstoff 30 Minuten lang ge- schüttelt; dann Zusatz. Nach 2 Stunden ist der Reduktionsunterschied bereits sehr deutlich. Colorimetrie nach 21 Stunden. Keil willkürlich. KCN neutralisiert On Colorimeterzahl 0 >92 (völlig farblos) 0,6 90 6,0 78 2. Versuch: Flüssigkeiten mit Muskulatur unter Sauerstoffdruck 15 Minuten lang geschüttelt; dann Zusatz von Dinitrobenzol. Co- lorimetrie nach 20 Stunden. Willkürlicher Keil. KCN neutralisiert Oo Colorimeterzahl 0 90 0,3 88,5 0,6 36 1,2 74 5,0 60 Die Sauerstoffatmung der Muskelzelle ist unter Blausäure mit der Nitroatmung nicht mehr konkurrierend wirksam; diese wird also durch HCN stimuliert. c) Thermolabilität der unter HCN verlaufenden Nitroreduktion. Je 2 g Muskulatur in 5 ccm H,O von t° 20 Minuten lang aufbewahrt, dann abgekühlt und Zusatz von 5 ccm 1lproz. neutralisierten KCN Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 33 496 W. Lipschitz: und 0,2 g Dinitrobenzol. Reduktionsdauer 20 Stunden. Willkürlicher Keil (Normalreduktionsversuch). du Colorimeterzahl 20° 50 43—44° 74 57—58° 76 85—87° > 93 (völlig farblos) Wiederholung: 2 g Muskulatur in 5 ccm Wasser von 85° 15 Minuten aufbewahrt, dann abgekühlt und mit 5 cem 0,5proz. KCN + 0,2 g Di- nitrobenzol versetzt. Versuchsdauer 20 Stunden. Colorimeterzahl: > 92 (völlig farblos). d) Abhängigkeit der unter HON verlaufenden Nitroreduktion vom Cofer- mentgehalt der Zellen. l. Froschmuskulatur fein zerschnitten, 5mal je 5 Minuten mit der dreifachen Menge destillierten Wassers extrahiert, abgepreßt, je 2g in 10 cem Flüssigkeit mit 0,2 g Dinitrobenzol vermischt; nach 16 Stunden abfiltriert. ;Willkürlicher Keil. Suspensionsflüssigkeit Colorimeterzahl ag. dest. >= 02 1,5%, K,HPO, s6 0,45% KCN (neutralis.) 88,5 2. Muskulatur dreimal mit der dreifachen Menge destillierten Wassers je 5 Minuten extrahiert. Reduktionsdauer 16 Stunden. Suspensionsflüssigkeit Colorimeterzahl ag. dest. > 1,5%, K;HPO, 85 0,45%, KCN (neutralis.) 83,5 e) Wirkung von Narkotieis und Blausäure auf die Dehydrierung von Bernsteinsäure und Fumarsäure durch wasserextrahierte Muskulatur. l. Muskulatur 5mal extrahiert; 2 g-Portionen in 10 cem 1 proz. mit Soda genau neutralisierter Bernsteinsäure suspendiert, die gleich- zeitig Narkoticum oder Blausäure enthält. Normalversuch mit nicht extrahierter Muskulatur als Keilfüllung. Zeit: 20 Stunden. Suspensionsflüssigkeit Colorimeterzahl Hemmung in % ag. dest. >92 1% Bernsteinsäure + Äthylurethan % 0 42 0) 4 68,5 45,7 3 38 79,5 12 >92 > 9% Also normaler Verlauf der Narkotikum-Konzentrationshemmungs- kurve (8. 497). Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 497 Suspensions- Kolori- Hemmung flüssigkeit meterzahl in % RSLLIICN 1%, Bernsteinsäure IN + KCN (neutralis.) go < 0 42 0 0,012 52 17,2 u 0,12 66,5 42,2 0 0,3 1255 52,5 50 0,6 77,5 61,2 M 1,2 78,5 63 R 3,0 79,5: 64,7 E 4,8 s0 65,5 a 2. Muskulatur 4 mal extrahiert, sonst wie oben. al LU, In destilliertem Wasser zeigen die Zellen keine Athylurefhan” Spur von Reduktion mehr. Bernsteinsäure und Kurve 6. KCN genau neutralisiert. 1% Bernsteinsäure + KÜN %%go- 0) 0) 0,04 78 37 0,25 34 54 0,4 37 63 1,0 i 88,5 67 2,5 87 63 4,0 37 63 10,0 87 63 25,0 36,5 61,4 3. Muskulatur in der 20fachen Menge destillierten Wassers dreimal je 10—15 Minuten extrahiert. Je 2g in 10 ccm Flüssigkeit suspendiert und mit 0,2 g Dinitrobenzol vermischt. Reduktionsdauer 20 Stunden. Muskulatur in ag. dest. vollständig reduktionsunfähig. 1proz. KCN- Stammlösung mit HCl genau neutralisiert und in der Weise verdünnt, daß 9ccem Blausäurelösung mit je Il ccm genau neutralisierter 5 proz. Bernsteinsäure- resp. 5proz. Fumarsäurelösung vermischt wurden. Suspensionsflüssigkeit Kolorimeterzahl Hemmung in % 0,5% Bernsteinsäure + KCN /go- 0 30 0 0,018 60 43 0,14 69 55,7 0,28 73 61,4 0,56 s0 71,4 111133 83,5 76,4 0,5% Fumarsäure + KON %go- 0 73 0 0,018 74 4 Steigerung in % 0,56 70,5 9 1,13 zal 7 2,25 66 26 4,5 58 56 9,0 50,5 83 498 W. Lipschitz: 4. Muskulatur in der 17fachen Menge Wassers dreimal je 5 bis 7 Minuten extrahiert. Muskulatur in aq. dest. vollends reduktions- unfähig; sonst wie oben. Suspensionsflüssigkeit Kolorimeterzahl Hemmung in % 0,5% Bernsteinsäure + KCN’/yo 0 42,5 0 0,033 54 20 0,133 70,5 49 0,266 77 60 0,53 82 69 1,0 82 69 2,11 s0 65 4,23 78 62 8,5 73,5 54 Suspensionsflüssigkeit Kolorimeterzahl resp. ne m in % 0,5% Fumarsäure + KCN’/yo 0 38 0 0,033 44 — 10 0,133 46 —13 0,266 54,5 - — 26,6 0,53 55 — 27,5 1,0 49 —18 2,11 3l +11,3 4,23 23 +24 8,5 —3 +66 (ohne Muskulatur 8,5 >91), 5. Muskulatur dreimal je 5 Minuten mit Wasser extrahiert, in ag. dest. völlig reduktionsunfähig. 0,5% Fumarsäure + KONP/go- 0 74,5 0 0,1 74,5 1) 0,21 74 —l 0,42 74 —l 0,86 74 —l 1,67 67 +29,4 3,5 58 164,7 8,4 49 +100 6. Wie oben. 0,5% Fumarsäure + KON 0 54 0 0,034 71 — 837 0,27 67 —28 1,0 66 —26 2,0 59,5 —12 8,5 36 +39 Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 499 7. Sehr fein zerschnittene Muskulatur dreimal je 8 Minuten mit der 40fachen Menge destillierten Wassers extrahiert und stark inaktiviert. Reduktionsdauer 20 Stunden. Willkürlicher Keil. 80 90 700 022704206 IN U 74 615 5 %o KHCN (meufralis.) - Kurve 7. Bernsteinsäuremuskulatur. Die Kurven ver- laufen weiter fast ‚ genau horizontal bis ca. 5%, KCN (vgl. die Tabellen !) 0 70 3,0 30 40 30, 60 70 %oHCN (neutralisiert) Kurve8. Fumarsäuremuskulatur. Anfangshemmung bei (5) 74,5, bei (3) 73, bei (4) 38, bei (6) 54. 500 W. Lipschitz: Kolorinieteränl Nitrophenylhydroxylamin mg Normalmuskulatur in H,O. Ver- dünnung mit Alkohol 4fach 56 24,1 0,5 °/9o Nitrophenylhydroxylamin- lösung 63,5 wasserextrahierte Muskulatur in 0,5 proz. neutralis. Fumarsäure, die gleichzeitig enthält %/oo HCN (nicht neutralis.). ° 0 >92 = 0,25 90,5 1,3 0,6 38 1,64 1,25 85 2,05 2,5 77,5 3,08 10,0 68 4,38 Die Stimulation der Fumarsäure-Dinitrobenzol-Oxydoreduktion von kofermentfreien Muskelzellen durch Blausäure ist also auch unter ex- tremen Bedingungen ganz deutlich und quantitativ meßbar. Zusammenfassung. T. l. Die früher beschriebene biologische Reduktion des farblosen m-Dinitrobenzol zu dem gelben m-Nitrophenylhydroxylamin diente bisher als Basis einer vergleichend-quantitativen Meßmethode der Atmungs- und Gärungsgeschwindigkeit. Die Reaktion läßt sich aber auch zu quantitativen Messungen des Dehydrierungswasserstoffes benutzen, indem man einen mit reinem m-Nitrophenylhydroxylamin geeichten Keil im Autenriethschen Kolorimeter verwendet. 2. Die Menge des durch” 2 g zerschnittene Froschmuskulatur in 10 ccm destilliertem Wasser in 8 Stunden gebildeten Reduktions- produktes beträgt danach 15—25 mg; in isotonischer NaCl- oder KCI- Lösung (ohne Unterschied) ist die Reduktion noch gesteigert; in CaC];- Lösung von der in der Ringerlösung angewandten Konzentration (0,1°/,0) erheblich vermindert; dem wirkt auch gleichzeitiger NaCl- Zusatz nicht entgegen. Demgemäß ist selbst bicarbonathaltige Ringer- lösung ein ungünstigeres Reaktionsmilieu als destilliertes Wasser. Das optimale Milieu für die Nitroatmung ist Muskelkochsaft, der 1,5% K,HPO, enthält oder auch Natriumphosphatgemisch von ?y = 7,4. In diesem Falle beträgt die Menge des Reduktionsproduktes bereits nach 2 Stunden ca. 20 mg, nach 4—8 Stunden 30—40 mg, mitunter bis zu 50 mg nach 8—24 Stunden. Diesen Mengen entsprechen stöchio- metrisch 4 resp. 6—-8—10 mg O,, ein Sauerstoffverbrauch, der nach seiner Größenordnung durchaus den Respirationsversuchen von Meyer- hof entspricht. Der Reduktion von Nitrosauerstoff wiederum ent- sprechen große Mengen von unvollständig oxydierter Milchsäure, die Über den Mechanismus der Zelloxydationen und der Blausäurewirkung. 501 wohl dem gesamten Bestand der Muskulatur an Kohlehydrat gleich- kommen. Bei hoher Atmungsgeschwindigkeit der Zellen oder relativem Mangel an Dinitrobenzol findet Reduktion über Nitrophenylhydroxylamin hinaus bis zu Nitranilin statt, kenntlich an der Azofarbstoffbildung mit &-Naphthol — reduktive Entgiftung. 3. Die anaerob auf Kosten von Nitrosauerstoff verlaufende Ver- brennung von Muskelsubstanzen führt zur Bildung von Kohlensäure. Es ist also bei Gegenwart geeigneter Wasserstoffakzeptoren eine anaerobe — nicht carboxylaseartige — Kohlensäurebildung auch höherer tierischer Zellen nachweisbar. 4. Die produzierte Kohlensäuremenge beträgt bei Nitroatmung von 2g Muskulatur in 8 Stunden in destilliertem Wasser etwa 0,6 mg, in optimalem Milieu etwa 1,3 mg; das entspricht der Steigerung der Nitroreduktion. In jedem Falle aber beträgt die Kohlensäurebildung nur 10— 15% der Wasserstoffaktivierung oder des Sauerstoffverbrauchs. 5. Während also der respiratorische Quotient der atmenden Frosch- muskelzelle für den Wasserstoffakzeptor Sauerstoff (gasförmig) nach Meyerhof 1,06 beträgt, ergibt er sich für den Wasserstoffakzeptor Dinitrobenzol nur zu 0,10—0,15. Daraus folgt eine Anhäufung von über 80% unvollständiger Verbrennungsprodukte der Milchsäure, die möglicherweise durch Reaktion mit dem gleichzeitig entstehenden Nitrophenylhydroxylamin fixiert werden. Von diesen wurde in kleinen Mengen Acetaldehyd nachgewiesen. ET. 6. Die Nitroreduktion atmender Muskelzellen wird bereits bei sehr niedrigen Blausäurekonzentrationen merklich gehemmt und erreicht bei ca. 0,30/,, HCN ihr Minimum von ca. 40%; die gleiche Beobachtung wurde auch in optimalem Reaktionsmilieu (sekundärem Phosphat) gemacht. Die Reduktionshemmung bleibt jedoch im Gegensatz zur Atmungshemmung und im Gegensatz zur Wirkung allgemeiner Nar- kotika stets inkomplett, so daß selbst in fast 0,5 proz. Blausäurelösungen eine Reduktion von 4—9 mg Dinitrobenzol stattfindet. 7. Dieser Reduktion entspricht wiederum die Bildung von Kohlen- säure bei niedrigem respiratorischen Quotienten. 8. Die Wirkung der HCN auf die Reduktion wasserextrahierter Bernsteinsäuremuskulatur besteht in einer inkompletten Hemmung, die Wirkung auf Fumarsäuremuskulatur in einer Reduktionssteigerung. 9. Die minimale Reduktion strukturzerstörter Froschmuskelzellen wird durch HCN stimuliert. 10. Die unter Blausäure verlaufende Nitroreduktion normaler Zellen ist durch konkurrierenden Zuftsauerstoff nicht ausschaltbar. 502 W. Lipschitz: Über den Mechanismus der Zelloxydationen usw. 11. Dagegen ist sie thermolabil und an die Gegenwart von Coferment gebunden. 12. Auf Grund der obigen Beobachtungen, die eine Ähnlichkeit der durch HCN umgeschalteten Nitroreduktion atmender Zellen mit der gärender Ascariszellen ergeben, wird folgende Theorie aufgestellt: Die Blausäure schaltet atmüngsartige Oxydo- Reduktionen (Schwermetall- katalysen) in gärungsartige schwermetallfreie um. Nachtrag bei der Korrektur: Unterdessen ist auch eine wichtige thermodynamische Beobachtung veröffentlicht worden, die darauf hin- deutet, daß anaerobe, ja selbst unter Blausäure verlaufende energie- liefernde Prozesse im Muskel sich vollziehen: A. V. Hill!) studierte in einer neuen Untersuchungsreihe die verschiedenen Phasen der Wärme- produktion im Froschsartorius; er fand in Abwesenheit von Sauerstoff, d.h. nach mehrstündigem Verweilen in reinem Stickstoff, wobei Reize gesetzt wurden, die Aufbrauch des Restsauerstoffs bewirken sollten, daß trotzdem eine verzögerte Erholungswärmeproduktion eintrat. Sogar wenn ein dünner Sartorius mit 0,0007 bis 0,002 n-Cyankali getränkt wurde, fand noch 30% der Initialwärmeproduktion statt. Für diesen Befund gibt es nach Hill 3 Erklärungsmöglichkeiten: 1. Chemische Reaktionen des Erholungsprozesses können bis zum gewissen Grade vor sich gehen und vor dem Oxydationsstadium halt machen. 2. Im Muskel existiert ein Wasserstoffakzeptor, wie das Hopkinssche Dipeptid, der Oxydationen sogar in Abwesenheit von molekularem Sauerstoff be- wirkt. 3. Die sauerstoffreie Wärmebildung muß zum Jlnitialstadium und nicht zum Erholungsstadium gerechnet werden. Während Hill noch nicht in der Lage ist, zwischen diesen drei Erklärungsmöglich- keiten zu entscheiden, darf man nach obigen chemischen Beobachtungen die zweite der erwähnten Möglichkeiten für am nächsten liegend halten; gebildeter Dehydrierungswasserstoff und Wärmeproduktion führen zur gleichen Folgerung. !) The mechanism of muscular contraction. Physiol. reviews, vol. II Nr. 2, April 1922. Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. Von S. M. Neuschlosz. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Frankfurt am Main.) Mit 13 Textabbildungen. (Eingegangen am 23. Juni 1922). Untersuchungen, welche ich in Gemeinschaft mit O. Riesser!) über die physikochemischen Grundlagen der Veratrinzuckung unternommen habe, führten uns zu einer Theorie der Veratrinwirkung, die sich auf eine Anzahl physiologischer und physikochemischer Tatsachen stützte und aus welcher sich die bekannten Erscheinungen des Veratrineffektes unmittelbar ableiten ließen. Das Wesentliche dieser Theorie besteht in einer Verquickung der bekannten Anschauung Botazzis?) über die Bedeutung des Sarkoplasmas als des Substrates der tonischen Muskel- verkürzung mit der modernen Säurequellungstheorie, wie sie nament- lich von Pauli?) und von Fürth) vertreten wird. Was ihre anatomischen Grundlagen betrifft, beruhen unsere Vor- stellungen auf den allgemein bekannten histologischen Verhältnissen der Muskelfaser, indem wir drei funktionell verschiedene Elemente im Muskel unterscheiden: 1. die quergestreifte Fibrille, 2. das Sarko- plasma und 3. eine außerhalb dieser liegende Grenzmembran, die anato- misch vielleicht mit dem Sarkolemm zusammenfällt. Von diesen drei Gebilden erachten wir die Fibrille und das Sarkoplasma zu aktiver Kontraktion befähigt, während wir über die Natur der Grenzmembran zunächst noch nichts auszusagen vermögen und auch die Möglichkeit offen lassen wollen, daß es sich hierbei vielleicht gar nicht um ein selb- ständiges Formelement, sondern etwa um die Grenzschichte des Sarko- plasmas handelt. Was uns allein von Bedeutung zu sein scheint, ist, daß außer der Fibrille und dem Sarkoplasma ein von beiden funktionell 1) Riesser und Neuschlosz Arch. Pflügers f. d. ges. Physiol. 93, 179. 1922. ?) Botazzi, Arch. f. Physiol. 1901, S. 377. 3) Pauli, Kolloidehemie der Muskelkontraktion. Dresden 1912. 4) v. Fürth, Ergebnisse der Physiologie 17, 3. 1919. 504 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen durchaus differentes Gebilde vorhanden sein muß, welchem Membran- eigenschaften zukommen. Wie auf Grund dieser funktionellen Dreiteilung der Muskelfaser unter Berücksichtigung der kolloidchemischen Eigenschaften des Vera- trins wir zu einem Verständnis der charakteristischen Muskelwirkungen dieses Giftes gelangen können, ist in den erwähnten Arbeiten ausführ- lich besprochen worden. Hier sei nur hervorgehoben, daß unseren Anschauungen nach zwei Faktoren für das Zustandekommen typischer Veratrinzuckungen von Bedeutung sind: eine Quellungsbegünstigung im Inneren des Sarkoplasmas und eine Entquellung und Ab- dichtung der Fasergrenzschichten. Sind diese beiden Bedingungen erfüllt, so ist es verständlich, daß die bei der Zuckung an der Fibrille gebildeten Säuren aus der Faser nur langsam abdiffundieren können und das quellungsfähiger gewordene Sarkoplasma zur Quellung und dadurch zur Kontraktion bringen. In bezug auf nähere Einzel- heiten unserer Vorstellung kann auf die genannten Arbeiten verwiesen werden. Der größte Teil der neueren Forscher erachtet aber den zweiten Gipfel der Veratrinzuckung nur als einen besonders prägnanten Fall für den bei jeder Muskelzuckung mehr oder weniger in Erscheinung tretenden toni- schen Anteilder Kontraktion. Die zweite Erhebung in der Zuckungskurve des mitVeratrin vergifteten Muskels gehört demnach zu derselben Gruppe von Erscheinungen, wie die auch bei völlig normalen Muskeln auftretende Funkesche Nase oder die Tiegelsche Contractur. In diese Kategorie fällt ferner die sogenannte ‚innere Unterstützung‘ (v. Frey), die bei rhythmischer Reizung des Muskels auftritt und sich in einer mehr oder weniger ausgesprochenen Erhöhung der Fußpunktlinie über die Abszisse kundgibt. All’ diese Eigentümlichkeiten des Muskels können im Grunde genommen als ein Ausdruck seiner Tonusfunktion angesehen werden, so daß auch für diese im Sinne unserer Anschauungen eine Abhängigkeit von den erwähnten zwei Faktoren: von der Quellbarkeit des Sarko- plasmas und der Permeabilität der Fasergrenzschichten gefordert werden müßte, soweit wir unsere Theorie aufrecht erhalten wollen. Hier ergab sich also eine weitere Gelegenheit, unsere Vorstellungen auf ihre Stichhaltigkeit einer Prüfung zu unterziehen und da wir, wie im folgenden gezeigt werden soll, von diesen Anschauungen aus- gehend eine nicht unerhebliche Anzahl neuer Tatsachen aufzufinden vermochten, die alle in ihren wesentlichsten Zügen vorausgesagt werden konnten, dürfen wir wohl behaupten, daß unsere Theorie über die physiko-chemischen Grundlagen der tonischen Muskelverkür- zung ohne Rücksicht auf ihre endliche Richtigkeit zumindest uns in dem Studium dieser wicht'gen Teilfunktion des Muskels ein Stück weiter bringen kann. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 505 Wie bereits kurz erwähnt wurde, spielen nach unseren Anschauungen Quellungs- und Entquellungsvorgänge innerhalb der Muskelfaser eine ausschlaggebende Rolle bei dem Zustandekommen tonischer Kontrak- tionen. Nun kennen wir eine Reihe von Substanzen, deren Einfluß auf den Quellungszustand von Kolloiden im allgemeinen als wohl- definiert angesehen werden kann. Außer den Säuren und Alkalien gehören zu diesen in erster Reihe die Ionen der Neutralsalze. So wissen wir, daß die zweiwertigen Erdalkalikationen und die mehrwertigen Anionen: Sulfat, Tartrat, Oxalat und Citrat entquellend, die Alkali- kationen, namentlich das Kalium und die einwertigen Anionen: NO,, J und CNS quellungsbegünstigend wirken. Es schien mir daher mit Hinblick auf unsere Anschauungen von erheblichem Interesse zu sein, ob der Einfluß, den die genannten Ionen auf die tonische Muskel- verkürzung ausüben, mit der Theorie in Einklang stehen oder gar aus ihr vorhergesagt werden können. Die Neutralsalze wurden deshalb auf ihre Wirkung auf die Einzelzuckung normaler und mit Veratrin vergifteter Muskeln und gegenüber der inneren Unterstützung bei rythmischer Reizung untersucht. Seit den grundlegenden Versuchen Overtons!) über die Bedeutung der Neutralsalze für die Muskelzuckung, ist ja über dieses Thema eine recht ansehnliche Zahl von Arbeiten veröffentlicht worden. Doch wurden diese Arbeiten ausnahmslos von durchaus anderen Gesichtspunkten aus unternommen, als die vorliegende, und es wurden daher auch die Versuchsbedingungen anders gewählt, als die von mir eingehaltenen. Ein unmittelbarer Vergleich meiner Versuchsergebnisse mit denen früherer Autoren ist deshalb in den meisten Fällen nicht durchführbar. Während nämlich die meisten Forscher die Bedeutung des einen oder anderen Ions für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Erregbarkeit oder Contractilität des Muskels feststellen wollten und daher frische oder mit Anelektrolyten vorbehandelte Muskeln mit reinen oder annähernd reinen Salzlösungen behandelten, trachtete ich die verwendeten Salzgemische stets derart zu gestalten, daß die Erregbarkeit und die Zuckungshöhe des Muskels der Norm gegenüber nicht oder nur ganz unbeträchtlich verändert wurde. Während ferner in früheren Arbeiten über die Einwirkung von Salzen im allgemeinen nur auf die Reizschwelle, auf die Zuckungshöhe und auf spontan ein- tretende Kontraktionen geachtet wurde, legte ich mein Augenmerk auf den zeitlichen Verlauf der einzelnen Kontraktionen, also auf die genauere Form der Zuckungskurven, welche unter der Einwirkung verschiedener Lösungen auftreten. Eine ausführliche Besprechung der bisherigen Literatur über die Wirkung von Neutralsalzen auf den Skelettmuskel soll daher an dieser Stelle nicht erfolgen, da sich aus 1) Overton, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 92. 1902 und 105, 176. 1904. 506 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen ihr für die hier zu erörternden Fragen doch keine wesentlichen Gesichtspunkte ergeben. Soweit dies in einzelnen Fällen erforderlich sein wird, sollen die betreffenden Angaben früherer Autoren in Zusammen - hang mit meinen Versuchen mitdiskutiert werden. Methodik. Die zu besprechenden Versuche sind ausschließlich an den isolierten Gastro- cnemien von Rana temporaria in den Wintermonaten von November bis März ausgeführt worden. Die Muskeln sind nach dem von Kopyloff beschriebenen Ver- fahren in froschisotonischer Ringerlösung (NaCl : 0,6%, KCl :0,01%, CaCl; : 0,01%, NaHCO, : 0,01%) suspendiert worden, durch die aus einem Gasometer andauernd Sauerstoff durchperlte. Zur Reizung diente ein Dubois- Reymond sches Schlitteninduktorium. Bei der rhythmischen Reizung wurde ein Pendelunter- brecher verwendet, dessen Frequenz 120 in der Minute betrug, während Einzel- reize (stets nur Öffnungsschläge) mil Hilfe zweier Quecksilberschlüssel (je einer im primären und sekundären Stromkreise) gegeben wurden. Als Stromquelle diente ein Akkumulator mit 2,2 Volt Klemmenspannung. Der Muskel griff an einem leichten zweiarmigen Hebel an, der mit 10 g belastet war. Die Übertragung auf die Trommel geschah mit einer 10fachen Vergrößerung. Nach Suspension des Muskels in Ringerlösung wurde der eben maximal wirkende Reiz festgestellt und der Rollenabstand während des ganzen Versuches unverändert gelassen. Es wurden dann in kurzen Zeitabständen einige Einzel- zuckungen und schließlich eine kurze Reihe rhythmischer Kontraktionen ausge- führt. Hiernach wurde die reine Ringerlösung gegen die zu untersuchende ge- wechselt. Die meisten Autoren, die mit einer ähnlichen Versuchsanordnung gearbeitet haben, trachteten den osmotischen Druck ihrer verschiedenen Lösungen stets genau gleich zu halten. Dies erreichten sie meistens dadurch, daß sie bei Zusatz irgend- eines Salzes (z. B. KCl in höherer Konzentration) den NaCl-Gehalt der Lösung so stark herabsetzten, daß ihr osmotischer Druck unverändert blieb. Durch diesen Vorgang unterscheidet sich aber die zweite Lösung von der ursprünglichen, nicht nur in bezug auf ihren Gehalt an dem zugefügten Salze, sondern auch durch ihren geringeren Gehalt an NaCl. Hierdurch entsteht aber eine gewisse Unsicherheit in der Deutung der Resultate, da es bei einer Änderung im Verhalten des Muskels in der zweiten Lösung gegenüber der ersten zunächst unentschieden bleibt, ob dieselbe auf den Zuschuß an K, oder auf den Mangel an Na zurückzuführen ist. Um diese Fehlerquelle zu vermeiden ging ich stets von der vollen Ringerlösung aus, zu der ich dann die betreffenden Salze in verschiedenen Konzentrationen hinzufügte. Daß die hierdurch bedingte geringfügige Hypertonie dem Muskel weitaus weniger schädlich ist, als eine Isotonie, die auf Kosten von NaCl aufrecht erhalten wird, ergab sich, daraus, daß die Muskeln in meinen Versuchen, z. B. in Lösungen mit erhöhtem Gehalt, ihre ursprüngliche Erregbarkeit und Contractilität wesentlich länger bei- behielten, als in den Versuchen, wo auf die Konstante des osmotischen Druckes mit äußerster Sorgfalt geachtet wurde. Bei der verhältnismäßig geringen Dauer meiner Versuche spielen kleine Schwankungen im osmotischen Druck offenbar keine be- trächtliche Rolle, während die Aufhebung des Ionengleichgewichtes sich in ihren Wirkungen sofort bemerkbar macht. Von der Regel, bei der Herstellung der Lösun- gen stets von unveränderter Ringerlösung auszugehen, wurde nur in den Fällen Abstand genommen, in denen Salze zur Untersuchung gelangten, deren Anionen unlösliche Caleiumsalze bilden (z. B. Oxalat oder Citrat). Diese Salze wurden naturgemäß in caleiumfreier Ringerlösung verwendet. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 507 Die Wirkung von K und Ca auf die innere Unterstützung des Muskels. Erhöhen wir den Gehalt der Ringerlösung an KCl auf etwa das Zehnfache (0,1%), ohne eine Änderung an irgendwelchen anderen Bestandteilen vorzunehmen, so behält der Muskel seine ursprüngliche Zuckungshöhe stundenlang unverändert bei, und wenn wir den Muskel nur mit Einzelschlägen reizen, so läßt sich während dieser Zeit auch nicht die geringste Abnormität in seinem Verhalten nachweisen. Daß aber der funktionelle Zustand des Muskels nichtsdestoweniger eine Änderung erfahren hat, wird sofort offenbar, wenn wir ihn rhythmisch zu reizen beginnen. Ein Beispiel möge dies veranschaulichen. Versuch 43. Temporaria 3. 2. XI. 1921. (Hierzu Abb. 1.) 9h 45’ Suspension des einen Gastrocnemius in Ringerlösung. — 9% 50° Reizung des Muskels mit rhythmischen Schlägen während 20” (R.A.: 6cm, Fr: 120) (Abb.la) 9h 51° Der Muskel erhält eine Ringer- lösung mit 0,1% KCl. — 10% 37’ Reizung des Muskels während 20” (Abb. 1b). — 10h 38° Wechsel gegen reine Ringerlösung. — 10% 46° und 1109’ frische Ringer- lösung. — 11" 47’ Rhythmische Reizung während 20”. (Abb. Ic.) Ausdiesem Beispiel, dessen Ergeb- nis sich in einer Anzahl von Versu- chen immer wieder bestätigen ließ, geht hervor, daß durch die Einwir- kung überschüssigen Kaliums die innere Unterstützung des Muskels eine derartige Erhöhung erfährt, daß die Fußpunktlinie desselben sogleich nach Beginn der rhythmischen Reizung zu steigen beginnt, nach wenigen Zuckungen eine gewisse Höhe erreicht und so lange auf dieser verbleibt, als die rhythmische Reizung andauert. Wird die Reizung längere Zeit hindurch fortgesetzt, ohne sie zu unterbrechen, so steigt die Fußpunktlinie allmählich noch weiter an, und der Muskel fällt schließlich in eine Ermüdungscontractur. Wird jedoch die Reizung rechtzeitig unterbrochen, so fällt die Fußpunktlinie wieder bis zur Abszisse ab, um bei neuerlicher Reizung sofort wieder anzusteigen. Durch öfteres Auswaschen des Muskels mit reiner Ringerlösung läßt sich der durch Kalium hervorgerufene Zustand des Muskels restlos beseitigen und der Muskel schreibt wieder Kurven, die sich von den vor der Kaliumeinwirkung erhaltenen durch nichts unterscheiden. Durch Ruhe wird die Beseitigung der Kaliumwirkung merklich be- schleunigt, während sie durch öfteres Reizen lange hintangehalten werden kann. '#: Bei der Unentbehrlichkeit des Kaliums in physiologischen Lösungen liegt natürlich die Annahme nahe, daß diese Begünstigung der inneren Unterstützung, die der Muskel durch Kalium erfährt, auch unter Abb. 1a—c. 508 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen normalen Bedingungen nicht ohne Bedeutung sein dürfte, und zwar um so mehr, als, wie dies weiter unten noch besprochen werden soll, das Weglassen des Kaliums aus der Ringerlösung, ebenso wie die Er- höhung der Calciumkonzentration zu einer merklichen Verlängerung des Muskels führt. Es sei daher in diesem Zusammenhange noch darauf hingewiesen, daß während einerseits von E. Frank!) die Abhängigkeit des Muskeltonus vom parasympathischen Nervensystem immer ener- gischer verfochten wird, anderseits S. @. Zondek?) neuerdings die Theorie aufgestellt hat, daß das Wesen der parasympathischen Nervenerregung in der Mobilisation von Kaliumionen zu suchen sei. Ein Parallellismus zwischen dem Effekte der Pyrasympathicusreizung und der Kalium- wirkung besteht tatsächlich bei den verschiedensten Organen. Für den Fall des quergestreiften Muskels konnte KRiesser?) den Beweis erbringen, daß die Wirkung hoher Kaliumkonzentrationen mit dem des sonst als typisch parasympathicomimetisch bekannten Giftes Acetylcholin weitgehende Ähnlichkeit aufweist. Es spricht demnach so manches für die Vermutung, daß der physiologische Muskeltonus vielleicht durch die Kaliumionen aufrechterhalten wird und daß alle Faktoren, die eine Änderung desselben herbeizuführen vermögen, letzten Endes nur eine Erhöhung oder Herabsetzung der freien Ka- liumionen an den ‚Stellen ihrer Wirkung‘ verursachen. Eine ein- gehendere experimentelle Begründung dieser Annahme muß allerdings weiteren Untersuchungen vorbehalten werden. Ein in manchen Punkten gerade entgegengesetztes Bild bietet der Muskel dann, wenn er mit einem geringen Überschuß von CaCl, be- handelt wird. Als Erläuterung hierzu kann folgender Versuch dienen. Es sei gleich hervor- gehoben, daß Weglassen des normalen Kaliumgehaltes der Ringerlösung dieselbe Wirkung hat, wie Calciumzusatz. Versuch 46. Temporaria ©. 4. XI. 1921. (Abb. 2.) 2h 15° Suspension des Gastro- cnemius in Ringerlösung. — 2" 24’ “ Rhythmische Reizung. R. A.: 6 cm. Abb. 2a 6. Fr.: 120 (Abb. 2a). — 2h 25° 0,1% CaCl, in Ringer. — Gegen 3" be- einnt die Fußpunktlinie des nur selten und während ganz kurzer Zeiten ge- reizten Muskels zu sinken an. — Um 4" befindet sich die Fußpunktlinie schon !) E. Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1920 und Kongreß d. D. Ges. f. Inn. Med. in Wiesbaden 1922. ?) 8. @. Zondek, Deutsch. med. Wochenschr. 1921. 3) Riesser u. Neuschlosz, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 92%, 254. 1922. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 509 weit unterhalb der Abscisse. — 4" 58” Rhythmische Reizung (Abb. 2b). — 5h 01’ Rückversetzung des Muskels in reine Ringerlösung. — 5" 15’, 5h 45’, 6" 20°, 7" 10° und 8% frische Ringerlösung. — 8" 05° Rhythmische Reizung. (Abb. 2c.) Versuch 39. Temporaria . 28. X. 1921. (Abb. 3.) Etwa eine halbe Stunde lang, nachdem der Muskel in die Calcium- lösung versenkt worden ist, ist eine Wirkung überhaupt nicht nach weis- bar. Einzelzuckungen, wie rhythmische Kontraktionsreihen erscheinen durchaus unverändert. Dann aber beginnt sich die Wirkung des Cal- ciums langsam geltend zu machen. Sie äußert sich hauptsächlich in einem stufenweise einsetzenden Abfall der Fußpunktlinie des Muskels unter die Abszisse. Der Muskel wird andauernd länger und schlaffer und erreicht nach etwa zwei Stunden seinen Tiefpunkt. Die Erreg- barkeit und die Contractilität des Muskels ist selbst in diesem Zustande der Norm gegenüber nicht oder nur unwesentlich herabgesetzt. (Abb. 2b.) Die Zeit, die zur vollen Entwicklung der Calciumwirkung erforder- lich ist, ist außer von der Giftkonzentration namentlich davon abhängig, dh 45° | au 57, Abb. 3. ob der Muskel viel oder wenig gereizt wird. Bei einem Muskel, der sich in vollkommener Ruhe befindet, tritt die Wirkung verhältnismäßig schnell ein, sie kann aber durch häufiges Reizen stark verzögert, oder gar gänzlich aufgehalten werden. Ist die Wirkung jedoch einmal ein- getreten, so läßt sie sich auch durch noch so starke Reizung nicht mehr aufheben. Reizen wir einen solchen mit Calcium vergifteten Muskel, nachdem die Verlängerung deutlich eingetreten ist, andauernd weiter, so zeigt er höchstens nur eine ganz vorübergehende Ermüdungscon- tractur, um dann allmählich wieder unteı‘ die Abszisse zu fallen. Auch die Erschöpfung des Muskels tritt bei immer kleiner werdenden Zuckungen im Zustande maximaler Dehnung ein. Selbst das Eintreten der Toten- starre wird durch Ca verhindert und der Muskel hält seine maximale Länge auch nach dem Absterben dauernd bei. Das eigentümliche Bild, welches ein mit Calcium vergifteter Muskel bei seiner Ermüdung dar- bietet, zeigt Abb. 3. Versuch 39. Temporaria @. 28. X. 1921. (Abb. 3.) 11" 50° Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung. — 12" Rhythmischer Reizung. R. A.: 6 cm, Fr: 120. — 12h 02’ CaC], 0,1% in Ringerlösung. — Dann 510 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen bleibt der Muskel in vollkommener Ruhe bis 4" 44’, — 4h 45’—4h 57’ Reizung des Muskels bis zur völligen Unerregbarkeit. (Abb. 3.) In dem Stadium, welches durch Abb. 3 veranschaulicht wird, ist die Caleiumwirkung kaum mehr reversibel; der Muskel stirbt bald, und zwar wie bereits erwähnt, im Zustande maximaler Dehnung ab. Wird hingegen das Ca in einem Zeitpunkte entfernt, in dem der Zustand des Muskels etwa der Abb. 2b entspricht, und der Muskel hiernach wieder in reine Ringerlösung zurückversetzt, so beginnt seine Fuß- punktlinie bald wieder zu steigen an, und erreicht, namentlich bei öfterem Wechsel der Ringerlösung, in einigen Stunden wieder ihre ur- sprüngliche Höhe (2c). Die Umkehr der Caleciumwirkung wird durch öfteres, rhythmisches Reizen ganz wesentlich begünstigt, durch voll- kommene Ruhe des Muskels hingegen verzögert. Es zeigt sich also auch hierin ein ausgesprochener Gegensatz zu dem Verhalten des mit Kalium vergifteten Muskels. Wir können diesen etwa folgendermaßen fassen. Während die Kaliumwirkung um so früher eintritt, je öfter wir den Muskel reizen, wird das Eintreten der Caleiumwirkung durch die Arbeit verzögert. Dementsprechend begünstigt vollkommene Ruhe die Er- holung nach Kaliumvergiftung, während die Umkehr der Caleiumwirkung am arbeitenden Muskel schneller vor sich geht. Nach dem oben Gesagten erachten wir nun die innere Unterstützung des Muskels als ein Maß für den Quellungszustand des Sarkoplasmas. Wir müssen demnach die Wirkungen des Kaliums und Calciums unter diesem Gesichtspunkte zu verstehen suenen. Die Wirkungen, die die Ionen der Neutralsalze auf den Quellung»zustand von Kolloiden aus- üben, sind aber, wie oben ebenfalls bereits hervorgehoben wurde, im allgemeinen bekannt. Vom Kalium müssen wir in diesem Sinne quel- lungsbegünstigende, vom Calcium entquellende Wirkungen — auch auf das Sarkoplasma — erwarten. Diese Erwertungen werden auch von dem Ergebnis der oben besprochenen Versuche erfüllt. Kalium begünstigt die Quellung des Sarkoplasmas und wirkt hierdurch fördernd auf die innere Unterstützung des Muskels, Calcium wirkt umgekehrt entquellend auf das Sarkoplasma und setzt den Muskeltonus herab. Durch diese Überlegungen wird es auch verständlich, daß Arbeit die Wirkung des Kaliums unterstützt, die Calciumwirkung hingegen hemmt. Muskelarbeıt geht mit Säurebildurg einher und Säuren wirken quellungsbegünstigend auf das Sarcoplasma. Voll entwickelt sehen wir diese Wirkung der Säuren bei den von uns als ‚physiologische Säureeontracturen‘‘ bezeichneten Zuständen, wie sie z.B. die Er- müdungscontractur darstellt. Eine qualitativ ähnliche Wirkung der bei der Kontraktion gebildeten Säuren müssen wir aber auch dann annehmen, wenn ihre Anhäufung nicht ausreicht, um eine merkliche Verkürzung des unvergifteten, normalen Muskels zu verursachen. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 511 Durch die quellungsbegünstigende Wirkung des Kaliums werden die sonst unwirksamen Säuremengen wirksam, und es kommt zu einer Verkürzung des Muskels, die jedoch nur so lange fortbesteht, wie die Säurebildung, i.e. die Reizung anhält. Hört die Säurebildung auf, so fällt die Fußpunktlinie in wenigen Sekunden zur Abszisse herab. Je öfter wir den Muskel reizen, um so schneller steigt die Fußpunkt- linie bei Beginn einer jeden Reizserie in die Höhe: ein Zeichen, daß die seit der vorhergegangenen Reizserie noch nicht beseitigten Säuremengen, — die ja bei Kleinerwerden der Ruhepausen an Größe immer zunehmen müssen — das Entstehen der neuerlichen Contractur begünstigen. Für diese Erscheinung gibt es noch eine Erklärungsmöglichkeit, die namentlich durch die Untersuchungen von Vogel!) (unter Embden) nahegelegt werden. Vogel beobachtete nämlich, daß die Lähmung, in die der Muskel in Gegenwart hoher Kaliumkonzentrationen fällt, um so rascher eintritt, je öfter der Muskel gereizt wird. Diese Tatsache wurde von genanntem Autor in Embdens Sinne so gedeutet, daß infolge der Reizung die Permeabilität der Muskelgrenzschichten erhöht wird und das Kalium daher schneller in den Muskel einzudringen vermag. Es ist natürlich zunächst nicht von der Hand zu weisen, daß für die ganz andersartigen Wirkungen verhältnismäßig kleiner Kaliumkon- zentrationen, wie sie hier beschrieben wurden, zwischen der Häufigkeit der Reizung und dem Eintreten der Giftwirkung ähnliche Beziehungen bestehen. Gegen eine derartige Annahme spricht jedoch der Umstand, daß für das Zustandekommen der Calciumwirkung die Reizung des Muskels eine gerade entgegengesetzte Bedeutung hat, als beim Kalium, was nicht der Fall sein dürfte, wenn durch die Häufigkeit der Reizung lediglich die Geschwindigkeit beeinflußt würde, mit welcher die Ionen in den Muskel einzudringen vermögen. Mit Hilfe der Embdenschen Permeabilitätstheorie allein läßt sich demnach eine hinreichende Erklärung der beobachteten Tatsachen nicht geben, während wir eine solche auf Grund der obigen Auseinandersetzungen ohne Schwierigkeit zu finden imstande waren. Der Einfluß von K und Ca auf die Entstehung der Veratrinzuckung. Über dieses Thema liegen bereits eine Anzahl von Arbeiten vor. Daß ein kleiner Überschuß von K in der Ringerlösung die Veratrinzuckung prompt aufzuheben vermag, dürfte wohl zum ersten Male von Locke?) beobachtet worden sein. Diese Tatsache wurde dann durch Buchanan?), Botazzi*) und Lamm?) bestätigt. Auch ich konnte die Erscheinung immer wieder beob- achten; meine Versuche verliefen im wesentlichen wie der folgende. 1!) Vogel, Zeitschr. f. physiol. Chemie 118, 50. 1922. 2) Locke, Journ. of exper. med. 1, 4. 1896. ?) Buchanan, Journ. of Physiol. 25, 137. 1899. 4) Botazzi, a. a. O. 5) Lamm, Zeitschr. f. Biol. 38, 223. 40, 37. 1911. Pilügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 34 512 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen Versuch 47. Temp. 9, 3. XI. 1921. (Abb. 4.) Suspension des Gastrocnemius um 11® in Ringerlösung. — 11" 10’ Reizung mit Einzelschlägen (R.A.: 6 cm). — 11® 12’ Veratrin-chlorhydrat 1 : 100000 in Ringerlösung. — 11% 20° Rei- zung mit Einzelschläen (Ab- bildung 4a). — 11h 23° KCl 0,1% in Ringerlösung (ohne Veratrin). — 11" 37’ Reizung mit Einzelschlägen (Abb. 4b). — 11% 38’ Wechsel gegen reine Ringerlösung. — 1155” Rei- zung mit Einzelschlägen (Ab- bildung &c). 2) b) ®) Wird ein Muskel, wel- Abb. 4 a—c. E E cher typische Veratrinzuk- kungen ausführt, nachträglich mit KCl behandelt, so verschwinden die Veratrinzuckungen in sehr kurzer Zeit. Wird diese Flüssigkeit jedoch gegen reine Ringerlösung gewechselt, so treten die Veratrinzuckungen bereits in wenigen Minuten wieder auf, als Beweis dessen, daß das Veratrin, trotz des zweimaligen Wechsels gegen veratrinfreie Lösung, noch in genügenden Mengen am Muskel haften blieb, um typische Doppelzuckungen herbei- zuführen und lediglich so lange hieran verhindert war, als der Muskel sich in der stark kaliumhaltigen Lösung befand. Dies stimmt mit der bekannten hochgradigen Adsorbierbarkeit des Veratrins durchaus überein. Das Kalium scheint hingegen nur ganz oberflächlich am Muskel zu haften, da seine Wirkung bereits durch einfaches Wechseln gegen reine Ringerlösung beseitigt werden kann. Demgegenüber steht die oben erwähnte Tatsache, daß die Wirkung des Kaliums auf den nicht mit Veratrin vergifteten Muskel nur sehr allmählich und durch öfteres Wechseln der Ringerlösung rückgängig gemacht werden kann. Auf die theoretische Bedeutung dieses Gegensatzes werden wir später noch zurückzukommen haben. Wesentlich komplizierter als beim Kalium liegen die Verhältnisse beim Calcium. Dies geht bereits aus den Angaben früherer Autoren hervor. Während nämlich einerseits Jacoby!) und Lamm?) von einer Aufhebung der Veratrinzuckung durch Calcium sprechen, konnte andererseits Robertson?) eine Begünstigung der Veratrinwirkung durch Calciumzusatz beobachten. Nach meinen eigenen, ziemlich ausgedehnten Untersuchungen sind beide Fälle möglich®). Die Wirkung des Caleiums 1) Jacobj, Münch. med. Wochenschr. 2) Lamm, a. a. O. 3) Robertson, Journ. of Biochem. *) Zu einem im wesentlichen ähnlichen Schlusse kommt auch Somei To in einer Arbeit, die mir jedoch erst zu einer Zeit bekannt wurde, als die vorliegenden Untersuchungen in ihrem experimentellen Teil bereits abgeschlossen waren. (Acta scholae med. univ. imp. Kioto 4, 31. 1921.) auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 513 ist hiernach weitgehend von seiner Konzentration abhängig. Kleine Konzentrationen (zwischen 0,05—0,1%) begünstigen das Zustande- kommen der Veratrinzuckung sehr deutlich. Die Wirkung äußert sich hauptsächlich darin, daß unterschwellige Veratrinkonzentrationen wirksam werden, wenn der Lösung nachträglich etwa 0,1% CaCl, hinzugefügt wird. Dies geht mit aller Deutlichkeit aus folgendem Versuch hervor. Versuch 52. Temp. 9, 5. XI. 1921. (Abb. 5.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 10" 30°. — 10" 35’ Reizung mit Einzelschlägen (R.A.: 6 cm). (Abb. 5a.) — 10" 38’ Veratrin-chlorhydrat 1 : 10000 000 in Ringerlösung. — 10" 59’ Reizung mit Einzelschlägen. (Abb. 5b.) 11" Veratrin-chlorhydrat 1 : 10000000 + CaCl, 0,1%. — 1110’ Reizung mit Einzelschlägen. (Abb. 5c.) Ganz anders verhält sich hin- gegen der mit Veratrin vergif- tete Muskel, wenn er gleichzeitig oder nachträglich verhältnismäßig große Mengen Calcium erhält. Von etwa 0,3% an hemmt CaCl, das Auftre- ten vonVeratrinzuckungen mit Sicherheit. Dosen zwischen 0,1% und 0,3% sind in ihrer Wirkung unberechenbar und wirken einmal begünstigend, einmal hemmend, wenn auch letzteres häufiger der Fall sein dürfte!). Versuch 54. Temp. 7. XI. 1921. (Abb. 6.) Abb. 5 a—c. Suspension des Gastroenemius in Ringerlösung um 10h 30’. — 10h 35’ Reizung mit Einzelschlägen (R.A.: 6 cm). — 10" 36° Veratrin-chlorhydrat 1 : 1000000 in Ringerlösung. — 10" 48’ Reizung mit Einzelschlägen. (Abb. 6a.) — 10h 50° Veratrin-chlorhydrat 1 : 1000000. — CaCl, 0,4%. — 11537 Reizung mit Einzelschlägen. (Abb. 6b.) — 10h 54’ 1 Minute andauernde rhythmische Rei- zung des Muskels. (Fr.: 120.) — 10h 56° Reizung mit Einzelschlägen. (Abb. 6c.) — 1108’ Reizung des Muskels mit Einzelschlägen. (Abb. 6d.) Aus dem angeführten Versuch geht außer der bereits erwähnten Tatsache, daß hohe Calcium- konzentrationen die Fähigkeit des Muskels, typische Veratrin- zuckungen auszuführen, aufzuheben vermögen, noch etwas hervor. Es ist seit langem wohl bekannt, daß man durch rhythmisches Reizen die typischen Doppelzuckungen eines mit Veratrin ver- Abb. 6 a—d. !) Obige Versuche sind ausnahmslos im Herbst ausgeführt worden. Bei deı bekannten Abhängigkeit im Verhalten z. B. des Froschherzens gegenüber K und von den Jahreszeiten ist es durchaus möglich, daß zu einer anderen Jahreszeit die quantitativen Verhältnisse auch hier eine Verschiebung erfahren. 34* 514 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen gifteten Muskels vorübergehend zum Verschwinden bringen kann. Wir haben diese Erscheinung mit Riesser!) so gedeutet, daß durch die bei der Arbeit gebildeten Säuren die Grenzschichten — im Sinne Embdens?) — aufquellen und die durch das Veratrin bedingte Dichtung derselben hierdurch vorübergehend aufgehoben wird. Bei einem mit Calcium behandelten Veratrinmuskel hat die rhythmische Reizung, wie dies aus dem obigen Versuch 54 ersichtlich ist, eine wesentlich andere Wirkung. Hier verursacht die Reizung im Gegensatz zu ihrer sonstigen Wirkung ein Wiederauftreten der durch das Calcium aufgehobenen Doppelzuckung. Diese Tatsache, die unter anderem auf Grund unserer theoretischen Überlegungen als wahrscheinlich vorausgesagt werden konnte, scheint mir nun ein gewichtiges Argument für die Stichhaltig- keit unserer Anschauungen zu sein. Es soll demnach im folgenden der Versuch gemacht werden, auf Grund dieser eine Erklärung für das beobachtete Verhalten von K und Ca gegenüber dem mit Veratrin vergifteten Muskel zu geben. Was zunächst die Wirkung des Kaliums betrifft, so scheint auf den ersten Blick ein gewisser Gegensatz zu bestehen zwischen dem Verhalten desselben, wenn es alleine und wenn es in Kombination mit Veratrin zur Wirkung gelangt. Im ersten Falle beeinflußt das Kalium die innere Unterstützung des Muskels durchaus im Sinne einer Verstärkung; die Doppelzuckung des Veratrinmuskels, die ja auch als ein Zeichen einer erhöhten inneren Unterstützung des Muskels angesehen werden muß, wird hingegen durch Kalium glatt aufgehoben. Dies kann m. E. nur so gedeutet werden, daß das Kalium in den beiden Fällen ver- schiedene Angriffspunkte hat. Wie wir uns die reine Kaliumwirkung vor- stellen können, ist bereits im vorigen Abschnitt besprochen worden. Die Erhöhung der inneren Unterstützung, die der Muskel auf Ein- wirkung von Kalium erfährt, wurde dort als Folge einer Quellungs- begünstigung im Sarkoplasma ausgelegt. Die quellungsbegünstigende Wirkung des Kaliums beschränkt sich aber offenbar nicht lediglich auf das Innere des Sarkoplasmas, sondern erstreckt sich auch auf die @Grenzschichten. Aus vorhergegangenen Untersuchungen wissen wir aber, daß eine der Grundbedingungen für das Zustandekommen von Doppelzuckungen eine Entquellung und hierdurch bedingte Abdichtung der Fasergrenzschichten ist. Wenn diese durch Kalium aufgehoben wird, — ähnlich wie dies nach den Untersuchungen von Embden und Adler?) durch Rohrzucker geschieht — so ist es klar, daß es gleichzeitig zu einem Verschwinden der Doppelzuckungen kommen muß. 1) Riesser und Neuschlosz, a. a. O. ?) Embden und Adler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 1. 1922. 3) Embden und Adler, a. a. O. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 515 Nun konnte aber Vogel!) in seiner bereits erwähnten, unter Embdens Leitung ausgeführten Arbeit eine Permeabilitätserhöhung durch die Einwirkung von Kalium nicht nachweisen. Embden ist daher geneigt, den Angriffspunkt des Kaliums — im Gegensatz zu dem des Rohrzuckers und der indifferenten Narkotica — in das Innere der Muskelfaser zu verlegen. Diese Anschauung entspricht durchaus der auch von uns entwickelten Vorstellung über die Wirkungsweise des allein verwendeten Kaliums, die wir — bei den von uns gebrauchten kleinen Mengen — als eine Quellungsbegünstigung im Sarkoplasma auffassen. Ganz anders gestaltet sich jedoch die Kaliwirkung an einem mit Veratrin vorbehandelten Muskel. Nach von mir ausgeführten Ver- suchen erhöht Kalium die infolge der Veratrinwirkung herabgesetzte Phosphorsäureausscheidung des Muskels ebenso, wie dies in einer früheren Arbeit für Rohrzucker gezeigt werden konnte. Wir kommen also zu dem oben bereits angedeuteten Schluß, daß das Kalium die Faser- srenzschichten des Veratrinmuskels zum Aufquellen brinst und hier- durch die Veratrinwirkung aufhebt. Die beiden, scheinbar entgegengesetzten Wirkungen des Kaliums lassen sich demnach ohne Schwierigkeiten unter dem gemeinsamen Gesichtspunkte der Quellungsbegünstigung durch Kalium erklären. Es ergibt sich nur noch die Frage, warum in dem Falle der reinen Kalium- wirkung der Einfluß desselben auf das Innere des Sarkoplasmas, in Gegenwart von Veratrin hingegen der Einfluß auf die Grenzschichten das Bild beherrscht. Diese Tatsache läßt sich nun, wie ich glaube, auf folgende Weise begründen. Für das Zustandekommen der er- höhten Contracturbereitschaft des Muskels bei rhythmischer Reizung scheint lediglich der Quellungszustand des Sarkoplasmas maßgebend zu sein. Bei der andauernden Reizung des Muskels ist die Säurebildung dermaßen gesteigert, daß es ungeachtet des Zustandes der Grenz- schichten zum Auftreten eines Verkürzungsrückstandes kommen muß, wenn nur die Anspruchsfähigkeit des Sarkoplasmas Säure gegenüber eine genügende ist. Wenn das Kalium also neben seiner Wirkung auf das Sarkoplasma die Grenzschichten auch durchlässiger macht, so wird hierdurch die Aufquellung des ersteren bei andauernder Säure- bildung, wie sie bei rhythmischer Reizung vor sich geht, nicht merklich beeinflußt. Die Verhältnisse liegen hier offenbar ganz ähnlich, wie bei der Erstickung des Muskels. Sauerstoffmangel führt zu einer Anhäufung von Säuren im Muskel, die nun ihrerseits Contractur verursachen. Simon?) (unter Embden) konnte aber zeigen, daß diese Contractur von einer erhöhten Phosphorsäureausscheidung, also von einer Perrmeabili- tätssteigerung begleitet wird. Auch hier kommt es also zu einer Auf- 1) Vogel, a.a. O. 2) Simon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 96. 1922. 516 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen quellung des Sarkoplasmas durch die angehäuften Säuren trotz be- schleunigten Abflusses derselben durch die aufgelockerten Grenzschichten. Für die Coffeincontractur dürfte nach den von Riesser und mir!) aus- geführten Untersuchungen im wesentlichen dasselbe gelten. Anders aber liegen die Sachen bei der Veratrinzuckung. Obwohl die Quellungsbegünstigung, die das Sarkoplasma durch die minimalen Mengen des eingedrungenen Veratrins erfährt, eine nicht unwesent- liche Bedingung für das Zustandekommen der Doppelzuckung dar- stellen dürfte, so müssen wir doch die Abdichtung der Grenzschichten und die Verhinderung des Säureabflusses als das ausschlaggebende Moment der Veratrinwirkung ansehen. Da die Säurebildung unter der Einwirkung des Veratrins keine Erhöhung erfährt, so bedarf es einer Hemmung im Säureabfluß, um im Sarkoplasma eine Säurekonzentration herbeizuführen, die zu einer merklichen Aufquellung des letzteren aus- reicht. Wird die Durchlässigkeit der Grenzschichten durch Kalium erhöht und der Säureabfluß demzufolge auf seine normale Höhe zurück- geführt, so wird hierdurch auch die Veratrinzuckung beseitigt. Daß die Wirkung des Kaliums auf die Veratrinzuckung sich an einer oberflächlicheren Stelle der Muskelfaser abspielt, als die des allein verwendeten Kaliums, geht auch aus der Geschwindigkeit hervor, mit welcher die beiderlei Wirkungen des Kaliums durch Ringerlösung wieder rückgängig gemacht werden können. Wird ein mit Veratrin und KÜl behandelter Muskel auch nur einmal mit reiner Ringerlösung abgespült, so kommt die Veratrinzuckung unfehlbar wieder zum Vor- schein: ein Zeichen, daß die Kaliwirkung eine nur ganz oberflächliche sein konnte. Im Gegensatz hierzu wird die Contracturbereitschaft des Muskels, die durch allein angewandtes Kalium hervorgerufen wurde, nur durch häufiges Wechseln der Ringerlösung und nach längerer Zeit wieder beseitigt, was durchaus in dem Sinne spricht, daß die Kali- wirkung in diesem Falle sich an tieferliegenden Teilen des Muskels ab- spielen dürfte. Diese Tatsachen stehen also auch in Einklang mit unseren auf anderem Wege gewonnenen Anschauungen. Ähnlich wie für die Wirkung des Kaliums müssen wir auch für die des Caleiums zwei Angriffspunkte annehmen, nur wirkt das Calcium im Gegensatz zum Kalium in jedem Falle entquellend. Bei der reinen Calciumwirkung richtet sich diese Wirkung in erster Reihe auf das Sarkoplasma. Durch das langsam eindringende Calcium wird dieses stufenweise zur Entquellung gebracht, wodurch es, wie oben dargestellt wurde, zu einer Abnahme des Muskeltonus und einem Abfall der Fuß- punktlinie unter die Abszisse kommt. Je weniger der Muskel gereizt wird, um so schneller tritt diese Wirkung ein, denn um so geringfügiger ist die Säurebildung im Muskel, die ihrerseits die Quellung des Sarko- 1) Riesser und Neuschlosz, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 93, 163. 1922. auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 517 plasmas begünstigt, dem Calcium also entgegenwirkt. Auch der Eintritt der Totenstarre, die ja nach den Untersuchungen von Fürth!) und von Winterstein?) als eine Folge der Säurequellung anzusehen ist, wird durch genügende Mengen Calcium verhindert, was auch als Entquellung aufgefaßt werden muß. Auf analoge Weise wirkt das Calcium auch auf den mit Veratrin vergifteten Muskel, wenn es nur in ausreichender Menge hinzugefüst wird. Durch die Entquellung des Sarkoplasmas, die durch das Caleium bewirkt wird, verliert der Veratrinmuskel die Fähigkeit, Doppelzuk- kungen auszuführen. Dies muß verständlich erscheinen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß nach unseren früheren Erörterungen die zweite Erhebung der typischen Veratrinwirkung als eine Folge der Auf- quellung des Sarkoplasmas durch die in ihrem Abfluß verhinderten Säuren anzusehen ist. Diese Sarkoplasmaquellung wird durch Calcium ebenso gehemmt, wie die, die dem Muskeltonus oder der Totenstarre zugrunde liest. Diese Tatsache spricht also ebenfalls in dem Sinne, daß wir es in allen diesen Erscheinungen mit dem Ausdrucke einer und derselben Grundfunktion des Muskels zu tun haben, eben mit der, die wir schlechthin als Tonus zu bezeichnen gewohnt sind. Wir sahen aber, daß kleine Calciumkonzentrationen einen gegen- teiligen Effekt auf das Zustandekommen der Veratrinzuckung haben, wie die größeren, indem sie dieselbe merklich begünstigen. Manchmal läßt es sich sogar beobachten, daß auch größere Caleiumkonzentrationen zunächst die Veratrinwirkung verstärken, um sie im späteren Verlaufe ihrer Wirkung zu hemmen und schließlich völlig aufzuheben. Auch diese Tatsache wird begreiflich, wenn wir daran denken, daß die zwei- wertigen Ionen im allgemeinen schlechter und langsamer durch Mem- branen hindurch diffundieren als die einwertigen. Die Grenzschichten der Muskelfasern, denen wir, wie bereits oben hervorgehoben wurde, Membraneigenschaften zusprechen müssen, werden demzufolge ein wesentlich größeres Hindernis für den Durchtritt der Caleiumionen darstellen, als es z. B. beim Kalium der Fall war. Hieraus folgt aber, daß die Wirkung des Caleiums in der ersten Zeit, bei kleinen Mengen auch längere Zeit hindurch auf die Grenzschichten beschränkt bleiben muß, während das Innere der Faser, also auch das Sarkoplasma, zu- nächst frei von eingedrungenem Calcium bleiben wird. Daß das Calcium stets nur langsam in den Muskel einzudringen vermag, geht bereits daraus hervor, daß die Tonusabnahme des Muskels in Gegenwart von Calcium immer nur nach mehreren Stunden in merklichem Grade her- vortritt. Noch intensiver wird das Calcium an den Grenzschichten zurückgehalten, wenn dieselben durch vorhergegangene Behandlung mit 1) v. Fürth, a. a. O. 2) Winterstein, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 184. 1921. 518 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen Veratrin eine Abdichtung erfahren haben. In diesem Falle summieren sich die entquellenden Wirkungen des Veratrins und des Calciums und die Veratrinzuckung wird verstärkt. Wenn dann — bei höheren Cal- ciumkonzentrationen — das Calcium allmählich doch in das Innere der Fasern vordringt, so kommt es auch zu einer Entouellung des Sarko- plasmas und hiermit zu einer Aufhebung der Doppelzuckungen. Die Beseitigung der Veratrinzuckung beruht also — im Gegensatz zur gleich erscheinenden Wirkung des Kaliums — beim Calcium nicht auf einer Änderung im Zustande der Grenzschichten, sondern auf einer Entquellung des Sarkoplasmas. Dies macht es auch verständlich, daß die Wiederherstellung der Doppelzuckungen nach Calciumbehandlung mit reiner Ringerlösung wesentlich länger dauert und öfteres Spülen beansprucht, als dies beim Kalium der Fall war. Verhältnismäßig schnell und leicht läßt sich hingegen die Veratrinzuckung, wie wir sahen, — wenn auch nur auf kurze Zeit — wieder zum Vorschein bringen, wenn wir den Muskel einige Sekunden hindurch rhythmisch reizen. Bei den Kontraktionen wird eben Säure gebildet und diese wirkt quellungs- begünstigend auf das Sarkoplasma. Es wird also die entquellende Wirkung des Calciums vorübergehend aufgehoben. Wird die Säure in der Ruhe allmählich beseitigt, dann tritt die Caleiumwirkung wieder auf und die Veratrinzuckung verschwindet abermals. Durch die relativ einfache Annahme zweier 'Angriffspunkte für die Wirkung von Kalium und Calcium gelingt es also, die große Mannig- faltigkeit der Erscheinungen, die den Einfluß der beiden Ionen auf die tonische Komponente der Muskelzuckung auszeichnet, ohne Schwierig- keit zu erklären. Auch die Tatsache, daß K und Ca, die allgemein als gegenseitige Antagonisten gelten, jedes für sich, wenn auch auf durch- aus verschiedene Weise die Veratrinzuckung aufzuheben vermögen, erscheint im Lichte dieser Betrachtungen als verständlich. Die Wirkung des Bariums. Nachdem die Wirkung von K und Ca auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung in ihren wesentlichen Zügen klargelegt worden war, fragte es sich, wie sich andere Ionen in dieser Hinsicht verhalten. Ein besonderes Interesse kam hierbei dem Barium zu, dessen eigenartige Wirkungen auf den quergestreiften Muskel schon öfters den Gegenstand von Untersuchungen bildeten. Nach dem bisher befolgten Verfahren sollen auch beim Barium einerseits seine Wirkung auf die innere Unter- stützung des rhythmisch gereizten Muskels, andererseits auf die Veratrin- zuckung besprochen werden. Der Einfluß des Bariums auf den rhyth- misch gereizten Muskel geht aus folgendem Versuch hervor. Versuch 101. Temp. 3, 14. XII. 1921. (Abb. 7.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 4%. — 4" 10° Rhythmische Reizung (R.A.: 12 cm, Fr.: 120). (Abb. 7a.) — 4" 12° BaCl, 1 : 1000 in Ringer- auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 519 lösung. — 4446’ Rhythmische Reizung. (Abb. 7b.) — 450” BaCl, 1:500 in Ringerlösung. — 7% 36° Rhythmische Reizung. (Abb. 7c.) Es zeigt sich in diesem Versuche, daß Bariumchlorid zunächst eine Erhöhung der inneren Unterstützung des Muskels herbeiführt, sich in dieser Hinsicht also gegensätzlich verhält, wie das ihm chemisch b) Abb. 7a—ec. nahestehende Calcium. Daß es sich aber hier um eine‘ ganz anders geartete Wirkung handelt als beim Kalium, welches ja die innere Unter- stützung des Muskels ebenfalls erhöht, wird bei einem eingehenden Ver- gleich der Abb.7b mit 1b augenfällig. Die Erhöhung der Fußpunkt- linie unter der Einwirkung von Kalium wird bei zunehmender Dauer der Muskelreizung immer ausgesprochener, wie ja dies bei der ein- fachen Summation der quellungsbegünstigenden Wirkung des Kaliums und der Säuren auch nicht anders zu erwarten war. Ein völlig anderes Aussehen hat hingegen das Myogramm des Bariummuskels. Hier wird der Höhepunkt der Verkürzung bereits nach wenigen Kontraktionen erreicht und von da an fällt die Fußpunktlinie der Kurve trotz andauern- der Reizung wieder ab. Von einer Summation der Bariumwirkung mit den bei der Reizung gebildeten Säuren kann also nicht die Rede sein. Eine quellungsbegünstigende Wirkung des Bariumions auf Kolloide ist aber auch niemals beobachtet worden, vielmehr wirkt das Barium, soweit hierüber Untersuchungen vorliegen, stets!nur entquellend auf Kolloide. Wir haben also auch in dem vorliegenden Falle keine Veranlassung, dem Barium andere, als entquellende Wir- kungen zuzuschreiben. Nun wissen wir aber vom Barium andererseits, daß seine Diffusibilität noch merklich geringer ist, als die des Calciums; nach dem oben Gesagten müssen wir also erwarten, daß es von den Fasergrenzschichten noch länger zurückgehalten wird, als dies beim Cal- cium der Fall war. Seine Wirkung wird daher zunächst lediglich auf die Grenzschichten beschränkt bleiben, und zwar wird es dieselben abdichten. Ein Muskel, dessen Fasergrenzschichten abgedichtet sind, 520 8. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen muß sich aber bei rhythmischer Reizung unseren Anschauungen nach genau so verhalten, wie wir dies beim Bariummuskel sahen. Wenn näm- lich die bei der Reizung gebildeten Säuren infolge des Verschlusses der Grenzschichten nicht abfließen können, so muß es bereits nach wenigen Kontraktionen zu einer Anhäufung von Säure im Sarkoplasma kommen, die eine Contractur verursachen wird. Erreicht jedoch die Säuerung in der Muskelfaser eine gewisse Höhe, so quellen nach dem Sarkoplasma allmählich auch die Grenzschichten auf. Durch die aufgequollenen Grenzschichten kann aber die Säure wieder abfließen, so daß auch die Contractur sich zurückbilden muß. Die Muskelkurve (Abb. 7b) ent- spricht diesen aus theoretischen Überlegungen aufgestellten Forderungen in vollem Maße, so daß wir das Verhalten des mit BaCl, behandelten Muskels auch als eine Stütze unserer Anschauungen ansehen zu dürfen glauben. Ein wesentlich anderes Bild weist das Myogramm auf, wenn der Muskel mehrere Stunden lang unter der Einwirkung hoher BaC],;- Konzentrationen gestanden hat (Abb. 7c). Während dieser Zeit ist die Fußpunktlinie allmählich unter die Abszisse gesunken und eine Contractur tritt bei rhythmischer Reizung nur ganz vorübergehend und in sehr unvollkommener Weise auf. Im wesentlichen bietet also die Bariumvergiftung des Muskels in diesem zweiten Stadium ein ähnliches Bild, wie wir es bei der Caleciumwirkung gesehen haben. Bei der Be- sprechung der letzteren führten wir diesen Erscheinungskomplex auf die Entquellung des Sarkoplasmas zurück. Dieselbe Erklärung dürfte auch für die Bariumwirkung zutreffen. Wir müssen eben annehmen, daß bei hohen Konzentrationen und langer Einwirkungsdauer auch das Barium in das Innere der Muskelfaser vordringt und das Sarkoplasma zum Entquellen bringt. Die Erscheinungen, die die Entquellung des Sarkoplasmas verursacht, werden aber die gleichen sein, gleichgültig, ob sie durch Barium oder durch Calcium herbeigeführt worden sind. Der einzige Unterschied, welcher zwischen den beiden Wirkungen zu bestehen scheint, ist, daß die Bariumwirkung in ihrer zweiten Phase irreversibel ist. Wenn das Barium bereits die Ermüdungscontractur des Muskels zu unterdrücken vermag, so stirbt auch der Muskel — ohne totenstarr zu werden — rasch ab. Derartig hohe Giftkonzentrationen dürften wohl auch für die Fibrillen und den ganzen Stoffwechselapparat des Muskels nicht gleichgültig sein. Die Veratrinzuckung wird durch Bariumchlorid im allgemeinen außerordentlich begünstigt, was unter anderem z. B. aus folgendem Versuch hervorgeht. Versuch 107. Temp. 2, 17. XII. 1921. (Abb. 8.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 11® 15”. — 11® 20° Einzel- öffnungsschlag (R.A.: 6cm). (Abb. 8a.) — 11" 24’ Veratrin. hydrochl. 1 : 10000000 in Ringer. — 11" 56° Einzelöffnungsschlag. (Abb. 8b.) — 11" 57’ Veratrin. hy- auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 521 drochl. 1 : 10000000 BaCl, 1: 1000. — 12" 05° Einzelöffnungsschlag. (Abb. 8Se.) 12h 10° Veratrin. hydrochl. 1: 1000000 BaCl, 1:500. — 1" 15” Einzelöffnungs- schlag. (Abb. 8a.) BaCl, begünstigt also die Veratrinzuckung noch in Konzentrationen, in denen CaCl, bereits eine Hemmung derselben bewirkt. Auch diese Erscheinung läßt sich ohne Schwie- rigkeit von dem Gesichtspunkte aus erklären, daß das Barium nur äußerst schwer in das Innere der Muskelfaser einzudringen vermag. Es bleibt also die entquellende Wirkung des Bariums — ähnlich wie die des nur in geringen Mengen angewandten Calciums — auf die Grenzschichten beschränkt. Die abdichtende Wirkung des Veratrins wird durch das Barium verstärkt und die Doppel- zuckung demzufolge begünstigt. Eine Aufhebung der Veratrin- zuckung, wie wir sie bei größeren Calciumkonzentrationen sahen, läßt sich mittels Barium — wohl ebenfalls infolge der geringen Eindringungsfähigkeit der Bariumionen — nur schwer herbeiführen. Die hierzu erforderlichen Bariumkonzentrationen sind in den meisten Fällen bereits so hoch, daß sie gleichzeitig mit dem Veratrineffekt auch die Zuckung selbst aufheben. In einzelnen Fällen gelingt es jedoch, die zweite Erhebung in ihrer Höhe mindestens merklich herabzusetzen, noch bevor die Erregbarkeit des Muskels erloschen ist (Abb. 8d). In diesen Fällen können wir, ähnlich wie beim Calcium, eine entquellende Wirkung des Bariums auf das Sarkoplasma annehmen!). d) ec) Abb. 8a—d. Die Wirkung caleiumfällender Anionen auf die Muskelzuckung. Nachdem der Nachweis erbracht worden ist, welche große Be- deutung das Calcium für den tonischen Anteil der Muskelzuckung be- sitzt, lag die Frage nahe, welchen Einfluß solche Elektrolyten auf den Ablauf der Kontraktion haben, deren Anionen unlösliche Caleiumsalze bilden, und demzufolge den normalen Calciumgehalt der Muskelfaser herabsetzen. Die am besten bekannten caleiumfällenden Salze sind die Oxalate, die Citrate und die Fluoride. Hohe Konzentrationen dieser Salze verursachen bekannterweise fibrilläre Zuckungen. Den von mir verwendeten geringen Mengen der caleiumfällenden Ionen geht diese Wirkung ab und sie lassen auch die Erregbarkeit des Muskels längere Zeit hindurch unbeeinflußt. Eine !) Der experimentelle Teil meiner Untersuchungen über die Bariumwirkung wird von Somei To in einer vor kurzem erschienenen Arbeit in allen wesentlichen Punkten bestätigt. (Acta Scholae med. univ. imp. Kioto 4, 31. 1921.) r 22 8. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen oO l deutliche Veränderung erfährt hingegen unter der Einwirkung geringer Mengen von Oxalaten und Citraten die Form der Muskelkurven, indem in Gegenwart dieser Substanzen der Muskel bereits nach kurzer Zeit eigenartige — in vieler Hinsicht der Veratrinzuckung ähnelnde Doppel- zuckungen ausführt!). Dieses Verhalten der Muskeln soll durch je ein Beispiel für Natriumoxalat und Natriumeitrat veranschaulicht werden. Versuch 58. Temp. 9, 8. XI. 1921. (Abb. 9.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 10% 40°. — 10% 44” Einzel- öffnungsschlag (R.A.: 8 cm.) (Abb. 9a.) — 10h 47’ Natriumoxalat in 1 : 1000 caleiumfreier Ringerlösung. — 10% 58’ Einzelöffnungsschlag (Abb. 9b). — 11% 01’ Natriumoxalat 1 : 300. — 1104” Einzelöffnungsschlag (Abb. 9c.) — 11h 05’ bis 11" 10’ Rhythmische Reizung (Fr.: 120). — 11" 11’ Einzelöffnungsschlag (Abb. 9d). Versuch 62. Temp. 9, 9. XI. 1921. (Abb. 10.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 9" 50%. — 94 55’ Einzel- öffnungsschlag (R.A.: S cm). (Abb. 10a.) — 9597 Natriumeitrat 1: 300 in cal- Abb. 9ad. Abb. 10 ad. ciumfreier Ringerlösung. — 10% 14” Einzelöffnungsschlag (Abb. 10b.) — 10% 16’ Natriumeitrat 1 :150. — 10% 40° Einzelöffnungsschlag. (Abb. 10c.) — 10h 41’ bis 10% 46’ Rhythmische Reizung des Muskels (Fr.: 120). — 10" 47’ Einzelöffnungs- schlag. (Abb. 10d.) Wie ersichtlich, verhalten sich Natriumoxalat und Natriumeitrat in ihren Wirkungen vollkommen ähnlich, nur liegen die wirksamen Konzentrationen bei dem Citrat höher als beim Oxalat. Beide Sub- stanzen verursachen in geringen Konzentrationen Doppelzuckungen, die am meisten Ähnlichkeit mit dem zweigipfligen Typus der Veratrin- zuckung aufweisen. Reizen wir den Muskel in Abständen von einigen Minuten, so hält sich dieser funktionelle Zustand auch stundenlang unverändert, um schließlich wieder — kurz vor dem definitiven Er- löschen der Muskelerregbarkeit — langsam zu verschwinden. Auch gegenüber rhythmischer Reizung und K-Zusatz verhält sich der mit Oxalat vergiftete Muskel ebenso wie der Veratrinmuskel, das heißt es kommt zu einem Verschwinden der Doppelzuckungen. Sehr inter- essant ist es ferner, daß eine Erhöhung der Oxalat- oder Citratkon - 1) Wie ich bei der Durchsicht der Literatur feststellen konnte, wurde diese Tatsache für Na-Oxalat bereits von Botazzi (Arch. f. Physiol. 1901) beobachtet. Von Verzär und Felter, die mit Esculenten arbeiteten, wurde sie hingegen vermißt. (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 158, 421. 1914.) auf den tonischen Anteil der Muskelzuckune. 523 zentration auf das Doppelte oder Mehrfache ebenfalls die Fähigkeit des Muskels aufhebt, Doppelzuckungen auszuführen. Auch hierin zeigen diese Wirkungen eine Analogie zu der des Veratrins. Ermüden wir jedoch einen Muskel, bei welchem die Doppelzuckungen durch Überschuß an Oxalat oder Citrat zum Verschwinden gebracht worden sind, so sehen wir, ähnlich wie bei der Kombination Ca + Veratrin, die Doppelzuckungen wieder auftreten. Hohe Oxalat- und Citrat- konzentrationen haben im übrigen die Fähigkeit, nicht nur die Doppel- zuckungen zu beseitigen, die sie selbst in geringen Konzentrationen hervor- gerufen haben, sondern sie heben auch eigentliche Veratrinzuckungen prompt auf. Es ergibt sich daher die Frage, wie diese Beobachtungen sich mit unseren Anschauungen in Einklang bringen lassen bzw. aus denselben abgeleitet werden können. Nach unserer Theorie sind für das Zustandekommen von Doppel- zuckungen zwei Bedingungen erforderlich: eine Quellungsbegünstigung im Sarkoplasma und eine Abdichtung der Grenzschichten. Bestehen also unsere Anschauungen zu Recht, so muß es auch unter der Ein- wirkung von Citraten und Oxalaten zum Auftreten dieser beiden Veränderungen kommen. Es ist daher notwendig, daß wir uns eine Vorstellung darüber machen, welche physikochemische Zustands- änderungen wir zu gewärtigen haben, wenn Oxalat- oder Citrationen mit einem System von den strukturellen Eigenschaften der Muskel- faser in Berührung kommen. Wir müssen uns nun m. E. die sich hierbei abspielenden Vorgänge etwa folgendermaßen denken. Die Oxalat- bzw. Citrationen fällen nach ihrem Eindringen in das Sarkoplasma das dort vorhandene Calcium. Da nun aber die physiologische Wirkung des Caleiums auf die Muskel- substanz unfraglich eine entquellende ist, so muß seine Beseitigung eine Quellungsbegünstigung zur Folge haben. Andererseits haben aber auch die Anionen Citrat und Oxalat, entsprechend ihrer Stellung in der Iyotropen Reihe, eine eniquellende Wirkung, die sich überall dort geltend machen muß, wo nach Ausfällen des Calciums, dieselben in freiem Zustande in der Lösung in Überschuß verbleiben. Dies wird aber zunächst naturgemäß nur an den äußeren Grenzschichten des Muskels der Fall sein können, denn die ins Innere des Muskels ein- dringenden Citrat- bzw. Oxalationen werden durch die dort vorhandenen Ca-Ionen abgefangen und gefällt. Zu einer entquellenden Wirkung kann es bei geringen Oxalat- und Citratmengen nur an den Grenz- schichten kommen, während im Inneren des Sarkoplasmas infolge Ausfallen der Caleiumwirkung eine Quellungsbegünstigung eintritt. Wir sehen also, daß infolge der zweifachen Wirkung der Oxalat- bzw. Citrationen die beiden Bedingungen, die wir als notwendig für das 524 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen Zustandekommen einer Doppelzuckung hingestellt haben, nämlich eine Dichtung der Grenzschichten einerseits und eine Quellungsbegünstigung im Sarkoplasma andererseits, tatsächlich erfüllt sind. Bei höherer Konzentration und längerer Einwirkungsdauer erlangt hingegen das Oxalat- bzw. das Citration auch im Inneren des Sarko- plasmas eine überschüssige Konzentration, was sofort der Fall sein wird, wenn die gesamte Menge des vorhandenen Calciums ausgefällt ist. Jetzt aber bewirken die Anionen, ähnlich wie bereits früher an den Grenzschichten, auch im Sarkoplasma eine Entquellung. Als Folge hiervon sehen wir bei höheren Oxalat- bzw. Citratkonzentrationen die anfänglichen Doppelzuckungen wieder verschwinden. Wird jetzt der Muskel rhythmisch gereizt, so wird durch die gebildeten Säuren die Quellbarkeit des Sarkoplasmas wieder erhöht und die Doppelzuckungen kommen abermals zum Vorschein. Die folgerichtige Durchführung unserer Anschauungen über die Bedeutung von Quellungs- und Entquellungsvorgängen für das Zu- standekommen der Doppelzuckung ermöglicht es also, auch für die vielgestaltigen Wirkungen von Citrat- und Oxalationen eine unge- zwungene Erklärung zu geben. Wir haben zu diesem Zwecke zwei Eigenschaften dieser Ionen heranziehen müssen, nämlich ihre caleium- fällende Wirkung einerseits und ihren entquellenden Einfluß auf Kolloide andererseits. Nun kennen wir eine Anzahl Substanzen, welche diese bei- den Eigenschaften getrennt aufweisen, d.h. Calevum fällen ohne eniquellend zu wirken oder Kolloide zur Entquellung bringen ohne Calcium zu fällen. Als Vertreter dieser beiden Gruppen können z.B. einerseits Fluoride, andererseits Tartrate gelten. Es fragte sich daher, wie diese Ionen allein und kombiniert den Verlauf der Muskelzuckung beeinflussen. Versuch 72. Temp. 2. 14. XI. 1921. (Abb. 11.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 10h 35”. — 10% 40” Einzel- öffnungsschlag (R. A.: Scm). (Abb. 16 —_ 101 41’ Natriumfluorid 1 : 2000 (Abb. 11b.) — 11h 09° NaF 1: 2000 —+ Natriumtartrat 1: 1000. — 11 09’ Einzelöffnungs- schlag. (Abb. I11c.) — 11h 10° Natriumfluorid 1: 500 + Na- dung 11d.) — 11 30° Natrium- fluorid 1 :500 + Natriumtartrat 1 : 500. — 11% 42° Einzelöffnungsschlag. (Abb. Ile.) — 11% 43°—11" 45° Rhythmische Reizung (Fr.: 120). — 11h 46° Einzelöff- nungsschlag (Abb. 11b.) Versuch 71. Temp. S.. 11. XI. 1921. ‚in Ca-freier Ringerlösung. — triumtartrat 1 : 1000. — 11 28° Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 11" 15’. — 11h 18° Einzel- 11b 02° Einzelöffnungsschlag. Abb. a—t. Einzelöffnungsschlag,. (Abbil- öffnungsschlag (R.A.: 6 cm). — 11" 19’ Natriumtartrat 1 : 1000 in Ca-freier Ringer- auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 525 lösung. — 11 34’ Einzelöffnungsschlag (Zuckung unverändert.) — 11" 38’ Natrium- tartrat 1 : 1000 + Natriumfluorid 1 : 2000. — 12h 44° Einzelöffnungsschlag. (Zuk- kung unverändert.) Diese Versuche zeigen vor allem — im Einklang mit unseren Er- wartungen —, daß weder das Natriumfluorid (Abb. 11b), noch das Natriumtartrat für sich Doppelzuckungen verursachen. Dagegen treten bereits nach kurzer Zeit Doppelzuckungen auf, wenn man den Muskel zuerst mit NaF und dann mit Na-Tartrat behandelt (Abb. 11e). Außer der Kombination kommt es aber hierbei ganz wesentlich auch auf die Reihenfolge an, in welcher die beiden Substanzen dem Muskel hinzugefügt werden, indem, wie dies aus Versuch 71 hervorgeht, die Doppelzuckungen ausbleiben, wenn der Muskel zuerst mit dem Tartrat und erst nachträglich mit dem Fluorid in Berührung kommt. Auch bei richtig gewählter Reihenfolge ist jedoch die Zeit, während welcher der Muskel Doppelzuckungen auszuführen imstande ist, im allgemeinen nicht lang, und zwar um so kürzer, je höher die verwendete Tartrat- konzentration war. Es kann unter Umständen die Doppelzuckung so schnell verschwinden, daß man dieselbe — namentlich bei nicht allzu häufigen Reizen — evtl. überhaupt nicht zu Gesicht bekommen kann. Durch Hinzufügung von überschüssigem Tartrat kann sie jederzeit prompt beseitigt werden (Abb. Ile). Wird ein solcher Muskel, der infolge kombinierter Fluorid- und Tartratwirkung vorübergehend die Fähigkeit besaß, Doppelzuckungen auszuführen, diese aber dann in- folge eines Überschusses an Tartrat wieder verloren hat, eine Zeitlang rhythmisch gereizt, so treten die Doppelzuckungen wieder auf (Abb. 11f). Die Menge des verwendeten Fluorids ist, — soweit sie überhaupt zur Wirkung ausreicht — ohne Belang (Abb. I1d). All diese Erscheinungen lassen sich nun auf Grund unserer Theorie ungezwungen auf folgende Weise erklären. Vergiften wir einen Muskel mit Natriumfluorid und Natriumtartrat, und zwar in dieser Reihen- folge, so haben wir nach unseren früheren Auseinandersetzungen folgende Vorgänge zu gewärtigen. Die F-Ionen dringen in das Sarkoplasma ein und fällen das hier vorhandene Calcium. Ihre Wirkung wird daher eine quellungsbegünstigende sein. Das nachfolgende Tartrat wirkt zunächst nur auf die Grenzschichten und bringt diese zum Entquellen. Hierdurch sind aber die beiden Bedingungen, die nach unseren An- schauungen für das Auftreten von Doppelzuckungen erforderlich sind, gegeben. Im Moment aber, wo das Tartrat in genügender Menge auch in das Innere des Sarkoplasmas eingedrungen ist und hier die Oberhand erlangt, kommt es auch hier zu einer Entquellung und die Doppel- zuckungen verschwinden. Durch Reizung wird die Quellbarkeit des Sarkoplasmas wieder erhöht und die Doppelzuckungen treten wieder auf. Im wesentlichen läßt sich also durch die Kombination von caleium- 526 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen fällenden Agentien mit solchen, die eine entquellende Wirkung haben, dasselbe erreichen, wie durch Substanzen, die diese beiden Eigenschaften in sich vereinigen. Auch die früher hervorgehobene Bedeutung der Reihenfolge, in welcher das Fluorid und das Tartrat dem Muskel zugefügt werden, läßt sich ohne Schwierigkeit erklären, wenn wir folgendes bedenken. Kommt der Muskel mit dem Tartrat erst dann in Berührung, wenn das Fluorid bereits ausreichende Zeit hindurch seine Wirkung entfalten konnte, so spielen sich die Vorgänge so ab, wie sie oben beschrieben wurden, und es kommt zur Ausbildung typischer Doppelzuckungen. Ganz anders verhält sich die Sache jedoch dann, wenn das Fluorid erst nach dem Tartrat zur Lösung zugesetzt wird. In diesem Falle bringst das eindringende Tartrat das Sarkoplasma zur Entquellung, noch bevor das Fluorid vorhanden ist. Wird das letztere nun auch nachgeschickt, so langt das Ausfällen des Calciums offenbar nicht, um dem durch das Tartrat entquollenen Sarkoplasma einen für das Zustandekommen von Doppelzuckungen ausreichenden Quellungs- zustand zu verleihen. Über weitere Ionenpaare, die Doppelzuckungen herbeiführen. Nachdem im vorigen Abschnitt gezeigt werden konnte, daß durch die gleichzeitige Anwendung calciumfällender Ionen mit solchen, die eine Entquellung von Kolloiden verursachen, ein Zustand des Muskels. herbeigeführt werden kann, in dem er Doppelzuckungen ausführt, lag die Frage nahe, ob dieselbe Wirkung nicht auch dann erreicht werden könnte, wenn die erforderliche Quellungsbegünstigung im Sarko- plasma anstatt durch die Entfernung von Calcium durch eine Substanz herbeigeführt wird, die eine direkte quellungsbegünstigende Wirkung auf Kolloide hat. Unter den zahlreichen, unter diesem Gesichtspunkte untersuchten lonenkombinationen zeigt die von NaJ mit BaCl, die übersichtlich- sten Verhältnisse, so daß auf dieselbe et- was näher eingegangen werden soll. | Versuch 124. Temp. 3. 6. 1. 1922. (Ab- bildung 12.) Suspension des Gastrocnemius in Ringer- a lösung um 4" 15°. — 4" 20° Einzelöffnungsschlag. b) c) d) (R.A.:5 cm.) (Abb. 12a.) — 4h 22’ NaJ 1 : 1000 INHHMDI REG in Ringerlösung. — 4" 10° Einzelöffnungsschlag. (Abb. 12b.) — 441” NaJ 1:1000 + BaCl, 1 : 1000. — 5% Einzelöffnungsschlag. (Abb. 12c.) — 5% 01’ NaJ 1: 1000 + BaCl, 1: 500. — 5h 40° Einzelöffnungsschlag. (Abb. 12d.) Wie ersichtlich, führt auch diese Ionenkombination zum Auftreten von Doppelzuckungen. Die Quellungsbegünstigung im Sarkoplasma a) auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 527 wird in diesem Falle direkt von den Jodidionen bewerkstelligt — ent- sprechend ihrer Stellung in der Hofmeisterschen Ionenreihe. Wenn wir nun gleichzeitig mit dem NaJ auch BaCl, hinzufügen, dessen dich- tende Wirkung auf die Grenzschichten bereits aus den oben besprochenen Versuchen hervorgeht, so sind die beiden Bedingungen für das Auftreten von Doppelzuckungen erfüllt und die Wirkung bleibt auch diesmal, wie wir gesehen haben, nicht aus. Auch diese Beobachtungen liefern demnach eine Stütze für unsere Theorie von der Bedeutung der beiden Bedingungen, welche für das Auftreten von Doppelzuckungen erforder- lieh sind. Weitere Bariummengen setzen den Erfolg — infolge der entquellenden Wirkung des eindringenden Bariums auf das Sarko- plasma — wieder herab, obwohl eine völlige Aufhebung der Doppel- zuckungen entsprechend der schlechten Eindringungsfähigkeit der Ba”-Ionen auch bei noch so hoher BaCl,-Konzentration nicht beobachtet werden konnte. Über die verschiedenen Kurvenformen rhythmisch gereizter Muskeln und ihre Beziehungen zu den physikochemischen Grundlagen der inneren Unterstützung. Im Laufe obiger Erörterungen wurden bereits zwei Substanzen erwähnt, welche die innere Unterstützung des Muskels, wie sie während der rhythmischen Reizung zutage tritt, wesentlich zu erhöhen imstande sind. Diese Substanzen waren das Kalium und das Barium. In den betreffenden Abschnitten wurde auch der Versuch gemacht, diese Wirkung der beiden Ionen aus ihren physikochemischen Eigentüm- lichkeiten abzuleiten. Wir kamen hierbei zu dem Ergebnis, daß die fraglichen Wirkungen des Kaliums und des Bariums trotz ihrer äußer- lichen Ähnlichkeit ihrem Wesen nach doch vollkommen verschiedener Natur sein müssen und eine genauere Betrachtung der betreffenden Muskelkurven zeigte dann auch gewisse charakteristische Unterschiede in dem Verhalten des mit Kalium und des mit Barium behandelten Muskels. An dieser Stelle wollen wir es nun versuchen diese Unter- schiede nochmals, und zwar von allgemeineren Gesichtspunkten aus, ins Auge zu fassen, um auf diese Weise zu einer Theorie der inneren Unterstützung zu gelangen. Wie wir dies bereits oben erörtert haben, sehen wir in der inneren Unterstützung des Muskels einen Ausdruck seines tonischen Zustandes, ebenso wie in seiner Bereitschaft Doppelzuckungen auszuführen. Nach unseren bisherigen Ausführungen ist aber dieser Zustand des Muskels hauptsächlich von zwei Faktoren abhängig, nämlich einmal von der Quellbarkeit des Sarkoplasmas und zweitens von der Durchlässigkeit seiner Grenzschichten. Es muß demnach a priori die Möglichkeit be- stehen, die innere Unterstützung des Muskels auf zweierlei Weise zu Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19%. 35 t "528 S. M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen -beeinflussen: durch Beeinflussung des Quellungszustandes des Sarko- plasmas und durch eine Veränderung der Durchlässigkeit seiner Grenz- ‚schichten. Theoretisch genommen muß es auf beiden Wegen möglich sein, ebenso eine Erhöhung wie eine Herabsetzung der inneren Unter- stützung des Muskels herbeizuführen. Dies scheint nun tatsächlich ‚auch der Fall zu sein. Daß hohe Calciumkonzentrationen eine Ent- quellung des Sarkoplasmas und in der Folge eine Herabsetzung des Muskel- tonus verursachen, wurde schon oben ausführlich besprochen. Daß eine Erschlaffung des Muskels auch durch erhöhte Permeabilität der Grenzschichten verursacht werden kann, scheint mir aus noch nicht abgeschlossenen Versuchen mit einzelnen Narkoticis und Novocain hervorzugehen. In diesem Zusammenhange wollen wir uns jedoch auf jene Wirkungen beschränken, die zu einer Erhöhung der inneren Unter- stützung des Muskels führen. Diese letzteren müssen nun nach dem eben Gesagten auch in zwei Gruppen geteilt werden. Zu der ersten gehören Einflüsse, die mit einer erhöhten Quellbarkeit des Sarkoplasmas einhergehen, während bei der zweiten Gruppe eine Abdichtung der Grenzschichten vorliegt. Als Bei- spiele für diese beiden Möglichkeiten haben wir bereits die Wirkung des Kaliums und die des Bariums kennengelernt. Es wurde bereits auch auf den charakteristischen Unterschied hingewiesen, der zwischen den Kurven der mit beiden Substanzen behandelten Muskeln besteht. Unter der Einwirkung des Kaliums tritt die Erhöhung der Fußpunkt- linie allmählich auf und nimmt dann im Laufe der weiteren Reizung an Deutlichkeit immer mehr zu (Abb. 13b). Beim Barium sehen wir hingegen, daß der Höhepunkt der Contractur sofort erreicht wird und die Fußpunktlinie im Laufe der weiteren Reizung sich wieder langsam der Abszisse nähert (Abb. 13d). Diese Verschiedenheit in der Form der Reizungskurve unter der Einwirkung von Kalium einerseits und Barium andererseits steht nun in voller Übereinstimmung mit unseren An- schauungen. Bei dem Kalium, wo die Contractur durch eine erhöhte Quellung des Sarkoplasmas bedingt ist, nimmt dieselbe mit der Anhäufung von Säuren im Sarkoplasma während der Reizung an Intensität zu, beim Barium hingegen, wo die Contractur durch eine Entquellung der Grenzschichten und eine Verhinderung des Säureabflusses hervor- gerufen wird, tritt die Contractur im Laufe der Reizung immer mehr’ zurück. Durch die angehäuften Säuren kommt es nach unseren Anschau- ungen in diesem ‚Falle zu einer Aufquellung und Auflockerung der Grenzschichten und hierdurch zu einer Behebung der Contractur. Um unsere Theorie über die verschiedene Wirkungsweise der con- tracturbegünstigenden Substanzen eine breitere experimentelle Unter- lage zu verschaffen, wurde noch eine weitere Reihe von lonen mit wohldefinierter Wirkung auf Kolloide in Hinblick auf ihren Einfluß auf den tonischen Anteil der Muskelzuckung. 529 auf die innere Unterstützung des Muskels untersucht. Da der Gegensatz zwischen Quel- lungsbegünstigung und Entquellung in der Anionenreihe wesentlich schärfer ist, als unter den Kationen, kamen zu diesem Zwecke haupt- sächlich die Salze mit verschiedenen Anionen in Betracht. Die deutlichsten Wirkungen erhielt ich auch mit Na,J einerseits, Na,SO, andererseits. Die Ionen J’ und SO’, zeigen in ihrem kolloidchemischen Verhalten aufs deut- lichste die charakteristischen Eigenschaften der beiden Enden der Hofmeisterschen Reihe. In Abb. 13 ist der Einfluß von NaJ und Na,SO, auf die innere Unterstützung des Muskels ersichtlich. Die Versuche wurden auf dieselbe Weise ausgeführt, wie früher mit KCl und BaCl,. Und auch der Effekt ist ein im wesentlichen vollkommen gleicher: Na.J (13c) wirkt genau wie KCl, Na,SO, (13e) wie BaCl,. Die Erklärung für diese Wir- kungen dürfte demnach ebenfalls die gleiche sein, wie wir sie früher für Kalium bzw. Barium gegeben haben: das NaJ wirkt quellungsbegünstigend auf das Sarkoplasma, das Na,SO, entquellend und dichtend auf die Grenzschichten. Dieser Auffassung entspricht nicht nur das allgemeine kolloidehemische Verhalten der beiden Ionen, sondern auch die Form der entsprechenden Muskelkurven: stetiger Anstieg der Contractur unter der Ein- wirkung von Na.J und steiler Anstieg mit nach- folgendem, allmählichem Abfall bei Na,SO,. Abb, 13, Zusammenfassung. 1. Geringfügige Erhöhung des Kalium- gehaltes der Ringerlösung erhöht die innere Unterstützung isolierter Froschmuskeln bei rhythmischer Reizung. Erhöhung des Calcium- gehaltes oder Weglassen des Kaliums hat einen gegenteiligen Effekt. Hohe Konzentra- tionen an Calcium verhindern auch den Eintritt der Totenstarre. 2. Die Veratrinzuckung wird durch kleine Mengen von CaCl, be- günstigt, durch KCl gehemmt. Große Mengen von CaCl, heben die Vera- 395 a) 530 S.M. Neuschlosz: Untersuchungen über die Wirkung von Neutralsalzen usw. trinzuckung ebenfalls auf, doch ist diese Wirkung von der des Kaliums durchaus verschieden. Ist die Veratrinzuckung durch CaCl, aufgehoben worden, so läßt sie sich durch rhythmische Reizung des Muskels wieder zum Vorschein bringen. Beim Kalium ist dies nicht der Fall. 3. BaCl, erhöht die innere Unterstützung des Muskels bis auf ganz hohe Konzentrationen, bei denen auch hier ein gegenteiliger Effekt eintritt. Die Veratrinzuckung wird durch BaCl, begünstigt. Im all- gemeinen wirkt Barium auch in höheren Konzentrationen so, wie Calcium nur in geringen. Die Ursache hierfür wird in der geringen Durchlässigkeit der Muskelgrenzschichten für Bariumionen gesucht. 4. Calciumfällende Ionen, die gleichzeitig eine entquellende Wirkung auf Kolloide haben, wie Oxalat und Citrat, führen am isolierten Muskel Doppelzuckungen nach Art des Veratrins herbei. In Überschuß hinzu- gefügt heben dieselben Ionen die Doppelzuckungen wieder auf. Doppel- zuckungen kommen auch dann zustande, wenn man calciumfällende Ionen ohne entquellende Wirkung auf Kolloide mit solchen kombiniert, die zwar Calcium nicht fällen, hingegen Kolloide zum Entquellen bringen (NaF-+-Na-Tartrat). Die Wirkung tritt jedoch nur dann ein, wenn der Muskel zuerst mit dem caleiumfällenden Ion und erst nachher mit dem entquellenden in Berührung kommt. Durch Überschuß dieses letzteren läßt sich auch diese Wirkung rückgängig machen, kommt aber nach rhythmischer Reizung wieder zum Vorschein. 5. Die innere Unterstützung des Muskels, wie sie bei der rhyth- mischen Reizung zutage tritt, wird durch eine Anzahl Substanzen begünstigt, zu denen sowohl solche mit quellungsbegünstigender Wir- kung, wie solche mit entquellender gehören. Die Muskelkurven weisen jedoch in den beiden Fällen äußerst charakteristische Unterschiede auf, während sie innerhalb der einzelnen Gruppen stets dasselbe Bild zeigen. 6. Die beobachteten Tatsachen lassen sich alle einheitlich damit erklären, daß sowohl für das Auftreten von Doppelzuckungen, wie für die innere Unterstützung des Muskels der Quellungszustand des Sarkoplasmas und die Durchlässigkeit der Grenzschichten von maß- gebender Bedeutung sind. Die gemachten Beobachtungen stützen nicht nur diese Anschauung, sondern sie konnten auf Grund dieser Arbeits- hypothese zum größten Teil vorausgesagt werden. Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen des Kon- traktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen. Von cand. med. Bela Mittelmann. (Aus dem Physiologischen Institut der deutschen Universität Prag.) (Eingegangen am 4. Juli 1922.) Unsere Problemstellung ist folgende: Es sei in irgendeiner Muskel- gruppe des Körpers ein Kontraktionszustand gegeben; es ist nun die Frage, durch welche Einwirkungen dieser Zustand länger dauernd beeinflußt, d.h. gefördert oder gehemmt werden kann. Mit der Be- zeichnung ‚länger anhaltend‘ soll gesagt werden, daß kurze, schnell vorübergehende, reflektorische Kontraktionen hier nicht berücksichtigt oder höchstens als Begleiterscheinungen vermerkt werden. (Die Einwir- kungen müssen nicht unter allen Umständen nachweisbar sein). Es sei betont, daß wir von den gefundenen Erscheinungen hier nur das Prin- zipielle mit einigen Beispielen aus unserem Beobachtungsmaterial festlegen wollen. Das Wichtigste aus der einschlägigen Literatur, wird an der entsprechenden Stelle verzeichnet werden. Methodik. Unsere Versuche sind mit folgender Methodik angestellt worden: Wir wollen die Einflüsse auf die Muskulatur irgendeines Körperteiles unter- suchen, z. B. auf die des Halses, des Rumpfes oder eines der Gelenke der Extremi- täten. Die Versuchsperson wird aufgefordert (bei geschlossenen Augen), dem zu untersuchenden Gliede eine gewisse symmetrische Stellung zu geben und das Glied gleichmäßig zu halten. Den Kopf ließ ich meistens symmetrisch in leicht nach vorn geneigter Stellung halten, den Rumpf ebenso. Die Einflüsse auf die Muskulatur der Extremitäten kann man entweder für jede einzelne allein prüfen — dann läßt man z. B. den linken Arm vor sich hin halten — oder man prüft gleich- zeitig bezüglich zweier symmetrischer Gelenke, indem man z. B. beide Arme in gleicher Höhe, in gleicher Adduktion gleichzeitig vor sich hin halten läßt. Nun wird der auf seine Wirkung zu untersuchende Reiz gesetzt und beobachtet, was für eine Änderung in der Lage des zu untersuchenden Gliedes auftritt. Verfahren wir in der geschilderten Weise, so lassen sich nur durch einige wenige Reizweisen Änderungen in der symmetrischen Stellung des Gliedes hervor- rufen. Andere Reize wirken nur bei wenigen, wahrscheinlich empfindlicheren Indi- viduen. Deswegen ist zum Nachweise feinerer Reaktionen außer der symmetrischen Lage des untersuchten Körperteiles noch etwas notwendig, nämlich die Art und 532 DB. Mittelmann: Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen den Grad, wie die untersuchten Muskeln innerviert werden, genau zu beachten. Die Stellung der Glieder muß sozusagen eine lockere sein; die Versuchsperson wird darauf aufmerksam gemacht, sich nicht zu bestreben, die Anfangslage des unter- suchten Gliedes unbedingt beizubehalten. Die Lage der Glieder muß immer im An- fang eine symmetrische sein. Wenn später eine asymmetrische, unwillkürliche Be- wegung eintritt, soll die Versuchsperson diese nicht verhindern, der Körperteil soll sosusagen sich selbst überlassen werden. Die Glieder in der geschilderten Weise zu halten erfordert aber meist eine Schulung, so daß die Reaktionen meistens erst nach einigen Vorversuchen gelingen. Auch ist die größte Vorsicht geboten, um Auto- suggestionen der Versuchsperson zu vermeiden. Deswegen haben wir die Anforderung gestellt: eine Reaktion wird dann erst als einwandfrei betrachtet, wenn sie bei mindestens zwei Versuchspersonen, die vom. Ausfall des Versuches bei einander nichts wissen, wiederholt, unter den gleichen Umständen in gleicher Weise auf- tritt. Die hier anzuführenden Reaktionen haben dieser Forderung entsprochen. Damit sei aber nicht gesagt, daß der gleiche Ausfall der einzelnen Reaktionen sogar unter den gleichen äußeren Umständen tatsächlich immer eintreffen müsse. Es scheint sogar unter scheinbar gleichen Umständen eine völlig entgegengesetzte Reaktion möglich zu sein. Die obige Anforderung ist aber zur Feststellung der hier angeführten Erscheinungen notwendig, solange wir nicht alle Umstände kennen, die auf den Ausfall der Reaktionen ausschlaggebend sein können. Die unten an- geführten Versuche sind an mir und Herrn H. Goldmann, Assistenten am Institut, ohne Kenntnis des Ausfalles der Reaktionen beim anderen, ausgeführt worden. Zuerst wurde immer ein Kontrollversuch eingeschaltet. Es wird dabei dem zu untersuchenden Körperteile zunächst eine symmetrische, lockere Stellung gegeben und längere Zeit zugewartet, ob spontan eine asymmetrische Stellungsänderung erfolgt. Tritt keine solche ein, sondern binnen !/,—3 Min. bloß eine längere symmetrische Änderung entsprechend der Schwere, so wird die Ausgangsstellung wieder eingenommen und nun der Versuch durchgeführt. Den Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen bildete in erster Linie die von E. Wodak und M. H. Fischer angegebene labyrinthogene Arm-Tonus-Reaktion; unsere Methode lehnt sich an die von den beiden Autoren beschriebene weitgehend an. Die beiden Autoren haben nach- gewiesen, daß, wenn man den Vestibularapparat eines normalen Indi- viduums irgendwie einseitig beeinflußt und nun die Untersuchungs- person auffordert, bei geschlossenen Augen beide Arme horizontal vor sich hin zu halten, gewissen Gesetzen entsprechend der eine Arm sinken, der andere steigen gelassen wird. Das Phänomen kann bis zu 30 Min. dauern, während welcher Zeit mehrmals ein Wechsel ein- tritt in der Art, daß der bisher tiefer stehende Arm steigt, der höher stehende sinkt. Eine andere Vestibularisreaktion ist die ursprüngliche Barany sche Beobachtung. Wenn wir bei einer normalen Versuchsperson den Vesti- bularapparat einseitig beeinflussen und sie hierauf auffordern, z. B. den rechten Arm gerade auszustrecken und ruhig zu halten, so bemerken wir, daß, während die Versuchsperson glaubt, den Arm ruhig zu halten, dieser kontinuierlich nach der einen Seite abweicht. Außerdem ist hier noch die sogenannte Fallreaktion zu erwähnen. Wird bei einer normalen Versuchsperson das Labyrinth einseitig des Kontraktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen. 533 beeinflußt, und nun die Versuchsperson aufgefordert, mit aneinander gelegten inneren Fußrändern aufrecht zu stehen, so hat sie die Nei- gung, nach einer Seite umzufallen. Auf Grund dieser Erscheinungen ist selbstverständlich das an als eine ausgezeichnete Quelle für Beeinflussungen zu betrachten, die den Kontraktionszustand der Skelettmuskulatur beim normalen Menschen ändern können. Es ergab sich nun die Frage, ob ähnliche Beein- flussungen auch seitens anderer Rezeptoren auslösbar sind. Als solche Rezeptionsquellen wurden aktive Kontraktionen anderer Muskeln bzw. aktive Stellungsänderung bestimmter Gelenke, passive Stellungs- änderung solcher, sodann Hautreize, und zwar Tast- und Schmerz- reize, endlich psychische Beeinflussung geprüft. I. Beeinflussung durch Zustandsänderung anderer Muskelgruppen (Gelenke). a) Beeinflussung durch aktive Betätigung von Muskelgruppen. Als Beispiele für länger anhaltende Beeinflussung einer Muskel- gruppe durch aktive Betätigung einer anderen seien folgende Versuche angeführt. Alle diese Versuche wurden, wie schon erwähnt, bei mir und bei H. Goldmann wiederholt durchgeführt; von quantitativen Unterschieden abgesehen, ergab sich immer das gleiche typische Resultat. 1. Die Versuchsperson sitzt auf der Sesselkante, lehnt sich mit dem Rumpf an die Sessellehne, so daß die Scapulagegend mit der Sessellehne in Berührung kommt und die Achse des Rumpfes mit dem Lote einen Winkel von etwa 4—5° bildet. Der Kopf wird gerade, frei gehalten oder nach hinten, z.B. an die Wand, angelehnt, die Beine sind passiv maximal ausgestreckt, so daß nur die Ferse des Fußes am Fußboden ruht. Kontrollversuch von 45 Sekunden Dauer. Die Versuchsperson wird auf- gefordert, beide Arme in der schon oben beschriebenen Weise leicht gestreckt, wagerecht vor sich hin zu halten, die Arme gleichmäßig innervierend, sich selbst zu überlassen. So erfolgt allmählich eine symmetrische langsame Bewegung beider Arme (im Schultergelenk) nach unten, vor dem Ankommen in die Ruhelage auch etwas seitlich. Der linke Arm weicht etwas stärker lateralwärts ab. In 45 Sek. sind beide Arme unten angekommen. Nach 2 Min. Pause: Versuch 1. Beide Arme werden wiederum symmetrisch emporgehoben. Die Versuchsperson wird aufgefordert, danach zu trachten, 10 Sek. lang das rechte Kniegelenk zunächst zu überstrecken, dabei aber mit dem Bein im Hüftgelenk nicht nach unten zu drücken, nach 10 Sek. wieder ruhig zu sitzen und die Arme gleichmäßig zu halten. Nun kann man an den Armen folgendes beobachten. Nach 12 Sek. bewegt sich der linke Arm abwärts und seitlich, der rechte Arm verharrt zunächst in seiner Stellung. Nach 25 Sek. bewegt sich auch der rechte Arm abwärts und seitlich, aber noch viel langsamer als der linke. In 44 Sek. wird der linke Arm ruhig. Der 534 B. Mittelmann: Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen rechte Arm ist inzwischen subjektiv sehr schwer geworden; man hat sogar die Empfindung eines unangenehmen Muskelschmerzes. Nach 40 Sek., also wenn der linke Arm zu Ruhe kommt, fängt der rechte Arm an, schneller sich nach abwärts und seitlich zu bewegen, bis er nach 1’45’” wieder stillsteht. Dieses Spiel kann sich auch noch öfters wiederholen; ich habe es einmal bei mir 15 Min. lang verfolgt, dann hörte es noch immer nicht ganz auf. Wenn ein Arm unten ange- kommen ist, müssen wiederum beide Arme in die symmetrische Ausgangsstellung ‘ gehoben werden. Manchmal dauert dieser Wechsel nur kürzere Zeit, manchmal nur zwei Phasen lang, dann wird die Bewegung beider Arme ebenso, wie im Kontroll- versuch. In ähnlichen Versuchen tritt immer die typische Reaktion auf. Im Anfang steht auf der Seite der Kniestreckung der Arm höher als auf der anderen, dann er- folgt ein Umschlag, so daß nun der Arm auf der entgegengesetzten Seite höher steht. (Vgl. die bei der Arm-Tonus-Reaktion auftretenden charakteristischen Phasen!) Diese zweite Phase ist häufig stärker ausgesprochen als die erste. Die Dauer der Phasen hängt auch von der Dauer der Streckung ab, aber auch bei gleicher Dauer der Streckung können Schwankungen von 1—5 Sekunden auftreten. Oft erfolgt die Reaktion schon auf eine bloß kurz dauernde Kontraktion der Strecker hin. 2. Ruhelage der Versuchsperson wie oben, nur daß der Kopf passiv nach vorne hängt, indem die Ebene der Mundspalte mit der Horizon- talen einen Winkel von 50° bildet. Kontrollversuch von 1 Min. Dauer. Die Versuchsperson wird aufgefordert, den Kopf in die Stellung einer leichten Vorwärtsbewegung zu bringen, und ihn dann gleichmäßig innervierend sich selbst zu überlassen. Meistens erfolgt eine langsame Bewegung des Kopfes nach vorn. Versuch2. Nach 2 Min. Pause wird der Kopf wieder gehoben. Die Ver- suchsperson wird aufgefordert, danach zu trachten, 5 Sek. lang das rechte Knie- gelenk zu überstrecken. Am Kopf kann man nach 13 Sek. eine Neigung nach der rechten Schulter beobachten, manchmal eine gleichzeitige Beugung nach rückwärts. Manchmal sieht man objektiv keine Bewegung, die Versuchsperson gibt aber an, die Empfindung eines Zuges nach der rechten Schulter zu ver- spüren. Eindeutig ist bei dieser Reaktion nur die erste Phase, da später infolge der Bewegung des Kopfes Einflüsse vom Labyrinth her sich geltend machen können. 3. Die Versuchsperson sitzt in der Ruhelage mit freiem, gerade gehaltenem Rumpf auf dem Sessel, wobei die Oberschenkel bis 5 cm oberhalb des Kniegelenkes auf der Sesselplatte ruhen. Kontrollversuch von 1’ 40” Dauer. Die Versuchsperson wird aufgefordert, beide Knie zu strecken, beide Unterschenkel gleich hoch zu heben und sie dann gleichmäßig innervierend sich selbst zu überlassen. Bei Versuchsperson B. M. wird in dem hier angeführten Versuch der linke Fuß etwas höher gehoben, dann bewegen sich beide langsam nach abwärts, wobei die Höhendifferenz ausgeglichen wird, beide Unterschenkel sinken gleichmäßig, schließlich kommt der linke Fuß etwas früher am Boden an. Versuch 3. Nach 5 Min. Pause wird die Versuchsperson aufgefordert, beide Unterschenkel gleich hoch zu heben, dann mit dem Rumpf langsam eine Rechts- drehung auszuführen. Man kann binnen 15 Sek. schon deutlich beobachten, daß der linke Unterschenkel langsam sich nach abwärts bewegt, der rechte oft etwas steigt. Später erfolgt auch hier ein Umschlag, wie dies bei Versuch 1 geschil- dert wurde, mit ähnlichen subjektiven Erscheinungen. Die zeitlichen Verhältnisse des Kontraktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen. 535 variieren, je nachdem, ob die Rumpfdrehung aufrecht erhalten oder passiv oder aktiv rückgängig gemacht wird. Es sei hier bemerkt, daß immer, wenn wir die Wirkung einer Bewegung des Rumpfes oder des Kopfes untersuchen, diese Bewegung langsam, mit einer minimalen Winkelbeschleunigung ausgeführt werden muß; auch darf die Lage des Kopfes gegen die Wagrechte sich überhaupt nicht oder höchstens minimal ändern, da man sonst Einflüsse vom Labyrinth her bekommt. Die Wirkung der Kopf- und Rumpfbewegungen läßt sich meistens auch dann nachweisen, wenn das unter- suchte Glied nicht so ‚„‚locker‘‘ und ‚sich selbst überlassen‘ gehalten wird, wie wir es oben geschildert haben. Dann erfolgt oft z. B. an den Armen an Stelle des spontanen Beharrens oder langsameren Sinkens eine Hebung. Wir wollen nochmals betonen, daß wir nur Beobachtungen angeführt haben, aber keine Regel ableiten wollen. Auf Grund dieser Versuche können wir also aussagen, daß durch aktive Betätigung anderer Muskelgruppen eine Muskelgruppe beein- flußt werden kann. Ja, es scheint aus unseren Versuchen hervor- zugehen, daß im Falle aktiver Betätigung irgendeiner Muskelgruppe alle anderen Muskelgruppen langdauernd beeinflußt werden können. b) Beeinflussung durch passive Lagerung anderer Körperteile. 4. Als Beispiel für diese Art der Beeinflussung sei folgender Ver- such angeführt: Die Versuchsperson liegt auf dem Rücken auf der Tischplatte. Die Stellen, wo ein starker Druck der Tischplatte zu spüren ist, werden unterpolstert. Der Kopf ruht mit dem Hinterhaupt auf einem gepolsterten Rahmen. Nach 5 Minuten erfolgt zunächst -ein Kontrollversuch. Die Versuchsperson wird aufgefordert, beide Arme symme- trisch zu heben bis zur Höhe, wo die Arme mit dem Lote einen Winkel von 25° einschließen (es wurde die Lotrechte bestimmt und der Winkel an einem Trans- porteur abgelesen). Es erfolgt eine langsame Bewegung beider Arme nach unten und schwach lateralwärts, mit labiler Symmetrie. Versuch 4. Nach 2 Min. Pause wird der Kopf der Versuchsperson ohne Änderung seiner Lage auf dem Rahmen und gegen die Wagrechte passiv nach der linken Schulter gebeugt und 1 Min. zugewartet. Schon während des ruhigen Liegens gibt die Versuchsperson an, hauptsächlich den linken Arm als schwerer zu empfinden. Nach 1 Min. wird die Versuchsperson aufgefordert, beide Arme symmetrisch zu heben. Der linke Arm wird meistens etwas tiefer und mehr abduziert gehalten als der rechte. 8 Sek. nach der Hebung kann man beobächten, daß der linke Arm sich nach unten und lateralwärts bewegt; er kommt in 30°” an der Tischplatte an. Der rechte Arm hat sich inzwischen kaum etwas bewegt, etwa 34 Sek. nach der Hebung fängt er auch an, sich nach unten und lateralwärts zu bewegen, und kommt schließlich 2’4”’ nach der Hebung auf der Tischplatte an. Dieses Verhalten habe ich einmal wiederholt durch !/, Stunde verfolgen können, dann war es noch immer nachweisbar. Auch andereVersuche sind durchgeführt worden, welche Einwirkungen analoger Art und von anderen Muskelgruppen her dartun, doch begnügen wir uns mit der Anführung dieses einen Beispieles. 536 B. Mittelmann: Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen Auf Grund dieses Versuches können wir aussagen, daß Muskel- gruppen durch passive Lagerung anderer Körperteile sich nachhaltig beeinflussen lassen. R. Magnus und seine Schüler haben nachgewiesen, daß passive Lagerung des Kopfes beim Tier und in gewissen pathologischen Fällen beim Menschen den Kontraktionszustand der Extremitäten und Rumpf- muskulatur beeinflussen kann, und haben auch die hier geltenden Regeln genau festgestellt!). II. Beeinflussung dureh Hautreize. Auch Versuche über den Einfluß von Hautreizen wurden angestellt, wobei nur der Rock abgelegt wurde. An die Reize, die die Kleidung verursacht, scheint man adaptiert zu sein, hingegen läßt sich inter- essanterweise im unbekleideten Zustand sogar nach längerer Zeit ein ganz normales Verhalten, z. B. der Arme, nicht erreichen. Deshalb wurden auch die unter I. angeführten Versuche bekleidet, nur ohne Rock ausgeführt. Bei den hier zu erwähnenden Versuchen sind wir so verfahren, daß der Unterschenkel der Versuchsperson entblößt wurde, dann wurde gewartet, bis die Arme ein ziemlich normales Ver- halten zeigen, und nun wurde der Hautreiz angebracht. a) Tastreize. 5. Als Beispiel für den Einfluß von Tastreizen sei folgender Versuch angeführt: Die Versuchsperson sitzt in der Ruhelage auf dem Sessel, so daß die Oberschenkel bis zu 5 cm oberhalb des Kniegelenkes auf der Sessel- platte ruhen; die Unterschenkel hängen frei herunter. Der Rumpf ist an die Sessellehne gestützt, der Kopf nach hinten an die gepol- sterte Wand gelehnt, der Unterschenkel entblößt. Nach einigem Abwarten erfolgt ein Kontrollversuch von 36 Sek. Dauer. Die Versuchsperson wird aufgefor- dert, beide Arme symmetrisch zu heben. Sie hebt die Arme oft etwas asymme- trisch, z. B. den rechten Arm etwas höher. Beim spontanen Herabsinken wird diese Differenz beibehalten, außerdem bewegt sich der linke Arm etwas mehr lateralwärts. Versuch 5. Nach 2 Min. Pause werden die Arme wieder gehoben. Die Haut der muskelfreien Tibiafläche wird mit einem quer gehaltenen runden Stab 5 mal inder Länge in ca. 10 cm Ausdehnung gestrichen — und zwar kräftig, aber nicht schmerzhaft. Nach etwa 12 Sek. bewegt sich der rechte Arm nach unten und schwach lateralwärts, in der 16. Sek. auch der linke, wobei aber der rechte seinen Vor- sprung beibehält. Beide Arme scheinen sich rascher zu bewegen als im Kontroll- versuch. Später kommt es auch in diesem Versuch zu Phasen der Bewegung, die 1) M. H. Fischer und E. Wodak fanden auch einen charakteristischen Einfluß der Kopfhaltung auf die Arm-Tonus-Reaktion (laut persönlicher, noch nicht publizierter Mitteilung). des Kontraktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen. 537 aber nicht so ausgesprochen sind, wie bei den aktiven Muskelversuchen. Manch- mal wird die Differenz der Armhöhe allmählich ausgeglichen und nunmehr ist die Bewegung beiderseits symmetrisch. b) Schmerzreize. 6. Ruhelage der Versuchsperson wie bei a). Kontrollversuch wie bei a) von 40’’ Dauer. Versuch 6. Beide Arme werden gehoben. Auf der Haut der muskelfreien Tibia- fläche wird eine Klemme angebracht, eine Schlauch- oder eine Quetschklemme, die einen starken Schmerz verursacht. In der 12. Sek. nach dem Anbringen der Klemme bewegt sich der rechte ‚Arm nach unten und schwach lateralwärts, später macht der linke Arm die gleiche Bewegung, holt sogar nach einer Minute den rechten Arm ein und beide bewegen sich symmetrisch stark lateralwärts, weniger abwärts. Wird die Klemme weiter an der Haut gelassen, so erfolgt oft nach ca. 5—6 Min. eine Adaptation an den Reiz, die Arme bewegen sich fast ebenso wie im Kontroll- versuch. Subjektiv ist an der Applikationsstelle der Klemme noch ein deutlicher Schmerz zu spüren. Nach 5720’ werden beide Arme gehoben und die Klemme entfernt. Der rechte Arm bewegt sich schneller abwärts. Nach 635” werden beide Arme wiederum gehoben, hierauf bewegt sich der linke Arm schneller abwärts, es ist also ein Um- schlag erfolgt. Zu den Hautreizungsversuchen sei noch bemerkt, daß die Höhen- differenzen hier nicht so stark ausgeprägt sind wie bei den aktiven Muskelversuchen; dasselbe gilt von den einzelnen Phasen. Was die subjektiven Empfindungen anbelangt, besteht folgender Unterschied: Bei den aktiven Muskelversuchen spürt man in den gehobenen Armen etwa folgendes, wobei bemerkt sei, daß gelegentlich Verlauf und Art der Empfindung nicht so deutlich hervortreten. In dem Arm, welcher schon längere Zeit spontan festgehalten wird, oder ganz langsam sich bewegt, entsteht immer die Empfindung der Schwere und des Muskel- schmerzes und bald danach erfolgt ein rascheres Sinken des betreffenden Armes. In der ersten Phase fehlt meist diese Empfindung. Während des Sinkens läßt diese Empfindung nach, dann wird der Arm wiederum festgehalten, oder sinkt langsamer. Nach längerem Festhalten beginnt das Spiel von neuem. Bei den Hautreizungsversuchen ist oft zu be- obachten, daß der Arm, sobald er spontan festgehalten wird, unan- genehm schwer erscheint und diese Empfindung besteht weiter während des Festhaltens oder langsameren Sinkens. Auf Grund dieser Versuche können wir also aussagen, daß beim normalen Menschen der Kontraktionszustand der Muskelgruppen durch Hautreize beeinflußt werden kann. III. Beeinflussung durch den psychischen Zustand. 7. Es sei folgende Beobachtung angeführt: Man stellt dieselbe am besten abends an. Die Lampe brennt, die Versuchsperson liegt im 538 DB. Mittelmann: Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen Bett mit offenen Augen, am besten in Seitenlage. Die Versuchsperson wird aufgefordert, sich körperlich wie psychisch vollkommen zu ent- spannen wie beim Einschlafen, dann den einen Arm zu heben, aber weiter in dem oben geschilderten Zustand zu verharren. Es handelt sich um eine soweit wie möglich isolierte Betätigung einer Muskelgruppe, wobei die Psyche auch soweit wie möglich entspannt ist. Es erfolgt ein lang- sames Sinken des gehobenen Armes in 11/,—2’. Es tritt dabei fast gar keine Ermüdung auf. Man schalte eine 4—5 Min. lange Pause ein. Die Versuchsperson hebt nun wiederum den Arm und wird aufgefordert, gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt zu kon- zentrieren, z. B. die Musterelemente der Malerei an der Wand zu be- achten und zu zählen, ohne dabei Bewegungen mit dem Auge auszu- führen und ohne die Innervation des gehobenen Armes bewußt zu ändern. Nun sieht man, daß der gehobene Arm oft steigt oder zunächst feststeht, dann aber sinkt, jedoch viel langsamer als vorher, und die Ruhelage in 21/,—3’ erreicht. Eine Ermüdung fehlt oder ist gering. Dieser Versuch scheint zu besagen, daß eine bestehende einfache Kontraktion einer Muskelgruppe durch anderweitige Konzentrierung der Aufmerksamkeit allgemeiner gesagt, durch einen lebhaften psychi- schen Zustand langdauernd gefördert wird. Ähnliches kann man im gewöhnlichen Leben häufig beobachten, hauptsächlich an Muskel- gruppen, die zu ihrer Kontraktion nicht eine besondere Tätigkeit des Bewußtseins brauchen, wie dies z. B. beim Sitzen und Stehen der Fall ist. Das Sitzen und Stehen ist viel sicherer und fester, und die ganze Haltung eine andere in den Fällen, wo die psychische Tätigkeit ge- steigert ist. Steht das alles fest, so werfen sich gewisse Fragen auf. Was für ein Vorgang liegt allen den hier geschilderten Änderungen des Kon- traktionszustandes der Muskelgruppen zugrunde, ist dieser Vorgang in den einzelnen Fällen überhaupt identisch; auf was für einem Wege kommen die Änderungen zustande? Wir möchten nur so viel sagen, daß sich auch durch elektrische Reizung der sogenannten ‚‚motorischen Punkte‘ ananderen Muskeln typische Beeinflussungen hervorrufen lassen, doch waren die Resultate vorläufig noch wechselnd. Ein Weiterein- gehen auf diese Fragen und den behandelten Problemenkreis behalten wir uns vor. Zusammenfassung. Werden einzelne Körperteile aktiv locker, meist symmetrisch gehal- ten, so lassen sich bei geeigneter Methodik Einwirkungen auf den Kon- traktionszustand der hierbei tätigen Muskelgruppen nachweisen durch I. Zustandsänderung anderer Muskelgruppen: a) Im Falle der aktiven Betätigung beinahe jeder anderen Muskel- gTuppe, des Kontraktionszustandes der Skelettmuskulatur des Menschen. 539 b) im Falle der passiven Lagerung anderer Körperteile. II. Durch Hautreize. a) Tastreize, b) Schmerzreize. III. Durch Änderungen des psychischen Zustandes. Zum Schlusse möchte ich Professor Dr. A. Tschermak für seine freundliche Mithilfe meinen innigsten Dank aussprechen. Literaturverzeichnis. 1) Wodak, Dr. E.und Dr. M. H. Fischer, Eine neue Vestibularisreaktion. (Vor- läufige Mitteilung.) Münch. med. Wochenschr. 1922, Jahrg. 69, S. 93. — ?) Barany, B. und K. Wittmack, Funktionelle Prüfung des Vestibularapparates. Referat. Verhandl. d. deutsch. otolog. Gesellsch. 1911, S. 558. — ?) Magnus, R., Körper- stellung und Labyrinthreflexe beim Affen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 396. 1922. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) Untersuchungen über die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. I. Mitteilung. Von Rudolf Mond, Assistent am Institut. Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 5. Juli 1922). Es ist seit langem bekannt, daß vor allem die kurzwelligen Strahlen des Spektrums die mannigfaltigsten chemischen Veränderungen zu ver- ursachen imstande sind. Jedoch sind ihre Wirkungen auf den tierischen Organismus, die zuweilen pathologische Zustände, ja sogar den Tod herbeiführen können, in ihrem Wesen noch wenig erforscht und viel- “ fach rätselhaft. Wohl hat man manche Veränderungen des Stoffwechsels nach Belichtung gefunden, wie Vermehrung der Sauerstoffaufnahme und der Kohlensäureausscheidung, Erhöhung des Stickstoffgehaltes des Harns bei starker Belichtung nach Injektion sensibilisierender Farbstoffe | Pincussen!)|, aber der Ausgangspunkt und der Verlauf der sich hierbei abspielenden chenıischen Vorgänge ist nicht bekannt. Auch die Ergebnisse der Reagensglasversuche sind nicht sehr umfang- reich und beschränken sich im wesentlichen auf die Feststellung einiger wichtiger Tatsachen, z. B., daß die ultravioletten Strahlen Fermente lähmen, Komplement zerstören, Eiweißkörper zum Koagulieren bringen. Gerade das Studium der Veränderung der Eiweißlösungen durch Bestrahlung scheint einer der nächstliegenden Wege zu sein, um der Erkenntnis der Strahlenwirkung auf den tierischen Organismus näher zu kommen. Bisher liegen hierüber wenige Untersuchungen vor, deren Ergebnisse man kurz dahin zusammenfassen kann, daß Eiweißlösungen nach mehr oder weniger langer Bestrahlungszeit irreversibel geflockt werden [C'halupecky?), Bovie?), Schanz*)], daß der Temperaturkoeffizient !) Pincussen, Ergebn. d. Physiol. 19. 1921. Daselbst weitere Literatur. 2) Ohalupecky, Casop. Lekaun Ceskych. 64. 1913, nach Zentralbl. f. Bioch. 18. 3) Bovie, Science 3%, Nr. 970. 1913; 3%, Nr. 949. 1913. *) Schanz, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 164, 445. 1916; 1%0, 646. 1918. R. Mond: Wirkung der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen I. 541 dieser Reaktion klein ist, ein Charakteristikum, das überhaupt der Lichtwirkung eigentümlich ist. Schanz hat weiterhin Stabilitätsände- rungen in bezug auf die Ammonsulfatfällbarkeit vor allem der Al- bumine gefunden, und er schließt daraus, daß durch die Lichtwirkung Albumine in Globuline umgewandelt werden könnten, eine Annahme, die übrigens auf Grund seiner Versuche in keiner Weise gerechtfertigt erscheint. Die Notwendigkeit, dieses bis jetzt noch wenig bekannte Gebiet systematisch zu erschließen, liegt zweifellos vor. Um mir eine gewisse Übersicht zu verschaffen und um gangbare Wege aufzufinden, habe ich die Veränderungen, die an den Eiweißkörpern des Plasmas durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht auftreten, zunächst physikalisch- chemisch in verschiedener Hinsicht untersucht. Die vorliegende erste Mitteilung gibt eine Zusammenstellung der bisherigen Versuchsergeb- nisse. Sie macht bei dem schwierigen und umfangreichen Gebiet nicht den Anspruch auf völlige Durcharbeitung. Das war bei den vielen neuen Ausblicken, die sich während der Arbeit ergaben, nicht ausführbar. Das vorliegende Material stellt zu einem Teil nur die Vor- arbeiten dar, auf Grund deren es jetzt möglich ist, ganz bestimmte Wege einzuschlagen. - Die Arbeit wurde von Prof. Höber zunächst mit der Absicht angeregt, den Einfluß der durch die Bestrahlung mit ultraviolettem Licht ver- ursachten Dispersitätsänderungen von Eiweißlösungen auf die Se- dimentierung der roten Blutkörperchen zu verfolgen, um damit zur Klärung der theoretischen Grundlagen dieses Vorganges beizutragen. Über die Versuchsergebnisse hierüber, die noch nicht ganz abgeschlossen sind, werde ich später berichten. Methodik: Sämtliche Untersuchungen wurden an Pferdeblut angestellt, das je nachdem durch Einfließenlassen in 2% Ammoniumoxalatlösung oder durch Schlagen ungerinnbar gemacht wurde. Ich bestrahlte Plasma, Serum und die durch Fällung mit Ammonsulfat in üblicher Weise gewonnenen Fraktionen, die wieder in destilliertem Wasser gelöst und verschieden lange Zeit meistens mit Zu- satz von Thymol, außer wenn die Oberflächenspannung gemessen wurde, dialysiert wurden. Die Zeit der Dialyse ist in jedem Versuch bezeichnet. Der Prozentgehalt an Eiweiß variiert in den einzelnen Versuchsreihen, hält sich aber im allgemeinen unterhalb der im Blut vorhandenen. Quantitative Bestimmungen führte ich nicht aus, da es in den Versuchen lediglich auf die Unterschiede zwischen bestrahlten und unbestrahlten Proben also auf relative Werte ankommt. Als Lichtquelle diente eine Krohmeyerquarzlampe mit Wasserkühlung; die Bestrahlung wurde vorgenommen in Quarzröhrchen von S mm innerem Durchmesser, die in 10 cm Abstand vor der Quarzlampe aufgestellt wurden und in regelmäßigen Zeitinter- vallen gedreht wurden, um die Bestrahlung möglichst gleichmäßig zu gestalten. Die Wärmestrahlen waren durch die Wasserkühlung vollständig ausgeschaltet, so daß bestrahlte und unbestrahlte Proben gleiche Temperatur zeigten. Überhaupt wurde besonders darauf geachtet, daß alle Lösungen sich unter gleichen Bedingungen befanden. Mußte die Bestrahlung über mehrere Tage ausgedehnt werden, so wurden 542 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung bestrahlte und unbestrahlte Proben nachts in den Eisschrank gestellt. Die Unter- suchung des ganzen Materials fand am Schluß einer Bestrahlungsserie statt, so daß die durch das einfache Stehenlassen bewirkten Veränderungen der Eiweiß- lösungen alle Proben gleichmäßig betrafen. Die Untersuchung erstreckte sich im wesentlichen auf die Bestimmung der Koagulationstemperatur, der Alkohol- und Ammonsulfatfällbarkeit, der Gold- zahl, die Messung der Viscosität, der Oberflächenspannung und der H’-Kon- zentration. Die Bestimmung der Koagulationstemperatur erfolgte so, daß je 1 ccm der Kontrolle und der bestrahlten Lösung in gleich weiten Reagensgläsern in einem Becherglas auf dem Wasserbad allmählich unter dauerndem Umrühren erwärmt wurde. Ich unterschied zwischen Opalescenz, Trübung, fein- und grobflockiger Koagulation. Als Alkohol- bezw. Ammonsulfatzahl bezeichne ich die Menge Alkohol oder gesättigte Ammonsulfatlösung, die nötig ist, um in 1 ccm der zu untersuchen- den Lösung die erste Trübung zu erzeugen. Die Herstellung des Goldsols erfolgte nach der von Zsigmondy angegebenen Formolmethode mit dem Unterschied, daß statt in Silberkühlern destillierten Wassers in alten Glaskühlern aus Jenenser Glas destilliertes Wasser verwendet wurde. Als Goldzahl bezeichne ich in meinen Versuchen nicht die Gewichtsmenge Eiweiß, sondern das Volum der zu untersuchenden Lösung, das nötig ist, um 10 ccm Goldsol vor dem Farbumschlag durch 3 ccm 10 proz. NaCl-Lösung zu schützen. Die Lösungen mußten immer auf das 20—50fache verdünnt werden. Die Werte sind also auch hier lediglich relativ und nur in den einzelnen Versuchs- reihen vergleichbar. Die Viscosität wurde im Thermostaten bei 28° gemessen. Als Werte sind die Ausflußgeschwindigkeiten durch ein Oswaldsches Viscosimeter eingesetzt. Als Maß für die Oberflächenspannung gilt das Volum von drei Tropfen, be- stimmt im Traubeschen Viscostagonometer bei Zimmertemperatur, Die Messung der H'-Konzentration stellte ich teils mit der Gaskette, teils mit Indikatoren an. Im Laufe der Untersuchungen wurde die Einführung weiterer Methoden notwendig, deren Ausführung bei den betreffenden Versuchen näher beschrieben wird. Wenn man Pferdeplasma mit ultraviolettem Licht bestrahlt, so tritt nach wenigen Stunden eine mehr und mehr zunehmende Flockung auf. Die Farbe des dunkelgelben Plasmas blaßt allmählich ab, schon bevor sichtbare Trübungen sich zeigen, und es tritt ein eigentümlich brenz- licher Geruch auf. Bestimmt man nun die Koagulationstemperatur, so stößt man auf eigenartige Veränderungen. Fällt in der Kontrolle bei 56° ein dickflockiger Niederschlag aus, so beginnt in den bestrahlten Proben bei etwa derselben Temperatur eine feine Opalescenz, die sich ganz allmählich bei weiterer Erwärmung bis auf 80° zu stärkerer Trü- bung steigert. Zu grobflockiger Koagulation kommt es überhaupt nicht mehr. Man könnte nun zunächst annehmen, daß durch die Be- strahlung die labilsten Eiweißkörper ausgeflockt wurden und die Sta- bilitätserhöhung auf den übriggebliebenen Rest zurückzuführen wäre. Dem ist aber nicht so, da auch dann, wenn noch keine sichtbare Ver- änderung durch die Bestrahlung eingetreten ist, also sicher nichts der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 543 ausgefallen ist, dieselben Veränderungen sich zeigen. Weiterhin ist bemerkenswert, daß dieser Zustand, der schon nach einer Bestrah- lungszeit von 2—4 Stunden eintritt, bei weiterer Belichtung stationär bleibt, und die Koagulationstemperaturen sich nicht mehr nach der einen oder anderen Seite verschieben, trotzdem die Strahlungswirkung, wie Viscositäts- und Oberflächenspannungsmessungen usw., auf die ich später eingehe, beweisen, ihren stetigen Fortgang nimmt. Die fol- gende Versuchsreihe zeigt die Veränderungen der Viscosität, Koagu- lationstemperatur, Alkohol- und Ammonsulfatzahl. Das schraffierte Feld in der zugehörigen Abb. 1, sowie in den folgenden stellt die Koagu- lationszone dar, d. h. den Temperaturbereich vom Beginn cer Opalescenz bis zur feinflockigen Koagulation. I. Plasma. Bestr.-Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität 0 5a 0,15 0,30 73,6 3 56° 0,15 0,35 74,8 7 Or 0,15 0,45 76,9 14 58° 0,15 0,45 77,6 26 61° 0,15 0,40 80,5 Viskositat 80,6 Koag.T. 8021796 78,6 70°-77,6 766 6041756 AlKZ. ö 045 ze 03 > 03 1s02J 73,6 Zert 3 7 74 26 Abb. 1. Plasma. Wir finden für diese Veränderung ohne weiteres keine Er- klärung, denn wir müssen bedenken, daß im Plasma Eiweißkörper verschiedener isoelektrischer Punkte, Dispersitätsgrade und Quel- lungszustände sich befinden. Es ergibt sich daraus als nächst- liegendes, die Stabilitätsänderungen der einzelnen Fraktionen zu unter- suchen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 19. 36 544 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung II. Albumine. 6 Tage gegen destilliertes Wasser dialysiert. Bestr. Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität (0) 70° 1,2 1,15 57,3 3 69° 1aıl 1,15 57,6 7 67° 151 1,10 58,1 13 65° 1,0 1,00 98,8 21 63° 0,8 0,9 60,3 30 99% 0,75 0,6 61,3 Viskosıtat Koag,mZ. 673 70°. £ 69°. AlKZ. 1219 7 \eg3 67°, 77 ö 66" 70 10 or 593 64° 09- 09 en 63° Q8-62°] 1583 670,08 7 097- 60° 06- Kalle: f Zeit 3 7 13 Abb. 2. Albumin. Alkohol-, Ammonsulfatzahl nehmen stetig mit der Bestrahlungs- zeit ab, während die Viscosität ansteigt. In den drei am längsten be- strahlten Proben tritt zunehmende Trübung auf. Bei Erwärmen auf 75° erstarren die 7—30 Stunden bestrahlten Lösungen zu einer festen Gallerte. III. Globulin + Fibrinogen. d. h. aus Plasma dargestellte halbgesättigte Ammonsulfatfraktion. Dialyse 3 Tage gegen distilliertes Wasser, 2 Tage gegen 0,9 proz. NaCl-Lösung. Bestr.-Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität 0 60° 0,25 0,5 63,6 3 63° 0,25 0,5 64,0 6 64° 0,25 0,6 64,8 9 65° 0,30 0,6 65,6 12 67° 0,30 0,6 66,0 15 67° 0,30 0,6 66,7 18 67° 0,30 0,6 67,0 21 67° 0,30 0,6 67,3 24 67° 0,30 0,6 68,4 der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 545 Viskosıfat 76 2) 684 Koagl 7401678 S 72° 672 70° 666 68°-166,0 66°165,4 = ---- -- -- - - - -- -- - -- - - --- - -- 05-10,20-1 62° 642 15 60° 6 6 Zi 3 CIE GET TOTER ZI ZH Abb. 3. Globulin + Fibrinogen. Die Viscosität steigt auch hier und noch stärker wie bei den Al- buminen an. Aber die Stabilitätsänderungen verhalten sich ganz anders und ganz ähnlich wie beim Plasma. Während Ammonsulfat- und Al- koholzahl sich nicht wesentlich verschieben, steigt die Koagulations- temperatur sehr bald an und geht in eine breite Zone feiner Trübung über. IV. Globulin RE aus Serum durch Halbsättigung mit tag AO Ammonsulfat dargestellt, 3 Tage ge- gen destilliertes Wasser, 2 Tage gegen 0,9proz. NaCl dialysiert. 712° 167,0 Am- Bestr. Kor mon: Alko- Yigeo- 71° 660 ni Temp. sulfat- a sität Su Zahl E 70°1650 0 0° 05 05 630 3 632703500 .050..625. ° Amz. 6 6712 0,35005 0.63:3 a 9 6702 7,0:350 056 az 12 622752 0,35,.00.0054,01.643 I 68° 163,0 15 68° 0,35 0,5 64,8 15 69° 0,35 0,5 65,7 67° 62,0 — 210692 0,35) Nolan 66 FRE 24 69° 0,35 0,5 67,8 Abb. 4. Globulin. Es zeigt sich hier ein Unterschied gegen den vorigen Versuch in- sofern, als der Beginn der Trübung beim Erwärmen zunächst bei Be- strahlung bis zu 9 Stunden bei niederer Temperatur einsetzt, um dann allmählich wieder anzusteigen. Dieses Verhalten ist sehr bemerkens- wert und ich werde später darauf zurückkommen. Öffenbar geht aus 36* 546 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkune den Kurven für das Plasma, wie aus den letzten beiden Versuchen hervor, daß die Stabilitätserhöhung gegen Erwärmung, die sich von vornherein in einem Ansteigen der Koagulationstemperatur bemerkbar macht, wahrscheinlich dem Fibrinogen zuzuschreiben ist, da sich ja das Globulin zunächst anders verhält. Es ist mir aber in sehr vielen Versuchen nicht gelungen, diesen Unter- schied zwischen dem Globulin und dem Fibrinogen quantitativ ein- wandfrei herauszuarbeiten. Es liegt das einmal an der Schwierigkeit, die Werte gut miteinander vergleichen zu können. Wie ich schon weiter oben anführte, äußert sich die Stabilitätserhöhung vor allem in der Art der Koagulation, in der enormen Verbreiterung der Koagulations- zone und es ist da sehr schwer, für den ganz allmählichen Beginn der Opalescenz einen genauen Wert festzusetzen. Zweitens ist das Fibrinogen ein äußerst labiler Eiweißkörper, und es ist daher sehr wohl anzunehmen, daß der kolloidale Zustand einer Fibrinogenlösung von dem a priori im Plasma vorhandenen stark abweicht und daß die durch die Be- strahlung bewirkte Veränderung nicht ohne weiteres mit der im Plasma vor sich gehenden verglichen werden kann. Eine Fibrinogenlösung, die durch Ausfällen mit Ammonsulfat und Wiederauflösen des Nieder- schlages gewonnen wird, ist schon an sich so instabil, daß sie nach einer Bestrahlungszeit von nur wenigen Stunden schon geflockt wird. V. Fibrinogen, dargestellt durch °/,o-Sättigung des Plasmas mit Ammonsulfat, 3 Tage gegen 0,9% NaCl dialysiert. Bestr.-Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität 0 59° 0,25 0,45 62,8 3 59° 0,25 0,45 63,7 7 58° 0,25 0,42 64,2 14 56° 0,25 0,40 65.4 245) 55° 0,25 0,35 66,4 Viskosität 66,3 Koagl, 80% 658 65,3 70°1648 64,3 AIRZ, 0,45 60°163,8 0,4049mZ, 1633 = 0,35 150° 62,8 4— z Ze 7 g77 25 Abb. 5. Fibrinogen. der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 547 :: Erwähnenswert ist noch die Beobachtung, daß bis auf 80° erwärmte bestrahlte Fibrinogenlösungen nicht zu einer Gallerte erstarren im Gegensatz zum Albumin und Globulin. In den beiden folgenden Versuchen habe ich die Globulinfraktion weiter in Eu- und Pseudoglobulin zerlegt. Man sieht, daß die Stabili- tätsänderungen der Euglobulinlösung mit der der Gesamtglobulin- fraktion übereinstimmen, während das Pseudoglobulin in seinem Verhalten gegen die Bestrahlung dem Albumin näher steht. VI. Euglobulin. Bestr.-Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität 0 70° 0,35 0,7 68,1 3 70° 0,35 0,7 68,6 7 67° 0,35 0,7 69,5 14 67° 0,35 0,7 70,7 21 70° 0,35 0,7 71,5 Viskosität ZEN SEN 97: 74 27 Abb. 6. Euglobulin. VII. Pseudoglobulin. Bestr.-Dauer Std. Koag.-Temp. Ammonsulfat-Zahl Alkohol-Zahl Viscosität 0 US 1,30 0,7 51,9 3 19% 1,25 0,67 52,4 7 74° 1215 0,65 52,7 14 713 1,00 0,63 53.1 21 112, 0,90 0,6 EB en SS SSc® 0,70 -1,3-749453,9 065 17,1-73°15239 0,60-0,9- 720-579 -&— Zeit 3 7 4 2 Abb. 7. Pseudoglobulin. Ich fasse die bisher festgestellten Stabilitätsänderungen in den ein- zelnen Fraktionen noch einmal kurz zusammen: Allen eigentümlich 548 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung ist eine Farbänderung der Lösungen, die während der Bestrahlung eintritt und die sich in einer Abblassung oder einem Gelberwerden des Farbtones bemerkbar macht. Weiterhin ist allen gemeinsam ein eigen- tümlich brenzlicher Geruch, der an Intensität mit der Bestrahlungszeit wächst. Die Albumine zeigen starke Abnahme der Koagulationstem- peratur, der Alkohol- und Ammonsulfatzahl, auf 80° erwärmt, gelatinieren sie, um so ausgesprochener, je länger sie bestrahlt werden. Die Globuline hingegen werden durch die Bestrahlung in ihrer Stabilität ganz anders verändert, was sich vor allem in dem eigentümlichen Verhalten der Koagu- lationstemperatur bemerkbar macht. Ammonsulfat und Alkoholzahl ändern sich nicht wesentlich. Auch sie gelatinieren bei Erwärmung auf 80°, bis auf das Fibrinogen, das aber sonst im wesentlichen dieselben Verän- derungen wie das Globulin durchmacht. Die Viscosität steigt überall an, am wenigsten beim Albumin, am meisten bei der Globulinfraktion. Wir haben weiterhin Versuche darüber angestellt, ob die Funktion der Eiweißlösungen als Schutzkolloide für das kolloidale Gold durch die Bestrahlung beeinflußt wird. Es zeigten sich da nur beim Albumin geringe Unterschiede im Sinne einer Zunahme der Schutzwirkung. Die Globuline hingegen ließen keine Veränderung erkennen. Beim Fibrinogen trat bei langer Einwirkung der Strahlen eine Verminderung der Schutzwirkung auf, die aber damit erklärt werden kann, daß immer dann auch eine starke Flockung auftrat, wodurch natürlich die Kon- zentration der Lösung abnahm. Folgende Versuche mögen die Veränderungen demonstrieren; die Lösungen mußten alle stark verdünnt werden. Albumin Albumin in Acetat-Gemischen Bestr.-Dauer Goldzahl | Goldzahl 0 0,06 | PH Bestr.-Dauer unbestr. bestr. 3 0,06 | 6,0 6 0,055 0,04 7 0,055 | 4,7 6 0,05 0,04 14 0,03 | 3,5 6 0,03 0,02 25 0,03 | Globuline Fibrinogen Bestr.-Dauer Goldzahl Bestr.-Dauer Goldzahl 0 0,02 | 0 0,01 3 0,02 3 0,01 7 0,02 | 7 0,01 14 0,02 | 14 0,015 25 0,02 | 25 0,03 Eine Erklärung für die Ursache dieser Veränderungen können wir vorerst nicht geben, da die Theorie der Schutzwirkung noch zu wenig geklärt ist. Überdies sind mir Untersuchungen über die Funktion der Eiweißkörper als Schutzkolloide bei variierter Wasserstoffzahl nicht der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 549 bekannt, die zeigen müßten, ob die Eiweißionen oder der undissozierte Anteil Träger der Schutzwirkung sind. Wir haben uns bisher lediglich mit der Feststellung begnügt, daß durch die Bestrahlung von Eiweißkörpern des Pferdeplasmas Ver- änderungen physikalisch-chemischer Natur in verschiedener Richtung auftreten. Die weitere Fragestellung muß sich jetzt mit der Ursache dieser Prozesse und der Analyse der Strahlenwirkung befassen. Da nun, wie aus den bisherigen Versuchen zu ersehen ist, Stabilitäts- änderungen eine große Rolle spielen und wiederum die Stabilität von Eiweißlösungen von der H'-Konzentration durchaus abhängig ist, so ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, die einzelnen Eiweiß- körper unter Berücksichtigung ihrer isoelektrischen Punkte bei variierter Wasserstoffzahl zu untersuchen. Eiweißkörper sind Ampholyte und bilden mit Säuren und Basen Salze, und zwar treten sie bei einer H'- Ionenkonzentration, die größer als die des isoelektrischen Punktes ist, als Kationen, bei niedrigerer H'-Ionenkonzentration als Anionen auf. Im isoelektrischen Punkte ist die Summe der Anionen und Kationen- konzentration ein Minimum, der Dissoziationsrest, d.i. das Verhältnis der undissozierten Moleküle zur Gesamtkonzentration, ein Maximum. Alkoholzahl, Viscostiät, Koagulationstemperatur haben hier ihr Minimum. Eine Albuminlösung von ?% =4,7 ist isoelektrisch. Sie ist stabil und flockt im Gegensatz zum Globulin nicht, das seinen isoelektrischen Punkt bei 9,5 = 5,4 hat. Ich habe nun zunächst untersucht, ob das für den isoelektrischen Punkt charakteristische Flockungsmaximum durch die Bestrahlung verschoben bzw. verändert wird. Zu dem Zwecke habe ich Acetat- gemische verschiedener Wasserstoffzahl hergestellt, in denen nur der Gehalt an Essigsäure variierte, dagegen die Natriumacetatkonzentration konstant gehalten wurde, und die alle mit dest. Wasser auf das gleiche Volum aufgefüllt wurden. Zu diesen Gemischen wurde je 1 ccm der unbestrahlten und bestrahlten Albumin- oder Globulinlösung zu- gefügt. Den Albuminpufferlösungen mußte dann noch, um eine Trübung zu erhalten, überall die gleiche, vorher ausprobierte Menge 96 proz. Alkohols zugegeben werden. Die Flockung wurde nach !/, Stunde abgelesen und ist durch Kreuze bezeichnet. Albumine Bestr.-Dauer ?5 |3,5 | 3,8 4,1 4,4 4,7 5.08 15:32 5,6:|.9;9 0 Ze I Fee | 10 — || 0 PS Oele ara ar | Globuline ss Ess 2 Ar 500 | 5331 15:61159 0 en ee ee 10 ler ae oe u ee ea | = 550 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung Aus den Versuchen ist ersichtlich, daß die Flockungszone nach der Bestrahlung erheblich zunimmt. Eine Verschiebung kann auf diese Weise nicht festgestellt werden. Das Flockungsmaximum für die Globuline liegt nicht, wie man erwarten sollte, bei ? = 5,4, dem isoelektrischen Punkt der Globuline. Das rührt daher, daß die Globuline gegen 0,9%, NaCl-Lösung dialysierten und das Cl-Anion das Flockungs- maximum nach der sauren Seite verschiebt!). Die Flockungszone für Fibrinogenlösungen ist zu breit, um Unterschiede erkennen zu lassen. Weitinteressanter sind die Ergebnisse der Untersuchungen, die zeigen, welche Veränderungen die Eiweißlösungen erleiden, wenn sie von vorn- herein bei variierter Wasserstoffzahl der Bestrahlung ausgesetzt werden. Ich führe folgendes Versuchsbeispiel an: VI. Zu je 10 ccm einer Albuminlösung, die 10 Tage gegen destilliertes Wasser dialy- sierte wurden Acetatgemische untenstehender Wasserstoffzahl zugesetzt und mit dest. Wasser auf gleiches Volum aufgefüllt. Dest. | Pe "Alkoholzahl Ammonsulfat-Zahl Kong menperätur Röhrch. | Dauer | Faser 5 ARE, Sa om | Std. unb. bestr. unb. bestr. Grad Grad 1 60| 6 0,9 045 | 125 | 105 70 59 21:54 6 0,6 0,3 1,05 0,95 68 55 3047,56 0:49 19409 0,95 0,70 61 52 Ar 41) 6 035.77, 2.052 0,70 0,35 63 63 50 355)\ 6 0,45 | 0,4 0,40 0,25 so so Nach 2 Stunden tritt in Röhr- chen 3 leichte Opalescenz auf, die rasch zunimmt und sich gegen Ende der Bestrahlung zu starker Trübung steigert, Röhrchen 2 und 4 zeigen nach 6 Stunden ge- ringe Opalescenz, 1 und 5 bleiben unverändert. Auf tropfenweisen Zusatz von NaOH tritt in 4 und 5 gleichstarke Trübung auf wie in Röhrchen 3, ein Beweis, dafür, daß Strahlenwirkung und Flok- kung zwei ganz verschiedene 52°J02J02 SM Prozesse sind, worauf auch Bovie Fu “u a 27,271 2 schon hingewiesen hat, daß also w aus der Intensität der auftreten- den Flockung keinerlei Schlußfolgerungen auf die an den Eiweiß- körpern sich abspielenden Vorgänge gemacht werden können. 1) Michaelis und von Szent Györgyi, Bioch. Zeitschr. 103, 178. 1920. der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 551 Die Betrachtung der Kurven zeigt folgendes: Alkoholzahl, Koagula- tionstemperatur der unbestrahlten Proben haben ihr Minimum im iso- elektrischen Punkt, weil die Albuminlösung hier am instabilsten ist, der Dissoziationsrest ein Maximum hat. Je mehr Eiweiß ionisiert, um so mehr steigt die Koagulationstemperatur und die Alkoholzahl. Die Ammonsulfatzahl hingegen ist lediglich abhängig von der H'-Kon- zentration, ganz unabhängig vom isoelektrischen Punkt und nimmt mit fallendem p,, proportional ab. Wenn wir jetzt den Verlauf der Veränderungen in den bestrahlten Proben verfolgen, so zeigen sich merk- würdige Differenzen. Die Ammonsulfatzahl nimmt überall gleich- mäßig ab und ihre Kurve läuft innerhalb der Versuchsfehler der der Kontrolle parallel, das heißt also, die Bestrahlung hat überall zu der gleichen Verminderung der Stabilität geführt. Ganz anders verlaufen die Kurven für die Alkoholzahl und die Koagulationstemperatur. Auf der alkalischen Seite des isoelektrischen Punktes sind die Differenzen zwischen Kontrolle und bestrahltem Albumin sehr erheblich, nehmen immer mehr und mehr ab und verschwinden auf der sauren Seite vom isoelektrischen Punkt fast vollkommen. Ich sagte vorher, daß auf Zu- satz von NaOH in Röhrchen 4 und 5 dieselbe Trübung auftrat wie in 3, daß also, wie auch die Ammonsulfatkurve beweist, die absolute Sta- bilitätsverminderung überall dieselbe ist. Die Flockung durch Hitze oder Alkohol aber ist abhängig vom lonisationszustand des Eiweiß, und dieser von der H-Konzentration der Lösung. Um uns nun den Ver- lauf der Kurven der bestrahlten Proben auf der alkalischen Seite vom isoelektrischen Punkt zu erklären, könnten wir die Annahme machen, daß die Lösungen durch die Strahlenwirkung etwas saurer geworden wären, und damit die Konzentration der undissozierten Moleküle zu- genommen hätte. Mit dieser Erklärung würde auch die Beobachtung in Einklang zu bringen sein, die sich aus der Betrachtung der Kurven ergibt, daß nämlich das Stabilitätsminimum für Alkohol- und Ammon- sulfatfällbarkeit in den bestrahlien Lösungen etwas nach links ver- schoben ist. Ich stellte nun zunächst orientierende Versuche mit der Indicatoren- methode an, die in Albumin- und Globulinlösungen einen Anstieg der H'-Konzentration nach 6—10stündiger Bestrahlung bis fast um eine Zehnerpotenz ergaben. Um genauere Werte zu erhalten und um den Ei- weiß- und Salzfehler der Indicatoren auszuschalten, habe ich dann eine größere Zahl von Messungen in der Wasserstoffkette angestellt und diese Werte mit denen der Indicatorenmethode verglichen. Es stellten sich bald erhebliche Schwierigkeiten ein, die ich näher dar- legen werde. Ich benutzte anfangs Elektroden mit strömendem Wasser- stoff und fand da immer p7-Differenzen, die erheblich niedriger waren, wie die mit Indikatoren erhaltenen. Wir nahmen dann an, daß vielleicht 552 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung Kohlensäure sich bildete, die durch die Wasserstoffdurchleitung aus- getrieben würde. Wenn nun durch eine bestrahlte Globulinlösung, der Methylrot als Indikator zugesetzt war, Wasserstoff längere Zeit geleitet wurde, so wurde die Lösung deutlich gelber, aber wurde nie so gelb wie die unbestrahlte Kontrolle, auch nicht bei noch so langer Durchleitung von Wasserstoff. Um das Entweichen der anscheinend sich bildenden Kohlensäure zu verhüten, habe ich Elektroden mit stehender Gasblase verwendet. Auch hier zeigten sich bei den Messungen wieder Überraschungen. Es stellte sich nämlich heraus, daß Serum, Globuline, Albumine gewonnen aus dem Blut verschiedener Tiere, sich sanz different verhielten. Zwar konnte ich fast immer eine Säuerung feststellen, außer in ganz seltenen Fällen, wo erst nach sehr langer Bestrahlungszeit eine geringe Konzentrationszunahme der H-Ionen auftrat; jedoch war der Grad der py-Differenz zwischen bestrahlten und unbestrahlten Lösungen ein ganz verschiedener. Zur Erläuterung führe ich felgende Versuchsbeispiele an: Serum: Bestr.-Dauer PH Serum : Bestr.-Dauer PH 0 7,44 0 7,52 1 7.31 21, 7,45 2 7,30 4 7,40 3 7,18 5 7,41 15) 7,14 M 7,40 6 7,07 9 1,29 7 6,92 8 6,87 Globuline:: Bestr.-Dauer PH Globuline: Bestr.-Dauer PH (M) 5,54 0 5,85 3 5,36 3 5,78 6 5,05 6 5,71 8 4,54 9 5,66 Albumine: Bestr.-Dauer PH Albumine: Bestr.-Dauer PH Ö 6,12 Ö 6,04 3 6,12 UM 6,01 6 6,05 5 5,94 8 6,06 S 5,90 10 5,85 Es ist durchaus nötig, daß diese wichtigen und auffälligen Ver- änderungen weiter aufgeklärt werden. Die großen Differenzen, die in der H'-Verschiebung bei Bestrahlung verschiedener Sera auftreten und die uns vorläufig ganz unverständlich sind, lassen den Gedanken aufkommen, daß möglicherweise in manchen Sera Stoffe vorhanden sind, die besonders empfindlich auf die Bestrahlung reagieren. Natür- lich können diese Substanzen auch an die verschiedenen Eiweißfraktionen adsorbiert sein, da ja die mittels fraktionierter Fällung mit Ammon- sulfat gewonnenen Eiweißkörper keineswegs als rein bezeichnet werden ee EEE der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 553 können. Sollte dieser Fall zutreffen, so würden dadurch der weiteren Untersuchung und der chemischen Analyse erhebliche Schwierigkeiten in den Weg gelegt, andrerseits bleibt aber die biologische Wichtigkeit der Tatsache ungeschmälert. Schon allein die Möglichkeit einer immer- hin für den Organismus beträchtlichen Säurebildung kann uns zum Teil die Entzündungserscheinungen erklären, die bei gewissen Krankheiten durch Lichtwirkung hervorgerufen werden. Man könnte da allerdings einwenden, im Körper würde die Säure so schnell neutralisiert, daß es durch Säuerung allein nicht zu Entzündungserscheinungen kommen könnte. Nun werden aber die ultravioletten Strahlen schon zum aller- größten Teil in der Epidermis absorbiert, ihre Wirkung kommt also vor allem in den oberflächlichen Schichten zum Ausdruck, und hier kann sich sehr wohl eine lokale Säurebildung vollziehen, ohne daß sie schnell neutralisiert zu werden braucht. Wie dem auch sei, jedenfalls ist für uns die durch die Bestrahlung bewirkte Verschiebung der H’ ein Indikator dafür, daß recht bedeutungsvolle chemische Umwandlungen vor sich gehen müssen. Wie ich schon weiter oben sagte, vermuteten wir, daß auch Kohlensäure abgespalten würde. Wenn sich diese Annahme bestätigt und wenn die Kohlensäure dem Eiweiß entstammt, dann müssen ganz außerordentlich starke Abbauprozesse vor sich gehen. Eine weitere Ursache für die Säuerung wäre in einer Umlagerung in der Peptidbindung, einem Übergang von der Laktim- in die Laktam- form zu suchen, DE ON ENG INH | | Ö OH Laktim Laktam wie sie von Fernau und Pauli!) bei der Verschiebung der H'-Konzen- tration, die sie bei wochenlanger Radiumbestrahlung von Albumin- lösungen beobachteten, angenommen wurde. Es schien mir wegen der Unübersichtlichkeit der Verhältnisse durchaus notwendig, die Versuche, wie sie in der bisherigen Weise aus- geführt wurden, abzubrechen und sie an reinen Eiweißkörpern, wie z. B. dem krystallisierten Albumin, fortzuführen. Diese Untersuchungen sind noch in den Anfängen und ich werde darüber in einer späteren Mitteilung berichten. Ich habe anfangs geglaubt, die Stabilitätserhöhungen, die sich im Globulin und Fibrinogen, vor allem im Verhalten der Koagulations- temperatur zeigen, auf die Verschiebung der H -Konzentration zurück- führen zu können, indem ich annahm, daß diese Eiweißkörper, deren isoelektrischer Punkt dem Neutralpunkt bedeutend näher liegt wie der des Albumins, durch die Bestrahlungswirkung über ihren iso- 1) Fernau und Pauli, Koll. Ztschrft. Bd. XXX, Heft 1, 1922. 554 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung elektrischen Punkt hinaus in Kationen umgewandelt, die Albumine hingegen, die eine stetige Stabilitätsverminderung zeigen, diesem zu- geführt würden. Diese Auffassung ist aber offenbar unhaltbar geworden. Wenn ich auch bei den Globulinen öfters zunächst einen Abfall der Koagulationstemperatur wahrnahm, die dann später wieder anstieg, so zeigte sich doch schon in der allerersten Zeit der Bestrahlung eine außerordentliche Verbreiterung der Koagulationszone, und es kam über- haupt nicht mehr zu grober Flockung bei Erwärmung bis zu 80°. Es müßten ja die Globuline, wenn sie ihren isoelektrischen Punkt durch die Einwirkung der Strahlung erreicht hätten, ausflocken und dann erst könnte eine Peptisation eintreten. Nun waren meine Globulin- lösungen stets ammonsulfat- und kochsalzhaltig. Das Flockungs- maximum wird durch die Anionwirkung nach der sauren Seite ver- schoben. Wir hätten insofern praktisch dieselben Verhältnisse wie beim Albumin. Wir müßten also, wenn die H'-Konzentration allein ausschlaggebend wäre, einen ähnlichen Verlauf der Koagulations- temperaturkurve erwarten wie beim Albumin. Ausschlaggebend ist ferner, daß die Stabilitätserhöhung immer eintritt, während die Ver- schiebung der H'-Konzentration von ganz wechselnder Intensität ist. Es handelt sich bei dem entgegengesetzten Verhalten der Albumine und Globuline wohl um Dispersitätsänderungen, die vielleicht durch eine Umwandlung in der chemischen Struktur bedingt sind. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß wir bei Betrachtung der Vorgänge nicht nur die Ampholytnatur der Eiweißlösungen zu berücksichtigen haben, sondern auch die Veränderungen, die sich an den undissoziierten Mo- lekülen und Molekülaggregaten, die zweifellos durch die Strahlen- wirkung suspensoiden Charakter erhalten, nicht vernachlässigen dürfen. Welche Wirkung hier die Bestrahlung hat, ob vielleicht der Hallwachs- effekt in Betracht kommt, vermag ich jetzt noch nicht zu entscheiden. Oberflächenspannung. Die Änderung der Oberflächenspannung durch die Bestrahlung ist sehr ausgesprochen, und zwar nimmt das Tropfenvolum von Globulin- lösungen und Serum erheblich, das von Albuminlösungen weniger stark ab. Globuline: Bestr.-Dauer Tropfenvolum Serum: Bestr.-Dauer Tropfenvolum 0 20,1 0 23,4 4 19,5 4 23,0 S 18,9 8 22,6 11 18,2 11 22,1 Albumin : Bestr.-Dauer Tropfenvolum 0 22,3 4 22,2 8 22,0 11 21,8 s der ultravioletten Strahlen der Eiweißlösungen. 1.) 555 Der Messung der Öberflächenspannung von Fibrinogenlösungen stellten sich große Schwierigkeiten entgegen. Die Lösungen waren immer stark fadenziehend, sehr klebrig, auch bei starker Verdünnung, so daß weder mit der Tropfenmethode noch der Bestimmung der capillaren Steighöhe brauchbare Werte zu erzielen waren. Auch bei Anwendung der Methode, die Czapek beschrieben hat, und bei der man den Druck mißt, der nötig ist, um eine Luftblase zum Abreißen zu bringen, erhielt ich Werte, die nicht reproduzierbar sind. Es ist ja auch begreif- lich, daß eine klebrige Flüssigkeit, die dem Gelzustand nahe steht, auch der Bildung einer Luftblase einen erheblichen mechanischen Widerstand entgegensetzt. Beim Pferdeplasma liegen die Verhältnisse ähnlich. Wir müssen uns nun fragen, wovon die Oberflächenspannungs- änderung einer Eiweißlösung abhängig sein kann. Zunächst inter- essiertt uns das Verhalten bei variierter Wasserstoffzahl. Darüber sind Untersuchungen von Bottazzi!) und seinen Schülern angestellt worden, die besagen, daß die Oberflächenspannungserniedrisung mit der Zunahme des Dissoziationsrestes wächst, daß also im isoelektrischen Punkt ein Minimum der Oberflächenspannung liest. Das stimmt auch überein mit dem Verhalten vieler oberflächenaktiver Körper, die undissozüert viel capillaraktiver sind wie ihre stark dissoziierten Salze. Weiterhin ist die Möglichkeit gegeben, daß Dispersitätsänderungen die Oberflächenspannung beeinflussen, und endlich können durch die Be- strahlung capillaraktive Stoffe abgespalten werden. Folgender Versuch möge den Verlauf der Änderungen demonstrieren: Pferdeserum wurde 5 Tage gegen dest. Wasser dialysiert, die ausgefallenen Globuline in der Zentrifuge mit Wasser gewaschen, aufgeschwemmt, durch tropfen- weisen Zusatz von NaOH gelöst, mit %/,, HCl bis zur stärksten Trübung versetzt. Die Suspension wurde in 4 Reagensgläser verteilt. Zu 1”/,, NaOH, zu 3 und 4 2/]0 HC1 zugetropft und mit Wasser auf gleiches Volum aufgefüllt. Die H-Konzen- trationen wurden in der Gaskette gemessen. Tropfenvolum Bestr.-Dauer Std. unbestr. bestr. Differenz 1 Pu = 8,02 N) 25,6 23,4 2,2 2 Pr = 3,16 9 23,1 22,7 2,4 3 Pr = 3,03 9 25,7 24,2 1,5 4 Pu = 2,31 9 25,9 25,0 0,9 Es ist aus dem Versuch ersichtlich, daß in der Gegend des iso- elektrischen Punktes ein Minimum der Öberflächenspannung liegt, sowohl bei bestrahlten, wie unbestrahlten Proben. Die Differenz des Tropfenvolumens zwischen bestrahlter und unbestrahlter Lösung auf der alkalischen Seite des isoelektrischen Punktes ist erheblich größer als auf der sauren. Die Deutung ist nicht ohne weiteres klar. Es besteht 1) Bottazzi und Agostino, Rendic. D. R. Acc. Dei Lincei 21, 561. 1912. 556 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung neben Dispersitätsverschiedenheiten die Möglichkeit einer differenten chemischen Veränderung. Da nämlich die Globuline, wie es die kürz- lich erschienenen interessanten Untersuchungen von Jarisch!) wahr- scheinlich machen, Adsorptionsverbindungen mit Fettsäuren oder Lipoiden sind, so ist es leicht denkbar, daß auf der alkalischen Seite vom isoelektrischen Punkt diese Bindungen durch die Bestrahlung leichter gelöst werden als auf der sauren. Die Verhältnisse müssen durch weitere Versuche geklärt werden. Viseosität. Ich komme jetzt auf die Änderung der inneren Reibung zu sprechen, die bei der Bestrahlung von Eiweißlösungen zutage tritt, und die sich überall in sehr ausgesprochener Weise in einer beträchtlichen Erhöhung der Viscosität zu erkennen gibt. Am meisten betroffen werden die in- stabilen Fraktionen, das Globulin und Fibrinogen, am wenigsten das Albumin. Zweifellos ist es ein und derselbe Prozeß, der sich hier abspielt. Um aber aus den Viscositätsbestimmungen auf die Strahlenwirkung Schlüsse ziehen zu können, müssen wir uns über die Ursache der inneren Reibung von Eiweißlösungen Klarheit verschaffen. Es ist von Laqueur und Sackur zuerst die Viscosität von Eiweißlösungen bei variierter Wasserstoffzahl gemessen worden, und diese Autoren haben gefunden, daß die innere Reibung im isoelektrischen Punkt ihr Minimum hat, zu beiden Seiten ansteigt, ein Maximum erreicht und dann wieder ab- fällt. Lagueur und Sackur haben angenommen, daß die Eiweißionen die Träger der inneren Reibung sind, und Pauli?), der sehr eingehende Untersuchungen über diese Frage anstellte, schließt sich dieser Meinung an, indem er annimmt, daß die Ionen deshalb für die Erhöhung der inneren Reibung verantwortlich zu machen sind, weil sie hydratisiert sind. Seine Untersuchungen sowie die seiner Mitarbeiter stimmen mit dieser Annahme sehr gut überein. In den Versuchen, die mit wochen- lang dialysiertem Albumin angestellt sind, wird gezeigt, daß das Maximum der Viscosität mit dem Maximum der lonisation zusammen- fällt. Wenn wir aber nun diese Paulische Hydratationstheorie auf unsere Versuchsergebnisse anwenden wollen, so wird es uns ganz unmöglich, eine Erklärung für die Viscositätssteigerungen zu geben, die durch die Bestrahlung entstehen. Es ist ganz offensichtlich, daß hier die Ves- cositätszunahme ganz unabhängig davon auftritt, welche H'- Konzentration gewählt wird, im Gegenteil gerade im isoelektrischen Punkt, wo also eine Hwydratation nicht in Betracht kommt, findet eine enorme Viscositäts- steigerung statt. Als Beispiel führe ich folgenden Versuch an: 1) Jarisch, Pflügstss Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 337. 1922. 2) Pauli, Kolloidehemie der Eiweißkörper, 1. Hälfte. Dresden u. Leipzig 1920. der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. I. 557 Albumin in Acetatgemischen. Viscosität Bestr.-Dauer Std. unbestr. bestr. Differenz Pr = 6 49,0 49,3 0,3 Pr = 5;4 6 48,8 49,3 0,5 Pr = 47 6 48,7 52,0 3,3 Pur = 41 6 49,5 51,2 17 Pr = 3,5 6 51,7 52,1 0,4 Aus der Differenz der Viscosität zwischen bestrahltem und un- bestrahltem Albumin sollte man schließen, daß nicht die Eiweißionen, sondern gerade der undissoziierte Anteil, und zwar dessen Fähigkeit, Aggregate zu bilden, worunter ich nicht nur sichtbare Komplexe ver- stehe, sondern gerade Zusammenlagerungen der Moleküle zu submikro- skopischen Massen, die die Lösung nicht trüben, die Ursache der Vis- cositätssteigerung sind. Diese Annahme findet in den kürzlich veröffentlichten sehr ein- gehenden Untersuchungen von Jaques Loeb!) eine außerordentliche Stütze. Loeb fand, daß Aminosäuren und krystallisiertes Eieralbumin bei variierter Wasserstoffzahl in sehr weiten Grenzen überall gleiche Viscosität zeigten, daß erst bei einem sehr niedrigen 97, etwa bei 1,0, die Albuminlösung einen Anstieg in der inneren Reibung hatte. Er schließt daraus, daß die Eiweißionen nicht die Träger der inneren Reibung sein können. In seiner theoretischen Betrachtung geht er aus von der Formel, die von Einstein gefunden wurde, 7n=Nn0l-+ 2359). worin 7 die innere Reibung der Lösung, n, die des Lösungsmittels und » das Verhältnis des Volums der dispersen Phase zum Gesamtvolumen und 2,5 eine Konstante bedeutet. Die Formel gilt nur dann, wenn .p klein ist und der Radius der suspendierten Partikel klein ist im Ver- hältnis zu ihrem Abstand voneinander. Diese Formel hat dann später weitere Umformungen erhalten, vor allem von Arrhenius, der sie in eine auch für Systeme, in denen 9 verhältnismäßig groß ist, anwendbare Form gebracht hat: log n— leg y =69. Loeb weist nun experimentell für Albuminlösungen, Gelatine- suspensionen und -Lösungen sowie für Caseinlösungen nach, daß die gemessene Viscosität mit der aus dem Volumen der dispersen Phase errechneten übereinstimmt. Er weist ferner nach, daß das Volumen lediglich abhängig ist von den Neutralteilchen bzw. den Aggregaten, von derem Gehalt an eingeschlossenem Wasser wiederum die Volumen- 1) J. Loeb, Journ. of Gen. Physiol. 3, 827. 1920—21; 4, 73, 97. 1921—22. Siehe ferner J. Loeb, Proteins and the Theory of Colloidal Behavior, New York 1922. 558 R. Mond: Untersuchungen über die Wirkung änderung abhängt. Er findet genau wie Pauli im isoelektrischen Punkt ein Minimum der Viscosität, des osmotischen Druckes, der Leitfähig- keit und sowohl auf der alkalischen wie auf der sauren Seite einen Anstieg. Loeb führt weiter aus, daß der Wassergehalt der Aggregate, auf den es ankommt, reguliert wird durch das Donnan gleichgewicht, das sich immer dann einstellt, wenn ein nicht permeables Ion in einer durch eine Membran von Wasser getrennten Lösung vorhanden ist. Als Membran fungiert das durch Aneinanderlagerung der Micellen gebildete Aggregat, das nicht permeable Ion ist das betreffende Protein- anion oder Kation, je nachdem 97 größer oder kleiner ist wie ?5 des isoelektrischen Punktes. Daß tatsächlich ein Donnan gleichgewicht sich ausbildet, beweisen die Potentialdifferenzen, die zwischen Sus- pensionsmittel und disperser Phase auftreten und die sowohl berechnet wie gemessen wurden, und daß jenes den Verlauf der Viscositätskurve bestimmt, zeigt ein sehr eindeutiger Versuch. Loeb suspendierte Casein- chlorid verschiedener H'-Konzentration, wartete 1 Stunde bis zur Ausbildung des Donnan gleichgewichtes und fand dann bei der H'- Konzentration des Schwellungsmaximums einen erheblichen Anstieg der Viscosität. Nach weiteren 21 Stunden war das Caseinchlorid teil- weise in Lösung gegangn und ionisiert, die Viscositätsmessung ergab dann beim 97 des Maximums der Ionisation einen deutlichen Abfall der inneren Reibung. Für unsere Betrachtungen haben wir in Übereinstimmung mit den Untersuchungen Loebs daran festzuhalten, daß die Steigerung der Viscosität, die durch die Bestrahlung von Eiweiplösungen durch ulira- violette Strahlen bewirkt wird, nur auf Aggregatbildung beruhen kann, Volum der disperen Phase Gesamtvolum dingt durch das Wasser, welches bei der Zusammenlagerung der Micellen zu Aggregaten eingeschlossen wird. Die Viscositätsmess- ungen geben also sowohl einen wichtigen Einblick in die Theorie der inneren Reibung von Eiweißlösungen, als auch sind sie ein feiner Indicator für einen Teil der Veränderungen, die durch die Bestrahlung auftreten. Es ist ja schon länger bekannt, daß man durch ultraviolettes Licht Eiweißlösungen ausflocken kann, aber durch die Viscositätssteigerung wird schon der erste Beginn der Aggregatbildung angezeigt, der dann schließlich zur Koagulation führt. In diesem Zusammenhange möchte ich noch auf einen Zustand hinweisen, der oft mit der inneren Reibung verwechselt wird; das ist die Klebrigkeit. Ich habe schon weiter oben bei Besprechung der Oberflächenspannungsänderung darauf hingewiesen, daß Fibrinogen- lösungen, die eine viel schnellere Ausflußgeschwindigkeit durch ein Viscosimeter haben, wie z. B. Serum stark fadenziehend und klebrig das Wachsen des Quotienten 9 = wird be- der ultravioletten Strahlen auf Eiweißlösungen. 1. 25559 sind, so daß es nicht möglich ist, die Capillaraktivität solcher Lösungen einwandfrei zu bestimmen. Es handelt sich hier zweifellos um einen Zustand, der der Gelbildung nahe steht, vielleicht bedingt durch eine netzförmige Aneinanderlagerung der Micellen. Daß es sich hier nicht nur um eine Zustandsänderung handelt, wie sie durch das Fällen und Wiederlösen des Niederschlages bedingt sein kann, geht daraus hervor, daß ich öfters frisches Pferdeplasma untersucht habe, daß ausgesprochen fadenziehend war. Die Theorie dieser schwierigen Verhältnisse ist von Hess und Hatschek dargelegt worden!). Zusammenfassung. Mit ultraviolettem Licht bestrahlte Globuline und Fibrinogenlösungen zeigen Stabilitätserhöhungen, die sich in einem Anstieg der Koagulations- temperatur und einer Verbreiterung der Koagulationszone bemerkbar machen. Ammonsulfat- und Alkoholzahl bleiben unverändert oder lassen nur geringe Differenzen erkennen. Dagegen nehmen Koagulations- temperatur, Ammonsulfat- und Alkoholzahl der Albumine proportional mit der Bestrahlungsdauer ab. Die Goldzahl bestrahlter Globuline und des Fibrinogens ändert sich nicht, während beim Albumin geringe Erhöhung der Schutz- wirkung eintritt. Durch die Bestrahlung von Serum, Albumin und Globulin wird eine Verschiebung der H'-Konzentration nach der sauren Seite bewirkt, die aber nicht immer konstant ist und deren Intensität anscheinend bei verschiedenen Sera verschieden stark ist. Die Oberflächenspannung nimmt proportional der Bestrahlungszeit ab, am wenigsten beim Albumin. Ihre Veränderung ist abhängig von der H'-Konzentration. Die innere Reibung nimmt überall mit der Bestrahlungsdauer zu. Es wird gezeigt, daß sie von der Aggregatbildung abhängig ist, was im Einklang steht mit der kürzlich von J. Loeb entwickelten Theorie der Viscosität von Eiweißlösungen. 1!) Zitiert nach Freundlich, Capillarchemie. Leipzig 1922, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. (SU) a1 Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. III. Differentialzählungen der Lymphoecyten und Monocyten im Pferde-, Rinder- und Hundeblut. Von Hermann Herrel, Legelshurst (Baden). (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Gießen.) (Eingegangen am 8. Juli 1922.) Inhalt. . Einführung (S. 560). . Bisherige Differentialzählungen (S. 561). 3. Neue Differentialzählungen (S. 563). a) Methoden (S. 563). b) Resultate (S. 566). 4. Gesamtergebnis (S. 569). DB 1. Einführung. Bei der Untersuchung des Blutes der Haustiere, die im hiesigen Physiologischen Institut mit neueren Methoden zurzeit durchgeführt wird, ergaben sich bezüglich der Unterscheidung der Lymphocyten von den Monocyten!) bei der Chromoanalyse nach der jetzt wohl am meisten angewandten Pappenheimschen Methode (kombiniertes May- Grünwald-Giemsa-Verfahren) Schwierigkeiten. Wenn nun O. Naegeli (a. a. O.8.177) schreibt: ‚‚Die scharfe sofortige Trennung gegenüber Lymphocyten ist heute in jedem guten Giemsapräparat höchst einfach‘‘, so kann dies zunächst doch nur für den erfahrenen Hämatologen und für menschliches Blut Geltung haben. Für eine große Zahl von Unter- suchern und in verschiedenartigem Blute bleiben die Schwierigkeiten trotz Berücksichtigung aller die beiden Leukocytenarten trennenden Kriterien nach wie vor bestehen, und es ist dem persönlichen Ermessen anheimgestellt, die Zelle in die eine oder andere Klasse einzureihen. Nur durch Spezialfärbungen, die eine genaue Unterscheidung der beiden Leukocytenarten ermöglichen, können diese Schwierigkeiten behoben werden. 1) Monocyten = große Mononucleäre und Übergangsformen Ehrlichs, siehe O. Naegeli, Blutkrankheiten und Blutdiagnostik, 3. Aufl., S. 177. Berlin und Leipzig 1919. H. Herrel: Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. III. 561 Auf Anregung von Herrn Professor Bürker habe ich die Untersuchung des Blutes von Pferden, Rindern und Hunden, die seinerzeit schon P. Kuhl!) summarisch vorgenommen hat, mit besonderer Berücksichtigung derLymphocyten und Monocyten unter Anwendung von Spezialfärbungen wiederholt, denn es ist zur Charakterisierung des Blutes dieser Tiere nötig, zu exakten Prozentzahlen für diese Leukocytenarten zu gelangen. 2. Bisherige Differentialzählungen. Die Zahl der Arbeiten über Leukocytendifferenzierung im Blute von Pferden, Rindern und Hunden ist nicht sehr groß. Untersuchungen, ' welche die Feststellung der absoluten Zahl der Leukocyten in 1 cmm Blut zum Ziel hatten, liegen in größerer Anzahl vor. Das Blut der Pferde. Auf die Untersuchungen über die Gesamtzahl der Leukocyten im Pferdeblut will ich, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht näher eingehen, ich verweise bezüglich der Literatur auf die bereits erwähnte Arbeit von P. Kuhl (S. 266), in welcher Durchschnittswerte von 9,15—11,02 Tavs. für 1 cemm Blut bei ausgewach- senen Tieren angegeben werden. Nachzutragen wäre noch eine. weitere Literatur- angaben enthaltende Arbeit von P. Meier?), der bei 6 Wallachen im Mittel 8,99, bei 6 Stuten im Mittel 7,95 Taus. zählte. Kuhl selbst fand bei der Untersuchung von 10 Pferden (meist Stuten und Wallache) einen Durchschnittswert von 10,30 Taus. Im Jahre 1919 ist eine Arbeit von Axel Schulze?) erschienen, der das Blut gesunder und rotzkranker Pferde untersucht hat. Schulze gibt als Mittelwert bei 14 gesunden Pferden 10,65 Taus. an, ein Befund, der mit dem von Kuhl erhobenen sehr gut übereinstimmt. Die Beurteilung der Arbeiten über Leukocytendifferenzierungen ist bei dem Mangel an einheitlicher Bezeichnung der einzelnen Leukocytenarten nicht leicht. Nur wenige Autoren haben ihren Untersuchungen die Nomenklatur Ehrlichs zu- grunde gelegt. Die hierher gehörigen Arbeiten findet man gleichfalls bei Kuhl (S. 266) zitiert. Aus diesen Arbeiten berechnete Kuhl als Mittelwert für das Pferd 30% Lymphotyten, 4% Monocyten, 63% polymorphkernige Neutrophile, 3% Eosinophile und <1% Basophile. P. Meier (a. a. O. S. 15) gibt als Mittelwerte der untersuchten 12 Tiere 30% Lymphoecyten, 3,5% Monocyten, 63,5% Neutrophile und 3% Eosinophile an. A. Schulze (a. a. ©.) teilt als Resultat seiner an den 14 Pferden vorgenommenen Untersuchungen rund folgende Werte mit: 34% Lymphocyten, 6% Monocyten, 56% Neutrophile, 3% Eosinophile und 0,5% Basophile. Schulze erwähnt außerdem, daß ihm die Trennung der großen Lymphocyten von den Monocyten oft sehr schwer fiel. P. Kuhl fand bei den 10 Pferden als Durchschnittswerte 33% Lymphocyten, 4%, Monocyten, 54% Neutrophile, 4% Eosinophile und <“1% Basophile. Die Werte der beiden zuletzt genannten Autoren stimmen gut miteinander überein und zeigen gegenüber den Befunden der obengenannten Untersucher keine großen Differenzen. ı) P. Kuhl, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 263. 1919. 2) P. Meier, Beiträge zur vergleichenden Blutpathologie. Vet.-med. Disser- tation Zürich 1905 und Zeitschr. f. Tiermedizin 10, 1. 1906. 2) Axel Schulze, Arch. f. wissenschaft], u. prakt. Tierheilkunde. 45, 123. 1919. 37* 562 H. Berrel: Was das Blut der Rinder betrifft, so ist die Zahl der Arbeiten über Leukocytenzählungen und -differen- zierungen nicht klein. Es sei mir gestattet, bezüglich der bis jetzt ermittelten Zahlen auf die Literaturangaben in der Kuhlschen Arbeit (a. a. O. S. 268) hin- zuweisen. Als Mittelwerte für Bullen, Ochsen und Kühe gibt A. Storch 7,84, 9,37 und 8,24 Taus., 7. Turowski 10,43, 9,38 und 7,65 Taus. an. Bei seinen eigenen Versuchen an 10 Tieren, meist Ochsen und Kühen, kam P. Kuhl zu einem Durch- schnittswert von 7,23 Taus. für die Ochsen, 7.93 für die Kühe, Gesamtmittel 7,90 Taus. Von der mir zugänglichen, auch schon von Kuhl zitierten Literatur über Leukocytendifferenzierungen nenne ich zuerst die Arbeit von H. Turowski, in welcher als Durchschnitt für das Rind 45,4% Lymphocyten, 7,4% Monoeyten, 40,2% Neutropbile, 6,4%, Eosinophile und 0,6% Basophile angegeben werden. Zu ähnlichen Resultaten kommt Du Toit, nämlich 49,0% Lymphocyten, 3,7% Monocyten, 38,8% Neutrophile, 8,0% Eosinophile und 0,5% Basophile. Etwas andere Werte finden Dimock und Thompson!), nämlich 54%, Lymphocyten, 2% Monocyten, 31% Neutrophile, 13% Eosinophile und <1% Basophile. Abweichend von den bisher genannten Autoren stellte P. Kuhl eine noch stärkere Iymphatische Beschaffenheit des Rinderblutes fest, er fand 64% Lympho- eyten, 10% Monocyten, 21% Neutrophile, 5% Eosinophile und <1% Basophile. Für diese Jymphatische Beschaffenheit des Rinderblutes macht Du T'oit die ununter- brochene Tätigkeit des Magendarmkanals beim Wiederkäuer verantwortlich. Das Blut der Hunde. Über Leukocytenzählungen im Hundeblut liegen nur wenige Angaben vor. Aus einer Arbeit von J. Pohl berechnet P. Kuhl (a. a. O. S. 270) als Mittelwert für 10 Hunde 15,43 Taus. ©. Klieneberger und W. Carl?) dagegen fanden bei gleich- viel Hunden im Mittel 10,56 Taus., also um etwa 30% weniger. Währena ferner Pohl nach Fleischfütterung eine beträchtliche Verdauungsleukocytose — Zunahme um 78% — beobachtete, konnten Klieneberger und Carl eine solche Leukocytose nicht nachweisen. Nach ©. Zenoni?) beträgt der Mittelwert bei Hunden — Angaben über Zahl, Alter, Geschlecht der von ihm untersuchten Tiere werden nicht; gemacht — dagegen nur 7,00 Taus. P. Kuhl selbst fand bei 2 weiblichen und 8 männlichen Tieren verschiedener Rasse durchschnittlich 12,60 Taus. Die Werte weichen also beträchtlich voneinander ab. Genauere Mitteilungen über Leukocytendifferenzıerungen habe ich nur bei Klieneberger und Carl sowie bei Kuhl gefunden. Klieneberger und Carl geben als Mittelwert an: 15,6% Lymphocyten, 2,8% Monocyten, 77,36% Neutrophile, 4,2% Eosinophile, 0,04%, Basophile. Zu anderen Werten kam Kuhl bei seinen 10 Tieren, nämlich zu 25% Lymphocyten, 8% Monocyten, 57% Neutrophilen, 10% Eosino- philen, <1% Basophilen. Wohl findet man in der Literatur noch weitere Angaben über Leukocytendifferenzierungen beim Hunde, doch können alle diese Arbeiten bei dem Mangel an einheitlicher Benennung der einzelnen Leukocytenarten nicht recht zum Vergleich herangezogen werden. O©. Zenoni (a. a. O. 8. 541) teilt die Leukocyten ein in kleine und mittelgroße mononucleäre, in große mononucleäre, in polynucleäre und in eosinophile Leukocyten. Aus seinen Versuchen ergeben sich folgende Zahlen: 28% Mononucleäre, 62% Polynucleäre, 10% Eosinophile. 2) Zitiert bei Du Toit, S. 27. ?) Zitiert bei Kuhl a. a. O. S. 270. ?) ©. Zenoni, Zieglers Beitr. z. pathol. Anat. 16, 541. 1894. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. III. 563 Heyl und Krüger!) unterscheiden nur zwei Arten im normalen Hundeblut und zählen 75—80% polynucleäre und 20—25% mononucleäre Leukocyten. Wie sich aus der mitgeteilten Literatur ergibt, bestehen, was die Leukocytenzählung und Differenzierung betrifft, noch mancherlei widersprechende Angaben. Einen Beitrag zur Klärung dieser Verhält- nisse sollen die folgenden Untersuchungen liefern. 3. Neue Differentialzählungen. a) Methoden. Über die Methoden, die bei meinen Untersuchungen zur Anwendung kamen, sei folgendes mitgeteilt. Bei der Untersuchung jeder Tierart war es zunächst nötig, die absolute Zahl der in 1 cmm Blut enthaltenen Leukocyten, sodann an der Hand von Ausstrichpräparaten das pro- zentische Verhältnis der einzelnen Leukocytenarten und schließlich an einem Kontrollpräparat des gleichen Blutes mit Hilfe einer Spezial- färbung noch besonders das Verhältnis der Lymphocyten zu den übrigen Leukocyten festzustellen. Da die Monocyten von den Neutro-, Eosino- und Basophilen leicht zu unterscheiden sind, so ergab sich nach exakter Ermittlung der Lymphocyten auch genau die Zahl der Monocyten. Die Blutentnahme erfolgte beim Pferde aus der Vena jugularis, beim Rind ' und Hund erwies sich als der geeignetste Ort zur Blutentziehung die Außenfläche der Ohrmuschel. Nach Entfernung der Haare und Reinigung der betreffenden Stelle mit Äther-Alkohol setzte ich mit dem Franckeschen Instrumeat zur Blut- entziehung eine kleine Wunde, aus welcher in den meisten Fällen genügend Blut austrat. Das hervorquellende Blut wurde in einem ausgehöhlten Paraffinblock auf- gefangen. Das Blut der Wunde direkt zu entnehmen war bei der Unruhe der Tiere nicht recht durchführbar, nur beim Hund ist es mir in einigen Fällen gelungen. Die Zählung der Leuk:cyten geschah nach der Methode von Bürkrr?). Es wurden 25 cmm’ Blut zu 475 cmm Türkscher Lösung hinzugefügt, also eine 20fache Ver- dünnung des Blutes vorgenommen. Die Zählkammer wurde durch Verwendung eines mit einem Einschliff von 0,100 mm versehenen Deckglases auf die doppelte Höhe von 0,200 mm gebracht. Ausgezählt wurden in jeder Kammerhälfte je 125 Quadrate. Man brauchte dann nur noch die ermittelte Leukocytenzahl mit 10 zu multiplizieren, um die Zahl der Leukocyten in 1 cmm Blut zu erhalten. Über die Anfertigung der Ausstrichpräparate sind in der Arbeit von Kuhl (a. a. O. S. 272) genauere Angaben enthalten. Erwähnen will ich nur, daß sich das Trocknen des Präparates in den feuchten, schwülen Ställen sehr verzögert. Das Blut erfährt dadurch Veränderungen, und das Präparat wird für die weitere Untersuchung unbrauchbar. Ich habe die beiden Deckgläschen sofort nach dem Auseinanderziehen in die frische Luft gebracht, wo das Trocknen in wenigen Augenblicken erfolgte. Die lufttrockenen Präparate wurden nach der Pappenheim- schen Methode (kombiniertes May-Grünwald-Giemsa-Verfahren) gefärbt, und zwar nach der Vorschrift, wie sie Naegeli (a. a. ©. S. 16) gibt, nur mit der Änderung, 1) Zitiert nach Zenoni S. 541. ®) K. Bürker, Tigerstedts Handbuch der physiologischen Methodik 2, Abt. 5, SS 111.°.1913: 564 H. Herrel: daß ich die Zeit der Einwirkung der verdünnten Giemsalösung auf 15 Minuten erhöhte, anstatt 10—12 Minuten, da ich im Anfang öfters eine zu schwache Kern- färbung im Präparat erhielt. Die Erythrocyten des Rinderblutes zeigten vıelfach Stechapfelformen und Agglutinationserscheinungen, eine Beobachtung, die auch Kuhl gemacht hat. Die Präparate des Hundeblutes unterschieden sich schon makroskopisch gegenüber denen der anderen Tiere. Bei gleicher Färbungsdauer zeigten sie eine viel intensivere allgemeine Rotfärbung, was offenbar mit dem höheren Hämo- globingehalt der Hundeerythrocyten, wie ihn Kuhl bei seinen Untersuchungen festgestellt hat, in Zusammenhang steht. Zu den Differentialzählungen der Leukocyten benutzte ich das monobjektive Binokular-Mikroskop der optischen Werke E. Leitz in Wetzlar, ich kann das an- genehme Arbeiten mit diesem ausgezeichneten Instrument gerade bei dieser Art von Untersuchungen nur bestätigen. Die Erkennung der einzelnen Leukocyteunarten war abgesehen von den großen Lymphocyten und kleinen Monocyten nicht schwierig. Bei der Differenzierung wurden in jedem Präparat 1000 Leukocyten berücksichtigt. Es sind nun zur Unterscheidung der Abkömmlinge des Iympbatischen Systems von denen des myeloischen, zu denen ja auch die Monocyten gehören, einige Me- thoden angewandt worden, welche alle darauf beruhen, daß die Zellen des myelo- ischen Systems oxydierende Fermente enthalten, die Lymphocyten dagegen nicht. In erster Linie wäre hier als unterscheidende Methode die Indophenol-Blau- synthese nach F. Winkler!) zu nennen, die von W. H. Schultze?) weiter ausgebaut worden ist. Zur Vornahme der Reaktion bedarf man zweier Lösungen von 1. A- Naphthol una 2. Dimethylparaphenylendiamin (basicum). Beim Zusammenbringen dieser beiden Lösungen wird bei Sauerstoffzutritt nach folgender Formel NR; ar } N(CH3)a 6 "NN(CH;), + CoH,( JOH + O, = Ok a N = CuHs(@)OH + 2H,;0 synthetisch ein Farbstoff, der zu den Indophenolen gehört, gebildet, was in der freien Luft nur ganz allmählich geschieht. Beschleunigt wird diese Farbstoffbildung durch Zusatz eines Oxydations- fermentes. Ebenso erfolgt sofortige Bläuung an denjenigen Stellen des Gewebes, wo solche Fermente sich befinden. Solche Stellen sind die Granula der leukocytären Zellen des myeloischen Systems. Späterhin hat F. Winkler?) noch gezeigt, daß die Reaktion anstatt mit dem leicht zersetzlichen Dimethylparaphenylendiamin auch mit einer alkoholischen Sudanlösung ausgeführt werden kann, wenn man in bestimmter Weise verfährt. Mit der zuletzt genannten Schultzeschen Methode habe ich nun die Differen- tialzählungen durchgeführt. Angaben über solche Zählungen im Blut der Haus- tiere habe ich in der Literatur nicht finden können. Die zur Vornahme der Reaktion nötigen Lösungen wurden folgendermaßen hergestellt. 1. 1 proz. alkalische x-Naphthollösung. 1 g «-Naphthol wird mit 100 cem dest. Wasser zum Kochen erhitzt und dann tropfenweise so viel konzentrierte Kalilauge zugesetzt, bis sich das geschmolzene x-Naphthol vollständig gelöst hat. Die überstehende, erkaltete Flüssigkeit ist brauchbar. 1) F. Winkler, Fol. haematol. 4, 323. 1907 nnd 14, 23. 1912. 2) W. H. Schulize, Münch. med. Wochenschr. 56, 167. 1909 und Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. 28, 8. 1917. 3) F. Winkler, Folia haematol. 14, 23. 1912. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. III. 565 2. lproz. Lösung von Dimethylparaphenylendiaminbase (von Merck in Röhrchen zu 0,5 g) in dest. Wasser kalt hergestellt. Die Lösung ist erst nach einigen Tagen brauchbar. Da beide Lösungen nur etwa 4 Wochen haltbar sind, empfiehlt es sich, dieselben in geringerer Menge, als oben angegeben, und erst kurz vor Gebrauch anzufertigen, um sich vor Mißerfolgen zu schützen. Die für Blutausstriche geeignetste Reaktion ist nach Naegeli (a. a. O.) folgende: 1. Fixation: 4%, Formol ca. 5 Minuten oder Müllerfixation. Ältere Präparate brauchen nicht besonders fixjert zu werden, frische sind in Formolalkohol 2 Stunden zu fixieren. 2. Färbung: Einlegen der Präparate in etwas verdünnte 1 proz. wässerige &-Naphthollösung für ca. 3 Minuten, dann sofort ohne Abtrocknen oder Abwaschen in die 1 proz. Dimethylparaphenylendiaminlösung, wobei die Schnitte oder Aus- striche bald eine deutlich blaue Färbung annehmen. Man kann auch eine Mischung gleicher Teile der beiden Lösungen benutzen. Untersuchung nach Trocknen zwischen Fließpapier. Die Präparate sind nicht lange haltbar. Herr Professor Bürker hat bei früheren Versuchen!) je einen Tropfen der “ beiden Lösungen auf einen Objektträger gebracht, gemischt, das fixierte Präparat mit der Schichtseite nach unten auf die Mischung gelest und so ohne weiteres schöne Resultate erhalten. Diese Methode habe auch ich in folgender Weise angewandt. Die Blutavs- striche wurden in 4% -Formol etwa 4 Minuten fixiert und dann mit dest. Wasser abgespült. Die roten Blutkörperchen gaben dabei das Hämoglobin ab und blieben als Schatten sichtbar. Auf einem Objektträger brachte ich dann 1—2 Tropfen dest. Wasser und dazu einen Tropfen einer Mischung gleicher Teile von den beiden Lösungen, die ich vorher in ein Uhrschälchen filtriert hatte. Nach Durchmischung mit einem Glasstab wurde das Präparat mit der Schichtseite nach unten auf die Lösung gebracht und so mikroskopisch untersucht. Die Reaktion trat sofort ein. Die Verdünnung mit dest. Wasser habe ich deshalb vorgenommen, weil bei Anwendung der lproz. Lösungen die Reaktion zu intensiv auftritt, so daß es - unmöglich ist, einzelne Granula zu unterscheiden. Dieselbe Beobachtung hat auch S. Gräff?) gemacht, der schreibt: ‚„‚Außerdem führt die Überladung der myeloischen Zellen mit dem gebildeten Naphtholblau zu einer besonders starken blauen Diffu- sion in die Nachbarschaft jener Zellen und zu einer Ablagerung von Farbstoff- körnchen, die wohl mit der eigentlichen Abwicklung der Zellreaktion nichts zu tun haben.“ Gräff stellt seine Lösungen in einer Verdünnung von 1 : 500-600 Wasser her und erhält ausgezeichnete Resultate. Untersucht man nun das Präparat, so findet man bei allen Zellen des myeloi- schen Systems die Granula prachtvoll blau gefärbt, während der Kern ungefärbt bleibt und wie ein ausgesparter weißer Fleck in der Zelle erscheint. Allmählich bekommt auch das Plasma zwischen den .Granula eine diffuse blaue Färbung, so daß es den Anschein hat, als sei die Zelle von einem mehr oder weniger breiten blauen Saum umgeben. Die eosinophilen Zellen zeigen die Reaktion am inten- sivsten, wie man das an den massigen Granuvla der eosinophilen Leukocyten des Pferdeblutes besonders schön beobachten kann. Die Neutrophilen und Mono- cyten geben die Reaktion in gleicher Stärke und lassen keine spezielle Unter- scheidung zu. Die Lymphocyten zeigen keinerlei Reaktion; sie sind ungefärbt, von runder oder schwach ovaler Gestalt und zeigen eine homogene, schwach grünlich-gelbe !) Tigerstedts Handbuch der physiologischen Methodik 2%, Abt. 5, S. 131. 1912. ; 2) S. Gräff, Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. %%, 313. 1916. 566 H. Herrel: Farbe und ejne etwas dunklere Konturierung. Bei entsprechender Abblendung des Gesichtsfeldes bieten sich für ihre Erkennung keinerlei Schwierigkeiten. Sie zeigen außerdem bei Hebung des Mikroskoptubus deutlichen Glanz, den Hebeglanz. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Befund von F. Winkler!\ er- wähnen, der die Indophenolblausynthese auch an Ausstrichen von einigen Labora- toriumstieren vorgenommen hat. Winkler fand entgegengesetzt dem Verhalten beim Menschen im Blute von Kaninchen und Meerschweinchen und in Milzaus- strichen von Hunden eine Blaufärbung des Kerns und ein Freibleiben des Plasmas von der Färbung. Ich kann diesem Befund Winklers nicht beistimmen. Ich finde auch beim Hunde, wenigstens was die Blutausstriche betrifft, eine ebensolche schöne Blaufärbung der Granula wie beim Blute der anderen Tiere. Als einzigen Unterschied beim Hundeblut finde ich, daß die Granula in einer großen Anzahl von Zellen nicht in so dichter Anordnung gelagert sind wie im Pferde- und Rinder- blut. Was das Blut der Kaninchen und Meerschweinchen betrifft, so hat A. Diet- rich?) auch für diese Tiere eine Blaufärbung der Granula und ein Freibleiben des Kerns nachgewiesen. Bei der Differentialzählung berücksichtigte ich ebenso wie im Pappenheim- Präparat 1000 Leukocyten. Ein Einbetten des Präparats in Canadabalsam ist zu unterlassen, da dadurch der blaue Farbstoff aufgelöst und das Präparat unbrauch- bar wird. b) Resultate. Das Blut der Pferde. Von den mir zur Verfügung stehenden Pferden wählte ich die am besten genährten Tiere aus, die sich sämtlich in gesundem Zustande befanden. Zur Untersuchung kamen fünf Wallache und fünf Stuten. Versuche vom 4.—8. Mai 1920. ‚Leukocyten | E = | 2 | 3 Leukocytenarten in Prozenten nach = E | E | E = | Zeit der FRE en |lausyathese Fr 3 Nee ei Rasse Ei Blutent- g58 B 8 3 = E a 4 a. = = H7"3158|58|53|2|s |S° 2 Nr.| | — a A S|. 2a a | | l 1 Wallach! 911,74| Belgier | gut | 10. | 867129 |5 | 59 |7 |<ılsı 2a 6 | 1,64 | mittelschwer. e 10Y/o"t v. | 10,10 | 36 | 4|54 16 | <1| 30m | | ı Zugpferd | 3| „ [10\1,68| Reitpferd | „, av. | 95|30 | 2|63|4| 1|30 | =. 4 ” 71,70, Ostpreuße |mittelm. | 10hv. 10,02133 | 4 |57 |5 1 <ı[34 | 66 Sa R | gut | 1lv. 111,355|32|6)59|3 | <ıl ar 6 | Stute |11|1,72) K |mittelm. | 1lhv. | 9,97| 32|4|60 |4 <ı| 30 a 10 | 1,70 Oldenburger eut 12 v. 8,59] 43 | 4 | 51 | 2 | <1] As 8. | Belprer „ l1jav.| 829[32 4|60)4|<ıl 32 ) “ 14 | 1,68 mittelschwer. „, Ay.) 974126 |3 | 6813 | <1] PERL (m ı Zugpferd 19 RZ TO I Ostpzeußes nn. 4hy. |10,99| 33 | 4 | 60 | 3 | <1] 327 Durchschnittswerte : 9,747 |32,6|4,0|59,1 4,1 <1|33,6/66,4 1) F. Winkler, a. a. O. 4, 324. 1907. ?) A. Dietrich, Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. 19, 4. 1908. (SC EENNo} Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. III. 567 Die Resultate dieser Untersuchungen habe ich in vorstehender Tabelle zusammengestellt. Leider war es mir nicht möglich, das Blut von Hengsten zu untersuchen. Als Leukocytenzahl pro cmm Blut berechne Kal im Durchschnitt für alle Pferde 9,75 Tausend; der Schwankungsbereich ist ‘kein großer, niederster Wert 8,29, höchster 11,35 Tausend. Für Wallache beträgt der Wert 9,98, für Stuten 9,52 Tausend. Die niedersten Werte weisen nach meinen Untersuchungen Pferde des kaltblütigen Schlages auf, eine Beobachtung, die auch A. Rössle!) gemacht hat. Als Leukocytenformel für das Pferd finde ich nach der Pappenheim- schen Methode: 33% Lymphocyten, 4% Monocyten, 59%, Neutrophile, 4%, Eosinophile und <1% Basophile. Meine Befunde stimmen gut mit denen von Schulze, Kuhl und den auf S. 561 erwähnten Autoren überein. Nach der Indophenolblausynthese bekomme ich als Durchschnitts- wert für Lymphocyten 34% und für die übrigen Leukocyten 66%. Die beiden verschiedenen Methoden führen also im Pferdeblut zu fast gleichen Resultaten. Das Blut der Rinder. Zur Untersuchung kamen drei männliche und sieben weibliche Tiere. Kälber und männliche Tiere in größerer Zahl zu untersuchen, war mir nicht möglich. Die folgende Tabelle enthält die Resultate der Untersuchung. Versuche vom 11.—29. Mai 1920. = x Leukocytenarten in Tausenden nach a E a Es | ea I = & | Geschlecht | - Rasse | nährungs- | der But- |38%|, F ZA u ee ae ; = . zustand entnahme 3 SEE = 32 & 2 = 38 5 { 8 | eun.jlası Ss | =E|=a| 2 |35|532 m | 4 | AT el > =3 r. || | ajla|jaı® a E Bulle |1!/,| Simmental |mittelmäß., Atn. | 788 |52| 8359| 1 3“ = ii 2 = SE ‚&0 | SE = 3 eoeunenexeiteent I a I \=: | ıse 5 il 32 E E ar Sr Aranrar Arge rar Arsen an ar ar er Sal 5 B =) 2 NR ee hrolae rar ae our sap rar \e a| Nach- L. Ar Aare APR RAR ARIR RaRHeeeaenelsrelhr = E Dyatagmns] ER? Ar. rar ana Sean are ara las Seen ae Br HENSIHE \& 2] Nolan: L. ar Spar rare Par acer rar ara rar me HE el a2 I:| |: EU ERBE De DEE N ER 1 3 Nach- L. SPS aan Ara ara ae arer Ara ara ar Saar &|e E reaktion R. AR. SraR me. Are SEE ara ara ner Ars ae 3 | >| Reaktion | 1 Ar Ser ara ar rar ana ara Sa ar EgPac ana g* = R. SF A er ara rare ne ran ean arnrn Ele Nach- 1 ae SP Se re Fr rar rar ana he Het lke 9 & nystagmus RR, re er een 2 ee | a 2 EA BEE EEE 2 R. | + + + ++ + + HH HH HH Hr HH © | Nach- 1 NA rare rare ara ae |Hrnrarnrae ana = reaktion R. Hr aa ar ee rar Hr ara ara ar Seen Se Se Se ar ar See rar HP ara ar R. SF rar rar rar Se Sparer rar ran Hr spare spa rar | en a kr | | #2 | Tonische Reflex f di | = ee 5 ai T Ar | | | | | | 3 = Rückenlage + ++ + + | | | | Ace Hängelage 3 ee Kosnnten ae | | | | 3 > Iaye Hängelage @& | Linke Seitenage |+ ++ +4 H | | | | = | Rechte Seitenlage | + ++ + |+ | | | | en Eule! 53h El Kaninchengewicht 1,5 kg - = = = = = = = = S Sar- & = 35 - 53 Sn ES Sn 53 SQ n > Sn Sn n N Sn Ent a nn, eo. 0.05 . E=| £=i = E=i Ei} a F-] E=} = = = Ei = z Peso Ovavs erereroan Etwas Flüssigkeit in der Pleura und starke Peristaltik. makroskopisch keine Abweichungen. Sektion: 125’ nm. Tod. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. Studien über die Quellbarkeit von Muskeln und ihre Permeabilität unter verschiedenen Bedingungen. Von Emil Abderhalden und Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institute der Universität Halle a. S.) Mit 10 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. Juli 1922). Für unsere ganzen Vorstellungen der einzelnen Vorgänge in den Zellen und vor allem auch in ihren Grenzschichten, angefangen bei Problemen über die Aufnahme und die Ausscheidung von Stoffen bis zu allen jenen Fragestellungen, die sich mit den im Inneren der ein- zelnen Zellen vor sich gehenden, mannigfaltigen Prozessen — seien sie nun allgemeiner zellspezifischer oder funktionsspezifischer Natur — beschäftigen, ist die Erkenntnis des Zustandes, in dem die einzelnen Zellinhaltstoffe zugegen sind, von grundlegender Bedeutung. Die mor- phologische Einheit Zelle ist ohne Zweifel von physikalisch-chemischen Gesichtspunkten und von solchen biologischer Art weit davon entfernt, eine solche zu sein. Die Unterscheidung einer Zellgrenzschicht von dem Zellinneren ist ein erster Schritt zu einer Aufteilung der Zelle in biologische bzw. physikalisch-chemische Einheiten, die jedoch allesamt nicht isoliert für sich denkbar sind, weil jeder einzelne der anwesen- den Stoffe in seinem Zustand und damit in seinen Eigenschaften in Abhängigkeit von anderen Produkten ist. Unendlich erschwert wird das Studium in der angedeuteten Richtung durch den Umstand, daß in der lebenden Zelle in nicht aufhörendem Wechselspiel ein fortwähren- des Einstellen des einen Zustandes auf einen anderen vor sich geht. Es wird ein Gleichgewicht der Zustände und der Kräfte angestrebt, jedoch nicht erreicht, weil fortwährend Stoffwechselvorgänge sich vollziehen. Wie unendlich schwierig die klare Deutung von Versuchsergeb- nissen ist, zeigt in neuester Zeit die Erforschung des Wesens der Nar- kose, der Muskelkontraktion und in besonders drastischer Weise die widersprechenden Antworten auf die an sich einfache Frage, ob rote E. Abderhalden und E. Gellhorn: Beiträge zur Zellphysiologie. 585 Blutkörperchen für Glucose durchlässig sind oder nicht. Sie wird bald bejaht, bald verneint. Die Beobachtung, daß Traubenzucker von roten Blutkörperchen aufgenommen wird, wird so gedeutet, daß diese Zellen die geringste Veränderung der Bedingungen, unter denen sie sich be- finden, mit einer Veränderung im Zustand der Zellgrenzschicht be- antworten. Wie leicht die Durchlässigkeit von Zellen verändert wer- den kann, haben vor allen Dingen die bekannten Versuche von Ham- burger und Brinkmann bewiesen. Glomerulusepithel kann durch Än- derungen in der Zusammensetzung der Durchspülungsflüssigkeit bald für Zucker gedichtet, bald weniger dicht gemacht werdent). Derartige Erfahrungen sind von grundlegender Bedeutung und mahnen zur Vorsicht bei der Übertragung von unter bestimmten Bedingungen ge- machten Beobachtungen auf Zellvorgänge unter normalen Verhält- nissen. Man wird vor allen Dingen dem folgenden Punkte die volle Auf- merksamkeit widmen müssen. Wird ein Stoff aus einer Lösung von Zellen oder Organen aufgenommen, dann ist damit noch lange nicht bewiesen, daß er die Zellgrenzschicht durchdrungen hat und nun ein Zellinhaltsstoff ist. Es besteht die Möglichkeit, daß ein Stoff durch Adsorption der Flüssigkeit entzogen wird, in der die Zellen oder das Organ sich befinden. In einem anderen Falle wird der betreffende Stoff die Zellgrenzschicht wirklich durchwandern und nunmehr mit Teil an dem osmotischen Drucke haben, wenn er nicht, was auch noch möglich ist, durch chemische oder physikalisch-chemische Bindung (beide Möglichkeiten sind im Grunde genommen wahrscheinlich iden- tisch) von einem Zellinhaltsstoff festgelegt wird. Für die Folgen, die die Aufnahme eines Stoffes bewirkt, ist es na- türlich von wesentlichster Bedeutung, in welcher Form und vor allem in welchem Zustand er in der Zelle zugegen ist. Man darf unter keinen Umständen einzig und allein aus der Abnahme des Gehaltes einer Lösung, in der Zellen vorhanden sind, an einem bestimmten Stoff Schlüsse auf eine mehr oder weniger große Permeabilität der Zell- grenzschicht ziehen. Es muß mittels besonderer Methoden und Be- obachtungen festgestellt werden, ob dieser wirklich in das Zellinnere gelangt ist. Die Zahl der Fragestellungen auf diesem Gebiete ist unübersehbar groß. Es interessiert das Aufnahmevermögen von Zellen und Geweben für Wasser und gelöste Stoffe unter den verschiedensten Bedingungen, seien diese nun künstlich durch Verwendung bestimmter Lösungen von Substanzen erzeugt, oder aber sei der physiologische Zustand der zu untersuchenden Zellen ein verschiedener. So kann man Muskeln 1) Vgl. die Literatur: Emil Abderhalden, Lehrbuch der physiol. Chemie, 5. Aufl. Vorlesung VII. 1922. 586 E. Abderhalden und E. Gellhorn: in frischem, unermüdeten Zustand unter genau den gleichen äußeren Bedingungen mit solchen vergleichen, die man ermüdet hat. Man kann den Zustand des Elektrotonus herausgreifen und seinen Besonder- heiten nachgehen. Wir haben als Versuchsobjekt den Muskel gewählt, weil bei ihm leicht feststellbar ist, ob er noch ‚‚lebt‘‘. Seine Fähigkeit, auf Reize durch Kontraktion zu antworten, gibt uns ein leicht zu übersehendes Mittel in die Hand, um Änderungen im Funktionszustand auch quan- titativ zu messen. Wir können z. B. vor und nach dem Versuch prüfen, ob der gleiche Reiz den gleichen Erfolg hat. Vor allem können wir auch eine Wiederkehr der Funktion feststellen. Unsere Versuche umfassen zunächst die folgenden Fragestellungen: I. Wie ändert sich das Gewicht von quergestreiften Muskeln in Lösungen von Caleiumchlorid unter verschiedenen Bedingungen? 2. Wie verhält sich die Aufnahme von Calcium durch quergestreifte Muskulatur unter verschiedenen Bedingungen ? Die unten mitgeteilten Versuchsergebnisse geben die Antwort auf diese Fragen. Als unsere Versuche, die durch zahlreiche Voruntersu- chungen und Kontrollen aller Art sehr viel Zeit beanspruchten, bereits im Gange waren, erschienen aus dem Physiologischen Institute der Universität Frankfurt [Embden!)] eine Reihe von Untersuchungen mit sanz ähnlichen Problemen. Sie sind in Zusammenhang mit unseren Versuchsergebnissen berücksichtigt. I. Über die Änderung des Gewichtes der quergestreiften Muskulatur in Lösungen von CaCl, unter verschiedenen Bedingungen. Der Einfluß von CaCl, auf das Gewicht des quergestreiften Muskels ist in seinen Grundzügen bereits durch die Untersuchungen von Overton?) bekannt. Insbesondere hatte schon Overton beobachtet, daß der Sar- torius des Frosches in isotonischer CaCl,-Lösung irreversibel schrumpft, während in Gemischen von NaCl und CaCl,, die einer 0,7 proz. NaCl- Lösung isotonisch sind und nicht mehr als 0,2% CaCl, enthalten, Muskel- gewicht und Erregbarkeit längere Zeit hindurch keine wesentliche Änderung erfahren, so daß für geringere Konzentrationen von Call, Impermeabilität des Muskels bestehen müsse. Ebenso konnte dieser Autor die starke Gewichtsabnahme in Rohzucker- und CaCl,-Gemischen, die mit einer starken Schrumpfung der Muskulatur verbunden ist, feststellen. Wir haben nun diese Versuche wiederholt und in verschie- dener Richtung ergänzt. Es kam uns nämlich darauf an, die durch 1) Gustav Embden und Erich Adler, Zeitschr. f. physiol. Chemie 118, 1. 1922. — Hans Vogel, ebenda 118, 50. 1922. — Max Simon, ebenda 118, 96. 1922. — Hans Berendt, ebenda 118, 123. 1922. 2) Overton, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 105, 176. 1904. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 587 gewichtsanalytische Versuche angenommene Permeabilität noch durch die direkte Bestimmung der Ca-Aufnahme zu sichern. In späteren Mitteilungen soll auch die Aufnahme der übrigen Kationen und Anionen ermittelt und unter verschiedenen Bedingungen studiert werden. Zu unseren Versuchen verwendeten wir CaCl, (siccum!) in 0,2 bis 0,4 proz. Lösung. Die Isotonie mit 0,7 proz. NaCl-Lösung wird durch Hinzufügung von Kochsalz, Magnesiumchlorid oder Rohrzucker erreicht. Zunächst seien die Veränderungen des Gewichtes des M. gastrocenemius des Frosches in diesen Lösungen besprochen sowie die -Quellung des Muskels in isotonischer Kochsalzlösung, wenn vorher eine bestimmte Zeit (16—24 Stunden) die oben erwähnten Calcium- gemische eingewirkt hatten. Gleichzeitig wird auch die Änderung der Erregbarkeit, die am Sartorius und am Gastrocnemius durch Fest- stellung der Öffnungsschwelle gemessen wurde, zu besprechen sein. Aus Abb. 1, der ein Versuch zugrunde liegt, A in dem CaCl,- in 0,2 proz. Lösung in Verbindung 5 A | mit NaCl, MgCl, bzw. Rohrzucker auf den 550 \/ a M. gastrocnemius von Rana esculenta ein- °* iu Inrmelmal wirkten, ist der bereits von Overton erwähnte Unterschied zwischen Rohrzucker + CaCl, und 9 NaCl + CaCl], sehr ausgesprochen. Der Gewichts- 500 - verlust ist in dem Rohrzuckergemisch bedeu- *% tend stärker, setzt aber erst nach einer an- fänglichen Gewichtszunahme ein, die jedoch 4 keine typische Wirkung darstellt, da sie sehr 450 häufig fehlt. Ganz anders verhält sich aber die Gewichtskurve in MgCl, + CaCl,. Hier % wird eine ganz erhebliche Gewichtszunahme 4o|_. beobachtet. Erst nach etwa 24 Stunden sinkt 4#00—- die Gewichtskurve ein wenig, bleibt jedoch noch 790 weit über dem Anfangsgewicht. In einer gan- BOZZEITETET 2 DH grr zen Reihe weiterer Versuche, auf deren ausführ- Abb.1. M.gastroenemius von . . ee e D Rana esculenta. Das Verhalten liche Wiedergabe aus räumlichen Gründen ver- ges Muskelgewichtes in zichtet werden muß, konnte in 0,2—0,3 proz. NaCl 55 \ = CaC], 2,0 zum CaCl,-Lösungen, denen zur Herstellung der Iso- Ag. dest. 1000,0 tonie MgCl, hinzugefügt ist, stets eine bedeu- nn o 2 a H BER RRENE: tende Gewichtszunahme festgestellt werden, ja Ag. dest. 10000 : £ CaCı, 2,0 Gewichtsabnahme, die aus der Kurve der ag. dest. 1000,0 Abb. 1 ersichtlich ist, nicht zur Beobachtung, vielmehr findet eine kontinuierliche Gewichtszunahme des Muskels in MsCl, + CaCl, auch bei 24—48 stündigem Verweilen des Muskels statt. vielfach kommt die später einsetzende geringe Rohrzucker 47,0 N 588 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Verwendet man CaCl, in stärkerer Konzentration (0,4%), so ist die Gewichtsabnahme des Muskels in NaCl + CaCl, und Rohrzucker + CaCl, bedeutender; das relative Verhältnis der Muskelgewichts- kurven bleibt aber in beiden Fällen dasselbe. Interessant ist, daß ge- legentlich wie z. B. in Abb. 2 in den ersten Stunden in NaCl + CaCl, trotz der hohen Konzentration des Calciums eine geringe Gewichtszunahme beobachtet wird. Abb. 3 gibt die entsprechenden Verhält- nisse in MgCl, + CaCl, wieder, während ng 430 — 420 470 400 390 22 370 | l | l (= Le a | | GO ZE IE TEE Zur GOTZz 6 9 72 10 18 27 auf Abb.?2. M. gastrocnemius von Rana esculenta. Abb. 3. M. gastrocnemius von Rana esculenta. Das Verhalten des Muskelgewichtes in Das Verhalten des Muskelgewichtes in NaCl 4,0 Rohrz. 34,0 NaCl 4,0 MsCl, 102 CaCl- 4,0 a CA Ne CaCl; 4,0 = CachA0 Se Aq. dest. 1000,0 Aq. dest. 1000,0 Aa. dest. 1000,0 Ag. dest. 1000,0 NaCl + CaCl, als Kontrollflüssigkeit dient. Hier zeigt sich, daß, nachdem anfangs das Muskelgewicht fast unverändert geblieben ist, allmählich eine Gewichtsabnahme einsetzt, die jedoch bedeutend geringer als in NaCl + CaCl, ist. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß zuweilen auch nach 24stündiger Einwirkung von MsCl, + CaCl, (wenn CaC], in 0,4 proz. Lösung vorhanden ist), eine geringe Gewichtszunahme vorkommt. Wir sehen also, daß die Gewichtsabnahme in Rohrzucker-CaCl,-Gemischen am stärksten,in MgCl, + CaCl, am schwächsten ist, und daß in dieser Be- ziehung NaCl + CaCl, eine Mittelstellung einnimmt. Da die entquellende Wirkung des Calciums uns durch zahlreiche Untersuchungen bekannt ist — wir erwähnen nur die Untersuchungen M. H. Fischers!), der zeigen konnte, daß CaCl, die Quellung des Froschmuskels in Säure stärker hemmt als NaCl, sowie die analogen Untersuchungen von Bottazzi und Scalinzi?) über die Quellung der Linse, endlich auch die Versuche von Widmark®), der in vergleichend physiologischen Unter- 1) M. H. Fischer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 124, 69. 1908. 2) Botazzi und Scalinzi, Arch. di fisiol. 19, 162. 1910. zitiert nach Handbuch der vergleich. Physiol.1, 432. 3) Widmark, Skandinav. Arch. f. Physiol. %4, 339. 1911; Widmark und Lindahl, ebenda 41, 221. 1921. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 589 suchungen für die zerschnittene Muskulatur verschiedener Tierarten die Gewichtsabnahme in CaCl,-Lösungen feststellte — so ergibt sich aus unseren Versuchen der Schluß, daß Mg stärker als Na antagonistisch gegenüber Calcium wirksam ist, so daß bei Verwendung von CaCl, in 0,2 proz. Lösung die Gesamtwirkung von MsCl, + CaCl, in einer Quel- lung und von NaCl -+ CaCl, in einer mäßigen Entquellung sich kund- tut, daß aber die stärkste Caleiumwirkung (Entquellung) in Gegen- wart von Rohrzucker bei Fehlen anderer Neutralsalze vorhanden ist. Wird hingegen CaCl, in stärkerer, z. B. 0,4 proz. Lösung angewen- det, so ergibt sich die gleiche Reihenfolge, wenn wir die Gewichts- kurven nach dem Grade der Entquellung ordnen, nur ist diese im ganzen stärker und führt meistens auch in MsCl, + CaCl, zu einer, wenn auch relativ geringen Gewichtsabnahme. Auf welche Weise die bedeuten- den Unterschiede der Calciumwirkung bei Gegenwart von Natrium einerseits, von Rohrzucker andererseits zustande kommen, werden wir später bei Besprechung der analytischen Versuche über die Ca-Auf- nahme durch den Muskel erörtern. ; Es fragt sich nunmehr, wie die Erregbarkeit des Froschmuskels sich in den verschiedenen Lösungen verhält, deren typischer Einfluß auf die Gewichtskurve bisher erörtert wurde. Der Einfluß von Rohr- zucker und von Neutralsalzen auf die Erregbarkeit des Froschmuskels ist mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen [Overton!), Hoeber?)]. Aus ihnen geht hervor, daß in Rohrzuckerlösungen die Er- regbarkeit innerhalb weniger Stunden erlischt, aber durch Übertragung in Salzlösungen wiederhergestellt werden kann. Hierfür erweist sich innerhalb der Alkalireihe Na am günstigsten — auch hier gilt wieder die bekannte Kationenreihe Na
  • mäßig in den ersten Stunden = | in Kochsalzlösungen stark an | | | | | | | R. FR 350 DEE ER ERETIE E oIp ee nkelnne abnehmen, während De eine solche Abnahme an den Abb. 7. Die Quellung des M. gastrocnemius in 0,7% : : h NaCl-Lösung nach vorhergehender Einwirkung von NaCl BE Cal], - Muskeln bis- NaCl 4,0 Rohrzucker 34,0 B . . 3 —— Dee T © & Cal. 40 Jet et ( ) weilen fehlt oder ‚in gerin Ag. dest. 1000,0 Aq. dest. 10000 \ ® =*/ gerem Maße auftritt. Ver- Der Zeitpunkt der Übertragung in Kochsalzlösung ist Sleicht ad in der Kurve durch einen Pfeil bezeichnet. Die Kur- > e1lc man nunmehr en ven und - - - einerseits, ferner —— und—e —e (ewichtsunterschied der bei- andererseits, gehören zusammen, da die Muskeln von El er gleichen Tieren stammen. Die Einwirkungszeit des Cal- den Muskeln zur eit des ciumgemisches beträgt in dem ersten Versuche 17, im orößten Gewichtsverlustes zweiten 24 Stunden. En Q (einige Stunden nach der Übertragung in Kochsalzlösung) mit der maximalen Quellung nach etwa 24 Stunden, so sieht man nur kleine Verschiebungen bald nach der einen , bald nach der anderen Seite, die die Ablehnung der Annahme eines durch die Vorbehandlung bewirkten verschie- denen Quellungsvermögens rechtfertigen. In gleichem Sinne, aber noch instruktiver, spricht der Versuch der Abb. 8, in der die CaÜl, Lösung nur 0,2% ist. Infolgedessen sind die Gewichtsunterschiede, die durch die Vorbehandlung in NaCl + CaCl, bzw. durch Rohrzucker + CaCl, hervorgerufen sind, noch größer, da in NaCl + CaCl, nur ein sehr geringer Gewichtsverlust eintritt (Abb. 8). Trotzdem ist die Quel- lung des Rohrzuckermuskels sogar noch etwas geringer als die des 1) Schwarz, Biochem. Zeitschr. 3%, 34. 1911. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 593 NaCl + CaCl,-Muskels. So kommt es, daß ersterer während 24 Stunden in 0,7 proz. NaCl-Lösung nicht einmal sein Anfangsgewicht erreicht, letzterer dagegen eine Gewichts- zunahme um fast 100 mg auf- weist. In gleichem Sinne sind auch die in Abb. 9 und 10 wiedergege- benen Versuche ausgefallen. Trotz der bedeutend größeren Gewichts- abnahme bei der Vorbehandlung in Rohrzucker + CaC], ist die Quel- lung in 0,7 proz. NaCl-Lösung fast völlig gleich. Weiterhin aber zeigt sich, daß die Quellung in Koch- salzlösung auch bei den mit dem gleichen Salzgemisch vorbehandel- ten Muskeln nicht zu dem gleichen Ergebnis führt, wenn wir das End- gewicht des Muskels mit seinem Anfangsgewicht vergleichen. Nach Vorbehandlung mit 0,4 proz. CaCl,- Lösung+ NaCl (A) bzw. + Rohr- zucker (B) innerhalb 16—24 Stun- den, gelingt es nicht durch Quel- lung in Kochsalzlösung das ur- sprüngliche Gewicht des Muskels zu erreichen. Verwendet man hin- La Al AL 20 024667012 M16 18 20 22 24" Abb. 8. Die Quellung des M. gastrocnemius (Rana esculenta) in 0,7 proz. Kochsalzlösung nach vorhergehender Einwirkung von NaCl 5,5 Rohrz. 47,0 CaCl; 23,0 h — und CaCl, 2,0 _ —- Aq.dest. 1000,0 Ag. dest. 1000,0 Die Einwirkungszeit des Caleiumgemisches beträgt 21 Stunden. gegen CaC], in 0,2 proz. Lösung, so wird in einem Teil der Versuche in der Kochsalzsölung eine stärkere Quellung, In) 600 2 ee INS | | 024688 Abb. 9. gemisches beträgt 18 Stunden. als zu Beginn des Ver- MG 400 390 1 In ELIIEN \ | Die Einwirkungszeit des Calcium- 1 zn ws 8 So r el —, 02468% Abb. 10. Bezeichnung wie in Abb. 9. suches bestand, erreicht (z.B. Abb. S und 9); in einem Teil der Ver- suche wird allerdings auch unter diesen Bedingungen das Anfangsgewicht 335 594 E. Abderhalden und E. Gellhorn: nicht erreicht (vgl. Abb. 10). Wir werden diese Verschiedenheiten zum Teil auf Permeabilitätsschwankungen beziehen können, die durch den Präparationsreiz veranlaßt werdent!), im wesentlichen wird man aber hier funktionelle Unterschiede zwischen den einzelnen Muskeln annehmen müssen ?). Aus den Versuchen geht unzweideutig hervor, daß der Wasserver- lust, den der Muskel durch Vorbehandlung mit verschiedenen Calcium- gemischen (NaCl + CaCl, und Rohrzucker + CaCl,) erlitten hat, nicht allein maßgebend für die Wasserbindungsfähigkeit des Muskels ist. Wahrscheinlich ist der Zustand der Kolloide auch in bestimmter Richtung verändert worden. In diesem Sinne müssen wohl auch die Versuche M. H. Fischers?) über die Muskelquellung aufgefaßt werden. Denn dieser fand z. B., daß, nachdem die Entquellung des M. gastro- cnemius in HCl + CaCl, während 114 Stunden zu einer Gewichts- abnahme von 32, 47%, geführt hatte, die Übertragung in Säure, bezogen auf das Anfangsgewicht des Muskels, nur eine sehr geringe Gewichts- zunahme bewirkt (2,59%). II. Analytische Untersuchungen über die Aufnahme von Calcium durch den quergestreiften Muskel unter verschiedenen Bedingungen. Gegenwärtig wird zumeist, besonders im Anschluß an die mehrfach erwähnten Overtonschen Untersuchungen, angenommen, daß der Muskel für Calcium, wenigstens nicht in zu hohen Konzentrationen, imper- meabel ist. Erst in Caleiumchloridlösungen von höherem Gehalt, z. B. in isotonischer Caleiumchloridlösung, soll Calcium in die Zellen eindringen und hierdurch irreversible Gewichtsabnahme des Muskels veranlassen. Wir hielten aber von vornherein die Annahme, daß Cal- cium von den Zellen, speziell also von der quergestreiften Muskulatur nicht aufgenommen wurde, für wenig wahrscheinlich, da wir ja die Bedeutung des Calciums für zahlreiche Zellfunktionen, insbesondere die Erregbarkeit, kennen und annehmen müssen, daß der Organismus bis zu einem gewissen Grade die Calciumaufnahme und damit auch die Erregbarkeit zu regulieren imstande ist. Um diese Anschauung aber auf die Richtigkeit zu prüfen, haben wir mittels einer von Kramer und Trsdall*) angegebenen Mikro-Caleciummethode eine große Anzahl von Bestimmungen ausgeführt, indem wir in der Flüssigkeit, in der der Muskel während des Versuches verbleibt, den Kalkgehalt zu verschie- denen Zeitpunkten bestimmten. !) Vel. hierzu die analogen Erfahrungen von E’mbden und Adler, Zeitschr. f. physiol. Chemie 118, 1. 1922. 2) Siehe weiter unten S. 599. >) M. H. Fischer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 124. 1908, spez. S. 95 u. 96. *) Kramer und Tisdall, Bull. of the Johns Hopkins horp. 3%, 44. 1921. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 595 Über die Aufnahme von Caleium durch tierische Gewebe und durch Gallerten liegen bereits eine Reihe von Untersuchungen vor. Besonders die eingehenden Untersuchungen von Pfaundler!) haben gezeigt, daß Calcium von Gallerten ebenso wie von Knochen, Muskel, Niere auf- genommen wird. Allerdings sind diese Befunde ganz anders zu bewerten als unsere eigenen Versuche. Die adsorptive Bindung von Calcium — als solche faßt auch Pfaundler die Bindung von Calcium durch Gal- lerten und die untersuchten tierischen Gewebe auf — wird an zerklei- nerter Muskulatur, Niere usw. nachgewiesen, kann also über die Auf- nahme von Calcium durch die genannten Gewebe während des Lebens, wenn die Struktur keinerlei Änderung erfahren hat, nichts besagen. Allerdings hat Pfaundler auch Versuche mitgeteilt, in denen er an Hunden und frischen menschlichen Leichen nach Beseitigung des Blutes durch isotonische Kochsalzlösung die hinteren Extremitäten mit einer 1/, normalen CaCl,-Lösung durchspülte, der Natriumacetat zur Her- stellung der Isotonie beigefügt war. Die Analyse des aus der Vena femoralis ausfließenden Blutes ergab nun ebenfalls eine Abnahme des Kalkgehaltes. Es ist also auf diese Weise die Aufnahme von Calcium durch das überlebende Gewebe nachgewiesen worden. Es scheint uns aber, daß dieses Experiment doch in mancher Hinsicht als unphysio- logisch bezeichnet werden muß und deshalb die Durchgängigkeit der Capillaren für Caleium unter natürlichen Verhältnissen noch nicht ausreichend bewiesen sein dürfte. Zwar fehlt in der Arbeit Pfaundlers eine Mitteilung über die Höhe des Druckes, unter dem die Durchspülungs- flüssigkeit stand; man braucht aber, um das Gefäßsystem völlig von Blutresten zu befreien, ziemlich hohe Drucke, und außerdem traten auch in diesen Versuchen, wie wir es ja auch aus zahlreichen Erfah- rungen mit langdauernder Durchspülung der hinteren Extremitäten des Frosches kennen, starke Ödeme auf. Auch die neueren Arbeiten von Freudenberg und György?) kommen für unsere Frage nicht in Be- tracht, da die Autoren die Kalkbindung an zerkleinertem oder getrock- netem Knorpel, zum Teil auch an Gehirnbrei untersuchten. Deshalb schien es uns notwendig, Versuche darüber anzustellen, ob aus lebendem Gewebe, dessen Struktur erhalten ist, eine Kalkaufnahme nachgewiesen und ob auf diese Weise eine Erklärung für die Caleium- wirkung gefunden werden kann. Wir beschränken uns in dieser ersten Mitteilung lediglich auf Ver- suche, die an der quergestreiften Muskulatur des Frosches ausgeführt wurden. Zur Verwendung kamen sowohl Rana temporaria wie escu- lenta (beide als Winter- und als Sommerfrösche). 1) Pfaundler, Jahrbuch für Kinderheilkunde. 60, 471. 1904. 2) Freudenberg und György, Bioch. Zeitschr. 110, 115, 121, 124. 1920/22. 596 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Nach Dekapitation werden die Frösche enthäutet und die hinteren Extremitäten von den Beckenknochen und -muskeln isoliert, wobei Verletzungen der Muskulatur sorgfältig vermieden werden. Jede Ex- tremität wird mit Filtrierpapier abgetrocknet, gewogen und dann in eine abgemessene Menge einer calciumhaltigen Flüssigkeit übertragen. Sämtliche Versuche werden bei Eisschranktemperatur ausgeführt. In bestimmten Zeitabständen wird 1 ccm Flüssigkeit entnommen und hierin genau nach den Vorschriften von Kramer und Tisdall der Kalkgehalt bestimmt. Es werden stets 1—2 Kontrollbestimmungen ausgeführt. Die Bestimmungen ergeben sehr gut miteinander übereinstimmende Werte. Die Differenz beträgt im allgemeinen bei Verwendung von 2/\ooö KMnO, nicht mehr als 0,05 cem. Durch Multiplikation der Zahl der verbrauchten Kubikzentimeter mit 0,2 ergibt sich die Calcium- menge in mg für 1 cem. Die Erregbarkeit wird in allen Versuchen durch die Bestimmung der Öffnungsschwelle am M. sartorius festgestellt. Nachdem wir in einer Reihe von Versuchen die Kalkbindung durch den lebenden Muskel nachgewiesen hatten, gingen wir zur Entscheidung der Frage über, ob entsprechend der stärker auftretenden Calcium- wirkung in Gegenwart von Rohrzucker (stärkere Gewichtsabnahme und Verkürzung des Muskels) im Vergleich zu NaCl + CaCl,-Gemischen auch die Calciumaufnahme im ersten Falle vermehrt sei. Zahlreiche Versuche bestätigen diese Annahme. Versuch Nr. 1. Rana tempor. Gewicht jeder Extremität 4,8 g. A. NaCl 5,5 B. Rohrzucker 47,0 CaCl, 2,0 7 20,0 ccm CaCl, 2,0 ? 20,0 ccm Ag. dest. 1000,0 | Ag. dest. 1000,0 Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches. A. 1. Versuchstag 4" nachm. Schwelle des M. sartorius bei 160 mm RA.!). 2 5 10R vorm. u hs ”z „4 .125,mmERA% 3: ei 10% vorm. x lee 5 . I02ZmmERA: B. 1. Versuchstag 4% nachm. FE PER > „ 140 mm RA. 2: 10h vorm. ss nur: >> “ s5 mm RA. 3% 10% vorm ; Au, n s0 mm RA. Der Gehalt der Flüssigkeit an Caleium. Es werden pro l ccm Flüssigkeit zur Titration "/,oo) KMnO, verbraucht: A 1. 3,85 ccm B. 1. 3,85 ccm 2. 3,39 ccm 2. 3,22 ccm 3. 3,12 ccm 3. 2,83 ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt an Calcium A. 1. 0,0%70% Calcium 100% B. 1. 0,0770% 100% 2. 0,06%8% Calcium 88% 2, 0,0644% 83,6% 3. 0,0624% Calcium 81% 3. 0,0566% 33,5% Versuch Nr. 1. Aus diesem Versuch geht klar hervor, daß die Schnelligkeit, mit der die Muskeln der Umgebungsflüssigkeit Calcium entziehen, und die Gesamt- 1) RA. = Rollenabstand. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 597 menge im Falle B (Rohrzucker) größer ist als bei Gegenwart von NaÜl (A). Inner- halb 18 Stunden hat sich bei A der Kalkgehalt um 12%, bei B um 16,4%, ver- mindert; nach weiteren 24 Stunden beträgt die Gesamtabnahme 19% (4) bzw. 26,5% (B). Besonderes Gewicht möchten wir in diesem wie auch in den folgenden Versuchen auf die Tatsache legen, daß während der 42stündigen Dauer des Ver- suches die Muskeln erregbar bleiben. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, ist die Abnahme der Erregbarkeit bei B stärker als bei A. Immerhin sind noch am Ende des Versuches alle Muskeln erregbar. Versuch Nr. 2. Rana temporaria. Gewicht jeder Extremität 6,8 g. A. NaCl 5, ; B. Rohrzucker 47, 0 CaCl, 2,0 20,0 ccm CaCl, 2,0 Ag. dest. 1000,0 Ag. dest. 1000,0 Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches: A. 1. Versuchstag 10% vorm. Schwelle des M. sartorius 150 mm RA. 2% Br 102725 en RER 5 120 mm RA. a S RS ” ar 5 120 mm RA. Be1 35 ORT 5, 4 Aınay ” 145 mm RA. 2 I 1023 7 EEE 2S 50 mm RA. 3% s 104 5 hs unerregbar; Öffnungs- zuckung der Zehenmnskulacun Ba 50 mm RA. Nach Überrasımg in 0,7 proz. NaCl- Use ist auch die übrige Muskulatur wieder erregbar g Beworden: (Öffnungs- schwelle für die Diner eher: 90 mm RA.) Der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium. Es werden pro 1 ccm Flüssigkeit zur Titration %/;oe KMnO, verbraucht: A. 1. 3,85 cem Bala:8Dreem 2. 3,50 cem 2, 3,13 cem 3. 2,90 ccm 3. 2,66 ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium A4122.0:0770502.10095 B. 1. 0,0770% 100% 240:070997.,90:9% 2. 0,0626% 81,2% 3. .0,058% 73,3% 3. 0,0532% 69,1% Versuch Nr. 2. An dem Versuche Nr. 2, der in entsprechender Weise aus- geführt wurde, zeigt sich bei einer Gesamtdauer des Versuches von 48 Stunden, daß die Erregbarkeit der Rohrzuckermuskeln noch beträchtlich stärker sinkt als in dem ersten Versuche. Der M. sartorius ist sogar vollständig unerregbar ge- worden. Da aber auch in diesem Versuche die Erregbarkeit durch Übertragung in NaCl-Lösung wiederhergestellt werden konnte, so stehen der Verwendung der Caleciumanalysen keine Bedenken entgegen. Die Aufnahme von Calcium in A und B zeigt die gleichen Unterschiede wie Versuch 1. Absolut genommen ist aber die aufgenommene Menge noch größer; denn am dritten Versuchstage hat die Flüssigkeit bei A um 24,7 und bei B um 30,9%, abgenommen. Berücksichtigt man aber, daß in diesem Versuche die Muskulatur Schwere als in Versuch Nr. 1 ist, so erhält man bei Berechnung der Ca-Aufnahme pro Gramm Muskulatur ziemlich gut miteinander übereinstimmende Zahlen. Eine Reihe von Bestimmungen ergaben, daß das Gewicht der Knochen der hinteren Extremität etwa 20%, des Gewichtes von Knochen und Muskulatur beträgt. Bringt man diese 20%, in Abzug, so ergibt sich, daß in Versuch 1 (A) 0,76 mg Ca, in Versuch 2 (A) 0,69 mg Ca, in Versuch 4 (A) 0,69 mg Ca pro g aufgenommen ist. Die 3 Versuche sind an Ran. tempo- raria (frisch gefangene Frösche) im Mai angestellt worden. Die weiteren Versuche zeigen, daß von einer konstanten Größe der Kalkaufnahme nicht gesprochen werden kann; vielmehr scheinen Artdifferenzen und Saisonunterschiede von großem Einfluß zu sein. 598 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Versuch Nr. 3. Rana esculenta 5. Gewicht einer Extremität 4,6 ge. A. NaCl 4,0 B. Rohrzucker 34,0 CaCl, 4,0 ? 20,0 ccm CaCl, 4,0 * 20,0 ccm Ag. 1000,0 J Ag. 1000,0 J Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches: A. 1. Versuchstag 9" 30° vorm. Schwelle des M. sartorius 300 mm RA. 2 > 9h 30° 55 ;5 FR 2% 120 mm RA. BER A 9h 30’ = “ En 2a 3 330 mm RA. 2 9h 30’ ” a5 ss 55 140 mm RA. Der Gehalt der Flüssigkeit am Calcium. Es werden pro 1 cem Flüssigkeit zur Titration ®/;oo KMnO, verbraucht: A. 1. 7,84 ccm B. 1. 7,34 cem 2. 6,79 ccm 2. 6,39 ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Caleium: A. 1. 0,1568 %Caleium 100% B. 1. 0,1568% Calcium 100% 2. 0,1358%, Calcium 86,6% 2. 0,1278%, Calcium 81,5% Versuch Nr. 3. An diesem Versuch, der an Rana esculenta ausgeführt ist, tritt bei einer Versuchsdauer von 24 Stunden ebenfalls die stärkere Calcium- aufnahme durch den Rohrzuckermuskel ein. Bemerkenswert erscheint der Um- stand, daß die spezifische Rohrzuckerwirkung auch dann beobachtet wird, wenn, wie in diesem Falle, die Kurve der Erregbarkeit noch keine stärkere Senkung im Vergleich zu dem NaCl + CaCl,-Versuche zeigt. Es interessierte uns nun die weitere Frage, in welchem Grade die Calcium- aufnahme von der Konzentration des Calciums in der Lösung abhängt, wenn sonst alle Bedingungen ganz gleich gehalten werden. Versuch Nr. 4. Rana temporaria 5. Gewicht jeder Extremität 5,1 g. A. NaCl 5,5 | B. NaCl 4,0 CaCl, 2,0 ? 20,0 ccm CaCl, 4,0 2 20,0 ccm Ag. dest. 1000,0 Aq. dest. 1000,0 Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches: A. 1. Versuchstag 9% 30’ vorm. Schwelle des M. sartorius 180 mm RA. 2. E 9h 30’ 2 a R 120 mm RA. 3: S ORS04F IE Be ae N 110 mm RA. B. 1. O0 2 es = 150 mm RA. 2: ORS0 DE: j TEEN PR 130 mm RA. 3 } a 90 ss N, a 150 mm RA. Der Gehalt der Flüssigkeit an Caleium. Es werden pro 1 ccm Flüssigkeit zur Titration %/joo KMnO, verbraucht: A. 1. 3,85 ccm Berl 752° 6cm 2. 3,67 ccm 2. 6,95 cem 3. 3,14 ccm 3. 6,27 ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium: A. 1. 0,077% 100% B. 1. 0,1504% 100% 2. 0,0734% 95,1% 2. 0,1390% 92,4% 3. 0,0628%, 81,5% 3. 0,1254%, 83,3% Versuch Nr. 4. Hierüber gibt Versuch 4 Auskunft. Die Erregbarkeitskurve zeigt in diesem Versuche sogar bei stärkerer Konzentration (B) des Calciums (0,4%) innerhalb 48 Stunden einen geringeren Abfall als in 0,2 proz. Ca-Lösung (A), was natürlich als rein zufällig bewertet werden muß. Jedenfalls zeigen sich bei Verwendung von NaCl -- CaCl,-Gemischen, in denen die Konzentration des Caleiums zwischen 0,2 und 0,4% schwankt, im allgemeinen nur ziemlich geringe Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 599 Unterschiede hinsichtlich der Muskelerregbarkeit. Betrachtet man die Prozent- zahlen, die die relative Caleiumaufnahme durch den Muskel angeben, so erkennt man, daß die Flüssigkeit etwa die gleiche relative Menge an Calcium in dem Ver- suche A und B verloren hat. Mit anderen Worten: Nimmt der Calciumgehalt der Nährflüssigkeit von 0,2 auf 0,4%, zu, so wird von der Muskulatur auch fast die doppelte Menge an Calcium aufgenommen. Eine Reihe weiterer Versuche wurde zur Entscheidung des Einflusses von Kaliumchlorid auf die Aufnahme von Calcium durch den Muskel angestellt. Es sollte dadurch entschieden werden, ob mit dem Sinken der Erregbarkeit stets eine größere Permeabilität für Calcium einher- geht. Wir kennen bereits aus einer großen Zahl von Untersuchungen die Bedeutung des funktionellen Zustandes der Zelle für die Permea- bilität. Nun kann auch die Erregbarkeit u. a. als ein Kriterium dieses Zustandes angesehen werden und, es ist von vornherein denkbar, daß mit der gleichsinnigen Beeinflussung der Erregbarkeit durch verschie- dene Agenzien auch die Permeabilität, gemessen an der Aufnahme von Calcium durch den Muskel, entsprechende Veränderungen zeigen würde. So hat z. B. die Zustandsänderung des Gewebes durch den Über- gang aus Ruhe in Tätigkeit das Auftreten des Aktionsstromes im Muskel zur Folge, der nach Bernstein!) und Hoeber?) durch Vermehrung der Ionenpermeabilität gedeutet werden kann, und neuere Untersuchun- gen von Embden und Adler?) konnten ebenfalls durch Feststellung der Vermehrung der Phosphorsäureausscheidung des tätigen im Vergleich zum ruhenden Muskel einen Beweis für die Erhöhung der Permeabilität infolge der Tätigkeit erbringen. In diesem Sinne sprechen auch die Versuche von Güldemeister*) und Schwarz?) über den psychogalvanischen Reflex, der als die Folge der erhöhten Permeabilität der Schweißdrüsen aufgefaßt wird. Unsere Untersuchungen konnten nun den einwandfreien Beweis erbringen, daß, obwohl die Erregbarkeit bei Zusatz von KCl zu einem Gemisch von NaCl + CaCl, ebenso herabgesetzt wird im Vergleich zu der Größe der Erregbarkeit in NaCl + CaCl,-Lösungen wie in Rohr- zucker + CaCl,, dennoch bezüglich der Caleciumaufnahme prinzipielle Unterschiede vorliegen dürften. Während nämlich, wie bisher geschil- dert, in Rohrzucker + CaCl,-Gemischen stets eine deutlich erhöhte Calciumaufnahme stattfindet, lassen sich keine Unterschiede hinsicht- lich der Aufnahme von Calcium durch die Muskulatur nachweisen, !) J. Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. 2) Hoeber, Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe. 4. Aufl. Leipzig und Berlin 1914, S. 441 und Kap. 12. ?) Embden und Adler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 1. 1922. *) Gildemeister, Münch. med. Wochenschr. 1913, S. 2389. ®) A. Schwartz, Zentralbl. f. Physiol. 27, 734. 1913. 600 E. Abderhalden und E. Gellhorn: wenn zu NaCl + CaCl,-Gemischen Kaliumchlorid zugesetzt wird oder nicht. Ein Schematismus, der die Permeabilität in direkte Abhängigkeit von der Erregbarkeit bringen möchte, ist also in keiner Weise gerecht- fertigt. Übrigens weisen auch die oben angeführten Versuche über das Verhalten des Muskelgewichtes auf die Verschiedenheit in der Wirkung beider Lösungen hin. Bei unseren Versuchen gingen wir so vor, daß zu 15 ccm des NaCl + CaCl,-Gemisches 5 cem "/, NaCl bzw. KCl hinzugefügt wurden. Es konnte so, ohne daß der osmotische Druck der Lösung geändert wurde, die Wirkung von Kaliumchlorid auf die Permeabilität deutlich fest- gestellt werden. In dem Versuch Nr. 5, in dem CaCl, in 0,4 proz. Lösung verwendet wird, zeigt sich ein sehr starkes Sinken der Erregbarkeit in Gegenwart von Kaliumchlorid. Versuch Nr. 5. Rana esculenta 5. Gewicht jeder Extremität 7,5 g. A. NaCl 4,0 B. NaCl 4,0 CaCl, 4,0 | 15,0 cem CaCl, 4,0 15,0 cem Ag. 1000,0 Ag. 1000,0 NaCl 2), 5,0 ccm KCl %/, 5,0 cem Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches: A. 1. Versuchstag 10% vorm. Schwelle des M. sartorius 340 mm RA. 2. Versuchstag 10% vorm. Schwelle des M. sartorius 130 mm RA. 3. Versuchstag 10" vorm. M. sartorius unerregbar. Zehenmuskulatur erregbar bei 0 mm RA. B. 1. Versuchstag 10% vorm. Schwelle des M. sartorius 370 mm RA. 2. Versuchstag 10% vorm. M. sartorius unerregbar. Zehenmuskulatur bei 0 mm RA. erregbar. 3. Versuchstag 10" vorm. M. sartorius unerregbar. Zehenmuskulatur ebenfalls unerregbar. Der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium. Es werden pro 1 cem Flüssigkeit zur Titration %/,oo KMnO, verbraucht: A. 1. 5,83 ccm B. 1, 5,76 ccm 2. 3,96 ccm 2. 3,80 cem 3. 2,85 cem 3. 2,7& ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium: A. 1. 0,1166950°210055 B. 1. 0,1152% 100% 2..0.079295 7 7.67,995 2. 0,0760% 65,9% 3. 0,0570% 48,8% 3. 0,0548% 47,5% Versuch Nr. 5. Bereits nach 24 Stunden ist der M. sartorius völlig unerregbar, und sogar die Zehenmuskulatur, die am längsten erregbar bleibt, gibt erst bei 0 mm Rollenabstand schwache Zuckungen. Im Kontrollversuch ist hingegen auch der Sartorius noch gut erregbar. Nach weiteren 24 Stunden sind bei Gegen- wart von KCl sämtliche Muskeln unerregbar geworden, während im Versuche A die Zehenmuskulatur noch auf Reize anspricht. Der Unterschied hinsichtlich der muskulären Erregbarkeit ist also ein sehr bedeutender. Man kann sagen, daß die Erregbarkeit im Versuch B (KCl) in 24 Stunden so tief gesunken ist wie im Versuch A nach 48 Stunden. Betrachten wir nunmehr das Ergebnis der Calciumbestimmungen, so erkennen wir, daß keine sicheren Unterschiede zwischen A und B vorhanden sind. Beträgt doch die Differenz zwischen A und B, wenn wir die relativen Veränderungen des Calciumgehaltes der Flüssigkeit berücksich- Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 601 tigen, am 2. Versuchstage 2% und am 3. sogar nur 1%. Hingegen betragen die entsprechenden Differenzen zwischen der Calciumaufnahme durch Rohrzucker- bzw. NaCl-Muskeln (vgl. Versuch 1—3) am 2. Versuchstage: 4,4%, (Versuch 1); 9,7% (Versuch 2); 5,1% (Versuch 3); am 3. Versuchstage 7,5% (Versuch 1), 6,2% (Versuch 2). Interessant ist weiter an diesem Versuche der außerordentlich hohe Betrag der Calciumaufnahme. Die bisher vorwiegend an Rana temporaria angeführten Versuche ergaben bei gleichem Calciumgehalt wesentlich geringere Werte. Auch in Versuchen, die an Winterfröschen von Rana esculenta ausgeführt wurden, war die Calciumaufnahme geringer. Wir können zunächst keine sicheren Ursachen für das unter- schiedliche Verhalten der gleichen Art zu verschiedenen Jahreszeiten und für die Artdifferenzen zwischen Rana esculenta und temporaria verantwortlich machen. Mit Rücksicht aber auf die Zusammenhänge, die zwischen Funktion und Permeabilität bestehen, sind natürlich Unter- schiede zwischen frisch gefangenen und in der Gefangenschaft über- winterten Tieren sehr wohl verständlich. Es wird aber auch hier noch zu untersuchen sein, ob nicht auch die quantitativen Verschieden- heiten in der Tätigkeit der Drüsen mit innerer Sekretion, die im Ver- laufe des Jahres auftreten — so hat z. B. Kori!) kürzlich die fehlende Vaguswirkung an Sommerfröschen mit der Inkretion der Schilddrüse in ursächlichen Zusammenhang bringen können — den Permeabili- tätsgrad direkt beeinflussen. In dieser Richtung hat 4. Lange?) durch die Bestimmung der Phosphoresäureausscheidung des Muskels in Gegenwart von Adrenalin die hemmende Wirkung dieses Inkretes auf die Permeabilität des Muskels dartun können. Versuch Nr. 6. Rana esculenta 5. Gewicht jeder Extremität 7 g. A. NaCl 4,0 B. NaCl 4,0 CaCl, 4,0 15,0 CaCl, 4,0 15,0 Ag. 1000,0 Aq. 1000,0 NaCl 2/, 5,0 Kell n/, 5,0 Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches : 1. Versuchstag 11% vorm. Schwelle des M. sartorius bei 300 mm RA. 2. Versuchstag 9% vorm. Schwelle des M. sartorius bei 90 mm RA. 3. Versuchstag 9% vorm. M. sartorius sowie die übrige Muskulatur unerregbar. 1. Versuchstag 11% vorm. Schwelle des M. sartorius bei 300 mm RA. 2. Versuchsreihe 9% vorm. M. sartorius unerregbar. Schwelle des M. tibialis ant. bei 90 mm RA. 3. Versuchstag 9" vorm. Die gesamte Muskulatur unerregbar. Der Gehalt Bar Flüssigkeit an Caleium. Es werden pro 1 ccm Flüssigkeit zur Titration "/,oo KMnO, verbraucht: A. 1. 5,30 cem B. 1. 5,80 ccm 2. 4,36 cem 2. 444 ccm 3. 3,57 cem 3. 3,57 ccm !) Kori, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 91, 130. 1921. ®) H. Lange, Zeitschr. f. physiol. Chem. 120, 249. 1922 602 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium: A. 1. 0,1160%, 100% B. 1. 0,1160%, 100% 2. 0,0872%, 75,1% 2, 0,0888%, 76,5% 3. 0,0714% 61,5% 3. 0,0714%, 61,5% Versuch Nr. 6. Dieser Versuch wurde unter den gleichen Bedingungen wie Versuch Nr. 5 ausgeführt. Auch hier bewirkt wiederum Kaliumchlorid eine stärkere Herabsetzung der Erregbarkeit. Nach 48 Stunden ist die Muskulatur in A und B unerregbar geworden. Die Übertragung in 0,7%, NaCl-Lösung zeigt jedoch, daß diese Lähmung reversibel ist. Betrachten wir nunmehr die auf titrimetrischem Wege ermittelten Zahlen über die Aufnahme von Calcium, so ergeben sich auch in diesem Versuche nahezu oder völlig identische Zahlen für A und B. Die Zugabe von Kaliumchlorid hat also keinen Einfluß auf die Permeabilität. Versuch Nr. 7. Rana esculenta 5. Gewicht jeder Extremität 6,5 g. A. NaCl 5,5 B. NaCl 5,5 CaCl, 2,0 15,0 ccm CaCl, 2,0 15,0 ccm Aq. 1000,0 Aq. 1000,0 NaCl "/, 5,0 ccm KCl %/; 5,0 ccm Das Verhalten der Erregbarkeit während des Versuches. A. 1. Versuchstag 9h 30° vorm. Schwelle des M sartorius 240 mm RA. . Versuchstag 9" 30° vorm. Schwelle des M. sartorius 120 mm RA. . Versuchstag 9" 30° vorm. Schwelle des M. sartorius 270 mm RA. . Versuchstag 9h 30° vorm. Sämtliche Muskeln unerregbar. Der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium. Es werden pro 1 ccm Flüssigkeit zur Titration ”/,oo KMnO, verbraucht: B. DemN A. 1. 2,95 ccm B. 1. 2,97 ccm 2. 2,14 ccm 2. 2,26 ccm Hieraus berechnet sich der Gehalt an Calcium: A. 1. 0,0590% Calcium 100% B. 1. 0,0594% Calcium 100% 2. 0,0428%, Calcium 72,5% 2. 0,0452%, Calcium 76,0% Versuch Nr. 7. In diesem Versuche wird Calciumchlorid nur in 0,2 proz. Lösung angewendet und in A mit NaCl, in B mit KCl versetzt. Das Verhalten der Erregbarkeit entspricht den früheren Versuchen. Bezüglich der Caleciumaufnahme ergibt sich hier sogar eine geringe Hemmung durch KCl. Auch Vogel!) hat in seinen Versuchen über die Kalilähmung gelegentlich eine Herabsetzung der Per- meabilität konstatiert, die in einer Verminderung der ausgeschiedenen Phosphor- säuremenge zum Ausdruck kommt. Wir möchten aber auf die nur geringe Differenz hinsichtlich der Calciumaufnahme in A und B bei dem Versuch 7 keinen beson- deren Wert legen, da in der Mehrzahl der Fälle nahezu völlige Gleichheit in der Per- meabilität der Muskeln besteht, wenn zu einer CaCl,-Läsung nur NaCl oder NaCl + KCl hinzugefügt wird. In den bisher geschilderten Versuchen konnte unter bestimmten Bedingungen durch maßanalytische Bestimmung des Calciums in der Außenflüssigkeit der Nachweis für die Permeabilität des Muskels für Calcium erbracht und die Bedeutung bestimmter äußerer Faktoren für die Größe der Calciumaufnahme dargetan werden. Wir suchten dabei die physiologischen Verhältnisse insofern zu wahren, als nur an strukturell intakten und erregbaren Muskeln gearbeitet wurde. Wenn die Erregbarkeit der Muskeln im Verlaufe des Versuches schwand, 1) Vogel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 50. 1922. Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 603 so daß bei 0 mm Rollenabstand keine Zuckungen ausgelöst werden konnten, so wurde durch die Übertragung der Muskeln in 0,7 proz. NaCl-Lösung die Reversibilität der Lähmung bewiesen. Es fragte sich nun, ob auch die Caleiumaufnahme durch den Muskel reversibel ist. Versuch Nr. 8. Rana esculenta 5. Beide hintere Extremitäten des Frosches werden nach der Enthäutung für 10 Stunden (1. Versuchstag vorm. bis 6% abends) in 50 ccm NaCl 5,5 gelegt. Das CaCl, 2,0 Aq. 1000,0 Gewicht der Extremitäten beträgt 16,0 g. Die Öffnungsschwelle des M. sartorius beträgt 135 mm RA. um 6h abends des 1. Versuchstages. Darauf Übertragen des Muskels nach mehrfacher sorgfältiger Abspülung mit 0,7 proz. NaCl-Lösung in 50 ccm 0,7 proz. NaCl. Am 2. Versuchstag 9% morgens Schwelle des M. sartorius bei 120 mm RA. Zur Titration des Calciumgehaltes von 1 cem Flüss’gkeit wird verbraucht 2/00 KMnO, 0,94 ccm. Daraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium zu 0,0188% und als die gesamte abgegebene Caleiummenge 9,4 mg. 10h vormittags werden die Muskeln abermals in 50 cem von NaCl 5,5 übertragen. CaCl, 2,0 Aq. 1000,0 2" nachmittags ist Calcium entsprechend 0,23 KMnO, pro cem., 6" nach- mittags ist Calcium entsprechend 0,50 KMnO, pro cem aufgenommen worden. . Hieraus berechnet sich eine Ca-Aufnahme von 2,3 mg Ca um 2" nachmittags und 5,0 mg Ca um 6" nachmittags. Versuch Nr. 8. Hierfür konnte durch Versuch 8 ein positiver Beweis erbracht werden. Das Verweilen der Muskulatur während 10 Stunden in einer NaCl + CaCl;- Lösung genügt, um nach der Übertragung in Kochsalzlösung eine recht erhebliche Calciummenge (9,4 mg) an diese abzugeben. Die Erregbarkeit des Muskels ist während dieses Versuches nahezu unverändert. Nunmehr wird der Muskel aber- mals in die calciumhaltige Lösung übertragen. Bereits nach 4 Stunden läßt sich eine deutliche Caleiumaufnahme nachweisen. Die aufgenommene Calciummenge beträgt nach 8 Stunden insgesamt 5 mg Ca. Man sieht also, daß die Reversibilität der Calciumaufnahme durch mehrfaches Wechseln calciumfreier mit calcium- haltiger Flüssigkeit an dem gleichen Muskel gezeigt werden kann. Endlich untersuchten wir noch die Frage, wie lange ein Muskel in einer calcium- haltigen Flüssigkeit liegen muß, bis die Caleciumaufnahme maßanalytisch bestimmt werden kann. Wir haben in den meisten Fällen in Abständen von 16—24 Stunden die Calciumaufnahme festgestellt, weil wir zufällig mit Temporarien und Winter- esculenten begannen, die hinsichtlich ihrer Permeabilität hinter frisch gefangenen Sommeresculenten zurückstehen. Verwendet man aber letztere zu den Permea- bilitätsversuchen, so gelingt es, innerhalb sehr viel kürzerer Zeiten, die Calcium- aufnahme nachzuweisen. Versuch Nr. 9 Rana esculenta 5. Das Gewicht der Extremität ist 6,7 g. NaCl 5,5 CaCl, 2,0 |100 ccm Ag. dest. 1000,0 Zur Titration von 1 cem Flüssigkeit wird ®/,,, KMnO, verbraucht. 1. sofort: 3,95 ccm, 2. nach 3 Stunden: 3,29 cem, 3. nach 24 Stunden: 2,56 ccm. 604 E. Abderhalden und E. Gellhorn: Hieraus berechnet sich der Gehalt der Flüssigkeit an Calcium: 1. 0,0790% 100% 2. 0,0658% 83% 3. 0,0512% 64,8%: Die absolute Menge des aufgenommenen Calciums beträgt nach 3 Stunden: 1,3 mg Ca, nach 24 Stunden: 2,8 mg Ca. Pro g Muskel erhält man nach 3 Stunden eine Calciumaufnahme von 0,24 mg Ca, nach 24 Stunden: von 0,518 mg Ca. Versuch Nr. 9. Dieser Versuch zeigt, daß bereits innerhalb 3 Stunden Calcium in nachweisbarer Menge durch den Muskel aufgenommen wird. Man geht hier natürlich von einer möglichst geringen Flüssigkeitsmenge aus, um die Calcium- aufnahme titrimetrisch nachweisen zu können. Wir haben dann diese Versuche noch weiter fortgesetzt und fanden, daß bereits nach 1'/, Stunden die Calcium- aufnahme nachweisbar ist, zu einer Zeit also, in der der Muskel bei Verwendung von NaCl 5,5 als Nährflüssigkeit weder Veränderungen der Erregbarkeit noch CaCl, 2,0 Ag. dest. 1000,0 des Gewichtes erkennen läßt. Die Menge des aufgenommenen Calciums in Ab- hängigkeit von der Dauer des Versuches ist aus Versuch Nr. 10 ersichtlich. Versuch Nr. 10. Rana esculenta 5. Gewicht der Extremität 4,9 oe. NaCl 5,5 CaCl, 2,0 12,0 ccm Agq. dest. 1000,0 Zur Titration pro ccm Flüssigkeit wird ”/,oo KMnO, verbraucht: 1. sofort nach Einlegen der Extremität: 3,92 cem, 2. nach 45 Minuten: 3,89 ccm, 3. nach 90 Minuten: 3,54 cem. Hieraus berechnet sich der Gehalt an Caleium: 1. 0,0784% 100% 2.10.0218900.99295; 3. 0,070895.91,59: Da zu der 1. und 2. Bestimmung je 2 cem Flüssigkeit zur Titration verwendet wurden, befand sich die Extremität zum Zeitpunkt der 3. Bestimmung in 8 cem Flüssigkeit. Daraus berechnet sich eine Gesamtaufnahme von 0,56 mg Calcium. Versuch Nr. 10. Man erkennt, daß nach °/,stündigem Verweilen des Muskels der Caleiumgehalt der Nährflüssigkeit völlig unverändert geblieben ist. Nach 1!/, Stunden läßt sich zeigen, daß 0,56 mg durch die Muskulatur aufgenommen ist. In den vorstehend beschriebenen Versuchen wurde bisher ohne weiteres angenommen, daß Calcium durch die Muskulatur aufgenommen wird. Da aber in den meisten Versuchen über die Calciumaufnahme eine ganze hintere Extremität in die Nährflüssigkeit eingelegt wurde, so war es auch denkbar, daß Calcium ganz oder teilweise durch die Knochen und Knorpel der Extremität gebunden würde. Besondere Versuche zeigten aber, daß es bei Verwendung großer Esculenten auch am M. gastrocnemius gelingt, die Calciumaufnahme innerhalb 24 Stunden nachzuweisen. Für kürzere Zeiten (3 Stunden) gelingt dies nicht, offenbar deshalb, weil die Caleciumaufnahme in so kurzen Zeit- räumen zu gering ist, um analytisch nachweisbar zu werden. Außer- Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 605 dem aber haben wir noch Versuche angestellt, ob durch die Knochen der hinteren Ertremität des Frosches nach Entfernung der gesamten Muskulatur eine Aufnahme von Calcium erfolgt. Es zeigte sich nun, daß in einem Parallelversuche, in dem die mit Muskulatur versehene Extremität eine deutliche Calciumaufnahme nach 3 Stunden erkennen läßt, die Knochen der anderen Extremität des Frosches diese völlig vermissen lassen. Weitere Versuche, in denen die Knochen mehr als 24 Stunden in der Nährflüssigkeit belassen wurden, zeigten eine so geringe Caleciumaufnahme, daß sie mit Rücksicht auf die Fehlergrenzen der Methodik als zweifelhaft angesehen werden muß. Diese Versuche führen deshalb zu dem Schlusse, daß, wenn überhaupt unter den ge- wählten Versuchsbedingungen eine Aufnahme von Calcium durch die Knochen der Extremität erfolgt, diese so gering ist, daß sie vernach- lässigt werden darf. Vergleichen wir unsere Versuchsergebnisse bezüglich des Einflusses von Rohrzucker und Kaliumchlorid auf die durch die Aufnahme von Calciumchlorid gemessene Permeabilität des quergestreiften Muskels mit den Untersuchungen von Embden und Adler!) und Hans Vogel?), die als Gradmesser der Permeabilität die Phosphorsäureausscheidung benutzten, so zeigt sich eine sehr bemerkenswerte Übereinstimmung. Mittels beider Methoden konnte der Nachweis erbracht werden, daß durch Rohrzucker eine bedeutende Steigerung der Permeabilität her- vorgerufen wird, während Kaliumchlorid die für die Durchlässigkeit maßgebenden Muskelgrenzschichten nicht zu beeinflussen scheint und infolgedessen auch keine Änderung der Permeabilität herbeiführt. Diese Auffassung hat bereits Vogel durch weitere Versuche stützen können, in dem er in Übereinstimmung mit den Anschauungen Siebecks®) in der in Ringerlösung außerordentlich langsam eintretenden Entlähmung des Muskels nach vorhergehender Einwirkung von Kaliumchlorid den Be- weis sieht, daß im Gegensatz zu Rohrzucker die Wirkung von Kalium- chlorid durch Eindringen in die Muskelfibrillen selbst zustande kommt. Diese Versuche werden wir auch zu berücksichtigen haben, wenn es nunmehr gilt, sich eine Vorstellung über die Aufnahme von Cal- cium zu bilden. Die Tatsache, daß aus den gewichtsanalytischen Ver- suchen Overtons*), die wir vollständig bestätigen konnten, die Im- permeabilität des Muskels für Calcium in niedrigen Konzentra- tionen wenigstens innerhalb der ersten Stunden des Versuches gefolgert werden muß, kann mit dem auf maßanalytischen Wege er- brachten Nachweis der Caleiumaufnahme durch den Muskel nur !) Embden und Adler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 1. 1922. ®) Hans Vogel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 118, 50. 1922. ?) Siebeck, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 150, 316. 1913. *) Overton, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 105, 176. 1904. 606 E. Abderhalden und E. Gellhom: dadurch in Einklang gebracht werden, daß eine Bindung des Calciums durch die Muskelgrenzschichten angenommen wird. Betont sei, daß ja eine Caleiumbindung schon zu einer Zeit nachgewiesen werden konnte, in der Veränderungen der Erregbarkeit und des Muskelgewichtes noch völlig fehlten (vgl. Versuch Nr. 9 und 10.) Die Bindung in den Muskelgrenzschichten macht es auch verständlich, daß die Größe der Calciumbindung durch Veränderung des Zustandes der Muskelgrenz- schichten beeinflußt wird. Eine derartige Änderung — man hätte wohl in erster Linie an eine Dispersitätsvermehrung der Kolloide in den Grenzschichten des Muskels zu denken — muß durch Rohrzucker herbeigeführt werden und äußert sich in der erhöhten Caleciumbindung durch den Muskel. Unter den gewählten Bedingungen fehlt diese Wirkung bei Kaliumchlorid. Deshalb ist die Bindung von Calcium in Gegenwart von Kalium trotz der besprochenen Änderung der Erreg- barkeit des Muskels die gleiche wie in Gegenwart von Natriumchlorid. Ob die Bindung des Calciums, wofür manches spricht, als eine Adsorp- tion aufgefaßt werden muß, möchten wir vorerst noch nicht entschei- den. Hier werden weitere, zum Teil schon in Angriff genommene Unter- suchungen klärend wirken, in denen auch die Aufnahme der übrigen in der Nährflüssigkeit vorhandenen Ionen analytisch untersucht werden wird. Vielleicht werden derartige auch auf andere Ionen ausgedehnte Untersuchungen geeignet sein, unsere Vorstellungen über die Wirkung der Salze zu vertiefen und zu einem weiteren Ausbau einer kolloid- chemischen Theorie der Salzwirkung beizutragen, die Hoeber!) auf die an den verschiedensten Substraten nachgewiesene Gültigkeit der Über- gangsreihen?) stützen konnte. Zusammenfassung. 1. Fügt man zu einer 0,2—0,4 proz. CaCl,-Lösung NaCl, MgCl, oder Rohrzucker hinzu, so daß Isotonie mit 0,7 proz. NaCl-Lösung her- gestellt wird, so zeigt der M. gastrocnemius des Frosches die stärkste Entquellung in Rohrzucker + CaCl,, die geringste in MgCl, + CaC],, während NaCl + CaCl, eine Mittelstellung einnimmt. In MsCl, + Cal], wird bei relativ geringem CaCl,-Gehalt (0,2—0,3%) sogar eine bedeu- tende Gewichtszunahme beobachtet. Das relative Verhältnis der Wasseraufnahme durch den Muskel in den drei Lösungen bleibt aber immer bestehen. Die Erregbarkeit schwindet bei gleichem Gehalt an 1) Hoeber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 4. Aufl. Leipzig und Berlin 1914, spez. Kap. 10 u. 11. ?) Vgl. hierzu die Arbeiten von Hoeber (Hämolyse), Overton und Schwarz (Muskelerregbarkeit), Hoeber (Muskelströme), Weinland, Lillie, Hoeber (Flimmer- bewegung), Gellhorn (Spermatozoen), Mathews, Grützner, Brodsky (Nerv). (Literatur bei Hoeber ]. c.) Beiträge zur allgemeinen Zellphysiologie. 607 CaCl, am schnellsten in Rohrzucker + CaCl, und am langsamsten in MsCl, + CaCl],, wenn auch anfangs die Erregbarkeitskurve in MgCl, + CaCl, schneller als in NaCl + CaC], sinkt. 2. Die mittels der Methode von Kramer und Tisdall ausgeführte Caleciumbestimmung der Flüssigkeit, in die eine hintere Extremität des Frosches nach Enthäutung gelegt wird, ergibt, daß die Calcium- aufnahme durch die Muskulatur aus Rohrzucker + CaCl, in bedeutend stärkerem Maße erfolgt als aus einer Lösung von NaCl + CaCl,. 3. Wird zu NaCl + CaCl, Kaliumchlorid in einer Menge hinzu- gefügt, die bereits die Muskelerregbarkeit in deutlichem Maße herab- setzt, so wird dennoch keine quantitative Änderung in der Caleium- aufnahme durch den Muskel herbeigeführt. 4. Es wird in Übereinstimmung mit Embden und Adler angenommen, daß die Vermehrung der Permeabilität durch Rohrzucker in einer Änderung des Zustandes der Kolloide in den Muskelgrenzschichten begründet ist. Von diesen wird auch Calcium gebunden. Da Kalium- chlorid unter den erwähnten Bedingungen in die Muskelzellen eintritt, ohne die Grenzschichten zu beeinflussen, so wird auch die Permeabili- tät für Calcium nicht geändert. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 40 Das Verhalten des Herzstreifenpräparates (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. Mitteilung. Versuehe über den Einfluß von |-, d- und d-l-Adrenalin auf den sehlagenden und nichtsehlagenden Herzstreifen. Von Emil Abderhalden und Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle.) Mit 27 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. August 1922. Es ist bekannt, daß die optischen Komponenten des Adrenalins nicht gleich wirksam sind !). Versuche über den Einfluß von l- und d-Adrenalin auf die Pupillenweite, den Blutdruck und das Verhalten der Körpertemperatur ergaben, daß die in der Natur nicht vorkommende optische Form, nämlich das d-Adrenalin, entweder ganz unwirksam oder aber doch viel weniger wirksam ist als l-Adrenalin. Es schien uns von Interesse, an weiteren Beispielen das unterschiedliche Ver- halten der beiden optischen Formen des Adrenalins und seiner Racem- form zu prüfen. Es genügt selbstverständlich nicht, festzustellen, daß Unterschiede vorhanden sind. Es liegt in unserem Versuchungsplan, festzustellen, worauf das verschiedene Verhalten beruht. Der Möglich- keiten sind mehrere. Man kann zunächst an rein chemische Beziehungen zwischen der Konfiguration des Adrenalins und dem Substrat, auf das es wirkt, denken. Es mehren sich die Beispiele, aus denen hervor- geht, daß Nervenimpulse nicht direkt auf das Erfolgsorgan einwirken, sondern in irgendeiner Weise wirksame Stoffe bereitstellen, die nun ihrerseits den Erfolg, sei es nun eine Muskeltätigkeit oder Sekretion bei einer Drüse, hervorrufen. Das Adrenalin ist vielleicht in ähnlichem Sinn aufzufassen. Es wird von der Marksubstanz der Nebenniere ge- bildet. Sie stammt vom Nervus sympathicus ab. Vielleicht haben wir in dieser Umwandlung eines nervösen Substrates in ein Organ, das einen Inkretstoff liefert, einen Hinweis auf die Art und Weise, wie auch andere auf Muskel- und Drüsenzellen wirkende Substanzen hervor- gebracht werden. Vielleicht bietet die Pars nervosa der Hypophyse 1) Vel. die Literatur S. 610. E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Verhalten des Herzstreifenpräparates usw. 609 ein ähnliches Beispiel, wenn die Angaben zutreffen, daß dieser Teil des Gehirnanhanges Inkretstoffe liefert. Es ist naheliegend, anzunehmen, daß alle diese Inkretstoffe in irgendeiner direkten Beziehung zu jenen Substraten stehen, die sie beeinflussen. Neben rein chemischen Be- ziehungen kommen auch solche physikalisch-chemischer Art in Frage. Es ist denkbar, daß bestimmte Stoffe die Zellgrenzschicht durchdringen können und andere nicht, und daß darauf die Möglichkeit oder Un- möglichkeit einer Einwirkung beruht. Man muß jedoch auch mit der Möglichkeit rechnen, daß ein bestimm- ter Stoff ganz verschiedene Wirkungen hervorrufen kann, und zwar vielleicht in der Weise, daß er im Stoffwechsel verändert wird. Wir wissen, daß das Adrenalin außerordentlich leicht Veränderungen er- leidet. Eine wäßrige Lösung von Adrenalin färbt sich, je nach der vorhandenen Wasserstoffionenkonzentration, namentlich bei Belichtung, mehr oder weniger rasch rot. Es ist bekannt, daß Adrenalin in der Blutbahn Veränderungen erleidet. Es wird sehr leicht oxydiert. Es ist wohl möglich, daß die entstehenden Produkte besondere Wirkungen haben. Ja es ist denkbar, daß manche dem Adrenalin zugeschriebene Wirkung nicht ihm selbst, sondern einem Umwandlungsprodukt zu- kommt. Unsere Bemühungen waren darauf gerichtet, wohl definierte Oxydationsprodukte aus ‚Adrenalin zu gewinnen, um an ihrer Hand zu prüfen, welche Wirkungen sie entfalten. Es ist uns bis jetzt jedoch nicht gelungen, Oxydationsprodukte mit bekannter Struktur zu iso- lieren. Es beschäftigte uns ferner die bekannte Tatsache, daß Adrenalin in Plasma gelöst wirksamer ist, als in wäßeriger Lösung. Wir haben ferner festgestellt, daß es seine Wirkung in Plasma oder Serum gelöst. länger beibehält, als in wäßeriger Lösung. Offenbar beruht diese Er- scheinung darauf, daß die Oxydation des Adrenalins in Plasma bzw. Serum gehemmt wird. Nun wissen wir, daß Adrenalin, das in eine Vene eingespritzt wird, im arteriellen Kreislauf entweder gar nicht mehr oder doch in stark herabgesetzter Menge nachweisbar ist. Es verschwindet somit das Adrenalin nach kurzer Zeit im Blut. Es ist von großem Interesse, dieser Erscheinung nachzugehen: Wird Adrenalin im Blut selbst verändert, oder geht es in das Gewebe über ? Handelt es sich bei einer eventuellen Veränderung des Adrenalins um einen umkehrbaren oder aber um einen nichtumkehrbaren Vorgang ? Es wäre denkbar, daß Adrenalin vorübergehend in seiner Wirkung durch irgendeine Veränderung ausgeschaltet und dieser Vorgang je nach Be- darf rückgängig gemacht werden könnte. Mit allen diesen Problemen haben wir uns zum Teil schon beschäftigt; zum Teil wollen wir ihnen bei weiterer Untersuchung nachgehen und gleichzeitig prüfen, ob in irgendeiner Beziehung sich Unterschiede im Verhalten von |- und d- Adrenalin aufdecken lassen. 40* 610 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates Experimenteller Teil. I. Die Wirkung des Adrenalins auf den schlagenden Herzstreifen. Die erste Frage, die wir uns stellten, galt der Ermittelung des Schwellenwertes von l-, d- und d-l-Adrenalin für den schlagenden Herzstreifen. Obwohl bereits durch eine Reihe älterer Untersuchungen von Gottlieb), Oliver und Schäfer?) und anderen Autoren die Herz- wirkung des Adrenalins genau analysiert wurde, so fehlen doch gerade Untersuchungen über die wirksame Minimaldosis. Es liegt dies wohl daran, daß in den Versuchen der erwähnten Autoren mit Nebennieren- extrakten, die eine genaue Dosierung nicht zulassen, gearbeitet wurde, da die Konstitution und Synthese des Adrenalins noch unbekannt war. Später sind dann die Schwellenwerte für die Blutdruck- und die Ge- fäßwirkung in zahlreichen Arbeiten festgestellt worden, da gerade diese Methoden [Blutdruckversuch, Laewen-Trendelenburgs?) Präparat und ©. B. Meyers*) Arterienstreifen sowie der Versuch am enucleierten Froschauge nach Ehrmann?) sich als besonders geeignet erwiesen, Adrenalin in minimalen Dosen nachzuweisen. Weiterhin konnte in den Untersuchungen von Cushny®) sowie Abderhalden mit Thies‘ ), Franz Müller®) und Slavu?) gezeigt werden, daß zwischen der Wirksam- keit von d,d-l- und l-Adrenalin sehr bedeutende Unterschiede bestehen. In Blutdruckversuchen am Warmblüter erwies sich d-Adrenalin als etwa 15 mal unwirksamer als l-Adrenalin, und ebenso mußten erheblich höhere Dosen von d-Adrenalin als von l-Adrenalin subeutan am Ka- ninchen injiziert werden, damit eine Glykosurie hervorgerufen wurde. Auch in Versuchen am enucleierten Froschbulbus ist die mydriatische Wirkung von d-Adrenalin nur sehr gering, während bekanntlich l-Adrenalin noch in sehr geringen Konzentrationen wirksam ist. Endlich konnte noch an der Maus gezeigt werden, daß bereits 0,0001 g 1-Adre- nalin an etwa 12—14 & schweren Versuchstieren unter starker Tem- peratursenkung innerhalb 20—30 Minuten den Tod herbeiführt, wäh- rend die zehnfach höhere Dosis von d-Adrenalin nur eine verhältnis- mäßig geringe Temperaturabnahme zur Folge hat, von der sich das Tier spontan wieder erholt. Es fragte sich nun, ob auch am Herz- streifen entsprechende Unterschiede zwischen d- und 1-Adrenalin be- ı) R. Gottlieb, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 38, 99; 43, 286. 2) Oliver und Schäfer, Journ. of physiol. 18, 230. 1895. 3) Laewen, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 51, 415. 1914; Trendelenburg, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 63, 161. 1910. 4) O0. B. Meyer, Zeitschr. f. Biol. 48, 353. 1906. 5) Ehrmann, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 53, 97. 1905. 6) A. Cushny, Journ. of physiol. 3%, 130. 1908. ”) E. Abderhalden und Fr. Thies, Zeitschr. f. physiol. Chemie 59, 22. 1909. ®) E. Abderhalden und Franz Müller, Zeitschr. f. physiol. Chemie 58, 185. 1908. ?) E. Abderhalden und Slavu, Zeitschr. f. physiol. Chemie 59, 129. 1909. (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. 611 stehen, und ob auch hier d-l-Adrenalin hinsichtlich seiner Wirksam- keit zwischen d- und l-Adrenalin steht. Erwähnt sei, daß die Reinheit der Adrenalinpräparate (Höchst) durch die Prüfung des optischen Verhaltens nachgewiesen wurde. Zu unseren Versuchen wurden, wenn nicht anders bewertet, nur wäßrige Lösungen der Adrenalinbase verwendet, die stets kurz vor dem Versuch frisch hergestellt waren. Bezüglich der Versuchsanordnung sei auf unsere frühere Mitteilung!) verwiesen. Abb. 1—3 geben Versuche am Kammerlängsstreifen des Frosches wieder. Man erkennt, daß mit l-Adrenalin bereits in einer Verdünnung von 1:15 Millionen eine deut- liche Pulsvergrößerung erzielt Rt x Ni EReNder rer wird. Mit der gleichen Dosis fi Il | IHN] von d-l-Adrenalin (Abb. 2) Hl | ||) ist keine deutliche Verände- | I\\ | | ung der Pulsgröße zuerkennen. Es genügt aber, die gleiche Do- sis noch einmal zu geben, um Abb.1. Kammerlängsstreifen. Bei +16 l-Adrenalin . no e 1:15 Millionen. eine positiv-inotrope Wirkung zuerhalten. DieSchwellenkonzentration von d-Adrenalin liest aber, wie der Versuch der Abb. 3 zeigt, zehnmal so hoch wie bei l-Adrenalin (1:1,5 Millionen). Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß v U BED knmafannı RI ee BET TE nn a un 18 yası ZA Rn ; > Abb 2. Das gleiche Präparat wie in Abb. 1. Bei Abb. 3. Das gleiche Präparat wie +19 Adrenalin d-l 1:15 Millionen. +20 Adrenalin in Abb. 1. Bei +15 d-Adrenalin d-1 1:15 Millionen. 1: 1500 000. d-l-Adrenalin nur durch seinen Gehalt an l-Adrenalin wirkt und deshalb in der doppelten Dosis wie l-Adrenalin wirksam ist. Es handelt sich bei Feststellung dieser Schwellenwerte natürlich um optimale Befunde. Ist ein Präparat durch Sauerstoffmangel oder die Einwirkung bestimm- ter Gifte geschädigt, so bedarf es einer größeren Adrenalindosis, um eine Pulsvergrößerung herbeizuführen. Das relative Verhältnis von l- zu d-Adrenalin bleibt aber sehr konstant. Man erkennt dies z. B. aus den Abb. 4 und 5, in denen eine deutliche Adrenalinwirkung erst bei der doppelten Konzentration eintritt. Auch hier ist 1-Adrenalin etwa zehnmal wirksamer als d-Adrenalin. Die Untersuchungen zeigen also auch bezüglich der Herzwirkung des Adrenalins eine sehr gute 1) E. Abderhaldenu. E.Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 303. 1920. 612 E. Abderhalden u. E. Gellhormn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates Übereinstimmung mit den obenerwähnten Ergebnissen über die Blut- druckwirkung. Weiterhin erkennt man aus den Abbildungen, daß die Wirkung des Adrenalins in Schwellenkonzentrationen nur flüchtig ist; denn nach kurzdauernder Pulsvergröße- rung wird wieder die ursprüngliche Kontraktionsgröße erreicht. Daß eine gewisse Unabhängiskeit der inotropen von der chronotropen Wirkung besteht, ist auch bereits von anderen Autoren!) hervorgeho- ben worden. Wir finden im all- gemeinen, daß am Herzstreifen die positiv inotrope Wirkung deutlicher als die Beeinflussung der Schlagfolge hervortritt. Nachdem die Schwellenwerte für die Adrenalinwirkung am Herz- streifen ermittelt waren, galt eine Reihe weiterer Versuche der Unter- suchung des Wirkungsbildes des Adrenalins, wenn überschwellige Konzentrationen verwendet werden. Es interessiert nicht allein, zu er- fahren, in welcher Weise sich die positiv-inotrope Wirkung mit wachsender Konzentra- tion ändert, sondern vor allem, ob und in welchem Grade die Flüchtigkeit der Adrenalinwirkung ein ande- —— @ res Verhalten zeigt. Zu die- a nen nn u sem Zweekeswurden/anfeınem Herzkammerlängsstreifen Versuche mit l-Adrenalin (Base!) in Konzentrationen von 1:5 000 000 bis 1:50000 ausgeführt und auch 5 und 10 Minuten nach Zugabe des Adrenalins die Kurve der Tätigkeit des Herzstreifens aufgezeichnet. Dann erst erfolgte der Wechsel der Nährlösung. Aus Abb. 6 geht hervor, daß Adrenalin 1:5 000 000 ebenso wie die Schwellendosis nur eine vorübergehende Pulsvergrößerung bewirkt. Bereits 5 Minuten später ist die ursprüngliche Größe der Kontraktionen wieder erreicht. Von einer Veränderung der Frequenz ist nichts zu bemerken. Auch nach weiteren 5 Minuten sind Frequenz und Kon- traktionsgröße die gleiche geblieben. Eine etwas andere Wirkung zeigt sich im Versuch der Abb. 7, in dem Adrenalin 1 : 1000 000 unter- sucht wurde. Auch hier ist die positiv-inotrope Änderung der Kontrak- tionen nach 5 Minuten bereits abgeklungen; dagegen tritt jetzt eine )) Fr. Harries, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 6, 301. 1918. Abb.4. Kammerlängsstreifen. Bei +3 1-Adre- nalin 1:7,5 Millionen. (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. 613 deutliche Pulsverlangsamung hervor. Weitere 5 Minuten später hat diese noch eine Zunahme erfahren, und hieran wird auch durch Erneuerung der Ringerschen Flüssigkeit nichts geändert. UT 7 mm x MM INNEN ABU LANA SAÄLALNJLEDIGSCR: a) Abb. 6—9. Kammerlängsstreifen.. Zwischen den einzelnen Abbildungen stets Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. Abb. 6au.b. a) Bei + 1l-Adrenalin 1:5 Millionen. Bei x 5 Minuten später. b) x x Weitere 5 Minuten später. Es fragt sichnun, ob auch die negativ-chronotrope Wirkung als cha- rakteristisch für Adrenalin anzusehen ist. Ist doch z. B. von Harries!) auch gelegentlich eine Verminderung der Schlagfolge nach Adrenalin- gaben beobachtet worden. Bevor wir hier zu dieser Frage Stellung Abb. 7a u.b. Das gleiche Präparat wie in Abb. 6. a) Bei +3 l-Adrenalin 1:1 Million. Bei x 5 Minuten später. b) Bei x x weitere 5 Minuten später. Bei 4 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. nehmen, wollen wir erst die Adrenalinwirkung an demselben Herz- streifen noch bei Verwendung größerer Adrenalinkonzentrationen verfolgen. Um das Herzstreifenpräparat, dessen Frequenz stark ab- Abb. 8a u. b. Das gleiche Präparat wie Abb. 6. a) Bei +5 l-Adrenalin 1:250009. Bei x 5 Minuten später. b) x x Weitere 5 Minuten später. Bei 6 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. genommen hatte, wieder in den optimalen Zustand zurückzuversetzen, wurde der Ringerlösung 0,01 g BaCl, für 2 Minuten hinzugefügt und darauf die Nährflüssigkeit erneuert. Nunmehr schlägt der Herzstreifen frequent und regelmäßig (Abb. 8) und zeigt auf Adrenalin 1: 250 000 eine 1) E. Harries, ]. c. 614 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates Pulsvergrößerung, die nach 5 Minuten, wenn auch nicht vollständig, so doch zum größten Teile bereits zurückgegangen ist. Nach weiteren 5 Minuten wird die ursprüngliche Pulsgröße registriert. In diesem Hall) PRRUBUIMUnIT | a a # Ss = 3: 3 = b) x x 10 Minuten e) 45—60 Minuten später. x 5 Minuten später. d) 35 Minuten später. a) Bei +7 1-Adrenalin 1:50000. c) 25 Minuten später. 7 Das gleiche Präparat wie Abb. 6. xxx 15 Minuten später später. NORMAL T Abb. 9a bis e. Versuche ist nur eine sehr geringe Frequenzabnahme durch Adrenalin hervorgerufen worden. Endlich ist in Abb. 9 der Einfluß von 1-Adre- nalin 1:50000 wiedergegeben. War schon in dem Versuche, der der (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. 615 Abb. 8 zugrundeliest, die Dauer der Adrenalinwirkung etwas größer als bei Verwendung noch schwächerer Lösungen, so gilt dies in beson- ders hohem Maße von diesem Versuche. Hier zeigt sich nämlich, daß die Pulsvergrößerung fast unvermindert 25 Minuten hindurch anhält. Aber selbst nach 45 Minuten sind die Kontraktionen noch größer als zu Beginn des Versuches. Dann erst setzt eine rasch zu- nehmende Verkleinerung der Schlaggröße ein. Auch bezüglich der Frequenz ergeben sich bedeutende Änderungen. Zu Beginn der Adre- nalinwirkung ist die Abnahme der Schlagfolge nur sehr gering, je länger aber die Adrenalinwirkung andauert, um so stärker tritt sie hervor, so daß zu einem Zeitpunkte, an dem die Pulsvergrößerung noch un- vermindert besteht, die Frequenz bereits um mehr als 50°/, abgenommen hat. Am Ende des Versuches, nach Einwirkung von Adrenalin während 55 Minuten, besteht eine deutliche Pulsverkleinerung mit starker Ab- | | I MIN IN I | | | | | | I! N j IL y N | Abb. 10a u. b. Kammerlängsstreifen. a) Bei +15 d-Adrenalin 1:250000. b) 10 Minuten später. imari I El == EEE ı au WALL eU Mesukeacnspk pe selsatelirr lieh nahme der Frequenz. Endlich nimmt die Herztätigkeit die Form des Pulsus alternans an. Aus diesen Versuchen geht hervor, daß mit steigender Konzentration des Adrenalins die Dauer der positiv- inotropen Wirkung zunimmt. In stärkeren Dosen stellt sich außer- dem eine Abnahme der Pulsfrequenz ein, die aber besonders in mittleren Konzentrationen (1:250000) in hohem Maße von dem Zustande des Herzstreifenpräparates abhängig ist. Sie ist um so stärker, je lang- samer der Herzstreifen vor der Adrenalingabe schlägt und kann des- halb durch vorübergehende Einwirkung von BaCl,, das den Herz- streifen wiederum zu einer regelmäßigen und frequenten Schlagtätig- keit führt, auf ein Minimum reduziert werden. In großen Dosen (1:50000) wird sie aber auch unter optimalen Bedingungen fast nie vermißt. Die außerordentlich starke Abnahme der Frequenz und der Pulsgröße bei sehr langer Einwirkung von Adrenalin dürfte aber seine Ursache in der Entstehung von Oxydationsprodukten haben, deren Bildung durch die Rötung der Nährflüssigkeit angezeigt wird. Offen- bar sind diese erst in stärkeren Konzentrationen wirksam. Daher vermissen wir auch die Pulsverlangsamung bei Verwendung kleinster Adrenalingaben. 616 E#. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates Durch entsprechende Versuche mit d-Adrenalin konnte gezeigt werden, daß ebenso wie bei dem Ver- gleich der Schwellenwerte auch in höheren Konzen- trationen das d-Adrenalin .ein verkleinertes Abbild der l-Adrenalinwirkung er- 52 zeugt. Daß auch das d-Adre- Ey nalin in mittleren Konzentra- = 3 tionen Verminderung der Puls- = 2 frequenz verursacht, wird Sn durch Abb. 10 (s. vorige Seite) SS belegt. e Die Nachhaltigkeit der BE Adrenalinwirkung in stärke- BE ren Konzentrationen läßt sich 33 aber noch auf eine andere >= Weise prüfen. Da das Wir- z x kungsbilddesAdrenalins durch 5 E = die Bildung noch unbekannter 2: S==# Oxydationsprodukte kompli- 4 Rn 23 ziert wird, die teilweise, wenn & eise der Herzstreifen längere Zeit 54 Es P in der Adrenalinlösung ver- s. 388 bleibt, anders auf den Herz- i ==5 streifenals das Adrenalin selbst i +88 einwirken, so scheint es zweck- 48 a2 mäßig, festzustellen, ob Adre- } r BES nalinlösungen verschiedener 3 3 Konzentration sich etwa da- s” durch unterscheiden, daß die & Pulsvergrößerung in Abhän- =$s gigkeit von der vorher ange- ES wandten Konzentration ver- "ie schieden lange Zeit auch nach ai Wechsel der Nährflüssigkeit ER anhält. Eine derartige Ver- ® : suchsanordnung erscheint um RE so notwendiger, als bei dem —— = direkten Vergleich der Wir- kung von Adrenalinlösungen mittlerer oder starker Konzentration Unterschiede hin- sichtlich der Größe der positiv-inotropen Wirkung nicht deutlich hervortreten. Abb. lla und b mag dies an einem Beispiel erläutern. Man erkennt, dab (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. 617 d-Adrenalin in den Konzentrationen 1 : 250000; 1: 125000 und 1: 62500 stets eine starke inotrope Wirkung besitzt. Die Latenzzeit bis zum Ein- tritt der Wirkung ist in allen Versuchen etwa gleich. Auch hinsichtlich der Stärke der inotropen Wirkung ist es schwierig, sichere Unterschiede aufzuweisen, da die Pulsgröße vor der Anwendung des Adrenalins in den drei Versuchen verschieden ist, obwohl die Versuche an dem gleichen Präparate im Verlaufe etwa einer Stunde ausgeführt wurden. In einer Hinsicht ergibt sich aber ein bedeutender Unterschied gegen- über den schwachen Adrenalinlösungen. Zunächst fällt auf, daß die Pulsgröße, solange die Adrenalinlösung nicht mit frischer Ringer- lösung vertauscht wird, keine Verminderung ihrer maximalen Größe zeigt. Die Adrenalinwirkung ist also infolge der stärkeren Konzentra- tion andauernder geworden. Wechselt man aber die Nährflüssigkeit, so sieht man die Pulsgröße sich allmählich verringern. Hier aber zeigt sich, daß auf die Zeit, in der die ursprüngliche Pulsgröße wieder er- reicht wird, die Konzentration des vorher angewandten Adrenalins maßgebend ist. Man erkennt nämlich, daß mit steigender Adrenalin- konzentration die Nachwirkung von Adrenalin auch nach Wechsel der Nährflüssigkeit zunimmt. So zeigt die erste Kurve etwa 3 Mi- nuten nach dem Wechsel der Ringerlösung eine Abnahme der Puls- größe um fast 50°/,, die zweite Kurve (Adrenalin 1:125000) zum gleichen Zeitpunkt nur eine sehr geringe Abnahme, an der dritten Kurve endlich ist erst viel später eine Verminderung der Pulsgröße zu erkennen. Die Versuchsanordnung, in der die Dauer der Adrenalinwirkung nach Wechsel der Nährflüssigkeit als Indicator für ihre Stärke gewählt wird, mußte auch geeignet sein, die Unterschiede zwischen 1- und d-Adrenalin darzutun. Auf Grund der ungleichen Schwellen für |1- und für d-Adrenalin mußte gefolgert werden, daß, wenn beide Prä- parate in der gleichen, überschwelligen Dosis angewendet werden, auch bedeutende Unterschiede in der Nachhaltigkeit der Wirkung sich ergeben würden. Es müßte sich dann eben l-Adrenalin wie eine bedeutend stärker konzentrierte Lösung von d-Adrenalin verhalten. Das ist nun in der Tat der Fall. Wir haben zu diesem Zweck Versuche an der Herzspitze angestellt. Frühere Untersuchungen!) haben gezeigt, daß es an der Herzspitze gelinst, durch vorübergehende Einwirkung von BaCl, eine bestimmte Zeit hindurch die Schlagtätigkeit anzuregen und zu erhalten. In Abb. 12 wird nun bei 10 zu der Nährflüssigkeit, in der sich die Herzspitze von Rana esculenta befindet, Adrenalin d-hydrochlor. 1:50 000 hinzugefügt. Es tritt hierauf eine deutliche positiv inotrope und positiv chronotrope Wirkung auf. Entsprechend 1) E. Abderhalden und E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 314. 1920. 618 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates der hohen Dosis bleibt die Vergrö- ßerung der Kontraktionen innerhalb 10 Minuten unverändert erhalten. Jetzt wird die Nährlösung gewechselt. Kurz darauf nimmt die Pulsfrequenz sehr stark ab und nach etwa 5 Mi- nuten ist die Automatie des Herzstrei- fens erloschen. Nachdem diese durch kurzdauernde Zugabe von BaCl, wie- derhergestellt und die Nährflüssigkeit abermals erneuert war, wird nun die Automatie des Herzstreifens in der gleichen Weise untersucht, nur daß an Stelle von d-Adrenalin 1-Adrena- lin-hydrochlor. in der gleichen Dosis (1:50 000) der Ringerschen Flüssig- :chsel der ULLA LLUUUALLLLLUUUULN AL LULLULUULLSULLL UL 10 Min. später, 13 Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit. x 5 Minuten später, x x 10 Minuten später, 11 W sö keit bei 12 hinzugesetzt wird. Da >& in beiden Fällen hohe Konzentra- “8 tionen angewendet werden, ist ein 2 Unterschied in der Stärke der Wir- kung nicht zu erkennen. Alsabernach 10 Minuten die Nährflüssigkeit ersetzt wird, tritt nunmehr ein deutlicher Unterschied zwischen d- und l-Adre- nalin hervor. Die Automatie des Herzstreifens bleibt nämlich nach Vor- behandlung mit l-Adrenalin mehr als die doppelte Zeit erhalten. Zusammenfassend ergibt sich daher, daß mit Rücksicht auf die Schwellen- konzentration dem 1-Adrenalin eine zehnfach stärkere Wirksamkeit als dem d- Adrenalin zukommt. Dieser Unter- schied kann auch bei Verwendung überschwelliger Konzentrationen da- durch erwiesen werden, daß die Dauer der Automatie der Herzspitze nach vor- übergehender Vorbehandlung mit 1- Adrenalin länger währt, als wenn die gleiche Konzentration von d- Adrenalin zur Anwendung kommt. Endlich wurde noch eine Ver- suchsreihe angestellt, die entscheiden :50 000. Obere Reihe: Bei +10 d-Adrenalin. hydrochlor. 1 Bei +12 1-Adrenalin. hydrochlor. I Herzspitze. Rana esculenta. Ringerschen Flüssigkeit. Untere Reihe: ’ ER = = = e = 3 = S E =, 3: = 3 E S = 3 S 3 = = = 3 - 3 3 =) 3 3 = FRAmIRRRmGTOTOTBTTTTITTHTTTTT Abb. 12. (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. I. 619 sollte, ob die Adrenalinwirkung an den verschiedenen Teilen des Frosch- herzens Unterschiede zeigt. Zu diesem Zweck wurden aus demselben Ventrikel ein Längsstreifen, der von der Atrioventrikulargrenze bis zur Herzspitze reicht, und ein sehr kleiner Streifen aus der Muskulatur der Herzspitze . MIT u: ausgeschnitten und in derselben Nähr- a | | Il ll flüssigkeit suspendiert. Abb. 13 zeigt zwei derartige Präparate von Rana esculenta und läßt erkennen, daß 1- Adrenalin 1:5.000 000 ebenso an dem ‚„‚ganglienzell- reichen‘ Längsstreifen (obere Kurve) wie an der „ganglienzellfreien‘‘ Herzspitze (un- tere Kurve) zu einer Vergrößerung der Kontraktionen führt. Auch in einer Reihe : : Abb. 13. Obere Reihe: Kammer- weiterer Versuche konnten keine Unter- jängsstreifen, untere Reihe: Herz- schiede zwischen den genannten Präpara- DER Lexelbon Lions, 9 15 Adrenalin 1:5 Millionen. ten festgestellt werden. Es ist oben darauf hingewiesen worden, daß in hohen Konzentra- tionen l-Adrenalin auch bei kurzdauernder Einwirkung eine Pulsver- langsamung bewirkt. Diese hängt, wie erwähnt, im wesentlichen von dem Zustand des Prä- parates ab. Je mehr der Herzstreifen durch Sauerstoffmangel, Ein- wirkung von Giften usw. geschädigt ist, um so stärker wird die Ver- langsamung. Dabei fehlt eine Verminderung der positiv -inotropen Wir- kung. Dies zeigt z. B. Abb. 14 besonders deut- lich. Es gelinst nun durch Atropin die Puls- III verlangsamung zu ver- NN Ill) hindern. Abb.15 stammt von dem gleichen Herz- streifen wie Abb. 14. Abb. 15. Kammerlängsstreifen, das gleiche Präparat wie in Bei +7 wird der Rin- Abb. 14. Bei +7 Atropin. sulfur. 1:50000. Bei +8 l-Adre- gerlösung Atropin mil nalin 1: 50000. fur. 1:50000 hinzugefügt. Hierdurch wird eine Vergrößerung der Kontraktionen ausgelöst. Kurz darauf (8) wird l-Adrenalin 1:50 000 gegeben. Die Kontraktionen nehmen noch weiter an Größe zu, eine DERSELBEN LG ASUS Teen I I) 620 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des „Herzstreifenpräparates +5 l-Adrenalin 1:500000. Bei +3 l-Adrenalin 1:1250000, +4 dasselbe, Abb. 16. Kammerlängsstreifen. Verminderung der Frequenz fehlt fast voll- ständig. Daraus dürfte der Schluß berechtigt sein, daß Adrenalin in großen Dosen durch Reizung der vagalen Endapparate eine Puls- verlangsamung erzeugt, ein Befund, der in- sofern von Interesse ist, als vor kurzem Kolm und Pick!) durch Vorbehandlung mit Acetyl- cholin, Muscarin und anderen Giften eine „vagotrope‘“ Wirkung des Adrenalins nicht allein am Froschherzen, sondern auch an den Gefäßen und am Magen-Darmtractus nach- weisen konnten. Übrigens hat J. Machiela?) durch Adrenalin auch in schwachen Dosen (1:5 000 000 Pulsverlangsamung und diastoli- schen Stillstand am Herzstreifen hervorrufen können, wenn vorher, ähnlich wie in den Versuchen von Kolm und Pick, die vagalen Endapparate durch Pilocarpin sensibilisiert worden waren. Bereits in der Mitteilung von Harries?) findet sich die Angabe, daß auch an Herz- streifen, die in Zueianischen Perioden schlagen, die fördernde Wirkung des Adrenalins zum Ausdruck kommt, indem die einzelnen Perio- den häufiger werden und auch die Kontrak- tionen an Größe zunehmen. Ebenso ist ihm auch die Umwandlung Zucianischer Perioden in reguläre Herztätigkeit durch Adrenalin ge- lungen. Es interessierte uns nun die Frage, welche Konzentrationen von Adrenalin not- wendig sind, um die periodische Schlagtätig- keit in eine reguläre umzuwandeln. In diesen Versuchen wurde ganz allgemein das Resultat erhalten, daß hierzu erheblich höhere Kon- zentrationen notwendig sind, als solche, die eine deutlich fördernde Wirkung am regulär schlagenden Herzstreifen besitzen. Dies geht sehr deutlich aus Abb. 16 hervor. Es handelt 1) R. Kolm und E. P. Pick, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 79. 1920. 2) J. Machiela, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 14, 287. 1921. 3) F. Harries, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 6, 301. 1918. (nach Loewe) unter verschiedenen Bedingungen. II. 621 sich in diesem Versuche um einen Kammerlängs- streifen, der eine sehr unregelmäßige Tätigkeit zeigt. Es folgen Lucianische Perioden von ver- schiedenster Frequenz in unregelmäßigen Abstän- den aufeinander. Hieran vermag 1-Adrenalin 1:1250000 nichts zu ändern, obwohl diese Dosis sonst regelmäßig Pulsvergrößerung hervorruft. Die abermalige gleiche Dosis (+4) ändert den Rhythmus der Peri- oden im Sinne einer Verlängerung der einzelnen Schlagpe- rioden. Es bedurfte aber noch einer wei- teren Adrenalin- gabe (1 : 500000), um völlige Regula- rität der Schlagfolge herbeizuführen. Immerhin ist die Eigenschaft eines periodisch schlagen- den Herzstreifens, trotz Adrenalin- gaben in seiner un- regelmäßigen Tätig- keit zu verharren, bei den verschiede- nen Präparaten in sehr ungleichem Maße vorhanden. Je stärker ein Herz- streifen durch Gifte oder Sauerstoff- mangel geschädigt ist und in der Form Lucianischer Perioden schlägt, um so größer muß die Adrenalinkonzen- tration sein, um die regelmäßige Schlagfolge wieder herzustellen. Abb. 17 zeigt, daß auch d-Adrenalin in stärkerer Dosis wirksam ist. Die Regulari- sierung der Herztätigkeit hält in diesem Ver- suche, wie die Abbildung zeigt, auch nach Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit an. Wird übrigens d-Adrenalin 1: 50000. Kammerlängsstreifen.* Bei +1 d-Adrenalin 1:250000, 2 Ringer. Abb. 18. Kammerlängsstreifen. Abb. 17. 622 E. Abderhalden u. E. Gellhorn: Das Verhalten des Herzstreifenpräparates d-Adrenalin in sehr hohen Konzentrationen (1:50000) angewendet, so beobachtet man gelegentlich auch eine Verminderung der Schlagperiode, wie aus Abb. 18 hervorgeht. Gleichzeitig ist aber eine deutliche positiv-inotrope Wirkung eingetreten so daß in diesem Falle die Adre- nalinwirkungam periodisch schlagenden Strei- fen mit der am regelmäßig tätigen “Herz- streifen übereinstimmt. Wie sehr es aber auch hier auf den Zu- stand des Präparates ankommt, lehrt der Versuch in Abb. 19. Obwohl hier eine recht hohe Dosis von d-Adrenalin an einem nur schwach und unregelmäßig schlagenden Kam- merstreifen angewendet wird, so treten doch nur die fördernden (positiv inotropen und positiv chronotropen) Wirkungen hervor. Gleichzeitig sei die Abbildung ein Beispiel dafür, wie starke Veränderungen auch d-Adrenalin an einem stark geschädigten Präparate verur- € € 3 Wechsel + 3 + AU LERKRSZBRURRUEONVR RA LLNV : 100 000. 1 Ih) +2 d-Adrenalin hydrochlor. 0000. 1:25 der Ringerschen Flüssigkeit. sachen kann. II. Die Wirkung von Adrenalin auf den nicht schlagenden Herzstreifen. hydrochlor. In einer mehrfach erwähnten Abhandlung berichtet Harries auch über Versuche, den stillstehenden Herzstreifen durch Adrenalin wieder zu regelmäßiger Tätigkeit anzuregen. Seine Erfolge waren aber in dieser Hinsicht sehr gering. Denn er schreibt!): „Nur in einem einzigen Versuch gewinnt man den Ein- druck, daß Adrenalin die kurz darauf erfol- sende Ablösung des Stillstandes durch eine neue Schlagperiode begünstigt oder eingeleitet habe “ „Verglichen also mit dieser wieder- belebenden Fähigkeit mechanischer Reize bleibt die tätigkeitsfördernde Wirkung des Adre- nalins jedenfalls zurück.“ Wir hatten nun bereits in unserer ersten Mitteilung?) ge- zeigt, daß Bariumchlorid sowohl dem Adre- nalin wie auch mechanischen Reizen wesentlich überlegen ist. Wir wollen nun nicht allein diese Tatsache mit Beispielen belegen, Bei +1 d-Adrenalin. Kammerlängsstreifen. 19. | | Abb. 1) F. Harries, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 6, 1918, spez. S. 318. 2) E. Abderhalden u. E. Gellhorn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 314. 1920. nach Loewe) unter verschiedenen Bedineuneen. II. - fe) oO sondern auch die Fähigkeit von I- und d-Adrenalin, die Automatie des nicht schlagenden Streifens anzuregen, untersuchen. Dabei wird es nötig sein, auf die Beziehung des Adrenalins und des mechanischen Reizes zueinander hinsichtlich der Anregung der Automatie näher einzugehen. Zunächst seien die Versuche der Abb. 20 —22, die von dem gleichen Kammerlängsstreifen herrühren, besprochen. Dieser Streifen zeigt spontan keine Tätigkeit, obwohl längere Zeit gewartet wurde. Es ge- lingt aber regelmäßig mit 1-, d-] oder d-Adrenalin, die Automatie des Herzstreifens zu erwecken. Abb. 20 beweist, daß hierzu bereits eine Dosis von l-Adrenalin 1 : 6 500 000 genügt. Allerdings dauert die Schlag- periode nur wenige Minuten. Die gleiche Adrenalingabe ruft abermals eine regelmäßige Tätigkeit des Herzstreifens hervor. Bei 6 wird nun noch einmal Adrenalin in gleicher Dosis gegeben. Die Kontraktionen nehmen an Größe zu, die Schlastätigkeit hält längere Zeit an. Auch nach Wechsel der Ringerschen Flüssigkeit bleibt sie noch länger als 10 Minuten erhalten. Darauf wird (Abb. 21) an dem gleichen Präparate der Versuch unternommen, mit d-Adrenalin die Automatie des Herz- streifens wiederherzustellen. Man sieht, daß hierzu eine vielfache Menge der 1-Adrenalin-Dosis erforderlich ist. Läßt man aber auf den so zu regelmäßiger Tätigkeit gebrachten Herzstreifen d-Adrenalin 1: 650 000 einwirken, so tritt die fördernde Adrenalinwirkung sehr deutlich in Erscheinung. Hieraus folgt, daß zur Anregung der Auto- matie eines nicht schlagenden Herzstreifens stets größere Konzentrationen von Adrenalin als zum Nachweis der fördernden Wirkung am tätigen Präparate erforderlich sind. In Abb. 22 gelingt es, durch d-l-Adrenalin 1 : 6500 000 ebenfalls die Automatie wiederherzustellen. Die Dauer der Schlagperiode ist aber deutlich geringer als bei Verwendung der gleichen Dosis l-Adrenalins. Daß dies kein zufälliges Ergebnis ist, sondern auf einem deutlichen Unterschied in der Wirkungsstärke zwischen d-l- und l-Adrenalin beruht, wie ja auch die oben beschriebenen Versuche über die Schwellenkonzentrationen des Adrenalins am schlagenden Herzstreifen dargetan haben, geht auch daraus hervor, daß die doppelte Dosis (bei 16 der Abb. 22) zwar wiederum eine reguläre Schlag- tätigkeit anregt, daß aber nach Erneuerung der Ringerschen Flüssig- keit die Kontraktionen fast momentan aufhören, während in dem Versuch der Abb. 20 bei Anwendung der gleichen Dosis von 1-Adrenalin noch längere Zeit nach dem Wechsel der Nährflüssigkeit die Kontrak- tionen fortbestanden. Nachdem wir in einer großen Zahl von Versuchen uns davon über- zeugt hatten, daß an Präparaten der ‚ganglienzellfreien‘‘ Herzspitze häufig Adrenalin wie auch mehrfache Dehnungsreize nicht imstande waren, die Automatie anzuregen, während BaCl, ausnahmslos diese Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 196. 41 "ONyZISSNLT USU9S -NOyZIssn]T uaydsıodurg I9p -I9Zurg I9p Iosy9aM '8 ‘00000T:7 TOTNPOIP: Ay umeusIpy-I 2+ Pq -uazunu [9sy9a Mg ‘zrassäunuypq=d 000.007 : T 1oTy9o1pAy ueusIpY-IS+ ‘000082: 1 -yaaq 19MZ 9AINy I9p uurdag nz "yeredgig 9qTassed ozyıdsziafd 75 "A4V ‘jojydoaıpAy umeusıpy-] I+ PA ‘yeıedeIg 9q[9sseq ‘ozyıdszıoH Es "AAV in RATEIUEDENORDERUTRNRRRESFEEDRAADERTGK DNB i 0 & ee | I TE Fmmme\- IRERUUNNANUTERU IR RUIHUN BUND RATUTDDUUFERAETUTHTURDEKRMUNIGRU € 8 U TI mr -U9UOHTW ug :T umeusıpy-p-I 9T+ “uauongm gg: 7T umeusıpY-I-P 3 opticus. den Lichtreflex vermitteln ?). 2. Die Pupillenfasern liegen am inneren Rand des Tractus und ver- laufen nach rückwärts und aufwärts. Es ist nun die Frage, ob sie weiterhin mit den übrigen Fasern des Tractus in den weißen Überzug des Lobus opticus übergehen oder vorher nach dem Inneren des Gehirns abzweigen. Um dies zu entscheiden, machte ich Verletzungen in der Gegend, wo Thalamus, Lobus opticus und Kleinhirn aneinander stoßen, und fand, daß die Pupillenbahn wohl noch bis zur Stelle des Übergangs der medialsten Tractusfasern auf den Lobus, aber nicht mehr auf dessen treie Oberfläche zu verfolgen ist. Taube 67. Bevor nach Eröffnung der Schädelhöhle und Freilegung des rechten Lobus opticus die Verletzung erfolgte, war der Lichtreflex am linken Auge unge- schwächt vorhanden. Dann wurde ein Schnitt durch die Decke des rechten Lobus an der aus Abb. 2 auf S. 632 ersichtlichen Stelle derart gelegt, daß er noch auf die mediale, vom Kleinhirn bedeckte Fläche desselben übergriff, was in der Abbildung nicht zu sehen ist. Hiernach blieb die Reaktion der linken Tıis bei direkter Be- lichtung ungestört. 1) Herr Professor Goldstein hatte die Freundlichkeit, diese und einige andere Gehirne im Neuftologischen Institut in Frankfurt am Main weiter behandeln und schneiden zu lassen, wofür ich ihm zu großem Dank verpflichtet bin. 2) Ob dies schon vor dem Chiasma der Fall ist, ist eine Frage, die durch meine Versuche nicht entschieden wird. Nach Hess (Arch. f. Augenheilk. 60, 327. 1908) sind in der Netzhaut des Vogels Seh- und Pupillenfasern noch nicht getrennt. 634 Ar Noll: Taube 65. Hier wurde zunächst etwa an derselben Stelle wie im vorigen Versuch der rechte Lobus eingeschnitten, wonach der Lichtreflex am linken Auge normal blieb. Sodann legte ich den linken Lobus frei, führte das Messerchen in die Furche zwischen Lobus und Thalamus und traf dort gerade noch die Übergangs- stelle des Tractus vom Thalamus auf den Lobus. Unmittelbar danach war die rechte Pupille weit und lichtstarr. Das Erlöschen des Reflexes infolge des zweiten Schnittes kann nur durch die Verletzung der in der Furche gelegenen Fasern, nicht aber der lateral davon nach oben weiter ziehenden Fasern bedingt sein. Die letzteren liegen schon außer dem Bereich der wirksamen Schnittführung, wie aus den oben S. 631 erwähnten Ver- suchen hervorgeht (vgl. Abb. 1). Taube 66. Hier machte ich den Schnitt auf der linken Seite ähnlich wie den zweiten Schnitt im vorigen Versuch (Abb. 4). Der Schnitt war hier kürzer als dort und gr'ff nicht so weit auf die Oberfläche des Lobus über. Unmittelbar vor der Verletzung hatte die rechte Pupille bei Belichtung noch prompt reagiert, gleich danach bewegte sie sich nicht mehr. Diese Versuche beantworten die oben gestellte Frage mit Bestimmt- heit dahin, daß die Pupillenfasern vom Thalamus nicht auf die von benachbarten Hirnteilen nicht bedeckte Lobusoberfläche übertreten, sondern in der Tiefe weiterverlaufen. Meine Feststellungen gipfeln also darin, daß die Pupillenfasern der Taube während des ganzen Verlaufes des Tractus über den T’halamus hin sich am inneren Saum des Tractus halten und weiterhin nicht an die Oberfläche des Lobus opticus gelangen. Sie ziehen also eine lange Strecke zusammen mit der Hauptmasse des Tractus nach rückwärts und auf- wärts. Demnach zweigen sie keineswegs soweit basal ab, wie v. Bechterew angab. Noch weniger habe ich Veranlassung, wie dieser Forscher, an- zunehmen, daß sie in verschiedener Höhe vom Tractus abzweigen. Denn selbst nach Verletzung weit dorsal gelegener Stellen tritt totale Lichtstarre bei direkter Belichtung ein. Das spricht dagegen, daß schon vorher eine Anzahl pupillomotorischer Opticusfasern die Bahn verlassen. Übrigens widerspricht das Auftreten totaler Lichtstarre auch der Behauptung v. Bechterews!), daß ein kleiner Teil der Pupillenfasern im Chiasma nicht kreuze. Wäre dies der Fall, dann hätte nach ein- seitiger Tractusdurchschneidung der Reflex nicht vollständig versagen dürfen, da die nicht kreuzenden Fasern ihn hätten vermitteln können. Dagegen scheint mir eine Angabe von Münzer und Wiener?) mit meinen Befunden übereinzustimmen. Diese Autoren sahen nämlich nach Zweihügelverletzung bei der Taube die Pupillenreaktion erhalten, wenn sie den Lobus von der Seite her entfernten, die Reaktion dagegen gestört, wenn sie ihn von oben her fortnahmen. Offenbar ist letzteren 1) v. Bechterew, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 33, 425, Anm. 1884. ?) E. Münzer und H. Wiener, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Zentralnervensystems der Taube. Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. 3/4, 402. 1898. Zur Kenntnis des. Verlaufs der. Pupillenfasern beim Vogel. 635 Falls die kritische Stelle zwischen Lobus, Thalamus und Kleinhirn der Verletzung mehr ausgesetzt als beim Eingehen von der Seite her. Der Verlauf der Pupillenfasern bei der Taube scheint mir durch meine Versuche soweit geklärt, als es überhaupt durch Eingriffe an der Hirnoberfläche möglich ist. Meine Ergebnisse lassen sich aber auch für die Frage nach der Bedeutung der einzelnen Züge des Tractus verwerten, deren Verlauf durch die neueren mikroskopischen Studien am Vogelhirn festgestellt wurde. Zunächst interessiert hier das vom Singer und Münzer!) im Tractus der Taube beschriebene schmale Bündel, das nach Enukleation des zugehörigen Auges rascher degeneriert als die Hauptmasse des Tractus. Es trennt sich schon früh vom Tractus und steht in Verbindung mit einem kleinen grauen Kern an der Medianseite des Zweihügels, der später von Münzer und Wiener?) Nucleus ventralis nervi optici genannt wurde und mit dem Ganglion opticum basale (eetomammillare Edingers) identisch ist. Dieses Bündel kommt hier nicht in Betracht, weil es zu kurz ist und ganz basal verläuft. Auch spricht gegen seine Betei- ligung am Lichtreflex ein Durchschneidungsversuch von Singer und Münzer?), bei dem das Bündel erhalten blieb, der Lichtreflex aber fehlte. Zweitens kommt der Opticuszug zum Corpus geniculatum laterale in Betracht. Dieser scheidet gleichfalls aus, weil er, ebenso wie der vorige, ganz basal verläuft. Dagegen stimmt der Verlauf eines dritten Zuges, nämlich des von Perlia®) beschriebenen medialen Opticusbündels mit dem von mir festgestellten Verlauf der Pupillarfasern überein. Perlia hatte schon vermutet, es könne der Reflexvermittlung zwischen Retina und Sphinc- ter iridis dienen, ohne allerdings selbst einen experimentellen Beweis hierfür zu bringen. Der Verlauf dieses Bündels ist von Perlia beim Huhn und Sperling beschrieben worden. Es läßt sich auch bei der Taube an Frontalschnitten leicht verfolgen. Zunächst am medialen Rand des Tractus opticus gelegen, kommt es im Bereich des Lobus opticus ventral von den an- grenzenden Opticusfasern zu liegen und ist bis in das seitlich vom Trochleariskern befindliche Ganglion isthmi (Ganglion opticum dorsale 1) Singer und Münzer, Beiträge zur Kenntnis der Sehnervenkreuzung. Wien. Denkschr. math.-nat. Kl. 55, 171. 1889. ?2) Münzer und Wiener, Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. 3/4, 389. 1898 und ebenda 12, 263, Anm. 1902. Vgl. hierzu Mayser, Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. usw. 5l, 271. 1895. 3) Singer und Münzer, Wiener Denkschr. 5%, 586. 1890. 4) Perlia, Arch. f. Ophthalmol. 35 (1), 20. 1889. 636 A. Noll: Zur Kenntnis des Verlaufs der Pupillenfasern beim Vogel. von Münzer und Wiener) zu verfolgen (vgl. Wallenberg, Neurol. Zen- tralbl. 17, S. 532, 1898). Daß dieses Bündel zentripetale Fasern enthält, ist von Perliat), Edinger und Wallenberg?), sowie von Boyce und Warrington®) bewiesen. Denn nach» Enukleation eines Auges degeneriert ein Teil der Fasern aufsteigend. Ein Teil degeneriert absteigend, wenn das Ganglion isthmi verletzt wird. Dies Bündel mit seinen aufsteigenden Fasern, auf die es hier ledig- lich ankommt, muß bei allen meinen Eingriffen, die zum Erlöschen des Lichtreflexes führten, durchschnitten worden sein. Beim Durch- sehen meiner Frontalserien finde ich in allen Fällen von Pupillenstarre dieses Bündel in größerer oder geringerer Ausdehnung verletzt. Ist dagegen der Lichtreflex erhalten gewesen, so finde ich das Bündel intakt. Also würde auch der mikroskopische Befund zu der Annahme stimmen, daß die Pupillenfasern in dem medialen Opticusbündel Perlias laufen. Trotzdem möchte ich dies noch nicht mit voller Sicherheit be- haupten. Denn in allen Fällen von Lichtstarre sind auch stets die dem Bündel benachbarten Fasern des Tractus verletzt worden, sodaß man diese für den Ausfall des Pupillarreflexes mit demselben Recht ver- antwortlich machen könnte. Eine vollständig gesonderte Durchschnei- dung des Perliaschen Bündels dürfte sich kaum erzielen lassen, weil es nicht genügend isoliert verläuft, und auch das feinste Instrument noch zu grob ist, um das äußerst schmale Bündel allein zu fassen. Immerhin geben meine Befunde der Vermutung, daß das Bündel die Pupillarfasern führe, eine neue Unterlage. Zusammenfassung. Duchschneidungsversuche am Tractus opticus der Taube ergaben, daß die den Lichtreflex vermittelnden Pupillenfasern am inneren Rand des Tractus verlaufen. Sie ließen sich nach rückwärts und aufwärts bis zu der Stelle verfolgen, wo der mediale Anteil des Tractus auf den Lobus opticus übergeht. Von da gelangen sie nicht mit den Sehfasern auf die freiliegende Oberfläche des Lobus, sondern gehen in der Tiefe weiter. Es ist möglich, daß sie in dem sogenannten medialen Opticusbündel (Perlia) verlaufen. ı) 1. c. 8. 635. 2) Edinger und Wallenberg, Anat. Anz. 15, 266. 1899. 3) Boyce und Warrington, Observations on the Anat., Physiol. and Degene- rations of the nerv. syst. of the bird. Philosoph. Tra sact. R. Soc. London 191. 304. 1899. Sind die durch Salze erzeugten Ruheströme Ströme einer Beutnerschen Ölkette? Von Hugo Natannsen. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Eingegangen am 19. Juli 1922.) Nach Beutner !) erhält man elektromotorische Kräfte bis zu Zehntel- volt, wenn man Kombinationen: | wäßrige Lösung von Salz a| Öl | wäßrige Lösung von Salz b herstellt und aus den Lösungen mit Flüssigkeits- elektroden ableitet; unter Öl ist dabei ein organisches, mit Wasser nicht mischbares Lösungsmittel zu verstehen. Die elektromotorische Kraft einer solchen ‚Ölkette‘‘ rührt von den relativ hohen Phasen- grenzpotentialen her, die sich an den beiden Ölgrenzflächen infolge der verschiedenen Teilungskoeffizienten der Ionen der Salze ausbilden. Nimmt man nun Salz a und Salz b in der gleichen molaren Konzentra- tion, hält Salz a in allen Fällen konstant und variiert nur Salz b, so ist die EMK jedesmal eine andere. Das Potential der Lösung b ist näm- lich umso stärker positiv gegen Öl, je öllöslicher das Anion, umso stärker negativ, je öllöslicher das Kation. Die relative Anionenlöslichkeit wird dabei durch die Zunahme der Leitfähigkeit ausgedrückt, die das Öl beim Schütteln mit verschiedenen Salzen des gleichen Kations erfährt; entsprechend findet man die relative Kationenlöslichkeit durch Leit- fähigkeitsbestimmungen mit Salzen von gemeinsamem Anion. Beutner gelangte so zu der Feststellung, daß, wenn als Salz a NaCl verwendet wird und als Salz b irgend ein anderes neutrales Na-Salz, das Potential der Lösung gegen das Öl immer positiver wird in der Reihenfolge: SO, DORSABOSNOSEREBBRBRDE GBENEGNL AR RE 3 137 ae Ga, Ho: Ba) EEE ii Da NE 3, DEE » Se) Bi az Ra ® ae Be FR a # > ee De En ante thten ae a 4 DR 2 d ü RER HERRSRRSEREREN ER ER BR % N + i ER en gi \“ % van Klaas iR EN k N ee a en SL ad * ae % nern ] 4 4 C30) at, va y o i n 1alete jet Bi araanadarı Kuh) OEL SEO OHELIED AED ! DER AL MM Ola Da Da BL DEE ni I DE BEAL NOIE AL EEE AR AO AL \ Bi a Si h N RR BR RRRRTRRREERRRRRRE ROBBE ERETOR LLGR ROT UROL DEE ea PAAR ORN| M DO BL a 9 DER RN | EHEN ERS SRERNDRBRRERPRNRURRES DER BERRETRREEERTSR 5 h URaNIE RR DERIRRG DRAG PERBERRG DEN BERGORLNG DDR ORAL LPATSP ODE PIREDEHL RAN ROORAPE f% t Pd | AL; Er INIRiR, ? , 4 j g ' are) arte “4 RAR RER EEE HNE DEATH { rare ine RRRESRRERS ERBE BALHES REDE BU uns 44 Ach IT N r ur ‘ u! 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