ARE AMA DSL 1 ; H fh 2 \ i 4 h “ Pr 2 a = ’ € ! “ . * n ‘ 4“ ”* x 4 r} & N \ .E 5 * K} % + + “ « ee a ne » arte 23 rt + “ EL) 208 rule hr vr wie Pur. RL patsstarhta,r,d,T 2ur4 Be Kearerir Be EN ® N vi) (2 “rs ER , DENE? were at „ a % je EHER, h£ Lore vr Yor% 9 17 vv 53755 a Rare IR it r " Bra RER, ee HE MAÄMARENAFE de EN, RER GEN Sr 7 > ® 4 PFLÜGERS ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. 8. FRANKFURT A. M. KIEL 197. BAND MIT 159 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 Druck der Spam & Inhaltsverzeichnis. Masuda, Waneji. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. Mit 18 Textabbildungen . . . : RR Re er Schenk, Paul. Über den W Anenselhlan: nd seine Bashniknsenms altınelh die malstermnersekretonischer-Drüsen na nennen Halpern, Fanny. Über die Beeinflussung der Tastschwelle durch aktive Ilyperämie. Mit 1 Textabbildung KR EEE NR SET ER < Abderhalden, Emil und Ernst Wertheimer. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Zustandes. IV. Mitteilung. Untersuchun- sen über das Brechungsvermögen des Serums vor und nach «der Krst- injektion von blutfremdem Fiweiß und nach dessen Reinjektion — Weitere Beiträge zur Kenntnis von oreanischen Nährungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIX. Mitteilung. Vergleichende Fütterungs- versuche mit Fleisch von normal und von ausschließlich mit geschliffenen Reis ernährten Tauben. Mit 4 Textabbildungen RE N DR Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen ınit spezifischer Wirkung. NX. Mitteilung. Vergleichende Fütterungsver- suche mit verschiedenen reinen Nahrungsstolfen. Mit 11 Textabbildungen. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nalrungsstolfen mit spezifischer Wirkung. XXI. Mitteilung. Versuche mit reinen Nahrungs- stoffen mit Überwiegen der Kohlenhydrate bzw. eines Fettsäuren- Glyzeringemisches. Mit 19 Textabbildungen . . . N — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nalhumnieges orten mit spezifischer Wirkung. XXIT. Mitteilung. Fütterung von Tauben mit Fleisch ohne und mit Zusätzen. Mit 5 Textabbildungen RR — und Ernst Wertheimer. Studien über ta ahnen (Versuche mit Cystein und Geweben. Studien über das Wesen der Blausäurevergiftung.) Gurwitsch, Lydia Felieine. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. Mit 4 Textabbildungen . . . A Thörner, Walter, DI oihrslolleeiisehe Uhatjensnehnaeren am " allkentlar om Nerven. I. Mitteilung. -Die überlegene Erreoungswirkung der aufstei- genden konstanten und Induktionsströme infolge Zunahme der anodi- schen Öffnungserregbarkeit und kathodischen Depression während der Erstickung. (Mit 2 Textabbildungen) . .. . — Elektrophysiologische Untersuchuneen am allsonlennen Neiten II. Mit- teilung. Sauerstoffentziehung und physiologischer Elektrotonus Atzler, Edgar und Gunther Lehmann. Untersuchungen über die Pufle- rungspotenz des Warmblütergewebes. Mit 4 Textabbildungen — — Untersuchungen über den Einfluß der Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. Mit 7 Textabbildungen Neuschlosz, S. M. Beiträge zur Kenntnis der Wirkung der Heı welykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. Mit 9 Textabbildungen Hiin, B. Die Abhängigkeit der Quellung der tierischen und pflanzlichen Gewebe von der Temperatur. Mit 4 Textabbildungen .. ..... Murase, Hideo. Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeriris elmmein ı ILAlalate na 52 2 ae ne MONO Bun RAR 8 59 IV Inhaltsverzeichnis. Frank, E., Nothmann, M. und H. Hirseh-Kauffmann. Über die „tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels nach Ausschaltung des motorischen Nerven. I. Mitteilung. Mit 5 Text- abbildungen . . . TEE oo - Riesser, 0. und W. Steinhausen. Über das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. Mit 4 TWextabbildungen Schreber, K. Der Mensch als Kraftmaschine. Mit 3 Textabbildungen Samojloff, A. Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schild- krötenherzpräparat. Mit 9 Textabbildungen N; Fodor, K. und L. Happisch. Über die V ensciatlamihen; der "Unterschieds- schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. Mit 2 Textabbildungen Sea en ehe ne Lipschütz, Alexander und Karl Wagner. Über die Hyperthrophie der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. Mit 6 Text- abbildungen Ohno, Masataka. Der Einfluß Ehemischer Contraetursubstanzen auf däs frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. Mit 7 Textabbildungen Sindler, Adolf. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel : Feringa, K. J. und J. de Haan. Über die Ursachen der Emigration der Leukocyten 1. EUR Holm, Kurt. Untersuchungen a am lbenlabendlen menschlichen mama, Mit 2 Teextabbildungen Bijlsma, U. G. und C. Versteegh, Beiträge zur Dhamualkollesne der onen stellung und der Labyrinthreflexe. VIII. Mitteilung. Vergiftung mit Chinaketonen mit besonderer Berücksichtigung der Rollbewegungen Gildemeister, Martin. Die Veranschaulichung reizphysiologischer Tat- sachen durch ein einfaches Modell . — Über Erregbarkeit und ihre Messung — Der nlamische Hautreflex (der sog. psychogalvanische Reflex) als Teil erscheinung eines allgemeinen autonomen Reflexes . . Sung-Sheng, Chou und Hans Lehmann. Über den Einfluß verschiedenen Seannnnsen auf den galvanischen Hautreflex Camis,M. DasKleinhirn alsRegulationszentrum dessy mpathischen Muskeltonus. Keller, L. Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; A ein Bei- trag zur Schlagvolumfrage. Mit 7 Textabbildungen BES: Lasareff, P. Untersuchungen über die lTonentheorie der ea. V. Mit- teilung. Über die Gesetze der NR der Empfindlichkeit im Nerv nach Ablauf der Erregung Woronzoff, D. S. Zur Frage der inyirkunes von W: asser an "die eEin- motorischen Bieenschaften der lebenden Gewebe Ebbecke, U. Membranänderung und Nervenerregung. II. Mitteilung. Über das Nervenschwirren bei Reizung sensibler Nerven BER... Junkersdorf, P. Untersuchungen über die Phlorhizinslneosunies I. Mit- teilung. Hunger-Phlorrhizinversuche DENN ee Heuking, 6. v. und A. v. Szent-@yörgyi. Über die Wirkung des defi- brinierten Blutes auf das isolierte Säugetierheız. Mit 2 Textabbil- dungen RS ERS RR R R Köllner, H. Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe verlau- fender Linien und ihre Beziehung zu den en. Mit 6 Text- abbildungen ET. ı. Sachs, H. Dilaksnkeitähioemmmmsihilien 4 am eos in nano, Mit 7 Text- abbildungen 516 518 536 Inhaltsverzeichnis. Schleier, J. Die Dehnbarkeit des quergestreiften Muskels im Zustande der Contractur. Mit 3 Textabbildungen — Versuch einer Berechnung des Blutstromes in der Teberbahn auf end von Gefäßmessungen von Mall NL RE NER N. c Amendt, K. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. Die Gerinnungszeit des Blutes der Haustiere. Mit 4 Textabbil- dIDSGEN 3 38 Vai ah A RER ES RS HARSe RE Herbst, Robert. Über den Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße beim Kaltblüter Mond, Rudolf. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. Der Einfluß der Bestrahlung mit ultraviolettem Licht Kanai, Tokujiro. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörper- chen. (Über den Einfluß von Erwärmen und Schütteln der Eiweiß- \teungen.) Sa sa re oe ee BEL er Ley, Richard. Untersuchungen über die Agglutination der roten Blut- körperchen. Mit 2 Textabbildungen DEE EN. Halbertsma, K. T. A. Über den Einfluß sknpellner radioaktiver Elemente und Hormone auf die vasomotorische Erregharkeit. Mit 2 Textabbil- dungen ANREISE LES ER Can Pelee Krzywanek, Fr. W. und Maria Steuber. Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmuneswegeen. Mit 2 Textabbildungen Autorenverzeichnis DIR AN E Y Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. Von Dr. Taneji Masuda. (Aus der Physiologischen Anstalt und der Oto-laryngologischen Klinik der Uni- versität Basel.) (Mit 18 Textabbildungen. (Eingegangen am 13. Mai 1922). Inhalt : Erster Abschnitt: Einleitung und Zweck (8. 2). Zweiter Abschnitt: Eigene Experimente (S. 5). A. Drehnachnystagmusbei verschiedener Drehgeschwindigkeit und verschiedener Drehzeit (S. 5). a) Material und Untersuchungsmethode (S. 5). b) Gesamtergebnisse der Versuche (S. 10). e) Durchschnittliche quantitative Verhältnisse des Nachnystagmus (S. 10). I. Allgemeine meßbare Merkmale des Nachnystagmus (S. 10). 1. Zeitdauer des Nachnystagmus (S. 10). 2. Zuckungsanzahl des Nachnystagmus (S. 14). 3. Dauer der einzelnen Zuckung (S. 18). II. Einfluß der Drehrichtung des Nachnystagmus (S. 22). 1. Zeitdauer bei Rechts- und Linksdrehung (S. 22). 2. Zuckungsanzahl bei Rechts- und Linksdrehung (S. 23). III. Einfluß von Drehgeschwindigkeit und Drehzeit (S. 25). 1. Beziehung der Zeitdauer und Zuckungsanzahl zur Drehgeschwindig- keit (S. 25). 2. Beziehung von Nachnystagmusdauer und Drehzeit (S. 27). IV. Schwellenverhältnisse (S. 30). 1. Schwellenwert des Drehnystagmus beim Meerschweinchen (8. 30). 2. Reflexerscheinungen bei einmaliger Umdrehung (S. 30). d) Die Schwankungen der quantitativen Merkmale des Nachnystagmus (S. 33). I. Die extremen Verhältnisse und die Schwankungsbreite (S. 33). II. Vergleichende Darstellung der Verhältnisse bei den einzelnen unter- suchten Individuen (S. 36). 1. Zeitdauer (S. 37). 2. Zuckungsanzahl (S. 40). 3. Dauer der Einzelzuckung (S. 44). 4. Schwankungsbreite der individuellen Kurven (S. 45). e) Vergleichende Betrachtung des Nachnystagmus beim Meerschweinchen und beim Menschen (S. 47). I. Zeitdauer des Nachnystagmus. (S. 48). II. Typus der Augenbewegung beim Nachnystagmus bei Meerschweinchen und Mensch (S. 48). Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 1 DD T. Masuda: B) Drehnystagmus bei verschiedenen Drehradien (S. 49). a) Material und Untersuchungsmethode (S. 50). b) Untersuchungsergebnisse (S. 50). I. Zeitdauer des Nachnystagmus (S. 53). II. Zuckungszahl des Nachnystagmus (S. 53). III. Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus (S. 54). C) Drehnystagmus bei verschiedenen Kopf- und Körperlagen (S. 55). a) Material und Untersuchungsmethode (S. 55). b) Untersuchungsergebnisse (S. 56). I. Zeitdauer des Nachnystagmus (S. 58). II. Zuckungsanzahl des Nachnystagmus (S. 58). III. Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus (S. 58). IV. Der Charakter und die Richtung des durch das Drehen in verschiedenen Kopf- und Körperlagen erregten Nystagmus während und nach der Drehung (S. 59). V. Die Stellungen des Tierkopfes während und nach der Drehung beim Drehen in verschiedenen Kopf- und Körperlagen (S. 59). Dritter Abschnitt: Theoretische Bedeutung der erwähnten Untersuchungsergeb- nisse (S. 59). Vierter Abschnitt: Zusammenfassung (S. 60). I. Abschnitt: Einleitung und Zweck. Seitdem Goltz!) im Jahre 1870 die Meinung geäußert hatte, daß die Bogengänge kein Sinnesorgan für die Gehörempfindung seien, wie es bis dahin im allgemeinen angenommen wurde, sondern ein Sinnes- organ für die Erhaltung des Gleichgewichts von Kopf und Körper, daß die Endolymphe in den Bogengängen als der normale Erreger der ampullaren Nervenendigungen zu betrachten und daß die reizaus- lösenden Kräfte in den Bogengängen wahrscheinlich der hydrostatische Druck der Endolymphe seien, ist die Lehre von den Funktionen des Vestibularapparates in ganz neue Bahnen gelenkt worden. Später haben Mach?), Breuer?) und Orum Brown*) die Annahme von @oltz in der Weise modifiziert, daß im Vestibularapparat zweierlei Sinnesorgane vereinigt seien, von welchen das eine (Utrieulus und Sacculus) für die Empfindung der Lage des Kopfes und des Körpers in der Ruhe, wie auch für die Empfindung der Progressivbewegungen, das andere hingegen (die drei Bogengänge) für die Empfindung von Drehbewegungen des Kopfes und des Körpers bestimmt wäre. Sie haben ferner angenommen, daß das reizauslösende Moment in den 1) Goltz, Über die physiologische Bedeutung der Bogengänge des Ohrlabyrinths. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 3. 1870. 2) Mach, Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen. Leipzig 1875. 3) Breuer, Studien über den Vestibularapparat. Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. der Wissensch. Abt. III. 1903. 4) Orum Brown, Journal of Anatomy and Physiology vol. VIII. Auszug in Machs Grundlinien d. Lehre v. d. Bewegungsempfindungen. 1875. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 3 Bogengängen nicht im Druck, wie Goltz früher gemeint hatte, sondern in der Strömung der Endolymphe liege. Diese Theorie, kurz ‚„Mach- Breuersche Theorie‘ genannt, beherrscht schon lange die theoretische Erklärung der Bogengangsfunktion, wenn auch viele Einwände von verschiedenen Seiten gegen sie erhoben wurden, welche wohl noch nicht vollkommen widerlegt sind. Die Erscheinungen, die durch die Reizung des Bogengangapparates hervorgerufen werden, lassen sich in zwei Gruppen einteilen, und zwar sind die einen subjektiv und die anderen objektiv wahrnehmbar. Unter den ersteren versteht man die Empfindungen der Drehung und Schein- drehung, unter den letzteren die Reaktionsbewegungen der Augen, des Kopfes, des Rumpfes und der Extremitäten. Die erstgenannten sind wegen der den subjektiven Erscheinungen immer anhaftenden Unsicherheiten zur genauen Untersuchung der Bogengangserregung weniger verwendbar, während die objektiv beob- achtbaren Erscheinungen, insbesondere die Reaktionsbewegungen der Augen, welche in Verlagerung und in rhythmisch zuckenden Bewegungen der Bulbi bestehen, für diesen Zweck geeigneter sind, da sie konstanter auftreten und als Gradmesser der Erregung des Bogengangapparates dienen können. Der Umstand, daß die Reaktionsbewegungen der Augen immer außerhalb der Beeinflussung des Willens stehen und vollkommen unbewußt verlaufen, macht sie um so wertvoller für die Beurteilung des Erresungszustandes des Bogengangapparates. Aus diesen Gründen besteht zur Zeit die Funktionsprüfung des Bogengangapparates haupt- sächlich darin, den Ablauf dieser genau charakterisierten Augenbewe- gungen bei den verschiedenen physiologisch anwendbaren Reizmethoden festzustellen. Wie allgemein bekannt ist, kommen nun bei der Reizung des Bogen- gangapparates durch aktive oder passive Drehung nystagmische Augenbewegungen zustande, sowohl während der Drehung (Dreh- nystagmus) als nach der Drehung (Nachnystagmus). Diese Tatsache wird nach der Mach-Breuerschen Theorie folgendermaßen erklärt: Bei der Beschleunigung im Beginn der Drehung bleibt die Endolymphe infolge ihrer Trägheit zurück und wirkt in der Weise auf den Ampullar- apparat, daß sie eine momentane Verschiebung der Cupula und da- durch eine einseitige Anspannung der Hörhaare verursacht. Diese löst, solange sie andauert, die Empfindung einer Rotation aus. Im Falle kurzdauernder Kopfdrehung erfolgt nach vollendeter Bewegung ein Gegenstoß der Endolymphe, und die Cupula wird in entgegen- gesetzter Richtung in die Ruhelage zurückgeschoben; dadurch werden auch die veränderten Spannungsverhältnisse der Hörhaare sofort wieder aufgehoben. Wenn die Drehung fortdauert, so kehren die Hörhaare, mitihnen auch die Cupula, noch während derselben, durch ihre Elastizität 1® 4 T. Masuda: allmählich in ihre normale Lage zurück. Gleichzeitig mit dem Auf- hören der Umdrehungen kommt wieder bei dieser Verzögerung der Bewegung die Trägheit der Endolymphe zur Geltung und bewirkt eine Verlagerung der Cupula in entgegengesetzter Richtung. Dies löst die Empfindung einer Rotation aus, welche in einer der vorausgegan- genen Drehung entgegengesetzten Richtung zu erfolgen scheint. Die gleichen ursächlichen Momente bedingen auch die Augenbewegungen, das erstere den Drehnystagmus, das zweite den Nachnystagmus. Unter den zweierlei Augenbewegungen, während und nach der Drehung, bevorzugt man gewöhnlich den Nachnystagmus bei der Funktionsprüfung, weil der Drehnystagmus während der Drehung viel schwerer zu beobachten ist. Dieser Nachnystagmus ist die einzige Reflexerscheinung unter den verschiedenen, bei der Reizung des Bogen- gangapparates durch die aktive und passive Drehung zustande kommen- den Reaktionen, welche zur Zeit eine genaue, messende Beobachtung gestattet. Diese zahlenmäßige Bemessung des Nachnystagmus, welche wohl besser als andere Prüfungsmethoden die physiologischen Erregungs- verhältnisse des Bogengangapparates beurteilen läßt, ist bis heute von den Otologen, wie auch von den Physiologen noch wenig beachtet worden. In der Literatur findet man nur die Arbeit von Barany!) vom Jahre 1907, welche auf Untersuchungen beim Menschen fußt. Obwohl Barany durch seine Untersuchung verschiedene klinisch und physiologisch interessante Verhältnisse des Drehnystagmus fest- stellen konnte, blieben doch nicht wenige Fragen übrig, welche einer weiteren Untersuchung bedürfen, wozu vor allem auch Tierexperi- mente heranzuziehen sind. Barany legte z. B. bei seiner Untersuchung das Hauptgewicht auf die Beobachtung der Zeitdauer des Nachnystag- mus, während sowohl die Zuckungsanzahlen, wie auch die Dauer der einzelnen Zuckungen bei der Erforschung der Physiologie des Dreh- nystagmus ebenso große Aufmerksamkeit, wie die Zeitdauer desselben verdienen. Ferner bediente er sich bei der Bestimmung der optimalen Drehung beim Menschen nur einer Drehgeschwindigkeit. (Dauer der einzelnen Umdrehung etwa 2 Sekunden.) Auch hier ist eine Weiter- untersuchung notwendig, und wie meine Arbeit zeigen wird, üben ver- schieden schnelle Drehungen sehr verschieden starke Reizwirkungen auf den Ampullarapparat aus, wodurch verschieden lang dauernde nystagmische Augenbewegungen hervorgerufen werden. Es fehlen ferner noch systematische Feststellungen über die individuellen Schwankungen des Nachnystagmus, welche für die physiologische und klinische Er- 1) Bärdny, Weitere Untersuchungen über den vom Vestibularapparat des Ohres reflektorisch ausgelösten, rhythmischen Nystagmus und seine Begleit- erscheinungen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. 41. 1907. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 5 forschung des Drehnystagmus interessant wäre, da barany bei der Untersuchung am Menschen nie die ganze von ihm durchgeführte Drehungsserie von 2—60 Umdrehungen bei ein und demselben Indi- viduum anwenden konnte. Dies machte natürlich das genaue Verfolgen dieser Frage unmöglich. Von sSiebenmann angeregt, habe ich seit November 1919 in der physiologischen Anstalt der Universität Basel unter der Leitung von Metzner und Rohrer mich mit der zahlenmäßigen Untersuchung des Nachnystagmus beschäftigt. Für meine Untersuchungen standen folgende drei Fragen im Vorder- grunde des Interesses: 1. Wie verhalten sich die Zeitdauer, Zuckungsanzahl und die Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus bei verschiedenen Drehgeschwindigkeiten und Drehzeiten ? 2. Welchen Einfluß besitzt die Größe des Drehradius auf die Zeit- dauer, Zuckungsanzahl und Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus? 3. Wie gestalten sich die Zeitdauer, Zuckungsanzahl und Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus bei der Umdrehung in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen ? Da sich bei meinen Untersuchungen eine Reihe klinisch und theo- retisch interessanter Resultate ergaben, dürfte eine eingehende Dar- stellung der Untersuchungsergebnisse als Beitrag zur Physiologie des Bogengangapparates wertvoll sein. Zweiter Abschnitt: Eigene Experimente. A. Drehnystagmus bei verschiedenen Drehgesehwindigkeiten und ver- schiedener Drehzeit. Diese Versuchsreihe dient zur Beantwortung der Frage 1, nach dem Verhalten des Nachnystagmus bei verschiedener Drehgeschwindig- keit und verschiedener Drehzeit. a) Material und Untersuchungsmethode. Bei meinen Versuchen habe ich Meerschweinchen als Versuchs- objekte benutzt. Dieses Tier erwies sich als sehr geeignet, weil es sehr gut auf die Drehung reagiert und jedesmal sehr prompte, leicht zu beobachtende, nystagmische Augenbewegungen sowohl während, als auch nach der Drehung zeigt. Ferner kann infolge des geringen Körper- gewichtes und der Zahmheit dieses Versuchstieres mit geringer Mühe Drehung in verschiedenen erwünschten Drehgeschwindigkeiten und verschiedenen Drehzahlen vorgenommen werden. Als Maßstab der Beurteilung der vollkommenen funktionellen Integrität des Versuchstieres im Gebiete des Cochlear- und Vestibular- 6 T. Masuda: apparates habe ich für die funktionelle Prüfung des ersteren den be- kannten Preyerschen Ohrmuschelreflex und den cochleo-facialen Reflex bei der Schalleinwirkung benutzt. Was den Vestibularapparat an- betrifft, habe ich nur solche Tiere als normal angenommen, welche auf Drehung prompt mit Kopf- und Augennystagmus reagierten. Um die bei dieser Tierart oft vorkommende Mittelohreiterung auszuschließen, nahm ich eine genaue Spiegeluntersuchung vor, um den Zustand des Trommelfelles und äußeren Gehörganges festzustellen. Durch diese speziellen und auch allgemeinen Untersuchungen kamen nur, so weit übersehbar, vollkommen normale Tiere bei den Versuchen zur Ver- wendung. Für die erste Versuchsreihe wurden durchweg die gleichen fünf Tiere verwendet, welche während der ganzen Zeit keine Gesundheits- störungen aufwiesen. Für die Drehung der Tiere benutzte ich, nach Proben mit ver- schiedenen Vorrichtungen, einen einfachen Drehapparat, welcher ohne große Mühe gleichmäßig drehbar ist und mit welchem die verschiedenen Drehgeschwindigkeiten und Drehzahlen leicht zu erzielen waren. Dieser Drehapparat bestand aus einem Brett von 80 : 40 : 3,5 cm, auf welchem zwei mit durch Schnurlauf verbundene hölzerne Drehscheiben von etwa 18cm Durchmesser montiert waren, wovon die eine mittels eines Handgriffes als Antriebsrad wirkte. Auf der anderen befanden sich zwei Eisenstäbchen, welche etwa l cm aus ihr hervorragten, um das zur Aufnahme des Versuchstieres bestimmte, oben offene, vorn mit einem Ausschnitt für den Hals des Tieres versehene Kistchen zu befestigen. Das Kistehen konnte dann mit Hilfe zweier, mit ent- sprechenden Löchern versehenen Klötzchen fest auf die Eisenzapfen aufgesetzt werden. Diese Kistchen hatte ich in zwei Formaten zur Hand, je nach der Größe des Tieres, und benutzte sie, da der Zweck dieser Versuche nicht in der Beobachtung der Reaktionsbewegungen des Körpers, sondern lediglich in derjenigen der Augen lag. Um das bei schneller Drehung häufig vorkommende Herausspringen des Tieres aus dem Kasten, aus welchem der Kopf und der größte Teil des Halses hervorragten, zu verhindern, legte ich einige Schnurschleifen über dasselbe mittels einiger am oberen Rande der Seitenwände angebrachten Drahtstifte. Durch diese Einrichtung wurde eine Ruhigstellung des Tierkörpers während des Versuches erzielt. Die Schwierigkeit bei der zahlenmäßigen Untersuchung liegt einer- seits in der Notwendigkeit gleichmäßigen Drehens mit der gewünschten Geschwindigkeit und des gleichmäßigen Beginnens und Anhaltens, andererseits im genauen Bemessen der Zeitdauer und im genauen Zählen der Zuckungen des Nachnystagmus. Mit einiger Übung und Aufmerksamkeit kann man sie jedoch überwinden. Beim Meerschwein- Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 7 chen tritt der Nachnystagmus direkt nach dem Anhalten ein, und das Aufhören der nystagmischen Augenbewegungen findet meistens mehr oder weniger prompt statt, wenn auch das Ende desselben etwas schwerer als sein Beginn festzustellen ist, besonders bei langsameren Dreh- geschwindigkeiten, wo die Intensität der nystagmischen Augen- bewegungen geringer ist. Im allgemeinen läßt sich die Zeitdauer des Nachnystagmus ziemlich genau bemessen, was bei der Zählung der Zuckungsanzahlen nicht immer der Fall ist. Wie ich in einem späteren Kapitel erwähnen werde, sind die Typen der nystagmischen Augen- bewegungen beim Meerschweinchen nicht gleichartig, wie es barany beim Menschen konstatierte, sondern ziemlich verschieden. Das Zählen der Zuckungsanzahlen ist bei den Tieren mit grobschlägigem Nystag- mus in der Regel viel leichter als bei denjenigen Tieren, welche fein- schlägigen, d.h. mit kleineren Bewegungsexkursionen schlagenden Nystagmus zeigen. Bei denjenigen Tieren, welche mitten im Verlaufe der nystagmischen Augenbewegungen manchmal ein gruppenweises Auftreten von einigen feinschlägigen Zuckungen zeigen, ist das Zählen derselben viel schwerer, da solche Schläge viel feiner und schneller als die anderen erfolgen und man dadurch leicht in Verwirrung gebracht werden kann. Bei kleineren Drehgeschwindigkeiten läuft man Gefahr, wegen der Schwäche des Nachnystagmus das Zählen zu frühzeitig auf- zugeben. Erst nachdem ich etwa einen Monat lang das gleichmäßige Drehen, das genaue Bemessen der Zeitdauer und das Zählen der Zuckungen geübt hatte, begann ich der eigentlichen Versuchsreihe. Dabei stellte sich die folgende Methode als die geeignetste dar. Bei dem in Fensternähe aufgestellten Drehapparat wurde das rechtsbefindliche Antriebsrad mit der rechten Hand in Bewegung gesetzt, wobei die andere Scheibe mit dem aufgesetzten Tierkästchen die gleiche Tourenzahl ausführte. Die genaue Regulierung der Drehgeschwindigkeit hat mir zuerst ziemlich große Schwierig- keiten bereitet. Aber durch wiederholtes Versuchen ist es mir doch gelungen, sie durch die Übung des Muskelgefühls und durch die Kontrollierung der Zeitdauer der einzelnen Touren mittelst genauen Beobachtens einer Uhr, die neben dem Drehapparat aufgestellt war, ohne besondere Mühe zustande zu bringen. Die Zeitdauer des Nachnystagmus bestimmte ich mit einer Stoppuhr, die ich im Augenblick des Anhaltens der Drehung mit der linken Hand in Gang setzte, um sie wieder beim Aufhören des Nachnystagmus anzuhalten. Das Experiment gestaltete sich also folgendermaßen: Nachdem das Tier in dem Kistchen auf der linken Scheibe befestigt worden war, versetzte ich es in die gewünschte Drehgeschwindigkeit auf obenerwähnte Weise. Nach dem Anhalten beobachtete ich seine Augen genau, um die Zuckungen des Nachnystagmus zu zählen und die Dauer zu messen. Ich wandte folgende fünf Drehgeschwindigkeiten der Reihe nach an: Eine Umdrehung in einer viertel Sekunde, kurz 1/,”” Drehung, in einer halben Sekunde oder !/,”” Drehung, in einer Sekunde oder 1” Drehung, in zwei Sekunden oder 2” Drehung, in drei Sekunden oder 3” Drehung. . . T. Masuda: — m ge en Op a = : la J y ! ! j (| en @ ID (€) a) ‘) sogar g 0 |) 010 Se 10a 1010 0 To \qa oo ıF ga oO | 9 lo \a| 7 || adny 5° (8) (2) 9) (6) (9) | (6) (ID | @ || soxarg a ol ee © 0 |\gaı 7 |9|ca9| 7 |cH| 0 (ac n»a| any on (2) (09) (on) @) | (8) W)@ 0 on @ on) ı@| 0 |segwea| z o/eals|lis/ı2)0|9)0 0 sed oo |9 eei2 2. | <= \9 0 co q | adıy ; DER LGED) (6) 0 I (Em EM KE (| (E) | soxurt OeEcHn & 9 sie|qg |, sIgası s Ies| a Ida | a [es |ag9 | qg |rwaal OL | 2% s 8\.2 |ggı ‚8 | sony BI WIE LM | W CD © | WM |KD| ED En WKN En|on en | 0 | KD IENIELN|& Im (oM a)! (8 | (on |segmeı 7 g |g'q ; 9 |9l9a I a ıco|es is | 6 | 9 | 2 ıc9/)6 an 2 | Ss | 6 do | 6 |e8 | oL | 46 |galasg |cy| 8 | oany ) | (on) & | En | @ \(on (on (9) |Fn| (en (en (en) (en (men («m| (8 | (on I an En|EnD onen | Zi) | @. (6) |) (zu) | somurg 6.1 OR | OL | TE | FT | 6 | SL | OL |STE ZU |S'SE | IT | PL | 2 ar) SI |SEr gar cs | Er | SIT gior SSL oT |e'Tı IT | 6 dr or) sr || adny en) (2) | OD | ED LI ED Keen | ||| (CD | 0 | Een | Le Re |lTz) Kon) (02) |soguaauı Cor |SIE SL | IT | 6T | 6 es | oT || er en ED Te un | (| er) (EN (I) ED ED III DIDI | | | sagyaay| sera Elfi za lg HI cH ge geile | — - — — - —- | -/ - | —, — | odny 24 (en) \(eD)|(6T)| (en) | (ee) | (en) En) |(en) (en) (9D)| (6) (on) (| (6) DIDI) sayut A |ATIIUT TE | 1 A |\AI LIT I/I| A | aulıı In IıA|AI m I | 1 |A Am m |I | A |AI um I|ı I ı Naydıp Z = | —_ - | -UIMUOS SIIALL SIP IAWWNN SII9IL SOp TAWUMmN saI9LL SEP AwUNN | | -adyaıqg > = _ SEIEN —_ a _ Sungyorıyard uosunyaıpun 08 or S | op [yezuy SEEN 9 ich zahl der Umdrehun- Um den dabei eventuell des vorkommenden Beobachtungs- Die An gen bei den verschiedenen Dreh- geschwindigkeiten habe So kamen bei !/,” Drehung 10, 20, 30, 40, 50, 60, 70, 80, 100 und 120 Umdrehungen zur Anwendung; bei !/,”” Drehung und bei 2” und 3” Drehungen, 5, 10, 20, 30, 40 Umdrehun- habe ich bei jedem Versuche das Tier viermal, und zwar zweimal nach rechts und zwei- mal nach links gedreht. Unter Rechtsdrehung verstehe ich die 40, 50, 60, 70, 80 und 100, fehler möglichst zu vermeiden, ziemlich stark variieren lassen. und 1” Drehung 5, 10, 20, 30, gen. im Sinne Uhrzeigers 9, OT | ST Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. | 18 80 | 2 ea je | @ GO) M|En| WW on @| Wen] W | (| () sie || a | 2 |\eH ge en 9 WM DET DW BRAD | KE| el L 6 (£1) (€e) en (en) |(8T) (80) |(Te) (08) aD un CD (LE) (16) ED ED ED | Ge () (En (on) (ie) Gm) (1) sL gar FI |e9L | FI Jerzergzılsen SL | ST |ee (88) (9H) (Le) (He) (er) | (ae) (8E) “) GB) (en) @@ (0) (&) (ze) (FH) (62) (98) | (6P) | (GE) (BE) (eg) 43 &) (u) (68) %% angeschauten ausgeführte Dre- hung; die Linksdrehung ist die Bei jeder Links- und Rechtsdrehung habe ich die beiden Augen geson- entgegengesetzte. dert untersucht, um bei jeder Drehungsart einen Wert vom linken, und einen vom rechten Auge zu erhalten. Ge] g’6T| ST | 91 Sol FI GI (se) ra Co (08) (ep) (a2) (ar) (pe) (6) (LE) LH) Ge) We) ST OT ICTT 9T | 06 | Tall LI [GEIST (17) (Be) RE) (Or) |(Te) | (6E) (er) (Fe) (E) (&D Gel (98) 821 (ag) Daraus, daß das Tier nur horizontal um seine vertikale Achse gedreht wurde, erhellt, g'sT (8#) a (&F) ) L (9) G daß lediglich der horizontale Nystagmus zur Untersuchung G L (op ası (#) FR ı (8) G L (9) ‚om Wieder- Die bei häufiger holung des Drehens beim glei- Sa lESE| I@| F (9) | erg (13) | (97) IL|C8 WAOIKA 9) GT, S'ST (22) (28) er |e'SI (ae) | (9E) (98) | (ge) chen Tier auftretende Ermü- dung des Vestibularapparates darf nicht wunberücksichtigt bleiben, obschon diese Frage Got ze (6%) fest- noch nicht einwandfrei gestellt worden ist. Zwar kon- ol (FE 907 (22) statierte Barany keine Ermü- Lo (eg) dung beim Menschen trotz unmittelbar aufeinander folgen- neo o.—= Neuerdings hat Griffith!) mit weißen Ratten 1) Griffith, Effet des rota- den Drehungen. IaunYy ‚sOJy994 , o3nYy , soyur] | any |seruoay | 9anYy | SOYUrT | osny ‚soyyo | aOnYy , SOYUrT | | | | InYV sagyaay 9anY SoNqulT IanV soYyao4 9anY SOyur] 9anYy soIyaady any SOyurT Re- ’ tees sur les nystag- epe R mes. The laryngoscope 30 tions r u) 10 T. Masuda: diese Frage weiter verfolgt, wobei er bemerkte, daß die Zeitdauer des Dreh- nachnystagmus bei wiederholter Drehung allmählich abnahm, Mit der Abnahme der Zeitdauer erfolgte auch die Verminderung der anderen Begleiterscheinungen, wie Übelkeit und Bewegung des Kopfes. Deshalb habe ich zwischen jedem Ver- such eine 10—15 Minuten lange Pause eintreten lassen, um so die eventuelle Ermüdung des Nachnystagmus zu vermeiden. b) Gesamtergebnisse der Untersuchung. Die vorstehende TabelleI stellt die Gesamtergebnisse, die ich durch die Untersuchung von 5 Meerschweinchen gewonnen habe, dar. Die Zahlen ohne Klammern zeigen die Zeitdauer des Nachnystagmus in Sekunden, die eingeklammerten Zahlen die Anzahl der Zuckungen. In den Fällen, wo ich weder zuckende Bewegungen noch eine Ver- lagerung der Bulbi bemerkte, habe ich eine Null in die Tabelle gesetzt. Die Fälle, wo ich keine Zuckung, aber eine Verlagerung der Bulbi konstatierte, habe ich in der Tabelle gleichfalls mit einer Null bezeichnet, jedoch mit einer Anmerkung ‚Dev.‘ versehen und dazugeschriebener Zeitdauer der Verlagerung der Bulbi in Sekunden. c) Durchscehnittliche quantitative Verhältnisse des Nachnystagmus. I. Allgemeine meßbare Merkmale des Nachnystagmus. l. Zeitdauer des Nachnystagmus. Es wurden die Durchschnittswerte der Zeitdauer des Nachnystagmus der 5 Tiere für Rechts- und Linksdrehung gesondert aus der Gesamt- tabelle berechnet und in folgender Abb. 1 über den Drehanzahlen graphisch dargestellt. Die Werte für gleiche Drehgeschwindigkeit sind durch Linienzüge verbunden. Aus folgender Abbildung ersieht man, daß bei wachsender Anzahl der Drehungen und wachsender Drehgeschwindigkeit die Zeitdauer des Nachnystagmus zunimmt. Man sieht ferner, daß die Zeitdauer des Nachnystagmus eine ziemlich rasche Zunahme im Anfangsteile der Zunahme der Drehzahlen zeigt und nach dem Erreichen eines höchsten Wertes bei einer bestimmten Drehzahl eine mehr oder minder deutliche Neigung zur allmählichen Abnahme mit der weiteren Zunahme der Drehzahlen bekundet. Die Drehzahlen, bei welchen die Zeitdauer des Nachnystagmus ihren höchsten Wert erreicht, sind ziemlich ver- schieden, je nach der Drehgeschwindigkeit; im allgemeinen erreicht sie bei langsamen Drehungen ihren Höchstwert nach weniger häufigen Umdrehungen. So bei 3”- und 2”’-Drehungen nach 10 resp. 20 Um- ferat: L’oto-rhino-laryngologie internationale, juillet 1920; Derselbe, La dimi- nution du nystagmus apres rotations r&epetees. The Laryngoscope 30; Referat: L’oto-rhino-laryngologie internationale, Septembre 1920. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. lat drehungen; bei 1”’-Drehung nach 30, bei !/,”-Drehung erst nach 40 und bei !/,’-Drehung gar erst nach 100 Umdrehungent). Ferner sind die Verhältnisse der Zunahme der Zeitdauer zu der Zunahme der Drehzahlen, nicht die gleichen bei verschiedenen Drehgeschwindigkeiten. Bei t/,”- Drehung ist die Zunahme weniger rasch als bei den anderen vier Drehungen; die Kurve dieser Drehung zeigt daher einen flacheren Verlauf und erreicht erst bei 100 Drehungen ihren höchsten Punkt. Bei den anderen vier Drehungen nimmt die Zeitdauer des Nachnystagmus anfangs viel rascher als bei !/,””-Drehung zu; infolge- dessen zeigen die Kurven viel steileren Anstieg und erreichen ihren höchsten Punkt bei viel geringeren Drehzahlen als bei !/,”-Drehung. Wenn man die Reihenfolge der fünf Kurven von oben nach unten aufzählt, so steht bei 10 Drehungen die der 1/,”-Drehung am höchsten, es folgen dann die der 1”’-, t/,”-, 2”- und 3”-Drehungen?). TENGGUER des Nachnysfagmus 6 a E S %.Dr . 1 R.Dr 14 \ 13 ? 12 | | le, ne Az M En 10 ve ct | IL 9 8 7 -— ———— 2 6 en 5 4 3 2 I | 1 Drehzahlen 70, 20 B/7} 240] 877] 60 70 80 90 700 770 720 Abb. 1. Aber schon bei 40 Drehungen steht die Kurve der !/,”-Drehung fast in gleicher Höhe wie die der 1/,”-Drehung und jenseits von 50 Drehungen nehmen die Kurven von !/,-, Ya” - und 1”-Drehungen eine richtige Reihenfolge je nach der Schnelligkeit der Drehung an. Ferner stehen die Kurven der Linksdrehung bei jeder Drehung meistens höher als die der Rechtsdrehung, d. h. die Zeitdauer des Nachnystagmus ist bei der Linksdrehung im allgemeinen länger als bei Rechtsdrehung, worüber später noch genauer zu sprechen sein wird. Betrachtet man die Kurven der fünf Drehungen im einzelnen, so erkennt man, daß die Kurve der Linksdrehung der !/,”-Drehung von 10 bis 100 Drehungen mit der Zunahme der Drehzahlen ansteigt und erst bei 100 Drehungen ihren höchsten Punkt erreicht, um weiter nach 120 Drehungen eine gewisse Neigung zum Abfallen zu dokumentieren. Die Kurve der Rechtsdrehung verläuft fast parallel mit der der !) Bezieht sich auf die Durchschnittswerte der Links- und Rechtsdrehung. *) Durchschnittswerte der Links- und Rechtsdrehung. \E2 2 T. Masuda: Linksdrehung, nur mit Ausnahmen bei 30 und 70 Drehungen, wo sie je eine kleine Hebung zeigt. Eine Kreuzung der beiden Kurven findet nur bei 30 Drehungen statt. Bei !/,”-Drehung zeigt die Kurve der Linksdrehung von 5—20 Drehungen recht steilen Anstieg, jenseits von 20—100 Drehungen bleibt sie fast gradlinig in gleicher Höhe. Die Kurve der Rechtsdrehung steigt von 5—40 Drehungen mit der Zunahme der Drehzahlen auf, aber weniger steil als die der Linksdrehung. Nachdem sie bei 40 Drehungen, wo sie etwas höher als die der Linksdrehung liegst, ihren höchsten Punkt erreicht hat, zeigt sie nachher Neigung zum allmählichen Abfallen, indem sie in einer Zickzacklinie verläuft. Bei dieser Drehung kreuzen sich die beiden Kurven in mehreren Punkten und zeigen das komplizierteste Bild unter den 5 Kurven. Bei 1”-Drehung steigt die Kurve der Linksdrehung von 5—10 Drehungen recht steil an und bleibt bis 30 Drehungen fast in gleicher Höhe, um jenseits von 30 Drehungen erheblich abzufallen. Die Kurve der Rechtsdrehung steigt allmählicher an von 5—30 Drehungen, wo sie kulminiert, um im weiteren Verlauf ähnlich abzu- sinken. Bei 2”-Drehung steigen die beiden Kurven der Rechts- und Links- drehung von 5—20 Drehungen, wo sie ihren höchsten Punkt erreichen, fast gleich steil an, jenseits von 20 Drehungen fallen sie mit der Zunahme der Drehzahlen ab. Bei 3”-Drehung steigen die beiden Kurven von 5—1) Dre- hungen recht: steil an. Während die Kurve der Linksdrehung im weiteren Ver- lauf einen allmählichen Abfall zeigt, steigt die der Rechtsdrehung bei 30 Drehungen, wo sie kulminiert, wieder auf. Bei den zwei letztgenannten Drehungen kreuzen sich die beiden Kurven der Rechts- und Linksdrehung nirgends. Es wurden weiter die Gesamtdurchschnittswerte, d.h. die Durch- schnittswerte der Rechts- und Linksdrehung berechnet und über den Drehzeiten (Produkt aus Drehanzahl und Zeitdauer einer Drehung) graphisch dargestellt: Zeitdauer (Sek.) 76 9 8 7 6 5 Y 3 —— AR m“ Kan ee spaital Nrehzeitär Sek.) N ISTEOHZITIONN IST DV, 50 60 70 80 90 700 770 720 Abb. 2. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 18 In dieser graphischen Darstellung treten die oben beschriebenen Tatsachen deutlicher hervor als in Abb. 1, und zwar diejenigen, daß, je mehr die Drehgeschwindigkeit zunimmt, der Nachnystagmus desto länger dauert, so daß die Kurven der Zeitdauer um so höher liegen, je größer die Schnelligkeit der Umdrehung ist. Ferner, daß die Zeitdauer des Nachnystagmus bei jeder Drehgeschwindigkeit zunächst sehr rasch zunimmt, bei gewissen Drehzeiten ihren höchsten Wert erreicht, um mit der weiteren Zunahme der Drehzeiten mehr oder minder deutliche Neigung zur allmählichen Abnahme zu zeigen. Während in Abb. 1, welche die Kurven der Zeitdauer bei fünf Drehgeschwindigkeiten in bezug auf die Drehzahlen darstellt, die höchsten Punkte der Kurven auf ziemlich weiter Strecke zerstreut sind, liegen sie in dieser Darstellung in einer ziemlich beschränkten Zone; die höchsten Punkte bei 1/,”-Drehung in 25”, bei !/,’-Drehung in 20°’, bei 1”’-Drehung in 30”, bei 2”-Drehung in 40” und bei 3”’-Drehung in 30’ Drehzeit, also in der schmalen Zone zwischen 20” und 40’ eng beieinander. Aus dieser Tatsache läßt sich schließen, daß für die opti- male Erregung des Bogengangapparates des Meerschweinchens bei allen angewandten Drehgeschwindigkeiten die Zeitdauer des Um- drehens der maßgebendere Faktor ist als die Zahl der Umdrehungen. Man sieht ferner, daß die 5 Kurven in dieser graphischen Darstellung keinen spitzwinkligen, sondern einen mehr oder minder plateauförmigen Verlauf zeigen, indem sie in der Nähe ihrer höchsten Punkte mehrere annähernd gleiche Werte aufweisen. Wenn auch die Kurve der !/,”-Drehung nur die Anfangspartie ihres Verlaufes zeigt, weil längere Drehzeiten bei manueller Drehung nicht gut zu er- reichen waren, so kann man doch aus dem Vergleich mit den anderen Kurven ver- muten, daß ihr weiterer Verlauf auch ähnlichen Charakter besitzen wird. Bestimmt man den durchschnittlichen Abstand zwischen den einzelnen Kurven in der vorstehenden Abb. 2, im Bereiche von 10” bis 30”’-Drehzeit, indem man die einzelnen Werte für je 2,5 Sekunden Unterschied der Drehzeit abliest, so ergibt sich zwischen den Linien der 3”- und 2”-Drehung (hier ausnahmsweise von 15” —30”) 2,44” zwischen den Linien der 2”- und 1”-Drehung 4,29”, zwischen den- jenigen der 1”- und !/,’-Drehung 3,78’’, und zwischen denen der !/,”- und 1/,"-Drehung 2,38” als mittlerer Abstand. Obschon es allgemein bekannt ist, daß die nystagmischen Augen- bewegungen immer an den beiden Augen synergetisch erfolgen, so hat es mich doch interessiert, zu wissen, ob es auch beim Meerschwein- chen, bei welchem die Augen nicht in annähernd gleicher Ebene, wie beim Menschen, sondern in zwei verschiedenen Ebenen stehen, der Fall ist. Darum habe ich bei meinen Untersuchungen am rechten und linken Auge gesonderte Beobachtungen angestellt. Dies diente natürlich zugleich auch als Kontrolle für meine Beobachtungen. 14 T. Masuda: Berechnet man aus der Gesamttabelle den Durchschnitt der ge- gebenen Werte der 5 Tiere, so erhält man folgende Tabelle: Tabelle II. = D.Z. Ri 5 10 20 30 40 50 60 70 80 190 120 D.G.| D.R. | II ln An Aa EAN EA len IA Erna En Aal nA En 1” l. Auge 5,3 5,8 8 5lo,1110,J11,712, 5112 13 1lı2 1 135113, 814.0113,7 14.8l14 5lı5 cha dis U r.Auge, 5,35,77,8| 8slio,rıoalıı 12,2h1,Jlıs,ch22lıs,zlıa,zıs {13,215 f14,zl15,9l15,1114,9 ı7\l. Auge 4,34,317,99 19,3111,7112,2112,2113,5/11,6110,9/12,8112 [11,8] 9,6 11,5[10,6 11,5[11,3/11,5 > Auge 14.1|3,8]8,1[7,69,5|11,6111,2]112,1112,1111,4|12 |10,8l11,5 10,7I10,5 11,3110,2 11,5111.6 11,7 y\- Auge)4 4,6 9 17,5) 92 78 8,7 7,6] 7,2 6,5 6,8] 5,9) 6,6] 5.4 6,7] 5,9) 6 | 5.2) 6,1 r.Auge!4,314,66,2]8,46,6 7,51 7,9] 5 |5 | 7,9] 6,4 6,4 6,5 6,8l 5,7| 5,8] 6,9\ 5,7] 5,5! 5,4 9l.Auge\0 |1,3)3,615,55,2] 6,5[ 4,5 4,7] 1,2 3,9 r.Auge!0 1|0,613,215,35:6| 5,6| 3,2! 3,5} 3,51 3,6 „l.Augelo Iı palaılı |293 |28ı Io r.Augel0,8l1 b,2\3,2l1,6 3,1| 21] 1,3| 1,8) 1,7 Aus dieser tabellarischen Darstellung ist es ersichtlich, daß die beiden Augen des Meerschweinchens auch eine koinzidente Bewegung bei der Reizung des Bogengangsapparates durch die Drehung aus- führen. Die kleinen Unterschiede, welche die Tabelle aufweist, sind als eventuelle Beobachtungsfehler zu betrachten. 2. Zuckungsanzahl des Nachnystagmus. Stellt man die aus der Gesamttabelle berechneten Durchschnitts- werte der Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus in gleicher Weise wie in Abb. 1 graphisch dar, so erhält man folgende Abbildung 3. Beim Vergleiche dieser Abbildung mit Abb. 1 ist auffallend eine große Ähnlichkeit im Verlaufe der einzelnen Kurven. Darum gelten die Tatsachen, welche wir durch die Betrachtung von Abb. 1 bezüglich der Zeitdauer des Nachnystagmus feststellen konnten, auch bei der Betrachtung dieser Abbildung in bezug auf die Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus. So nimmt die Zuckungsanzahl des Nachuystagmus mit wachsender Dreh- geschwindigkeit zu. Die Kurven, welche die Zuckungsanzahlen bei verschiedenen Drehgeschwindigkeiten darstellen, zeigen eine ebenso gute Reihenfolge wie die der Zeitdauer, je nach der Schnelligkeit der angewandten Drehung. Die Zucekungs- anzahl nimmt bei jeder Drehung in der Anfangspartie der Zunahme der Dreh- zahlen recht rasch zu, und nachdem sie in gewissen Drehzahlen ihren höchsten Wert erreicht hat, zeigt sie mit der weiteren Zunahme der Drehzahlen eine mehr oder minder deutliche Neigung zum allmählichen Abfallen. Die Drehzahlen, bei welchen die höchsten Punkte erreicht werden, variieren bei verschiedenen Drehgeschwindigkeiten; im allgemeinen werden sie bei langsamen Drehungen schneller erreicht. Bei 3”-Drehung schon nach 10 Drehungen, bei 2”7- und 17- Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 15 Drehungen, nach 20, bei ?/,”-Drehung nach 40 und bei t/,”-Drehung erst nach 120 Drehungen!). Die Raschheit der Zunahme der Zuckungsanzahlen mit steigender Drehzahl ist nicht gleich groß bei den verschiedenen Drehgeschwindigkeiten. Bei 1/,”- Drehung ist sie langsamer als bei den anderen Drehungen; die Kurve besitzt hier einen flacheren Verlauf und erreicht ihren höchsten Wert erst bei der Drehungs- zahl 120. Bei den anderen nehmen die Zuckungsanzahlen zuerst viel rascher als bei 1/,”-Drehung zu; es verlaufen die Kurven im Anfang steiler und erreichen schon mit weniger Drehungen ihren höchsten Wert als die erstere. Infolgedessen steht, z uckungsanzahlen 4 35 0 20 30 40 30 60 70 80 90 700 770 720 Abb. 3. wenn man die Reihenfolge der Kurven in verschiedenen Drehzahlen von oben nach unten aufzählt, bei 10 Drehungen diejenige der 1/,”-Drehung am höchsten, worauf die von 1”[, !/,”-, 2”- und 3”-Drehungen der Reihe nach folgen!). Man findet hier also die gleiche Anordnung wie bei den Kurven der Zeitdauer bei derselben Dreh- zahl. Aber, während in Abb. 1 die Kurven der Zeitdauer erst bei 50 Drehungen ihre gesetzmäßige Reihenfolge je nach der Größe der Drehgeschwindigkeit an- genommen haben, zeigen die der Zuckungsanzahlen dieselbe schon bei 30 Drehungen _ und verbleiben so bis zu den letzten Drehzahlen. Bei jeder Drehung liegt die Kurve der Linksdrehung fast im ganzen Verlauf mehr oder minder höher als die der Rechtsdrehung, d. h. die Zuckungsanzahl bei der Linksdrehung ist bei den meisten Drehzahlen größer als die der Rechts- drehung, worauf wir später genauer zu sprechen kommen. 1!) Durchschnittswerte der Links- und Rechtsdrehung. 16 T. Masuda: Die Betrachtung der 5 Kurven im einzelnen ergibt, daß bei '/,”-Drehung die Kurven der Links- und Rechtsdrehung von 10 Drehungen ab mit der Zunahme der Drehzahlen beinahe parallel bis 80 Drehungen aufsteigen. Erst jenseits von S0 Drehungen nehmen die beiden Kurven etwas verschiedenen Verlauf, und zwar erreicht die der Linksdrehung bei 100 Drehungen ihren höchsten Wert und fällt bis 120 Drehungen ein wenig ab, während die der Rechtsdrehung noch weiter mit der Zunahme der Drehzahlen ansteigt. Die letztere liegt bei 100 und 120 Drehungen etwas höher als die der Linksdrehung und kulminiert bei 120 Drehungen. Die beiden kreuzen sich zwischen 90 und 100 Drehungen. Bei !/,”-Drehung steigt die Kurve der Linksdrehung von 5—20 Drehungen recht steil auf, und nachdem sie bis 40 Drehungen fast in gleicher Höhe geblieben ist, bildet sie eine Zacke bei 50 Drehungen, wo ihr höchster Punkt liegt. Jenseits von 50 Drehungen fällt sie mit der Zunahme der Drehzahlen allmählich ab, indem sie einen zickzackförmigen Verlauf zeigt. Die der Rechtsdrehung verläuft von 5—10 Drehungen mit der Kurve der Linksdrehung zusammen, dann steigt sie weniger steil als diese bis 40 Drehungen auf. Hier kulminiert sie und liegt höher als die andere; zeigt dann mit der weiteren Zunahme der Drehzahlen eine Neigung zum allmählichen Abfallen, indem sie wieder schwankend verläuft. Die beiden Kurven kreuzen sich an mehreren Stellen und zeigen das komplizierteste Bild unter den verschiedenen Kurven. Bei 1”-Drehung geht die Kurve der Linksdrehung von 5—10 Drehungen eben- falls recht steil hinauf und bleibt von dort bis 30 Drehungen fast in gleicher Höhe. Jenseits von 30 Drehungen fällt sie zuerst ziemlich rasch, dann allmählicher ab. Ihr höchster Punkt liegt bei 20 Drehungen. Die Kurve der Rechtsdrehung steigt von 5—20 Drehungen auf, aber viel weniger steil als die der Linksdrehung. Von 20 Drehungen bis 30 Drehungen bleibt sie in gleicher Höhe, um von dort an mit der weiteren Zunahme der Drehzahlen einen deutlichen Abfall zu zeigen. Sie kulminiert bei 20 und 30 Drehungen. Die beiden Kurven kreuzen sich zwischen 70 und 90 Drehungen. Bei 2”-Drehung gehen die beiden Kurven von Links- und Rechtsdrehung von 5 Drehungen fast gleich steil bis 20 Drehungen, wo ihre höchsten Punkte liegen, hinauf und im weiteren Verlauf fallen sie auch fast parallel ab. Bei 3”-Drehung steigen die Kurven der Links- und Rechtsdrehung von 5 bis 10 Drehungen auch recht steil auf. Während die der Linksdrehung von 10 Drehun- ‚gen, wo ihr höchster Punkt liegt, mit der weiteren Zunahme der Drehzahl all- mählich abfällt, geht die der Rechtsdrehung bei 30 Drehungen wieder in die Höhe. Bei diesen letztgenannten zwei Drehungen kreuzen sich die beiden Kurven der Rechts- und Linksdrehung nirgends. Wie man aus den oben erwähnten Tatsachen ersieht, zeigen die Kurven der Zuckungsanzahlen sogar in den kleinen Einzelheiten auf- fallende Ähnlichkeit mit denen der Zeitdauer. Die graphische Darstellung der Gesamtdurchschnittswerte aus Rechts- und Linksdrehwerten über den Drehzeiten ergibt folgende Abbildung 4. Man sieht aus dieser Darstellung viel deutlicher als bei Abb. 3, daß die Zuckungen um so zahlreicher erfolgen, je schneller die Dreh- geschwindigkeit ist, daß die Kurven der Zuckungsanzahlen eine gute Anordnung, je nach der Schnelligkeit der Umdrehung zeigen, und ferner, daß die Zuckungsanzahlen bei jeder Drehung in der Anfangspartie der Zunahme der Drehzeiten ziemlich rasch ansteigen und nach dem Beitrag der Physiologie des Drehnystagnius. 17 Erreichen ihrer höchsten Werte eine mehr oder minder starke Neigung zum Abfallen zeigen. Während in Abb. 3, wo die Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus nach den Drehzahlen dargestellt sind, die höchsten Punkte in ziemlich weiter Strecke zerstreut sind, liegen sie in dieser Darstellung in einer recht beschränkten Zone: Bei !/,’-Drehung in 30”, bei !/,’- und 1”- Drehungen in 20’, bei 2”-Drehung in 40’’ und bei 3”-Drehung in 30’. Und zwar liegen sie in einer Zone zwischen 20’’ und 40’. Aus dieser Tatsache kann man wieder schlie- ßen, daß bezüglich der optimalen Erregung des Bogengangapparates des Meerschweinchens bei allen Dreh- geschwindigkeiten die Zeitdauer des Umdrehens ein viel maßgebenderer Faktor ist als die Häufigkeit der Umdrehungen. Zuckungsanzahlen 40 Vergleicht man in dieser Hinsicht die Ergebnisse, welche man durch die Betrach- tung von Abb. 2 bekommen hat, mit den obigen, so erkennt man, daß die Zonen, in welchen die höchsten Punkte der Abb. 4. Kurven der Zeitdauer wie auch der Zuckungszahlen bei verschiedenen Dreh- geschwindigkeiten liegen, genau übereinstimmen. Diese Übereinstimmung herrscht nicht nur in der Durchschnittsausbreitung, sondern auch fast bei jedem einzelnen Wert. Bei !/,”-, 2”- und 3”-Drehungen stimmen die Drehzeiten, bei welchen der höchste Punkt einer jeden Kurve liegt, in beiden Fällen genau überein, bei den zwei anderen Drehungen jedoch nicht ganz. Während in Abb. 2 der höchste Punkt der Kurve der 1/,”-Drehung bei 25”, der der 1”’-Drehung bei 30 liegt, liest in dieser Abbildung der höchste Punkt der Kurve der 1/,”-Drehung bei 30”, der der 1”-Drehung bei 20”. Wenn man aber dabei den ganz minimalen Unter- schied zwischen den Werten von 30” und 25” bei !/,”-Drehung und zwischen den Werten von 20” und 30” bei 1”-Drehung in Abb. 4 in Betracht zieht, so kann man sagen, daß auch bei diesen zwei Drehungen annähernde Übereinstimmung vorliegt. Wie im vorigen Kapitel die Kurven der Zeitdauer, so verlaufen die 5 Kurven in dieser Abbildung auch nicht spitzwinklig, sondern plateauförmig. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 2, P4 18 T. Masuda: Hierbei zeigt die Kurve der !/,”-Drehung nur die Anfangspartie ihres Verlaufes wegen der Unvollständigkeit der ausgeführten Drehzahlen; trotzdem läßt sich ihr weiterer Verlauf vermuten, wenn man sie mit den vier anderen Kurven ver- gleicht. 3. Dauer der einzelnen Zuckung. Ein bei der genauen Untersuchung der nystagmischen Augen- bewegung sehr wichtiger Faktor, die durchschnittliche Dauer der einzelnen Zuckungen, wurde bis heute bei klinischen und physiologischen Untersuchungen vernachlässigt. Die durchschnittliche Dauer der einzelnen Zuckung bei 1/,”-, 1/5”- und 1”-Drehung wurde aus den Durchschnittswerten der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus (Abb. 1 und Abb. 3) durch Division der Zeitdauer mit den jeweils zugehörigen Zuckungsanzahlen berechnet. Die 2”- und 3”-Drehungen habe ich bei der Ausrechnung ausgeschlossen, weil, wie die Gesamt- tabelle zeigt, die Resultate der Ausrechnung bei diesen zwei Drehungen wegen der dabei vorhandenen vielen Nullwerte weniger zuverlässig sind. Die graphische Darstellung dieser Durchschnitts- werte über den Drehzahlen ergibt folgende Abbil- dung: Dauer d.einz. Zuckungen 1,7 57a 20 30 40 50 60 70 60 30 700 770 120 Abb. 5. Aus dieser Abbildung ersieht man, daß mit wachsender Dreh- geschwindigkeit die durchschnittliche Dauer der einzelnen Zuekungen abnimmt, also die Schnelligkeit wächst. Die Kurven zeigen eine regel- mäßige Reihenfolge von oben nach unten, mit steigender Dreh- geschwindigkeit. Diese Verhältnisse sind also ebenso gesetzmäßig, aber gerade rezi- prok denjenigen der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen des Nachnystag- mus. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 19 Vergleicht man ferner die einzelnen Kurven in dieser Abbildung mit den entsprechenden Kurven der Abb. 1 und 3, so bemerkt man auch einen gerade reziproken Charakter des Verlaufs besonders bei den kleinen Drehzahlen, indem zunächst eine rasche Abnahme der Werte mit zunehmenden Drehzahlen vorliegt. In ihrem weiteren Verlauf besteht hier dagegen Neigung zu konstantem Verlauf und zwar am deutlichsten bei 1/,”-Drehung, bei 1”-Drehung am wenigsten aus- geprägt. Diese Eigenschaft scheint also von der Schnelligkeit der Drehung ab- hängig. So bleibt bei !/,”-Drehung die Kurve der Linksdrehung von 30 bis 120 Drehungen, die der Rechtsdrehung von 40—120 Drehungen fast in konstanter Höhe, daher sie beinahe geradlinig verlaufen. Die größte Schwankung in diesem Bereich beträgt bei beiden Kurven nur 0,04”. Bei t/,”-Drehung bleiben die Kurven der Links- und Rechtsdrehung von 20—50 Drehungen beinahe in konstanter Höhe und verlaufen auch fast geradlinig, aber jenseits von 50 Drehungen zeigen sie eine allmähliche Zunahme bis 60 Drehungen. Von 60—100 Drehungen bleibt die Kurve der Linksdrehung wieder fast in gleicher Höhe, während die der Rechtsdrehung eine kleine Zacke bei 80 Drehungen bildet und von dort an bis 100 Drehungen wieder einen fast konstanten Verlauf zeigt. Bevor ich zur Betrachtung der Kurven der 1’”-Drehung übergehe, möchte ich hier noch eine Abbildung einschalten, welche die Durch- schnittswerte der Links- und Rechtsdrehung der vorstehenden Abb. 5 über den Drehzeiten darstellt. Diese Abbildung zeigt noch klarer als Abb. 5 die Abhängigkeit der Dauer der ein- zelnen Zuckungen von der Umdrehungsgeschwin- digkeit und die regelmäßige Folge der Kurven von oben nach unten. Dauer d. einz. Zuckungen ee (Sek.) Auch der Verlauf der einzelnen Kurven ist noch typischer als auf Abb. 5. Die Kurve der !/,”-Drehung 12:3 17,5) I 2W OD MM BI EN EN 50 60 70 v0 90 709 Abb. 6. verläuft von 10-30” Drehzeit beinahe konstant, nachdem sie von 2,5”—10”, mit zunehmenden Drehzeiten, zuerst rasch, dann allmählicher herabgestiegen ist. Die Kurve der Y/,’-Drehung zeigt wieder von 2,5—10”, anfangs rasche, dann langsamere Abnahme der Dauer der einzelnen Zuckungen und verläuft von 10-25” beinahe konstant. Von 25’ ab nimmt die Zuckungsdauer wieder ein wenig zu und bleibt von 30-50’ wieder in fast gleicher Höhe. Bei dieser Drehung zeigt die Kurve bereits jenseits von 25’ Drehzeit eine Neigung zum all- mählichen Zunehmen der Dauer der Einzelzuckung. ” 20 T. Masuda: Aus Abb. 5, noch deutlicher aus Abb. 6 ersieht man, daß die Kurve der 17- Drehung auch im weiteren Verlauf umgekehrten Charakter wie die der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen aufweist. Sie verläuft in Abb. 6 von 5—10”, rasch absteigend, von 10—40’’ dagegen nicht so ausgeprägt konstant wie die beiden anderen. Von 40—100” zeigt sie eine deutliche Zunahme der Dauer der einzelnen Zuckungen mit zunehmenden Drehzeiten. Die einzelnen Kurven der Links- und Rechtsdrehung der 1”-Drehung in Abb. 5 zeigen auch qualitativ ganz gleichen Verlauf wie die Kurve der Gesamtdurchschnittswerte in Abb. 6. Die für die 1”-Drehungskurve ausgeprägt vorhandene Reziprozität zu den Kurven der Zeitdauer und der Zuk- kungsanzahlens läßt sich auch für den weiteren Verlauf der 1/,”-Drehungs- und der 1/,”-Drehungkurve vermuten. Reziprok zur dort vorliegenden plateauförmigen Gipfelung der Kurven zwi- schen 20—30”-Drehzeit, ist hier ein flachmuldenförmiges.Kurvenminimum zwischen 10—30”-Drehzeit vorhanden, wobei bei rascherer Drehung die Flachheit zunimmt. Im Gegensatz zu länger dauernden und größere Zuckungszahlen aufweisenden Nystagmus nach Linksdrehung als demjenigen der Rechtsdrehung, sind die Kurven der Zuckungsdauer derselben, wie aus Abb. 5 ersichtlich, nur in ihrem Anfangsteile getrennt, wobei die der Linksdrehung kleinere Werte bsitzt. Im weiteren Verlaufe nähern sie sich, so daß der Unterschied minimal wird. Die Größe der Strecken, auf welchen diese geteilt oder zusammenliegend verlaufen, ist von der Dreh- geschwindigkeit abhängig. Bei 1/,-Drehung verlaufen die beiden Kurven von 10—40 Drehungen getrennt und liest die Kurve der Linksdrehung tiefer. Zwischen 40 und 120 Drehungen sind sie sehr nahe zusammenliegend. Bei !/,”’-Drehung verläuft die Kurve der Links- drehung von 5—10 Drehungen wiederum tiefer, von 10—70 Drehungen sind sie dicht nebeneinander, von 70—100 Drehungen ist dagegen die Kurve der Rechts- drehung hier tiefer liegend. Bei 1”-Drehung ist die Linksdrehungslinie bis 40 Dre- hungen niederer als die der Rechtsdrehung; von 40—70 Drehungen verlaufen sie eng zusammen, jenseits von 70 Drehungen ist die Linksdrehungskurve wieder tiefer liegend. Man erkennt daraus, daß der Nystagmus im Bereich der kleineren Drehzahlen nach Linksdrehung schneller als nach Rechtsdrehung schlägt, und zwar: bei !/,’-Drehung von 10—40, bei !/,’-Drehung von 5—10 und bei 1”’-Drehung von 5—40 Umdrehungen. Dagegen sind die Schläge bei größeren Drehzahlen ungefähr gleich schnell; so bei !/y’-Drehung auf einer Strecke von 40—120, bei 1/,”-Drehung von 10-70, bei 1”-Drehung von 40—70 Drehungen. Wachsen die Drehzahlen noch mehr, so treten wechselnde Unterschiede auf, so daß der Nystagmus bei !/,’-Drehung nach Rechtsdrehung, bei 1”- Drehung aber nach Linksdrehung schneller schlägt. Diese Eigenschaften, zusammen mit der erwähnten Neigung zur Bildung eines flachen Minimums im Verlauf, stellen das Charakteristi- cum der über den Drehzeiten gezeichneten Kurven der durchschnitt- lichen Dauer der einzelnen Zuckungen dar. Um die zuletzt festgestellte Tatsache und ferner auch das Verhält- nis zwischen Rechts- und Linksdrehung in bezug auf die Zuckungs- schnelligkeit des Nachnystagmus noch weiter verfolgen zu können, berechnete ich die reziproken Werte der Zahlen, welche in Abb. 5 dar- Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 2a gestellt sind, indem ich eine Sekunde durch die einzelnen Werte divi- dierte. Die berechneten Werte, welche also die Zuckungsanzahlen in einer Sekunde, d.h. die Zuckungsschnelligkeit des Nachnystagmus bedeuten, sind in Abb. 6a über den Drehanzahlen graphisch dargestellt. LINE: eis. Zuckung Zuckungs- Schnelligkeit 2,8 09,2 | Nrehzeiran Sek.) RE EEE 20 50 60 70 30 90 700 Abb. 6b. Außer den zuletzt festgestellten Verhältnissen, welche in Abbil- dung 6a sehr deutlich in Erscheinung treten, ersieht man die gute Reihenfolge der Kurven, je nach der Schnelligkeit der Umdrehung. 22 T. Masuda: Die Zuckungsschnelligkeit des Nachnystagmus nimmt hier wie die Zeitdauer und die Zuckungsanzahlen mit der wachsenden Dreh- geschwindigkeit zu. Die einzelnen Kurven besitzen im allgemeinen beinahe gleichen Charakter wie die der Zeitdauer und der Zuckungs- anzahlen: sie erreichen nach ihrem anfänglichen steilen Aufstieg ihr Maximum in gewissen Drehzahlen und fallen dann allmählich ab. Dieser Charakter ist bei den beiden Kurven der 1”-Drehung besonders ausgeprägt. Die anderen Kurven neigen auf einer gewissen Strecke zum mehr oder weniger deutlichen Konstantbleiben. Diese Eigen- schaft ist an der Kurve der Linksdrehung bei !/,’-Drehung am auf- fallendsten. Aus der vorstehenden Abb. 6b, die durch die graphische Darstellung der Durchschnittswerte der Rechts- und Linksdrehung von Abb. 6a nach Drehzeiten erhalten wurde, sind die oben genannten Verhältnisse‘ noch klarer ersichtlich, besonders die Ähnlichkeit mit den Kurven von Abb. 2. II. Einfluß der Drehrichtung. 1. Zeitdauer des Nachnystagmus bei Linksdrehung und Rechtsdrehung. Wie schon oben S. 11 festgestellt, überwiegt die Zeitdauer des Nachnystagmus nach Linksdrehung diejenige nach Rechtsdrehung. In folgendem gehe ich näher auf diese Frage ein. In Betracht kommt Abb. 1 mit den Mittelwerten der Zeitdauer nach Links- und nach Rechtsdrehung. Bei !/,”-Drehung überwiegt die Zeitdauer des Nachnystagmus nach Rechts- drehung nur einmal — bei 30 Drehungen — ein wenig die nach Linksdrehung. Bei sonstigen Drehzahlen hat der Nachnystagmus nach Linksdrehung längere Dauer als nach Rechtsdrehung. Diese Differenz beträgt im Durchschnitt 0,82”; im Maximum 1,5”, im Minimum 0,1”. Bei 1/,”-Drehung ist die Zeitdauer des Nach- nystagmus nach Rechtsdrehung nur bei 5, 40 und 60 Drehungen länger als die Zeitdauer nach Linksdrehung. Bei 30 Drehungen ist sie nach Rechts- und Links- drehung gleichlang. Bei sonstigen Drehzahlen besitzt der Nachnystagmus nach Linksdrehung längere Dauer als nach Rechtsdrehung. Diese Differenz beträgt im Durchschnitt 0,35”; im Maximum 2,4”, im Minimum 0,1”. Bei 1”-Drehung überwiegt die Zeitdauer nach Rechtsdrehung nur einmal bei 80 Drehungen, bei allen anderen Drehzahlen überwiegt die Linksdrehung und zwar beträgt die Differenz im Durchschnitt 0,73”; im Maximum 2,6’, im Minimum 0,1”. Bei 2”- und 3”- Drehungen ist der Nachnystagmus nach Linksdrehung bei sämtlichen Drehzahlen immer von längerer Dauer als nach Rechtsdrehung. Die Differenz beträgt bei 27- Drehung im Durchschnitt 1,16” im Maximum 2”, im Minimum 0,7”, bei 3”-Drehung im. Durchschnitt 0,78”; im Maximum 1,7”, im Minimum 0,1”. Es ist auffallend, daß die durchschnittliche Differenz zwischen Links- und Rechtsdrehung bei t/,”-, 1”- und 3”-Drehungen trotz des großen Unterschiedes der Drehgeschwindigkeit annähernd gleich groß ist. Der durchschnittliche Unterschied der Nachnystagmusdauer zwischen Rechts- und Linksdrehung beträgt für 1/,”-, Ys"-, 1”-, 2”- und 3”-Drehung: 0,82; 0,35; 0,73: 1,16 und 0,78 Sekunden. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. . 23 Aus der obigen Betrachtung geht hervor, daß die Zeitdauer des Nachnystagmus nach Linksdrehung bei den 5 Drehgeschwindigkeiten bei den meisten Drehzahlen überwiegt und zwar, wie sich im folgenden ergibt, nicht nur für die Durchschnittswerte für alle Versuchstiere zusammen, sondern auch wenn die einzelnen Werte in der Gesamt- tabelle berücksichtigt werden. Wenn man in der Gesamttabelle die Werte der Links- und Rechtsdrehung jedes Versuchstieres, die am linken und rechten Auge gesondert beobachtet worden sind, im einzelnen vergleicht, und zwar einmal die Werte der Links- und Rechts- drehung am linken, und das andere Mal die Werte der Links- und Rechts- drehung am rechten Auge, so erhält man Ergebnisse, welche in nachstehender Tabelle aufgeführt sind. In dieser Tabelle bedeutet 1 die Zeitdauer des Nach- nystagmus nach Linksdrehung, r die nach Rechtsdrehung. Tabelle III. | Dy7. D.G@. | ee] z Sci | x | Sn 10 20 30 | 40 50 60 | 10 s0 u 120 | Summe >35 ee Sea: en | 2100. ro | u —— 5 aaa, Pe 2 5.58 oa 22.666 4 44 Ne AR a ee — 14 ie Aa, 2a ee | - 42 | | | | | era 6, 7. 5,4|5|6 | 2.6 53 = 8 ae aaa Izr,:3| 1) 2| 2. 42)2)3|2|6 | 3 ı——- 8% 1>2).3), 515, 8 6 — 05 2°. | = m a me = 15 0 BO 3 10 Bokı 3), 3) 14 3” j=r sg ‚3 |“6 |*5 |*06 - 28 Mer Se oe 8 Man ersieht aus dieser Tabelle, daß bei jeder Drehung die Summe von 1 > r weit größer als die Summe von] r 8 58|6|68 | 7 || Elle u 7 ler 0A 2 ı1|1jJ010|)0e|)o) 7 10 N << 1... 1. |",000 803.209 Rau 22) 24 De ae | 2 ee ae le 14 erınlo 3. 0.752026 el ee er 34 ra are au A| 8 | 8 55 we 4), One | le 20 IE OD. 25 2 ae 7. 28 Da ee 0 | 02 10 ll... Bra As 1% Ser) | a a ae 17 37 | ala a 2 2266 — 26 el ae ee 7 Beitrag zur Physiologie des Drelinystagmus. 25 Man ersieht aus dieser Tabelle, daß die Summe von 1 > r bei den sämtlichen fünf Drehungen weit größer als die Summe von 1 länger als die entsprechende Umdrehungsdauer ist. Erst bei 12,5” werden sie ungefähr gleich lang, bei a allen größeren Drehzahlen ist sie kürzer als die Um- 130 drehungsdauer. Das prozentuale Verhältnis der Zeit- 120 dauer zu der Umdrehungsdauer ist bei den kleinsten untersuchten Drehzeiten am größten; die Nachny- 110 2 . stagmusdauer beträgt hier mehr als das Doppelte 200 der Umdrehungsdauer, und nimmt dann zuerst rasch, 90 später langsamer mit zunehmenden Drehzeiten ab, 30 um endlich bei 30’ ungefähr die Hälfte der letz- teren zu betragen. 70 60 50 ei 4 Dr) 40 q - — Ju — “ T >> (40) = une IE 70 25 2517125 175 Sen — 92) | "Or SU RM EN Hm 3 0 Zn BO 2 Abb. 9. Die gleiche Betrachtung an der Kurve der t/,”-Drehung ergibt, daß die Zeit- dauer bei kleinen Drehzeiten unter 11”, wo sie die 100%-Linie schneidet, länger 28 T. Masuda: als die Umdrehungsdauer ist. Bei 11” wird sie gleich groß, nachher ist sie immer kleiner als die Umdrehungsdauer. Ihr Verhältnis ist bei 2,5” resp. 5 Drehungen am größten und wird zuerst rasch, dann langsamer mit zunehmenden Drehzeiten kleiner, um schließlich bei 50” eine Nachnystagmusdauer von nur einem Viertel der Umdrehungsdauer aufzuweisen. Die Kurve dieser Drehung hat fast gleichen Charakter wie die der !/,”-Drehung und verläuft fast parallel mit ihr. Während diese beiden Kurven die Linie von 100% bei gewissen Drehzeiten schneiden, liegen die der drei langsameren Drehungen immer unterhalb dieser Linie; d. h. die Nachnystagmusdauer ist immer kleiner als die Umdrehungsdauer. Sonst zeigen diese Kurven ähnlichen Charakter wie die beiden anderen. Wie es bei !/,”- und 1/,”-Drehung der Fall war, ist auch bei der 1”-Drehung das Verhältnis der Zeitdauer zu der Umdrehungsdauer bei 5’ resp. 5 Drehungen am größten, und vermindert sich erst rasch, dann langsamer mit zunehmenden Dreh- zeiten. Schließlich beträgt die Nachnystagmusdauer in 100” nur etwas mehr als ein Zwanzigstel der entsprechenden Umdrehungsdauer. Auch diese Kurve ver- läuft fast parallel mit den vorerwähnten. Die Kurven der 2”- und 3”-Drehungen zeigen in der Anfangspartie ihres Ver- laufes ganz anderen Charakter. Bei der 2”-Drehung steigt die Kurve nämlich von 10” resp. 5 Drehungen bis 20” resp. 10 Drehungen, wo sie ihren höchsten Punkt erreicht, recht steil hinauf, und erst von 20” an geht sie parallel mit den anderen, indem sie mit Zunahme der Drehzeiten zuerst rasch, dann langsamer abfällt. Die Kurve für 3”-Drehung zeigt ebenfalls einen allerdings weniger steilen Aufstieg von 15” resp. 5 Drehungen bis 30°” resp. 10 Drehungen, wo sie kulminiert, um von hier an mit den anderen gleich zu verlaufen. Die absteigenden Schenkel der Kurven für 2”- und 3”-Drehungen verlaufen sowohl untereinander, als auch’ mit den Kurven von !/,”-, Y/,”- und 1”-Drehungen fast parallel. Kurz gesagt, zeigt das Verhältnis der Zeitdauer des Nachnystag- mus zu der Umdrehungsdauer bei den sämtlichen Drehungen eine Tendenz zur Abnahme mit zunehmenden Drehzeiten, mit Ausnahme der erwähnten Anfangspartien der 2”- und 3”-Drehungen. Diese Ver- minderung findet bei sämtlichen Drehungen zuerst recht schnell, dann etwas langsamer statt. Die Kurven für die 5 Drehungen haben bei- nahe gleichen Charakter und verlaufen fast parallel untereinander, mit Ausnahme der erwähnten aufsteigenden Schenkel der Kurven für 2”- und 3"-Drehungen. Außerdem sind diese 5 Kurven in einer regelmäßigen Reihenfolge, je nach der Größe der Drehgeschwindigkeit angeordnet. Die Betrachtung der einzelnen Kurven der !/,”- und !/,’-Drehungen hat ergeben, daß die Nachnystagmusdauer einerseits bei kleineren Drehzeiten als 12,5” bei !/,”-Drehung und 11” bei !/,-Drehung größer ist als die Umdrehungsdauer, andererseits, daß sie bei allen größeren Drehzeiten kleiner als die entsprechende Umdrehungsdauer ist. Bei den genannten zwei Drehzeiten ist die Nachnystagmusdauer ebenso groß, wie die Umdrehungsdauer. Bei den langsameren 1”-, 2”- und 3”-Drehungen ist dagegen die Nachnystagmusdauer stets kleiner als die Drehzeit. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 29 u Es ist von Interesse, diesen. Beziehungen zwischen der Zeitdauer des Nachnystagmus und der Umdrehungsdauer auch beim Menschen nachzugehen. Zu diesem Zwecke habe ich die Angaben von Bärany über die Nachnystagmusdauer bei verschiedenen Drehzahlen, die er auf Seite 497 seiner Arbeit!) erwähnt, benutzt. Es wurden für die Durchschnittswerte der Zeitdauer von Links- und Rechtsdrehung das prozentuale Verhältnis zur Umdrehungsdauer berechnet. In folgender Abbildung sind die Ergebnisse über den Drehzeiten graphisch dar- gestellt. Die Schnelligkeit der Umdrehung betrug nach Barany (S. 492) 2 Sekunden für eine Umdrehung. % Wie man aus dieser Abbildung er- sieht, besitzt die Kurve, die das Verhält- nis der Zeitdauer des Nachnystagmus zur Umdrehungsdauer beim Menschen darstellt, in jeder Hinsicht eine große Ähnlichkeit mit den Kurven der !/y”- und 1/,”-Drehungen beim Meerschwein- chen. Sie zeigt ein Absinken mit zu- nehmenden Drehzeiten, welches zuerst 200 150 700 50 — Drehzeitern (Sek.) 6 n 20 40 00 80 700 Abb. 10. rasch, dann allmählicher geschieht. Der gerade Verlauf der Kurve von 6’ —10” wird als ein Zufall betrachtet werden müssen. Das Ver- hältnis der Zeitdauer des Nachnystagmus zur Umdrehungsdauer ist auch hier bei den kleinen Drehzeiten am größten, bei 38’ resp. 19 Dre- hungen wird sie gleich, die Kurve schneidet die 100%-Linie. Bei allen srößeren Drehzeiten ist die Nachnystagmusdauer immer kleiner. Der Unterschied zwischen den Kurven in Abb. 9 und in Abb. 10 liegt darin, daß die Werte des prozentualen Verhältnisses der Nach- nystagmusdauer zur Umdrehungsdauer beim Menschen größer sind ice. 30 T. Masuda: als beim Meerschweinchen, vielleicht infolge größerer Empfindlichkeit des menschlichen Bogengangsapparates bei dieser Drehgeschwindigkeit. Aus dieser Betrachtung geht hervor, daß beim Menschen zwischen der Nachnystagmusdauer und der Umdrehungsdauer ähnliche Beziehungen wie beim Meerschweinchen vorhanden sind. IV. Schwellenverhältnisse. 1. Schwellenwert des Drehnystagmus beim Meerschweinchen. Wenn man in Abb. 7 und Abb. S die Linien weiter nach unten verlängert, so schneiden sie die Abszisse an Stellen dieseits des Null- punktes. Man kann daher vermuten, daß es einen Schwellenwert der Drehgeschwindigkeit beim Meerschweinchen gibt. Um diese Verhält- nisse weiter zu untersuchen, habe ich unter Anwendung der früher beschriebenen Methode die gleichen 5 Tiere mit noch langsameren Drehgeschwindigkeiten gedreht, und zwar mit einer Drehung in 4”, in 5° und in 6”. In nebenstehender Tabelle sind die Ergebnisse zusammengestellt. Die Abkürzungen haben dieselbe Bedeutung, wie auf der Gesamttabelle (Tabelle I). Wie man sieht, vermindert sich die Zahl der Fälle, welche als Effekt der Umdrehungen eigentliche nystagmische Augenbewegungen zeigen, mit der Abnahme der Drehgeschwindigkeit immer mehr. Bei 6- Drehung schließlich zeigen die 5 Tiere gar keine Augenbewegungen, sondern nur ab und zu eine Verlagerung der Augen. Diese Unter- suchung beweist also, daß ein absoluter Schwellenwert des Drehnystag- mus beim Meerschweinchen ungefähr bei der 6”-Drehung liest. 2. Reflexerscheinungen an Augen und Kopf des Tieres nach einmaliger Umdrehung. Es interessierte mich sehr zu wissen, ob man imstande sei, durch eine Drehung um 360° beim Meerschweinchen Reflexerscheinungen hervorzurufen. Zu diesem Zwecke habe ich 2’- und 3”-Drehungen benutzt, weil bei schnelleren Drehungen die genaue Kontrollierung schwierig ist. Die Erscheinungen, welche sich an den Augen zeigten, waren nicht immer die gleichen. Bei manchen Versuchen fielen die Resultate negativ aus, die Augen blieben im Momente des Anhaltens in ihrer normalen Lage. Bei anderen Versuchen zeigte sich eine geringgradige, jedoch deutlich sichtbare Verlagerung nach dem der Drehrichtung entgegengesetzten Augenwinkel. Dann nahmen die Augen wieder allmählich ihre normale Stellung ein. Die Zeitdauer der Bulbusver- lagerung schwankte nach meinen Beobachtungen zwischen 1,5” und 4”. Manchmal traten aber auch deutlich sichtbare zuckende Augen- 31 Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. AM 0 a aa 0 0 ©, 01.2.0 0..,00/0/00 0 Eu a) O | O 0 "Aad | 0 (0) | DR „I 00 0101.:.0/00/00|0,0)/00),0/9/9 9/0 9MY | 0 Sr soyum o/o/lo|o olo/lo/o[lo/olo/o|lo/o/o|o 0 0|o,o| ey | @ En | | a soyyaaL 5 olololo\o oo o o olo|o[o/0o|/o\0o|o 0 0oJoJosıy | 2 n er Sn clololojoeelo/|o ololo olololo/o olo/o o|o o o/o a 9/0 0.0 9MYy («) ı|@| | B 2 3 @) | @ soJya9d "aaa | "aaa a9d : "a9d : & N 051202 203 202 202 202120 Den le SONY I | et | | @ | (© | @ ı@ (@) soyun 08 02 ST 05 02 42 KO) 1205 202.05 202 2021.021207 202205 2.021207 20 02 =0512051.021.02 702 202 E02 202 202205 20 Sy 8 | 9 soyry9ol "Aod 0 | | 0 | "Aad je 9 02 204 02 Ko, 202 208 205 202 207 .02502 20 0/010/0/9|010.0/0/0100/0/0100\0| ı Sony ö | Er Se | ' soyumg 0, E02 118:€]1 0, 1207 2021.07 70 20.0210: 02 441.02) 202 70202502 202,20 0 702 2.05 202 E02 E02 502 20220 oday e | | ey eg («) eg ST ERo soyyo Aaq | ‘Aaqd "Add gr "aad Ada Keyai £ „8 »101010/000'0/00/010 51010181 0/010/0/|010/0)00/010| 01% NY 9 ı 89 se | soyumy "Ada G 9 EN : "a9d Gr "Aa9q "A9d 2 o®@|9 0 0|® 00/0 older |0o oo 27 o1|0/010)0/0/0/0/00 0 0,0 S.clV] | @ er er ec | 8 | | @ (e) | 88 & sora9d "Aad "aaa |'A9Q Aad \'A9G | ‘aaa "A9q 2 au N 910 101010,)010 9/010|0/0, 00|8|40 0/9088 01010/00010, 0|0 Sony () @ | @ e) | | SONur] A | AI mm) na anloe | na AL ZIE| IE) 2 |A [Anm] IE] E rl | = n [an mo a BE U s9IaLL Sp TPwuunN 3 SOLaLL, sop PuWUNnN z E soIaLL SIp TIWWUNN sn 2 a 7 x re P EI SET — Zungydrıyaacq, = Ei 5 7 2 E uodunypapıuf) ı9p Iyezuy 32 T. Masuda: bewegungen auf, wobei es sich allerdings um eine sehr schwache Zuckung handelte. Man konnte sie jedoch gut mit bloßen Augen erkennen. Die Augen blieben im ersten Augenblick des Anhaltens in dem der Drehrichtung entgegengesetzten Augenwinkel zurück, zeigten dann meistens einmalige, selten zweimalige zuckende Bewegungen nach der ursprünglichen Drehrichtung, um schließlich in ihre normale Ruhe- lage zurückzukehren. In anderen Fällen bewegten sich die Augen zuerst von ihrer verlagerten Stellung ganz langsam in ihre normale Lage zurück und zeigten dann eine einmalige schnellzuckende Be- wegung in der ursprünglichen Drehrichtung. Die Zeitdauer der ganzen Augenbewegung schwankte zwischen 1,5” und 2,8”. Außer diesen Reflexerscheinungen an den Augen, konnte ich auch stets eine Stellungsänderung des Kopfes beobachten, welche auch bei den Fällen stattfand, wo keine Bewegungen an den Augen erschienen. Der Kopf des Versuchstieres neigte sich im Momente des Anhaltens nach der der Drehrichtung entgegengesetzten Seite, verharrte einige Sekunden in dieser Stellung und kehrte dann in seine normale Lage zurück. Zwischen den angewandten zwei Drehungen konnte ich gar keinen deutlichen Unterschied hinsichtlich der erschienenen Reflex- erscheinungen an den Augen und am Kopfe bemerken. Überhaupt bemerkt man beim Drehen des Meerschweinchens in horizontaler Körperlage während des Drehens außer der Verlagerung der Augen in der der Drehung entgegengesetzten Richtung und dem zur Drehung gleichgerichteten Nystagmus einen gegengerichteten Kopf- nystagmus. Mit dem Anhalten des Drehens kehrt die Richtung aller dieser Reflexerscheinungen um. Meine Untersuchungsresultate nach einmaliger Umdrehung weisen also den gleichen Charakter auf, wie die während des Drehens beobachteten. Deshalb kann man behaupten, daß die nach einmaliger Umdrehung beobachteten Erscheinungen nichts anderes sind, als die Fortsetzung der während der Umdrehung stattgefundenen Reflexerscheinungen. Aus diesem Grunde habe ich im Titel dieses Kapitels den Ausdruck ‚„Nachnystagmus‘“ vermieden. Baräany‘) machte auch den gleichen Versuch beim Menschen und konnte dabei nach einmaliger Umdrehung in 1,5—2 Sekunden in den meisten Fällen unter der Benutzung der undurchsichtigen Brille einen deutlichen Nachnystagmus konstatieren; ohne Brille sah er ihn nur beim extremen Blick nach der Seite. Außerdem gelang es ihm, nach einer halben Drehung in etwa 1 Sekunde bei einigen Versuchspersonen hinter der Brille eimen deutlichen Nachnystagmus zu beobachten. Nach dieser halben Umdrehung bemerkte er im anderen Fällen eine langsame Bewegung der Augen in der Drehrichtung; wieder in anderen Fällen ein gänzliches Fehlen irgendeiner Reflexerscheinung. 1) ].e Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 33 Der Hauptunterschied zwischen meinem Resultate und dem Baranı's liegt in der Schlagrichtung der Augenbewegung. Während ich einen horizontalen Nystagmus in der Drehrichtung konstatierte, konnte er immer einen deutlichen Nachnystagmus, d. h. einen Nystagmus, welcher entgegen der Drehrichtung schlägt, beobachten. Diese Tatsache, daß sehr kurze Drehung hinsichtlich Schlagrichtung des Nystagmus beim Meerschweinchen ein entgegengesetztes Ergebnis gibt als beim Menschen, ist für die theoretische Erklärung des Drehnystagmus von Wichtigkeit. d) Die Schwankung der quantitativen Merkmale des Nachnystagmus. I. Die extremen Verhältnisse und die Schwankungsbreite. Die Frage, in wie weitem Maße und in welchem Verhältnis die Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus Schwankungen bei verschiedenen Drehgeschwindig- keiten zeigen, obwohl von erheblicher Bedeutung für die Physiologie und die diagnostisch klinische Verwendung des Drehnystagmus, ist meines Wissens noch nie systematisch bearbeitet worden. Um sie näher verfolgen zu können, habe ich zuerst in der Gesamttabelle (Tabelle I) die maximalen und minimalen Werte für Zeitdauer, Zuckungs- anzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen bei den 5 Drehungen, welche die 5 Versuchstiere bei den verschiedenen Drehzahlen gezeigt hatten — für Links- und Rechtsdrehung gesondert —, aufgesucht und in drei Tabellen zusammengestellt. Eine Durchsicht der drei Tabellen zeigte, daß bei denselben Reizbedingungen die Werte für Rechts- und Linksdrehung annähernd dieselbe Schwankungsbreite besitzen. Für die graphische Darstellung bestimmte ich aus diesen Tabellen die Durchschnittswerte von Links- und Rechtsdrehung für die maxi- malen und minimalen Werte und für alle Drehzeiten. Von diesen maximalen und minimalen Werten der Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen berechnete ich dann das prozentuale Verhältnis zu den entsprechenden Gesamtdurchschnittswerten, welche in Abb. 2 (S. 12), Abb. 4 (S. 17) und Abb. 6 (S. 21) enthalten sind. Folgende drei Abbildungen geben die graphische Darstellung dieser Prozentzahlen über die Drehzeiten. Die 2”- und 3”-Drehungen sind weggelassen, wegen der hier vorhandenen vielen Nullwerte. Abb. 11 zeigt die Schwankungen der Zeitdauer, Abb. 12 dieselben der Zuckungs- anzahlen und Abb. 13 jene der Dauer der einzelnen Zuckungen. Die Betrachtung der Abb. 11—13 ergibt folgendes: Die Kurven der Maximal- und Minimalwerte ordnen sich mit einzelnen zacken- artigen Schwankungen in annähernd horizontale Zonen unterhalb und oberhalb der Linie des Mittelwertes. Die Kurven der langsameren Drehungen zeigen meist größere Schwankungen in ihrem Verlauf. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 3 34 T. Masuda: %Yo 760 150 740 130 120 110 20 - are | 2,5 7,5| 12,5 17,5 Drehzeiten (Sek.) DOT IRZORZSTEI ISIS TR O 50 60 70 80 90 700 Abb. 11. 12,5 17,9 ET DETSENZONNZEN 3032270; 30 60 70 80 90 700 Abb. 12. Die Streuungszone der Maximakurven ist im allgemeinen breiter als die: der Minimakurven, ferner verlaufen sie schwankender als diese. Die Breite der Streuung ist besonders bei den Maxima für die Nachnystagmus- dauer kleiner, als für Zuckungsanzahl und Dauer der Einzelzuckung.. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 35 Die Nachnystagmusdauer ist gegenüber der Zuckungszahl das weniger schwankende meßbare Merkmal des Nachnystagmus, was für die klinische Diagnostik wichtig ist. Der horizontale Verlauf der Kurven zeigt, daß die Drehzeit auf die Schwankungsverhältnisse keinen wesentlichen Einfluß ausübt. Am ehesten scheinen sich die Kurven zwischen 15”- bis 30”-Drehzeit etwas zusammenzudrängen, d. h. im Bereich der, wie wir früher sahen, optimalen Drehzeit, und scheint auch die physiologische Schwankung der Werte um den Mittelwert hier am geringsten auszufallen. Von Yo 780 170 160 740 130 170 0 | Mitelntert EN ES EUNETTE) 50 60 70 30 30 700 Abb. 13. großem Einfluß ist dagegen die Drehgeschwindigkeit. Die Schwankungs- breite, d.h. der Abstand der Minimal- und Maximalkurve ist auf allen drei Abbildungen für die rascheste Drehung am kleinsten. Bei Beobachtung der Zeitdauer des Nachnystagmus und evtl. Bestimmung der Dauer der Einzelzuckung, d.h. des Quotienten aus Dauer und Zuckungsanzahl bei rascher Drehung hat man, wie die Linien für !/,’-Drehung auf Abb. Il und 13 zeigen, mit der kleinsten physiologischen Schwankungsbreite zu rechnen, und zwar besonders im Bereich der optimalen Drehzeit. Da diese Schwankungsverhältnisse auch praktisch wichtig sind, wurde an Hand der Tabellen und der Abb. I1l—13 eine eingehende zahlenmäßige Untersuchung durchgeführt, welche mit den aus dem 3* 36 T. Masuda: graphischen Bild abgeleiteten Schlüssen in ihren Ergebnissen überein- stimmt. Die Zackungen der im allgemeinen horizontal verlaufenden Kurven der extremen Werte zeigen in ihrer Verteilung ein regelloses Verhalten und sind wahrscheinlich der Ausdruck der stets bei allen Versuchs- verhältnissen mitwirkenden, nicht beherrschbaren zufälligen Bedingungen. Es wurde daher für jede Linie durch Ermittlung ihrer durchschnittlichen Höhenlage ein Ausgleich vorgenommen. Der Abstand zwischen zwei zusammengehörenden solchen Linien entspricht dem durchschnittlichen Abstand zwischen den Kurven extremer Werte, d. h. der durchschnitt- lichen Schwankungsbreite in Prozenten des Mittelwertes. Die gefun- - denen Werte sind in Tabelle VI zusammengestellt. Tabelle VI. | D.G Zeitdauer Zuckungsanzahl | Dauer der einzelnen Zuckungen O | 1 N | % 1 39,6 532 35,8 1 57,0 66,9 54,4 063.1 102,2 90,3 Die Tabelle belegt zahlenmäßig die bedeutende Abnahme der physiologischen Schwankungsbreite bei wachsender Drehgeschwindig- keit und die stets geringe Schwankung der Zeitdauer des Nachnystag- mus gegenüber der Zuckungsanzahl. Die Zuordnung der beiden Werte, welche in ihrem Quotienten, in der Dauer der einzelnen Zuckung, ausgedrückt ist, schwankt bei den beiden rascheren Drehgeschwindig- keiten in geringerem Maße als jeder Wert für sich allein, was auf eine enge gesetzmäßige Verknüpfung dieser beiden meßbaren Merkmale des Nachnystagmus hinweist und die Ermittlung dieses Quotienten auch bei der diagnostischen Prüfung des Bogengangapparates nahelegt. II. Vergleichende Darstellung der Verhältnisse bei den einzelnen unter- suchten Individuen. Es ist bekannt daß die Wirkungen der Drehreizung des Bogengangapparates individuell ziemlich große Schwankungen aufweist, ein Verhältnis, welches auch bei den anderen Sinnesorganen beobachtet wird. Über diese Schwankungen, deren Kenntnis für die normale und pathologische Physiologie des Vestibular- apparates sehr wichtig ist, sind bis jetzt keine systematischen Untersuchungen angestellt worden. Es war daher von großem Interesse, diese Frage an unserem Untersuchungsmaterial zu verfolgen. Zu diesem Zwecke wurde aus der Gesamt- tabelle (Tab. I) der Durchschnitt der Werte der je zweimaligen. Links- und Rechts- drehungen für Zeitdauer und Zuckungsanzahl des Nachnystagmus für jedes einzelne Versuchstier gesondert aufgesucht. Die Dauer der einzelnen Zuckungen wurde dann durch Ausrechnen aus diesen beiden Werten erhalten, wobei ich wieder die 2”- und 3”-Drehungen wie in den früheren Fällen fortließ. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 37 Die graphische Darstellung wäre am übersichtlichsten, wenn für jeden der 3 Faktoren je eine Figur für jedes der 5 Tiere gezeichnet worden wäre, würde aber sehr viele Figuren beanspruchen. Dies zwang mich, die gefundenen Durchschnitts- werte der Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen in je 2 Figuren zusammenzustellen. Durch diese Darstellungsart wird die vergleichende Betrachtung der Durchschnittswerte der 5 Tiere bei gleich schneller Drehung er- leichtert, das Auffinden der einzelnen Kurven jedoch merklich erschwert, wie auch das Vergleichen der Kurven desselben Tieres bei verschiedenen Drehungen. Trotz- dem habe ich diese Darstellungsart schätzen gelernt. 1. Zeitdauer des Nachnystagmus. (Siehe Abb. 14a und 14b.) In Abb. 14a sind die Durchschnittswerte der Zeitdauer des Nachnystagmus der 5 Versuchstiere bei !/,-, 1”- und 3”-Drehungen und in Abb. 14b die bei 1/,’- und 2”-Drehungen, nach den Drehzeiten geordnet, dargestellt. Die Größe der Durchschnittswerte der Zeitdauer des Nachnystagmus der 5 Ver- suchstiere schwankt bei gleichschneller Drehung in einem relativ kleinen Bereich. Man erhält 5 voneinander mehr oder weniger getrennte Kurvenscharen, welche sich annähernd in einer Reihenfolge je nach der Größe der Dreh- geschwindigkeit anordnen und nur an einzel- nen Stellen überschneiden. Die Kurven der Abb. 14 bis 16, a und b, bedeuten: ia Nie, 1 —— «Vier Nr. 4 —-—-— Zeitdauer (Sek.) 78 A -- 2% F 5 %n 5 20 25 30 35 40 617] 60 70 80 90 700 70 720 Drehzeiten(Sek.) Abb. 14a. Eine Vergleichung der 5 Kurven desselben Tieres bei den angewandten Dreh- geschwindigkeiten zeigt auch bei allen Versuchstieren eine Reihenfolge nach der Drehgeschwindigkeit. Diese Anordnung sieht man besonders schön an den Kurven von Nr.1, Nr. 3, Nr. 4 und Nr.5. Bei Nr. 2 kreuzen sich die Kurven von 1”-, 2”- und 3”-Drehungen zwischen 40” und 60”; sonst sind sie wie bei den anderen Tieren angeordnet. An den sämtlichen Kurven in obenstehenden Abbildungen sieht man fast aus- nahmslos einen mehr oder minder steilen Aufstieg in der Anfangspartie. Wegen dieses gleichartigen Charakters liegen die 5 Kurven jeder Kurvenschar in ihrer Anfangspartie mehr oder weniger eng zusammen und bilden ein dichtes Kurven- 38 T. Masuda: bündel. Später verlaufen sie mit ziemlicher großer Streuung, besitzen aber doch einen gleichartigen Charakter, insofern als die meisten, nach dem mehr oder minder steilen Aufstieg in gewissen Drehzeiten ihren höchsten Punkt erreichen, und dann mit der weiteren Zunahme der Drehzeiten allmählich, seltener steil abfallen. In dieser Hinsicht bilden die Kurven von Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 bei der 1/,”- Drehung, die von Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 bei der 1/,-Drehung und die von Nr. 4 bei 2” und '37- Drehungen Ausnahme - Zeitdauer (Sek.) 78 a ‘| Betrachtung der einzelnen Kurven genauer zurück- kommen werde. Die spezifischen Eigen- schaften der Kurven der Zeitdauer des Nachny- stagmus, welche wir schon in Abb. 2 an den 5 Kur- ven ihrer Gesamtdurch- schnittswerte bei den 5 Drehungen bemerkt ha- ben, sind also im großen und ganzen auch an den einzelnen Kurven in Ab- / : bildung 14a und Abbil- SETZE OR 50 60 70 & dung 14b zu konstatieren. Nenn Es soll nun zunächst die Größe und Drehzeit- lage der Kurvenmaxima für alle Drehgeschwindigkeiten im Zusammenhang unter- sucht und mit den Verhältnissen der Durchschnittskurven (Abb. 2) verglichen werden. Nachher soll die Verlaufsform der Kurven genauer analysiert werden. Über Größe und Lage der Kurvenmaxima für Tier I—5 bei den verschiedenen Drehgeschwindigkeiten orientieren die folgenden zwei Tabellen. SELTEN FT ENEN TER IES Tabelle VII, Maximalwert der Nachnystagmusdauer in Sekunden. D.G. |} Streuungszone schnittskurven | I II III IV V Abb. 2 | a en an | la | es 15,2 010,30 CET Sn Dal Rules le 12,2 1% 8,6 8,5 9,3 8.4 9,3 8,5— 9,3 8.2 | 73 ORLREe el 6,1 Da 5,8 ae a (or Be 5,6 3,4 2 an 3,1 Die Maximalwerte ordnen sich für jedes Tier in eine mit abnehmender Dreh- geschwindigkeit abfallende Reihe. Sie liegen im allgemeinen, wie zu erwarten ist, etwas höher als der Maximalwert der nach Drehzeiten berechneten Durchschnitts- kurve. Die Abweichung beträgt selten mehr als 1—1,5 Sekunden, nur in 2 Fällen fälle, auf die ich bei der | Nr. der Tiere Max. der Durch- Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 39 3”, in einem Fall 4”. Die Streuungszonen überlagern sich zwischen 2”- und 3”- Drehung ein wenig, zwischen /,”- und !/,”-Drehung merklicher, indem Tier 1 bei 1/,”-Drehung einen auffallend hohen, Tier 3 bei !/,-Drehung einen niederen Wert aufweist. Tabelle VIII. Lage der Maximalwerte der Nachnystagmusdauer bei Drehzeit. Nr. der Tiere | D.@. || Tre oEmaer| Zone IKT ZU ELDINN EBSTLVG Ne 20.20) || 130, ..30 (ala as a 23 Walser al 50 50 19850 7230. 20 10... 40.| 30 | 10 40 DA A007 720.011 4072180 40 | 20— 80 3% bOBS IE 50221 230210053 30—120 ‘Während die optimale Drehzeit der Durchschnittskurven zwischen 20—40” lag, haben wir hier für die !/,”—1”-Drehung einen wenig größeren Streuungs- bereich von 10”—50”-Drehzeit. Dagegen liegen bei den langsameren Drehgeschwin- digkeiten drei Werte oberhalb dieses Bereiches, wobei vor allem Tier 4 zu hohen Werten neigt. Es ist aber diesem Befund bei den langsamen Drehungen kein großes Gewicht beizumessen, da wir auch hier Durchschnitte von jeweils vier Versuchs- werten vor uns haben, und durch die Nullwerte, welche auf den Mittelwert großen Einfluß haben, und welche sehr wechselnd auftreten, eine gewisse Unsicherheit in die Resultate kommt. Ich gehe nun zur Besprechung des Verlaufes der Kurven im ein- zelnen über. 1. Die Kurvenschar bei der !/,”-Drehung. Von 2,5’ bis 10” verlaufen die 5 Kurven recht steil, ziemlich nahe zusammen- liegend und bilden ein dichtes Kurvenbündel. Dagegen streuen sie im weiteren Verlauf jenseits von 10” ziemlich stark. Die Kurve von Nr. 1 steigt von 2,5” bis 30”, wo ihr höchster Punkt liest, an. Die von Nr. 2 und Nr 3 verlaufen ähnlich, nur weniger steil und mit kürzerer Zeitdauer des Nachnystagmus. Die Kurven von Nr. 4 und Nr. 5 steigen anfangs ebenfalls steil auf und erreichen ihre höchsten Punkte in 25”, um dann wieder recht steil bis 30” abzufallen. Die Kurve von Nr. 4 neist zur Plateaubildung zwischen 12,5” und 25”. Wir können bei der !/,”-Drehung also zweierlei Eigenschaften des Kurven- verlaufes konstatieren: einerseits die der Kurven von Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3, andererseits die von Nr. 4 und Nr. 5. Dieser Unterschied ist aber keineswegs srundsätzlich, sondern nur im Bereiche der ausgeführten Drehzeiten gültig, weil die Kurven der ersteren bei längeren Drehzeiten wahrscheinlich auch abfallen werden. Man sieht ferner an den Kurven von Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 eine deut- liche Zackenbildung vor dem Erreichen ihres höchsten Punktes. Bei Nr. 2 und Nr. 3 liegt sie in 10”, bei Nr. 4 und Nr. 5 in 12,5”. Die Frage, ob dieses präoptimale Maximum als ein physiologischer Vorgang oder als zufälliger Befund aufzufassen ist, wird nur durch weitere Untersuchungen entschieden werden können. Ich beschränke mich hier auf die Erwähnung der Tatsachen. 2. Die Kurvenschar bei der !/,”-Drehung (Abb. 14b). In der Anfangspartie zeigen die 5 Kurven eine deutliche Einteilung je nach Steilheit ihres Aufstieges in 2 Gruppen: während die Kurven von Nr. 3, Nr. 4, 40 T. Masuda: Nr. 5 von 2,5’ bis 5” steil aufsteigen, ist der Anstieg der Kurven von Nr. 1 und Nr. 2 viel weniger steil,‘ Diese Verschiedenheiten des Kurvencharakters gelten auch für ihren weiteren Verlauf. Die Kurve von Nr. ] steigt von 2,5” bis 257, von hier aus fällt sie zuerst rasch, dann allmählicher ab. Die Kurve von Nr. 2 steigt ebenfalls von 2,5’ bis 15, wo ihr höchster Punkt liegt, zusammen mit der Kurve von Nr. 1 steil auf; von 15’ an fällt sie plötzlich ab, um aber wieder von 20” steil aufzusteigen. Von 25” fällt sie zuerst sehr steil, dann langsamer ab. Man merkt an ihr je eine Zackenbildung in 15” und 25”. Die Kurve von Nr. 3 steigt anfangs sehr steil bis 10” auf. und kulminiert in 15”. Von dort fällt sie zuerst langsam und dann recht schnell bis 25” ab, um von dort an eine Tendenz zu erneutem relativ langsamem Aufsteigen zu zeigen. Die Kurven von Nr. 4 und 5 steigen von 2,5” bis 20” steil auf, fallen dort steil ab, um von 25’ an eine starke Tendenz zu nochmaligem Anstieg aufzuweisen. Sie er- . reichen erst in den letzten Drehzeiten ihre höchsten Punkte. Diese 3 Kurven be- sitzen einen gleichartigen Charakter, obwohl die erwähnte Tendenz bei der von Nr. 3 viel schwächer als bei den anderen ist. 3. Die Kurvenschar bei der 1”-Drehung (Abb. 14a). Bei dieser Drehung zeigen alle 5 Kurven fast gleichartigen Charakter. Sie steigen anfangs recht steil auf und nach dem Erreichen ihrer höchsten Punkte fallen sie allmählıch ab. Nur die Kurve von Nr. 1 fällt von 307 reicht steil ab, steigt dann von 40” bis 50” wieder steil auf. Infolgedessen bemerkt man bei dieser Kurve je eine Zackenbildung in 30” und 50”. 4. Die Kurvenschar bei der 2”-Drehung (Abb. 14b). Bei dieser Drehung zeigen die Kurven von Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 einen gemeinsamen Charakter, indem sie anfangs mehr oder minder steil aufsteigen und nach dem Erreichen ihrer höchsten Punkte allmählich abfallen. Die Kurve von Nr. 4 steigt dagegen zuerst von 10” bis 20’ z’emlich steil mit den anderen auf, zeigt aber dann immer mehr aufsteigenden Charakter ohne eine Tendenz zum Abfallen. Im Bereich der angewandten Drehzeiten liegt ihr höchster Punkt in den letzten Drehzeiten. 5. Die Kurvenschar bei der 3”-Drehung (Abb. 14a). Bei dieser Drehung zeigt die Kurve von Nr. 4 wieder ganz anderen Charakter. Während die Kurven von Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 unter sich ähnlich sind, indem sie nach steilem Aufstieg langsam abfallen, steigt diese von 15’ bis 60’ ganz allmählich, dann von 60” bis 120”, wo sie kulminiert, recht steil, ohne irgend- eine Tendenz des Abfallens zu zeigen. Wie aus den obigen Betrachtungen hervorgeht, bemerkt man die am stärksten ausgeprägten charakteristischen Eigenschaften an den Kurven von Nr. 4. Bei !/y -Drehung zeigt sie einen beinahe plateauförmigen Verlauf zwischen 12,5” und 25”, bei 1/,”-Drehung eine starke Neigung zum wiederholten Aufsteigen von 25’ bis 50” und bei 2”- und 3”-Drehungen. als Ausnahmefall einen fortwährenden Auf- stieg, ohne irgendwie abzufallen. %. Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus. (Siehe Abb. 15a und 15b.) Abb. 15a zeigt die Kurven der Durchschnittswerte der Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus der 5 Versuchstiere bei 1/,”-, 1”- und 3”-Drehungen, Abb. 15b die bei !/,”- und 2”-Drehungen, nach den Drehzeiten graphisch dargestellt. Zucktngsanzahler 48 47 46 D Q oo 8 ee Z uckungs anzahlen 30 I 9 a9 di Abb. 15h. Nr z N Ne, ehzeiteh (Sek.) TO TS OBRZSTRGOHET SEO, 77] 60 70 80 SE SE I THE EN I UNE ANNE EIERN 30 60 70 700 770 = 120 Drehzeiten (Sek.) 42 T. Masuda: Wie schon bei der allgemeinen Betrachtung von Abb. 14a und Abb. 14b her- vorgehoben wurde, bekommt man auch hier 5, voneinander deutlich getrennte Kurvenscharen, welche in einer annähernden Reihenfolge nach der Größe der Drehgeschwindigkeit angeordnet sind, obgleich sie sich in gewissen Partien decken, wie es bei den der Zeitdauer in Abb. 14a und Abb. 14b der Fall war. Außerdem ähnelt die allgemeine Gestaltung dieser Kurven den letzteren. Eine Vergleichung der 5 Kurven desselben Tieres zeigt auch bei allen einzelnen Versuchstieren eine Reihenfolge nach der Größe der Drehgeschwindigkeit. In dieser Hinsicht besitzen die Kurven in Abb. 15a und b ein noch regelmäßigeres Verhalten als die der Zeitdauer. Bei Nr. 2 kreuzen sich die Kurven vou 1”-, 27- und -3”-Drehung wieder zwischen 25” und 60”. Fast alle Kurven besitzen mehr oder minder steilen Aufstieg, sie liegen im Anfang bündelartig zusammen, divergieren dann, wobei die meisten steil aufsteigen. und nach dem Erreichen eines höchsten Punktes wieder abfallen. Auf die Aus- nahmen werde ich bei der Betrachtung der einzelnen Kurven genauer zurückkommen. Die charakteristischen Eigenschaften der Kurven der durchschuittlichen Zuckungsanzahlen (Abb. 4) sind also im großen und ganzen auch an den einzelnen individuellen Kurven in Abb. 15a und Abb. 15b zu konstatieren und ebenso wie zwischen den Kurven der Gesamtdurchschnittswerte der Zeitdauer und der Zu- ckungsanzahlen, Abb. 2 und Abb. 4, finden wir auch zwischen den 5 Kurvenscharen in Abb. 14a und Abb. 14b und denen in Abb. 15a und Abb. 15b einen weitgehen- den Parallelismus. Es folgt zunächst die Kennzeichnung der Größe und Lage der Maximalwerte. Tabelle IX. Maximalwerte der Zuckungsanzahl. Nr. der Tiere | Maxima der D.G. 1 Streuung Durchschnitts- I al | IV v | kurven Abb.4 7 |\ıs| a5 38 | As 2 338 Aue 0 90 47 29.5 18,8 24 | 26.3 22.8. 18,8 29,5 | 21,8 1% 14 14,4 ESG ol) 15,8 14 —15,8 ı 13 2 6,5 10,3 9 2 10:8 7 6,5108 | 7.9 Al «B 8,3 3:30 10.10:8 2,6 26 10,80 3,9 Die Maximalwerte ordnen sich auch hier für jedes Tier in eine abfallende Reihe, nur bei Tier IV ist bei 2°: und 3”-Drehung ein gleicher Wert. Aus den früher genannten Gründen sind aber besonders bei 3” Drehung die Werte wenig zuverlässig. Auch hier sind die Werte meist höher als bei der Durchschnittskurve. Es treten nur 6mal größere Abweichungen als 3 Schläge auf, wovon 4mal 4—5 Schläge. Der hohe Wert der Zuckungszahlen bei !/,’-Drehung für Tier I ent- spricht der für dieses Tier ebenfalls bei dieser Drehgeschwindigkeit festgestellten langen Dauer des Nachnystagmus. Die Streuungszonen sind getrennt mit Aus- nahme der Überlagerung für die 2”- und 3”-Drehung. Tabelle X. Lage der Maximalwerte der Zuckungsanzahl bei Drehzeit: Nr. der Tiere | Due " | Zone || I RE \TITT 20.30 | 129 10825 0 20033000 2530 Zae| 25 10.120120. 10—25 12300020 10 | 40 20-30) 10—40 20 208240 40 | 80 | 40 | 20-80 320011202. 12.5020)020017590 30 30—90 Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 43 Die Werte liegen mit zwei Ausnahmen bei Tier IV zwischen 10” bis 40”. Drehzeit, also in einer etwas engeren Zone als die optimalen Drehzeiten der Nach- nystagmusdauer. 17 Werte sind genau übereinstimmend oder nur um 5” ver- ‚schieden von denjenigen der entsprechenden Tabelle für die Zeitdauer des Nach- nystagmus. Die Betrachtung der einzelnen Kurven ergibt folgendes: 1. Die Kurvenschar bei der !/,”-Drehung. Von 2,5’ bis 10” verlaufen die 5 Kurven sehr steil und liegen ziemlich nahe zusammen. Erst jenseits von 10” divergieren sie. Die Kurven von Nr. 1 steigt von 2,5’ bis 30”, wo ihr höchster Punkt liegt, ‚weiter auf, ohne irgendeine Tendenz zum Abfallen zu zeigen. Die Kurve von Nr. 5 hat gleichen Charakter, aber geringere Steilheit des Aufstieges und kleinere Werte. Sie zeigt eine Zackenbildung während ihres Aufstieges in 12,5”. Die Kurve von Nr. 2 steigt ebenfalls steil von 2,5’ bis 17,5, dann fällt sie recht steil bis 20” ab, um nochmals rasch anzusteigen zu fast gleicher Höhe wie bei ihrem höchsten Punkt in 17,5”. Die Kurve von Nr. 3 steigt von 2,5” bis 25’, zuerst steil, dann etwas langsamer auf, fällt dann bis 30’ etwas ab. Die Kurve von Nr. 4 verläuft ähnlich wie Nr. 3, aber während ihres steilen Aufstieges bildet sie eine Zacke in 12,5” und neigt von 17,5” bis 25” zu plateauförmigem Verlauf. Ihr höchster Punkt liest in 25”, von dort an fällt sie steil ab. Wenn man Abb. 15a mit Abb. 14a vergleicht, sieht man, daß dieAnordnung ‚der einzelnen Kurven für !/,” Drehung beinahe gleich ist, und vor allem daß die Kurven von Nr. 1 und Nr. 4 genau übereinstimmen. Ferner sieht man an den Kurven von Nr. 4 und Nr. 5 je eine deutliche prä- optimale Steigerung in 12,5”, wie in Abb. 14a. 2. Die Kurvenschar bei der !/,” Drehung. Im anfänglichen Verlauf sind zwei Gruppen unterscheidbar nach der Steilheit des Aufstieges, wie in Abb. 14b, indem die Kurven Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 von 2,5” bis 10” viel steiler als Nr. 1 und Nr. 2, ansteigen. Diese Verschiedenheit des Kurvencharakters gilt auch im weiteren Verlauf. Die Kurve von Nr. 1 steigt von 2,5” bis 25” immer mehr auf und fällt dann zuerst ‚steil, dann langsamer ab. Die Kurve von Nr. 2 steigt von 2,5” bis 10” steil auf, fällt bis 20” ab, steigt wieder steil bis 25” auf, um dann zuerst steil, dann allmählich abzufallen. Diese Kurve besitzt also zwei Zackenbildungen bei 10” und 25”. Die Kurve von Nr. 3 steigt von 2,5” bis 10” sehr steil auf, fällt dann allmählich bis 35” ab, um nochmals anzusteigen. Die Kurven von Nr. 4 und Nr. 5 steigen anfangs sehr steil von 2,5” bis 20” auf, dann fallen sie steil ab, um von 25” bezg. 35” an, wieder fast auf die Höhe des ersten Gipfels zu gelangen. Diese 3 Kurven sind ähnlich, der sekundäre Anstieg aber bei Nr. 3 schwächer ausgeprägt. Auch hier besteht ähnlicher Charakter des Verlaufes und der Lage der Kurven wie in Abb. 14a. 3. Die Kurvenschar bei der 1”-Drehung. Bei dieser Drehung zeigen die 5 Kurven im allgemeinen ähnlichen Charakter. Sie steigen zuerst steil auf und fallen dann langsam ab. Einige Kurven besitzen gewisse Eigentümlichkeiten. Die Kurve von Nr. 1 zeigt je eine Zackenbildung in 30” und in 50”. Die Kurven von Nr. 4 und Nr. 5 zeigen eine geringe Tendenz zu nochmaligem Aufsteigen von 70” bis 100”. Auch hier entsprechen die Kurven nach Form und Lage denjenigen von Abb. 14a. 4. Die Kurvenschar bei der 2” Drehung. Genau wie auf Abb. 14b besteht auch hier gleichartiger Verlauf der Kurven von Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5. Zuerst steiler Aufstieg zu einem Maximum, dann 44 T. Masuda: abfallende Tendenz. Die Kurve von Nr. 4 hingegen zeigt auch hier ganz anderen Charakter, indem sie bis zum Schluß ansteigt. Auch die Anordnung der einzelnen Kurven ist wie auf Abb. 14b. 5. Die Kurvenschar bei der 3”-Drehung. Sie charakterisiert sich wie die vorhin beschriebene und entspricht nach Form und Anordnung der Einzelkurven denjenigen von l4a. Kurve Nr. 4 bildet auch hier einen Ausnahmefall, indem sie zuerst allmählich bis 60’, dann steil bis 90” ansteigt, um nachher langsam zu fallen. Zusammenfassend können wir sagen: auch hier ist das Tier Nr. 4 bei allen Drehgeschwindiskeiten durch den auffallendsten Kurvenverlauf gekennzeichnet. Bei !/,”-Drehung plateauförmiger Verlauf zwischen 17,5” und 25”, bei 1/,”- Drehung mit den Kurven von Nr. 3 und Nr. 5 zusammen eine starke Neigung zum erneuten Aufsteigen von 25” bis 50”, bei 1”-Drehung mit der Kurve von Nr. 5 zusammen eine geringe Neigung zum erneuten Aufstieg von 70” bis 100”, schließ- lich bei 2”- und 3”-Drehungen als Ausnahmefall Tendenz zu sehr lang hinaus gezogenem Ansteigen. ; Überhaupt scheint bei diesen Kurven einzelner Individuen die allgemeine Verlaufstendenz und auch manche Formmerkmale, wie Eingipfligkeit, Zwei- gipfligkeit, präoptimaler Gipfel usw. nicht nur durch wechselnde, bei den einzelnen Versuchen mitwirkende, zufällige Bedingungen zu entstehen, sondern der Ausdruck eines individuellen eigentümlichen Verhaltens zu sein. Unser Versuchsmaterial ist zu klein um Typen aussondern zu können, weist aber darauf hin, daß solche bestehen. Obige Betrachtungen zeigen ferner, daß der weitgehende Parallelismus zwi- schen den Kurven der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus, den wir beim Vergleichen der Kurven der Gesamtdurchschnittswerte in Abb. 2 und 4 festgestellt haben, auch bei genauer Nachprüfung der Verhältnisse für die einzelnen Versuchstiere bestätigt werden kann. 3. Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus. (Siehe Abb. 16a und 16b.) In Abb. 16a sind die Durchschnittswerte der Dauer der einzelnen Zuckung des Nachnystagmus der 5 Versuchstiere bei !/,-und 1”-Drehungen, in Abb. 16b die bei 1/,”’-Drehung nach den Drehzeiten graphisch dargestellt. Man erhält nach der Drehgeschwindigkeit angeordnete, nur teilweise sich überdeckende Kurvenscharen. Auch die Kurven der einzelnen Tiere ordnen sich nach der Größe der Drehgeschwindigkeit, besonders schön bei Nr. 1 und Nr. 3. Bei den anderen Tieren kreuzen sich die Kurven der !/,”-Drehung vielfach mit denen der 1”-Drehung. Die starke Senkung der Kurven im Beginn ist wie an den Kurven der Gesamtdurchschnittswerte in Abb. 6 auch an allen Kurven in den obigen 2 Abbildungen zu sehen; wie dort ist sie bei 1” Drehung am deutlichsten, bei den beiden anderen Drehungen viel kleiner. Tier Nr. 4 macht wieder eine Ausnahme, indem die primäre Senkung der Kurven sehr wenig ausgebildet ist. Die bei den Durchschnittskurven in Abb. 6 gefundene Neigung zu horizontalem Verlauf, welche bei den rascheren Drehgeschwindigkeiten am deutlichsten ist findet sich hier ebenfalls. Die 5 Kurven bei !/,’-Drehung verlaufen auf der Strecke von 10” bis 30” fast in konstanter Höhe, ganz entsprechend dem Verhalten der Kurve für 1/,”- Drehung in Abb. 6. Bei den Kurven der !/,””-Drehung besitzt dagegen nur Nr. 1 von, 10’ bis 20” und 25’ bis 50’ horizontalen Verlauf, während die Kurven der anderen 4 Tiere umgekehrten Charakter mit den Kurven der Zeitdauer und Zuk- kungsanzahlen annehmen, indem sie nach dem Erreichen ihres Minimums wieder allmählich ansteigen. Diese Eigenschaft ist an den Kurven von Nr. 4 und Nr. 5 stark ausgeprägt, an den von Nr. 2 und Nr. 3 etwas weniger deutlich. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 45 NNERE! einz. Zuckurrgen Der horizontale Verlauf der Durchschnitts- kurve in Abb. 6 kommt hieralso durch den Aus- gleich der 5 einzelnen Kurven zustande. Die meisten individuellen Kurven bei dieser Drehung besitzen dagegen, wie es bei den Durchschnitts- kurven erst die 1” Drehung zeigt, umgekehrten Verlaufscharakter wie diejenigen der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus. Bei 1” Drehung ist wieder nur Kurve I auf eine längere Strecke, von 107 bis 60’ N 15 20 25 30 35 4 50 60 70 80 30 700 Abb. 16a. horizontal, um dann anzusteigen, während die anderen, mit Ausnahme von Nr. 2 nur im Bereich der optimalen Drehzeit (20”—-40’) ein flaches Minimum bilden und in ihrem Verlauf wieder den umge- kehrten Charakter wie die Kurven der Zeit- dauer und Zuckungsanzahlen aufweisen. Sie stimmen darin mit der Durchschnittskurve in Abb. 6 überein. Den Abschnitt 3 zusammenfassend können wir sagen: auch hier bestätigen sich die an den Durchschnittskurven ge- fundenen Charaktere im allgemeinen für die einzelnen individuellen Kurven, wobei aber wieder Tier Nr. 4 auf das Vorliegen von Sondertypen hinweist. Schnelligkeitd.einz. Zuckung (Sek) 10 4. Die Schwankungsbreite der individu- ellen Kurven. 5 0 7 20 25 30 35 #0 30 Es wurde in Abb. 14a und b, Abb. 15a Abb. 16h. und b, sowie Abb. 16a und b für die verschiedenen Drehzeiten die vertikale Streuungsbreite der Kurvenbündel für die einzelnen Drehgeschwindigkeiten gemessen ia in folgenden 3 Tabellen zu- sammengestellt. Die Tabellen sind nach Drehzahlen Berner 46 T. Masuda: Gegenüber der früheren Betrachtung der Schwankung extremer Einzelwerte im prozentualen Verhältnis zum Gesamtdurchschnittswert, handelt es sich hier um die absolute Schwankungsbreite individueller Durchschnittswerte. Tabelle XT. D.2. = 5 10. | Koon| 50 “0 | 50 | | | 0 | 100 | 120 zo 14 | 3229| 15.034 | 38: 3. UN 3,9 3,4 3 5.6 DI | 4.3 555 | iz 93 | 2823| >5 2061.20 72 (oem 2, aln 4.4 1baıl 4.5 Tal 3 al rl Aayıl 5 5,4 5.6 Tabelle XII. = 2 D. 2 Eule 10 20 | 80 | 50 | 60 | ” | | 100 | 120 2 5 1053, sel s 2» 153 | 02 1215 | 14.5 | 25| 88| z8| 8 |al a2. 58 105% Kos ; | 2 | | 531.53 As, 7 |.8 0078| 65. 65 60 DAN 1 Bel Eye 1 URS | 05| 78 | 75,108 | 9 Tabelle XIII. 5 D. 2. Es ne | 20 | 20 | 50 | | @ | so 100 | 120 A| | ER | — 023 | 024 | 0,11 | 0.09 | 0,07 | 0,04 | 0,05 | 0,06 | 0,06 | 0.05 | 022 |o1ıs loıı los [013 01 018 | 025 .013 | 0111| 1” | 1,36 | 0,14 | 0.14 | 041 | 0,26 | 039 | 027 | 03 | 069 | 00 | Wie man aus Tab. XI und Tab. XII ersieht, ist die absolute Schwankungs- breite der individuellen Werte für Zeitdauer und Zuckungszahlen immer bei den kleinsten Drehzahlen am kleinsten. Bei der folgenden Drehzahl wird sie erheblich größer, um nachher mit Schwan- kungen meist langsam noch zu steigen. Bei 1” Drehung ist ein Konstantbleiben oder sogar Abnahme zu verzeichnen. Die Streuungsbreite zeigt keine deutliche Abhängigkeit von der Drehgeschwindigkeit. - Wenn man die in Tab. XI und Tab. XII angegebenen Zahlen der Schwan- kungsbreite der individuellen Werte der Zeitdauer und Zuckungszahlen nach den Drehzeiten graphisch darstellt, um das Verhältnis zwischen den beiden vergleichend betrachten zu können, so bemerkt man, daß ihre beiden Kurven beinahe parallel verlaufen. Es besteht also für Zeitdauer und Zuckungsanzahlen, außer für andere Merkmale, auch noch ein deutlicher Parallelismus bezw. der individuellen Schwan- kungsbreite. In den Abb. 14a, b und 15a und b drückt sich das aus in der Ähnlich - keit der Streuungsform der Kurvenbündel entsprechender Drehgeschwindigkeiten. Die Schwankungsbreite der individuellen Werte der Dauer der einzelnen Zuckungen ist bei allen 3 Drehgeschwindigkeiten bei den. kleinsten Drehzahlen hier weitaus am größten. Nachher nimmt sie ab, um bei der 1” Drehung wieder Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. AT zu steigen. Bei der !/,” Drehung schwankt sie unregelmäßig. Bei der !/,” Drehung sinkt sie bis zu 60 Drehungen auf ein sehr niedriges Niveau um konstant zu bleiben bis 120 Drehungen, d. h. im Bereich der optimalen Drehzeit von 15” bis 30”. Die Streuung nimmt also, wie auch das Kurvenbild zeigt, mit wachsender Dreh- geschwindigkeit bedeutend ab. Wenn man für die absoluten individuellen Schwankungsbreiten der Zeitdauer, Zuckungsanzahl und Dauer der Einzelzuckung das prozentuale Verhältnis zu den zugehörigen absoluten ganzen Werten berechnet, erhält man die kleinste relative Schwankung für die Dauer der Einzelzuckung bei der raschesten, !/,” Drehung im Bereich der Drehzeit 15” bis 30”. Die geringste individuelle Schwankungsbreite ist also unter physiologischen Verhältnissen für die durchschnittliche Dauer der Einzelzuckung, d. h. den Quo- tienten aus Nachnystagmusdauer und Zuckungsanzahl, bei rascher Drehung und im Bereich der optimalen Drehzeit vorhanden. Die Verhältnisse liegen hier für die Dauer der Einzelzuckung noch günstiger, als wir sie bei der Untersuchung der maximalen Schwankung fanden. Dieses Ergebnis ist für die klinische, funktionell-diagnostische Anwendung der Drehprüfung des Bogengangapparates besonders wichtig, indem hier die günstigste Möglichkeit besteht pathologische Abweichungen klar unterscheiden zu können und im Verhältnis zum normalen Zustand quantitativ zu kennzeichnen. e) Vergleichende Betrachtungen des Nachnystagmus beim Meerschweinchen und beim Menschen. Ich habe schon in vorhergehenden Kapiteln meine Untersuchungs- ergebnisse mit den von Barany beim Menschen erhobenen Befunden hier und da in Vergleichung gezogen. Es bleiben noch einige Fragen, welche eine Vergleichung erlauben. A den (SER) 40 70 46 0 20 40 60 617 700 Abb. 17. 48 T. Masuda: I. Zeitdauer des Nachnystagmus beim Meerschweinchen und beim Menschen. Um die Untersuchungsergebnisse von Bardny mit den meinigen bezüglich der Zeitdauer vergleichen zu können, habe ich zuerst den Durchschnitt der Rechts- und Linksdrehung der von ihm auf $. 4971) angegebenen Zahlen ausgerechnet, dann diese Durchschnittswerte in gleicher Weise, wie in Abb. 2, nach den Drehzeiten graphisch dar- gestellt (Abb. 17). Die Schnelligkeit der von ihm angewandten Drehung war nach seiner Angabe auf S. 482 eine Umdrehung in 2 Sekunden. Eine Vergleichung dieser Kurve mit denen in Abb. 2 zeigt, daß die Kurve der Zeitdauer beim Menschen insoweit ganz gleichen Charakter wie die beim Meerschweinchen besitzt, als sie im Anfang sehr steil auf- steigt, und nach dem Erreichen eines höchsten Punktes, in Abb. 17 bei 20’, allmählich abfällt. Der Unterschied zwischen Mensch und Meerschweinchen liest nur darin, daß die Zeitdauer bei gleichschneller, also in diesem Falle bei 2”-Drehung beim Menschen viel größer ist. II. Die Typen der zuckenden Augenbewegungen des Nachnystagmus beim Menschen und beim Meerschweinchen. Über den Typus der nystagmischen Augenbewegungen nach dem Um- drehen der Menschen hat Barany?) auf S. 500—501 wie folgt geschrieben. „Hierbei ergab sich zunächst die Regel, daß überall in den ersten Sekunden nach dem Anhalten der Nystagmus am stärksten und raschesten ist, so daß in der Hälfte der Gesamtdauer stets mehr als die Hälfte der Zuckungen erfolgen. Später wird dann der Nystagmus schwächer, und gegen Ende seiner Dauer folgen die einzelnen Zuckungen ganz langsam aufeinander.‘ Nach meinen Beobachtungen sind beim Meerschweinchen die Ver- hältnisse nicht so einfach, sondern das Bild der zuckenden Augen- bewegungen ist individuell sehr verschieden. Ihr Haupttypen sind: 1. Im Momente des Anhaltens des Umdrehens nehmen die Augen fast extrem devi- ierte Stellungen nach den der Drehrichtung gleichgerichteten Augenwinkelnan. In diesen Stellungen schlagen sie in den ersten Sekunden sehr schnell und mit sehr klei- nen Exkursionen, später werden die Augenzuckungen langsamer und großschlägiger. 2. Gleich wie Baraäny am Menschen beobachtete, sind die zuckenden Augen- bewegungen in den ersten Sekunden nach dem Anhalten des Umdrehens am raschesten und stärksten, später werden sie eher langsamer und schwächer. Die Bewegungsexkursion der Augen ist dabei das eine Mal zuerst recht klein und später vergrößert sie sich mit der Verlangsamung der Augenbewegung, ein anderes Mal ist sie von Anfang an ziemlich groß und bleibt in gleicher Größe trotz der Ver- langsamung der Augenbewegung. 3. Die zuckenden Augenbewegungen sind in den ersten Sekunden nach dem Anhalten langsam, schwach und großschlägig, erst nach einigen Sekunden werden sie viel schneller, stärker und feinschlägiger, um gegen Ende wieder langsame, schwache und großschlägige Zuckungen wie im Anfangsstadium zu zeigen. 4. Die zuckenden Augenbewegungen zeigen nicht immer regelmäßige Zeit- intervalle, so kommen auch oft zwischen den regelmäßigen mehrmals wiederholte, gruppenweise auftretende Zuckungen, gewöhnlich 2—3, seltener 5—7 ganz schnell und feinschlägige Zuckungen, vor. Due 2)1.c. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 49 5. Die zuckender Augenbewegungen finden von Anfang an mit recht großer Exkursion und mit mäßiger Schnelligkeit und Intensität statt, und haben bis zum Ende fast gleich große Exkursion, Schnelligket und Intensität. Obwohl die Typen der zuckenden Augenbewegungen beim Meer- schweinchen so mannigfaltig sind, zeigt jedes Tier, allgemein gesagt, seinen eigenen Zuckungstypus, der irgendeinem der oben erwähnten 5 Typen angehört. Es kommen deshalb Tiere vor, bei denen das Zählen der nystagmischen Augenbewegungen einige Schwierigkeit bereitet, bei anderen wieder ist es sehr leicht. Nicht selten kann man bei demselben Tier verschiedene Typen nach Rechts- und Linksdrehung beobachten, so z. B. nach Rechtsdrehung den Typus 5 und nach Linksdrehung den Typus 1. Man kann manchmal auch nur einen Unterschied der Exkursionsgröße zwischen den zuckenden Augenbewegungen nach Rechts- und Linksdrehung beobachten, wie z. B. eine viel feinere Augenbewegung nach Links- als nach Rechtsdrehung. Hier und da zeigt das Tier ungleichen Nachnystagmustypus nach gleichschneller, gleichgerichteter und gieichlanger Drehung, z.B. einmal den Typus 4, das andere Mal den Typus 5 oder den Typus 1. Hinsichtlich des Einflusses der Verschiedenheit der Drehgeschwindig- keit auf den Typus der zuckenden Augenbewegungen hat Barany auf S. 521 1. c. folgendes geschrieben: ‚„Raschere Drehung verlängert entweder die Zeitdauer des horizontalen Nachnystagmus, oder bewirkt eine Vergrößerung der Exkursionen und eine Zunahme der Zahlen der Zuckungen.“ Bei meinen Untersuchungen konnte ich niemals Exkursionszunahme, d.h. Großschlägigerwerden der nystagmischen Augenbewegungen bei der Zunahme der Drehgeschwindigkeit beob- achten. Die Zunahme der Drehgeschwindigkeit wirkte hauptsächlich auf die Intensität der zuckenden Augenbewegungen; sie nahm bei rascherer Drehung erheblich zu. Deshalb war auch bei meinen Ver- suchen das Erkennen der verschiedenen Typen nach rascheren Dre- hungen leichter als bei langsameren. Die mit den zuckenden Augenbewegungen zu obachtende Ver- lagerung der Bulbi nach dem Umdrehen scheint, außer den indivi- ‚duellen Verschiedenheiten und den Beeinflussungen der Drehgeschwin- digkeiten eine gewisse Beziehung zu den Typen der zuckenden Augen- bewegungen zu haben. Bei meinen Beobachtungen habe ich bemerkt, daß die Verlagerung der Augen nach dem Umdrehen beim Typus 1 ‚am stärksten und beim Typus 5 im allgemeinen viel schwächer war. B. Drehnystagmus bei verschiedenen Drehradien. Dieser Versuch sollte zur Beantwortung folgender Frage dienen: Welchen Einfluß üben Verschiedenheiten der Drehradien auf die Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen ‚Zuckungen des Nachnystagmus aus? Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 4 50 T. Masuda: a) Material und Untersuchungsmethode. Für diesen Versuch habe ich 5 neue Meerschweinchen, deren Coch- lear- und Vestibularapparate vor dem eigentlichen Versuche durch die im Kapitel a) des vorigen Versuches angegebenen, verschiedenen speziellen Untersuchungsmethoden geprüft und in jeder Hinsicht als vollkommen normal bezeichnet wurden, als Versuchstiere benutzt. Zum Zweck, die Versuchstiere mit verschiedenen Drehradien umdrehen zu können, wurde auf der Drehscheibe zunächst ein ca. 33 cm langes und ca. Il cm breites Holzbrett befestigt, welches in seiner Mittellinie 6 eiserne Stäbchen besitzt, von denen das zweite fast mit der Drehachse dieser Drehscheibe zusammenfällt. Die Eisenstäbchen sind so angebracht, daß beim Montieren des Tierkistehens auf das fünfte und dritte der Kopf des Versuchstieres beinahe mit der Drehachse der Scheibe zusammenfällt. Diese Stellung mit dem kürzesten Drehradius habe ich 1. Stellung genannt. Diejenige, bei der das Tierkistchen auf das erste und dritte Stäbchen zu liegen kommt, habe ich 2. Stellung genanrt, in gleicher Weise die, bei der das Tierkistchen auf das zweite und vierte kommt 3. Stellung, die bei der das Tierkistehen auf das dritte und fünfte kommt, 4. Stellung und die Stellung endlich, bei der das Tierkistchen auf das vierte und sechste kommt, also die peripherischste, habe ich 5. Stellung genannt. Bei dieser Art des Montierens des Tierkistchens auf dem Drehbrett ist der Drehradius in 1. Stellung am kürzesten und nimmt der angegebenen Reihe nach zu. Bei der Umdrehung ist der Kopf des Tieres in 1. Stel- lung nach der Drehachse der Drehscheibe gerichtet, während er in den anderen 4 Stellungen nach dem peripherischen Ende des Drehblattes gerichtet ist. Der Abstand zwischen der Drehscheibenachse und der die beiden Ohröffnungen verbindenden Linie ist natürlich je nach der Größe des Versuchstieres verschieden. Ich habe ihn bei jedem Tier in jeder Stellung bemessen, um seinen Durchschnittswert in jeder Stellung zu erhalten. Die durchschnittlichen Abstände sind folgende: 1.2Stelluns 222 2.022.227: A7em 4. Stellung... 222. Po YRem! 24 Stellung 0 2222.22. 210,4 cm 5. Stellung... 2 227 drem 32 Stellunezs sr OEM Das Verfahren sowohl des Umdrehens als auch der zahlenmäßigen Bentessung der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen ist wie beim früheren Versuch. Je nach den angewandten :Drehgeschwindigkeiten habe ich diesen Versuch in vier Versuchsserien eingeteilt. Bei Serie A wurde 3”-Drehung angewandt und 10 Umdrehungen ausgeführt; bei Serie B 2”-Drehung und 20, bei Serie C 1’-Drehung und 30, bei Serie D !/,’-Drehung und 40 Umdrehungen. Bei allen Versuchstieren habe ich in allen Stellungen jeder Versuchs- serie je zweimalige Rechts- und Linksdrehung ausgeführt. Um eine evtl. vorkommende Ermüdung desNachnystagmus zu vermeiden, habe ich zwi- schen den einzelnen Versuchen Pausen von etwa 15Min. eintreten lassen. b) Untersuchungsergebnisse. Folgende Tabelle, die in gleicher Weise wie Tabelle I hergestellt wurde, stellt die Gesamtergebnisse der obenerwähnten vier Versuchsserien dar. 51 q° g'z Asa at n = 5 ı B \ z se ag 8 ı 6) 8 "lea EO|) Er o|ı «ag | 87 0) 9 g 0 0 Im q, em | W “m | em | ® | on | m | m (9) () @ () (n) 02) } a gp 'aad ” Fr 2 pa [ = Saar 2 8 aa ae io 9 Vor x aa © @ı 9| © 0 (6) (on) | (en) (1) (z1) (8) (n) (6) (0:1) (2) (€) (<) (e) (€) (F) 3 | F 'A0q p a9d U | [4 er n 3 3.89 9a ar Ey a rd | 7 0 0 0. 0 | =. 0 0 | = = (01) (im) (s1) (20) (91) (on) | (em (1) (6) () («) ee g unf[9}S [eTı] G'g 'a9q S Ic \ [2 [4 [2 [2 a np (a [079 yt \ a N [2 AI bu >| =] =| ==) =| 5 l =] ES L - 2 89 BL ESEL A SA Sy) © 1% 0) 0) sg |8E Save Ess 0) = (11) (01) (81) (er) (eT) (or) (ar) (mr) (01) (9) (e) (2) («) () (2) (8) (<) rs) ä A49Gq = An f EL L [3 7 L C [8 f JG A cI| 8 68 9 6 | Tg 2 9 „| Se er i7 ) 0 0o| 4 Gr | 87 | 886 @ Schirre: = on | 0) wm | en | m | @ | m Wo | m () (r) () 9) 9) (@) @ |} © I IS S 1 [4 [4 W \ ß [8 [3 8 U 1 [8 = = c © Gl Se 9 ey 9| gqE| Cr y GE ce 0 Geleldrs i7 0 ee "En (11) (11) (1) (m) (a1) (9) Fr) (o1) (8) ($) (e) (p) («) (2) (<) (2) («) S ß \ je ß ß < G) “| a 8 2 9% 8U | | 0 ) 0 | 68 „1 8G | 896 e } z (8) (mm) (rn) (1) (e1) () (er) [) (a1) (9) (9) [) ( (e) (@ (e) [) Ss [8 [4 = | J 9 | 9 a eb) 9) 9.| 84 G 0 G 2 | cr | 84 | @9) 0 ee: (8) (o1) (1) (z1) (£1) (o1) (81) (tn) (8) (6) (7) (2) (8) (2) (e) (£) (2) 4 \ B 5) Z | So | 8 u | 88 »ı da ee ey Ei Fr r 2 | | gr | de o|\ «eg 5 (6) (8) (st) (1) (91) (er) (FI) (a1) (6) (6) e) (p) (€) ) ( (£) (£) (<) [8 [4 [# [4 \ 3 9 N | | oa a | %% r o #9 | ar | 8 7 Oel = (oT) (1) (1) (T1) (1) (er) (91) (8) (8) (tn) 62) (#) (p) (2) (e) (g) a ni m Di | m Due — Di I ve I —/ SS = a vw De m j SS m a m Ei ar BE i 2 h : ; 3 ; 5 ; ERE)] A'IN AL IN II IN II IN IN AN AL IN IIIN II IN IN A N x.02 "yaId „sd 91198 DAIX NA x OT ya „ev ONlag * —H © | © | ot | Ener | or Oo © Je Eee a le I 2 ı|ss |< = (1) (91) (s$) (9%) (22) (91) (61) (91) (1) (gt) (02) (tn) (ez) (en) (11) (129) (zT) (et) (22) (21) SUnT[9IS SE | Er | Oo MR ei Öl ER ER BE 3 2 "N (on) (sn) (98) (68) (#7) (D) (&2) (2%) (81) (97) (6) (oT) (12) (eT) (87) (z1) (87) (61) (27) (en) DO 0 SET RI Keane oe Ka Kae 6 | Te ee es 4) OL | @ \: (20) (ex) (2) (68) (9%) (87) (62) (95) (91) (12) (91) (e1) (67) (1) (82) (12) (0%) (81) (87) (21) sun][[94S le] le Se | RE I 828 | ee ee | ee | | AT (en) (3% (08) (98) (87) (21) (pe) (82) (67T) (12) (27) (eT) (92) (e1) (08) (f7) (et) (22) (7) (07) SCH OL LAS KEIL A LE aloe a our i6 08 | 22 een ker 407 cior Son | 2 (iD) (12) (62) (18) (ee) (rg) (#7) (63) (#2) (12) (97) 2) | (om) (91) (gg) (22) (62) (67) (82) (62) SUN][3IS . 0 je al Be ae ee ee | en ac | 6 Igel | "I & (67) (sT) (08) (92) (gg) (e8) (22) (92) (92) (82) (gz) (e1) (81) un) (gg) (12) (12) (12) (12) (e2) I [4 Ä [8 “ 19 [8 [3 [4 \ \ [9 19 a tele Eine) ar Ze) ar en eoee I ehneleaeeneı een | | | = = (22) (82) (68) (ee) (07) (28) (82) (#2) (62) (6) (87) (82) (62) (en) (98) (12) (8) (12) (88) (ce) SUn[]9IS > serie] ON KEN ne - Ale Sera | ae ee ae ze OR 6 8 | ut HH (32) (<7) (eg) (LE) (TE) (08) (08) (87) (87) (28) (07) (6%) (18) (sT) (sg) (se) (er) (92) (92) (6T) | an TUE EA ae ee ne oe ee ee ae ar ame mg en | | z (62) (18) (0F) (29) (7) (Le) (62) (87) (62) (62) (87) (v2) (se) (92) (eg) (pe) (vg) (82) (82) (e2) sun[[eIS SEINE | SE Leu Kara aa a Sera ar ro ee ee cur) ae gan Ic; I| I (1E) (ed) | (m (se) (17) (19) 133) (82) (82) (28) (6) (F2) (88) (22) (98) (28) (68) (82) (08) Ge | SET Paz > | Sa _ Sr 1 a nn Der | — De ee Dee rn a 7 nn a > IB ae AN AI "IN II IN II IN | IN AN AI IN II N IT IN I’N | SIOTISUINSIOA xoF -Joacl TEST! oTIag Bee x 08 Yard Pe) orag AA NIIT, Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 55 Aus dieser Gesamttabelle habe ich zuerst die Gesamtdurchschnitts- werte der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen in jeder Versuchsserie gesondert aufgesucht. Aus diesen habe ich dann die Gesamtdurch- schnittswerte der Dauer der einzelnen Zuckungen ausgerechnet. Diese drei Gesamtdurchschnittswerte einer jeden Versuchsserie stellen folgende lle dar: beleigar Tabelle XV. Zeitdauer Zuckungsanzahl Dauer der einzel. Zuckung. des Nachnystagmus des Nachnystagmus des Nachnystagmus Sellone Serie BR Serie “a ‚Serie ei A B (6) D A B EB D A| B (6) D I 1. Stellung | 35 |7 1104|122| 2,3 |11,9| 29,9 34,2| 1,5 | 0,59 | 0,35 | 0,36 I. Stellung | 34 | 68 [106 ıı [23 [10,829 \29,4| 1,5 0,63 0,37 |0,37 IM. Stellung | 2,8 | 6,9 | 9,5\10,3| 2,1 | 10,6 | 24,9 | 26,6| 1,3 | 0,65 | 0,38. | 0,39 IV. Stellung | 24 | zı | 8,2/10,.1| 1,5 |11,7|20,55 |23,9| 1,6 |0,61 0,42 [0,42 V. Stellune | 2,6 | 2 | 8 | 951 1,6 l11.1\17,1 20,6] 1,6 | 0,65 | 0,47 | 0,46 I. Zeitdauer des Nachnystagmus. Wie man aus den in Tab. XV angegebenen Zahlen der Gesamt- durchschnittswerte der Zeitdauer ersieht, ist der Einfluß der Ver- schiedenheiten der Drehradien auf die Zeitdauer des Nachnystagmus je nach der Schnelligkeit der Um- drehung sehr verschieden. Bei 3”-Drehung schwankt sie z in den sämtlichen Stellungen um ca. 3 Sekunden; sie erfährt fast % keine Beeinflussung (Reihe A). 3 Bei 2”-Drehung schwankt sie 3 um ungefähr 7 Sekunden herum; 7 erleidet also wieder fast keine 5 Beeinflussung (Reihe B). 5 Bei 1”-Drehung ist sie in % 3 2 Dauer d. Nachnystagmus (Sek.) 13 I-Stellung beinahe gleich wie die Zeitdauer in II-Stellung. Erst von II-Stellung an nimmt sie , mit zunehmender Verlängerung der Drehradien immer mehr ab (Reihe C). Bei !/’-Drehung ist sie in I-Stellung am größten, von dort an nimmt sie mit zunehmender Verlängerung der Drehradien ab (Reihe D). Drehraaven (cm) SS) WISH. 750st 20 Ws}. 25 Vst. 30 Abb. 18. II. Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus. Von der Beeinflussung der Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus durch die Verschiedenheiten der Drehradien kann man aus den in 54 T. Masuda: Tabelle XV angegebenen Zahlen ihrer Gesamtdurchschnittswerte die gleichen Tatsachen wie bei der Zeitdauer konstatieren. Bei 3”-Drehung schwanken sie in den sämtlichen Stellungen um 2 herum; sie erleiden keine nennenswerte Beeinflussung. Bei 2”-Drehung schwanken sie in den sämtlichen Stellungen um 11 herum. Sie erfahren auch keine nennenswerte Beeinflussung. Bei 1”’-Drehung sind sie in I-Stellung beinahe gleich mit denen in II-Stellung. Erst von 1I-Stellung an nehmen sie mit zunehmender Verlängerung der Drehradien ab. Bei !/,”-Drehung sind sie in I-Stellung am größten, von dort an nehmen sie mit zunehmender Verlängerung der Drehradien ab. Aus obigen Betrachtungen geht hervor, daß die Beeinflussung der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen durch die Verschiedenheit der Dreh- radien, je nach der Größe der Drehgeschwindigkeit sehr verschiedenes Verhalten zeigt. Und zwar üben die Verlängerung oder Verkürzung derselben bei den langsameren Drehungen keinen nennenswerten Ein- fluß aus; bei den schnelleren dagegen ist er ziemlich auffallend. Zwischen den beiden letzteren bestehen jedoch auch Unterschiede. Während bei 1/,’-Drehung sowohl die Zeitdauer als auch die Zuckungs- anzahlen in I-Stellung am größten sind und von dort an mit zunehmen- der Verlängerung der Drehradien immer mehr abnehmen, zeigen sie bei 1”’-Drehung zwischen der I- und II-Stellung keinen nennenswerten Unterschied, und erst von der II-Stellung’an nehmen sie ab. Bei !/,’-Drehung übt also jede Verlängerung des Drehradius einen gewissen Einfluß auf die Zeitdauer und die Zuckungsanzahlen aus, während bei 1”-Drehung die leichtgradige Zunahme desselben keine nennenswerten Folgen zeigt und erst bei noch größerer Zunahme einen deutlichen Einfluß ausübt. Außerdem kann man hier wieder den großen Parallelismus zwischen der Zeitdauer und den Zuckungsanzanhlen hinsichtlich der Beeinflussung durch die Verschiedenheit der Drehradien bei jeder Drehgeschwindig- keit konstatieren. III. Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus. Wie man aus Tabelle XV ersieht, üben die Verschiedenheiten der Drehradien bei den beiden langsameren Drehungen keinen nennens- werten Einfluß auf dieselben aus; bei den rascheren Drehungen wird mit zunehmendem Radius die Zuckungsdauer vergrößert, die Zuckungen also verlangsamt. Es weist dies auf eine erheblichere Abnahme der Zuckungsanzahl im Verhältnis zur Nachnystagmusdauer hin. >| [dp | Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. C. Drehnystagmus bei verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen. Durch diesen Versuch sollte die Frage beantwortet werden. Wie gestalten sich die Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus beim Umdrehen in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen ? Um die Eigenschaften des Drehnystagmus bei verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen kennenzulernen, bin ich der Frage von zwei Seiten entgegengetreten, und zwar, indem ich einmal die Tiere mit gleich- großen Drehradien in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen drehte, um den Einfluß dieser Verschiedenheiten kennenzulernen, das andere die Tiere mit verschieden großen Drehradien ebenfalls in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen drehte, um den Einfluß der Verschiedenheiten der Drehradien in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen zu studieren. a) Material- und Untersuchungsmethede. Als Versuchsmaterial benutzte ich die 5 Meerschweinchen, die ich für den Versuch B ausgewählt hatte. Um die obenerwähnten zwei Versuchsziele zu erreichen, ließ ich den Drehapparat folgendermaßen umarbeiten. An Stelle des Brettes, welches beim Versuch B zum Montieren des Tier- kistchens benutzt wurde, trat ein ebenso großes Brett, auf welchem 4 Schrauben an den Ecken eines Quadrates, dessen Zentrum etwa 10 cm von der Drehachse entfernt liest, ca. 3 cm aus dem Brette hervorragen. An den beiden Seiten der Eisenstäbchenreihe auf dem alten Brette, welches in diesem Versuch auch zum Montieren des Tierkistehens dienen sollte, wurden zwei etwa 30 cm lange Schlitze so angelegt, daß sie den 4 vorerwähnten Schrauben genau entsprechen, so daß das Brett auf dem anderen beliebig verschoben werden kann, und zwar nicht nur in der Längsrichtung des anderen Brettes, sondern auchin einer Richtung, die zur Längsachse des anderen Brettes senkrecht steht. Mittels 4 Muttern wurden die Brettchen in der bestimmten Lage festgehalten. Ich nahm meine Untersuchungen mit folgenden Stellungen vor: T-Stellung: Der Mittelpunkt der die beiden Ohröffnungen des Tieres ver- bindenden Linie fällt ungefähr mit dem Zentrum des erwähnten Quadrates zu- sammen. Der Körper liegt parallel zur Längsachse des Drehbrettes und die Schnauze richtet sich nach der Peripherie desselben. IIT’-Stellung: Diese ist der I’-Stellung gerade entgegengesetzt; die Schnauze ist der Drehachse zugekehrt. II’-Stellung: Der Mittelpunkt der die beiden Ohröffnungen verbindenden Linie liegt wieder in gleicher Entfernung von der Drehachse wie in Stellung I’ oder III’. Der Körper ist aber quer gestellt, so daß sich die Längsachsen des Tieres und des Brettes rechtwinklig schneiden. Die Schnauze richtet sich von innen gesehen nach links. IV’-Stellung: Ist der II’-Stellung entgegengesetzt. Die Schnauze ist nach rechts gerichtet. 56 T. Masuda: Sämtliche Versuchstiere wurden in jeder Stellung einmal nach rechts und einmal nach links gedreht, und zwar 40 mal mit !/,'’-Drehung, da nach den Untersuchungsergebnissen von B der Nachnystagmus des Meerschweinchens bei dieser Drehung durch die Verschiedenheit des Drehradius am meisten beeinflußt wird. Um die Beeinflussung des Nachnystagmus durch die Verschieden- heiten der Drehradien bei verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen untersuchen zu können, habe ich die Versuchstiere in jeder Stellung um 8cm nach hinten verschoben. Dadurch sind sie von I’-Stellung zu 1’-Stellung, von IT’ zu II”, von IIY’ zu III” und von IV’ zu IV” gekommen. Durch dieses Verschieben wurde der Drehradius bei I’-Stellung auf 2 cm reduziert und bei den drei anderen Stellungen wurde er ver- größert, so bei II’’- und IV’”-Stellung auf 12,8 cm, bei Ill’ auf 18 cm. Das Verfahren sowohl des Umdrehens, als auch der zahlenmäßigen Bemessung der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus und die Vorsichtsmaßregel zur Verhütung einer Ermüdung sind die gleichen, wie in den vorhergehenden Versuchen. b) Untersuchungsergebnisse. Die Gesamtergebnisse, die durch die obenerwähnten zwei Versuchs- serien erhalten wurden, stellen folgende zwei Tabellen dar: Tabelle XVI. | D.G. und D.Z. | | AUF DEIN Stellung DEREN | Nummer des Tieres | | I II | III IV V | 0) (20) (5) (26) (24) V- | rer 9 8,5 10,5 1l 1) Stellung ii 01.069 (25) (33) (31) ex) | | 18 10,2 10.2 10,5 10,5 (12) | (24) (24) (19) (16) 10% | Fr 8 1151245 13,8 9,2 1,8 Stellung | | a) | 06) en (22) (15) | Car 8,5 | 12,9 12,8 8,8 8,8 | (32) (26) (33) (23) (30) II/- | N = 10 12,7 15 95 112.9 Stellung | | em) a) | (24) (2b) BR; BES 12 02 11 10,5 | ray | 9) (25) (21) IV’- | N RS 12 32 | 10 Stellung | IN“ (19) (17) (29) (32) (27) | 8,2 10 12,5 11,5 11 Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 57 Tabelle XVII. D.G. und D. zZ. | 40x 1 Dr. in 1%,” Stellung | D.R. - N — | Nummer des Tieres I I me | | V | (33) (30) (39) | (35) | (33) T’- [) Fa: 111.2 11,5 13 al 10,8 Stellung | (82) (34) ea) | a (33) : l 22105 I 3a 13 5 10 | (12) (23) (18) (14) (681) 10% [ = 7,2 112 108 | 95 8.2 Stellung | | (15) (18) a as) (15) IE N) 9,8 10,510 9 | (20) (18) (27) (26) (18) 100€ | IR 10,2 10,5 11,8 10 IN SND Stellung \ | 3% 27) (2) (29) 1) | ) 10 12,5 11,8 10 (12) (22) (22) as | (18) IV’”- [ FE 82 9,5 ) 8» 0,9 Stellung (17) (19) 21) (26) em) | = 8 or | m 108. | 1008 Aus diesen Gesamtergebnissen habe ich zuerst die Gesamtdurch- schnittswerte der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen in jeder Stellung gesondert aufgesucht, und aus diesen wieder den Gesamtdurchschnitts- wert der Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus aus- gerechnet. Diese drei Gesamtdurchschnittswerte der beiden Versuchs- serien stellen folgende Tabellen dar: Tabelle X VIII. | Zeitd d Zuckungsanzahl Dauer der einzelnen en en es des ı Zuckungen d. Nach- EN | ANSELESEUD Nachnystagmus | nystagmus Y Stellung 10 26,2 0,38 I Stellung | 10,3 20,1 0,51 II Stellung | 11,3 OO 0,42 IV’ Stellung | 10 | 23,6 0,42 Tabelle XIX. Zerdauerd Zuckungsanzahl Dauer der einzelnen N a In $5 des Zuckungen d. Nach- RE “| aCHNySua2Inus Nachnystagmus nystagmus I”-Stellung 11,8 34,9 0,34 117-Stellung | 9,5 16,7 | 0,57 11/7-Stellung | 10,4 23,3 0,45 IV”-Stellung | 9,5 20,2 0,47 58 T. Masuda: 1. Zeitdauer des Nachnystagmus. Wie man ausden in Tabelle XV IIIlangegebenen Gesamtdurchschnitts- werten der Zeitdauer des Nachnystagmus ersieht, ist sie in IIl’-Stellung am größten und in den anderen drei Stellungen um ungefähr ein gleiches kleiner. Der Unterschied ist jedoch nicht bedeutend. Die Verschieden- heit der Körperlagen übt also keinen Einfluß auf die Zeitdauer aus. Die Verschiedenheit der Drehradien übt dagegen in allen Körper- lagen einen ziemlich großen Einfluß auf dieselbe aus. Vergleicht man die Zahlen der Gesamtdurchschnittswerte der Zeit- dauer in Tabelle XVIII und Tabelle XIX, so erkennt man, daß sie in T’-Stellung, wo der Drehradius von 10 cm auf 2 cm verkleinert ist, zu- genommen hat, während sie in den anderen drei Stellungen, wo die Größe des Drehradius mehr oder weniger zugenommen hat, im Gegenteil ab- genommen hat. Es geht also auch aus dieser Versuchsreihe hervor, daß die Zeitdauer des Nachnystagmus in den verschiedenen Körper- lagen mit der Zu- und Abnahme des Drehradius umgekehrt parallel sich ändert. 2. Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus. Aus den in Tabelle 18 angegebenen Gesamtdurchschnittswerten der Zuckungsanzahlen sieht man, daß sie in IIT’-Stellung am größten und in Il’-Stellung am kleinsten sind. Sie sind in T’-Stellung beinahe gleich groß wie in III’-Stellung, und beide sind viel größer, als die in IY’- und IV’-Stellungen. Aus dieser Tatsache läßt sich schließen, daß der Einfluß der Verschiedenheiten der Körperlagen auf die Zuckungs- anzahlen viel auffallender, ais derjenige auf die Zeitdauer ist. In den- jenigen Stellungen, wo der Körper des Tieres zum Drehradius parallel ist, erfolgen die Zuckungen zahlreicher als in denjenigen, bei welchen der Körper zum Drehradius senkrecht steht. Der Drehradius übt gleichen Einfluß wie auf die Zeitdauer; die Zuckungsanzahlen verändern sich in verschiedenen Körperlagen wieder umgekehrt, wie die Zu- und Abnahme des Drehradius. Diese Tatsache kann man durch das Vergleichen der in Tabelle 18 und Tabelle 19 angegebenen Gesamtdurchschnittswerte deutlich erkennen. 3. Dauer der einzelnen Zuckung des Nachnystagmus. Wie man aus den in Tabelle 18 und Tabelle 19 angegebenen Gesamt- durchschnittswerten der Dauer der einzelnen Zuckungen ersieht, hat die Verschiedenheit der Körperlage besonders bei II’ eine Zuckungs- verlangsamung bewirkt. Ferner äußert sich die Änderung der Dreh- radien bei verschiedenen Körperlagen auch hier in einer parallelen Änderung der Dauer der einzelnen Zuckungen. Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 59 4. Charakter und Richtung des Nystagmus während und nach der Drehung bei verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen. Trotz den verschiedenen Körperlagen habe ich in allen Stellungen sowohl während als auch nach der Drehung immer horizontalen Nystag- mus mit folgenden Richtungen beobachtet (rechts und links vom Tier- körper aus): Während der Drehung: I” Stellung | R n sdr 'h chts | a Stellung | echtsdrehen nach rechts In III’ und III” Stellung In IV’ und IV” Stellung Nach der Drehung In T’ und nach links | Linksdrehen nach links nach rechts In jeder Körperlage sind die nystagmischen Augenbewegungen nach der allgemeinen Regel zustande gekommen: Die Augen schlagen während der Drehung in der Drehrichtung und nach derselben gegen sie. 5. Die Stellung des Tierkopfes während und nach der Drehung in verschiedenen Kopf- resp. Körperlagen. Außer dem Charakter und der Richtung der nystagmischen Augen- bewegungen, habe ich bei diesem Versuch die Stellung des Tierkopfes während und nach der Drehung beobachtet und folgende Resultate gefunden: Während der Drehung Nach der Drehung In Stellung bei } ; | gebeust nach rechts links - links rechts | Rechtsdrehung 1° nal | Il’ und II” 11017 mel JUNE“ \ Linksdrehung [ Rechtsdrehung | | Linksdrehung innen u. z. nach links | außen u. z. nach rechts links Jaußen u. z. nach rechts |« - innen u. z. nach links rechts Rechtsdrehung | Linksdrehung rechts | f Rechtsdrehung außen u. z. nach links \ Linksdrehung innen u. z. nach rechts links innen u. z. nach rechts und Rv; außen u. z. nach links Aus obigem ersieht man, daß der Kopf des Tieres sich in jeder Körperlage während der Drehung gegen und nach derselben in der Drehrichtung neigt. Es ist mir aufgefallen, daß der Grad der Beugung sowohl während als auch nach der Drehung in den zweigestrichenen Stellungen etwas stärker war als in den eingestrichenen. Dritter Abschnitt: Theoretische Bedeutung der Untersuchungs- ergebnisse. Auf Grund der experimentell gefundenen Tatsachen läßt sich die Theorie der Funktion des Bogengangapparates in manchem auf eine neue breitere Basis aufbauen. Ich beschränke mich hier jedoch darauf, 60 T. Masuda: auf die in nächster Zeit von Rohrer und mir herausgegebene Arbeit unter dem Titel ‚Beiträge zur Theorie des Drehnystagmus‘ hinzu- weisen, in welcher wir an Hand von weiteren physikalischen Experi- menten auf die theoretische Betrachtung näher eingehen werden. Vierter Abschnitt: Zusammenfassung. 1. Die Zeitdauer des Nachnystagmus beim normalen Meerschwein- chen ist von der Schnelligkeit der Umdrehung abhängig; bei größerer Schnelligkeit ist sie länger (Abb. 1 und Abb. 2). 2. Die Kurven der Zeitdauer bei den angewandten 5 Drehungen sind in einer schönen Reihenfolge, je nach der Schnelligkeit der Um- drehung, angeordnet (Abb. 1 und Abb. 2). 3. Die Zeitdauer nimmt bei jeder Drehung in der Anfangspartie der Zunahme der Drehzahlen resp. Drehzeiten recht rasch zu und nach dem Erreichen ihres höchsten Wertes nimmt sie allmählich wieder ab (Abb. 1 und Abb. 2). 4. Die Drehzahlen, bei welchen die Zeitdauer ihren maximalen Wert erreicht, sind je nach der Schnelligkeit der Umdrehung, ver- schieden. Der maximale Wert wird bei langsameren Umdrehungen schneller, d.h. in geringeren Drehzahlen erreicht; bei 1//’-Drehung in 100, bei !/,”-Drehung in 40, bei 1”-Drehung in 30, bei 2”’-Drehung in 20 und bei 3”-Drehung in 10 Umdrehungen (Abb. 1). 5. Die Drehzeiten, bei denen die Zeitdauer ihren maximalen Wert erreicht, liegen in einer sehr schmalen Zone; bei !/,”-Drehung in 25’, bei 1/,”’-Drehung in 20°”, bei 1”-Drehung. in 30”, bei 2’’-Drehung in 40” und bei 3”’-Drehung in 30”; also in einer Zone zwischen 20” und 40” (Abb. 2). 6. Die Kurven der Zeitdauer zeigen einen mehr oder minder plateau- förmigen Verlauf, indem sie in der Nähe ihrer höchsten Punkte mehrere beinahe gleich große Werte aufweisen (Abb. 2). 7. Die beiden Augen des Meerschweinchens, welche nicht in einer Ebene wie beim Menschen liegen, sondern in zwei verschiedenen Ebenen, führen bei der Reizung durch Umdrehen eine koinzidente Bewegung aus, wie es beim Menschen der Fall ist (Tabelle 2). 8. Die Zuckungsanzahlen des Nachnystagmus sind, wie die Zeit- dauer, von der Schnelligkeit der Umdrehung abhängig. Je schneller die Drehung erfolgt, desto zahlreicher sind die Zuckungen (Abb. 3 und Abb. 4). 9. Die Kurven der Zuckungsanzahlen zeigen eine schöne Reihen- folge, je nach der Schnelligkeit der Umdrehung wie die der Zeitdauer (Abb. 3 und Abb. 4). 10. Die Zuckungsanzahlen nehmen bei jeder Drehung in der Anfangs- partie der Zunahme der Drehzahlen recht rasch zu und nehmen Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 61 nach dem Erreichen ihres Maximums langsam wieder ab (Abb. 3 und Abb. 4). 5 11. Die Drehzahlen, bei welchen die Zuckungsanzahlen ihren maxi- malen Wert erreichen, sind, je nach der Größe der Drehgeschwindigkeit, verschieden; bei !/,'-Drehung in 120, bei !/,’-Drehung in 40, bei 1”-Drehung und 2”-Drehung in 20 und bei 3”-Drehung in 10 Um- drehungen. Je kleiner also die Drehgeschwindigkeit ist, in desto kleineren Drehzahlen wird der höchste Wert erreicht (Abb. 3). 12. Die Drehzeiten, bei welchen die Zuckungsanzahlen ihren maxi- malen Wert erreichen, liegen in einer recht schmalen Zone; bei !/,"- Drehung in 30’, bei !/,”- und 1’’-Drehungen in 20’, bei 2”-Drehung in 40” und bei 3”-Drehung in 30’, also zwischen 20’ und 40” (Abb. 4). 13. Die Ausbreitung der Zene, in welcher die maximalen Werte der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen liegen, ist bei beiden gleich, und zwar nicht nur in den Durchschnittswerten, sondern auch bei jeder einzelnen Drehung. Die Drehzeiten, in welchen diese liegen, stimmen bei !/5-, 2”- und 3”-Drehungen genau überein; bei 1/,”- und 1’”’-Drehungen zeigen sie nur minimale Unterschiede (Abb. 2 und Abb. 4). 14. Die Kurven der Zuckungsanzahlen zeigen einen mehr oder minder plateauförmigen Verlauf, wie die der Zeitdauer (Abb. 4). 15. Die Kurven der Zuckungsanzahlen zeigen ungemein großen Parallelismus in den oben erwähnten verschiedenen Punkten mit denen der Zeitdauer (Abb. 1, Abb. 2, Abb. 3 und Abb. 4). 16. Die Dauer der einzelnen Zuckungen ist ebenso, wie die Zeit- dauer und Zuckungsanzahlen, von der Schnelligkeit der Umdrehungen abhängig. Je mehr die Schnelligkeit zunimmt, desto schneller schlägt die einzelne Zuckung des Nachnystagmus (Abb. 5 und Abb. 6). 17. Die Kurven der Dauer der einzelnen Zuckungen bei 1/,"-, 1/,”- und 1”-Drehungen sind, wie die der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen, in einer schönen Reihenfolge je nach der Drehgeschwindigkeit angeordnet (Abb. 5 und Abb. 6). 18. Die Dauer der einzelnen Zuckungen nimmt in der Anfangs- partie der Zunahme der Drehzahlen rasch ab (Abb. 5 und Abb. 6). 19. In den größeren Drehzahlen neigt die Dauer der einzelnen Zuckungen zum Verbleiben in ziemlich konstanter Höhe. Diese Neigung ist wieder von der Drehgeschwindigkeit abhängig. Bei 1//-Drehung ist sie am größten und bei 1’’-Drehung am kleinsten (Abb. 5 und Abb. 6). 20. Wegen der starken Neigung zum Konstantbleiben scheinen die Kurven der Dauer der einzelnen Zuckungen einen eigenen Charakter zu haben. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, daß er dem der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen umgekehrt ist (Abb. 6). 62 T. Masuda: 21. Die Zeitdauer und Zuckungsanzahlen nach Linksdrehung über- wiegen bei den angewandten 5 Drehgeschwindigkeiten an Länge die- jenigen nach Rechtsdrehung (Abb. 1 und Abb. 3). Diese Überwiegung kann nicht nur durch die Betrachtung der Durchschnittswerte, sondern auch bei den einzelnen Werten konstatiert werden (Tabelle 3 und Tabelle 4). Die Schnelligkeit der einzelnen Zuckungen nach Linksdrehung überwiegt die nach Rechtsdrehung bei 1/,”-, !/)’- und 1’’-Drehungen bei weniger großen Drehzahlen. Bei größeren Drehzahlen zeigt sie auf einer gewissen Strecke nach beiden Drehungen fast gleiche Werte. Die Größe dieser Strecke ist wieder von der Drehgeschwindigkeit ab- hängig. Sie ist bei !/,’-Drehung am größten und bei 1”-Drehung am kleinsten (Abb. 5). 22. Die Zunahme der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen mit zunehmender Drehgeschwindigkeit geschieht regelmäßig nach einem Gesetz. Die Kurve, die diese Zunahme darstellt, ist ähnlich einer paraboloiden Linie (Abb. 7 und Abb. 8). 23. Der absolute Schwellenwert des Drehnystagmus beim Meer- schweinchen liegt bei ungefähr 6’-Drehung (Tabelle 11). 24. Nach einmaliger Umdrehung in 2 oder 3 Sekunden sieht man manchmal deutliche Reflexerscheinungen an den Augen. Diese be- stehen einmal nur aus der Verlagerung der Augen, andersmal zeigen sich wirkliche nystagmische Augenbewegungen und Verlagerung der Augen; ihre Richtungen sind gleich wie die während der Umdrehung. Manchmal bleiben die Reflexerscheinungen ganz aus. Die Reflex- erscheinung am Kopf ist immer positiv; er beugt sich nach der der Drehrichtung entgegengesetzten Richtung. 25. Das Verhältnis der Zeitdauer des Nachnystagmus zur Um- drehungsdauer ist bei t/,’-, 1/,”- und 1”-Drehungen in den kleinsten Drehzeiten am größten und vermindert sich zuerst recht rasch, dann langsamer, nämlich bei !/,’-Drehung von 2,5’-Drehzeit resp. 10 Um- drehungen an, bei !/,'’-Drehungen von 2,5”- resp. 5 Umdrehungen und bei 1’’-Drehung von 5’ resp. 5 Umdrehungen an. Bei 2”- und 3”-Drehungen nimmt es von den kleinsten Dreh- zeiten, bei 2”’-Drehung von 10”- resp. 5 Umdrehungen und bei 3”- Drehung von 15’”- resp. 5 Umdrehungen bis zu den nächst größeren Drehzeiten nämlich bei der ersteren bis 20”- resp. 10, bei 3”-Drehung bis 30”- resp. 10 Umdrehungen zu. Erst von dort an vermindert es sich, wie bei den anderen Drehungen, zuerst rasch, dann lang- samer. Die Kurven, die das Verhältnis der Zeitdauer zur Umdre- hungsdauer darstellen, haben bei jeder Drehung gleichartigen Charak- ter und verlaufen fast parallel mit Ausnahme der aufsteigenden Schen- keln der Kurven für 2”- und 3’-Drehungen. Sie sind wieder in einer Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 63 schönen Reihenfolge, je nach der Größe der Drehgeschwindigkeit ange- ordnet. Bei 1”-, 2”- und 3”-Drehungen ist die Zeitdauer immer kürzer als die Umdrehungsdauer. Bei 1/,’-Drehung ist sie in allen kleineren Drehzeiten als 12,5” resp. 50 Umdrehungen immer länger als die letztere und bei größeren Drehzeiten als 12,5’ immer kürzer als die Umdrehungs- dauer. In 12,5” sind die beiden gleich groß. Bei 1/,”’-Drehung findet man die gleichen Verhältnisse. Bei 11” resp. 22 Umdrehungen ist die Zeitdauer gleich lang wie die Umdrehungsdauer. Bei kleineren Dreh- zeiten ist sie immer länger als die Umdrehungsdauer, bei größeren Drehzeiten immer kürzer (Abb. 9). Die Zeitdauer des Nachnystagmus beim Menschen weist die gleichen Eigenschaften auf (Abb. 10). 26. Die Schwankungsbreite der Zeitdauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen bei !/’-, t/,- und 1”-Drehungen ist von der Schnelligkeit der Umdrehung abhängig. Sie ist bei !/,”- Drehung am kleinsten und bei 1”’-Drehung am größten. Bei der Zeit- dauer ist der Unterschied der Schwankungsbreite zwischen 1/,’- und 1”’-Drehungen viel kleiner, als zwischen !/,’- und 1/,’-Drehungen. Bei den Zuckungsanzahlen und der Dauer der einzelnen Zuckungen ist es gerade umgekehrt (Abb. 11, Abb. 12 und Abb. 13). 27. Die Schwankung der Zuckungsanzahlen ist bei 1/,-, !/,’- und 1”-Drehungen immer größer, als die der Zeitdauer und der Dauer der einzelnen Zuckungen, welche bei !/,’- und !/,’-Drehungen unter sich beinahe gleich groß sind. Bei 1”-Drehung nimmt dagegen die Schwan- kung der Dauer der einzelnen Zuckungen erheblich zu und nähert der der Zuckungsanzahlen bei dieser Drehung (Abb. 11, Abb. 12 und Abb. 13). 28. Die verschiedenen charakteristischen Eigenschaften der Zeit- dauer, Zuckungsanzahlen und Dauer der einzelnen Zuckungen des Nachnystagmus, die wir an den Gesamtdurchschnittswerten derselben in Abb. 2, Abb. 4 und Abb. 6 konstatiert haben, können auch durch ihre einzelnen individuellen Werte bestätigt werden (Abb. 14a, 14b, 15a, 15b, 16a und 16b). 29. Der große Parallelismus zwischen der Zeitdauer und den Zuk- kungsanzahlen, den wir durch das Vergleichen der Kurven ihrer Gesamt- durchschnittswerte in Abb. 2 und Abb. 4 konstatiert haben, kann auch durch die einzelnen individuellen Kurven bestätigt werden (Abb. 14a, 14b, 15a und 15b). 30. Die absolute Schwankungsbreite der individuellen Werte der Zeitdauer und Zuckungsanzahlen ist bei sämtlichen 5 Drehungen bei den kleinsten Drehzeiten am kleinsten. Erst in größeren Drehzeiten, bei 1/,-Drehung in 20, bei den anderen 4 Drehungen in 10 Umdrehungen, wird sie plötzlich größer und in noch größeren Drehzahlen neigt sie 64 T. Masuda: zum allmählichen Größerwerden. Bei 1”-Drehung zeigen Zeitdauer und Zuckungsanzahlen gleichmäßigere Schwankungsbreite, als bei den anderen 4 Drehungen. Zwischen den Schwankungsbreiten der indi- viduellen Werte der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen kann man wieder einen Parallelismus konstatieren. Die Schwankungsbreite der individuellen Werte der Dauer der einzelnen Zuckungen ist bei den kleinsten Drehzahlen am größten. Bei größeren Drehzahlen, bei 1/,’-Drehung in 30, bei 1/,’-Drehung und 1’’-Drehung in 10 Umdrehungen, wird sie erheblich kleiner, und in noch größeren Drehzahlen zeigt sie sehr verschiedenes Verhalten, je nach der Drehgeschwindigkeit. Sie ist bei !/,’-Drehung am kleinsten und bei 1”-Drehung am größten (Tabelle 11, Tabelle 12 und Tabelle 13). 31. Die charakteristischen Eigenschaften der Zeitdauer, die wir beim Meerschweinchen konstatiert haben, können auch beim Menschen beobachtet werden (Abb. 17). 32. Der Typus der zuckenden Augenbewegungen beim Meerschwein- chen ist keineswegs so einfach, wie Barany ihn beim Menschen gefunden hat. Er kann manchmal an demselben Tier nach Links- und Rechts- drehung verschieden sein. Seltener zeigt das gleiche Tier nach gleich- ‚gerichteter, gleichschneller und gleichhäufiger Umdrehung verschie- denen Nachnystagmvs. Die Zunshme der Drehgeschwindigkeit hat keinen Einfluß auf die Bewegungsexkursionen, sondern hauptsächlich auf die Intensität der Augenbewegungen. 33. Der Einfluß der Verschiedenheiten des Drehradius auf die Zeitdauer und die Zuckungsanzahlen ist, je nach der Schnelligkeit der Umdrehung, verschieden. Bei 2”- und 3”-Drehungen übt sie keinen nennenswerten Einfluß auf sie aus, während er bei !/,- und 1’”-Drehungen recht auffallend ist. Die Vergrößerung der Drehradien verursacht eine Verminderung der Zeitdauer und der Zuckungsanzahlen. Hinsichtlich dieses Einflusses kann man wieder einen Parallelismus zwischen der Zeitdauer und den Zuckungsanzahlen konstatieren. Die Verschiedenheit der Drehradien übt bei langsamer Drehung keinen nennenswerten Einfluß auf die Dauer der einzelnen Zuckungen aus, bei den raschen Drehungen wächst die Dauer der Einzelzuckung mit dem Radius. 34. Die Verschiedenheiten der Kopf- resp. Körperlagen üben keinen nennenswerten Einfluß auf die Zeitdauer des Nachnystagmus aus; hingegen ist der auf die Zuckungsanzahlen ziemlich auffallend. In denjenigen Stellungen, wobei die Längsachse des Tierkörperss zum Drehradius senkrecht steht, sind die Zuckungen weniger zahlreich als Beitrag zur Physiologie des Drehnystagmus. 65 in denjenigen, wobei sie parallel zum Drehradius gestellt ist (Tabelle 18 und Tabelle 19). 35. Die Verschiedenheit der Größe der Drehradien übt in jeder Kopf- resp. Körperlage einen ziemlich auffallenden Einfluß auf die Zeitdauer und die Zuckungsanzahlen aus. Die Verlängerung derselben hat eine Verminderung der letzteren zur Folge und umgekehrt. Die Dauer der einzelnen Zuckungen nimmt mit dem Radius etwas zu (Tabelle 18 und Tabelle 19). 36. Der durch die Umdrehung in verschiedenen Kopf- resp. Körper- lagen hervorgerufene Kopf- und Augennystagmus erfolgt nach all- gemeinen Regeln. Die Augen schlagen während der Drehung in die Drehrichtung und nach derselben gegen sie; der Kopf neigt sich nach der Drehung in die Drehrichtung und während derselben gegen diese. Am Schlusse dieser Arbeit möchte ich den Herren Prof. R. Metzner und Prof. F. Siebenmann für die lebenswürdige Leitung und Herrn Dr. F. Rohrer für die freundliche Hilfe, die sie mir zuteil werden ließen, meinen verbindlichsten Dank ausdrücken. Pflügers Archiv f.d. ges. Physiol. Bd. 197. [Sl Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung dureh die Extrakte innersekretorischer Drüsen. Von Privatdozent Dr. Paul Schenk. (Aus der Medizinischen Poliklinik der Universität Marburg/Lahn. [Direktor: Prof. Dr. Eduard Müller].) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 8. August 1922). Die Eigenschaft verschiedener Warmblüter, zu Zeiten ungünstiger klimatischer Verhältnisse in Lethargie zu verfallen und poikilotherm zu werden, hat das Studium vieler Forscher angeregt. Die umfassende Monographie Barkows!), die ausführlichen Mitteilungen von Valentin), Horvath?), Quincke*) u. a. brachten die ersten zuverlässigen Berichte über die Abhängigkeit dieses Torpors von ungünstigen Lebensbedin- gungen, über die Dauer desselben bei den verschiedenen Tierarten, über die Körpertemperatur der Tiere während der Ruhe, ihre Atmung, die Veränderung ihres Körpergewichts, sowie über die Verlangsamung der Herztätigkeit infolge Verlängerung der Überleitungszeit um das fünffache [Hecht?)|. Durch diese Beobachtungen sind wir darüber unterrichtet, daß es sich bei dem genannten Vorgang nur um einen schlafähnlichen Zustand handelt, in den in kalten Gegenden manche Tiere während der Wintermonate, in heißen Landstrichen dagegen andere — z. B. Insekten — während der Dürre (,‚Sommerschlaf“) ver- fallen können. Ein alljährlich zur selben Zeit wiederkehrender Nahrungsmangel hat eine erworbene und ererbte Anpassungsform erzeugt, die sich durch willkürliche Änderung der ursprünglich auslösend wirkenden Ursachen _ nicht oder nur ganz vorübergehend beeinflussen läßt. So bleiben zum Beispiel die im Winter ‚‚schlafenden“ Tiere zu dieser Zeit auch trotz Überbringung in einen warmen Raum und trotz Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme passiv (Barkow). 1) H. C. L. Barkow, Der Winterschlaf. Berlin 1846. 2) G. Valentin, in Moleschotts Untersuchungen zur Naturlehre der Menschen und Tiere, 1857—1888. 3) A. Horvath, Verh. d. Med.-Phys. Ges. in Würzburg, 12, H. 3 u. 4; 13, H. 1 u. 2; Neue Folge 15, 187. *) H. Quincke, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 15. 1882. P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung durch Extrakte. 67 Zu Beginn der kalten Jahreszeit verfallen u. a. Igel, Murmeltier, Ziesel, Haselmaus, Fledermaus in Lethargie; ihr Körper wird kalt — die Körpertemperatur kann auf 0° und auch darunter sinken! — und bleibt kalt. Der äußerst geringe Gewichtsverlust während der Le- thargie geht in der Hauptsache auf Kosten der Leber!), des Fett- polsters!) und der ‚‚Winterschlafdrüse‘ 2); er beträgt z. B. beim Murmel- tier höchstens 1/,, desjenigen hungernder Kaninchen (Valentin). Die Erklärung des Zustandekommens des Beginns der Körperab- kühlung stößt auf die allergrößten Schwierigkeiten. Daß das Verharren des Körpers in niederer Temperatur auf einer Hypofunktion aller Organe beruht, bewiesen u. a. die Untersuchungen von Valentin und Dubois?). Ungeklärt blieb jedoch die Ursache dieser Hypofunktion. Pembrey?) glaubte sie als Folge einer primitiven Organisation des Zen- tralnervensystems, wie wir sie bei den poikilothermen Neugeborenen von Taube, Maus und Ratte finden, ansehen zu müssen, Polimanti*) sieht im Winterschlaf die Folge einer schwachen Resistenz des ther- mogenetischen Koeffizienten, und Mar£s5) hält ihn für; die Folge eines atavistischen Rückfalls in die Entwicklungsstufen ohne oder mit nur mangelhaft ausgebildetem thermoregulatorischen Reflex, wie wir es bei manchen neugeborenen Säugern finden. Als tiefere Ursache wäre nach seiner Ansicht hierbei die spezifische Anpassung des Organismus an die ungünstigen Bedingungen der Außenwelt anzusehen. Mares nahm in einer früheren Schrift einen temporären Verlust der Kälte- empfindlichkeit an. Diese Theorie würde zwar eine gewisse Stütze in der bekannten Tatsache finden, daß die indischen Jogis — auch Fakire genannt — durch autohypnotischen Verlust der Temperatur- empfindung in einen mit Herabsetzung der Körpertemperatur ein- hergehenden Schlaf verfallen können [vgl. Verworn®)], und darin, daß es Mares selbst bei einer Hysterica gelang, durch Hypnose die Körper- temperatur um 2,5° herabzusetzen. Dieser Erklärungsmöglichkeit steht jedoch die Tatsache gegenüber, daß z. B. die Igel während des sanzen Winters kälteempfindlich bleiben, und daß plötzliche stärkere Temperaturschwankungen (Wärme wie Kälte!) als Weckreize wirken. Trotzdem also die Tiere für Kälte empfindlich sind, bleibt zu be- stimmter Jahreszeit trotz besten Ernährungszustandes die physio- logische Kältereaktion aus! 1) A. F. Hecht, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 4, 259. 91. 2) R. Dubois, Physiol. comp. de la Marmotte, Paris, Masson, 1896 und Compt. rend. Soc. Biol. 120, 458, 814. 830. 3) Pembrey, Journ. of Physiol. 21, 73. 1901; %%, 69. 1903; 29, 209. 4) O. Polimanti, Il Letargo. Roma, Tipogr. del Senato 1913. 5) Fr. Mares, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 155, 411. 1914. 6) Verworn, Allgemeine Physiologie, 6. Aufl. 1915. 5* 68 - P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung Die neueren Untersuchungen weisen nun darauf hin, daß ein Hor- monmangel, eine Insuffizienz der die Intensität des Stoffwechsels be- herrschenden innersekretorischen Drüsen anscheinend bei dem Aus- bleiben der physiologischen Stoffwechselsteigerung eine sehr große Rolle spielt. Die Thymus bildet sich zu Beginn des Winters bei diesen Tieren sehr stark zurück und an ihre Stelle tritt eine den bei der physiologischen Altersinvolution der Drüse stattfindenden Fettersatz weit übertreffende Ablagerung von braunem Fettgewebe [ Korschelt1)], das man als ‚‚Winter- schlafdrüse‘‘ bezeichnete. Shattock?) fand in diesem Gewebe angeb- lich besondere, charakteristische Zellen, doch konnte Auerbach?) diesen Befund nicht bestätigen und nachweisen, daß dieses Fettgewebe keine besondere Beziehung zum Winterschlaf hat. Anscheinend handelt es sich hier lediglich um eine überreichliche Ablagerung von Depotfett an der Stelle der atrophierten Drüse. Es schwindet nach Merzbachers*) Untersuchungen während des Winters um ?/,, des Anfangsgewichts. Die Hypophyse zeigt nach den Untersuchungen von Cushing und Goetsch?) sowie Gemelli bei winterschlafenden Waldschnepfen deut- liche histologische Veränderungen (wird kleiner und die Zellen des Vorderlappens verlieren das Färbungsvermögen). Diese Autoren halten daher den Winterschlaf für die Folge einer periodischen Minderfunktion der Hypophyse. In Anbetracht der Tatsache, daß der Hypophysen- vorder'appen im Experiment einen deutlichen fördernden Einfluß auf den Eiweiß- und den respiratorischen Stoffwechsel ausübt, ist dieser Befund in gewissem Grade wohl zu berücksichtigen. Von größtem Einfluß auf den Winterschlaf ist jedoch anscheinend das Verhalten der Schilddrüse, wie wir aus den in dieser Hinsicht grund- legenden Arbeiten L. Adlers®) wissen. Adler fand zunächst bei winter- schlafenden Fledermäusen eine Atrophie der Schilddrüse und stellte fest, daß das Kolloid der Igelschilddrüse im Winter eine andere Zusammen- setzung hat als im Sommer. Ferner fand Cori”) bei winterschlafenden Fröschen eine funktionelle Schilddrüseninvolution. Diese Befunde sind sehr bemerkenswert gegenüber der bekannten Tatsache, daß extreme Temperaturen einen ganz spezifischen morphologischen Einfluß auf die Schilddrüse haben, dergestalt, daß z. B. Kälteeinwirkung bei Mäusen 1) E. Korschelt, Handbuch d. Naturwissenschaften 4, 1128. 1913. 2) Shattock, Proceed. R. Soc. Med. (Path. Sect.) 2, 207. 1909 und Lancet 1, 8399. 1909. 3) Auerbach, Arch. mikr. Anatom. %91, 60. 1902. *) L. Merzbacher, Ergebnisse der Physiologie, 1904, Abt. 2, S. 214. 5) H. Cushing and R. Goetsch, Journ. of exp. Med. 22, H. 1, S. 25. 6) L. Adler, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 164, 1, 1916; Arch. f. exp. Pathol. und Pharmakol. 86, 159. 1920; 8%, 4. 1920 und 91, 110. 1921. ?) K. Cori, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 91, 130. 1921. durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen. 69 und Fröschen Wucherungsvorgänge des Drüsenepithels und Verflüssigung und Vermehrung des Kolloids zur Folge hat [Hart!)], während Hitze- kulturen von Kaulquappen eine sehr reduzierte Schilddrüse zeigen. Aus klinischen Beobachtungen wissen wir ferner, daß Menschen mit mangelhafter Funktion der Schilddrüse oft einen sehr niedrigen Grundumsatz haben, eine auffallend niedrige Körpertemperatur und oft auch eine sehr schlechte Wärmeregulation zeigen [vgl. @. Cori2)]. Es ist sodann einerseits aus den Untersuchungen von Dubois?), Streuli), Mansfeld°), Asher und Duran ®) bekannt, daß die Entfernung der Schilddrüse die Empfindlichkeit der Versuchstiere für O,-Mangel stark herabsetzt, während andererseits Ruchti?) nachwies, daß die Entfernung der Drüse die Erregbaıkeit des Atemzentrums durch Wärmestauung stark vermindert. In greifbare Nähe kam das Studium des Einflusses der innersekre- torischen Drüsen jedoch erst, als man daran gehen konnte, den Einfluß einigermaßen genau dosierbarer Organextrakte auf den Winterschlaf zu studieren. L. Adler hat eine Reihe diesbezüglicher Versuche mit- geteilt, aus denen hervorgeht, daß er den Winterschlaf der Igel durch subceutane Injektion von Extrakten der Schilddrüse, der Thymus und der Nebenniere vorübergehend unterbrechen konnte, während Extrakte der Mamma und Epiphyse unwirksam waren und derjenige der Bauch- speicheldrüse sogar hemmend auf den von den ebengenannten Extrakten durch periphere Oxydationssteigerung ausgelösten Weckreiz wirkte. Im Folgenden sollen eigene Untersuchungen über die Beeinflussung des Stoffwechsels winterschlafender Igel durch die Hormone der innersekre- torischen Drüsen und über die Möglichkeit der Unterbrechung des Winter- schlafs durch diese Hormone mitgeteilt werden. Versuchsanordnung. Die mitzutejlenden Versuche wurden im Winter 1921/22 an Igeln (Erinaceus) vorgenommen. Zur Untersuchung des respiratorischen Stoffwechsels diente der von Gürber modifizierte Haldanesche Apparat®). Die Tiere wurden bereits !/, bis 1 Std. vor dem Versuch in die 8600 cem Rauminhalt fassende Respirationskammer gebracht, um eine zu Fehlern führende Beeinflussung des Respirationsversuches durch die Umlagerung der Tiere zu vermeiden. Denn wie schon Barkow und Merzbacher beobachtet haben, ist die Reflexerregbarkeit der ‚„‚schlafenden‘‘ Tiere außerordentlich groß, so daß sie auf ganz geringe Reize wie Anblasen oder leichteste Berührung mit stärkerer Kontraktion des Sphincter Cuculli, einer tiefen Inspira 2) ©. Hart, Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. 21, S. 533. ?) G. Cori, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 25, 150. 1921. ®2) M. Dubois, Biochem. Zeitschr. 82, 141. 1917. ) HA. Streuli, ebenda 8%, 359. 1918. ) G. Mansfeld, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 161, 399 u. 502. 1915. ) ) ) a am L. Asher und Duran, Biochem. Zeitschr. 106, 254. 1920. ?) E. Ruchti, ebenda 105, 1. 1920. ®) Genaue Beschreibung bei O. Hirz, Inaug.-Diss. Marburg 1913. 70 P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung tion und Erhöhung der Pulsfreguenz antworten. Aus diesem Grunde unter- ließen wir auch Temperaturmessungen. — Die Versuchsdauer betrug 5—12 Std. In der Stunde wurden 20—251 Luft durch die Respirationskammer gesogen. Zur Prüfung des Einflusses der inkretorischen Drüsen auf den Winteıschlaf wurden nach je einem Vorversuch die Extrakte der Drüsen in der Form der „Glan- dole‘‘ der chem. Werke Grenzach unter die Haut des Rückens injiziert, und un- gefähr !/,—1 Stunde nach der Injektion wurde der 2. Versuch angesetzt. Außer diesen Extrakten wurde der Hypophysenvorderlappenextrakt ‚„Prophyson“ von Queisser & Co. Hamburg benutzt, sowie das handelsübliche Suprarenin hydrochlor. synthet. Höchst. Der respiratorische Stoffwechsel winterschlafender Tiere. Die Respirationsversuche ungestört in Lethargie verharrender Igel ergaben zunächst einen ganz außerordentlich niedrigen respiratorischen Quotienten. Wie aus Tab. I hervorgeht, schwankte er bei meinen Versuchen im Allgemeinen zwischen 0,41 und 0,65. Dieser ganz ungewöhnlich niedrige respiratorische Quotient ist schon von früheren .Untersuchern unter den verschiedenartigsten Be- dingungen gefunden worden, und hat die mannigfachsten Deutungen erfahren. Die bisher mitgeteilten Werte schwanken, wie Tab. II zeigt, zwischen 0,25 (Mares) und 0,681 [Har:!)]. Tabelle I. | Gewicht | Ver. | Ausscheidung | Gew. | O;- Deo, pro| O, pro| Temp. | Datami, | ds Tieres | a con. mo N ara a "Sta. | sta. |maum. g Std. g g g g van mg mg ® 1 30.X1.21| 625,39 | 5Y/, | 0,07 | 1,05 | 1,02 | 0,09 | 0,56 | 20,36 26,18] +2 2 3X. 3385 0,04 | 0,97 | 0,95 | 0,06 | 0,48 | 23,66 | 35,50 | +2 3 1. x7. 21 625,815 0,05 | 1,26 | 1,24 | 0,07 | 0,52 | 15,97 | 22,36 | +1 4 FDA Be 5 0,04 | 0,89 | 0,85 | 0,07 | 0,41 | 22,48 | 39,88 | +3 5 3.1.22. | 627.08 | 52/ | 0.05 | 1.05 | 1,03.) 0.071 0,522 1449) 0029) 3 6 4a 221 63115 5 0,11 | 1,50 | 1,46 | 0,15 | 0,53 | 34,80 | 47,46 | +2 7 5.1.22 | 354,0 5 0,07 | 1,18 | 1,14 | 0,11 | 0,46 | 39,60 | 62,14 | +1 9 71.2982 |5.334,0 5 0,08 | 0,74 | 0,71 | 0,11 | 0,53 | 47,90 | 65,87 | +0 10 || 81.22 | 619,66 | 5%, | 0,17 | 0,71 | 0,59 | 0,29 | 0,42 |49,85 | 85,04| —1 | 19.1092 12,363.00. 07 0,16 | 0,56 | 0,50 | 0,22 | 0,53 | 62,9% 86,581 1 12 ° |10.1.22:| 623,14 | 13 | 0,62. | 0,20. 1.18 | 0:70 | 0.64 20.55, 8643, 13020) 1,141.22221359.00, |.7 0,11 | 0,28 | 0,73 | 0.16 | 0,50. 4372 152,810 7 2 As 10819925 1645.02 | 9% 0,38 | 0,85 | 0,81 | 0,42 | 0,65 | 84,16 | 93,02 | —1 17. 8.1. 22) 361,43 | 52/ | 0,03) 0,70 |.0,66. |:0.081..0,36. 1,1) A0Ra Et 18 9.1022 | ee | 0,27 | 0,645 | 0,55 | 0,365 | 0,53 | 72,19 | 97,59 | 2,5 Kaninch. 25. VI.21| 2583,0 2 3.45 | 5,68 | 4,21 | 4,92 | 0,51 | 1340 | 1910 Kaninch. 28. VI. 21 | 2345,0 2 2,72 | 4,65 | 3,93 | 3,44 | 0,57 | 1150 | 1460 Auch bei der Entwicklung junger Hühnchen im Ei fanden Bohr und Hassel- bach?) einen derartig niedrigen Quotienten. 1) P. Häri, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 130, 112. 1909. 2) Bohr und Hasselbach, Skand, Arch. f. Physiol. 13, 419. 1903. ae durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen. Tal Tabelle II. — | Ausscheidung Aufnahme Keshireben Beobachter Tierart co; | H,0 x Quotient | | mg | mg GC. Voit 145 172 322 0,33 Regnault u. 23 40 0,44 Reiset 64 85 0,55 Valentin 14 29 24 0,44 33 25 47 0,51 125 226 144 0,63 Weinlandu.Riehl | Murmeltier 42 20 0,42 92,3 100 47,6 103,2 215 Nagai Igel 0,53 Murmeltier 0,54 Siebenschläf. 0,57 Hari Fledermaus | 28,5 0,525 39.5 42,2 0,652 65,6 73,1 0,681 Pembrey Igel 0,51 Mares Hamster 0,25 Dubois | 0,5 Zum Teil mögen die Befunde — insbesondere bei sehr kleinen Ver- suchstieren — durch Zurückbleiben von CO, in der Respirationskammer und im Röhrensystem zu erklären sein. Eine weitere Ursache mag auf dem von Zuntz!) zuerst betonten Umstande beruhen, daß bei der Ab- kühlung der Tiere im Beginn der Lethargie der Absorptionskoeffizient der Gewebe für CO, ganz beträchtlich höher wird als er im warmen Zustande des Körpers war, und daß daher während der Abkühlung weniger CO, in der Ausatmungsluft erscheint, als dem aufgenommenen O, entspricht. Dubois und Rasmussen?) bestätigten diese Anhäufung von CO, im Blute und Hari hat aus diesem Grunde betont, daß bei Respirationsversuchen an Winterschläfern die erste Abkühlungs- periode nicht benutzt werden dürfe. In der zweiten Periode hat er bei Fledermäusen meist einen resp. Quotienten von 0,652 —0,681 erhalten. Allerdings erhielt auch er bei einem sehr fest schlafenden Tier 5 mal einen resp. Quotienten von 0,525! Der in Tab. I angeführte Versuch 17 ist ein Beitrag für diese Art des Zustandekommens besonders niedriger resp. Quotienten. Die hier 1) N. Zuntz, in W. Cronheim, Handbuch der Biochemie 4, 1. Hälfte, S. 861. 1910. 2) A. T. Rasmussen, Amer. Journ. of Physiol. 39, H. 1, S. 20. 723 P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung angegebenen Werte stammen von einem Nachversuch, aus der Zeit nach vorübergehender Stoffwechselsteigerung durch Prophyson (vgl. Tab. III, Vers. 17). Eine dritte Möglichkeit wäre die, daß die Tiere einen Teil des reich- lich vorhandenen Fettes in Zucker verwandeln und als Glykogen ab- lagern. (Es würde sich dabei also um einen ähnlichen Vorgang handeln, als wenn ölhaltige Samen bei der Keimung O, aufnehmen und aus Fett Stärke machen, ohne CO, auszuscheiden.) Diese Annahme ist beim Winterschläfer ziemlich naheliegend, da der Glykogenvorrat der Tiere anscheinend während des ganzen Winters nicht abnimmt — Külz!) fand am Ende des Winterschlafes in der Leber noch 0,31 bzw. 0,35 & Glykogen pro Kg Körpergewicht, und Weinland und Riehl2) fanden am Ende des Winterschlafes genau soviel Glykogen in den Tieren als zu Beginn desselben, trotzdem während des Aufwachvorganges anscheinend Glykogen verbraucht wird. Während dieser Übergangszeit wird nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen außerordentlich viel Kohlen- säure ausgeschieden — nach Weinland und Riehl bis zu 2200 mg pro Kg und Stunde —, was die Folge einer regen KH-Verbrennung während dieser Zeit sein soll, denn der respiratorische Quotient derselben er- reichte oft den Wert von 0,94 —1,0 (Weinland und Riehl), 1,0 (A. Loewy?)] oder war sogar größer als 1,0 (Dubois). Diese letztgenannten Befunde wurden allerdings von anderen Untersuchern nicht bestätigt; Pembrey fand 0,75—0,81, Henrigques*) 0,7, Mares 0,7—0,759, und diese Forscher sind daher der Ansicht, daß auch die Erwärmung beim Erwachen auf Kosten von Fett ge- schieht, und daß nur Zittern oder stärkere Bewegungen einen KH- Umsatz hervorrufen. Die Glykogenpolymerisierung aus vom Fett stammenden Zucker ist daher auch von verschiedenen Untersuchern als nicht ausreichend zur Erklärung des so außerordentlich niedrigen respiratorischen Quo- tienten bei Winterschläfern erklärt worden. In eigenen Aufwachversuchen schwankte der resp. Quotient zwischen 0,72 und 0,75. Doch sind diese Versuchsergebnisse wohl nicht den obengenannten zu vergleichen, da bei ihnen der Eiweiß- bzw. Kohlen- hydratstoffwechsel durch die injizierten Hormone besonders angefacht wurde, und da außerdem die Ergebnisse infolge der langen Versuchsdauer von ungefähr 5 Stunden oft sämtliche Perioden — Schlaf- und Halbwach- zustand, Aufwachvorgang und Wachzustand — umfassen, und die Höhe des respiratorischen Quotienten daher einen Zufallsbefund darstellt, ab- 1) E. Külz, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 24, 74. 1881. 2) E. Weinland und M. Riehl, Zeitschr. f. Biol. 49, 37. 1907. 3) A. Loewy, in Cronhein, Handbuch der Biochemie, 4, 1. Hälfte, S. 177. *) V. Henriques, Skand. Arch. f. Physiol. 25, 15. durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen. 7ies hängig in der Hauptsache von dem bei den verschiedenen Hormonen verschieden spät eintretenden Zeitpunkt des Erwachens. (Dieser Einwand dürfte übrigens wohl bei den meisten Bestimmun- gen des respiratorischen Quotienten während des Aufwachvorganges zutreffen.) Es bleibt jedoch noch eine vierte Erklärungsmöglichkeit dieses auffälligen Befundes. Nagar!) fand bei seinen Untersuchungen im Harn der Winterschläfer 66% des Harn-Stickstoffes in der Form der Amino- säurenfraktion, und nur 18% in derjenigen der Harnstofffraktion (bei wachen hungernden Tieren 20 bzw. 65%). Auch ist Milchsäure im Harn der Winterschläfer gefunden worden (Korschelt). Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß infolge der beim Winter- schläfer vorhandenen Insuffizienz der innersekretorischen Drüsen (s. u.) unvollständige Oxydationen die Ausscheidung von C-haltigen inter- mediären Zersetzungsprodukten durch den Harn zur Folge haben. Auf Grund eigener, zu anderen Zwecken vorgenommener Ver- suche möchte ich auch dieser Möglichkeit einen gewissen Einfluß auf die Tiefe des respiratorischen Quotienten während des Winterschlafs zu- sprechen. Ich fand bei frisch thyrektomierten Sommerkaninchen des Öfteren am 3.—5. oder 6. Hungertage einen respiratorischen Quotienten von 0,51 bis 0,57, einige Male auch 0,48, und gab damals der Vermutung Ausdruck, daß bei plötzlicher Ausschaltung der Schilddrüse der Stoff- wechsel nicht nur quantitativ stark herabgesetzt ist, sondern zunächst auch qualitativ ein anderer wird, so daß eine die CO,-Ausscheidung bedeutend übersteigende O,-Aufnahme und ein von den üblichen Werten stark abweichender, auffallend tiefer respiratorischer Quo- tient die Folge ist). Nach meinen jetzigen Erfahrungen über den großen Einfluß des Schilddrüsenextraktes auf den Winterschlaf möchte ich annehmen, daß auch hier die funktionelle Ausschaltung der Schilddrüse wenigstens teilweise den niedrigen respiratorischen Quotienten mitbedingt. Vermehrte CO,-Bindung in den Gewebsflüssigkeiten insbesondere während der Abkühlungszeit, Ausscheidung von intermediären Stoff- wechselprodukten infolge unvollständiger Oxydation sowie vielleicht auch Polymerisierung des aus Fett entstandenen Zuckers zu Glykogen scheinen demnach die Ursache des niedrigen Quotienten während der Lethargie zu sein, und das plötzliche Heraufschnellen desselben auf hohe und höchste Werte beim Erwachen ist meines Erachtens zum großen Teil als Folge der Austreibung der zurückgehaltenen Kohlensäure aus dem sich erwärmenden und lebhafter atmenden Körper anzusehen. Esist daher nach meinen Erfahrungen durchaus unratsam, aus der Höhe des respi- !) H. Nagai, Zeitschr. f. allg. Physiol. 9, 243—367. 1909. 2) P. Schenk, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 92, 1. 1922. 74 P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung ratorischen Quotienten irgendwelche Schlüsse in bezug auf die Art der Verbrennungsprozesse während des Aufwachvorganges zu ziehen! Der Umsatz der Tiere während der Versuchsperiode war äußerst gering. Die Tiere verbrauchten in der Stunde pro Kg Körpergewicht 20,29 — 97,59 mg O,, und schieden 14,49—84,16 mg CO, aus. Vergleiche hiermit Tabelle 2. Pembrey fand mit dem Haldaneschen Apparat 383-775 mg CO, pro kg und Stunde, doch möchteich annehmen, daß es sich hierbei — wie bei allen Versuchen, in denen mehr als 100 mg CO, in der Stunde ausge- schieden wurden, — um Zustände von Halbschlaf oder ruhigem Wachzustand ge- handelt hat. Die Beeinflussung des respiratorischen Stoffwechsels und des Schlaf- zustandes durch Extrakte der Drüsen mit innerer Sekretion. Die ersten Versuche über die Möglichkeit hormonaler Beeinflussung des Winterschlafs rühren von L. Adler her, der winterschlafende Igel durch subcutane Injektion von eiweißfreien Extrakten der Schild- drüse und Thymus sowie der Nebennieren unter Steigerung der Körper- temperatur von 6° auf 34° zum Erwachen bringen konnte. Die Atem- frequenz stieg beträchtlich und die Tiere liefen eine Zeitlang umher. Diese Hormonwirkung trat auch ein, wenn das Wärmezentrum operativ und der Sympathicus vorübergehend durch Ergotoxin toxisch (15 mg intravenös) ausgeschaltet wurde. Extrakte der Mamma und Epiphyse waren unwirksam, Pankreasextrakte hemmten sogar die Wirkung der drei fördernden Auszüge. Die eigenen, bei subeutaner Injektion von Drüsenextrakten erhal- tenen Versuchsergebnisse sind aus Tab. III (S. 75) ersichtlich. Die Injektion von Schilddrüsenauszug zeigte stets eine starke Wir- kung. Zwar erwachten bei weitem nicht alle Tiere völlig, jedoch war nach jeder Einspritzung eine deutliche Steigerung des Stoffwechsels unverkennbar. Völlig erwachten fast alle Tiere, denen nachmittags oder abends mindestens lcem eingespritzt wurde. Sie wurden unge- fähr 11/,—2 Stunden nach der Einspritzung munter, liefen zum Teil sehr lebhaft umher, und wurden nach 4—5 Stunden träge und rollten sich wieder zusammen. — Weniger deutlich war die Wirkung der Ein- spritzung von Mengen unter 1,0 ccm und außerdem vormittags vor- genommene Einspritzungen. In diesen Fällen lagen die Tiere nur ganz locker zusammengerollt mit offenen Augen da, taten 15 —50 Atemzüge in der Minute (bei 6—10 Atemzügen im unbeeinflußten Schlafzustande) und beruhigten sich nach einigen Stunden wieder. Die Versuche mit Thymusauszug zeigten ungefähr denselben Er- Tolg. Einspritzung von Hypophysenhinterlappenextrakt (Pituglandol) hatte keinen deutlich nachweisbaren Einfluß auf den Zustand, dagegen . durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen, N 75 steigerte Einspritzung von Vorderlappenauszug (Prophyson-Queisser) den Gaswechsel beträchtlich. Tabelle III. & Gewicht | Subeutane In- | 9 | scheidung | 2 B= = © |CO, pro | 0,pro | 258 3 Datum |des Tieres | jektion von | = RAN NS = 38 kg u.Std. kg u. Std. En = 2|co,|m0| & | S | 8° ES = g ccm Buell gle ERDIIDE mg mg Re 1 /30.XI.21| 625,39 51/20,07 11,05 | 1,02 | 0,09 | 0,56 | 20,36) 26,18|+2 625,46 0,7 Thyreogld.5t/50,25 0,74 | 0,77 | 0,22 | 0,82 | 72,64] 63,92 22 KS1012100033822, 1153 I 5 14,33 11,02| 1,18 | 4,17 | 0,75 2562,13 2467,45 [+2 3 |1.XI.21| 625,80 11,4 % 51/.16,98 11,90 | 2,11 | 6,77 | 0,75 2023,91 |1966,29 |+3 4 2. X11.21| 352,23. 11,0 % 51/.0,16 11,40 | 1,40 | 0,16 | 0,72 | 82,64| 82,64 42,5 501023912227102628:93: 11:5 a 151/.0,40 1,92| 1,85 | 0,47 | 0,62 | 115,61 | 135,85 |+3 621041202222 00632219. 1,5 s 151/.17,81 12,04 | 2,33 | 7,52 | 0,75 12246,0 2163,0 |+3 7 | 5.1.22 | 355,62 1,2 Thymogld.51/,/4,11 |1,50| 1,68 | 3,93 | 0,76 |2099,07 2005,77 |+1 8 | 6.1.22 | 782,54 1,5 Pitugland.51/,0,40 0,94 | 0,99 | 0,35 | 0,83 | 93,0 81,37 |+1 9 || 7.1.22 | 335,83 |1,3 Ovogland.51/,0,59 0,83 | 0,85 | 0,57 | 0,75 | 319,26] 308,44 |-0 8.1.22 | 619,66 11,5 Testigland.5'/20,17 0,71 | 0,59 | 0,29| 0,42 | 49,85 | 85,041 9.1.22 | 364,55 1,5 Prophyson)5!/.0,96 0,62 | 0,56 | 1,02 | 0,68 | 478,20 | 508,09 |—1 12 | 10.1.22 | 623,74 11,3 Thymogld.'/20,62 0,54 | 0,56 | 0,60 | 0,75 | 180,65 | 174,82 | 1 13 | 11.1.22 | 359,11 11,0Suprarenin6 [3,70 0,74 | 0,85 | 3,59 | 0,75: |1996,71 [1666,57 [1 1: 1000 14 | 12.1.22 | 645,82 11,5 Thyreogld.5!/,4,49 0,78| 0,85 | 4,42 | 0,73 1263,71 1243,96 |—1 15 | 5.11.22 | 646,57 11,5 Thymoeld.6 [3,70|1,54| 1,62 | 3,62 | 0,74 | 953,11 | 932,51 +1 18 | 9.1.22 | 746,58 |1,0Suprarenin5?/22,33 1,41 1,56 | 2,18 | 0,77 | 568.45 531,94 | 1 1: 1000 8.11.22 | 363,99 1,5 Prophyson)5?/,3,25 1,26 | 1,28 | 3,13 | 0,75 [1623,39 1563,43 I 1 361,43 51/2|0.03 0,70 | 0,66 | 0,08 | 0,36 | 15,11) 40,29]—1 Zur Versuchsanordnung ist zu bemerken: Zunächst wurde jedesmal in einem Vorversuch von 5—6 Stunden Dauer der respiratorische Stoffwechsel des unbe- einflußt im Ruhezustand verharrenden Tieres beobacht.t. Dann wurde die Ein- spritzung unter die Haut des Rückens sehr vorsichtig vorgenommen, und eine halbe bis eine ganze Stunde darauf der zweite Stoffwechselversuch von ebenso langer Dauer wie der erste angesetzt. Die zugehörigen Vorversuche sind mit Ausnahme von Versuch 1 fort- gelassen. Sie sind aus Tabelle I zu ersehen. Bei Versuch Nr. 17 ist der an den In- jektionsversuch sofort anschließende Nachversuch mit aufgeführt. Bei Versuch 4, 5 und 18 wurde die Injektion morgens früh (zwischen 8 und 9 Uhr) vorgenommen. Testiglandol war bei einem Männchen unwirksam, während Ovo- glandol bei einem Weibchen zweimal den Stoffwechsel deutlich stei- gerte, ohne jedoch das Tier zum Erwachen zu bringen. Durch Suprarenin wurden die Tiere besonders stark beeinflußt. Auch hier standen sie manchmal nicht auf, doch wurden sie sehr un- ruhig, atmeten sehr ’beschleunigt und pumpend (z. B. 44 tiefe Atemzüge in der Minute) und kamen erst nach mehreren Stunden wieder zur Ruhe. Auch Adler teilt in seiner n.uesten Arbeit mit, daß die Tiere nach der Adrenalin- injektion besonders unruhig wurden und sehr lebhaft atmeten. 76 - P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung Besprechung der Versuchsergebnisse. Die oben im Auszug mitgeteilten Versuche haben im Allgemeinen zu denselben Ergebnissen geführt wie die Versuche Adlers. Nach In- jektion von Extrakten der Schilddrüse, der Thymus und von Supra- renin wurde der Stoffwechsel so stark gesteigert, daß die Tiere sehr häufig erwachten. Und zwar war die Wirkung in den Nachmittag- und Abendstunden meist deutlicher als in den Vormittagstunden. Zu dieser Zeit ist bei den physiologisch erst in den Abendstunden munter werdenden Tieren anscheinend ein stärkerer Weckreiz nötigalsam Abend. Die Ausscheidung von Kohlensäure und der Sauerstoffverbrauch stiegen auch wenn die Tiere sich nicht erhoben um das Vielfache, und der respiratorische Quotient schwankte dann zwischen 0,68 und 0,83. Nur ganz selten war er bei nicht erwachten Tieren niedriger. Meist lag er um 0,75. Wie bereits hervorgehoben, ist aus der Höhe dieser Quo- tienten jedoch kein Schluß auf die Natur der Verbrennungsvorgänge zu ziehen, da bei der langen Versuchsdauer jedes Mal die Ausscheidung während eines Schlaf- und Halbwachzustandes sowie während des Auf- wachvorganges und während des Wachzustandes selber zusammen ge- messen wurde, wobei der bei jeder Injektion wechselnde Zeitpunkt des Erwachens von sehr großer Bedeutung ist. Die Erklärung der Schilddrüsenwirkung ist einfach, da wir ja durch zahlreiche genaue Untersuchungen insbesondere der jüngsten Zeit über die starke, anregende, direkte Wirkung des Schilddrüsen- hormons auf die Zelltätigkeit und den Energiewechsel, insbesondere jedoch auf den Eiweißstoffwechsel genau unterrichtet sind. [Vgl. Labbe!), Horrisberger?), Marine?), Manfeld*).]| Ruchti wies nach, daß am zweiten Tage nach der Thyrektomie die CO,- und H,O-Ausscheidung auf einem Minimum des Normalen steht und dann für längere Zeit nur 60—65% der Werte vor der Operation beträgt. In eigenen Versuchen habe ich zeigen können’), daß nach experi- menteller Ausschaltung der Schilddrüse nicht nur die Verbrennungs- größe des Organismus beträchtlich sinkt, sondern, daß auch die Wärme- regulation desselben ganz bedeutend geschwächt ist. Frisch thyrekto- mierte Tiere sind gegen plötzliche Abkühlung meist bedeutend weniger 'widerstandsfähig als vor der Drüsenentfernung, bei Übergießung mit Äther sinkt ihre Körpertemperatur oft auffallend tief, und sie er- wärmen sich langsamer als normale Tiere (vgl. Kurve 1). 1 ) M. Labbe, Ann. de Med. 9, 264. 1921. 2) W. Horrisberger, Biochem. Zeitschr. 121, 64. 1921. 3) D. Marine, Amer. journ. of physiol. 54, Nr. 2, S. 248. 1920. 4) G. Mansfeld, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 281. 1920; 143, 157. 1912 u. 161, 399. 1915. 5) P. Schenk, a. a. 0. durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen. Se Bemerkenswert sind ferner in diesem Zusammenhange die Ver- suche von Korentschewsky!), der nach Thyrektomie nicht nur eine beträchtliche Abnahme des Gaswechsels und eine Abnahme des Harn-N feststellte, sondern auch eine auf eine schlechtere Oxydation der Eiweiß- körper hinweisende Zunahme des Purinbasen-N fand! Die Erfolge Adlers nach Ausschaltung des Sympathicus sind ein weiterer Beitrag zu der bekannten Tatsache, daß der Angriffspunkt des Hormons. in der organisch zur Gewebszelle gehörenden und nach Degeneration des Sympathicus auf Schilddrüsen- wie auf Nebennieren-Extrakt eher stärker als schwächer an- sprechenden neuroplasmatischen Zwischensubstanz zu suchen ist. Der Erfolg der Thymusextrakte erklärt sich am ehesten aus Ruchtis Untersuchungsergebnissen, aus denen hervorgeht, daß experimentelle Ausschaltung der Thymus allein zwar die CO,- und H,O-Ausscheidung nur in geringem Maße (auf 85—95%) herabsetzt, daß aber nach gleich- zeitiger Entfernung der Thymus und der Schilddrüse der Gewebs- stoffwechsel ganz außerordentlich stark sinkt (auf 40%) und auf dieser niedrigen Stufe sehr lange bleibt. Beide Drüsen unterstützen sich also gegenseitig in ihrer fördernden Wirkung auf die Verbrennungsvor- gänge. Belangvoll für die hier zu erörternde Frage ist auch, daß der- artig operierte Tiere eine abgeschwächte Erregbarkeit des Atemzen- trums zeigten. In bezug auf die Wirkung des Suprarenins ist daran zu erinnern, daß nach den Untersuchungen von Fleischmann?) zum Zustandekommen der Wärmestichtemperaturerhöhung die Nebennieren notwendig sind, und daß Aub, Bright, Forman und Marine?) zeigen konnten, daß Adre- nalin die Stoffwechselsenkung nach Schilddrüsenentfernung vorüber- gehend zu heben vermag, während allerdings das Schilddrüseninkret 'Thyroxin die Stoffwechselsenkung nach ul u nun nicht auszugleichen imstande ist. Die Wirkung des Hypophysenvorderlappenextraktes wird verständ- lich durch die experimentell festgestellte Herabsetzung des Grund- "stoffwechsels durch operative Entfernung des Vorderlappens, und durch die von C’ushing und Goetsch gefundenen histologischen Veränderunger im Vorderlappen winterschlafender Waldschnepfen. Daß die Keimdrüse einen fördernden Einfluß auf den Stoffwechsel ausübt, geht aus den Versuchen von Loewy und Richter*), Koren- tschewsky, Eckstein und Grafe°) sowie Hill®) hervor. 1!) W. @. Korentschewsky, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 16, 68. 1914. 2) Fleischmann, Verhandl. d. 30. Deutsch. Kongr. f. inn. Med. 1913, S. 112. 2) ©. J. Aub, Endocrinology, 6, Nr. 2, S. 255. 1922. 2) Loewy und Richter, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1899, S. 174. ®) E. Eckstein und E. Grafe, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10%, 73. 1919. %) R. B. Hill, California state journ. of med. 19, Nr. 9, S. 363. 1921. 78 P. Schenk: Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung Alle diese Hormone werden anscheinend während des Winterschlafs nur in geringer Menge gebildet, und daher ist die zur Erhaltung der Körpertemperatur notwendige hormonale Anregung der chemischen Wärmebildung in den Muskeln und Unterleibsdrüsen nur äußerst gering, und der Stoffwechsel steigt nicht mit sinkender Außentemperatur, sondern sinkt trotz dieser Anregung auf 1/,„—"/s, des sonstigen Um- satzes. In ihren jüngsten Versuchen haben Adler und Lipschitz feststellen können, daß die die Winterschläfer zum Erwachen bringenden Extrakte in vitro einen deutlichen fördernden Einfluß auf die Schnelligkeit des oxydativen Abbaus der Muskelmilchsäure — gemessen an der Zell- atmungsgeschwindigkeit mittelst der Dinitrobenzolmethode — ausüben (s. 34. Kongr. f. inn. Med. 1922). Aber auch in der übrigen Jahreszeit scheint eine geringe Reaktions- fähigkeit dieser Drüsen vorzuliegen, da die Körpertemperatur der Wintercshläfer auch schon in den Sommermonaten — z. B. an kühlen Tagen — große Neigung 2 zum Sinken zeigt und an 22 verschiedenen Tagen zwi- a schen 28° und 36° schwankt er (Barkow, Adler und eigene n Beobachtungen). Kühlt n man die Tiere im Sommer durch Übergießen der Bauchseite mit Äther ab, so sinkt die Körpertempe- ratur nach kurzer Wehr __ .""] außerordentlich schnell und Pal tief. In dem in Kurve l graphisch dargestellten Ver- such sank sie in 30 Minu- ten um 13°, während ein 2 p auchseite | a zo 407 607 80” 700° 1207 7407 7607 700° 200° 300 auf der Bauchseite langsam . mit Ather begossenes nor- Abb. 1. = normales Kaninchen, — — — = frisch £ thyrektomiertes Kaninchen, - - - - = Igel. Bei | Beendigung males Kaninchen — trotz der Abkühlung. Bei den Kaninchen wurden 250 ccm Äther der hier um ein vielfaches verwendet, beim Igel wegen „des durch die Eigenart des _ R " Fells bedingten größaren Ätherverlustes 350 cem. Intensiveren Abkühlung der Haut und des Unterhaut- zellgewebes und des in ihnen kreisenden Blutes — sich in dieser Zeit nur um 3,8° und ein frisch thyrektomiertes Kaninchen bei genau demselben Abkühlungsverfahren — 250 ccm Äther innerhalb 10—12 Minuten, abschnallen des Tieres nach ungefähr 20 Minuten — sich um 6,3° abkühlte. durch die Extrakte innersekretorischer Drüsen. 79 Hierzu ist zu bemerken, daß diese bedeutend stärkere Abkühlung des Igels eintritt, obgleich die Atherwirkung in der Zeiteinheit bei der fettigen und mit rauhen Haaren und Stacheln bedeckten Haut ganz bedeutend geringer ist als bei dem mit dem Äther sich tränkenden und daher völlig naß werdenden und Eis- krystalle zeigenden Kanincherfell. Wie aus der Kurve des Weiteren hervorgeht, gelingt es bei fort- gesetztem Beträufeln des Tieres mit Äther, dieses auch im Hochsommer (Versuch vom Monat Juni) ganz außerordentlich tief abzukühlen. Nachdem das Tier sich eine Zeitlang gewehrt hatte, verfiel es bei un- gefähr 19° in Lethargie. Die Atemzüge wurden oberflächlich und langsam (5—6 in der Minute) und zeigten meist Cheyne-Stoke schen Atemtyp. Nach Schluß der Ätherbeträufelung blieb die Körper- temperatur noch ungefähr für eine Stunde auf der erreichten niedrigen Stufe und stieg dann unter allmählicher Zunahme der Atemzüge — 3 Stunden nach Schluß der Abkühlung 25 Atemzüge in der Minute — ganz langsam wieder an. 4 Stunden nach Schluß der Ab- kühlung bei 9° Körpertemperatur normale Schlafhaltung. Körper- temperatur 17°, 34 Atemzügen in der Minute. Nach 12 Stunden 26°; inzwischen reichliche Nahrungsaufnahme. Bei diesen Versuchen zeigt sich ganz einwandfrei die bedeutend geringere Widerstandsfähigkeit der winterschlafenden Tiere gegen Ab- kühlung. Sie zeigen aber auch, daß das Zentralnervensystem der Winter- schläfer ebenso wie der übrige Körper die Abkühlung außerordentlich gut verträgt, da selbst ein Sinken der Körpertemperatur auf 9°C ohne Schädigung vertragen wird, während z. B. Kaninchen schon in große Lebensgefahr kommen, wenn man die Abkühlung unter 29° treibt. Die Reaktionskraft des Wärmezentrums auf zentripetale nervöse Kältereize und Blutreize ist anscheinend sehr gering, und daher sind die fördernden Impulse für die chemische Wärmeregulation zu schwach. Bei längere Zeit wirkenden niederen Temperaturen — wie z. B. im Herbst — spricht das Wärmezentrum auf diese Reize schließlich gar- nicht mehr an (bzw. nur vorübergehend auf besonders starke Temperatur- differenzen), die inkretorischen Drüsen atrophieren, und der Organismus wird poikilotherm. Bei Sektionen am Ende des Winters findet man eine außerordentlich kleine Thymus und auch eine kleine Schilddrüse. So waren bei einem obduzierten Tier die Nebennieren 21/, mal so schwer als beide Drüsen zusammen! (Schilddrüse 0,095 g, Thymus 0,07 g, beide Nebennieren 0,25 g.) Auf die Wichtigkeit des Mittelhirns für die Wärmeregulation des Winterschläfers deutet auch der Umstand, daß Durchschneidung des Halsmarks ebenso die spontane Wiedererwärmung verhindert (Quincke), wie sie beim gewöhnlichen Warmblüter die chemische Wärmeregu- lation gänzlich unmöglich macht (Freund und Strassmann) !). !) H.Freundund R. Strassmann, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 69, 12. 1912. 80 P. Schenk; Über den Winterschlaf und seine Beeinflussung durch Extrakte. Zusammenfassung. Bei Stoffwechselversuchen an winterschlafenden Igeln im Hal- ‚dane-Gürberschen Apparat konnte folgendes festgestellt werden: 1. Bei in tiefer Lethargie verharrenden Igeln schwankt der respi- ratorische Quotient zwischen 0,41 und 0,65. Die Kohlensäureaus- scheidung beträgt 14,49 —84,16 mg pro kg Körpergewicht in der Stunde, die Sauerstoffaufnahme 20,29 —97,59 mg. Die Gewichts- abnahme pro kg Körpergewicht schwankt zwischen 3,12 und 3,66 g in 24 Stunden. 2. Subcutane Injektion von Extrakten der Schilddrüse, Thymus, des Hypophysenvorderlappens und von Suprarenin steigert den Stoff- wechsel dieser Tiere sehr stark, oft bis zum völligen Erwachen derselben. Am regelmäßigsten wirkt Schilddrüsenextrakt. Der respiratorische Quotient steigt in den auf die Einspritzung folgenden Stunden auf 0,68—0,83, als Folge der starken Steigerung der Verbrennungsvorgänge durch die Hormone, der Ausscheidung der im Organismus während des lethargischen Zustandes retenierten Kohlensäure und der mit dem Erwachen einsetzenden homoiothermen Wärmeregulation. Die Menge der ausgeschiedenen Kohlensäure be- trägt während des Aufwachvorganges ungefähr 1900 —2200 mg pro kg Körpergewicht in der Stunde, während etwa 1600 —2100 mg Sauer- stoff verbraucht werden. 3. Die mit Beginn der kalten Jahreszeit einsetzende Lethargie der Winterschläfer ist die Folge einer geringen Reaktionsfähigkeit ihrer innersekretorischen Drüsen, die schon an kühlen Sommertagen in Er- scheinung tritt und mit Beginn des Winters anscheinend infolge des auf einer besonderen Anlage beruhenden Ausbleibens der bei anderen Warm- blütern auf Kältereiz hin einsetzenden, fördernden Impulse des Wärme- zentrums zu einer starken Hypofunktion der Drüsen führt. Über die Beeinflussung der Tastschwelle durch aktive Hyperämie. Von Fanny Halpern. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Wien [Vorstand: Prof. Durig].) Mit 1 Textabbildunse. (Eingegangen am 1. August 1922. Bei Untersuchungen über die wechselseitige Beeinflussung der Haut- sinne haben Allers und Halpern!) zeigen können, daß die Tastschwelle bei zunehmender Erwärmung der Haut durch ein Minimum geht, die Tastempfindlichkeit also durch ein Maximum. Ein gleichartiger Kurvenverlauf konnte bei passiver Spannung der Haut durch Gewichte gefunden werden und ebenso, nur in umgekehrter Verlaufsrichtung, auch bei Entspannung der Haut, was an Kranken mit Ascites während der Entleerung der Flüssigkeit durch Punktion erhoben wurde. Auch aktive und passive Hyperämie schien den gleichen Einfluß auszuüben, wenn auch eine genauere Untersuchung darüber noch nicht angestellt wurde. Der Nachweis nun, daß dosierte aktive Hyperämie eben diesen Einfluß auf die Tastempfindlichkeit hat, d. h. daß mit Zunahme der Durchblutung zunächst eine Zunahme der Empfindlichkeit, später wieder- um eine Abnahme eintritt, soll in den folgenden Zeilen geführt werden. Zum Zwecke der Erzeugung dosierter Hyperämie bedienten wir uns einer Quecksilberlampe, die — in 40 cm Entfernung von der zu reizenden Hautstelle angebracht — durch verschieden lange Zeiten einwirkte. Man wird zwar kaum eine genaue Proportionalität zwischen Bestrahlungsdauer und Durchblutungsgrad annehmen dürfen, da zweifellos hier komplexe Verhältnisse obwalten. Daher können die er- haltenen Resultate nur relative Bedeutung haben, d.h. sie liefern kein absolutes Maß der auftretenden Veränderungen. Sie genügen aber der Aufgabe, die erwähnte Gesetzmäßigkeit nachzuweisen. Könnte man in den Kurven an Stelle der Bestrahlungsdauer den Grad der tatsäch- lich erzielten Hyperämie auf der Abszissenachse auftragen, so würde sich zwar mutmaßlich die Gestalt der Kurve ändern, nicht aber ihr Verlaufstypus, auf den allein es ankommt. Die Tastempfindlichkeit wurde mit einer Art Druckwage bestimmt. Ein an einem ausbalancierten zweiarmigen Hebel befestigtes Haar fiel aus konstanter Höhe auf die Reizstelle nieder; wobei eine Variation der Reizgröße durch Versetzen eines Reiters möglich war. In der Aus- gangsstellung wurde der Hebel durch einen Elektromagneten gehalten 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 595. 1922. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 6 82 F. Halpern: und fiel bei Stromöffnung. Als Reizschwelle wurde jene Stellung des Reiters angesehen, bei welcher in annähernd 50% der Versuche eine Tastempfindung ausgelöst werden konnte. Die Reizung fand im vierten Spatium interosseum am linken Handrücken statt. Die Versuche wurden an drei Versuchspersonen, tunlichst immer zu der gleichen Stunde, vorgenommen. Auch hier war es, wie bei den Ver- suchen von Allers und Halpern, notwendig, der rasch einsetzenden Er- müdung durch Einschaltung von Ruhepausen Rechnung zu tragen!). Zunächst wurde für jede Versuchsperson die Normalschwelle er- mittelt. Deren Gültigkeit wurde zu Beginn jedes Bestrahlungsversuches in einem Vorversuch nachgeprüft. Wir bemerken nebenbei, daß bei zwei Versuchspersonen die Tastempfindlichkeit in den Vormittags- und späteren Nachmittagsstunden (6—7) sich gleichblieb, bei einer Versuchsperson sich sogar abends als erhöht erwies. Dieser Befund steht zu der Behauptung, daß zwischen Ermüdung und der Zunahme der ästhesiometrisch erhobenen Schwelle eine Korrelation bestehe (Griesbach), in einem gewissen Widerspruch. Die Zahlenwerte der Schwellenermittlung sind in Tab. I in Pro- zenten der richtigen Fälle ersichtlich gemacht. Die Schwellenwerte sind durch den Druck hervorgehoben. Tabelle I. Reiterstellung Vp. A Vp.B Vp. © vorm. abends vorm. abends 4 6 10 5 6 20 25 6 6 20 34 = 7 38 42,5 48 40 28 8 46 46,6 59° 50 30 9 46,1 54 60 58 62 10 56 62 63 64 11 71,9 100 78 30 12 73,3 100 80 90 13 82,5 100 90 98 In der Tab. II. sind die Ergebnisse der Bestrahlungsversuche dar- gestellt. Tabelle II. nn Vp. A vp. B Vp. C 0 10 8 9 (Vorversuch) 8 7 (58%) 15 5 (52%) 5 (60%) 5 (47,4%) 20 4 (549%,) 5 (50%) 4 (52%,) 30 5 (50%) 6 (58%) 3 (43%) 45 7 (46%) 7 (60%) 8 (50%) 1) Ein Referat über die Arbeit von Allers und Halpern beanstandet, daß die Zahl der Versuche nicht angegeben wurde. Die Versuchszahl, aus der die hier mitgeteilten Werte berechnet wurden, beträgt 3800. Über die Beeinflussung der Tastschwelle durch aktive Hyperämie. 83 Die Zahlen bedeuten die Reiterstellungen. In Klammern ist der bei der betreffenden Stellung gefundene prozentuale Wert der richtigen Urteile beigefügt. Zur Verdeutlichung der Resultate sind sie auch in Abb. 1 in Gestalt einer Kurve wiedergegeben, in welcher die Bestrahlungsdauer als Ab- szisse, der Schwellenwert, d. h. die Reiterstellung, als Ordinate eingetragen sind. DieTab. II und wohl noch sinnfälliger die Kurve zeigen ohne weiteres, daß mit 7 Zunahme der durch Bestrahlung erzeug- ten Hyperdmie der Haut deren Tast- > empfindlichkeit zunächst zunimmt, indem * 3 2 7 70 x die Schwelle kleiner wird, um dann wiederum abzusteigen. Es wurden auch einige Versuche bei Hyperämie infolge chemischer Reizung der Haut angestellt. Als Reizmittel dienten Senfpflaster, Essigsäure und eine Lösung von Pottasche (Versuchs- person D). Während die Schwelle inden Vorversuchen bei 8 lag, sank sie nach einer 5 Minuten dauernden Einwirkung des Senfpflasters auf 6; wirkte das Senfpflaster indes 15 Minuten ein, so erwies sich die Schwelle als höher, da sie 9 betrug. Es ist indes anzumerken, daß die durch die Hyperämie gesetzten subjektiven Erscheinungen — Brennen — in diesem Falle sehr deutlich ausgeprägt waren. Es ergibt sich also zwar ein Parallelismus zwischen der Reizung durch Bestrahlung und der mittels des Senfpflasters, doch ist seine Deutung nicht ganz sicher. Freilich wird man dazu neigen, den hier wie dort wirksamen Faktor der Hyperämie in erster Linie heranzuziehen. Essigsäure und Pott- aschelösung bewirkten eine geringe Rötung und eine diesem geringen Grade der Hyperämie entsprechende Verminderung der Schwelle, näm- lich von 8 auf 5 in beiden Fällen. Einige Besonderheiten der Versuchsergebnisse machen noch einige ergänzende Worte notwendig. Erstens mag es auffallen, daß selbst nach .einer Bestrahlungsdauer von 45 Minuten die Tastschwelle den Ausgangswert noch nicht wieder erreicht hat. Diese Erscheinung läßt sich vielleicht folgendermaßen deuten: Obwohl die zunehmende Hy- perämie, die sich ja auch in der sichtbaren lokalen Reaktion kund gibt, die Tastempfindlichkeit herabsetzt, macht sich zugleich ein die Empfindlichkeit steigernder Faktor geltend, der erst von einer gewissen Bestrahlungsdauer an einen merklichen Einfluß entfalten kann. Da- her nehmen die Schwellenwerte zwar zu, nicht aber mit der gleichen 6* 84 F.Halpern: Überdie Beeinflussung der Tastschwelle durch aktive Hyperämie. Geschwindigkeit, mit der sie zunächst abgenommen hatten. In diesem Zusammenhange ist an die Versuche von v. Gröer und Jasinski!) zu er- innern, welche bei Bestrahlungen zunächst eine Abnahme, kurze Zeit darauf aber eine Steigerung der Schmerzempfindlichkeit fanden. Wir glauben, im Einklang mit den erwähnten Versuchen mit Er- wärmung und Spannung bzw. Entspannung der Haut in dem Momente der zunehmenden Spannung den Hauptfaktor sehen zu dürfen, welchem die anfängliche Ab- und die spätere Zunahme der Schwelle zuzuschreiben sei. Allerdings bleibt es fraglich, ob diese Wirkung der Hautspannung rein physikalisch interpretiert werden dürfe, oder ob sie nicht vielmehr der Hauptsache nach als Ausdruck einer simultanen Erregung der Hautsinne angesprochen werden müsse. Vergleicht man die Kurve mit den in der Tab. II ersichtlich ge- machten (eingeklammerten) Häufigkeiten der richtigen Urteile, so zeigt sich, daß auch dort, wo die Kurve anscheinend horizontal verläuft, eine Abnahme der Urteilssicherheit mit zunehmender Bestrahlungs- dauer, gleichbedeutend mit einer Schwellenzunahme, Platz greift. Ein dritte Bemerkung drängt sich auf rücksichtlich der individuellen Unterschiede zwischen den drei Versuchspersonen. Die Kurven der Versuchspersonen A und B zeigen, wenn auch in verschiedenem Schwellen- niveau, einen durchaus gleichartigen Verlauf. Anders gestaltet sich dieser bei Versuchsperson C. Liegt bei den zwei ersten Versuchsper- sonen das Schwellenminimum bei 15 und 20 Minuten Bestrahlungs- dauer, so ist es hier bei 30 Minuten zu finden. Dagegen findet der An- stieg bei zunehmender Bestrahlungsdauer in bedeutend steilerer Weise statt. Dieser Umstand legt den Gedanken nahe, ob es nicht gelingen könnte, mit Hilfe der Bestimmung der Tastschwelle ein Maß für die vasomotorische Reagibilität der Haut aufzufinden. (Ob die cutane Reagibilität und die allgemeine Ansprechbarkeit des vasomotorischen Apparates parallel gehen, ist eine andere Frage.) Man könnte sich denken, daß die Versuchspersonen A und B über eine größere An- sprechbarkeit der cutanen Vasomotoren oder Gefäße verfügen als die Versuchsperson ©. In der Tat sind die Versuchspersonen A und B weiblichen, die Versuchsperson C männlichen Geschlechtes. Inwieweit nun in der Tat zwischen dem beschriebenen Verhalten und den Tat- schwellen einerseits, der vasomotorischen Erregbarkeit andererseits eine Korrelation besteht, müssen erst weitere Untersuchungen lehren. (Ausgeführt unter Leitung von Dr. R. Allers.) 1) Klin. Wochenschr, I. 1922. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Zustandes. IV. Mitteilung. Untersuchungen über das Brechungsvermögen des Serums vor und nach der Erstinjektion von blutfremdem Eiweiß und nach dessen Reinjektion. Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangen am 10. August 1922.) Wir haben kürzlich mitgeteilt!), daß im anaphylaktischen Schock die Zellatmung stark herabgesetzt ist. Durch diese Feststellung er- fährt die Ansicht derjenigen Forscher, wie Richet, Dörr u. A., die die Auffassung vertreten, daß die Ursache des anaphylaktischen Schocks nicht ausschließlich auf eine Veränderung im Blute selbst zurückzu- führen ist, eine wesentliche Unterstützung. Durch die Feststellung, daß durch das Einspritzen von blutfremdem Eiweiß in die Blutbahn eine weitgehende Störung des Zellstoffwechsels verursacht wird, ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß auch in der Blutbahn selbst Ver- änderungen eintreten; ja es ist sogar im voraus anzunehmen, daß diese besonders ausgesprochen sind. Das Blut ist ja ein Gewebe wie jedes andere, nur mit der Besonderheit, daß seine Zellen in einer Flüssig- keit, dem Plasma, suspendiert sind. Wir haben uns die Frage gestellt, ob die erste und die wiederholte Zufuhr von blutfremdem Eiweiß Veränderungen des Blutplasmas be- dingt, die sich einerseits durch physikalische Methoden und anderer- seits durch chemische feststellen lassen. Es ist wohl denkbar, daß im Gehalt des Plasmas an Eiweiß Veränderungen eintreten. In diesem Fall ist es besonders verlockend, der Frage nachzugehen, wie sich die Globuline und die Albumine während einer längeren Periode nach er- folgter parenteralen Aufnahme von blutfremder Eiweißlösung verhalten. Ferner ist es denkbar, daß Veränderungen auftreten, die die Eigenschaf- ten der im kolloiden Zustand befindlichen Plasmabestandteile betreffen. Die Zahl der Fragestellungen, die sich hier anknüpft, ist sehr groß. 1) Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 487. 1922. 86 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Studien Wir haben zunächst das Brechungsvermögen des Blutplasmas von Tie- ren vor und nach der ersten Injektion von blutfremdem Eiweiß und ferner nach erfolgter Reinjektion geprüft. Nachdem unsere Untersuchungen bereits zu einem gewissen Ab- schluß gelangt waren, erschien eine Mitteilung von Wilhelm Berger!), die sich mit der gleichen Fragestellung befaßt. Berger kommt zu dem Resultat, daß nach parenteraler Eiweißzufuhr die Refraktion und die Viscosität des Blutserums zunehmen, und zwar beobachtete er eine Zunahme der gesamten Eiweißmenge. Er konnte ferner feststellen, daß zunächst eine Vermehrung der Globulinmenge eintritt. Später kann dann eine Periode absoluter und relativer Albuminvermehrung folgen, die durch lange Zeit hindurch anhält. Berger spricht von einer Hyperproteinämie; zweckmäßiger ist die Bezeichnung Hyperproteino- plasmie (vgl. hierzu E. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie, 4. Aufl., S. 587, 1920). Wir können die Beobachtungen von Berger und damit auch diejenigen von anderen Autoren bestätigen. Auch wir konnten mittels des Refraktometers und des Interferometers eine mehr oder weniger starke Änderung des Brechungsvermögens des Serums von Tieren feststellen, denen parenteral blutfremdes Eiweiß zugeführt worden war. Wir benutzten zu unseren Versuchen Kaninchen. Vor und nach der Erstinjektion und ferner nach der Reinjektion wurde Blut ent- nommen. Wir bestimmten das Drehungsvermögen und das refraktometrische und interferometrische Verhalten des Serums. Das Drehungsvermögen zeigte keine Änderungen, dagegen ließ sich regelmäßig eine Zunahme des Brechungsvermögens des Plasmas nach erfolgter parenteraler Zufuhr von blutfremdem Eiweiß nachweisen. Die Beobächtungen, wonach schon die erste Einspritzung von blutfremdem Eiweiß Veränderungen im Plasma bewirkt, stützt die Ansicht jener Forscher (Dörr u. A.), nach der bereits bei der Erstinjektion ein Zustand ausgelöst wird, der nur graduell von demjenigen verschieden ist, der bei der Reinjektion sich in so augenfälliger Weise kundtut. Nach der Reinjektion erhält man die gleichen Erscheinungen, wie bei der Erstinjektion, nur sind sie quan- titativ stark gesteigert. Man könnte gegen die gezogenen Schlußfolgerungen den Einwand erheben, daß die Blutentnahme an und für sich zu Veränderungen führt. Es ist bekannt, daß nach Blutentnahmen die Gerinnung des Blutes rascher erfolgt. Es liegen auch Beobachtungen über Verände- rungen im Verhältnis von Globulin zu Albumin nach wiederholten Blutentnahmen vor. Wir haben selbst in dieser Richtung Erfahrungen gesammelt. Beträchtliche Unterschiede waren jedoch nur nach größeren Blutverlusten feststellbar. Zur Kontrolle der oben erwähnten Versuche 1) Wilhelm Berger, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 28, 1. 1922. über das Wesen des anaphylaktischen Zustandes. IV, 87 wurde normalen Kaninchen mehrmals je etwa 4 cem Blut entzogen und dann im Serum das Brechungsvermögen festgestellt. Es ergaben sich Unterschiede, die jedoch weit hinter jenen zurückblieben, die wir nach parenteraler Zufuhr von blutfremdem Eiweiß feststellen konnten. Der höchste Unterschied, der zur Beobachtung kam, bestand in 42 Trommelteilen bei Anwendung der interferometrischen Methode. Ein weiterer Einwand, der gegen die Deutung der gemachten Be- obachtungen in Frage kommt, ist der folgende: Dem Blutplasma des Kaninchens wird in der Blutbahn eine ganz beträchtliche Menge art- fremden Serums zugesetzt. Es könnte sehr wohl sein, daß allein da- durch der Brechungswert des Serums des Blutes des vorbehandelten Tieres beeinflußt wird!). Der direkte Versuch, d. h. die Vermischung von lcem Kaninchenserum mit 0,6—0,8ccm Rinderserum ergab, daß mit dem Interferometer keine Änderung feststellbar war. Wir haben auch Untersuchungen über den Gesamtstickstoffgehalt des Serums vor und im anaphylaktischen Schock durchgeführt. Die Unterschiede waren jedoch nicht beträchtlich. Sie berechtigen zu keinen endgültigen Schlußfolgerungen, weil die Zahl dieser Versuche klein ist. Wir haben sie nach dem Erscheinen der Arbeit von Berger?) nicht fortgesetzt. Berger betont in seiner Arbeit, daß für eine humorale Umwandlung von Albumin in Globulin keine Beweise durch seine Versuche gegeben seien. Wir möchten darauf hinweisen, daß eine solche Umwandlung bei der ganz verschiedenen chemischen Zusammensetzung der beiden Proteinarten außerordentlich unwahrscheinlich, ja eigent- lich unmöglich ist. So enthält Albumin kein Glykokoll, während diese Aminosäure dem Globulin eigen ist. Wir möchten auf Grund unserer Beobachtungen der Ansicht zuneigen, daß die festgestellten Änderungen im Brechungswert des Serums im wesentlichen auf einer Veränderung des physikalisch-chemischen Verhältnises der vorhandenen Stoffe und insbesondere der Proteine zurückzuführen sind. Versuch 1. Schwarzgraues Kaninchen. Gewicht 2300 g. Temperatur 39,3°. Am I. VI. wird dem Tier Blut aus der Ohrvene entnommen. Das Serum wurde polarimetrisch, interferometrisch und refraktometrisch untersucht. Die angegebenen Zahlen sind Mittelwerte aus 4 Ablesungen: Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch (Trommelteile) (Skalenteile) — 0,65° 1483 52,8 Gleich darauf wurden 6 ccm Rinderserum intravenös eingespritzt. Die Injektion wurde ohne Erscheinungen ertragen. Am 2. VI. Blutentnahme. Das Serum ergab jetzt folgende Werte: !) Vgl. hierzu Emil Abderhalden, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 236. 88 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Studien über das Wesen usw. Polarimetrisch Interferometrisch Befraktometrisch (Trommelteile) (Skalenteile) — 1507 53,7 Am 9. VI. Reinjektion von 5 ccm Rinderserum intravenös. Nach der Injektion zeigt das Tier ziemlich ausgeprägte Atemnot mit Flanken- atmung. Die Temperatur fiel nur um 0,9°, von 41,0 auf 40,1°. Nach 20 Minuten wird dem Kaninchen Blut entnommen. Die Untersuchung ergab folgende Zahlen: Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch — 0,64° 1586 56,3 Am 10. VI. wird das Kaninchen sehr matt vorgefunden. Es bestand starke Atemnov. Kurz vor dem Exitus wurde nochmals Blut entnommen. Das Serum ergab folgende Werte: polarimetrisch: Interferometrisch: Refraktometrisch: — 0,64° 1689 58,6 Die Sektion ergab folgendes: Die Leber ist blaß und verfettet; die Lungen leicht gebläht. Die Darmgefäße sind mäßig gefüllt. Versuch 2. Benutzt wird ein schwarzbrauner Bock. Gewicht 2260 g. Tem- peratur 38,8°. Am 13. VI. wurden 4 ccm Rinderplasma intravenös injiziert. Reinjektion der gleichen Dosis am 21. VI. Außer einer stark beschleunigten Atmung zeigt das Tier keine auffallenden Symptome. Die Untersuchung der Sera ergaben folgende Resultate: Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch (Trommelteil) (Skalenteile) Vorversuch am 13. VI. —30:64% 1296 53,00 Versuch nach der Erst- injektion am 15. VI. — 0,64° 1374 54,8 Versuch nach der Re- injektion am 21. VI. — 0,64 ° 1530 56,0 Zu Versuch 3 wurde ein brauner Bock mit weißem Bauch benutzt. Gewicht 2170 g. Temperatur 38,7°. Erstinjektion von 3 ccm Rinderplasma Intrayenös am 13. V]. Reinjektion der gleichen Dosis am 23. VI. Nach der Reinjektion tritt auf- fallende Atemmot ein. Untersuchung der Sera: Interferometrisch Refraktometrisch (Trommelteile) (Skalenteile) Vorversuche am 13. VI. 1292 52,4 Versuch nach den Erstinjektionen am 15. VI. 1421 53,6 Versuch nach der Reinjektion am 23. VI. 1550 54,6 Versuch 4. Es wurde ein bleigrauer Bock benutzt. Gewicht 3200 g. Tempe- ratur 38,8°. Am 27. VI. Erstinjektion von 5 ccm Serum intravenös. Am 3. VII. Reinjektion von 3 ccm Rinderserum intravenös. Danach leichte Atemnot. Untersuchung der Sera: Serum ing Ninlccm Interferometrisch Refraktometrisch (Trommeltsile) (Skalenteile) Vorversuch am 27. VI. 0,01066 1470 53,8 Nach der Reinjektion (3. VII.) 0,01148 1536 55,2 Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XIX. Mitteilung. Vergleichende Fütterungsversuche mit Fleisch von normal und von ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährten Tauben. (Ausgeführt mit Mitteln der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften). Von Emil Abderhalden. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 4 Textabbildungen (Eingegangen am 11. August 1922.) Es ist bereits in Mitteilung XVI!) über Versuche berichtet worden, die zum Ziele hatten, festzustellen, ob Tauben und auch andere Tiere, die durch einseitige Ernährung mit bestimmten Nahrungsmitteln der alimentären Dystrophie verfallen, ein für andere Tiere nicht vollwertiges Nahrungsmittel darstellen. Könnte diese Frage bejaht werden, dann würde es sich lohnen, festzustellen, ob bestimmte Organe allein oder in besonders hohem Grade sich als in ihrem Nährwert minderwertig er- weisen. Eine solche Feststellung würde unsere Kenntnisse über das Wesen der Funktionen der bisher noch unbekannten Nahrungsstoffe mit beson- derer Wirkung ganz wesentlich fördern. Unsere ausgedehnten Unter- suchungen gaben zu unserer Überraschung keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß Tiere, die an alimentärer Dystrophie erkrankt sind, als Nahrungsmittel erheblich minderwertig sind, sofern man die Versuchs- tiere ausreichend ernährt. Diese Feststellung steht in einem gewissen Widerspruch mit den von W. R. Hess und N. Takahashi?) gemachten Beobachtungen. Es ist schon in der erwähnten Mitteilung darauf hin- gewiesen worden, worauf die verschiedenen Ergebnisse offenbar beruhen. Wir haben unsere Versuche fortgesetzt. Es sei über einen Versuch berichtet, der insgesamt 129 bzw. 137 Tage umfaßt. Er wurde, wie 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 432. 1922. 2) W. R. Hess und N. Takahashi, Biochem, Zeitschr. 122, 193. 1921. 370 90 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis folgt, durchgeführt: Eine Taube erhielt zunächst ausschließlich ge- schliffenen Reis und zwar 11 Tage lang (vergl. Abb.1). Dann bekam sie Muskel- und Organgemisch einer normal ernährten Taube, und dazu 5g ganz reiner Maltose. Es sei gleich hier bemerkt, daß auch ohne Zugabe von Maltose ein gleiches Resultat erreicht wurde. An Stelle von Maltose wurde später Traubenzucker bzw. Rohrzucker gegeben. Das Körper- gewicht zeigte bis zum 88. Versuchstage nur geringe Schwankungen. Von da ab fiel es allmählich ab. An Stelle von Maltose war Traubenzucker gegeben worden. Es scheint, daß der Körpergewichtsabfall damit im Zusammenhang steht, denn bei Zufuhr von Rohrzucker wurde der Körpergewichtsverlust aufgehalten. Am 114. Versuchstage wurde dem Nahrungsgemisch Hefe zugeführt, worauf das Körpergewicht vom 121. a 8_ 1%. 16 _20 24 28, 32._36_40_ 44 _W,_52._56_60_64 6872 7680 84 88, 9296100104 B_M2 MB 120, 124 T2B. 300 Eu En | di ü | | | | N ET SRRERP FT EERERRRERuuR BUNEHRENEEHENEHHNNEN 280 : op Eigene Eon | Hl | N nElaalE) BE 2n 44 N | BEER WENNESERTORRTEN ST 260 h —- = age | 250 ü ü - H LIE zum I al | | 240 EEE EISEN OEL LLLLLL \ | IH | 08 230 Sannnrmenm 4 Hamm ı 1 foot) m 2A a! | El) ER Temperafur | )o | | 270 u ananmen ] I | % 200 IR ne img] i NS + Sn al AU A j ZONZRES SHBIEEBRRGBL-SBERBABSERERNARBEBBRRANNS BERDGEE SAGEN S IS SIR 38° EIER BIS SIIIS uu TTEsssTl Tess] a S SISISS STTISSS et EISEN SITES SISIESER: B SEN SINE Abb. 1. Taube 76. Tage ab ziemlich rasch abfiel. Das Versuchstier machte in den letzten Tagen einen stark geschwächten Eindruck. Am 130. Versuchstage wurde es tot im Käfig aufgefunden. Irgendwelche Krampferscheinungen oder Lähmungen hatte die Taube nicht gezeigt. Parallel mit diesem Versuch wurde eine Taube von annähernd dem gleichen Körpergewicht und gleichen Alter mit Muskelsubstanz und ÖOrgangemisch von Tauben ernährt, die lange Zeit hindurch ausschließ- lich geschliffenen Reis erhalten hatten. Wir verwendeten Tauben als Schlachttiere, die entweder Erscheinungen der alimentären Dystrophie (Krämpfe) aufwiesen, oder aber, zwar noch nicht besondere Erschei- nungen zeigten, jedoch schon mehrere Wochen geschliffenen Reis als einzige Nahrung erhalten hatten. Wir mußten vereinzelt zu solchen Tieren greifen, weil nicht immer Krampftauben vorhanden waren. Auch bei diesem Versuch ging eine Periode mit ausschließlicher Ernährung mit geschliffenem Reis voraus. Sie umfaßte 9 Tage (vergl. Abb.2). Dann von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIX. 91 - erhielt das Versuchstier die erwähnte Nahrung plus 5 g Maltose bis zum 87. Versuchstage. Es folgte dann eine Periode, in der an Stelle von Malzzucker Traubenzucker gegeben wurde. Das Körpergewicht fiel in dieser Zeit allmählich ab. Die Taube erhielt dann am 106. Ver- suchstage Rohrzucker und zugleich Hefe. Das Körpergewicht senkte sich nunmehr weniger steil, ja während einiger Tage zeigte sich eine kleine Steigerung. Am 119. Versuchstage wurde die Hefe weggelassen Vom 121. Versuchstage fiel das Körpergewicht steil ab und auch die Körpertemperatur zeigte einen ähnlichen Abfall. Am 129. Versuchs- tage erhielt die Taube an Stelle des Zuckers ein Gemisch von je ein | ı | LI 44 + um nt —— — Te + a [a | ——— 1 Zn — 4 IBS + ll + EA TER BR! Al le! AL um A IR geratur 42° | len [| D 479 x 40° S N & 90 u Sg, ss 2 ı OS a IE OS | DOE NRRG SaSsT | TRSSS III TRSSSE RSS TE SIR 33° SIII SEISSISISN SR |. SI ITTESSS III TRSSST ERS ES SSTS Bre | SOS SSESASSSS SIR IS 3 R Sır SSAS SOSSS SSIE| HADIS Abb. 2. Taube 75. Gramm Palmitin- und Stearinsäure und 0,5 g Glyzerin. Der Stoff- wechsel des Tieres war offenbar schon sehr schwer gestört. Das Tier drohte einzugehen. Es erhielt Gerste und später Kleie. Das Tier nahm diese Nahrung nicht selbst auf. Nur dann, wenn Fleisch gereicht wurde, pickte es dieses sofort auf! Es ging am 138. Versuchstage ein. Bei beiden Versuchstieren wurden Gaswechselversuche durchge- führt und zwar mit und ohne Verabreichung von Hefe. Es ergab sich dabei, wie die unten mitgeteilten Abbildungen 3 und 4 dartun, daß die Hefe bei dem Tier, das mit Reistaubenorganen ernährt worden war, eine beträchtliche Steigerung des Gaswechsels bewirkte, während das bei der Taube, die Organmenge von einer normal ernährten Taube erhalten hatte, nicht der Fall war. Unsere Erfahrungen bei der Verfütterung von Organen von Tauben, die ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt worden waren, und mit solchen, die ein entsprechendes Organgemisch von Tauben erhielten, 92 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis die in ganz normalen Ernährungszustande waren, sind einheitlich. Es bleiben die a priori zu erwartenden schweren Erscheinungen aus. Es gelang nicht mit Organen von Reistauben die charakteristischen Erschei- nungen der alimentären Dystrophie hervorzurufen. Eine gewisse Minder- wertigkeit des Organgemenges von Reistauben ist offenbar vorhanden. Wir schließen das nicht nur aus den beiden hier ausführ- licher dargestellten Versuchen, sondern aus zahlreichen ande- ren Erfahrungen. In keinem einzigen Falle ergaben sich jedoch die charakteristischen Erscheinungen der alimentä- ren Dystrophie, sie blieben auch dann aus, wenn zu den Versuchen anstatt eines Organ- Abb. 3. Taube 75. gemenges ausschließlich ein- zelne Organe, wie Muskelge- webe, Leber usw. verabreicht wurden, oder wenn die verfütterte Nah- rungsmenge so gering gewählt wurde, daß sie zur vollen Ernährung der Tauben nicht ausreichte. In diesen Versuchsreihen ließ sich eine deutliche Minderwertigkeit der Organe (Leber, Muskel) von Reistauben insofern feststellen, als die mit solchen gefütterten Tiere in der über- wiegenden Mehızahl der Fälle früher zugrunde gingen, als Tauben, die die gleichen Gewebe von normalernährtenTieren erhiel- ten. Immerhin waren die Un- terschiede in der Lebensdauer bei weitem nicht so groß, als wir erwartet hatten (0—6 Ta- ge). Wir wissen, daß Tauben, die ausschließlich geschliffe- App Tenbenze: nen Reis erhalten, Mangel an manchen Stoffen haben. Die ganze Blutbildung ist stark herabgesetzt. Tauben die nur mit Reis ernährt werden, hungern in vieler Beziehung. Nach mehr oder weniger kurzer Zeit verweigern sie auch die Nahrungsaufnahme. Die künstliche Fütte- rung vermag die freiwillige Nahrungsaufnahme nicht voll zu ersetzen. Die Tauben würgen manchmal etwas von der in den Kropf gebrachten Nahrung heraus. Dazu kommt, daß mit der Zeit die Sekretion der Verdauungssäfte leidet. Die Appetitlosigkeit geht offenbar mit der mangelhaften Funktion der Verdauungsdrüsen parallel. Aus allen diesen Gründen ist ohne Zweifel eine Reistaube einer normal ernährten Taube von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIX. 93 als Nahrungsmittel nicht gleichwertig. Vor allen Dingen verfügen die Reistauben über wenig oder gar keine Vorräte (Glykogen, Fett usw.). Die Zusammensetzung der vorhandenen Zellen dürfte im wesentlichen, soweit diese voll funktionstüchtig sind, bei beiderlei Arten der Ernäh- rung die gleiche gewesen sein. Der Einfluß der Hefe auf den Gaswechsel scheint ein besonders fei- nes Diagnosticum auf Veränderungen im Zellstoffwechsel zu sein. Die oben erwähnten Versuche sind an beiden Tauben bei vollem Wohl- befinden und voller Lebhaftigkeit durchgeführt worden. Nur in einem Punkte unterschieden sich die beiden Tiere und übrigens alle gleich ernährten Tauben von solchen, die mit Fleisch von anderen Tieren er- nährt wurden: sie blieben am Boden des Käfigs und flogen nicht auf die Stange. Im übrigen zeigten sie jedoch ein normales Verhalten. Die gemachten Beobachtungen scheinen mir von größter Bedeu- tung zu sein. Wird eine normal ernährte Taube mit geschliffenem Reis ernährt, dann erhält sie, wenn der Reis nicht zuvor längere Zeit auf 120—140 ° erwärmt wurde, mit ihm geringe Mengen jener unbekannten Nahrungsstoffe zugeführt. Sie hat ferner selbst noch, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, Vorräte an jenen Stoffen. Erst nach längerer Zeit macht sich ein Mangel an jenen Stoffen geltend, die zur Durchführung des Zellstoffwechsels ‚notwendig sind. Es kommt zu Störungen und dann zum Zusammenbruch. In diesem Zustande darf man wohl annehmen, daß das Minimum an jenen Stoffen, die notwendig sind, um den allgemeinen Zellstoffwechsel gerade noch durchzuhalten, unterschritten ist. Der Organismus hat zahl- reiche Zellen eingebüßt. Die Gesamtmenge der Muskulatur nimmt stark ab. Es wird die absolute Menge der vorhandenen unbekannten Nahrungsstoffe bei einer Verminderung der Gesamtmasse an funktions- tüchtigen Zellen länger ausreichen. In der Nähe dieses Zusammenbruchs und in der überwiegenden Anzahl der Fälle in ihm selbst haben wir Reistauben getötet und Tauben mit dieser Nahrung ernährt. Sie er- hielten somit vom 1. Tage an sehr geringe Mengen an wirksamen Stoffen unbekannter Art. Nun könnte man sich denken, daß die Menge dieser Stoffe bei den Reistauben doch eine größere war, als im geschliffenen Reis. Leider haben wir keine Möglichkeit die unbekannten Stoffen ihrer Menge nach genau zu messen. Der biologische Versuch an Hefe- zellen genügt nicht zu diesem Zwecke. Man hätte dann aber erwarten müssen, daß im Laufe von über 100 Tagen die charakteristischen Erschei- nungen der alimentären Dystrophie sich doch einstellen würden. Es war das, wie schon erwähnt, bei keinem einzigen Versuch der Fall. Besonders auffallend ist, daß die Verabreichung von Hefe keinen günstigen Einfluß ausübte. Wir wissen, daß bei Hungertieren die Hefe einen rascheren Abfall des Körpergewichtes bedingt. Sie regt den Stoffwechsel an und 94 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis bewirkt einen größeren Umsatz. Unsere mit Organen ernährten Tiere verhielten sich in dieser Hinsicht bei Verabreichung von Hefe wie Hungertiere. Bei Tieren, die ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt werden, hat die Verabreichung der Hefe eine Zunahme des Körper- gewichts zur Folge. Sie wirkt bei Reistauben in jedem Falle günstig, wenn nicht eine zu große Schädigung des Stoffwechsels bereits vorliegt. Wie soll man sich das erzielte, überraschende Ergebnis erklären ? Ich möchte mich vorläufig in keiner Weise festlegen. Ich komme an Hand anderer Versuche auf eine Erklärungsmöglichkeit zurück. Es sei nur Folgendes hervorgehoben: Die Tiere erhielten Kohlenhydrate und daneben hauptsächlich Eiweiß. Eine Taube kann, wie an Hand anderer Versuche gezeigt werden wird, mit 20—30 g Fleisch, bzw. Organ- gemenge auskommen. Die Kohlenhydrate hatten wir der Nahrung zu- gefügt, weil sich bei unseren Versuchen gezeigt hatte, daß sie das Zu- standekommen der Erscheinungen der alimentären Dystrophie be- günstigen. Es ist auffallend, daß die Verabreichung von Traubenzucker von einem Abfall des Körpergewichtes gefolgt war, während Maltose und Rohrzucker auch in anderen Versuchen, als den hier mitgeteilten, keine Verminderung des Körpergewichtes bewirkten. Es spitzt sich das ganze Problem der Bedeutung der bisher unbe- kannten Nahrungsstoffe im vorliegenden Falle auf die Fragestellung zu, ob jene Produkte nicht beim Stoffwechsel einer ganz bestimmten Gruppe von Nahrungsstoffen wirksam und unentbehrlich sind. Aus unseren Ver- suchen wissen wir, daß Tauben mit Fleisch allein monatelang: bei bestem Wohlbefinden gehalten werden können. Es ist wohl möglich, daß dann, wenn der Stoffwechsel in der Hauptsache von Eiweiß bestritten wird, das Fehlen bzw. die zu geringe Zufuhr jener unbekannten Stoffe sich nicht geltend macht oder, vielleicht vorsichtiger ausgedrückt, nicht so rasch zur Geltung kommt. Sind die Zellen in überwiegender Weise auf den Umsatz von Kohlenhydraten angewiesen, dann scheint der Mangel an jenen Stoffen relativ rasch in Erscheinung zu treten. Es ist wiederholt von Kasimir Funk behauptet worden, daß jene unbe- kannten Stoffe in einem Zusammenhang mit dem Kohlenhydratstoff- wechsel stehen. Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß wir bei unseren Versuchstieren stets die Leber auf Glykogen untersucht haben und feststellen konnten, daß sie bei Verabreichung von geschliffenem Reis stets vollkommen, frei von diesem Polysaccharid gefunden wird. Zusammenfassend möchten wir zum Ausdruck bringen, daß es den Anschein hat, als ob zum Zustandekommen der alimentären Dystrophie. bei ausschließlicher Ernährung mit geschliffenem Reis (damit soll nicht gesagt sein, daß nur dieser spezielle Fall in Betracht kommt) nicht nur Mangel an noch unbekannten Nahrungsstoffen in Betracht kommt, vielmehr muß noch ein zweites Moment hinzutreten und zwar scheint: von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XIX. 95 von entscheidender Bedeutung die Art der Nahrungsstoffe zu sein, die zum Umsatz kommen. Ob die Qualität oder aber die Quantität der von Moment zu Moment zur Umsetzung kommenden Stoffe die Entschei- dung gibt, ist noch unentschieden. Schon der Umstand, daß hungernde Tauben auch dann, wenn man sie durch längere Zeit hindurch in Unter- ernährung hält, keine Erscheinungen der alimentären Dystrophie (bei Tauben Krampferscheinungen, Lähmungen usw.) zeigen, beweist schon, daß nicht allein der Mangel an bestimmten Stoffen in der Nahrung maßgebend sein kann. Erst dadurch, daß der Zellstoffwechsel in be- stimmter Weise beansprucht wird, machen sich Ausfallserscheinungen geltend. Es ist natürlich auch denkbar, daß im Zellstoffwechsel be- stimmte Stoffe auftreten, die, falls ihre Menge eine bestimmte Größe überschreitet, Störungen veranlassen und z. B. die Oxydationen in den Zellen hemmen. Der ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährte Taubenorganismus ist sowieso nach einiger Zeit in einem labilen Zu- stand des Stoffwechsels. Die starke Herabsetzung der Blutneubildung, die offenbar mit der Zerstörung von roten Blutkörperchen nicht Schritt hält — man hat den Eindruck, als ob im Laufe der ausschließlichen Ernährung mit geschliffenem Reis die Zerstörung von roten Blutkör- perchen eine besonders große ist. Wir kommen zu dieser Vermutung, weil die Absonderung von Gallenfarbstoff gesteigert zu sein scheint —, enst die Versorgung der Gewebe mit Sauerstoff an und für sich stark ein. Es bedarf dann nur noch eines an und für sich vielleicht gering- fügigen weiteren Hindernisses in der Sauerstoffverwertung in den Zellen selbst, um die Katastrophe herbeizuführen. Frl. Jahn und Frl. Obermeier, die mich bei diesen Untersuchungen unterstützten, sei auch hier gedankt. Protokolle. Taube Nr. 75. Zahl Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g Geschl. Reis — 8 A 43 Std. auf 140° erwärmt!) 15 g Muskel- 5 g Maltose | 78 —10|Das Tier ist munter! Es frißt organgemenge v. das Fleisch selbstständig. Reistaube 1) Es sind sämtliche Organe mit Ausnahme der Pankreasdrüse, der Milz, des Magendarmkanals, der Schilddrüse, der Nebenschilddrüsen und der Nebennieren verwendet worden. Wir nennen das verfütterte Produkt „Muskelorgangemenge“, weil das Fleisch in der Nahrung stark überwog. 96 E.Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. Taube Nr. 75 (Fortsetzung). Zahl Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage |nahme | nahme g g 10 g Muskel- |5g Trauben- 19 — 29 ‚organgemenge v. | zucker Reistaube 10 g Muskel- 5 g Rohr- 13 — 14 ‚organgemenge v. zucker Reistaube \ 0,5 g Hefe | 10 g Muskel- | 5 g Rohr- 10 — 31 130. Versuchstag: organgemenge v. zucker | Das Tier ist matt und zittert Reistaube | | heftig. Es erhält ab heute l5g 10 g Muskel- | 2,5 g Fett- 1 Gerste, die es jedoch nicht selb- ‚organgemenge v. | säuren + ständig pickt. Temperatur Reistaube | Glycerin 9h — 36,8°, 12h = 37,6°, 7 = 38°. N 8 | er : -136. Versuchstag: 8 | Das Tier frißt noch immer nicht | +10 selbstständig, sitzt matt in einer | Ecke des Käfigs und kann nicht | laufen. Temperatur: 39°. | al 138. Versuchstag: | Das Tier liegt morgens tot im | Käfig. Taube Nr. %6. Geschl. Reis — 10 — 35 -48 Std. auf 140° erwärmt 15 g Muskel- 5 g Maltose | 77 — 10 ‚organgemenge V. normaler Taube 10 g Muskel- 5 g Trauben-| 20 — 35 Das Tier ist munter! ‚organgemenge v. zucker normaler Taube 10 & Muskel- 5 g Rohr- 6 |+0| —0 ‚organgemenge Vv. zucker normaler Taube 10 g Muskel- 5 g Rohr- |. 16 — 28 [In den letzten Tagen ist das Tier -organgemenge V. zucker sehr matt, sitzt immer in einer normaler Taube | 0,5 g Hefe Ecke des Käfigs und verliert die Federn mehr und mehr. Die Temperatur ist schlecht und das Gewicht fällt. 130. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XX. Mitteilung. Vergleiehende Fütterungsversuche mit verschiedenen reinen Nah- rungsstoffen. Von Emil Abderhalden. Ausgeführt mit Mitteln des Reichsausschusses für Ernährungsforschung. Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 11. August 1922.) Es konnte kürzlich!) mitgeteilt werden, daß es gelingt bei Tauben die charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie, die im Gefolge der ausschließlichen Verfütterung mit geschliffenem Reis auftreten, in allen Einzelheiten bei Verabreichung reiner Nahrungs- stoffe zu erzielen. Bei Verfütterung von reinem Eiweiß. (Kasein). reinem Kohlenhydrat, (Traubenzucker, Rohrzucker, Maltose), einem Gemisch von Fettsäuren (Palmintin- und Stearinsäure) plus Glycerin und einem Mineralstoffgemisch erhält man nach relativ geringer Zeit ein Herabsinken des Gesamtgaswechsels. Parallel damit geht ein Ab- sinken der Körpertemperatur. Der Gewebsgaswechsel ist ebenfalls ver- mindert. Er läßt sich durch Zufuhr von aus Hefe gewonnenen Stoffen steigern. Der Atemtypus ist in charakteristischer Weise verändert. Häufig beobachtet man schwere Atemnot. Die Tiere öffnen bei jedem Atemzuge den Schnabel weit. Schließlich folgen die charakteristischen Krampferscheinungen. In manchen Fällen kommt es zu Lähmungen. Manche Tiere erliegen auch, ohne vorher ausgesprochene Krampf- erscheinungen gezeigt zu haben. Bei solchen Tieren kann man häufig Krämpfe hervorrufen. Die herabgesetzte Körpertemperatur weist mit ziemlicher Sicherheit auf Bereitschaft für Krämpfe hin. Ver- mindert man den Sauerstoffgehalt der Luft bzw. vermehrt man ihren Kohlensäuregehalt, oder bringt man die Tiere auf eine Drehscheibe, dann treten häufig Krämpfe avf. In manchen Fällen konnte man be- obachtet, daß ganz einfache Eingriffe, wie Messen der Körpertempera- !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 480. 1922. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 7 98 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis tur, Füllung des Kropfes bei künstlicher Fütterung, genügen, um schwerste Krämpfe zum Ausbruch zu bringen. Es ist von besonderem Interesse, daß es gelingt, Tauben, die mit einem Gemisch reiner Nahrungsstoffe ernährt worden sind, und die bereits Krämpfe zeigen, durch Verabreichung von Hefepillen günstig zu beeinflussen. Die Körpertemperatur steigt entsprechend der Zu- nahme des Gaswechsels, die Krämpfe lassen nach und verschwinden bald ganz. Atem- und Herztätigkeit werden wieder normal. In der oben erwähnten Arbeit ist über eine Taube Nr. 49 berichtet. Sie hatte 13 Tage lang das erwähnte Nahrungsgemisch erhalten. Sie erhielt dann während 37 Tagen einen Zusatz von 0,5 g Hefe. Die in den ersten 11 Tagen dieser Periode gemachten Beobachtungen sind in der erwähn- en: ten Mitteilung bereits verwertet. Über x 380 Se 202 HERE 50H2 ie restliche Periode von 26 Tagen sind SI | die Daten weiter unten angeführt. Es 8,360 . . : S geht aus ihnen hervor, daß sich die Er- ER . B = e 834 scheinungen der alimentären Dystrophie jeweilen nicht so leicht beseitigen lassen, wie in jenen Fällen, in denen die erwähn- ten Symptome durch ausschließliche Fütterung von geschliffenem Reis her- vorgerufen waren. Wir haben’in einer großen Zahl von Fällen die gleiche Beob- rn achtung machen können. Essscheint, daß die Schädigung des Zellstoffwechsels bei Verabreichung reiner Nahrungsstoffe eine besonders schwere ist, oder es liegen die Verhältnisse so, daß die leicht feststellbaren Störungen später in Erscheinung treten, und deshalb nicht frühzeitig genug ein- gegriffen werden kann. Wir haben auch mehrere Fälle beobachtet, bei denen die Einspritzung von aus Hefe gewonnenen Stoffen (Hefe- autolysat) eine rasche Wirkung entfaitete. Der Raumersparnis wegen sei nur der eine Versuch dieser Art, nämlich der mit Taube 49 ange- stellte, im Protokoll und in der Abb. 1 wiedergegeben. Wir haben die Versuche mit dem oben erwähnten künstlichen Nahrungsstoffgemisch in verschiedenen Richtungen weiter fortgeführt. Es sei zunächst über Versuche berichtet, beidenen das gesamte Nahrungs- stoffgemisch zur Verabreichung kam. Taube Nr. 88 erhielt während 61 Tagen ausschließlich die erwähnte Nahrung. Sie nahm in dieser Zeit nur um 34 g ab. Die in Abb. 2 dargestellte Körpergewichtskurve zeigt starke Schwankungen. Sie rühren davon her, daß die Nahrung künstlich in den Kropf des Tieres in Form von Pillen eingeführt wurde und zwar in bestimmten Zeitabschnitten. Manchmal wurde der Kropf rasch entleert, in anderen Fällen blieb die Nahrung in diesem liegen. Temperatur von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XX. 99 Dieser Umstand und ferner das in den ersten Tagen bei manchen Tieren vorhandene Bestreben die Nahrung auszubrechen, erschwerte die Durch- führung der Versuche, jedoch waren die Tiere innerhalb von 3—4 Tagen so weit, daß sie die Nahrung behielten. Es ist sehr wesentlich, Versuchstag: 2.4 6 BMW 6 7 20.22 24 26 28 30.32 34 36 38 W 42 wu va 48 50.52 Su 56 58 Bee 6870. 7: m_76 788082. 84 ug FRI T Ian] ls] ee | | | | 430 | _ —_ ıinmal 1 1 je IE el | t —— x 920 Pre | i 1 Eikelalssrele) NZ k | lo Te =: + S N — 1 8 400 4 Ir! | $ meluS IS 5 | | AS 12 L SI 8 A Kor ERed t IS ei Sr Nagg 8 Ar! . + a AN mie] TTS S, S N N Ic gı 4 S 1 IX S SONST Bel V I SR S RR u uuEE Enz i SSL IST EINS 350 ISIN | : T Zn v | TC] S AR us a] Sersesn + 7 Sri SS SR | N / U IISEDN/Nh S SI S- | \ 1 IS > WAGEN N N | | arg 8 IS I II DIS + + m || ai IENIS ESS S S 4D N al SAN jan] jeilaajnle | Taler 82 Ss N 3700 St + at 4 —: St SS N 35° Sr Terre al | RER RER ] l BIS [| o Nr) Abb. 2. daß sie in kleinen Portionen und dafür öfter zur Verabreichung kommt. Das Versuchstier erhielt dann an Stelle von Maltose Traubenzucker. Das Körpergewicht stieg an, es machte jedoch das Versuchstier gegen Ende dieser Periode einen matten Eindruck. Es erholte sich aber bald. Nunmehr bekam die Taube Nr. 88 das gleiche Nahrungsstoff- Abb. 3. gemisch minus dem Fettsäure- und Glycerinzusatz. Am 83. Versuchs- tage zeigten sich schwere Krampferscheinungen (Abb. 3). Das Tier hatte während der 83 Tage umfassenden Versuchsperiode insgesamt nur 18 8, bzw. wenn man, was wohl richtiger ist, den am 81. Versuchstage er- reichten Tiefstand des Körpergewichtes berücksichtigt, 59 g an Körper- gewicht verloren. (Vgl. Abb. 2.) Derzuletztin Erscheinung tretende An- stieg des Körpergewichtes beruht ohne Zweifel darauf, daß das Tier die ver- abreichte Nahrung nicht mehr verwertete. Der Kropf war stark gefüllt. ME 100 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 90 erhielt das gesamte, oben erwähnte Nahrungsstoff- gemisch. Sie zeigte am 19. Versuchstage schwere Krämpfe. (Vgl. hierzu Abb. 4 und 5.) Es sei hier angefügt, daß bei weiteren Versuchen am 18.—2]. Versuchstage ganz charakteristische Krampferscheinungen auftraten. Hervorgeho- ben seien noch zwei Ver- suche dieser Art, weil bei ihnen Gaswechselunter- suchungen ausgeführt worden sind. Taube Nr. 91 erhielt 27 Tage lang das gesamte Nah- rungsstoffgemisch. Das Körpergewicht sank in dieser Zeit um 902. Nunmehr erhieltdasTier 0,5g Hefe pro Tag und zwar deshalb, weilesam 26. Versuchstage leichte Störungen beim Gehen zeigte. Die Hefe wurde nur zwei Tage lang verabreicht. In dieser Zeit befand sich das Tier im Gaswechselversuch. In den weiteren acht Tagen zeigte sich eine Zunahme der Parese der Beine. Das Tier konnte schließlich sich gar nicht mehr bewegen. Es Versupsag, 27 18 20 Würde getötet und der Gewel sgaswechsel unter- ı Imran Abb. 4. a | | sucht. Es ergab sich, daß die Gewebsatmung a - der Nervensubstanz stark herabgesetzt war. D2s0. = N (Vgl. das unten mitgeteilte Protokoll.) Auf Zu- 20 | 8 satz von Hefeautolysat stieg die Zellatmung = iR ss starkan. (Vel.zudiesem Versuch Abb.6 und 7.) 20 LS \S Taube Nr. 92 erhielt während 27 Tagen das we NR N gesamte Nahrungsstoffgemisch. Sie verlor in SS Er dieser Zeit 56 gan Körpergewicht. Am 23. Ver- ar SS] 5 SS suchstage zeigten ‚sich leichte Paresen in den RS &I | Bi TI Beinen. Auch bei diesem Tier wurde der Ge- EPOLSISIS de EEE samtgaswechsel mit und ohne Hefe bestimmt. Abb.B (Vgl. Abb. 9, Abb. 8 zeigt den Verlust der Körpergewichtes und die Temperaturkurve.) Taube 94 erhielt 21 Tage lang das Gemisch reiner Nahrungsstoffe. Sie zeigte am 20. Versuchstage Krämpfe. (Abb. 10 und 11.) Die angestellten Versuche bestätigen und erweitern die in Abhand- lung X VIII gegebene Darstellung, wonach es gelingt mittels reiner Nah- rungsstoffe, alle Erscheinungen der alimentären Dystrophie bei Tauben nachzuahmen, die bisher ausschließlich nach Verfütterung von geschliffenem Reis zur Beobachtung gekommen sind. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XX. 101 Versuchstag: 490 2. 4 68 MW. 12. 14 16, 78. 20.22. 24. 2628.30. 32. 34.36.38 S T T N 480 | m. ERS | I 470 IE alepe + [x SHOCK mt 4 | Q S d- | Ss TI #50 |S- + Ss N N | D 440 IR RI IL > N 430 |S- S S ii In S 32018 alles Duos g AM 400 ES 1 Versuchstag: 390 Sn 360 2 4 6 8. ei 72. 74 76, 78. 202 22 26.28. 3 Ü N 350 1 To 702° R S T 42° 370 N 340 471°? 360 DII0 RN 40°? 350 a 320 39° S 370 38° D300 37? 290 40° Abb. 6. R N 394 S 38° 37° N 360 39 Abb. 8. Versuchstag: DIELNOREEEIONTZINEBICETER203227 340 [ — n I 330 Sa < NE 0 N N ES N 310 DD S 300 2 Q 290 °— N N I 410 EN S X & S 49° 8 IS S S 39° ı2°S >82 4 n N 3g0[ 8 N SD R SS SE: ] N 379 1988 R ] T 36° IoS8! Abb. 11. Abb. 10. 102 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Versuchsprotokolle. Taube Nr. 49 (Fortsetzung: 25. Versuchstag). | Körpergewichts- R Zahl" —— Nahrung Zusatz der | > || ND- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 5 g Kasein | 0,5 g Hefe | 26 | — |—39 28. Versuchstag. 10 g Maltose 5 g Mineral- stoffe Taube Nr. Ss. 5 co Kasei MICH a ie : : ” er S 63. Versuchstag: 5 g Salze | Das Tier ist matt. 2,5 g Fettsäu- | 83. Versuchstag: ren-+Glycerin Das Tier hat Krämpfe; es er- 5 g Kasein | = 10 +308 hält 2,5 g Fettsäuren. 5 g Trauben - ; | Temperatur 12h: 36,0° zucker | | 1b: 36,5° 5g Salze | | 3h; 37,1° 2,5 g Fettsäu- Hugan>dR ven+-Glycerin 7A: '36,0° 5 g Kasein Sr l2 | — —14g Die Krämpfe dauern bis 6h an 5 g Trauben- | Um 7 liegt das Tier sehr zucker | matt im Käfig. Es erhält 0,5 g Hefe per os 5 g Salze ' und 1 ccm Hefeautolysat intramuskulär. Temperat. d. Tieres 9h : 37,8°. Das Tier liegt sehr matt im Käfig, taumelt bei jedem Schritt. 3%:36,8° leichte Krampferscheinungen, gespr. mit 1 ccm Hefeautolysat. 3h 45°: 36,5° leichte Krämpfe. 7h:37,0° die Krämpfe haben aufgehört; doch ist das Tier noch sehr matt. 0,5 g Hefe per os. 29. Versuchstag. Das Tier hat sich erholt; ist aber noch matt. Tempera- tur: 40,5°. 31. Versuchstag: Das Tier ist matt, sitzt immer in einer Ecke des Käfigs. 32. Versuchstag. Das Tier sitzt wieder auf der Stange und ist munter. 45. Versuchstag. Das Tier ist etwas matt. 48. Versuchstag. Das Tier ist sehr matt, taumelt bei jedem Schritt. 9" Hefe- autolysat 1 ccm intramus- kulär. Temperatur 9%: 36,5° 11h: 36,2° 31:91532 71,38,3° 49. Versuchstag. Das Tier hat sich etwas erholt, ist aber noch matt. 50. Versuchstag. Das Tier ist sehr matt, Tempe- ratur: 37,5°. 1 ccm Hefeau- tolysatintramuskulär. 11" 30’: Das Tier ist tot. 84. Versuchstag : Das Tier liegt morgens tot im Käfig. von organischen Nahrunesstoffen mit spezifischer Wirkung. XX. 103 Taube Nr. 90. | Körpergew Nom Fzanı = — Nahrung Zusatz der Zu 3emerkungen Tage |nahme | nahme {e) > > „ © Kasein | 19 — — ll Der Tier ist munter. 5 5 5 Rohrzucker 19. Versuchstag: 5 g Salze Das Tier hat Krämpfe; es 2,5 g Fettsäuren, | | erhält 2,5 g Fettsäuren Okasin | | + Glycerin, um 11® noch 0,5 g Hefe per os. Tempe- ratur 9R:32,0°, 114: 32,8°, 34: 31,6°, 1b; 32,8°. Das Tier liegt im Sterben; 0,5 g Hefe 3h 30° gespritzt mit 2ccm Kaliumphos- phat. 3h 50’ ist das Tier gestorben. Taube Nr. 91. | 5 g Kasein — | al | — | — 90 Das Tier ist munter. 5 g Salze | | 5 g Rohrzucker | 2,5 g Fettsäuren | + Glyeerin | 5 & Kasein | Wong, Hefe), 2 | ——..B 26. Versuchstag: 5 g Salze | | | Das Tier ist munter, es fliegt 5, g Rohrzucker | | auch noch auf die Stange, 2,38 Fettsäuren nur ist es etwas unsicher + Glycerin | | | auf den Beinen. Es läuft 5 & Kasein | ER: es —_ 2.38) sehrbreitbeinig. Gaswech- 5 g Salze | | selversuche vor und nach 5 g Rohrzucker | | Hefezusatz. 2.5 g Fettsäuren | | | 37. Versuchstag: + Glycerin | | Das Tier ist sehr matt. Es | | | kann nicht mehr laufen. | Temperatur: 37,1°. | ı Das Tier wird zwecks ande- rer Versuche geschlachtet. Taube Nr. 91. Sauerstoffverbrauch des Gewebes bestimmt im Barcroft-Manometer. ano va Dauer des | lo, -Verbrauch pro g Substanz | zusadz | AM ersuchs Temperatur und Std. in ccm el 1 | | Liu 108 Calhiraal] 1,2 ccm Ringerlösg. 30 Min. | aı° 101 ‚S 1,0 cem Ringerlösg. Genau 0,2 ccm Hefeautolysat | Bau, “ 104 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. Taube Nr. 92, Körpergewichts- Zahl = Nahrunz Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage nahme | nahme g g 5 g Kasein — 27 56 Das Tier ist munter 5 g Rohrzucker 22. Versuchstag: 5 g Salze | Gaswechselversuche; das Tier 2,5 g Fettsäu- | | ist munter. ren + Glycerin 23. Versuchstag: per os. Das Tier ist matt saswechselversuche; das Tier taumelt etwas und bricht. 3h 0,5 g Hefe per os. 710,5 Hefe per os. Temperatur: 9% 10 12» 93h zh o > 38,2° 31.5 38,0° 31:8. 38,0° 24. Versuchstag: Gaswechselversuche; 10% 0.5 & Hefe per os; 11 0,5 g Hefe und taumelt. Temperatur: 10% 37,5 ° ET 4h 37,8° 26. Versuchstag: Das Tier hat sich erholt, Tem- peratur39,0°.0,5g Hefe per os. 27. Versuchstag: Das Tier liegt sterbend imKäfig. Temperatur: 30,0°. Zwecks anderer Versuche wurde das Tier getötet. Taube Nr. 9. Sauerstoffverbrauch des Gewebes bestimmt im Bancroft-Manometer. D auer O,-Verbrauch Atmende Substanz Zusatz des Temperatur |pro g und Std. Versuchs | in cem 0,5 g Brustmuskel 1,2 cem Ringerlösung | 30 Min. 20 186 1,0 ccm Ringerlösung 2 5 y 0,5 g Brustmuskel “ \ 8.1, 30, Min! 20° 206 0,2 ccm Hefeautolysat 0,5 g Lebersubstanz | 1,2ccm Ringerlösung 30 Min. 20° 262 & 1,0 ccm Ringerlösung 0 5 r 0,5 & Lebersubstanz { 0 ccm Ringerlösung 30 Min. 20 389 hr 0,2 ccm Hefeautolysat 1,0 g Gehirn 1,2 ccm Ringerlösung | 30 Min. 20° 119 . n Ringerlösung aus . 1,0 & Gehirn | 1,0 com Ringerlösung | 39 in. 20° 153 10,2 cem Hefeautolysat Taube Nr. 9. | | Körpergewichts- | FE ————— = Nahrung | Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen | Tage | nahme | nahme o o 5 & Kasein 21 - — Das Tier ist munter. 5 g Rohrzucker 5 & Salze 2,5 g Fettsäuren -+ Glycerin Frl. Jahn und Frl. Obzrmeier, die mich suche unterstützten, sei auch hier gedankt. bei der Durchführung dieser Ver- Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XXI. Mitteilung. Versuche mit reinen Nahrungsstoffen mit Überwiegen der Kohlen- hydrate bzw. eines Fettsäuren-Glyzeringemisches. Von Emil Abderhalden. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) Mit 19 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. August 1922. Trotz aller Bemühungen, das Wesen der bisher unbekannten Nah- rungsstoffe mit besonderer Wirkung aufzuklären, stehen wir noch vor vielen Rätseln. Der wesentlichste Fortschritt auf dem ganzen For- schungsgebiet seit der Feststellung der Notwendigkeit noch unbekannter Nahrungsstoffe für bestimmte Zellfunktionen und ferner der Feststel- lungder Unentbehrlichkeit bekannter Nahrungsstoffe (bestimmter Amino- säuren) und noch unbekannter für das Wachstum, ist ohne Zweifel die Feststellung, wonach aus Hefe und Kleie isolierte Stoffe einerseits die Gärtätigkeit von Hefezellen und andererseits den Gaswechsel von Geweben höherer Tiere steigern. Es ist oft auf die Analogie zwischen dem Gärungsvorgang und der Gewebsatmung hingewiesen worden. Es steht nun fest, daß bei Verabreichung eines bestimmten Gemisches von Nahrungsstoffen sich schwerste Störungen im Zellstoffwechsel und ins- besondere im Gaswechsel herausbilden. Diese Schädigung macht sich am frühesten beim Nervengewebe geltend. Dieses ist bekanntermaßen gegen Sauerstoffmangel besonders empfindlich oder, vorsichtiger aus- gedrückt, es treten die Ausfallserscheinungen besonders rasch zutage. Die nächste Aufgabe, die zu erfüllen ist, ist die, festzustellen, ob das Fehlen bestimmter Stoffe in der Nahrung an und für sich genügt, um bestimmte Störungen im Zellstoffwechsel zu verursachen, oder aber, ob noch weitere Momente hinzutreten müssen. Zunächst ist, wie von uns wiederholt betont worden ist, auffallend, daß bei voll- ständigem Nahrungsmangel niemals die Erscheinungen der alimentären Dystrophie in Erscheinung treten. Es ist uns auch nicht gelungen, sie bei Tieren hervorzurufen, die durch längere Zeit hindurch in Unter- ernährung gehalten wurden. Diese Beobachtung führt zu der Ver- mutung, daß das Fehlen bestimmter Stoffe in der Nahrung sich viel- 106 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis leicht nicht bei jeder Zusammensetzung der Nahrung geltend macht. Es wäre denkbar, daß jene unbekannten Stoffe bei der Umsetzung ganz bestimmter Nahrungsstoffe notwendig sind. Es ist möglich, daß, wenn jene Nahrungsstoffe nur in geringer Menge umgesetzt werden, dann die in den Geweben vorhandenen Nutramine ausreichen, um den Zellstoffwechsel in normalen Bahnen zu halten. Wenn jedoch von jenen Nahrungsstoffen größere Mengen zugeführt werden, genügen viel- leicht die in den Zellen vorhandenen Nutramine nicht. Von diesen Ge- sichtspunkten aus sind die folgenden Untersuchungen ausgeführt worden: Es erhielten Tauben reines Eiweiß (sorgfältig gereinigtes Casein), Mineralstoffgemisch und nun entweder Rohrzucker oder aber ein Ge- misch von Palmitin- und Stearinsäure plus Glycerin. Bei einer anderen Versuchsreihe gaben wir den Tauben als einzige Nahrung reine Kohlen- hydrate, bzw. ein Gemisch von sorgfältig gereinigten Fettsäuren plus Glycerin. Zu einer dritten Versuchsreihe verwendeten wir Tauben, die 21 Tage lang ausschließlich geschliffenen Reis erhalten hatten. Die einen Tiere erhielten täglich 15 g Reis, andere dazu entweder Kohlen- hydrate oder Fettsäuren-Glyceringemisch. Es sei zunächst über die erste Gruppe von Versuchen berichtet, und zwar an Hand von einigen Beispielen, die an Stelle eines großen Versuchsmaterials treten. 1. Versuch mit Casein, Mineralstoffgemisch und Fettsäuren-Glyceringemvsch. Taube Nr. 86 erhielt 64 Tage lang ausschließlich das erwähnte Nahrungsstoffgemisch. Das Tier blieb bis zum 61. Versuchstage voll- Versuchstag: 0 24 IE MM 1678.20 22.24 26 28 3032.34 3638 40 924 V6 48.50.5254 565860. 62.04 66 60 BEL — : 350 iS sort + ! 8 330 tt + 1 Jul | Ss Q 320 SS S 37048 al = 1 | al ul SS N Sa S.300, 2 —— Is 82908 ir 4 | 1 N EN N SS SS S 20088 F ei fael IS 3,270 IH IN 200 \S°I- | Ei RR 250 18 HI 1 SS 240 r2 R | El [1 A SS 230 'S | DS Tem 220 OO [2 41° 210 + " 40° IN 1 39° 1 I — + < + 4 - —+ H aaa: | ERBE | 36° ajanjeaaje [® Abb. 1. kommen gesund. Es war sehr lebhaft und zeigte in keiner Weise irgendwelche Erscheinungen der alimentären Dystrophie.. Am er- wähnten Tage war das Tier weniger munter als sonst. Es flog nicht von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXI. 107 mehr auf die Stange. Die Körpertemperatur war leicht erniedrigt (38°). Das Tier erhielt nunmehr einen Zusatz von 5 g Traubenzucker zur Nah- rung, gleichzeitig wurde die Menge Versuchstag: des Fettsäure - Glyceringemisches an Teenie T Tr von 5g auf 2,5g erniedrigt. Das _ zyolx A| |2 | Tier ging bald unter Erscheinungen 30 Ss I allgemeiner Schwäche, unter Ab- Se SS fall der Körpertemperatur, zu- S 270 EN | grunde. Die Zufuhr von Hefe hatte 2% & Im keinen Einfluß (Abb. 1). & = SS | | 4 Taube Nr. 87 (Abb. 2) erhielt #2” l während 30 Tagen die obenerwähn- % = te Nahrung. Sie verlor insgesamt 38 100 g an Körpergewicht. Charak- teristische Erscheinungen der ali- Abb. 2. mentären Dystrophie waren nicht vorhanden. Es trat vom 27. Versuchs- tage an Mattigkeit auf, die Körpertemperatur blieb annähernd normal. 2. Versuche mit Casein, Mineralstoffgemisch und Kohlenhydraten. Taube Nr. I0I (Abb. 3 u. 4) zeigte schon nach 14 Tagen die charakteristischen Erschei- nungen der alimentären Dystrophie. Taube Nr. 99 wies am 10. Versuchstage schwere Krämpfe auf (Abb. 5 u. 6, S. 108). Diese Beob- achtung ist besonders interessant, weil hun- gernde Tauben, die ebenso lange in Beobachtung waren, niemals Krampferscheinungen bekamen. Taube Nr. 98 (Abb. 7, S. 108) zeigte am 16. Versuchstage schwere Paresen der Beine. Abb. 4. Versuchstag: 420- 2 4 08 70.12.16, 2 | 470 SQ N 400 N 390 .N380 S 370 DS Temp 360 42° 350 47° 340 Y25 St ES SS 390 SS ee 38° Iso N 372: I + S | 35 IS; — 108 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Das Tier war nicht imstande sich aufzurichten. Taube Nr. 61 (Abb. 8 u. 9) zeigte am 23. Versuchstage ausgesprochene Krampferscheinungen. Versuchstag: a RP RRRERNEND 370 „360 I 350 3340 IS 2330 ‚Q320 S 5,70 300 290 400 x 39° S.38° 837° Shoe 35° Abb. 5 Abb. 6. Versuchstag. 30 246 EMRUEWR. RS 380 Ann —- u ] len. 78.20.22. 24 26.28. 30.32._34.36.38. 40.42.44 3.360 | 370 2HEBEMIETI TI X350 I Saooı | H S 340 N 3350 st& S 9339 A N RULES Im) N as] 470 S SIT —— n x SI IIERN IS 40° N zo O8 SSL SIR Q N ISIS SURESSS S 39° S- N y70 \S SID SR n N NER le Ne S NZ SE S| I 3go Q ASS SS S 36° RS iS N N 380 35° 05 St ‚8370 yöN || 36°L Abb. 7. Abb. 8. Abb. 9. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkune. XXI. 109 Nur bei wenigen der Versuchstiere blieben eigentliche Krampf- erscheinungen aus. In jedem einzelnen dieser Fälle ließ sich ein aus- gesprochener Abfall der Körpertemperatur feststellen. Diesem Zu- stande folgte dann nach 2—3 Tagen der Tod, ohne daß es zu Krämpfen oder Lähmungen gekommen wäre. 3. Versuche mit ausschließlicher Verfütterung von Fettsäuren und Glycerin. Taube Nr. 110 (Abb. 10) ging am 13. Versuchstage ein. Ein weiteres Versuchstier, Taube Nr. 111 (Abb. 11), starb am 18. Versuchstage. Versuchstag: 2 Zt eu nm mw. 2 310 — Versuchstag: S300 ern Ir= DE S 290 | 22% $ 200 5 \—| S 260 S 20 le 9250 260 —- N 240 250 230 PL) . Temp. 220 41° 230 | 40° 210 40° 220 39° 200 39° 210 rs 38° 190 38° 200 S Sn 37° 80 8! ZT Sales een! 36° 36° Se un 35° 35° = 340 34° Abb. 10. Abb. Beide Tiere zeigten allgemeine Körperschwäche. Hungertier, zeigten jedoch keine charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie. Taube Nr. 111 zeigte einen raschen Abfall der Körpertem- peratur, im übrigen aber verhielt sich das Tier so, wie ein Hungertier kurz vor dem Tode. 4. Versuche mit Kohlenhydraten. Taube Nr. 108 zeigte am 17. Versuchs- tage, nachdem sie täglich 15g Rohrzucker erhalten hatte, herabgesetzte Körpertempera- tur. Das Tier war sehr matt. Es saß am Abend dieses Tages und am folgenden Tage mit aufgeblähtem Gefieder da. Am 18. Ver- suchstage zeigte sich eine vollständige Parese der unteren Extremitäten (Abb. 12). 1lılz Sie glichen einem Versuchstag: 2468 M 0. M. BD_I. IL — ITZUCKEI T Koh, 29 Abb. 12. Taube Nr. 109 blieb bis zum 14. Versuchstage munter. An diesem Tage zeigten sich schwere Krämpfe. Die Beine zeigten ausgesprochene 110 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Paresen. Wir haben bei diesem Tier die Gewebsatmung festgestellt und den Einfluß von Hefeautolysat auf dieselbe geprüft. Die Ge- websatmung war herabgesetzt und wurde durch Zusatz von Hefe- autolysat gesteigert (Abb. 13). Versuchstag: N SER S NS oa IS} ‚9 Horpergewicht N QO Temp 230 —— 41° 220 40° 270 2.4 6 8 _Mm_R. Th. loolt Versuchstag: 2.4 6 8 %. 2. MW. %. 18. 20. 22. 24. S Versuchstag: TEE 39° 200 }ı4— 38° P——— Br AS S 36° SEA as an 8 ES, 302 RI 340 em Abb. 13. Abb. 14. Abb. 15. 5. Versuche mit Reistauben. 1. Tauben, die 3 Wochen lang ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährt worden sind, erhalten Fettsäuren-Glyceringemisch. Taube Nr. 106 & Versuchstag: 3 re el N320 S 3,370 = o DR x 41 SS 40° SS FÜR N o N S T38 R N o RS 37 ol ei 38° [SS IS 35° = stirbt nach 24 Tagen (Abb. 14) und Taube Nr. 116 (Abb. 15) nach 11 Tagen. Mit Ausnahme einer leichten Unsicherheit beim Gehen bei beiden Tauben zeigten sich keine charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie. 2. 21 Tage ausschließlich mit geschliffenem Reis ernährte Tauben erhalten Rohrzucker. Taube Nr. 115 zeigte am 6. Versuchstage (Abb. 16 und 17) schwere Krampferscheinungen mit Abfall der Körpertemperatur. Abb. 17. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXT. 13] Taube Nr. 105 (Abb. 18) erkrankt am 12. Versuchstage schwer. Es zeigen sich Paresen der Beine. Die Körpertemperatur fällt. Einen gleichen Ver- lauf nahm der Versuch bei Taube Nr. 104 (Abb. 19). Es zeigten sich am 10. Versuchstage ebenfalls schwere Paresen der . . . . . . Versuchstag: Beine, sie waren jedoch zu einer Zeit vorhanden, in £ 2 #6 EMI M x 240 der die Körpertemperatur noch nicht abgefallen war. ® 5 N 3. Tauben, die 21 Tage ausschließlich geschlif- S fenen Reis erhalten hatten, erhalten 15 g geschliffenen Reis pro Tag. Die Versuchstiere gingen nach 7, S und 13 Tagen zugrunde. Alle 3 Tiere zeigten fallende Körpertemperatur, gestörte Atmung, je- Abb. 18. doch keine Krampferscheinungen und Lähmungen. Ich möchte auf ‘diese letztere Gruppe von Versuchen keinen so großen Wert legen, weil infolge der vorhergehenden Periode mit aus- schließlicher Verabreichung von geschliffenem Reis ohne Zweifel die ganze Verdauung der Tiere gestört war. Der Kropf entleerte sich nur schwer, einzelne Tiere mußten ausgeschaltet werden, weil der gefüllte Kropf ein Hindernis für die Atem- Versuchstag: 2. %T6 8 WIR, ' 320 wege darstellte. S 31 "s . . . D ‚Q Überblicken wir die gesamten Versuche, die 8” I 1387 8 SI natürlich nach verschiedenen Richtungen fortge- v0. setzt werden, dann ergibt sich, daß der Gehalt der ° Nahrung an Kohlenhydraten ganz besonders zum Ausbruch der schweren charakteristischen Erschei- nungen der alimentären Dystrophie disponiert. Bei Verabreichung von Fettsäuren kommt es viel sel- 0 tener zu Krampfzuständen, zu Lähmungen und zu 3° den sonstigen Erscheinungen der alimentären Dy- strophie. Hier sei noch Versuchen der folgenden Art gedacht. Wir sprizten nor- mal ernährten Tauben und solchen, die längere Zeit hindurch nur geschlif- fenen Reis erhalten hatten, verschiedene Kohlenhydrate (Glukose, Fruktose, Galaktose, Maltose, Laktose, Saccharose) in 10% iger Lösung (1—2 g) intramuskulär ein und verfolgten das Verhalten der Körper- temperatur und das Benehmen der Tiere. Es ließen sich keine charak- teristischen Unterschiede in den Erscheinungen bei den Normaltauben und den Reistauben feststellen. Nur zuweilen wurden bei Reistauben Krämpfe ausgelöst. Hin und wieder starb auch ein Tier. Im großen und ganzen vertrugen jedoch die Reistauben die Injektionen von Kohlenhy- draten ebenso gut, wie die normal ernährten Tiere. Bei allen Tauben fiel die Körpertemperatur ab, um dann allmählich zur Norm zurückzukehren. Wir möchten zunächst folgendes hervorheben: Tauben, die im Zu- stande der alimentären Dystrophie zugrundegehen, enthalten in ihrer Temperatur SS NS 159 Desch!. Aeıs, $g Kohrzucker Abb. 19, > E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Leber, wie wir wiederholt feststellen konnten, kein Glykogen, wenn nicht in der Nahrung viel Kohlenhydrate zugeführt worden sind. Diese Feststellung bewog uns der Frage nachzugehen, ob sich Ver- änderungen in der Fermentwirkung in Organen von an alimentärer Dystrophie leidenden Tauben feststellen lassen. Es ist zunächst der Fermentapparat der Leber einer Prüfung unterzogen worden. Die Versuche kamen an Gänsen zur Ausführung. Leider fehlt noch das Vergleichsmaterial an normalen Tieren. Es wird im Herbst möglich sein, ohne besondere Kosten zu den entsprechenden Organen von nor- malen Tieren zu gelangen. Es ist schon von Funk die Vermutung ausgesprochen worden, dab jene unbekannten Nahrungsstoffe mit spezifischer Wirkung, deren Einfluß hier in Frage kommt, in irgendeinem Zusammenhange mit dem Kohlenhydratstoffwechsel stehen könnten. Aus den oben mit- geteilten Beobachtungen scheint mir hervorzugehen, daß die alimen- täre Dystrophie nicht nur abhängig ist vom Mangel an noch unbekannten Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung, vielmehr spielt die Art der Nahrungsstoffe eine wichtige Rolle. Es ist eine ganz eigenartige Erscheinung, dab Stoffe, die offenbar nur von Pflanzen gebildet werden können — die Behauptung, wonach die Pflanzenwelt ihrerseits jene Stoffe von Bodenbakterien übernehmen, ist noch nicht eindeutig bewiesen —, in so tiefgehender Weise in den Stoff- wechsel von Zellen des tierischen Organismus eingreifen. Gewiß liegt kein Sonderfall vor. Was so außerordentlich auffällt ist, daß jene Stoffe in so gringer Menge wirksam sind. Wir kennen zahlreiche Produkte bekannter Zusammensetzung, die im tierischen Organismus ganz be- stimmte Aufgaben erfüllen. Zum Teil liegen sicher Stoffe vor, die die tierische Zelle nicht selbst bereiten kann. Es sei an die bekannte spe- zifische Wirkung bestimmter Aminosäuren, wie Tryptophan, Cystin, Lysin, Arginin usw. erinnert. Alle diese Produkte kommen als Bau- steine der Eiweißstoffe in der Zelle in Betracht. Darüber hinaus ent- falten sie aber auch für sich bestinimte, unersetzbare Wirkungen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß jede einzelne Abbaustufe von organischen Nahrungsstoffen eine bestimmte Bedeutung im Zellgetriebs hat. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß der tierische Organismus Cholesterin nicht selbst aufbauen kann, vielmehr ist er auch in dieser Beziehung auf die Pflanzenwelt angewiesen. Diese Beispiele ließen sich leicht vermehren. Es spielt in gewissem Sinne der Stoffwechsel der Pflanzenzelle in denjenigen der Tierzelle hinüber. Der tierische Organismus ist in gewissem Sinne ein Eiweißwesen und die Pflanze ein Kohlenhydratwesen. Die Pflanze verwendet die Kohlenhydrate in der mannigfaltigsten Weise zum Aufbau der ver- schiedenartigsten Verbindungen. Überall schiebt sie Zuckermoleküle von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXI. 113 ein. Die Zahl der sog. Glucoside ist außerordentlich groß. Wir finden überall mit wenig Ausnahmen da, wo zusammengesetzte Kohlenhydrate bzw. Glucoside auftreten, die zugehörigen Fermente, die imstande sind, das betreffende Molekül in seine Bausteine zu zerlegen. Jede Pflanzen- zelle enthält auch Eiweiß, Fettstoffe usw., jedoch treten diese Stoffe im allgemeinen quantitativ stark gegenüber den Kohlenhydratsub- stanzen zurück. Nur in Samen treffen wir auf größere Ansammlungen von Eiweiß, Fett usw. Im tierischen Organismus herrschen die Ei- weißstoffe vor. Die Kohlenhydrate treten sehr stark zurück. Wir treffen in der Hauptsache auf Traubenzucker und auf seinen Reserve- stoff Glykogen. Wir kennen einige wenige Glucoside, d. h. Verbin- dungen, an deren Aufbau neben anderen Produkten Kohlenhydrate beteiligt sind. Die Fettstoffe treten nur insofern stark hervor, als sie in mehr oder weniger großem Umfange als Reserven usw. zur Ab- lagerung kommen. Man gewinnt den Eindruck, daß in der Tierzelle die Umsetzungen der Eiweißstoffe und ihrer Bausteine von ganz be- sonderer Bedeutung sind. Es soll damit nicht gesagt sein, daß nicht auch in der Pflanzenzelle aus Aminosäuren Stoffe hervorgehen können, die spezifische Wirkungen entfalten und für die Pflanzenzelle unent- behrlich sind. In der Pflanzenzelle greifen überall die Kohlenhydrate mit ihren Abbaustufen ein. Sie sind der Ausgangspunkt mannigfal- tigster Synthesen. Man könnte von diesen Gesichtspunkten aus zu folgender Vorstellung über die Bedeutung der von uns hier unter- suchten unbekannten Nahrungsstoffe kommen: Für den Eiweiß- und Fettstoffwechsel verfügt die tierische Zelle über alle jene Stoffe, die notwendig sind, um diese Produkte auf- und abzubauen. Sie bereitet sich alle notwendigen Bedingungen für diese Vorgänge selbst. Beim Kohlenhydratstoffwechsel liegen die Verhältnisse vielleiht anders. Es könnte sein, daß die tierische Zelle in bestimmten Phasen des Kohlen- hydratumsatzes auf Stoffe angewiesen ist, die der Pflanzenwelt ent- stammen. Der so überaus entwickelte Kohlenhydratstoffwechsel der Pflanzenzelle liefert vielleicht den tierischen Organismus nicht nur die Kohlenhydrate und alle ihre Abkömmlinge als Bau- und Energie- material, sondern darüber hinaus Stoffe, die zur Umsetzung der ver- schiedenen Abbaustufen der Kohlenhydrate unentbehrlien sind. Ge- gen diese Vorstellung kann man einwenden, daß der Kohlenhydrat- stoffwechsel im tierischen Organismus in einfachen Bahnen zu ver- laufen scheint. Ich betone das Wort „scheint“, weil doch mancherlei Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Verhältnisse viel kom- plizierter liegen, als im allgemeinen angenommen wird. Zunächst ist von großer Bedeutung, daß für den Kohlenhydratab- und -aufbau in der tierischen Zelle die Verhältnisse außerordentlich ähnlich liegen, wie beim entsprechenden Stoffwechsel der Hefezellen und damit sicherlich Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 8 114 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis vieler anderer Zellarten. Wir wissen, daß die tierische Zelle von einfachen organischen Verbindungen aus mannigfaltige Synthesen voll- ziehen kann. Im ‚Dreikohlenstoffsystem“ fließen der Stoffwechsel der Bausteine der Eiweißstoffe, der Fett- und Kohlenhydrate zusammen. Vielleicht ist das ‚‚Zweikohlenstoffsystem‘“ ebenso bedeutungsvoll. Wir nehmen mit der Pflanzennahrung nicht nur mannigfaltige Nahrungsstoffe auf, sondern auch eine große Anzahl von Fermenten. Es ist wiederholt auf die Bedeutung der Zellfermente hingewiesen worden, ohne daß es jedoch bis heute gelungen wäre, ihre Rolle für die Verdauung und für den Zelltoffwechsel im tierischen Organismus zu ergründen. Was wird aus den zahlreichen Fermenten der Nahrung, falls sie nicht durch Kochen oder andere Maßnahmen zuvor vernichtet worden sind? Es herrschen hier noch sehr große Lücken. Wir nehmen beständig mit der Pflanzennahrung Pentosen enthal- tende Nahrungsstoffe auf, und ferner mannigfaltige Glucoside, auf die unser Organismus auch im Fermentapparat der Verdauungssekrete nicht eingestellt ist. Ja, es ist sogar fraglich, ob in den Verdauungs- drüsen Saccharase primär bereitet wird. Viele tierische Organismen nehmen mit ihrer Nahrung nie Rohrzucker auf. Es wäre somit für jenes Ferment keine Verwendung vorhanden. Bei den reinen Pflanzen- fressern und ferner bei den Omnivoren kommt es ab und zu zur Auf- nahme des genannten Disaccharides. Alle tierischen Organismen, die die Nahrung im natürlichen Zustande aufnehmen, empfangen mit den zusammengesetzten organischen Nahrungsstoffen auch die zugehörigen Fermente und ferner alle zur Entfaltung der Fermentwirkung notwen- digen Beistoffe (Aktivatoren, Koferment usw.). Es sind alle Bedin- gungen gegeben, jene Nahrungsstoffe im Darmkanal bis zu den indif- ferenten Bausteinen zum Abbau zu bringen. Vielleicht stehen auch die Fermente der tierischen Zellen in mehr oder weniger direkter Be- ziehung zu den entsprechenden Fermenten der Pflanzenwelt. Leider wissen wir über die Herkunft der Fermente und ihr Baumaterial nichts, weil ihre Natur noch nicht ergründet ist. Es wird die Aufgabe weiterer Forschungen sein, durch anders an- gelegte Versuche zu prüfen, ob in der Tat der Mangel an jenen un- bekannten Nahrungsstoffen in der Nahrung sich nur dann geltend macht, wenn die Zellen größere Mengen von Kohlenhydraten umzu- wandeln haben. Es gilt vor allem, zu prüfen, ob nicht durch die Zu- fuhr von Kohlenhydraten der Zellstoffwechsel eine Steigerung erfährt, wobei dann Zellen mit einem auf ein Minimum eingestellten Nutramin- zusatz versagen. Die Kohlenhydrate würden dann nur indirekt wirksam sein. Wir sind dabei, zu prüfen, ob Eiweißstoffe und ihre Abkömmlinge, die bekanntlich im Sinne einer Steigerung des Zellstoffwechsels wirksam sein können, im gleichen Sinne wirken, wie die Kohlenhydrate. Die von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXI. 115 bis jetzt vorliegenden Erfahrungen sprechen nicht in diesem Sinne. Neben Fütterungsversuchen mit Fleisch sind Versuche im Gange, Tauben mit reinem Eiweiß allein bzw. mit geschliffenem Reis und Ei- weiß zu ernähren. Die in dieser Weise ernährten Tauben befinden sich zurzeit noch wohl, es soll über diese Versuche im Zusammenhang be- richtet werden. Wir möchten einstweilen aus den vorliegenden Untersuchungen als wesentlichstes Resultat hervorheben, daß das Zustandekommen der charakteristischen Erscheinungen der alimentären Dystrophie nicht nur durch den Mangel an bestimmten, noch unbekannten Stoffen in der Nah- rung bedingt ist, vielmehr kommt noch ein weiteres Moment hinzu. Es scheint, daß insbesondere der Umsatz größerer Kohlenhydratmengen oder aber ihr Vorwiegen gegenüber anderen organischen Nahrungsstoffen die bekannten Störungen verursacht. Die Kohlenhydrate als solche scheinen an und für sich nicht ohne weiteres maßgebend zu sein, vielmehr gewinnt man den Eindruck, als ob bestimmte Beziehungen zwischen Abbaustufen aus verschiedenen Nahrungsstoffen eine Störung erfahren. Hier müssen wei- tere Versuche einsetzen, um tiefer in das Wesen der Bedeutung von noch unbekannten Nahrungsstoffen für bestimmte Phasen des Zellstoffwe-h- sels eindringen zu können. Es ist verlockend, von diesen Gesichtspunkten aus die sog. Nähr- schäden, die bei der einseitigen Ernährung von Säuglingen und Kindern mit bestimmten Nahrungsgemischen zur Beobachtung gekommen sind, zu betrachten. Ferner drängt sich der Gedanke auf, ob nicht der Diabetes melitus mit all seinen Folgeerscheinungen bis zum Koma eine endogen bedingte alimentäre Dystrophie darstellt. Es finden sich ohne Zweifel manche Analogien mit den Erscheinungen, die im Gefolge der einseitigen Ernährung mit bestimmten Nahrungsmitteln zu beobachten sind. Es lohnt sich gewiß, die ganze Symptomatologie des Diabetes von den erwähnten Gesichtspunkten aus zu verfolgen. Auf der einen Seite besteht die Gefahr der Hervorrufung einer exogen bedingten alimentären Dystrophie, indem die Diät so gehalten wird, daß wichtige Nahrungsstoffe in ihr fehlen. Auf der anderen Seite ist ohne Zweifel die endogene Ernährung der Zellen durch die vorhandene Störung im Kohlenhydrat- und damit im Gesamtstoffwechsel gestört. Schließlich ergeben sich aus den ganzen Beobachtungen über den Einfluß be- stimmter, bekannter Nahrungsstoffe auf das Zustandekommen des ganzen Symptomenkomplexes der alimentärer Dystrophie einen Ein- blick in das so wichtige Problem der isodynamen Vertresung der or- ganischen Nahrungsstoffe. Frl. Jahn und Frl. Obermeier, die mich bei der Durchführung dieser Versuche unterstützten, sei auch an dieser Stelle gedankt. g*+ 116 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Versuchsprotokolle. Taube Nr. 86. za Körpergewichts- | Nahrung Zusatz | der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme |, nahme i Y N g g 5 g Casein —_ | 64 | — | 141 | Das Tier ist munter i : ner | | 61. Versuchstag: g a | Das Tier ist matt, sitzt nicht + Glycerin mehr auf der Stange. Temperatur: 38,0°. 5 g Casein N — 65. Versuchstag: 5 g Traubenzucker | Das Tier ist sehr matt; 5 g Mineralstoffe | 1b liegt es sterbend im 2,5 g Fettsäuren Käfig. 0,5 g Hefe per os. + Glycerin Taube Nr. 87. Temperatur 9h: 39,0°; Ih: 36,2°. 66. Versuchstag: Das Tier liest früh tot im Käfig. 5 g Casein — 30 100 Das Tier ist munter. 5 g Mineralstoffe | 27. Versuchstag: 5 g Fettsäuren | Das Tier ist matt und bricht + Glycerin beim Messen der Tempe- ratur. 28. Versuchstag: 31. Versuchstag: Das Tier ist matt. Das Tier liegt morgens tot 29. Versuchstag: im Käfig. Das Tier ist sehr matt; sträubt sich beim Füttern und bricht. Taube Nr. 101. 5 g Casein u 37 | Das Tier ist munter, 10 g Rohrzucker Temperatur normal. 5 g Salze | | 14. Versuchstag: Das Tier sitzt mit stark aufgeblähtem Gefieder im Käfig. Temperatur 9%: 37,2°; Ilh: 37,2° Das Tier zeigt leichte Krampferscheinungen. Temperatur 12h: 35,6°; Ih; 34,1°. Das Tier hat Krämpfe; es erhält 2,5 g Fettsäuren. Temperatur: 3b: 34,5° 4h: 35,0° 6h: 35,0° 7b: 35,3° Die Krämpfe dauern an; das Tier erhält nochmals 2,5 g Fettsäuren und da es sehr elend ist, 7" 20’ 0,5 g Hefe per os. 15. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXL 117 Taube Nr. 99. en Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 10 g Rohrzucker _ 10 — 80| Nach den ersten Tagen wird 5 g Casein das Tier schon matt und 5 g Salze läßtsich schlecht füttern. Die Temperatur sinkt etwas, Temperatur: 12h: 34,0° das Gewicht fällt stark. 12h 30’: 34,6° 9. Versuchstag: nochmals 2,5 g Fettsäure- Temperatur: 38,5°. gemisch. 10. Veuchstag: Temperatur: 1430’: 34,0° Das Tier hat morgens Da die Krämpfe noch an- Krämpfe, die den ganzen dauern, erhält das Tier Tag anhalten. 0,5 g Hefe. Temperatur: 9%: 35,0° 11. Versuchstag: 11h: 34,0° Das Tier liegt morgens tot Das Tier erhält 2,5 g Fett- im Käfig. säuren. Taube Nr. 98. 5 g Casein — | 16 | ga 3l | 16. Versuchstag: 10 g Rohrzucker DasTier fällt b. Laufenvorn- 5 g Salze | | | über, kann sich nur schwer auf den Beinen halten. Temperatur: 9b: 39,2° Es erhält 2,5 g Fettsäu- 5h: 36,0° ren + Glycerin. Um 7h 6h: 36,0° kann es sich gar nicht 01231625 mehr aufrechthalten, liegt 17. Versuchstag: im Käfig. Nochmals 2,5 g Das Tier liegt morgens tot Fettsäuren + Glycerin. im Käfig. Taube Nr. 61. 10 g Zucker _ 25 — 10, Das Tier ist munter. 5 g Casein 23. Versuchstag: 5 g Mineralstoffe Das Tier hat Krämpfe; 0,5 g Hefe | 19 — 2 0,5 g Hefe per os. Temperatur: 9h: 36,4°: 1lh: 36,8°%; 4b; 36,2°; 7a: 37,5°. Die Krämpfe haben aufgehört. 24. Versuchstag: DasTier ist matt und zittert; 0,5 g Hefe per os. 36. Versuchstag: Das Tier ist matt. 37. Versuchstag: Das Tier taumelt stark. 0,5 g Hefe per os. Temperatur : 9h: 38,8° 7: 36,0°.7h 30°. Das Tier liest regungslos im Käfig, zeigt beim Berühren Krampferscheinungen. 1 ccm Hefeautolysat intramuskulär. 39. Versuchstag: Das Tier ist noch etwas matt und taumelt. Es er- holt sich auch die näch- sten Tage nicht ganz. 45. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. 118 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 110. Körpergewichts- Zahl BEER Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 7,5 g Fettsäuren = 13 86 Das Tier ist munter. + Glycerin 13. Versuchstag: Das Tier sitzt matt in einer Ecke des Käfigs und kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Es hat stark geschwollene und verklebte Augenlider. Temperatur: 34,0°. Um 1h ist das Tier tot. Taube Nr. 111. 7,5 g Fettsäuren | + Glycerin 17. Versuchstag: Das Tier ist matt und tau- melt. Temperatur: 10": 35,0°;1%:35,8°;7h:28,5°; es erhält 0,5 g Hefe per os. ee | 115 | Das Tier ist munter. 18. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. Taube Nr. 108. 15 g Rohrzucker | — |18 17. Versuchstag: Das Tier ist matt. Temperatur: 37,5°. 18. Versuchstag: Das Tier sitzt sehr matt mit | -131 | Das Tier ist munter. aufgeblähtem Gefieder in einer Ecke des Käfigs. Temperatur 10h: 35,5°. 11h: Das Tier ist gelähmt. 12h ist das Tier tot. Taube Nr. 109. 15 g Rohrzucker | Pe 14. Versuchstag: Das Tier ist gelähmt, liegt matt im Käfig. Seit 20" zeitweise heftigeKrämpfe. Das Tier schlägt mit den — 60 | Das Tier ist munter bis zum Flügeln heftig um sich, fällt danach immer .er- mattet um. Temperatur: 33,2°. 3b ist das Tier moribund. Taube Nr. 109. Sauerstoffverbrauch des Gewebes bestimmt mittels Barcroft-Manometer. | Dauer O,-Verbrauch Atmende Substanz | Zusatz des Temperatur| pro 8 und Std. Versuchs in ccm 0,5 g Brustmuskel | 1,2 cem Ringerlösung | 30 Min. 22° 145 0,5 g Brustmuskel | 1,0 cem Ringerlösung | 30 Min. 22° 150 0,2 ccm Hefeautolysat 0,5 g Lebersubstanz | 1,2 ccm Ringerlösung | 30 Min. 22° 222 0,5 g Lebersubstanz | 1,0 com Ringerlösung | 30 Min 22% 273 0,2 ccm Hefeautolysat 1,0 g Gehirn 12 cem Ringerlösung | 30 Min. 22° 91 1,0 g Gehirn 1,0 com Ringerlösung | 30 Min. 22° 152 0,2 ccm Hefeautolysat von orgamischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXI. 119 Taube Nr. 106. ei Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme SE RE 4a,00geschl. Rei, | . — 2 ar el) — Seit 28. VI. bis 17. VII. ge- 2,5 g Fettsäuren | schl. Reis. + Glycerin | | Seit 17. VII. 1922715 8 | | geschl. Reis + 2,5g Fett- | | | säuren + Glycerin. Das Tier ist munter. 11. Versuchstag: 23. Versuchstag: Das Tier ist etwas matt und Das Tier ist matt; der taumelt. Kropf ist stark gefüllt. Temperatur: 40,5°. Temperatur: 39,8°. 16. Versuchstag: 24. Versuchstag: Das Tier hat sich wieder er- Der Kropf wird immer holt und ist munter. dicker. Temp.: 40,6°. Temperatur: 41,0°. 5h Das Tier ist tot. Taube Nr. 116. 15 g geschl. Reis — | 11 | —]5| Vom 15. VII. bis 28. VII. 2,5 g Fettsäuren | | geschl. Reis. 48 Std. auf + Glycerin | | 140° erwärmt. | | Seit 28. VII. 15 g geschl. | | | Reis, 2,5 g Fettsäuren + | | Glycerin. 7. Versuchstag: möglich ist, das Tier mit Das Tier ist unsicher auf Reis zu füttern; es be- den Beinen. kommt nur 2,5 g Fett- Temperatur: 39,2°. säuren + Glycerin. Bu Versuchstag: Temperatur: 39,0°. Der Kropf ist etwas dick. 11. Versuchstag: 9. Versuchstag: Temperatur 10h: 38,2°. Der Kropf ist so dick und Das Tier ist sehr matt. fest gefüllt, daß es un- 12h Das Tier ist tot. Taube Nr. 115. 15 & geschl. Reis ZU, I— 16| Vom 15. VII. bis 28. VII. 5 g Rohrzucker | | | geschl. Reis 48 Std. auf 140° erwärmt. Seit 28. VII. u: 35,8° 15 g geschl. Reis, 5 g Schwere Krämpfe; es erhält Rohrzucker. 1 g Hefe per os. 6. Versuchstag: 7. Versuchstag: Das Tier ist matt, kann Die Krämpfe dauern noch sich nur schwer auf den an. Das Tier hat Atemnot. Beinen halten. 1 ccm Hefeautolysat intra- Temperatur 10h: 37,3° muskulär. 1030’ DasTier hat Krämpfe Temperatur 9h: 35,1° Temperatur 3h: 36,3°. 11h Das Tier ist tot. 120 E.Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. Taube Nr. 105. Bemerkungen Körpergewichts- Zahl — Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Tage nahme | nahme g g 15 g geschl. Reis u 13 —24 5 g Rohrzucker 12. Versuchstag: 14. Das Tier kann sich nur schwer auf den Beinen halten. Temperatur 10h: 37,9°; 74; 36,0°. 1 geschl. Reis 38 5 g Rohrzucker 10. Versuchstag: | eat | | Vom 28. VI. bis 17. VII. geschl. Reis. Seit 17. VII. 15 g geschl. Reis + 5 g Rohrzucker. Das Tier ist munter. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. Taube Nr. 104. 10 Das Tier liegt im Käfig, es kann sich nicht auf den Beinen halten, muß sich beim Laufen auf die Flü- gel stützen. Temperatur 10h: 40,3°. 7% Das Tier ist vollkom- men gelähmt. — 13 Vom 28. VI. bis 17. VI. geschl. Reis. Seit 17. VIL 15 g geschl. Reis + 5 g Rohrzucker. Das Tier ist während der ersten Tage ganz munter. Temperatur: 27°. Es erhält 0,5 g Hefe per OS. 11. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. d. S.) Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. XXII. Mitteilung. Fütterung von Tauben mit Fleisch ohne und mit Zusätzen. Von Emil Abderhalden. Ausgeführt mit Mitteln der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. August 1922.) Es schien uns aus verschiedenen Gründen von großem Interesse, den Einfluß eines Nahrungsmittels auf das Befinden von Tauben zu studieren, das normalerweise von dieser Tierart nie aufgenommen wird. Wir dachten an die Möglichkeit, daß sich Störungen bestimmter Art herausbilden könnten, wenn als ausschließliches Nahrungsmittel Fleisch verabreicht wird. A priori ist anzunehmen, daß jede Tierart auf bestimmte Nahrungsmittel mit allen in ihnen enthaltenen Stoffen eingestellt ist, und sich vielleicht von diesem Gesichtspunkt aus die Erscheinungen der alimentären Dystrophie erklären lassen, und vor allen Dingen die Beobachtung eine Aufklärung findet, wonach ein und dasselbe Nahrungsmittel für die eine Tierart auf lange Zeit hinaus vollwertig ist oder vielleicht, vorsichtiger ausgedrückt, vollwertig zu sein scheint, wäh- rend eine andere Tierart schwere Erscheinungen bei ausschließlicher Aufnahme des gleichen Nahrungsmittels zeigt. Wir wissen ferner, daß die alimentäre Dystrophie sich bei den verschiedenen Tierarten ver- schieden äußern kann. Es wäre wohl möglich, daß die Mengenverhält- nisse, in denen die einzelnen anorganischen und namentlich organischen Nahrungsstoffe in der Nahrung gewohnheitsgemäß zugeführt werden, einen Einfluß auf den Ablauf des Zellstoffwechsels haben könnten. Es könnte eine Anpassung vorliegen. Wir wissen zwar, daß die mannig- faltig zusammengesetzten Nahrungsstoffe im Darmkanal in ihre in- differenten Bausteine zerlegt werden, es ist jedoch ganz gut möglich, daß in viel größerem Ausmaße, als wir das jetzt wissen, den Zellen 122 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Stoffe zugeführt werden, die in kleinsten Mengen für bestimmte Funk- tionen unentbehrlich sind. Wenn auch in den grundlegenden Vor- gängen offenbar in allen Zellarten gleiche Wege beschritten werden, ist es doch möglich, daß in Einzelheiten, je nach der Tierart, Besonder- heiten vorliegen. Die Zelle vollzieht die mannigfaltigsten Umwand- lungen und auch Synthesen. Vielleicht sind gerade für die letzteren bestimmte Stoffe als auslösende Momente und als Katalysatoren un- entbehrlich. Unsere Versuche mit Verfütterung von Fleisch haben nicht das vorausgesetzte Ergebnis gehabt. Es zeigte sich, daß Tauben mit Pferde- bzw. Rindfleisch monatelang ernährt werden können, sofern es gelingt, eine genügende Menge davon zuzuführen. Die ersten Versuche schienen im Sinne einer schädlichen Wirkung der ausschließlichen Verabreichung von Fleisch zu sprechen. Es zeigt sich jedoch, daß die Tiere rasch an Fleischnahrung gewöhnt werden können. Man muß nur vermeiden, daß der Kropf zu stark angefüllt wird. Es muß das Fleisch am besten in feingehacktem Zustande in Form kleiner Kugeln in kleinen Portionen in größeren Zwischenpausen verabreicht werden. Es dauert gar nicht lange, dann nehmen die Tauben das Fleisch selbstständigauf, janach einer gewissen Zeit ziehen sie Fleisch der ihnen normalerweise zukommen- den Nahrung vor. Man kann sie jedoch das Futter nicht selbstständig fressen lassen, wenn es darauf ankommt, die Menge des aufgenommenen Fleisches genau zu bestimmen, weil die Tiere bei der Aufnahme des Futters viel davon verstreuen. Bei weiteren Versuchen stellten wir uns die Frage, welchen Einfluß der Zusatz von Kohlenhydraten bzw. eines Gemisches von Feitsduren (gleiche Teile Palmitin- und Stearinsäure) und Glycerin auf das Befin- den der Tiere hat. Wir studierten ferner in einer Reihe von Fällen den Einfluß von Hefe auf das Verhalten der Tiere. Aus der großen Zahl der ausgeführten Versuche seien einige als Beispiele angeführt und be- sprochen: Taube Nr. 83 erhielt 25 g Fleisch und 5 g Maltose. Am 12. Ver- suchstage wurde die Fleischmenge auf 30 g heraufgesetzt und am 17. Versuchstage auf 35 g. Das Körpergewicht war zunächst etwas gefallen, es hielt sich dann bis zum 22. Versuchstage auf ungefähr der gleichen Höhe, um dann anzusteigen. Am 36. Versuchstage wurde die Fleischmenge auf 30 g herabgesetzt. Am 46. Versuchstage erhielt das Tier 30 g Fleisch und 2,5 g Maltose. Das Körpergewicht sank all- mählich ab. Nunmehr wurde am 58. Versuchstage der Zusatz von Kohlenhydraten fortgelassen. Das Körpergewicht fiel sofort steil ab. Am 67. Versuchstage verringerten wir die Fleischmenge auf 25 g. Der Abfall des Körpergewichtes war beträchtlich. Als nun aber 20 g Fleisch plus 5 g Traubenzucker verabreicht wurden, stieg das Körpergewicht von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXII. 123 wieder an und hielt sich dann über eine lange Zeit hinaus auf gleicher Höhe. Am 128. Versuchstage wurde der Kohlenhydratzusatz fortgelassen. Nunmehr fiel das Körpergewicht sofort ab. Auch 25 g Fleisch ver- mochten den Körpergewichts- Termgerarur ‚g Hörpergewicht . . EIER IEN & ASIAN w je verlustnichtaufzuhalten. Die- 232333 SSBS BES S S . A 25 MIeisch Ir 259 Feisch I— —=S S ser Versuch zeigt sehr deutlich ee re ! N Ü S denaußerordentlichgünstigen | \ } N 2 ER | D N Einfluß des Zusatzes von IN .[s0g7each 31309 Pesch Deal na +59 Maltose | +5g Maltose i Kohlenhydrat auf das Ver- 35gFlesch | N _359 Aeisch AL 1 ö #59 Maltası NET +5g Maltose \ halten des Körpergewichtes. = el — S > .. (Abb. 1.) R | \ ES Taube Nr.82 (Abb. 1) zeigt } 2 L. x DH 1 Frog & ein ganz entsprechendes Ver- || 5 \ . . . 30g Meısch N 30g Fleisch N halten. Auch hier ergibt sich bay Malash | \7)7 #39 Mattse Eye deutlich der günstige Einfluß ae aan er ij S | | 14 3 des Zusatzes von Kohlenhy- N 30g/mmich | R__309 Meier San 2 5 ö 5 172,59 Maiigse\ < +2,59 Maltose S drat zu einer Fleischmenge, || Kal / & IR S die zur Erhaltung des Körper- N gewichtes nicht ausreicht. 309 Zee ja Fleisch — - L NS Wurden 5g Kohlenhydrat 7 % me: durch 2g Fettsäuregemisch an NL al esch e plus 0,5 g Glycerin ersetzt, or SS dann ergab sich der gleiche | bapaeieı| | .. . . ul [ günstige Einfluß. ee u A & 19 Fleisch S Der Versuch an Taube BEZ ZN \ 1 en > 5 \ 0g Fleisch Y_| 209 Meısch Nr. 51 (Abb.3) und an Taube ee dia I Nr. 69 (Abb. 2) verlief ebenso. Een: S . . Ä Wie schon erwähnt, haben 17.209 Aeisch ) . B . o RZ 59 Feitsäuren NER wir weiterhin den Einfluß von \|# Gbeerin 8 .” ES] Hefe auf den Ernährungszu- al I stand, gemessen am Verhalten 1% = 0 > N des Körpergewichtes und der Ki Sr Körpertemperatur und ferner 120g Aleisch ? 209 Aleisch IS I 30 Fleisch SS | 1 +2,59 Maltose > E f. "ZL [74 Mies snenke 69 N 3gNel| === 08 H Q F Ss de) { L = gr 2 Fisch | | - 1359 Traubenzucker N . Ir BA Ss | & 09 Fleisch RS ä 439 Raubenzw Ss nel Sn b> { & N IN B N “ 63 & : e120g fleisch N Hz 25,9 Fleis 259 Fleisch II = ID Ä 17] Tag Aohrzucker KT S > 59 Rohrzucker 0,59 Hefe r | 047 Ar . R ie KL > “A FA \ | Tl. 259 Heisch 209 Fleisch DER N +2,59 ferfsäu #59 Rohrzucker| . > zT Ss # +Olycerin 209 Fleisch; 4,59 Fe 11-209 Fleisch N 5 sduren + Glycerin J 59 Rohrzucker x ce | F < 1) | A Bi Fi IR Fr —— Q " > % S " I | r ? J >| |259 Heisch % 5 N ee Fertsaun 209 Fels eg EIS: ee m | [31 # Weenin+g5gNfgb u Feitsäurensülycern"\ \5g kohrzucker n | | " +0,59 Hefe $ +0,59 Hefe c f. \ Fe Gerst ib £ 1 S a 1209 Heisch = S | K| 259 Meisch a BAR wurde, wenn die Hefe aus der Nahrung fortblieb. Als Beleg seien die Versuche an Taube Nr. 72 (Abb. 2), an Taube Nr. 70 (Abb. 2) und ferner an Taube Nr. 73 (Abb. 3) angeführt. Der Versuch an Taube Nr. 78 (Abb. 3) zeigt besonders deutlich die Möglichkeit eines Ersatzes von Zucker durch das Fettsäure-Gly- von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXH. 125 Temp. Temp. Temp. g Körpergewicht RIEIEIEN BERR SUR & ES Sn Sn Sa S S S F | 259 Maltose AN Aal 25 Hleisch I ne & i 5g Rohrzucken \ \ Ro > Al \ 25 Ze _ So E Fe g Trauben- --%0gfleich 5 5 Ss = ann & ! Zucker N Y Is K=) I 1 r Bo) x S Na B < | N SEI : % r > & I] / = 259 Fleisch ST B SR e> z 5) 259 Hleisch 7 ; & & Left 39 Hohrzucker | ! Zucker \ Ä N 25g Fleie ’ X | Fl N c LUIS >| 25. here Nuler N ® Pen j Sr z Glycerin 209 Fleisch, 39 Rohr- f S fe ; & Zucker +0,59 Hefe S { | ER n a N u= 20g Fleisch } £ 259 Fleisch | ! an 59 fohrzucker ? =TT Sg fohrzucker |\ ZIG IEISE < 3 +2,59 a 2 i N % < Glycerint@sgHeft = S . 4 / 11 4 “ re a0 Aisch J 2 2 5g Fleis 2 I rare 7 | I E 2 NY u & Ri \ Heisch || 20geisch ZIDLE E S : } 7299 Fleiscı 2,59 Feifsäuren 2 + Glycerin < % > c <- 120g Fleisch 4 =T7 |25g Fleisch + a Bor S ceringemisch. 25 g Fleisch, die zur Erhaltung des Körpergewichtes nicht ausreichten, wurden durch Zusatz von 5g Rohrzucker so er- gänzt, daß das Körpergewicht anstieg und bei Zufuhr von 2,5 g Fett- säure-Glyceringemisch durch lange Zeit annähernd auf derselben Höhe blieb. 126 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Wurden die Versuchstiere lange Zeit hindurch an Hefe gewöhnt, d. h. erhielten sie mit dem Fleisch zugleich durch Wochen hindurch Hefe, dann hatte ihr Fortlassen aus der Nahrung fast stets, je- doch nicht restlos in allen Fällen, ein Herabgehen des Körper- gewichtes zur Folge. Der Abfall war nicht erheblich, jedoch aus- gesprochen. Aus unseren Versuchen geht hervor, daß es gelingt, Tauben mit Fleisch durch lange Zeit hindurch zu ernähren, ohne daß besondere Erscheinungen auftreten. Bei einem Körpergewicht von 400 g erwiesen sich 30—35 g frisches Fleisch als ausreichend. Der längste Versuch umfaßte 150 Tage. Die Versuchstiere zeigten keine besonderen Erschei- nungen. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß bei einer weiteren Ausdehnung der Versuche sich schließlich gewisse Störungen geltend machen. Erwähnt sei, daß in einem Falle das Versuchstier ganz plötz- lich einen außerordentlich starken Ausfall der Federn zeigte. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob diese Erscheinung mit der Art der Er- nährung im Zusammenhang steht. Besonders günstig erwies sich ein Zusatz von Kohlenhydraten bzw. ein Fettsäure-Glyceringemisch. Es konnte dann im allgemeinen bei einem Körpergewicht von etwa 400 g auf eine Menge von 25 g Fleisch herabgegangen werden. Bei Gelegenheit anderer Versuche spritzten wir Tauben, die mit Fleisch bzw. Fleisch und Maltose ernährt worden waren, Rinderplasma ein, und zwar intramuskulär. Die Tiere gingen nach kurzer Zeit zugrunde, während gleichzeitig gespritzte, normal ernährte Tauben nicht starben. Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit der Nahrungs- art. Die mit Fleisch gefütterten Tauben erhielten zum Teil Rindfleisch. Ob man die gemachten Beobachtungen als enteral herbeigeführten anaphylaktischen Schock deuten darf, bleibe dahingestellt. Vgl. hierzu die Protokolle der ana Tauben 81 und 71 ausgeführten Versuche. Bemerkenswert ist, daß Fleischtauben, die Monate lang nur Fleisch erhalten hatten, auffallend rasch zugrunde gingen, als ihnen Reis bzw. Casein und Salzgemisch bzw. Edestin und Salzgemisch verab- reicht wurde. Es hat den Anschein, als ob die Fleischtauben einer Umstellung auf eine andere Nahrungsart nicht rasch folgen können. Schließlich sei noch hervorgehoben, daß sich Tauben mit vollständig abgebautem Eiweiß ernähren lassen. Wir haben Tauben bis zu 2 Mo- naten mit vollständig abgebautem Fleisch plus Traubenzucker er- nährt. Störungen traten nur insofern auf, als einige Tiere Durchfälle bekamen. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXTII. 127 Taube Nr. 83. Körpergewichts- ya | Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 25 g Fleisch | 5 g Maltose 11 —15, Das Tier ist munter 30 g Fleisch | 5 g Maltose 5 — 1 35 g Fleisch | 5 g Maltose 19 | +12 30 g Fleisch | 5 g Maltose 10 + 4 30 g Fleisch | 2,5 g Maltose 12 —22| Das Tier ist munter 30 g Fleisch —— 9 — 30 25 g Fleisch — 9 | — 34 20 g Fleisch | 5g Traubenzucker | 11 + 8| Das Tier ist munter 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker | 0,5 g Hefe 30 — 7 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 11 — 1| Das Tier ist munter 20 g Fleisch _ 3 — 14 25 g Fleisch _ 5 —14| Das Tier ist munter Taube Nr. 82. 25 g Fleisch | 5 g Maltose 11 +16 30 g Fleisch | 5 g Maltose 51+3 35 g Fleisch | 5 g Maltose 19 | +20 30 g Fleisch | 5 g Maltose 10 — 5| Das Tier ist munter 30 g Fleisch | 2,5 g Maltose 12 — 4 30 g Fleisch — 9 —26 Das Tier ist munter 25 g Fleisch — | 14 — 33 20 g Fleisch | 5 g Traubenzucker 6 | +10 Das Tier ist munter 20 g Fleisch 5 g Rohrzucker 9|+15 20 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren + Glycerin 21 —15 20 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren + Glycerin, 1 +4 0,5 g Hefe 20 g Fleisch — 3 — 22 25 g Fleisch — 5 — 8| Das Tier ist munter Taube Nr. 51. 25 & Fleisch — Il — 33 30 g Fleisch — 5 —11 35 g Fleisch — 19 —26 | Das Tier ist munter 30 g Fleisch — 22 — 16 30 g Fleisch 5 g Rohrzucker I | +27 Das Tier ist munter 25 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 20 +10 25 g Fleisch | 5 g Rohrzucker, 0,5 g Hefe 30-46 25 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 1 +4 25 g Fleisch _ 8 —20, Das Tier ist munter Das Tier ist munter 128 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis Taube Nr. 69. Zanl OSTEN Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage | nahme | nahme g g 25 g Fleisch — 25 61 30 g Fleisch — 5 I +4 Das Tier ist munter 35 g Fleisch — 19 +4 30 g Fleisch == sl — 13 25 g Fleisch — 2) — 36 | Das Tier ist munter 20 g Fleisch | 5g Traubenzucker | 11 | +34 Das Tier ist munter 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker, 0,5 g Hefe 12 | +24 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 18 — 6 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker ; 0,5 g Hefe 1/+3 Das Tier ist munter 20 g Fleisch — 3 — 23 25 g Fleisch — 4 —11| Das Tier ist munter Taube Nr. 72. 25 g Fleisch | 5 g Maltose 25 |+0|— 0| Das Tier ist munter 30 g Fleisch | 5 g Maltose 5|/+3 35 g Fleisch | 5 g Maltose 19 | +11 Das Tier ist munter 30 g Fleisch | 5 g Maltose 10 | +3 136 Versuchstag: 30 g Fleisch | 2,5 g Maltose 21 Das Tier ist etwas matt 25 g Fleisch | 2,5 g Trauben- u. verliert die Federn. zucker 20 — 25 Die Temperatur ist 25 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 91 +8ı— 34 ständig normal. 25 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren 141. Versuchstag: + Glycerin 21 — 1| Das Tier ist matt, be- 25 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren kommt Gerste, die es + Glycerin, mit Gier frißt, nach- 0,5 g Hefe 10 — 21 dem es sie anfänglich Gerste n 8 | +30 verweigert hatte. Taube Nr. 70. 25 g Fleisch — 25 —119| Das Tier ist munter 30 g Fleisch — 5I+1 35 g Fleisch — 19 — 9| Das Tier ist munter 30 g Fleisen — 31 — 9 25 g Fleisch — 20 —26| Das Tier ist munter 25 g Fleisch | 0,5 g Hefe 9 — 27 147. Versuchsiag: 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 3|+25 Das Tier ist etwas matt. 20 g Fleisch 2,5 g Fettsäuren Temperatur: 39,8°. + Glycerin 18 + 4g 148. Versuchstag: 20 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren Das Tier sitzt matt mit + Glycerin, aufgeblähtem Gefie- 0,5 g Hefe 11 +2 der im Käfig. Tem- 20 g Fleisch | — 3 — 24 peratur: 38,4°. Um 3% 25 g Fleisch — 4 — 6 ist das Tier tot. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. XXII. 129 Taube Nr. 73. u Körpergewichts- Nahrung Zusatz der Zu- Ab- | Bemerkungen Tage | nahme | nahme | g 8 25 g Fleisch | 0,5 g Hefe 19 —103| 20. Versuchstag: 25 g Fleisch 0,5 g Hefe, 5 g | Das Tier ist matt, Maltose 6| +17 | Temp. 39,4° (Zusatz 30 g Fleisch | 0,5 g Hefe, 5 g von Maltose). Maltose 5 | +10 31. Versuchstag: 35 g Fleisch | 0,5 g Hefe 19 —24 Das Tier hat sich 30 g Fleisch | 0,5 g Hefe 21 — 3 erholtu. ist munter; 30 g Fleisch -— ıhl — 13 | Maltose wird weggelassen. 25 g Fleisch — 5 — 24 | Das Tier ist munter 25 g Fleisch | 0,5 g Hefe 4 = 20 g Fleisch | 5g Traubenzucker Il | +40 Das Tier ist munter 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker, 0,5 g Hefe 12° 217 20 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 18 | +8 20 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren | + Glycerin 11 — 8; Das Tier ist munter 20 g Fleisch _ 3 | — 9 25 g Fleisch — 4 — 6) Taube Nr. 78. 25 g Fleisch | 5 g Maltose, N le © — 18 0,5 g Hefe 30 g Fleisch | 5 g Maltose, I — — Das Tier ist munter 0,5 g Hefe 35 g Fleisch | 5 g Maltose, 19 +5 0,5 2 Hefe . | 30 g Fleisch | 5 g Maltose, 10 | 3 0,5 g Hefe | 30 g Fleisch | 0,5 g Maltose, u | —16 Das Tier ist munter 2,5 g Hefe | | 30 g Fleisch | 2,5 g Maltose 10 — 4 25 g Fleisch | 2,5 g Traubenzuck.| 20 — 45 25 g Fleisch | 5 g Rohrzucker 9 | +18 Das Tier ist munter 25 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren 21 — 7 + Glycerin 25 g Fleisch | 2,5 g Fettsäuren 11 — 2 + Glycerin, | 0,5 g Hefe | 25 g Fleisch — 7 — 27, Das Tier ist munter Taube Nr. 81. 25 g Erepton| = || — |-51| 25 & Fleisch | — | 3| — |-28| Das Tier ist munter Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. g 130 E. Abderhalden: Weitere Beiträge zur Kenntnis von Nahrungsstoffen usw. Taube Nr. 81 (Fortsetzung). Körpergewichts- Ham Nahrung Zusatz der Zu- Ab- Bemerkungen Tage nahme | nahme g g 25 g Fleisch ‚5 Pillen aus getr. 6.| — 18 37. Versuchstag: Hefe = 0,5 g Hefe | Gespritzt mitl cem Rin- 25 g Fleisch |5 g Maltose 21 | +99 Be ee oe 40. Versuchstag: Das Tier ist etwas matt. | Temperatur: 39,5°. 41. Versuchstag: Das Tier liegt morgens tot im Käfig. Taube Nr. 71. 25 g Fleisch 5 g Maltose 2555| + 2 | 30 g Fleisch 5 g Maltose 5 | 35 g Fleisch | 5 g Maltose | 19 | +11 30 g Fleisch 5 g Maltose 10 | —1 | Das Tier ist munter 58. Versuchstag: jektion: 41,6°; Tempera- Das Tier ist munter. tur nach der Injektion: Gespritzt mit 1 ccm Rin- 40,2°, derplasma intramuskulär. 59. Versuchstag: Gaswechselversuche. Das Tier liegt morgens tot Temperatur vor der In- im Käfig. Frl. Jahn und Frl. Obermeier, die mich bei der Durchführung dieser Versuche unterstützten, sei auch hier gedankt. Studien über Autoxydationen. (Versuche mit Cystein und Geweben. Studien über das Wesen der Blausäurevergiftung.) Von Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a, S.) (Eingegangen am 15. August 1922.) Während wir über mancherlei Vorgänge in den Zellen recht} gut unterrichtet sind, fehlt uns immer noch ein genauer Einblick in das Wesen und die Einzelheiten der Oxydationsvorgänge. Es sind im Laufe der Zeit viele Vermutungen darüber geäußert worden, wie}der den Zellen zugeführte Sauerstoff für Oxydationsvorgänge verwendet werden könnte. Es sei an die Annahme der Umwandlung von Sauerstoff in Ozon, in aktiven Sauerstoff usw. hingewiesen, und ferner sei auf das große Forschungsgebiet der sog. Oxydationsfermente erinnert. Schon die mannigfaltige Nomenklatur zeigt an, daß wohl manche Feststellungen vorliegen, daß jedoch noch große Unklarheit herrscht. Es ist verständ- lich, daß der grundlegende Vorgang der Oxydationsvorgänge in den Zellen immer wieder zu neuen Vorstößen auf diesem Gebiete anregt. Es sind besonders in der letzten Zeit eine ganze Reihe von außerordent- lich wichtigen Beobachtungen gemacht worden, die zu bestimmten Vorstellungen führten. Es sei vor allen Dingen an die Arbeiten von Wieland!) und Thunberg?) erinnert. Einen neuen Ansporn hat die ganze Forschung durch den Befund von Hopkins?) erhalten, wonach in den Geweben eine Verbindung zwischen Ö'ystein und Glutaminsäure vorkommt. Hopkins zeigte, daß diese Verbindung autoxydabel ist. Er isolierte sie aus Hefezellen, aus Säugetiermuskeln und aus Säugetierleber. Die Substanz gibt mit Nitro- prussidnatrium und Ammoniak Rotfärbung. Sie reduziert Methylen- blau und hydriert Schwefel. Tritt Oxydation der Substanz ein, dann verschwindet die Nitroprussidnatriumreaktion. Sie tritt aber wieder 1) Vgl. H. Wieland, Berichte der Deutsch. Chem. Gesellsch. 45, 484. 2606. 1912; 46, 3322. 1913 und 4%, 2085. 1914; 54, 2353. 1921. 2) Vgl. Thunberg, Ergebn. d. Physiol. 11, 328. 1911; Skandin. Archiv für Physiol. 40, 1. 1920. ®) F. G. Hopkins, Biochem. Journ. 15, 286. 1921. y* 132 E. Abderhalden und E. Wertheimer: auf, wenn die Substanz mit lebendem Gewebe in Berührung gebracht wird, d. h. durch dieses wieder reduziert wird. Es ist wohl möglich, daß bei dem Oxydationsvorgang zwei Moleküle der Verbindung zu- sammentreten und ein Diglutaminyleystin entsteht. Die erwähnte Substanz ist ohne Zweifel sehr verbreitet. Man war ihr ohne Zweifel schon früher auf der Spur. So haben z. B. schon früher Arnold!) in tierischen Geweben und Gola?) im Pflanzengewebe die Nitroprussidna- triumreaktion festgestellt. Es hat schon vor längerer Zeit Heffter?) darauf nn onesen, daß die Sulfhydrilgruppe im Zellstoffwechsel bei den Oxydationsvorgängen eine bedeutsame Rolle spielt. Es hat dann vor allen Dingen Thun- berg*) wieder auf die große Bedeutung der erwähnten Gruppe als Ver- mittler von Oxydationen hingewiesen. Es besteht die Möglichkeit, daß bei der Überführung des Cysteinmoleküls in Cystin Peroxyde entstehen: R-SH+O+R.SH>R-S—-S:.R+H,0, Das Cystin als solches kann jederzeit zu Cystein unter Auf- nahme von Wasserstoff reduziert werden. Es steht dann wieder zur Reaktion mit Sauerstoff zur Verfügung. Die Sulfhydrilgruppe kann abwechselnd Oxydationsvorgänge vermitteln, indem sie redu- ziert wird, und bei Reduktionsvorgängen beteiligt sein, wobei sie oxydiert wird. Es spricht außerordentlich viel dafür, daß bei den Oxydations- vorgängen in den Zellen Autoxydationen eine bedeutsame Rolle spielen. Es wäre ein großer Forstchritt, wenn es gelänge, ihre Rolle genau ab- zugrenzen. Es ist sehr leicht möglich, daß mancherlei Oxydations- vorgänge in den Zellen als durch Fermente bedingt aufgefaßt werden, während in Wirklichkeit vielleicht autoxydative Vorgänge ohne Be- teiligung von solchen in Frage kommen. Die ganzen Oxydationsvor- gänge in den Zellen müssen auf Grund der besonders in den letzten Jahren stark erweiterten Einblicke in den stufenweisen Abbau der Bausteine der zusammengesetzten organischen Nahrungsstoffe anders aufgefaßt werden, als es früher der Fall war. Der Ausdruck ‚,Verbren- nung‘ wird am besten ganz fallen gelassen, weil er ganz unrichtige Vorstellungen erweckt. Wir wissen, daß der Abbau organischer Ver- bindungen über zahlreiche Zwischenstufen führt. Es ist im allgemeinen ein weiter Weg zurückzulegen, bis die Stoffwechselendprodukte ent- standen sind. Jede einzelne Zwischenstufe hat ohne Zweifel im Zellstoff- !) N. Arnold, Zeitschr. f. physiol. Chem. %0, 300, 314. 1910/11. 2) Gola, Malpighia 16, 368. 1913. 3) A. Heffter, Mediz.-naturwiss. Arch. 1, 81. 1908. — 4A. Heffter und Max Hausmann, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 213. 1904. 4) Loc. cit. Studien über Autoxydationen. 133 wechsel eine besondere Bedeutung und eine bestimmte Funktion. Der Umstand, daß innerhalb gewisser Grenzen die Oxydationsvorgänge vom Sauerstoffdruck unabhängig sind, und es uns auch sonst nicht ohne weiteres möglich ist, durch Zufuhr oder Fortlassung bestimmter Nah- rungsstoffe die Oxydationsvorgänge in den Zellen willkürlich zu be- einflussen, zeigt, daß jede einzelne Zelle diese beherrscht. Schon aus diesem Grunde kommen alle jene Theorien für die Allgemeinheit der Oxydationsvorgänge nicht in Frage, die diese allein mit einer bestimmten Form des Sauerstoffs (aktiver Sauerstoff) in Verbindung setzen wollen. Ebensowenig scheint uns die an und für sich gewiß sehr wertvolle Vorstellung auszureichen, wonach die Oxydationsvorgänge sich an Oberflächen kolloider Teilchen in der Zelle vollziehen (Warburg). Die ganzen Verhältnisse liegen ohne Zweifel komplizierter. Die Ober- flächenwirkungen bilden eine wesentliche Komponente in den ganzen Vorgängen, sie sind jedoch richt allein entscheidend. Man muß, wie schon erwähnt, mit der Tatsache rechnen, daß die Oxydations- vorgänge in den Zellen genau geregelt sind. Wenn wir uns hier nur mit autoxydativen Vorgängen in den Zellen befassen, dann soll da- mit, das sei ausdrücklich betont, nicht zum Ausdruck kommen, daß wir an die Möglichkeit denken, daß ausschließlich solche für die Er- klärung der Oxydationen in den Zellen in Frage kommen. Wir haben unsere Versuche in der Hauptsache mit C'ystein zus- geführt und Studien der folgenden Art angestellt: Es interessierte uns der Einfluß der Reaktion und der Temperatur auf die Autoxydation der erwähnten Verbindung. Feıner prüften wir den Einfluß einiger Metalle und ferner von Licht auf die Oxydation des Oysteins. Eine große Reihe von Versuchen haben wir der Einwirkung von Cyankalium auf die O'ysteinreaktion gewidmet. Trotz zahlreicher Bemühungen ist die Wir- kung der Blausäure auf den Organismus und den Zellstoffwechsel noch nicht aufgeklärt. Wir hoffen, aus dem Verhalten von Cyan- kalium gegenüber Cystein und seiner Umwandlung in Cystin einen Einblick in das Wesen der Blausäurevergiftung zu erhalten. Es sei gleich hier erwähnt, daß die Oxydation des Cysteins durch Oyankalium gehemmt wird. Diese Feststellung führte zur Frage, welchen Einfluß Narkotica auf die Oxydation des C'ysteins ausüben. Wir verglichen vor allen Dingen die Wirkung verschiedener Alkohole, ferner von Chloro- form und Äther. Es zeigte sich, daß durch die erwähnten Stoffe die Oxydation des Cysteins beschleunigt wird. Entsprechende Versuche wurden auch mit cysteinhaltigen Geweben angestellt. Weitere Untersuchungen waren dem umgekehrten Vorgange, näm- lich der Reduktion von C'ystin zu Cystein gewidmet. Endlich haben wir jede Gelegenheit dazu benutzt, um bei verschiedenen Organismen in verschiedenen Zuständen das Verhalten der Nitroprussidnatrium- 134 E. Abderhalden und E. Wertheimer: reaktion zu verfolgen. Es zeigte sich, daß rasch wachsende Gewebe eine besonders starke Nitroprussidnatriumreaktion geben. Es sei auf die unten im Zusammenhang mitgeteilten Versuche verwiesen. Schon Arnold!), der unseres Wissens die Nitroprussidnatriumreaktion mit Eiweißkörpern und Gewebsextrakten zum erstenmal festgestellt hat, weist auf die große Bedeutung der Cysteingruppe im Eiweiß hin. Er ist der Ansicht, daß die Cysteingruppe in diesem in Oystin und um- gekehrt diese Verbindung wieder in Cystein übergehen kann. Die Be- obachtungen von Arnold sind merkwürdigerweise nicht weiter verfolgt worden. Er weist schon darauf hin, daß Organextrakte nach Ausfällung der Eiweißkörper noch eine kräftige positive Farbenreaktion mit Nitro- prussidnatrium ergeben und auch zugesetzten Schwefel zu Schwefel- wasserstoff reduzieren. Offenbar hat Arnold jene Verbindung vor sich gehabt, die Hopkins isoliert und in ihrer Zusammensetzung, was die Bausteine anbetrifft, aufgeklärt hat. Das Problem der Bedeutung des Cysteins mit seinem labilen Wasserstoff ist dann besonders an der Linse studiert worden. Reis?) und später Goldschmidt?) [vgl. auch Jess*)] haben das Cystein in seiner Bedeutung für Oxydationsvor- gänge im Linsengewebe hervorgehoben. Die Linse hat bekanntlich keine Blutversorgung. Zahlreiche Lymphwege dienen der Zufuhr von Nahrungsstoffen und gleichzeitig zur Entfernung von Stoff- wechselprodukten. Die Sauerstoffversorgung der Linse erfolgt von benachbarten Blutgefäßen aus. Der Sauerstoff diffundiert von da in die Linsenzellen hinein. Nun finden wir in Muskelzellen einen Farbstoff, der dem Blutfarbstoff sehr nahe zu stehen scheint, und der offenbar Sauerstoff binden kann, so daß, wenn nicht ein großer, so doch ein gewisser Sauerstoffvorrat zur Verfügung gehalten werden kann. Manche Pigmente in anderen Geweben spielen vielleicht eine ähnliche Rolle. In der Linse fehlen derartige Stoffe. Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung, daß mit Linsengewebe die Nitroprussidnatrium- reaktion ganz besonders stark ausfällt. Es ist von großem Interesse, daß bei Star die Cysteinreaktion negativ wird. Wir haben diesen Be- fund nachgeprüft und können ihn in vollem Umfange bestätigen. Eine vollkommen zerquetschte und als solche nicht mehr erkennbare Starlinse kann ohne weiteres von einer normalen Linse mittels der Nitroprussidnatriumreaktion unterschieden werden. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob das Verschwinden des Cysteins eine Ursache der Linsentrübung darstellt, oder ob mit der Veränderung der Linsen- zellen auch das Öystein zurückgeht und, verschwindet. Es ist wohl denk- 1!) Vincenz Arnold, Zeitschr. f. physiol. Chem. %0, 300, 314. 1910/11. ®) Viktor Reis, Arch. f. Ophthalmol. 80, 588. 1912. ®) Max Goldschmidt, Arch. f. Ophthalmol. 93, 447. 1917. *, A. Jess, Zeitschr. f. physiol. Chem. 110, 266. 1920. Studien über Autoxydationen. 135 bar, daß mit dem Zurückgehen des Cysteins die Oxydationen in den Linsenzellen leiden, und daß sich eine Veränderung herausstellt, die mit der Funktionsaussetzung der Linsenzellen endet. Es wäre von allergrößtem Interesse, Linsen zu untersuchen, bei denen experimentell innerhalb kurzer Zeit mittels ultraroter Strahlen (nach Vogt) Star erzeugt worden ist. Wir hoffen, diese Untersuchugen durchführen zu können. Es lohnt sich, die Nitroprussidnatriumreaktion in größerem Aus- maße anzuwenden. Vor allen Dingen wäre es von großem Interesse, ihr bei pathologischen Vorgängen nachzugehen. Es gibt eine ganze Anzahl von Zuständen, in die man vielleicht neue Einblicke er- halten könnte, wenn die Nitroprussidnatriumreaktion in einzelnen Or- ganen verfolgt würde. Es sei z.B. auf den Diabetes melitus verwiesen. Es wäre von größtem Interesse zu verfolgen, ob bestimmte Organe in dem Gehalt an reaktionsfähigen Sulfhydrilgruppen Veränderungen zeigen. Vor allen Dingen möchten wir auf die COystinurie hin- weisen. Wie der eine [ Abderhalden!)] von uns bereits an anderer Stelle ausgeführt hat, ist es wohl möglich, daß das Wesen der Oystinurie von den erwähnten Gesichtspunkten aus eine besondere Beleuchtung erfährt. Vielleicht liegt eine Störung in der Umwandlung von Cystin in Cystein vor. Es wäre von allergrößtem Interesse, bei Gelegenheit die Gewebe eines Cystinurikers auf das Verhalten gegenüber der Cystein- reaktion zu prüfen. Der eine von uns [ Abderhalden ?2)] hat seinerzeit einen Fall beschrieben, der von £&. Kauffmann seziert wurde, und bei dem von ihm eine Infiltration der Gewebe mit Cystinkrystallen festgestellt werden konnte. Es handelte sich um ein Kind, das unter allen Zeichen einer Inanition ohne erkennbare Ursache zugrunde gegangen war. Es ist wohl denkbar, daß gerade dieser Fall ein Hinweis darauf ist, daß viel- leicht die Inanition durch eine Störung in der Wechselbeziehung von Cystein zu Cystin und wiederum zu Cystein zu suchen ist. Vielleicht findet in einer solchen Störung auch der eigenartige Befund eine Er- klärung, daß bei Cystinurie manchmal in recht großem Umfange Amino- säuren im Harn gefunden werden und ferner sog. Diamine. Vielleicht deutet dieser Befund auf eine mangelhafte Oxydationsfähigkeit der Zellen und insbesondere derjenigen der Leber hin. Infolgedessen kommt es vielleicht zu einem Überbleiben von Verbindungen, die sonst voll- ständig zerlegt werden. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es vielleicht auch möglich, die Bedeutung der Sulfhydrilgruppe im Zellstoffwechsel für ganz bestimmte Oxydationsvorgänge festzulegen. Leider ist es nicht möglich, den aufgeworfenen Fragen in einem physiologischen Institute mit Erfolg nachzugehen, weil das zugehörige Material fehlt. !) Emil Abderhalden, Arch. neerl. de physiol. de ’homme et dex animaux. 7, 234. 1922. 2) Emil Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 557. 1903. 136 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Wohl aber könnten an frischen Leichen systematisch Untersuchungen durchgeführt werden. Unsere unten mitgeteilten Befunde, wonach Cyankalium das Cystein auf längere Zeit hinaus konserviert, eröffnet vielleicht einen Weg, um der Oxydation von Cystein beim längeren Liegen von Leichen oder Organen vorzubeugen. Schließlich wollen wir noch erwähnen, daß man eine Bläusäurevergiftung an einer älteren Leiche daran erkennen könnte, daß die Cysteinreaktion zu einer Zeit positiv ausfällt, in der sie sonst nicht mehr zu erhalten ist. Hinweisen möchten wir noch auf die Lebercirrhose, der vielleicht auch eine Störung in der Reaktionsfähigkeit der Sulfhydrilgruppe vor- ausgeht. Vielleicht läßt sich der Umstand, wonach Cyankalium bzw. Blau- säure die Überführung von Cystein in Cystin stark hemmt, bei der Darstellung der von Hopkins aufgefund Verbindung ausnützen. Experimenteller Teil. 1. Einfluß der Reaktion auf die Autoxydation des C'ysteins. Das Cystein wurde in der bekannten Weise aus ganz reinem Cystin durch Reduktion mit Zinn und Salzsäure gewonnen und als salzsaures Salz aufbewahrt. Die Autoxydation des Cysteins ist sehr stark von der vorhandenen Reaktion abhängig. Ausgesprochen saure Reaktion verlangsamt die Oxydation sehr stark. Bei Lackmusneutralität voll- zieht sie sich sehr rasch. Auch bei alkalischer Reaktion findet sie noch ganz deutlich statt. Versuche mit Organextrakten, die eine po- sitive Nitroprussidnatriumreaktion ergeben, führten zu dem gleichen Ergebnis. Es liegen von Maihews und Walker!) bereits genaue Unter- suchungen über den Einfluß der Reaktion auf den Ablauf der Aut- oxydation des Cysteins vor. Diese Forscher kommen zu dem Ergebnis, daß bei 95 = 8 ein Optimum liest. Geringe Verschiebungen im Wasser - stoffionengehalt machen sich bereits in der Geschwindigkeit der Oxy- dation des Cysteins bemerkbar. Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung, daß die Empfindlichkit des Oxydationsvorganges beim Cystein und die Lage seines Optimums in hohem Maße mit Beobachtungen überein- stimmen, die von den Oxydationsvorgängen in Zellen bekannt sind. 2. Einfluß der Temperatur auf die Autoyadation des Oysteins. Der Einfluß der Temperatur ergibt sich ohne weiteres aus dem Verlauf des folgenden Versuches: Wir bereiteten eine sehr verdünnte Lösung von salzsaurem Cystein, neutralisierten es gegen Lackmus und füllten in gleichweite Reagensgläser gleiche Mengen. Die eine Probe wurde bei 4°, eine zweite bei 22°, eine dritte bei 37° und eine vierte !) Mathews und Walker, Journ. of biol. chem. 6, 299. 1910. Studien über Autoxydationen. 137 bei 100° aufbewahrt. Es sei der Ausfall der Nitroprussidnatrium- reaktion der frischen Cysteinlösung mit +++ bezeichnet. Ausfall der Nitroprussidnatriumreaktion Nach Stunden Bei 4°C 22°C 37° C 100° © 2 a testsite tige "rn 9 4 2 + 8 o Der Einfluß der Temperatur ist unverkennbar. Bei Eıwärmen auf 100° verschwindet die Nitroprussidnatriumreaktion nach wenigen Mi- nuten. Wir kommen auf die Bedeutung dieser Tatsache noch zurück. 3. Einfluß von Metallen und von Licht auf die Autoxydation von Uystein. Es ist bereits bekannt, daß Eisen in kleinsten Mengen die Oxydation des Cysteins sehr stark beschleunigt. Auch Kupfer, Quecksilber und Arsen wirken in gleicher Richtung, wenn auch viel schwächert). Hemmend wirken Blei, Nickel, Kobalt, Uran, Thorium, Cadmium. Licht hat keinen Einfluß. Auch bei intensiver Bestrahlung mit der Quarzlampe findet man keine Beschleunigung. 4. Einfluß von Cyankalium auf die Autoxydation von Cystein. Beim Studium der Blausäurewirkung auf Meerschweinchen?) war uns bereits aufgefallen, daß die Organe der vergifteten Tiere, wenn wir dafür sorgten, daß die Reaktion der Körpersäfte annähernd aufrecht erhalten wurde, die Nitroprussidnatriumreaktion sehr viel länger und stärker gaben als solche von normalen Kontrolltieren. Wir haben diese Beobachtung systematisch weiter verfolgt. Wir entnahmen die Organe sofort nach dem Tode, am besten Muskel oder Leber, zerkleinerten gleiche Mengen und schwemmten in Phosphatmischung p% = 8 auf. Unter Zusatz von Vuzin ließen wir bei Zimmertemperatur stehen und ent- nahmen von Zeit zu Zeit Proben. Es ergab sich, daß die Organe der mit KCN vergifteten Tiere doppelt solange und oft noch länger die Nitroprussidnatriumreaktion zeigten als diejenigen der normalen Kontrolltiere. Wir gingen ferner folgendermaßen vor: Wir bereiteten ein Extrakt aus Rinderleber. Diese wurde fein zerhackt und dann mit der gleichen Menge Wasser 3 Stunden bei 37° ausgezogen. Dann wurde filtriert. Das Filtrat wurde mit neutralem Bleiacetat gefällt und aus der Bleifällung ein Auszug mit !/,n-H,SO, bereitet. Schließlich wurde die Schwefel- säure mit Baryt quantitativ entfernt. Dieses Extrakt gab starke Nitroprussidnatriumreaktion. Auch hiermit konnten wir sehr deut- lich an Hand der Nitroprussidnatriumreaktion die Hemmung der Aut- 1) Mathews und Walker, Journ. of biol. chem. 6, 299. 1910. 2) Emil Abderhalden und E. Wertheimer, Pflügers Arch. f. d.. ges. Physiol. 194, 147. 1922. 138 E. Abderhalden und E. Wertheimer: oxydation durch Blausäure in minimalsten Mengen verfolgen. Es sei ein Beispiel angeführt: Nitroprussidnatriumreakt. Autoxydable Substanz Zusatz Bei Beginn Nach des Versuchs 12 Stunden 10 cem Leberextrakt px =8 0,5 cem Ringerlösung LS 8 10 ccm Leberextrakt pı =8 0,1 ccm Ringerlösung ++ 8 10 ccm Leberextrakt pr =8 0,5 ccm Y/om-KCN-Ls. +++ — 10 cem Leberextrakt py =8 0,1 ccm !/,o m-KCN-Lös. +++ + Der Versuch wurde bei Zimmertemperatur (21°) ausgeführt. Es war von Interesse, diese Versuche mit Cyankalium an Cystein selbst fortzuführen. Die Resultate waren die gleichen: 0,5 g salzsaures Cystein wurden in 100 ccm Wasser gelöst und gegen Lackmus neutra- lisiert. Wir gaben in 5 Reagensgläser gleiche Mengen (10 ccm) und fügten soviel Cyankalium zu, daß wir eine 1/10 000, 1/5000, 1/1000 und 1/100 m-Lösung davon hatten. Nach 12 Stunden erhielten wir folgendes Resultat, wenn wir die Nitroprussidnatriumreaktion der Aus- gangslösung mit +-+-+-+ bezeichnen: Cystein Cystein in Cystein in Cystein in Cystein in in Wasser 2/0000 mM-KCN-Lös. 2/5000 m-KCN-Lös. 1000 m-KCN-Lös. !/joo m-KCN-Lös. 8 4 Ar dt dead Wir haben ferner die Oxydation des Cysteins und ihre Hemmung durch KCN interferometrisch und im Apparat von Bacroft quantitativ verfolgen können. Wir fanden aber nachträglich, daß bereits Mathews und Walker!) derartige Bestimmungen durchgeführt haben. Wir über- gehen deshalb unsere Feststellungen. 5. Der Einfluß von Alkoholen, Chloroform und Äther auf die Autoxydation von Öystein. Nach den Ergebnissen mit KCN stand zu erwarten, daß auch durch Narkotica die Autoxydation des Cysteins zu beeinflussen war. Das Ergebnis war allerdings ein anderes, als wir erwarteten. Die Alkohole der homologen Reihe, ferner Chloroform und besonders Äther beschleunigen die Autoxydation. Die Versuche wurden zunächst mit Cystein, dann mit Geweben ausgeführt. Es wurde, wie in den anderen Versuchen, eine stark ver- dünnte Öysteinlösung hergestellt, dann wurde der Reagensglasinhalt mit dem betreffenden Alkohol geschüttelt. Nach 10 Minuten wurde die Nitroprussidnatriumreaktion ausgeführt, deren Ausfall in der Ausgangs- lösung mit +++ bezeichnet werden soll. Cysteinlös. Cystein in Cystein in Cystein in Cystein in Cystein in Cystein in in Wasser Methylalkoh. Äthylalkoh. Gär.-Amylalk. Octylalkoh. Chloroform Ather N.-P--R. nach 12 Gew. % 10 Gew. % 4Gew.% 1 Gew. % 2Gew.% 2 Gew. % 10 Minuten: +++ ++ ++ 8 + % (3) 1) Mathews und Walker, Journ. of biol. chem. 6, 29. 1909. Studien über Autoxydationen., 139 Es läßt sich die Autoxydation des Cysteins interferometrisch gut verfolgen, und zwar infolge einer ganz bedeutenden Abnahme des Bre- chungsvermögens der Lösung. So mußte sich auch die Beschleunigung durch Alkohole durch eine exakte Methode bestätigen lassen. Eine Sproz. lackmusneutrale Lösung von Cystein wurde mit den ver- schiedenen Alkoholen geschüttelt. Nach !/, Stunde wurde abgelesen und der Unterschied der Ablesung vor dem Versuch mit der End- ablesung bestimmt. Folgendes Beispiel mag dies erläutern: Cysteinlös. 8% Cysteinlösung Cysteinlösung Cysteinlösung Cysteinlösung Cysteinlösung in Wasser in Methylalkoh. in Äthylalkoh. in n-Buthylalkoh. in Amylalkoh. in Octylalkoh. Berterenz gegen: 20 Gew. % 16 Gew. % 4 Gew. % 2,5 Gew. % 0,5 Gew. % über der An- fangsablesung: 104 126 148 138 181 156 (Trommelteile) Eine anfängliche Beschleunigung mit Alkoholen wurde immer be- obachtet. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Alkoholen waren jedoch nicht so gleichmäßig, daß man mit Sicherheit auf eine Wir- kungsreihe der homologen Reihe schließen konnte. Der Octyl- alkohol fiel z. B. regelmäßig aus der Reihe. Die Beschleunigung nahm allmählich ab. Es war später sogar manchmal, doch nicht regelmäßig, eine Hemmung nachweisbar, jedoch nur dann, wenn die Lösungen längere Zeit standen, ohne geschüttelt zu werden. Wir haben die gleiche Reihe auch bei Geweben in Anwendung ge- bracht. Besonders geeignet ist die Linse zu solchen Versuchen. Sie wird fein zerrieben und in wenig Wasser aufgeschwemmt. Nach 12 Stunden fiel die Nitroprussidnatriumreaktion, wie folgt, aus, wenn die Ausgangsreaktion mit ++ bezeichnet wird: Linse Linse in Linse in Linse in Linse in Linse in in Wasser Methylalkohol Äthylalkohol n-Buthylalkohol Amylalkohol Octylalkohol en Sa ae ar 8 1 Mit Lebergewebe fiel der Versuch entsprechend aus, nur war die Ablesung schwieriger wegen der Eigenfarbe des Organs. 6. Versuche über Rückreduktion des oxydierten Produktes (Uystins). Ein wichtiger Punkt in der Betrachtung der Sulfhydrilgruppe in ihrer Beziehung zu den Oxydoreduktionsvorgängen der Zelle ist der, daß die einmal oxydierte Substanz bekanntlich durch das Gewebe wieder in ihren reduzierten Zustand zurückgeführt werden kann. Ge- rade hierin liegt die wesentlichste Bedeutung der ganzen Reaktion, daß ein und dieselbe Gruppe einmal als Wasserstoff,,donator‘‘, dann wieder als Wasserstoff, ,‚acceptor‘‘ dienen kann. Wir haben auch diesen Vorgang in der gleichen Anordnung, wie beim Cystein, studiert, indem wir in jedes Reagensglas 2 g Leberbrei zu dem oxydierten Produkt (Cystin) zugaben. Wir ließen 24 Stunden unter 140 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Toluol stehen. In den mit Alkoholen angesetzten Proben war die Nitro- prussidnatriumreaktion schwächer, in den mit Cyankalium angesetzten weit stärker als im Kontrollversuch. Mit Leber allein war die Reaktion am schwächsten. Es ist möglich, daß das entstehende Cystein durch Cyankalium an der Rückoxydation gehindert wird, während die Al- kohole diese begünstigen. Es könnte aber auch sein, daß der Reduk- tionsvorgang durch die Alkohole gehemmt, durch Oyankalium gefördert wird. Wir neigen aus folgender Beobachtung zu der letzteren Anschauung. Bereitet man eine ammoniakalische Cystinlösung, so verändert sich diese nicht. Gibt man jetzt einen Krystall Cyankalium hinzu, so kann man optisch verfolgen, wie die Linksdrehung abnimmt und sich immer mehr dem Nulipunkt nähert. Gleichzeitig kann man mit Hilfe der Nitroprussidnatriumreaktion feststellen, wie diese auftritt, sobald Cyankalium zugegeben wird und dann dauernd stärker wird. Der gleiche Vorgang, nur erheblich verlangsamt, läßt sich durch KOH und NaOH erzielen. Daß Reduktionsvorgänge durch Alkohole ge- hemmt werden, dafür haben wir ebenfalls Analogien, die wir später anführen werden. Erwähnt sei noch, daß sich die leichte Reduzierbar- keit des Cystins und Cysteins in einer 5proz. Na,SO,-Lösung demon- strieren läßt. Es sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn man zu einer konzentrierten Cyankaliumlösung Nitroprussidnatrium hinzu- gibt, dann auch Rotfärbung auftritt. Diesem Umstande muß man bei Anstellung der Versuche Rechnung tragen. 7. Cystein urd die Reduktionsleistung der Zelle. Zur Erforschung der reduzierenden Wirkungen der Gewebe sind zahlreiche Untersuchungen angestellt worden. In neuester Zeit geht Lipschitz so weit, daß er in der Stärke der Reduktionsleistung der Zelle ein Äquivalent der Größe der Zellatmung erblickt. Er benutzt m- Dinitrobenzol zur Reduktion, das in gelbes m-Nitrophenylhydroxylamin übergeführt wird!). Diese Reaktion hat zweifellos Vorteile vor der bekannten Methylenblaureduktion. Nun kann man mit Cystein z. B. die Reduktion von Methylenblau durch Gewebe so schön nachahmen, und zwar auch in bezug auf die Wirkung anderer Stoffe auf die Re- duktion, daß Heffter, namentlich aber sein Schüler Strassner?) zu der Anschauung gekommen sind, daß die ganze Reduktionswirkung der Gewebe auf den labilen Wasserstoff von Sulfhydrilgruppen zurück- zuführen sei. Wir selbst konnten mit Cystein durch Reduktion des m-Dinitrobenzols, das Lipschitz zu seinen Untersuchungen benützte, 1) Lipschitz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 109, 189. 1920. — Lipschitz und Gottschalk, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 1 u. 33. 1921. ?) W. Strassner, Biochem. Zeitschr. %9, 295. 1910. Studien über Autoxydationen. 141 je nach der Menge des zugesetzten Cysteins jeden Grad der Gelbfärbung erzielen. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß ein großer Teil solcher Reduktionen auf Sulfhydrilgruppen oder andere noch nicht näher bekannte autoxydable Gruppen zurückzuführen ist, jedoch nicht alle, denn manches, was wir von den Reduktionen in Geweben und Zellen wissen, läßt sich durch die Sulfhydrilreduktion nicht ohne wei- teres erklären. Von besonderer Bedeutung ist, daß die Gewebe im- stande sind, die oxydierte Sulfhydrilsruppe wieder zu reduzieren; hierin sehen wir eine zweite Art der Reduktionsleistung, wenn wir nicht annehmen wollen, daß andere autoxydable Gruppen eingreifen und diese Reduktion ausführen. Es wäre interessant, verschiedene autoxydable Gruppen in ihrer gegenseitigen Wirkung zu studieren. Bei dieser zweiten Art der Reduktionsleistung spielen vielleicht Fer- mente eine Rolle. 8. Studien über die Nitroprussidnatriumreaktion einiger Gewebe. Wie schon eingangs erwähnt worden ist, ist von Arnold!) und später von Anderen darauf aufmerksam gemacht worden, daß Gewebe mit besonders lebhaftem Stoffwechsel eine besonders starke Cysteinreaktion geben. Leider fehlen systematische Untersuchungen. Es wäre von großem Interesse, den Cysteingehalt in verschiedenen Stadien der Ent- wicklung zu verfolgen. Leider sind heutzutage derartige Untersuchungen sehr erschwert. Man könnte z. B. Eier vor und nach der Befruchtung und dann während der Entwicklung von Tag zu Tag auf das Ver- halten der Nitroprussidnatriumreaktion untersuchen und Vergleiche mit der entsprechenden Reaktion bei erwachsenen Organismen ziehen. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiete reichen zu keinem abschlie- ßenden Urteile aus. Erwähnt sei, daß wir u. a. Raupen (Wolfsmilch- schwärmerraupen u. a.) untersucht haben. Die Nitroprussidnatrium- reaktion fällt stark aus. Interessanterweise. ist sie nach erfolgter Ver- puppung nicht oder wenigstens nicht sicher nachweisbar. Von beson- derem Interesse wäre die Prüfung der Nitroprussidnatriumreaktion bei rasch und langsam wachsenden gutartigen und bösartigen Geschwülsten. Die Untersuchung von Linsengewebe ist schon oben erwähnt worden. Hier sei nur noch angeführt, daß wir die Sauerstoffatmung der Linse untersucht haben. Es zeigte sich, daß sie sehr gering ist, mindestens S—10mal geringer als z. B. beim Muskelgewebe. Wir haben ferner die Reduktion von m-Dinitrobenzol (nach Lipschitz) durch Linsen- gewebe untersucht. Sie war deutlich nachweisbar. Es färbten sich be- sonders die Linsenstückchen gelb. Wahrscheinlich wird diese Reaktion durch das vorhandene Cystein bedingt. Von besonderer Bedeutung ist der Umstand, daß ein Teil des Cysteins bzw. der Cystein enthaltenden Due: 142 E. Abderhaiden und E. Wertheimer: Substanz dialysabel und somit nicht an Eiweiß gebunden ist. In diesem Zusammenhange sei auch noch auf den Befund des einen von uns | Abderhalden!)] verwiesen, wonach beim Weglassen von Cystein aus der Nahrung die Gewebe eine sehr schwache Nitroprussidnatriumreaktion zeigen. Das Wachstum der mit einer solchen Nahrung ernährten Tiere stand still. Besprechung der Ergebnisse. Der Umstand, daß Cystein bzw. cysteinhaltige Verbindungen in allen Zellen — bei einzelligen Lebewesen (Hefezellen, Bakterien) und bei mehrzelligen Lebewesen — vorhanden sind, spricht für die große edeutung dieser autoxydablen Substanz. Die Sulfhydrilgruppe des Oysteins wird spontan oxydiert und von den Geweben wieder reduziert. Wir sind diesen Vorgängen in der Annahme nachgegangen, daß ihr Studium uns Einblicke in bestimmte Oxydationsvorgänge bzw. Re- duktionsvorgänge in den Zellen vermitteln können. Es steht fest, daß das Reaktionsoptimum für die erwähnten Vorgänge mit der Re- aktion der Körpersäfte zusammenfällt. Die Feststellung, daß Eisen die Autoxydation des Cysteins stark steigert, steht in Analogie mit anderweitigen Befunden über die Oxydationen in den Zellen. Bei 37° herrscht eine mittlere Geschwindigkeit des ganzen Vorganges. Beim Kochen wird die Sulfhydrilgruppe sehr rasch oxydiert. Dieser Um- stand verdient besondere Beachtung. Die Aufhebung bestimmter Re- duktionsvorgänge in Geweben, die gekocht worden sind, bedeutet nicht ohne weiteres, daß eine Fermentwirkung ausgeschaltet worden ist. Es ist ganz gut möglich, daß die Überführung des Cysteins in Cystin, ein Vorgang, der infolge des Kochens des Gewebes irreversibel geworden ist, das Ausbleiben von Reduktionen erklärt. Hier müssen weitere Forschungen einsetzen, um herauszubringen, von welchen Vorgängen die Reduktion des Cystins zu Cystein in den Geweben abhängig ist. Von besonderer Bedeutung scheint uns die Einwirkung von Cyan- kalium auf die Autoxydation des Cysteins zu sein. Wir sind der An- sicht, daß in der Thiogruppe des Oysteins ein Angriffspunkt für das Cyankalium bzw. die Blausäure liegt. Es läßt sich so am leichtesten erklären, weshalb die Autoxydation der Sulfhydrilgruppe gehemmt oder unmöglich gemacht wird. Es kann kein aktiver Wasserstofff mehr in Freiheit gesetzt werden. Über den Mechanismus der Hem- mung der Autoxydation durch Blausäure können wir nichts Sicheres aussagen. Wir neigten zuerst der Anschauung zu, daß die bekannte Erklärung Warburgs?) ausreicht, um den Vorgang der Hemmung der Autoxydation zu erklären. Wir konnten zeigen, daß nach Zusatz von Spuren von Eisenchlorid eine Hemmung durch Cyankalium nicht mehr 1) Emil Abderhalden, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 199. 1922. 2) OÖ. Warburg, Biochem. Zeitschr. 119, 134. 1921. Studien über Autoxydationen. 143 nachweisbar war. Es hatte jedoch der Zusatz von höheren Alkoholen, z. B. Amylalkohol, und ferner von Äther auch eine aufhebende Wir- kung auf die Hemmung durch Cyankalium. Diese Beobachtung läßt sich nicht gut mit Warburgs Theorie in Einklang bringen. Auch andere Tatsachen sprechen in gleichem Sinne. So fanden Mathews und Wal- ker!), daß die spontane Oxydation von Cystein unter Einwirkung von 2n-NaOH nur bei Gegenwart von Spuren von Eisen erfolgt, und daß trotzdem Cyankalium nicht nur nicht hemmend, sondern sogar stei- gernd auf die Oxydation wirkt. Es spricht manches dafür, daß das Cyan sich an jene Stelle der labilen Schwefelgruppe anlagert, auf die auch der Sauerstoff einwirkt. Die Oxydation kann nur dann stattfinden, wenn die Cyangruppe ent- fernt ist, d. h. wenn aus der stabilen wieder eine labile Schwefelgruppe geworden ist. Für die Annahme einer Anlagerung des Cyans an die Schwefelgruppe spricht auch die Beobachtung Langs?), wonach Blau- säure nebst ihren Salzen im tierischen Organismus in Thiocyansäure (Rho- dansäure) umgewandelt und in dieser Form im Harn ausgeschieden wird’). Der Nachweis der Hemmung der Autoxydation der Sulfhydril- gruppe am blausäurevergifteten Tier — der Nachweis läßt sich z. B. am Frosch und an Würmern ebenfalls erbringen — ebenso wie im Reagensglas zusammen mit allen erwähnten vorangehenden Befunden führt uns zu der Annahme, daß dieser Hemmung eine vielleicht ent- scheidende Bedeutung bei der Blausäurevergiftung zukommt. Lang sieht in der Reaktion der Blausäure mit der Sulfhydrilgruppe nur die entgiftende Wirkung; wir vermuten an dieser Stelle den Angriffspunkt des Giftes und in der Entgiftung nur einen sekundären Vorgang, der übrigens bei verschiedenen Tieren verschieden verlaufen kann, und stellen uns vor, daß wenn eine bestimmte Anzahl von Sulfhydrilgruppen (z. B. vor allem im Zentralnervensystem) besetzt sind, das Weiterleben des Tieres unmöglich wird; sind weniger besetzt, so wird das Tier die Ver- giftung überstehen und durch Bildung weniger giftig wirkender Ver- bindungen sich des Cyans entledigen (Säugetiere z. B. durch Bildung von den viel weniger giftigen Rhodansalzen). Es sei hier ausdrücklich betont, daß ja das Cystein nicht die einzige Substanz ist, die im Or- ganismus als autoxydable Verbindung zu wirken imstande ist. Wir haben das Cystein nur als Beispiel benutzt. Wir wissen z. B. durch die Untersuchungen Erlandsens?®), daß bestimmte Phosphatide die Eigen- I) 2) Lang, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 34, 247. 1894; 36, 75. 1895. ?) Siehe hierzu auch die Entgiftungsversuche Langs l. c. Die Blausäure kann durch vorinjizierte oxydable Schwefelgruppen abgefangen werden, dadurch wird die Vergiftung verhindert. *) Erlandsen, A., Zeitschr. f. physiol. Chem. 51, 71. 1907; siehe auch $. Fränkel und A. A. Nogueira, Bioch. Zeitschr. 16, 378. 1909. 144 E. Abderhalden und E. Wertheimer: schaft der Autoxydabilität besitzen. Wir müssen somit zunächst unser Augenmerk auf diese Verbindungen und besonders auf ihre ungesät- tigten Fettsäuren richten, vielleicht könnte dadurch manches über die Bedeutung dieser Stoffe aufgeklärt werden. Es werden sicherlich noch andere autoxydable Gruppen bestehen. Mit unserer Annahme über einen Angriffspunkt der Blausäure können und wollen wir andere Wir- kungen nicht ausschließen. Die wohl am meisten angeführte Ansicht über die Wirkung der Blausäure ist die, die sich auf die Untersuchungen von Geppert!) stützt, der im wesentlichen annimmt, daß die Sauerstoffaufnahme durch die Körperzelle aus dem Blut von der Blausäure gehemmt wird. Indessen konnten wir in früheren Untersuchungen zeigen?), daß Gepperts Gaswechselversuche sicher keine allgemeine Gültigkeit haben, denn wir sahen, daß besonders bei Tauben und auch bei Meerschwein- chen während der Cyankalivergiftung der Gaswechsel nicht nur nicht sank, sondern teilweise recht beträchtlich anstieg. Ferner wäre, wenn die Annahme @epperts richtig wäre, zu erwarten, daß Tiere, die lange oder überhaupt ohne Sauerstoff leben können, gegen Blausäure ent- sprechend widerstandsfähig sein müßten, da diese Lebewesen ja keinen Sauerstoff aus der Körperflüssigkeit zu entnehmen brauchen. Wir haben in dieser Richtung folgende Versuche ausgeführt: Wir spritzten mittel- großen Exemplaren von Rana temporaria 2 ccm einer 1/100 m- KCN-Lösung in den Rückenlymphsack ein. Die Tiere starben nach spätestens 2—4 Stunden. Nach Pflügers Untersuchungen?) ist be- kannt, daß Frösche in reinem Stickstoff nach 6 Stunden auf Reize noch deutlich reagieren. Sie sind selbst nach 17 Stunden wohl voll- kommen gelähmt, aber noch nicht tot. Wir haben ferner Regenwürmer in ausgekochter Kochsalzlösung über Quecksilber gehalten, und zwar die einen in 1/50 m-KCN-Lösung (neutralisiert gegen Lackmus), andere in 1/100 m-KCN-Lösung. Zu denKontrollen gaben wirentsprechendeMengen KCl. Die Würmer in der KCN-Lösung waren nach !/,—1 Stunde tot, die Kontrollen bewegten sich nach 6 Stunden noch deutlich. Als wir die Tiere, die tot schienen, nach 24 Stunden herausnahmen, bewegten sie sich an der Luft wieder, wie Normaltiere. Entsprechende Versuche machten wir an Leberegeln des Rindes, die sicherlich lange unter an- asroben Bedingungen leben können. Die Cyankalitiere (in 1/50 m- Lösung) waren sozusagen augenblicklich tot, die Kontrolltiere lebten jedenfalls nach 6 Stunden noch. Am andern Morgen fanden wir auch diese tot vor. Ascaris megalocephala ist eigenartigerweise viel wider- 1) Geppert, Zeitschr. f. klin. Med. 15, 307. 1889. 2) Emil Abderhalden und E. Wertheimer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 647. 1922. ®) F. W. Pflüger; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol: 10, 251. 1875. Studien über Autoxydationen. 145 standsfähiger gegen KCN. Immerhin fand Schröder!), daß die Asca- riden in einer 3proz. Cyankalilösung nach 1!/, Stunde zugrunde gingen. Alle diese Versuche sprechen gegen die erwähnte Annahme von @eppert. Wenn man aber das Wesentliche der Cyankaliwirkung darin sieht. daß autoxydable Gruppen — wie man es z. B. an der SH-Gruppe ver- folgen kann — nicht mehr oxydiert werden können, und ferner kein aktiver Wasserstoff mehr in Freiheit gesetzt werden kann, so werden auch die Ergebnisse dieser Versuche verständlich. Es werden Störungen in der Zelle veranlaßt, bei denen auch niedere Organismen nicht mehr bestehen können. Wir wollen hier nur daran erinnern, welche Bedeu- tung Wieland wohl als erster der Wasserstoffwanderung in den Zellen zuerkannt hat ?). Die Wirkung der Alkohole der homologen Reihe scheint zunächst in einem Gegensatz zu all dem zu stehen, was wir über Alkoholwirkung und Oxydationsvorgänge kennen. Aber der Gegensatz ist ein nur scheinbarer. Es wird zwar die Autoxydation der SH-Gruppe des Oysteins durch die Alkoholreihe beschleunigt, andererseits wird aber die Rück- reduktion gehemmt, so daß wiederum der Vorgang nur in einer Rich- tung sich vollzieht, allerdings in entgegengesetzter als unter Cyan- kaliwirkung. R-SH HS-R>[R-.S— S-R] anstatt R-.SH HS-RZR-S — S-R (Alkoholwirkung) (normal) unter Oyankaliwirkung R-S—-S-R>[R-SH-+HS-R]. Praktisch bekommen wir also auch durch Alkohole eine Hemmung. Es ist wohl möglich, daß die Wirkung der oder doch mancher Nar- kotica ganz oder zum Teil auf eine Hemmung der Autoxydationen in dem einen oder anderen Sinne zurückzuführen ist. Es sei noch kurz angeführt, daß wir auch z. B. die Methylenblau- veduktion durch Hefezellen mit Alkoholen in der homologen Reihe hemmen konnten. Auch die Schardingersche Reaktion ließ sich durch Alkohole hemmen, allerdings nicht in der homologen Reihe (sie war z. B. gegen Methylalkohol empfindlich, gegen Äthylalkohol weit we- niger). Wir führen diese Befunde als Beispiele von Hemmungen von Reduktionsvorgängen durch Alkohole in Analogie zur Hemmung der Rückreduktion des Cystins durch Geweba an. Ob die angeführten Alkoholwirkungen (sie treffen auch für Äther und Chloroform zu) bei der chronischen oder akuten Intoxikation eine Rolle spieen, können wir nicht aussagen. Da die Alkoholwirkungen weit schwächer sind als die Cyankaliwirkung, so könnte eine genaue Beantwoıtung dieser Frage nur an einem größeren Tiermaterial durch !) Schröder, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 19. 290. 1885. See Wielomdslire: Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197 10 146 E. Abderhalden u. E. Wertheimer: Studien über Autoxydationen. eine genaue colorimetrische Methode bzw. durch Verfolgung der Bil- dung von H,S auf Zusatz von S erfolgen. Zum Schlusse möchten wir noch die wichtige Frage aufwerfen, ob es berechtigt ist, aus dem Ausfall bestimmter Reaktionen (Oxydationen bzw. Reduktionen) mit Zellen oder aus ihnen gewonnenen Auszügen Schlüsse auf Zellvorgänge zu ziehen. Nehmen wir als Beispiel die Re- duktion von m-Dinitrobenzol (Lipschitz). Darf aus einer verminderten oder gar aufgehobenen Wirkung auf die erwähnte Substanz geschlossen werden, daß in dem betreffenden Gewebe die Oxydationsvorgänge ganz allgemein gestört sind? Uns scheint, daß man zunächst nur zum Ausdruck bringen kann, daß ein Teilvorgang gestört ist. Ob diese Störung eine solche der Gesamtoxydationsvorgänge in der Zelle nach sich zieht, ist eine Frage für sich. Es wäre denkbar, daß in der Zelle ein bestimmter Mechanismus der Oxydationsvorgänge gestört ist, während solche anderer Art noch im Gange sind. Es muß, solange wir die einzelnen Oxydations- bezw. Reduktionsvorgänge in den Zellen nicht in allen Einzelheiten kennen, der Gaswechselversuch mit dem Versuch, durch Einwirkenlassen von Gewebe auf sich in charakte- ristischer, leicht erkennbarer Weise verändernde Verbindungen Oxy- dations- bzw. Reduktionswirkungen zu erkennen, parallel gehen. Man wird auf diesem Wege vielleicht wichtige Feststellungen über das Wesen der einzelnen Oxydationsvorgänge erhalten. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle, Von Dr. Lydia Felieine Gurwitsch, (Prosektor am histologischen Institut der Taurischen Universität Simferopol [Direktor Prof. A. Gurwitsch)). Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. Juni 1922.) Die Anwendung des Arbeitsbegriffes auf die Analyse der Tätigkeit der Nervenzelle stößt auf große Schwierigkeiten. Wir pflegen ja in der Tat die Tätigkeit der Nervenelemente nur an den Leistungen ver- schiedener ausführender Organe zu beurteilen und der Begriff der geleisteten Arbeit als eines bestimmten Energieäqguivalentes kommt dabei nicht zur eigentlichen Geltung. Die Analyse kann gegenwärtig wohl nur in dem Sinne vorgenommen werden, daß man sich die Frage stellt, ob erstens ein „Mehr oder Weniger‘ seitens einer bestimmten Zelle geleistet werden und zweitens ob die Betätigungsweise einer bestimmten Nervenzelle unter Umständen auch qualitativ verschieden sein kann? Man kann versuchen, dieser Frage näher zu treten, indem man ver- schiedene Agentien zur Anwendung bringt, die eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Nervenelemente wenigstens vortäuschen. Es kommt hier in erster Linie das Strychnin in Betracht. Es möge hier vorgreifend das Verhältnis zwischen der physiologischen und der histo- logischen Seite unserer Analyse mit einigen Worten erläutert werden. In den zahlreichen vorliegenden Arbeiten, die sich mit histologisch Veränderungen der Nervenzelle funktioneller Art befassen, wurden erstere fast ausschließlich als Folgen vorangehender Beanspruchung oder sonstiger experimenteller Eingriffe betrachtet. Der eigentliche Zusammenhang zwischen der Eigenart der im Zeitpunkte der Fixierung vorliegenden Tätigkeit der Nervenzelle und dem zugehörigen histo- logischen Bilde resp. die Betrachtung des letzteren als wenigstens partieller Grundlage für erstere scheint fast keine Berücksichtigung gefunden zu haben. Wir wollen speziell diesem Zusammenhange unser Hauptinteresse zuwenden, obwohl es keinen Augenblick verkannt werden darf, daß die physiologische Interprätation eines histologischen Befundes stets bis zu einem gewissen Maße problematisch bleiben muß und nie den Wert einer Hypothese überschreiten wird. 10* 148 L, Felicine Gurwitsch Über den eigentlichen Angriffsort des Strychnins, der, wie er- wähnt, für uns in Betracht kommt, herrscht eine gewisse Unklarheit. In den neueren Arbeiten von Verworn, der sich auch auf diejenigen von Baglioni und Veczi stützt, wird der Standpunkt vertreten, daß das Strychnin nicht die motorischen, sondern bestimmte sensible Neurone angreift, als welche zwischen den Spinalganglien und den Vorderhorn- neuronen eingeschaltete Zellen der Hinterhörner angesehen werden. Die Beweise für diese Behauptung, soweit sie aus der Darlegung in Verworns Werke „Erregung und Lähmung‘ (Jena 1914) hervorgehen (die Originalarbeiten waren mir leider nicht zugänglich), scheinen durch- aus nicht zwingend zu sein. Es macht vor allem schon die rein histo- logische Seite gewisse Schwierigkeiten, da das postulierte intermediäre Neuron in den Hinterhörnern so außerordentlich spärlich vertreten ist, daß man nur ganz vereinzelte Zellen und bei weitem nicht in jedem Schnitte entdecken kann. Die histologische Analyse des Rückenmarkes der Strychninfrösche, deren Ergebnisse im weiteren mitgeteilt werden sollen, bringt ganz unzweideutige Beweise für eine tiefgehende, re- versible und Hand in Hand mit Alterationen des physiologischen Zustandes einhergehende Änderungen der Vorderhornzellen. Unsere physiologische Analyse des Benehmens der Strychninfrösche wird daher unter der Annahme durchgeführt, daß jedenfalls auch die motorischen Neurone Angriffspunkte für Strychnin darstellen. Die Strychnindosis schwankte in unseren Versuchen zwischen 0,0005 —0,001 g. Das Rückenmark wurde sowohl auf der Höhe tetanischer Krämpfe (zuweilen schon !/, Stunde nach Injektion), als auch nach mehrstündiger unausgesetzter Beobachtung strychnisierter Tiere fixiert. Die Beobachtung des Benehmens, auf die ganz besonderes Gewicht gelegt wurde, trug in manchen Fällen einen gewissermaßen rein passiven Charakter, indem die Tiere bei möglichster Fernhaltung auch der geringsten Reize gehalten wurden; in anderen Fällen kamen plan- mäßige Reize zur Anwendung. Die Analyse der Strychninwirkung wurde durch Anwendung seiner physiologischen Antagonisten — der Narcotica — vervollständigt, als deren Vertreter das Chloralhydrat zur Anwendung kam, welches in ver- schiedensten Kombinationen, vor dem Strychnin, gleichzeitig mit dem- selben und auf der Höhe der Strychnintetani eingeführt wurde. Das Strychninbild entfaltet sich folgendermaßen : Innerhalb 10 —30 Minuten nach Einspritzung in den Rückenlymph- sack treten blitzartige Streckungen der Hinterbeine mit sofortigem Einziehen derselben auf. Es macht sich gleichzeitig auch eine Spannung des ganzen Körpers merkbar. Der Frosch richtet sich auf seinen Vorder- Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. 149 beinen auf, wischt sich die Augen mit den Pfoten ab, die Pupillen sind erweitert. Die leisesten Geräusche werden mit einem Zusammenfahren des ganzen Körpers beantwortet. Das ganze, übrigens wohlbekannte Bild, weist auf eine bedeutende Erhöhung der Empfänglichkeit der receptorischen Sphäre. Bald darauf treten klonische und etwas später tetanische Krämpfe auf, die in rascher Abfolge sich wieder- holen. Die Krämpfe werden immer stärker, und indem sie ihr Maximum erreichen, genügt der leiseste Reiz, um mehrere Anfälle zu erzeugen. Es machen sich aber gleichzeitig auch einige Ausfallserscheinungen be- merkbar. So zieht z. B. der Frosch in der Regel nach den drei bis vier ersten tetanischen Anfällen seine Beine rasch und vollständig an, nicht aber mehr nach dem fünften resp. sechsten Anfall, wo die Beine zunächst nur langsam und unvollständig, dann aber gar nicht mehr eingezogen werden, so daß der Frosch in den Zwischenpausen ganz schlaff daliegt, was aber zunächst die Intensität und den Ablauf der Reflexkrämpfe noch nicht beeinträchtigt. Dieser Zustand leitet allmählich zu dem- jenigen einer völligen Prostration über, wo der Frosch ganz schlaff und regungslos mit geschlossenen Augen, auf dem Bauch liegen bleibt. Die geringsten Reize reichen aber auch hier, um heftige tetanische Krämpfe zu erzeugen. Der rein reflektorische Charakter dieser Krämpfe tritt mit besonderer Evidenz zum Vorschein, wenn man zwei bis drei Frösche in einem gemeinsamen geräumigen Behälter unausgesetzt beobachtet. Ein leises Geräusch, eine Erschütterung des Tisches reichen aus, um bei allen Tieren streng gleichzeitig Krämpfe zu erzeugen. Er- folgen letztere scheinbar spontan, so bezeugt ihre strenge Gleichzeitig- keit, daß auch hier äußere, wenn auch der Aufmerksamkeit des Be- obachters entgangene Reize vorlagen. Bei mäßigen Strychnindosen ist auch im Zustande völliger Pro- stration Erholung nicht ausgeschlossen. Die Krämpfe werden allmäh- lich schwächer und seltener, in den Zwischenpausen wird der Frosch immer regsamer, richtet sich auf, zieht seine Hinterbeine ein und nach 24—36 Stunden tritt völlige Genesung ein. Soweit die Tatsachen. Versuchen wir nun dieselben zu analysieren, so entsteht vor allem die Frage, ob hier, sei es auch nur zeitweilig, eine wirkliche Erhöhung der Leistungsfähigkeit, der Arbeit seitens der Nervenzellen vorliege ? Die Leistungsfähigkeit wird hier im Sinne des Quantums der bis zur Absage geleisteten Arbeit verstanden, wobei es zur Voraussetzung gehört, daß der Energiezufluß in den Versuchsbedingungen keinen merkbaren Schwankungen unterliegt, was aus dem Umstande er- schließbar ist, daß Erschöpfung schon so frühzeitig auftritt, daß ein merkbarer Mangel an Betriebsstoffen innerhalb der Zelle noch kaum 150 L. Felicine Gurwitsch : vorliegen kann, was auch, wie wir sehen werden, bis zu einem gewissen Grade durch das histologische Bild bestätigt wird. Die quantitative Messung des geleisteten Arbeitsquantums setzt Versuchsbedingungen voraus, die uns leider nicht zur Verfügung stehen. Wir glauben jedoch, daß eine aufmerksame Analyse der Erscheinung des zweiten Stadiums uns schon Mittel in die Hand gibt, um die ge- stellte Frage schätzungsweise, und zwar in negativem Sinne zu be- antworten. Es kommen hier vor allem die so außerordentlich schnell auftretenden Ausfallserscheinungen in Betracht. Es läßt sich vor allem der Nachweis erbringen, daß es sich dabei um Erschöpfung speziell der Nervenzellen handelt, da im Endzustande tiefster Prostration, direkte Muskelreizung noch sehr gute Reaktion gab, weniger gut die Reizung vom Nerven aus, und gar nicht mehr durch den Reflexbogen des Rückenmarkes, vom Ischiadicus der anderen Seite, gelang. Es handelt sich nun um Aufklärung der Frage, welcher der beteiligten Neurone am frühesten und vollständigsten versagt? Die Frage muß aber noch dahin präzisiert werden, daß innerhalb jedes Neurons ja wiederum eine receptorische von einer effektorischen Sphäre bis zu einem gewissen Grade unterschieden werden muß. Ich glaube, daß folgende, mehrfach mit größter Gleichmäßigkeit wiederholte und stets zu gleichen Ergebnissen führende Beobachtungen als entscheidend gelten können. Hörte soeben ein tetanischer Krampfanfall auf, so läßt sich auf bestimmten Stadien sofort ein neuer durch leise Berührung einer be- liebigen Hautstelle erzeugen. Wird aber eine gegebene Hautstelle in kurzen rhythmischen Zeitintervallen mehrmals beansprucht, so versagt der Reiz unter allmählichem Schwächerwerden schon nach drei- bis vierfacher Wiederholung. Der gleiche maximale tetanische Effekt kann aber sofort wieder erzeugt werden, falls eine frische Hautstelle gereizt wird. Nach kurzer Ruhepause erweist sich nun auch die erschöpft gewesene Hautstelle als wiederum reizempfänglich, so daß man, indem man in rhythmischen kurzen Zeitabständen verschiedene Hautstellen reizt, eine praktisch fast unbegrenzte Anzahl tetanischer Anfälle her- vorrufen kann. Es läßt sich hier wohl kaum an etwas anderes als an leichte Erschöpfbarkeit, speziell der receptorischen Sphäre des ersten Neurons denken und dieses im Gegensatz zur bedeutenden Leistungs- fähigkeit des motorischen Neurons. Es läßt sich daher überhaupt nicht plausibel machen, daß die Leistungsfähigkeit sensibler Neurone, wie es Verworn haben will, durch Strychnin merkbar gesteigert werde. Es entsteht aber gleichzeitig die Frage, ob von eigentlicher Erhöhung der Leistungsfähigkeit der motorischen Sphäre die Rede sein dürfte? Ein genaueres Eingehen auf die Erscheinungen der ersten heftigen Tetani läßt auch hier berechtigte Zweifel auftauchen. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. 151 Stellt man die tetanischen Anfälle mit nachfolgender, schon sehr frühzeitig auftretender Prostration, dem Verhalten des normalen oder sogar des decapitierten Frosches gegenüber, so merkt man sofort, daß auch die heftigsten Reaktionen auf stärkste Reize letzterenfalls abschließen und das Tier eine Ruhestellung annimmt, ohne daß eine Spur von Erschöpfung sich merkbar machte. Das Einziehen der Hinter- beine nach einem sehr heftigen klonisch-tetanischen Anfall eines de- capitierten Frosches erfolgt z. B. so prompt und vollständig, daß der Gegensatz zum Verhalten des Strychninfrosches schon nach den ersten tetanischen Krämpfen ein ganz auffallender ist. Man sieht dabei erst recht ein, welch’ bedeutende Beanspruchung des Nervenmuskelsystems der Zustand der tonischen Ruhe bedeutet. Versucht man das Gesamt- quantum der während eines tetanischen Anfalles eines Strychninfrosches mit nachfolgender atonischer Prostration verbrauchten Energie mit entsprechenden Mengen etwa bei dem decapitierten Frosch zu ver- gleichen, so gewinnt man den entschiedenen, allerdings objektiv vorder- hand nicht verifizierbaren Eindruck, daß das Übergewicht nicht auf Seiten des Strychninfrosches liegt. Es läßt sich demnach schließen, daß die Strychninwirkung ganz wesentlich nicht in wirklicher Erhöhung der Leistungsfähigkeit, sei es der receptorischen oder der effektorischen Sphäre des Rückenmarkes, sondern in einer Änderung der Verbrauchsweise der aufgestapelten resp. momentan zur Verfügung stehenden Energie der Nervenzelle zu suchen ist. Die Eigenartigkeit des Verhaltens des Nervensystems der Strychnintiere wurde schon des öfteren als eine Art Vergeudung aufgefaßt und als solche bezeichnet. Es wurden aber, wie mir scheint, die aus diesem mehr bildlichen Ausdrucke sich ergebenden wichtigen physiologischen Konsequenzen nicht in genügendem Maße berück- sichtigt. Physiologisch gesprochen ist die Vergeudung gleichbedeutend mit Fortfall einer normal vorhandenen Bremsung oder Hemmung. Dem Hemmungsbegriff kommt ja in der Physiologie eine hohe Bedeutung zu. Es ist aber die Frage, wohin man die Hemmungszentren zu verlegen hat, die bei Strychninwirkung in Wegfall kommen? Die bedeutenden Differenzen, die zwischen dem Verhalten des decapitierten Frosches, der ja ebenfalls gewisser Hemmungszentren entledigt wird, und demjenigen des Strychninfrosches auftreten, weisen jedenfalls darauf hin, daß es sich letztenfalls um spezielle, im Rücken- mark selbst lokalisierte Mechanismen handelt. Es ist dabei immerhin denkbar, daß im Rückenmark spezielle, von den motorischen Elementen räumlich isolierte Hemmungsmechanismen bestehen. Es müßte aber dann die Wirkung des Strychnins auf dieselben eine depressorische sein. Es käme damit dem Strychnin überhaupt 15% L. Felicine Gurwitsch:: DD keine erregende Wirkung zu. Es liegt aber auch eine andere Möglich- keit vor, die aus verschiedenen Gründen als die bei weitem wahrschein- lichere erscheint. Der Hemmungsmechanismus, um den es sich bei Strychninwirkung handelt, ist offenbar in die motorischen Zellen selbst zu verlegen. Die normale Betätigung der Nervenzelle ginge demnach mit einem bedeutenden Grad von innerer Bremsung einher. Die Strychninwirkung wäre dann gewissermaßen einer Entbremsung gleich zu setzen. Eine wirkliche Erregung im Sinne von Steigerung der Tätigkeit läge in diesem Falle nicht vor. Die Gründe, die zu dieser Interprätation der Strychninwirkung führen, beruhen auf einer sehr weitgehenden Parallelität der physio- logischen Erscheinungen mit den histologischen Befunden bei Strychnin- wirkung. Es kommt dieses mit besonderer Klarheit zum Ausdruck, wenn man die Wirkung des Antagonisten des Strychnins — des Chloral- hydrates — berücksichtigt. Wir müssen aber vorher noch auf einen vorhin bereits erwähnten Punkt des Benehmens des Strychninfrosches zurückkommen. Wir wissen bereits, daß sich hier schon sehr frühzeitig Ausfalls- erscheinungen bemerkbar machen, die sich namentlich in ungenügender Betätigung der Flexoren nach Aufhören des tetanischen Anfalles geltend machen. Tritt Erholung auf, so macht sich dieselbe in der Wirkungs- weise der Flexoren nur sehr langsam geltend. Die Hinterbeine werden nur sehr langsam, gewissermaßen zögernd eingezogen, die Bewegungen zuweilen auch nicht zu Ende geführt, und erst nach Verlauf von etwa 24 Stunden oder mehr, nimmt der Frosch seine normale Stellung ein, obwohl auch noch dann eine gewisse Unsicherheit und Zittern in den Beinen besteht. Das gleiche Erholungsbild gewährt uns auch die Anwendung des Narkoticums, mit dem einzigen Unterschied, daß der ganze Prozeß nicht in 24—30, sondern mit etwa zehnfacher Geschwin- digkeit, innerhalb 2—3 Stunden abläuft. Das eigentliche Versagen der Flexoren läßt uns schließen, daß dieselben sich am Tetanus im vollen Maße betätigen. Wie läßt sich nun die am frühesten auftretende Erholung derselben unter Wirkung des Chloralhydrates erklären? Gehen wir von der Voraussetzung aus, daß, abgesehen von den initialen Erregungsstadien das Narkoticum nur deprimierend wirkt, so läßt sich diese Depression als die Wieder- herstellung der normalen Bremsung innerhalb der Zellen deuten. Daß es gerade die zu Flexoren gehörenden Ganglienzellen sind, die dabei in erster Linie in Betracht kommen, läßt auf eine bestimmte Elektivität der Wirkung des Narkoticums schließen, wofür, wie wir im weiteren sehen werden, manche Andeutungen histologischen Charakters vorzu- liegen scheinen. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. 153 Wir wollen daher zusammenfassend annehmen, daß die Sirychnin- wirkung auf motorische Zellen sich in einer Elimination der normalen Bremsung der Abläufe, die antagonistische Wirkung der Narkose dagegen in einer Wiederherstellung derselben erschöpft. Ganz eigenartige Verhältnisse bietet ein gleichzeitig mit Strychnin und Chloralhydrat behandelter Frosch (0,0005 des ersteren und 0,1 des letzteren). Die beiden Antagonisten kombinieren sich hier zu einer Mischwirkung, was z.B. aus einem auszugsweise mitzuteilendem Protokoll ersichtlich wird. Frühjahrsfrosch, 7. IV., Zimmertemperatur 10° C. 30 Minuten nach Ein- führung des Gemisches führt der Frosch einzelne, etwas unbeholfene Sprünge aus, wobei blitzartige, schlecht coordinierte Streckungen der Hinterbeine auf- fallen. 10 Minuten darauf verfällt er in ziemlich tiefen Schlaf, reagiert sehr träge auf Berührungen. Aus dem Schlafe geweckt, führt er aber einige klonisch-teta- nische Anfälle aus, schläft aber dann sofort wieder. Der Schlaf wird allmählich tiefer (1 Stunde 15 Min.), keine Reaktion auf vorsichtiges Berühren, dagegen klonische Bewegungen bei stärkeren Stichen. Getötet nach 2 Stunden. Beim Durchschneiden des Halsmarkes und der Nervenstämme tetanische Kontraktionen (im Gegensatz zu echter Narkose, wo alles reaktionslos verläuft). Wir wollen nun versuchen, in der histologischen Analyse eine Grund- lage für die vorangehenden Ableitungen physiologischen Charakters zu finden. Die bisherigen in der Literatur vorliegenden Angaben über histo- logische Korrelate verschiedener funktioneller Zustände der Nerven- zellen beziehen sich wohl ausschließlich auf eine Gegenüberstellung des Ruhezustandes einerseits und verschiedener Ermüdungs- resp. Erschöpfungszustände, sei es funktionellen oder pathologischen Cha- rakters anderseits. Wir haben es dagegen in unseren Objekten mit ganz eigenartiger Lage zu tun, da es sich entweder, dem herkömmlichen Standpunkte gemäß, um einen Zustand erhöhter Erregbarkeit im Sinne der Stei- gerung der Leistungsfähigkeit, oder wie wir es annehmen wollen, um einen solchen der ‚„‚Entbremsung‘‘ handeln wird. Die Vorderhornzellen des Frosches wurden bisher nur wenig mit spezifischen histologischen Methoden untersucht, und es scheinen zwei Tatsachen von großer Bedeutung der Aufmerksamkeit entgangen zu sein. Es handelt sich in erster Linie um die allgemeine Architektonik dieser Zellen und um die Beschaffenheit ihres fibrillären Apparates. Das Wort ‚multipolar“ bringt hier den Sachverhalt nicht genügend zum Ausdruck, da die Konfiguration sich innerhalb viel engerer Rahmen bewegt. Wir können eine „Breitseite‘‘ der Zelle, wenn man will, auch deren Basis von dem ‚Pole‘ unterscheiden, der in ganz typisch- gesetzmäßiger Weise dem Achsenzylinderfortsatz den Ursprung gibt. Unmittelbar der flachen und breiten Zellbasis anliegend, findet man 154 L. Felieine Gurwitsch : eine mächtige, kompakte Lage von Fibrillen vor, deren Hauptbestand, ohne sich irgendwie zu modifizieren, die ganze Länge der Zelle durch- setzt und in massiven Bündeln die einander polar entgegengesetzten protoplasmatischen Fortsätze der Zelle ausfüllt (Abb. 1 u.2). Trifft man eine Zelle in Profilansicht, so sieht man erst, wie außerordentlich scharf diese Fibrillenlage sich von dem übrigen Zellreich und nament- lich von der Kernregion a? absetzt, und gewinntden wohl irreleitenden Ein- Ra. ENTE druck, daß im Gegensatz ‚Se ® zum Verhalten der Am- niotenzellen, diese Zellen im wesentlichen einen Passageort für den fibril- lären Apparat bilden. Der große Kern, in der Regel von ellipsoider Gestalt, füllt den Raum zwischen Zellbasis und Pol aus. Von der basa- len Fibrillenlage gehen nun in relativ spärlicher Anzahl F’brillen ab, die sich hauptsächlich zum Achsenzylinder hinzie- hen, einige, und zwar ganz vereinzelte, sich um den Kern winden. Die geschildertenVer- hältnisse lassen sich mit ganz außerordentlicher Abb. 1. Zellen des Vorderhornes des Frosches (Lendenmark) Klarheit bei Behandlung normal. Fixirung nach Bethe. Alkohol,Schnittbehandlung mit hBenerder le Schwefelsäure, Färbung mit Toluidinblau. Zeiß E, Oc. 2. NAC ethe darstellen ) DieFibrillen haben meist einen regelmäßig gradlinigen Verlauf und lassen sich an weniger dich- ten Stellen mit größter Schärfe einzeln verfolgen. Das eben geschilderte, in Abb. 1 u. 2 dargestellte Bild erscheint als das durchaus typische. Es treten aber wohl in jedem Exemplar ver- einzelte Zellen auf, deren histologisches Bild als eine nicht unbeträcht- liche Abweichung bezeichnet werden muß, die am besten als eine ‚Auf- 2) Fixierung in Alkohol, Aufkleben mit Eiweiß, Behandlung mit Schwefel- säure (behufs Auflösung der Tigroidsubstanz), Färbung mit 0,001 Toluidinblau mit geringem Zusatz von NaOH. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle, 155 lockerung‘‘ des Gefüges geschildert werden mag (Abb. 3). Der basale Bündel erscheint weniger kompakt, die Zelle selbst weniger schlank, als ihre Nachbarzellen. Diese Tatsache erscheint uns von größter Wich- tigkeit, da sie uns vor die Frage stellt, ob nicht innerhalb physiologischer Funktionsgrenzen ein bestimmter Turnus der Zelltätigkeit bestehe ? Diese Möglichkeit drängt sich noch aus weiteren Gründen auf, und zwar aus der Zusammenstellung des Verhaltens des Frosches bei ge- mischter Strychnin-Chloralhydrateinwirkung und der histologischen Befunde sowohl hier als bei reiner, ausgesprochener Strychninwirkung. Abb. 2. Dasselbe Objekt. In der oberen Zelle basaler Fibril- Abb. 3. Dasselbe Objekt. Auflockerung inner- lenbündel sehr kompakt, in der unteren etwas aufge- halb der rechten Zelle sehr bedeutend. Apo- lockert, Achsenzylinderfortsatz sichtbar. Apochromat ?2mm. chromat 2 mm. Wir wissen ja bereits, daß das Verhalten des mit beiden Antagonisten zugleich behandelten Frosches ein eigenartig gemischtes ist. Diesem physiologischen Verhalten findet sich ein vollständiges Korrelat im histologischen Bilde, wo wir neben völlig normal aussehenden Zellen (die Narkose hinterläßt in den zur Anwendung gelangenden Dosis keine merkbaren Spuren) auch solche von ausgesprochen aufgelockertem Habitus vorfinden. Es besteht demnach hier ein Verhältnis, welches als Verschiebung des normalen nach der Seite des Strychnins bezeichnet werden kann, wobei das Narkoticum seine schützende Wirkung nicht gleichmäßig über alle Zellen erstrecken kann, was wohl am natürlichsten auf eine gewisse Elektivität seiner Wirkung, diese aber wiederum auf gewisse Zustandsdifferenzen zwischen den einzelnen Zellen schließen läßt. Die hier vorkommende, gewissermaßen sporadische Auflockerung 156 L. Felicine Gurwitsch: wird nun zur strengen Regel bei reiner und intensiver Strychnin- wirkung, wie sie namentlich auf der Höhe der tetanischen Krämpfe auftritt. Abb.4 möge dies veranschaulichen. Diese Strychninauf- lockerung erreicht eine Intensität, die man innerhalb physiologischer Grenzen zwar nicht wahrnehmen kann, man erkennt aber unschwer, daß es sich nur um allerdings bedeutende Gradesunterschiede handelt. Die Zellen erscheinen bedeutend vergrößert, verlieren ihre schlanke Gestalt, der Kern nimmt ebenfalls an Volwmen zu, rundet sich ab und ragt viel stärker als normalerweise aus der Zellkontur hervor. Die kompakte basale Fibrillenlage ist als solche überhaupt nicht mehr zu erkennen, der Zelleib wird zuweilen fast vollständig von Fibrillen ausgefüllt. abo. 4. Vorderhornzellen des Strychninfrosches, auf der Höhe tetanischer Krämpfe, 40 Minuten nach Injektion von 0,001 Strychnin. Apochromat 2 mm. Ein sicheres Urteil darüber, ob die Färbbarkeit der Fibrillen dabei abnimmt, läßt sich mit Sicherheit nicht gewinnen; es fällt aber sofort ihr stark geschlängelter Verlauf auf, und zwar im scharfen Gegensatz zum gradlinigen Verlauf innerhalb normaler Zellen. Das geschilderte Verhalten entspricht, wie gesagt, der Höhe der physiologischen Strychninwirkung. Hand in Hand mit der Genesung werden auch die histologischen Erscheinungen rückgängig. In besonders prägnanter Weise tritt der Nexus zwischen Funktionalzustand und Struk- tur bei antagonistischer Wirkung des Chloralhydrates auf, der, wie wir sahen, die Erholungszeit etwa ums Zehnfache abkürzt. Die Rückkehr zur histologischen Norm ist hier schon innerhalb einiger Stunden mehr weniger vollständig. Die Zellkonturen werden wieder schlank, das basale Fibrillen- bündel kompakt, als einziges, offenbar nur sehr langsam verstreichendes tesiduum läßt sich noch die Spur von Schlängelung erkennen. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. 157 Es wurde bereits erwähnt, dal Narkose an sich keine histologischen Korrelate erzeugt. Man findet sogar bei tiefer Narkose vereinzelte aufgelockerte Zellen, ob sie seltener als normalerweise auftreten, läßt sich nur schwer feststellen. Es wurde bereits im vorangehenden betont, dab die Zustände tiefer Prostration, dem die Strychninfrösche so frühzeitig verfallen, einer typi- schen Erschöpfung der Nerven zelle im gewöhnlichen Sinne keinesfalls gleichgestellt werden können. Auch diese Schlußfolgerung wird durch histologische Befunde gestützt, sofern man die Tigrolyse als Zeichen einer solchen ansieht. Das Verhalten des Tigroids zeigt in der Tat nur insofern einige Änderungen, als die starke Auflockerung und Schwellung der Ner- venzelle zu entsprechender Auseinanderdrängung der Nisslschollen führt. Wir hätten nun jetzt die wichtige Frage zu erwägen, ob die histo- logischen Änderungen der Zellstruktur, deren Parallelismus mit dem Benehmen des Strychninfrosches so evident ist, auch in rationeller Weise interpretiert werden können, ob m. a. W.der von uns gesetzte Vorgang der intracellulären Entbremsung aus dem histologischen Befunde, sei es auch hypothetisch, gewissermaßen herausgelesen werden kann ? Es gibt uns vor allem schon die normale, von uns oben geschilderte Verteilung des fibrillären Apparates zu denken. Wir sahen in der Tat. daß nur ein ganz geringer Bruchteil der durch protoplasmatische Fort- sätze eintretenden Fibrillen sich in den Achsenzylinder begibt (Abb. 2). Ob es sich dabei um Abzweigungen aus dem basalen Hauptbündel, oder um selbständige Fibrillen handelt, läßt sich nicht entscheiden. Daß demnach der Achsenzylinder relativ fibrillenarm bleibt resp. nur ein geringer Bruchteil der in die motorische Zelle eintretenden Erregungswelle direkt auf die Muskeln übergeleitet wird, dürfte sehr wohl im Einklang sowohl mit der herkömlichen Anschauung von der Leitungsfunktion, der Fibrillen, als auch mit der relativen Torpidität der Frösche resp. mit der bedeutenden Höhe ihrer Reizschwellen sehen. Es bleibt aber dabei das Verhalten des mächtigen basalen Fibrillenbündels ganz un- verständlich. Welchen Sinn und Inhalt könnte man hier dem Leitungs- vorgange in seiner reinen Form geben, da doch der wesentliche Inhalt des Fibrillenbündels, ohne sich um die Zelle zu kümmern, dieselbe gewissermaßen nur als Passageort benutzt. Es kommt hauptsächlich die Erwägung in Betracht, daß es sich ja um rein motorische, d.h., abgesehen vom Achsenzylinderfortsatz, nur reizempfangende Zellen handelt. Es müssen daher durch alle protoplasmatischen Fortsätze resp. ihre Fibrillenbündel nur zuleitende Prozesse ablaufen resp. das basale Fibrillenbündel doppelsinnig leitend sein. So plausibel diese Konsequenz an sich auch erscheinen mag, so ist dabei zu berücksichtigen, daß unter speziell gegebenen Verhältnissen jede, von einem sensiblen oder 158 L. Felicine Gurwitsch: Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. Assozlations- oder Gehirnneuron stammende Reizwelle, statt in der Zelle zu verbleiben und hier verwertet zu werden, in den polar entgegengesetzten Fortsatz gelangen und die Zelle in einer Richtung verlassen müßte, wo sie gewissermaßen sinn- und nutzlos auslaufen müßte. Reine Leitungsfunk- tion kann demnach dem basalen Fibrillenbündel keinesfalls zukommen. Es eröffnen sich indes ganz neue Deutungsmöglichkeiten, sobald man den Gedanken intracellulärer Hemmungsapparate in der Nerven- zelle weiter verfolgt. Das histologische Korrelat der Strychninwirkung resp. der Ent- bremsung ist, wie wir sahen, eine weitgehende Auflockerung des basalen Fibrillenbündels. Es ist natürlich berechtigt, hier auch einen Causal- nexus zu suchen, um so eher, als das Verhältnis, wie uns die Narkose zeigt, ein doppelseitiges ist. Ganz objektiv betrachtet, können wir nur sagen, daß die Zusammen- fügung der Fibrillen zu einem kompakten Bündel die Übermittlung entsprechender Impulse dem Achsenzylinder irgendwie hemmt, die Auf- lockerung dagegen ein ‚Etwas‘ freigibt. Es käme daher entweder auf das gegenseitige Verhältnis der Fibrillen, oder auf ihre Beziehungen zum umgebenden Plasma, oder auch auf beides an. Physikalische Möglich- keiten oder sogar Modelle, die derartige Beziehungen erläutern könnten, ließen sich natürlich in beliebiger Anzahl ersinnen, hätten aber, wie ich glaube, zurzeit nur wenig Wert. Es scheint aber aus den Befunden mit gewisser Wahrscheinlichkeit hervorzugehen, daß das dasjenige, was einer motorischen Zelle, als Reizimpuls seitens sensibler Neurone übermittelt wird, nach bestimmten Quanten bewertet werden kann, und je nach Umständen, in verschiedener Weise innerhalb der Zellen verteilt wird. Diese Analogie wird ja auch durch die bekannten, zuerst von kamon Cajal erhobenen Befunde bekräftigt, der, wie bekannt, bei Reptilien während des Winterschlafes ein Zusammenkleben der Fibrillen zu kompakten Bündeln und eine vollständige Auflockerung derselben nach Erwachen der Tiere beim Wärmeeintritt nachweisen konnte. Daß in den mitgeteilten Tatsachen eine Grundlage für eine zukünftige Theorie der Tätigkeit der Nervenzelle liegt, scheint mir unbestreitbar zu sein. Die physikalisch-chemische Seite des Auflockerungsvorganges bei Strychninwirkung bleibt vorderhand unaufgeklärt. Es handelt sich unbestreitbar um eine Quellung der Zellen. Ob das Strychnin hier im Sinne einer Steigerung der Permeabilität der Zelle, etwa durch Schädi- gung resp. Auflockerung der Plasmahaut, oder in anderer Weise wirksam ist, muß vorderhand dahingestellt bleiben, obwohl zugunsten dieser Interprätation die antagonistische Wirkung des Narkoticums angeführt werden kann, welches ja die Permeabilität der Zelloberfläche herabsetzen soll und in der Tat die Quellung in prompter Weise rückgängig macht. Blektrophysiologisehe Untersuchungen am alterierten Nerven: I. Mitteilung. Die überlegene Erregungswirkung der aufsteigenden konstanten und Induktions-Ströme infolge Zunahme der anodischen Offnungs- erreebarkeit und kathodisehen Depression während der Erstiekung. Von Walter Thörner. (Aus dem physiologischen Institut Bonn.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 29. Juli 1922. Schon mehrfach bei Gelegenheit früherer Versuche am Frosch- nerven, welcher in einer Atmosphäre von reinem Stickstoff allmählich seine Erregbarkeit verlor, war mir aufgefallen, daß in einem bestimmten Stadium der Erstickung bei der Erregbarkeitsprüfung mit Induktions- reizen der Schließungsschlag besser wirksam wurde als der Öffnungs- schlag, d. h. daß unter diesen Umständen die Schließung schon bei einem größeren Rollenabstand des Schlitteninduktors eine Schwellen- erregung am Muskel hervorrief als die Öffnung, die vorher viel wirk- samer gewesen war. Auch von anderen Autoren sind ähnliche Beobach- tungen angegeben, ohne daß bislang eine eindeutige Erklärung vorliegt Die Erscheinung tritt zu häufig auf, als daß man über sie hinweggehen könnte. Ihre Aufhellung erscheint nicht nur in methodischer Hinsicht wichtig, zur Vermeidung aus ihr etwa erwachsender Versuchsfehler, sondern auch, wie diese Arbeit erweisen wird, für die theoretische Be- trachtung bedeutungsvoll. Man könnte versucht sein, darin einfach eine Bestätigung der alten Grütznerschen!) Regel zu sehen, nach welcher für die Anspruchsfähigkeit auf einen Reiz die Geschwindigkeit der Zellreaktion und die Steilheit des Anstiegs der Reizintensität parallel gehen, und sagen, daß wegen der trägeren Reaktionen im erstickten Nerven der langsamer ansteigende Schließungsinduktionsschlag der passendere Reiz wäre gegenüber dem steileren Öffnungsschlag. So einfach liegen aber offenbar die Dinge nicht. I) Grützner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 41, 256. 1887; Schott, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol 48, 354. 1891; Biedermann, Elektrophysiologie S. 267. Jena 1895. 160 W. T'hörner: In mehreren Versuchsreihen haben wir es unternommen, die Be- dingungen für das Auftreten obiger Erscheinungen festzustellen. Da- bei hat sich gezeigt, dal» neben rein physikalischen Faktoren, die im Bau der Induktionsapparate begründet liegen, und neben vielleicht auch einem gewissen Einfluß der Nerveneigenströme vor allem die Richtung der Reizströme und das am erstickten Nerven veränderte elektro- tonische Verhalten die maßgebende Rolle spielen in Wechselwirkung mit dem durch die Sauerstoffentziehung bedingten Erstickungsdekrc - ment der Erregbarkeit und Erregungsleitung. Es haben sich die mit dem Induktionsstrom gemachten Beobachtungen auf die einfacheren Verhältnisse des konstanten Stromes zurückführen lassen und die vor- liegenden Untersuchungen bilden eine starke Stütze der Anschauung, daß auch bei den sehr kurzen Induktionsstromstößen von einer ge- wissen Intensität an und beim erstickten Nerven schon früher neben die kathodisch erregende Wirkung des Entstehens im Sinne einer Schlie- Bung noch die anodische erregende des Vergehens des Induktionsstroms als Öffnungserregung tritt und daß die letzte am alterierten Nerven besonders leicht sich einstellt und sogar überwiegen kann. Im folgenden sei eine kurze Übersicht über die Versuchsmethodik gegeben, zu der in der Darstellung der einzelnen Versuchsreihen nur noch geringe Ergän- zungen nötig sein werden. Als Material dienten die üblichen Nervmuskelpräparate von Rana temporaria und esculenta, meist wurde nur der Musculus gastroenemius in Verbindung mit dem Nerven gelassen. Da die Versuche sich über längere Zeit hinzogen, kamen Tiere aller Jahreszeiten zur Verwendung und schwankten die Zimmertemperaturen in weiten Grenzen, was beides ohne wesentlichen Einfluß auf die Resultate war. In den Erstickungsversuchen wurde der Nervus ischiadieus durch eine Glaskammer von 3,5 cm Durchmesser (in einigen Fällen nur 2 cm) hindurchgezogen und diese an den kurzen Durchtrittstuben mit kleinen Bäusch- chen nasser Watte abgedichtet, so daß eine gut 3cm lange Nervenstrecke dem Ein- fluß der Sauerstoffentziehung unterlag. Die Kammer wurde von Stickstoff durch- strömt, der aus einer Bombe in einen Glasgasometer überführt war und von diesem durch mehrere Sauerstoff absorbierende Vorlagen!) perlend zuströmte, wobei das abgekochte Druckwasser des Gasometers durch eine Schicht von Paraffinum liqui- dum gegen die Luft geschützt war. Die erstickende Nervenstrecke wurde von Platin- oder unpolarisierbaren Elektroden (V V der schemat. Abb.) berührt zum Zweck der Reizung mit Induktionsschlägen oder konstanten Strömen, welch letztere abgestuft durch einen (öhnschen Gefälldraht im Nebenschluß, dessen Zahlenwert2 mit zuneh- mender Stromstärke ansteigen, und einem Stöpselrheostaten von zwei Akkumula- toren bezogen wurden. Gereizt wurde im allgemeinen durch Schließen und Öffnen eines Quecksilber-Handschlüssels, nur in Versuchen mit graphischer Registrierung durch den Gartenschen Kontaktapparat. Zur Erzeugung der Induktionsströme diente ein in Kroneckerschen Einheiten geaichtes Schlitteninduktorium, in dessen primärem Kreis sich ein Akkumulator und ein Widerstand befanden und eine Helm- holtzsche Nebenschließung beliebig einschalten ließ. Die Stärke des primären Stromes wurde so gewählt, daß im Beginn der Versuche die Schwelle für Offnungs- !) 1 Liter Seignettesalz (30 proz.) + 200 cem Ferrosulfat (40 proz.) — 200 cem Kalilauge (60 proz.). Vgı. Thörner. Zeitschr. f. alle. Physiol. 8, 536. 1908 u. ». baever ebenda %, 169. 1903. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. 1. 161 induktionsschläge bei etwa 20—25 Einheiten lag. Durch ein zentral außerhalb der Kammer angebrachtes Elektrodenpaar konnte das Leitvermögen geprüft, d. h. festgestellt Srenikn, wann hier gesetzte Dinmeamagan von der aenden Nennen nicht mehr durchgelassen wurden. | In späteren Versuchsreihen kam es darauf an, die Ruheströme des Nerven zur Prüfung ihrer Richtung oder zwecks Bestimmung der Latenszeiten die Aktions- ströme des Muskels abzuleiten und zur graphischen Aufzeichnung zu bringen. In diesen Fällen geschah die Ableitung durch unpolarisierbare Elektroden, deren Stromfreiheit kontrolliert wurde, zum großen Saitengalvanometer von Einthoven (Ausführung des Edelmannschen Institutes), dessen Saitenschwankung (meist mittlere Fadenspannung) entweder subjektiv beobachtet oder mit Hilfe der Garten- schen Registriervorrichtung auf Papierfilm photographiert wurde. In den Proto- kollen ist die Rientung der Demarkationsströme durch Pfeile, ihre Stärke durch Fähnchen daran oder Skalenteile der Fadenablenkung bezeichnet. In allen Versuchen war die Richtung der Reizströme genau bestimmt und es beziehen sich in den beigegebenen Protokollen die Zeichen ? (aufsteigend) und v (absteigend) beim konstanten Strom auf die Schlie- ßung d. h. auf die Richtung des geschlossenen Stromes. Beim Induk- tionsstrom bedeuten sie die Richtung, die dieser bei Öffnung des pri- mären Stroms hat, also die Richtung des Öffnungsinduktionsstromes. Dagegen ist die Richtung des Schließungsinduktionsstromes, der bei Schließung desselben primären Stromes entsteht, nicht durch ein be- sonderes Richtungszeichen gekennzeichnet. Er ist dem zugehörigen Öffnungsinduktionsstrom entgegengesetzt gerichtet zu denken. Dem- gemäß enthält in den Protokollen der Versuche, in denen auch mit dem Schließungsinduktionsschlage gereizt wurde, der \) Fall die Reiz- schwellenangabe des |, Öffnungsinduktionsstromes (Reihe hinter Buch- stabe Ö) und darüberstehend die des zugehörigen + Schließungsinduk- tionsstromes (hinter Buchstabe S) und der 4 Fall die Schwellenangabe des 4 Öffnungsinduktionsstromes und darüber die des zugehörigen | Schließungsinduktionsschlages. In den Protokollen der späteren Ver- suche finden sich nur die Angaben für den allein als Reiz angewandten Öffnungsinduktionsstrom. Zur Abkürzung bezeichnet im folgenden I. Ö.=Induktionsöffnungsschlag den als Reiz dienenden Induktionsstrom, der bei Öffnung des primären Stromes in der sekundären, den Nerven enthaltenden Leitung entsteht, und /.8.=Induktionsschließungsschlag den bei der Schließung des primären Stromes induzierten Reizstrom. Die Versuche. a) Allgemeiner Verlauf. Läßt man den Nerven eines frisch hergestellten Präparates in der beschriebenen Anordnung ersticken und prüft man von Zeit zu Zeit die Intensitäten der Induktionsströme, die nötig sind, um in der beein- flußten Strecke noch eine Erregung auszulösen und eine Muskelzuckung zu erhalten, so findet man in vielen Fällen nichts auffallendes. Die ‚ Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 11 162 W. Thörner: Erregbarkeit nimmt in bestimmter Progression ab, man muß immer mehr Reizeinheiten anwenden, um noch eine Schwellenwirkung zu erzielen; dabei ist der Öffnungsschlag viel wirksamer als der Schlie- Bungsschlag und wird es um so mehr, je weiter die Erstickung fortschrei-- tet. Es wird bald ein Stadium erreicht, in dem für den I. Ö. z. B. 3000 Einheiten benötigt werden, während für den I. S. 16000 Einheiten und damit die Leistungsfähigkeit des Induktoriums noch nicht aus- reichen. In solchen Fällen scheint nichts auf ein leichteres Ansprechen des erstickten Nerven auf weniger steile Reize hinzudeuten, im Gegenteil. In anderen Versuchen aber finden wir das umgekehrte Verhalten. Hier nehmen natürlich auch die benötigten Reizeinheiten mit fort- schreitender Erstickung zu, aber für den I. Ö. schneller als für den I. S., sodaß ein Zeitpunkt erreicht wird, an dem die Schließungen weniger Einheiten erfordern als die Öffnungen. Dabei überwiegt die Wirksam- keit der I. S. um etwa 1000 —3000 Einheiten. Sollte hier tatsächlich der I. S. größere Wirkung entfalten, weil sein langsameres Anschwellen den passenderen Reiz für die vielleicht träger gewordenen Lebenspro- zesse des tieferstickten Nerven darstellt? Nein! Dagegen sprechen schon die soeben erwähnten Versuche mit dem starken Übergewicht der Öffnungen und weiter läßt sich leicht erweisen, daß die Lage der Elektroden, d. h. die Richtung, in der der Reizstrom den Nerven durch- fließt, der ausschlaggebende Faktor ist. Es ergibt sich, daß der erste Fall mit dem immer stärkeren Über- wiegen des I. Ö. stets eintritt, wenn die Richtung desselben im Nerven A ist; der in diesem Falle / I. S. ist von besonders geringer Wirksam- keit. Andererseits kommt es zu einer Überlegenheit des I. $. in allen den Fällen, in denen der I. Ö. , und demnach der zugehörige I. S. 4 fließt. Als guter Beleg für das Gesagte möge das nebenstehende Protokoll 2 vom 14. II. 1920 gelten, als Beispiel sehr zahlreicher weiterer Versuche, die mit allerhand Variationen alle prinzipiell das gleiche Verhalten zeigten. In allen Versuchsprotokollen bedeutet 4 und y bei Induktionsströmen die Richtung für den Öffnungsinduktionsstrom, dementsprechend ist der zugehörige Schließungsinduktionsstrom entgegengesetzt fließend zu denken. Aus dem Protokoll 2 ist zu ersehen, wie im ersten Teil der Erstickung, etwa bis zu der Zeit, wo eben die Leitfähigkeit geschwunden ist, das typische Dekrement auch in der Erregbarkeitsprüfung zum Ausdruck kommt, in dem die ? Reizströme mehr Einheiten benötigen, da ihr Erregungsausgangspunkt, die Kathode, eine längere erstickte Nerven- strecke zwischen sich und dem Muskel hat; der I. S. ist dabei seiner Natur nach weniger wirksam und im ? Fall braucht sogar der v I. Ö. etwas weniger Einheiten als der v I. S., was sehr gegen die Anwendung der Grütznerschen Regel spricht. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 163 Protokoll 2. 14. II. 1920. L a b Anordnung: || — (-v - -v-)-O;( )Erstickungskammer. — — — O Nerrv- muskelpräparat. Va-—b unpolaris Elektroden i. d. Kammer || L Platinelektroden für Leitfähigkeitsprüfung zentral vor der Kammer. Reiz: Öffnungs- und Schlie- ßungsinduktionsschläge. y Fall=I. O. , (untere Zahl hinter Ö) und I. S. 4 (obere Zahl hinter S); 4 Fall=1. O. # (untere Zahl) und I. S. | (obere Zahl). = I Induktionsreizung mit a—b Reiz a5 i. d. Kammer in Einheiten mal Zeit ERS nach Kronecker. Tor Ger Be Kammer | = Y A 10& 10° | S 65 60 40 | © 20 30 35 h a 130 | S ı 55 48 |< Stickstoff Ö 30 | 30 40 10h 45’ S 70 60 50 Ö 30 30 46 11% 08% | S 400 180 — 11 04° L ge- Ö 70 150 schwunden 112.23’ S 500! 800 — Ö 600 300 11h 35° S 600! 1300 = Ö 800 500 11% 50° S 1750! 3000 — Ö 2500 2000 12% 107 S 3000 ! >16 000 — Ö 3900 3300 12h 307 S 5500! >16 000 _ Ö 7000 4000 145 | S 1750 2000 — | -Duft Ö 1000 900 12a 557 S 800 450 —_ Ö 300 400 1 05° S 550 240 —_ Ö 150 320 12 15 S 480 140 - Ö 60 240 | 12 257 S 350 80 + L kehrt zu- Ö 40 200 rück nur in 12 45’ S 300 260 4 einzelnen Fa- Ö 40 155 sern Mit weiterer Erstickung macht sich jedoch ein Umschwung geltend. Jetzt benötigt bemerkenswerterweise im v Fall der ? I. S. weniger Einheiten als der 4 I. Ö. und wird im ? Fall der 1 I. Ö. dem v1. S. gewaltig überlegen. Mit andern Worten: trotz des erheblichen Erstickungs- dekrementes wirken die ? Induktionsströme viel besser als die v und zwar sowohl der ? I. $S. wie der 1I. Ö. mit geringem Unterschied. — Nach Luftzufuhr tritt langsam Erholung ein und damit sehr bald 1 164 W. Thörner: Rückkehr der ursprünglichen Verhältnisse in der Wirksamkeit der Induktionsströme. Im vorliegenden Versuch ist die Erholung wegen allzu tiefer Erstickung nicht ganz vollständig, sodaß das Leitver- mögen nicht für alle Fasern wiederkehrt und Dekrement bestehen bleibt. Also nicht der Schließungsschlag als solcher ist wirksamer geworden, sondern es überwiegt der Erfolg der ! Reizströme in einem bestimmten Stadium der Erstickung. Sollen wir angesichts dieser Erscheinungen zurückgreifen auf eine alte Beobachtung Helmholtzs!) der auch am normalen Nerven einen stärkeren Erfolg der ? Oszillationen sah gegen- über den v ? Sollen wir an eine Umkehr des Gesetzes der polaren Erregung denken, derart daß am erstickten Nerven die Erregung nicht von der Kathode ausginge bei der Schließung, sondern von der Anode? Könnten Ruheströme des Nerven in Betracht kommen, die infolge der Erstickung ihre Richtung ändern und die Reizströme beeinflussen würden? Sind es etwa Besonderheiten im Verhalten speziell der Induktionsströme, die das befremdende Resultat bewirken ? Die systematische Durchprüfung all dieser Fragen ließ es angebracht erscheinen, zunächst das angewandte Instrumentarium zu untersuchen. Stromschleifen in gewöhnlichem Sinne kamen sicher nicht ins Spiel, denn Kontrollversuche mit Ligatur und partieller Abtötung des Nerven zwischen Reiz- und Erfolesort ergaben, daß erst bei 12 000 —14 000 Einheiten, in vielen Fällen noch nicht bei 16000 (übereinander ge- schobene Rollen) Muskelzuckungen erfolgten. Auch unipolare Reiz- wirkungen sahen wir erst bei stärkeren Strömen als für unsere Resul- tate in Betracht kamen. Ein gewisser Einfluß kommt dagegen dem Bau des Schlitteninduktors zu, je nach dem Charakter seiner Schließungs- schläge. Hat man z.B. durch Einschaltung des Helmholtzschen Neben- schlusses eine gewisse Annäherung im Charakter des I. Ö. und I. S. erreicht, so tritt in der Erstickung das Überwiegen des I. S. für den v Fall umso kräftiger und seine Unterlegenheit für den ? Fall (v und ? für I. Ö.!) weniger stark hervor. In demselben Sinne, nur we- niger markant, wirkt die Entfernung des Eisenkerns aus der primären Spule. Das alles aber ändert nichts an der Tatsache der Überlegen- heit der ? Reizströme beim erstickten Nerven. h) Einfluß der Nerveneigenströme. Grützner?) zeigte, daß die erregende Wirkung auf- resp. absteigender Reizströme an verschiedenen Stellen des Nerven verschieden ist nach Maßgabe der dort ableitbaren Demarkationsströme. Sind diese dem !) Helmholtz, Verhandl. d. naturhistor. medizin. Verein Heidelberg 5, 14, 1868—71. ?) Grützmer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %8, 166. 1882. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 165 Reizstrom gleichgerichtet, so wird dessen Wirkung verstärkt, sind sie entgegengesetzt, abgeschwächt. Sicherlich”spielen’ bei der verschiedenen Erregbarkeit verschiedener Nerven- punkte außer diesen lokalen Potentialdifferenzen noch andere Faktoren eine Rolle, die in der verschiedenen Ausbreitungsmöglichkeit der Reizströme im Gewebe, also in ihrer verschiedenen Dichte begründet liegen. Denn man braucht nur an einer Nerven- stelle, wo der ? I.Ö. überwiegt an die Kathode desselben einen Tropfen zu hängen oder ein feuchtes Watteflöckchen anzulegen, so läßt seine Wirksamkeit nach und der ) I.Ö. erhält u. U. das Übergewicht. Derartige lokale Zunahmen der feuchten Masse des Nerven gab es auch in unseren Versuchen an den Abdichtungsstellen des Nervendurchtritts durch die Kammerwand; sie können aber für unsere Re- sultate keine Bedeutung gewinnen, da diese Verhältnisse von vorneherein in Wirkung waren und sich im Laufe des Versuches in keiner Weise änderten. Das Verhalten der Nerveneigenströme dagegen erforderte eine Prüfung, da anzunehmen war, daß mit der Erstickung die Kammer- strecke des Nerven eine starke Negativität erfahren würde, sodaß von hier aus nach außen gerichtete Demarkationsströme, also zentral- wärts im # und muskelwärts im v Sinne, gefunden werden müßten, die unsere Reizströme beeinflussen könnten. . Es wurden daher zahlreiche Versuche angestellt, entsprechend dem Protokoll 32, 8.179, in denen drei unpolarisierbare Elektroden den Nerven berührten, eine mittlere b in der Kammer, je eine zentral, a, und pe- ripher, c, außerhalb derselben. Mit Hilfe dieser Elektroden wurden die Demarkationsströme des Nerven zum Saitengalvanometer abge- leitet, andererseits nach Umlegen einer Wippe die Reizströme zuge- führt. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen Grützners u. a. zeigte sich, daß im zentralen Abschnitt des normalen Nerven zwischen a und b + Ruheströme, im peripheren dagegen zwischen b und e ? Ruhe- ströme fließen. Lassen wir jedoch den Nerven ersticken, so macht sich in allen Fällen sehr bald die zunehmende Negativität der mittleren alterierten Strecke bemerkbar in einer Umkehr der Demarkations- ströme, die nun nach beiden Seiten von hier fortfließend, also zwischen a und b ?, zwischen b und ce yY gerichtet sind. In tiefer Erstickung tritt aber gerade für die Reizelektroden a und b jenes zur Diskussion stehende Verhalten zu Tage, daß die 1 Reizströme besser wirksam sind. Es scheint demnach, daß man für diesen Fall die verstärkende Wirkung der Nerveneigenströme als erklärendes Moment heranziehen könnte. Bei Reizung mit b und c dagegen bleiben die Y Reizströme die wirksameren, was angesichts des Erstickungsdekrementes und der Lage der Kathode an normaler Nervensubstanz keiner besonderen Erklärung bedarf, obwohl zudem auch hier die Demarkationsströme den wirksameren Reizströmen gleichgerichtet sind. Es sind aber folgende Einwände zu erheben: In fast allen Versuchen war zu beobachten, daß schon im frühen Stadium der Erstiekung eine kräftige Umkehr der Demarkationsströme erfolgte, ohne daß zu- 166 W. Thörner: nächst jenes Überwiegen der ? Reizströme am zentralen Abschnitt a—b bemerkbar wurde, und daß andererseits dieses erst viel später auftrat, zu einer Zeit, wo sich die Nervenströme kaum noch in ihrer Intensität änderten. Diese erheblichen Differenzen in zeitlichem Auf- treten und Stärke der besprochenen Erscheinungen sprechen gegen einen ausschlaggebenden Einfluß der Ruheströme auf den Gegenstand unserer Untersuchung, obwohl eine gewisse unterstützende Wirkung nicht ganz in Abrede gestellt werden soll. Noch deutlicher zeigte sich das in Versuchen (Protokoll 37), in denen nur innerhalb der Kammer abgeleitet und gereizt wurde und zwar Protokoll 37. 7. 12. 1920. Erklärung wie bisher (vgl. Prot. 2). Reiz: Öffnungsinduktionsstrom y ab- und + aufsteigend. , 0,2=Riohtung und Stärke des Demarkationsstromes in Skalen- teilen. Anordnuug: L a b L a b a) I----v-W-© b) |I-(7-7--0)-0© 55 Reizung a—b 83 | EE Reizung a—b E E Zeit S5 | ee Be zeit | SE" el De 35 E E merkungen 3" p E S merkungen = B = Asiens | 2 la ee 950° | 60 |ıso | nol yo>ı 12220 .| co | so.| sol yo, } Luft 5 [+ Luft 10h so | 170 | 11o| 40.15) rem ir ce 00 Br I 110 | 60 1170 | 120| yo 21005 A000 am Oo 18. we 3502. 4005 0° — Ih 10° N 70 1200 | 2800 | — — Ve Au 21724002 71000, 0 a 1n 30° Se l>100. 2 Bin = 1.900025 450025 2 zur || SO -272.1045004 9500. 0 — 1h 50° Sen — — — | 6000 112500 | — a Gr = 100, 72 — [11000 | 7000 | — — Das 25 7320012000 — | 2 |< Sauerstoff or I. 21015002. .2800, 0 — 2h 107 S |>100 32002 1700. 0° =n O2 020,090. — 72519002 2000, 0 — 23h 307 S a 25 7027008 500, 0 — (Ol ges Ol em 700.17000 0 an 3h S A| — Bu — [200 | 40 | — | — OR Al — ar 3008 211002 4h S| 20) — | — | — [2500| 2000| — | — (O a au A000 72500, Ba 5h oo] | ln. Abeterben ot 10000 a 400 | 3500 | — — 170 W. Thörner: Umlegen einer Wippe dem Nerven durch dieselben unpolarisierbaren Elektroden zugeleitet werden konnten, aufgezeichnet sind. Aus ihnen ist zu ersehen, daß einige Zeit nach dem Beginn des Überwiegens der Öffnungswirkung des ? konstanten Stromes (in vielen Versuchen nur wenige Minuten später) auch jene schon besprochene Überlegenheit der ? Induktionsströme hervortritt und daß beide Erscheinungen nach Sauerstoffzufuhr zurückgehen und normalen Verhältnissen Platz machen, und zwar um so schneller und vollkommener, je weniger tief die Er- stickung war. Dieses gleichartige Verhalten beim konstanten und Induk- tionsstrom legt den Schluß nahe, daß beide Erscheinungen auf den- selben Grundbedingungen beruhen. Protokoll 9. 5. III. 1920. b L a Anordnung: |— (— v v—)— ©. Erklärung wie im Protokoll 7. | 2 Galvan. konst. Strom Induktionsstrom Zeit | a = in der Kammer ZENUEBL DT der | ;n der Kammer en der Bl {} Ve Y r rar 10n Sul 3 0a zo |. Ö 15213 7 5 35| 45 | 35 | 40 |, Stickstoff 10R10° | S 100812 | | 6| 65| 50 | 40 | ö 13 ll | In = 357, 40, 3520240 10h 30° | 8 7.210 4 7 70 3.75, 4002035 Ö 9 9 10 5 60 55 | 35 40 11h INES Ton E ls 6 9 80. 750 A000 30 ı 197716 8 5 6017 50. 35.40 112102 Ss 18 | 23 6 10 | 120), 220. 40.2735 I De ET 9 7 | 70| 35 | 40 11120 | S 29 000, 350 | Ö ae | eo | 11n25’ | S 65 OO | | — (6) 035 — 75007 5000 0 — 1130° | S |>100 | 1100 0a ae IK6) 7 ao 2 13008, 11140’ | S | 1200 | 2600 | — | — Ö ww. 55 ZEN 12000 900 BR — I + Sauerstoff 1145 | S| soo | 20, vr | Ö — 353 | — | - [1280| | — . — 11n50° | S 30 s00, 200 | Ö ren | 20 = | — 12h | 8 180828 5 4.171302 | 2902, 7008 9070 IBKOR 280 0420 5 6 65.) 7025022045 12210 | S 124013 4 3 5| 40| 40 | 40 IK6) 1420312 4 6 45 35 35 30 Die Aufdeckung dieser Grundbedingungen ist Gegenstand einer besonderen Untersuchung gewesen, die sich mit dem Einfluß der Er- stickung auf den physiologischen Elektrotonus beschäftigt hat und über Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 171 die in der folgenden Abhandlung berichtet ist!). Ihre wesentlichen Ergebnisse seien, da sie zur Klärung unseres Problems unentbehrlich sind, schon hier kurz mitgeteilt: Am erstickten Nerven genügen viel schwächere konstante Ströme (1/,—!/30) zur Leitungsunterbrechung. Diese leichtere Blockierbarkeit beruht aber nicht auf einer Steigerung des hemmenden Anelektrotonus, sondern auf einer starken Zunahme der depressiven Kathodenwirkung. Mit zunehmender Erstickung geht die anfänglich deutliche Erregbarkeitssteigerung an der Kathode über den Nullpunkt in eine immer stärkere Erregbarkeitsherabsetzung über, für starke Ströme früher als für schwache, und kurze Zeit später schlägt umgekehrt die Lähmungswirkung an der Anode in eine Erregbarkeits- erhöhung um, und zwar für schwache Ströme früher als für starke. Wir finden demnach am erstickten Nerven etwa zur Zeit des Leitfähigkeits- verlustes, meist schon eher, genau das Umgekehrte wie am normalen: Unmittelbar nach Stromschluß starke Erregbarkeitsherabsetzung an der Kathode und — Erhöhung an der Anode, die beide die Stromöffnung kurz überdauern. Dieses Verhalten ist aber nicht von vornherein gleichzu- setzen mit einer völligen Umkehr des Gesetzes der polaren Erregung, wie es Mares?) sah und wie es auch uns unter bestimmten Bedingungen möglich erscheint?). Es mag sehr wohl noch die Erregungswelle bei Schließung von der Kathode ausgehen, sie wird aber von der unmittel- bar hinterher mit viel größerer Geschwindigkeit sich ausbreitenden de- pressiwwen Kathodenwirkung eingeholt und geschwächt oder ausgelöscht. — Und andererseits geht bei der Öffnung die Erregung aus von der Anode (als Schließungserregung des Polarisationsstromes), wo sie noch einen Erregbarkeitszuwachs vorfindet, der sie fördert (während die sich anschlie- ßende depressive Wirkung der Kathode des schwachen Polarisations- stromes wegen ihrer geringeren Ausprägung nicht ins Spiel kommt). a+ > b- (1 —--1-)-0 { a- —- b+ P—v—--—=1)—Ö© Abb. 1. Konst. Strom. & y, PA; —— — © Nervmuskelpräparat, ( ) Erstickungskammer, vv .au.b unpolarisierb. Elektroden als Anode oder Kathode. Versuchen wir, ob sich diese Erfahrungen benutzen lassen, um in ausreichender Weise das oben beschriebene Verhalten des erstickten Nerven bei Reizung mit ? und v konstanten Strömen verständlich zu machen, wobei uns das nebenstehende Schema Abb. I behilflich sei: Die beiden Fälle, in denen die Erregung vom muskelabgekehrten Pole !) Thörner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., dieser Band, S. 187. *®) Mars, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 150, 425, 1913. ®) Thörner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., ebenda S. 198. RD; W. Thörner: ausgeht, bieten der Deutung keine Schwierigkeiten, da wir das Er- stickungsdekrement der langen Nervenstrecke in Rechnung setzen dürfen. Im v Fall & wird die von a + ausgehende, mit Dekrement ablaufende Öffnungserregung bei b— durch die nachwirkende depressive Kathodenwirkung bald völlig ausgelöscht, zumal bei stärkeren Reiz- strömen, und im ? Fall £ wird die Erregungswelle, die bei der Schließung von a— aufgebrochen ist und in der Dekrementstrecke verlangsamt!) abläuft, von der unmittelbar folgenden viel schneller sich ausbreitenden depressiven Kathodenwirkung?) eingeholt und vernichtet. Damit ist die in der Erstickung zuerst sich einstellende Erfolglosigkeit der Schließung des t und Öffnung des 4 Stromes erklärt. Warum ist aber nun weiter in den beiden umgekehrten Fällen, in denen die Erregung vom muskelnahen Pole b ausgeht, derjenige der wirksamere, in welchem b Anode ist? Wie kommt es, daß die Öff- nung des ? Stromes, obwohl am Normalnerv weniger wirksam, jetzt eine viel geringere Stromintensität zur Muskelzuckung benötigt als die Schließung des v Stromes? Auch hier bieten unsere Beobachtungen über die Umkehr der Erregbarkeitsverhältnisse am erstickten Nerven die Erklärungsmöglichkeit: Im v Fall & wird die bei der Schließung von b— ausgehende Erregung mit weiterer Ausbildung des Erstickungs- dekrementes und der depressiven Kathodenwirkung schließlich auch (in immer mehr Fasern) von der letzten eingeholt und ausgelöscht, bevor sie den Kammerausgang erreicht hat. Im ? Fall ö dagegen geht im Momente der Öffnung die Erregung von b -- aus, einem Punkte, an dem noch vom Stromesschluß her eine überdauernde gewisse Erreg- barkeitserhöhung besteht, die das Erstickungsdekrement zum Teil kompen- siert und eine geringere nötige Erregungsreizstärke bedingt. Die Erregung erreicht mit mäßigem Dekrement das Kammerende, von wo sie in der normalen Nervenstrecke zur Maximalhöhe anschwellend (Alles- oder Nichtsgesetz) ungehindert zum Muskel eilt. Eıst durch viel tiefere Erstickung werden Erregbarkeitsherabsetzung und Dekrement so groß, daß auch die von b-+ ausgehende Erregung in der kurzen Strecke bis zum Kammerende erlischt (wobei sich vielleicht infolge der nun nötig gewordenen sehr starken Reizströme eine depressive Wirkung der Kathode des Polarisationsstromes geltend macht). So ist es also zu verstehen, daß von den 4 Reizmöglichkeiten mit dem konstanten !) Verlangsamung der Erregungsleitung im narkotisierten und erstickten Nerven. Vgl. Boruttau, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 350. 1901; Fröhlich, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 3, 455. 1904. 2) Ausbreitungsgeschwindigkeit des Elektrotonus: Hermann, Handb. 2, Abt.1, 5.161; v. Baranowsky u. Garre, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 21, 446. 1880; Grünhagen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 541. 1871; Hermann und Weiss, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %1, 237. 1898; Gildemeister und Weiss, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 94, 509. 1903. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 173 Strom mit zunehmender Erstickung des Nerven Schließung des ! und Öffnung des v zuerst versagen, dann die Schließung des Y Stromes er- folglos wird, während allein die Öffnung des ? noch länger ihre Wirk- samkeit behauptet. Für die gegebene Erklärung sprechen noch mehrere weitere Be- obachtungen: Erstens die Tatsache, daß das Überwiegen und Über- dauern der Wirkung der Öffnung des ? Stromes über die der Schließung des v um so ausgeprägter ist, je weiter entfernt die Elektrode b vom Kammer- ende liest (größerer Wirkungsbereich der nach Stromschluß von b— ausgehenden Depression und längere Dekrementstrecke). Zweitens der Umstand, daß in einem bestimmten Stadium der Erstickung die Schlie- ßBung des v Stromes plötzlich für alle Reizintensitäten versagt, während man beim einfachen Erstickungsdekrement durch Reizverstärkung wieder Erfolg erhält (die depressive Kathodenwirkung ist eben um so stärker, je stärker der konstante Strom!). Dagegen hört die Wirkung der Öffnung des ? Stromes in viel langsamerer Progression auf (da hier das Erstickungsdekrement der auslöschende Faktor ist). Und schließlich steht, wenn wir gefunden haben, daß während des Schlusses des Stromes am tief erstickten Nerven die Erregbarkeit an der Anode erhöht ist und es auch nach der Öffnung noch kurze Zeit bleibt, das so bedingte erhöhte Anspruchsvermögen für den Öffnungsreiz nicht ohne Analogie da. Wir haben wiederholt beobachtet, daß bei Reizung mit konstantem Strom nahe dem Nervenquerschnitt ein Ausgleich zwischen Schließungs- und Öffnungswirkung, ja oft genug eine Überlegenheit der letzten (s. o. S. 168) zustande kommt, wofür allein der Querschnitts- einfluß verantwortlich zu machen ist. Schon vor vielen Jahren haben Bilhartz und Nasse!) nachgewiesen, daß sowohl am Querschnitt wie auch nach mechanischer oder chemischer ‚„Mißhandlung‘“ eine Nervenstelle so verändert ist, daß sie im Elektrotonus eine Erhöhung der Erreg- barkeit an der Anode zeigt. d) Die Versuche mit Induktionsströmen. Wenden wir uns nun zurück zu den Erscheinungen, die unter ähn- lichen Bedingungen bei Reizung mit Induktionsströmen und fast gleich- zeitig mit den zuletzt besprochenen auftreten. Sie bestehen, wie wir sahen, darin, daß auch bei ihnen mit zunehmender Erstickung immer mehr die ? Ströme überwiegen über die v, und zwar der # 1.-Ö. für den ? Fall und der ? 1.-8. für den v Fall (* Fall und v Fall stets für Rich- tung des Öffnungsinduktionsstromes!). Bei genügend tiefer Erstik- kung sind beide schließlich allein noch wirksam. Vgl. Protokoll 2, 7, 9, 32, 37, 40, 65, 66, 68. Dieses Verhalten bleibt unverständlich, wenn wir, wie es für den normalen Nerven bei nicht zu starken Strömen ") Bilhartz und Nasse, Arch. t. Anat. u. Physiol. 1862, S. 66. 174 W. Thörner: sicher gilt, auch für den erstickten annehmen, daß beim Öffnungs- wie Schließungsschlag die Erregung allein von der jeweiligen Kathode aus- geht, daß also nur das Entstehen jedes Induktionsstromes als erregen- der Reiz wirkt. Wenn wir uns dagegen erinnern, daß jeder Induktions- schlag letzten Endes einem kurzen konstanten Stromstoße gleich- zusetzen ist, dessen Entstehen (= der Schließung des konstanten Stromes) an der Kathode, dessen Vergehen (= der Öffnung des konstan- ten Stromes) an der Anode erregend wirkt, so brauchen wir nur das im voraufgehenden Abschnitt c Gesagte anzuwenden, um auch die bei Induktionsreizung auftretenden Erscheinungen zu verstehen. In der Literatur finden wir folgende wesentlichen Angaben, die für eine doppelte Reizwirkung der Induktionsströme sprechen und uns zu obiger Anschauung berechtigen. Die alte Matteuccische!) Auffassung der Öffnungserregung als einer Schließungs- erregung des Polarisationsstromes im Nerven steht bisher unwiderlest da?) und erklärt am besten alle hierher gehörigen Beobachtungen. Es ist nachgewiesen?), daß die inneren Polarisationsströme stark genug sind, einen anderen Nerven zu erregen, um so eher also wohl den eigenen. Dazu mag unter Umständen die Mitwirkung von Nerveneigenströmen kommen, wenn eine der Elektroden an einer alterierten Stelle liegt*), am Querschnitt oder, wie in unseren Versuchen, an er- stickten Nerventeilen. Auch mag der geschlossene Strom selber an seinen Polen im Sinne einer Demarkation wirken. Alle diese Ströme gleichen sich im Nerven ab, d. h. werden geschlossen, wenn der polarisierende Strom unterbrochen wird, und summieren sich unter Umständen gegenseitig. Dabei mag der Ausgleich der Demarkationsströme für das leichtere Auftreten der Öffnungserregung eine Rolle spielen. Die Öffnungserregung ist um so besser auszulösen und um so kräftiger, je stärker und länger dauernd der geschlossene Strom war, entsprechend der stärkeren Polarisation. Es fragt sich, ob die sehr kurze Dauer eines Induktions- stromes genügt, um eine ausreichende Polarisation zu setzen. Das ist offenbar der Fall, wenn seine Intensität groß genug ist. So ist es bekannt, daß starke Induktionsströme am Muskel gewisse Ver- änderungen im Sinne einer Erregung an der Anode hervorrufen°). Garten‘) sah am Riechnerven des Hechtes, nachdem schon Nicolai”) ähnliche Beobachtungen gemacht hatte, Erscheinungen, die auf das Ausgehen einer Erregung auch von der Anode bei stärkeren Induktionsschlägen hinwiesen. Beim # Induktions- 1!) Matteucci, Compt. rend. 65, 151—156. 1867. ?) Tigerstedt, Bihang till k. svenska vet. akad. handlingar %, Nr. 7. Grützner, Arch. f.d. ges. Physiol. 32, 337—8397, 1883; Werigo, Effekte der Nervenreizung. Berlin 1891, S. 202; Hoorweg, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 53, 587. 1893. Auch die auf anderer Basis fußende Nernstsche Anschauung widerspricht der Matteucei- schen Theorie nicht, sondern läßt sich vielleicht mit ihr vereinigen. Nernst, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 275—314. 1908. 3) C’remer, Zeitschr. f. Biol. 50, 355. 1908. *) Hering, Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss. III. Abt. 85, 1882; Grützner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 28, 130. 1882; Biedermann, Elektrophysiologie, Jena 1895. >) Biedermann, Elektrophysiologie, S. 621. Jena 1895. 6) Garten, Beitr. z. Physiol. d. marklos. Nerven S. 33. Jena 1903. ”) Nicolai, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 85, 65. 1901. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 175 strom war trotz weitem Elektroderabstand die Latenszeit nicht größer als für y, wie Mares !) schon früher an Froschpräparaten festgestellt hatte, wohl aber erreichte die Aktionsstromkurve später ihren Gipfelpunkt, was für Doppelreizung durch Entstehen und Vergehen des Induktionsstromes und für Summation durch dieselbe sprechen mußte. Bei y Induktionsreizung trat in Gartens Versuchen die erregende Anodenwirkung nicht in Erscheinung, wohl weil die Erregung an der depressiven Kathode scheiterte, deren besondere Ausgeprägtheit am marklosen Nerven er hervorhebt. Am markhaltigen Froschnerven waren es vor allem zwei Beobachtungen Ficks?), die kaum eine andere Deutung als durch Wirksamwerden anodischer Öff- nungserregungen zulassen. Fick beobachtete bei indirekter Reizung mit kurzen ) konstanten Strom- stößen bestimmter Intensität, daß bereits bei einer Dauer derselben von 0,002 Sek. eine maximale Muskelzuckung erreicht wird, die bei weiterer Zunahme der Strom- dauer lange konstant bleibt, dann aber oberhalb 0,004 Sek. plötzlich weiter zu einem neuen Maximum anwächst. Er erklärt wohl mit Recht diese übermaximalen Zuckungen als bedingt durch Summation der nun auch wirksam gewordenen ano- dischen Öffnungserregung zu der ursprünglichen kathodischen Schließungs- erregung. Das gleiche Verhalten fand er, wenn er bei konstanter Stromdauer die Intensität ansteigen ließ und vor allem, was uns interessiert, auch bei Reizung mit “ ) Induktionsströmen von allmählich gesteigerter Stärke. Bei ? Strömen war am normalen Nerven die Erscheinung nicht zu erreichen, wohl weil im Bereich der Anode die von der muskelfernen Kathode ausgehende Erregung schon erlischt bei einer Stromstärkv, die zur anodischen Öffnungserregung ausreicht. Dagegen macht« sich bei Reizung mit ’; Stromsiößen, auch Induktionsströmen, etwas Neues geltend, die „Ficksche Lücke‘, ein Abnehmen und Aufhören der Muskelzuckungen bei einer gewissen Stromstärke und ein Wiedererscheinen und Anwachsen bei weiterer Steigerung der Stromintensität. Die „Lücke“ selber ist auf Blockade an der Anode zurückzuführen, das Wiederauftreten von Zuckungen wohl nur er- klärbar durch Wirksamwerden des Schwindens des Stromes als anodisch erregenden Öffnungsreizes. Dafür spricht, daß diese neuen Zuckungen gegenüber den ersten eine viel längere Latenz haben, wie es für alle Öffnungserregungen charakteristisch ist, und daß diese Erscheinung leichter mit I.S., viel schwerer mit dem kürzeren 1.Ö. erhalten wird. Wenn wir die „Lücke“ bei | Stromrichtung, wo die Zuckungen bei starken Reizen einfach aufhören, nicht sehen, so liegt das an dem Scheitern jeder etwa von der muskelfernen Anode ausgehenden Erregung an der starken Depression der Kathode. Diese Erscheinungen wurden, früher in ähnlicher Weise schon von v. Bezold?) beobachtet, später von verschiedenen Forschern)? kestätigt. Schließlich weisen auch die Versuche mehrerer Autoren?) mit gleichzeitiger Mehr- fachreizung mit Induktionsströmen darauf hin, daß für diese die Gesetze der polaren Erregung gelten. 1) Mares, Berichte d. k. böhm. Ges. d. Wiss. 1891. 2) Fick, Gesammelte Schriften 3 und Würzburger Verh. N. F. 1I. 1871 und Inaug.-Diss. Bern 1883. 3) v. Bezold, Unters. üb. d. elektr. Erreg. d. Muskeln u.'Nerven, Leipzig 1861. ) Tigerstedt und Willhard, Mitteil. v. physiol. Labor. Stockholm 1884; Tiegel, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 13. 1876; Grützner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physicli. 28, 194, 176. 1882. 5) Grünhagen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 34. 1884 u. 36. 1885; Werigo, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 36. 1885; Sewall, Journ. of Physiol. 3. 1880; Fuld, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 81. 1900; Göldemeister, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 124. 1908. 176 W. Thörner: Damit scheint uns die Wirkung eines genügend starken Induktions- stromes, wie wir ihn am erstickten Nerven bei der herabgesetzten Erregbarkeit als Schwellenreiz verwenden müssen, der eines kurzen konstanten Stromstoßes zu entsprechen, was uns berechtigt, unsere Erfahrungen mit dem konstanten Strom am alterierten Nerven auf die Induktionsreizerfolge sinngemäß anzuwenden. Je tiefer der Nerv erstickt ist und je stärker daher die zur Schwellenzuckung nötigen Reizstromintensitäten sind, um so mehr nimmt mit der Erregbarkeits- steigerung an der Anode der erregende Erfolg des Verschwindens des Induktionsstromes zu, entsprechend der anodischen Öffnungserregung des konstanten Stromes, während andererseits der an der Kathode gesetzten Schließungserregung beim Entstehen des Induktionsstromes immer mehr die @efahr droht, in ihrem Ablauf von der zunehmenden depressiven Kathodenwirkung erreicht und geschwächt zu werden. Machen wir uns die Verhältnisse an Hand des nebenstehenden Schemas, Abb. 2, klar, so kommen wir für die Wirksamkeit von Induktionsströmen am erstickten Nerven zu folgenden Forderungen, die sich mit den Ver- suchsergebnissen völlig decken. aı+ — b- ee y Schließungsschlag des A Falles (I. Ö. A) a — b- B=Ev > v0 y Öffnungsschlag des y Falles (1. Ö.y) a - <—- b+ an, A Öftnungsschlag des A Falles (I. Ö. a) aa >: 6 —(-1Y->—-1-)-0 ‚A Schließungsschlag des ) Falles (I. Ö. y) Abb. 2. Induktionsstrom. Oberer Pfeil = Richtung des angewandten Reizstromes, Schließungs- oder Öffnungsschlag, unterer Pfeil in der Nervenlinie = Richtung des betreffenden Falles der Protokolle, I.Ö.A oder I. Ö.y. Sonst Erklärung wie in Abb. 1. Am ungünstigsten bezüglich des Erregungserfolges liegen die ) Reizstrom- richtungen & und ß. Einmal ist hier der in tiefer Erstickung wirksamere Fr- regungsausgangspunkt, die Anode a + beim Aufhören des Induktions- stromes, muskelfern und die zu durchlaufende Strecke lang, deren Dekre- ment durch die nachklingende depressive Kathodenwirkung beib — noch zur Blockade verstärkt wird. Zweitens erreicht auch die beim Ent- stehen des Induktionsstromes von b — aufbrechende Erregung wegen der schnellen Ausbreitung der starken depressiven Kathodenwirkung das Kammerende nicht mehr. Es müssen daher von einem bestimmten Stadium an für beide v Reizstromfälle die zum Muskelerfolg benötigten Stromstärken sehr schnell zunehmen bis zu einer Höhe, bei der Strom- Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. all schleifen ausder Kammerin die normale Strecke hinausdringen, amschnell- stennoch für Fall &, weil wir es hier mit dem I. S. zu tun haben, dessen langsamerer Anstieg an sich eine geringere Wirksamkeit am Nerven entfal- tet. Viel günstiger liegen dagegen die Dinge in den T Reizmöglichkeiten y und 6. Zwar kommt hier die Kathode a — wegen langer Dekrement- strecke und überholender depressiver Kathodenwirkung für den Muskel- erfolg nicht in Frage. Anders aber die Anode b +. An ihr macht sich das Wirksam- und Überlegenwerden des Reizes des Schwindens der In- duktionsströme auf der Basis der anodischen Erregbarkeitserhöhung geltend und die hier aufbrechende Öffnungserregung erfährt in der kurzen Strecke zum Kammerausgang nur geringes, einfaches Erstickungs- dekrement, das durch die anodische Erregbarkeitserhöhung sogar zum Teil kompensiert ist. Alle diese Forderungen werden durch sämtliche hergehörigen (et- wa 60) Versuche aufs vollkommenste erfüllt. Vgl. die Protokolle 7, 9, 37b, 40; auch 65, 66 und 68. Wir erkennen aus ihnen, wie in einem be- stimmten Stadium der Erstickung, meist bald nach dem Erfolglos- werden der zentralen äußeren Reizung L, in der Kammer, besonders für das muskelfern gelegene Elektrodenpaar, für den vI. 8. des? Falles (x des Schemas) die benötigten Reizeinheiten schnell wachsen und ebenso, etwas weniger rasch, die für den v I. Ö. ( des Schemas). Sie wachsen schnell in die Tausende hinein und evtl. über die Leistungs- fähigkeit des Induktors hinaus, während sich die Einheiten für den #1. Ö. und den t I. S. des v Falles (y und ö) in den Hunderten halten und erst allmählich die Tausende erreichen, entsprechend der Zunahme des Erstickungsdekrementes des Nerven. Aus dieser allmählichen Zunahme der zur Schwellenzuckung nötigen Reiz- einheiten geht übrigens hervor, daß es sich bei den beobachteten Erscheinungen nicht um die Wirkung von Stromschleifen handeln kann. Denn bei solchen würde die einmal erreichte Schwelle konstant bleiben. Es sei dies besonders hervorgehoben, weil in Fällen allertiefster Erstickung, von der es keine Erholung mehr gibt, die Stromschleifengrenze unb>smerkt übsrschritten werden kann. In der Erholung bei Luftzufuhr gehen die für die Erstickung charakte- ristischen Erscheinungen der Induktionsreizung zurück, ebenso wie die des konstanten Stromes, aber viel schneller als diese, wie es ihrem verspäteten Auftreten während der Erstickung entspricht. (Protokoll 2,7,9, auch 37b, 40, 65 und 66.) Sie sind eben an ein etwas tieferes Stadium derselben gebunden, was in ihrer physikalischen Eigenart (kurze Dauer!) begründet liegt. War die Erstickung so tief, daß Schä- digungen des Nerven entstanden sind, so bleiben bei geringer Erholung die besonderen Erregungsverhältnisse evtl. bestehen. (Protokoll 7.) Sonst stellt sich das normale Verhalten mit zunehmender Erholung schnell wieder her, und zwar zuerst für den, Fall, weil der I.Ö., dessen Entstehen wieder erfolgreich wird (Wegfall der Kathodendepression), die Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 12 178 W. Thörner: stärkere kathodisch erregende Wirkung besitzt und seine Kathode muskel- nahe liegt. Erst später tritt die Rückkehr zur Norm auch für den* Fall ein, weil die muskelferne Kathode des I. Ö. wegen der vorgelegten langen Dekrementstrecke noch nicht recht zur Geltung kommen kann und der I. S. an sich eine geringere Erregungswirkung hat. (Proto- koll 2 und 9.) Im bisherigen Verlauf der Untersuchung haben wir die auffallende Umkehr der Reizwirkungen der Induktionssiröme am erstickenden Nerven und damit auch das scheinbare Überwiegen des I. S. über den I. Ö. er- kannt als eine Überlegenheit der Wirkung der 4 Reizströme über die der ‚ und zurückgeführt auf entsprechende Erscheinungen bei Reizung mit dem konstanten Strom. Als deren Grundbedingungen haben wir festgestellt die gesteigerte depressive Kathodenwirkung, die die katho- dische Schließungserregung in ihrem Ablauf beeinträchtigt, und die größere Wirksamkeit des Schwindens der Reizströme im Sinne einer ano- dischen Öffnungserregung durch anodische Erregbarkeitssteigerung. Wir wollen in einem letzten Abschnitt sehen, wie sich diese Deutung bewährt, wenn wir verschiedene Versuchsbedingungen ändern. e) Abänderung verschiedener Versuchsbedingungen. Wenn drei Elektroden den Nerven berühren, und zwar wie in Versuch 32 (vgl. Protokoll 32) die mittlere b in der Mitte der erstickten Strecke, während die andern außerhalb der Kammer, a zentralwärts, c muskel- wärts an normalem Nervengewebe liegen, so zeigt sich die besprochene Umkehr, d. h. das Überwiegen der + Reizinduktionsströme nur bei Reizung mit dem muskelfernen Elektrodenpaar a—b. Das ist auf Grund unserer Darlegungen verständlich und zu erwarten. Für die Elektroden a—b liegen in diesem Falle die Dinge nicht viel anders als für die intracameralen Elektroden in den bisherigen Versuchen, nur daß bei a am normalen Nerven die Öffnungswirkung in anodisch erregendem Sinne gering bleibt, vielleicht erst am Kammer- eingang Geltung gewinnt. Siekann aber wegen des großen Dekrementes der langen Kammerstrecke ebensowenig zu einem Muskelerfolg führen wie die von a aufbrechende kathodische Schließungserregung, die zu- dem noch durch Ausbreitung des deprimierenden Katelektrotonus bis in die Kammer gehemmt wird. Pol b dagegen erhält am erstickten Nerven, während er als Kathode durch Addition von depressiver Ka- thodenwirkung und vorgelagertem Erstickungsdekrement erfolglos wird, als erregende Anode erhöhte Wirksamkeit, so daß nur noch die * Ströme Erfolg am Muskel zeigen, und zwar das Vergehen des t I. Ö. und des 7 I. S. (des v Falles für I. Ö. der Protokolle). Im Gegensatz hierzu behält bei Reizung mit den muskelnäheren Elektroden b—c natürlich der normale Nervenort c seine typische kathodisch erregende Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 179 Überlegenheit bei, so daß hier das Entstehen des v Induktionsschlages, besonders des I. Ö., das wirksamste bleibt, während alle von b aus- gehenden Erregungen, die kathodische wegen der Depressionswirkung eher als die anodische, in der Dekrementstrecke schließlich erlöschen L a Proto b c koll 32. Anordnung: || — v(— —v— —)v—O. Reizung mit I. OÖ. und I.S. b in Kammermitte. a und c außerhalb. ? und | für I. Ö. 1 t Richtung und Stärke des Demarkationsstroms. 22. 12. 1920. Erklärung wie in früheren Protokollen. L=Leitfähigkeit! Reizung mit den & 7 Reizung mit den| # T Schlie- . Reizung zentrall Elektroden 3 8 Elektroden & 2 |Bung=$ Zeit vor der Kammer a und b s g b und e Ei Öffnung ) 1 ee el 101 30° | 150 | 120 wi 50 , 100 S 130 | 140 sol sol * | 100 | ;0 Sy 10h 40° | 140 | 120 701 60 50 | 80 S | 130 | 130 Tess oo 11a 140 | 120 s0| 150 140 | 8 S 130| 150 | 160) zo| ° | ao 2 © 11R15° | (+)| (+) | 1500| 4000| „ | 1000 | 90 Se Wi verschwin: 5000| 1400 Dı mo % | © ak een ae | 6500| 8500| 15000 ” sol’. | s Bu 9500520 I 80 5000 © es | — | a I | es Bu 0000 X 110100, 6000| % © 12h 130 | 120 ol | ve | 100 | 150 901 sol Y 90 | 6 Ö 1n50° | 120 | 110 | 10/1 70l x eos 100 | 130 70). 11010 1.21.2100 | A Ö en: 2n10° | 120 | 110 | ı102| 100| x | ls an 100 | 130 | 100 1930| * | 80 Ö 397 | — | — | 5000| 9000 5000, 7 so ls BR 7500| 5000 | | 90 ao | * | ö 2u35° | — | _ | 7500110000| , | 6000 | 1320| x | s ae — [13000 7000| X 120 | 5500 | v Ö 2145 | 300 | ıso | ı20| ıso| x» | ıs0 | 120 s | Sauerstoff ıso | soo | 220 ı10| * | o| mi ! | 6 305° | 180 | 120 | 160, 90] „ | 10 | S 100 | 200 90, 180 99 | 110| 9 Ö Aus diesen Versuchen (Protokoll 32, insgesamt 9, alle mit gleichem Ergebnis) geht ferner hervor, daß bei distaler Reizung mit b—c selbst bei stärkeren Strömen an dem normalen Nervenpunkte ce das Schwinden des Induktionsstromes zunächst nicht wirkt, daß vielmehr die Erregung beim ? 1.Ö. und # 1.S. (des ) Falles) noch von der intracameralen Elektrode b als Kathode ausgeht, sonst wäre das mit der Er- stickung zunehmende Ansteigen der Reizschwelle für diese Fälle nicht zu verstehen. Erst bei einer Reizstärke von 3—5000 Einheiten scheint die Erregung auch von c als Anode erzeugt zu werden, wofür die geringe Änderung dieser Schwelle mit weiter vertiefter Erstickung sprechen würde. — Wenn wir überhaupt an der 12* 180 W. Thörner: außerhalb der Kammer liegenden Stelle ce eine Abnahme der Krregbarkeit finden, wie sie auch in dem sicheren Falle des Erregungsausganges von ce als Kathode deutlich ist, und ferner in anderen Untersuchungen?) neben einer wärmegelähmten Nervenstrecke beobachtet wurde, so weist das auf eine Beeinflussung dieser Stelle von der alterierten Nervenstrecke aus hin. — Daß in gleichen Stadien der Erstickung die Reizschwelle für die Kathode b bei d’staler Reizung b—e bei erheblich ge- ringeren Reizeinheiten liegt als für aie Kathode resp. Anode b bei proximaler Reizung mit a—b, erklärt sich vielleicht dadurch, daß im ersten Falle eben nicht mehr b als Kathode, sondern ce als Anode Ausgangspunkt der Erregung ist, würde alsoauch dafür sprechen, daß von einer gewissen Intensität an auch am normalen Nerven das Schwinden der Induktionsströme anodisch erregend wirkt, -— wenn wir nicht eine Ausbreitung des erregerden Katelektrotonus aus der Kammer bis an die normale Strecke annehmen wollen, was vielleicht durch Latenszeitenmessung zu entscheiden wäre. In einer anderen Versuchsreihe sollte der Einfluß des Ortes der Reizung innerhalb der erstickten Strecke näher untersucht werden. Es wurde so verfahren, daß das Elektrodenpaar a—b während einer ersten Erstickung dem distalen (oder proximalen) Nervenabschnitt in der Kammer anlag, dann aber nach der Erholung so verschoben wurde, daß es während einer zweiten Erstickung den proximalen (oder distalen) Abschnitt berührte, und zwar so, daß eine Elektrode sich jeweils in der Mitte der Kammer, die andere nahe einer Austritts- öffnung befand. Das Protokoll 37 (s. o. S. 166) gebe ein Beispiel. Es zeigte sich, daß regelmäßig bei proximaler Lage sehr bald die bekannte Umkehr, d.h. das Überwiegen der ? R>izströme eintrat, während es bei distaler Lage meist ausblieb oder nur angedeutet war. Warum? Aus einem ähnlichen Grunde wie in den vorhergehenden Versuchen: Bei distaler Reizung bleibt die Kathode des v Induktionsstromes stark erregend wirksam, weil sie so nahe dem Kammerausgang liegt, daß damit gerechnet werden kann, daß einmal durch Hereindiffun- dieren von Sauerstoff im Nerven die Erstiekung hier geringer ist und andererseits durch Stromausbreitung der Erregungsausgangspunkt peri- pherwärts bis an die normale Strecke verlagert wird. Für den ? Strom aber werden mehr Reizeinheiten erfordert entweder, wenn man die zentrale Elektrode als kathodischen Erregungsausgangspunkt annimmt, wegen Dekrement und depressiver Kathodenwirkung, oder, wenn schon an der peripheren Anode das Vergehen des I. Ö. erregend wirkt, weil diese Wirkung hier noch geringer ist als die kathodisch erregende des Entstehens des v I. Ö. Für das letzte spricht die geringe weitere Zunahme der Einheiten mit tieferer Erstickung und die große Differenz in der Zahl der Reizeinheiten für den ? I. Ö. bei distaler und proxi- maler Reizung. Außer an dies» eingehend bssprochenen Verhältnisss könnte man zur Auf- klärung des gegensätzlichen Verhaltens der proximalen und distalen Reizung in diessn wie den vorhergehenden Versuchen auch an den Einfluß der Nerveneigen- 1) Thörner, Zaitschr. f. allgem. Physiol. 18, 247. 1918. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 181 ströme denken, die, wie schon früher besprochen und aus dem Protokoll 37 und 32 erkennbar, mit der Erstickung in zunehmender Stärke im distalen Abschnitt y, im proximalen ? verlaufen, also gerade im Sinne der besser wirksamen Reizströme. Daß ihnen jedoch keine wesentliche Bedeutung zukommen kann, ist früner S.'’165 klargelegt und erhellt vor allem aus Versuchen, von denen Protokoll 40, S. 167 ein Beispiel gibt: Bei symmetrischer Anordnung der Elektroden in der Mitte der Kammer erfolgt prompte Umkehr zur besseren Wirkung der * Rejzströme, ohne daß die Demarkationsströme sich entsprechend ändern. Wenn demnach die Lage der peripheren Elektrode ın der Kammer von wesentlichem Einfluß ist und unsere Erklärung zutrifft, so müßte sich die Erscheinung der Umkehr stets und auch im distalen Nerven- abschnitt zeigen, wenn nur der periphere Pol genügend weit von der Austrittsöffnung der Kammer entfernt liegt. Und das ist tatsächlich der Fall, wie weitere Versuche ergeben haben. Die Protokolle 65, 66 und 68, die der Platzersparnis wegen nur in ihren wesentlichen Teilen wiedergegeben sind, mögen dafür zeugen. Im Versuch 68, in welchem die periphere Elektrode ce nur 0,53 cm vom muskelnahen, a 0,3 cm vom muskelfernen Ausgang entfernt und b in der Kammermitte liegt, tritt nur für die proximalen Elektroden a—b die Überlegenheit der 4 Ströme (I. Ö.) ein, für Reizung mit b—-c und auch a—c nicht. Im Versuch 65 dagegen sind a und c mehr zur Mitte gerückt und etwa 0,7 cm von den Kammerausgängen entfernt, und sogleich beobachten wir ein starkes Übergewicht des? I. Ö. über den rin der Erstickung auch für die Reizung mit b—c und a—c. Noch deutlicher tritt das gleiche Ver- halten im Versuch 66 hervor. Hier ist während einer ersten Erstickung, bei der alle drei Elektroden mit 0,7 cm Zwischenraum zentralwärts verschoben sind, so daß c 1,2cm vom distalen Kammerausgang ent- fernt liest, die Umkehr überall stark ausgesprochen. Nach der Er- holung wird dann mit peripherwärts verlagerten Elektroden, wobei c bis auf 0,£cm an den distalen Ausgang heranrückt, eine zweite Erstickung vorgenommen, die naturgemäß rascher verläuft als die erste, aber dennoch für b—c und a-e zu einem weit geringeren Überwiegen der Wirkung des t I. Ö. führt. Dieses tritt also um so schärfer in die Er- scheinung, je entfernter die Elektroden und vor allem die periphere vom distalen Ende der alterierten Nervenstrecke liegen. Zu erörtern bleibt, weshalb in diesen Versuchen für die Reizung mit den Elektroden a—c mehr Reizeinheiten benötigt werden als mit b—c. Am normalen Nerven ist der Unterschied gering und vielleicht auf den größeren Widerstand der längeren Nervenstrecke zurück- zuführen. Mit der Erstickung wird die Differenz erheblich größer. Ob dafür ein Wachsen des elektrischen Leitungswiderstandes!) oder 1) Zunahme des elektr. Leitungswiderstandes des alterierten Nerven: Rinncsuke Skoje, American Journ. of Physicl. 4%, 512. 1919; Broemser, Zeitschr. f. Biol. 44, 49. 1922. 182 W. Thörner: noch andere Faktoren verantwortlich zu machen sind, konnte nicht entschieden werden. Dagegen scheint der Betrag, um den die Wirkung des t I. Ö. die des y in tiefer Erstickung überwiegt bei Reizung a—c nahezu der gleiche (vielleicht ein wenig größer) zu sein wie bei Reizung b—c (Protokoll 65 und 66a), woraus hervorginge, daß die Länge der Nervenstrecke nur von geringem Einfluß auf diese Erscheinung ist (ober- halb gewisser Grenzen natürlich, die eine genügende Ausbildung von Dekrement und depressiver Kathodenwirkung gestatten). Protokoll 68. 6. Il. 1921. a b c Anordnung: | — (vV— — v— — v)— O0); a—b und b—e je ca. 1,2 cm (—a und e—) je 0,3 cm. Reiz: Induktionsöffnungsschlag. & SE ©| Reizung in der Reizung in der Reizung in der = Er = Kammer, proximal| Kammer, distal | Kammer mit Elek- Zeit 18 se Elektroden a u. b|Elektroden b u. c troden a u. c Na8,| y 4 V t ve 9h 55° 50 | 80 90 ı 65 80 s0 130 1020642050 85 95 75 85 90 140 ahke 10h 16° | 50 55 60° | 50 60 75 120 : 10h 45’ | 50 110 120 | 90 130 140 250 | 112 09° ua or 1800 900 | 160 800 | 230 ! 1500 aa, == 5500 3500 200 900 300 700 12» N — zu 55000 | 650 1100 | 1200 1750 12» 30° — | — 5500 | 1600 1500 | 2200. | 2000 Protokoll 65. 2. 11. 1921. a b te Anordnung: ||— (— v— v— v—)— O); a-b und b-c ca. 0,8 cm. (—a und c—) 0,7 cm. 3 05° | 40 45 30m 42 52 50 45 le 7) 60 40 40 52 55 48 ; 4h 15’ — 5700 4000 600 450 600 600 4h 20’ | — — 4600 | 2500 2000 | 3800 3000 5u I == —- 6000 | 4800 3700 | 5500 4500 5h 20’ _ — 6800 I 6000 4300 | 7000 4700 te 5h 40’ == 15000 5500 I 1500 ' 1500 | 2000 2300 64 | — 9000 | 3000 600 800 800 1200 Aus den Zahlenwerten der letztgenannten Protokolle 65 und 66 geht übrigens recht prägnant hervor, daß am erstickten Nerven (im Stadium der Umkehr) der Ausgangspunkt der Erregung nur der je- weils periphere Pol sein kann und daß dabei dessen Wirkung als Ka- thode bei Entstehung des I. Ö. um eine gewisse beträchtliche Zahl von Einheiten unterlegen ist gegenüber seiner Wirkung als erregender Anode beim Vergehen desselben. Den Ausgang der Erregung an der proximalen Elektrode zu suchen, hindert das sehr starke Dekrement, das in den hohen Einheitszahlen bei Reizung mit a—b, wo die Er- Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. 1. 183 regung von b aus eine lange erstickte Nervenstrecke zu durchlaufen hat, erkennbar wird. Da demnach für die a—b-Reizung eben wegen des Dekrementes (von b abwärts) zur Muskelerregung größere Strom- stärken nötig sind, ist auch in b die Überlegenheit der Wirkung des Vergehens (Öffnungserregung) des Reizstromes über die des Entstehens srößer gegenüber den weniger starken Reizungen mit b—c oder a—c. Denn je stärker der Strom, umso größer die depressive Kathoden- wirkung und die Erregbarkeitssteigerung an der Anode beim alterierten Nerven. Dieser Einfluß macht sich in allen ähnlichen Versuchen bei a—b-Reizung in dem früheren Eintreten der Umkehr und in ihrer viel stärkeren Ausprägung, d.h. der größeren Differenz zwischen ? und Y I. Ö. geltend. Aus demselben Grunde geht hier auch die Überlegen- heit der ? Ströme in der Erholung langsamer zurück und besteht noch, wenn für Reizung mit b—-c und a—c schon die gewöhnlichen, allein vom Dekrement beherrschten Verhältnisse wiedergekehrt sind. Protokoll 66. 3. II. 1921. L a b c Anordnung: | — (v—_ v— v——)—C) a-bu. bc ca. 0,7cm. (-80,4cm; c—) 1,2 cm. Reiz: Öffnungsinduktionsstrom. 2558 Reizung in der Reizung in der Reizung in der h S = E Kammer mit Kammer mit Kammer mit Zeit 2 5 s a—h, proximal b—c, distal a—c ERcHER rule) le t gh 35° 30 80 70 60 75 D)ı | Lane 9n 55° 30 75 35 30 60 s5| & Dar 10h 05° 35 35 33 36 45 565 10h 557 35 80 58 42 70 65 | 130 112 05° — 112000 | 2000 | 5000 | 1200 | 7000 2300 11a 15 en 25500 4000 — | 4500 11h 307 u 1,8000, 0 4800 |’ — | 5200 ı 21110500, 5200 227757100 1a a 2200 | 1800 280 500 900 | 1100 | Fuft ea 35 | 500 | sol) so 70 110 150 L a b © b) | vv v)—O a-bund b= je 0,7 cm; (a 1,2 em; c—-) 0,4 cm. 23h 25’ BORN 260 70 60 | 100 110 | 140 2 52° L 100 120 45 65 70 | 220 | 3 10’ a | —_ 10000. | 2700 | 1800 | 3400 | 2400 |” Stiekst. 3h 93 u — | 14000 | 10000 | 5200 | 11000 | 5600 | 3h 40’ u AR 9000 | 180 | 550 310 | 760 us 44.00’ = 800 | 1300 | so | 500 160 | 600 Zum Schluß sei noch kurz einiger Versuche Erwähnung getan, in denen zur besseren Lokalisierung des Erregungsausgangspunktes in der Kammer zwischen den beiden Elektroden a und b eine etwa 1,5 cm lange Nervenstrecke abgebunden und mit der Pinzette gequetscht 184 W. Thörner: wurde. Vgl. beistehendes Protokoll 63. Wir sehen, wie infolgedessen von der zentral außerhalb der Kammer gelegenen Reizstelle L nach einiger Zeit keine Erregungen mehr durch die gequetschte Strecke hindurchgehen; daß überhaupt noch eine Weile von L aus Erfolg am Muskel zu erzielen ist, wird erklärt durch Stromausbreitung bis zu einer noch erregungsleitenden Faser in dem alterierten Bereich, wobei die anodische Ausbreitung in charakteristischer Weise überwiegt. Mit fortschreitendem Absterben in der geschädigten Strecke schwindet dieser Reizerfolg bald völlig. Auch an den Elektroden in der Kammer, Protokoll 63. 30. I. 1921. a b Anordnung: ||— (— vx— — xv—)— 0; a-b ca. 1,8 cm. Reiz: Induktions- öffnungsstrom. x —— x Ligaturen, dazwischen gequetschter Nerv. | L-Reizung zentral vor | Reizung in der Kammer Zeit | der Kammer mit a—b IM ! 0 t 10h 2700 2500 80 400 | Luft 10h 10° 4000 2900 180 800 10h 30° 5000 3500 280 1200 10h 45° —_ 4800 300 1300 | Stickstoff 11h — — 440 1700 1115 | — = 500 2000 11h 35’ — — 600 2200 11% 50° | — — 1700 2300 12h — — | 2800 2350 12110 ii — —— 32500 210.72500 126202 | 7 = — 33500 2600 Luft 23h I — 480 | 2300 a und b, macht sich eine Abnahme der Reizwirkung des I. Ö. infolge der zwischen ihnen angelegten Quetschung bemerkbar. Für den v Strom ist sie gering und vielleicht erklärbar durch Zunahme des elektrischen Leitwiderstandes und Annahme eines schädigenden Einflusses, den die absterbenden Teile auf die nahe Nervenstelle b ausüben; sie wird aber sehr viel größer, sobald durch tiefere Erstickung (1250) die Stelle b an Erregbarkeit verliert. Und für den ? Strom ist es umgekehrt. Hier sind von vorneherein sehr viel mehr Einheiten zum Muskelerfolg nötig und diese wachsen nach Maßgabe des Dekrementes in der absterben- den Strecke weiter an. Dann aber, mit dem Eintritt tieferer Erstickung (etwa 1250), steigen sie nicht mehr oder nur wenig an, da mit zunehmender Erstickungstiefe und Stromstärke der kathodische Bereich bei a immer weniger zum Muskelerfolge führt, während das Vergehen des Reiz- stromes in b als Anode immer stärker erregend wirksam wird. So erkennen wir auch in diesen Versuchen in der Erstickung das Über- Elektrophysiolegische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 185 wiegen der Wirkung des # I. Ö., ja wir gewinnen sogar in einem Sta- dium, wo als Erregungsausgangspunkt nur der Bereich des peripheren Poles b in Frage kommt, einen gewissen zahlenmäßigen Einblick in die an dieser Stelle herrschende Überlegenheit der anodisch erregenden Öffnungswirkung über die kathodisch erregende des Entstehens des Reizinduktionsstromes. In ganz ähnlicher Weise, wie in einer durch Sauerstoffmangel er- stickenden Nervenstrecke, scheinen sich die beschriebenen Erschei- nungen auch in anderweitig alterierten Nerven zu entwickeln. We- nigstens haben uns orientierende Versuche gezeigt, daß es auch an Nerven, die mit Äther narkotisiert sind, und an solchen, die mit einer schwachen Carbollössung bepinselt wurden, zu einer überlegenen Wirksamkeit der ? Induktionsströme kommen kann. Es scheint ein Prinzip all- gemeinerer Geltung zugrunde zu liegen, worauf schon oben, S.173, hin- gedeutet wurde und in der folgenden Abhandlung näher eingegangen werden soll. f) Zusammenfassung. Bei Reizung des erstickten Nerven eines Nervmuskelpräparates mit Induktionsströmen kann der Induktionsschließungsschlag (I. S.) u. U. stärker, d. h. bei einem größeren Rollenabstand wirksam sein als der zugehörige Induktionsöffnungsschlag (I. Ö.). Dies Übergewicht ist um so größer, je näher der I. 8. in seinem Charakter dem I. Ö. steht (Bau des Induktoriums) und je stärker die Erstickung (in gewissen Gren- zen) und damit die anzuwendende Reizintensität ist. Die Überlegenheit des I. $. tritt aber nur dann auf, wenn er im Nerven t und der zugehörige I.Ö. v Richtung hat. Im anderen Falle ist der 1 I. Ö. viel wirksamer als der zugehörige v I.S. Es ist demnach die Richtung der ausschlaggebende Faktor und stets der ? Reizstrom von überlegener Wirksamkeit, also der Fall, ir welchem die Anode den muskelmahen Pol bildet. Dasselbe trifft für Reizung mıt dem konstanten Strome zu, bei dem mit zunehmender Erstickung zuerst die Schließung des ? und Öffnung des v, später auch die Schließung des 4 Stromes versagen, während die Öffnung des ? noch längere Zeit allein wirksam bleibt. Dieser Befund wird erklärbar durch die Veränderung des elektro- tonischen Verhaltens in der Erstickung, in welcher die depressive Ka- thodenwirkung mächtig zunimmt und andererseits an der Anode eine Erregbarkeitserhöhung nach Stromschluß sich einstellt, die beide die Stromöffnung kurz überdauern. Dadurch erhält am muskelnahen Pol — der muskelferne ist wegen des Erstickungsdekrementes weniger wirksam — die Anode für die Öffnungserreaung das Übergewicht über die Kathode für die Schließungserregung. 186 W.Thörner: Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. Damit ist die Überlegenheit der Öffnung des ? konstanten Stromes und zugleich auch die der ? Induktionsströme, die wir als kurze kon- stante Stromstöße auffassen dürfen, verständlich gemacht. Die am normalen Nerven nur bei sehr starken Induktionsströmen mögliche anodisch erregende Wirkung ihres Verschwindens (Öffnungserregung) erfolgt am erstickten schon bei viel geringerer Intensität und die von der Anode ausgehende Erregung erfährt nur mäßiges, teilweise kompensiertes Erstickungsdekrement, beides infolge der anodischen Erregbarkeits- steigerung, während die von der Kathode aufbrechende Schließungs- erregung in ihrem verlangsamten Ablauf über die Dekrementstrecke von der depressiven Kathodenwirkung eingeholt und abgeschwächt oder gar ausgelöscht wird. So erklärt sich die Überlegenheit der t Induktionsströme über die y und u. U. auch die des I. S. über den zugehörigen I. Ö.; eine gewisse unterstützende Bedeutung mag dabei der Richtung und Stärke von Demarkationsströmen zukommen. Die vorliegende Untersuchung bildet eine Stütze für die Annahme einer doppelten Reizwirkung der Induktionsströme, für die ein eindeutiger Beweis immer noch aussteht. Ihre Ergebnisse, auch an narkotv- sierten und carbolgeschädigten Nerven bestätigt, stellen eine Verall- gemeinerung auf andere Arten der Nervenalteration, vielleicht auch auf die Degeneration in Aussicht. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. II. Mitteilung. Sauerstoifentziehung und physiologischer Elektrotonus. Von Walter Thörner. (Aus dem physiologischen Institut Bonn.) (Eingegangen am 29. Juli 1922.) In der voraufgehenden ersten Abhandlung!) dieser Reihe sind ge- wisse Beobachtungen über Reizerfolge mit konstanten und Induktions- strömen mitgeteilt, die darauf hinweisen, daß am erstickenden Nerven abweichende Verhältnisse der polaren Erregung vorliegen müssen. Es hatte sich herausgestellt, daß ein Nerv, dessen Erregbarkeit und Leitvermögen durch Sauerstoffentziehung herabgesetzt, der aber noch erholungsfähig ist, erstens bei Reizung mit dem konstanten Strom besser und schließlich einzig noch auf die Öffnung anspricht, und zweitens, daß an einem solchen Nerven die ? gerichteten Induktionssiröme weit wirksamer sind als die v, wobei es zu einem Überwiegen des Schließungs- schlages über den Öffnungsschlag kommen kann. Diese Erscheinungen waren nicht anders erklärbar, als durch die Auffassung des Induktions- stromes als eines kurzen konstanten Stromstoßes, dessen Entstehen kathodisch, dessen Vergehen anodisch erregend wirkt, und durch die An- nahme besonderer Abweichungen im polaren elektrotonischen Verhalten des erstickten Nerven. So wurden denn dort schon die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zur Grundlage der Erklärung und Erörterung der beobachteten Tatsachen gemacht. Es bleibt die nachholende Auf- gabe dieser Mitteilung, die Versuche über die polaren Erregbarkeits- verhälinisse am erstickenden Nerven darzustellen und im einzelnen zu erläutern. Die erwähnten Beobachtungen hatten zuerst den Gedanken nahe- gelegt, daß es infolge der Sauerstoffentziehung zu einer stärkeren Aus- prägung des blockierenden Anelektrotonus des Reizstromes kommen könne, im Sinne einer Summation der lähmenden Wirkung zweier !) Thörner, Pflüsers Arch. £. d. ces. Physiol., dieser Band, S. 159. 188 W. Thörner: Faktoren, der O,-Entziehung und des Anelektrotonus, und daß dadurch und durch die Annahme eines starken erregenden Rückschlages in Richtung der anodischen Öffnungserregung beim Aufhören des Reiz- stromes die zur Diskussion stehenden Erscheinungen erklärbar seien. Diese Annahme hat sich nicht durch die Tatsachen bestätigen lassen, sich aber insofern als fruchtbar erwiesen, als sie zu den vorliegenden Versuchen führte, die den wahren Sachverhalt aufdecken sollten. Um den Einfluß der Erstickung auf die Stärke des zur Blockade nö- tigen konstanten Stromes zu prüfen, wurde folgendermaßen vorge- gangen: In eine Glaskammer von ca 3 em Durchmesser, durch die Stickstoff floß, wurden unpolarisierbare und Platinelektroden lvftdicht eingesetzt, so daß sie im Innern den quer durch die Kammer gezogenen und an den Durchtrittsstellen mit nasser Watte abgedichteten Nerven berührten. Als Zeichen vollständiger Blockade galt, wenn zentral außerhalb der Kammer gesetzte maximale Einzelinduktions- reize (in den Protokollen L, Stab b) keine Zuckurgen mehr an dem peripher der Kammer in feuchter Luft lagernden Gastrocnemius hervorriefen. Als Reize dienten Öffnungsinduktionsschläge eines einfachen ungeaichten Schlitteninduktoriums, dessen primäre Spule ohne Eisenkern Strom von einem Akkumulator erhielt. Der konstante Strom wurde von zwei hintereinander geschalteten Akkumulatoren gewonnen, durch den Cöhnschen Gefälldraht im Nebenschluß so abgestuft, daß die Zahlenangaben den Reizstärken entsprachen, und dem Nerven in der Kammer durch unpolar. Elektroden zugeführt, deren Abstand 1—2 cm betrug. Die Größe dieses Abstandes erwies sich als für das Resultat ziemlich belanglos. Der konstante Strom wurde bei der alle 10°—15 Minuten vorgenommenen Prüfung stets nur für 1 Sekunde geschlossen gehalten, was zur Feststellung. ob und bei welcher Stromstärke Blockade vorhanden war, genügte. Aus dem gleichen Grunde der Vermeidung von Nachwirkungen des konstanten Stromes wurde dieser in mehreren Versuchen (z. B. Protokoll 9) nur in einer Richtung entweder nur } oder nur y) verwandt, in den meisten jedoch abwechselnd in beiden Richtungen geprüft, da sich gezeigt hatte, daß die nachwirkenaen Einflüsse des immer nur kurze Zeit'geschlossenen Stromes zwar vorhanden, aber relativ gering und für unsere Ergebnisse jedenfalls ohne Gewicht warer. Die beigegebenen Protokolle, deren jedes ein Beispiel einer Reihe gle’chartiger oder ähnlicher Versuche darstellt, tragen ihre Erläuterung in der Überschrift neben einer schematischen Figur, die die Lage der Elektroden angibt. (VV Pole des konst. Stroms, | Elektroden des Induk- tionsreizes zur Prüfung der Erregbarkeit oder Leitfähigkeit, D)——— Nerv- muskelpräparat, () Erstickungskammer). a) Gesteigerte Blockadewirkung am erstickten Nerven. Mit dieser einfachen Methodik ergab sich denn schon in den ersten Versuchen, wie es Protokoll 3, Stab c und e darstellt, daß der erstickende Nerv immer leichter blockierbar wird, d. h. daß immer schwächere konstante Ströme genügen, um eine völlige Leitungshemmung zu erzeugen. Ja es macht sich diese Abnahme der notwendigen Blockadeströme schon in einem sehr frühen Stadium der Erstickung bemerkbar, im selben Sinne fortschreitend, schon in der ersten Viertelstunde in manchen Fällen, also zu einer Zeit, wo von einer Erregbarkeitsabnahme für den Elektrophysiologische. Untersuchungen am alterierten Nerven. II. 189 Induktionsreiz an der erstickenden Nervenstrecke noch nicht das geringste zu sehen ist. (Vgl. Protokoll 3 und besonders 12 Stab c, wo unter E die Erregbarkeit neben der Kathode angegeben ist, verglichen mit Stab e). Im Gegenteil geht die Erregbarkeit in der ersten Hälfte der Erstickungszeit stets noch in die Höhe, was auch in anderweitigen reinen Erstickungsversuchen häufig von uns beobachtet und als un- geklärter Einfluß des Gaswechsels auf den Nervenstoffwechsel auf gefaßt wurde, in diesen Versuchen aber vielleicht zum Teil auf polare Nachwirkungen der konstanten Ströme zurückzuführen ist. (Vgl. Pro- tokoll 9, Stab e; 12 Stab e und h; 14 Stab b und d.) Erst in einem späteren Stadium der Erstickung, nach 40—60 Minuten bei den von uns benutz- ten Sommerfroschnerven und bei etwa 20° Zimmertemperatur, nimmt die Erregbarkeit in der Kammer ab. Zu dieser Zeit sind aber die zur Blockade nötigen Stromstärken, wobei die Stromrichtung ziemlich belanglos ist, schon außerordent- lich klein geworden und betragen schließlich, einige Minuten vor dem Stadium, in welchem infolge des Erstickungsdekrementes der Kammer- strecke zentral derselben gesetzte Erregungen nicht mehr zum Muskel gelangen (Schwund der Leitfähigkeit L), nur noch einen Bruchteil nn der ursprünglichen. Es kann, wie z. B. Protokoll 3 Stab e und f Zeit 5%” zeigt, in diesem Stadium die Blockadestromstärke geringer sein als die zur Erregung nötige, mit anderen Worten ein sehr schwacher konstanter Strom, der eine Erregung des Nerven nicht mehr bewirkt (we- nigstens nicht zum Muskelerfolg führt), vermag an derselben Nerven- stelle noch volle Blockade zu erzielen. — Sobald man aber jetzt Luft hinzutreten läßt, schwellen mit der Wiederkehr von Leitvermögen und Erregbarkeit auch die zur Blockade nötigen Stromstärken schnell auf nahezu die anfänglichen Werte an. Der erholte Nerv befindet sich, wenn er nicht durch zu tiefe Erstickung geschädigt wurde, wieder in demselben Grad der Blockierbarkeit wie der frische zu Beginn des Versuches. Es ist somit festgestellt, daß mit der Erstickung des Nerven auch seine Neigung, durch den konstanten Strom leitungsfähig zu werden, zunimmt und daß die Abnahme der zur Blockade erforderlichen Strom- stärken wohl der empfindlichste Indikator für die durch die Sauerstoff- entziehung bedingten Veränderungen in der Nervensubstanz ist, viel empfindlicher als die Erregbarkeitsabnahme. Nun erhob sich die Frage, auf welchem Wege die Sauerstoffverarmung diese Verstärkung der elektrotonischen Leitungshemmung bewirke. Steigert sie die lähmen- den Vorgänge an der Anode im Sinne einer Vermehrung der gewöhn- lichen Erregbarkeitsherabsetzung im Anelektrotonus oder verstärkt sie etwa die depressive Kathodenwirkung ? 190 W. Thörner: Protokoll 3. 10. VI. 1922. a b L Anordnung: OQ— (— v— — — v—)—|—. G'rana tempor. Temp. 22°. vab= Pole des konst. Stroms, Abstand 20 mm. | Elektroden für Induktionsreiz. a b c d e L y konstanter Strom A konstanter Strom Eee Ose (ge 2885 zen se nass sn. tescalasts. Eger, N 2g2mulS 2.385853 3585°.24| ©2355 2925|" o=2 8A 225° ,|So=285A, 27385 2358&5[3532 sr] Saas As Ba ea aree Bios an95 | 290 850 | 8030| 820 | 8 0,25 |S = Schließung Ö 5,80 Ö 6,50 | Ö = Öffnung 4h 40’ 290 8,45 S 0,35 8.20 S 0,30 Ö 6,20 Ö 6,40 Ah 55’ 290 7,10 S 0,30 6,50 S 0,25 <- Stickstoff Ö 6,20 Ö 6,20 5h 07’ 280 6,40 S 0,25 5,90 022 Ö 5,85 Ö 6,00 RR’ 5h 925 275 2,50 s Ss 3,30 ee * yon 4,50—6,00 } } derS noch Ö! 5n307 | 275 230 8.050, 285 Ss 0000 | Ö 0,35 Ö 0,30 5h40’ | 270 1,60 S 0,35 1,80 S 0,30 | 1020,35 Ö 0,30 5h 50° || 270 1,40 Ss 0,60 1,00 S 0.50 schwach Ö 0,40 Ö 0,50 5h 557 sehr 0,70 S 1,00 0,40 S 0,60 schwach Ö 0,60 Ö 0,55 0 | — -— |sı0| — Sg — | ag N an 608 | 275 3,80 S 0,80 3,40 S 0,85 unvollkommene Ö 5,60 Ö 6,20 Erholung 6h 17’ 275 7,30 S 1,00 6,80 S 0,90 | volle Erholung | Ö 5.80 Ö 6,45 6h 30° 275 8,30 S 1,40 8,20 S 110 | Ö 6,20 Ö 6,50 b) Umkehr der Erregbarkeitsverhältnisse am erstickten Nerven. Um zwischen beiden Möglichkeiten entscheiden zu können, wurde die An- ordnung jm folgenden so getroffen, daß jeweils nur ein Pol, b, des konstanten Stromes in der Erstickungskammer, der andere, a, zentralwärts außerhalb derselben dem Nerven anlag. Ferner wurde dicht neben dem Pole a in der Kammer muskel. wärts von ihm ein Platinelektrodenpaar Eangebracht, mit dessen Hilfe die Schwellen- erregbarkeit in seinem Bereiche geprüft werden konnte. Auf diese Weise war es möglich, festzustellen, einerseits welcher Pol, ob An- oder Kathode, an der er- stickenden Nervenstrecke die günstigeren Blockadebedingungen schafft und andererseits, wie sich die Erregbarkeit an demselben Pole verhält, ob und wie stark sie herabgesetzt ist. Elektrophysiologische Untersuchungen aı alterierten Nerven. II. 191 Und da zeigte sich nun ein sehr bemerkenswertes Verhalten. Es ergab sich, um das Wesentliche herauszuheben, daß durchweg dann eine sehr erhebliche Abnahme der erforderlichen Stärke der Blockade- ströme eintritt, wenn deren Kathode an der erstickenden Strecke liest, und daß sich in diesem Falle eine immer stärkere Erregbarkeitsherab- setzung unmittelbar nach Stromschluß an der Kathode entwickelt, während umgekehrt, wenn die Anode in der Kammer liegt, die Ab- nahme der Blockadeströme viel geringer oder garnicht bemerkbar ist und neben der Anode eine Erregbarkeitssteigerung Platz ergreift. (Pro- tokoll 9 Stab c und e; 12 Stab c und e, f und h.) Wir können demnach kaum umhin, das Wesen der Neigung des erstickten Nerven, durch geringste Ströme blockiert zu werden, in einer mächtigen Verstärkung der depressiven Kathodenwirkung derselben zu sehen. Es geht das aus allen Versuchen ohne Ausnahme eindeutig hervor, wenn auch nicht immer mit der gleichen Prägnanz. Am klarsten bringst das Protokoll 12 die besprochenen Erscheinungen zum Ausdruck, weil in der Anordnung dieses Versuches dafür gesorgt war, daß der konstante Strompol a zentral außerhalb der Kammer so weit von dieser entfernt (1,5 cm) lag, daß bei ? Stromrichtung nicht etwa eine nennenswerte Kathodenwirkung von ihm bis in die Kammer sich ausbreiten konnte. Ein solcher bis in die erstickte Nervenstrecke vordringender Kathodeneinfluß würde in dieser eine depressive Wir- kung entfalten und die von der Prüfungsreizstelle L ausgehende Er- regung hemmen; das war offenbar in vielen Versuchen (Protokoll 9 Stab c) der Fall, in denen a nahe der Kammer lag und daher auch bei # konstanten Strom (Anode in der Kammer) sich eine Abnahme der zur Blockade nötigen Intensität bemerkbar machte. Diese war aber stets geringer, als wenn sich die Kathode in der Kammer befand. Im Versuch 12 (Stab c und f) erfolgt nur im v Fall die Abnahme des zur Leitungsunterbrechung nötigen Stromes von 8,50 auf 0,50 Einheiten, während für den ? Strom auch in tiefer Erstickung mehr als 10 Ein- heiten gebraucht werden, wenn wir nicht in dem einmaligen Absinken auf 5,40 Einheiten zu Beginn der Erstickung eine vorübergehende Verstärkung der anelektrotonischen Hemmung erblicken wollen. Was nun den Umschwung in den Erregbarkeitsverhältnissen an Ka- thode und Anode angeht, der in allen diesbezüglichen Versuchen scharf hervortrat, so offenbaren ihn die Protokolle 9 und 14 und besonders schön Protokoll 12, Stab e und c, h und f. In der zweiten Viertelstunde der Erstickung (1115) bereits erfolgt hier gleichzeitig mit der Abnahme der y Blockadeströme der Übergang der anfänglich an der intrakameralen Kathode typisch erhöhten Erregbarkeit (Schwellenerregbarkeit für Öffnunssinduktionsschlas) in die Erregbarkeitsherabsetzung und diese letzte stellt sich zuerst bei den stärkeren konstanten Strömen ein (5 und W. Thörner: Protokoli 12. 18. VI. 1922. Eb L a Anordnung: O— (— — ||v——)— ||——v; @ rana esculenta. 13°; b in Kammermitte. Temperatur E 2 mm davon; a 15 mm zentral der Kammer, nahe dem Querschnitt. a b | e d | Be f g | Eh L | yKonstant.Strom A Konstant.Strom Schwellenerreg- Schwellenerreg- 3 |a&0 [2% |“ ® | barkeitt.Induk- | a _ | ® |darkeit $. Induk-| Arm. 2. Stab eu. Rh. oä sy ,|25 tionsreiz a. d. |= © 8 3 = tionsreiz a. d. | Reizschwelle für In- EEuI18 ® = 25 = Kathode i.d. |< © % a = | Anode i. d. Kam- | duktionsreizin oberer Zeit = S E ESRRA | So 3 Kammer bei |& E El8% $ mer bei Stärke | der je drei Zeilen vor, Serie »5.2]| Stärke d.konst. ° aAle53 des konst. mittlerer während des | = 2IA.=|@&&| \Stromsvon |A,8|3053 4 Stromes von | geschloss. konstant. |255|8 33 E = & 7 5 5 535 = 3 = "IT Ta Tr | Stroms, unterer nach sanisesa laser re Saale dessen Öffnung 83 133 25 Einheiten Zaales Einheiten In - or Aion ou An 10h 15 175 | 8,50 S 0,30] 220 | 220 | 220 [11,50 | S0,33 | 210 | 212 | 213 OÖ 0,40] 225 | 235 | 245 u 190 | 160 | 160 | 220 | 220 | 220 OÖ 6;00) 212 | 215 | 220 10h 30 | 170 8,50 S 0,451 222 | 222 | 223 | 11,50 S 0,451 212 | 214 | 214 OÖ 0,55] 230 | 240 | 245 OÖ 6,20 195 | 165 | 160 | 2222221 223 2122121529220 10% 50° | 170| 8,30 |S 0,55|225 |225 |225| 5,40 |S 0,551220 |220|220| Stickstoff Ö 0,60) 230 | 230 | 238 Ö 5,70/ 200 | 185 | 180 225.225 | 225 222 |222 | 220 11h 05 | 175 ı 6,60 S 0,50] 230 | 230 | 230 | 10,30 S 0,521 223 | 223 | 225 Erregbarkeits- Ö 0,65| 235 | 225! 210! Ö 5,001 220 |200 | 195| herabsetzung an 230 | 230 | 230 223 225 2283| Kathode! 1157302) 7.21903173:1032|S 0,551 230 | 230 | 230 | 10,50 S 0,55] 215 | 215 | 215 Erregbarkeitser- u 0,65] 215 | 210 | 160 Ö 4,80] 223! 215!| 205 höhung an 230 | 230 | 230 215 |215|215] Anode! 11h 45’ 190 | 1,60 'S 0,851 210 | 210 | 210 110,30 | S0,50 [205 | 205 | 200 Ö 0,50) 190 | 170 | 160 —6,40,230 235 | 230 210 | 210 | 210 OÖ 0,751205 | 205 | 200 11% 52° | sehr | 0,50 |S 7,00 — |170| — [10,80 Ss — | — |165| — | schw. Ö — | — |120| — |O 0,45] — |220| — | — 1165|. — — 1655| — 11k 55° FF = S — | — 150) — | — Ss — i — |140| — | Ö — | — ‚110| — Ö 1,10) — |185| — | — 1150| — — /140| — 1m57 | = | - Ss —I=-|=- —| - |8 | ö—-|-|-|— 6960 — | | — | I ar > | TE Nine 122.057 | 190 | 3,80 IS 1,001210 | 210 | 210 10,50 | S0,60 [220 | 220 | 220| Noch keine rechte Ö 0,70] 210 | 210 | 200 10,50 215 | 225 | 230 Erholung. | 210 | 210 210 OÖ 4,001 220 | 215 | 220 12h 20/ 195 | 7.20 's 1,20] 215 | 215 | 215 | 10,60 > 0,60] 220 | 220 | 220| Volle Erholung. 'Ö 0,70] 225 | 230° 240! O 4,20] 215 | 200 | 190! 215 | 215 | 215 220 | 220 | 225 Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. II. 193 Protokoll 9. 16. Vl. 22. Orana temporaria. Temp. 21° b Ai b in Kammermitte, E2 mm davor. Anordnung; O—(— — |v——)v||—— & dicht zentral vor der Kammer. a b | c d E: e L t Konstanter Strom |Schwellenerregbarkei BAINStaBIE: £. Induktionsreiz an ' S Schwelled.| eben zur | Reizschwelle |der Anode i.d.Kam-| Reizschwelle für Induk- : Induktions-| Blockade | desselben für |mer bei Stärke des | Honsreiz in oberer horiz. Zeit |Teizes für d.jausreichend.| Schließung und | konst. Stromes von | Zeile vor, mittlerer wäh- Leitfähig- | Stärke des- | Öffnung in Ein- | Einheiten d. Coehn- rend des geschlossenen keits- | selbenin | heiten und Gefälldrahtes | Konst. Stromes, unterer prüfung Einheiten |Wirkungsgrenze 1 2 3 nach Öffnung desselben sh 40° 245 4,20 S 0,23 222 | 220 | 220 Ö 4,85 186 1173 | 155 222 |225 | 230 Sn 235 4.00 80,32 218 220 | 220 Ö 5,10 185 1170 | 165 222 230 | 230 |, Stickstoff. Ss ılar 230 3,30 18 0,28—4,50| 228 | 228 | 230 | von 4,50—5,10 Lücke, Ö 5,10 195 |180 | 155 weder S noch Ö! 232 |240 | 245 915507 230 2,70 18 0,32—4,30| 230 | 233 | 235 | von 4,30—6,00 Lücke, Ö 6,00 200 180 | 160 weder S noch Ö! 240 250 | 255 507 230 2,90 ,S 0,38—4,00| 235 | 242 | 240 | von 4,00—-5,80 Lücke, Ö 5,80 200 |185 | 160 | weder S noch Ö! 245 |250 | 255 10% 107 230 2,80 |8 0,42—3,20| 225 | 230 | 230 | von 3,20—5,40 Lücke, Ö 5,40 220 205 | 190 | weder S noch Ö! 235 | 235 | 230 104257 230 3,00 |8 0,50—2,50 | 240 |240 | 245 Ö 0,36 245!|230 | 200 240 | 255 | 260 1002357 sehr 2,80 | 0,90—1,20| 220 | 220 | 220 schwach Ö 0,58 240! | 225! | 210 220 | 225 | 220 10h 4u/ — = Si > 130 |110 | 110 0 0,86 165! 135! | 138! 130 | 110 | 110 hukt al 240 ° 3,50 18 0,50 235 |235 | 235 | volle Erholung O 4,30 200 | 190 | 190 235 | 240 | 240 2 Einheiten), während bei schwachen (1 und/, Einheit) noch Erhöhung besteht. Auch dies Verhalten ist charakteristisch. Zur selben Zeit herrscht aber auf der anderen Seite beim ? Strom (Stab f und h), wo die Anode am erstickenden Nerven liest, noch deutliche anelektroto- nische Erregbarkeitsherabsetzung. Diese wird jedoch mit zunehmen- der Erstickung geringer und geht schließlich (1130) über den Nullpunkt in Erregbarkeitssteigerung über und zwar charakteristischer Weise zuerst für schwache, nachher auch für stärkere Ströme. Wenig später, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 13 194 W, Thörner: etwa zur Zeit des Leitfähigkeitsverlustes (keine Erregung mehr von L zum Muskel) bietet der erstickte Nerv gegenüber dem normalen nahezu das umgekehrte elektrotonische Verhalten: An der Kathode eine unmittelbar nach Stromschluß schon feststellbare starke Erregbarkeits- herabsetzung, umso stärker, je stärker der Strom und je tiefer die Erstickung, und an der Anode eine entsprechende Erregbarkeitserhöhung, die anfangs für schwächere Ströme besonders ausgeprägt, später für starke ebenso deutlich ist. Beide, vor allem die katelektrotonische Herabsetzung, aber auch die anodische Erhöhung überdauern den konstanten Strom ein wenig, d. h. sie bleiben, wie die subjektive Beobachtung erkennen ließ, auch nach der Öffnung noch um Bruchteile von Sekunden nachweis- bar bestehen. Auch das ist bedeutungsvoll und vervollständigt die Analogie der Erscheinungen auf beiden Seiten. Es ermöglicht ferner die weiter unten zu besprechende gesteigerte Öffnungserregbarkeit des erstickten Nerven. Auch in dieser Reihe wurden zur Vermeidung etwaiger durch das Wechseln der Stromrichtung bedingter Komplikationen mehrere Ver- suche angestellt, in denen eine Richtung beibehalten und entweder die Kathode oder die Anode unvertauscht in der Kammer blieb. Stets ergab sich in dem ersten Falle eine starke Zunahme der Blockade- wirkung und ein frühzeitiger Umschlag der kathodischen Erregbar- keitssteigerung in das Gegenteil, im zweiten Falle dagegen (Protokoll 9 Stab c und e) nach einer anfänglichen kleinen Zunahme der nötigen Blockadeströme nur geringfügige oder gar keine Beeinflußung der Blockadewirkung und nach einer anfänglichen, bisweilen gesehenen, geringen Zunahme der anelektrotonischen Erregbarkeitsherabsetzung eine fortschreitende Abnahme derselben und später ein Umschlag in Erhöhung. | In der Erholung des Nerven bei Luftzutritt bilden sich alle diese Er- scheinungen schnell zurück. Neben der alten Stärke der erforderlichen Blockadeströme stellt sich prompt an der Anode die Erhöhung der Erregbarkeit, an der Kathode deren Herabsetzung, in umgekehrter Folge wie bei der Erstickung, wieder ein. Fanden wir demnach am erstickenden Nerven eine frühzeitig ein- setzende und schnell vorschreitende Abnahme der zur. Leitungsunter- brechung benötigten Ströme, wenn deren beide Pole an der alterierten Strecke lagen, so ist diese leichtere Blockierbarkeit vielleicht in ihren ersten Stufen zum Teil auf eine Mitwirkung eines verstärkten (nicht sicher nachgewiesen) hemmenden Anelektrotonus zu beziehen, im wesent- lichen aber, und vor allem in späteren Stadien der Erstickung, bedingt durch die enorm verstärkte depressive Wirkung der Kathode, während sich an der Anode jetzt gar eine Erregbarkeitssteigerung bemerkbar macht. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. II. 195 c) Besprechung der Ergebnisse unter Berücksichtigung der Literatur. Dieses Ergebnis unserer Versuche erscheint nach der vorliegenden Literatur über die depressive Kathodenwirkung nicht auffallend. Es sind eine ganze Reihe Angaben vorhanden, die diese schon am normalen Nerven, allerdings nur bei stärkeren oder längerdauernden Strömen nachweisen. Nachdem schon Schiff!) und später Engelmann?) ent- gegen dem Pflügerschen Gesetz eine Erregbarkeitsherabsetzung an der Kathode gesehen hatten, fand v. Bezold?) neben einer solchen auch eine Leitungsverlangsamung und Rutherford*) beobachtete den Über- gang der bei kurzen und schwächeren Strömen ausgeprägten Erhöhung der Erregbarkeit in das Gegenteil bei stärkeren und solchen längerer Dauer. Hermann?) sprach von einem Scheitern der Erregungswelle an der Ka- thode. Vor allem aber hat Werigo®) die Aufmerksamkeit auf diese sekundären Vorgänge an der Kathode gelenkt, sie als depressive Ka- thodenwirkung zur Gesetzmäßigkeit erhoben und durch Anhäufung lähmend wirkender katelektrotonischer Ionen zu erklären gesucht. Auch Bürker”) hat sich eingehend mit ihnen beschäftigt. Seine theo- retischen Anschauungen, besonders seine Forderung entsprechender sekundärer Veränderungen an der Anode erfahren durch unsere Ergeb- nisse einen wesentlichen Rückhalt. Jedoch soll hier zunächst auf eine Erklärung der depressiven Kathodenwirkung (und ihres anodischen Gegenstücks) nicht eingegangen werden. Es sei nur hervorgehoben, daß schon Grünhagen®) sie als eine Schädigung durch den Strom auf- faßte und mit einer Ligatur verglich, daß auch Werigo die kathodisch polarisierte Stelle als einen Demarkationsbereich ansah und daß Wedensky und Paerna?) sie als in einem „‚‚parabiotischen‘ Zustand befindlich betrachteten, wie sie ihn auch durch andere Einflüsse (Nar- kose, Osmose, Wärme) hervorrufen konnte. Es scheint, daß der elek- trische Strom bei genügender Stärke oder Dauer den normalen Nerven an der Kathode funktionell in gleicher Richtung verändert, wie die Einwirkung verschiedener schädigender Mittel. Und wenn, wie wir 1) Schiff, Lehrb. der Physiol. d. Menschen S. 94, 1858/59, siehe auch Budge, Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 28, 296. 1863. 2) Engelmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 3, 409. 1870. 3) v. Bezold, Untersuch. üb. d. elektr. Erreg. d. Nerven u. Muskeln. Leipzig 1861, S. 109. *) Rutherford, Journ. of Anat. and Physiol. 2. Ser. Nr. 1, 1867, S. 37. 5) Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 10, 215. 1875 und Hermann und T'schitschkin, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 48, 53. 1899. 6) Werigo, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 1883; 84, 260. 1901; bes. 84, 547—618. 1901; Effekte der Nervenreizung durch interm. Ströme. Hirschwald. Berlin 1891. ") Bürker, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 81, 76. 1900 und 91, 373. 1902. 8) Grünhagen, Zeitschr. f. ration. Med. 36, 132. 1869. ?) Paerna, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 145. 1903. 13* 196 W. Thörner: nachgewiesen haben, der Nerv durch Erstickung so beeinflußt wird, daß schwächste Ströme schnellste und tiefste Depression an der Ka- thode erzeugen, so spricht das entschieden in gleichem Sinne. Welche Veränderungen rein stofflicher Art zugrunde liegen, bleibt dahingestellt; vermutlich spielen Konzentrationsänderungen der Elektrolyte an den Grenzflächen eine maßgebende Rolle t). Was auf der anderen Seite die von uns beobachtete Umkehr der Erregbarkeitsverhältnisse an der Anode betrifft, so sind in der Literatur Angaben, die auf ähnliches hinweisen, weniger zahlreich. Am frischen normalen Nerven kommt es offenbar nicht zu einer nachweisbaren anodischen Erregbarkeitssteigerung. Wohl aber sahen Grünhagen und Tigerstedt an der Anode die verminderte Erregbarkeit sich in Richtung auf die Norm restituieren bei längerer Stromdauer, und Bürker ?) spricht, gemäß seiner theoretischen Anschauung, von einer Tendenz zu einem Umschlag in Erhöhung. Unter dem Einfluß der Erstickung kommt diese, wie wir gezeigt, tatsächlich zur Auswirkung. — Es scheint über- haupt die Anwendung alterierender Mittel geeignet, den Umschlag (wie an der Kathode) auch an der Anode herbeizuführen. Ausgeübt ist sie wenig. Billharz und Nasse?), deren lange zurückliegende Arbeit uns erst kürzlich zu Gesicht kam, beobachteten an Nerven, die sie mechanisch (Tetanomotor) oder chemisch (Ammoniak, Salzsäure) oder durch starken konstanten Strom ‚mißhandelt‘‘ hatten, oder auch am Nervenquerschnitt, Erscheinungen, die den unseren nahe kommen und die sie im Sinne einer Umkehr der normalen Erregbarkeitsverhält- nisse deuteten. Sie fanden, daß jede derartig beeinflußte Stelle, die gleichzeitig faradisch gereizt wurde, einen erhöhten Muskeltetanus lie- ferte, wenn sie nahe der Anode, einen verminderten aber, wenn sie nahe der Kathode eines konstanten Stromes lag. Auch in ihren Ver- suchen war die Erregbarkeitsherabsetzung an der Kathode leichter zu erhalten als die Erhöhung an der Anode. Auch sie erzielten diese Umkehr in einem Stadium der Schädigung, von dem aus noch Erholung und Rückkehr zu den gewöhnlichen elektrotonischen Zuständen mög- lich war. — Ganz entsprechende Beobachtungen machte neuerdings Galetti*) an Nerven, die er mit hypotonischen Salz oder Zuckerlösungen behandelt hatte. — Es weisen demnach alle diese Untersuchungen, ohne deren Kenntnis wir die unseren außer am erstickten, auch am narko- tisierten und karbolbepinselten Nerven angestellt haben, darauf hin, daß der Nerv durch verschiedene Einflüsse zumal lähmenden oder zer- störenden Charakters in einen veränderten Zustand gesetzt wird, der !) Loeb, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 116, 193. 1907. 2) Bürker a. a. O. 91, 393. ®) Billharz und Nasse, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862, S. 66. 4) Galetti, Zeitschr. f. Biol. 68, 1. 1918. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. II. 197 sich in einer gleichartigen Umkehr seines elektrotonischen Erregbar- keitsverhaltens äußert. Es fragt sich, ob zu diesen alterierenden Ein- flüssen nicht vielleicht auch die Bedingungen der Degeneration gehören und man so zu einem Verständnis der Entartungsreaktion kommen könnte. Weniger mit den Veränderungen der Erregbarkeit als vielmehr der elektrotonischen Ströme selbst unter verschiedenen Einflüssen (Narkose, Kohlensäure, Temperatur, Säuren, Alkalien) beschäftigen sich Arbeiten von Waller!) und Boruttau?2). Sie fanden eine Abnahme der Ströme, die sie graphisch verzeichneten, aber meist der katelek- trischen weniger als der anelektrischen, sodaß es zu einer relativen Verstärkung der ersten kam. Vgl. auch Untersuchungen Bürkers>). Im Gegensatz zu den erwähnten Autoren, die im allgemeinen ihre Abweichungen auf der Basis des Pflügerschen Gesetzes der polaren Erregung zu erklären suchten, steht Mares*). Er spricht von einer absoluten Umkehr dieses Gesetzes. Nach ihm führen vom Querschnitt oder einer Quetschung bedingte Veränderungen des Nerven dazu, daß bei Zerstreuung der Kathodenwirkung im Muskel oder abgestor- benen Nervenstück echte Schließungserregungen allein von der Anode ausgehen können, und zwar bei schwachen Strömen. Dafür, daß auch am normalen Nerven eine solehe Umkehr vorkomme, zitiert er Be- obachtungen Hermanns°), nach denen bei sehr starken Strömen auf das dritte Stadium des Pflügerschen Gesetzes ein viertes ‚übermaxi- males‘“ folgt, in welchem die verschwundene Schließungserregung des t Stromes wieder auftritt. Lhotak von Lhota®) beobachtete dasselbe und lokalisierte den Ausgangspunkt dieser Schließungserregung an die Anode, da sie bei der Bepinselung der Kathode mit Ammoniak bestehen blieb, während die Öffnungserregung verschwand. Dieser vierte Fall war am ganz frischen Nerven nicht, sondern erst nach mehrmaliger starker Durchströmung zu erzielen, ein Beweis, daß hier der Strom erst die nötige Alteration hervorgerufen hatte. Im gleichen Sinne sprechen die Reizbefunde von Fritsch und Hitzig”) an der motorischen Großhirnrinde, wo auch die anodische Schließungsreizung überwiegt, was nach Gerber ®) auf Schädigung der Ganglienzellen zurückzuführen ist. t) Waller, Journ. of Physiol. 18. Proceed. physiol. soc. S. 14. 1896; ebenda 1377, 1,897. 2) Boruttau, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 335. 1901 und 68, 351. 1897. 2) Bürker, Tagung d. deutsch. physiol. Gesellsch. 1914. Berlin. Zentralbl. f. Physiol. 28, 777. 1914. 4) Mares, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 150, 225. 1913. 5) Hermann, Pflügers Arc.ı. £. d. ges. Physiol. 31, 104. 1883. 6) Lhotäk v. Lhota, Bullet. intern. Akad. Prague 1898. ?) Hitzig, Gesam. Abhandl. T. 1, S. 20 u. 36. Berlin 1904. ®) Gerber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 39, 399. 1886. 198 W. Thörner: Auch nach unserer Anschauung mag es am Nerven unter gewissen schädigenden Bedingungen eine glatte Umkehr des Gesetzes der po- laren Erregung geben, wie dieses nach Untersuchungen Verworns t) und anderer ja überhaupt nicht gleichmäßig für alle Formen der leben- digen Substanz gilt. Am Nerven würde eine solche Umkehr das End- stadium einer Reihe von Veränderungen darstellen. Wir sehen aus un- seren Versuchen wie denen anderer, daß durchaus fließende Übergänge bestehen. Die depressive Wirkung an der Kathode entwickelt sich mit zunehmender Schädigung immer stärker und folgt immer dichter auf die immer geringer und flüchtiger werdende anfängliche Erregbarkeits- steigerung; schließlich wird ein Punkt erreicht, wo es hier überhaupt nicht mehr zu einer Erregung kommt und von vornherein kathodische Lähmung eintritt. Umgekehrt liegen die Dinge an der Anode, wo die sekundäre Erregbarkeitssteigerung immer ausgeprägter wird und immer rascher auf den Moment der Schließung folgt, bis zuletzt in diesem schon eine Erregung hervorgebracht wird. Zur Deutung unserer Versuchsergebnisse brauchen wir aber gar nicht die Entwicklung bis zu diesem letzten Stadium der Schädigung, von dem es vielleicht keine Erholung mehr gibt, bis zur absoluten Um- kehr des polaren Erregungsgesetzes kommen zu lassen, obwohl eine solche Möglichkeit nicht in Abrede gestellt werden soll. Es braucht nach dem oben gesagten mit der Umkehrung der Erregbarkeitsverhält- nisse, wie wir sie in der Erstickung fanden, nicht unbedingt gleichzeitig eine Umkehr der Ausgangspunkte der Erregung gegeben zu sein. Es kann sehr wohl die Erregung bei Schließung des konstanten Stromes noch, wenn auch mehr und mehr geschwächt, von der Kathode ausgehen; erst unmittelbar nach der überaus schnell abgeklungenen Erregbarkeits- steigerung macht sich die depressive Wirkung geltend. Diese kann dann aber so schnell hinter der Erregung folgen, daß sie sie vermöge ihrer gröheren Ausbreitungsgeschwindigkeit, die wir nach den Arbeiten Hermanns?) und anderer?) zugrunde legen dürfen, zu überholen und auszulöschen vermag; und das um so eher, als die Erregungswelle in der erstickten Nervenstrecke mit Dekrement und verlangsamt?) ab- läuft. Es sind demnach zwei Faktoren, die am erstickenden Nerven die Erfolglosigkeit der kathodischen Schließungserregung und die ka- t) Verworn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 45, 1. 1889; 62, 415. 1896; 65, 47. 1896; Allgemeine Physiologie S. 450. Jena 1903. ?2) Hermann, Handbuch 2%, Abt. 1, S. 161; Hermann und Weiss, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. %1, 237. 1898. ®) ». Baranowsky und Garre, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 21, 446. 1880; Grünhagen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 541. 1871; @ildemeister und Weiss, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 94, 509. 1903. *).Boruttau, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84, 350. 1901; Fröhlich, Zeitschr. $. allgem. Physiol. 3, 455. 1904. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. II. 199 thodische Blockade bedingen: die verlangsamte dekrementielle Leitung des Erregungsvorganges und die stärkere schneller und weiter sich ausbreitende depressive Kathodenwirkung in der alterierten Strecke, die im letzten Stadium an Ort und Stelle schon jede Erregung unterdrückt. — Und an- dererseits bleibt bei der Öffnung des Stromes die Anode zunächst noch der natürliche Ausgangspunkt der Erregung, da an der Kathode de- pressive Nachwirkung besteht; ja, die Anode ist sogar in erhöhter Be- reitschaft zum Aussenden einer Erregung dank ihrer überdauernden Er- regbarkeitserhöhung. So erklärt sich die Überlegenheit des Öffnungs- reizes über den der Schließung des konstanten Stromes, die wir am ersticken- den Nerven immer wieder und auch in der Querschnittsnähe des nor- malen beobachteten. Ein Wirksamwerden der Schließung an der Anode, als letztes Stadium der hier sich abspielenden Veränderungen, wie es Mares und Lhotak von Lhota fanden, haben wir nicht gesehen. Demnach würden die hier angestellten Überlegungen zur Erklärung unserer Versuche in Betracht kommen, in denen es sich nach Aussage der vermehrt wirksamen Öffnung des ? Stromes um die erwähnten Übergangsstadien handeln dürfte. Auch würden die Ergebnisse der voraufgehenden Untersuchung durch eine glatte Umkehr des polaren Erregungsgesetzes nicht restlos erklärbar sein. Die im folgenden zu beschreibenden weiteren Beobachtungen dieser Versuchsreihe werden vielfach auf diese letzten Erörterungen zurückgreifen und neue Unter- lagen für sie beschaffen. d) Verhalten der Reizschwelle, neuer Fall des Zuckungsgesetzes, Ausbreitung des Elektrotonus. Betrachten wir in dem Protokoll 3 die Stäbe d und f, in denen die je- weiligen Reizschwellen für den konstanten Strom, dessen Elektroden in der Erstickungskammer lagen, angegeben sind, so bemerken wir, daß anfangs für die Schließung ein sehr schwacher Strom als Schwellen- reiz genügt, während für die Öffnung ein viel stärkerer benötigt wird (falls nicht starke Ströme vorausgegangen sind, die im Sinne obiger Erörterungen den Nervenzustand ändern). Das bedeutet typisches Verhalten, unabhängig von der Stromrichtung. Diese Schwelle bleibt zunächst ziemlich konstant, sinkt sogar im Anfang der Erstickung etwas (die oft gesehene Erregbarkeitssteigerung), um später langsam zuzunehmen. In einem bestimmten Stadium aber (530) wird plötzlich die Öffnung viel wirksamer und benötigt von vornherein nur dieselbe oder gar eine geringere Stromstärke als die Schließung. Es findet dies etwas vor dem Zeitpunkt statt, in welchem sich die Erregbarkeitszunahme neben der Anode durch Steigen des Rollenabstandes der Schwellen- reize nachweisen läßt (vgl. auch Protokoll 9, Stab d und e, 1025). Dabei kann die Öffnung des ? Stromes wirksamer werden als die 200 W. Thörner: Schließung des y, also am selben Reizort ein absolutes Überwiegen der Öffnungserregbarkeit eintreten. Weiterhin sehen wir, wie der Wirkungsbereich der Schließung im ? Falle allmählich eingeengt wird, besonders von der Seite der stärkeren Ströme her, so daß diese immer mehr versagen und das dritte Stadium des Pflügerschen Gesetzes immer leichter erreicht wird. Es führt nur noch die Schließung schwa- cher Ströme zur Muskelzuckung, bis sie dann ganz erfolglos wird. Erklärung: Je tiefer die Erstickung und je stärker die Ströme, um so ausgeprägter die depressive Kathodenwirkung, die imstande ist, die in der im ? Fall sehr langen erstickten Strecke verlangsamt ablaufende Erregungswelle einzuholen und auszulöschen. Im Prinzip das gleiche müßten wir für den v Fall erwarten, aber hier ist die zu durchlaufende Dekrementstrecke viel kürzer, sodaß eserstin einem tieferen Erstickungs- stadium zum Versagen des Schließungsreizes kommt. Im v Fall ist dann aber schon vorher die Öffnung unwirksam geworden, nachdem auch hier die Einengung hauptsächlich von der Seite der stärkeren Ströme erfolgt war. Zwei Gründe: Erstens, je stärker die Ströme und tiefer die Erstickung, um so ausgeprägter die depressive Nachwirkung an der Kathode, die die von der muskelfernen Anode kommende Er- regung nicht mehr passieren kann; zweitens werden die schwächeren Ströme wegen des zunehmenden Dekrementes der langen Strecke un- wirksam. So bleibt zuletzt allein als muskelerregend die Öffnung des ! Stromes übrig, bis auch sie versagt infolge des unüberwindlich ge- wordenen Erstickungsdekrementes, wenn wir nicht noch eine etwaige depressive Kathodenwirkung des Polarisationsstromes zur Hilfe nehmen wollen. Eine Schließungswirkung der Anode haben wir nicht beobachtet. Vgl. hierzu auch in dem voraufgehenden Aufsatz!) den Abschnitt ce: Versuche mit dem konstanten Strom. Mit der Erholung in Luft, die allerdings aus dem letzterwähnten Stadium nicht immer vollkommen möglich ist, kehren die ursprüng- lichen Verhältnisse wieder, auch das Überwiegen der Schließungs- wirkung über die der Öffnung. — So erklären sich die beobachteten Erscheinungen zwanglos. Einer sei noch besonders Erwähnung getan, da sie ein eigenes Interesse be- ansprucht. Bekanntlich unterscheidet man, wenn wir von dem oben erwähnten ‚übermaximalen‘ Stadium absehen, drei Fälle des Pflüger- schen Zuckungsgesetzes, je nach der relativen Stärke des Reizstromes. Beim schwachen Strom gibt nur die Schließung Zuckung, beim mittel- starken wirken sowohl Schließung wie Öffnung und beim starken schwindet für die ? Richtung die Schließungswirkung und für die ‚ Richtung die der Öffnung. Zu diesen dreien habe ich nun einen neuen Fall gefunden, der sich bei ? Stromzuführung am_erstickenden 1) Thörner, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., dieser Band, S. 167 u. f. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 201 Nerven in einem mittleren Stadium der Erstickung ziemlich regel- mäßig beobachten läßt. In diesem Falle sehen wir bei mittlerer Strom- stärke überhaupt keine Reizwirkung, weder bei der Schließung, obwohl diese mit schwächerem Strom schon Erfolg hatte, noch bei der Öffnung. Vgl. Protokoll 3 525; Protokoll 9, 95— 101%; Protokoll 14, 515. Es beruht Protokoll 14. 21. VI. 22. BE, Eıb a O rana temporaria. Temp. 20°. Anordnung: O-(\——||V ——)——V. E,—b 2 mm. E,—b 17 mm. a nahe dem Querschnitt, 10 mm von der Kammer. a a e Ile» am: | e | ‚Schwellenerreg- Be = Schwellenerreg- Beizschwellen Anm. z. Stab b u. d: al 2 | [nee am man Kathode Be \ = 5° 3 Anode Ba 4 |des ll konstant. ae “ a ST Zeit konst Strom 3 ® 3 = konst. Strom Stromes für |7, nn a Et v.2 Einheiten E 3 = E |v. 2 Einheiten nn es ee 9 17mm | 2mm | .S © = 2 [17mm | 2 mm DER, N | Stromes, unterer von d. Kathode Kan von der Anode nach dessen Öffnung h 40° 22 = 10 | 20 | s0a| 30 | 23 |sos0-r0 Ö 0,55 Ö 6,20 190 220 ’ 190 | 225 ; h | 4 190 223 S 0,40 190 | 224 S 0.507,60 198 240 Ö 055 183 180 Ö 630 | 190 223 Ä 190 226 2 <- Stickstoff h (£ 4h 15 I 228 S 0,50 196 226 S 0.477,50 00 236 r 193 190 1% 195 | 228 | 9 92 | 196 | 230 |9 &20 h40’ 2 | 4h 40 210 228 S 0,53 212 228 S 0.457,50 212 233 Ö 052 208 196 Ö 620 210 228 Fra 212 230 7 h | 2 se N Bo | an a 8 222! Ö 0.45 225 205 Ö 590 228 230 ; 230 232 £ 5h 15’ 240 230 240 228 „Lücke“ 2371| 210 5 Me 238 | 215 R eh 5.005,30 weder 240 230 i 240 232 4 S noch Ö! 5h 25’ 240 228 240 224 N 2 Br | || een 240 228 240 234 r 5h 35° 238 218 235 190 230 | 145 o 6,30 | 235 | 2001 ee 236 | 215 n5: 235 | 200 22 5h42’ | 230 130 S 230 | 135 2952119057 2 5 235002300 ve >30 1300| 97 | 230 | 135 | 26 5h 45’ 224 120 225 120 220 | 114 : == 232 | 160 5 200 224 120 2 225 120 ? <- Luft 64 232 2 Erholung | Ss Beh S 0.90 3 | 228 S 027 rholung | 2! 6! Ö 120 225! | 188! Ö450 | 232 232 P 232 | 232 2 202 W. Thörner: dies Verhalten auf der schon erwähnten Einengung der Schließungs- wirkung am dekrementbehafteten Nerven durch die zunehmende Aus- bildung der depressiven Kathodenwirkung. Diese ist bei schwachem Strom gering und ohne Einfluß. Sie nimmt aber mit der Erstickung und wachsender Stromstärke zu, so daß bald ein Zeitpunkt erreicht wird, an dem schon eine mäßige Verstärkung des schwachen Stromes eine so starke Depression hervorruft, daß diese über den Nerven sich aus- breitend die soeben von der Kathode ausgegangene Erregungswelle, die über die lange Dekrementstrecke verlangsamt abläuft, einholt und vernichtet. Zur selben Zeit ist aber bei gleicher Reizstärke die Öffnung noch nicht wirksam, da sich ja die Erregbarkeitssteigerung an der Anode erst später entwickelt als die depressive Kathodenwir- kung, sondern wird es erst nach weiterer Stromverstärkung. Daher kommt in den Reizstromintensitäten ein mehr oder weniger großes Intervall zustande, eine absolute Lücke in der Zuckungsreihe des Pflü- gerschen Gesetzes. Dieses Intervall wird mit zunehmender Erstickung infolge steigender Wirksamkeit der Öffnungserregung kleiner und schwindet schließlich, wenn die anodische Erregbarkeit groß geworden ist. Wir könnten diesen neuen Fall, in welchem bei mittlerer Stärke des 1 Stromes am erstickenden Nerven weder bei Schließung noch bei Öffnung Zuckung erfolgt, als Fall 2a bezeichnen, da er für den alterierten Nerven an die Stelle des Falles 2 des Gesetzes des normalen Nerven eintritt. Mit v Strömen haben wir ein entsprechendes Verhalten nicht beobachten können, vielleicht weil die mit Dekrement leitende Strecke zwischen Kathode und Muskel zu kurz war; es müßte bei genügend langer der- artiger Strecke prinzipiell möglich sein, wenn nicht in diesem Falle die Einengung der Schließungswirkung doch zu gering bleibt und in tiefer Erstickung die Öffnungszuckung durch Dekrement und Kathoden- nachwirkung unterdrückt wird. Der neue Fall 2a des Zuckungsge- setzes ist demnach am normalen Nerven nicht zu erhalten, aber er ist auch nicht reserviert für den erstickenden allein, sondern scheint viel- mehr überall dort möglich zu sein, wo es sich um Entwicklung eines De- krementes der Nervenleitung durch irgend eine schädigende Alteration handelt. Auch am Narkosenerven haben wir ihn beobachtet und er- innern uns, ihn öfters gesehen zu haben bei Gelegenheit der praktischen Übungen an irgendwie durch ungeübte Präparation oder anderweitig geschädigten Nervmuskelpräparaten. Der beschriebene Fall 2a des Zuckungsgesetzes tritt auch in den Versuchen hervor, in denen der eine Pol des konstanten Stromes, die Kathode, zentralwärts außerhalb der Kammer lag, ja er ist hier be- sonders ausgeprägt und erstreckt sich über eine lange Erstickungszeit (vgl. Protokoll 9), da die Erregung eine sehr lange Dekrementstrecke Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. Il. 9203 zu durchlaufen hat. Vorbedingung aber ist, daß sich die Kathode nahe der Erstickungskammer befindet, so daß ihre Wirkung in genügender Intensität aus der normalen in die alterierte Strecke eindringen und Depression hervorrufen kann. Daher sehen wir in Versuch 14 (Proto- koll 14, Stab e), wo die Kathode 10 mm vom Kammereingang entfernt lag, nur in einem kurzen Stadium die Lücke zum Ausdruck kommen, und Protokoll 12, wo die Entfernung 15 mm betrug, zeigt garnichts mehr von ihr. — Auch in anderer Beziehung sind die beiden letzterwähnten Versuchs- beispiele (12 und 14) von Interesse. In ihnen lag der außerhalb der Kammer befindliche Pol in möglichst weitem Abstande von derselben, damit die elektrotonische polare Wirkung sich nicht bis in die Kammer- strecke ausbreiten solle. Daher finden wir im ? Fall des Protokolls 12, Stab f (Kathode 15 mm von der Kammer) auch keine Beeinflussung der zur Blockade erforderlichen Stärke des Stromes in der Erstickung, wodurch andererseits die Kathode in der Kammer als blockierender Faktor festgestellt wurde. — In diesen. Versuchen geriet aber aus äußeren Gründen der eine Pol dicht an den zentralen Querschnitt des Nerven und das macht sich sogleich in den Reizschwellen des v Stromes be- merkbar, wo der betreffende äußere Pol Anode war. Während nämlich sonst die Öffnung erst bei höheren Stromstärken wirksam wird, ist sie es hier von vorneherein schon bei ganz schwachen Strömen, ihre Schwelle liest nahe der der Schließung. Wir sind geneigt, dies Verhalten nicht durch gleichgerichtete v Nerveneigenströme (Grützner) zu er- ' klären, sondern in Analogie zu unseren Beobachtungen am erstickten Nerven durch Erregbarkeitserhöhung an der Anode beim alterierten Nerven. In einer letzten Versuchsreihe, von der Protokoll 14 ein Beispiel gibt, wurde geprüft, wie weit über den erstickenden Nerven sich der elektrotonische Einfluß sowohl von der Kathode, wie von der Anode ausbreite. Zu diesem Zweck wurde außer der dicht peripher des intra- kameralen Poles liegenden Elektrode E, noch eine zweite E, in einem weiteren Abstand peripherwärts angebracht, die z. B. im Versuch 14 gut 17 mm vom Pol entfernt noch in der Kammer lag. Das Resultat ist aus diesem Protokoll Stab b und c für die Kathode, Stab e und f für die Anode zu ersehen. Es zeigt einmal die bekannte Tatsache, daß die elektrotonische Veränderung sich mit Dekrement ausbreitet und bestätigt die Beobachtung Engelmanns!), Werigos?) und anderer?), daß in wei- terer Entfernung z. B. von der Kathode noch Erregbarkeitserhöhung 1) Engemann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 3. 1870. 2) Werigo, a. a. O. S. 195. 2) Hermann, a.a. O. 8.198; Bürker, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 91, 393. 1902. 2304 'W. Thörner: bestehen kann, wenn dicht neben derselben schon Depression herrscht und daß das entsprechende an der Anode statt hat. Es beweist anderer- seits, daß das Dekrement des Elektrotonus durch die Erstickung nicht wesent- lich beeinflußt wird. In tieferer Erstickung macht sich auch über die große Strecke von 17 und mehr mm die depressive Kathodenwirkung und ähnlich, vielleicht etwas weniger stark, die erhöhende Wirkung der Anode rein und deutlich bemerkbar, mit einem fast ebenso großen Dekrement wie der umgekehrte elektrotonische Zustand vor der Er- stickung. Diese Erfahrung sichert die oben postulierte Möglichkeit eines Eingeholtwerdens der Erregungswelle durch die sich ausbreitende Kathodendepression und beweist die Berechtigung der ebenfalls schon zur Erklärung herangezogenen Annahme, daß von der äußeren Elektrode des konstanten Stromes, zumal wenn sie Kathode ist, elektrotonische Einflüsse sich bis in die alterierte Kammerstrecke ausdehnen und hier so wirken können, als wenn eine schwächere Kathode am Beginn dieser Strecke läge. e) Zusammenfassung. Der markhaltige Froschnerv, welcher unter Ausschluß von Sauer- stoff allmählich Erregbarkeit und Leitfähigkeit verliert, wird mit zu- nehmender Erstickung immer leichter durch den konstanten Strom blockier- bar. Die Abnahme der zur vollständigen Leitungsunterbrechung nötigen Stromstärke erfolgt schon von den ersten Erstickungsstadien an und ist ein viel empfindlicherer Indikator für die im Nerven vorgehende Ver- änderung als die Höhe der Erregbarkeit, die anfangs noch zunimmt. In der Erholung des Nerven durch Sauerstoffzufuhr stellt sich prompt mit Rückgang aller übrigen hier beschriebenen besonderen Erschei- nungen die ursprüngliche Höhe der zur Blockade erforderlichen Strom- stärke wieder ein. Die erleichterte Blockierarbeit des erstickten Nerven beruht auf einer Änderung der polaren Erregbarkeitsverhältnisse, vor allem auf der enormen Ausbildung der depressiven Kathodenwirkung bei demselben. Der erstickte Nerv bietet bezüglich seiner polaren Erregbarkeit nahe- zu das umgekehrte Bild des normalen: An der Kathode eine starke Erregbarkeitsherabsetzung, die sich im Laufe der Erstickung zuerst für starke, später auch für schwache Ströme eingestellt hat, und an der Anode eine Erregbarkeitssteigerung, die sich in einem etwas späteren Erstickungsstadium als die kathodische Depression zuerst für schwächere, dann auch für starke Ströme bemerkbar gemacht hat. Beide, die kathodische Depression wie die anodische Erregbarkeits- steigerung sind unmittelbar nach Stromschluß nicht nur dicht neben dem betreffenden Pole, sondern auch in etwa 2 cm Entfernung davon nachweisbar und überdauern die Stromöffnung noch um Bruchteile von Sekunden. Elektrophysiologische Untersuchungen am alterierten Nerven. I. 205 Auf Grund dieser anodischen Erregbarkeitssteigerung wird die anfangs wenig wirksame Öffnung des konstanten Stromes mit zunehmender Erstickung wirksamer als die Schließung, so daß zuletzt der allein er- folgreiche Reiz die Öffnung des T Stromes ist. Die Wirksamkeit der Schließung wird dagegen schon früher infolge der immer stärkeren Ausprägung der depressiven Kathodenwirkung mehr und mehr von der Seite der stärkeren Ströme her eingeengt, indem die von der Kathode ausgegangene in der Dekrementstrecke verlang- samt ablaufende Erregungswelle von der viel schneller sich ausbrei- tenden Kathodendepression eingeholt und ausgelöscht wird. Daher kommt in mittleren Erstickungsstadien bei Reizung mit mittelstarken ? Strömen ein neuer Fall des Zuckungsgesetzes zur Er- scheinung, der als Fall 2a für den normalen zweiten Fall eintritt, eine absolute Lücke in der Zuckungsreihe bei Verstärkung des Reizstromes, in welcher weder die Schließung noch die Öffnung Zuckung hervorruft, obwohl die erste bei schwächeren, die zweite bei stärkerem Strom Er- folg hat. Alle die beschriebenen Erscheinungen des elektrotonischen Verhaltens und auch der neue Fall 2a des Zuckungsgesetzes sind nicht auf den erstickten Nerven beschränkt, sondern auch am Narkosenerven und zum Teil unter anderen Einwirkungen nachgewiesen und scheinen überall dort vorzukommen, wo es sich um eine Alteration des Nerven durch Einflüsse schädigenden Charakters handelt. Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblüter- gewebes. Von Edgar Atzler und Gunther Lehmann. (Aus der experimentell-physiologischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Institutes: für Arbeitsphysiologie, Berlin.) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 9. August 1922.) In einer früheren Arbeit!) konnten wir zeigen, daß bei Durchströ- mung des Läwen-Trendelenburgschen Froschpräparates mit Lösungen von verschiedenem Ph das Froschgewebe die Fähigkeit entwickelt, eine abweichende Wasserstoffionenkonzentration der Blutreaktion an- zunähern. Es ist leicht verständlich, daß bei Durchströmung eines Tieres mit einer Lösung von höherer als Blutalkaleszenz die aus der Venenkanüle abtropfende Flüssigkeit eine Ph-Verschiebung nach der sauren Seite zeigt, die durch Milchsäure und andere saure Stoffwechsel- produkte hervorgebracht wird. So beobachtete auch Fleisch?) bei ana- logen Versuchen, daß ‚‚eine schwach gepufferte alkalische Lösung mit einer [H] von 0,35.10°? beim Passieren des Gefäßsystems zweifel- los infolge Aufnahme der sauren Stoffwechselprodukte gesäuert wird und mit einer [H] von 1,77.10°" ausfließt“. Aber auch beim Durch- strömen mit einer sauren Lösung tritt im Organismus ein Regulations- mechanismus in Tätigkeit, der bewirkt, daß die Flüssigkeit weniger sauer aus dem Tier austritt, als sie eingetreten ist. Man kann daraus schließen, daß nicht nur die Puffer des Blutes die Aufrechterhaltung der physiologischen Wasserstoffionenkonzen- tration bewirken, sondern daß auch dem Gewebe ein mitbestimmender Einfluß zukommt. Die regulierende Tätigkeit des Gewebes tritt um so deutlicher in Erscheinung, je niedriger der Pufferungsgrad der Durch- strömungslösung ist. Wir verstehen dabei unter Pufferungsgrad die Resistenz der [H] einer Lösung gegen den Zusatz von Säuren und Al- kalien. Die Herstellung von Lösungen verschiedenen Pufferungs- grades geschieht am einfachsten durch Variieren der Konzentration an Puffersalzen. 1) Atzler und Lehmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 463. 1922. 2) A. Fleisch, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 19, 310. 1921. E. Atzler und G. Lehmann: Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 207 Der erwähnte Vorgang der Reaktionsänderung kann wohl nur darauf beruhen, daß gewisse Stoffe aus den Geweben in die Blutbahn übertreten, und umgekehrt, Die Verfasser suchten in ihrer vorer- wähnten Arbeit zu zeigen, daß dieser Vorgang nach den Diffusions- gesetzen erfolgt. Wir maßen die Fähigkeit, die Wasserstoffionenkon- zentration der Durchströmungslösung der Blutreaktion zu nähern durch die Menge ”/,, HCl resp. ”/,, NaOH, die man den Perfusions- lösungen zusetzen muß, um die gleiche Änderung der Wasserstoffionen- konzentration hervorzubringen, wie die Froschpassage. Es zeigte sich, daß die Pufferungspotenz des Frosches, — so nannten wir diese Regu- lationsfähigkeit —, um so mehr chemische Arbeit leistet, je weiter die Wasserstoffzahl der Perfusionslösung von der normalen Blutreaktion entfernt ist und je höher ihr Pufferungsgrad ist. Denn je mehr die Wasser- stoffionenkonzentration von der Blutreaktion abweicht, desto größer ist das Diffusionsgefälle zwischen Gewebe und Gefäßinhalt, und desto stärker muß reguliert werden, um die Wasserstoffzahl der Perfusions- lösung auf den physiologischen Wert zu bringen. Vergleichen wir weiter zwei Perfusionslösungen, die zwar gleiche, von dem Blut verschiedene [H] haben, die aber verschieden stark gepuffert sind, so wird das Wasserstoffionengefälle umso länger erhalten bleiben, je höher der Pufferungsgrad ist. Mithin ist zu erwarten, daß die Ge- webssäfte um so stärker in Anspruch genommen werden, je höher die molare Konzentration der Puffersalze in der Perfusionslösung ge- wählt ist. Wie schon von anderen Autoren, so ist auch von uns in einer früheren Arbeit gezeigt worden!), daß die [H] wesentlich bestimmend ist für die Weite der Gefäße. Maßgebend für den Kontraktionsgrad der Ge- fäße ist jedoch bei Durchströmungen nicht die [H], mit der die Per- fusionslösung in das Versuchstier eintritt, sondern die bereits mehr oder weniger geänderte [H] der Flüssigkeit beim Durchströmen der Ca- pillaren. Die Größe der Veränderung, welche die [H] der Flüssigkeit erleidet, hängt ab von dem ursprünglichen Wasserstoffionenkonzen- trationsgefälle, von dem Pufferungsgrad der Lösung und von der Pufferungspotenz des Tieres. Wir haben schon in der erwähnten Arbeit darauf aufmerksam gemacht, daß man diese drei Faktoren berück- sichtigen muß, wenn die Aufgabe gestellt ist, den Einfluß der Wasser- stoffionenkonzentration einer Perfusionslösung auf die Blutgefäße zu studieren. In der vorliegenden Studie wollen wir die Pufferungsleistung eines Säugetieres untersuchen und zeigen?), wie man die Pufferungs- potenz zahlenmäßig erfassen kann. 1) Atzler und Lehmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 118. 1921. 2) Wir möchten an dieser Stelle Herrn Professor Gildemeister für das liebens- würdige Interesse, das er dieser Arbeit entgegengebracht hat, danken. 208 E. Atzler und G. Lehmann: Als experimentelle Grundlage dienten uns Durchströmungsver- suche durch die hintere Körperhälfte des Kaninchens. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde der Darm unterbunden und abgeschnitten, die Gefäße der Bauchwand und des Rückens durch Massenligaturen derart unterbunden, daß sämtliche Gefäßverbindungen zwischen Vor- der- und Hintertier unterbrochen waren. Die großen Bauchgefäße wurden frei präpariert, und je eine Kanüle in die Aorta abd. und V. cava inferior eingebunden. Ehe die aus einer Mariotteschen Flasche auslaufende Perfusionslösung durch die Aortenkanüle in das Gefäßsystem des Hintertieres einströmte, wurde sie mit Sauerstoff durchperlt und auf Körpertemperatur erwärmt. Die aus der Venen- kanüle auslaufende Lösung wurde in bestimmten Zeitabständen ge- sammelt, gemessen und auf ihre Wasserstoffionenkonzentration unter- sucht. So betrug in einem Fall die Ph der in der Mariotteschen Flasche be- findlichen Perfusionslösung 4,72; in der ersten 15 Minuten dauernden Versuchsperiode sind 1500 cem durch das Hintertier geflossen, und die Untersuchung der durchgelaufenen Flüssigkeitsmenge ergab ein Ph = 6,00. Es müssen demnach die Gewebszellen des Körpers auf eine uns unbekannte Weise OH-Ionen in die Perfusionslösung gesandt und damit den Ph-Wert der Durchströmungslösung vermehrt resp. deren Wasserstoffionenkonzentration vermindert haben. Um diesen Vorgang anschaulich darzustellen, setzten wir der Ausgangslösung, die in un- serem Beispiel ein Ph von 4,72 hat, tropfenweise so viel 0,01 nNaOH zu, bis der Ph-Wert auf die gleiche Höhe wie beim Durchströmungs- versuch, also auf 6,00 gestiegen war. Die aus der Venenkanüle aus- geflossene Durchströmungslösung wurde durch Zentrifugieren von Blutspuren befreit und mit demjenigen Indikator der Michaelis schen Indikatorenreihe!) versetzt, der einen deutlichen, aber vom Maximum entfernten Farbton hervorrief. Wir bezeichnen diese Indikatorlösung mit A. Dann wurde zu der mit Indikator versetzten ursprünglichen Perfusionslösung, sofern sie sauer war 0,01 nNaOH, sofern sie alka- lisch war 0,01 nHCl solange zugetropft, bis sie mit Lösung A farbgleich wurde. Um zu verhindern, daß bei dieser Titration die Indikator- menge im Verhältnis zur Gesamtflüssigkeit eine Abnahme erleidet, enthielten die Natronlauge resp. die Salzsäure von vornherein den ent- sprechenden Indikator. Die Menge der verbrauchten NaOH bzw. HCl wurde in Prozenten der Ausgangslösung ausgedrückt. Wir geben im folgenden Protokolle derartiger Durchströmungs- versuche, bei welchen Lösungen von verschiedenen Ph-Werten und verschiedenen Pufferungsgraden verwendet wurden. 1) Michaelis und Gyemant, Biochem, Zeitschr. 109, 165, 1920. Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 209 Tabelle I. Versuch A. Ph des Einlaufs — 5,56. Pufferungsgrad 1,04, Gewicht G des Hintertiers zu Beginn der Durchströmung 400,0 g. nz Ph der Lösung v= Me MenzesderEer: Me nach ccm 0,01n-NaOH 2 Zeit in Minuten fusionslösung Min. Tierpassage bzw. HC1 pro u u-@ ın ccm 1 2 3 4 5 6 0—15 832 55,5 7,03 74,9 2,25 10° 15—30 1000 66,7 6,62 65,0 1,63 -10 30—60 1440 48,5 6,42 79,2 1,41 - 10 60—90 655 21,8 6,50 39,3 1,50 - 10 90—150 310 5,0 6,50 18,6 1,50 -10 150—210 170 2,8 6,22 6,8 1,00 - 10? 210-270 105 1,8 6,29 4,7 1,1210 Versuch B. - Ph des Einlaufs 4,72, Pufferungsgrad 206, Gewicht 350 g. 0—15 1105 73,7 6,00 221,0 5,71-10°* 15-3078 1090 72,7 5,04 141,7 3,72-.10 ? 30—45 8350 56,7 5,02 102,0 3,43 10? 45—75 845 28,1 4,96 93,0 3,15 -10 75—105 395 13,2 4,92 35,6 2,58 10°? ° 105—165 430 71.2 4,38 30,1 2,00 - 10° 165-225 200 3,3 4,18 3,0 0,43 : 10? Versuch C. Ph des Einlaufs 5,96, Pufferungsgrad 4,42, Gewicht 413 g. 0—15 1110 740 6,90 410,7 8,96 - 10 15—30 1155 77,0 6,33 254,1 5,33 - 10”? 30—45 850 56,6 6,18 127,5 3,63 - 107 45—75 1190 39,7 6,14 142,8 2,91 -10 75—105 350 11,7 6,05 19,5 1,35 - 10° 105—165 110 1,8 6.0022 3,3 0,73 -10”? Versuch D. Ph des Einlaufs 4,44, Pufferungsgrad 25, Gewicht 375 g. 0-15 780 52,0 4,75 1076,4 35,96.- 10 15—30 570 38,0 4,55 319,2 14,93 -10 30-60 708 23,6 4,52 325,7 12,27 -10 60-90 390 13,0 4,52 156,0 10,66 » 10" ? 90—150 320 5,33 4,515 118,4 9,87 -10 150—210 125 2,08 4,515 46,3 9,88 -10 Versuch E. Ph des Einlaufs 7,65, Pufferungsgrad 0,77, Gewicht 335 g. 0—15 1545 103,0 7,17 aloe 1,49 - 10? 15—30 1145 76,3 7,21 51,5 1,34 - 10°? 30—45 1290 86,0 7,26 51,6 1,19 - 10° 45—15 1350 45,0 7,33 41,3 1,05 -10 75—105 280 9,3 Tel 14,0 1,49 - 10° 105—165 335 5,6 Zeile 16,8 1,50 -10 Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 14 210 E. Atzler und G. Lehmann: Versuch F. Ph des Einlaufs 8,70, Pufferungsgrad 0,86, Gewicht 370 g. Zu Mens der [43 Pr der Lösung de 0,0Ln v Zeit in Minuten | Perfusionslös. | Min. an dat NaOH bzw. DEReı in cem | Tierpassage HCl pro u 1 2 3 4 5 6 0—15 690 46,0 | 7,29 200,0 7,83. 10,72 15—30 225 11.005 7,49 68,9 11207639. Hi): 80 235 N kl 65,8 7,57 1072 600 | 150 5,0 at 42,0 11077. 0776201 Ole 90— 150 375 6,3 | 1,98 97,5 1.03.2105 150— 210 390 60 1,59 9955 76,902, 0552 Versuch G. Ph des Einlaufs 8,20, Pufferungsgrad 4,12, Gewicht 275 g. oem |. 25,0 200, 783 255,8 |11,27-.102 1530 160.0, 5070| 802 152,0 8,27 .10-4 30—45 | 860 | 57,3 | 7,93 215,0 IOIIOEE 46.75 | 100 | 340 8,02 2030 | 720 10m 75—105 | 320 I OST 7,97 73,6 | 836.104 1052165, 00002 1.33, 0 179% 46,0 | 8,36-10-4 Zum Verständnis der Tabellen sind folgende Bemerkungen nötig. Über jeder Einzeltabelle der Versuche A—G ist neben dem Anfangs- gewicht G des durchströmten Hintertiers die ursprüngliche Wasserstoff- ionenkonzentration der Perfusionslösung (Ph des Einlaufs), sowie deren Pufferungsgrad zahlenmäßig angegeben. Diese Zahlen wurden nach einem Verfahren gewonnen, das der eine von uns (L.) in seiner Inauguraldissertation ausgearbeitet hat!). Man setzt der auf ihren Pufferungsgrad zu untersuchenden Lösung eine gewisse Menge Salzsäure zu, wenn es sich um einen alkalischen Puffer handelt, oder Natronlauge, wenn der Puffer im sauren Gebiet. liegt. Man könnte nun einfach den Pufferungsgrad durch die Anzahl von cem Natronlauge bestimmter Normalität ausdrücken, die man zu l cem der zu untersuchenden Lösung zusetzen muß, um seine Ph um eine Zehnerpotenz zu ändern. Da es sich aber in der Praxis nicht emp- fiehlt, den Ph-Wert um eins zu ändern, so bedienen wir uns folgender Formel zur Berechnung des Pufferungsgrades Pg sn I.n NM Teer und 2): 29a ee Formel 1 gilt für solche Bestimmungen, bei denen Säure (s), Formel 2 für solche, bei denen Lauge (l) zu der Pufferlösung zugesetzt wird; n soll die Normalität, a die Anzahl cem Pufferlösung sein. Die ursprüng- 1) Bioch. Zeitschr. im Erscheinen, vgl. hierzu auch: Koppel und Spiro, Bioch. Zeitschr. 109, 165. 1914, sowie Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration 2. Aufl. 1. Verlag Jul. Springer, 1922. Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 211 liche [H] der Lösung beträgt Ph,, sie verändert sich nach dem Zusatz von s oder ! auf Ph,. Da im Fall der zweiten Gleichung Ph, > Ph, ist, so erhält man für den Pufferungsgrad Pg, eine negative Zahl. Ein positiver Wert bedeutet demnach die Resistenz der auf ihren Pufferungsgrad zu unter- suchenden Lösung gegen saurere, ein negativer Wert gegen alkalischere Lösungen. Diese Betrachtung besitzt strenge Gültigkeit, wenn die Pufferungs- kurve einen gradlinigen Verlauf zeigt. Man muß Ph, so wählen, daß die Ph-Änderung, die in dem beabsichtigten Versuch zu erwarten ist, gleich der bei der Messung gewählten ist. In unserem Fall würde demnach für Ph, die Wasserstoffzahl des tierischen Gewebes, also etwa Ph = 7,00 in Frage kommen. Die obigen Formeln vereinfachen sich, wenn man für 0,01 n-Lösung n = 1 und a für 10 ccm zu untersuchen- der Pufferlösung ebenfalls gleich Eins setzt; dann ist: S a, Ph, - Ph, Ey NT Ph, pm Nach dieser Abschweifung kehren wir zur Besprechung der Ver- suchsprotokolle zurück. In Stab 1 sind die Durchströmungszeiten in den einzelnen Versuchsperioden, in Stab 2 die zugehörigen Durchfluß- mengen in ccm — u, in Stab 3 die Werte « pro Minute und in Stab 4 deren Wasserstoffzahlen angegeben. Kolonne 5 gibt Auskunft über die chemische Arbeitsleistung (Pufferungsleistung) des Tieres in den einzelnen Versuchsabschnitten; wir drücken sie in "/,oo HCl bzw. NaOH aus (=r). In Stab 6 ist ein Bruch angegeben, der weiter unten für die mathematische Behandlung des Problems gebraucht wird. Wir ersehen aus den Tabellen allgemein, daß auch für das Säuge- tier die früher aufgestellten Gesetze gültig sind. In allen Versuchen übt nämlich das Tier zunächst einen starken Einfluß auf die Wasser- stoffionenkonzentration der Perfusionslösung aus, je länger aber der Versuch dauert, um so mehr erlahmt das Pufferungsvermögen des Tieres. So wird z. B. in Versuch A zu Anfang in 15 Minuten das Ph der Perfusionslösung so geändert, als ob 74,9 cem 0,01n NaOH zugesetzt wurden, am Ende des Versuches aber nur noch so, als ob der Zusatz in 60 Minuten 4,7 cem betrüge. Ferner erkennen wir auch hier, genau wie bei früher geschilderten Versuchen, daß das Kaninchen um so stärker reguliert, je weiter die Wasserstoffzahl der Perfusionslösung von der Blutreaktion entfernt ist, und je stärker diese gepuffert ist. Der Zusatz beträgt zu Beginn des Versuches B 221 ccm gegen 74,9 bei Versuch A. Entsprechend ist der Zusatz in den ersten 15 Mi- nuten bei Versuch © 410,7 cem; er ist also größer als bei A und B trotz- 14* 212 E. Atzler und G. Lehmann: dem die Lösung im Versuch © weniger sauer ist als bei A und B. Weitaus der höchste Zusatz wird bei D erreicht, bei welchem Versuche die Lösung nicht nur beträchtlich saurer, sondern auch stärker gepuffert ist als bei den anderen Versuchen. Offenbar nimmt die Pufferleistung des Tieres im Laufe eines Ver- suches ab; gleichzeitig wird die Durchflußmenge allmählich geringer. Uns interessierte nun die Frage, ob man die Abnahme dieser beiden Größen in einer mathematischen Formel zum Ausdruck bringen kann, aus der eventuell theoretische Folgerungen zu ziehen wären. Daß es aussichtslos ist, auf Grund theoretischer Annahmen das Gesetz des in Frage stehenden Vorganges abzuleiten, haben wir schon frühert) gezeigt. Es ist aber möglich, von den experimentellen Tatsachen aus- zugehen und somit auf dem umgekehrten Wege eine empirische Glei- chung zu finden, die uns einen tieferen Einblick in den Vorgang erlaubt. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß die von der Volumen- einheit des Tieres in der Zeiteinheit vollzogene Pufferleistung gemessen durch » (Stab 5), wirklich in der Abgabe einer gewissen Menge Salz- säure bzw. Natronlauge besteht. Wir berechnen diese Menge pro ccm der durchgeflossenen Perfusionslösung in den einzelnen Versuchsab- schnitten und rechnen sie auf die Gewichtseinheit des Tieres um; wir erhalten den Ausdruck M = ne . Wir können M definieren als die von der Gewichtseinheit des Tieres an .die Volumeneinheit der Perfusions- lösung abgegebene Menge Natronlauge bzw. Salzsäure. Da M Durch- schnittswerte für die einzelnen Versuchsabschnitte dar- 721x70* stellen, so ermittelten wir mittels eines graphischen Ver- fahrens korrigierte Werte dieser Größe für alle Zwischen- 70 zeiten. Zu dem Zwecke wurde zunächst eine Figur ent- worfen, wobei auf die Abszisse die Zeiten und als Ordi- 8 naten die zugehörigen M-Werte aufgetragen wurden. Man erhielt dann den treppenförmigen Linienzug, wie ihn Abb. 1 für den Versuch © zeigt. Um den genauen zeit- lichen Verlauf aus die- ser Figur zu interpolie- ren, wurde eine Kurve so gelegt, daß sie-fol- gende Bedingungen er- ADpi füllte: sie mußte sich einmal möglichst nahe der Treppe anschmiegen, anderseits mußte das Flächenintegral des treppenförmigen Linienzugs und das der Kurve gleich sein. Aus dieser 1) Atzler und Lehmann ]. c. 0% 2% #4 50 60 70 80 390 100 720 740 760 — Untersuchungen über aie Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 213 Kurve entnahmen wir korrigierte Werte für M (M’). Aus obiger Abbil- dung ergibt sich nun aber, daß eine glatte Kurve nur bis etwa t = 75 gelegt werden kann; nach dieser Zeit treten Verhältnisse ein, die den Kurvencharakter stören und einen Knick bedin- gen. Das liegt offenbar Br daran, daß je nach den 96: Versuchsbedingungen früher oder später ein ,; Ödem auftritt, welches D die Ausflußmengen in 235 einer Weise beeinträch- tigt,diewirzurZeitnicht 30 übersehen können. Der Vergleich dieser 32 Kurven mit unseren in Tabelle I niedergelegten 3# Versuchsprotokollen _ zeigte uns deutlich, daß S36 der Kurvenknick da ge- S legen ist, wo man auch iv in den Protokollen eine exzessive Verschlechte- rungder Durchströmung bemerkt. Wir konnten die Protokolle bis zu einer Ver- suchsdauer von etwa einer Stunde zur mathematischen Analyse heranziehen. Die auf diese Weise ermittelten Kur- ven zeigten durchweg die Ei- genschaft, daß sie nach oben konkav waren. Sieähneltender Kurve einer monomolekula- ren Reaktion, die bekanntlich durch Logarithmieren der ab- hängigen Variabeln geradlinig gemacht werden kann. Lo- garithmierten wir in unseren Kurven M’, so erhielten wir, wie Abb. 2 zeigt, noch keinen geradlinigen Verlauf. Dies trat erst dann ein, wenn wir tin die 0,5 te Potenz erhoben (Abb. 3). Die Gleichung der so erhaltenen geraden Linie lautet: 214 E. Atzler und G. Lehmann: (1) lg M’—= —b — ai. Fassen wir —b als den Logarithmus von B auf, so ist: [4 log 5 — — al, Verwandeln wir den dekadischen Logarithmus in den natürlichen, so erhalten wir: ’ In = = — 2,30259 a 19:5 oder (2) M’ u B e- 230259 DE Wir führen nun für 2,30259 - a den Wert & ein und können schreiben: (a) Melia oder 4) W=Be ,.'- Wir berechneten nach unseren Formeln a und B. In der Tab. 2 sind die gefundenen und berechneten Werte für M’ gegenübergestellt. Sämtliche Zahlen dieser Tabelle sind mit 10”* multipliziert zu denken. Versuch B. Versuch ©. t M’ gef, M’berech. Differenz t M’ gef. M’ berech. Differenz 1 2 3 4 1 2 3 4 ) 7,50 7,50 ==) 0 12,50 14,62 + 2,12 10 5,00 5,16 +0,16 10 8,25 7,54 — 0,71 15 4,20 4,75 + 0,55 15 6,90 6,47 — 0,43 30 3,60 3,93 + 0,33 30 4,30 4,64 + 0,34 45 3,40 3,40 a) 45 3,25 3,97 + 0,32 60 3,15 3,01 — 0,14 60 2 2,88 +0,13 75 3,00 ul — 0,29 75 2,60 2,38 — 0,22 Versuch D. Versuch E. t M’ gef. M’berech. Differenz t M’ gef. M’ berech. Differenz Ö 60,0 60,0 SEN) 0 1,65 1,65 Se) 10 26,0 26,8 +0,83 10 1,45 1,43 — 0,02 15 22,0 22,5 +0,5 15 1,40 1,37 — 0,03 30 13,6 14,9 +1,33 - 30 1,25 1,26 +0,01 45 1252 10,9 — 1,3 45 1,12 1,19 + 0,07 60 11,4 8,4 — 3,01 60 1,05 1,13 + 0,08 Versuch F. Versuch €. ” t M’ gef. M’berech. Differenz t M’ gef. M’ berech. Differenz 1 2 3 4 1 2 3 4 0) 8,00 8,00 0 () 15,0 15,0 +0 10 Tea) 7,70 — 0,05 10 10,5 10,6 +0,1 15 7,60 7,64 + 0,04 15 9,5 9,8 +0,3 30 7,45 7,50 +0,05 30 8,0 8,2 +0,2 45 7,40 7,39 — 0,01 45 su 142 —(,5 60 ah) 7,29 — 0,06 60 7,6 6,4 — 1,2 75 7,30 7,20 —. 0,10 Man sieht aus dieser Gegenüberstellung, daß die gefundenen Werte mit den berechneten gut übereinstimmen. Die Bedeutung des Exponenten 0,5 von t zeigt folgende Betrach- & tung. Setzen wir in Gleichung 4 für —— den Wert f ein, so haben wir yt Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 215 ein Analogon zur Newtonschen Abkühlungsformel für den Fall, daß beispielsweise ein mit warmem Wasser gefüllter Topf in einem Eis- wassergemisch sich allmählich abkühlt. Die beiden Variabeln sind dann die Temperaturen ® des Wassers im Topf und die zugehörigen Abkühlungszeiten t. Dieser Vorgang wird ausgedrückt durch die Formel: (5) Velo; wobei ß eine Konstante ist, die unter anderem der Wärmeleitfähig- keit der Gefäßwand symbat ist. Der mit warmem Wasser gefüllte Topf würde dem Gewebe des Tieres mit seinem Gehalt an Pufferungsstoffen, das Eiswassergemisch der durch das Gefäßsystem durchlaufenden Perfusionslösung entspre- chen. Wie beim Newtonschen Versuch die Temperatur des Wassers sinkt, so nähert sich hier die Ph des Gewebes mehr und. mehr derje- nigen der Durchströmungslösung. Bei dem Newtonschen Abkühlungsversuch wird die Annahme gemacht, daß das Wärmegefälle jeweils nur von der Temperatur des warmen Wassers abhängt, wohingegen das Wärmeleitvermögen der Topfwandung während des ganzen Versuches unverändert bleibt. In unseren Tierversuchen ist aber das Diffusiongefälle für die H- resp. OH-Ionen nicht allein von dem Ph des Gewebes, sondern auch von dem mit der Zeit sich ändernden Diffusionswege abhängig. Je länger der Versuch dauert, um so geringer wird die Durchflußgeschwindig- keit. Wir nehmen an, daß die Quellung und Verdickung der Gefäß- wand den Diffusionsweg verlängert. Im Newtonschen Versuch könnte man diese Verschlechterung des Austausches dadurch versinnbildlichen, daß sich die Topfwandung mit einer Oxydschicht überzieht, deren Dicke mit der Versuchsdauer wächst. In der Formel drückt sich diese mit der Zeit zunehmende Aus- tauschverschlechterung dadurch aus, daß an Stelle des ö der New- & tonschen Formel (5) der Bruch IE tritt, dessen numerischer Wert, wie leicht ersichtlich, mit zunehmender Zeit kleiner wird. Es wirft sich nun die Frage auf, welche Bedeutung den beiden Konstanten unserer Gleichung (2) «a und B zukommt. Über die Kon- stante B erhalten wir Auskunft, wenn wir ti = O setzen, dann ist M’=B. Das heißt, daß die zu Beginn des Versuchs von der Gewichtseinheit des Tieres an die Volumeneinheit der Lösung abgegebene Menge Natron- lauge bzw. Salzsäure gleich M’ ist. Anschaulicher läßt sich das vielleicht auch so ausdrücken, daß B diejenigen Laugen- oder Säuremengen darstellt, die die Gewebeeinheit dauernd an die Einheit der Durch- 'strömungslösung abgeben würde, wenn sie mit einem unendlich großen Puffervorrat versehen wäre, der ihr gestatten würde, ohne Erschöpfung diese Neutralisationsarbeit zu leisten. 216 E. Atzler und G. Lehmann: Man möchte zunächst annehmen, daß B dem in dem ersten Augen- blick bestehenden Wasserstoffionengefälle zwischen Lösung und Kör- pergewebe proportional ist. Das wäre aber nur dann richtig, wenn zur Zeitt= (0 das gesamte Gefäßsystem des Hintertiers mit der un- veränderten Perfusionslösung angefüllt wäre. In Wirklichkeit strömt die Lösung mit einer meßbaren Geschwindigkeit in das Tier hinein und erleidet bei ihrem Vorwärtsdringen eine mit dem zurückgelegten Wege zunehmende Reaktionsänderung, deren Größe neben der ursprüng- lichen Wasserstoffionenkonzentration der Lösung in erster Linie von ihrem Pufferungsgrad abhängt. Daraus folgt aber, daß die B-Werte eine Beziehung zum Pufferungsgrade zeigen müssen. Tabelle IIl. . Versuchs- Ph-Differenz Pufferungs- Pufferungspotenz = nummer grad im Mittel 1 2 3 4 5 6 A — 1,44 — 1,04 2,60 - 10 - 0,0348 B — 2,28 — 2,06 7,50 - 10 0,0511 C —_ 1,04 4,42 | 109 14,62 : 10-4 0,0911 D — 2,56 — 25,00 60,00 - 10 = 0,1103 E + 0,65 +0,77 1,65 - 10-2 0,0214 F —+ 1,70 +0,86 | — 32 8,00 - 10 = 0,0051 G —+ 1,20 —+ 4,12 15,00 - 10 0,0480. In Tab. III sind verzeichnet unter Stab 1 die Versuchsnummer (analoge Beziehung wie in Tab. I), unter Stab 2 die Ph-Differenz- zwischen der Perfusionslösung und dem Gewebe des Tieres von dem konstanten PR = 17, sowie unter Stab 3 der Pufferungsgrad der Per- fusionslösung. In Rubrik 4 findet sich der zahlenmäßige Ausdruck der Pufferungspotenz des Tieres, auf den wir im zweiten Teil dieser Arbeit zurückkommen werden. In 5 und 6 sind die für die einzelnen Versuche erhaltenen Konstanten eingetragen. Man sieht aus dieser Zusammenstellung, daß die Konstante B vorwiegend von dem Pufferungsgrade der Durchströmungslösung abhängt. In den Versuchen A—D wird mit sauren Lösungen durch- spült, wie man an den negativen Vorzeichen der Zahlen für die Puf- ferungsgrade erkennen kann; mit zunehmendem Pufferungsgrade steigt auch der Wert für die Konstante B. Dieselbe Gesetzmäßigkeit ist auch bei den Versuchen E—-G, wo im alkalischen Gebiet gearbeitet wurde, zu erkennen. Daß auch die Ph-Differenz einen Einfluß auf die Konstante aus- üben muß, haben wir schon oben betont. Die Betrachtung unserer Tabelle lehrt uns aber, daß der Pufferungsgrad hierbei eine größere Rolle spielt, als die Ph-Differenz. Sowohl in den Versuchen A und B, als auch in den Versuchen E und F ist der Pufferungsgrad der beiden zum Vergleich kommenden Lösungen nur wenig voneinander verschie- den; hier kann also die Ph-Differenz einen sichtbaren Einfluß auf den Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 217 Wert des Parameters B ausüben; in der Tat sieht man, daß mit stei- gender Ph-Differenz auch der Wert des Parameters BD steigt. Für die Konstante a, die die Neigung der geradlinig gemachten Kurve darstellt, konnten wir nicht so einfache Abhängigkeitsverhält- nisse erkennen, wie es für B gelang. Aus der Abb. 3 geht zweifellos hervor, daß auch diese Konstante eine Funktion des Pufferungsgrades ist. Denn die Kurven D und C, die den Versuchen mit stark gepuffer- ten Lösungen entsprechen, zeigen die größte Neigung, während die Kurven A, B, E, G, F, wo mit schwach gepufferten Lösungen gearbeitet wurde, wesentlich weniger geneigt sind. Daß aber daneben noch andere Faktoren eine Rolle spielen müssen, zeigt uns Tab. III. Wir glauben nicht fehl zu gehen in der Annahme, daß der Parameter « dem Pufferungs- grade der Lösung und der für die einzelnen Tiere wechselnden Puf- ferungspotenz symbat ist. Das ergibt sich auch aus folgender Überlegung. ß ist in der New- tonschen Formel eine Konstante, welche die Austauschmöglichkeit a charakterisiert. Ihr entspricht in unseren Formeln ——. Wir sahen t oben, daß der Faktor —— durch das Dickerwerden der Gefäßwand bedingt ist. a ist demnach eine Konstante, die die Durchlässigkeit der Gefäßwand bedeutet. Man sollte annehmen, daß diese Konstante in allen Versuchen A, B, C, D, E usw. denselben Wert hat. Unsere Tabelle zeigt aber, daß dies nicht der Fall ist. Wir finden vielmehr eine Abhängigkeit vom Pufferungsgrad der Lösung und der Pufferungs- potenz des Tieres. Bei einer schwach gepufferten Lösung ist der Gleich- gewichtszustand zwischen Tier und Lösung nach einer kürzeren Gefäß- strecke erreicht als bei einer stark gepufferten. Es kommt also bei einer stark gepufferten Lösung für den Austausch ein wesentlich größeres Gefäßstück in Frage als bei einer schwach gepufferten. Daher ist scheinbar bei einer stark gepufferten Lösung die Durchlässigkeit größer als bei einer schwach gepufferten. Dementsprechend sehen wir, daß a mit dem Pufferungsgrad wächst. Auch die Pufferungspotenz muß die Größe der Austauschstrecke im analogen Sinne beeinflussen; wir werden weiter unten zeigen, daß die Pufferungspotenz großen individuellen Schwankungen unterliegt. Aus diesem Grunde konnten in Tab. III nur mittlere Werte angegeben werden; darauf ist es zurückzuführen, daß nähere Beziehungen zwischen dem Parameter a und der Pufferungspotenz aus dieser Zusammen- stellung nicht ersehen werden können; daß sie aber bestehen müssen, lehrt obige Überlegung. Zum Schlusse bleibt uns noch übrig, über die zahlenmäßige Bestim- mung der Pufferungspotenz des Tieres Aufschluß zu geben. Der 218 E. Atzler und G. Lehmann: Gang der Überlegung läßt sich am besten an Hand eines Modelles erläutern. Wir stellen uns eine Feder vor; wir können dieselbe dadurch de- formieren, daß wir ein Gewicht daran hängen. Es wird dann in gewissen Grenzen die Verlängerung der Feder dem angehängten Gewicht direkt und dem Elastizitätsmodul indirekt proportional sein. Ähnliches gilt für eine Pufferlösung von Ph, dem man beispielsweise x ccm n NaOH zufüst. Es ist dann innerhalb gewisser Grenzen die Ph-Verschiebung proportional der zugefügten Laugenmenge und um- gekehrt proportional einer Größe, die wir den Pufferungsgrad genannt haben. Es entspricht also das deformierende Gewicht der zugefügten Lauge und der Elastizitätsmodul dem Pufferungsgrad. Mischen wir zwei verschiedene AANANAAAN NN: Puffer Pk, und Ph, von den Puf- A (& B ferungsgraden Pg, und Pg,, so würde Abb 4 das im Modell nachgeahmt werden können, wenn wir zwei Federn von verschiedener Anfangsstellung A und B und verschiedenem Elasti- zitätsmodul dadurch aufeinander einwirken lassen, daß wir sie gegen- einander einhaken (Abb. 4). Die Moduln der beiden Federn seien Ma und Mb. Der Abstand zwischen A und Bsei ©. Im Gleichgewicht befindet sich derKoppelungs- punkt bei ©. Es gilt dann für den Gleichgewichtszustand die Beziehung CA:-Ma=(CB.Mb oder Mu m EM CB Kehren wir nun zu unserem eigentlichen Problem zurück, so können wir die letztere Gleichung wie folgt schreiben: Pg, = Pg, — : Nun ist aber 5 29, =. PR SPNN: Daraus folgt: Q Pg, = Ph, — Pi, oder wenn wir die Lösungen im Verhältnis n zu m miteinander mischen ms en Bringt man eine Lösung mit dem tierischen Gewebe in Kontakt, so verhält sich auch das tierische Gewebe wie eine Pufferlösung, deren Pufferungsgrad aber nicht allein durch die Konzentration der Puffer- Untersuchungen über die Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. 219 salze in der Gewebsflüssigkeit, sondern auch durch Einflüsse des am- photeren Eiweißes und durch Adsorption bestimmt ist. Wir ziehen es deshalb vor, für diese komplexe Größe den Ausdruck Pufferungs- potenz zu benutzen. Um die zur Berechnung der Pufferungspotenz nach obiger Formel nötigen Werte zu erhalten, wurden besondere Durchströmungsversuche vorgenommen. Wir gingen dabei in prinzipiell gleicher Weise vor, wie es der eine von uns in der vorerwähnten Arbeit für den Frosch geschil- dert hat. Die gewogene hintere Hälfte des Kaninchens wurde in der oben beschriebenen Art mit Kanülen versehen; nur wurde diesmal die aus der Venenkanüle ausgetretene Perfusionslösung immer von neuem zur Durchströmung benutzt. Für Temperaturkonstanz und genügenden Sauerstoffgehalt der Perfusionslösung war auch hier gesorgt. Da es bei diesem Verfahren sehr darauf ankommt, daß von der Flüssigkeit nichts verloren geht, so wurde das Hintertier an den Füßen aufgehängt. Die aus eventuellen Nebenwegen abfließende Per- fusionslösung tropfte durch einen darunter gestellten großen Trichter in das Auffanggefäß, in das auch die Venenkanüle ihren Inhalt ergoß. Die aufgefangene Flüssigkeit wurde in das die Aortakanüle speisende Gefäß immer wieder zurückgegeben. Die erhaltenen Resultate sind in Tab. II zusammengestellt. Tabelle II. E Gewicht Gewicht Durchströmungslösung er “ \des Gesamt- des FE ul = || , ; Puffe- | Menge | PR, = Su aniuchens]eHinbertiers Art des Puffers Ph, | rungs- in £ = g 8 | grad ccm 1 1245 360 Na-Acetat/Essigsäure | 4,1 4,95 , 1140 |6,67 | 48,0 2 1300 410 ” 5,32 ı 9,92 | 1115 [6,57 | 78,4 3 2125 690 = 5,53 | 11,1 2365 16,41 | 56,6 4 2140 745 E% 5,73 13,9 1805 |6,55 | 70,9 5 1505 445 Chloramm./Ammoniak | 8,93 | 16,04 950 |7,87 | 41,7 6 1320 350 5 8,97 | 14,6 975 |8,13 | 30,3 7 1505 695 sh 8,95 |18,2 1070 |8,08 | 22,5 In dieser Tabelle ist unter Stab 1 das Gesamtgewicht des Kanin- chens, unter 2 das Gewicht des durchströmten Hintertieres angege- ben. Die Stäbe 3—6 geben Auskunft über die verwandten Puffer- salze, die Wasserstoffzahl, den Pufferungsgrad und die Menge der Durchströmungslösung, die immer wieder durch das Gefäßsystem des Hintertieres geschickt wurde. Stab 7 enthält die Ph-Zahl, welche die Durchströmungslösung am Ende des Versuches angenommen hat. Unter 8 ist die Pufferungspotenz des Tieres nach obiger Formel be- rechnet. 220 E. Atzler und G. Lehmann: Pufferungspotenz des Warmblütergewebes. Wir finden also Werte, die für die Resistenz gegen Säuren im Durch- schnitt 65 betrugen mit einer Schwankungsbreite von 15 nach beiden Seiten. Die Pufferungspotenz nach der alkalischen Seite betrug 32 und schwankte etwa um 10 nach jeder Seite. Als Ph des Gewebes nahmen wir dabei immer 7,00 an!t). Interessant ist ein Vergleich mit den früher beim Frosch gefundenen Werten: für die saure Seite 44, für die alkalische 9,5. Die Zahlen für das Kaninchen sind also wesentlich höher, als die für den Frosch. Es ist naheliegend die Unterschiede darauf zurückzuführen, daß der Stoff- wechsel des Warmblüters ein viel lebhafterer ist, als der des wechsel- warmen Tieres. Ein lebhafterer Stoffwechsel führt zu vermehrter Bildung saurer Produkte. Ein Tier mit stärkerem Stoffwechsel bedarf daher eines vollkommeneren Apparates zur Erhaltung seiner [H], also einer höheren Pufferungspotenz als ein Tier mit trägem Stoff- wechsel. Zusammenfassung. 1. Kaninchen werden mit Lösungen verschiedener Pk und ver- schiedenen Pufferungsgrades durchströmt. Es wird gezeigt, daß das tierische Gewebe einen Einfluß auf die [H'] der Perfusionslösung ausübt, dessen Größe im Verlauf des Versuches abnimmt. Dieser Vor- gang wird durch eine Formel, die der Newtonschen Abkühlungsformel ‚ähnelt, ausgedrückt. 2. Die Konstanten der empirisch gefundenen Formel zeigen eine Abhängigkeit vom Pufferungsgrad der Lösung und von der Pufferungs- potenz des Tieres. 3. Die Pufferungspotenz des Kaninchens wird zahlenmäßig aus- gedrückt. 4. Ein Vergleich der Pufferungspotenz des Kaninchens mit der des Frosches zeigt, daß die Pufferungspotenz als ein Maß für die Stoff- wechselgröße eines Tieres betrachtet werden kann. 1) Die Genauigkeit dieser Zahlen leidet darunter, daß es wegen der hohen Preise der Versuchstiere nicht möglich war, mehr als 7 Kaninchen zu dieser Be- stimmung zu verwenden. Anmerkung: Auf Seite 214 fehlt: Tabelle II: Versuch A. t M’ gef. M’ berechnet Differenz 1 2 3 4 0 2,60 - 10-* 2,60 - 10-* +0 10 9.10. 10% 2,02. 10-* os 102° 15 1,90 - 10-* 1,91 - 10-% 001102 30 1,55 - 10-* 1,67 .10-* +0,12 - 10-% 45 1,46 - 10°? 1.921077 +0,06 - 10? 60 1,43 - 10° 1740-2105 — 0,03 - 107 Untersuchungen über den Einfluß der Wasserstoffionenkon- zentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. Von Edgar Atzler und Gunther Lehmann. (Aus der experimentell-physiologischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Institutes für Arbeitsphysiologie, Berlin.) Mit 7 Textabbildungen, (Eingegangen am 9. August 1922.) In zwei früheren Arbeiten!) konnten wir über den Einfluß der Wasserstoffionenkonzentration auf die Weite der Blutgefäße des Kalt- blüters berichten. Die vorliegende Studie bringt die Erfahrungen, die wir bei entsprechenden Untersuchungen an Warmblütern gesammelt haben. 1. Methodik. Die für die Durchströmungsversuche am Kaltblüter von uns an- gewandte Methode?) eignete sich für Säugetiere nicht, einmal, weil dieser Apparat an und für sich für ein größeres Stromvolumen ungeeignet ist, und zweitens, weil infolge der notwendigen Erwärmung der Per- fusionslösung Störungen in der Luftblasenbildung zu befürchten waren. Wir bedienten uns deshalb zur Durchströmung unserer Versuchs- tiere einer neuen Methode, die sich für unseren Zweck recht gut be- währte. Die Aufgabe, die in der Zeiteinheit in das Versuchstier einlaufende Flüssigkeitsmenge zu registrieren, lösten wir in der Weise, daß wir dicht oberhalb der Kanüle, die in das betreffende Gefäß eingebunden wurde, den Seitendruck maßen und graphisch registrierten. Der Apparat, der in Abb. 1 skizziert ist, setzt sich wie folgt zusam- men: etwa 1,50 m über dem Arbeitstisch sind auf einem starken Wand- brett zwei Wasserbäder (W) von je 25 Liter Fassungsvermögen auf- gestellt. In ihnen sind die Mariotteschen Flaschen (M) für die Per- 1) E. Atzler und G. Lehmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 118. 1921; 193, 463. 1922. " ?) E. Aizler und V. Frank, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 141, 1920. 222 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß fusionslösungen untergebracht. Die für den Druck ausschlaggebenden unteren Öffnungen der Mariotteschen Röhren sind auf genau gleiche Höhe eingestellt, was vor jedem Versuch kontrolliert wird. Die Wasserbäder werden durch eine elektrische Heizvorrichtung (E) = G, S EEE ILERITIEEEITEIEEIEEIEIIEEEIEEILEIENI A ” ao N Abb. 1. | auf eine Temperatur von etwa 45° C erwärmt. Ein Rührer (R) sorgt. für gleichmäßige Verteilung der entwickelten Wärme. Aus jeder der Mariotteschen Flaschen fließt die Perfusionslösung durch eine passend gebogene Glasröhre in ein weiteres Glasrohr (G). Diese Röhren sind oben offen und stehen nach unten mit den Heizschlangen (HZ) in. Verbindung. der Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 223 Kurz vor dem Übergang in die Heizschlange ist ein winklig gebogenes Glasrohr durch die Wandung der Röhre geführt, durch welches während des Tierversuches dauernd Sauerstoff eintritt: und die darin befindliche Perfusionslösung durchperlt. Letztere An- ordnung entnahmen wir dem pharmakologischen Praktikum von Magnust). Die doppelte Heizvorrichtung war in diesem Falle notwendig, weil die alleinige Benutzung der Heizschlange nicht genügen würde, um bei Zunahme der Strom- geschwindigkeit eine genügende Erwärmung zu erzielen. So konnten wir in dem großen Wasserbad die Temperatur der Durchströmungslösung in grober An- näherung auf das gewünschte Maß bringen, während das zweite Wasserbad die genaue Einstellung der Temperatur ermöglichte. Ein Thermometer (T’h) gestattet kurz vor Eintritt der Lösung in das Gefäßsystem des Tieres die Temperatur zu kontrollieren. Zur Messung des Seitendruckes ist oberhalb der Kanüle ein T-Stück (T) angebracht, das mit einem Wasser-Öl-Manometer [Ma]?) in Ver- bindung steht. Steigt der Widerstand in dem durchströmten Gefäß- bezirk, so steigt auch der Seitendruck an, und der Ölmeniscus in dem weiten Manometerrohr hebt sich. Das obere Ende des Manometerrohres ist mit einem Gummistopfen verschlossen, der von einer gebogenen Glasröhre durchbohrt wird. Diese steht in Verbindung mit einem kleinen Gasometer (Ga), das um eine Achse (A) drehbar angebracht ist. Dieses kleine Instrument stellten wir aus Celluloid selbst her. Als Abschlußflüssigkeit des Gasometers dient Öl. Hebt sich nun der Me- niscus in dem großen Manometer, so führt das Gasometer eine Dreh- bewegung um seine Achse aus. Diese wird durch einen vergrößernden Hebel (7) auf der berußten Schreibfläche eines Kymographions auf- gezeichnet. Die Ölschicht in dem Manometer erwies sich als zweckmäßig, um die beim Umschalten von der einen Mariotteschen Flasche auf die andere in dem weiten Manometerrohr zurückbleibende Flüssig- keit aus der ersten Flasche nach Möglichkeit einzuschränken. Kurz oberhalb des Gasometers ist mittels eines Drei-Weghahnes (D) seitlich ein Gummiballgebläse (G9) angebracht. Die Schwankungen des Ma- nometermeniscus sind während eines Versuches so stark, daß ohne diese Vorrichtung der Fall eintreten könnte, daß entweder der beweg- liche Gasometerteil auf die Öffnung des Entbindungsrohres herab- sinkt, oder daß beim Steigen des Manometers Luft aus dem Gasometer seitlich herausgetrieben wird. Um das zu vermeiden, wurde im ersten Falle neue Luft zugepumpt, während im zweiten Falle durch Ablassen von Luft das Gasometer wieder auf seine Minimalstellung gesenkt wurde. t) Magnus, Pharmakologisches Praktikum, Springer 1920. 2) In der Abb. 1 ist das Manometer Ma irrtümlich ebenfalls mit M bezeichnet. 2234 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß Die Eichung des Apparates erfolgte in der Weise, daß für steigende Stromgeschwindigkeiten die Ausflußmenge in einem Meßzylinder ge- messen und auf die Zeiteinheit umgerechnet wurde. Die erhaltenen Werte wurden zu den Ausschlägen des Gasometerzeigers am Kymo- graphion in Beziehung gesetzt. Mit Hilfe der gewonnenen Eichungs- kurve (Abb. 2) wurden die bei den Versuchen erhaltenen Resultate auf absolute Werte umgerechnet. In dem in Betracht kommenden Meß- bereich waren die Ausschläge praktisch den Durchflußmengen propor- tional. Daran änderte sich auch nichts, wenn aus den eben ange- gebenen Gründen neue Luft in den Gasometerraum eingepumpt oder ——> Ausschlag S 7 — Sek-Volum com Abb. 2. Eichungskurve, Luft daraus entfernt werden mußte. Die mit a bezeichneten Stellen der Eichungskurve stellen die Punkte dar, wo bei steigender Strom- geschwindigkeit Luft in das Gasometer gepumpt werden muß. Ein Nachteil unserer Apparatur ist darin zu erblicken, daß relativ große Massen von kleinen Kräften bewegt werden müssen. Dadurch erhält das System eine sehr geringe Frequenz der Eigenschwingungen. Diese Frequenz konnten wir nicht bestimmen, weil es nicht möglich war, die Aperiodizität des Systems zu beseitigen; es blieb also nur übrig, Latenzzeit und Einstellungsdauer festzustellen, wobei wir unter letzterer Größe die Zeit verstehen, die vergeht, bis bei plötzlichem Stromverschluß der neue Gleichgewichtszustand erreicht ist. Dies tritt nach 8 Sekunden auf 2%, ein. Man ersieht hieraus, daß Änderungen, die sich innerhalb weniger Sekunden abspielen, von dem Apparat entweder verzerrt oder überhaupt nicht wiedergegeben werden. Wir durchströmten mit jeder unserer Lösungen die Tiere mindestens 10—15 Minuten und es kam uns mehr darauf an, den durch die geänderte [HJhergestellten stationären Zustand zu kennen, als rasch eintretende Änderungen zu registrieren. Hierin mag es wohl begründet sein, daß unsere Resultate nicht unwesentlich von denen Fleischs ) abweichen. 1) A. Fleisch, Zeitschr. f. allg. Physiol. 19, 270. 1921. der Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 225 Dieser Autor verwendet in seiner Arbeit über die ‚„Wasserstoffionen- konzentration als peripher wirksames Agens der Blutversorgung' seine elegante Druckdifferentialstromuhr, die offenbar viel schneller anspricht. Die beigegebene Kurve (Abb. 3) ist eine Originalkurve unserer Apparatur. Eine Hebung der Kurve bedeutet Kontraktion der Gefäße. Wir haben bei diesem Versuch, der an einem Kaninchen aus- seführt wurde, welches in derselben Weise, wie es unten beschrieben werden wird, operiert wurde, jedesmal 1 cem einer Adrenalin- 1 : 10.000 1 : 100 000 1 : 1000000 1 : 10000000 Tyrode Abb. 3. Adrenalininjektion. lösung in den Zuführungsschlauch unmittelbar oberhalb der Kanüle injiziert. Die bei allen Injektionen, — auch bei der Kontrolle ohne Adrenalin (letztes Kurvenstück), — gleichmäßig vorhandene kleine, scharf abgeschnittene Erhebung ist auf die Druckerhöhung durch die Injektion selbst zurückzuführen. Daneben sieht man deutlich die Adrenalinwirkung, die mit sinkender Konzentration kleiner wird, aber auch bei einer Verdünnung von 1 :10 Millionen noch deutlich erkennbar ist. Da kaum anzunehmen ist, daß die Gefäße auf H-Ionen- schwankungen wesentlich schneller ansprechen als auf Adrenalin, so kann man annehmen, daß die Empfindlichkeit des Instrumentes für unsere Zwecke genügt. Als Versuchstiere dienten Kaninchen. Sie wurden in Urethannarkose in Rücken- lage auf dem Mallassezschen Tierbrett befestigt. Nach Eröffnung des Abdomens in der Medianlinie wurde der Diekdarm dicht oberhalb des Rectums nach doppelter Unterbindung durchtrennt. Hierauf wurde das Mesenterium nach Unterbindung seiner Gefäße so weit zurückpräpariert, daß das ganze Darmkonvolut kopfwärts gelegt werden konnte. Auf diese Weise war ein bequemer Zugang zu den großen Gefäßen des Bauches geschaffen. Nunmehr wurde die Vena cava und die Aorta stumpf freipräpariert. Da es uns darauf ankam, sämtliche Gefäßkommunikationen zwischen Vorder- und Hintertier nach Möglichkeit unwegsam zu machen, so legten wir an der rechten und linken Hälfte der Bauchwand Massenligaturen an. Ferner legten wir einen starken Seidenfaden, der unter der Aoıta und Vena cava hindurchgezogen wurde, um die gesamte, die Wirbelsäule umgebende Muskulatur Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 15 2236 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß und knüpften ihn möglichst fest. Nunmehr wurde Aorta und Vena cava herzwärts unterbunden, die Kanüle in die Aorta eingeführt, die Vene eröftnet und die Durch- strömung in Gang, gesetzt. Die Operation war bis auf dje kleinsten Handgriffe normiert, so daß es uns nach kurzer Übung möglich war, bereits 5Minuten nach dem Bauchschnitt mit der Durchströmung zu beginnen. Bei einigen Versuchen wandten wir künst- liche Atmung an. Wir bedienten uns hierzu der vorzüglichen Methode von Ganter!). Arbeiteten wir an decerebrierten Tieren, so führten wir diese Operation nach Sherrington?) aus. Unsere Durchströmungslösungen waren wie folgt zusammengesetzt: Die Grundlage bildete die Tyrodesche Lösung, jedoch ohne Natrium- bicarbonat und Natriumphosphat. Dieser Lösung wurden Acetat- bzw. Chlorammonium-Ammoniak-Puffer zugesetzt. Von Phosphat- puffern mußten wir absehen, weil bei der hohen Phosphatkonzen- tration, die wir brauchten, namentlich beim Erwärmen, Ca-Phosphat ausfallen würde. Wir stellten Puffergemische in einer Konzentration 1 von 7 und 0,1 her, die wir im Verhältnis 1 : 9 mit der Tyrodelösung mischten. Wir erhielten so zwei Reihen verschieden stark gepufferter Lösungen. Mit Hilfe der Beckmannschen Gefrierpunktsmethode be- stimmten wir den osmotischen Druck dieser Lösungen und verdünnten die Tyrodesche Lösung so stark, bis wir bei der Mischung mit dem Puffer im Verhältnis 1:9 eine dem Kaninchen isotonische Lösung (4 = 0,595) erhielten. Die Ph-Messungen wurden teils elektrometrisch, teils nach der von Michaelis und Gyemant?) angegebenen Methode ausgeführt. Auf letzteres Verfahren waren wir vor allem bei den Chlorammonium- Ammoniak-Puffern angewiesen, weil erfahrungsgemäß Ammoniak die Platinelektrode vergiftet ®). 1. Experimenteller Teil. a) Variation der Ph-Werte im Bereich der physiologischen Laugencontractur. Wir berichten zunächst über solche Versuche, bei denen die beiden zum. Vergleich kommenden Durchströmungslösungen eine Wasserstoff- ionenkonzentration hatten, die sich zwischen Ph 7,87 und Ph 5,52 bewegt. Die Ph-Differenzen schwankten dabei zwischen 2,08 und 0,21. Die Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammengestellt: santer und Zahn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 145, 335. 1912. ) ®) Siehe R. Magnus, Pharmakologisches Prakticum. Springer 1920. ) L. Michaelis und V. Gyemant, Biochem. Zeitschr. 109, 165. 1920. ) L. Michaelis, Wasserstoffionenkonzentration. 1. Aufl. Sprinser 1914. fe) der Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 227 Tabelle 1. Nr. Ph, Ph, Ph-Ditt. Ergebnis 1 7,60 5,52 2,08 u DR NT ST 6,11 1a 3 aa Se 6155 5,57 DOSE Er! 4 7,07 6,11 0,96 =F 5 6,88 OB 6 7,50 6,87 0,63 ++ 700 1:20 6,64 Wo 30 27.53 7,01 0 9 7,63 7,16 0,47 r 10 1,25 7,00 0,25 u Ph,, Ph, geben Auskunft über die Wasserstoffionenkonzentration der beiden Perfusionslösungen. Jede der Lösungen durchströmte das Tier 10—20 Minuten. Die Umschaltung von einer Lösung zur andern wurde bei jedem Versuchstier mehrmals vorgenommen. Ein +-Zeichen A | (Let Up 1 nn EBEN RER ee L 1 Er a ee Te ai] 70 20 JO 40 50 va 70 80 90 -—— min Abb. 4. Kleines © Kaninchen. Urethannarkose. ——— Ph 6,11 Acetatpuffer niedriger Konzen- tration. -------- Ph 7,87 Chlorammoniumpuffer niedriger Konzentration. bedeutet, daß eine Gefäßreaktion zu beobachten war. Mehrere Zeichen bringen zum Ausdruck, daß die Reaktion besonders stark war. In dieser Versuchsreihe ergab sich ausnahmslos, daß eine Erhöhung der Ph-Werte eine Kontraktion, eine Verminderung derselben eine Di- 20 617] 40 90 60 ION m Abb. 5. 9 Kaninchen 1360 g. Urethannarkose. ——— Ph 6,55 Acetatpuffer niedriger Konzen- tration. --------- Ph 5,57 Acetatpuffer niedriger Konzentration. latation herbeiführt. Wurde beispielsweise im Versuch 2 von Ph 7,87 auf Ph 6,11 umgeschaltet, so erweiterte sich die Strombahn, während bei Rückschaltung auf 7,87 eine Verminderung des Stromvolums er- folgte. Abb. 4 ist die auf absolute Werte umgezeichnete Kurve dieses Versuchs. Abb. 5 die des Versuches 3. 119% 228 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß Dieser Befund steht mit der Theorie der physiologischen Laugen- contractur im Einklang, die wir seinerzeit für den Frosch aufgestellt haben !). Wir konnten für den Frosch in Übereinstimmung mit Fleisch?) und anderen Autoren zeigen, daß H- wie OH-Ionen eine kontrahierende Wirkung auf die Blutgefäße ausüben, wenn ihre molare Konzentration einen gewissen Grenzwert überschreitet. Wir fanden, daß das Optimum der Strombahn dann besteht, wenn die Perfusionslösung ein Ph hat, das etwa dem isoelektrischen Punkt des Eiweißes entspricht. Weicht aber das Ph der Lösung nach der sauren oder alkalischen Seite von die- sem Punkte ab, so tritt eine Kontraktion der Gefäße ein. Dies trifft aber bereits für die normale Wasserstoffionenkonzentration des Blutes zu. Die Blutgefäße befinden sich also unter physiologischen Bedingun- gen in einem nicht unbeträchtlichen Kontraktionszustande, der be- seitigt oder vermindert werden kann, wenn durch Hineindiffundieren saurer Stoffwechselprodukte eine Zunahme der Wasserstoffionen- konzentration des Blutes erfolgt. Diese Beobachtungen stimmen mit der alltäglichen Erfahrung überein, wonach sich die Gefäße in arbeiten- den Organen erweitern. Kaninchenblut hat eine Ph von etwa 7,5—7,6. Diese Wasserstoff- zahl würde demnach den Grad der physiologischen Laugencontrac- tur des Kaninchens bestimmen. Gelten die für den Frosch abgelei- teten Beziehungen auch für den Warmblüter, so müßte beim Vergleich einer Lösung von Ph 7,6 mit einer anderen von höherer Wasserstoff- ionenkonzentration (also niedrigerer Ph) eine Gefäßerweiterung ein- treten. Die Tabelle zeigt, daß das tatsächlich der Fall ist. Weiter gestattet uns diese Versuchsreihe einen Einblick in die Empfindlichkeit der Gefäße gegen Änderungen der Wasserstoffionenkonzentration. Abb. 6 zeigt die Reaktion der Gefäße auf eine Ph-Änderung von 0,27. Die geringste Ph-Differenz, die in unseren Versuchen noch deutlich erkenn- bare Ausschläge gibt, beträgt Pk = 0,21. (Vgl. Tab. III, Seite 233.) Fleisch hat gefunden: „daß eine Verdoppelung der Wasserstoffzahl der Durchströmungsflüssigkeit von 0,35 - 10-7 auf 0,7 - 10°? die kleinste 1) Atzler und Lehmann, 1. c. ?) In dieser Arbeit haben wir uns hinsichtlich der gefäßerweiternden Wirkung der H- resp. OH-Ionen vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt, so daß Fleisch (Schweiz. med. Wochenschr. Nr. 23, Jahrg. 52, 8. VI. 1922) den Eindruck ge- wonnen hat, wir gehörten zu den Autoren, die bei Säuredurchleitung ‚entweder keine Veränderung der Gefäßweite oder aber eine Gefäßverengerung erhielten‘. Wenn wir zuerst mit einer Perfusionslösung A von Ph = 6 durchströmen und dann auf eine Lösung B von höherem oder niederem Ph umschalten, so beobachten wir beim Kaltblüter allerdings eine Gefäßverengerung. Kehren wir aber die Reihen- folge um und gehen von B aus, so erhalten wir, wie wir in der Arbeit erwähnt haben, natürlich genau so wie Fleischh Heymann, Ishikawa, R. G. Pearce eine Gefäüßerweiterung. dder Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 229 Änderung ist, die noch wirksam ist. Sie ist ein Beleg für die hohe {o) n © Empfindlichkeit der Gefäße.‘ Rechnet man diese von Fleisch zefun- be) denen Zahlen in Ph-Werte um, so kommt man zu einer Differenz von 0,3. Wir haben in vorhergehenden Arbeiten wiederholt auf die Wichtie- {o) fe) keit der Berücksichtigung der Pufferung einer Perfusionslösung hin- fo) {o) gewiesen und konnten zeigen, daß dem Gewebe in hohem Maße die 70 ar 20 30 40 50 [77 70 Abb. 6. © Kaninchen 1270 & ohne Zentralnervensystem. ——— Ph 7,42 Chlorammonium- pufter hohe Konzentration. -------- Ph 7,15 Chlorammoniumpuffer hohe Konzentration. Fähigkeit zukommt, eine abweichende Wasserstoffionenkonzentration der Perfusionslösung der Reaktion des Gewebes anzunähern. Aus diesem Grunde ist es verständlich, daß kleine Ph-Differenzen dann eine viel deutlichere Reaktion der Gefäße hevorrufen, wenn die benutzten Lösungen stark gepuffert sind. Die hohe Empfindlichkeit, wie sie in Tab. I zum Ausdruck kommt, läßt sich nur mit stark gepufferten Lösungen erreichen. Benutzt man Chlorammonium-Ammoniak in schwacher Konzentration, so ist die Pufferwirkung sehr schwach. Dementsprechend fanden wir bei der- artigen Lösungen: Tabelle 11. Ph, Ph, Ph-Diff. Ergebnis 7,58 7,01 0,52 schwach + 7,49 7,11 0,38 0 7,15 6,85 0,30 0 1,25 7,00 0,25 ganz schwach + Gelegentlich beobachteten wir, daß kleine Ph-Differenzen zu Be- ginn des Versuches keine Einwirkung auslösten, daß jedoch, nachdem die Durchströmung bereits etwa eine Stunde im Gange war, ein Unter- schied zwischen den beiden Lösungen bemerkbar wurde. Auch dieser Befund läßt sich an Hand dessen, was wir über die Pufferungspotenz eines Tieres kennen, leicht erklären. Zu Beginn des Versuches ver- fügt das Tier noch über so große Vorräte an Puffersalzen, daß dem- gegenüber die kleine Ph-Differenz in den beiden Lösungen kaum zur Geltung kommt. Gegen Ende des Versuches ist jedoch der Einfluß 230 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß des Tieres auf die Lösung wesentlich kleiner geworden, so daß der Einfluß der kleinen Ph-Differenz, die zuerst unwirksam war, jetzt manifest wird. b) Der Einfluß der Wasserstoffionenkonzentralion außerhalb des Be- reiches der phystologischen Laugencontractur. In diesem Abschnitt wollen wir diejenigen Wasserstoffionenkon- zentrationen betrachten, die zum Teil weit außerhalb der in vivo vor- kommenden Schwankungen liegen. Steigt die Konzentration der Hydro- xylionen über die des Blutes, so reagiert das Gefäßsystem mit einer deutlichen Kontraktion. Bei einem Ph von S—9 der Durchströmungs- lösungen kann bereits ein vollkommener Verschluß der Strombahn eintreten. Schaltet man dann aber zu einer Durchströmungslösung von niedrigerer Ph um, so erweitern sich die Gefäße prompt wieder. Die Abb. 7 ist ein Beispiel dafür. Um im alkalischen Gebiet arbeiten zu können, verwandten wir Chlorammonium-Ammoniakpuffer. Wollten wir mit diesen Puffer- RE, t | 1 20 30 40 50 00 Abb. 7. 9 Kaninchen. 1360 g ohne Zentralnervensystem. ———— Ph 7,15 Chlorammonium- puffer niedriger Konzentration. Ph 9,20 Chlorammoniumpuffer niedriger Konzentration. salzen einen hohen Pufferungsgrad erzielen, so war es nötig, eine hohe Ammoniumchloridkonzentration anzuwenden. Bei Durchströmungs- versuchen mit derartigen Lösungen zeigte es sich, daß dieses Salz allein, d. h. also unabhängig von seiner H-Ionenkonzentration, bereits einen stark kontrahierenden Einfluß auf die Gefäße ausübt. Trotzdem kann man aber auch bei solchen Kurven die Wirkung der Wasserstoff- ionen erkennen, die nach den uns bereits bekannten Gesetzen ver- läuft. Die beiden Vorgänge superponieren sich auf der Kurve, ohne sich zu stören. Ein Beispiel hierfür bildet der in Abb. 6 dargestellte Versuch. Lassen wir die Wasserstoffionenkonzentration unserer Durch- strömungslösung bis weit über das physiologische Maß ansteigen (etwa bis 4,5), so finden wir noch immer eine erweiternde Wirkung. Doch der Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 231 ist die Erweiterung nicht mehr wesentlich stärker, als bei Verwendung einer Perfusionslösung von etwa 5,5. Unter der Voraussetzung, daß unsere Hypothese, die die beobachteten Gefäßreaktionen auf Quellungs- erscheinungen zurückführt, richtig ist, sollte man annehmen, daß sich bei einer Perfusionslösung von derartig niedrigem Ph bereits eine Säurekontraktion ausbildet. Der Versuch zeigt, daß das nicht der Fall ist. Der Grund hierfür ist wohl darin zu erblicken, daß eine Lösung, wenn sie auch mit dem Ph 4,5 in die Gefäßbahn des Tieres eintritt, von dem Tier derartig verändert wird, daß die wirksame Wasserstoff- ionenkonzentration, d.h. diejenige, die sich durch Wechselwirkung mit dem tierischen Gewebe ausbildet, immer noch oberhalb des isoelek- trischen Punktes des Eiweißes liegt. Werden die Ph-Werte der unter- suchten Lösungen noch kleiner als 4,5, so hätten wir von einem Punkte ab, der durch den Pufferungsgrad der Lösung einerseits, die Pufferungs- potenz des Tieres andererseits bestimmt wird, das Eintreten einer Säure- contractur zu erwarten. Wir konnten einen derartigen Befund aber nur in etwa der Hälfte der untersuchten Fälle beobachten. Ebenso- oft reagierten die Gefäße der Warmblüter nicht auf die Steigerung der Wasserstoffionenkonzentration. Wir fassen diese Beobachtungen kurz zusammen: Steigerung der OH-Ionenkonzentration über den Wert der Blutalkalinität bewirkt regelmäßig eine Kontraktion der Gefäße. Diese ist um so stärker, je höher die Hydroxylionenkonzentration gewählt ist. Steigt die Wasser- stoffionenkonzentration der Perfusionslösung, so tritt eine Gefäßerweite- rung ein, in der Art, daß das Optimum der Strombahn etwa bei 5,7 erreicht ist. Eine weitere Steigerung bis 4,5 ändert daran wenig. Wird die Wasserstoffionenkonzentration noch weiter erhöht, so tritt häufig eine Vasokonstriktion ein. Wir sehen hieraus, daß die Hydroxylionenwirkung durchaus mit unseren am Frosch beobachteten Versuchsergebnissen übereinstimmt. Auch da konnten wir zeigen, daß eine Perfusionslösung eine um so stärkere Vasokonstriktion herbeiführte, je mehr die Wasserstoffionen- konzentration abnimmt. Während aber beim Kaltblüter auch im sauren Bereich von etwa Ph 5 ab eine mit steigender Wasserstoffionen- konzentration zunehmende Vasokonstriktion eintrat, scheinen die Verhältnisse beim Warmblüter komplizierter zu liegen. Der Grund hierfür kann darin zu suchen sein, daß die Quellungsgesetze der in Frage kommenden Organkolloide beim Warmblüter nicht die gleichen sind wie beim Kaltblüter. Es kann aber auch daran liegen, daß unsere Lösungen für den Warmblüterorganismus zu schwach gepuffert sind. Wie wir an anderer Stelle ausführen, ist die Pufferungspotenz des Warm- blüters wesentlich höher als die des Kaltblüters. Dadurch kann be- wirkt werden, daß eine Lösung mit sehr hoher Wasserstoffionenkon- 3323 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Pinfluß zentration bei der 'Tierpassage so verändert wird, daß ihr Ph oberhalb des isoelektrischen Punktes liest. Die Herstellung noch stärker gepufferter Lösungen scheitert an der Forderung, die Lösungen dem Gewebe isotonisch zu halten. Phy- siologisch interessant und praktisch wichtig ist ja aber vor allem der Ph-Bereich von 6—8. In diesem Bezirk decken sich die Befunde am Kaltblüter und Warmblüter vollkommen. c) Die Bedeutung des Gefäptonus. Fleisch steht auf Grund seiner Versuchsergebnisse auf dem Stand- punkte, daß ein guter Gefäßtonus die Grundbedingung für das Zu- standekommen der Säuredilatation ist. Beim Umschalten einer Per- fusionslösung von Blutalkalinität auf eine solche mit niedrigerem Ph erhielt er bei Katzen und Meerschweinchen fast immer, bei Kaninchen dagegen äußerst selten die sogenannte Säuredilatation der Gefäße. Bekanntlich besitzen die Kaninchen einen sehr labilen Gefäßtonus. Das führt Fleisch auf die Vermutung, daß das Eintreten der. Säure- dilatation ausbleibt, weil die Gefäße bereits maximal weit sind. Die Richtigkeit dieser Überlegungen konnte er unter anderem durch folgenden Versuch nachweisen. Durchströmung einer Extremität des Meerschweinchens, das im übrigen einen normalen Kreis- lauf hatte. Es trat auf Säureinjektion eine starke Gefäßerweite- rung ein. Wird nach Amputation des Kopfes und Zerstörung der Medulla. der Versuch wiederholt, so erfolgt eine wesentlich geringere Vasodilatation. Wir berichteten in dieser Arbeit über Versuche an Kaninchen, haben aber analoge Resultate auch mit Meerschweinchen und Katzen erzielt. Die Ergebnisse stehen in Widerspruch mit den Fleischschen Beobachtungen. Denn wir haben regelmäßig auch an Kaninchen das Phänomen der Gefäßerweiterung bei Zunahme der [HJ] beobachten können, wie es aus den oben gegebenen Tabellen hervorgeht. Es ist nun kaum anzunehmen, daß unsere Kaninchen regelmäßig einen aus- gezeichneten Gefäßtonus hatten. Um aber diese Möglichkeit auszu- schalten, haben wir auch Versuche an Tieren mit zerstörtem Zentral- nervensystem vorgenommen. Wir gingen in der Weise vor, daß wir die Tiere teils vor der Durchströmung, teils während des Versuches nach Sherington decerebrierten und das Rückenmark ausbohrten. In der folgenden Tabelle III sind die Ergebnisse einiger derartiger Ver- suche niedergelegt. Man sieht, daß sich die Ergebnisse nicht von den früher gegebenen unterscheiden. Entsprechend gab auch die Durchströmung von Ka- ninchenleichen analoge Resultate. der-Wasserstoffionenkonzentration auf die Blutgefäße von Säugetieren. 233 Tabelle IIl. Nr. Ph, Ph, Ph-Dift. Ergebnis 1 9908, 7.15 2,05 Are rar (AST) 2 8,11 Zoll 1,00 AL L L 3 7,18 7,10 0,68 + 4 7,20. 6,80 0,40 AL 5 7,49 7,11 0,38 u 6 7,58 1,23 0,35 zu 2 7,42 7,15 0,27 + (Abb. 6) 5 7,45 7,24 0,21 + Wir glauben, daß dieser von Fleisch abweichende Befund darin seine einfache Erklärung findet, daß zwei verschiedene Vorgänge re- gistriert worden sind. Die Fleischsche Differentialstromuhr gibt Aus- kunft über rasch verlaufende Vorgänge am Gefäßsystem, die von unserer trägeren Apparatur verzerrt oder vielleicht sogar unterdrückt werden. Andererseits ließ aber Fleisch die Säure immer nur relativ kurze Zeit einwirken, so daß ihm die von uns beobachtete langsam eintretende Wirkung verborgen blieb. Die Beobachtungen von Fleisch stellen schnell verlaufende vasomotorische Reflexe dar, während die unsrigen eine langsam verlaufende, vom Nervensystem unabhängige Verände- rung des Gefäßsystems betreffen. Zusammenfassung. 1. Es wird ein Apparat beschrieben, der es gestattet, die in der Zeiteinheit in das Gefäßsystem eines Warmblüters eintretende Flüssig- keitsmenge zu registrieren. Die Registrierung beruht im Prinzip auf einer Schreibung des Seitendruckes dicht oberhalb des Eintritts der Flüssigkeit in das Tier. 2. Mit dieser Apparatur wird festgestellt: &) Die Gefäße befinden sich in einem von der [H] der sie durchströ- menden Flüssigkeit bedingten Kontraktionszustand. (Physiologische Laugencontractur.) b) Verminderung der [H] bedingt Gefäßkontraktion, Erhöhung Gefäßerweiterung. c) Steigt die [H] über ein gewisses Maß, so tritt eine weitere Dilatation nicht mehr ein, dagegen erfolgt bei Ph <4,5 oft eine Verengerung. d) Die kleinste Ph-Differenz, bei der eine Gefäßreaktion beobachtet wurde, war 0,21. Sind die Perfusionslösungen stark gepuffert, so sind die Gefäße gegen Ph-Änderungen empfindlicher als bei schwacher Pufferung. 334 E. Atzler und G. Lehmann: Untersuchungen über den Einfluß usw. e) Chlorammonium in hoher Konzentration bewirkt unabhängig von der [H] eine Verengerung der Strombahn. f) Alle genannten Erscheinungen sind auch an Tieren, deren Zen- tralnervensystem entfernt ist, zu beobachten. 3. Die Erscheinungen stehen in Einklang mit der von den Ver- fassern früher bei Untersuchungen an Fröschen ausgesprochenen An- sicht, daß der Einfluß der [H] auf die Gefäßweite als Quellungs- resp. Entquellungserscheinung aufzufassen ist. Beiträge zur Kenntnis der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. Von S. M. Neuschlosz. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Frankfurt am Main.) Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 11. Juli 1922.) I Einleitung. Trotz der überwältigenden Fülle von experimentellen Arbeiten, welche sich mit den Eigenschaften und Wirkungen der Herzglykoside beschäftigen, ist über den Einfluß, den diese Substanzen auf den Skelett- muskel haben, so gut wie nichts bekannt. Bei Versuchen am ganzen Tiere beherrscht die Herzwirkung dieser Gifte so sehr das Bild, daß nach Einverleibung von Dosen, welche ihrer Größe nach allenfalls auch auf andere Organe einzuwirken imstande wären, es stets schon zum Tode des Tieres durch Herzstillstand kommt, bevor sich irgendwelche andere Wirkungen in merklichem Maße entfalten könnten. Die Ursache dieser Erscheinung muß in der eigentümlichen Verteilungsweise dieser Substanzen gesucht werden, die darauf beruht, daß der Herzmuskel dieselben aus der Blutbahn auf elektive Weise aufzunehmen und zu speichern vermag. Während also der Einfluß der Herzklykoside auf andere als die Organe des Kreislaufes von praktischen Gesichtspunkten aus als be- langlos erscheint, gebührt der Wirkung derselben namentlich auf den quergestreiften Skelettmuskel ein nicht geringes theoretisches Interesse. Daß die Digitaliswirkung auf das Herz in erster Reihe auf die conireectile Substanz des Herzmuskels gerichtet ist, wird wohl heute allgemein angenommen. Zweifellos aber bestehen auch Beziehungen zwischen den Herzglykosiden und den autonomen Reizerzeugungs- und Reiz- leitungssystemen im Herzen. Ein genaues Auseinanderhalten der ver- schiedenen Wirkungen auf diese beiden Angriffspunkte ist natürlich für die Theorie der Digitaliswirkung von der allergrößten Bedeutung. Dies ist aber beim Arbeiten am ganzen Herzen offenbar nicht möglich. Aus diesem Grunde haben neuerdings einige Autoren bei der Unter- suchung von Giftwirkungen am Herzen, statt des ganzen Herzens sich Pflügers Archiv. f.d. ges. Physiol. Bd. 197. 16 236 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis einzelner Teile desselben bedient, die sie von den autonomen Reiz- erzeugungsstellen trennten und mit Induktionsschlägen zu rhyth- mischen Kontraktionen veranlaßten [Weizsäcker!), Issekutz?2)]. Ob es mit dieser Methode, die die genannten Autoren ja zum Teile aus anderen Ursachen verwendeten, tatsächlich gelungen ist, die Tätigkeit der ver- schiedenen Reizerzeugungsstellen vollkommen auszuschalten, mag dahin- gestellt bleiben. Auf alle Fälle läßt sich jedoch eine auf die contractile Substanz gerichtete Wirkung der Herzglykoside am reinsten an solchen Muskelarten darstellen, welche Reizerzeugungsapparate überhaupt nicht haben. Zu diesen gehört in erster Reihe der quergestreifte Skelett- muskel. Es schien demnach eine lohnende Aufgabe zu sein, die Wirkung der Herzglykoside auf den Skelettmuskel einer eingehenden Unter- suchung zu unterziehen. Infolge der oben besprochenen Verteilungsweise der nach Art der Digitalis wirkenden Substanzen im Organismus, kam zu diesem Zwecke lediglich das Arbeiten mit isolierten Muskeln in Betracht. Die ver- wendete Versuchsanordnung war im wesentlichen die gleiche, wie sie in vorhergegangenen Arbeiten) bereits öfters geschildert worden ist, nämlich das Arbeiten mit dem Kopyloffschen *) Apparat. Als Versuchs- objekt diente auch hier stets der Gastrocnemius von Rana temporaria. Auf die Skelettmuskeln von Esculenten scheinen die Digitalissubstanzen — ähnlich wie das Coffein — keine, oder doch nur eine ganz unregel- mäßige Wirkung zu haben. Die als Suspensionsflüssigkeit verwendete Ringerlösung enthielt — wenn nicht anders angegeben — 0,6% NaCl, 0,01% KC1, 0,01% CaCl, und 0,01% NaHCO,. 2. Versuche mit Strophanthin. Um die Wirkung der Herzglykoside auf den Skelettmuskel im allgemeinen kennen zu lernen, wurden zuerst Versuche mit der best- bekannten Substanz dieser Gruppe, dem Strophanthin, ausgeführt. Zur Verwendung kam g-Strophanthin, das uns von der Firma Boehringer in Mannheim auf freundliche Weise zur Verfügung gestellt worden ist. In den ersten Versuchen wurde einfach so vorgegangen, daß nach Ausführung einiger Einzelzuckungen und einer kurzen Reihe rhyth- mischer Kontraktionen in Ringerlösung, die letztere durch eine solche ersetzt wurde, die als Zusatz Strophanthin in der Konzentration 1 :10 000 enthielt. In kurzen Zeitabständen wurden dann wiederholt Einzelzuckungen und rhythmische Kontraktionen herbeigeführt. In !) Weizsäcker, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. %2. 1913. ?) Issekutz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. %8. 1915. %) Riesser u. Neuschlosz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 93. 1922. *) Kopyloff, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 152. 1913. der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 237 der genannten Konzentration erwies sich jedoch das Strophanthin bei dieser Versuchsanordnung, auch nach längerer Zeit — manchmal mehrere Stunden — als völlig unwirksam. Es erfuhr die Form und die Höhe der Muskelkurven weder bei den Einzelreizen, noch bei den rhythmischen Kontraktionen die geringste Veränderung. Es trat auch niemals eine Contractur auf und die Fußpunktlinie der Zuckungs- kurven blieb auf der gleichen Höhe. Als Beleg hierfür soll folgender Versuch dienen. Versuch 4. Temporaria ©. 10. X. 1921. (Abb. 1.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 6"20. R.A.: 8 cm. 6h 30’ Rhythmische Reizung 15 Sek. lang. Fr. :100. (Abb. 1a). — 6" 32’ Strophantin 1:10 000 in Ringer. — 7" 10’ Rhyth- mische Reizung 15 Sek. lang. (Ab- bildung 1b.) Ganz anders fielen hingegen die Versuche aus, wenn der Mus- kel vor dem Hinzufügen des Strophanthins zuerst in der Rin- gerlösung bis zur Ermüdung rhythmisch gereizt wurde. In sol- chen Fällen verursachte Stroph- anthin stets ein merkliches Höherwerden der Zuckungen, das so lange anhielt, wie der Muskel in der Strophanthinlösung verblieb, um nach wiederholtem Auswaschen des Muskels mit reiner Ringerlösung sich allmählich zurückzubilden. Durch folgenden Versuch werden die hier obwaltenden Verhältnisse aufs deut- lichste veranschaulicht. Versuch 2. Temporaria ©. 10. X. 1921. (Abb. 2.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 4" 40”. R.A.: 10 cm. — 5" 05’ Rhythmische Reizung des Muskels mit Fr.: 120 (Abb. 2a), dann fortlaufende Reizung bis zur deut- lichen Ermüdung. — 5h 20° Zuckungshöhe deutlich abgenommen. (Abb. 2b.) — 5520’ Strophanthin 1: 10000 in Ringer (bei 1). — 5h 22° Reine Ringerlö- sung, welche dann bis 5h 55” öfters gewechselt wird. — 5 55’ Rhythmi- sche Reizung. (Abb. 2c.) Aus diesem Versuch, wie aus einer Reihe ähnlich verlaufener, geht hervor, daß Strophanthin die Kontraktionen des ermüdeten Muskels im Gegensatz zum normalen ganz gewaltig zu steigern imstande ist. Diese Wirkung des Strophanthins ist reversibel, indem nach Entfernung 16* 233 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis des Giftes die Zuckungen nach einiger Zeit wieder auf ihre frühere Höhe herabsinken. Es war natürlich von großem Interesse, festzustellen, wie sich der Muskel verhält, wenn nach Eintritt seiner Wirkung das Strophanthin nicht entfernt wird. Dieser Frage galten daher die nächsten Versuche. Versuch 6. Temporaria ©. 11. X. 1921. (Abb. 3.) Suspension des Muskels in Ringerlösung um 12" 20’. R.A.: 8 cm, Fr.: 100. — 12h 21° Rhythmische Reizung des Muskels bis zur völligen Ermüdung. — 12h 40° Strophanthin 1: 10000 in Ringer. — Dann wird die Reizung ununterbrochen fortgesetzt. — Um 12h 55’ gerät der Muskel in Contractur und reagiert auf Reizung nicht. (Abb. 3.) — Um 12h 56’ wird die Strophantinlösung wieder gegen reine Ringerlösung eingetauscht, worin sich die Contractur langsam zu- rückbildet und der Muskel sich allmählich erholt. Ähnlich verhält sich der Muskel auch in dem Falle, wenn er zwar in frischem Zustande in die Strophanthinlösung gelangt, dieselbe also zu- nächst noch keine merkliche Wirkung zu entfalten vermag. Wird aber der Muskel in der Strophanthinlösung anhaltend zu weiteren Kontraktionen gereizt, wie dies bei den zuletzt besprochenen Versuchen der Fall war, so gerät er nach einiger Zeit ebenfalls in Contractur, die sich in nichts von der in Abb. 3 abgebildeten unterscheidet. In allen bisher besprochenen Erscheinungen besteht eine fast völlige Analogie zwischen den Wirkungen des Strophanthins auf das Herz und den Skelettmuskel, uud so fragte es sich, ob sich dieselbe auch auf die weiteren Eigenschaften der verursachten Contractur erstreckt. Be- kannterweise ist die Strophanthincontrac- tur am Herzen dadurch gekennzeichnet, daß sie sich durch mechanisches Dehnen des Herzens nicht nur aufheben läßt, son- dern daß das gedehnte Herz wieder zu schlagen beginnt, um nach kurzer Zeit abermals in systolische Contractur zu ver- RL fallen. Es war daher die Frage von ge- wissem Interesse, ob der Skelettmuskel sich auch in dieser Hinsicht dem Herzmuskel ähnlich verhalten würde. Wie Abb. 4 zeigt, ist dies nicht der Fall. Der betreffende Versuch nahm folgenden Verlauf. Versuch 9. Tempor. 9. 12. X. 1921. (Abb. 4.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 11% 25”. — Reizung in Ringerlösung, dann in Strophanthin 1 : 10000. (R.A.: 8 cm, Fr.: 120.) — Um 12h 15’ gerät der Muskel in Contractur und wird dann sogleich mit weiteren 30 g Gewicht beladen. Abb. 3. der Wirkung der Herzelykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 239 Auf die theoretische Bedeutung dieses Versagens der Analogie zwischen Herz- und Muskelwirkung des Strophanthins werden wir im späteren Verlaufe dieser Arbeit nochmals zurückzukommen haben. Eine weitere Frage, die untersucht werden mußte, war die nach der Abhängigkeit der Wirkung des Strophanthins von der @Güftkonzen- tration. Zur Entscheidung dieser Frage wurde in einigen Versuchen statt der sonst üblichen Strophanthinkonzentration, eine zehnmal geringere, d.h. 1 : 100 000 verwendet. Versuch 7. 11. X. 1921. Tempor. S. (Abb. 5.) Suspension des Gastrocnemius in Ringerlösung um 4" 06’. — 4" 60° Rhyth- mische Reizung des Muskels. R.A.: 8 cm, Fr.: 120. (Abb. 5a.) — Um 4 38’ zeigt der Muskel starke Er- müdung und erhält hierauf Strophanthin 1 : 100 000. (Ab- bildung 5b.) — Andauernde Weiterreizung des Muskels in der Strophantinlösung bis 51 25. (Abb. 5c.) Während also die kon- traktionsverstärkende Wirkung des Strophan- thins am ermüdeten Muskel auch bei geringer Strophanthinkonzen- tration eintritt, bleibt die für höhere Giftkonzentrationen charak- teristische Contractur hier vollkommen aus. Hingegen scheint das Strophanthin unter diesen Umstanden eine merkliche Herabsetzung der Ermüdbarkeit des Muskels zu bewirken, indem derselbe wesentlich länger zu arbeiten imstande ist, als sonst. Um einen annähernd gleichen Grad der Ermüdung herbeizuführen, welche bei einem normalen Muskel bereits nach etwa 8 Minuten eintritt, bedarf es beim mit Strophanthin vergifteten Muskel, dieselbe Intensität und Frequenz der Reizung vorausgesetzt, annähernd dreiviertel Stunden. a UTARUNNNNMNNTINNHN Sämtliche bisher besprochene Versuche scheinen darauf hinzuweisen, daß die Intensität der Strophanthinwirkung von dem jeweiligen Er- müdungsgrad des Muskels abhängt und mit demselben zunimmt. Während das Gift bei einem frischen, unermüdeten Muskel überhaupt unwirksam erscheint, verursacht es bei einem ermüdeten Muskel eine deutliche Erhöhung der Kontraktionen, um bei noch weiterer Arbeit — eine genügend hohe Konzentration des Giftes vorausgesetzt — schließ- lich eine Contractur hervorzurufen. Diese Befunde stehen in guter Übereinstimmung mit den Befunden anderer Autoren, nach welchen eine wie immer geartete Digitaliswirkung stets nur an einem schlagenden und niemals an einem ruhenden Herzen zustande kommt, wobei es gänzlich gleichgültig ist, ob das Herz infolge seiner eigenen Automatie schlägt, oder mittels elektrischer Reizung zur Kontraktion veranlaßt 240 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis wird [ Weizsäckert), Issekutz?)]. Es ist fernerhin eine alte Erfahrung, daß die Digitaliswirkung an einem erschöpften Herzen stets deutlicher zutage tritt, als an einem optimal arbeitenden. Fragen wir nach der Ursache dieses eigentümlichen Verhaltens der digitalisartig wirkenden Substanzen, so müssen wir vor allem folgendes bedenken. Soweit unsere bisherigen Kenntnisse reichen, unterscheidet sich ein arbeitender bzw. ermüdeter Muskel in physico- chemischer Hinsicht von einem ausgeruhten durch seinen höheren Ge- halt an saueren Stoffwechselprodukten. Hat der Muskel in geringen Zeitabständen und längere Zeit hindurch Kontraktionen auszuführen, so können die Restitutionsvorgänge mit dem Abbau nicht mehr Schritt halten und es kommt daher zu einer Anhäufung von Dissimilationspro- dukten, namentlich von Melchsäure. Hierdurch .wird die Wasserstoff- ionenkonzentration im Muskelgewebe merklich nach der sauren Seite hin verschoben. In einer früheren Arbeit?) konnte ich nun zeigen, daß die Wirkung von Strophanthin und Digitalin auf ein Gelatinesol zu- mindest in weitgehendem Maße von der Wasserstoffionenkonzentration der Lösung abhängt und mit dieser deutlich ab- und zunimmt. Es liegt daher die Annahme nahe — und hierauf wurde in der genannten Arbeit bereits hingewiesen — daß die Abhängigkeit der Strophanthin- wirkung von dem Ermüdungszustande des Muskels im wesentlichen auf eine Abhängigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration des Milieus zurückzuführen sei. Es fragte sich daher, ob eine auf andere Art hervorgerufene Änderung in der Wasserstoffionenkonzentration des Muskelgewebes ihrerseits eine ähnliche Beeinflussung der Strophan- thinwirkung zu verursachen vermag. Die folgenden Versuche beschäf- tigen sich demnach mit der Wirkung des Strophanthins in Lösungen mit verschiedener Wasserstoffionenkonzentration. III. Die Wirkung des Strophanthins in saurer Lösung. Um die gestellte Frage zu entscheiden, wurde so vorgegangen, daß der Muskel nicht wie stets bisher in reiner Ringerlösung suspen- diert wurde, sondern in einer Flüssigkeit, deren Wasserstoffionen- konzentration je nach Bedarf einmal höher, einmal niedriger war, als die der Ersteren. Um die H-Ionenkonzentration der Lösung nach Belieben abstufen zu können, wurde folgendermaßen vorgegangen. Während die Konzentration der Lösung an NaCl, KCl und CaCl, auch weiterhin die oben angegebene war, wurde das NaHCO, in diesen Versuchen gänzlich weggelassen. Statt dessen wurde zur bicarbonat- freien Ringerlösung ein Gemisch von NaH,PO, und Na,;,HPO, hin- 1) Weizsäcker a. a. O. 2) Issekutz a. a. O. 3) 0, Riesser und 8. M. Neuschlosz, Schmiedebergs Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 94, 190. 1922. der Wirkung der Herzelykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 241 zugefügt und zwar so, dab die Gesamtkonzentration an Phosphat jedesmal 0,1% betrug, das Verhältnis von primärem zu sekundärem Phosphat aber von Fall zu Fall verändert wurde. Es wurden auf diese Weise neutrale, saure und alkalische Ringerlösungen hergestellt, deren H-Ionenkonzentration vor ihrem Gebrauch noch mit der Indikatoren- methode von Michaelis direkt ermittelt worden ist. Zu diesen Lö- sungen wurde dann das Strophanthin hinzugefüst und seine Wirkung auf den Froschgastrocnemius untersucht. Während nun das Strophanthin in phosphathaltigen Lösungen sich von Blutalkalescenz sich ebenso verhielt, wie in der ursprünglichen Ringerlösung, zeigte seine Wirkung in Lösungen mit merklich höherer oder geringerer H-Ionenkonzentration charakteristische Abweichungen von der Norm, welche nun eingehend besprochen werden sollen. Es wurde hierbei naturgemäß stets darauf geachtet, daß nur solche Lö- sungen verwendet wurden, die infolge ihrer verhältnismäßig geringen Abweichung vom Neutralpunkt für sich noch keine merklichen Wir- kungen auf den Muskel hatten. Da das Strophanthin in phosphathaltigen Lösungen mit einem ?„ zwischen 7,0 und 7,8, sich, wie bereits erwähnt, nicht wesentlich anders verhielt, wie in der üblichen bicarbonatalkalischen Lösung, sollen diese Versuche hier nicht weiter erörtert werden und zunächst . die Wirkung des Strophanthins in saurer Lösung an Hand einiger Ver- suche besprochen werden. Aus zahlreichen ähnlichen Versuchen sei hier zu diesem Zwecke Folgender wiedergegeben. Versuch 14. Temp. 2. 13. X. 1921. (Abb. 6.) Suspension des Muskels in einer Lösung mit pp = 7,8 um 10#® 10’. (Ver- hältnis NaH,PO, : Na,HPO, =1:38.) — 10h41’ Einzelöffnungsschlag. R.A.: 5 cm. (Abb. 6a.) — 10% 43’ Wechsel der Lösung gegen eine mit Pu = 6,0 (NaH,-PO, : Na,HPO, — 32: 1.) — 11" Einzelöffnungsschlag (Ab- bildung 6b.) — 11" 05° Strophanthin 1:10000 (pp 5,9), worauf sofort eine starke Contractur eintritt. (Ab- bildung 6.) In diesem Versuche, wie in vielen anderen, zeigt es sich also, daß bei einer Verschie- bung der H-Ionenkonzentra- Die © tion der umgebenden Flüssig- keit nach der sauren Seite zu (von ? 7,8 auf 5,9), das Strophan- thin auch am nicht ermüdeten Muskel eine deutliche Wirkung zu entfalten vermag, indem es den Muskel in Contractur versetzt. Mit anderen Worten scheint eine Ansäuerung des Milieus den Muskel gegen Strophanthin in hohem Maße zu sensibilisieren, ähnlich wie wir dies 242 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis auch für leblose Kolloide früher feststellen konnten. Der Zusammen- hang zwischen beiden Erscheinungen liegt auf der Hand. Im Lichte dieser Beobachtungen können wir nunmehr mit großer Wahrschein- lichkeit annehmen, daß die Sensibilisierung der contractilen Substanz gegenüber dem Strophanthin, welche im Laufe der Arbeit und nament- lich in Folge der Ermüdung: eintritt, und welche am Herzen bereits von früheren Untersuchern, am Skelettmuskel in den oben besprochenen Versuchen mit aller Deutlichkeit nachgewiesen werden konnte, seiner- seits auch auf einer Anhäufung von sauren Stoffwechselprodukten und durch diese bewirkten Verschiebung in der H-Ionenkonzentration im Muskelgewebe beruht. Ein weiterer Schluß, den diese Versuche wohl zulassen, bezieht sich auf den engen Zusammenhang, welcher zwischen der Wirkung von Giften auf leblose Kolloide und ihren Einfluß auf die contractile Sub- stanz besteht. Die Annahme, daß die Abhängigkeit beider Wirkungen von ein- und demselben Faktor, nämlich der Wasserstoffionenkon- zentration lediglich auf Zufälligkeit beruht, ist jedenfalls sehr unwahr- scheinlich und es sprechen auch diese Beobachtungen dafür, daß wir es in beiden Fällen mit analogen Wirkungen auf den Lösungszustand gewisser Kolloide zu tun haben. Auf welche Weise aus den kolloid- chemischen Wirkungen des Strophanthins, die in einer früheren Arbeit ausführlich besprochen worden sind, der funktionelle Zustand des mit Strophanthin vergifteten Muskels hervorgehen kann, soll in einem fol- senden Teile dieser Arbeit an der Hand weiterer Versuche erörtert werden. IV. Die Wirkung des Strophantins in alkalischer Lösung. Nach den oben besprochenen Beobachtungen über die Abhängig- keit der Strophanthinwirkung von der H-Ionenkonzentration, schien es auch von Interesse zu sein, ob, entsprechend der Zunahme der Wirk- samkeit bei saurer Reaktion, eine Abnahme bei alkalischer Reaktion zu beobachten sein würde. Die Ergebnisse unserer Versuche an leb- losen Kolloiden ließen dies erwarten und die ausgeführten Versuche bestätigten unsere Erwartungen. Als Beispiel sei wiederum nur ein Versuch angeführt. Versuch 18. Temp. 9. 15. X. 1921. (Abb. 7.) Suspension des Muskels in einer Lösung mit pa = 8,4 um 10% 30’ (NaH,P 4: Na,HPO 1: 32). — 10h 37’ Rhythmische Reizung des Muskels. R.A.: 7 cm, Fr.: 2. (Abb. 7 a.)— Um 6N 43° ist der Muskel deutlich ermüdet und erhält jetzt Strophantin 1 : 10 000 (py = 8,4) (Abb. 7b.) — 10% 56’ wird die alkalische Strophanthinlösung gegen eine mit py = 7,6 ohne Strophanthin gewechselt. (Abb. 7c.) Aus diesem Versuch ergeben sich zwei weitere Anhaltungspunkte für die Richtigkeit der oben ausgeführten Anschauungen. Bei den Versuchen mit Strophanthin in neutraler Lösung könnte nämlich der Einwand erhoben werden, daß es sich bei der Sensibilisierung gegenüber der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 243 Strophanthin bei der Ermüdung nicht um die Wirkung der Säure- anhäufung im Gewebe handele, sondern andere Änderungen, über deren Wesen wir noch nichts wissen, die aber der Muskel im Laufe der Er- müdung erfahren haben könnte, an dieser Wirkung beteiligt seien. Selbst die Versuche mit Strophanthin in saurer Lösung lieferten noch nicht den bindenden Beweis, daß es sich auch bei der Ermüdung um Säurewirkung handele. Dieser Beweis scheint mir nun durch die vor- liegenden Versuche erbracht zu sein. Hier ermüdet der Muskel infolge der andauernden rhythmischen Reizung ebenso, als ob er sich in neu- traler Lösung befände und das Strophanthin bleibt trotzdem unwirk- sam. Die Ursache hierfür können wir allein in der alkalischen Reak- || UALEIEP FETT NT INTMTmeANT PER ig nn b) e) tion der Außenlösung suchen, die ein Sauerwerden des Muskels ver- hindert. Daß dies auch wirklich zutrifft, geht aus der Tatsache her- vor, daß Muskeln, die in alkalischer Lösung ermüdet werden, niemals auch nur andeutungsweise eine Ermüdungscontractur aufweisen, welche letztere wohl mit Sicherheit als die Folge einer Anhäufung saurer Stoffwechselprodukte angesehen werden kann. Der einzig nach- weisbare Unterschied, welcher zwischen einem Muskel, der in neutraler Lösung und einem solchen, der in alkalischer Lösung ermüdet, zu be- stehen scheint, ist das Ausbleiben der Säuerung im Letzteren. Dieser Unterschied genügt aber, um das Eintreten der Strophanthinwirkung zu verhindern. Dieselbe muß also offenbar von der H-Ionenkonzen- tration im Gewebe abhängig sein. Aus Versuch 18 geht aber noch etwas hervor. Nachdem der Muskel sich 13 Minuten in der alkalischen Strophanthinlösung befunden hat, ohne daß irgendwelche Veränderungen eingetreten wären, wurde die Lösung gegen eine mit neutraler Reaktion, jedoch ohne Strophanthin- zusatz gewechselt, mit dem Erfolge, daß eine Strophanthinwirkung in der giftfreien Lösung auftrat. Es muß also das Strophanthin in wirksamer Menge bereits aus der alkalischen Lösung aufgenommen worden sein, ohne daß eine Wirkung zustande gekommen wäre, Diese D44 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis Tatsache, die in guter Übereinstimmung mit Beobachtungen von Weizsäcker!) und von Issekutz?) am Herzen steht, beweist, daß ledig- lich die Wirkung und nicht die Bindung des Strophanthins von dem Säuregrad der Gewebe abhängt. Auch dieser Umstand spricht im Sinne unserer Anschauungen. Vor einigen Jahren ist von O. Loewi?) die Abhängigkeit der Stroph- anthinwirkung am Herzen von einem anderen Ion der Spülflüssig- keit, nämlich vom Calcium nachgewiesen worden. Die Abhängigkeit der Strophanthinwirkung vom Calciumgehalte des Milieus war eine derart weitgehende, daß Loewi auf Grund seiner Versuche die Annahme machte, daß die Digitaliswirkung ihrem Wesen nach eigentlich einer Sensibilisierung des Herzens gegenüber der Wirkung von Calciumionen gleichkomme. Nun wissen wir aus den Untersuchungen von Rona und Takahashit), daß die Konzentration einer Lösung an freien Ca-Ionen weitgehend von ihrer H-Ionenkonzentration abhängig ist. Es besteht also die Möglichkeit, daß die hier besprochene Abhängig- keit der Strophanthinwirkung von der H-Ionenkonzentration der Lö- sung letzten Endes ebenfalls nur ein Zeichen für ihre Abhängigkeit von dem Gehalte der Flüssigkeit an freien Calciumionen ist. Dieselbe Möglichkeit besteht selbstverständlich auch für die Wirkung des Stroph- anthins auf leblose Kolloide, z. B. Gelatinesole, denn auch diese ent- halten nicht unerhebliche Mengen von Calcium. Gegen diese Annahme spricht jedoch die Tatsache, daß Strophanthin unter gewissen Umständen einen quellungsbegünstigenden Einfluß auf die Gelatine hat, während beim Calcium bisher nur entquellende Wirkungen auf Kolloide bekannt geworden sind. Obwohl eine definitive Entscheidung dieser Frage auf Grund des vorliegenden Materials noch nicht möglich erscheint, sind wir daher doch anzunehmen geneigt, daß es sich bei dem Einfluß der H-Ionenkonzentration auf die Strophanthinwirkung um etwas an- deres, als um die Veränderung der Menge der freien Ca-Ionen handelt. Wie wir die Muskelwirkung des Strophanthins vom kolloidchemischen Gesichtspunkte aus aufzufassen haben, soll in einem späteren Ab- schnitte dieser Arbeit ausführlich erörtert werden. V. Die Wirkung des Digitalıns. Nachdem unsere bisherigen Versuche eine gewisse Klarheit über die Bedingungen der Wirkung des Strophanthins am Skelettmuskel ver- schafft haben, war es von Interesse festzustellen, inwieweit die ge- 1) Weizsäcker, a. a. O. 2\lssekulz, a. a. ©. ») Loewi, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 8%, 83. 1918; Konschegg, ebenda. 91. 1913; Zondek, ebenda 8%. 1920. *) Rona und Takahashi, Bioch. Zeitschr. 49, 370. 1913. der Wirkung der Herzelykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 245 wonnenen Erfahrungen auch für die anderen Substanzen derselben pharmakologischen Gruppe Geltung haben. Hier kamen natürlich in erster Reihe die verschiedenen Glykoside des Digitalisblattes in Frage, unter denen wir das Digitalin in Form eines Präparates von Merck verwendeten. Aus den Versuchen, die wir mit Digitalin am Gelatinesol ausgeführt hatten, ging hervor, daß seine Wirkung eine dem des Strophanthins durchaus ähnliche war und sich lediglich in ihrer Abhängigkeit von der H-Ionenkonzentration von letzterer unterschied. Eine Zunahme seiner Wirksamkeit mit wachsendem Säuregrad konnte allerdings auch beim Digitalin beobachtet werden, doch war diese hier wesentlich weniger ausgesprochen, als beim Strophanthin. Während nämlich die Wirkung des Strophanthins in ausgesprochen sauren Lösungen eher noch ein wenig stärker war, als die des Digitalins, sehen wir, daß bei neutraler und alkalischer Reaktion die Wirksamkeit des Digitalins die des Stroph- anthins um ein Vielfaches übertraf. Wenn also der oben angenommene Zusammenhang zwischen der kolloidehemischen und physiologischen Wirkung dieser Gifte tatsächlich besteht, so mußte erwartet werden, daß ein Vergleich der Muskelwirkungen des Strophanthins und des Digitalins bei neutraler und alkalischer Reaktion eine stärkere Wirkung des letzteren ergeben werde, während bei saurer Reaktion dieser Unter- schied nicht nachweisbar sein dürfte. Die Versuche, die zur Entschei- dung dieser Frage ausgeführt wurden, fielen auch tatsächlich in dem erwarteten Sinne aus, wie dies aus folgenden zwei Beispielen hervor- geht. Versuch 24. Temp. 2. 18. X. 1921. (Abb. 8, S. 246.) Suspension des Muskels um 12" 20° in einer Va mit 9a — T, 8 (NaH,PO, : Na,HPO, 1:8). — 12h 35° Rhythmische Reizung ollme den Muskel een zu ermüden. R.A.: 7 cm, Fr.: 120. (Abb. 8a.) — um 12h 40’ Disitalin 1 : 10000. (Abb. 8b.) — Von 12h 42° an wird der Muskel wieder rhythmisch gereizt. (Abb. 8c.) Bei blutalkalischer Reaktion verursacht also das Digitalin — im Gegensatze zum Strophanthin — auch am nicht ermüdeten Muskel eine merkliche, wenn auch nicht besonders intensive Contractur, welche durch rhythmisches Reizen des Muskels noch wesentlich ver- stärkt werden kann. Es verhält sich demnach der mit Digitalin ver- giftete Muskel bei neutraler (blutalkalischer) Reaktion annähernd so, wie ein mit Strophanthin vergifteter Muskel bei saurer Reaktion, was auch dem Unterschiede im kolloidchemischen Verhalten der beiden Gifte entspricht. Die nächste Frage, die nun untersucht werden mußte, war, wie sich die Wirkung des Digitalins bei alkalischer Reaktion gestalten wurde, wo doch das Strophanthin wirkungslos blieb. Die Entschei- dung dieser Frage ergibt sich aus folgendem Versuch. 246 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis Versuch 25. Temp. ©. 21. X. 1921. (Abb. 9.) Suspension des Gastrocnemius um 11" 05’ in einer Lösung mit pp = 8,3. — Von 11% 10’ an rhythmische Reizung des Muskels. R.A.: 8.cm, Fr.: 120. (Abb. 9 a.) Abb. 8. — Um 11" 21’ zeigt der: Muskel bereits schwere Ermüdung und erhält hierauf Digitalin 1: 10 000. (Abb. 9b.) — Um 11 25’ Wechsel gegen digitalin- freie Lösung. — Um 11" 34’ Rhythmische Rei- zung. (Abb. 9c.) Dieser Versuch zeigt vor allem, daß das Digitalin — im Gegensatz zum Strophanthin — auch bei alkalischer Reaktion der Außen- lösung die Zuckungen eines ermüdeten Mus- kels deutlich zu erhöhen vermag. Am nicht ermüdeten Muskel erwies sich das Digitalin Ill) MN a) in alkalischer Reaktion hingegen ebenso un- wirksam, wie wir das beim Strophanthin bereits bei neutraler Reaktion beobachten konnten.Wollen wir demnach das Ergebnisun- seres Versuches mit Digitalin kurz zusammen- fassen, so können wir sagen, daß ihr Ergeb- nis unseren oben ausgesprochenen Erwartun- sen im allgemeinen durchaus entsprochen hat. Der wesentlichste Unterschied zwischen der Wirkung des Strophanthins und des Digt- talins zeigte sich in ihrer verschiedenen Abhän- gigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration. Diese läßt sich etwa so charakterisieren, daß das Digitalin bei neutraler Reaktion ähnlich verhält, wie das Strophanthin bei sauerer (Auftreten einer spontanen Contractur ohne vorhergehendes Ermüden), während das Bild der Digitalinwirkung bei alkalischer Reaktion sich im wesentlichen mit derjenigen des Strophan- der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 247 thins bei neutraler Reaktion deckt (Fehlen einer spontanen Contractur, Erhöhungen der Zuckungen beim ermüdeten Muskel, Eintreten von Contractur bei dauernder Reizung). Während sich demnach bei saurer Reaktion ein wesentlicher Unterschied in der Muskelwirkung beider Gifte nicht nachweisen läßt, stellte sich bei alkalischer und neutraler Reaktion das Digitalin als nicht unerheblich wirksamer heraus, ebenso wie wir dies im kolloidehemischen Verhalten der beiden Gifte feststellen konnten. Es muß demnach auch der Unterschied zwischen den Wirkungen des Strophanthins und des Digitalins bei verschiedenen Wasserstoffionenkonzentrationen als eine weitere Stütze unser oben entwickelten Anschauungen angesehen werden. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Verhalten des Digitalins und des Strophanthins ist bereits durch Untersuchungen früherer Autoren am Herzen bekannt gewesen. Derselbe besteht im wesent- lichen darin, daß das Digitalin zwar längere Zeit bedarf, um seine Wir- kung entfalten zu können, dagegen wenn es einmal in wirksamer Menge an den Muskel gebunden ist, viel schwerer entfernt werden kann, als das Strophanthin. Dementsprechend sahen wir auch, daß sich die Wirkung des Strophanthins sofort nach Hinzufügen des Giftes be- merkbar machte, während beim Digitalin hierzu stets das Verstreichen einer gewissen Latenzzeit erforderlich war. Nach Entfernung der gift- haltigen Lösung zeigt dann der mit Strophanthin behandelte Muskel alsbald gar nichts mehr von der vorhergegangenen Wirkung, während der mit Digitalin vergiftete Muskel noch nach wiederholtem Auswaschen mit Ringerlösung erhöhte Zuckungen aufweist und eine auffällig herab- gesetzte Ermüdbarkeit besitzt. VI. Die Phosphorsäureausscheidung des Muskels unter der Einwirkung von Strophanthin. In den bisherigen Abschnitten dieser Arbeit ist über Beobachtungen berichtet worden, aus denen eine weitgehende Analogie zwischen dem kolloidchemischen Verhalten und der pharmakologischen Wirkung der _ digitalisartigen Glykoside hervorgeht. Diese gleichsinnige Abhängig- keit der Giftwirkung von ein und demselben Faktor, auf den beiden Er- scheinungsgebieten, legt natürlicherweise die Vermutung nahe, daß wir es auch in beiden Fällen mit derselben Grundwirkung zu tun haben, daß also die Muskelwirkung dieser Substanzen, ebenso wie wir dies für das Veratrin bereits zeigen konnten, letzten Endes eine Wirkung auf den Lösungszustand der Muskelkolloide darstellt. Da uns aber die Wirkung der Herzglykoside auf leblose Kolloide aus früheren Arbeiten gut bekannt ist, so konnten wir hoffen, Beziehungen zwischen dem kolloidehemischen Verhalten und der pharmakologischen Wirkung dieser Gifte aufzufinden, etwa nach der Art, wie es im Falle des Veratrins geschehen konnte. 248 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis Für das physikochemische Verständnis der Veratrinwirkung haben sich uns in erster Reihe Versuche!) von Wichtigkeit erwiesen, in denen wir die Phosphorsäureausscheidung des Muskels nach der Methode von Embden?) untersuchten. Unsere Anschauungen über die theoretische Bedeutung dieser Methode, welche sich nicht in sämtlichen Punkten mit denen Embdens decken, sind in der genannten Arbeit auch aus- führlich besprochen worden. Dieselben legten die Aufgabe nahe, die Phosphorsäureausscheidung des Muskels auch unter der Einwirkung des Strophanthins zu untersuchen. Da die Muskelwirkung des Digi- talins in unseren Versuchen sich als der des Strophanthins durchaus ähnlich erwiesen hatte, konnten wir uns auf das letztere beschränken. Die Versuche wurden auf dieselbe Weise ausgeführt, wie seinerzeit mit Veratrin. Zu jedem Versuch wurden die beiden Gastocnemii eines Grasfrosches verwendet, die zuerst stets in reiner Ringerlösung sus- pendiert wurden. Nach etwa einstündigem Verweilen des Muskels in Ringerlösung, während welcher Zeit dieselbe häufig gewechselt wurde, begann der eigentliche Versuch. Die Versuche selbst wurden auf vier verschiedene Arten angeordnet, die weiter unten einzeln zu besprechen sein werden. In jedem Falle wurde nur der eine Muskel mit Strophanthin, und zwar in der Konzentration 1: 10 000 vergiftet, während der andere Muskel zur Kontrolle diente.. Die Flüssigkeitsmenge, in der die Muskeln suspendiert wurden, betrug jedesmal 15 cem. Die Dauer der Perioden, während welcher die Muskeln in ein und derselben Flüssigkeit belassen wurden, war, wenn nicht anders angegeben, 30 Minuten. Nach Ablauf dieser Zeit wurde die Flüssigkeit abgelassen und 12 ccm derselben zur Phosphorsäurebestimmung verwendet. Diese erfolgte mittels des Klein- mannschen Nephelometers?). Zu 12ccm der zu bestimmenden Lösung wurden in dem von Embden‘) angegebenen Verhältnis 4 ccm Strychnin- Molybdat-Salpetersäuregemisch hinzugefügt und die entstandene Trü- bung mit einer solchen verglichen, welche in einer Lösung mit bekanntem Gehalte an Phosphorsäure auf dieselbe Weise hervorgerufen war. Die verwendete Standardlösung wurde mit Na,HPO, hergestellt und enthielt 0,9412 mg als H,PO, berechnet. Nach den Beobachtungen, über welche in den ersten Abschnitten dieser Arbeit berichtet worden ist, besteht eine Abhängigkeit der Stroph- anthinwirkung von folgenden Faktoren: dem Ermüdungszustand des Muskels, der H-Ionenkonzentration der Umgebung und schließlich der Strophanthinkonzentration selbst. Demnach mußte die Phosphorsäureaus- scheidung unter der Einwirkung des Strophanthins gesondert in Gegen- 1) Riesser und Neuschlosz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 93. 1922. 2) Embden und Adler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 148. 1922. ?) H. Kleinmann, Bioch. Zeitschr. 99, 19. 1920. #) Embden und Adler,a. a. O. der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 249 wart von geringen und hohen Giftkonzentrationen, bei ruhenden und ermü- deten Muskeln, ferner in neutralem und sauerem Milieu untersucht werden. Da die einfachsten Verhältnisse in jenen Versuchen vorliegen, bei denen die Wirkung kleinster Strophanthinmengen untersucht wurden, sollen zuerst diese besprochen werden. Die Versuche wurden folgender- maßen ausgeführt. Zuerst blieben beide Muskeln zweimal 30 Minuten lang in reiner Ringerlösung (Normalperioden). Im Laufe dieser 60 Mi- nuten wurden die Muskeln nur etwa alle Viertelstunden einmal mit einem maximalen Öffnungsinduktionsschlag gereizt, um die Zuckungs- höhe festzustellen. Dieselbe blieb durchwegs unverändert. In der dritten Periode befanden sich die Muskeln wieder in reiner Ringerlösung, doch wurden sie mit maximalen Induktionsschlägen mit einer Fre- quenz von 120 in der Minute im selben Stromkreise bis zur starken Ermüdung gereizt. In der vierten Periode erhielt dann der eine Muskel Strophanthin in der Konzentration 1: 100000, währed der andere Muskel zur Kontrolle auch weiterhin in der Ringerlösung verblieb. Auch während dieser Zeit wurden beide Muskeln etwa S—10 Minuten lang rhythmisch gereizt, wobei, entsprechend unseren früheren Aus- führungen, der mit Strophanthin behandelte Muskel wesentlich höhere Zuckungen ausführte, als der andere. Die absoluten Mengen von Phos- phorsäure, welche die beiden Muskeln im Laufe dieser vier Perioden in den einzelnen Versuchen ausschieden, ergeben sich aus Tab. I. Wäh- rend nun die Phosphorsäureausscheidung in den ersten drei Perioden bei beiden Muskeln auffallend gleichmäßig ausfiel — der Unterschied betrug im äußersten Falle etwa 5%, was durchaus innerhalb der Fehler- grenzen der Methode ist — zeigte in der letzten Periode der mit Stroph- anthin behandelte Muskel in den einzelnen Versuchen eine um 30, 35, 33 bzw. 19% höhere Phosphorsäureausscheidung als der normale. Die Aus- scheidung von Phosphorsäure wird demnach beim ermüdeten Muskeldurch geringe Strophanthinkonzentrationen, welche die Zuckungen zwar merklich erhöhen, eine Contractur hingegen nicht verursachen, deutlich vermehrt. Tabelle TI. Phosphorsäureausscheidung des mit kleinen, keine Contractur verursachenden Stro- phantinmengen vergifteten Muskels. (Zahlen bedeuten zehntausendstel Millisramme, Strophanthin 1: 100 000.) Versuch 5 T 9 | Versuch 6 TC | Versuch Y7TQ | Versuch 9STQ | 3 14. XII. 1921 15. XII. 1921 16. XII. 1921 18. XII. 1921 I = 2 | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- Anmerkung S® ıı troll- anthin- | troll- anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel u 86 94 102 107 72 69 98 100 \ Normal- I.) 8 80 90 92 68 64 86 88 periode Ill.) 142 136 160 158 90 86 112 108 Arbeit IV.| 150 196 182 246 102 136 118 140 | Strophanthin und Arbeit 350 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis Ein wesentlich anderes Bild zeigte sich uns dann, wenn wir eine höhere, Contractur verursachende Strophanthinkonzentration wählten. Diese Versuche bestanden ebenfalls aus vier Perioden, von denen in den ersten beiden die Muskeln kein Gift erhielten, in den beiden letzteren hingegen der eine Muskel in eine Lösung von Strophanthin 1: 10 000 kam. In den ersten drei Perioden blieben die Muskeln in Ruhe, während sie am Schlusse der vierten Periode etwa 7 —8 Minuten lang rhythmisch gereizt wurden. Im Augenblick, wo der Strophanthinmuskel in Contrac- tur geriet, was spätestens nach 8 Minuten stets der Fall war, wurden dann beide Lösungen gleichzeitig abgelassen. Das Ergebnis dieser Ver- suche ist aus Tab. II ersichtlich. Tabelle II. Phosphorsäureausscheidung des mit Strophanthin vergifteten Muskels in der Ruhe und auf der Höhe der durch rhythmisches Reizen hervorgerufenen Üontractur. (Die Zahlen bedeuten zehntausendstel Milligramme, Strophanthin 1: 100000.) | Versuch TI | Versuch 5T Q | Versuch 85T Q Versuch 7 T{J | | Se 29. XI. 1921 30. XI. 1921 1. XII. 1921 1. XIL 1921 | = | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- Anmerkung & | troll- | anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- | || muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel j muskel muskel Etoe Tor 16 70 (10 113 (100) os & ne || ee zr . 10 | 105 | 106 |Normalperiod. IIL.|.. 91 91 76 74 103 99 | 102 | 102 | Strophanthin | und Ruhe IV.| 107 89 88 75 115 97 | 118 | 104 | Strophanthin und Arbeit Aus diesen Zahlen geht hervor, daß weder im Laufe der beiden Normalperioden, noch in der ersten Strophanthinperiode (in der Ruhe) irgendein nachweisbarer Unterschied zwischen dem Verhalten der bei- den Muskeln besteht. Ein deutlicher Unterschied tritt aber in der letzten Periode hervor, wo er in den einzelnen Versuchen 18, 15, 14 und 14%, beträgt. Der mit Strophanthin vergiftete Muskel scheidet während der Arbeit bis zum Auftreten der Contractur merklich weniger Phosphorsäure aus, als ein normaler Muskel unter denselben Bedin- gungen. Die Ausscheidung der gebildeten Säuren wird durch hohe Strophanthinkonzentrationen, im Gegensatze zu der Wirkung kleinerer Giftmengen zunächst gehemmt. Da größere Strophanthin- mengen, ebenfalls im Gegensatze zu kleineren, auch eine Contractur verursachen, liegt es nahe, die beiden Erscheinungen, nämlich die Herabsetzung der Phosphorsäureausscheidung und das Auftreten einer Contractur in ursächlichen Zusammenhang miteinander zu bringen. Wie dies aus der in Abb. 3 wiedergegebenen Muskelkurve mit aller Deutlichkeit hervorgeht und sich in jedem Versuche wieder zeigen ließt erreicht die Strophanthincontractur beim arbeitenden Muskel sehr der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 251 schnell ihren Höhepunkt, um dann ebenso rasch wieder abzufallen und schließlich in einer mittleren Höhe längere Zeit hindurch stehen- zubleiben. Ein ähnliches Verhalten des Muskels ist bei anderen con- traeturerregenden Giften — soweit uns bekannt — noch nicht beobach- tet worden, und tritt auch beim mit Strophanthin vergifteten Muskel nur dann in Erscheinung, wenn die Contractur infolge vorangegangener Arbeit zustande kam. Über die Bedeutung dieser Erscheinung für die Theorie der Strophanthinwirkung werden wir weiter unten noch zu sprechen haben und wollen daher an dieser Stelle nur ihren Zusammen- hang mit der Phosphorsäureausscheidung erörtern. In den oben be- sprochenen Versuchen wurde die Flüssigkeit stets auf der Höhe der Contractur abgelassen, der dann eintretende Abfall also niemals ab- gewartet. Unter diesen Umständen fanden wir die Phophorsäureaus- scheidung des Muskels der Norm gegenüber herabgesetzt. Anders verhielt sich aber die Sache, wenn wir die Flüssigkeit nicht auf der Höhe der Contractur, sondern einige Minuten später, also zu einem Zeitpunkte abließen, als der Abfall bereits eingetreten war und der Muskel die erwähnte Mittellage erreicht hatte. Das Ergebnis dieser Versuche ist in Tab. III zusammengefaßt. Die ersten drei Perioden gestalteten sich hier ebenso, wie in der vorhergehenden Versuchsgruppe, während in der vierten Periode die genannte Änderung vorgenommen wurde. Daß die Flüssigkeiten aus beiden Gefäßen auch hier genau zur gleichen Zeit abgelassen wurden, versteht sich von selbst. Tabelle III. Phosphorsäureausscheidung des mit Strophanthin vergifteten Muskels in der Ruhe und nach Abfall der Contraetur. (Die Zahlen bedeuten zehntausendstel Milligramme, Strophanthin 1: 10000.) | Versuch&8TQ | Versuch8 TI | Versuch89TQ | Versuch OT Q | E 28. XI. 1921 4. XII. 1921 5. XII. 1921 6. XII. 1921 -2 | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- | Stroph- | Kon- Stroph- Anmerkung & troll- | anthin- troll- | anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel | muskel 1 Be | IL. 196 | 197 | 58 | 58 | | a | |}Normaiperio. na rl 89 56 55 43 41 58 59 Strophanthin | und Ruhe IV.|ı 95 119 61 64 51 57 68 75 Strophanthin | und Arbeit Während nun in den Versuchen der Gruppe II die Phosphorsäure- ausscheidung des mit Strophanthin behandelten Muskels in der vierten Periode stets geringer war, als die des normalen, sehen wir, daß un- mittelbar nach Abfall der Contractur, also bereits wenige Minuten später dieser Unterschied nicht nur ausgeglichen ist, sondern die Aus- scheidung des vergifteten Muskels die des normalen sogar überholt hat. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. et 252 8. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis Der Unterschied betrug in den vier Versuchen 17, 5, 12 und 11% zugunsten des Strophanthinmuskels. Mit dem Zurückgehen der Con- tractur geht also auch die Herabsetzung der Phosphorsäureausschei- dung zurück, wodurch die oben ausgesprochene Vermutung, daß diese beiden Erscheinungen in ursächlichem Zusammenhange miteinander stehen, sehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Auf die ausführliche Besprechung dieser Tatsachen von theoretischen Gesichtspunkten aus soll aber erst im letzten Abschnitte dieser Arbeit eingegangen werden. Die nächste Frage, die wir zu untersuchen hatten, war die nach der Wirkung des Strophanthins auf die Phosphorsäureausscheidung des Muskels in saurer Lösung. Mit Hinblick auf die vorzunehmende Phos- phorsäurebestimmung konnte die "Änderung der Wasserstoffionen- konzentration in diesen Versuchen, nicht wie oben beschrieben, mittels Phosphatgemischen geschehen. Um die Verhältnisse nicht durch das Hinzufügen weiterer Ionen zu komplizieren, wurde eine gewöhnliche Ringerlösung mit einigen Tropfen verdünnter Salzsäure versetzt, und dann mit reiner Ringerlösung solange verdünnt, bis die Messung die gewünschte H-Ionenkonzentration ergab (?y = 5,9). In dieser Lösung wurde auch das Strophanthin aufgelöst. Die Versuche selbst wurden auf folgende Weise ausgeführt. Nach zwei Perioden in reiner Ringer- lösung (Pp = 7,5) kam zunächst der eine Muskel in eine saure Lösung (?p = 5;9), ohne daß ein nachweisbarer Unterschied in der Phosphor- säureausscheidung hierdurch verursacht worden wäre. In der vierten Periode kamen dann beide Muskeln in diese saure Lösung, während in der fünften Periode der eine Muskel außerdem noch Strophanthin 1 : 10 000 erhielt. Die einzelnen Perioden dauerten auch hier 30 Minuten Die Versuchsergebnisse sind in Tab. IV zusammengestellt. Dieselbe zeigt, daß Unterschiede im Verhalten beider Muskeln auch hier nur in der letzten, also eigentlichen Strophanthinperiode auf- reten, und zwar scheidet der vergiftete Muskel in jedem Falle erheblich mehr aus als der normale. Die Differenzen betragen in den einzelnen Versuchen 45, 45, 5l und 27%. Es sei hervorgehoben, daß die Con- tractur, die nach Einbringung des Muskels in die sauere Lösung sofort auftrat, während der ganzen Periode, also 30 Minuten lang, in annähernd unveränderter Höhe bestehen blieb und ein Abfall, wie er bei den Arbeitsversuchen beschrieben wurde, unter diesen Umständen niemals zur Beobachtung kam. Auf die langandauernde Einwirkung des Stroph- anthins müssen auch wohl die gewaltigen Unterschiede in der Phos- phorsäureausscheidung der beiden Muskeln zurückgeführt werden, welche die in den früher besprochenen Versuchsreihen beobachteten durchwegs übertreffen. Dort war auch die Einwirkungszeit des Stroph- anthins eine wesentlich kürzere, denn sie kann nach unseren früheren Auseinandersetzungen in neutraler Lösung nur von Beginn der rhyth- der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 253 Tabelle IV. Phosphorsäureausscheidung des mit Strophanthin vergifteten Muskels in sauerer Lösung (?#=5,9). (Die Zahlen bedeuten zehntausendstel Millisramme, Strophanthin: 1:10 000.) Versuch 9 TQ | Versuch TQ | Versuch$T Q | Versuch 4 TQ R 8. XIL 1921 IX. 1921 10. XII. 1921 12. XII. 1921 3 2 | Kon- | Stroph- | Kon- | Stro;h- | Kon- | Stroph- ! Kon- | Stropn- Anmerkung & | troll- | anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- | troll- | anthin- | muskel | muskel |muskel | muskel |muskel | muskel |muskel | muskel eh N Unze essi.es| 6a |i 82 | e1r..\0.60 een DR 70 70 61 60 62 63 59 58 Pr =17,5 Normalmusk. FR Per 7,5 IIT.| 67 67 60 60 60 60 58 57 rtaplieniinin: musk. ?4=5,9 | 59 | 50 | 59 160° | 52 ing |jPeid- Muskeln | \ 2: =5,9 Beid. Muskeln V.| 64 93 58 86 59 89 56 71 | Pu = 5,9 | | Strophanthin mischen Reizung gerechnet werden, betrug also im äußersten Falle nur etwa 10 Minuten. Bei den Versuchen der ersten Gruppe, wo die Muskeln bereits in der vorhergegangenen Periode rhythmisch gereizt wurden, die Strophanthinwirkung also während der ganzen letzten Periode anhielt, ist die Phosphorsäureausscheidung ebenfalls merklich höher als in der zweiten und dritten Versuchsgruppe. VII. Versuch einer physikochemischen Theorie der Digitaliswirkung. Bei dem Versuch, auf Grund unserer Beobachtungen eine Theorie der Digitaliswirkung aufzustellen — soweit diese gegen die contractile Substanz gerichtet ist —, können wir uns außer auf die in dieser Arbeit dargestellten Ergebnissen auch auf unsere Kenntnisse über die Wir- kung der Herzglykoside auf Kolloide im allgemeinen stützen. Wie dies in einer früheren Arbeit ausführlich auseinandergesetzt wurde, wirken das Strophanthin und das Digitalin — soweit die H-Ionen- konzentration der Lösung eine Wirkung überhaupt zuläßt — in geringen Konzentrationen quellungsbegünstigend, in höheren entquellend. Wir wollen demnach den Versuch machen, auf Grund dieser Tat- sachen die verschiedenartigen Wirkungen des Strophanthins am quer- gestreiften Muskel zu erklären. Was zunächst die Wirkung ganz kleiner Strophanthinmengen betrifft, so sahen wir, daß diese am ermüdeten Muskel eine deutliche Erhöhung der Zuckungen hervorrufen und gleich- zeitig hiermit die Phosphorsäureausscheidung des Muskels verstärken. Andererseits wissen wir, daß kleine Strophanthinmengen erhöhend auf die Quellbarkeit von Kolloiden wirken. Wir können uns demnach Me 254 S. M. Neuschlosz: Beiträge zur Kenntnis die Wirkung kleiner Mengen der Herzglykoside auf die contractile Substanz etwa so vorstellen, daß sie quellungsfördernd auf das Sarko- plasma wirken, wodurch die einzelnen Kontraktionen energischer und ausgiebiger werden. Durch die ebenfalls aufgequollenen Grenzschichten wird gleichzeitig die Beseitigung der bei den Kontraktionen gebildeten Säuren eine vollkommenere, die Anhäufung von Stoffwechselprodukten wird verhindert und die Ermüdung des Muskels demnach hintangehalten. Daß dies tatsächlich der Fall ist, beweist einerseits die erhöhte Phos- phorsäureausscheidung, andererseits die wesentlich herabgesetzte Er- müdbarkeit des mit kleinen Strophanthinmengen behandelten Muskels. Erhöhen wir nun die Strophanthinkonzentration in der Außenlösung, so erreichen wir bald eine Giftkonzentration, bei der wir nach unseren Erfahrungen an Kolloiden nicht mehr eine quellungsbegünstigende, sondern eine eniquellende Wirkung des Giftes zu gewärtigen haben. Diese wird sich naturgemäß zuerst an den Grenzschichten bemerkbar machen, während im Inneren der Muskelfasern, wo geringere Gift- konzentrationen vorherrschen, noch immer eine quellungsbegünstigende Wirkung bestehen kann. Mit dieser Art der Strophanthinwirkung haben wir es offensichtlich in den Versuchen zu tun, die wir als zweite Gruppe im vorhergehenden Abschnitt besprachen. Hier sehen wir zu- nächst zwar ebenfalls eine Erhöhung der Zuckungen beim ermüdeten Muskel, es tritt aber bald nach dem Einsetzen der Strophanthinwirkung eine Contractur ein. Gleichzeitig fanden wir die Phosphorsäureaus- scheidung der Norm gegenüber herabgesetzt. Hier werden also die Grenz- schichten durch das Strophanthin abgedichtet, wodurch es zu einer Säure- anhäufung in der Muskelfaser, und in Anbetracht der erhöhten Quellbarkeit des Sarkoplasmas, zu einer Dauercontractur des Muskels kommt. Daß diese Contractur zum Teil, aber nur zum Teil, tatsächlich durch eine Säureretention bedingt ist, geht eindeutig aus den Versuchen der Gruppe III hervor. Hier wurde nach Eintritt der Contractur mit dem Ablassen der Flüssigkeit solange gewartet, bis sich dieselbe zum Teil zurückgebildet hatte und der Muskel eine Mittelstellung annahm, die er dann längere Zeit hindurch unverändert behielt. Hier zeigte die Phosphorsäureausscheidung im Gegensatze zu der vorigen Gruppe eine Erhöhung. Diese Tatsache kann wohl kaum anders gedeutet werden, als daß es die angehäufte Säure sich schließlich selbst einen Weg macht, in dem sie zuletzt auch die Grenzschichten zum Aufquellen bringt und durch die nunmehr aufgelockerien Membranen in die Außenlösung strömt. Daß mit dem Austritt der Säure aus der Faser auch die Con- tractur an Höhe abnimmt, dürfte wohl nach den obigen Ausführungen ohne weiteres verständlich sein. Daß der Muskel aber trotzdem nicht wieder seine ursprüngliche Länge erreicht, sondern auch trotz Austrilt der Säure einen merklichen Verkürzungsrückstand beibehält, beweist, der Wirkung der Herzglykoside auf den quergestreiften Skelettmuskel. 255 daß die Säureretention eben nicht die einzige Ursache der Contraetur gewesen sein kann, sondern daß die erhöhte Quellbarkeit des Sarkoplasmas hierbei auch eine Rolle spielen müsse. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, wenn wir in den Versuchen der Gruppe IV einer Contracturform begegnen, bei welcher die quellungs- begünstigende Wirkung des Strophanthins auf das Sarkoplasma als einzige Ursache der Verkürzung angesehen werden muß. Diese Art der Contractur, die durch Strophanthinzusatz in saurer Lösung hervor- gerufen wird, erscheint dadurch gekennzeichnet, daß sie keinen nach- herigen Abfall aufweist, sondern andauernd auf der gleichen Höhe bleibt, zweitens aber dadurch, daß sie von vornherein mit einer erhöhten Phos- phorsäureausscheidung einhergeht. Beide Erscheinungen sprechen in dem Sinne, daß wir es hier mit den Folgen der quellungsbegünstigenden Strophantinwirkung zu tun haben: die Quellungsbegünstigung am Sarkoplasma verursacht die Verkürzung, die an den Grenzschichten die erhöhte Ausscheidung von Phosphorsäure. Zusammenfassung. 1. Bei blutalkalischer Reaktion (?y :7,8) des Mediums ist das Strophanthin am frischen, nicht ermüdeten Muskel ohne merkliche Wirkung, vermag aber die Zuckungen eines ermüdeten Muskels wesent- lich zu erhöhen. Wird ein Muskel in einer Strophanthinlösung 1 : 10 000 andauernd rhythmisch gereizt, so verfällt er alsbald in eine Dauer- contractur. In Strophanthin 1 :100 000 bleibt diese Contractur aus, doch zeigt der Muskel auch hier eine wesentlich herabgesetzte Ermüd- barkeit. 2. Bei saurer Außenlösung (?7 :5,9) verursacht das Strophanthin auch am ermüdeten Muskel eine Contractur, während es in alkalischem Medium (?5 : 8,4) auch am erschöpften Muskel ohne Wirkung bleibt. Auf Grund unserer Kenntnisse über die Wirkungsbedingungen des Strophanthins auf Kolloide im allgemeinen wird hieraus geschlossen, daß die Wirksamkeit desselben auch am Muskel von der H-Ionenkon- zentration des Milieus abhängt, und daß die Ermüdung den Muskel gegenüber dem Strophanthin dadurch sensibilisiert, daß sie ihn sauer macht. 3. Digitalin wirkt bei blutalkalischer Reaktion ähnlich wie Stroph- anthin bei sauerer, während es sich in deutlich alkalischem Medium so verhält wie Strophanthin bei Blutalkalecenz. Auch diese Tatsachen stimmen mit den kolloidchemischen Eigenschaften der beiden Gly- koside gut überein. 4. Kleine Strophanthinmengen erhöhen die Phosphorsäureausschei- dung des ermüdeten Muskels, während größere, Contractur hervorrufende Dosen bis zum Eintritt der Letzteren die Ausscheidung herabsetzen. 356 S.M. Neuschlosz : Beiträge zur Kenntnis der Wirkung der Herzglykoside usw. Nachdem der Höhepunkt der Contractur überschritten ist und der Muskel eine Mittelstellung eingenommen hat, zeigt sich auch in diesem Falle die Phosphorsäureausscheidung erhöht. Wird die Contractur durch Strophanthin in saurer Lösung am unermüdeten Muskel hervor- gerufen, so zeigt dieser ebenfalls eine erhöhte Ausscheidung von Phos- phorsäure. 5. Auf Grund dieser Tatsachen wird eine Theorie der Strophanthin- wirkung entwickelt, die sämtliche Erscheinungen, soweit sie mit Ver- änderungen der contractilen Substanz in Verbindung stehen, von kolloidehemischen Gesichtspunkten aus erklärt. Die Abhängigkeit der Quellung der tierischen und pflanzlichen Gewebe von der Temperatur. Von B. Iiin. (Aus dem Physikalischen Laboratorium des Moskauer wissenschaftl. Instituts.) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 3. August 1922.) Adsorption und Absorption haben ein großes Interesse für Biologie und Physiologie, in denen diese Erscheinungen eine große Reihe der Prozesse, normaler sowohl wie pathologischer (Wachstum, Entwick- lung, Ernährung und Quellung der Gewebe, Koagulation und Sedi- mentation der Kolloide), scheinbar bedingen. Die Abhängigkeit der Menge des absorbierten Stoffes © von der Zeit it muß durch die Gleichung gegeben sein!): 0 0>(d ez2)) (I) wo ©, der Wert von C für = w und K eine Konstante ist. Die Sorptionskapazität (Maximum der Quellung) C, ist mit der absoluten Temperatur 7 durch die Gleichung verbunden?): Os = Oye-V/T oder log = 1ogC, — ÖYT loge. (II) Die Beziehung zwischen der anfänglichen Sorptionsgeschwindigkeit W und der Temperatur 7 ist durch die Gleichung ausgedrückt®): logW, = logW, + nYT loge, (III) wo n eine Konstante ist. Diese Gleichungen wurden durch experimentelle Untersuchungen der Sorption gemeinsam mit den Herren Giesen, Homfray, Titoff, Rakowsky und Bergter verifiziert. | Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, zu zeigen, daß in den Untersu- chungen der Herren Hauberrisser und Schönfeld*) und Serebrowsky?) 1) Freundlich, Capillarchemie; Iliin, Zur Theorie der Sorptiopserscheinungen. Berichte des Moskauer physikalischen Instituts (russisch) 1, 22. 2) B. Iliin, ibid. S)L Tbid: *) Hauberrisser und Schönfeld, Arch. f. exper. Pathol. %1, 102. 1913. 5) Serebrowsky, Wissenschaftliche Berichte der Moskauer Schaniawsny- Universität 1. 1915. 2358 B. Hiin: Die Abhängigkeit der Quellung dieselben Gleichungen I, II, III die Absorption der tierischen und pflanz- lichen Gewebe bestimmen und diese Erscheinung folglich von denselben physikochemischen Ursachen bedingt ist. Hauberrisser und Schönfeld untersuchten die Quellung von Binde- gewebe des Ochsen in Ringerlösung und Serum. Tab. I enthält unter C exp. die beobachteten Werte der Absorption C der physiologischen Lösung in Prozent des anfänglichen Gewichtes, unter Cy.,, die ent- sprechenden Werte, berechnet nach Gleichung (TI). Tabelle I (Abk. 1). Ringerlösung. Zeit vom Anfang der Absorption in Stunden Temperatur 10h 20h 30h 40h 50h 60h 70h 97°C f Cexp. 19 25 29 30 31 32 33 \ C ber. 1%. | 25.129,31 | 52.2 ss ss 27°C Cexp. 24 33 39 43 46 47 47 197210: ,2G/exp: 24 33 42 49 55 57 60 zes Ce El) ee © ber. 16 30 40 48 54 60 64 Die Übereinstimmung mit der Erfahrung ist gut. Tab. II (Abb. 2) gibt die Abhängigkeit des Maximums der Quellung CO, bei Absorption der Ringerlösung von der absoluten Temperatur T. Für die Werte (log C,)esp. wurde C,, den experimentellen Kurven von Hauber- 700. S m S N RE RS S iS) o 37. S S 53 AN) Q j örunden Abb. 1. —> Maximum der Quellung Cs Abb. 2. Vo risser entnommen. Soweit diese Kurven kein Maximum der Quellung geben, wurde C,, mit Hilfe der Gleichung C = (\, (1 —e”*') bestimmt, wobei € und K aus den experimentellen Kurven bekannt sind. In Spalte (log )per. Sind die entsprechenden Werte berechnet nach der Gleichung (IJ). für 100% der tierischen und pflanzlichen Gewebe von der Temperatur. 259 Tabelle II (Abk. 2). Ringerlösung. Abs. Temperatur T Kloge (Oo,)exr. (log Oo,)exp. (log Coo)ber. 280° 0,01 80 1,90 1,96 290° 0,016 64 1,81 1,81 300° 0,025 47 1,67 1,67 310° 0,032 33 1,52 1,52 Die Übereinstimmung mit der Erfahrung ist vorzüglich, wenn wir die Beobachtungsfehler und den Umstand, daß die C_,-Werte in man- chen Fällen extrapoliert werden mußten, erwägen. Interessant ist anzumerken, daß C, mit Zunehmen der Temperatur ab-, die Konstante K dagegen zunimmt. Für den Fall der Absorption bei pflanzlichen Geweben wurden die Resultate der Versuche von sSerebrowsky über den Einfluß der Tem- peratur auf die Quellung der Erbsen benutzt. Tab. III (Abb. 3) gibt die Abhängigkeit der Sorptionskapazität O, von der absoluten Temperatur. In Spalte (log C_)peop. Sind die ® 7 Q S IS N S S I BS; IS IN I S S S S I S S o N N S S S S g VR Abb. 8. Abb. 4. experimentellen Ziffern für CO, von Serebrowsky, in Spalte (log C_)ber. die entsprechenden Ziffern, berechnet nach der Gleichung (II) gegeben. Tabelle III (Abb. 3). Die Quellung der Erbsen. Temperatur (Coo)beob. (log Ooo)beob. (log Coo)ber. 342° 84%, 1,92 1,89 B3le 54 1,92 1,94 326° 88 1,95 1,95 320° 95 1,98 1,98 alas 103 2,01 2,00 se 102 2,01 2,03 305° >106 >=2.03 2,04 291° 132 2,12 2,11 Die Übereinstimmung mit der Erfahrung ist genügend. Tab. IV (Abb. 4) gibt die Abhängigkeit der anfänglichen Absorp- tionsgeschwindigkeit von der Temperatur in Versuchen von Serebrowsky. In der Abb. 4 sind auf der Abszissenachse die YT, auf der Ordinaten- 260 B. Iliin: Die Abhängigkeit der Quellung der Gewebe usw. achse die entsprechenden Werte für die Logarithmen der Absorptions- geschwindigkeit (log W,) gegeben. j ® Tabelle IV (Abb. 4). Die Absorptionsgeschwindigkeit für Wasser bei Erbsen nach Serebrowsky. Temp. nach Celsius Wi log Wi 10° 96 1,982 15° 110 2,041 20° 122 2,086 25° 141 2,149 30° 158 2,199 358 181 2,258 40° 206 2,314 45° 234 2,369 50° 270 2,431 Die von der Theorie geforderte lineare Abhängigkeit (Gleichung III) ist gut erfüllt. Zum Schlusse spreche ich Herrn Akademiker Professor Dr. P. La- sareff für sein reges Interesse an dieser Arbeit meinen tiefsten Dank aus. Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeriris durch Licht. Von Dr. Hideo Murase aus Nagoya (Japan). (Aus der Abteilung für allgemeine und vergleichende Physiologie an der Universität in Wien [Vorstand A. Kreidl)]. (Eingegangen am 7. August 1922.) Seitdem um die Mitte des vorigen Jahrhunderts durch F. Arnold und unabhängig von ihm durch Brown-Sequard die direkte motorische Wirkung des Lichts auf die Iris von Amphibien und Fischen entdeckt wurde, hat die Frage der direkten Lichterregbarkeit der Amphibien- und Fischiris die Physiologen wiederholt beschäftigt und weiter dazu geführt, nach analogen Erscheinungen beim Säugerauge zu forschen. Wie die Dinge jetzt stehen, unterliegt es nach den übereinstimmenden Ergebnissen zahlreicher Untersucher (Steinach, Magnus, Guth) keinem Zweifel, daß die ausgeschnittene, also eines jeden Zusammenhanges mit dem lichtperzipierenden Apparat beraubte Iris auf Lichteinfall sich kontrahiert. Weniger Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Vorstellungen über den Angriffspunkt des Lichtes. Nach Steinach!) wären es die den Sphincter pupillae aufbauenden pigmentführenden kontractilen Elemente, die auf den Lichtreiz ‚unter Vermittlung ihres Pigmentes“ mit Kontraktion reagieren, während Magnus?) die mo- torische Wirkung des Lichtes auf die ausgeschnittene Iris des Kalt- blüterauges auf einen innerhalb der Iris sich abspielenden Reflex zu- rückführt. Er stützt sich bei seiner Annahme auf zwei Momente, 1. auf seine Versuche mit spektralem Licht, die ergeben haben, daß das Mi- nimum der motorischen Lichtwirkung nicht im Gelb liegt, wie es bei der Wirksamkeit eines gelbbräunlichen Pigmentes zu erwarten gewesen wäre, sondern im Rot, und zwar in jenem Strahlenbereich, der am stärksten vom Sehpurpur absorbiert wird; 2. auf die Aufhebung der motorischen Lichtwirkung durch Atropin zu einem Zeitpunkt, in dem die ausgeschnittene Iris auf elektrische Reize sich noch kontrahiert. Die Berechtigung des letztgenannten Einwandes wird durch @uth>) bestritten, nach dessen Erfahrungen bei der atropinisierten Iris die !) E. Steinach, Ptlügers Arch. f. d. ges. Physiol. 52. 1892. ?) R. Magnus, Zeitschr. f. Biol. 38. 1899. ?) E. Guth, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 85. 1901. 262 H. Murase: photische Erregbarkeit mit der elektrischen meist gleichzeitig erlischt, während der seltenere Fall des Überdauerns der elektrischen Erreg- barkeit auf das Überwiegen des elektrischen Reizerfolges der durch Atro- pin vergifteten Sphinctermuskulatur gegenüber zurückzuführen wäre. Wiewohl meine eigenen Versuche, wie weiter unten des Näheren ausgeführt wird, die Frage der direkten Lichterregbarkeit der Säuger- Iris zum Gegenstande hatten, sah ich mich doch veranlaßt, mich zu- nächst mit den einschlägigen Verhältnissen bei der Frosch-Iris, dem Ausgangspunkte des ganzen in Rede stehenden Forschungsgebietes zu befassen. In Hinsicht auf die motorische Wirkung des Lichtes auf die ausgeschnittene Amphibien-Iris (Rana esculenta, Temporaria und Bufo), ferner hinsichtlich des Überwiegens der Wirksamkeit der kurz- welligen Strahlen und des Ausbleibens eines jeden Effektes bei Belich- tung der hinteren Irisfläche kann ich die Angaben der obengenannten Autoren bestätigen; hingegen haben die Versuche die Frage nach dem Angriffspunkt des Lichtes durch Beobachtungen an der atropinisierten Iris zu lösen, kein Ergebnis gezeitigt, da ich an der ausgeschnittenen Frosch-Iris — nicht anders wie beim exstirpierten Bulbus — sowohl mit als ohne Atropin, sowohl bei gedämpfter wie intensiver Beleuch- tung durch den elektrischen Reiz stets nur Erweiterung, niemals Ver- engerung der Pupille erzielen konnte. Erwähnen möchte ich bloß, daß die atropinisierte, ausgeschnittene Iris auf Licht sich weniger kontrahiert als die Kontroll-Iris, eine Erscheinung, die sich ungezwungen aus einer gewissen Schädigung der Sphinctermuskulatur durch das Gift erklärt. Dem Heranziehen von Argumenten, die sich auf das Be- stehen bzw. Versagen einer strengen Parallelität zwischen der Be- schaffenheit des Irispigmentes und der Wirkungsstärke der einzelnen Spektralfarben stützen, möchte ich folgendes entgegenhalten: Beim Pigment der Amphibien- und Fisch-Iris handelt es sich nicht um einen die lichtempfindliche Substanz diffus durchtränkenden und in be- stimmter Weise sensibilisierenden Farbstoff, sondern um ein körniges Pigment, das an sich gewiß nicht lichtempfindlich ist und auch keine Lichtreiz vermittelnde Funktion haben kann, sondern eher die Auf- gabe besitzen mag, optisch isolierend zu wirken, d. h. Licht bestimmter Richtung zu absorbieren. Unter diesen Umständen ist ein strenger Parallelismus zwischen Wirkungsstärke der einzelnen Spektralfarben und der Eigenfarbe des Pigments gar nicht zu erwarten. Nimmt man noch hinzu, daß für einen innerhalb der Iris sich abspielenden Reflex alle morphologischen Grundlagen (intrairidale lichtperzipierende End- apparate, Zentren, zu- und ableitende Bahnen) fehlen, so kommt man zum Schlusse, daß es sich bei der Wirkung des Lichtes auf die Amphi- bien- und Fisch-Iris um eine direkte motorische Lichtwirkung auf die kontraktilen Elemente des Iris-Sphincters handeln muß. Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeriris durch Licht. 263 Während also für das Amphibien- und Fisch-Auge die direkte Licht- erregbarkeit der Iris außer Zweifel steht, muß die Frage, ob an der pu- pillaren Lichtreaktion des unversehrten Tieres auch noch ein retinaler Reflex beteiligt ist, als durchaus unentschieden betrachtet werden. Umgekehrt liegen die Dinge beim Säuger. Hier ist es die retinale Licht- reaktion der Pupille, die außer Zweifel steht, während es noch durchaus fraglich erscheint, ob der Iris-Sphincter analog dem des Amphibien- und Fisch-Auges durch Licht direkt zur Kontraktion gebracht werden kann. Im Gegensatz zu den Ergebnissen früherer Autoren, die nach Durch- schneidung des Opticus beim Warmblütler stets reflektorische Pupillen- starre feststellen konnten, gelang es Marenghi!) nach intrakranieller Durchschneidung des Sehnerven beim Kaninchen eine Pupillarkon- traktion auf Lichteinfall hervorzurufen. Während Nachprüfer den positiven Ausfall der Marenghischen Versuche auf sensible Reize, wie sie während des Versuches das Tier treffen, zurückzuführen glaubten, gelangte Gross?) zu Ergebnissen, die eine volle Bestätigung der Maren- ghischen Befunde darstellen. Bei Hunden, denen der Opticus intra- orbital durchschnitten wurde, konnte nach einer Reihe von Tagen unter Versuchsbedingungen, die die Wirkung sensibler Reize auf das Tier ausschalteten, die Beobachtung gemacht werden, daß sich die Pupille des operierten Auges auf Lichteinfall (mittelst Augenspiegels reflektiertes. Licht einer elektrischen Glühlampe) verengte, um sich bei Verdunklung wieder zu erweitern. Die Verengerung erfolgte so lang- sam, daß die Bewegung der Iris als solche zwar nicht direkt wahrnehm- bar war, bei Messung der Irisbreite aber deutlich in Erscheinung trat. Die Differenz im Pupillendurchmesser vor und nach der Belichtung betrug 2—4 mm. Die Beobachtung, daß das Säugerauge trotz Opticusdurchschnei- dung auf Belichtung mit Pupillenverengerung reagiert, erfuhr eine Bestätigung durch die Versuche von Heriel®), der sowohl bei Kaninchen wie bei Katzen nach intraorbitaler Durchschneidung des Opticus Pu- pillenverengerung auf Lichteinfall feststellen konnte. Allerdings er- gab nur die Belichtung mit Bogenlicht ein positives Resultat, während Gas- und Tageslicht sich als unwirksam erwiesen. Die Verengerung erfolgte wie bei den Versuchen von Gross langsam, betrug jedoch bis zu 1 mm. Hertel hält die bei Warmblütern nach Unterbrechung der Opticusbahnen auslösbare Pupillenverengerung auf Licht für eine Er- scheinung, die mit dem bei der Amphibien- und Fisch-Iris beobachteten Vorgange wesensgleich ist, d. h. wie letzterer auf direkter Wirkung 1) Marenghi, Arch. ital. de biol. 3%. 1902. 2) E. Gross, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 112. 1906. 2) E. Hertel, Arch. f. Ophthalm. 65. 1907. 264 H. Murase: der Lichtstrahlen auf den Sphincter der Iris beruht. Von Gross wird die Frage, ob die Zusammenziehung der Iris, wie sie bei durchschnittenem Opticus auf Lichteinfall ins Auge eintritt, auf eine direkte Reizung ihrer Elemente durch Licht oder auf einen intraokularen Reflex, wie ihn Marenghi annimmt, zurückzuführen ist, offengelassen. Mit Rücksicht auf die angeführten Unstimmigkeiten habe ich auf Veranlassung des Herrn Prof. Kreidl die Frage einer neuerlichen Prüfung unterzogen und hierbei einen Weg eingeschlagen, der bis nun zwecks Entscheidung der in Rede stehenden Frage nicht betreten worden ist. Bekanntlich werden zahlreiche Säuger blind geboren, d.h. sie kommen nicht bloß mit geschlossener Lidspalte zur Welt, sondern mit einem Sehapparat, der sich noch in einem unentwickelten und funktionsunfähigen Zustande befindet. Von A. Kreidl und M. Ishi- hara!) wurde der Nachweis erbracht, daß die Fähigkeit der Netzhaut, auf Belichtung mit einer photoelektrischen Schwankung zu reagieren, bei derartigen Tieren unmittelbar nach der Geburt noch nicht vorhan- den ist, sondern erst nach einer Reihe von Tagen auftritt, und zwar zu einem Zeitpunkt, der ziemlich genau mit demjenigen übereinstimmt, in dem die Stäbchen- und Zapfenschicht der Netzhaut ihre volle Ent- wicklung erlangt hat. Die Kenntnis dieser Tatsachen bot die Möglichkeit, bei derartigen Tieren die Abhängigkeit des Pupillarreflexes von dem Entwicklungszustande der Retina zu untersuchen, im besonderen fest- zustellen, ob Belichtung bei derart funktionsunfähiger Retina Pupillen- verengerung zu bewirken imstande ist, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß die Vorbedingungen einer derartigen Wirkung — funktionsfähiger Irisapparat — erfüllt sind. Als Versuchstiere dienten Rattenjunge, deren Alter genau bekannt war. Da jeder Wurf eine größere Anzahl von Jungen umfaßte, war es leicht möglich, durch eine Reihe von Tagen bis zur spontanen Eröffnung der Lidspalte das Verhalten der Pupille an Tieren eines Wurfes zu verfolgen. Geprüft wurde die Wirkung von Licht (Bogenlicht bzw. konzentriertes Bogenrlicht), elektrischem Reiz und Eserin in 0,5proz. Lösung. Zur Untersuchung gelangten insgesamt die Würfe von 4 Tieren. Wurf I vom 13. III. 1922. Verwendet wurden 7 Junge; untersucht wurde jeden Tag ein anderes Tier, einmal die beiden Augen eines Tieres an zwei aufeinander folgenden Tagen. 20. 1II. 1922. Tier 7 Tage alt. Läuge 6 cm. Lidspalte geschlossen, durch Schnitt eröffnet. Pupille maximal weit. Wiederholt- längerdauernde Belichtung mit konzentriertem Bogenlicht ohne jede Wirkung. 0,5 proz. Eserinlösung wirkungs- los. Bei faradischer Reizung deutliche Verengerung der Pupille. 21. III. 1922. Tier 8 Tage alt. Länge 6 cm. Lidspalte geschlossen, durch Schnitt geöffnet. Pupille maximal weit. Belichtung wirkungslos. Eserin wirkungs- los. Auf faradischen Reiz Pupillenverengerung. 1) A. Kreidl und M. Ishihara, VLI. intern. Physiologenkongreß Heidelberg, 13.—16. August 1907. Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeriris durch Licht. 265 22. III. 1922. Tier 9 Tage alt. Länge 6,1 cm. Lidspalte durch Schnitt eröffnet. Pupille etwas weniger weit. Belichtung und Eserin wirkungslos. Faradischer Reiz wie am vorangehenden Tag. 23. III. 1922. Tier 10 Tage alt. Verhalten der Pupille wie beim 9tägigen Tier. 24. III. 1922. Tier 11 Tage alt. Länge 6,5 cm. Pupille mittelweit, sonst ihr Verhalten wie am 9. und 10. Tage. 26. III. 1922. Tier 13 Tage alt. Länge 6,8cm. Lidspalte durch Schnitt er- öffnet. Pupille mittelweit. Bei Belichtung mit konzentriertem Bogenlicht eben merk- liche Pupillenverkleinerung. Eserin wirkt prompt. Faradischer Reiz wie bisher. 27. III. 1922. Tier 14 Tage alt. Länge fast 7 cm. Lidspalte deutlich. Pupille nach Auseinanderziehen der Lider eng, bei Belichtung deutliche Pupillarreaktion Eserin und faradischer Reiz wie beim Tier des vorangehenden Tages. 28. III. 1922. Tier 15 Tage alt. Länge 7 cm. Lidspalte offen. Verhalten der Pupille auf Licht, Eserin und faradischen Reiz wie beim erwachsenen Tier. Wurf II vom 16. III. 1922. Verwendet 5 Junge. 23. III. 1922. Tier 7 Tage alt. Länge 6,1 cm. Lidspalte geschlossen, durch Schnitt eröffnet. Pupille maximal weit. Belichtung unwirksam. Eserin unsicher. Faradischer Reiz wirksam. 24. III. 1922. Tier 8 Tage alt. Länge 6,2 cm. Lidspalte durch Schnitt eröffnet. Pupille weniger weit, sonst wie am Vortag. 25. III. 1922. Tier 9 Tage alt. Länge 6,3 cm. Pupille mittelweit. Belichtung unwirksam. Deutliche Eserinwirkung. Faradischer Strom wie vorher. 28. III. 1922. Tier 12 Tage alt. Länge 6,8 cm. Lidspalte durch Schnitt er- öffnet. Pupille eher eng. Belichtung ohne Wirkung. Eserin und faradischer Strom wirksam. 30. III. 1922. Tier 14 Tage alt. Länge 7 cm. Lidspalte verklebt. Nach Er- öffnung Pupille eng, auf Belichtung deutliche Pupillarreaktion. Eserin und elek- trischer Reiz wie vorher. Wurf III vom 16. IV. 1922. Verwendet 7 Junge, davon bei 5 beide Augen an zwei aufeinanderfolgen- den Tagen. 20. IV. 1922. Tier 4 Tage alt. Länge 4 cm. Lidspalte durch Schnitt eröffnet. Pupille maximal weit. Licht, Eserin, faradischer Reiz ohne Wirkung. 21. IV. 1922. Tier 5 Tage alt. Länge 5 cm. Verhalten wie am vorangehenden Tage. 22. IV. 1922. Tier 6 Tage alt. Länge 5,5 cm. Faradischer Reiz wirksam. Sonst wie am Vortag. 23. IV. 1922. Tier 7 Tage alt. Länge 6 cm. Verhalten wie am Vortage. 24. IV. 1922. Tier 8 Tage alt. Länge 6,2 cm. Verhalten wie am Vortag. 25. IV. 1922. Tier 9 Tage alt. Länge 6,5 cm. Verhalten wie am Vortag. 26. IV. 1922. Tier 10 Tage alt. Länge 6,5 cm. Verhalten wie am Vortag. 27. 4. 1922. Tier 11 Tage alt. Länge 7 cm. Pupille mittelweit. Eserinwirkung deutlich, sonst alles wie am Vortag. 28. IV. 1922. Tier 12 Tage alt. Verhalten wie am Vortag. 29. IV. 1922. Tier 13 Tage alt. Länge 7,2 em. Verhalten wie am Vortag. 30. IV. 1922. Tier 14 Tage alt. Länge 7,5 em. Lidspalte durch Schnitt er- öffnet. Pupille eng. Auf Belichtung deutliche Pupillarreaktion. Eserin und elek- trischer Reiz wirksam. 1. V. 1922. Tier 15 Tage alt. Länge 7,5 cm. Lidspalte durch Schnitt eröffnet. Verhalten der Pupille wie am Vortag. 266 H. Murase: Wurf IV vom 12. V. 1922. Verwendet 5 Junge, davon 2 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. 19. V. 1922. Tier 7 Tage alt. Länge 6 cm. Lidspalte geschlossen. Pupille weit. Licht, Eserin und elektrischer Reiz unwirksam. ı 20. V. 1922. Tier 8 Tage alt. Länge 6 cm. Licht ohne Wirkung. Eserin wirkungslos. Elektrischer Reiz eben wirksam. 21. V. 1922. Tier 9 Tage alt. Länge 6,2 cm. Licht und Eserin SLne Wirkung Auf elektrischen Reiz deutliche Wirkung. 22. V. 1922. Tier 10 Tage alt. Länge 6,3 cm. Verhalten wie am Vortag. 23. V. 1922. Tier 11 Tage alt. Pupillarreaktion auf Licht fraglich. Deutliche Eserinwirkung. Faradischer Reiz wie vorher. b| 25. V. 1922. Tier 13 Tage alt. Länge 7 cm. Auf Belichtung deutliche Pupillar- reaktion. Eserin und elektrischer Reiz wie am Vortag. 26. V. 1922. Tier 14 Tage alt. Länge 7,5 cm. Verhalten der Pupille wie am Vortag. Die Versuche ergeben, daß unmittelbar nach der Geburt weder Licht- einfall ins Auge noch elektrische Reizung, noch miotisch wirkende Stoffe eine Pupillenveränderung zu bewirken imstande sind. Dieser Zustand erhält sich hinsichtlich der Wirkungslosigkeit des elektrischen Reizes bis zum 6.—7. Tage (Wurf III und IV). Die Wirksamkeit des Eserin beginnt am 9.—13. Tage. Am spätesten tritt die pupillenver- engernde Wirkung des Lichtes auf, und zwar in bemerkenswerter Konstanz am 13.—14. Tage. Wenngleich die Zeiten, in denen die 3 oben genannten Wirkungseffekte zum erstenmal erzielbar sind, bei den Jungen der einzelnen Würfe nicht vollkommen übereinstimmen, so ist die Reihenfolge, in der die genannten Reize wirksam werden, in allen Fällen die gleiche. Es besteht ein Stadium, in dem sich die Iris auf elektrische Reize zusammenzieht, zuweilen auch schon auf Eserin verengt, hingegen selbst auf konzentriertes Bogenlicht absolut nicht reagiert. Trotzdem also, wie die maximale Verengerung der Pupille auf elektrische Reize beweist, ein funktionsfähiger Sphincter, und wie aus der Eserinwirkung hervorgeht, wohl auch schon sein motorischer Nervenapparat entwickelt sind, vermag selbst konzentriertes Bogen- licht an der Pupille keine Veränderung hervorzurufen. Daraus folgt also, daß beim Säuger dem Licht jede direkte Wirkung auf die Iris, sei es auf die Sphinctermuskulatur als solche, sei es auf ihre nervösen Elemente, völlig abgeht. Die Pupillenverengerung auf Licht tritt erst zu einem Zeitpunkt auf, in dem — wie die Untersuchungen von Kreidl und Ishihara gezeigt haben — die Netzhaut zum erstenmal auf Belich- tung photoelektrische Schwankungen zeigt, d. h. unter Ausbildung der Stäbchen- und Zapfenschicht ihre normale Funktionsfähigkeit erlangt hat!). Auf einem anderen Wege als auf dem des retinalen 1) Ich hatte Gelegenheit, in die Versuchsprotokolle der Arbeit von Kreidl und Ishihara Einsicht zu nehmen bzw. die betreffenden histologischen Präparate durchzusehen und mich davon zu überzeugen, daß bei den damals untersuchten - Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeiris durch Licht. 267 Reflexes kommt also beim Säuger eine Pupillenverengerung " durch Belichtung nicht zustande. Im Anschluß an meine eigenen Versuche möchte ich a Beobach- tung von 8. Michailow!) erwähnen. Der genannte Autor hat die Reihen- folge, in der die einzelnen Augenreflexe bei neugeborenen Carnivoren (Hunden) auftreten, zum Gegenstande einer Untersuchung gemacht und hierbei festgestellt, daß die pupillare Lichtreaktion am 5. Tage nach der Geburt auftritt, eine Angabe, die in guter Übereinstimmung steht mit den Befunden von Kreidl und Ishihara bei neugeborenen Katzen, deren Retina ebenfalls am 4.—5. Tage zum erstenmale pho- toelektrische Schwankungen erkennen läßt. Eine wichtige Stütze erhält die oben entwickelte Anschauung durch die Befunde am exstirpierten Bulbus. Läßt man auf den frisch exstir- pierten Bulbus einer erwachsenen Ratte Licht fallen, so bleibt die ma- ximal erweiterte Pupille völlig unverändert. Jede Art der Belichtung, konzentriertes Bogenlicht ebensowohl wie mittels Quarzlinse kon- zentriertes UV-Licht erweist sich als völlig unwirksam. Setzt man jedoch die Iris der Wirkung eines faradischen Stromes aus, so ver- engt sich die Pupille sofort maximal, um nach dem Aufhören des elek- trischen Reizes wieder ihre frühere Weite zu gewinnen. Die prompte Erregbarkeit der Sphinctermuskulatur erhält sich am exstirpierten Bul- bus bis zu 10 Minuten und länger. Wenn also in dem gedachten Falle trotz Vorhandensein eines funktionsfähigen Sphincters das Licht keine Pupillenverengerung bewirkt, so beweist dies ebenfalls, das das Licht keine direkte Wirkung auf die Iris auszuüben vermag. Man könnte vielleicht einwenden, durch die Exstirpation des Bulbus wäre der Irisapparat dermaßen in seiner Ernährung geschädigt worden, daß er auf direkte Lichtwirkung nicht mehr reagiert. Dagegen spricht aber nicht nur die prompte Erregbarkeit durch den elektrischen Reiz, sondern auch das Ergebnis der Replantationsversuche von Koppanyv2). An exstirpierten Rattenaugen, die entweder auf dasselbe oder auf an- dere Individuen überpflanzt wurden, konnte der genannte Autor sich davon überzeugen, daß die eingeheilten Bulbi nicht bloß einen normalen ophthalmoskopischen Befund darboten, sondern, wie die histologische Untersuchung der replantierten Augen durch Kolmer?) ergab, in ihren Strukturelementen nicht die geringste Veränderung erlitten hatten. Daraus geht also hervor, daß man es beim exstirpierten Rattenbulbus Rattenaugen es ebenfalls der 13.—14. Tag war, an dem die photoelektrische Schwan- kung auftrat bezw. eine vollausgebildete Stäbchen- und Zapfenschicht zuerst feststellbar war. !) 8. Michailow, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 133. 1910. ?) Th. Koppanyi, Anzeiger d. Akad. d. Wiss. 1921, 7, 8, 18. >») W. Kolmer, ebenda 1922, S. 10. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 18 268 H. Murase: unmittelbar nach seiner Herausnahme mit durchaus funktionstüch- tigen Geweben zu tun hat, die auf einen Reiz, sofern er nur wirksam ist, zu reagieren wohl imstande sind. Es erübrigt noch, auf die Versuche jener Autoren einzugehen, die beim Säugerauge trotz Durchschneidung des Opticus Pupillenver- engerung auf Belichtung der Iris eintreten sahen. Die betreffenden Autoren gingen von der Voraussetzung aus, daß die Durchschneidung des Opticus eine dauernde Unterbrechung der Opticusbahn darstellt, somit dauernd den retinalen Irisreflex unmöglich macht. Nach den schon erwähnten Versuchsergebnissen Koppanyis trifft diese Voraus- setzung nicht zu. Koppanyis findet bei seinen replantierten Augen, daß die Pupille schon vom 7. Tage ab, wenn auch anfangs sehr träge, auf Licht wieder reagiert. Die histologische Untersuchung derartiger Augen durch Kolmer ergab in den makroskopisch normalen Augen erhaltene Netzhautschichten; ferner waren Bündel von Opticusfasern durch die Vereinigungsstelle des distalen und proximalen Opticus- stumpfes bis ins Chiasma zu verfolgen. Es wären somit ‚alle jene ana- tomischen Einheiten nachgewiesen, die die Annahme einer auf Licht- empfindung beruhenden Beeinflussung des Pupillenspieles gestatten‘ (Kolmer). Wenn es schon beim exstirpierten und replantierten Bulbus ge- schehen kann, daß die abgetrennnte Opticusbahnen ihren Anschluß an die zugehörigen Nervenzentren gewinnen, um wie viel eher ist dies nach einfacher Opticusdurchschneidung möglich ? Bei dieser Sachlage kann den Versuchsergebnissen von Marenghi, Gross und Hertel keine Beweiskraft für eine direkte Lichterregbarkeit der Säugeriris zugesprochen werden, sie müssen vielmehr als die Folge einer zumindest teilweisen Wiederherstellung des retinalen Reflex- bogens aufgefaßt werden. Zusammenfassung. 1. Bei neugeborenen Ratten, die „blind“, d. h. mit noch nicht funktionsfähigem Sehapparat zur Welt kommen, wurde in 4 Versuchs- reihen die Beziehung zwischen dem ersten Auftreten der pupillaren Lichtreaktion und dem Entwicklungszustande der Netzhaut einer Prüfung unterzogen, die folgendes Resultat ergab: Die Reaktion der Pupille auf Licht tritt erst zu einer Zeit auf, in der die Retina bei Be- lichtung photoelektrische Schwankungen zeigt und ihre Stäbchen- und Zapfenschicht bereits ausgebildet ist. Zu einem früheren Zeitpunkt erweist sich jede Art der Belichtung der Iris als völlig wirkungslos, auch dann, wenn der Irisapparat — wie die prompte Pupillenverenge- rung auf elektrische Reize und Miotica beweist — bereits funktions- fähig ist. Zur Frage der direkten Erregbarkeit der Säugeiris durch Licht. 269 2. Am exstirpierten Auge erwachsener Ratten erweist sich Be- liehtung der Iris (auch konzentriertes UV-Licht) vollkommen wirkungs- los, während der elektrische Reiz sofort eine maximale Verengerung der Pupille bewirkt. | 3. Aus vorstehenden Versuchsergebnissen wird der Schluß gezogen, daß dem Licht jede direkte Wirkung auf die Iris des Rattenauges abgeht und daß es hier eine andere Art der Lichtwirkung auf die Pupille als die eines retinalen Reflexes nicht gibt. 4. Die bei Säugern nach Durchschneidung des Opticus festgestellte Pupillenverengerung auf Licht beruht nicht, wie von den betreffenden Autoren angenommen wird, auf einer direkten Wirkung des Lichtes auf den Irissphincter, sondern ist als die Folge der Wiederherstellung des retinalen Reflexbogens aufzufassen. I*| Zum Schluß erlaube ich mir, Herrn Prof. Kreidl für die’ Anregung zur Arbeit und die Unterstützung bei der Durchführung meiner Unter- suchung bestens zu danken. 18* Über die „‚tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetier- muskels nach Ausschaltung des motorischen Nerven!'). Von E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann. (Aus der Medizinischen Klinik der Universitat Breslau. [Direktor: Geh. Med. Rat Prof. Dr. Minkowsk:i).) 1. Mitteilung. Mit5 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. August 1921.) 1. Historischer Überblick. Heidenhain?) hat 1883 als „Motorischwerden des N. lingualis resp. der Chorda tympani‘ ein bereits 1883 von Vulpian?) entdecktes Phänomen bescenrieben und einer gründlichen Analyse unterzogen. Es besteht darin, daß nach Ausschaltung des N. hypoglossus der N. lingualis Einfluß auf die gelähmte Zungenhälfte gewinnt. Sind etwa 5 Tage nacn Durchschneidung des Hypoglossus verflossen, so kann man eine Reihe von Wochen beobachten, wie die mechanische oder elektrische Reizung des vorher vollkommen unwirksamen N. lingualis eine eigentümliche träge Bewegung des Zunge hervorruft, die zu der raschen Kontraktion nach Reizung motorischer Nerven in augenfälligem Kontrast steht. Heidenhain konnte eine Erklärung für dieses Phänomen, die ihn völlig befriedigte, nicht geben, doch schien ihm eine Beziehung zu der Tatsache zu bestehen, daß die Chorda tympani gleichzeitig d’e gefäßerweiter- den Nerven für die Zunge enthält). Er veranlaßte daher seinen Schüler Rogowiez ?) zu prüfen, ob die Reizung der nach Dastre und Morat) in der Ansa Vieussenit ver- laufenden Vasodilatatoren für die Gesichtsmuskulatur nach Ausreißung des Facialis ähnliche motorische Einflüsse entfalte. Tatsächlich konnte Rogowiez beobachten — und van Rynberk”) hat es neuerdings bestätigt —, daß nach Degeneration des Gesichtsnerven durch Reizung der Ansa Vieussenii resp. des Halssympathicus langsame Bewegungen der Lippe hervorgerufen werden können. !) Vgl. den Aufsatz „über die dreifache motorische Innervation der quer- gestreiften Muskulatur“ in der klinischen Wochenschrift 1922, Nr. 37. 2) Heidenhain, Arch. f. Physiol., ns zum Jahrgang 1883. (Fest- schrift für Du Bois- Reymond). ») Vulpian, Comptes rendus de l’Ac. des sciences %6. 1873; Vulpian und Phi- lippeaux, Ibid. 56. 1863. *) Heidenhain nannte das Zungenphänomen auch „pseudomotorische‘‘ Reak- tion; wir vermeiden diesen irreführenden Ausaruck, der sich lediglich auf die Auslegung stützt, die H. dem Phänomen gab. 5) Rogowiez, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 36. 1885. - in) Dastre und Morat, zit. nach Tigerstedt, Lehrbuch der Eros 302. 107: ”) van Rynberk, Arch. Neer!. des sciences exactes Serie IIIB. t2 und 3. 1915 Arch. Neerl. de Physioiogie 1, 1916/17; 1, 1917. E. Frank, M. Nothmann u. H. Hirsch-Kauffmann :: „Tonische“ Kontraktion usw. 271 Sherrington‘) hat 1893 ein Experiment ausgeführt, welches durchaus das Analogon des Zungen- und Lippenphänomens zu sein scheint. Er hat einige Wochen nach Durchschneidung der vorderen und hinteren Wurzel des 4.—7. Lumbal- und 1. Sakralnerven zwischen Spinalganglion und Rückenmark bei Reizung des Hüftnerven träge Dorsal- resp. Plantarflexion des Fußes und der Zehen beobachtet, welche die Reizung mehrere Sekunden überdauerten und dann langsam wieder zurückgingen. Van Rynberk hat das Experiment Sherringtons bestätigt und wesentlich weiter geführt. Er zeigte nämlich, daß Reizung des Sympathicus das Phänomen nicht hervorbringt, Ausrottung desselben es nicht aufhebt. Als naheliegende Erklärung des Zungenphänomens scheint sich die Vorstellung zu bieten, daß durch übermächtige Blutfüllung wie in einem erektilen Gewebe die Bewegung passiv hervorgebracht würde. Diese Annahme ist bereits von Heidenhain zurückgewiesen worden, wejl auch nach Abklemmung der Zungenarterie ja selbst an der ausgeschnittenen Zunge und nach dem Tode des Tieres der Lingualis noch einige Zeit als motorischer Nerv funktioniert. ‚Wenn es sich lediglich um ein vasomotorisches Phänomen handelte, brauchte ferner, wie van Rynberk hervorhebt, nicht der N. hypoglossus, sondern nur die in ihm verlaufenden Vasoconstrictoren entfernt zu sein. Durchschneidung des Halssympa- thieus, aus welchem doch die Gefäßverengerer stammen müssen, genügt aber nach van Rynberk durchaus nicht, um die Chordareizung wirksam werden zu lassen. Andererseits ist das Phänomen nach seiner Angabe ohne weiteres auszulösen, wenn der Hypoglussus intrakraniell, d. h. vor dem Eintritt der Sympathicusfasern in die Hypoglossusbahn durchschnitten ist, so daß die vasoconstrictorischen Fasern in der Hypoglossusbahn intakt bleiben. Heidenhain hat sich große Mühe gegeben, mit Hilfe der damals zur Verfügung stehenden Methoden zur Darstellung der Nervenendigungen eine direkte Verbindung von Chordafasern mit der Zungenmuskulatur zu erweisen. Das Phänomen ist gerade deshalb für ihn so unerklärlich, weil esihm auf keine Weise gelang, Nervenästchen aus der Chorda bis zu einer Zungenmuskelfaser zu verfolgen. Die Verbesserung der Methodik scheint die hier vorhandenen Schwierigkeiten behoben zu haben. Boeke*) hat im Jahr 1913 beim Igel, 2 Jahre später auch beim Affen, nach Durch- schneidung des Hypoglossus in den motorischen Endplatten der Zunge, nachdem die Endigungen des Hyposlossus vollständig degeneriert waren, mit Hilfe der Bielschowskyschen Silberimprägnationsmethode dieselben feinsten Endösen und Endringe darstellen können, die er als Endigungen markloser Nervenfäserchen bereits mehrere Jahre zuvor in zahlreichen quergestreiften Muskeln der verschieden- sten Tierarten aufgefunden hatte. Boeke zog den Schluß, daß diese vom Hypoglossus unabnängigen nervösen Endapparate der Chorda tympani zugehören dürften, und gab zugleich eine physiologische Interpretation seiner Entdeckung, indem er darauf binwies, daß die von Heidenhain mit so heißem Bemühen gesuchte kontiniuerliche Verbindung von Chorda und Zungenmuskelfaser nunmehr gefunden und demnach das Vulpian-Heidenhainsche Phänomen seiner Rätselhaftigkeit entkleidet sei. Angeregt durch die Mitteilungen von Boeke hat van Rynberk sämtliche Phäno- mene nachgeprüft und im Hinblick auf den „tonischen Charakter“ der in Rede stehenden Bewegungen sich die Frage vorgelegt, ob sie geeignet sind, der Lehre Boekes und de Boers?) vom sympathischen Ursprung des Muskeltonus zur Stütze zu dienen. !) Sherrington, Joum. of physiol. 17, 253. 1894. ”) Boeke, Ergebnisse der Physiologie (Asher-Spiro) 19; Studien zur Nerven- regeneration II in Verh. der Akad. der Wissensch. zu Amsterdam 1917. 2. Sect. t. 19 (Amsterdam, Johannes Müller). ®) de Boer, Zeitschr. f. Biol. 65. 1914; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190. DD E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann: Er kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Das Phänomen von Rogowiez könnte eine Bestätigung der Theorie sein, weil hier tatsächlich als Folge eines Reizes sympathischer Fasern eine tonische Muskelkontraktion auftritt. 2. Das Zungenphänomen Heidenhains ist weniger befriedigend zu erklären, weil der Ursprung der Nervenfasern, deren Reiz die tonische Verkürzung hervor- ruft, nicht sicher sympatnisch ist. An einer anderen Stelle resümiert er sich sogar dahin, daß an der Auslösung des Phänomens sympathische Fasern nicht beteiligt sein können, weil Reizung des Halssympathicus unwirksam istin Fällen, wo Reizung des Lingualis zu einer Kontraktion führt. Die Natur der Lingualisfasern, deren Reiz das Phänomen hervorruft, bleibt also unentschieden. 3. Das Phänomen von Sherrington widerspricht vollkommen der Annahme sympathischer Tonusfasern, da es auch bestehen bleibt, wenn der Sympathicus ausgerottet ist. Zur Erklärung des Phänomens denkt er an Erregungen, die sich „antidrom‘ in den afferenten Fasern fortpflanzen. Nach der sorgfältigen Analyse van Rynberks ist es klar, daß eine einheitliche Auffassung der tonischen Kontraktion des quergestreiften Muskels in dem Sinne, daß sie vom ‚„‚Sympathicus‘‘ abhängig ist, nicht möglich sein dürfte. Es bleibt aber die Frage offen, ob man überhaupt auf eine einheitliche Auffassung dieser inter- essanten Phänomene verzichten muß. Die im folgenden mitzuteilenden Untersuchungen sind angestellt, um zur Klärung dieser Frage Material zu liefern. Wegleitend war dabei folgender Gedankengang: Die ‚tonomotorischen‘‘ Fasern ver- laufen in den verschiedenartigsten Nervenstämmen (nach der geläu- figen Nomenklatur würde man die Chorda tympani zum Parasympa- thicus, die Fasern der Ansa Vieussenii zum Sympathicus, die Ver- mittler des Sherringtonschen Phänomens zu spinalen Hinterwurzel- elementen rechnen); aber sie haben ein Gemeinsames: sie ziehen überall in den nämlichen Bahnen, in welchen die Vasodilatatoren sich finden!). Die Boekesche Entdeckung der akzessorischen Fäserchen und End- organchen der motorischen Endplatte der Zunge erweist dabei zur Evidenz — was der Augenschein und das physiologische Experiment schon vorher höchst wahrscheinlich gemacht hat —, daß die tono- motorischen Elemente nicht etwa mit den Vasodilatatoren identisch sind. Nun sind die Vasodilatatoren in anatomisch-struktureller Be- ziehung weder dem Sympathicus noch dem Parasympathicus einzu- gliedern, denn sie passieren nach ihrem Austritt aus dem Zentralorgan keine durch Nicotin ausschaltbare periphere Ganglienzelle, aber sie bil- den mit der Oculomotorius-Vagusgruppe und dem Pelvicus, die Langley als Parasympathicus zusammenfaßt, eine funktionelle Einheit. Denn !) Die gefäßerweiternden Fasern für die Zunge verlaufen in der Chorda tympani [Vulpian?)], die gefäßerweiternden Fasern für die Lippe im Halssympathicus [Dastre und Morat?)|, die Vasodilatatoren für die unteren Extremitäten nach Stricker und Bayliss?) in den hinteren Wurzeln. 2) Joc. eit. S. 270. 8) Joc. cit. S. 270. ') Bayliss, Ergebn. d. Physiol. 1906; Journ. of Physiol. 26. Über die „tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 273 die Auffangapparate des Erfolgsorganes, auf welche ihre Impulse auf- treffen, haben eine identische biochemische Struktur, wie man wohl mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit daraus schließen kann, daß sie sämtlich in elektiver Weise auf eine Substanz reagieren, der man wohl Hormon- oder Inkretcharakter zuerkennen darf, nämlich das Cholin resp. ein durch Veresterung in seiner Wirksamkeit stark potenziertes Cholin!). Dieses funktionell einheitliche Nervensystem möchten wir als ‚‚Para- sympathicus im erweiterten Sinne‘ oder als „physiologischen Para- sympathicus“ bezeichnen. Zu ihm gehören alle diejenigen Fasern, welche mit einer ‚cholinophilen‘‘ Rezeptivsubstanz der Muskel- oder Drüsenzelle in Beziehung treten, ganz unabhängig davon, in welchen Bahnen sie verlaufen, oder ob sie von einer nicotinempfindlichen Ganglienzelle unterbrochen sind. Im folgenden soll der Ausdruck Parasympathicus mit physiologischem Parasympathicus identisch ver- wandt werden). Von diesem Standpunkt aus ist natürlich die Frage dringend, ob die mit den Vasodilatatoren in gemeinsamen Bahnen verlaufenden tonomotorischen Fasern ebenfalls zum physiologischen Parasympathicus zu rechnen sind, d. h. es ist die biochemische Struktur ihrer Auffang- apparate im quergestreiften Muskel nach Möglichkeit klarzustellen. 2. Das Vulpian-Heidenhainsche Phänomen und seine Aufhebung durch Scopolamin und Adrenalin. Zur Untersuchung wurde das Tier jn Rückenlage aufgebunden. Der Kopf lag dem Operationstisch auf, der Oberkiefer ist dann der tiefste Teil des Kopfes. Bei geöffnetem Maule liest die Zunge mit ıhrer Oberfläche dem harten Gaumen voll- kommen auf, so daß nur ihre Unterfläche sıchtbar ist. Unterkiefer und Oberkiefer wurden stets in einem bestimmten spitzen Winkel gegeneinander geneigt und in dieser Stellung fixiert (s. Abb. 1 S. 274.). Die Untersuchungen fanden bei Hunden in Morphium-Äthernarkose oder in Bulbocapnin-Morphiumnarkose, bei Katzen meistens in leichter Äthernarkose nach Vorbehandlurg mit Bulbocapnin statt. !) Wir glauben uns berechtigt, das Cholin als Inkret zu bezeichnen, weil es ja nach den Untersuchungen von Magnus und le Heux?) am überlebenden Darm intra vitam während der Organtätigkeit zu entstehen scheint. ?2) Le Heux, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 1921. 2) Als funktionellen oder physiologischen Sympathicus würde man im Gegen- satz zum anatomischen Grenzstrangsympathicus die Gesamtheit derjenigen auto- nomen Nervenfasern bezeichnen, die mit einer „adrenalinophilen‘““ Rezeptivsub- stanz korrespondieren. Die Schweißfasern würden also zum anatomiscnen Sympa- thieus, aber zum physiologischen Parasympathieus gehören. Langley*) erstrebt wohl etwas Ähnliches, wenn er in seinem Buche „The autonomic nervous System“ die Bezeichnung Sympathicus und Parasympatnicus als anatomische Begriffe reserviert wissen will, daneben aber das physiologische Gegensatzpaar, ‚„‚adrenalino- philes“ und „cholinophiles‘‘ System gelten läßt. *) Langley, The autonomic nervous System. Part 1. London 1921, 274 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann : Bei unseren Operationen, die größtenteils rechtsseitig. ausgeführt wurden, suchten wir den N. hypoglossus am lateralen Rande des Cornu maius ossis hyoidei, den N. lingualis in der Tiefe zwischen dem N. mandibulae und M. biventer auf. Wird der freigelegte rechte N. hypoglossus eines Hundes, der in der obenbeschriebenen Weise aufgebunden worden ist, mit einem mitt- leren faradischen Strom gereizt, so wird die auf dem Palatinum ruhende Zunge rasch an den Mundboden heraufgehoben, nach vorwärts über den Unterkieferrand geschoben und der äußere Rand eingerollt, als ob der vordere Teil des Organs an den Vorderzähnen des rechten Unter- kiefers lecken wollte. Setzt man sofort maximale Reize an, so schnellt die Zunge brüsk zum Boden der Mundhöhle in die Höhe und nimmt fast momentan die beschriebene Stellung ein. Diese Lage der Zunge be- Abb. 1. Zunge in Normalstellung, dem harten Gaumen aufliegend. zeichnet Heidenhain als die ‚„Hypoglossusstellung‘. Die Bewegung zeigt den typischen Ablauf einer Muskelkontraktion bei Reizung des motorischen Nerven: Beginn der Reizung nach minimaler Latenzzeit und rasches Erschlaffen nach Schluß der Reizung. Wird der N. hypoglossus durchschnitten, so ändert sich am Aus- sehen der gelähmten Zungenhälfte wenig. Vom 2. Tage an tritt an der Unterseite und an den äußeren Partien der Oberseite lebhaftes Flimmerspiel auf, und am Rande in der Nähe der Spitze zeigen sich öfters leichte Einkerbungen. Wird der N. lingualis in den ersten Tagen nach der Durch- schneidung gereizt, so bleibt eine Wirkung aus (abgesehen von der Anschwellung der Zunge). Vom 5. Tage an gewinnt jedoch der an sich motorisch ganz unwirksame N. lingualis Einfluß auf die gelähmte Zungenhälfte, aber einen durchaus andersartigen als vorher der N. hypoglossus. Über die „tonische‘‘ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 275 Bei ganz geringen Strömen werden zunächst die Flimmerbewegungen verstärkt. Wählt man den faradisehen Strom etwas stärker, so. hebt sich nach deutlich merkbarer Latenzzeit die für den Willen gelähmte Zungen- hälfte — der Rand stärker als die Mitte, die Spitze später als die Basis — ganz langsam, und rollt sich spiralig auf, so daß bei der allerdings durchaus nicht immer zu erreichenden ma- ximalen Ausprägung des Phänomens wie bei der Hy- poglossusstellung der Zun- genrand am Unterkiefer leckt. Nach Aufhören des Reizes verharrt die Zunge noch kurze Zeit gegen die Schwere in der eingenom- menen Stellung und sinkt dann ganz allmählich gegen den Gaumen zurück. Am schönsten auslösbar ist das Phänomen in der 2. bis 3. Woche, eine deutliche Abnahme ist etwa vom 40. Tage an zu bemerken. Heidenhain hat die Unterschiede, die zwischen der Kontraktion der Zunge auf Hypoglossus- und Lingualisreizung bestehen, ganz p:ä- gnant herausgearbeitet: 1. Die Latenzzeit bi der Reizung des Hypo- glussus beträgt 0,02 Se- kunden, während es nach der Lingualisreizung 0,1 bis 1,0 Sekunden dauert, ehe die Zunge anspricht (maximal 3,0 Sek.). 2. Die Bewegung der Zunge nach Hypoglossus- reizung ist außerordent- lich schnell und energisch, nach Schluß der Reizung fällt die Zunge sofort zu- rück. Die Bewegung der Zunge nach Lingualisreizung muß selbst bei stärksten Strömen im Vergleich zu der Antwort auf die Hypoglossus- reizung als sehr langsam bezeichnet werden. Bei schwächeren Strömen fällt die Trägheit der Bewegung ganz besonders ins Auge. Abb. 2. Stellung der Zunge bei Lingualisreizung mit schwachem faradischem Strom. Abb. 3. Stellung der Zunge bei Lingualisreizung mit star- ken faradischen Strömen. 276 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann: 3. Nach Aufhören des Reizes bsharrt die Zunge nach Lingualis- reizung noch kurze Zeit in der zuletzt eingenommenen Stellung und erschlafft dann ganz allmählich. 4. Nach Heidenhain ist es, um eine kontinuierliche Bewegung zu erzielen, nicht notwendig, daß mit Induktionsschlägen von tetanisie- render Frequenz gereizt wird; es genügen vielmehr wenige Induktions- schläge pro Sekunde, um die tonische Kontraktion hervorzurufen. Wir selbst haben uns davon überzeugt, daß 2 Induktionsschläge pro Sekunde genügen, um nach einer Latenzzeit von etwa 25 Se- kunden eine deutliche Ablösung der Zunge vom Gaumen zu bewir- ken, während b>i einer Frequenz von 3 Reizen pro Sekunde die Abhebung nach 10 Sekunden einsetzte und eine unerhört gemäch- liche aber ganz kontinuierliche Aufwärtsbewegung die Zunge bis nahe an den Mundboden heranführte. Folgendes Protokoll mag zur Illu- stration dienen: Hund 16. 41!/, ke. A 15. VI. 1922. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Ather- narkose. E Versuch 104. 22. VI. 1922. 6% Morphin-Athernarkose. Durchschneidung des N. lingualis dext. 6" 40’. Bei Reizung des peripheren Endes des N. lingualis dext. tritt bei 7 cm Rollenabstand und 5 Induktionsschlägen pro Sekunde (reguliert mit dem Hwald- schen Pendel) nach 3 Sekunden eine maximale Kontraktion der rechten Zungen- hälfte im Sinne des Vulpian-Heidenhainschen Phänomens auf. (Vgl. S. 277.) 7h. Rollenabstand 0, ein Induktionsschlag pro Sekunde; nach 40 Sckunden Schwellung der Zunge, starke Hyperämie, verstärktes Flimmern. Keine Bewegung der Zunge. 7.07”. Rollenabstand 0, zwei Induktionsschläge pro Sekunde; sofort starkes Flimmern und Hyperämie. Nach 25 Sekunden hebt sich die Zunge langsam in die Höhe. Während der Reizung (1!/, Minuten) bleibt die Zunge kortrahiert und fällt 2—3 Sekunden nach Aufhören der Reizung gemächlich herunter. 7h 15% Rollenabstand 0, drei Induktionsschläge pro Sekunde. Nach 10 Se- kunden beginnt sich die Zunge zu heben, geht langsam und kontinuierlich in die Höhe, erreicht nach 1 Minvte fast den Mundboden und bleibt in dieser Stellung. Nach 1!/, Minuten Aufhören des Reizes. Erst 30 Sekunden später ist das Phänomen vollkommen abgeklungen. Bei Unterpindung des Nerven peripherwärts von der Elektrode bleibt die Wirkung der faradischen Reizung aus. 5. Van Rynberk hebt schließlich noch mit Recht hervor, daß nach Reizung des Hypoglossus die bstreffende Zungenhälfte bretthart ist, während die Zunge nach Lingualisreizung sich sehr deutlich verdickt, doch eine viel weniger starke Konsistenz aufweist. Um unseren Gedanken, daß der tonomotorische Nerv dem er- weiterten parasympathischen System zuzurechnen sei, zu verifizieren, haben wir zuerst geprüft, ob ein ausgesprochen parasympathisch-läh- mendes Mittel seine Aktion hemmt. Wir wählten hierfür das Scopo- lamin, das für Hunde und Katzen so wenig giftig ist und wegen seiner therapeutischen Wirksamkeit bei der Rigidität des quergestreiften Mus- Über die „tonische‘ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 277 kels (z. B. bei Paralysis agitans oder postencephalitischer Starre) be- sonders interessiert. Folgende beiden Versuchsprotokolle mögen die Wirkung des Scopolamins darstellen: Versuch 61. Hund IV, Gewicht 4!/, kg. 7.11. In Morphin-Äthernarkose wird der N. hypoglossus dexter durchschnitten. 21. 1I. 2%. In Morphin-Äthernarkose wird der N. lingualis dexter freigelegt. 3b. Bei Reizung des N. lingualis mit faradischem Strom tritt eine langsame Bewegung der Zunge auf. Im Augenblick des Reizes hebt sich die Zunge vom Oberkiefer, die rechte Zungenhälfte schwillt an, rollt sich spiralig auf, so daß der Rand am Unterkiefer leckt (s. Abb. 2 u. 3). Das Flimmern verstärkt sich erheblich. Bei Stromunterbrechung fällt die Zunge langsam nach unten und liegt wieder dem Oberkiefer auf. Bei fünfmaliger Reizung in Abständen von 20 Sekunden bei 5 Se- kunden Reizungsdaver tritt jedesmal die gleiche Reaktion auf. 4h, Tmg Scopolamin, hydrobrom. in die Vena femoralis dext. 4h 05°. Das Flimmern wird schwächer. Bei Reizung des N. lingualis tritt die Reaktion verzögert und abgeschwächt auf. 4h 10’. Bei5maliger Reizung in Abständen von 20 Sekunden bei 5 Sekunden Reizungsdauer nimmt mit dem Fortschreiten der Reizung das Phänomen an Stärke ab, so daß nach der letzten Reizung die Bewegung der Zunge nur angedeutet ist. Das Flimmern ist verschwunden. 4h 12°. Reizung des Nerven ruft ein stark abgeschwächtes, oft nur angedeutetes Phänomen hervor. 4h 25°. Versuch unterbrochen. Versuch 64. Hund VII, Gewicht 4!/, kg. 22. II. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Äthernarkose. 1. III. 12" 30°. Der N. lingualis wird in Morphin-Äthernarkose freigelegt. 1% 15°. Bei faradischer Reizung tritt das Zungenphänomen auf. Die Zunge rollt sich sehr langsam zusammen und geht nach Aufhören des Reizes außerordent- lich träge in die Ausgangsstellung zurück. Das Flimmern verstärkt sich während der Reizung. 30. 7 mg Scopolamin. hydrobrom. intravenös. 31 05°. Das Flimmern hört auf. Bei elektrischer Reizung spricht die Zunge nur schwach an. 3b 10’. Die faradische Reizung löst keine Aktion der Zunge aus. 32 20’. Das Flimmern tritt wieder auf. 3h 40’. Faradische Reizung ruft geringe Bewegung der Zunge hervor. 3h 45°. Bei Verstärkung des Reizes wird die Zungenbewegung stärker. Eine Anzahl weiterer Versuche verlief ähnlich. Nach unseren Er- fahrungen gelingt es also, mit Scopolamin bei steigender Dosis (6 bis 12 mg) zunächst Verlängerung der Latenzzeit, dann starke Ermüdung, schließlich vollständige Bremsung des Vulpian-Heidenhainschen Phä- nomens zu erzeugen. Die Wirkung beginnt nach 5 Minuten und hält 12—15 Minuten an. Eine vollkommene Aufhebung der Bewegung ist nur zu erreichen, wenn genügend große Giftmengen verabreicht werden. Kleinere Dosen rufen nur eine verlängerte Latenzzeit und Abschwächung des Phänomens, aber keine vollkommene Aufhebung hervor. Auf die Blutgefäße der Zunge hat das Scopolamin übrigens keinen Einfluß. Die Zunge schwillt an, obwohl sie sich nicht oder nur wenig 278 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann : bewegt, wiederum ein Hinweis, daß die Lokomotion nicht etwa Folge der Vasodilatation ist. Das Atropin, das auch die Steifigkeit der Muskulatur bei Paralysis agitans nicht beeinflußt, erwies sich uns in Dosen bis zu 0,01 g als unwirksam zur Hemmung der Lingualis- reizung. Es lag nahe, sich die Frage vorzulegen, ob der Grenzstrangsympa- thicus sich zu dem in der Chorda tympani verlaufenden Tonusnerven antagonistisch verhält. Da bei der üblichen Resektion des Hypo- glossus die ihm beigemischten Sympathicusfasern durchschnitten wer- den und degenerieren, ersetzten wir die Sympathicusreizung durch Adre- nalininjektion. Bereits van Rynberk hatte das Adrenalin verwandt, als er die Vulpiansche Ansicht widerlegen wollte, daß das Zungen- phänomen auf einer Gefäßerweiterung beruhe. Er injizierte Adrenalin — die Menge gibt er nicht an — in die Art. lingualis und fand angeblich, daß die Bewegung der Zunge durch Reizung des N. lin- gualis nicht unterdrückt wird. Oft soll sogar nach der Injektion das Phänomen stärker auszulösen gewesen sein als vorher. Wir können diese Wirkung des Adrenalins, wenigstens bei intravenöser Anwendung, nicht bestätigen. Vielmehr gelang es uns, das Zungen- phänomen regelmäßig auch durch geeignete Mengen von Adrenalin hintanzuhalten. Versuch 76. Hund VIII, Gewicht 3!/, kg. ’ 7. III. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Athernarkose. 14. III. 12h. Freilesung des N. lingualis dext. in Morphin- Athernarkose. 12h 28°. Reizung des N. lingualis dext. mit schwachem faradischem Strom. Das Phänomen tritt prompt ein, sehr langsames Zurückkehren in die Ausgangs- stellung. Es besteht die Tendenz, in Ruhe eine gewisse Mittelstellung einzunehmen (Atherwirkung?). 12h 47’. 0,3 mg Adrenalin intravenös. 12h 48’, 12h 49° und 12h 53° Reizung des N. lingualis erfolglos. y 12h 55°. Bei Reizung des N. lingualis tritt wieder geringe Bewegung der Zunge auf. 1h 20°. Bei Reizung des N. lingualis maximale Kontraktion der Zunge. Der Versuch lehrt, daß 0,3 mg Adrenalin das Phänomen aufheben können. Etwa 1 Minute nach der Injektion ist die Reizung des N. lingualis erfolglos. Nach 6 Minuten hält die Wirkung noch an. Nach 8 Minuten beginnt sich die Hemmung zu lösen. Nach !/, Stunde ist die Kontraktion der Zunge wieder maximal zu erzeugen. Auf einer Anämisierung der Zunge oder der Nervenendigungen kann dieses Resultat nicht beruhen, da ja, wie erwähnt, selbst die Unter- bindung der Zungenarterie das Zustandekommen des Phänomens nicht stört. Als Ergebnis unserer ersten Versuchsreihe? ist also festzustellen: Bei Nachprüfung des Vulpian-Heidenhainschen Phänomens traten re- gelmäßig die tonischen Kontraktionen der Zunge in der von Heiden- \ Über die „tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 279 [4 hain eingehend beschriebenen Form auf. Es gelingt, den Effekt der Lingualisreizung durch das parasympathicuslähmende Scopolamin und das sympathicomimetische Adrenalin aufzuheben!). 3. Die Nachahmung des Vulpian-Heidenhainschen Phänomens durch Nieotin und Acetylcholin und die antagonistische Wirkung des Scopo- lamins und Adrenalins. Heidenhain hat bereits versucht, das Zungenphänomen durch ein chemisches Reizmittel hervorzurufen. Ostroumoff?) hatte an der Hunde- pfote, er selbst an den Speicheldrüsen eine gefäßerweiternde Wirkung des Nicotins wahrgenommen, und da er an irgend einen Zusammenhang des Motorischwerdens der Chorda mit ihrer gefäßerweiternden Wirkung glaubte, wollte er prüfen, ob auch das gefäßerweiternde Nieotin die Kontraktion der gelähmten Zunge hervorbringen könne. Er zerlegte die Wirkung des Alkaloids, das sich ihm tatsächlich als wirksam erwies, in 4 Perioden. Unter dem Einfluß des Nicotins tritt zunächst eine starke Rötung der Zunge auf, die fibrillären Oszillationen verstärken sich, schließlich geht die gelähmte Zungenhälfte in „tetanische‘“ Kon- traktion über, sie nimmt die ‚„‚Hypoglossusstellung‘“ ein und verbleibt längere Zeit in diesem Zustande. Mit dem Nachlassen des tonischen Krampfes ist die erste Periode zu Ende. In der zweiten Periode ist die Zunge blaß und blutleer, vollständig erschlafft, die fibrillären Zuk- kungen sind verschwunden. Reizung des N. lingualis ist unwirksam, direkte Reizung hingegen wirksam. Auf den N. hypoglossus der ge- sunden Seite hat die Injektion keinen Einfluß. Die erste Periode dauert nur kurze Zeit an, die zweite Periode 10—12 Minuten. In der sich anschließenden dritten Periode tritt nach Lingualisreizung bereits Gefäßerweiterung auf, ohne daß die Muskel- kontraktion auszulösen wäre. Allmählich beginnen die fibrillären Mus- kelzuckungen wieder, bis in der vierten Periode die Reizung des Nerven dieselbe Wirkung hat wie vor der Nicotininjektion. Nach der Nicotineinverleibung tritt das Phänomen mit solcher Stärke auf, wie es durch Reizung des N. lingualis nur im günstigsten Falle zu erzielen ist. Heidenhain hatte auch bereits gefunden, daß die Durchschneidung des N. lingualis den motorischen Effekt der Injektion nicht aufhebt. Wir haben mehr als 50 mal das Vulpian-Heidenhainsche Phänomen durch Nicotin nachgeahmt, sowohl bei intaktem wie bei durehtrenntem !) Anzufügen wäre hier noch, daß nach Heidenhains Untersuchungen auch Curare die motorische Lingualiswirkung vollständig ausschaltet. Curare blockiert also nicht nur die vom motorischen, sondern auch die vom ‚„tonomotorischen‘“ Nerven dem quergestreiften Muskel zugeführten Impulse. 2) Ostroumoff, zit. nach Heidenhain. 280 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann: Lingualis, immer mit dem gleichen von Heidenhain beschriebenen Er- folge. Auch die Ausführung des Experimentes an der Katze gelang regelmäßig, nur haben die Bewegungen der gelähmten Zungenhälfte bei der Katze ein etwas anderes Ausehen, das später bei der Beschrei- bung unserer Versuche mit Acetylcholin dargestellt wird. Als wirk- same Dosen beim Hunde sind 2 ccm einer Lösung von 2 Tropfen Nic. pur. auf 100, was etwa einer einpromilligen Lösung entspricht, zu bezeichnen; bei einer mittelgroßen Katze genügen nach unseren Unter- suchungen 0,8 mg Nic. pur. Die lähmende Wirkung des Nicotins in der zweiten Phase Heiden- hains darf nicht als das Umschlagen einer Erregung in Lähmung beim Fortwirken der Substanz aufgefaßt werden. Es handelt sich vielmehr nur um eine curareartige Wirkung des Nicotins, welche die Fort- leitung der Lingualisimpulse blockiert. Injiziert man in der zweiten Phase der Nicotinwirkung, in welcher also die Reizung des Nerven unwirksam ist, von neuem Nicotin, so tritt das Zungenphänomen sofort in voller Stärke hervor. Hund 16. Gewicht 4!/, kg. 15. VI. 1922. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Äther- narkose. 22. V1. 1922. 6%. Morphin-Äthernarkose. Durchschneidung aes N. Iıngualis dext. (Vgl. S. 276.) 7 50°. Faradische Reizung des N. lingualis dext. löst eine tonische Kontrak- tion der Zunge aus. Der Nerv wird 15 Sekunden gereizt, das Phänomen überdauert den Reiz um 30 Sekunden. sh 30°. 2 mg Nicotin pur. intravenös. Nachdem 1 mg injiziert ist, kontrahiert sich die rechte Zungenhälfte bereits maximal. sh 35”. Die Kontraktion beginnt sich zu lösen. 8h 42°. Die Zunge ist noch immer mäßig kontrahiert. sh 45’, 8Sh 48° und 8" 50°. Faradische Reizung löst noch maximale Kontrak- tion aus. 8h 55°. Die Zunge ist noch leicht kontrahiert, faradische Reizung verstärkt die Kontraktion ein wenig. sh 58° und 9h. Dasselbe. 9h 03°. Bei faradischer Reizung ganz schwache Kontraktion der Zunge. 9h 06° und 9b 11’. Dasselbe. 9h 11”. 2 mg Nicot. pur. intravenös. Maxjmale Kontraktion der rechten Zungenhälfte. 9h 20°. Die Kontraktion beginnt sich zu lösen. 9h 30°. Die rechte Zungenhälfte ist noch immer leicht kontrahiert; faradische Reizung ruft maximale Kontraktion hervor. 9 40°”. Das Flimmern der Zunge hat aufgehört, die Zunge liest wieder vollkommen dem Oberkiefer auf, faradische Reizung des N. lJingualis ist un- wirksam. 9h 40°. 2 mg Nicot. pur. intravenös; maximale Kontraktion der rechten Zungenhälfte. 10%, Die rechte Zungenhälfte ist noch immer maximal kontrahiert. Der Versuch wird unterbrochen. Über die „tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 281 Die erregende Wirkung des Nicotins auf die Rezeptivsubstanz des Tonussubstrates und sein curareartiger Effekt sind also als zwei qualitativ besondere Äußerungen des Mittels auseinander zu halten. Wir werden auf diese eigenartige zum Verständnis pharmakologischer Einwirkungen am neuromuskulären Endapparat so wichtigen Verhältnisse, die bereits Langley!) beim Studium der Nicotinwirkung auf die quergestreifte Muskulatur des Vogels aufgefallen sind, nochmals in einer späteren Mitteilung bei der allgemeinen Beurteilung der Resultate zurück- kommen. Der klare Ausfall der Nicotinversuche gab uns recht eigentlich die Veranlassung, nun auch die Einwirkung eines elektiv parasympa- thicomimetischen Pharmakons zu erproben. Das gegebene Mittel für diesen Zwerk ist das Acetylcholin, welches in einer außerordentlich gleichmäßigen Weise sämtliche dem Parasympathicus zugeschriebenen fördernden und hemmenden Effekte sowohl im Organismus als auch am überlebenden Organe hervorruft: Es regt die Drüsensekretion sehr stark an, steigert den Tonus der Muskelwände des Bronchialbaumes, des Magen- und Darmkanals, des Sphincter pupillae, der Hohlmuskeln von Blase und Uterus und setzt am Herzen den gesamten hemmenden Komplex der Vagusreizung. Die glatte Muskulatur der Arteriolen läßt es völlig erschlaffen; deshalb hielten wir uns ja für berechtigt, die Vasodilatatoren mit den parasympathischen Nerven im anatomischen Sinne zu der Gruppe des erweiterten oder physiologischen Parasym- pathicus zu vereinigen. Injiziert man einem Hunde oder einer Katze auch relativ große Dosen von Acetylcholin?) (5—6 mg intravenös), so ist von einer Ein- wirkung auf die quergesreifte Muskulatur wenigstens für das Auge oder den Tastsinn nichts zu erkennen. Nach Durchschneidung des N. hypoglossus bleibt das Acetylcholin zunächst noch unwirksam. Erst am 4. Tage ahmt es, wie aus folgenden Protokollen hervorgeht, die Wirkung der Lingualisreizung vollkommen nach. Versuch 31. Hund III. Gewicht 31/, kg. 29. XII. 1921. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Äther- narkose. 30. I. 1922. 12h 10’. 0,08 Bulbocapnin. 12h 30°. Freilegung der V. fem. dext. 1. 1 mg Acethylcholin intravenös. Das Tier stößt einen lauten Schrei aus. Unmittelbar darauf rötet sich die ganze Zunge, rechts stärker als links. Das Flimmern wird stärker, und die Zunge hebt sich entgegen der Schwere langsam !) Langley, Journ. of physiol. 33, 1905 und 43, 1914. 2) Wir sind den chemischen Werken Grenzach für die Überlassung einer größeren Menge tadellos wirksamen Acetylcholins zu großem Danke verpflichtet. Wir bereiteten aus der dauernd im Exsiccator gehaltenen Substanz die 1 promill. Lösung, die sich in zugeschmolzenen Ampullen gut hielt. 282 E. Frank, M. Notbmann und H. Hirsch-Kauffmann : vom Gaumen ab, die gelähmte Zungenhälfte dreht sich spiralig um die mediane Längsachse und bleibt nun etwa 3 Minuten in der Stellung. (Abb. 4 u. 5.) 1" 04’. Die Kontraktion läßt langsam nach. Die linke Zungenhälfte hängt schlaff herab. Noch lebhaftes Flimmern. 1 05°. Kontraktion abgeklungen, Flimmern wie vor der Injektion. 2h 05°. Wiederholung des Versuches mit dem gleichen Erfolge. Bei der Katze bietet die Bewegung der Zunge ein etwas veröndertes Bild. Die Ursache dafür jst, daß die Zunge in der Ruhelage nicht dem Palatinum aufliest, sondern nach der inner- vierten Seite verzogen ist. Folgendes Protokoll gibt eine Darstellung vom Ab- lauf des Phänomens: Versuch 38. Katze II. Gewicht 2 kg. 27. 1.192282 Durch- schneidung des N. hypo- slossus dext. in Äthernar- kose. 1: II. 11045290:0408 Bulbocapnin sube. 2415. 1 mg Acetyl- cholin intravenös (V. fem. dext.). Sofort wird das Flimmern stärker. Die rechte Zungenhälfte schwillt an. Die Zunge, die nach links verzogen war, bewegt sich ganz langsam nach rechts und oben. Der Rand krempelt sich um, so daß die Zunge spiralig eingerollu erscheint. Die linke Zungen- hälfte ist schlaff. 2h 18°. Kontraktion läßt nacn, noch starkes Flimmern. 2h 20°. Die Zunge ist wieder nach links gezogen, auch die rechte Hälfte ist wieder schlaff. Abb. 4. Zunge nach intravenöser Injektion von Img Ace- tylcholin in Mittelstellung. Ist der N. lingualis durchschnitten, so läßt sich das Phänomen mit viel kleineren Dosen auslösen. Mengen von 0,1 mg Acetylcholin ge- nügen dann, um eine stark ausgeprägte Kontraktion zu erzielen. Bei sorgfältig abgestufter Dosierung kann man nacheinander initiales Flimmern, leichtes Abheben vom Oberkiefer, Aufkrempelung des Abb.5. Maximale tonische Contractur der Zunge nach intra- venöser Injektion von 1 mg Acetylcholin. Über die „tonische‘‘ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 283 Zungenrandes bis zum vollentwickelten Phänomen zur Darstellung bringen. Versuch 88. Hund VIII. Gewicht 31/, kg. 7. IIl. 1922. Durchschneidung des N. hypoglossus dext. in Morphin-Äther- narkose. 14. III. Durchschneidung des N. lingualis dext. 25. III. 12645’. In Morphin-Athernarkose Frejlesung der V. jug. dext. Kein Flimmern der Zunge. 1% 20°. 0,1 mg Acetylcholin intravenös. Das Phänomen ist stark ausgeprägt und dauert !/, Minute an. Das Flimmern tritt sofort auf und verschwindet, kurz nachdem das Phänomen abgeklungen ist. 1h 24°. 0,04 mg Acetylcholin intravenös. Geringes Flimmern trıtt auf. 1h 32°. 0,06 mg Acetylcholin. Die Zunge krampft sich ganz wenig zusammen, so daß sie sich in der Mitte über dem Oberkiefer wölbt: Flimmern. 1h 36°. 0,08 mg Acetylcholin. Die Zunge wiederholt die eben beschriebene Bewegung, der Zungenrand krempelt sich wenig auf; Flimmern. Nach 20 Sekunden sind diese Erscheinungen und das Flimmern abgeklungen. Wenn das Acetylcholin tatsächlich den gleichen Angriffspunkt hat wie die Lingualisfasern, so muß sich auch die Acetylcholinwirkung durch Scopolamin hemmen lassen. Das ist nun in der Tat der Fall. Scopolamin schaltet die Wirkung des Acetylcholins aus und wirkt auch auf Nicotin antagonistisch. Bei erhaltenem Lingualis ist dieser Ant- agonismus leicht zu zeigen. Es genügen beim Hund 5 mg Scopolamin, um die Wirkung von 2mg Nicotin aufzuheben, und bei der Katze hemmen 7 mg Scopolamin den Effekt von 1 mg Acetylcholin. Die Wir- kung beginnt etwa 5 Minuten nach der Scopolamininjektion und dauert 10—15 Minuten an. Ist der N. lingualis durchschnitten, so braucht man viel größere Dosen, um die Wirkung des Acetylcholins zu verhindern. Es sind 30 mg Scopolamin nötig, um 0,1 mg Acetyleholin unwirksam zu machen!). Vom Adrenalin werden wir ebenfalls eine Hemmung der Acetyl- cholinwirkung erwarten. Es läßt sich tatsächlich die Wirkung von 1 mg Acetylcholin durch 0,5 mg Adrenalin aufheben. Dem Einwand, daß das Adrenalin dem Acetylcholin den Weg versperrt und es deshalb zu einer Kontraktion der Zunge nicht kommt, läßt sich dadurch !) Daß man nach der Entnervung erheblich größere Dosen des tonushemmen- den Mittels braucht, um den restlosen Antagonismus zu demonstrieren, ist bereits E. Frank?) und R. Alexander-Katz bei der Untersuchung des Nicotin-Cocain- Antagonismus am Froschmuskel aufgefallen. In dieser Arbeit ist darauf hin- gewiesen, daß Edmunds und Roth das Nämliche bereits für den Antagonismus Physostigmin-Curare an dem Beinmuskel des Hubnes dargetan haben, und daß für den Nicotin-Curareantagonismus bei Vögeln und Fröschen nach den Aus- führungen Langleys dieser zunächst auffällige Sachverhalt ebenfalls, zu gelten scheint. Die mutmaßliche Erklärung ist wohl in der gesteigerten Affinität des spezifischen Erregungsmittels zum entnervten Erfolgsorgan zu suchen. ?) Frank und Alexander-Katz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 90, 159. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 19 234 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann :' begegnen, daß ein leichtes Anschwellen der Zunge auftritt, zum Zeichen, daß das Alkaloid an den Ort seiner Wirksamkeit gelangt ist. Folgende Protokolle können die beschriebenen Verhältnise illu- strieren: Versuch 23. Hund III, Gewicht 31/, ke. 29. X1I. Durchschneidung des N. hypogl. dext. in Morphin-Äthernarkose. 21. I. 1922. 11h 10’ 0,07 Bulbocapnin. 11h 45’. Freilegung der V. jug. dext. 12h. 2 cg Morphin. 12h 10°. 2 mg Nicotin pur. intravenös. Das Heidenhainsche Phänomen tritt prompt auf. Dauer ca. 3 Minuten. 25. I. 1922. 10% 45’. 0,07 Bulbocapnpin. 11% 50°. 1 cg Morphin. Freilegung der V. jug. sin. 11" 58°. 5 mg Scopolamin intravenös. 12h 03°. Flimmern verschwindet. 12" 05°. 2 mg Nicotin pur. intravenös. Die rechte Zungenhälfte schwillt an, sonst keinerlei Veränderung im Sinne des Vulpian-Heidenhainschen Phänomens. 1 10°. 5 mg Scopolamin intravenös. 1h 16°. Flimmern verschwindet. 1% 17°. 2 mg Nicot. pur. intravenös. Bis auf das Anschwellen der rechten Zun- genhälfte keinerlei Veränderung. 2h 25°. 2 mg Nicotin pur. Sofort tritt das Phänomen auf, das nach ca. 6 Min. vollkommen abgeklungen ist. Versuch 70. Katze VII. Gewicht 1,6 kg. 28. II. Durchschneidung des N. hypogl. dext. 7. 11I. 12h 30%. 0,5 Bulbocapnin. 12h 45’. Freilegung der V. fem. sin. 1". 1 mg Acetylcholin intravenös. Vulpian-Heidenhainsches Phänomen tritt auf und dauert 4-5 Minuten. 1% 25°. 7 mg Scopolamin intravenös. 1% 30°. Fibrilläre Zuckungen der Zunge werden schwächer. 135. Img Acetylcholin. Vulpian - Heidenhainsches Phänomen tritt nicht auf. Versuch 89. Hund VIII. Gewicht 31/, kg. 7. III. Durchschneidung des N. hypogl. dext. in Morphin- Äthernarkose. 14. III. Durchschneidung des N. lingualis dext. 30. III. 6% 10. Morphin- Äthernarkose. 6" 20’. Freilegung der V. jug. dext. 6h 30°. 0,1 mg Acetylcholin. Sofort tritt das Phänomen voll ausgebildet auf, gleichzeitig Flimmern, das nach !/, Minute aufhört. 6h 55’. 0,03 g Scopolamin intravenös. Th, 01 mg Acetylcholin. 10 Sekunden Flimmern, sonst nihil. 7.05. 0,1 mg Acetylcholin. Geringes Flimmern, ganz kurze Aufkrempelung der Zunge. 7» 10°. 0,05 mg Acetylcholin. Nihil. 7h 11’. 0,15 mg Acetylcholin. Geringes Flimmern, leichte Aufkrempelung des Zungenrandes. Versuch 79. Hund 1V. Gewicht 5!/, kg. 7. II. Durchschneidung des N. hypogl. dext. in Morphin-Äthernarkose. 13. III. 11% 30°. 3 cg Morphin -+- Äther. Freilegung der V. jug. dext. v Über die „tonische‘' Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 285 12h 10. 3 mg Acetylcholin intravenös. Heidenhainsches Phänomen stark ausgeprägt. 12. 3 mg Acetylcholin und 0,5 mg Adrenalin. Leichte Anschwellung der Zunge, sonst keine Veränderung. 4. Zusammenfassung. Reseziert man einem Hunde oder einer Katze den N. hypoglossus, so ist nach 24 und auch nach 48 Stunden die Einverleibung von Acetyl- cholin (Nieotin) ohne Einwirkung auf die gelähmte Zungenhälfte, wäh- rend die Erweiterung der Zungengefäße von Anfang an sehr deutlich hervortritt. Vom 4. Tage ab ändert sich das Bild: Unmittelbar nach der langsamen intravenösen Injektion von etwa 2mg Acetylcholin beginnt die gelähmte Zungenhälfte sich vom Gaumen zu lösen, ganz wie bei schwacher Lingualisreizung, und vom 6. Tage ab ist es wochen- lang (wir verfolgten den Effekt über 2 Monate) möglich, das Vulpian- Heidenhainsche Phänomen auf humoralem Wege in starker Ausprägung zu erzielen: Die innervierte Zungenhälfte hängt schlaff herab, die ge- lähmte aber wird hart, hebt sich entgegen der Schwere, dreht sich spi- ralig um die mediane Längsachse und bleibt etwa 1 Minute in der einmal erreichten Stellung stehen. Ganz langsam läßt die tonische Contractur nach, und erst nach 3—5 Minuten ist das Phänomen voll- kommen abgeklungen. Bei der Katze wird die gelähmte rechte Zungen- hälfte hart; die Zunge weicht nach rechts ab, und die Kontraktion ist so kräftig, daß das in Halbnarkose befindliche Tier, das mit der in- nervierten Seite zu züngeln versucht, nicht imstande ist, die Zunge über die Mittellinie hinüberzuziehen. Es dauert wohl 3—5 Minuten, ehe ihr das Vorschleudern nach links wieder mühelos gelingt. Bei Hund und Katze besteht auf der denervierten Seite das oft beschriebene rhythmische Flimmern, das durch Acetylcholin für längere Zeit außer- ordentlich verstärkt wird. Durchschneidet man den N. lingualis, so wird die zur Auslösung des Zungenphänomens benötigte Dosis viel geringer. Um einen gleich- starken Erfolg zu erzielen, genügt jetzt der 10. Teil der ursprünglichen Gabe, also 0,2 mg, und noch bei 0,06 mg beginnt die Zunge anzurucken und der Rand sich umzukrempeln. Gerade diese Verstärkung der Gift- wirkung bei der Lingualisdurchschneidung lehrt zur Evidenz, daß Tonusnerv und Acetylcholin um das nämliche Substrat am Erfolgs- organ konkurrieren. Denn es ist eine allgemeine Erfahrung im Bereiche der autonom innervierten Organe, daß Aufhebung des Nerveneinflusses das elektiv mimetische Pharmakon zu weit intensiverer Auswirkung gelangen läßt. Am bekanntesten ist die erhöhte Adrenalinempfind- lichkeit glatter Muskeln nach Degeneration postganglionärer Sym- pathicusfasern. Träufelt man in ein gesundes Auge einige Tropfen einer Adrenalinlösung 1 : 1000, so ist eine Veränderung nicht zu be- 19) 286 E. Frank, M. Nothmann und H. Hirsch-Kauffmann : obachten. Ist jedoch das Ganglion cervicale supremum ausgerottet, so entsteht starke Mydriasis. Nach der gleichen Operation sprechen, wie Lichtwitz und Hirsch!) fanden, die Ohrgefäße viel intensiver auf Adrenalin an. Elliot?) hat ganz allgemein gezeigt, daß der Dilatator pupillae, die Blutgefäße des Ohres und der Därme, das Herz, die Arrectores pilorum, der Retractor penis des Hundes und die Harnklase der Katze sämtlich auf kleine Dosen von Adrenalin stärker reagieren nach Durchschneidung der post- gsanglionären Nerven (mitunter sogar auch nach Aufhebung des Sym- pathicuseinflusses durch präganglionäre Nervendurchtrennung). Für den Parasympathieus gilt wahrscheinlich Ähnliches. So hat Anderson?) gefunden, daß manche Alkaloide eine stärkere Kontraktion des Sphincter pupillae auf der Seite, auf welcher das Ciliarganglion ent- fernt ist, hervorrufen. Ferner ist es Borchers?) aufgefallen, daß der Magen gesunder Katzen nach subcutaner Pilocarpininjektion mitunter kaum eine Steigerung seiner Motilität erfährt, während nach doppel- seitiger Vagotomie der Magen mit stärksten Spasmen antwortet. Durch diese gesteigerte Wirksamkeit des elektiv mimetischen Phar- makons nach Degeneration des Nerven erklärt es sich wahrscheinlich auch, daß man unter diesen Umständen soviel größere Mengen der lähmenden Substanz braucht, um die oben beschriebene Wirkung des Pharmakons aufzuheben (vgl. S. 283). Man könnte sich etwa denken, daß nach Aufhören jedes Nerveneinflusses das gleichsinnig wirkende Pharmakon sich stärker an der Rezeptivsubstanz fixiert, so daß es schwerer verdrängt werden kann. Das den Parasympathicus lähmende Scopolamin hemmt auch die Wirkung des Acetylcholins (Nicotin). Bei durchschnittenem Lingualis sind die zur Hemmung notwendigen Mengen viel größer als bei er- haltenem Nerven. Acetylcholin mit Adrenalin zusammen injiziert löst die Kontraktion der Zunge nicht aus. Die Annahme, daß das Adre- nalin dem Acetylcholin den Weg zu seinem Wirkungsort versperrt, ist unbegründet, da deutlich an der Zunge eine Gefäßerweiterung als Zeichen der Acetylcholinwirkung auftritt. Die Nicotin- und Acetylcholinwirkungen, die hier an der Zungen- muskulatur und in weiteren Mitteilungen an anderen entnervten Mus- keln des Säugetieres beschrieben werden, sind offenbar nahe verwandt mit den schon sehr lange bekannten Nicotinwirkungen und den neuer- dings eingehend von Riesser und Neuschlosz?) studierten Acetylcholin- 1) Lichtwitz und Hirsch, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 99. 1910. 2) Elliot, The action of adrenaline. Journ. of physiol. 1905. ®) Anderson, Journ. of physiol. 1906, S. 33. %) Borchers, Bruns Beitr. z. klin. Chirurg. %2. °) Riesser und Neuschlosz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 91. 1921. Über die „tonische“ Kontraktion des quergestreiften Säugetiermuskels usw. 287 wirkungen auf die quergestreifte Muskulatur des Kaltblüters, ebenso wie mit den von Zangley entdeckten Nicotinwirkungen auf die Mus- kulatur des Vogels. Aber ein Unterschied besteht zunächst darin, daß bei Vogel und Kaltblüter die tonischen Phänomene auch bei erhaltenem motorischen Nerven zustande kommen, während seine Degeneration beim Säugetier Vorbedingung für das Gelingen des Experimentes ist. Am Schluß unserer Untersuchungen werden wir auf das in diesen Ver- hältnissen gelegene biologische Problem noch zurückkommen. ‚Der ‚tonomotorische‘‘ Nerv der Zunge ist also auf einen ‚‚cho- linophilen“ Rezeptivapparat eingestellt wie der Parasympathicus an den glatten Muskeln der Eingeweide, an der Drüsenzelle und an den Arteriolen. Die Wirkungen des tonomotorischen Nerven werden ebenso wie die der cholinempfindlichen Rezeptivsubstanz durch parasympa- thieuslähmende und durch sympathicusfördernde Substanzen aus- geschaltet. All das spricht dafür, daß der motorische Zungennerv, der in der Chorda tympani enthalten ist, dem Parasympathicus im funktionellen Sinne ebenso anzugliedern ist wie die Vasodilatatoren. Über das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. Von 0. Riesser (Greifswald) und W. Steinhausen (Frankfurt a. M.). (Aus dem Institut für animal. Physiologie, Theodor-Stern-Haus, der Universität Frankfurt a. Main.) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. August 1922.) Vor kurzem hat Riesser!) in dem Acetylcholin eine Substanz gefun- den, die eine bemerkenswerte Wirkung auf den quergestreiften Muskel auszuüben imstande ist. Das Acetylcholin, auf den Nerven ohne jede Wirkung, vermag in einer Konzentration von 1 : 100 000 auf eine um- schriebene Stelle (die Nerveneintrittsstelle) des isolierten Muskels ge- bracht den ganzen Muskel fast augenblicklich in eine starke Contrac- tur zu versetzen. Riesser ist auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich beim Acetylcholin um eine chemische Erregungscontractur handelt, wobei das Gift an der Langleyschen ‚‚re- zeptiven Substanz‘ angreift. Zur weiteren Klärung der Frage nach der Natur dieses Erregungsvorganges haben wir es unternommen, das elektrische Verhalten des Muskels bei der Acetylcholineontractur zu prüfen. Methodik. Wir machten unsere Versuche fast ausschließlich am Nervmuskelpräparat (Gastrocnemius) der Kröte. Der Muskel wurde möglichst unverletzt präpariert und frei in Luft ohne feuchte Kammer doch unter häufiger Berieselung mit Ringer- lösung untersucht. Das obere Muskelende wurde mit Glashaken an einen Muskel- hebel angehängt. Das untere Ende wurde mit einem Igelstachel an ein Korkstück befestigt, das an einem fest mit der Hebelstütze verbundenen Glasstab angebracht war. In den meisten Versuchen war dabei das obere Muskelende gleichzeitig das proximale. Nur in einigen wenigen Fällen haben wir den Muskel umgekehrt, das 1) O0. Riesser und 8. M. Neuschlosz, Physiologische und kolloidehemische Untersuchungen über den Mechanismus der durch Gifte bewirkten Contractuı quergestreifter Muskeln. I. Über die durch Acetylcholin bewirkte Erregungs- contractur des Froschmuskels und ihre antagonistische Beeinflussung durch Atropin, Novocain und Curare. Arch. f. exp. Patuol. u. Pharmakol. 91, 342—365. 1921. O.Riesser u. W. Steinhausen : Über das elektrische Verhalten d. Muskels usw. 289 distale Ende nach oben, an dem Muskelhebel befestigt. Es wird im folgenden immer besonders erwähnt werden, wenn die letztere Anordnung gewählt wurde. Der Schreibarm des Muskelhebels trug einen rechtwinklig nach oben abgebogenen langen Stift, dessen Schatten bei der photographischen Registrierung auf den wagrecht liegenden Spalt der photographischen Einrichtung fiel und so dje Muskel- bewegung auf den Film übertrug. Die zu untersuchenden Potentialdifferenzen des Muskels wurden mit unpolari- sierbaren Zink-Zinksulfatelektroden abgeleitet. Die Röhrchen, in denen das Zink- sulfat sich befand, waren mit Ringergelatine unten verschlossen. Für die obere, am beweglichen Muskelende befindliche Ableitungselektrode war das Zinksulfat- röhrchen mit einem Ringerröhrchen armiert und mit Wollfäden versehen, die um das obere Muskelende geschlungen wurden. Zur Ableitung der unteren Muskel- hälfte wurde das untere Muskelende in ein Gefäß mit Ringerlösung versenkt, in welches das zweite Zinksulfatgelatineröhrchen eintauchte. Von den beiden, vor jedem Versuch frisch amalgamierten Zinkstäben der Elektroden wurde zum Meß- instrument abgeleitet. Die Elektroden waren praktisch stromlos, wie vor den Versuchen geprüft wurde. Meßinstrument. Da eventuell oszillierende Aktionsströme zu registrieren waren, kam als Meß- instrument nur das Saitengalvanometer in Betracht. Es stand uns das Saiten- galvanometer des Instituts zur Verfügung, ein Instrument von Edelmann, großes Modell. Der Magnetstrom betrug 2 Amp. Die Platinsaite hatte einen Durchmesser von 2 #4 und einen Widerstand von 6700 Ohm. Die Saitenspannung war möglichst gering, um höchste Empfindlichkeit zu erzielen, jedoch haben wir auch Versuche mit stärkerer Saitenspannung gemacht, um Fehler, die durch die Eigenschwingungen der Saite bedingt sind, nach Mög- lichkeit zu eliminieren. Die Saitenspannung, die wir bei den Hauptversuchen an- wandten, war so bemessen, daß 1 mm Ausschlag auf dem 80 em vom Projektions- okular entfernten Schirm (Zeiss Apochromat 4 mm, Projektionsokular Nr. 1) durch eine angelegte Spannung von 1,7 - 10 °° Volt hervorgerufen wurde. Das entspricht einer Stromempfindlichkeit von 2,510 ” Amp/mm Skalenausschlag. Die Verbindungen der Elektroden mit dem Saitengalvanometer waren stets in der Weise hergestellt, daß ein Ausschlag der Saite nach oben (vgl. die folgenden Abbildungen) eine Negatinvität an der unteren Ableitungselektrode anzeigt. Zur Zeitschreibung war vor dem Spalt der photographischen Trommel eine Jacquetsche Uhr aufgestellt, deren Hebel mitphotographiert wurde und !/, Sek. markierte. Der Verlauf eines einzelnen Versuches war somit der folgende: Nach Ein- spannung des Muskels und Anlegen der Elektroden wurd. zuerst nach Einschalten des Magnetstromes die Ruhelage der Saite an der neben dem Spalt angebrachten Skala abgelesen und notiert; sodann wurde die Verbindung zwischen den Muskel- elektroden und dem Galvanometer hergestellt und die Größe des Ruhestromes ermittelt. Die hierbei auftretende Saitenablenkung betrug dabei niemals mehr als 1—2 cm; die nach außen ableitbare Spannung des Ruhestroms erreichte somit höchstens einige Zehntel Millivolt, eine Kompensation des Ruhestroms haben wir nie vorzunehmen brauchen, vielmehr wurde durch Feinverschiebung des Projek- tionsmikroskopes die Saite auf die Mitte des Spaltes eingestellt. Dann wurde die photographische Registriervorrichtung in Gang gesetzt und der Muskel an der Nerveneintrittsstelle mit einem an einem isolierenden Glasstab steckenden Pinsel, der mit Ringer-Acetylcholin (1/100000) befeuchtet war, so vorsichtig wie möglich berührt. Wenn die richtige Stelle getroffen war, dann zog der Muskel sich zu- sammen und die Saite geriet in Bewegung. 23290 Ö. Riesser und W. Steinhausen: Versuchsergebnisse. In der Abb. 1 ist eine Aufnahme wiedergegeben, die die Acetylcholin- wirkung zeigt. Die obere Kurve (Mg) ist die Kurve des Muskelhebels, die mittlere Kurve der Saitenschatten und die untere ist die Zeitschrei- Abb. 1a. re eeseeEINTLRLEEERTETNENN Q > Abb. 1b. Abb. Id. bung (!/, Sekunde). Bei A ist die Nerveneintrittsstelle des Muskels mit einem durch Ringeracetylcholin durchfeuchteten Pinsel betupft worden. Man sieht, wie der Muskel sich sofort zusammenzieht und während der ganzen Zeit der Aufnahme, etwa 1!/, Minute, in der Con- tracturstellung verharrt. Über das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. 291 Das Elektrogramm zeigt dabei eine starke und sehr langsam ver- laufende Potentialschwankung an: Die Bewegung der Saite (Zg) setzt fast eine halbe Sekunde vor der Muskelbewegung ein, und zwar geht die Saite erst ein klein wenig nach oben, dann ausgiebig nach unten, überschreitet die Zeitlinie und weiter den Filmrand, um erst nach einiger Zeit wieder zurückzukehren. Die anfängliche Ruhelage erreicht sie dabei nicht wieder. Das Elektrogramm hat große Ähnlichkeit mit den Potentialschwan- kungen, die man bei der Kontraktion glatter Muskeln ableiten kann!). Auch dort kommen solche langandauernden, unter Umständen ein- phasischen Ströme zur Beobachtung. Man könnte daraus auf die Wesensverwandtschaft der beiden Vorgänge schließen. Bevor wir aber die Acetyleholincontractur beim quergestreiften Muskel für einen der Kontraktion glatter Muskeln analogen Vorgang erklären, wollen wir die verschiedenen Möglichkeiten für die Erklärung der beobach- teten elektrischen Erscheinungen besprechen. Zu diesem Zwecke wollen wir die Erscheinungen selbst etwas genauer analysieren: Daserste, worauf wir aufmerksam machen wollen, ist die Tatsache, daß keine Oszillationen auftreten. Typische, oszillierende Aktionsströme haben wir bei dem Acetylcholin niemals erhalten. Wohl weist das Elektrogramm an manchen Stellen kleine Zacken auf, die aber mit der Acetylcholinwirkung offenbar nichts zu tun haben und die wir auf die allgemeine Saitenunruhe beziehen möchten. Wenn wirklich Oszillationen vorhanden sind, dann sind sie auf jeden Fall so gering, daß sie gegen die langsamen, langandauernden und großen Ausschläge zu vernachlässigen sind. Daß die Saite Oszillationen, wenn sie in nennenswerter Stärke vorhanden gewesen wären, hätte wieder- geben müssen, zeigt die Abb. 2, die von einem unter Natriumoxalat- wirkung stehenden Muskel herrührt. Man sieht deutlich die Oszilla- tionen sowohl des Muskelhebels, wie der Saite. Auch bei stärkerer Saitenspannung, wobei die Saite weniger emp- findlich wird, aber eine größere Einstellungsgeschwindigkeit besitzt, also für die Aufzeichnung von Schwingungen geeigneter ist, zeigten sich niemals oszillierende Aktionsströme. Die schon erwähnten kleinen Zacken in den Kurven rührten augenscheinlich von äußeren Störungen her, die bei der hohen Empfindlichkeit, auf die die Saite eingestellt war, erfahrungsgemäß sehr schwer ganz ausgeschaltet werden können. (Induktionswirkungen fremder Leitungen, von Röntgenstationen usw. und mechanische Erschütterungen.) Wir müssen deshalb annehmen, daß die chemische Contractur des Muskels nach Acetylcholin im gewöhnlichen Sinne elektrisch oszilla- !) Vgl. z.B. H. H. Funke, Arch. neerland. d. physiol. III. und A. v. T'schermak, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 165. 1919. 292 O. Riesser und W. Steinhausen: tionsfrei vor sich geht. Auf die Bedeutung dieses Befundes werden wir später noch genauer eingehen. Die Größe der beobachteten, langsam einsetzenden Potentialdiffe- renzen beträgt maximal etwa ein Millivolt. Die Richtung des Stromes ist derart, daß im ersten Moment das obere proximale Muskelende negativ wird, während kurz darauf und weiterhin während der ganzen Dauer der Contractur die untere Hälfte des Muskels stark negativ er- scheint (bezogen, wie stets, auf die Richtung des Stromes im äußeren Abb. 2. Schließungsbogen). Die erste kurze Negativität am proximalen Muskel- ende möchten wir als ein Kunstprodukt ansehen, einmal weil sie nicht in jedem Fall auftrat und zweitens weil sie auch zur Beobachtung kam, wenn man statt mit Acetylcholin mit einfacher Ringerlösung tupfte. Diese ersten, oft unregelmäßigen Saitenausschläge fallen zeitlich mit der Berührung des Muskels durch den Pinsel zusammen. Sie müssen also durch irgendwelche zufälligen Nebenschlüsse bzw. Isolationsfehler bei der Berührung zustande kommen. Wir wollen uns deshalb nur mit der zweiten Phase der Negativität am unteren Muskelende, die unab- hängig von der Berührung ist, beschäftigen. Diskussion des Versuchsergebnisses. Die Erklärung des Auftretens der Negativität an der unteren Ab- leitungsstelle während der Acetylcholincontraetur führt uns mitten hinein in das zur Zeit so aktuelle Thema der Muskelaktion und ihres elektrischen Äquivalents. Chemischer Verletzungsstrom. Als erstes wollen wir die Frage erledigen, ob es sich hier um einen chemischen Verletzungssirom handeln kann, was auf den ersten Blick Uber das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von ÄAcetylcholin. 293 wohl als das wahrscheinlichste erscheinen könnte. Wir wissen ja be- sonders aus den Versuchen von Henzet), daß viele chemische Substanzen (Coffein, Veratrin, Strychnin, Nicotin, auch Cholin hat Henze wirk- sam gefunden) am unverletzten Muskel einen Ruhestrom erzeugen, dessen Stärke nach Straub?) ein Maß für die Giftigkeit einer Substanz sein kann. Bekannt sind ja auch die Arbeiten von Höber), in denen die Veränderung des Ruhestroms durch Salze verschiedener Ionen mit der Beeinflussung kolloidchemischer Reaktionen derselben Salze ver- glichen wird und aus der Parallelität beider Vorgänge auf die kolloid- chemische Natur der biologischen Prozesse geschlossen wird. Wir würden also nur anzunehmen haben, daß das Acetylcholin als Gift wirkend zu einem Ruhestrom Veranlassung gibt. Wir könnten dann die beobachtete, langandauernde Potentialdifferenz ganz außer Beziehung setzen zu der Contractur selber. Damit wäre ein Anknüp- fung an bekannte Tatsachen gegeben, aber das Phänomen würde uns nicht weiter interessieren. Diese einfache Erklärung der elektrischen Erscheinungen am Acetyl- cholin-Muskel ist aber nicht angängig. Es stimmt nämlich eines nicht, und das ist die Stromrichtung. Die Stromrichtung ist gerade umgekehrt, wie sie es sein müßte, wenn die beobachteten Potentialdifferenzen auf Verletzungsströme zurückgeführt werden sollten. Der Muskel ist an der Nerveneintrittsstelle, also am proximalen Ende, das bei der in Rede stehenden Anordnung an der oberen Ableitungselektrode sich befand, mit Acetylcholin betupft worden. Dabei ist diese Elektrode positiv geworden und während der ganzen Dauer der Contractur positiv ge- blieben, also gerade das Gegenteil von dem, was man bei einem Verlet- zungsstrom erwarten sollte. Ein Strom im Sinne der Richtung des Verletzungsstromes trat, wie wir uns durch besondere Versuche überzeugt haben, erst bei stärke- ren Konzentrationen auf. Deformationsströme, Verschiebungsströme usw. Die Ursache der beobachteten Potentialdifferenzen muß also anders- wo gesucht werden. Man könnte vielleicht an elektrische Erscheinungen denken, wie sie bei verschiebbaren Elektroden öfters auftreten. Beson- ders bei Kompensation eines etwa vorhandenen Ruhestromes durch Verschiebung der Elektroden und dadurch bedingte Veränderungen des Ruhestromes können Ströme entstehen, die unter Umständen zu er- heblicher Stärke anwachsen können. Um solche Verschiebungsströme zu vermeiden, haben wir stets ohne Kompensation gearbeitet und !) Henze, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 92%, 459. 1902. ?) W. Straub, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 48. 1902. 2) R. Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 120, 492—516. 1907 u. a. 294 OÖ. Riesser und W. Steinhausen: stets die Stärke und Richtung des ursprünglichen Ruhestromes notiert und festgestellt, daß es sich bei den von uns beschriebenen elektrischen Wirkungen des Acetylcholins um wirklich neu auftretende Poten- tialdifferenzen und nicht um das Verschwinden eines Ruhestromes handelt. Um ganz sicher za gehen, haben wir den Muskel auch bei umge- kehrter Lage (Achillessehne nach oben in den Muskelhebel eingespannt) untersucht. Dann war auch die Richtung des durch das Acetylcholin hervorgerufenen Stromes umgekehrt, ein Beweis dafür, daß die ab- geleiteten Ströme im Muskel selbst entstehen. Die Abb. 3 gibt eine Aufnahme bei umgekehrtem Muskel wieder. Abb. 3. Die Annahme, daß die Ströme erst sekundär durch die Deformation des Muskels entstanden sein könnten, eine Auffassung, wie sie für manche elektrischen Erscheinungen neuerdings wieder von Meyer!) propagiert wird, kommt für den vorliegenden Fall wohl kaum in Betracht. Die Frage der Deformationsströme ist zur Zeit noch zu umstritten), als daß wir sie zur Erklärung heranziehen könnten. Die elektrischen Erscheinungen bei der Acetylcholincontractur als Zeichen der Erregung. Die bis jetzt besprochenen Ursachen für das Auftreten von Poten- tialdifferenzen an lebenden Geweben haben für die elektrischen Erschei- 1) J. de Meyer, Compt. rend. biol. 83, 301—303. 1920; zit. nach Berichte der Physiol. 1, 25. 1920. 2) Vgl. Nagel, Handb. 4, 532. 1909. Uber das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. 295 nungen bei der Acetylcholincontractur keine Erklärung abgegeben. Da andererseits die Acetylcholincontractur zweifellos eine Erregungs- contractur ist, wollen wir die Frage erörtern, ob auch die elektrischen Erscheinungen bei der Acetylcholincontractur als Erregungserschei- nungen gedeutet werden können. Unserer Meinung nach ist das der Fall, wenn man auch in der Deutung der elektrischen Erscheinungen an lebenden Geweben nicht vorsichtig genug sein kann. Zuerst müssen wir definieren, was wir unter einer Erregungscon- tractur zu verstehen haben. Nach Bethe!) unterscheidet man solche Substanzen, die direkt an den contractilen Teilchen angreifen ohne Erregungserscheinungen in den übrigen Muskelteilen, die nicht direkt mit der chemischen Substanz in Berührung stehen, und zweitens che- mische Stoffe, die erst durch Vermittlung eines besonderen Erregungs- systemes indirekt die contractilen Teilchen zur Kontraktion veranlassen. Welcher Art dieses Erregungssystem ist, bleibt für unsere Betrachtung außer Diskussion. Eine Erregungscontractur wäre z. B. ein Tetanus des Muskels in- folge elektrischer Reizung vom Nerven aus, während andererseits die Chloroformcontractur als örtliche Contractur und ohne Erregung ab- laufend angesehen wird. Wenn wir die Acetylcholincontractur in diesem Sinne als Erregungs- contractur auffassen, können wir fragen, welche Potentialdifferenzen wir dann zu erwarten haben. Nach Analogie mit anderen Erregungs- erscheinungen würden wir von vornherein das Auftreten von oszillieren- den Aktionsströmen für das wahrscheinlichste halten. Gerade in letzter Zeit?) ist ja aus dem Auftreten solcher oszillierender Aktionsströme auf die Erregung bei gewissen abnormen Contracturen (Katatonie usw.) geschlossen worden. Statt dessen finden wir einen Dauerstrom, der keinerlei erhebliche Schwankungen zeigt. Es liegt nun aber unserer Meinung nach keine Veranlassung vor, aus dem Fehlen der Oszillationen auf das Fehlen einer Erregung bei der Acetylcholincontractur zu schließen. Gibt doch auch die spontane Dauerverkürzung glatter Muskeln, die doch sicher eine Erregungs- contractur ist, einen oszillationsfreien Aktionsstrom. Wir könnten natürlich annehmen, daß die infolge der chemischen Rei- zung etwa auftretenden Oszillationen so rasch verlaufen, daß sie auch vom Saitengalvanometer nicht mehr aufgelöst werden können, oder daß sie sich aus einzelnen Komponenten zusammensetzen, die miteinander inter- ferieren. Es sind dann zwei Fälle denkbar: Erstens die Aktionsströme sind 1) A. Bethe, M. Fraenkel und J. Wilmers, Die chemische Contractur des narkotisierten Muskels im Vergleich zu der des normalen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 45—76. 1922. ?) Z. B. E. Rehn, Elektrophysiologie krankhaft veränderter menschlicher Muskeln. Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 162, 155—167. 1921. 296 OÖ. Riesser und W. Steinhausen: symmetrisch. Dann wird auch bei frequenter Reizung und relativ dazu trägem Instrument niemals eine Gleichstromkomponente auftreten können. Die wirklich beobachtete Potentialdifferenz hätte mit den Aktionsströmen nichts zu tun und wir müßten dann uns weiter nach einer Ursache für ihr Auftreten umsehen. Oder aber die Aktionsströme sind unsymmetrisch,; dann würde bei frequenter Reizung, wie wir sie uns zunächst einmal in der Acetyl- cholincontractur als vorliegend denken wollen, bei Ableitung zu einem relativ trägen Instrument, und als solche könnten wir alle uns bis jetzt für solche Messungen zur Verfügung stehenden Instrumente ansehen, eine Gleichstromkomponente resultieren, wie wir sie bei der Acetyl- cholincontractur finden. Die Ursache dieser Unsymmetrie der Aktionsströme sieht Hermann!) in der dekrementiellen Natur der Erregungswelle und er hat auch eine Theorie der am Gastrocnemius zu beobachtenden Potentialdifferenzen aufgestellt?). Ohne auf die Einzelheiten dieser Theorie näher ein- zugehen, wollen wir nur prüfen, ob die bei der Acetylcholincontractur auftretende Potentialdifferenz mit diesen bei der Erregung des Muskels ableitbaren Aktionsströmen in Zusammenhang gebracht werden kann. Wir machen dabei die Annahme, daß die Reizfrequenz zu groß ist, um vom Saitengalvanometer noch aufgelöst zu werden. Wenn wir die in der Literatur sich findenden Arbeiten über die bei frequenter Reizung vom Gastrocnemius ableitbaren Potentialdifferenzen prüfen, so finden wir nur sehr spärliche und zum Teil sich widersprechende Angaben. Du Bois-Reymond?), der den Strom des Gastrocne- mius in derselben Weise ableitete, wie wir es getan haben, schreibt darüber: ‚‚Tetanisiert man den Nerven, so sieht man in allen drei Fällen!) einen Ausschlag in absteigendem Sinne erfolgen.‘ Das proximale Ende des Gastrocnemius würde demnach negativ erscheinen, das distale positiv. Hermann) hat diese Angabe übernommen und sie als eine wei- tere Stütze seiner Alterationstheorie benutzt. Andererseits ergibt sich z. B. für das Stromzeitintegral bei derselben Anordnung und bei indi- rekter tetanischer Reizung aus einer von Hermann mit dem Rheotom aufgenommenen Aktionsstromkurve ein aufsteigender Strom®). Wenn tatsächlich bei indirekter Reizung des Gastrocnemius, und als solche wollen wir im Augenblick die Acetylcholinwirkung ansehen, stets ein absteigender Strom zustande käme, wie Du Bois- Reymond angibt, so wäre ein solcher Strom bei der angewandten Applikations- !) L. Hermann, Handb. 1, 217. 1879. 2)0a.220.07 8.213: ») E. du Bois- Reymond, Untersuchungen %, 2, 143. 1859. #) Bezieht sich auf das Vorhandensein und die Richtung eines Ruhestromes. 5) L. Hermann, Handb. 1, 1, 214. 1879. 6) L. Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16, 241. 1878. (Versuch 5.) Über das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. 297 art des Acetylcholins von einem Verletzungsstrom gar nicht zu unter- scheiden und wir könnten die Beobachtung der elektrischen Erschei- nungen zur Entscheidung der Frage, ob Erregung oder chemische Verletzung vorliegt, gar nicht verwenden. Denn der Verletzungsstrom, der durch chemische Einwirkung des Acetylcholins auf die Nerven- eintrittsstelle erzeugt würde, müßte ja normalerweise auch absteigend sein. Da die Beobachtung der Richtung des resultierenden Stromes für unsere Untersuchung von wesentlicher Bedeutung ist, haben wir die Versuche von Du Bois- Reymond wiederholt und dabei festgestellt, daß die Richtung des resultierenden Stromes nicht so konstant ist, wie man aus den Angaben in der Literatur folgern würde, und wie es für die Alterationstheorie wünschenswert erscheinen dürfte. In den meisten Fällen fanden wir bei Untersuchung mit einem Drehspulinstrument einen aufsteigenden Strom. Wie diese Befunde zu erklären sind, muß noch aufgeklärt werden. Die Frage ist um dessentwillen noch von be- sonderem Interesse, weil die Alterationstheorie neuerdings wieder von Henriques und Lindhard!) scharf angegriffen wurde. Diese Autoren haben nämlich die weittragende Hypothese aufgestellt und auch zu beweisen versucht, daß der Aktionsstrom des Muskels gar nichts mit den Kontraktionswellen zu tun habe, sondern durch die Nervenend- platten bedingt sei. Die Nervenendplatten, räumlich dieselben Stellen, sollen zeitlich nacheinander Potentialdifferenzen entgegen- gesetzter Richtung erzeugen, wodurch doppelphasische Ströme ent- stehen. Die entgegengesetzten Potentialschwankungen sollen durch zwei nacheinander ablaufende antagonistische Prozesse zustande kommen. Ein einphasischer Aktionsstrom könnte dann zur Beobachtung kommen, wenn einer dieser Prozesse unterdrückt würde. Man könnte sich z. B., um unsere einphasischen Kurven zu erklären, vorstellen, daß zwar bei der Acetylcholinwirkung die Verkürzungssubstanz ge- bildet wird, wobei eine Potentialdifferenz in einer bestimmten Richtung zutage tritt, daß aber diese Verkürzungssubstanz nicht wieder be- seitigt wird, sondern liegenbleibt. Der Restitutionsprozeß und damit die zweite Phase des Aktionsstromes würde also fortfallen. Diese Vor- stellung würde durchaus dem entsprechen, was wir bei der tonischen Verkürzung glatter Muskeln annehmen. So einfach und ansprechend die Hypothese von Henriques und Lindhard auch ist, so bedarf sie noch der eingehendsten Prüfung. Eine Untersuchung in dieser Richtung, die der eine von uns begonnen hat, ist noch nicht abgeschlossen. 1) V. Henriques und J. Lindhard, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 1—17. 1920. 298 OÖ. Riesser und W. Steinhausen: Für das Vorliegende ist aber eine Prüfung der theoretischen Grund- lagen auch gar nicht nötig. Es kommt uns ja nur auf einen Vergleich der Wirkung des Acetylcholins mit anderen Erregungsformen an, und so haben wir uns auf sehr einfache Weise helfen können. Wir haben vor jedem Versuch mit Acetyleholin einen Muskeltetanus durch indirekte Reizung hervorgerufen, und in beiden Fällen die auftretenden Poten- tialdifferenzen registriert. Beide Male wurde das Saitengalvanometer benutzt, am Instrument und an der gesamten Aufstellung wurde wäh- rend der beiden Aufnahmen nichts geändert. Dabei wurde natürlich auch geprüft, ob etwa Stromschleifen vom Reizinduktorium auf das Saitengalvanometer übergehen konnten, was nicht der Fall war. Stellt man sich nun, wie oben genauer auseinandergesetzt wurde, vor, daß die Wirkung des Acetylcholins ebenso wie der indirekte Tetanus eine Erregung darstellt, nur mit dem Unterschied, daß die Oszillationen fortfallen, wobei es offenbar gleichgültig ist, ob infolge von zu hoher Frequenz oder infolge Ausfalls der gesamten oszillato- rischen Komponenten und wobei es außerdem auf die Theorie ob Er- regungswellen oder Nervenendplatten nicht ankommt, dann wird bei der Acetylcholincontractur nur die Gleichstromkomponente zum Vor- schein kommen, die in Richtung und Stärke mit der bei tetanischer Reizung erscheinenden übereinstimmen muß. Das haben wir in allen Fällen bestätigt gefunden. Die Abb. 4 gibt aus der großen Zahl von Versuchen, die wir angestellt haben, ein Bei- spiel. Teil A ist die Aufnahme der Aktionsströme bei indirekter Rei- zung, Teil B ist die Aufnahme bei Einwirkung von Acetyleholin. Wie man sieht, ist diejenige Phase der Aktionsströme die stärkere, in deren Über das elektrische Verhalten des Muskels bei Einwirkung von Acetylcholin. 299 Richtung nachher beim Betupfen mit Acetylcholin der abgeleitete Dauerstrom floß. Wir können deshalb aus den Versuchen schließen, daß das elektrische Verhalten des Muskels bei der Acetyleholincontrac- tur wenigstens nicht gegen die Annahme einer Erregungscontractur spricht. Zusammenfassung. l. Bei der Acetylcholineontractur kommen oszillierende Aktions- ströme nicht zur Beobachtung. 2. Der auftretende Dauerstrom läßt sich als Ausdruck einer Er- regung deuten. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 20 Der Mensch als Kraftmaschine. Von Dr. K. Schreber (Aachen). Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. Juli 1922.) I. Die Hilfsmaschinen des menschlichen Leibes. Schon Descartes hat den Menschen als eine sehr verwickelte Ma- schine bezeichnet. Am schroffsten hat Lamettrie dieses Wortbild auf den Menschen angewendet, und jetzt kann es nicht mehr aus dem Wort- schatz der Wissenschaft verdrängt werden. Von Zeit zu Zeit muß aber nachgeprüft werden, wieweit es bei dem augenblicklichen Stand der Kenntnisse vom Menschen und von der Maschine seine Berechtigung hat. Um eine solche Prüfung vorzunehmen, müssen zunächst die beiden im Bilde miteinander verglichenen Dinge eingehend beschrieben wer- den. Ich beginne mit der Beschreibung der von Menschenhand ge- bauten Maschinen. 1. Die künstliche Maschine. Gerade wie der Mensch muß auch die Dampfmaschine, damit sie ihren Zweck erfüllen kann, Nahrungs- mittel, die Brennstoffe, aufnehmen. Die Brennstoffe bestehen aus zwei verschiedenen Stoffen, der Kohle und dem Sauerstoff, die gleichzeitig zugeführt werden müssen. Der Sauerstoff steht in der Luft in so großer Menge und in so bequem zugänglicher Weise zur Verfügung, daß man ihn im allgemeinen gar nicht als Bestandteil der Brennstoffe erwähnt. Dennoch muß ich, um den Vergleich des Menschen mit einer Maschine durchführen zu können, mehrfach auf ihn zurückkommen, beginne aber mit der Kohle. Die auf den Zechen gebrochene und aufbereitete Kohle wird zum verbrauchenden Werk geschafft und dort in den Bunkern aufbewahrt. Aus ihnen kommt sie auf das Förderband, welches sie den einzelnen Feuerstellen zuführt. Hier mischt sie sich auf dem Rost mit der Luft, welche im allgemeinen durch den Schornsteinzug, vielfach aber auch durch einen besonderen Ventilator, unter den Rost gefördert wird. Auf dem Rost verwandelt sich die chemische Energie der Kohle einerseits und des Sauerstoffes andererseits in Wärme, welche durch die Kesselwand hindurch an das Wasser übergeht und dieses verdampft. K. Schreber: Der Mensch als Kraftmaschine. 301 In neuzeitlichen Anlagen befindet sich auf dem Wege vom Rost bis zum Zylinder vielfach ein Speicher, Rateau-Dampfspeicher, osmotischer Energiespeicher oder dgl., welcher die Aufgabe hat, den auf dem Rost in irgendwelcher Abhängigkeit von der Zeit erzeugten Wärme- strom dem in irgendwelcher anderen Abhängigkeit von der Zeit stehen- den Arbeitsbedarf anzupassen. Ist im Zylinder die nach den Gesetzen der Wärmelehre in Arbeit verwandelbare Wärme, soweit es die Nicht- umkehrbarkeit der wirklichen Vorgänge zuläßt, in Arbeit verwandelt, so wird die nicht verwandelte Wärme im Verflüssiger an die Atmo- sphäre abgegeben, indem der Dampf wieder zu Wasser verflüssigt wird. Das so entstehende Wasser wird dem Kessel wieder zugespeist und durchläuft somit einen geschlossenen Kreislauf, im Gegensatz zu den beiden Teilen des Brennstoffes, die als wasserstoffhaltige Kohle und Sauerstoff in den Vorgang eintreten und ihn als gasiges Wasser und Kohlendioxyd verlassen. Abgesehen von den Maschinen, welche auf der Zeche zur Aufberei- tung der Kohle dienen, gehört also zu jeder großen Dampfmaschine noch: 1. eine Hilfsmaschine, welche das die Kohlen verteilende Förder- band bewegt und die mechanische Rostbeschickung bedient; 2. eine solche, welche das Wasser aus dem Verflüssiger herauspumpt und in den Kessel speist; aus Gründen der räumlichen Anordnung zerfällt diese häufig in zwei Pumpen; und 3. gelegentlich noch eine solche, welche die Verbrennungsluft unter den Rost preßt oder die Verbren- nungsgase aus dem Fuchs absaugt. 2. Der Gang der Nahrung durch den Leib. Wir wollen hiermit den Menschen vergleichen und prüfen, ob auch er ähnliche Hilfsmaschinen zur Aufrechterhaltung des Betriebes, d. h. des Lebens nötig hat. Ich fange wieder mit den Nahrungsmitteln an. Auch diese müssen wie die Kohle der Kraftmaschine aufbereitet werden; man nennt das hier zubereiten. Die Lebensmittel werden für den Menschen gesäubert und gekocht. Die aufgetragenen Speisen werden weiterhin mit Messer und Gabel aufbereitet und schließlich mit den Zähnen. Alles dieses sind rein mechanische Arbeiten, welche den Arbeiten beim Aufbereiten der Kohle genau entsprechen. Zu diesen mechanischen Aufbereitungsverfahren bringt im Munde der aus den Speicheldrüsen durch osmotische Arbeit abgeschiedene Saft ein chemisches Aufbereitungsverfahren hinzu. In der Maschinen- technik haben wir ein chemisches Aufbereitungsverfahren in den Kraft- gasöfen, welche aus fester Kohle das für den Betrieb der Gasmaschinen nötige Kraftgas erzeugen. Bei den Dampfmaschinen gibt es kein chemisches Aufbereitungsverfahren. Im Magen und Darm werden die Speisen endgültig aufbereitet und in Nährmittel verwandelt. Die letzten unbrauchbaren Bestandteile 20* 302 K. Schreber: werden hier abgesondert und nach außen abgeschieden. Ebenso schei- den Nieren für den Körper nicht mehr Brauchbares ab. Beide Aus- scheidungen zusammen entsprechen der Asche der Dampfkesselfeue- rung. Die Asche soll möglichst kohlefrei sein; die Abscheidungen aus dem Körper enthalten stets noch Oxydierbares. Die im Magen hergestellten Nährmittel bewegen sich durch Magen- und Darmwand hindurch in das Blut hinein, welches, wie das Förder- band im Kesselhaus die Kohle, so die Nährmittel dorthin schafft, wo sie gebraucht werden. Im Kesselhaus ist die Zahl der meist recht sroßen Feuerstellen klein, im Menschenleib ist es umgekehrt. Des- halb genügt dort ein einfaches Band, während hier ein vielverzweigtes Adernetz nötig ist. Ferner fördert das Förderband im Kesselhaus nur den einen Brennstoff, die Kohle; das Blut dagegen ist auch mit dem anderen Brennstoff, dem Sauerstoff, beladen. Bei der Dampfmaschine wird die Luft im allgemeinen durch den Schornsteinzug zur Feuerstelle gefördert, nur in seltenen Fällen durch einen besonderen Ventilator. Der Mensch hat stets eine besondere Vorrichtung zum Herbeischaffen der Luft, die Lunge. Deren Aufgabe geht aber noch weiter: Sie hat erstens den Sauerstoff aus der Luft auszusondern und in das Blut hineinzudrücken und zweitens das Kohlen- dioxyd aus dem Blut abzuscheiden und in die Atmosphäre zu schaffen. Hier haben wir eine Hilfsmaschine im Leib, wie sie in diesem Ausmaße bei der Dampfmaschine nicht vorhanden ist: Es kommt die Diosmose hinzu. Die Feuerzüge des Dampfkessels lassen sich weit genug bauen, daß die Feuergase den Stickstoff mit sich schleppen dürfen; das Blut darf mit solchem Ballast nicht beladen sein. Deshalb ist die Lungen- wandung als Aufbereitungsanstalt für die Luft eingerichtet. Auf dem Rost entstehen die Endergebnisse der chemischen Um- setzung ohne Zwischenstufen, wenigstens haben diese weder räumlich noch zeitlich eine merkliche Ausdehnung. Im Leib ist das sicherlich nicht der Fall, sondern es entstehen noch viele Zwischenerzeugnisse. Zum Teil haben diese, wie z. B. das Glykogen, die Aufgabe von Speicher- stoffen, die den oben erwähnten Speichern bei Dampfmaschinen entsprechen. Das Endergebnis ist aber auch hier wie dort Wasser .und Kohlendioxyd, bis auf Harnstoff u. ä., die nicht vollständig oxydieren. 3. Die Hilfsmaschinen des menschlichen Körpers. Die Verbrauchs- stellen der Nährmittel im Menschenleib können wir nach zwei Gesichts- punkten ordnen. Einmal können wir einfach die großen, sich von ihrer ‚Nachbarschaft abhebenden Teile betrachten, welche als selbständige Hilfsmaschinen anzusehen sind, ähnlich wie wir bei der Dampfmaschine Hilfsmaschinen genannt haben. Dort hatten wir Antriebsmaschinen für das Förderband, für die Speisepumpe usw. hier haben wir Zähne, Herz, Lunge, usw. Der Mensch als Kraftmaschine. 303 Der Vergleich dieser Hilfsmaschinen der Lebewesen mit denen der Dampfmaschine ist so einfach, daß man ihn wirklich nicht ausführ- lich auseinanderzusetzen nötig hat. Das Herz ist die Antriebsma- schine für das Förderband im Leib, für das Blut. Da dieses Förderband nicht wie das im Kesselhaus ein wenn auch biegsamer, so doch Gestalt besitzender Körper, sondern eine Flüssigkeit ist, so ist diese Antriebs- maschine als Pumpe ausgebildet. Die Lunge ist nicht nur eine Pumpe wie der Ventilator der Dampfmaschine bei künstlichem Zug, sondern gleichzeitig ein Dialysator usw. Von diesen Maschinen hat jede eine ganz bestimmte Aufgabe, der sie angepaßt ist; sie leistet eine ganz bestimmte Arbeit und bedarf dazu einer ganz bestimmten Energiemenge. Der Maschineningenieur würde hier den Umriß eines Menschen zeichnen, in ihm an den einzelnen Stellen, wo derartige Hilfsmaschinen stehen, deren Leistungs- und Nahrungsbedarf hinschreiben und so ein anschauliches Bild vom Men- schen als Maschine geben. Aber gerade auf diesem Gebiet haben die Physiologen gar nicht nach der Art der Maschineningenieure gearbeitet, so daß dieser Plan undurchführbar ist. Das Untersuchen dieser Hilfsmaschinen ist grundsätzlich gar nicht so schwer. Denken wir z. B. an das Herz. Dieses ist nichts als eine Flüssigkeitspumpe. Eine solche zu untersuchen, gilt als eine der ein- fachsten Aufgaben des Maschinenlaboratoriums. Es wird in die Druck- und die Saugleitung je ein Indicator gesetzt, die Diagramme genommen und die geförderte Wassermenge gemessen. Damit ist die Messung der ge- leisteten Arbeit erledigt. Nun gebe ich gern zu, daß es nicht so leicht ist, in die Aorta einen Indicator einzusetzen; aber man hat derartiges schon versucht, z. B. Frank gerade am Herzen, nur hat man das Ver- fahren nicht auf alle Organe ausgedehnt; man hat die Wichtigkeit der Aufgabe nicht so eingeschätzt wie die Masch’neningenieure es von ihrem Standpunkt aus tun. Die Versuche, die zur Leistung dieser Arbeit nötige Energie zu messen, haben selbstverständlich ebenfalls ihre Schwierigkeit, aber unausführ- bar sind sie nicht. Ein Maschineningenieur würde folgenden Weg ein- schlagen: Man bestimmt die Adern und Venen, welche die zu unter- suchende Hilfsmaschine versorgen, bestimmt in beiden die vorhandene Menge Nährmittel und multipliziert den Unterschied mit der Menge des durch die Maschine geflossenen Blutes. Derartige Versuche sind z. B. von Chauveau!) am Pferd ausgeführt worden, welcher den Sauer- stoffverbrauch, die Kohlendioxydabscheidung und den Zuckerver- brauch während des Kauens bestimmte. Das von mir angeführte Verfahren der Ingenieure ist also durchführbar. Daß es nicht überall !) Verzar, Der Gaswechsel des Muskels, Ergebn. d. Physiol. 15, 43. 1916. 304 K. Schreber: durchgeführt worden ist, hat wahrscheinlich denselben Grund, den ich schon oben vermutete. 4. Die Muskeln. Ich verlasse nun jetzt die Besprechung der Hilfs- maschinen als der Verbrauchsstellen im großen und wende mich zu der der Muskeln als der Kleinverbrauchsstellen. Da die nach außen sichtbare Arbeit des Menschen stets Muskel- arbeit ist und auch die Arbeit der Hilfsmaschinen, wenn sie wie die des Herzens Muskelarbeit ist, leicht als Arbeit erkannt wird, so ist es erklärlich, daß man sich um Muskelarbeit schon recht lange gekümmert hat. Die osmotische Arbeit von Leber, Nieren usw. ist schwerer zu erkennen und deshalb noch wenig untersucht. Im ersten Zeitabschnitt der Untersuchungen der Arbeitsfähigkeit des Muskels bestimmte man durch Arbeitssammler und ähnliche Vorrichtungen die Arbeit unmittelbar. Da dieses Verfahren nicht be- friedigte, benutzt man jetzt meist ein anderes, welches namentlich Hill!) beschreibt. Es wird die vom Muskel zu leistende Arbeit nicht gemessen, sondern aus der gemessenen Zugkraft des Muskels berechnet, der so fest eingeklemmt wird, daß er sich unter dem Einfluß der Rei- zung nicht verkürzen kann. In Vorversuchen wird die Zugkraft gemessen, welche der Muskel unter dem Einfluß einer bestimmten Reizung bei verschiedenen ihm erlaubten Längen entwickelt, und dann in Abhängig- keit von der Länge aufgetragen. Man erhält so ein Kraft-Längen- Netz, welches ebenso wie die in der Technik üblichen Temperatur- Entropie- oder Druck-Volumen-Netze in seiner Fläche Energiemengen darstellt. Wird nun während des Hauptversuches eine bestimmte Zug- kraft beobachtet, so kann man nach Hill aus dem Netz die größte Arbeit entnehmen, welche der Muskel hätte leisten können, wenn er sich hätte verkürzen dürfen. Gegen das Verfahren von Hill hat Meyerhof?) einige Bedenken er- hoben, welche Hill?) teilweise anerkennt. Hill unterscheidet deshalb von der so berechneten größten Arbeitsmenge die wirklich gewonnene und gibt für den Unterschied beider einige Gründe. Der Maschinen- ingenieur würde das Verhältnis beider dem Verhältnis der nach den Gesetzen der allgemeinen Wärmelehre berechneten zu der mit Hilfe des Indicators gemessenen Arbeit gleichsetzen. Die Thermoelemente, welche Hill benutzt, sind fein und leicht und sehr empfindlich; ebenso benutzt er neueste masselose Galvanometer, so daß er Augenblicksausschläge erhält. Dadurch gelingt es ihm, fest- zustellen, daß der ganze Vorgang der Muskeltätigkeit in mehrere Ab- schnitte zerfällt; er findet zwei, Meyerhof in seinen biochemischen !) Hill, Ergebn. d. Physiol. 15, 340. 1916. 2) Meyerhof, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 191, 128. 1921. ®) Hill, Physiol. Reviews %, 310. 1922. Der Mensch als Kraftmaschine. 305 Forschungen drei: die Zuckung, das Erschlaffen und das Erholen. Wäh- rend der Zuckung hält Hill, wie gesagt, den Muskel fest, so daß er keine Arbeit leisten kann. Sämtliche durch den Reiz zur Umsetzung veran- laßte chemische Energie muß somit, da sie sich in keine andere Energie umwandeln kann, als Wärme erscheinen, welche Hill mit seinem Thermo- element mißt. Gleichzeitig mißt er die durch den Reiz veranlaßte Zugkraft des Muskels und liest aus seinem Kraft-Längen-Netz die hierzu gehörige Arbeit ab. Er findet bei seinen Versuchen, daß das Verhältnis der so berechneten Arbeit einer Zuckung zu der während der Zuckung entwickelten Wärme von der Größenordnung 1 ist. Dieses Verhältnis muß bei seiner Anordnung und der Art der Verarbeitung der unmittelbaren Beobachtungen herauskommen; denn die von ihm gemessene Wärme ist nichts anderes als die während dieses Abschnittes frei gewordene chemische Energie, von der sich kein Teil hat in Arbeit verwandeln können. Während des anderen Abschnittes der Muskel- tätigkeit wird, wie Hill findet, ebensoviel Wärme entwickelt wie während dieses ersten; während eines vollen Spieles also die doppelte Menge. Hätte sich während des ersten Abschnittes die chemische Energie ganz oder wenigstens teilweise in Arbeit verwandeln können, so würde sich der Wirkungsgrad des ganzen Spieles im günstigsten Falle zu !/, ergeben haben, statt 1, wie Hill erhält. Die Ingenieure sind gewöhnt, die Vorgänge in den Maschinen zeich- nerisch zu verfolgen. Das hat zuerst Olapeyron gemacht, als er 1835 den Gedankengang (arnois überarbeitete, und seit dieser Zeit ist das Ver- fahren nicht nur dauernd in Gebrauch geblieben, sondern noch viel weiter ausgebildet worden. Wir nehmen an, der Zustand des Muskels sei durch die beiden Ver- änderlichen x und %y vollständig bestimmt, so daß, wenn man zwei zueinander gehörige Werte von x und % kennt, man den ganzen Zustand des Muskels kennt. Die Physio- / 2 logen werden dem entgegenhalten, daß die Zahl der Veränderlichen im Muskel viel größer sei. Das ist gar 7 nicht zu bestreiten; aber auch in den Maschinen ist die Zahl der Veränderlichen viel größer, und den- noch läßt sich, wenn die richtigen ausgesucht sind, alles mit zweien darstellen. Es sei der Muskel in dem durch den Punkt 1 (Abb. 1) dargestellten Zustand gegeben. Infolge der Reizung ändere sich der Zu- 0 N stand längs der Strecke 12. Hier sei der Größtwert der Zuckung erreicht. Nun tritt die Erschlaffung ein, welche durch 23 gegeben sei. Während des letzten Abschnittes der Muskeltätigkeit, der Erholung, 31, kommt der Muskel wieder in seinen Ausgangszustand zurück und ist jetzt imstande, von neuem dieselbe Arbeit zu leisten. 306 K. Schreber: Hill kümmert sich dort, wo er von Wirkungsgrad spricht, nur um den Teilvorgang 12, nicht um den ganzen Umlauf. Um zu zeigen, daß solche Teilvorgänge alle möglichen Wirkungsgrade haben können, will ich hier einige der wichtigsten technischen Umläufe beschreiben. Der erste sei der Carnotsche, auf den die Physiologen häufig hinweisen, der ihnen also inhaltlich bekannt ist. Ich wähle als Ordinate die Tem- peratur T und als Abszisse die Entropie 7. Beide zusammen reichen, wie die Erfahrung zeigt, aus, die Energieumwandlungen darstellen zu können. Der Stoff, welcher den Carnotschen Umlauf durchführt, liege bei Beginn im Zustande 1 vor (Abb. 2). Es werde als erste eine adiaba- tische Zustandsänderung vorgenommen, welche den Stoff von T;, der kalten Anfangstemperatur, bis 7',, der heißesten Temperatur des Umlaufes, erwärme. Dann kommt eine Zustandsänderung, 23, bei der unveränderten Temperatur 7,, eine sogenannte isothermische, darauf wieder eine adiabatische, 34, welche auf die kalte Temperatur 7’; zurückführt, und schließ- lich die isotherme Zustandsänderung 41, auf welcher der Ausgangspunkt erreicht wird. Untersuchen wir nun die Wärme- und Ar- 1) u 7 beitsbewegung auf den einzelnen Strecken, wo- bei wir in den Stoff hineinbewegte Energie als positiv ansetzen, und rechnen den Wirkungsgrad der einzelnen Teil- vorgänge aus: Strecke Bewegte Wärme Bewegte Arbeit Wirkungsgrad 1—2 0 +4 0 2—3 + Qn — Or 1 34 0 — 4A oo!) 41 — + % 1 Bei der ersten Zustandsänderung, bei der für die adiabatische Ver- dichtung Arbeit verbraucht wird, bewegt sich gar keine Wärme nach draußen, also ist der Wirkungsgrad des Teilvorganges 0. Bei der zweiten adiabatischen ist es umgekehrt: Ohne daß dem Stoff Wärme zugeführt wird, wird ebensoviel Arbeit nach außen abgegeben, wie bei der ersten von außen aufgenommen wurde. Hier ist somit der Wirkungsgrad oo. Bei den beiden isothermen Zustandsänderungen sind Wärme- und Arbeitsbe- wegung einander gleich und folglich der Wirkungsgrad beider Teil- vorgänge gleich 1. Es ist also für einen Maschineningenieur gar nicht verwunderlich, wenn Hill für einen Teilvorgang im Muskel den Wir- kungsgrad 1 erhält; hier erhalten wir für zwei Teilvorgänge dieselbe Zahl und für den einen sogar unendlich. Der Mensch als Krafitmaschine. 307 Die Gesamtarbeit des Umlaufes ist —(Q@, — Q:) und die zugeführte, d. h. aus chemischer Energie entstandene Wärme -+ Q,; somit wird der Wirkungsgrad Ode PT u KO BRRIRTNG wie man ohne weiteres sieht, denn im Temperatur-Entropie-Netz ist der Carnotsche Umlauf ein Rechteck. Wirkungsgrade von Teilvorgängen erwähnt der Ingenieur gar nicht; die von mir hier aufgeschriebenen wird man in keinem Lehrbuch der wissenschaftlichen Wärmelehre finden. Sie haben eben keine Bedeutung, denn mit einem Teilvorgang ist nichts anzufangen. Der Stoff und im anderen Fall der Muskel muß, wenn er dauernd Arbeit schaffen soll, immer wieder in seinen Anfangszustand zurück, und dann berechnet man eben nur den Wirkungsgrad des Gesamtumlaufes, niemals den eines Teilvorganges. Man darf mit sehr großer Annäherung annehmen, daß die Dampf- maschine, wenn man den Umlauf des Wassers in Betracht zieht, einen Carnotschen Umlauf ausführe. Die durch den endlichen Wert der spezifischen Wärme des flüssigen Wassers bedingte Abweichung von ihm wird zum größten Teil wieder wettgemacht durch die Überhitzung, die wir hier vernachlässigen. Bei den jetzigen Ausführungen der Werk- tätigkeit verläuft der Umlauf des gesättigten Dampfes zwischen 200° und 33°, entsprechend 16 at und 0,05 at. Das ergibt einen Wirkungs- grad von 0,35. Als zweiten technisch wichtigen Umlauf will ich den in einer Gas- maschine hier aufzeichnen, weil er in einer Beziehung große Ähnlich- keit mit dem im Muskel hat. Ich nehme als Bezugslinien Druck p und Volumen v 72 (Abb. 3). | Das Gas wird zuerst adiabatisch ver- dichtet, 12, dann wird durch Zündung, Rei- zung, die chemische Umsetzung eingelei- tet, welche bei unverändertem Volumen eine plötzliche Vermehrung des Druckes veran- laßt, 23. Darauf kommt wieder eine adia- batische, welche die Arbeit nach außen ab- 0 gibt, 34, und endlich 41, welche das Gas durch Wärmeabgabe nach außen wieder auf seinen Anfangszustand zurückführt. Auf der Strecke 34 würde der Teilwirkungsgrad wieder einmal oo sein, während er bei allen anderen 0 ist. Der Wirkungsgrad des Gesamtumlaufes ist natürlich wieder endlich; er ist von den Grenz- werten des Volumens abhängig.. Für die jetzt üblichen Volumen- verhältnisss hat er die G:öß=nordnung 0,50 his 0,60. Abb. 3. 308 K. Schreber: Dieser Umlauf hat für den im Muskel die Bedeutung, daß bei ihm auf der Strecke 23 die Umsetzung der chemischen Energie in die Zwischen- energie stattfindet, während deren Umwandlung in Arbeit auf der nachfolgenden Strecke 34 vor sich geht, also zeitlich getrennt von der ersten. Bei der Dampfmaschine ist diese Trennung noch schlimmer, aber eben deshalb nicht so in die Augen fallend. Die Umsetzung in die Zwischenenergie findet im Kessel und deren Umsetzung in Arbeit im Zylinder statt, also räumliche und zeitliche Trennung. Auf einen wichtigen Unterschied der Umläufe der künstlichen Maschinen von dem im Muskel stattfindenden muß ich noch aufmerk- sam machen: In allen Umläufen künstlicher Kraftmaschinen findet sich ein Teilvorgang, welcher Arbeit von außen aufnimmt. Ein solcher kann beim Muskel nicht auftreten. Die Rückkehr zum Ausgangszu- stand kann nur durch chemische, osmotische oder dgl. Vorgänge bewirkt werden, niemals wie bei den künstlichen Maschinen durch Arbeitsaufnahme von außen. Der Umlauf im Muskel kann niemals ein Viereck werden, dessen Gegenseiten nach demselben Gesetz ver- laufen. 5. Die Wärme als Zwischenenergie. Da die Physiologen nur Wirkungs- grade von Teilvorgängen veröffentlicht haben, so hat es keinen Zweck, hier Zahlen von solchen anzugeben, denn, wie wir eben gesehen haben, darf man doch nichts aus ihnen schließen. Trotzdem sind gerade durch diese Untersuchungen die Physiologen in der Erkenntnis der Energieum- wandlung einen ganz bedeutenden Schritt vorwärtsgekommen. Die Physiologen haben sich scheinbar schon von Lavoisier her daran gewöhnt, vom „Verbrennen“ der Nahrungsmittel im Körper zu sprechen, weil dieser die Umsetzung der Nahrungsmittel im Körper mit dem Verbrennen einer Kerze verglich. Wir bezeichnen als Ver- brennen diejenigen Vorgänge der Vereinigung eines Stoffes mit Sauer- stoff, welche unter Wärme- und Lichtentwicklung stattfinden. Tritt diese nicht auf, so bezeichnen wir das Vereinigen mit Sauerstoff als Rosten. Die Lebensmittel verbrennen also nicht im Körper, sondern rosten. Nun hat jedoch das Wort ‚‚Rosten‘ noch eine Nebenbedeutung, welche es hier nicht gut anwendbar erscheinen läßt: Es wird fast nur auf Metalle angewendet. Da aber Verbrennen sicherlich falsch ist, so bleibt uns nichts weiter übrig als ein neues Wort zu schaffen. Der Bequemlichkeit halber nehmen wir das Fremdwort ‚„oxydieren“; die Lebensmittel oxydieren im Körper. Das ist aber der einzige Ausdruck, den man anwenden darf, denn er: verführt nicht zu falschen Vorstel- lungen. Wenn die Lebensmittel im Körper verbrennen wie die Kohlen auf dem Rost, so wird man unwillkürlich zu der Annahme verführt, daß die Umwandlung der chemischen Energie in Arbeit auf dem Um- weg über die Wärme vor sich geht wie in der Dampfmaschine. Das Der Mensch als Kraftmaschine. 309 ist auch lange Zeit die herrschende Ansicht gewesen; nur verschuldet durch Zavoisiers Vergleich mit der Kerze. Hätte man das Wort ‚„‚Rosten“ angewendet, so hätte niemand an Wärme gedacht. Als ich mich zum ersten Male mit der vorliegenden Frage beschäf- tigte!), leitete ich aus den veröffentlichten Zahlen für den Wirkungs- grad einerseits und dem Wirkungsgrad des Carnotschen Umlaufes andererseits ab, daß die Wärme nicht die Zwischenenergie sein könnte. Damals fand ich noch heftigen Widerspruch unter den Physiologen. Jetzt hat sich wohl auch bei diesen meine damalige Meinung durchge- setzt. Nachdem ich aber soeben nachgewiesen habe, daß die veröffent- lichten Wirkungsgrade sich wesentlich auf Teilvorgänge beziehen, hat mein damaliger Beweisgang seine Strenge verloren, und ich muß mich nach einem anderen umsehen, der auch leicht zu finden ist. Unsere von Menschenhand geschaffenen Maschinen zeigen uns, daß man Wärme nur auf dem Umwege über die Volumenenergie in Arbeit verwandeln kann: Es muß ein Stoff vorhanden sein, welcher leicht große Änderungen seines Raumumfanges durchmachen kann, Gas oder Dampf. Ich erinnere an den Vergleich des Menschen mit der Dampfmaschine; wir fanden im Menschen nichts, was dem Wasser der Dampfmaschine entspräche. Das Blut ist das Förderband, welches die Nährmittel den einzelnen Arbeitsstellen zuführt, hat aber in seiner Bedeutung für die Energieumwandlung gar keine Ähnlichkeit mit dem Wasser, welches durch seine Volumenänderung beim Ver- dampfen und Verflüssigen die Umwandlung der Wärme in Arbeit er- möglicht. Das Blut behält sein Volumen ungeändert. Derartige Vo- lumenänderungen, wie sie in den Wärmekraftmaschinen vorkommen, sind im menschlichen Körper unmöglich, deshalb kann die Wärme nicht die Zwischenenergie sein. 6. Andere Energiearten als Zwischenenergie. Nachdem sich allmählich die Überzeugung durchgesetzt hatte, daß die Wärme nicht die Zwischen- energie sein konnte, begann man nach einer anderen zu suchen. Um das vollständig ausführen zu können, wollen wir uns eine Zusammen- stellung der sämtlienen Energiearten aufgeschrieben denken ähnlich, der, welches Robert Mayer?) in seiner Arbeit: Die organische Bewegung usw. gegeben hat, und diese von Anfang bis Ende durchgehen. Von der Wärmeenergie hatte ich eben nachgewiesen, daß sie als Zwischenenergie nicht in Frage kommen kann. Dasselbe gilt von der elektrischen Energie wegen der großen Leitfähigkeit der stark wasser- haltigen Stoffe des menschlichen Körpers. Für merkliche Mengen von Bewegungsenergie ist im Körper kein Raum vorhanden, und für merk- liche Lagenveränderungen ist der Körper wieder zu fest. Es bleiben also 1) Schreber, Physikal. Zeitschr. 1901, S. 107, 184, 261. 2) R. Mayer, Mechanik der Wärme, 1893, 8. 71. 310 K. Schreber: nur Öberflächenenergie und Volumenenergie übrig; für beide haben sich Vorschläge gefunden. Die Durchführbarkeit der Annahme der Oberflächenenergie als Zwischenenergie ist, soweit ich übersehen kann, noch nicht zahlen- mäßig nachgewiesen. Mir erscheint es unwahrscheinlich, daß die Grenz- flächen im Inneren des Körpers infolge chemischer Änderung der von ihnen begrenzten Stoffe derartige Änderungen ihrer Oberflächenspan- nung erfahren, daß die Muskelkraft dadurch zustande kommen könne. Auf Versuche aus der Elektrochemie, auf welche hingewiesen wird, brauche ich nicht einzugehen, denn elektrochemische Vorgänge kommen im Inneren des Körpers sicherlich nicht in einem hinreichenden Aus- maße vor. Ebensowenig erscheinen mir die Versuche über die Bewegung von Amöben hierher übertragbar. Ich bemerke aber aus- drücklich, daß ich nur von meinem Standpunkt als Physiker und Wärmetechniker hier spreche. Wertvoller erscheint mir die Volumenenergie, mag der Druck nun als osmotischer Druck von Krystalloiden oder als Quellungsdruck von Kolloiden auftreten. Beide Arten von Drucken können stark genug werden, um die Muskelkräfte zu erzeugen. Volumenenergie von Gasen und Dämpfen kann, wie eben gesagt, nicht vorkommen. Nach van t’Hoff ist der osmotische Druck in Lösungen von Krystal- loiden nach der Gasgleichung pv—=nRT zu berechnen. Da das Vo-. lumen v und die Temperatur 7’ durch den Zustand des Lebewesens gegeben sind, so kann sich der Druck p nur ändern, wenn sich n ändert. Es muß also infolge des Reizes ein Stoff mit vielatomigen Molekeln in einen oder mehrere Stoffe mit wenigatomigen Molekeln zerfallen, so daß die Molenzahl n der Lösung größer wird. Der osmotische Druck von Kolloiden kommt zustande, indem diese durch Säure gereizt, große Mengen Wasser aufsaugen. Hier sind die Verhältnisse noch nicht so weit geklärt, daß man den Vorgang rech- nerisch zu verfolgen beginnen kann. Jedenfalls haben die Vertreter jeder dieser Anschauungen die Pflicht, für den Muskel einen Umlauf, wie ich sie oben aus der Maschinenlehre vorgeführt habe, durchzurechnen und mit der Wirklichkeit zu verglei- chen. Wer das nicht tut, oder wessen Umlauf diese Prüfung nicht aushält, muß seinen Vorschlag zurückziehen. 7. Osmotische Wasserhebemaschine. Daß man mit osmotischer Ener- gie wirklich Maschinen betreiben kann, habe ich an einer osmotischen Wasserhebemaschine zeigen können, welche ich vor einigen Jahren im Aachener Bezirksverein deutscher Ingenieure vorgeführt habet). Auf einem in 6 Enden gegabelten Rohr sitzen nach oben 6 Pfeffersche Zellen?). je Schreber, Die Honigmannsche Lokomotive usw. Mitt. Aach. Bezirksv. 1917. 2) Höber, Physikal. Chemie der Zelle 1914, S. 9. Der Mensch als Kraftmaschine. 311 Das Rohr sitzt im Hals einer umgekehrt stehenden Flasche, deren Boden abgesprengt ist. Es trägt unterhalb des Halses dieser Flasche einen Seitenansatz, welcher, nach oben gerichtet, eine Kugel trägt. In sie ragt von oben, in eine Spitze ausgezogen, das aus dem Sumpf kommende Saugrohr. Unterhalb des Seitenansatzes ist das Rohr durch einen Hahn verschließbar, der zum Füllen der Vorrichtung dient. Die umgekehrt stehende Flasche wurde mit einer reichen Salz- lösung gefüllt, Pfeffersche Zellen, Rohr und Kugel mit Wasser, die letztere nur halb. Der osmotische Druck der Salzlösung saugt das Wasser aus den Zellen heraus, das dann von unten nachgesaugt wird. An den durch den Luftraum der Kugel fallenden Tropfen kann man die ange- saugte Wassermenge messen. Diese Wasserhebemaschine kann zwar sehr große Wassermengen sehr hoch heben, aber die Bewegung geht äußerst langsam vor sich, weil die Wandung der zur Stützung der auswählend durchlässigen Haut nötigen Porzellanzellen sehr dick ist, also das Wasser sehr lange enge Wege durchlaufen muß, ehe es an die wirksame Haut kommt. Im Muskel geht diese Bewegung schneller vor sich, weil die auswählend durchlässigen Häute sich selbst stützen. Ist der Versuch so eingerichtet, daß osmotischer und hydrostatischer Druck sich jederzeit das Gleichgewicht halten, der Vorgang also um- kehrbar verläuft, so würde keine Arbeit verwüstet werden, also auch keine Gelegenheit sein, daß Wärme entstände; der Vorgang würde ganz isotherm verlaufen. Ähnlich würden auch die Versuche von Hill verlaufen sein, wenn er statt den Muskel fest einzuspannen, einen Arbeitssammler verwendet hätte, der alle Arbeit, die zu gewinnen ist, gewonnen hätte. Dadurch, daß er von vornherein ein Thermoelement als Hauptmeßinstrument vorsieht, verdirbt er sich die Aussicht auf volle Ausnutzung seines Versuches. Es ist ja möglich, daß durch den Reiz nicht nur Arbeits- fähigkeit erzeugt wird, sondern auch eine Wärmeentwicklung, welche, untrennbar von ihr, gleichzeitig eintritt. Bei den wechselwarmen Tieren würde das nicht so nötig sein, bei den gleichwarmen Tieren muß auf jeden Fall eine gewisse zur Erhaltung der Temperatur nötige Wärmemenge erzeugt werden; ob diese mit der Arbeitserzeugung fest verbunden ist oder nicht, das zu erkennen, hat sich Hill den Weg ver- schlossen. Bei der chemischen Umsetzung der Explosivstoffe entstehen plötz- lich sehr viele Gasmolekeln, welche sich auf den atmosphärischen Druck ausdehnen. Dadurch wird ein Teil der chemischen Energie unmittelbar in Arbeit verwandelt. Der Rest wird Wärme, von der dann nach den Gesetzen der Wärmelehre noch ein Teil in Arbeit verwandel- bar ist; der andere bleibt Wärme und muß als solche bei atmosphä- 312 K. Schreber: rischer Temperatur abgegeben werden. Man kann sich einen Explosiv- stoff vorstellen, bei dem sämtliche chemische Energie durch Vermeh- rung der Molenzahl in Arbeit verwandelt wird. Dieser würde gar keine Wärme erzeugen. Ob die Muskeln mit einem solchen gedachten oder mit einem wirklichen Explosivstoff zu vergleichen sind, kann man nur erkennen, wenn man ihn wirklich so viel Arbeit leisten läßt, wie er leisten kann!). Auch Hill scheint schon an einen Arbeitsammler gedacht zu haben, nur hat er nicht die Möglichkeit erkannt, ihn brauchbar herzustellen. Der von ihm erwähnte Weg über den Magnet erscheint auch mir nicht gangbar, weil man da zu wenig Herr über die Veränderlichkeit der Zugkraft ist. Ich würde an einen Wälzhebel denken, wie er in der Ma- schinentechnik bei den Steuerungen viel angewendet wird. Mit Hilfe der von Hill festgelegten Beziehung zwischen Zugkraft und Länge kann man wohl die Wälzlinie berechnen. Man muß sie dann während des Versuches so lange ändern, bis die entstehende Wärme ihren klein- sten Wert erreicht hat. Ist der Muskel keine Wärmekraftmaschine, — und darüber sind wohl jetzt alle Physiologen einig, — so muß bei Untersuchungen über die Arbeitsfähigkeit des Muskels das Thermoelement wegbleiben. Es darf höchstens zur Messung der durch den Bau des Muskels bedingten Arbeitsverwüstung dienen. Unbedingt nötig ist aber ein Arbeitssamnler. II. Der Mensch als Ganzes. 8. Bedingungen, unter denen wir den Menschen als Ganzes als Kraft- maschine ansehen wollen. Neben dieser Betrachtung der Organe und Muskeln als Maschinen steht ziemlich selbständig die Frage: Ist der Mensch als Ganzes als eine Kraftmaschine zu betrachten, und bejahen- denfalles, wie wirkt sie, wie ist ihr Wirkungsgrad ? Um diese Frage besprechen zu können, müssen wir uns zunächst überlegen, was eine von Menschenhand geschaffene Maschine ist. Eine Kraftmaschine, als deren Beispiel wir an eine Dampfmaschine denken, ist eine Vorrichtung, um dem Menschen, der sie aufgestellt hat, Arbeit zu liefern, d. h. sie soll aus der chemischen Energie, die ihr zugeführt wird, mehr Arbeit erzeugen, als sie zur Aufrechterhal- tung ihres Betriebes nötig hat. Die Arbeiten der Hilfsmaschinen sind bei den von Menschenhand gebauten Maschinen gegenüber der nach außen abgegebenen Arbeit stets so klein, daß sie in den meisten Fällen gar nicht genannt werden. Wir dürfen also einfach sagen, Kraftma- schinen sind Vorrichtungen, um chemische Energie in Arbeit zu ver- wandeln, welche nach außen abgegeben wird. 1) Vgl. auch Meyerhof, Die Rolle der Milchsäure usw. Naturwiss. 1920, S. 703. Der Mensch als Kraftmaschine. 313 Die einzelnen Organe des Menschen, die Hilfsmaschinen zur Auf- rechterhaltung des menschlichen Lebens, sind nun ebenso wie die von Menschenhand gebauten Maschinen bestimmten Zwecken dienende Vorrichtungen: Z. B. soll das Herz das Biut durch den Körper treiben, wie die Antriebsmaschine im Kesselhaus das Förderband für die Kohlen durch das Kesselhaus treiben soll. Sie sind also ganz als Kraftmaschinen zu behandeln. Es wird ihnen eine gewisse Menge Energie zugeführt, und dafür geben sie eine gewisse Menge Arbeit nach außen ab, während sie gleichzeitig eine kleine Menge Energie für sich verbrauchen; genau wie die künstlichen Maschinen. Wie ist es nun mit dem Menschen als Ganzes? Schon früher sagte ich!): „Der Mensch und alle Tiere sind von der Natur nicht geschaffen, um zu arbeiten, sondern nur, um sich zu er- halten und fortzupflanzen. Die Nahrungsaufnahme dient in erster Linie dazu, alle die Arbeiten zu liefern, welche zur Erhaltung des Be- triebes und zur Schaffung neuer nötig sind.‘ Damals ließ ich also noch offen, ob der Mensch über diese Arbeiten hinaus noch etwas schaffe oder nicht. Jetzt müssen wir auch diese Frage eindeutig beantworten. Da ist es nun vorteilhaft, sich nicht gleich an den Menschen zu wenden, sondern zuerst die freien Tiere des Waldes und des Feldes anzusehen, z. B. Fuchs und Sperling. Alle Arbeiten, welche von diesen außerhalb ihres Leibes geleistet werden, dienen der Nahrungssuche, d. h. zur Erhaltung des eignen und zur Schaffung neuer Betriebe. Sie arbeiten nicht darüber hinaus. Der Fuchs, der eine Gans erschnappt und in seinen Bau geschleppt, der Sperling, der seinen Kropf voll hat, geben sich einem bequemen Nichts- tun hin. Höchstens spielen sie mit ihren Artgenossen, um die Muskeln nicht verkümmern, nicht steif werden zu lassen; also aus Selbster- haltungstrieb. Bei den Haustieren erscheint es bei flüchtigem Hinsehen anders. Im Grunde genommen ist es doch wieder dasselbe, nur verschoben durch die geistige Tätigkeit des eingreifenden Menschen. Zwar sucht der Ochs, der den Pflug zieht, nicht sein Futter, aber während er pflügt, hat der denkende Mensch vorgesorgt, und als Belohnung für seine Feldarbeit bekommt der Ochs sein Futter vorgeschüttet, ohne daß er sich darum zu kümmern braucht, wie sein in der Freiheit lebender Vetter, der Büffel. . Beim Menschen ist es auch nicht im geringsten anders. Der rein mechanisch arbeitende Mensch gibt durchaus keine Arbeit nach außen, d. h. an Fremde ab. Alle Arbeit, welche er leistet, dient nur zur Er- haltung seines Betriebes und zur Schaffung neuer, dient zu seinem 1) Schreber, Wirkungsgrad der Muskelmaschine. Pflügers Arch. f. d, ges. Physiol. 159, 276. 1914. 314 K. Schreber : und seiner Familie Unterhalt. Der Steinträger, der Steine auf den Bau eines Fremden trägt, der Holzhacker, der für andere Holz zerkleinert, tut nichts anderes wie der Fuchs; nur tut er es nicht unmittelbar wie dieser, sondern infolge der Entwicklung der menschlichen Kultur auf dem Umweg über das Geld. Der Mensch ist also keine Kraftmaschine, in dem Sinne, wie wir das Wort bei Dampfmaschinen usw. anzuwenden gewöhnt sind. Trotzdem dürfen wir ihn unter gewissen, von uns willkürlich fest- gelegten Bedingungen mit einer Kraftmaschine vergleichen und wie eine solche behandeln. Wir müssen uns nur vorher einigen, welche Arbeiten wir als nach außen abgegeben, d. h. als nicht unmittelbar für den Arbeitenden bestimmt betrachten wollen. Als solche betrachte ich im nachfolgenden alle diejenigen Arbeiten, welche gegebenen Falles durch eine künstliche Maschine geleistet werden können, wie Steine tragen, Pflaster rammen, Pflug ziehen usw.; auch das Gehen darf man nach der getroffenen Festlegung dazu rechnen, denn man kann die Orts- veränderung, welche durch das Gehen ermöglicht werden soll, auch durch Wagen, Motorrad usw. erreichen. 9. Festlegung der Berechnungsart des Wirkungsgrades. Als Clausius die wissenschaftliche Behandlung der Wärmekraftmaschinen in Angriff nahm, gab er gleich in seiner ersten Arbeit eine Möglichkeit, Maschinen verschiedener Art und Größe bequem miteinander zu vergleichen. Er bildete das Verhältnis der geleisteten Arbeit zur aufgewendeten chemischen Energie und nannte es in der damaligen mit Fremdwörtern überladenen Sprache ‚ökonomischer Koeffizient“; wir sagen jetzt Wirkungsgrad. Dieser Begriff leistet der Maschinentechnik sehr große Hilfe. Da man, wie eben festgelegt, den Menschen unter gewissen Be- dingungen als Maschine betrachten darf, so muß man auch für ihn einen Wirkungsgrad feststellen können. Um dessen Berechnungsart hat sich zwischen Physiologen und Maschinenleuten ein Streit ent- 'sponnen, zu dem ich hier Stellung nehmen muß. Der Begriff Wirkungsgrad ist kein von Natur gegebener wie z. B. Mensch, Rose, Fichtelberg, usw. Diese sind gegebene Naturgegenstände, welche wir nur beschreiben, an denen wir aber nichts deuteln können. Der Begriff Wirkungsgrad dagegen ist ein willkürlicher, den man so oder so nehmen darf; bei ihm handelt es sich nur um die Frage der Bequemlichkeit und Nützlichkeit, nicht aber um richtig oder falsch. Seit Clausius den Begriff Wirkungsgrad eingeführt und ihn Zeuner den Maschinenleuten vertraut gemacht hat, wird er stets in derselben Weise angewendet, wie er von diesen Altmeistern der wissenschaftlichen Maschinenlehre zuerst benutzt worden ist. Stets gibt er das Verhält- nis zweier Energiemengen, einer herauskommenden zu einer hinein- Der Mensch als Kraftmaschine. 315 gesteckten; mag das bei einer reinen Rechnung oder bei einer unmittel- baren Beobachtung, mag das am Kessel oder am Schwungrad sein. Dadurch hat der Ingenieur den großen Vorteil, daß er ihn in sehr be- quemer Weise zerlegen und zusammensetzen kann. Ich habe das in meiner eben erwähnten Arbeit ausführlich dargelest und kann jetzt darauf verweisen. Die Physiologen machen es, wenn es sich um den Menschen als Ganzes handelt, anders, und Oppenheimer!), der sich mit dieser meiner Arbeit beschäftigt, sucht das Verfahren der Physiologen zu verteidigen. Die Physiologen gehen von der Tatsache aus, die ich soeben aus- einandergesetzt habe, daß der Mensch als Ganzes eigentlich keine Kraftmaschine ist, sondern ein Lebewesen, dessen ganzer Zweck darin besteht, zu leben, d. h. sich zu erhalten und fortzupflanzen. Dazu sind eine große Menge von Arbeiten nötig, welche der Mensch leisten muß, gleichgültig, ob er Arbeit nach außen abgibt oder nicht. Deshalb, so folgern die Physiologen, muß man, um den Energie- bedarf für eine bestimmte nach außen abgegebene Leistung zu erhalten, vom Gesamtbedarf den Bedarf der Hilfsmaschinen, der Organe des Körpers, während der Arbeit abziehen. Sie bezeichnen somit als Wir- kungsgrad das Verhältnis der nach außen abgegebenen Arbeit Z zum Unterschied des gesamten Energiebedarfes Q@ und des Energiebedarfes @Q, der Organe während der Arbeit. Ist A die Arbeit-Wärme-Umrech- nungszahl, so schreiben also die Physiologen AL oo Wenn wir nun willkürlich festgesetzt haben, welche Arbeiten‘ wir als nach außen abgegeben ansehen wollen, so dürfen wir in unserer Willkür noch einen Schritt weiter gehen und auch den Wirkungsgrad nach Art der Ingenieure bilden, d. h. schreiben: BE, Mi OB Wir erhalten dadurch gewisse Vorteile und vermeiden Nachteile. Ich bringe hierfür zunächst zwei Beispiele aus Gebieten, auf denen die Physiologen noch nicht durch Gewohnheit auf eine bestimmte Auffassung festgelegt sind: In „Technik und Wirtschaft‘ 1917, S. 305 untersucht Franzius, Hannover, die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Binnen- schiffahrt. Dabei rechnet er die Selbstkosten der Eisenbahn aus und schreibt auf S. 313: „Es unterliegt dabei keinem Zweifel, daß die Eisen- bahn auf Hauptbahnen mit nocn billigeren Sätzen arbeiten kann, besonders wenn die Linie nicht voll belastet ist. Es würde aber keine (2) !) Oppenheimer, Der Mensch als Kraftmaschine. Leipzig 1921. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 21 316 K. Schreber: gerechte Berechnung der Selbstkosten sein, wenn man dann z. B. rechnen wollte, der bisherige Verkehr kostet 2,3 Pfennig/tkm, einen weiteren Zuwachs kann man für 0,8 Pfennig/tkm befördern, die Selbstkosten seien somit 0,8 Pfennig/tkm.‘“ Franzius hält also das Abzugverfahren für ungerecht. Hier handelt es sich um die tote Eisenbahn. Das zweite Beispiel soll sich deshalb um den lebenden Menschen kümmern: Die arbeits- tägliche Förderung der Kohlen betrug im Ruhrgebiet 1922 im Januar 322 090 t und im Februar 322 416; es sind somit im Februar täglich 326 t mehr gefördert worden als im Januar. Die Arbeiterzahl betrug im Januar 561 086 und im Februar 561 158, also waren im Februar 72 Mann mehr tätig als im Januar; diese haben die 326 t gefördert, d.h. jeder der mehr eingestellten hat täglich 4,5 t gefördert. Das ist das Er- gebnis des Abzugverfahrens. Rechnen wir ingenieurmäßig, so finden wir im Januar als die Tagesleistung eines Mannes 0,57 405 t und im Februar 0,57 473 t, also ganz unbedeutend mehr. Man wolle die Rech- nung nach dem Abzugverfahren nicht den Bergleuten vormachen, es würden bald recht eigenartige Lohnforderungen entstehen. In diesem Beispiel versperrt das Abzugverfahren sicherlich den Weg zur reinen Erkenntnis, und was hier hinderlich ist, kann unmög- lich an anderer Stelle förderlich, ja geboten sein. Daß die Physiologen gelegentlich so rechnen, habe ich in meiner eben erwähnten Arbeit an Pflügers Berechnung des Wirkungsgrades des Hundes gezeigt; es genügt hier auf diese Stelle zu verweisen. Wie eben gesagt, ist das Verfahren der Ingenieure überall anwend- bar, das der Physiologen dagegen nicht, und diese denken auch gar nicht daran, es überall anzuwenden. So berufen sie sich ohne Bedenken auf den Carnotschen Wirkungsgrad (7, — T,)/T,, der doch nur aus Gl. 2 gewonnen werden kann und nicht aus Gl. 1. Auch bei der Untersuchung der Muskeln denken die Physiologen gar nicht daran, von einem Ruhewert zu sprechen. Sie teilen einfach die geleistete Arbeit durch die gesamt umgesetzte chemische Energie. Hill hätte seinen Wirkungsgrad 1 nicht errechnen können, wenn er das Abzugverfahren hätte einschlagen wollen. Erst dann fangen einige Physiologen an, das Abzugverfahren an- zuwenden, wenn es an die Berechnung der Hilfsmaschinen im Körper geht. Oppenheimer erklärt die Feststellung des Wirkungsgrades des Herzens für unmöglich, weil man seinen Ruhewert nicht feststellen könne. Das Herz lebt nur so lange, wie es arbeitet; man kann also einen Energiebedarf eines ruhenden Herzens gar nicht denken, denn ein ruhendes Herz gibt es nicht; das lebende Herz arbeitet, das ruhende ist tot. Oppenheimer hat also recht, wenn er sagt, daß nach dem Ab- zugverfahren der Wirkungsgrad des Herzens nicht feststellbar ist. Nun Der Mensch als Kraftmaschine. 317 ist aber das Herz, wie oben nachgewiesen, eine Kraftmaschine und hat deshalb wie diese einen Wirkungsgrad. Kann man diesen nach dem Abzugverfahren nicht berechnen, so ist das Verfahren unbrauchbar und muß durch ein anderes ersetzt werden, bei dem man den Ruhe- wert nicht nötig hat. Das durch Gl. 2 gegebene Verfahren der Ingenieure ist ein solches, überall anwendbares, und deshalb dem Abzugverfahren vorzuziehen. Viele Physiologen berechnen übrigens den Wirkungsgrad der Organe nach Gl. 2, so daß hier nicht einmal Einigkeit unter ihnen herrscht. Einigkeit kommt erst wieder, wennesan den Wirkungsgrad des Menschen als Ganzes geht; hier tritt das Abzugverfahren auf der ganzen Linie ein. Also: Beim Menschen als ganzes Abzugsverfahren, beim Muskel in- genieurmäßig, bei den Organen bald so, bald so. Mit diesem Wechsel des Berechnungsverfahrens hängt ein dritter Nachteil des Abzugverfahrens zusammen. Gesetzt, es wäre gelungen, für den Wirkungsgrad des Muskels einen einwandfreien Wert festzu- stellen und ebenso für den des Menschen als Ganzes. Der letztere ist nach Gl.1, der erstere nach Gl. 2 berechnet. Man hat also kein Recht, beide miteinander zu vergleichen. Berechnen wir beide nach der über- all anwendbaren Gl. 2, so dürfen wir sie vergleichen und werden finden, daß der des Menschen als Ganzes kleiner ist als der des Muskels ist. Es wird von der Arbeit, welche die Muskelfaser aus der chemischen Energie gewonnen hat, auf jeden Fall im Inneren des Körpers ein Teil schon wieder vernichtet. Einige Gründe hierfür gibt Hill an!). Der Ingenieur würde das Verhältnis beider als mechanischen Wirkungsgrad. bezeich- nen und in diesem ein Maß für die Eignung eines Arbeiters für eine be- stimmte Arbeit erhalten. Diese Verwertung ihrer Beobachtungen zu erkennen, haben sich die Physiologen den Weg verschlossen. In meiner erwähnten Arbeit habe ich auf diese Weise für den me- chanischen Wirkungsgrad des Menschen den Wert 0,2 abgeleitet. Dar- aus habe ich dann?) gefolgert: „Der Mensch ist eine sehr schlechte Kraftmaschine und sein Widerwille gegen körperliche Arbeit vollkommen in seiner Natur begründet.‘ Liest ein Volkswirtschaftler diesen Satz, so wird er darauf dringen, daß überall die menschliche Arbeit durch Maschinenarbeit ersetzt wird. Liest er dagegen den Satz von Höber?): „Hinzu kommt, daß die Muskelmaschine mit einem thermischen Wir- kungsgrade arbeitet, der auch der heutigen Technik der Dampf- und Gasmaschinen als pium desiderium erscheint“, so wird er jede Umwand- lung chemischer Energie in mechanische Arbeit auf dem Umweg über die künstliche Maschine als eine Verschwendung von Naturschätzen 1) Hill, Physiol. Reviews 2, 310. 1922. *) Schreber, Hervorragende Leistungen der Technik. Leipzig 1913, S. 196. 2) Höber, Zeitschr. f. Elektrochemie 1913, S. 738. 21* 318 K. Schreber: bezeichnen und den Bau von solchen Maschinen verbieten müssen. Der unmittelbare Augenschein zeigt ihm, daß diese Folgerung der Wirklichkeit widerspricht, und so wird er die ihm unverständliche Behauptung der Physiologen einfach unbeachtet lassen. Auf den Nachteil, daß die unvermeidlichen Beobachtungsfehler bei Benutzung des Abzugverfahrens einen sehr großen Einfluß er- halten, habe ich in meiner Arbeit aus 1914 hingewiesen. Aus der dort gegebenen zeichnerischen Darstellung kann ihn auch der ent- nehmen, der die Übung, mathematischen Entwicklungen zu folgen, verloren hat. 10. Werte des Wirkungsgrades. Einen Überblick über die Ergeb- nisse der Versuche zur Bestimmung des Wirkungsgrades des Menschen als Ganzes hier zu bringen, hat keinen Zweck. Ich will nur einige Zahlen geben, damit ich nachher Beispiele habe. v. Rziha hat an einer sehr großen Zahl von mechanischen Arbeitern die durchschnittliche Arbeitsmenge beobachtet und zu 130 000 mkg — 300 cal für den Tag festgestellt. Nach den Angaben der Physiologen braucht ein solcher Arbeiter, wenn sein Leibeszustand ungeändert erhalten bleiben soll, 3600 cal/Tag Nahrung. Daraus errechnet der Ingenieur den Wirkungsgrad 300/3600 — 0,08. Für den nichtarbei- tenden Menschen geben die Physiologen den Nahrungsbedarf zu 2400 cal/Tag an. Nach dem Abzugverfahren würde somit der Wirkungs- grad 300/(3600 —2400) — 0,25; also dreimal so groß. Ganz von Physiologen ausgeführte Versuche, welche den Menschen als Ganzes so behandeln, daß man die Ergebnisse auch ingenieurmäßig berechnen kann, sind die von Atwater und seinen Mitarbeitern, deren Versuchsanordnung ich hier wohl als bekannt voraussetzen darf. In dem mir gerade vorliegenden Bericht wird als nach außen abgegebene Arbeit angeführt 586 cal; der Gesamtumsatz ist 4071, und während der Ruhe war der Umsatz 1340 cal. Nach dem Verfahren der Ingenieure erhält man aus diesen Zahlen den Wirkungsgrad 0,144. In anderen Versuchen mit ungeübten Radlern war der Wirkungsgrad 0,055 bis 0,066, mit geübten 0,10 bis 0,11, so daß das Mittel von derselben Größenordnung ist, wie bei v. Rziha. Nach dem Abzugverfahren erhält man für den ausführlich gegebenen Versuch 586/(4071—1340) = 0,215, also auch wieder dieselbe Größenanordnung wie oben. Nach der Meinung der Forscher ist diese Zahl nicht groß genug, und sie suchen nach Mitteln, sie vergrößern zu dürfen. Ein solches glauben sie in folgender Überlegung gefunden zu haben. Der Radler bewegt beim Radeln seine Beine; dazu gehört Arbeit, welche nicht als Strom nach außen abgegeben wird. Es wird also die hierzu nötige Arbeit noch im Nenner abgezogen; so gelingt es, den Wirkungsgrad auf 0,234 zu bringen. Der Mensch als Kraftmaschine. 319 Dem Berichterstatter ist auch diese Zahl noch nicht groß genug. Da im Versuchsbericht von einem Fahrrad die Rede ist und der gewöhn- liche Radler auch eine gewisse Arbeit aufwenden muß, um sich im Gleichgewicht zu erhalten, so will er auch hier eine solche Arbeit im Nenner noch abziehen und beachtet gar nicht, daß das Tretrad gut fest aufgestellt ist und der Versuchsmensch einen möglichst bequemen Sitz hat. In diesen Abänderungen der ersten Rechnung macht sich das eigen- artige Streben geltend, für den Wirkungsgrad des Menschen als Ganzes recht große Zahlen zu erhalten. Nachdem mir dieses Streben erst einmal aufgefallen war, habe ich auch im Schrifttum Stellen gefunden, wo es offen ausgesprochen war. So schreibt z. B. Oppenheimer: ‚Diese auf Grund exakter Messungen berechneten Zahlenwerte .... dürfen unter keinen Umständen da- durch umgerechnet und in außerordentlich viel kleinere (von mir hervor- gehoben) Werte umgeformt werden ...“ Warum nicht, wenn diese kleineren Werte einen brauchbareren Ausdruck für die Beobachtung er- geben ? An der Beobachtung selbst darf natürlich nichts geändert werden. Eine Stelle bei einem anderen Forscher besagt: ‚So würde hier jene höchste Vollkommenheit, die wir von den Einrichtungen der belebten Natur zu erwarten gewöhnt sind, in auffallender und einer besonderen Erklärung bedürfender Weise fehlen‘. Wie ist diese ‚„‚höchste Vollkommenheit“ bewiesen ? Der Mensch, dessen Wirkungsgrad untersucht wird, ist ein Natur- gegenstand wie die Rose, wie der Fichtelberg. Wir als Naturforscher haben nur die Aufgabe, die Eigenschaften der Naturgegenstände fest- zustellen; ein Urteil über Vollkommenheit oder Unvollkommenheit steht uns nicht zu. Daß übrigens nicht alle Physiologen derselben Meinung von der höchsten Vollkommenheit der belebten Natur sind, beweist der bekannte Ausspruch von Helmholtz: „Wenn mir ein Optiker ein Linsensystem in das Haus bringt wie das menschliche Auge, so werfe ich ihn als elenden Pfuscher hinaus.‘“‘“ Man bedenke ferner, wie schön es wäre, wenn wir beim Heruntersteigen von einem Berg einen Freilauf hätten wie ein Fahrrad. Solange die Erfinder in dem Wahn von der „höchsten Vollkommenheit“ der Natur den Vogel nachahmen wollten, hatte die Flugtechnik keine Erfolge; jetzt, wo die Flugzeuge ganz anders gebaut werden, fliegen wir und sogar besser als die Vögel. Vollkommenheit des Menschen voraussetzen und die Berechnung des Wirkungsgrades so einrichten, daß diese sichtbar werden soll, ist nicht naturwissenschaftlich. Etwas anderes ist es mit der von Menschenhand gebauten Maschine: Hier geben die Wirkungsgrade unter gewissen Vorsichtsmaßregeln ein 320 K. Schreber: Der Mensch als Kraftmaschine. Urteil über die Güte des Baues. Aber nicht der Ingenieur, der den Abnahmeversuch ausführt, ist der gute Ingenieur, sondern der Er- bauer der Maschine, der in der Fabrik sitzt und vielleicht gar nicht einmal weiß, daß die von ihm entworfene Maschine untersucht wird. Wir stehen dem Menschen, dessen Wirkungsgrad untersucht werden soll, so gegenüber, wie der Ingenieur, der den Abnahmeversuch macht, der Maschine. Ihm sowohl wie uns muß es vollständig gleichgültig sein, ob die gefundene Zahl groß oder klein ist, wenn sie nur das Ergeb- nis der Beobachtung eindeutig und richtig darstellt. Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit der Erklärung für dieses Streben der Physiologen, durch das Abzugverfahren möglichst große Zahlen für den Wirkungsgrad des Menschen als Ganzes zu erhalten: Sicherlich ist der Wirkungsgrad des Muskels größer als der des Menschen als Ganzes. Dadurch, daß man vom Energiebedarf des Menschen recht viel abzieht, nähert man sich dem Zahlenwert des Wirkungsgrades des Muskels. Es ist möglich, daß man sich vorstellt, schließlich die- selbe Zahl wie beim Muskel zu erreichen. Einen Beleg für diese Vorstellung habe ich allerdings im Schrifttum nicht gefunden. Jeden- falls wäre sie ebensowenig naturwissenschaftlich wie die erste. Der Muskel ist eben nur ein Muskel, der Mensch dagegen aus Muskeln, Sehnen, Beinen usw. zusammengesetzt; alles arbeitet mit, wenn der Mensch arbeitet, also muß stets zwischen dem Wirkungsgrad des Mus- kels und dem des Menschen als Ganzes ein Unterschied bleiben. Statt diesen Unterschied verwischen zu wollen, sollte man lieber das Verhältnis beider als mechanischen Wirkungsgrad zu einem Maß der Übung ausbilden; man würde so den Bestrebungen, die Eignung eines Menschen für ein bestimmtes Fach zahlenmäßig festzulegen, ent- gegenkommen. Ich bin am Schluß meiner Darlegungen. Meine Absicht war, zu zeigen, wie ein Ingenieur Muskeln, Organe und den Menschen als Ganzes als Maschinen behandeln würde. Zu beurteilen, wieweit diese Behand- lungsart möglich ist, muß ich den Physiologen überlassen. Der 6. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schildkröten- herzpräparat. Nach gemeinschaftlich mit W. Baschmakoff ausgeführten Versuchen mitgeteilt von A. Samojloif. (Aus dem Physiologischen Laboratorium der Universität Kasan.) Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 29. Juni 1922.) G. R. Mines, der als wahres Opfer der Wissenschaft sein Leben so früh verloren hatte, teilte in einer seiner letzten Arbeiten!) einen merk- würdigen. Versuch mit, dem unzweifelhaft eine große Bedeutung für die Physiologie und ganz besonders für die Pathologie des Herzens zukommt. Es handelt sich um einen Versuch an einem in geeigneter Weise präparierten Schildkrötenherzen, an welchem das Phänomen des Fortschreitens der Erregung in einer geschlossenen Bahn demon- striert wird. Zu seinem Experiment gelangte Meines nicht zufällig. In seiner an Tatsachen und Gedanken reichen Arbeit schildert er in anmutiger Weise den logischen Gang, der ihn schließlich zu seinem Ver- suche führte. Als Ausgangspunkt seiner ganzen Deduktion diente Mines folgende von ihm verteidigte Angabe. Wenn man einen Froschventrikel mit einzelnen Reizen rhythmisch reizt und die Intervalle zwischen den Reizen immer kürzer und kürzer wählt, so wird die Dauer des Elektro- srammkomplexes des Ventrikels immer kürzer und kürzer. Da man andererseits mit guten Gründen die Dauer der Refraktärperiode mit der Dauer der elektrischen Beantwortung in Zusammenhang bringen kann, so wird es klar, warum es möglich ist, das Herz zu hohen Frequenzen zu zwingen, falls man nur die Herzschlagfolge gradatim und nicht in großen Sprüngen in die Höhe treibt. Die Fähigkeit des Herzmuskels, einer verlangten hohen Frequenz Folge zu leisten, ist abhängig von dem Wege, auf welchem man zu dieser Frequenz gelangt: ‚The case !) @. R. Mines, On dynamie equilibrium in the heart. Journ. of physiol. 46, 349. 1913. 322 A. Samojloff: provides a most interesting example of the way, in which the pre- vious history of the tissue may influence its immediate behaviourt).‘ Es kommt in der Regel vor, daß bei künstlicher Reizung des Herzens mit rasch aufeinanderfolgenden Reizen sich bald eine alternierende Tätigkeit einstellt, wobei die Alternation verschiedene Formen annehmen kann. So beobachtete man nicht selten, daß die Elektrogramme merk- lich alternieren, wogegen die mechanische Äußerung ganz regelmäßig und ohne Alternation abläuft; noch häufiger sind diejenigen Fälle, in welchen die Alternation auch die Kontraktionsgröße betrifft. Die Alter- nation erklärt Mines in der Weise, daß es mit zunehmender Reizfolge zu einem Zustand kommt, wo nur ein Teil der Muskelfasern jeden Reiz beantwortet, der andere Teil dagegen, dessen Refraktärperiode nicht entsprechend gekürzt ist, bloß auf jeden zweiten Reiz reagiert. Das Wichtigste ist aber dabei nach Mines erstens, daß die im Halb- rhythmus funktionierende Muskelmasse nicht als eine abgesonderte _ Partie aufzutreten braucht, sondern zerstreut in der übrigen Muskel- masse sich vorfindet und deshalb nicht etwa als bestimmtes Bündel differenziert werden kann und daß, zweitens, nicht alle im Halbrhyth- mus schlagenden Muskelelemente sich gleichzeitig kontrahieren, — sie können z. B. als zwei Gruppen miteinander alternierend in Tätigkeit treten; die alternierenden Serien laufen nach Mines nach dem Schema V—v, V-v, V—-v, V—-v, und nicht einfach V, V-v, V, V-v. Diese Ansicht wird von Mines durch schön durchdachte Versuche ge- stützt. Wenn nun V ganz in v, und v, aufgeht und dabei die Muskel- masse v, gleich derjenigen v, wird, so resultiert der erwähnte Fall, daß die Höhen der aufeinanderfolgenden Ventrikelkontraktionen iden- tisch sind, wogegen die entsprechenden Elektrogramme deutlich von- einander sich unterscheiden. _ Eine derartige alternierende Tätigkeit wird von Mines auch in bezug auf das Übergangsgewebe zwischen Vorhof und Ventrikel für möglich gehalten. Er kommt auf diesen Gedanken beim Versuch, einen sonder- baren, zufällig beobachteten Tätigkeitsmodus des Herzens zu erklären, dem er die Bezeichnung ‚‚reciprocating rhythm“ gab. Nach Sistierung rhythmischer, künstlicher, frequenter Reize eines sonst stillstehenden Herzens bemerkte Mines, daß die Ventrikel- und Vorhofkontraktionen !) Ich selbst habe ebenfalls diese Angabe gemacht. „Es erwies sich bald, daß man eventuelle Superpositionsbilder der E. G. nicht erhalten kann; denn wenn man den zweiten Reiz des Doppelreizes noch vor dem Ablauf des E. G. des ersten Reizes schickt, so bleibt er wirkungslos, das Herz ist noch refraktär“; und in Zusammenhang damit wird weiter geschildert die Erlangung einer hohen Frequenz der Ventrikeltätigkeit durch sukzessive Verminderung der Reizdistanz; ‚‚das Herz erlaubt wohl eine rasche Reizfolge, es sträubt sich nur gegen eine plötzliche Steige- rung der Frequenz.“ A. Samojloff, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 135, 450 u. 452. 1910. Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 323 sich so aufeinander folgten, als ob die Vorhofkontraktion für die Ven- trikeltätigkeit und andererseits die letztere für die Ventrikeltätigkeit verantwortlich wäre: ‚The rhythm was rapid and the intervall between the auricle and ventricle contractions was apparently the same as that between the ventricle and auricle contractions.‘‘ Es ist kaum an- zunehmen, meint Mines, daß das Übergangsgewebe, welches eben eine Erregung in natürlicher Richtung durchleitete, es zustande bringen könnte, gleich darauf für eine Erregung in umgekehrter Richtung weg- sam zu werden. Es scheint ihm wahrscheinlicher zu sein, daß eine Por- tion des Übergangsgewebes bei dem beschriebenen Tätigkeitsmodus in einer Richtung, die andere Portion in anderer Richtung leitete. Die einzelnen Muskelfasern, aus denen die Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel bestehen, sind allerdings in Kontinuität miteinander, es läßt sich aber nach Mines wohl denken, daß die einzelnen Partien des Bündels ihre physiologische Kontinuität verlieren und alternierend arbeiten, wie es oben für die Ventrikelmuskulatur auseinandergesetzt wurde. Es ist klar, daß eine solche Auffassung des ‚reciprocating rhythm‘“ sich mit der Annahme einer Zirkusbewegung deckt. Mines sagt dann weiter, daß eine unerläßliche Vorbedingung für die Etablie- rung des Kreises darin bestehe, daß die Erregbarkeit im Bündel bei rascher künstlicher, rhythmischer Reizung nicht gleichzeitig in sämtlichen Muskelfasern auftaucht; ein minimaler Unterschied in dieser Beziehung kann aber dazu führen, daß eine Extrasystole des Ventrikels, die sofort nach Ablauf der Tätigkeitsphase des A—V- Bündels einsetzt, nur durch einzelne Teile desselben, die nicht mehr refraktär sind, zum Vorhof gelangen kann, dafür aber jetzt die Extravorhoferregung einige offene Wege im A— V-Bündelzum Ventrikel findet usw. Ist einmal ein solcher Ringrhythmus zustande gekommen, dann unterhält er sich selbst. Eine Extrasystole setzt dem Spiel ein Ende. Um diese Hypothese zu prüfen, führte Mines seinen Versuch am Schildkröten- herzen. Der Versuch besteht im folgenden: Das ausgeschnittene Herz wird durch die Entfernung des Sinus zum Stillstand gebracht; ein Längsschnitt durch die vordere und hintere Wand des Vorhofes und des Ventrikels verwandelt das Herz in einen Ring (Abb. 1), in welchem Vorhof (3, 4) und Ventrikel (1, 2) an zwei gesonderten Stellen mit- einander verbunden sind. Ein irgendwo am Ringe applizierter Reiz kann zur Kontraktion sämtlicher vier Teile des Ringes führen. ‚After stimu- lating several times, the following condition appeared ...‘“, und darauf folgt die Beschreibung der Bewegung des Erregungsprozesses im Zirkelt). !) Mines erwähnt an dieser Stelle den Zirkelversuch von A. @. Mayer (Popular Seience Monthly 1908, XII, S. 481) am abgeschnittenen Medusenschirm. Der 324 A. Samojloff: Ich veranlaßte W. Baschmakoff, den Versuch zu wiederholen. Der Versuch ist ungemein eindrucksvoll. Die Art und Weise, wie man den Zirkel in Gang setzt, ist von Mines ausgezeichnet beschrieben: „Man reizt das Präparat einige Male.‘‘ Mehr können wir auch nicht sagen. Wir nahmen gewöhnlich eine scharfe Nadel und reizten mechanisch am stillstehenden Herzen irgendeinen Punkt 5—7 mal in Intervallen von ungefähr einer Sekunde, und das genügte gewöhnlich, um das Phä- nomen hervorzurufen. Ohne weiteres sah man sofort nach Sistierung der künstlichen Reize, daß die Kontraktion sich im Kreise herum- bewegt. Das Präparat lag auf einer Glasplatte, und es ließ sich sehr schön, namentlich am Ventrikelteil, verfolgen, wie die sukzessive nacheinander sich kontrahierenden Partien von der Glasunterlage erhoben; am Vor- hofteil war das lange nicht so schön zu sehen, und manchmal schien es, daß irgendein Teil des Vorhofes an der Bewegung sich nicht be- teiligte. Störend für die Auffassung der Erscheinung als einer un- unterbrochenen rotierenden Bewegung war das regelmäßig wieder- kehrende, temporäre Anhalten des Prozesses an den Übergangsstellen zwischen Vorhof und Ventrikel. Dieses temporäre Stehenbleiben beim Verfolgen der kreisenden Erscheinung führte dazu, daß man dann und wann die Neigung fühlte, sich der Vorstellung hinzugeben, daß einfach die Kontraktionen des verstümmelten Ventrikels denjenigen des Vor- hofes folgten und vice versa. Trat die Erscheinung nicht gleich nach Vornahme der ersten Reizung ein, so ließ man das Präparat eine Zeitlang liegen und wiederholte dann die Reizungsprozedur noch einmal; gewöhnlich kam man dann nach der zweiten, evtl. erst der dritten Reizung zum Ziel. Wenn in einer sehr kleinen Anzahl von Fällen (2 unter 15) der Versuch mißlang, so war der Verdacht am Platze, ob nicht etwa eine ungeschickte Schnitt- führung mit darauffolgender konstanter Blockade den Versuch ver- eitelte. An einem Präparate, an welchem der Ringrhythmus spontan oder durch Extrasystole aufhörte, ließ sich das in Rede stehende Phä- nomen gewöhnlich wiederum hervorrufen, wobei es nicht selten geschah, daß, wenn die Zirkelbewegung das eine Mal sich in der Richtung des Uhrzeigers vollzog, sie ein anderes Mal eine entgegengesetzte Richtung annahm. Um sich über die Einzelheiten des Vorganges des Ringrhythmus Klarheit zu verschaffen, versuchten wir die ganze Erscheinung graphisch zu registrieren. Es war wenig Aussicht, brauchbare Resultate mit dem Aufzeichnen der Kontraktionsbewegungen vermittels mehrerer gleich- zeitig schreibender Hebel zu erhalten. Viel zweckmäßiger und sicherer Versuch am Schildkrötenherzen wurde später an großen Exemplaren mit ver- schiedener Art der Anfertigung des Ringes von Garrey ausgeführt (Amer. Journ. of physiol. 22, 397. 1914). Der G. R. Minessche Rinerhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 325 schien natürlich die Registrierung des elektrischen Vorganges am Herzpräparate während des Ringrhythmus. Am einfachsten wäre es, die vier Teile des Präparates 1, 2, 3 und 4 (Abb. 1) vermittels von vier Paar Elektroden mit vier Galvanometern zu verbinden und die Ausschläge der vier Seiten auf einer und derselben Platte zu photo- graphieren. Wir waren aber im Besitze bloß zweier Galvanometer, weshalb in anderer Weise verfahren wurde. Das Präparat lag auf einer Glasplatte; vier Paare Zinksulfattonelektroden mit Wollfäden waren im Umkreise der Giasplatte orientiert und je ein Paar Fäden, voneinander 2—3 mm entfernt, den Teilen 1, 2, 3 und 4 des Ringpräparates an- gelegt. Abgeleitet wurde bei einer Aufnahme immer gleichzeitig von 2 Teilen, z. B. anfangs von beiden Ventrikelteilen 1 und 2, wobei die Elektroden 1 mit dem Galvanometer G und das Elektrodenpaar 2 mit dem Galvanometer g verbunden waren; die Verbindung war so getroffen, daß die Seitenausschläge beim Passieren der Erregungswelle in einer und derselben Richtung längs des Ringes im Photo- gramm ebenfalls gleichgerichtet waren. Die beiden Projektionsokulare der beiden Galvanometer standen dicht beieinander und in einer Vertikalen, das Okular von @ etwas oberhalb des Okulars von g. Vermittels kleiner totalreflektierender Prismen, die an den Okularen befestigt waren, wurden die Seitenbilder als hori- zontale Linien am Registrierapparate mit vertikalem Spalt projiziert. Eine Jaquet- sche Uhr zeichnete Sekunden, ein Rad mit Speichen dicht vor dem Spalt und eine Glasplatte mit feinen Linien in Millimeterabstand dienten zum Aufzeichnen des Garienschen Millimeternetzes. Der Gang des Versuches gestaltete sich folgendermaßen. Nachdem eine Aufnahme G, (Elektrodenpaar am Ventrikelteil 1 zum Galvanometer @G abgeleitet) und g, (Elektrodenpaar am Ventrikelteil 2 zum Galvanometer g abgeleitet) gemacht wurden, änderte man die Verbindungen der Galvanometer mit dem Präparate so, daß jetzt die Kombination G,, g, resultierte und machte nun eine zweite Aufnahme; in derselben Weise führte man dann weiter die dritte Auf- nahme für die Kombination G,, g, und schließlich die vierte für die Kombination G, 91, womit der Kreis als abgeschlossen betrachtet werden konnte, denn in der ersten Aufnahme hatte man @, und in der letzten g.. Gi 9 I 1,0 Sek. Abb. 2. Eine Reihe von derartigen vier Aufnahmen ist wiedergegeben in den Abb. 2, 3, 4 und 5; die Originalkurven waren etwa 3,5 mal größer: das Netz bestand in den Originalaufnahmen aus Quadratmillimetern, 326 A. Samojloff: ; woraus man den Grad der Verkleinerung in der Reproduktion ersehen kann. An der linken Seite jeder Abbildung ist angegeben, mit welchem Galvanometer die Kurve geschrieben (G oder g) und welcher Präparaten- teil abgeleitet wurde; an der rechten Seite der Abbildung ist das Schema des Präparates nach dem Muster der Abb. 1 mit Angabe der Ventrikel- @, i G 93 1,0 Sek. Abb. 3. und Vorhofteile, der Verbindung beider Teile mit den Galvanometern und die Richtung der Erregungswelle gezeichnet. Aus den vier Auf- nahmen ersehen wir erstens, daß jeder abgeleitete Teil ein Elektro- gramm mit wohlausgebildeten R- und T-Zacken lieferte, wobei die R-Zacken (auf die es als auf den Beginn des Erregungsprozesses in unserem Falle bloß ankommt) einen Ausschlag nach ein und derselben GT, 94 1,0 Sek. | Abb. 4. Richtung, nämlich nach unten, aufweisen, während die Zacken T in einer Kurve nach oben, in anderen nach unten ausweichen (die Be- zeichnungen der Zacken mit den Buchstaben R und T wenden wir hier auch auf die Kurven der direkt abgeleiteten Vorhöfe an). Daß die beiden Galvanometer gleichgeeicht waren, ersieht man daraus, daß die Kurven, die einem und demselben Präparatenteile entsprechen, mit beiden Galvanometern fast identisch geschrieben werden: 9, — Der G. R. Minessche Ringrhytimusversuch.am Schildkrötenherzpräparat. 327 Abb. 2 und G@, — Abb. 3; g;, — Abb. 3 und G, — Abb. 4; g, — Abb. 4 und G, — Abb.5; g, — Abb. 4 und G, — Abb. 2. Die Periodenlänge in den vier Aufnahmen ist fast identisch, nämlich in Sekunden: 4,68 — 4,69 — 4,70 — 4,71. Das Wichtigste, was man den vier Aufnahmen entnehmen kann, ist erstens, daß man es wirklich in unserem Falle mit einer Bewegung G, 91 1,0 Sek. des Erregungsvorganges in einem Kreise zu tun hat. Die Reihenfolge im Auftreten der R-Zacken in den vier Abbildungen (Abb. 2, 3, 4 und 5) spricht ganz deutlich dafür, daß eine Erregungswelle in der Richtung des Uhrzeigers die ganze Erscheinung bedingt. Eine genaue Aus- messung der Abstände zwischen den R-Zacken gibt eine Vorstellung vom Gange der Welle und der Zeit, die für die Fortleitung von einem Ringteil zum anderen in Anspruch genommen. wird. Dauer der Fortleitung vom Elektrodenpaar Abb. 2 des Ventrikelteils 1 zum Elektrodenpaar des Ventrikelteils 2 . . 0,26 Sek. Abb. 3 des Ventrikelteils 2 zum Elektrodenpaar des Vorhofteils 3 . . . 2,66 Sek. Abb. 4 des Vorhofteils 3 zum Elektrodenpaar des Vorhofteiles 4 ..... . 0,13 Sek. Abb. 5 des Vorhofteils 4 zum Elektrodenpaar des Ventrikelteils 5 ... . 1,71 Sek. Wir sehen aus den Zahlen, daß der größte Teil der Periode auf die Überleitung vom Vorhof zum Ventrikel in einem Teil des Ringes und vom Ventrikel zum Vorhof im anderen Teil desselben verwendet wird. Ganz besonders beachtenswert ist es, wie groß der Unterschied in der Dauer der Leitung im Übergangsteil zwischen Vorhof und Ven- trikel in natürlicher und in umgekehrter Richtung ist. Die Über- leitungszeit V—A ist nicht nur größer als diejenige A—V, sondern sie dauert länger als die Hälfte der ganzen Periode. Es fragt sich nun weiter, wie verhalten sich die Perioden des Er- regungszustandes des Vorhofes und Ventrikels zu den angegebenen Zahlen der Überleitungsdauer. Um die in Frage stehenden Verhältnisse möglichst anschaulich übersehen zu können, wurde auf Grund der besprochenen vier Aufnahmen eine summarische Kurventafel kon- struiert (Abb. 6), in der möglichst getreu die vier Kurven 1, 2, 3, 4 328 A, Samojloff: übereinander abgezeichnet wurden; man gelangt so zu einer Kurventafel, die ein Surrogat einer Aufnahme mit vier gleichzeitig arbeitenden Galvanometern darstellt. In der linken Hälfte der Abb. 6 sind hori- zontale Linien gezogen, die die Erregungsdauer auf Grund des elek- trischen Effektes andeuten. Das Auffälligste, was man dabei zuerst zu sehen glaubt, ist die regelmäßige Folge der Ventrikel- (V,+V,) und Vorhoftätigkeit (A,+A,). Es ist in der Tat merkwürdig, wieviel Mittel das Herz besitzt, um auch unter ganz unnatürlichen Verhältnissen der Ernährung im beschädigten, ja sogar sehr verunstalteten Zu- stande, seine Urfunktion, d.h. die regelrechte rhythmische Folge der Kontraktion der Herzteile, aufrechtzuerhalten. In der rechten Seite der Abb. 6 zogen wir für drei Perioden Linien, die die Anfänge der va a re en nn... Abb. 6. R-Zacken der Nachbarteile des Ringes miteinander verbinden; in in diesem Teile der Abbildung sehen wir schön den Ablauf der Erregung in einer geschlossenen Bahn demonstriert. So ist es hier beim Anschauen der Abb. 6 gerade so wie beim Anschauen des funktionierenden Ring- präparates (worauf früher hingewiesen wurde) möglich, den Vorgang in zweifacher Weise aufzufassen, je nachdem wir unsere Aufmerksam- keit mehr auf den abwechselnden Rhythmus des Vorhofes und des Ventrikels oder auf das Herumkreisen der Erregung konzentrieren. Die Erregung umgreift beide Teile des Ventrikels sehr rasch, wogegen der Erregungszustand selbst hier fast die Hälfte der ganzen Periode einnimmt, wie die Abb. 6 zeigt. Während der ganzen Dauer des Er- regungszustandes des Ventrikels fließt die Erregung ins Übergangs- gewebe. Wenn nun weiter der Prozeß auf den Vorhof übergreift, so erweist sich der Ventrikel schon wiederum in Ruhe, und das Fortschreiten Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 329 des Erregungsprozesses geschieht jetzt im anderen Teil des Über- gangsgewebes. In der Abb. 7 ist der Vorgang schematisch dargestellt. In Abb. 7 Lund Il ist der Ventrikel errest, währenddessen der Erregungs- vorgang im linken : Übergangsbündel erlischt und auf den rechten übergreift, dagegen bleibt in Abb. 7 III und IV der Vorhof erregt, und der Erregungsprozeß erlischt unterdessen im rechten Übergangs- bündel, um im linken sich auszubilden. Zwischen den Phasen I und II sowie III und IV fließt gewissermaßen ein Prozeß unsichtbar für das Auge von einem Übergangsbündel zum anderen, zwischen den Phasen II und III sowie IV und I geschieht das Übergreifen der Kontraktion sichtbar für das Auge vom Ventrikel zum Vorhof und umgekehrt. Wir machen hier noch auf einen Punkt aufmerksam, der auf Abb.7 nicht berücksichtigt ist. Abb. 6 zeigt, daß während des Beginnes der Vorhoftätigkeit die Ventrikel sich schon fast im Ruhestande befinden, wenn dagegen der Ventrikel seinen Erregungsprozeß beginnt, so sind die Vorhöfe noch tätig: es hängt das vielleicht damit zusammen, daß die Übergangszeit zwischen beiden Herzteilen in einer und der anderen Richtung verschieden ist. Wir kommen auf diesen Punkt zurück. Wir dürfen den ganzen Sachverhalt uns auch so auslegen, als ob das Schildkrötenpräparat eine ganz bedeutend größere Länge hätte als die wirkliche Länge des Ringes am Präparate. Falls der ganze Ring nur aus vier Teilen von derselben Muskelmasse wie die zwischen den Elektroden 1 und 2 bestände, so wäre die Dauer der ganzen Periode gleich 0,26 x4—=1,04 Sekunde. Von einem Punkte ausgehend hätte die Welle denselben Punkt eher erreicht, als letzterer noch seine Re- aktionsfähigkeit wiederum erlangt hat, denn der Refraktärzustand in unserem Falle besitzt die Dauer etwa der Periodenhälfte, also etwa über 2,0 Sekunden. Zwischen zwei Teilen des Ringes sind an zwei Stellen quasi zwei Muskelstücke von solche Länge hineingeschoben, daß die Periodendauer 4,7 ausmacht. Wenn wir nun annehmen, daß der Weg zwischen beiden Elektrodenpaaren 1 und 2 etwa zweimal so lang ist, wie zwischen 3 und 4, so wäre es klar, warum die Leitung der Erregung zwischen 1 und 2 gleich 0,26 Sekunden und die zwischen 3 und 4 gleich 0,13 Sekunde ist. Nehmen wir die Größe 0,13 Sekunden für eine 390 A. Samojloff: Einheit, so können wir sagen, daß der Abstand zwischen den Elektroden- paaren 1 und 2 (0,26 Sek.) etwa gleich 2,0 2 und 3 (2,66 Sek.) etwa gleich 20,0 3 und 4 (0,13 Sek.) etwa gleich 1,0 4 und 1 (1,71 Sek.) etwa gleich 13,0 36,0 Der schematische Ring, der unser Schildkrötenherzpräparat in bezug auf die zeitlichen Verhältnisse ersetzen kann, muß somit aus 36 Längeneinheiten gleichartigen Muskelgewebes bestehen. Ein solches Schema ist wiedergegeben in Abb. 8. Von den 36 Teilen des Ringes besitzen bloß die gestrichel- ten Teile O—2 (Ventrikel) Elektrodenpaar A, und 22—23 (Vorhof) die Blektrodenpaar A, Kontraktionsfähigkeit, die übrigen Teile stellen das Übergangsgewebe dar. Nehmen wir an, der Erregungsprozeß beginnt am Punkte 0. Nach 2 Zeiteinheiten ist derselbe bereits am Punkte 2 angelangt, und während nun der Ventrikel im Erregungszustande Eure 3 verbleibt, fließt der Prozeß weiter. Sowie u aber die Erregung den Punkt 20 berührt, i Blektrodenpaar V, peginnt bei O0 die Ruheperiode sich aus- Elektrodenpaar V, zubilden, denn wir haben ja die Dauer INA des Erregungszustandes am Ventrikel und Vorhof rund der Dauer der Perioden- hälfte gleich gefunden (s. Abb. 6). Zum Beginn der Vorhoferregung befindet sich der ganze Ventrikel bereits in Ruhe. Nunmehr schreitet die Erregung in natürlicher Richtung vom Vorhof zum Ventrikel. Nach 13 Zeiteinheiten pflanzt sich die Erregung auf den Ventrikel fort, nach 15 Zeiteinheiten ist der ganze Ventrikel in Erregung; wir haben also jetzt diejenige Phase vor uns, in welcher sowohl der Vorhof als auch der Ventrikel im Erregungszustande verharren; diese Phase dauert im ganzen etwa 3 Einheiten, worauf (nach Verlauf also von 18 Einheiten) der Vorhof in Ruhezustand übergeht. Im Laufe von 3 Zeiteinheiten sind beide Zwischenteile zwischen Vorhof und Ven- trikel gleichzeitig mitbeteiligt. Man kann sagen, daß im schematischen Ring 20:36 —5:9 des ganzen Ringes den Erregungsprozeß gleich- zeitig durchmachen und dieser Teil sich im Kreise herumdreht. Der Ring hat somit im gewissen Sinne eine übermäßig große Länge: zur Etablierung des Ringrhythmus würde es genügen, wenn man den Ring etwa bloß aus 21 Einheiten zusammenstellen würde. Der G. R. Minessche Ringerhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 331 Die Demonstration der Zirkelbewegung der Erregung im Schild- krötenherzen vermittels Registration läßt sich mit zwei Galvano- metern auch in anderer Weise ausführen. Man nimmt bloß zwei Paare Elektroden und legt jede der vier Elektroden an einen der vier Teile des Ringpräparates des Schildkrötenherzens. Die beiden Elek- troden vom Vorhof und Ventrikel der linken Seite 4—1 (s. Abb. 9) des Präparates werden mit dem einen Galvanometer, die Elektroden vom Vorhof und Ventrikel der rechten Seite 3—2 mit dem anderen 1,0 Sek. Galvanometer verbunden. Dieses Arrangement hat den Vorteil vor dem früher besprochenen, daß man in diesem Fall in einer einzigen Aufnahme den ganzen Vorgang vor sich hat. Wie man in der Abb. 9 sieht, erfolgt der Ventrikelausschlag 1 der oberen Kurve (Galvano- meter G) früher als der Ventrikelausschlag 2 in der unteren Kurve (Galvanometer g); demgegenüber erscheint die Vorhofzacke 3 der unteren Kurve früher, als die Vorhofzacke der oberen Kurve 4; damit ist die Kreisbewegung der Erregung, und zwar in der Richtung des Uhrzeigers bewiesen. Die ganze Periode war in diesem Präparate fast genau so lang, wie im früher beschriebenen Fall — 4,71 Sekunden. Auch die einzelnen Teile der ganzen Periode verteilen sich in ähnlicher Weise, wie im ersten Präparate: Dauer der Leitung zwischen den Elektroden 1—2 ( Dauer der Leitung zwischen den Elektroden 2—3 (g) — 2,70 Sek. ( ( 3 Dauer der Leitung zwischen den Elektroden 3—4 (9—@) — 0,15 Sek. Dauer der Leitung zwischen den Elektroden 4—1 (g) — 1,53 Sek. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 22 G—9) — 0,36 Sek. 332 A. Samojloff: Das Verhältnis der Leitungszeit in umgekehrter und in natürlicher Richtung durch das Verbindungsgewebe zwischen Vorhof und Ventrikel ist 2,7 :1,53 = 1,76. Auch im Photogramm, Abb. 9, sieht man aller- dings nicht so deutlich, wie im vorher betrachteten Fall, Abb. 6, daß zur Zeit, wo die Ventrikelteile zu funktionieren beginnen, die Vorhöfe ihren Erregungszustand noch nicht durchgemacht haben, wogegen die Vorhöfe erst nach Ablauf des Erregungszustandes in den Ventrikel- teilen aktiv werden. Dieses Verhalten hängt wohl mit dem angegebenen Unterschied der Überleitungzeit in beiden Richtungen zusammen. Unterhalb des Photogramms in Abb. 9 sind durch die gestrichelten Vierecke Ventrikel- und Vorhofleitungszeiten und durch Abstände zwischen denselben die Überleitungszeiten im Übergangsgewebe an- gegeben. Würde man eine der gezeichneten Perioden in einen Kreis umbiegen, so bekäme man dieselbe Konstruktion wie in der Abb. 8. Aus beiden angeführten Versuchen müssen wir zum Schluß kommen, daß das Minessche Schildkrötenherzpräparat in früher angegebenem Sinne die Forderungen für die Etablierung der Zirkelbewegung der Erregung im Übermaß erfülllt, denn die gleichzeitig erregte Partie des Ringes ergreift nur etwas mehr als die Hälfte des schematischen Ringes. Mit anderen Worten: es ließe sich der Ringrhythmus im Minesschen Präparat auch dann realisieren, wenn die Überleitungszeiten im Übergangsgewebe etwas kürzer wären. Damit hängt es auch zusammen, daß der Ringrhythmus in dem in Rede stehenden Präparat so leicht hervorzurufen ist. Ist einmal die Ringbewegung hergestellt, so genügt nach Mines eine Extrasystole, um sofort dem Spiel ein Ende zu machen; ich habe dieses Verhalten oftmals geprüft und konnte die Richtigkeit der obigen Behauptung ohne einzige Ausnahme bestätigen: wenn ein Extrareiz am tätigen Ringpräparat überhaupt wirksam ist, so führt er zum Stillstand. Ich besitze mehrere Aufnahmen, in denen diese Erscheinung sehr gut zu sehen ist. Es ist nicht ganz klar, weshalb eine Extrasystole eine derartige Wirkung haben soll. Wenn wir uns vorstellen, daß an einem Ringpunkte, der gerade während der Zirkusbewegung nicht aktiv ist, ein Extrareiz angebracht ist, so muß von diesem Punkte aus eine Erregung ihren Lauf in beiden Richtungen beginnen; in der einen Richtung wird die neue Welle der ihr entgegenkommenden zirkulieren- den begegnen, wobei beide Wellen hier ihr Ende haben werden, — in der anderen Richtung kann aber die neue Welle sich ohne Hindernisse fortpflanzen, falls sie mit derselben Geschwindigkeit sich bewegt, mit der die alte schwindet: unter diesen Umständen kann die alte Welle nicht nachgeholt werden. Im Resultat müßte sich eine neue zirkulierende Welle ausbilden und zu einer Störung des Rhythmus führen, die man mit der Wirkung der Fxtrareizung am Sinus auf den Urrhythmus bei normalschlagenden Herzen vergleichen könnte. Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 333 Die wichtigste Frage im Problem des Ringrhythmus ist die nach den Bedingungen, unter welchen das in Frage stehende Phänomen zustande kommt. Für den Fall eines Präparates, das aus unbeschä- digtem Vorhof-Ventrikel (Fisch) resp. Ventrikel-Bulbus (Frosch) be- steht, gab Mines eine Erklärung des ‚‚reciprocating rhythm‘“, welche durchaus plausibel ist. Wie anfangs angeführt ist, muß man das Prä- parat rhythmisch mit zunehmender Frequenz der Einzelreize errregen. Dadurch wird bald das Übergangsgewebe in zwei Portionen geteilt; die eine leitet jeden Reiz, die zweite jeden zweiten. Unter solchen Umständen kann eine am Ventrikel angebrachte Extrasystole bloß durch jenen Teil der A—V-Konnexion zum Vorhof gelangen, dessen Erregbarkeit früher aufwacht. In solchem Falle ist die andere Partie der A—V-Verbindung, die sich an der Leitung eben nicht beteiligte, schon fertig, den Reiz vom Vorhof zum Ventrikel zu übertragen; damit sind die Bedingungen des Ringrhythmus geschaffen. Wie früher erwähnt wurde, hat Mines den Versuch mit dem Schild- krötenherz ausgeführt, um bloß diese seine Hypothese zu verifizieren. Es scheint uns aber, daß der Schildkrötenversuch bedeutend einfacher gedeutet werden kann. Durch den Schnitt durch die Wände des Vor- hofes und des Ventrikels wird sofort, ohne jegliche andere Maßnahmen, eine mechanische Trennung des Übergangsbündels erzeugt, die sonst am Fischpräparat in Form einer funktionellen Trennung durch fre- quente Einzelieizee mit dadurch resultierender Abnahme der Re- fraktärperiodendauer sich ausbildet. Sowie der Schnitt ausgeführt ist, so ist das Herz in einen Ring verwandelt und eine neue Übergangs- stelle mit langsamer Leitung gewonnen. Im intakten Präparat muß etwas erzeugt werden, was am Ringpräparat der Schildkröte ohne weiteres gegeben ist. Deshalb ist es gar nicht nötig, an dem Ring- präparate frequente Reizungen zu unternehmen, um den Ring- rhythmus herzustellen. Der Ring hat zwei langsam leitende Stellen, weshalb der Ring quasi einen etwa 30 mal (s. oben) längeren muskulösen Ring ersetzen kann. Damit hängt es auch zusammen, daß man das Präparat einige Male zu reizen braucht, um nach Aufhören der Reizung das Phänomen sofort zu Gesicht zu bekommen. Nun fragt es sich, wie es kommt, daß die Erregung bloß in der einen Richtung sich fortpflanzt. Die Erklärung muß wohl in erster Linie in den Eigenschaften des Übergangsgewebes zwischen Vorhof und Ven- trikel gesucht werden. Die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen ist der am meisten labile und launische Punkt in bezug auf die Erregungs- fortpflanzung im Herzen. Wir wissen, daß infolge rascher Frequenz des Rhythmus, infolge toxischer Einflüsse, infolge von Vagusreizungen und dgl. die Überleitung gerade an dieser Übergangsstelle am ehesten versagt. Dazu kommt als weiteres Moment die Verschiedenheit der 22* 334 A. Samojloff: Leitungsfähigkeit des Übergangsbündels in beiden Richtungen, wovon man sich gerade besonders schön am Minesschen Präparate überzeugen kann. Diese letzte Eigenschaft ist überhaupt sehr rätselhaft und ist einzig in ihrer Art. L. Hermann hat in seinem Handbuch im Kapitel über die doppelsinnige Nervenfaserleitung gesagt, daß es schwer ist, sich ein System vorzustellen, welches nur in einer Richtung leitet. Nun, es gibt doch Beispiele dafür. So hat der Reflexbogen die Eigenschaft der einsinnigen Leitung. Im Grunde aber handelt es sich hier vielmehr bloß um eine einseitige Übertragung an einer circumscripten Stelle des ganzen Bogens, vermutlich an der Synapse. Dort, wo eine Zelle in Be- ziehung zu einer anderen Zelle kommt, ist die einsinnige Übertragung verwirklicht, wie an der Synapse, wie an der Übergangsstelle vom motorischen Nerv zum Skelettmuskel. Im Herzen nehmen wir aber mit Recht ein Sineytium an, und dieses sollte keine Hindernisse für die Leitung von Zelle zu Zelle schaffen können und jedenfalls keine bevor- zugte Richtung für die Erregungsfortpflanzung aufweisen. Es ist sogar vielleicht weniger schwierig, sich ein einseitig leitendes System vor- zustellen, als ein System, das in einer Richtung besser leitet als in der anderen. Übrigens ist die Übergangsstelle A—V im Herzen unter Um- ständen bloß in einer Richtung für die Erregung durchgängig. Es geschieht nicht selten, daß, wenn man am normalschlagenden Herzen den Ventrikel mit Extrareizen behandelt, die Extraerregung anfangs vom Ventrikel zum Vorhof nicht hindurchtritt, auch wenn die zeit- lichen Verhältnisse in der Verteilung der Refraktärperiode des Vorhofes dafür nicht verantwortlich sind. Es ist weiter wohl etwas ganz gewöhn- liches, daß am stillstehenden .Herzen nach der Stianniusschen Ligatur eine Ventrikelreizung zu keiner Vorhofsystole führt. Es wäre vielleicht hier am Platze, die Angabe von E. v. Skramlik!) anzuführen, wonach an solchen Herzen eine Leitung vom Ventrikel zum Vorhof sich leicht ausbildet, wenn man damit anfängt, daß man ein oder zwei Erregungen in normaler Richtung durch Vorhofreizung hindurchgehen läßt. Skramlik nannte eine solche Wirkung eine Bahnung; er bemerkt dazu, daß die normale Richtung der Erregung und die gebahnte umgekehrte wohl an ein und dasselbe materielle Substrat gebunden sind; denn anders wäre es nicht klar, wieso der eine Prozeß den anderen begünstigt. Gewiß ist es eine zutreffende Bemerkung; allerdings muß man dabei auch daran denken, daß, wenn man am stillstehenden Herzen einmal den Vorhof, einmal den Ventrikel reizt, man hart an diejenige Grenze kommt, wo der ‚reciprocating rhythm‘‘ beginnt und wo vermut- lich eine funktionelle Teilung des Übergangsgewebes sich kund- geben kann. 1) E. vw. Skramlik, Die Bahnung der Erregung. Arch. f. d. ges. Physiol. 180, 30. 1920. Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch am Schildkrötenherzpräparat. 335 Wie dem auch sei, wenn die Übergangsstelle ein labiler Teil ist, der den Erregungsdurchtritt in anormaler Richtung unter Umständen nicht er- laubt, so istesnatürlich anzunehmen, daß der Grad der Labilität an beiden Seiten nicht gleich ist, daß ein am Ventrikel des Schildkrötenpräparates applizierter Reiz an beiden Durchgangsstellen am Vorhof anlangend durch eine Stelle hindurchtritt, an der anderen stehen bleibt; die Er- regung passiert dann weiter alle vier Teile des Präparates nacheinander und hat dabei die mehr labile Durchgangsstelle zwischen Vorhof und Ventrikel bloß in natürlicher Richtung zu durchlaufen, wodurch der Ringrhythmus verwirklicht ist. Nehmen wir nun als Ausgangspunkt den Fall, daß die Erregung vom Ventrikel sich fortbewegend an beiden Übergangsstellen passiert, so daß die Erregungswellen sich weiter begegnen und gegenseitig aufheben. Wir brauchen in diesem Falle nur einige Male den Ventrikel etwas frequenter zu reizen; an derjenigen der beiden Durchgangsstellen, die mehr labil ist, bildet sich ein Hinder- nis, wodurch die Bedingungen des Rhythmus gegeben sind. Sind beide Stellen von Anfang an für die anormale Richtung undurchgängig, so muß man es in der einen oder in der anderen Weise versuchen, die Funktion in Gang zu setzen; es ist nun in diesem Falle wiederum wahr- scheinlich, daß die Funktion nicht beiderseits in demselben Grade und im gleichen Moment auftaucht, wenn aber die eine Stelle früher durchgängig wird als die andere, so sind die Bedingungen des Ring- rhythmus realisiert. Wie früher angedeutet, erlangte der Ringrhythmus in der Patho- logie des Herzens eine sehr bedeutende Rolle, denn es erwies sich dank den hervorragenden Arbeiten von T. Lewis und seiner Schule, daß das Flimmern und namentlich das Flattern des Herzens auf einer Zirkus- bewegung der Erregung im Vorhof und um eine natürliche Öffnung des Vorhofes (z. B. Vena cava superior) beruht. In ganz überzeugender Weise wurde von Lewis bewiesen, daß eine frequente Folge von künst- lichen Einzelreizen am Hundevorhof erstens zur Kürzung der Refraktär- periode führt; im Zusammenhange damit entwickelt sich ein Zustand, in welchem manche Muskelelemente noch refraktär sind, wogegen ihre Nachbarn schon wiederum responsibel sind: Die Erregung muß in diesem Falle sich gewissermaßen hindurchzwingen, sie muß nicht gerade, sondern in Windungen und Schlängelungen den refraktären Punkten aus dem Wege ausweichend, sich fortbewegen, wodurch der Weg für die Erregung zwischen zwei Punkten verlängert wird. Die Erkenntnis dieses Zusammenhanges ist von einem äußerst bedeutenden Werte. Es konnte streng bewiesen werden, daß man durch rasche rhyth- mische Reizung des Hundevorhofes erreichen kann, daß eine Erregung infolge des partiell refraktorischen Zustandes und damit verbundenen geschlängelten Ganges ihren Weg zweimal langsamer als in der Norm 336 A. Samojloff: Der G. R. Minessche Ringrhythmusversuch usw. vollendet. Diese Möglichkeit der Verlängerung des Weges führt dazu, daß in einem gegebenen anatomischen Substrat, wie der Vorhof des Hundes, der von vornherein für die Etablierung des Ringrhythmus nicht geeignet ist, sich genügend lange, in sich geschlossene Bahnen entwickeln können, in denen die Erregung kreist. Die Ursache, warum die Erregung nur in einer Richtung ihren Weg findet, erklärt Lewis in der Weise, daß an einer oder anderen Stelle der Vorhofsmuskulatur unter den Bedingungen sehr frequenter rhythmischer Reizung nicht nur ein partieller, sondern ein vollkommen lokaler Block entsteht, womit das Phänomen des Rundganges der Erregung eingeleitet wird. In sehr klarer Weise hat weiter Lewis durch drei Aufnahmen vermittels Ableitungen in drei senkrecht aufeinanderstehenden Flächen mit drei gleichzeitig registrierenden Saiten bewiesen, daß auch beim Menschen in den oben genannten Krankheitsfällen die Erscheinung der Rund- bewegung in bestimmten Wegen des Vorhofes auftritt. Durch die Untersuchungen von Lewis ist auch der Vorgang im Mines- schen Präparat in ein klareres Licht getreten. Diejenigen Eigenschaften, die man zur Etablierung des Ringrhythmus im Hundeherzen — die Verlängerung des Weges (mit Kürzung der Refraktärperiode kombiniert) und die lokalen Blockstellen — erst durch künstliche Mittel schaffen muß, findet man im Ringpräparate des Schildkrötenherzens von Mines von vornherin vorhanden. Über die Verschiedenheit der Unterschiedsschwellen für den Gesehmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. Von K. Fodor und L. Happisch. (Aus der Abteilung für allg. u. vergl. Physiologie der Wiener Universität. [Vorstand Prof. Dr. Alois Kreidl).) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 20. Juli 1922). Kato!) hat unter Anleitung Prof. Kreidls für das Gehörorgan zwei verschiedene absolute Reizschwellen feststellen können. Die Binnen- muskel des Kaninchenohres zuckten nämlich wenn der Schall eine gewisse Stärke — die Reizschwelle — erreicht hat; es stellte sich nun heraus, daß man bei Annäherung einer Schallquelle bestimmter Inten- sität viel näher an das Ohr herankommen mußte um eine Zuckung zu erhalten, als wenn man sich mit der gleichen Schallquelle von dem Tiere allmählich entfernte. Der Unterschied war sogar ziemlich be- trächtlich, er betrug einige Meter. Da es sich hier nicht um eine sub- jektive Angabe einer Empfindung handelt, sondern um einem Reflex, so unternahmen wir es, einer Anregung Kreidis folgend, zu- nächst beim Geschmacksorgan zu untersuchen, ob eine Differenz der Schwelle auch für die Wahrnehmung besteht. Wir beschränkten uns allerdings nicht auf die Bestimmung eines allfälligen Unterschiedes in der absoluten Schwelle, je nachdem man von unterschwelligen oder von überschwelligen Reizen zu Schwellenreizen übergeht, sondern wir zogen auch das Verhalten der Unterschiedsschwellen in den Bereich unserer Untersuchungen. Untersuchungen am Geschmacksorgan — soweit sie sich auf Er- mittlung von Unterschiedsschwellen beziehen — liegen nur von Keppler und Lemberger vor. Keppler?) stellte Versuche mit 4 Geschmacks- qualitäten (salzig, sauer, süß, bitter) an. Er kam zu folgenden Resul- taten: l. Das Webersche Gesetz gilt für den Geschmackssinn nicht. 2. Bei zu- und abnehmender Reizstärke ist die Schwelle verschie- den und zwar ist die Schwelle bei abnehmender Reizstärke kleiner als 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 150, 589. ?) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 2, 449. 1869. 338 K.Fodor und L. Happisch: Über die Verschiedenheit der Unterschieds- die bei zunehmender. Hinsichtlich der Qualität ‚salzig‘, bei der sich Keppler dreier Intensitäten bediente, fand er bei der einen Umkehrung dieser Gesetzmäßigkeit, bei der anderen Gleichheit der Schwellen und bei der dritten normales Verhalten. Fechner !) unterzog die Versuchsergebnisse Kepplers einer neuen Berechnung und fand, wenigstens für die Qualität ‚salzig‘“, das Weber- sche Gesetz annähernd bestätigt. Die Versuche mit anderen Qualitä- ten verwirft Fechner. Die Lembergerschen Versuche?) beschränkten sich auf die Qualität „süß“ (Zucker und Saccharin) und ergaben die annähernde Gültigkeit des Weberschen Gesetzes bei mittleren Intensitäten. Die Versuche mit zu- und abnehmender Reizstärke wurden nicht auseinandergehalten. Andere Autoren befaßten sich nur mit der Ermittlung absoluter Schwellen. Von Arbeiten auf anderen Sinnesgebieten ist die von Borak?) zu erwähnen, der für den Muskelsinn eine „größere Empfindlichkeit für Gewichtszunahmen als für Gewichtsabnahmen‘“ konstatierte. Zu den Versuchen verwendeten wir chemisch reines Natriumchlorid der Firma Kahlbaum in Berlin. Die Lösungen wurden mit destilliertem Wasser bereitet und stets in größeren Mengen hergestellt. Die Menge der zu kostenden Lösung betrug 10 ccm, was im Gegensatz zu den früheren Autoren — Camerer*) verwendete 30 cem — als vollkommen genügend erkannt wurde. Die Versuche wurden zu jeder Tageszeit ausgeführt; es wurde nur darauf geachtet, daß seit der letzten Mahlzeit mindestens 2 Stunden verflossen waren, da wir kurz nach der Mahlzeit verminderte Empfindlichkeit feststellen konnten. Der Gang der Versuche war folgender: die Versuchsperson erhielt zunächst die Grundlösung zu kosten. Sie wurde genau 5 Sekunden im Munde behalten, welche Zeit vollkommen genügte, um eine deutliche Empfindung zu bekommen. Die Lösung wurde dann ausgespieen, der Mund kräftig ausgespült und nach 15 Se- kunden die Vergleichslösung gekostet, welche wieder 5 Sekunden im Munde be- halten wurde. Die Zeit zwischen dem Kosten der beiden zu vergleichenden Lösun- gen mußte deshalb 15 Sekunden betragen, weil das Ausspülen des Mundes, wenig- stens bei konzentrierteren Lösungen, so lange Zeit erforderte. Vollkommene Reini- gung des Mundes nach jedem Kosten ist aber eine Grundbedingung für das Er- halten exakter Resultaue bei derartigen Versuchen. Die Zeiten wurden vom Ver- suchsleiter mittels Stoppuhr bestimmt. Die Grundlösung blieb während einer Versuchsreihe stets dieselbe. Wir verwendeten für die exakten Schwellenversuche sieben verschiedene Grundlösungen, deren Gehalt 1, 2, 4, 6, 8, 14, und 20%, war. Die Vergleichslösung war dann entweder stärker als die Grundlösung oder schwächer bezw. war sie gleich, wenn es sich um Nullversuche (Vexierversuche) handelte. Störkere, schwächere und gleiche Vergleichslösungen wurden in verschiedener, unregelmäßiger Reihenfolge gegeben, so daß die Versuchsperson auf keinen Fall 1) Fechner, In Sachen der Psychophysik. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 123, 293. 1908. ®) Psychol. Forschung 1, 374. *) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 2, 322. 1,869. schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. 339 im voraus wissen konnte, wie die Vergleichslösung beschaffen war — die Versuche sollten ja vollkommen unwissentlich sein. Zwischen den einzelnen Versuchen waren Pausen eingeschoben, während welcher die neuen Konzentrationen her- gestellt wurden. In einer Folge haben wir bei schwachen und mittleren Konzentra- tionen ca. 15 Versuche gemacht. bei höheren weniger. Innerhalb dieser Anzahl konnten wir keine Ermüdung des Sinnesorganes und keine Abnahme der Auf- merksamkeit bemerken. Trat trotzdem eine solche ein, so wurden die Versuche sofort abgebrochen. An einem Tage wurde an derselben Person in der Regel bloß eine Versuchsreihe gemacht, höchstens noch eine zweite. Wir stellten der Versuchsperson fünf Urteile anheim: ‚2. Lösung stärker“, „2. Lösung vielleicht stärker“, „beide Lösungen gleich‘, „2. Lösung vielleicht schwächer“, ‚2. Lösung schwächer“. Das jeweilig abgegebene Urteil konnte nun je nach der Beschaffenheit der Vergleichs- lösung richtig, teilweise richtig oder falsch sein. Da wir die Ergebnisse unserer Versuche nach der ‚Methode der richtigen und falschen Fälle“ oder wie sie Müller nennt ‚Methode der konstanten Unterschiede“ berechneten, war es notwendig die einzelnen Versuche entsprechend dem abgegebenen Urteil den richtigen oder den falschen Fällen zuzu- teilen. In welcher Weise das geschah zeigt das nachfolgende Schema. Vergleichslösung Urteil stärker schwächer gleich 2. stärker richtig falsch falsch - 2. vielleicht halb richtig falsch halb falsch stärker halb falsch halb richtig gleich falsch falsch richtig 2. vielleicht falsch halb falsch halb richtig schwächer halb richtig halb falsch 2. schwächer falsch richtig falsch Eine Schwelle galt für ermittelt, wenn mindestens 50% der Urteile richtig waren. Da es praktisch unmöglich ist, immer Schwellen zu finden, bei denen tatsächlich 50% der Urteile richtig sind, errechneten wir die meisten Schwellen durch interpolieren zwischen zwei Schwellen, von denen die eine mehr, die andere weniger als 50%, richtiger Urteile aufwies. In Gegensatz zu den älteren Autoren, die der Meinung waren, Ge- nauigkeit ihrer Ergebnisse nur mit einer großen Anzahl von Versuchen zu erreichen, begnügten wir uns mit einer kleineren Versuchszahl. Uns kam es auch nicht in erster Linie darauf an, die Schwellen vollkommen exakt zu bestimmen, um eine etwaige Gesetzmäßigkeit im Sinne des Weberschen Gesetzes festzustellen, wir wollten nur den bei den Vorver- suchen sich ergebenden Kontrast zwischen den Schwellen bei zu- und abnehmender Reizstärke in seiner Abhängigkeit von der Intensität des Reizes feststellen. Trotzdem konnten wir, wie aus Tabelle und u 340 K. Fodor und L.: Happisch: Über die Verschiedenheit der Unterschieds- Kurve hervorgeht, die Gültigkeit des Weberschen Gesetzes innerhalb gewisser Grenzen eruieren, welcher Umstand schon die Exaktheit der Versuche nicht bezweifeln läßt. Bei den Versuchen kommt es in erster Linie darauf an, zufällige Fehlerquellen, wie das Abnehmen der Auf- merksamkeit, Lärm und sonstige Ereignisse in der Umgebung der Versuchsperson zu eliminieren. Zu den Versuchen wurden nur solche Personen verwendet, die Nicht- bzw. nur mäßige Raucher und Trinker sind, da das Geschmacksorgan, wie schon Hänig!) feststellte und was auch wir bei unseren Vorversuchen fanden, durch Alkohol und Nikotin- mißbrauch in großem Maße beeinflußt werden kann. Es wurden zunächst Vorversuche gemacht und zwar an 11 Per- sonen, darunter zwei Kinder im Alter von 8 bzw. 11 Jahren. Aus den Vorversuchen sollte hervorgehen, ob ein Unterschied in den Schwellen bei zu- und abnehmender Reizstärke besteht. Es zeigte sich nun tat- sächlich bei sämtlichen Personen ein derartiger Unterschied der Schwellen und zwar in dem Sinne, daß die Schwellen bei Reizzunahme bedeutend kleiner waren als bei Reizabnahme. Es sei nochmals hervorgehoben, daß das Verfahren unwissentlich war, die Versuchspersonen hatten auch keine Ahnung von dem Zweck der Untersuchungen. Von den Versuchsper- sonen wurden nun 2 für die endgültigen Versuche ausgewählt. An ihnen wurde zunächst die ungefähre Größe der Schwellen bestimmt. Die Resultate dieser Versuche und der Vorversuche wurden zur Be- rechnung der endgültigen Werte nicht verwendet. Die endgültigen Schwellenwerte wurden dann nach der Methode der konstanten Unter- schiede ermittelt. Da wir die ungefähre Größe der Schwellen bereits kannten, genügten dann zur Berechnung einer Schwelle in der Regel 3—4 verschiedene Unterschiedsschwellen, die bei durchschnittlich 15 Versuchen konstant gehalten wurden. Die nachfolgende Tabelle ent- hält die zahlenmäßigen Resultate dieser Versuche. A und B sind die beiden Versuchspersonen, ARz die Unterschiedsschwelle bei Reizzu- nahme, ARa bei Reizabnahme. Konz. d Grund 1 Rz IRa I « 100 = - 100 ARz:ARa lösung | . % | AB A B A B A B A B I 1011017023 [013 |10 17 03 13 1.olsn 12076 2: 0132|) jo a | re + |o2 [03 |10 1086| 5 |, 5125 |215 |1:50 1:29 610,26) Zul mie. || 43,1, 201093. |. 2 8 942 0,46 1,858 | 2,07 | 63 | 58 |23 |26 , |1..%0.1:45 14 |05 05 [345 40 | 36 | 36 |246 |29 [1:69 1:8 20 | 1,58110 |40o 40 | 79 | 5 |20 |20 I1ı:25 1:4 1) Wundts philosophische Studien 17, 576. schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. 341 Aus der Tabelle geht zunächst hervor, daß die zu- und abnehmenden Schwellen stark differieren, indem die Schwellen der abnehmenden Reihe bedeutend größer sind als jene der zunehmenden!). Das Verhält- nis der beiden Schwellen ARz :ARa ist bei verschiedener Konzen- tration der Grundlösung verschieden?). Bei niedrigen und hohen Kon- zentrationen differieren nämlich die beiden Schwellen relativ weniger voneinander als bei mittleren Reizintensitäten. Daraus folgt, daß das Optimum der Unterschiedsempfindlichkeit in der zunehmenden Reihe bei mittleren Reizintensitäten liegt, während in der absteigenden Reihe zwei Optima bestehen, eines zu Beginn und eines zu Ende der Reizskala. In dem nebenstehenden Koordinatensystem wurden mit den Werten von als Ordinaten, den Konzentrationen als Abszissen Kurven gezeichnet, die das Verhalten der relativen Unterschiedsschwellen veranschaulichen. Die mit Az und Bz bezeichneten Kurven sind durch Eintragung der relativen Unterschiedsschwellen bei Reizzunahme AR — die Kurven Aa und Ba durch Eintragung derselben bei Reiz- abnahme | | AR gewonnen worden. Die Werte von wurden mit R ARa _ EN 100, die von Er mit 50 multipliziert in das System eingetragen. Aus der Betrachtung der Kurven können wir nun auch die Frage beantwor- ten, ob und wie weit für die Salzempfindung das Webersche Gesetz Geltung hat. Bestünde das Weber- sche Gesetz zu Recht, so A müßten die Werte für bei sämtlichen Konzentra- tionen konstant sein. Es würde also bei Eintragung derselben in das Koordi- natensystem keine Kurve, sondern eine zur Abszisse parallele Gerade resultieren. Das ist nun nicht der Fall, wohl aber 1) Eine einzige Ausnahme ergab sich bei der Versuchsperson B, die bei der Konzentration von 1% abnehmend besser erkannte als zunehmend. 2) Borak konstatierte bei seinen Gewichtsversuchen eine Konstanz dieses Ver- hältnisses, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß er nur mit drei verhältnismäßig naheliegenden Reizintensitäten experimentierte. 342 K.Fodor und L. Happisch: Über die Verschiedenheit der Unterschieds- findet sich in sämtlichen Kurven ein Bereich, der annähernd achsen- parallel ist und zwar bei den mittleren Konzentrationen. Daraus folgt also, daß für den Geschmackssinn (Qualität ‚‚salzig‘“) das Webersche Gesetz für die zu- und abnehmenden Schwellen in beschränktem Maße — nämlich für mittlere Konzentrationen — Geltung hat. Pütter!) hat auf Grund theoretischer Überlegungen und mathe- matischer Berechnungen ein neues Schwellengesetz aufgestellt. Es lautet: ‚Die Unterschiedsschwelle ist eine Exponentialfunktion der AR Reizintensität‘‘. Nach diesem Gesetz müssen die Werte von RB bei geringen Intensitäten groß sein, bei zunehmender Reizintensität kleiner werden, bis sie ein Minimum erreicht haben; von dort an — bei den hohen Konzentrationen — müssen sie dann wieder anwachsen. Es liegt uns fern, auf die theoretischen Voraussetzungen so wie die mathe- matischen Operationen, die Pütter zur Aufstellung des Gesetzes führten, hier einzugehen; wir können nur sagen, daß dieses Gesetz geeignet ist, den Verlauf der Kurven der relativen Unterschiedsschwellen bei unseren Versuchsergebnissen zu erklären. Außer den Unterschiedsschwellen wurde auch die absolute Schwelle bestimmt. Parallel zu den Ergebnissen Katos am Gehörorgan sollten auch hier zwei verschiedene Schwellen resultieren, je nachdem man von unterschwelligen oder überschwelligen Reizen ausgeht. Unsere Versuche ergaben in dieser Hinsicht keine eindeutigen Resultate. Die absolute Schwelle liegt bei der Versuchsperson A zwischen 0,4 und 0,5%; bei 0,4% wurde in 20% der Fälle das Urteil ‚‚salzig‘“ abgegeben, bei 0,5% in 70%. Bei der Versuchsperson B liegt sie bei 0,6%. Bei einzelnen Versuchspersonen konnten wir individuelle Reak- tionsweisen feststellen. So gibt es Personen, die bei objektiv gleichen Reizgrößen ein bestimmtes Urteil bevorzugen. Auf dieses Verhalten hat in jüngster Zeit Pütter?) bei seinen Temperaturversuchen aufmerk- sam gemacht. Er stellt die Forderung auf: ‚Steigende und fallende Schwellen dürfen nur dann an derselben Versuchsperson bestimmt werden, wenn sie in ihren Urteilen bei objektiver Gleichheit nicht eines der Urteile ‚II wärmer als I‘ oder ‚II kälter als I‘ bevorzugt‘. Ob dies Postulat für den Temperatursinn gerechtfertigt ist, können wir nicht entscheiden. Bei dem Geschmackssinn spielt eine solche Einstellung für das Endresultat keine wesentliche Rolle. Das kann man aus den Schwellen bei den Hauptversuchspersonen A und B er- sehen, die beide sich annähernd gleich verhalten, trotzdem A auf „stärker“ eingestellt ist, B hingegen keines der falschen Urteile be- vorzugt. 1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%1, 201—261. 1918. 2) Zeitschr. f. Biol. %4, 237. 1922. schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. 343 Die Resultate der Versuche mit objektiv gleichen Reizen (Null- versuche) sind in der nachstehenden Tabelle eingetragen. Die Zahlen bedeuten die Prozente in denen das betreffende Urteil abgegeben wurde. Man ersieht besonders aus der letzten Kolonne der Tabelle, in der die Differenz zwischen den beiden Urteilen ‚2. stärker‘ und ‚2. schwächer“ eingetragen ist, daß A ersteres bevorzugt. Allerdings nimmt diese Einstellung bei den höchsten Konzentrationen ab. R x 23 2 2. Stärker — Ban Gleich Stärker Schwächer 2. Schwächer % Am A B A B A B 1 70 | 53 | Darf 20 3 27 24 U 2 70 | — 30 — 0 — 30 — 4 67 | 60 33 20 0) 20 33 0 6 6656| — 25 — 10 — 15 — 8 64 | 40 30 35 6 25 24 10 14 70 | 60 15 25 15 15 0 10 Aus unseren Versuchsergebnissen geht vollkommen eindeutig her- vor, daß Reizzunahmen besser erkannt werden als Reizabnahmen. Zur Erklärung dieses Verhaltens lassen sich zwei Anschauungen ent- wickeln. Man kann sich zunächst vorstellen, daß der primär gesetzte Reiz im ‚‚Sinnesorgan“ !) eine erhöhte Erregbarkeit erzeugt, deren Größe wahrscheinlich in einem Verhältnis zur Intensität des pri- mären Reizes steht und die bei sehr starken Reizen eventuell in das Gegenteil umschlägt. Legt man diese Anschauung einer erhöhten („Sensibilisierung“) bzw. verminderten Beanspruchungsfähigkeit als Folge des primären Reizes der Erklärung unserer Ergebnisse zugrunde, so kann man annehmen, daß der zweite Reiz ein wesentlich verändertes in der Regel empfindlicheres Sinnesorgan antrifft. Es genügt also schon eine geringe Zunahme, eventuell schon der gleiche Reiz, um die Empfin- dung ‚2. stärker“ auszulösen. Ebenso kann, wenn der zweite Reiz schwächer ist, das empfindlichere Organ ihn nicht als solchen erkennen. Das in erhöhter Erregbarkeit befindliche Sinnesorgan erzeugt nämlich durch einen schwächeren Reiz eine stärkere Empfindung als das nor- male Organ. Es muß also der zweite Reiz um ein Entsprechendes schwächer sein, wenn das sensibilisierte Organ eine dem ersten Reiz gegenüber schwächere Empfindung auslösen soll. Auf Grund dieser Anschauung kann man auch den Verlauf der Kurven erklären. Bei schwächeren Reizen ist anzunehmen, daß die Größe der Erregbarkeitserhöhung relativ geringer ist, daher müssen 1) Es ist nicht zweckmäßig den Aufnahmsapparat des Sinnesorganes von seinen zentralen Anteilen zu trennen; wenn im folgenden von Sinnesorgan ge- sprochen wird, ist das gesamte Organ als Einheit gemeint. 344 K.Fodor und L. Happisch: Über die Verschiedenheit der Unterschieds- auch schwächere, sekundäre Reize eher als solche erkannt werden, als wenn infolge eines stärkeren Reizes die Erregbarkeitserhöhung größer ist. Dies wird in den Schwellen dadurch zum Ausdruck kommen, daß bei niederen Konzentrationen die Differenz der zu- und abnehmen- den Schwellen geringer ist, als bei stärkeren Reizen. Dies ist nun tat- sächlich der Fall, wie aus Tabelle und Kurven hervorgeht. Bei sehr hohen Reizgrößen kann man eine verhältnismäßig geringe Erreg- barkeitserhöhung erwarten, d. h. die zu- und abnehmenden Schwellen müssen sich wieder nähern. Auch das stimmt mit unseren Ergebnissen überein. Man kann aber auch andere Vorgänge zur Erklärung heran- ziehen. Es wäre denkbar, daß die durch den ersten Reiz gesetzte Empfindung als Erinnerungsbild deponiert wird, dessen Größe als Vergleichswert für die von dem zweiten Reiz ausgehende Empfin- dung dient. Man kann dann auch mit großer Wahrscheinlichkeit an- nehmen, daß dieses Erinnerungsbild, dessen Schärfe von der Intensi- tät des primären Reizes bedingt sein dürfte, allmählich abblaßt. Es wird also die durch den zweiten Reiz gesetzte Empfindungsgröße nicht mehr mit der der ersten entsprechenden verglichen, sondern mit dem abklingenden Erinnerungsbild derselben. Es müßten demnach auch nach dieser Annahme Reizzunahmen besser erkannt werden als Reiz- abnahmen. Um zu entscheiden, welche von beiden Anschauungen die größere Berechtigung hat, haben wir eine neue Versuchsreihe eingeleitet. - Da- bei gingen wir von folgender Überlegung aus: Sind es die konsekutiven Erregungsänderungen, so müßte sich, wenn dem Organ genügend Zeit gelassen wird, um zur Norm zurückzukehren, bei größeren Zeitinter- vallen, die Schwellendifferenz allmählich ausgleichen. Zieht man hin- gegen das Erinnerungsbild zur Erklärung heran, so müßte nach längerer Zeit nicht nur der Unterschied in den Schwellen bei Reiz zu- und -ab- nahme weiterbestehen, sondern sich sogar bedeutend vergrößern. Dies könnte so weit gehen, daß nach längerer Zeit der zweite Reiz, trotz- dem er objektiv bedeutend schwächer ist, die Empfindung ‚,2. stärker“ auslöst. Diese Möglichkeit veranschaulicht die beigegebene Skizze, die Kurve stelle den Verlauf des Erinnerungsbildes dar, das im Moment der Reizeinwirkung am größten sein wird (R,), um dann eben langsam abzuklingen; die Gerade G zeigt die Höhe des Maximums des vom zweiten Reiz verursachten Erinnerungsbildes (R,) an. Auf der X-Achse sind Zeitmarken aufgetragen. Folgt kurz nach dem ersten Reiz der zweite schwächere, so wird er als solcher erkannt werden, da R, mit einem Erinnerungsbild des ersten Reizes verglichen wird, das noch hoch genug über der Geraden G liegt. Nach längerer Zeit wird ein Spatium eintreten (bei A in der Skizze), wo R, gleich oder annähernd gleich ’ schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. 345 dem Erinnerungsbild des ersten Reizes ist, nach noch längerer Zeit kann R, bedeutend größer sein als das Erinnerungsbild des primären Reizes; das heißt die zweite, schwächere Lösung wird nach langer Zeit stärker erscheinen als die erste. Die Versuchsreihe bestand nun darin, daß wir die Intervalle zwischen der ersten und zweiten Geschmacksprobe verlängerten, wobei die zweite entweder gleich oder schwä- cher war. Stärkere Ver- gleichslösungen wurden bei dieser Versuchsreihe nur als Täuschungsversuche einge- schoben. Die Intervalle bei diesen Versuchen betrugen 10, 20 und 40 Sekunden !!). Nachstehende Tabelle zeigt die Resultate bei zwei Versuchspersonen (A, C). Abb. 2. Tabelle I. Grundlösung 4%, Vergleichslösung 4%. Urteil Intervall gleich | 2. stärker 2, schwächer A c Bet A C 10” 80 35 7 | 5 13 60 15” Sl | = 33 —- 0 — 20” 440, | Bl e |0055 40” 7 55 3, 0) 5 Tabelle II. Grundlösung 4%, Vergleichslösung 2,86%. 10” 24 20 16 0 60 s0 15 30 —— (0) — 70 — 20” — 10 — 0 — 90 40” 50 40 40 | 20 10 40 Tabelle III. Grundlösung 4%, Vergleichslösung 2,5%. Versuchsperson A. | Urteil Intervall | gleich | 2. stärker 12. schwächer | 10” | 10 0 90 70 70 son 20 Die Zahlen sind Prozentzahlen in denen das jeweilige Urteil ab- gegeben wurde. Betrachten wir zunächst die Ergebnisse bei der Ver- suchsperson A. Während bei den Versuchen mit objektiv gleichen Reizen (Tabelle I), bei einem Intervall von 10 Sekunden in 80% das richtige Urteil (‚‚gleich‘‘) abgegeben wurde, fiel dieser Wert bei 15 Se- !) Aus den gewöhnlichen Schwellenversuchen wurden bei der Versuchs- person A die Werte für 15’ eingetragen. 346 K.Fodor und L. Happisch: Über die Verschiedenheit, der Unterschieds- kunden auf 67%, um beim Intervall von 40 Sekunden auf 7%, zusammen- zuschrumpfen. In Gegensatz hierzu nimmt das Urteil ‚2. stärker“ bei wachsenden Zwischenzeiten beträchtlich zu. Von 7% bei 10 Se- kunden auf 33%, bei 15 Sekunden, wird es bei 40 Sekunden in nahezu allen Fällen — 93% — abgegeben. Besonders für diese Gesetzmäßig- keit spricht die Tabelle III, die die Resultate bei stark überschwelligen, abnehmenden Reizen enthält. Während bei 10 Sekunden in 90% das richtige Urteil (,,2. schwächer“) abgegeben wurde, konnte bei dem Intervall von 40 Sekunden die Versuchsperson in keinem Fall die zweite Lösung als schwächer erkennen. Hingegen erreichte das Urteil ‚‚gleich“ bei derselben Versuchsanordnung von 10% die Höhe von 70%, das Urteil ‚2. stärker‘‘ von 0% die Höhe von 30%. Die Werte der Tabelle II liegen in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen. Befassen wir uns nun mit den Ergebnissen bei der Versuchsperson C. Wie aus Tabelle I hervorgeht, zeigt sich bei dieser Versuchsperson eine Einstellung in dem Sinne, daß bei objektiv. gleichen Reizen und kurzen Intervallen das Urteil ‚2. schwächer“ in 60 bzw. 55% bevor- zugt wird. Trotz dieser Einstellung geht bei dem langen Intervallder Wert für das Urteil „2. schwächer“ auf 5% zurück. Umgekehrt wächst der Wert für das Urteil „2. stärker“ von 5 auf 40%, der für das Urteil „gleich“ von 35% auf 55%. Das Gleiche ergibt sich aus der Tabelle II. Zusammenfassend können wir also sagen, daß bei objektiv gleichen Reizen mit wachsendem Zeitintervall das Urteil ‚2. stärker‘‘, bei über- schwellig schwächeren Reizen das Urteil ‚gleich‘ und in etwas kleinerem Maße das Urteil ‚2. stärker‘‘ bevorzugt wird, was vollkommen den theoretischen Erwartungen entspricht. Parallel der verschiedenen Einstellung der beiden Versuchspersonen ist die Umkehr der Urteile bei wachsenden Zwischenzeiten gegenein- ander verschoben. Wo beispielsweise A in der Mehrzahl der Fälle das Urteil „2. stärker‘ abgibt, begnügt sich C mit ‚2. stärker“ und „gleich“ zu gleichen Teilen. Aus den Zeitversuchen müssen wir der zweiten Annahme den Vor- zug geben. Die Frage ob sie als alleinige Erklärung vollständig aus- reicht, oder ob nicht auch die ersterwähnten Vorgänge im Sinnesorgan eine Rolle spielen, müssen weitere Untersuchungen aufklären, ebenso ob diese Auffassung nur für den Geschmackssinn Geltung hat oder auf alle Sinnesorgane zu übertragen ist. Zusammenfassung. 1. Durch den Geschmackssinn (Qualität ‚salzig‘‘) werden Reiz- zunahmen besser erkannt als Reizabnahmen. 2. Das Webersche Gesetz hat sowohl für die Schwellen bei Reiz- zunahme wie auch bei Reizabnahme nur in beschränktem Maße — bei schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. 347 mittleren Konzentrationen — Geltung. Hingegen stimmt das von Pütter aufgestellte Gesetz ‚Die Unterschiedsschwelle ist eine Expo- nentialfunktion der Reizintensität“ mit unseren Versuchsergebnissen überein. 3. Mit Änderung der Zeit zwischen der Einwirkung der beiden Ver- gleichsreize ändert sich das abgegebene Urteil und zwar in dem Sinne, daß bei längerem Intervall Reizabnahmen immer schlechter erkannt werden. Der zweite schwächere Reiz erweckt bei langen Intervallen die Empfindung ‚2. stärker“. Die Unterschiedsschwelle ist folglich nicht nur eine Funktion der Reizintensität, sondern auch der Zeit zwischen den beiden Reizeinwirkungen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 23 Über die Hypertrophie der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. Von Alexander Lipschütz unter Mitwirkung von Karl Wagner!). (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Dorpat, Estland.) Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. August 1922.) IE In einer früheren Arbeit?) haben wir darauf hingewiesen, daß das interstitielle Gewebe in kleinen Hodenresten, die aus dem oberen Pol des Testikels gebildet werden, eine sehr weitgehende Hypertrophie er- fahren kann. Wir haben in unserer Arbeit keine genaueren Zahlen- angaben über die Menge des Zwischengewebes gemacht und nur hervor- gehoben, daß die Hypertrophie eine außerordentliche war. Die Zwischen- zellen waren sehr viel größer, als im normalen Hoden des gleichalterigen Tieres, und die Masse der Zwischenzellen im kleinen Hodenrest war so groß, wie man sie nur selten im Testikel unter verschiedenen Be- dingungen antrifft. Die Frage nach der Menge der Zwischenzellen oder nach der Aus- dehnung, die das Zwischengewebe als ein Ganzes im Hoden unter verschiedenen Bedingungen erreicht, hat in der Diskussion über den Sitz der innersekretorischen Funktion des Testikels stets eine sehr große Rolle spielt. Seit Bouin und Ancel ist immer wieder versucht worden, einen Parallelismus zwischen der Menge der epitheloiden Zwischenzellen und der Höhe der Ausbildung von Geschlechtsmerk- malen nachzuweisen. Auf Grund der vorliegenden Tatsachen glaubte 1) Sämtliche mikroskopische Präparate, die den folgenden Betrachtungen zu- grunde liegen, sind von Herrn Dr. Karl Wagner angefertigt worden. Herr Dr. Wagner wird demnächst über seine eigenen eytologischen Untersuchungen an den Leydigschen Zellen berichten, die neue Beweise dafür erbracht haben, daß die Leydigsche Zelle die cytologischen Kennzeichen einer Drüsenzelle besitzt. Sämt- liche Zeichnungen sind von Frl. L. Lehbert ausgeführt worden. 2) Lipschütz, Ottow und Wagner, Über das Minimum der Hodensubstanz, das für die normale Gestaltung der Geschlechtsmerkmale ausreichend ist. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 188. 1921. — Harms hat neulich mit Bezug auf diese Versuche behauptet (Keimdrüsen und Alterszustand. Fortschr. d. naturwissensch. Forsch. 11, H. 5, S. 233, 1922), sie seien eine Bestätigung der Versuche von Ribbert. Harms ist hier ein Irrtum unterlaufen; niemals sind derartige Versuche von Ribbert oder seinen Mitarbeitern ausgeführt worden. Ribbert hat bloß ein- seitige Kastrationen vorgenommen. A. Lipschütz u. K. Wagner: Über die Hypertrophie der Zwischenzellen usw. 349 ich seinerzeit!), die verschiedenen Befunde nicht anders deuten zu können, als im Sinne eines Parallelismus der Menge innersekretorischer Elemente und des Grades der Maskulierung. Es ist von vornherein klar, daß die Lehre von der innersekretorischen Funktion der Zwischen- zellen in einem solchen Parallelismus eine außerordentlich gewichtige Stütze findet?). Und es ist wohl auf der anderen Seite begreiflich, daß die Gegner der Lehre bestrebt waren, zu zeigen, wo in der Annahme eines solchen Parallelismus Schwächen vorhanden sind. Ich brauche nur auf die Mitteilung von Stieve über den Dohlenhoden ?) hinzuweisen und auf die sich stets wiederholenden Behauptungen namentlich des- selben Verfassers, daß die Berichte über eine Hypertrophie der Zwischen- zellen bei Transplantation, Kryptorchismus und Röntgenbestrahlung auf Fehlschlüssen beruhen ®). Die Frage nach dem Verhalten der Zwischenzellen bei verschiedenen experimentellen Eingriffen am Hoden oder in verschiedenen patho- logischen Zuständen ist selbstverständlich an und für sich von großer Bedeutung. Aber für das Problem, welch ein Teil des Testikels die innersekretorische Funktion desselben besorgt, hat diese Frage ihre Bedeutung verloren. Eine ganze Reihe von Untersuchungen, über die wir an verschiedenen Stellen berichtet haben °), hat uns gezeigt, daß 1) Lipschütz, Die Pubertätsdrüse und ihre Wirkungen. Bern 1919. 2) Auf S. 76 seiner unten zitierten Arbeit (Entwicklung ...) sagt Stieve mit bezug auf meine Einstellung gegenüber den Befunden von Bowin und Ancel, wie sie im folgenden noch eingehender diskutiert werden sollen: „Lipschütz spricht diesem Befund ‚für die Auffassung der Zwischenzellen als Pubertätsdrüse grund- legende Bedeutung‘ zu‘. sStieve zitiert mich nicht ganz richtig: ich habe nicht von diesem Befund gesprochen, sondern von ‚einem solchen Befund‘‘. Der Satz heißt bei mir wörtlich: „Ein solcher Befund ist für die Auffassung der Zwischenzellen als Pubertätsdrüsenzellen von grundlegender Bedeutung, und das sollte Veranlassung genug sein, die Untersuchungen von Ancel und Bowin nachzuprüfen.‘“ Es geht aus diesem Satz mit aller nur erwünschten Klarheit hervor, 1. daß ich mich gegen- über den interessanten Befunden von Bowin und Ancel damals kritisch ein- gestellt hatte, und 2. daß Siieve meine Auffassung nicht ganz richtig wieder- gegeben hat, indem er, wohl durch ein Versehen, den Ausdruck ‚‚ein solcher Befund“ durch den bestimmteren Ausdruck ‚‚dieser‘‘ Befund ersetzt hat. Im übrigen muß ich ganz entschieden Einspruch erheben gegen die Art und Weise, wie Stieve und Romeis (Geschlechtszellen oder Zwischenzellen? Klin. Wochenschr. 1. 1922, Nr. 19, S. 964.) gegen uns polemisieren. Eine solche Form ist in der wissenschaftlichen Diskussion ganz und gar unzulässig. 2) Stieve, Das Verhältnis der Zwischenzellen zum generativen Anteil im Hoden der Dohle. Arch. f. Entw.-Mech. 45. 1919. *) Stieve, Entwicklung, Bau und Bedeutung der Keimdrüsenzwischenzellen. Erg. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. 23. 1921. ?) Lipschütz (in collaboration with Ottow, Wagner and Bormann), On the hypertrophy of the interstitial cells in the testicle under different experimental conditions. Proceed. of the Roy. Soc. B. 93. 1922.— Lipschütz et Wagner, L’hyper- trophie des cellules interstitielles du testicule est-elle une reaction compensatrice endocrine? C. R. de la Soc. de Biol. 8%, 15. 1922. 23* 350 A. Lipschütz und K. Wagner: Über die Hypertrophie ein Parallelismus im obigen Sinne nicht immer vorhanden ist. Man hätte ja zunächst vermuten können, daß die außerordentliche Vermehrung der Zwischenzellen in kleinen Hodenresten eine kompensatorische Hyper- trophie innersekretorischen Gewebes darstelle. Wir haben uns jedoch überzeugen können, daß diese Hypertrophie nicht immer eintritt. Man kann obere Hodenreste beobachten, in denen eine Hypertrophie der Zwischenzellen fehlt, ohne daß Kastrationsfolgen eintreten. Ferner haben wir darauf hingewiesen, daß in unteren Hodenresten eine Hyper- trophie des Zwischengewebes in der Regel ausbleibt oder nur wenig ausgesprochen ist!). Schließlich sind wir der Frage auch durch einige besondere Versuchsserien näher getreten. Wir haben zeigen können, daß eine Hypertrophie von ganz gewaltigem Ausmaß auch dann in einem oberen Hodenrest eintreten kann, wenn der zweite Hoden im Körper verble bt. Wir haben ferner gefunden, daß eine beträchtliche Hypertrophie des Zwischengewebes auch dann vorharden sein karn, wenn sozusagen der ganze Testikel in einen oberen Hodenrest ver- wandelt wird, indem nur der Nebenhoden mit einem sehr kleinen Stück des unteren Poles entfernt wird. Es geht aus all diesen Beobachtungen klar heiıvor, daß die Hypeıtrophie der Zwischenzellen, wie sie unter verschiedenen experimentellen B.dingungen eintritt, nichts mit der inneren S.kretion des Testikels zu tun hat und wohl durch lokale Mo- mente bedingt ist. Von einer kompensatorischen Hypertrophie der Zwi- schenzellen in innersekretorischen Zusammenhängen kann nicht die Rede sein. Zweifellos verliert die Lehre von der inneren S:kretion der Zwischen- zellen eine schr gewichtige Stütze durch unsere neuen B.funde. Um so mehr a'’s andererseits seit Ribbert festzustehen schiın, daß nach ein- seitiger Kastıation eine komp: nsatorische Hyperıt: ophie des Testikels und speziell des generativen Gewebes eintritt?). Aber wir haben durch weitere 1) Lipschütz, Ottow et Wagner, Sur des modifications histologiques subies par des rıst.s du pole infericur du testicule dans la castration partielle C. R. de la Soc. de Biol. 85, 86. 1921. 2) Stieve (Entwicklung ... vgl. S. 77f£.) geht sogar so weit, die Gewichts- zunahme des Testikels nach einseitiger Kastration als eine Erscheinung zu er- klären, die .‚ohne weiteres‘ dafür spricht, „daß die Keimzcllen selbst, nicht die Zwischenzellen für die Abscheidung des geschlechtsspezifischen Hormones verant- wortlich zu machen sind.‘ Stieves Angabe über eine beträchtliche Hypertrophie des Test’kcls nach einseitiger Kastration auch beim erwachsenen Tier beruht auf einem Irrtum. Daß das Durchschnittsgewicht der Testikel von einseitig kastrierten Kanjn- chen, die inden Versuchen von Nothnagelzur Zeit der Operation ein Gewicht von 1360g bis ca. 2500 g hatten, um ca. 20% zugenommen hatte, ist kein Beweis für eine „Hypertrophie“. Der Testikel des Kaninchens hat bei einem Tiergewicht von 1360 g noch lange nicht sein normales maximales Gewicht erreicht. Die Zunahme des durch- schnittlichen Testikelgewichts in den Versuchen von Nothnagel beruht wohl auf einem normalen Wachstum des Testikels. Wir haben 90 normale Testikel gewogen, um die der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 351 Untersuchungen mit Sicherheit nachweisen können, daß diese Hyper- trophie des generativen Gewebes ebenfalls keine kompensatorische ist, da das generative Gewebe kleiner Hodenreste nicht hypertrophiert!). Ferner haben wir sehr wahrscheinlich machen können, daß die so- genannte Hwypertrophie des Testikels nach einseitiger Kastration über- haupt keine solche ist?2). Es handelt sich augenscheinlich um nichts anderes, als um ein beschleunigtes Wachstum, um eine beschleunigte Spermatogenese. Der allein zurückgebl’ebene Testikel oder Hodenrest erreicht schneller sein maximales Gewicht. 1. Es dürfte nach alledem kaum noch einem Zweifel unterliegen, daß man der Frage nach der Hypertrophie der Zwischenzellen oder des generativen Gewebes, wie sie unter verschiedenen Umständen eintritt, keine Bedeutung für das Problem der innersekretorischen Funktion des Testikels zuzusprechen hat. Wie jedoch bereits erwähnt, ist diese Hyper- trophie ein Problem für sich, das alle Beachtung verdient, da diese eigen- tümliche Reaktion sicherlich einen wichtigen Bestandteil in der ganzen Dynamik des Testikels darstellt. Wir halten es darum für nötig, den Einwand zu prüfen, den Romeis?) gegen uns erhoben hat. Romeis wirft uns vor, wir hätten ‚‚die bekannte Tatsache, daß die Zwischenzellen such im normalen Hoden im oberen Pol reichlicher sind, . . . nicht berück- sichtigt“. Es würde das zeigen, daß in unseren Hodenresten Keine Hypertrophie des Zwischengewebes vorhanden war. Wir glauben, daß es genügt, einen Blick auf ein mikroskopisches Präparat von oberen Hodenresten zu werfen (Abb. 1—4), um sich zu überzeugen, daß die Hypertrophie des Zwischengewebes ein ganz außerordentliches Maß erreichen kann. Diese Hypertrophie ist nicht vorgetäuscht durch Verkleinerung der Kanälchen und ein dadurch bedingtes Zusammenrücken der Dreiecke oder Vierecke von Zwi- schengewebe, die normalerweise zwischen den Kanälchen gelegen Verhältnisse genügend überblicken zu können. Im übrigen haben unsere Versuche mit Partialkastration und namentlich unsere neuen Untersuchungen über die Hyper- trophie nach einseitiger Kastration ergeben, daß die Auffassung von Stieve in dieser Frage ganz und gar unberechtigt ist. Ich habe die ganze Frage eingehend in meinen in den zwei folgenden Anm. zitierten Arbeiten behandelt. 1) Lipschütz, Wagner et Kropman, Nouvelles observations sur la quantite minimale de masse testiculaire suffisante pour une masculinisation complete. ©. R. de la Soc. de Biol. 89% 122. 1922; Lipschütz (in collaboration with Wagner, Tamm and Bormann) Further experimental investigations on the hypertrophy of the sexual glands. Proceed. of the Roy. Soc. B. 94. 1922, ?) Lipschütz, Sur ’hypertrophie du testicule dans la castration unilaterale. C. R. de la Soc. de Biol. 8%, 60. 1922. — The so-called compensatory hypertrophy of the testicle after unilateral castration. Il. of Physiol. 56, 1922. 2) Romeis, 1. c. S. 964. 392 Hypertrophie Abb. 1. Schnitt durch den oberen Hodenrest eines Partialkastraten, ©. cc. Fix. Helly; Häm.-Eos. 55 x vergr. — Oper. im Alter von 1 Woche; Hodenrest entnommen im Alter von 4!/, Mon. (Gew. 430 g). Hodenrest minimal (der kleinste überhaupt beobachtete). Geschlechtsmerkmale unter- entwickelt, aber nicht Kastrat. (Der Fall ist beschrieben in unserer Arbeit in Pfiügers Arch. 188. 1922.) — Hodenkanälchen zum Teil noch von normalem Durchmesser; einschichtig. Zwischen- zellen außerordentlich vermehrt. Abb. 1 ist der Abb. 2 gegenüberzustellen. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) ’. a ah Abb. 2. Hoden eines normalen erwachsenen Meerschweinchens (Gew. 600 g). Helly, Häm.-Eos. 63x vergr. — Kanälchen in voller Spermatogenese. Zwischenzellen in normaler Lagerung zwischen den Kanälchen. Die granulierte Zwischensubstanz an vielen Stellen, namentlich rechts, deutlich sichtbar. — Ein Vergleich von Abb. 1 und 2 ergibt, daß in einem oberen Hodenrest eine ganz ge- waltige Vermehrung der Zwischenzellen eintreten kann. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) sind. Das geht daraus hervor, daß das Bild einer gewaltigen Ver- mehrung des Zwischengewebes auch dann schon zustande kommt, wenn der Durchmesser der Kanälchen eine nur ganz geringfügige oder überhaupt keine Verkleinerung erfahren hat (vgl. Abb. 1 und 2). der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 353 Auch kann die Vermehrung der Zwischenzellen eine herdförmige sein, wie in Abb. 3. Die Annahme von Romeis, daß wir uns getäuscht Abb. 3. Oberer Hodenrest eines Partialkastraten, C. c. Fix. Färb. wie oben. 63 x vergr. — Im Alter von 10 Tagen operiert; Hodenrest entnommen im Alter von 4'/, Mon. Hodenrest doppelt so groß wie in Abb. 1, jedoch kaum mehr als 1% der normalen Testikelmasse. Geschlechts- merkmale normal. (Der Fall ist beschrieben in unserer Arbeit in Pflügers Arch. 188, 1922). — Hodenkanälchen einschichtig, zum Teil von normalem Durchmesser. Vermehrung der Zwischenzellen zwischen den Kanälchen. Sehr ausgesprochene herdförmige Vermehrung der Zwischenzellen. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) Abb. 4. Dasselbe Präparat wie Abb. 3, 240 x vergr. Links in der oberen und unteren Ecke je ein einschichtiges Kanälchen. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) hätten, weil wir unberücksichtigt gelassen hätten, daß auch im normalen Hoden die Zwischenzellen reichlicher seien, trifft keines- falls zu. Niemals haben wir im normalen Hoden (Abb. 5) eine solche 354 A. Lipschütz und K. Wagner: Über die Hypertrophie Abb.5. Normaler Hoden eines erwachsenen Meerschweinchens (Gew. 400 g). Fix., Färb. wie oben; 240.x vergr. — Gruppen von Zwischenzellen zwischen fünf Kanälchen, die nicht gezeichnet sind. Ein größeres und mehrere kleinere Gefäße. — Ein Vergleich von Abb. 4 und 5 ergibt, daß die gewal- tige Massenzunahme des Zwischengewebes sowohl auf einer Vermehrung als auf einer Größenzunahme der Leydigschen Zellen beruht. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) Abb. 6. Oberer Hodenrest eines Partialkastraten, ©. c. Fix., Färb. wie oben. 240 x vergr. Im Alter von 3 Wochen operiert; im Alter von 3'/, Mon. gestorben. (Hodenrest nicht frisch eingelegt.) Hodenrest von demselben Volum wie Abb. 3 und 4. Geschlechtsmerkmale fast normal. (Der Fall ist noch nicht eingehend beschrieben.) — Kanälchen augenscheinlich im Zu- stande rückläufiger Entwicklung, Durchmesser gering. Zwischenzellen nicht vermehrt und nicht vergrößert. Ein Vergleich von Abb. 4 und 6 ergibt, daß die Hypertrophie des Zwischengewebes nicht vorgetäuscht ist durch ein Zu- sammenrücken won degenerierten und werkleinerten Kanälchen. (Präparat Wagner, Zeichnung Lehbert.) , der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 355 Ansammlung von Zwischenzellen gefunden wie in den kleinen Hoden- resten !). Sehr lehrreich ist es, die Abb. 4 mit der Abb. 6 zu vergleichen. Es handelt sich in beiden Fällen um obere Hodenreste, in denen eine Degeneration des spermatogenen Gewebes eingetreten ist. In dem ersteren Falle haben wir eine Hypertrophie des Zwischengewebes, in dem zweiten Falle ist eine solche nicht vorhanden oder noch nicht eingetreten. Ein Vergleich zwischen diesen beiden Präparaten zeigt, daß die Hypertrophie nicht vorgetäuscht ist, sondern auf einer Ver- ‚mehrung und Größenzunahme der epitheloiden Zellen beruht. Einen ersten Hinweis auf eine Hypertrophie des Zwischengewebes gibt zuweilen schon die makroskopische Betrachtung eines frischen Hodenrestes in situ. Diejenigen Hodenreste, in denen eine Hyper- trophie vorhanden ist, haben ein bräunliches Aussehen. Es ist das makroskopische Bild des ZLebergewebes. Allerdings kann erst die mikro- skopische Untersuchung weiteren Aufschluß darüber geben, ob nicht die Vermehrung des Zwischengewebes etwa durch Zusammenrücken zurückgebildeter Kanälchen vorgetäuscht ist. Der Hoden oder der Hodenrest mit Kanälchen von normalem Durchmesser (wenn auch rückgebildete Kanälchen) und ohne Hypertrophie des Zwischenge- webes, hat eine graue bis rötlich-graue Farbe. Ill. Es ist eine Frage für sich, worauf die gewaltige Hypertrophie des Zwischengewebes im oberen Hodenrest beruht. Daß lokale Bedingungen dabei eine Rolle spielen, unterliegt keinem Zweifel. Bemerkenswert ist in dieser Beziehung, daß in einem Hodenrest, wo unversehrte und degenerierte Kanälchen in einiger Entfernung voneinander beisammen liegen, die Zwischenzellen in der Umgebung der letzteren häufig ver- mehrt und vergrößert sind?). Schon Kyrle?) hat auf die ungleichmäßige !) Die Präparate der kleinen Hodenreste sind 1921 gelegentlich von Vorträgen im Institut für Sexualwissenschaft und im Anatomisch-Biologischen Institut der Universität in Berlin demonstriert worden. Herr Geheimrat Benda hat mir persön- lich mitgeteilt, daß er daraufhin den Hoden des Meerschweinchens auf die Ver- teilung der Zwischenzellen untersucht hat und daß er im oberen Pol des normalen Hodens ein Vorkommen von Zwischenzellen wie in unseren kleinen Hodenresten ebensowenig wie wir gefunden hat. ?) Lipschütz, Quantitative Untersuchungen über die innersekretorische Funk- tion der Testikel. Deutsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 13. 3) Kyrle, Über die Regenerationsvorgänge im tierischen und menschlichen Hoden. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. Wien 120 III. Abt., 1911. Vgl. S. 108 u. ff. — Siehe auch die vou Berberich und Jaffe [Die Hoden bei Allgemein- erkrankungen (mit. Berücksichtigung des Verhaltens der Zwischenzellen). Frankf. Zeitschr. f. Pathol. 27, 1922] an Kyrle geübte Kritik. — Gegenüber Kyrle soll ich mich nach Stieve des ‚schweren Vergehens schuldig gemacht haben, 356 A. Lipschütz und K. Wagner: Über die Hypertrophie Verteilung des hypertrophischen Zwischengewebes hingewiesen und Schlüsse über lokale Beziehungen zwischen Kanälchen und Zwischen- zellen gezogen. Wir haben schon erwähnt, daß eine Hypertrophie der Zwischenzellen im oberen Pol auch dann eintreten kann, wenn der zweite Testikel im Tier belassen worden ist; wie ferner erwähnt, kann eine Hyper- trophie auch dann eintreten, wenn beide Testikel sozusagen obere Hodenreste darstellen. Es ist aber überaus bemerkenswert, daß von neun derartigen Versuchen bloß zwei eine weitgehende Hy- pertrophie der Zwischenzellen aufwiesen !), während bei der Partial- kastration, wo der kleine obere Hodenrest allein im Körper zurück- bleibt, die Hypertrophie der Zwischenzellen nur in sehr wenigen Fällen nicht eingetreten war. Wohl gestattet bereits ein einziger Fall von Hypertrophie der Zwischenzellen, ohne daß eine Reduktion der Tes- tikelmasse vorgenommen wuıde, den Schluß, daß die Hypertrophie der Zwischenzellen bei der Partialkastration keine innersekretorisch- kompensatorische ist. Aber der Widerspruch zwischen dem häu- figen Vorkommen der Hypertrophie im oberen Hodenrest bei der Partialkastration und dem seltenen Vorkommen der Hypertrophie in einem oberen Hodenrest bei Gegenwart des zweiten Hodens ist ein Hinweis darauf, daß die ganze Dynamik des Testikels berücksichtigt werden muß, wenn das Verhalten des Zwischengewebes bei experi- mentellen Eingriffen erklärt werden soll. Ich habe seinerzeit die Vermutung ausgesprochen ?), daß die bessere Vascularisierung des oberen Hodenrestes durch die Art. sp. i. für die Hypertrophie des Zwischengewebes verantwortlich zu machen ist, im Gegensatz zum unteren Pole, der von Zweigen der Art. defer. ver- sorgt wird. Ich möchte jedoch annehmen, daß diese Abhängigkeit von der Blutversorgung keine direkte ist. Es wäre möglich, die hier vorliegenden Beziehungen in folgender Weise zu deuten. Die bessere Vascularisierung beschleunigt die Spermatogenese; damit wäre dann ihn zusammen mit anderen Gegnern meiner Auffassung in meinem Buche „gewissen- haft verschwiegen“ zu haben. Ich habe die Originalarbeiten von Kyrle während der Niederschrift meines Buches noch nicht gekannt und hatte nur in den be- kannten Büchern von Biedl, Tandler usw. von diesen Arbeiten gelesen. Ich habe übrigens die von Kyrle vertretene Auffassung über die trophische Funktion der Zwischenzellen ganz generell auf S. 163 meines Buches besprochen. Ich hätte um so weniger Veranlassung gehabt, die Arbeiten von Kyrle in meinem Buche „gewissenhaft zu verschweigen“, als Kyrle in seiner oben zitierten Hauptarbeit darauf hinweist, daß möglicherweise die Zwischenzellen neben der trophischen Funktion noch cine innersekretorische haben, wenn er das auch nicht für bewiesen hält. Vergleiche S. 119 u. ff. der Arbeit von Kyrle. !) Lipschütz et Wagner, 1. ce. (vgl. Fußnote 5 auf S. 349). ?) Lipschütz, Ottow et Wagner, Sur des modifie. histol. subies par des restes du pole superieur du testic. dans la castr. part. ©. R. de la Soc. de Biol. 85, 88. 1921. der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 357 auch der Eintritt der Kanälchen-Degeneration und der Eintritt der Zwischenzellen-Hypertrophie beschleunigt. Eine solche Vermutung würde auch den oben erwähnten Wiederspruch im Verhalten eines oberen Hodenrestes bei der Partialkastration und bei Gegenwart des zweiten Hodens erklären. Wenn es richtig ist, daß die sogenannte Hypertrophie des Testikels nach einseitiger Kastration auf einem beschleunigten Wachstum, auf einer beschleunigten Spermatogenese beruht!), so muß vermutet werden, daß in einem kleinen oberen Hoden- rest, wie wir ihn bei der Partialkastration haben, die Spermatogenese schneller vor sich gehen wird, als in einem ebenso'chen Hodenfragment bei Gegenwart des zweiten Hodens. Außer lokalen Bedingungen müssen augenscheinlich noch allgemeine Bedingungen berücksichtigt werden, von denen es abhängt, wie schnell die Spermatogenese sich vollziehen wird, wann die ihr auf dem Fuße folgende Degeneration oder ‚rück- läufige Entwicklung‘ ?) der Kanälchen einsetzen wird, und wann die Hypertrophie des Zwischengewebes, durch die letztere angeregt, ins Spiel treten wird. Bei der Partialkastration, wo allein ein oberer Hoden- rest im Körper verbleibt, ist darum mehr Aussicht vorhanden, eine Hypertrophie des Zwischengewebes zu beobachten. Diese unsere Ver- mutung beruht auf der Beobachtung, daß in den oben erwähnten Ver- suchen, die wir angestellt haben, um die Frage der kompensatorischen Hypertrophie der Zwischenzellen zu prüfen, und in denen wir einen oberen Hodenrest und den zweiten Testikel im Körper beließen, die starke Hypertrophie des Zwischengewebes im oberen Hodenrest gerade bei einem Tier eintrat, das zur Zeit der Operation viel älter war als die anderen Tiere dieser Gruppe (vel. die Tab. Seite 136 u. 139 der in Fußnote 5, S. 349 erwähnten engl. Arbeit); auch sonst war die Hypertrophie um so ausgesprochener, je älter das Tier zur Zeit der Operation. Je älter das Tier zur Zeit der Operation, desto weiter vor- geschritten die Spermatogenese und desto näher der Zeitpunkt, wo eine Degeneration der Kanälchen und eine Hypertrophie des Zwischen- gewebes zu beobachten sein wird. Von großem Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß die Hyper- trophie der Zwischenzellen, wie Sand?) sie bei seinen Tieren mit ex- perimentellem Kryptorchismus beobachtet hat, ebenfalls um so aus- gesprochener war, je älter das Tier zur Zeit der Operation, und daß die Hypertrophie um so mehr zunahm, je größer der Zeitraum nach der Operation. !) Lipschütz, 1. c. (vgl. Fußnote 2 auf S. 351). ?) Lipschütz, Ottow et Wagner, 1. e. (vgl. Fußnote 1 auf S. 350). ®») Sand, Etudes experiment. sur les glandes sexuelles des mammiferes. IIl.: Cryptorchidie experimentale. Il. de Phys. et Pathol. Gener. 1921. Val. S. 525. 358 A. Lipschütz und K. Wagner: Über die Hypertrophie Es ist wahrscheinlich, daß man in den meisten Fällen eine Hyper- trophie der Zwischenzellen bei zugrundegehenden Kanälchen finden wird, wenn man den richtigen Zeitpunkt für die mikroskopische Unter- suchung treffen wird. IV. Nachdem wir gezeigt haben, daß die Hypertrophie der Zwischen- zellen unter keinen Umständen als eine innersekretorisch-kompen- satorische aufgefaßt werden kann, nachdem wir ferner gesehen haben, daß diese Hypertrophie keinesfalls unter allen Umständen vorgetäuscht ist, und nachdem wir schließlich die Überzeugung gewonnen haben, daß die Hypertrophie der Zwischenzellen durch lokale und allgemeine Bedingungen gefördert wird, die wir bereits zu überblicken oder zu vermuten vermögen, sind wir vor die Notwendigkeit gestellt, das Problem des Parallelismus zwischen der Menge der Zwischenzellen und dem Grade der Ausbildung der Geschlechtsmerkmale erneut zu unter- suchen. Bouin und Ancel!) haben gefunden, daß der Geschlechtsapparat beim kryptorchen Schwein umso besser ausgebildet ist, je stärker das Zwischengewebe entwickelt ist, wobei sie darauf hingewiesen haben, daß die stärkere oder schwächere Entwicklung des Zwischengewebes auch im größeren oder geringeren Gewicht des Hodens zum Ausdruck kommt. Der Einwand, den Stieve?) gegen die Befunde von Bowin und Ancel erhoben hat, ist nicht stichhaltig. Stieve behauptet, daß ‚‚die stärkere oder geringere Vergrößerung ...durch die bessere oder schlechtere Ent- wicklung des generativen Anteiles, nicht durch die stärkere Ausbildung 1) Bowin et Ancel, De la glande interstitielle du desticule des mammiferes. 1. de physiol. et pathol. gener. 6, 1044ff. 1904. ?) Stieve, Entwicklung ... Vgl. S. 76. — Ancel und Bouin haben auch eine histologische Untersuchung der kryptorchen Hoden vorgenommen und ihre An- gaben über die Menge der Zwischenzellen beruhen nicht, wie Stieve, möglicherweise auf Grund des ganz kurzen Referates in meinem Buch, vermutet, allein auf Wägun- gen, sondern auch auf mikroskopischen Untersuchungen. Vgl. Bouwin, Titres et travaux scientifiques. 2me Partie, S. 33: „Noch mehr, die histologische Unter- suchung dieser ektopischen Organe zeigt, daß . . . die Variationen im Gewicht dieser ektopischen Testikel bedingt sind allein durch Variationen in der Entwick- lung der interstitiellen Drüse“. [Wörtliche Übersetzung; Bouin selbst hat diese Stelle unterstrichen.] Will man in diesen Dingen diskutieren, so ist es unbedingt nötig, die zu diskutierenden Arbeiten im Original oder wenigstens in Auto-Refe- raten zu lesen. Widrigenfalls ist Mißverständnissen Tür und Tor geöffnet. Wer Arbeiten nach Referaten zitiert, ohne das kenntlich zu machen und ohne die Referatenquelle anzugeben, übernimmt eine Verantwortung, die er gar nicht tragen kann. Die unrichtige Angabe Stieves über Bowin und Ancel ist bereits von Berberich und Jaffe 1. c. p. 428) übernommen worden. Die letzteren Au- toren trifft jedoch kein Vorwurf, da sie der Meinung sein mußten, Stieve zitiere nach dem Original. — Auch manche Angabe Stieves über Sands Buch, das in dänischer Sprache erschienen ist, erweist sich, bei Vergleich mit dem Original, als unrichtig. der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 359 der Zwischenzellen“ bedingt sei. Das ist nicht unbedingt so. Wer die Abbildungen von Bouin und Ancel gesehen hat, wer die Untersuchungen von Poll!) an Vogel-Bastarden kennt, wer einen Blick auf die Pıäparate von unseren oberen Partialkastraten wirft, wird zugeben müssen, daß das Zwischengewebe unter Umständen eine so große Ausdehnung ge- winnen kann, daß das Gewicht des Hodens durch die Masse des Zwischen- gew.bes weıtgehend mitbestimmt wird. Es ist nach diesen Erörterungen klar, daß der gegen die Befunde von Bouin und Ancel von Stieve erhobene Einwand nicht geltend ge- macht werden kann, und daß Bouin und Ancel in den von ihnen unter- suchten Fällen wohl einen Parallelismus im oben angegebenen Sinne beobachtet haben. Ebensowenig haben wir Veranlassung, Zweifel darüber zu äußern, daß in den Versuchen von Steinach?) und von Sand®) dieser Parallelismus vorhanden war. Im Lichte der verschiedenen B:funde, die wir in den vorausgegange- nen Abschnitten besprochen haben, läßt sich jedoch der Paxallelis- mus, wie die Autoren ihn beobachtet haken, in einem anderen Sinne deuten als Bouin und Ancel, Steinach, Sand und ich selbst es fıüher getan haben. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß die Hypertıiophie der Zwischenzellen um so eher eintreten wird, je schneller die Spermato- genese vor sich gehen wird. Der Befund einer Hypertrophie von Zwi- schenzellen bei einem Versuchstier ist gleichzeitig ein Hinweis darauf, daß dieses Tier mit Bızug auf die Entwicklung seines Testikels und mit Bezug auf die Spermatogenese den anderen Vergleichstieren zeit- lich voraus war. Dieses Tier ist augenscheinlich ‚sexuell‘ älter als die Vergleichstiere, und «s ist von voinherein zu erwarten, daß bei diesem Tier die Geschlechtsmeikmale weiter ausgebildet sein werden als bei den anderen. Der von den Autoren beobachtete Parallelismus ist nicht bloß ein solcher von Zwischenzellenmenge und Ausbildung der Ge- schlechtsmerkmale, sondern gleichzeitig auch ein zeitlicher Parallelis- mus in der Entwicklung des Testikels als eines Ganzen und der Höhe in der Ausbildung der Geschlechtsmerkmale. Daß meine Vermutungen berechtigt sind, ergibt sich aus der Tatsache, daß beim Kryptorchis- mus die Entwicklung des Hodens in außerordentlich mannigfaltiger Weise gehemmt sein kann. Dasselbe gilt für operative Eingriffe am Testikel. In Versuchen, die wir gemeinsam mit Wagner und !) Poll, Zwischenzellengeschwülste des Hodens bei Vogelmischlingen. Beitr. z. pathol. Anat. u. anat. Physiol. 6%. 1920. 2) Steinach, Geschlechtstrieb und echt sekundäre Geschlechtsmerkmale als Folge der innersckretorischen Funktion der Keimdrüsen. Zentralbl f. Physiol. #4. 1910. — Steinach und Holzknecht, Erhöhte Wirkungen der inneren Sckretion bei Hypertrophie der Pubertätsdrüsen. Arch. f. Entwicklungsmech. 13, 42. 1916. ®) Sand, Experimentelle Studier over Konskarakterer hos Pattedyr. Kopen- hagen 1918. Vgl. S. 74-95. 360 A. Lipschütz und K. Wagner: Über die Hypertrophie Bormann!) ausgeführt haben, haben wir am Kaninchen eine Verzögerung der Entwicklung des Testikels und damit auch der Maskulierung durch horizontale Schnitte am Hoden hervorrufen können. So bin ich denn der Meinung, daß alle die verschiedenen Grade von Maskulierung, die Bouin und Ancel, Steinach und. Sand beobachtet haben, bedingt waren durch den jeweils vorhandenen verschiedenen Grad von Ver- zögerung in der Entwicklung des kryptorchen oder transplantierten Hodens. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß die Entwicklung des Testikels um so schneller vor sich gehen wird, je geringer die Gesamt- masse der Testikelsubstanz. Man darf jedoch nicht erwarten, daß ein kleines Hodenfragment sich schneller entwickeln wird als ein ganzer intakter Testikel; wie unsere Untersuchungen ergeben haben, vermag der operative Eingriff am jugendlichen Testikel dessen weitere Entwicklung vorübergehend oder sogar ganz zu hemmen, woraus denn auch eine Ver- zögerung oder vollständige Hemmung in der Entwicklung der abhängigen Geschlechtsmerkmale resultieren wird. Der Partialkastrat istin der Regel in der Entwicklung seiner Geschlechtsmerkmale hinter dem normalen Tier zurück. So ist es auch zu verstehen, daßin den Fällen, deren Hodenfrag- mente in Abb. 1und 3 dargestellt sind, die Geschlechtsmerkmale weniger ausgebildet waren als beim normalen Kontrolltier, obwohl bereits die Spermatogenese im Gange gewesen, Atrophie der Kanälchen und Hyper- trophie der Zwischenzellen eingetreten war. Will man Untersuchungen über den zeitlichen Ablauf der Entwicklung des Hodengewebes und der Geschlechtsmerkmale als Funktion der totalen Testikelmasse aus- führen, so ist unbedingt nötig, Hodenfragment mit Hodenfragment zu vergleichen, oder Hodenfragment mit einem Testikel, an dem ein ähnlicher operativer Eingriff, etwa horizontale Schnitte, ausgeführt wurde, und nicht Hodenfragment mit einem intakten Testikel. Der operative Eingriff am Testikel wirkt als solcher häufig entwicklungs- hemmend. Wir haben diese Frage bereits an anderer Stelle erörtert. Die Bemerkungen von Romeis (l. c.) betr. unseres Befundes unter- entwickelter Geschlechtsmerkmale trotz großer Mengen von Zwischen- zellen im Hodenrest sind keineswegs am Platze. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt), haben wir beim Kaninchen Kastrationsfolgen auch bei Gegenwart von großen Zwischenzellen beobachtet; die Zwischenzellen hatten ein Aussehen, das von dem nor- malen abwich. Ich möchte mir über diese Fälle noch kein endgültiges 1) Lipschütz, Ottow et Wagner, Sur le ralentissement de la masculinisation dans la castration partielle. Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 85, 630. 1921. — Lipschitz, Wagner et Bormann, Ralentissement experimental de la masculinisation. Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 86, 238. 1922. ®) Lipschütz, Wagner et Bormann, vgl. Zitat Anm. 1. der Zwischenzellen. Ihr Vorkommen und ihre Bedingungen. 361 Urteil erlauben. Ich halte es jedoch auf Grund einer Reihe von Beobach- tungen in unserem Institut für sehr wohl möglich, daß die post-embryo- nale Umwandlung der Zwischenzellen von Vorgängen in den Kanälchen abhängig ist!). Es wäre das eine Analogie mit dem Ovarium, wo Gra- nulosazellen und Thecazellen ihre endgültige epitheloide Gestalt erst im Prozesse der Eireifung gewinnen. Zusammenfassung. Auf Grund anderweitig bereits mitgeteilter Untersuchungen wird ge- zeigt, daß die Hypertrophie des Zwischengewebes, wie die Hypertrophie des generativen Gewebes, nicht als kompensatorische Reaktionen des Testikels in innersekretorischen Zusammenhängen aufgefaßt werden können. Es werden Belege dafür mitgeteilt, daß die Hypertrophie des Zwi- schengewebes unter Umständen einen außerordentlichen Umfang er- reichen kann, und daß es durchaus nicht schwierig ist, festzustellen, ob im gegebenen Falle eine Hypertrophie, eine absolute Massenzunahme des Zwischengewebes, vorhanden ist oder nicht. Es werden die Bedingungen diskutiert, aus denen die Hypertrophie des Zwischengewebes erwächst. Als lokale Bedingungen kommen augenscheinlich in Betracht: die Degeneration oder, richtiger, die „rückläufige Entwicklung‘ der Kanälchen und eine gute Vasculari- sierung. Die letztere kommt wahrscheinlich indirekt zur Wirkung, insofern als eine gute Vascularisierung die Spermatogenese beschleu- nigt. Eine allgemeine fördernde Bedingung der Hypertrophie der Zwischenzellen scheint die Reduktion der Testikelmasse zu sein, in- dem dadurch wiederum die Spermatogenese, die rückläufige Entwick- lung der Kanälchen und der Eintritt der Hypertrophie der Zwischen- zellen beschleunigt werden könnten. Es wird schließlich versucht, den von den Autoren beobachteten Parallelismus zwischen der Menge der Zwischenzellen und dem Grade der Maskulierung in dem Sinne zu deuten, daß hier ein zeitlicher Par- allelismus in der Entwicklung des Testikels und der Geschlechtsmerk- male vorhanden war, insofern die Ausreifung der letzteren infolge der verfrühten Ausreifung des Testikels ebenfalls verfrüht wird. !) Lipschütz et Wagner, Nouvelles observations sur la fonction endocrine des cell. interstit. du testic. chez les mammif. Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 86, 306. 1922. Der Einfluß ehemischer Contraetursubstanzen auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. Von Dr. med. Masataka Ohno (aus Osaka, Japan). (Aus dem Institut für animalische Physiologie, Frankfurt a. M.) Mit 7 Textabbildungen und 10 Tabellen. (Eingegangen am 31. August 1922.) Über die Einwirkung von contracturerregenden Substanzen auf auergestreifte Muskeln gibt es schon eine recht beträchtliche Literatur!), während die Angaben über ihre Einwirkung auf glatte Muskeln noch ziemlich spärlich sind 2). Ich habe auf Anregung von Herren Prof. Bethe versucht, diese Lücke in einigen Punkten auszufüllen. Einmal waren die verschiedenen, sich widersprechenden Befunde früherer Autoren nachzuuntersuchen und weiter auszudehnen. Des weiteren mußte für die erreichten Contracturhöhen ein Vergleichsmaß gesucht werden. Bethe und seine Mitarbeiter haben beim quergestreiften Muskel hierfür die maximale Zuckungshöhe bei Induktionsschlägen, zum Teil aber auch den maximalen Tetanus (Kopyloff) gewählt. Hier erwies es sich zweckmäßig, als Vergleichsmaß einen Tetanus von be- stimmter Dauer und gleichbleibender Stärke zu benutzen. Besondere Beachtung wurde der Frage zugewandt, ob die durch chemische Substanzen herbeigeführten Contracturen an das Vor- handensein der elektrischen Erregbarkeit gebunden sind. Wenn sich hier wie bei den quergestreiften Muskeln zeigen sollte, daß auch bei fehlender elektrischer Erregbarkeit noch starke Contracturen zustande kommen können, so würde hierin eine Bestätigung der von Bethe, Fränkel und Wilmers?) gezogenen Schlüsse liegen. In der Tat können beim glatten Muskel bei vollkommenem Fehlen der elektrischen Er- 1!) Vgl. Schwenker, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 15%, 371. 1914 und Bethe, Fraenkel und Wilmers, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 45. 1922. 2) Morgen, B., Untersuchungen aus dem Physiologischen Institut der Uni- versität Halle (herausgegeben von $. Bernstein) %, S. 139. 1890. — Schultz, P., Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1897, S. 307. — Heymann, P., Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 90, 27. 1921. 2) Bethe, Fraenkel und Wilmers, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194,“ 70. 1922. M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen usw. 363 regbarkeit, besonders durch Chloroform Contracturen zustande kommen, welche sogar höher sind als bei normalen Muskeln. Daher erscheint es wahrscheinlich, daß wenigstens diese Contractursubstanz ihren An- griffspunkt jenseits des Erregungsprozesses, also wahrscheinlich direkt an den contractilen Teilchen, hat. Methodik. Zu meinen Versuchen benutzte ich Magenpräparate von Rana esculenta und Rana temporaria. Der Magen wurde in der üblichen Weise dem frisch getöteten Tier entnommen und in etwa 5 mm breite Ringe zerschnitten (meist aus dem Kardiateil und dem Fundusteil). Die Schleimhaut wurde fast immer abgezogen!) _ wo dies nicht geschehen ist, ist dies in den Tabellen vermerkt. Darauf wurde der Ring aufgeschnitten und an jedem Ende ein Faden hindurchgezogen und zu einer kurzen Öse verknüpft. Mit der einen Öse wurde das Präparat in dem von Kopyloff?) beschriebenen Apparat an dem festen Platinhaken, mit der anderen an dem Platinhaken des vom Hebel herabhängenden Drahtes angehängt. Die Vergrößerung durch den Hebel war 10fach, die Belastung sehr gering (ca. 1 g am Muskel). Bei Benutzung des isometrischen Hebels wurde der Faden nach Art der Sehnennaht um das Ende des Streifens herumgeknüpft, da sonst ein Ausreißen der Schlinge zu befürchten ist. Präparate, die nicht sofort benutzt wurden, wurden im Eisschrank aufgehoben. Dieselben zeigten auch nach 24 Stunden und mehr noch sehr gute elektrische Erregbarkeit. Sie waren auch tonusfreier als die frischen Präparate. Zum Reizen wurden tetanisierende Induktionsströme durch das ganze Prä- parat hindurchgeleitet, da bekanntlich Einzelinduktionsschläge eine sehr geringe Wirksamkeit besitzen, wenn sie nicht ganz außerordentlich stark sind. Um die Wirksamkeit zu erhöhen, wurde beim Reizen die Flüssigkeit aus dem Bethe- Kopyloffschen Gefäß jedesmal so weit abgelassen, daß das Präparat sich zur Hälfte in Luft befand. Darauf wurde immer mit der betreffenden Flüssigkeit wieder so weit aufgefüllt, daß das Präparat gut bedeckt war. Als Contraetursubstanzen wurden benutzt Yzsoo Yıno "so; Yıo und 1 n-HC1 in Ringer, 4/00» Yıo so und 1 n-NaOH, isotonische KCI-Lösung und in Ringer gesättigte Chloroformlösung. Die benutzten Narkotica und andere Substanzen wie Atropin, Suprarenin usw. waren ebenfalls in Ringer gelöst. Bei jedem Versuch wurde erst abgewartet, bis das Präparat einigermaßen eine konstante Länge bekommen hatte, dann wurden ein oder mehrere Prüfungs- reize mit immer demselben Rollenabstand (4 cm) und der gleichen Zeitdauer (5 Sekunden) gegeben. Darauf ließen wir entweder bald nach Abklingen der teta- nischen Erregung die Contractursubstanz zufließen oder ließen vorher das Prä- parat unter der Einwirkung eines Narkoticums usw. und prüften von Zeit zu Zeit, meist in Abständen von 10 Minuten, die Erregbarkeit. Die Kurven wurden auf einem langsam laufenden Kymographion auf- geschrieben. Die Trommelbewegung betrug 2,2 mm in der Sekunde. I. Tetanus. Als Vergleich für die Höhe und Form der später zu beschreibenden Contracturen wurde eine tetanische Reizung von immer gleicher 1) Vgl. Hecht, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182%, 178. 1920. ?) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 219. 1913. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 24 364 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Oontractursubstanzen Dauer und Stärke benutzt. Es geschah dies in Analogie zu den Ver- suchen von Bethe-Fränkel und Wilmers!) am quergestreiften Muskel, welche die bei der Einwirkung von contracturerregenden Substanzen auftretenden Contracturen in ihrer Höhe mit maximalen Induktions- öffnungszuckungen verglichen. Da. Einzelinduktionsschläge von zu- lässiger Stärke beim glatten Muskel nur wenig wirksam sind [vgl. P. Schultz?), Grützner?)], so mußte eben ein tetanischer Reiz zum Ver- gleich dienen®). Um gleichmäßige Tetanie zu erhalten, mußte die Reiz- stärke, Frequenz und Dauer der Reizung gleichmäßig gemacht werden. Sehr starke Reize erwiesen sich als unzweckmäßig, da sie sehr starke Ermüdung hervorrufen. Auch die von mir angewandten Reizstärken hatten bereits stark ermüdende Wirkungen. Dies zeigt sich daran, daß bei Wiederholung des Reizes, selbst wenn zwischen den einzelnen . Reizen Pausen von 10 Min. gelegen sind, die Tetanushöhen dauernd abnehmen. Beispiele einer sehr schnellen Ermüdung: Ran. temp., 23. II. 1922, Reizung alle 10 Minuten. Contracturhöhen in Millimetern: 60, 41, 29, 10, 6, 4, 3, 1,5, 1,0, 0,7, 0,5. Die Ermüdung erfolgt nicht immer gleich schnell, und in anderen Fällen war die Abnahme der Kontraktionshöhen nach 3—4 Reizungen noch kaum merklich®). Störend ist diese schnelle Ermüdbarkeit bei Narkoseversuchen, weil man nicht genau weiß, wieviel von der Ab- nahme der Kontraktionshöhen auf Rechnung der Narkose und wieviel auf Rechnung der Ermüdung zu setzen ist. Es mußte daher bei solchen Versuchen mit den Reizen möglichst gespart werden, so daß der genaue Verlauf der Narkose sehr viel schwerer festzustellen ist als bei quer- gestreiften Muskeln. Unbequem ist auch das Fehlen einer konstanten Muskellänge. Auch wenn man nach dem Einspannen des Präparates möglichst so lange wartet, bis eine einigermaßen konstante Länge (bei schwacher Belastung) eingetreten ist, so ändert sich doch nach jedem Reiz die Fußpunkthöhe. Im allgemeinen sinkt sie beim Reizintervall von 10 Min. langsam ab (vgl. P. Schultz a. a. ©. S. 106). In seltenen Fäl- len tritt eine Fußpunkterhöhung ein. Ob diese mit beginnender 1!) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 45. 1922. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903. 1—148 (25). 3) Ergebn. d. Physiol., 3. Abtl. 2, 12. 1904. *) Die Reizung mit konstantem Strom kam für uns nicht in Frage, da die Anwendung unpolarisierbarer Elektroden durch die nachherige Einwirkung von in Ringer gelösten Contractursubstanzen technisch ausgeschlossen war. 5) P. Schultz hat die Ermüdung des Magenstreifens bei Reizung mit Öffnungs- schlägen genauer untersucht und hierbei ebenfalls schnelle Ermüdung gefunden (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1903, S. 106). Dort auch andere Literatur- angaben über schnelle Ermüdung andrer glatter Muskeln. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 365 Totenstarre etwas zu tun hat, wie Hecht!) angibt, erscheint uns nicht gesichert. Bei ein und demselben Präparat erhält man bei gleichem Reiz sehr ähnliche Tetanusformen, wenn man von der allmählich abnehmenden Höh> absieht. Verschiedene Präparate zeigen aber in bezug auf. die Formen recht wesentliche Unterschiede. Bei den von uns angewandten Reizdauern von 5 Sekunden steigt die Kurve bei langsamem Trommel- gang (2,2 mm pro Min.) senkrecht an und hat ihre höchste Höhe noch nicht erreicht, wenn die Reizung beendet ist. Die Unterschiede be- a.b c. lb Cl CR CE (5 un Thl. 7. b I 12. Abb. 1. Verschiedene Typen der tetanischen Kontraktionen bei kurzem Reiz (5 Sek., Nr. 1 bis 6a) und der chemischen Contracturen (Nr. 6b bis 14b). ziehen sich, soweit es unsere Kurven erkennen lassen, nur auf den Ab- fall. Anfangs fällt die Kurve immer schnell ab und wird allmählich flacher. Sie kann nach 8—10 Min. die Abszissenachse erreicht haben; in anderen Fällen ist dies noch nicht der Fall, so daß mit der nächsten Reizung noch länger gewartet werden muß (Typus 1 und 2 der Abb. 1). In dem Abfall kann eine Verzögerung auftreten, der später ein wieder schnellerer Abfall folgt. So entsteht die Andeutung eines Buckels (Typus 3a —4b). Dieser Buckel kann mehr oder weniger hoch einsetzen. In anderen Fällen steigt der Hebel nach anfänglichem Abfall noch einmal 1!) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 182, 199ff. 1920. 24” 366 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen wieder auf, so daß ein richtiger zweiter Gipfel entsteht, ähnlich wie er von Einzelzuckungen bei manchen quergestreiften Muskeln bekannt ist [Typus 5a—6a]}). Die Tab. Ia und Ib geben eine Statistik über die Häufigkeit der Typen bei Ran. esc. und Ran. temp. nach einem Teil unserer Versuche. Man sieht besonders aus der Tab. Ib, daß die Buckelformen bei Temporarien häufiger sind als bei Escu- lenten. Bei Temporaria verweilt auch der Muskelstreifen meist deutlich länger in der maximalen Verkürzung als bei Esculenten. Tabelle Id. Häufigkeit der Typenformen (s. Abb. 1) bei Tetanus (5%, &cm R. A.) Typus | 1 | 2 | 3a | 3b | 4a | 4b | 5a | 5b | 6a Rana esculanta 43 3 5 11 | 1 | 5 2) 2 Rana temporaria | 17 10 11 0 | 4 | | 3 17 7 Tabelle Ib. ohne | schw. | starker Buckel | Buckel Buckei % % % Rana esculanta 63 25 12 Rana temporaria 36 28 36 Es sei schon hier erwähnt, daß bei manchen Contracturen durch chemische Substanzen Contracturformen auftreten, welche den Te- tanuskurven recht ähnlich sind. Besonders häufig ist bei HCL,KCl und NaOH die Ausbildung eines zweiten Gipfels zu konstatieren. II. Einwirkung von Contraetursubstanzen. a) Chloroform. Daß Chloroform am Magenpräparat Contracturen bewirkt, ist zuerst von Mor- gen?) beschrieben worden. Auch an anderen glatten Muskeln wurde Chloroform wirksam gefunden. Genauere Untersuchungen liegen aber unseres Wissens nicht vor. Die Chloroformeontracturen (in Ringer gesättigte Cihloroform- lösung) haben beim normalen Magenpräparat einen sehr gleichartigen Verlauf. Der Hebel steigt etwas weniger steil als beim Tetanus an, erreicht eine beträchtliche Höhe, sinkt dann unter Bildung einer sanften Kuppe bis auf ein etwas niederes Niveau wieder ab, um dauernd auf dieser Höhe zu bleiben (Typus 13a und 13b der Abb. 1 und Abb. 2). Ein späteres Absinken wurde bisher nicht beobachtet (Beobachtungszeit bis zu 40 Min.). Die Tab. II gibt eine Übersicht über einen kleinen Teil unserer Beobachtungen. !) Die sehr eingehenden Versuche von P. Schultz (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1903, S. 93) über die tetanische Reizung des Magenpräparates sind mit viel längeren Reizen angestellt, so daß sie kaum etwas von den geschilderten Unter- schieden erkennen lassen. 2) Untersuch. aus dem physiol. Inst. d. Univ. Halle 2, 139 (153). 1890. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 367 Tabelle II. CHC], in Ringer (gesättigt). - — —— —— Tetanus| Typus |Steilheitı Höhe c Nr. | Datum i. Ringer Beton | nat Quotient x 100. a 1922 in mm | d. Contractur i. CHCI, | Mittel m | zer lieea] Eon 1 De sen 8752 (7100 | 179 | del. a ae m To iaral| 8553 (1355 | dgl. av | ar isn 90. 72 1.100 IR.E a sn 87 rer 100 93 |, del. Be vn asian | 90 |, 387 ss | del. Temperatur der Flüssigkeit bei Nr. 1, 2 = 19° C. ER) ” 3 62 82020: 15, 22 DI yERE: Im 3. Stab ist die Höhe des Tetanus, im 4. Stab der Typus der Chloroform- contractur, im 5. und 6. ihre Steilheit und Höhe angegeben. Im 7. Stab ist das Verhältnis Contracturhöhe : Tetanushöhe x 100 eingesetzt. Man ersieht aus der Tabelle, daß die Contracturhöhen meist die Tetanushöhe erreichen oder sogar überschreiten. Bei Ran. temp. sind die Abb. 2. Wirkung von CHC], in Ringer (A). Bei 7 Prüfungsreiz (Nr. 2 der Tabelle II). Contracturhöhen relativ beträchtlicher als bei Ran. escul. Ein ähnliches Verhältnis zwischen beiden Froscharten wurde auch für quergestreifte Muskeln durch Kopyloff!) und durch Bethe, Fränkel und Wilmers 2) konstatiert. b) Salzsäure. Morgen?) und nach ihm P. Schultz*) untersuchten am Magenpräparat die Wirksamkeit verschiedener Säuren (Salzsäure, Essigsäure, Schwefelsäure und Salpetersäure) in recht hohen Konzentrationen (0,5% bis zu konzentrierten Lö- sungen). Beide fanden, daß Säuren solcher Konzentrationen auf glatte Muskeln keine Wirkung ausüben. Nur bei Salzsäuredämpfen fand Schultz Verkürzung des !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 219. 1913. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 45. 1922. ®) Morgen, B. Untersuch. aus dem Physiol. Inst. d. Univ. Halle (herausgegeben von 8. Bernstein) Bd. II, S. 157. 1890. *) Schultz, P., Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897, S. 314. 368 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen Muskels. — Später haben verschiedene Autoren, u.a. Meigs!) gefunden, daß sehr ver- dünnte Lösungen (z. B. 0,01% Milchsäure) Verkürzung bewirken, während stärkere Erschlaffung hervorrufen (z. B. 0,05 proz. Milchsäure). Heymann?) hat dies noch genauer ausgeführt und fand HC1/500 contracturerregend, während stärkere Lösun- gen sofort Erschlaffung bewirkten. Den Umschlagspunkt gibt er nicht genauer an. Bei meinen eigenen Versuchen fand ich HC1/500 eben gerade wirk- sam. Die Kurve sinkt meist zuerst etwas ab, um dann wenig aufzu- steigen (s. Tab. 3, Stab f und g, Nr. 13—18). Auch nach längerer Ein- wirkung der Lösung ist der Muskel noch elektrisch erregbar. Nach jedem Tetanus tritt eine Erhöhung der Fußpunktlinie ein, so daß man durch mehrfache tetanische Reizung Contracturen erreicht, wie sie die verdünnte Säurelösung allein nicht bewirkt. Tabelle III. HCl von %/;,, /ıoo und "/,., (danach NaOH/,,) a b € | d e f | g | h i k Typus Steilheit Höhe i : Nr. | Datum ee 5 in® |in mm Se er | 1922 | in mm | der Contractur in HCl | Mittel Do) \ ne | 0 Kae nam 9 15.0. | wo oh 11 72 I ze N | EN rl 8 een 4.08. va 100 8b so 13 13 10 RR Ha OR Van | 100 8a | 86 5 jo N Saar | Wu. 20 | a | 2 15. 0... 7350 0 12 100 0) m, aD, 8 | 273. 1. | SA oa 9000900011 |» a 9. 31. v. | #532. |2210p7 |, 0 171020 | 2/ „.HOI 10.|| 10. var. | AIOS Son 0.10 10 9 —12 |R. E.|| 0 130 10° va. | BA op 8 17 hir I 2] 12.013. vom. | AZ ap 5 5 6 a 1a2]0 2132110) 033 19 on 62 ma 7 rn ei | es | | 14 131720 229 ı -19| —2 Re | | +5 | +1]| +3 —) | 15: 13.007 |, 45 a lo en | | +4 | +2 +4 | | "asp. O1 1 oe 100. = | ©) 9, 9:0.| © 10, IRB! | 17 | 13. VIL.| 6 - |,+4 | +2 | +43 |E.+49 +11| „ 18 TA Eva. 03 | -9| -1| —2 |E+ -12| „ | | Narr | Tetanus 5’ 4cm R. A. R. T. — Rana temporaria, R. E. = Rana esculenta. Temperatur der Flüssigkeit bei Nr. 12, 14, 17, 18 = 18—19°C. sr 1130 ee ae 2551291022733 0 Präparat Nr. 1, 3, 6, 11, 24 Stunden nach Tötung, die übrigen frisch oder 1-5 Stunden nach Tötung. E = Elektrische Erregbarkeit nach HOl-Periode. 1) Journ. of exp. zool. 13, 497 (525). 1912. 2) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 90, 27. 192]. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 369 Sehr viel besser wirksam war stets Salzsäure "/,. und meistens auch Salzsäure "/... Bei diesen Konzentrationen steigt die Kurve sofort in die Höhe, und der Quotient erreicht im Durchschnitt bei Ran. temp. den Wert 35 resp. 55 bei Escul. 17 resp. 20 (s. Tab. III, Stab g, Nr. 1—12 und Abb.3). In anderen Fällen (Spätsommerfrösche) be- wirkte N/, „HCl geringere Contractur als "/,oo- Einmal blieb die 2/,, wirkungslos. Stärkere Salzsäurelösungen ("/,, und In) be- wirkten direkt an das Präparat gebracht in der Regel Fußpunktsernied- rigung. Eine bestimmte Säurekonzentration, bei der mit Sicherheit Abb. 3. Wirkung von HCl/50, danach Na0OH),50. 7T = Prüfungsreize (Nr. 5 der Tabelle III). Erschlaffung eintritt, läßt sich bisher nicht angeben. So habe ich bei einem Frosch mit "/,, noch eine starke Contractur erhalten und erst 1/, bewirkte Erschlaffung. Jedenfalls kann man so viel sagen, daß die Contractur meist um so länger bestehen bleibt, je verdünnter eine noch gut wirksame Lösung ist, und daß die Kurve um so schneller nach Errei- chung ihres Gipfelspunktes absinkt, je konzentrierter sie ist. Aber auch relativ starke Lösungen können nach Dauercontracturen geben (s. Abb. 3). Besteht die Contractur, die von einer schwächeren Lösung bewirkt wurde, noch fort, so kann sie durch eine stärkere gelöst werden. Man kann daher wohl annehmen, daß Säuren an sich stets Con- tracturen erzeugen, die aber durch einen sekundären Prozeß (vielleicht eine Strukturzerstörung) gelöst werden. Dieser zweite Prozeß kann sich dem ersten so schnell anschließen, daß es zu keiner deutlichen Fuß- punkterhöhung kommt und der Muskel sich sofort verlängert. Was den Typus der Salzsäurecontractur anbetrifft, so ist er sehr verschieden, wie aus dem Stab d der Tab. III hervorgeht. Bei schwä- cheren Konzentrationen überwiegen langgestreckte Typen mit an- fänglicher Nase und häufig einem zweiten Buckel, während bei den stärkeren Konzentrationen Kurven auftreten, die sich den Tetanus- kurven in der Form bereits nähern oder sogar ihnen zum Verwechseln gleichen. Daß die Säurewirksamkeit bei Temporaria größer ist wie bei Esculenta, wurde bereits erwähnt. 370 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen c) Natronlauge. Der Typus der Natronlaugecontracturen (R/;oo und %/,,) ist ziem- lich verschiedenartig. Meist steigen die Kurven fast so steil wie Tetanus- kurven auf, bleiben eine Zeitlang auf der Höhe, so daß eine runde Kuppe entsteht, und fallen dann mehr oder weniger schnell ab (Abb. 4a und b und Abb. 1, Typus lla und b). Ein schneller Abfall ist selten, kommt D/s- NaOH n/„- NaOH Abb. 4a und b. Zwei verschiedene Formen der Natronlaugecontractur (Nr. 3 und 2 der Tabelle IV). aber vor. Es entstehen dann Kurven, ähnlich denen, wie man sie beim kurzen Tetanus finden kann (Typus- 4a). Häufiger, besonders bei schwächeren Konzentrationen, bleibt die Kurve nach dem anfänglichen Abfall lange Zeit auf der Höhe (Typus 12a und b und 9a). Über die vorkommenden Typen unterrichtet die Tab. IV, Stab d, welche einen Teil unserer Versuche wiedergibt. Tabelle IV. NaOH von %/,, und "/,,., (danach "/,,-HC]). a b c | d e f | & h i k len ze Steilheit| Höh en Nr. Datum Lypus in o | in in \ | es N 1922 in mm | der Contraetur v. NaOH Mitte] | HC1/50 = ılesm | 5 lim | s |» | “ | RT. 2.) 2219 16,0 19p 1, 852 | 10,118 Soon R 34 Salon oe a eo | R N 20 03. © aaa 050, | so 8 EN OER bu| UL van au a2laı wenn ame 95 |R. E. 62113. VIL 68 || re 89. 0 So on ar | ea | | , 8|12.vu.| 47 [125 | 74 | a 3) „ 9 | 12.VIL.| 67 Ze | 86. 50789 3) + a "/100- 10 \ız.vu.| 55 | 9a | 89 | 33 | oo | + | „ |j MOH Temperatur der Flüssigkeit bei Nr. 10 = 18°C. „ Nr. 14, 6-9 = 20°C. „ Nr. 5= 22°C. Präparat 2, 8, 9 24 Stunden nach Tötung, die übrigen 2—4 Stunden nach Tötung. (Siehe auch Tabelle V.) auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. Sr Aus dem Stab g ersieht man, daß "/,,-NaOH stärker wirkt als "/,9o: und daß die Contracturen bei Temporaria höhere sind als bei Escu- lenta. Der Quotient kann bei Temporaria 100 wesentlich überschreiten. D/,oö übte keine oder nur noch eine sehr geringe Wirkung aus. Die elektrische Erregbarkeit ist nach dem Absinken der Kurve (20—30 Mi- nuten nach Beginn der Einwirkung) meist erloschen. In einer besonderen Versuchsreihe habe ich die Angabe von Morgen!), P. Schultz?2), Heymann?) u.a.nachgeprüft, daß Alkalien in starken Konzentrationen nach einer starken Kontraktion Erschlaffung be- wirken. Ich kann dieselbe bestätigen. Schon aus der Tab. IV Stab d ist ersichtlich, daß die Kurve bei "/,,-NaOH schneller absinkt als bei "/,o- Ein Vergleich von "/;oo; */ı,) und 1°?-NaOH in Ringer ergab, daß mit zu- nehmendem Natronlaugegehalt die Kurve um so schneller abfällt. Bei %/,00 war der Gipfel rund, und es blieb ein langandauernder Ver- kürzungsrückstand (Typus12a). Bei %/,, fiel die Kurve steil ab (Typusl), war aber höher und fiel nicht unter die Abszissenachse. Bei In war die Kurve niedriger, stieg steil auf, fiel aber gleich wieder ab und senkte sich sehr schnell unter die Abszissenachse. Die Quotienten betrugen 63, 76 und 39. Offenbar bewirkt Natronlauge stets eine Contractur, die aber um so schneller durch zerstörende Einflüsse gelöst wird, je höher die Konzen- tration ist. d) Kaliumchlorid. Durch Eintauchen des Magenpräparates in eine isotonische KCI- Lösung wird eine schnell ansteigende, aber bald wieder absinkende Contraetur bewirkt, ähnlich wie dies vom quergestreiften Muskel be- kannt ist. Die entstehenden Contracturformen erinnern deutlich an die nach kurzen Tetanie auftretenden oder sind mit ihnen identisch (s. Tab. V, Stab 5). Auffallend ist, daß der Typus der Kaliumcontractur sehr häufig den Typus der an demselben Präparat aufgetretenen te- tanischen Contractur nachahmt; nur ist die Kurve meistenteils etwas mehr in die Länge gezogen, und der Buckel im absteigenden Schenkel ist deutlicher erkennbar (vgl. Tab. V, Stab 4 und 5 bei Versuch 1—3, und 5—9 und Abb. 5a und b). Die Contracturhöhe bleibt in der Regel hinter der des Vergleichs- tetanus zurück (Tab. V, Stab 8). — Die elektrische Erregbarkeit ist nach Absinken der Kurve stets noch vorhanden, aber meist schon sehr deutlich herabgesetzt (Abb. 5b). Ihr vollkommenes Erlöschen tritt erst nach längerer Einwirkungszeit ein, während die Erregbarkeit bei 1!) Untersuch. aus dem Physiol. Inst. Halle 2, 158. 1890. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897. 314. 3) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 90, 59. 1921. 372 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen Tabelle V. KCl-Contractur (isotonische Lösung). 1 2 Sa rel | 3.1 7 | 8 Tetanus Contractur i Nr. a Höhe | Höhe |Steilheit) Be ; 1922 in mm | TypusslElypus |in mm in ° 1 28. IL. 35 3b 6b | 18 89 51 2 29. IL. 40 4b?| 7b 25 89 62 3 TRY 30 3a Ue 30 90 100 4 30. II. 56 12 Te 32 90 57 5 | 3l. II: 40° |: 1 1 32 90 80 52 0% 24 | 4b.| 96 | 20 | 90 83 Ts SalVz 52 4b 7a 46 90 88 8 | AATVE 58 4a lc 47 90 8 9 | 102 36 | 3a 7a | 32.0790 88 Alle Versuche an Rana temporaria. KCl b) KCl KCI-Wirkung an 2 Magenpräparaten mit verschiedenem Typus der tetanischen Abb. 5a und b. Kontraktion (7”). (Nr. 4 und 9 der Tabelle V.) etwa gleichdicken quergestreiften Muskeln nach Angaben der Literatur und noch nicht veröffentlichten Versuchen von Dr. Franke schnell erlischt. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 373 III. Gegenseitige Beeinflussung zweier Contraetursubstanzen. a) Chloroform — HCl und Chloroform — NaOH. Die Chloroformeontractur erreicht relativ größere Höhen als die durch HCl oder NaOH bewirkten. Es war daher kaum zu erwarten, daß HCl oder NaOH nach Einwirkung von Chloroform wesentlich positive Wirkungen hervorrufen würden; eher könnten negative zum Ausdruck kommen. — Ich ließ Chloroform so lange einwirken, bis sich die Kurve wieder gesenkt und ihre bleibende Höhe erreicht hatte. Darauf ließ ich "/,o0- HCl oder "/,„ NaOH einwirken. Im ersteren Fall wurde einmal eine geringe Steigerung der Verkürzung beobachtet, der später eine leichte Senkung folgte; in anderen Fällen trat nur diese allerdings mit erheblicher Latenz ein, ohne daß es in der Versuchszeit (15 Min.) zu einem sehr erheblichen Abfall kam. Sehr viel deutlicher depressiv, aber auch mit längerer Latenz, wirkt Natronlauge, auch dann, wenn sie mit Chloroform gesättigt ist. In 15 Min. kann die Chloroform- kurve um etwa 30% gesunken sein. Eine vollkommene Lösung der Chloroformstarre, wie sie Morgen!) bei nach- träglicher Einwirkung von HN, fand, trat nie ein. %/,„. NaOH mit Chloroform gesättigt be- wirkt dagegen Contracturen, die an Höhe kaum hinter reinen Chloroformcontracturen zurückbleiben, nur daß sie später Neigung zum Absinken haben. b) HCl-Chloroform und NaOH-Chloroform. Läßt man HCl %/,oo auf den Muskel- streifen 20—25 Min. einwirken, und wech- selt man gegen diese Lösung gesättigte NaO0H/50 g n = Abb. 6b. Teilweise Lösung einer Chloroformlösung, so tritt höchstens eine Na0H/50-Contraetur durch Chloro- ganz geringe Verstärkung der noch beste- a henden Contractur auf. Diese bleibt ent- weder bestehen oder macht nachträglich en einer mehr oder weniger starken Senkung m Platz. In anderen Fällen tritt die Senkung HO1/100 sofort ein. Dies ist besonders der Fall, wenn Abb. 6a. Teilweise Lösung der die Chloroformlösung mit HCl der gleichen H° eat: DES Konzentration versetzt ist (s. Abb. 6a). Läßt man NaOH N"/,, längere Zeit (15—30 Min.) einwirken und ersetzt dann durch gesättigte Chloroformlösung, so tritt immer statt einer Kontraktion eine Senkung der Kurve ein. Einmal blieb das Chloro- !) Untersuch. aus dem Physiol. Inst. Halle 2, 155. 1890. 374 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen form ganz wirkungslos!). Die Senkung ist sehr gering, wenn die Natron- laugecontractur bereits ganz oder annähernd bis zur Abzissenachse abgesunken ist; sie ist beträchtlich, wenn noch ein starker Verkürzungs- rückstand vorhanden war (s. Abb. 6b). — Aus dem Mangel einer Chloro- formeontractur nach Einwirkung von NaOH könnte man den Schluß ziehen, daß das Chloroform nicht mehr imstande ist, eine wirksame Säurebildung im Muskel hervorzurufen. Es wird ja allgemein von den Verfechtern der Säurequellungstheorie angenommen, daß Chloroform contracturerregend wirkt auf dem Wege der Säurebildung. Die ein- tretende Depression ist für diese Theorie schon schwer zu erklären. Noch ungünstiger für die einfache Säuretheorie ist die Tatsache, daß auch nach HCl-Vorbehandlung durch Chloroform (auch in saurer Lö- sung) in der Regel eine Senkung bewirkt wird. Wenn das Chloroform auch nicht mehr imstande sein sollte, neue Säurebildung hervorzurufen, so dürfte es jedenfalls nicht zu einer Lösung der HCl-Contractur führen, denn nach der Säuerungstheorie ist Verlängerung des Muskels gleich- bedeutend mit Verminderung der Säuremenge. (Daß etwa die Säuerung zu groß würde und deshalb Ver- längerung hervorriefe — siehe die Wirkung starker Säuren —, erscheint ausgeschlossen, da die eventuell entstehende Abb. 7a. ee einer a eenrdetor durch Milchsäure gegenüber der be NaO0H/50. Prüfungsreiz (T) kurz vorher fast unwirk- reits anwesenden Salzsäure aan en eh nicht imstande sein kann, die C;; zu vermehren.) c) Salzsäure — Natronlauge und. Natronlauge — Salzsäure. Die Salzsäurecontractur (%/,, und ”/,00) bleibt, wie oben beschrieben, meist lange oder dauernd auf der Höhe. Er- setzt man nach längerer Ein- wirkung (15—20 Min.) die Salz- säure durch Ringer, so tritt Na0H/50 keine Lösung ein, und die Er- " Gontraetur durch HOI50 (Tabelle Tv, Nr. 5), 1egbarkeit kehrt nicht wieder. Gibt man aber Natronlauge (2/,,), so fällt die Kurve erst schnell, dann langsamer wieder ab (s. Abb. 7a und Tab. III, S. 368, Stab h) und kann wesentlich unter die Abszissenachse 1) Auch Morgen (a. a. ©.) hat bereits beobachtet, daß Chloroform nach Ein- wirkung von Ammoniak keine Contractur bewirkt. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 375 sinken; sehr häufig wird diese aber auch nicht erreicht. Hat die Salz- säure noch länger eingewirkt (30— 35 Min.) so ist die Depression gering oder kann ganz fehlen. Über die Größe der Depression gibt der Stabh der Tab. III einige Daten. Nach "/,,, Salzsäure tritt manchmal (auch nach längerer Einwirkung) eine deutliche Zusammenziehung bei nachträglicher Einwirkung von Natronlauge "»/,, ein. Einmal wurde dies auch nach "/,.. Salzsäure be- obachtet (Nr. 12, 13 und 17, Tab. III). Dies scheint beachtenswert, da hier trotz der Neutralisation durch den Überschuß von Natronlauge eine Art Superposition der Wirkungen zustande kommt. Die Contracturen nach "/,, und "/,oo Natronlauge gehen, wie oben S. 370 erwähnt, häufig von selbst zurück (Typus l1la und b, Abb. 1). In diesem Fall können über nachträgliche Einwirkung von Salzsäure nur schwer Versuche gemacht werden. Leichter gelingt dies bei den anderen Typen (9 und 12), wo die Contracturen lange auf der Höhe bleiben. In diesem Fall bewirkt nachträgliche Salzsäureeinwirkung ein plötzliches Absinken der Kurve (Abb. 7b). Meist ist es wenig bedeutend (s. Tab. IV, S. 370, Stabh). Das Absinken kann auch vollkommen fehlen (Tab. IV, Nr. 9 und 10). Da das bloße Waschen mit Ringer ebenfalls plötzliches Absinken bewirken kann, so ist die sekundäre Wirkung von Salzsäure wohl nicht allein auf Neutralisation der Natronlauge zu be- ziehen. IV. Narkoseversuche. Zu den Narkoseversuchen wurden benutzt Äthylalkohol, Benz- amid, Salicylamid, Rohrzucker und Kaliumchlorid. Der Eintritt der Narkose wurde durch Reizung in größeren zeit- lichen Abständen (10—15 Min.) verfolgt. Nach Eintritt der Unerreg- barkeit wurde die Contractursubstanz zur Einwirkung gebracht. Wäh- rend des Eintritts der Narkose verändert der Muskel meist seine Länge. Gewöhnlich sinkt die Kurve am Anfang deutlich ab; besonders bei Salicylamid ist dies stets in bedeutendem Maß der Fall. Für Äther hat es bereits Morgen gefunden (a. a. O. 8.155). Er fand auch bereits, daß Chloroform nach Äthernarkose noch Contracturen erzeugt. Chloro- form in verdünnter Lösung bewirkt nur Narkose, welche ebenfalls mit immer leichter Tonusfall verbunden ist. Nach der Prüfungstetanie bleibt bei manchen Narkotica ein deutlicher und bleibender Verkürzungs- rückstand. In manchen Fällen und bei manchen Narkotica bleibt diese sekundäre Contractur aus. In den folgenden Tabellen gibt der letzte Stab über dies Verhalten Aufschluß. — In den Tab. VI—-VIII, im vor- letzten Stab, ist die Zeit angegeben, nach der die Unerregbarkeit ein- getreten war. 376 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen Es wurden stets zwei benachbarte Präparate vom selben Magen verglichen, von denen das eine narkotisiert wurde, während das andere gleich lange in Ringer am Hebel suspendiert war und während dieser Zeit auch nicht gereizt wurde. a) Chloroform (Tab. VI). Das Verhalten gegenüber Chloroform bei den verschiedenen Narkotica ist sehr verschieden. Manchmal, besonders nach Rohrzucker und Ka- liumchlorid, ist der Quotient aus Contracturhöhe und Tetanushöhe etwa ebenso hoch wie beim Kontrollmuskel (Tab. VI, Nr. 6 und 11). Bei anderen Narkotica [Benzamid!), Salieylamid — Tab. IXb — und Äthyl- alkohol] trat eine oft sehr bedeutende Verminderung der Contractur- höhe gegenüber dem Kontrollmuskel ein (vgl. Tab. VI, Stab h, Quo- tient I = Narkosemuskel und Quotient II = Kontrollmuskel). Nach Äthylalkohol wirkte Chloroform sogar in zwei Fällen depressiv (Tab. VI, Nr.1 und 2). Dieser Befund führte uns zu der Annahme, daß neben der narko- tischen Wirkung bei einigen benutzten Substanzen eine starke sekundär schädigende Wirkung vorhanden ist, die um so größer wird, je länger die Einwirkungszeit war. Aus diesem Grunde wurden bei einer Sub- stanz (Salicylamid) eingehendere Versuche angestellt, die weiter unten folgen. Der Typus der Chloroformcontractur wird durch vorhergehende Narkose wenig verändert, auch wenn die Kurven niederer ausfallen. Sie werden dann nur flacher. b) Salzsäure (Tabelle VII). Auch die Salzsäurewirkung in Narkose war meistenteils geringer als beim Kontrollmuskel, aber auch hier finden sich einzelne Versuche, wo trotz vollständiger Narkose der Quotient fast ebenso hoch oder höher ist wie beim Kontrollmuskel (Tab. VII, Nr. 1, 5, 7 und 11). — Besonders dort, wo die Contracturhöhe weit hinter der des Kontrollmuskels zurück- blieb, war auch der Anstieg der Kurve weniger steil. Es geht dies deut- lich aus dem Stab e der Tab. VII hervor, wo die Typenformen angege- ben sind. c) Natronlauge (Tab. VIII). Auch bei der Natronlaugencontractur in Narkose zeigen sich wieder einzelne Fälle, wo der Quotient wenig oder nicht verändert ist oder sogar größer ist als beim Kontrollmuskel. (Tab. VIII, Nr. 5). Auch hier 1) Bei Rana esculenta wirkt Benzamid weniger narkotisch; bei einer Mischung von 1] Teil gesättigter Lösung und 1 Teil Ringer wurde nach 150 Minuten noch keine vollständige Narkose erzielt (Quotient — 47). Gesättigte Lösung macht in 90-100 Minuten unerregbar und läßt stärkere CHOl,-Contracturen zu (Quo- tient 90)! 317 auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. "ZunsoT 9Y9STUOIOST (z -o3urg [PL I + ZunsoT oyargess5 aduy u [pL IT=T:I(ı ‘oSUsgH | GET | 76 sin & er) ® 3 | ers || era || ro 98 "SP “AL OL | I ‘osuogy C9T | 68 oe || & | 06 | Ele | Ey sg "SP ATIr | 01 "pusyuIsq®e | angoeryuoosdueguy yoeN | 061 | LOI | FE 69 8I 062 Ess gs - dere cs (OST SIE | © ‚ınyoeayuo/) SyaeAmy9Ss | | | | aoyeds “uoyursqy sogar] 09 68 07 61 ar 89 gel gel GE SE "TOP "AI 'IG | 8 ‚ınjoeIjuo/) UM | | aoyyds “uoyursqy soyyaroT GL 081 QL 68 & | 68 ss | ger | ®El | 0€E r "Sp I "AT '6L | L ‚Sunpurdo‘\ umy | GP Yal OTL &9 oz 2206 06 gel al | 08 69 | Tfonzıyorg | "AI ST | 9 Ge el — ı»9 | = Ne le 67 | es pp A 65 48 ‚(wur $gT) | | | rue99aL, eu ANJ9BAJUO,) | 1oypds “uoyumsqy soyaelg | GL SOI 01 LE & | 88 be 2 2gsEl One ere 66 "IP "AL La | 9 "Tue9aL yaeu mI9eIJUo,) (11:1 s9yaro] “uayursqy sOryaIo] | OF &9 L LI v 08 67 | aeı | AOL | LS prwezuog | "AI '9e | F rue} | -9L ypeu pueg9syonısdunz | | „mA UPY ‘uoyusqy | 09 98T sr 99 ber 06 68 | ger | dET | 0€ fas "IP "AI OL || & ‚osueg | 09T | 201 | 67 HL 22 7106 I | Ael FE GL vr "BP "II 22| & -Dunyuog-'FoIofyj) Ur | | | (wur gT)Borgsuy TuegoL u %9-TOyore uuep ‘peJqV 29790] 98H | STIL &9 | | 86T 98 LT | gel 5 LL 0L> -[Äygy III #7 I I II I II I 1I I II L u I 2a6l SIIIJUIIISONIEN "um ur im in 2 PuaIupAa SIOASTIN SD UOHTUTA | | 00L x 9usyond era peıg ur ouyfagg sndäy, 1oury u N unse sIq J19Z Snur9o\L il T y 3 | } 9 pP a q ® PS 67 = NS ‘P48.9. = Bla ZN DoLs = er "DIS E = Des D 008 = ae PS zZ = Bm 9096161 = I OT "PIS I-0 = 0T—T IN Iq ‘I = FunggL, yaeu 9aZ Joe 9° Fe an Ioq yoıssnyg 'p nyerdways, "eriwiodwog "y so‘ OJfV PJJOENUON = IT “sAasoyewN =] 'soyıen ur (98198599 aodurg ur) ®[IHD UoA Sunyay "7A MIA, TELLER EEE. \ Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen . . 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Ohno 378 "TONSIOAOSONMIBN STE JOYNAF OTFOAYUON OT yansıaA og "uspungg 6—Z II T9q ‘uspungg 8—T I 19Q SOyPsoLT sap SungoL yoeu az 9008 = EI TI OD 0861-61 = FI ‘LI FED 088T-8T = TI ‘OL 6 8 ‘CZ IT IN Tq Moysısenpg Top anyerdway, -ZUNSOTT IYOSTUOIOST "IM ‘odurg [PL I + FunsoT oyarggsod zodurg ur [eL I "r [Sp 0F gg 6 | ® 6 63 19 |47T | 901 2 IE "ISP 92 ||| mal [Sp 081 | 9% I # q 99 9% |g0L | gg 0F “IP "IIT ’68 || 81 "yursqy 'yedg ungoeayuo) | 081 | FE g Fa ve 19 se |q0I | 1 fers fer TOM "III 'sZ || 21 [Sp ol a 139 II |.82 69 | MI | 01 174 0F [Sp "AL '0g | II [Sp 09 08 87 1 L IL 6” |erL | oT 08€ % "SP "AL ZI | 0I -ıngowıFUo/) 93ULI9d aoygeds ‘uoYarsqy Sogar | 06 gg ss | 01 8 QL zı |gor | oT 82 8 %Laonzıgog "AL 'IL | 6 [Sp 08 LE € II #1 9q SL | g0T | ®oL 63 09 "TSP "AL 'sz | Ss "INn39BAJUON) sury] "uoyursqy soIyowT | 08 03 % | 01 el 08 | RONOTIEN | SUR EN sıq 1oZ yuolyond SYOYINPRBIYUOI AOUTLOIS snuwpL, | | T | u 3 J | R) | p h) | | dus euey ( PySnwp[oayuoy = TI ‘yansIoAssoyIeN = J) “SONIeN Ur [OH °/u UoA Sunyparn "IIA 21PPL 319 präparat. Oo ische und narkotisierte Froschmagen auf das fr "uspungg g— [ uoFLIgn wı “uspungg 65 = Z "IN !oq II UOpungg gg ussugn wı “uopungg 77 —=7g N PA 1 ZurgoL yaru gez 91-08 = S1 FL ‘ET IN 1eq 9 0961-61 = 01 6 ‘LS FED .TSLT-LI = ZI IT 898 IN PA °DoSI I IN Icq NEyzIsen]g Op argesedwa] "Zunsg[-[9M Pyostuogosi = "IM @Buryg [PLI + FunsoT SYayesos ug U IPELTI=T:'I op | 08T | 28 | 28 29 6 06 98 | eıT | eIT| 09 124 "TOP AN OE ||| hi -puoyursqe puonep | | angorayuoassueguy UDeN | 091 era 6 6 @ 08 19 acı qoL 98 07 "TOP (ETTTE TE EHI "TUBJ9 L, 23014. 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V.| 29 >65 | 60 60 0 0 0 53 7/80 | 40 | 182 | 10 1 || 18 We 46 43 | 60 60 0 0 0 35 32H 831282 76 74 ae on Vz >70 65 | 90 90 0 0 0 2 a 2,8 6 Zeit seit Tötung: I. Nr. 1 = frisch, Nr. 10, 11 = 1 Stunde, Nr. 2 = 3 Stunden, Nr. 4, 7= 4 Stunden, Nr. 5, 6—= 6 Stunden, Nr.3—7 Stunden. II. Nr. 7 =frisch, Nr. 1 = 2 Stunden, Nr. 10, 11 — 3 Stunden, Nr. 2, 4, 9 = 6 Stunden, Nr. 3, 5, 6, 8 = 8 Stunden. Memperatur der Blüssiekeit: Nr. 5, 7.9, 10 17182 0., Nr. 2 — 19°C, Nealaas ol 90215 ON! 94.20. 2 382 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen kung schon zutage, so daß die Erregbarkeit nicht oder nur vorüber- gehend wiederkehrt. Die Contracturhöhen sind bei beiden Muskeln be- trächtlich. Erst bei sehr langer Einwirkung des Narkoticums trat bei beiden Muskeln eine Schädigung ein. Unter Umständen (Nr.9) kann der Narkosemuskel eine wesentlich bessere Contractur (von mehr als nor- maler Höhe) geben, als der ausgewaschene, aber nicht wieder erregbar gewordene. Die Schädigung nimmt offenbar trotz des Waschens in- folge der längeren Gesamtzeit noch zu. f) Versuche mit Atropin, Cocain und Suprarenin. Vom Atropin gibt P. Schultz!) an, daß es beim Bepinseln des Prä- parates die spontanen Bewegungen aufhebt und eine Fußpunktsenkung macht. Bei stärkeren Lösungen fand bereits Guth?), daß es elektrische Unerregbarkeit herbeiführt. Wir können dies bestätigen. Schon bei einer 0,01% igen Lösung wurden die Präparate nach 2 Stunden fast unerregbar. Die durch Chloroform herbeigeführten Contracturen waren aber von normaler oder übernormaler Höhe. Ein vollständiges Verschwinden der Erregbarkeit trat aber auch bei Lösungen von 0,1% innerhalb von 2 Stunden nicht ein. Beim Waschen mit Ringerlösung nimmt die Erregbarkeit manchmal wieder zu, erlischt aber nach 60 bis 120 Min. vollkommen. In anderen Fällen nahm sie ohne vorherige Er- holung in Ringer schnell ab. Ließ ich auf diese ganz unerregbaren Präparate Chloroform einwirken, so traten meist sehr starke Contrac- turen ein (Esculenta @. = 112—133). Ganz ähnlich verliefen die Versuche mit Cocain. Schon mit 0,02 %iger Lösung kann in 75—120 Min. die Erregbarkeit ganz geschwunden sein. Ist noch ein Rest von Erregbarkeit vorhanden, so verschwindet er meist nachträglich beim Waschen mit Ringer in 1—1!/, Stunden. 0,1 und 0,2%ige Lösungen wirken etwas schneller. Die erzeugten Chloroform- contracturen waren wieder trotz elektrischer Unerregbarkeit verhält- nismäßig sehr hoch und auch steil (@. = 111—122). Suprarenin und verwandte Präparate (Hypernephrin) wirken, wie bekannt?), auf die Darmmuskulatur nicht contracturerregend; auch meine Versuche haben dies gezeigt. Im Gegenteil zeigte sich gewöhnlich ein langsames aber stetiges Absinken des Tonus, wie es schon Magnus u.a.am Säugerdarm beschrieben haben. Ich bin bei diesen Versuchen zu sehr starken Konzentrationen gegangen (0,02—0,1%). Läßt man Supra- renin oder Hypernephrin in diesen Konzentrationen lange einwirken, so geht die elektrische Erregbarkeit allmählich herab und kann vollkommen verschwinden. Die Chloroformeontracturen zeigen danach normale 1) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, Suppl., 8. 5. 2) Guth, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 12%, 85. 1901. ®) Magnus, R., Arch. f. d. ges. Physiol. 108, 48. 1905. — Katsch, G., Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 1%, 18. 1913. auf das frische und narkotisierte Froschmagenpräparat. 383 Höhe und Steilheit. Wird das Suprarenin mit Ringerlösung wieder ausgewaschen (nach einer Einwirkungszeit von etwa 1!/, Stunden), so kehrt die erloschne Erregbarkeit nur vorübergehend wieder. Wenn am Ende der Einwirkungszeit noch Erregbarkeit bestand, so nimmt sie beim Waschen in Ringer in 1!/, Stunden bis auf Null ab. Die durch Chloroform erzeugten Contracturen sind auch hier wieder steil und von normaler oder übernormaler Höhe. Auch hier wieder zeigt sich die Unabhängigkeit der Chloroformcon- tractur von der Erregbarkeit. V. Vergleich der chemischen Contracturen bei isotonischer und isome- irischer Untersuchung. Bethe hat bereits in seinem Vortrag auf dem Physiologenkongreß in Hamburg!) berichtet, daß bei der Säurecontractur nur sehr geringe Spannungen hervorgerufen werden, während durch Chloroform Span- nungen erzielt werden, die denen vergleichbar sind, welche durch Te- tanus bewirkt werden. Es kann also eine Contractursubstanz am iso- tonischen Hebel starke Verkürzungen hervorrufen, die am isometrischen Hebel nur minimale Ausschläge bewirkt. Die verkürzende Wirkung bei geringer Gegenkraft kann bei zwei Contractursubstanzen gleich sein, bei großer Gegenkraft kann aber die entwickelte Kraft (Spannung) sich sehr verschieden verhalten. Ich habe dies beim Magenpräparat nachunter- sucht und kann es durchaus bestätigen. Vom selben Magen wurden schnell hintereinander 2 Präparate unter- sucht, das eine am isotonischen, das andere am isometrischen Hebel. Zuerst wurde jedesmal ein Prüfungsreiz gegeben und die dadurch er- zeugte Verkürzung resp. Spannung aufgezeichnet. Darauf wurde jedes der beiden Präparate der Einwirkung von Salzsäure, Natronlauge oder Chloroform ausgesetzt. Die Tab. X gibt einige der Resultate. Man ersieht aus dem Vergleich der Quotienten (Stab f, I = iso- metrischer Versuch, II = isotonischer Versuch), daß die Kraft des Muskels bei der Salzsäurecontractur sehr gering ist, — ja in einigen Fällen hob sich der isometrische Hebel überhaupt nicht —, während die Kraft bei der Chloroformcontractur viel größer ist und die des Tetanus in einem Fall (Nr. 16) sogar übertrifft. Auch die Einwirkung von Natronlauge ergibt Spannungen von oft beträchtlicher Größe. Diese Befunde scheinen beachtenswert, da sie der T'heorie, daß innere Säureproduktion Ursache der Verkürzung ist, wenig günstig sind. Dringt die Salzsäure ein, — und das ist sehr wahrscheinlich — so müßte sie nicht nur eine erhebliche Verkürzung, sondern auch eine große Kraft bewirken. Dies ist aber nicht der Fall. Umgekehrt sollte man von der Natronlauge erwarten, daß sie bei längerer Einwirkung durch Neutralisation der möglicherweise durch eine reizende Wirkung 1) Ber. üb. d. ges. Physiol. 3, 591. 1920. 384 M. Ohno: Der Einfluß chemischer Contractursubstanzen Tabelle X. Vergleiche von Kraft und Verkürzung bei HCI-, NAOH- und CHC],- Contractur. (Alle Versuche an Rana esculenta.) a b ® d e f an Contractur |, Quotient x 100 Contractursubstanz Nr. Datum = | V.K. K. Y. K. er >, ing |inmm| ing |in mm [19 I 11 I 1 2/0 HCl 12.11.30. Val Dal! 68 1 13 5 19 del. 2 AaValle 32 65 il: 25 3 38 dgl. 3 5. VII. 25 60 ll 8 4 13 /ioo-HC1 4 8. VII. 19 50 0,5 11 2.6 22 dgl. 5 8 VII. 12 48 0 3 0 6 del. 6 8. VII. 10 51 0,5 Ü 5 13 D/,o-NaOH 7.1, 29,301. 47 52 24 39 51 75 del. 8 4. VII. 44 8 5 76 101,5 94 del. g 5. VI. 10 73 8%) 66 80?) 90 R/o0-NOOH 10 SV: 23 66 5 54 22 82 del. 11 8. VI. 25 56 2 49 8 87 del. 122,511. VER 19 85 2. 22 13 26 CHC], gesättigt 13 | 29. VI. 19 80 11 TU 58 96 del. 14 5. VII. 26 38 5 35 19 92 dgl. 15 6. VII. 24 74 DR 60 15.5 & del. 1 ENDE 41 19 45 188 | 1410 Zeit seit der Tötung I: Nr. 4, 15 — 1 Std. "Nr. 3, 7, 10, 13,1 23350: Nr.2.2,8,.9, 9117 44Std. Nr: 5,16, 14° — 72Std INr.2122— 24980 2a NE Ser 15 — frisch. Nr. 2, 4, 9, 10 — 2Std. INr.13,54,,160%— 4 StdaseNTgomoee — 5—7 Std. Nr. 12 = 24 Std. I==isometrischer Hebel. II = isotonischer Hebel. K. —=Kraft. V.K. = Verkürzung. hervorgerufenen Säurebildung keine Kraftentwicklung mehr bewirkt. In den isometrischen Versuchen zeigt sich aber, daß die Hauptkraft- entwicklung allmählich einsetzt und daß noch sehr lange eine hohe Spannung bestehen kann. Das war besonders bei dem Versuch 9 der Fall, wo auch die tetanische Erregung nach der üblichen großen An- fangsspannung eine langanhaltende Dauerspannung zeigte. Die isometrischen Versuche können nicht als vollkommen abge- schlossen gelten. Es ist nach unseren letzten Versuchen zu erwarten, daß bei noch besserer Technik die Unterschiede noch mehr zugunsten der Chloroformcontracturen ausfallen werden. Zusammenfassung. 1. Tetanische Reizungen von kurzer Dauer (5 Sek.) und immer gleicher Stärke geben bei den verschiedenen Präparaten aus dem Frosch- magen verschiedenartige Kurven. 2. Tetaniscne Reizungen rufen bei der Wiederholung schnelle Er- müdungserscheinungen hervor. 3. Alle angewandten Contractursubstanzen (Chloroform, Salzsäure, Natronlauge) wirken auf Präpärate von Ran. temp. stärker als auf auf das frische und narkotiserte Froschmagenpräparat. 385 solche von Ran. esc. (übereinstimmend mit den Befunden am quer- gestreiften Muskel dieser Tiere). 4. Chloroform bewirkt langanhaltende Contracturen von sehr ein- heitlichem Typus. Präparate, die durch Narkotica oder andere Sub- stanzen unerregbar geworden sind, können ebenso hohe oder höhere Contracturen ergeben als voll erregbare. 5. Manche Narkotica rufen sekundäre Veränderungen hervor, welche sich darin zeigen, daß die Reversibilität nur unvollkommen ist und daß trotz Waschens mit Ringer die Erregbarkeit später wieder verschwindet. Bei solchen geschädigten Präparaten wirken auch Contraetursubstanzen meist weniger stark. 6. Salzsäure bewirkt in Konzentrationen von %/,.p gerade noch regelmäßig Contracturen. Die Contracturen sind höher bei "/,., und meist noch bei "/,,, während stärkere Lösungen ("/,, und 1 N) in der Regel Verlängerung hervorrufen, manchmal nach vorübergehender Verkürzung. Eine genaue Grenze läßt sich nicht angeben, da indivi- duelle Verschiedenheiten vorhanden sind. Bei schwächeren Konzen- trationen bleibt die Contractur länger bestehen. Es wird geschlossen, daß die Verlängerung auf einem Zerstörungsprozeß beruht. 7. Natronlauge bewirkt stets Contracturen, die meist um so länger anhalten, je weniger konzentriert die wirksame Lösung ist. Höhere Konzentrationen bewirken nach der Contractur, ähnlich wie Säuren, Erschlaffung. Die Kontraktionsphase ist auch bei den stärksten an- gewandten Lösungen (1 N) noch immer sehr ausgesprochen. 8. Kaliumchlorid in isotonischer Lösung bewirkt vorübergehende Contracturen. 9. Die Chloroformcontractur wird sowohl durch Natronlauge wie durch Salzsäure teilweise gelöst. — Chloroform nach Salzsäure oder Natronlauge bewirkt keine Contracturen sondern Fußpunktsenkung. 11. Die Salzsäurecontractur wird durch Natronlauge und die Na- tronlaugecontractur durch Salzsäure teilweise gelöst. 10. Muskeln, welche durch Narkose oder andere Schädigungen un- erregbar gemacht sind, können noch auf Salzsäure und Natronlauge recht gute aber meist geringere Contracturen zeigen, als die nicht nar- kotisierten Kontrollmuskeln. In anderen Fällen sind die Contracturen sehr gering. Es wird dies auf sekundäre Schädigungen zurückgeführt. 12. In starken Suprareninlösungen erlischt allmählich die Erreg- barkeit unter geringer Fußpunktsenkung. 13. Im isometrischen Versuch kann Chloroform und manchmal auch Natronlauge Contracturen von annähernd derselben Spannung ergeben, die beim Tetanus auftritt. Dagegen ist die Kraftentwicklung bei der Salzsäurecontractur nur sehr gering. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. Von Adolf Sindler. (Aus dem physiologischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster [Direktor: Prof. Dr. R. Rosemann).) (Eingegangen am 1. September 1922.) Der Kalk, der schon früher bei Erkrankungen des Knochensystems, wie Rachitis und Osteomalazie, bei Tuberkulose, als gerinnungsbe- förderndes Mittel in der Therapie vielfache Verwendung gefunden hatte, hat sich in neuerer Zeit vor allem auf zwei Gebieten als Heil- mittel bewährt: erstens bei Erkrankungen, bei denen eine abnorme Durchlässigkeit der Gefäßwände angenommen wird, wie Serumkrank- heit, Konjunktivitis, Ödemkrankheit, Jodschnupfen, Heuschnupfen, und zweitens bei Krankheiten mit gesteigerter Erregbarkeit des Nerven- systems, wie Neurasthenie, Tetanie, Spasmophilie. So günstig die Er- folge der Kalktherapie in diesen Fällen oftmals sind, so wenig sind wir doch in der Lage, auf Grund unserer Kenntnisse von der Bedeutung des Kalks im Körper und von der Wirkung absichtlich zugeführter Kalksalze uns ein befriedigendes Bild von dem Zustandekommen der therapeutischen Wirkung in diesen Fällen zu machen. Auf Veranlassung von Herrn Prof. Dr. R. Rosemann habe ich an mir selbst 2 Stoffwechselversuche angestellt, bei denen beabsichtigt wurde, eine möglichst genaue Bilanz für Ca, Mg, P,O, und N aufzu- stellen und den Einfluß experimentell zugeführten Chlorcalciums auf den Stoffwechsel zu untersuchen. Von den bisher in der Literatur vorliegenden Versuchen über das Verhalten des Kalks im Stoffwechsel möchte ich nur die folgenden hier kurz anführen. Für die Frage des Kalkminimums, d. h. der Menge Kalk, die der meralheeme, im Stoffwechselgleichgewicht befindliche Mensch täglich einführen muß, um keine Verluste an Körperkalk zu erleiden, sind die Versuche Kochmanns!) grund- legend gewesen. Zum erstenmal wurde von diesem Autor der zahlenmäßig belegte Nachweis einer Abhängigkeit des Ca-Bedarfes von der gleichzeitigen Eiweiß- und Fettzufuhr geführt. Er fütterte einen Hund mit dem sehr kalkarmen Pferdefleisch. Die Ca-Bilanz wurde demgemäß negativ. Eine Zugabe von Fleisch, die die abso- 1) Biochem. Zeitschr. %%, 84. 1910. A. Sindler: Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 387 lute Kalkzufuhr vermehrte, brachte nicht eine Verbesserung, sondern eine Ver- schlechterung der Bilanz. Erst eine durch experimentelle Kalkzufuhr bewirkte relative Vermehrung des Ca brachte Kalkretention. Erneute Vermehrung der Ca-armen Nahrung ließ die Bilanz wieder negativ werden. Fettzufuhr zeitigte das gleiche Ergebnis. Tabelle. Täglich | Ning CaO in g (5 Tage) 160 & pulv. Pferdefleisch und 500 cem HO . . . . — 1,11 | —0,405 (4 Tage) 160 g pulv. Pferdefleisch + 500 ccm H,O + 0,563 8 OTTO ARE BR EI URN a — 1,816 | — 0,032 (5 Tage) 220 5 pulv. Pr detlesch An 500 < ccm H,O + 0,563 | — 0,214 —0,512 (5 Tage) 750 8 Konservenfl. + 150 ccm H,O + 0, 512 g CaO + 1,433 | — 0,562 (5 Tage) 750 & Konservenfleisch + 150 ccm H,O + 0,512 g CO Z908, Bett; ur Elm IERRAEETNN: + 1,438 | — 1,459 (5 Tage) 750 g Konservenfleisch + 150 cem H 10 A 50 g Fett +26968 (a0 + ...... . | + 2,696 | + 0,817 Außer der Relation zwischen Nahrungszufuhr und Kalkbedarf bestehen noch Unterschiede in dem Verhalten der einzelnen Versuchsobjekte, die man unter der Bezeichnung individuelle Verschiedenheiten zusammenzufassen pflegt. Es muß das Bestreben sein, diese Abweichungen auf bekannte Faktoren zurückzu- führen. Zu einer exakten Bestimmung des Ca-Minimums ist eine große Reihe von Untersuchungen notwendig, in denen Calciumbilanzen bei verschiedenen Per- sonen mit gleicher Ernährung und bei ein und demselben Versuchsobjekt mit verschiedenen Kostformen aufgestellt werden. Es ist weiterhin sehr wichtig, zu wissen, ob der ausgewachsene Organismus im Überschuß eingeführte Kalksalze zu speichern vermag, und ob eine solche Retention von Dauer ist. Leider haftet ‚fast allen darüber angestellten Untersuchungen der Mangel an, daß eine Nach- periode, in der bei völlig gleichbleibender Nahrung das Verhalten des in der Periode der experimentellen Kalkzufuhr retinierten Kalks studiert werden könnte, über- haupt nicht vorhanden oder viel zu kurz bemessen ist. Reine Minimumversuche, bei denen beabsichtigt wurde, durch möglichst günstig gewählte Nahrung Kalk- gleichgewicht mit einer sehr geringen Einfuhr zu erzielen, hat der Amerikaner Sherman!) in größerer Zahl gemacht. Aus den Untersuchungen der anderen Autoren lernt man Kalkbilanzen bei verschiedenen Kostsätzen kennen und kann sich ein Bild von der Wirkung experimenteller Kalkzufuhr machen. Die ältesten exakten Bilanzversuche am Menschen stammen von Herxheimer?) und Bertram?). Der erste war bei gemischter Kost mit einer täglichen Einnahme von 1,115 g CaO im Gleichgewicht (+ 0,026 g CaO). In einer 7Ttägigen Periode gab er eine Zu- lage von 9,65 g CaO täglich in Form von CaCO, und retinierte täglich 2,23 g. Über das Schicksal dieses Caleiums gibt er keine Auskunft. Beriram nahm bei einer Kost, bestehend aus 450 g Fleisch, 300 g Brot, 90 g Fett, 2 1 Bier täglich 0,385 g CaO ein. Bei einer Bilanz von — 0,015 g pro Tag war er mit dieser Menge also ungefähr im Gleichgewicht, trotzdem man nach seiner Nahrung einen viel größeren Kalkbedarf erwarten sollte. Offringa?) ver- danken wir 2 Serien. Einer 3tägigen Vorperiode, deren Bilanz nicht aufgestellt wurde, folgten 11 Versuchstage mit einem reichlichen Ca-Gehalt der Kost, bedingt 1 ) Journ. of biol. chem. 44, 1—27. 1920. 2) Berl. klin. Wochenschr. 1897, 8. 423. 3) Zeitschr. f. Biol. 14, 335. 1878. 4) Über die Bedeutung des Ca für den Organismus. Inaug.-Diss. Groningen 1911. 388 A. Sindler: vor allem durch Milchpräparate. Die tägliche Einnahme betrug 2,689 g CaO. Die Bilanz war mit 0,116 g positiv. In der zweiten Stägigen Periode wurde durch Zugabe einer CaCl,-Lösung die Einfuhr auf 3,688 g CaO erhöht. Nunmehr trat eine deutliche Retention von 0,651 g CaO pro Tag ein. Eine 2tägige Nachperiode genügte nicht, um das Schicksal des im Körper verbliebenen Calciums zu verfolgen. Voerhave!) stellte Untersuchungen über Ca-Retentionen nach Zufuhr großer Ca-Gaben an. Seinen ersten Versuchen entnehmen wir 2 Perioden. Hier beleuchtet uns das verschiedene Verhalten zweier Personen trotz gleicher Nahrung die un- bekannte individuelle Note. 1. 63jähriger Mann von 56 kg Gewicht, das während der Versuche zunimmt, erhält mit gemischter Kost, in der der Kalk vor allem in der Milch in leicht resorbierbarer Form enthalten ist, täglich 2,068 g CaO. 2. 50jähriger Mann, von 75 kg Gewicht, erhält in qualitativ gleicher Nahrane 2,424 g CaO. Sein Gewicht nimmt ebenfalls zu. Beide wurden durch 2 Vortage eingestellt. Bilanz für 1. und 2. Einnahmen | Harn | Faeces Summe Bilanz Gewicht Täglich co | co Cao Cao Cao Eu g | g | g g | g kg Täglich. 2,068 | 0,245 | 2,113 | 2,358 | — 0,290 | 56 Täglich ....|. 2,424 | 0,098 ; | 1,933 | 2,032 | + 0,392 | 75 Wir sehen also, daß bei gleicher Nahrung die eine Versuchsperson noch Ca vom Körper verliert, während die andere Ca retiniert. Noch stärker zeigt sich die Differenz, wenn wir eine Umrechnung auf das Mittelgewicht von 70 kg vor- nehmen, dann würde 1. mit 2,940 & CaO und 2. mit 1,89 g im Gleichgewicht sein. In 2 weiteren Versuchen bestimmte Voerhave die Retentionsfähigkeit des Organismus bei experimenteller Ca-Zufuhr. Ein normaler Mann, dessen Gewicht in der Versuchszeit zunahm, und der sich, wie hier in einer Vorperiode exakt be- stimmt wurde, im Kalkgleichgewicht befand, bekam während 59 Tagen täglich 2,727 &g CaO in Form von Calciumlaktat. Der Nahrungskalk wurde in der Vor- periode bestimmt und für die während der ganzen Versuchsdauer nur wenig diffe- rierende Nahrung konstant angenommen. In drei 3tägigen Perioden wurden Bilanzaufstellungen gemacht, und zwar: Tabelle. Einnahmen | Harn Faeces Summe Bilanz Pro Tag | CaO CaO CaO CaO CaOo Br g | ER Eli Be g = = il TE Eros meE en = Vorperiode | 2,283 | 0,242 2,043 2,285 — 0,002 Hauptperiode | 1.— 3. Tag 5,010 | 0,346 4,263 4,609 — 0,401 7 TONER 5:0102 2770278 3,402 3,680 — 1,330 95010005 3,342 3,598 | +14l7 Nachperiode. | 2,2838 | 0,105 | 2,565 | 2,670 | —0,387 In der 59tägigen Periode wird, nachdem der Organismus mit rund 2,28 g im Gleichgewicht war, stetig Ca retiniert. Die Retention nimmt von Periode zu Periode zu, was bei dem Bestreben des Körpers, sein Gleichgewicht zu wahren, !) Dtsch. Arch. f. klin. Med. 110, 41.. 1913. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 389 recht bemerkenswert ist. Im ganzen werden etwa 65 g retiniert. Man möchte direkt von einer Kalkmast sprechen. Die 3tägige dritte Periode zeigt die langsame Abgabe des Üperschuseen ist aber leider zu kurz, um ein Bild der Wiederausscheidungskurve zu geben. Den Einfluß der Nahrung auf den Ca-Haushalt tie Fritz Krnge), ‚Deine Kost bestand in der ersten Versuchsreihe zum großen Teil aus Milch und Milch- produkten, mit denen eine große Menge Kalk, im Durchschnitt 6,829 g CaO täglich eingeführt wurde. In verschiedenen Perioden wurde nun der Einfluß besonderer Zusätze auf die Ca-Bilanz studiert. In den ersten 4 Tagen wies er trotz der riesigen Zufuhr in leicht löslicher Form eine negative Bilanz auf, die erst durch Zugabe von NaCl zur positiven umgestaltet wurde. 1. T.d. 1. Periode + NaCl 2. T. d. 1. Periode Harn: 0,2832 g, Faeces 6,66 g Harn: 0,385 g, Faeces 5,496 g Ausgaben . . 6,943 g Summe... 5,881 g Einnahmen . 6,829 g Einnahmen . 6,829 g Bilanz. . —0,1142 g Bilanz .. +0,948 g Diese Retentionserhöhung des Ca durch NaCl geht durch alle Perioden der Küngschen Versuche. Der Befund steht in striktem Gegensatz zu den Ergeb- nissen von Wendt?). Auch v. Wendt hat entsprechend dem Befunde Rindels?), daß NaCl die Löslichkeit der Kalkphosphate erhöht, eine vermehrte Resorption nach NaCl-Gabe aufzuweisen, die sich durch eine Erhöhung des Harnkalks doku- mentierte. v. Wendt schließt aber aus seinen Versuchen, daß diese Resorptions- erhöhung durch die Wirkung des NaCl auf den Blutkalk illusorisch gemacht, ja sogar durch eine vermehrte Ausscheidung von Niere und Darm überkompensiert würde, so daß NaCl einen Kalkverlust für den Organismus bringt. In 2 weiteren Perioden, in denen durch Zugabe von CaCl, die Einfuhr auf 8,26 g bzw. 6,01 g CaO gebracht wurde, bewirkte das CaCl, eine negative Bilanz von — 1,25 bzw. — 1,06 g CaO. Küng hat aber die Faeces zwischen den einzelnen Perioden nicht abgegrenzt. Die täglichen Kotmengen schwanken beträchtlich, und da während der kurzen CaCl,-Einfuhr fast ein Drittel mehr Kot ausgeschieden wird als in den Vor- und Nachtagen, kann man aus seinen Tabellen keine Schlüsse ziehen. Seiner Folgerung, daß CaCl, resorptionshemmend wirkt, kann man sich nicht anschließen. Denn einmal hat er selbst eine sehr starke Vermehrung des Urinkalks nach der Kalkgabe (1 g!) und dann widerspricht auch dies Ergebnis den Erfahrungen Offringas und meinen eigenen, die wir beide eine gute Resorp- tion und gute Retention des CaCl, feststellen konnten. Auch die Versuche Küngs über den Einfluß von Kohlehydrat, Fett und Eiweiß auf die Kalkbilanz leiden unter den erwähnten Mängeln. Seine Nahrung bestand aus 2,5 1 Milch und 400 g Brot. Im ersten Versuch hatte Küng während einer 2tägigen Vorperiode eine positive Bilanz, in 2 folgenden Tagen erhöhte Retention durch Zulage von 200 g Krystallzucker, und in ltägiger Nachperiode wieder Retention. Aber in der Vor- periode schied er durchschnittlich 170 g Faeces aus, in der zweiten nur 120 g und in der dritten 125 g, dabei war der Kot nicht abgegrenzt. Aus dem in gleicher Anordnung geprüften Verhalten von Fett und Eiweiß ist aus demselben Grunde nicht viel zu ersehen. Wohl aber von Interesse ist die Zusammenstellung aller Versuche. Der Körper hat danach von 326,45 g CaO, die in 51 Tagen eingeführt worden waren, 324,48 g CaO ausgeschieden: armer: 26,12 g CaO = 8%, Baeces . . ... 298,36 2 Ca0 — 91%, !) Der Einfluß der Nahrung auf die Ca-Bilaz. Inaung.-Diss. Zürich 1918. ?) Skandinav. Arch. f. Physiol. 1%, 211. 1905. ?) Über die Löslichkeit der alkalischen Erden. Helsingfors 1899. 390 A. Sindler: und somit nur 1,976 g retiniert (0,88%, der Einfuhr). Man kann abschließend sagen, daß der Körper trotz verschiedener Einflüsse bei fortwährend reichlicher Zufuhr von Calcium bestrebt war, sein Gleichgewicht zu erhalten. Secchi!), der den Ca- und Mg-Umsatz bei Hyperchlorhydrie studierte, machte auch einige Vergleichsversuche an 4 gesunden Personen. Durchschnitt pro Tag. = = | Einnahme Harn Kot Bilanz Nele 2 8 <|cao |mso| cao | % |meo | cao | % |meo| cao MgO Milch . . |69[20| 4,80 | 0,72 | 0,458 | 9,6 0,226]2,56 | 53 |0,54 | + 1,78 |— 0,044 5 . . |157170| 3,65 | 0,52 | 0,342 | 9,4|0,16 |1,614 44 0,34 | + 1,65 |-+ 0,02 Gemischt 61/20} 1,50 | 0,70 | 0,293 | 19,5!0,173[0,81 | 54 |0,462| + 0,39 |-+ 0,065 ix \56]62] 0,70 | 0,50 | 0,214 |30 0,13810,39 | 56 |0,416] + 0,09 |— 0,044 Alle Individuen zeigen trotz der Verschiedenheit der Einfuhr positive Bi- lanzen, die im Verhältnis der abnehmenden Zufuhr sich auch verringern. Aus der Arbeit Hoelstis?) entnehmen wir, daß er bei einer gemischten Nahrung, be- stehend aus Eiereiweiß, Brot, Datteln, Sago, Butter einen Bedarf von 0,8 g CaO errechnete. F. Oeri?) untersuchte den Einfluß anorganischer und organischer Phosphate auf den Ca-Stoffwechsel. Seine Versuche sind im gewissen Sinne Gegenversuche zu den eigenen, in denen bei vollständig aufgestellter P,O,-Bilanz der Einfluß des Kalks auf diese betrachtet wurde. Bei kalkreicher Nahrung in leicht resorbier- barer Form befand sich Oeri während 17 Tagen bei täglich 6,8 g CaO-Zufuhr im Gleichgewicht mit einer Bilanz von — 0,05 g pro die. In einem 22tägigen weiteren Versuch wurden unter dem Einfluß organischer Phosphorsäuren CaO- und P,O,-Bilanzen aufgestellt. Bei einer Einnahme von 2,96 g CaO tritt hier ein täglicher Verlust von 0,437 g ein. Eine Erklärung für diese Kalkabgabe vom Körper ist nicht aufzufinden. Der Amerikaner Sherman (l. c.) hat am großzügigsten die Frage des Ca- Minimums zu beantworten gesucht. Von seinen sehr zahlreichen Versuchen führe ich als Beispiele die folgenden an. 1. Mann, 61 kg, Gewicht, Zahlen täglicher Durchschnitt von 4tägigen Perioden. Einnahmen Harn | Cag Faeces| Summe Bilanz a asia ang Bro, ar Be pa De 8 Milch, Eiereiweiß, | .. ” . a a 0,46 | 015 | 0. 0,57 Früchten. Die Differen zen der Einnahmen 0,41 0,18 0,50 0,68 — | 0 werden durch Verschie- 0,41 0,20 0,26 0,46 — 0,05 b E ungdesMengenverhält- 0,42 0,20 0,34 0,54 — 0,12 . . SE | nisses der einzelnenNah- DE 20 0,32 0,52 — 0,20 rungsmittel bedingt 052000 ee 0 0,09 5 ' 0,39 0,19 034 | 0,53 — 0,14 Durchschnitt als Ca. 0,546 0,266 0,476 0,742 — 0,196 Durchschnitt als CaO. 1) R. Secchi, Biochem. Zeitschr. 6%, 153. 1914. ?) O. Hoelsti, Skandinav. Arch. f. Physiol. %3, 143. ») F. Oeri, Zeitschr. f. klin. Med. 6%, 301. 1909. 1910. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 391 Der Kalkgehalt des Harns ist auffallend konstant. Aus dem 24tägigen Ver- such ergibt sich eine mittlere tägliche Ausscheidung von 0,742 g CaO. 2. Mann, 69 kg. Zahlen täglicher Durchschnitt von 3tägigen Perioden. Einnahmen Harn Faeces Summe Bilanz Kost BRrEN g 8 8 g 0,18 0,34 0,08 0,42 — 0,24 | Brot, Butter, Äpfel 0,39 0,28 0,11 | 0,39 ==) | + Milch 0,40 0,36 0,19 0,55 — 0,15 | + Fleisch In der ersten Periode finden wir eine negative Bilanz. Doch ist der Bedarf kleiner als oben, ein Umstand, der vielleicht durch den geringen Eiweißgehalt der Nahrung hervorgerufen sein mag. In der zweiten Periode tritt durch Zulage von Milch ein Ca-Gleichgewicht ein. Die dritte Periode erweist, daß Kochmanns (1. ec.) Feststellung über den Einfluß der Fleischzulage auf die Ca-Bilanz des Hundes auch für den Menschen gilt. 3. Mann, 80 kg. Zahlen täglicher Durchschnitt von 3tägigen Perioden. Einnahmen Harn Faeces Summe Bilanz g t g g g g E 3% 0,23 0,11 0,21 0,32 — 0,09 ; 0,21 0,17 0,15 | Zone Le ee während der 21 Tage 0,20 0,16 0,15 0,31 — 0,11 a er 0,21 0,18 0,16 0,34 — 0,13 Äpfeln : ? 0,21 0,18 0,16 OS 03 en; 0,212 0,16 0,166 0,325 — 0,113 | Durchschnitt als Ca. 0,299 0,224 0,232 0,456 — 0,157 | Durchschn. als CaO. Wir sehen hier eine durch die geringe Ca-Aufnahme bedingte negative Bilanz. Aber die Ausscheidung beträgt im Mittel nur 0,456 g CaO. Dieser geringe Verlust wird durch außerordentlich eiweißarme Nahrung bedingt. — Zahlreiche eigene und fremde Ca-Bilanzen hat Sherman nun in einer Tabelle vereinigt, indem er von dem Gedanken ausging, daß ebenso wie bei der Bestimmung des M- und P-Minimums zuverlässige Werte nur durch das Mittel aus vielen Versuchen ge- geben werden können. Tägliche Ca-Ausscheidung, berechnet auf 70 kg Körpergewicht bei verschiedenen Individuen und verschiedenen Kostformen. l. 0,89 12. 0,548 23. 0,408 34. 048g 2. 0,288 13. 061g 24. 0,538 35. 0,858 3. 0,288 14. 0,61g 25. 0,648 36.098, 4 0,428 15. 0,498 26. 0,44 8 37. 0,30. 8 5. 0,358 16. 0,408 27. 0,568 SB 0/2uRe, 6. 0,668 17. 0,428 23. 0,708 39. 0,328 7. 0,468 18. 0,448 29. 0,54 g #0. 0,348 8. 0,668 19. 0,33 g 30. 0,538 41. 0,298 9. 0,61g 20. 0,418 31. 0,398 42. 0,468 10. 0,658 21. 0,58 32. 0,498 43. 0,428 1l. 0,788 22. 0,408 33. 0,558 4. 041g 392 A. Sindler: 45. 0,438 59. 0,288 73.2 0,50/8 2 38015078 46. 0,468 60. 0,288 1a 0606 88 Konz 47. 0,508 6. 0,278 75. 0508 80. 0,49 48. 0,478 62. 0,298 716. 041g: %. 0408 49. 0,39 8 63. 0,308 7. 0375 Su mosıes 50. 0,61 64. 0,60 8 78. 042g 9 045 53l. 0,438 65. 0,ö5g 79. 040g 9. 0,358 52. 0,58 g 66. 0,59 8 0. 0408 9. 029g 53. 0,53g 67. 0,548 sl. 0,98 9%. 033g 534. 0,538 68. 0,55 g 32. 0428 9%. 0,388 55. 0,588 69. 0,478 83 0.898 910005385 56. 0,308 70. 0,468 34. 035 9%. 0,65g 57. 029g 71. 0,408 85. 0,458 58. 0,40 8 72. 0,558 s6. 0,338 Literatur. l und 2. Bertram, Zeitschr. f. Biol. 14, 354. 1878. 3. Renvall, Skandinav. Arch. f. Physiol. 16, 94. 1904. — 4. v. Wendt, Skandinav. Arch. f. Physiol. 17, 211. 1905. — 5. Hoelsti, Skandinav. Arch. f. Physiol. 2%, 143. 1910. — 7—9. Sherman, a. 1. E. U. S. Dep. Agric. Ixp. Stat. Bull. 227. 1910. — 10—15. Sher- man und U. Rose, nicht veröffentlicht. — 16—34. Sherman u. a., Journ. of biol. chem. 334, 373. — 35-48. Sherman u. a., Journ. of biol. chem. 34, 383. 1918. — 49—55. Sherman u. a., Journ. of biol. chem. 34, 373. 1918. — 56-58. Sher- man u. a., nicht veröffentlicht. — 59—63. Sherman u. a., nicht veröffentlicht. — 64—65. Sherman u. a., Journ. of biol. chem. 35, 301. 1918. — 66-75. sSher- man u. a. Journ. of biol. chem. 35, 53. 1918. — 76—-97. Sherman u..a., Journ. of biol. chem. 49, 349. 1920. — 98. Sindler. Er zieht bemerkenswerte Schlußfoigerungen aus seiner Aufstellung. Für den Kalkstoffwechsel ist bedeutsam ein Vergleich mit dem N- und P-Stoffwechsel. In einer früheren Besprechung hat Sherman!) an Hand von 109 N-Minimum- versuchen die Ansicht ausgesprochen, daß der tatsächliche N-Bedarf stark über- schätzt worden ist. Nach ihm ist die geringste erforderliche Menge Eiweiß in der Nahrung 44 g täglich für ein Körpergewicht von 70 kg. Für P errechnet er im Mittel 0,83 g. Umgekehrt wie beim Eiweiß, wo man seit altersher geneigt war, den Bedarf zu hoch anzunehmen, hat man nach Shermans Ansicht beim Kalk sich mit einer viel zu niedrigen Menge begnügt. Wie ja aus den Besprechungen der einzelnen Bilanzen hervorgeht, kann man nicht etwa dadurch das absolute Kalkbedürfnis feststellen, daß man die vom Körper verlorene Kalkmenge zur Einfuhr hinzuzählt und die sich ergebende Summe den Kalkbedarf nennt, sondern dieser hängt sehr von der Qualität und Quantität der Nahrung ab. Sherman zieht aus seiner Feststellung, daß einem Minimum von 44,4 g Eiweiß ein Minimum von 0,45 g Ca — 0,63 g CaO entspricht, den Schluß, daß bei einem Gehalt der Nahrung an 100 g Eiweiß etwa 1,4 g CaO erforderlich sein würde. Wie entsprechen dieser Forderung die Tatsachen? Sherman untersuchte die freigewählte Kost von 224 amerikanischen Familien auf ihr Verhältnis von N: P:Ca. Eiweiß wurde im Durchschnitt 106 g, d. h. 140% mehr als das Minimum genommen. Nur einmal blieb die Kost unter dem geringsten Maß. Ähnlich verhielt es sich mit der Phosphor- säure. Nur in 8 Kostsätzen unter 224 berechneten war der P,O,-Gehalt nicht ausreichend. Ganz anders erscheint die Sachlage beim Calcium. Hier fand Sherman bei seiner Zusammenstellung einen mittleren Ca-Gehalt von 0,74 g, d. h. 64%, über dem Minimum und noch deutlicher wird das Mißver- !) Sherman, Journ. of biol. chem. 41, 173. 1920. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 393 hältnis durch die Tatsache, daß von je 6 Diäten eine unter dem dringendsten Maß blieb. Um die Möglichkeit der Unterernährung auszuschalten, wurden alle Diäten in gleichmäßiger Zunahme der einzelnen Nahrungsstoffe auf 3000 Calorien berechnet. Hierbei wurde festgestellt, daß keine Kost unter dem Eiweißminimum, 2 von allen unter dem P- und jedesmal eine von 14 unter dem Ca-Minimum bleiben würde. Auf Grund des vorliegenden Materials glaubt Sherman die Gefahr der Kalkunterernährung nicht von der Hand weisen zu dürfen und spricht sich für eine Vermehrung des Nahrungskalks entweder durch Kalksalze oder durch Milchpräparate usw. aus. Eigene Versuche. Meine Untersuchungen bestanden aus 2 Serien von 19 bzw. 15 Tagen. Jede Serie gliederte sich wieder in 3 Perioden: In einer längeren Vor- periode wurde zunächst das Verhalten des Stoffwechsels bei einer konstant gehaltenen genau analysierten Nahrungszufuhr festgestellt, sodann in der Hauptperiode der Einfluß des aufgenommenen Kalk- salzes untersucht und schließlich in einer längeren Nachperiode das Verhalten des Körpers nach Aussetzen der Kalkzufuhr beobachtet. Die Einnahmen. Die Nahrung setzte sich zusammen aus Büchsenfleisch, Brot, Butter, Zucker, Kakao und Wasser. Der Stickstoff- und Mineralgehalt der einzelnen Bestandteile wurde durch Doppelanalysen bestimmt, und zwar wurde im einzelnen folgender- maßen vorgegangen. Calcium und Magnesium im Trinkwasser wurden an ver- schiedenen Tagen bestimmt, und eine Konstanz im Gehalt des städtischen Leitungs- wassers festgestellt. Kakao wurde für die ganze Serie auf einmal eingekauft und in einer Pulverflasche aufbewahrt. Aus ihr wurde das tägliche Quantum, wie auch die zur Analyse notwendige Menge entnommen. In der ersten Serie wurde tierische Butter verwendet, die periodenweise beschafft wurde. Die Pflanzen- butter der zweiten Serie wurde auf einmal für den ganzen Versuch besorgt. Das Brot wurde nach dem Bedarf der einzelnen Perioden aus ein und derselben Bäckerei besorgt. Es wurde in ein Tuch eingeschlagen und in einem Blechkasten vor Austrocknung geschützt aufbewahrt. Die Rinde des Brotes wurde ihres ab- weichenden Aschegehaltes wegen von dem täglich abgeschnittenen Quantum ent- fernt, das Brot in Würfel geschnitten und aus den gemischten Würfeln täglich ein äquivalenter Teil in eine Schale zwecks weiterer Verarbeitung zur Analyse überführt. Dasselbe geschah mit dem Fleisch, das in großen Büchsen eingekauft, aus australischem Cornedbeef in der ersten, und aus argentinischem in der zweiten Serie bestand. Während des zweiten Versuchs wurde das Fleisch durch eine Hack- maschine geschickt, und so eine noch größere Gleichmäßigkeit erzielt. Von Fleisch und Butter wurde gleicherweise ein Tagesäquivalent gesammelt. Für jede Periode wurden nun die gesammelten Proben von Brot, Fleisch und Butter in geräumigen Schalen auf dem Wasserbade vorsichtig getrocknet und so der Wassergehalt der frischen Substanz bestimmt. Dann wurden Fleisch und Brot sehr fein pulverisiert und in luftdicht schließenden Flaschen aufbewahrt. Nach jedesmaligem, tüchtigem Durchschütteln wurden die zur Analyse notwendigen Mengen aus den Pulver- flaschen entnommen. Die Differenzen zwischen den Einnahmen in den einzelnen Perioden waren gering. Die täglich getrunkene Wassermenge wurde möglichst gleichmäßig gehalten. Die folgenden Tabellen unterrichten über die Bestandteile und genaue Zu- sammensetzung der Nahrung. 394 A. Sindler: 1. Versuch. Mineralstoffgehalt der Nahrung. N CaO 1. Periode | 2. Periode | 3. Periode 1. Periode 2. Periode 3. Periode pro pro pro pTO pro pro Tag Tag Tag Tag Tag | Tag % g % g % g % g % g % g N) en ee 1,52 | 7,580 | 1,48 | 7,415 | 1,46 7,290 | 0,070 | 0,354 | 0,072 | 0,360 | 0,072 | 0,359 300 g Fleisch ..... 4,74 14,220 | 4,58 [13,773 | 4,40 113,200 | 0,024 | 0,071 | 0,026 | 0,077 | 0,024 | 0,072 12078 Butter2 ea... 0,125 | 0,150 0,11 | 0,182 | 0,11 0,132 | 0,066 | 0,079 | 0,067 | 0,081 | 0,069 | 0,083 Droskakao dr Sryeır 3,6 0,180 | 3,6 0,180 | 3,6 0,180 I 0,178 | 0,009 | 0,178 | 0,009 , 0,178 | 0,009 20 g Zucker ..... 0,015 | 0,003 | 0,015 | 0,003 | 0,015 | 0,003 —_ _ _ = — — Wasser an _ —_ ii — _ — | 0,0157) 0,300%)| 0,0157| 0,299 | 0,0157) 0,267 GaCll rare _ — — — _ 0,715 — — — _! 0,100%) 0,0052) — —_ — I — ——l——— 0 Summe 22,233 21,503 20,805 0,818 1,541 0,790 MgO PO; S00TEBTLObKE ee re 0,132 | 0,658 | 0,133 | 0,666 | 0,135 | 0,675 | 0,595 | 2,950 | 0,600 | 2,987 | 0,605 | 3,025 300g Fleisch ..... 0,040 | 0,120 | 0,042 | 0,126 | 0,041 | 0,123 | 0,297 | 0,891 | 0,303 | 0,910 | 0,300 | 0,900 120/8°Butter a0. 02. 0,014 | 0,017 | 0,014 | 0,016 | 0,014 | 0,016 I 0,091 | 0,108 | 0,092 | 0,111 | 0,093 | 0,111 DosKakaora ren: 0,48 0,024 | 0,48 | 0,024 | 0,48 0,024 | 1,440 | 0,072 | 1,440 | 0,072 | 1,440 | 0,072 AN YA oe _ — — — 28. Versuch. Mineralstoffgehalt der Nahrung. N 0a0 G00'SE Brot m 1,18 | 6,642 | 1,15 | 6,920 | 1,18 | 7,088 | 0,050 | 0,300 | 0,049 | 0,294 | 0,049 | 0,298 2008 Fleisch ..... 5,05 110,107 5,0 | 9,991 | 5,0 | 9,999 | 0,028 | 0,056 | 0,028 | 0,056 | 0,028 | 0.057 100g Butter... ... 0,025 | 0,025 0,025 | 0,025 | 0,025 | 0,025 | 0,006 | 0,006 | 0,066 | 0,006 | 0,006 | 0,006 100/87 Zucker 2 — — — — — — — — — - — — DE Kakao. Ar. 344 | 0,688 | 3,44 | 0,688 | 3,44 | 0,688 | 0,168 | 0,034 | 0,168 | 0,034 | 0,168 | 0,034 Wasser ..... | 0,0158| 0,308 | 0,0158| 0,287 | 0,0158) 0,302 ET u 1,432 Summe | 17,462 | 17,624 | 17,800 | | 0,704 2,109 0,697 | MgO P,0; 600 8 Brot ...... | 0,125 | 0,739 | 0,121 | 0,728 | 0,120 | 0,723 | 0,457 | 2,745 | 0,451 | 2,706 | 0,467. | 2,798 200 g Fleisch . . . ... ' 0,027 | 0,055 | 0,026 | 0,053 | 0,027 | 0,054 I 0,262 | 0,524 | 0,266 | 0,581 | 0,257 | 0,513 100 g Butter . | = | — | — | — [0,026 | 0,026 | 0,026 | 0,026 | 0,026 | 0,026 10078 Zuckerr.22.2 | | | | u — n— _ _ Dig Kakao re ı 0,730 | 0,146 | 0,730 | 0,146 0,730 | 0,146 | 1,370 | 0,274 | 1,370 | 0,274 | 1,370 | 0,274 Wasser ..... | 0,0019) 0,037 | 0,0019 | 0,036 | 0,0019 0,087 | — | — al, — CC. AH EEER | —- I — | | | — Summe | 0,977 | 0,968 0,960 | | 3,569 8,537 3,611 !) H,O als mittlere tägliche Einnahme eingesetzt, *) Auf das tägliche Mittel umgerechnete einmalige Mehrzufuhr von 50 Brot in der 1. Periode des 1. Vers. Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 395 Caloriengehalt der Nahrung. I. Versuch II. Versuch solicl Cal. Cal. i in \ Ta- täglicl Cal. | Cal. in Ta- nu ch in 100 g gesmengen | en in 100 8 gesmengen 500 & Brot ) 190 950 600 8 Brot 1) 190 1140 300 g Fleisch ?*) 165 495 200 g Fleisch?’) | 175 350 120 & Butter 810 970 100 g Margarine | 795 795 20 & Zucker 400 80 100 g Zucker | 400 400 5 g Kakao | 400 20 | 20 g Kakao 400 80 Summe... . 22515 Summe. 3. — 2165 Aasnukanngsreri 8% 20 Ausnutzungsv szlli: 3%. real inpekuh 9314 Cal}r Eingeführt, „ 2.127202 —72544.Cal: Körpergewicht. I. Versuch (19 Tage), 20. VII. —7. VIII. II. Versuch (15 Tage), 15. II—1. III. 61,9 kg bis 60,5 kg, 61,5 kg bis 61,4 kg Cal. pro Kilo = 37. Cal. pro Kilo = 41,4. Call, Zur experimentellen Kalkzufuhr wurde eine grob abgewogene, ungefähr 20 proz. Lösung von CaCl, + 6 H,O angesetzt und in einer gut verkorkten Flasche auf- bewahrt. Täglich wurde die benötigte Menge herauspipettiert. Der Ca-Gehalt der Lösung wurde durch mehrere Analysen festgestellt. 25 cem der Lösung wurden auf 1 ]1 verdünnt. 100 ccm dieser Lösung enthielten 0,119 bzw. ‘0,1191 g CaO. Die Stammlösung enthielt demnach 4,76% CaO = 18,6% CaCl; + 6 H,O. Die Tagesmenge betrug demnach im: 1. Versuch 0,715 g CaO (in 15 ccm der Lösung). 2. Versuch 1,430 g CaO (in 30 cem der Lösung). Die Tagesmenge enthielt Cl im: 1. Versuch 0,905 g als NaCl 1lo ve I) ® Cl im: . 2. 5 1,812 g als NaCl 2 2 3,8 8. Von den Ausgaben hatte ich nur Harn und Faeces zu berücksichtigen. Der Harn wurde in der ersten Versuchsserie täglich von morgens 7 Uhr bis zum nächsten Tage um 7 Uhr gesammelt. In der zweiten Periode von 8—8 Uhr. Er hielt sich stets bis zum anderen Morgen frisch, reagierte immer sauer und war demgemäß auch nie durch den Ausfall von Erdphosphaten getrübt. Die Hälfte der täglichen Harnmenge wurde in eine große Flasche unter Zusatz von einigen Kubikzenti- metern Thymollösung gebracht. Der Rest des Tagesharns diente zur Bestimmung des N-, Cl-, P,O,-Gehaltes. In der Gesamtmenge des Sammelharnes einer jeden !) Brot nach dem von Neumann für Roggenbrot angegebenen Wert (Berlin, Parey, 1914). 2) Fleisch. 2°) H,O — 57% (auf Wasserbad getrocknet). Eiweiß = 30% aus N-Gehalt berechnet. Fett =5%, geschätzt. 2») H,O = 56%, (wie 2?). Eiweiß = 32%, (wie ?*). Fett = 5%, (wie 2°). Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197, 26 396 A. Sindler: Periode wurde Calcium und Magnesium bestimmt und aus dem Ergebnis die mittlere tägliche Ausscheidung berechnet. In der zweiten Versuchsserie wurden Ca und Mg außer im Sammelharn noch täglich durch Doppelanalysen bestimmt, um den Verlauf ihrer Ausscheidung verfolgen zu können. Die Summe der Tages- ausscheidungen stimmte mit der aus dem Sammelharn gewonnenen Summe gut überein. Die Faeces wurden während je einer Periode gesammelt und für den Tag ein Durchschnittswert berechnet. Da die Faeces während der ganzen Unter- suchungszeit kompakt waren, konnten sie durch Kohle von Periode zu Periode gut abgegrenzt werden. Vor jeder Defäkation wurde der Harn entleert, um Ver- luste zu vermeiden. Die produzierten Faeces wurden in tarierten Porzellanschalen aufgefangen und auf dem Wasserbade unter Zusatz von verdünnter H,SO, ge- trocknet. Der gesammelte Trockenkot wurde gewogen, gepulvert und in Pulver- flaschen überführt. In der so gewonnenen Analysensubstanz wurden die ver- schiedenen Bestimmungen ausgeführt. Methodik. N, Ca, Mg- und P,O,-Bestimmungen wurden in allen Substanzen vorge- nommen, die im Versuch eine Rolle spielten. Außerdem wurde Cl im Harn in beiden Serien und im zweiten Versuch die Gesamtalkalien im Harn bestimmt. Der N-Gehalt wurde nach der Methode von Kieldahl gefunden. Cl nach Volhard- Arnold, Ca und Mg wurden nach verschiedenen Methoden bestimmt. Ca im Harn. 200—250 ccm Harn werden mit NH, ausgefällt, der Niederschlag aufs Filter gebracht und mit verdünnter NH, gewaschen. Gelöst in verdünnter HCl, neutrali- siert mit NH,, angesäuert mit Eisessig. Die Flüssigkeit wird bis zum Kochen erhitzt und mit heißer Amonoxalatlösung ausgefällt. Nach 6stündigem Stehen in der Wärme wird das Ca-Oxalat abfiltriert, gewaschen, und im Platintiegel vorsichtig zu CaO verbrannt. Nach erreichter Gewichtskonstanz wird das CaO gewogen. Im Filtrat wird das Mg nach Zusatz von NH, mit einem großen Über- schuß von Natriumphosphat ausgefällt. Man läßt die Lösung mindestens 12 Stun- den in der Kälte stehen, filtriert ab und verbrennt den Niederschlag auf dem aschefreien Filter zu MgP;0, . II. Methode von Aron-R. Hanslian (Bestimmung als Sulfat). Diese Methode, die für alkaliarme Substanzen sehr einfach ist, benötigt für alkalireiche eine Doppelfällung. Beim Harn habe ich sie so angewandt: 500 ccm Harn werden in einem Jenenser Kolben stark eingedampft und mit heißem Ammon- oxalat gefällt. Nach einiger Zeit gießt man den größten Teil der Flüssigkeit durch ein aschefreies Filter in einen zweiten Kolben, befördert das Filter wieder in den ersten Kolben zurück und verascht beide Flüssigkeiten nach Neumann. Aus dem ersten Kolben wird der nach Fortkochen der HNO, übriggebliebene schwefelsaure Inhalt verdünnt und in einen Meßkolben überführt. Je eine Hälfte kommt nun in ein Jenenser Becherglas, wird nach Vorschrift mit 90 proz. Alkohol (4fache Menge) ausgefällt, im Goochtiegel gesammelt und als Sulfat gewogen. Der Alkohol der vereinigten Filtrate wird abdestilliert, der Rest mit dem ver- aschten Gemisch im Kolben 2 vereinigt. Nach nochmaligem Aufkochen mit wenig Säuregemisch wird die Salpetersäure durch starkes Erhitzen entfernt. Nach Ab- kühlung wird mit Ammoniak neutralisiert, mit HC] angesäuert und NH,C] hinzu- gefügt. Nach Überführen in einen Meßkolben nimmt man die eine Hälfte zur 3estimmung des Mg durch Fällen mit Natriumphosphat und NH,. Zum anderen Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 397 Teil fügt man zur Bestimmung der Phosphorsäure einen großen Überschuß von Magnesiamixtur und fällt in der Siedehitze durch tropfenweises Zusetzen von 2,5proz. NH,. Nach dem Abkühlen fügt man ein Drittel des Volumens konzen- trierte NH, hinzu. Das Mg,P,0, wird wie vorher bestimmt. P;0, wurde im Harn mit Uranylnitrat titriert. Als Indicator diente meist Cochenilletinktur, zuweilen Ferrocyankalium. In Faeces und Nahrungsmitteln wurden Ca, Mg und Phosphorsäure aus Säuregemischasche nach Aron-Hanslian bestimmt. Kontrollversuche wurden mehrere Male durch Veraschung auf trockenem Wege, in Nickel- bzw. Platin- schale ausgeführt. Zur Isolierung der Alkalien wurden 50 cem Harn mit Säure- gemisch verascht und dann abgeraucht. Die so in Sulfate übergeführten Alkalien wurden in verdünnter HCl gelöst und die erhitzte Lösung mit Bariumchlorid und Ätzbaryt ausgefällt. Um das lästige wiederholte Ausfällen des überschüssigen Baryts mit Ammoncarbonat zu umgehen, wurde der Kunstgriff von L. F. Meyer!) angewandt. Die Lösung wurde in einem Litermeßkolben gebracht, filtriert, ein Teil des Filtrats weggeschüttet und dann eine bestimmte Menge genommen. Die Flüssigkeit wurde eingedampft und einer vorher gewogenen Platinschale die gesamten Alkalichloride gewogen. Dann wurden die Chloride in Wasser gelöst und das Chlor nach Volhard-Arnold titriert. Ich bestimmte täglich in beiden Versuchen N, P,O,, Cl, im zweiten Versuch außerdem auch CaO, MgO, sowie die Alkalien im Gesamtharn der einzelnen Perioden; ich verzichte aber aus Platzmangel darauf, hier die einzelnen Werte mitzuteilen und beschränke mich auf die folgende Übersichtstabelle: Zusammenfassung: 1. Versuch. 1. Periode 20. VII. bis 26. VII. Ein- Harn | Faeces Summe! Bilanz Ein- Harn |Faeces | Summe! Bilanz : | nahme nahme N N N | N N CaO CaO Cao CaO CaO Summe [155,614 g,141,780 g| 20,790 g 162,570 g| - 6,956 g| 5,717 g | 1,735g 5,664 g | 7,399 g | - 1,682 g tägl. Mittel || 22,230 8 20,254 8, 2,9708 | 23,224 g| - 0,993 g| 0,817 g | 0,248 g | 0,809 g | 1,057 g | - 0,240 g MgO | MgO | MgO | MgO | MgO | P;0, | P,0, | P.0, | Bo, | P;0, Summe || 6,0718 | 2,414g| 5,264g | 7,678 g | - 1,607 g|28,417 & | 18,834 g | 11,872 g | 30,706 g\- 2,289 g tägl. Mittel | 0,8678 | 0,345 8 | 0,7528 | 1,097 8 |-0,220g| 4,0608| 2,6918 1,6% g| 4,387 g|-0,327 g | Harn Harn | Harn cl KCl NaCl Summe 65,598 — ar tägl. Mittel | 9,37 g — En: 1!) Biochem. Zeitschr. 12, 422—465. 1908. 26* 398 2. Periode 27. A. Sindler: VII. ©bis2.V/TDIE Ein- | Harn |Faeces Summe Bilanz | Ein- Harn |Faeces Summe Bilanz ı nahme | nahme | INS EN N N N Cao CaO CaO CaO CaO Il | Summe 150,521 e135,413 8 17.8788 153,291 g -2,770 8|10,785 | 2,458 8 | 9,165 g 111,623 g 0,838 g tägl. Mittel || 21,503 g| 19,345 8 2,554 g| 21,899 g| - 0,896 g 1,541g 0,3518 1,309g | 1,660 8 |- 0,120 g | MsO | MsO | MgO MgO MgO 12407, P;O, P;P; P;O, B205 Summe 6,078g | 2,645g | 5,103g | 7,7462 |-1,668g ı 28,567 8 | 15,202g | 12,523 g | 27,725 g | +0,842g tägl. Mittel | 0.682 0,3788 | 0,7298 | 1,107g - 0202| 4,0818 | 2,172g| 1,789g| 3,9618 |+0,120g 2 En So Harn \ NaCl Summe I tägl. Mittel || 10,02g 3. Periode 3. VIII. bis 7. VII. ] £ | 2er | | ı Ein- | Harn |Faeces | Summe Bilanz | Ei0- | Harn | Faeces Summe Bilanz nahme nahme N N N N N Cao CaO CaO CaO Cao Summe 104,075 915768 14,015 105,591 g| - 1,5168 3,951g | 1,288g | 3,961g | 5,249g -1,298g tägl. Mittel || 20.815 g! 18, 315g | 2,8088 | 21,1188)- 0,3032] 0,790 & | 0,258g | 0,792g | 1,0508 | - 0,260 |"Mgo | Mg0 | M&O | MeO | MeO | P,0, | P,0, | P.0, | P20, 22,0, Summe 4,8538 | 1,6058 | 2,714g | 4,319g +0,034 8] 20,544 |12,819g | 8,0458 | 20,864 8 |- 0,319 g tägl. Mittel | 0,871g | 0,321g | 0,5438 | 0,8648 |+0,007 g| 4,1098 | 2,564g | 1,649g | 4,173g | - 0,064 g | Harn | Harn | Ham cl KC1l NaCl Summe 49,38 8 = = tägl. Mittel | 9,88g -- _ 2. Versuch. 1. Periode 15. II. bis 19. II. | . Ein- Harn | Faeces Summe Bilanz Ein- Harn | Faeces Summe! Bilanz nahme nahme IN] N N N N | CaO CaO CaO Cao Cao Summe 1873108 72 3748| 115,750 [88.1248 - 014g 35198 1,1268 | | 2,8308 | 3,9558 |- 0,4368 tägl. Mittel |17,462g 14,475g 3,1508 17,635 g |-0,163g] 0,7048 | 0,2258 | 0,5668 | 0,7918 |-0,087g ) 1 1} 1} I | MgO MgO MgO | MgO MgO | P.O,;, | PO; 120): 12,10), | P,O, Summe | 4,888g | 1,411g | 2,8008 | 4,212g |+0,6768|17,845 8 | 10,891 8 | 6,8108 | 17,701 |+ 0,144 g tägl. Mittel | 0,977g | 0,282g | 0,5608 | 0,8428 |+0,185g| 3,5692 | 2,178g| 1,362g | 3,5408 |+0,029g Harn | Harn | Harn I ln rd NaCl Summe 48158 | 6 | 49,05 g tägl. Mittel || 9,758 | 7,73g | 981g N u Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 399 2. Periode 20. II. bis 24. II. | | | 3 ED, | l | Ein- | Harn |Faeces Summe) Bilanz | Ein- | Harn | Faeces | Summe) Bilanz ı nahme | | nahme | | | BEN; IN N! NEN CaoO | Ca0O | CaO CaO , CaO SI ———————— 2 ut = DL n SS — eb > = = = Summe 88,120 8 | 73,142g | 14,525. & | 87,667 8 |+0,453 8] 10,544 8 | 2,0598 | 7,535 g | 9,5748 |+0,9708 tägl. Mittel | 17,624& |14,628g | 2,9058 | 17,5338+0,091g| 2,1098 0,408g | 1,507g | 1,915g |+0,194g | MeO | MgeO | MgsO | MeoO | MgO | P,0, | P.0, | B,0, | B.0, | 0, 1,5568 | 3,0558 | 4,611g |+0,2038|17,6908 | 9,1398 | 8,135g 17,274g |+0,416g 0,8311g | 0,611g | 0,9222 |+0,041g| 3,5388 | 1,8288 | 1,6278 | 3,4558 +0,08 g [I Summe | 4,815 tägl. Mittel || 0,963 Harn | Harn | Harn cl KCl NaCl Summe | 63,15g | 10,008 |89,275g tägl. Mittel | 12,638 | 2,008 |17,855 8 3. Periode 25. II. bis 1. II. n | nn | Ein- | Harn |Faeces Summe Bilanz | Fin | Harn | Faeces | Summe) Bilanz nahme | | nahme N | NN N N CaO CaO Ca0O , CaO CaO 3,483g 1523g | 2,8658 | 4,3888 | - 0,05 g 0,6978 | 0,3058 | 0,5738 | 0,878g | -0,181g Summe |89,000g8 72,922g | 15,545 g | 88,467 g | + 0,533 g tägl. Mittel | 17,800g8 |14,584g | 5,109g | 17,695 8 |+ 0,107 g MsO | MsO | MgO | Mg0 | ms0 | P.0, | 2.0, | 9,0, | 2.0, | P.0, Summe 4,198g |; 1425g | 2,795g | 4,223g +0,575g|18,060g 10,226g | 6,8908 | 17,116g +0,944g tägl. Mittel | 0,960 8 | 0,2865 | 0,559g | 0,8458 +0,.115g| 3,612g8| 2,0458 | 1,3578g | 3,423g |+0,189g Harn | Harn | Harn cl KCl | NaCl . Summe 55,508 | 20,908 | 73,458 tägl. Mittel || 11,10& | 4,18g | 14,698 Ergebnisse. Die erste Versuchsreihe zeigte eine negative N-Bilanz. Da zugleich auch das Körpergewicht von 61,9 kg auf 60,5 kg abnahm, so ist anzu- nehmen, daß der kalorische Wert der Nahrungsmittel nicht ausreichend war. Zurückzuführen ist dies wohl besonders auf die mangelhafte Aus- nutzung des Kriegsbrotes, dessen hohen Kleiegehalt man daran erkennt, daß sein P,O,-Gehalt 0,60% der Frischsubstanz gegenüber 0,27%, des Friedensbrotes beträgt. In der zweiten Versuchsreihe wurde eine ka- lorisch ausreichende Nahrung genommen. Es stellte sich die Stick- stoffbilanz auf das Gleichgewicht ein, und das Körpergewicht blieb konstant. Auffällig ist bei der N-Bilanz, daß in beiden Versuchsreihen die Periode der experimentellen Kalkzufuhr eine deutliche Verminde- rung der N-Ausscheidung im Kot aufweist, eine Tatsache, die auf eine die Ausnutzung fördernde Wirkung des CaCl, schließen läßt. Vergleicht man die Ca-Bilanz in den ersten Perioden der beiden Versuchsreihen, so findet man in der ersten eine größere negative Bilanz, 400 A. Sindler: während die zweite ein wesentlich günstigeres Verhältnis der Einnahmen zu den Ausgaben zeigt. Es erklärt sich das zu einem Teile daraus, daß in der ersten Versuchsreihe die Unterernährung eine Abgabe von Körpermaterial veranlaßte. Dem N-Verlust entspricht auch ein Ca- Mg-P,O,-Verlust. Bringt man nun die gesamte Stickstoffausscheidung im Harn und Faeces der beiden Perioden in Beziehung zu der gesamten Ca-Ausscheidung in Harn und Faeces, so ergeben sich die Zahlen N : CaO — 22 :1 in dem ersten Versuch und 21 :1 in dem zweiten Versuch, trotzdem in dem ersten Versuch eine Zufuhr von 300 g Fleisch und im zweiten nur von 200 g statthatte. Man könnte also ganz allgemein an ein bestimmtes Verhältnis zwischen N und Ca denken. Doch lehrt uns der Vergleich der zweiten Periode des I. Versuchs mit der 1. Periode des II. Versuches, daß hier ein spezifischer Einfluß des Fleisches vor- liegen muß. Zu der gleichbleibenden Nahrung wird 0,715 g CaO an Form von CaCl, genommen. Trotz der stark vergrößerten Ca-Einfuhr hat diese 2. Periode I.Versuch eine negative Bilanz, so daß noch Körper- kalk abgegeben worden ist, wenn auch gegenüber der 1. Periode eine Bilanzverbesserung festzustellen ist. In der 1. Periode des II. Versuches wurde die Fleischmenge auf 200 g reduziert. Trotzdem hier die Gesamt- einfuhr noch geringer war als in Periode 1 des I. Versuches, wurde bei- nahe Kalkgleichgewicht erreicht. Man muß also annehmen, daß spe- ziell die Fleischzufuhr ungünstig auf die Kalkbilanz wirkt, wie das bereits aus den Versuchen Kochmanns (11) am Hunde hervorgeht. In der 2. Versuchsreihe wurde die experimentelle Kalkgabe auf 1,4 g CaO erhöht. Mit dem CaCl, wurden 1,812 g Cl in den Körper eingeführt. Infolgedessen stieg die Cl-Ausscheidung im Harn der Hauptperiode gegen den Wert der Vorperiode deutlich an. Die Vermehrung betrug 2,88 Cl, also mehr, als dem im aufgenommenen CaCl, enthaltenen Cl entsprechen würde. Dieser Überschuß dürfte dadurch zu erklären sein, daß in der Hauptperiode eine Verschiebung im Verhältnis der durch den Harn ausgeschiedenen Alkalien eintrat, indem die Ausscheidung von Kalium stark sank, die von Na stark zunahm. Da NaCl verhält- nismäßig mehr Cl enthält als KCl (in NaCl 60%, in KC1 47,5%) muß eine derartige Verschiebung in dem Verhältnis der Alkalien zueinander eine Cl-Abgabe im Harn zur Folge haben. Aus der Cl-Ausscheidung folgt jedenfalls, daß das Cl des aufge- nommenen CaCl, resorbiert worden ist. Am wahrscheinlichsten dürfte danach die Vorstellung sein, daß auch das Ca des CaCl, zur Resorption gelangt ist. Hierfür spricht auch der Umstand, daß der Harnkalk sich auf das Doppelte erhöht, und daß etwa 20%, der Gesamteinfuhr als retiniert angesehen werden müssen. Die Ausscheidung des Kalkes findet durch Niere und Darm statt. 3ei gleichmäßiger Ca-Aufnahme hat der Körper das Bestreben zu einer Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. 401 ebensolchen Abgabe im Harn, die unabhängig ist von der Harnmenge, sofern diese sich in normalen Grenzen hält. II. Versuch. 1. Periode 2. Periode 3. Periode Harnmenge CaO Harnmenge CaO Harnmenge CaO ccm g ccm g cem g 1210 0.202 | 1816 0,413 1124 0,309 1615 0232 | 1396 | 0,389 1376 | 0,302 1455 0221 | 1544 | 0,385 17502 0,300 1582 0,217 | 1344 0,396 1244 0,299 1345 0.253 | 1364 0,456 1638 | 0,313 Die Ausscheidung des Kalkes durch die Darmwand ist geeignet, die Beziehung des Phosphorsäureausscheidung zur Kalkabgabe zu be- leuchten. Da die hohe Kalkaufnahme ein starkes Ansteigen des Kot- kalkes bedingt, und dieses als Phosphat ausgeschieden wird, so hat Oeri (l. ec.) angenommen, daß die Zufuhr eines phosphorfreien Ca- Salzes einen Verlust des Körpers an P,O, herbeiführen würde. Doch zeigen uns die Bilanzen einen ganz anderen Vorgang. Wenn wir einmal zu Vergleichszwecken annehmen, daß alles Ca in der 1. Periode der II. Versuchsreihe als Phosphat ausgeschieden wurde, und daß die P,O, im Kot nur zur Bindung des Ca diente, so ergäbe sich, daß die ausge- schiedenen Mengen CaO und P,O, als primäres Phosphat den Körper verlassen hätten. Berechnet man das im Kot dieser Periode ausge- schiedene Ca als Ca (H,PO,),, so ergibt sich als notwendig zur Bindung des Ca 1,435 g P,O,, was mit der tatsächlichen Ausscheidung von 1,362 g P,O,, befriedigend übereinstimmt. In der Periode der experi- mentellen Kalkzufuhr sehen wir nun die große Menge von 1,507 g CaO im Kot auftreten. Seine Ausscheidung als primäres Phosphat würde eine P,O,-Menge von 3,82 g verlangen. Tatsächlich werden nur 1,627 g ausgeschieden. Hieraus geht hervor, daß nun das Ca als sekundäres und tertiäres Phosphat den Körper verlassen haben muß. Zugleich nimmt nun auch die P,O, im Harn ab. Vergleicht man die erste Periode, in der P,O,-Gleichgewicht mit 0,029 g bestand mit der 2. in der 0,083 g retiniert wurden, so sieht man, daß experimentelle Kalkzufuhr nicht zu Phosphorsäureverlusten führt. sondern sie sogar die P,O,-Bilanz verbessern kann. In der ersten Versuchsreihe zeigt sich dasselbe Verhalten der Phosphorsäure, nur daß hier die vorher negative Bilanz durch die Kalkgabe in eine deutlich positive umge- wandelt wird. Der Überschuß des Ca wird vom Organismus in der Nachperiode wieder ausgeschieden. Während der 5 Tage der Nachperiode gibt der 402 A. Sindler: Körper täglich ungefähr den gleichen Bruchteil der experimentell be- wirkten Retention ab. Gegen Abschluß des Versuches ist bei Anrech- nung der bei der angewandten Kostzusammensetzung zu erwartenden negativen Bilanz noch die Hälfte des retinierten Kalkes im Körper. Als Ausscheidungsorgan funktioniert die Niere, während im Darm die Kalkabgabe sich wieder auf der Höhe der Ausfuhr in der Vorperiode hält. Offringa, der nach achtmaliger täglicher CaCl,-Zufuhr (1 g CaO) in einer zweitägigen Nachperiode Wiederausscheidung nur durch den Darm bei gleichzeitigem Sinken des Harnkalks bis unter die Norm fand, glaubte dies mit dem Befund erklären zu können, daß der Blut- kalk sich nicht auf längere Zeit erhöhen ließe. Es scheint mir nicht für den Organismus die Notwendigkeit zu bestehen, den Kalküber- schuß durch den Darm zu entfernen. Denn wenn Voerhave in seinen Versuchen bei einem Manne in 59 Tagen eine Retention von 64,5 g CaL erzielt, so ist es natürlich, daß diese Menge irgendwo deponiert werden muß. Ebenso wie das Blut diesen Kalk zu den Geweben hin- transportiert, befördert es später den überschüssigen Kalk zu den Aus- scheidungsstücken. Wo die Wiedergabe stattfindet, hängt von dem Regulationsmechanismus ab, von dem wir wenig wissen. Die Bestimmung der Alkalien in den 3 Perioden der II. Serie zeigte einen deutlichen Einfluß der experimentellen Kalkzufuhr auf die Ver- teilung des Kaliums und Natriums im Harn. Während in der ersten Periode 7,73 & KCl und 9,85 NaCl ausgeschieden wurden, sank in der Kalkperiode die KCl-Menge auf 2 g. Demgegenüber stieg die NaCl- Ausscheidung auf 17,855 g. Es bedingt also die Calciumretention im Körper eine entsprechende Kaliumzurückhaltung, was wohl verständ- lich ist bei Erwägung der antagonistischen Wirkung dieser beiden Metalle. Um diesen veränderten Verhältnissen zu entsprechen, und um vor allem die molekulare Konzentration im Blute auf dem nor- malen Stand zu halten, scheidet der Organismus das NaCl aus. In der Nachperiode geht mit der Wiedergabe des Calciums und der entspre- chenden Kaliumausfuhr eine Abnahme der NaCl-Ausscheidung Hand in Hand. Die Mg-Bilanz scheint von vielen Faktoren abhängig zu sein; denn bei den verschiedenen Autoren schwankt der Bedaıf in weitem Maße. O. Holsti (1. c.) fand in 2 Versuchen einen Bedarf von 0,2—0,21 g MgO; v. Wendt in 3 Perioden von 0,33g, 0,55 g, 0,13 g. Das Gleichgewicht bei der letzten außerordentlich geringen Menge führt v. Wendt auf die Zufuhr von CaHPO, zurück. Daß die Dinge aber nicht so ein- fach liegen, ersehen wir bei Hölsti. Da zeigt die Periode, in der kein Phosphat genommen wurde, und die außerordentlich kalkarm war, eine wenn auch geringe Verbesserung gegenüber der Phosphatperiode. Secchis schon zitierte Bilanzen von 4 Personen zeigen auch diese Ver- Untersuchungen über den Kalkstoffwechsel. _ 403 schiedenheit. Während der Ca-Umsatz sich entsprechend der Zufuhr verhält, finden wir bei Mg bei größerer Zufuhr negative Bilanz und umgekehrt. Die Bedarfswerte gehen von 0,75—0,5 g MgO. Bertram fand 0,75 g als notwendig. In meinem ersten Versuch findet sich eine Mg-Ausscheidung von 1 g, deren Größe wohl durch die negative Bilanz von P und H bedingt ist. In der 3. Periode des I. Versuches findet sich der Körper mit 0,34 g im Gleichgewicht. Im 2. Versuch findet sich eine durchgehend positive Mg-Bilanz, die in Parallele steht mit der N- und P,0,-Bilanz. Die 2. Periode weist eine erhöhte Mg-Aus- scheidung im Harn und Kot auf. Es scheint, daß der Kalk etwas Me mitgerissen hat. Die 3. Periode zeigt eine Steigerung des Mg-Ansatzes, die zum Teil die Zunahme der P-Retention erklärt. Zusammenfassung. 1. Die Kalkbilanz ist in hohem Maße abhängig von der Fleischzu- fuhr. Zulage von Kalksalz zu fleischreicher Nahrung verbessert die Bilanz nicht so gut, wie Verminderung der Fleischmenge. 2. Experimentelle Kalkzufuhr führt zu einer Kalkretention. Beim Erwachsenen wird der Überschuß der eingeführten Salze nach Aus- setzen der Kalkgabe in einer Reihe von Tage gleichmäßig ausgeschieden. Diese Ausscheidung kann durch Niere oder Darm erfolgen. : 3. Experimentelle Kalkzufuhr führt nicht zu einem P,O,-Verlust des Körpers. Es kann im Gegenteil sogar eine Verbesserung der P,O,- Bilanz eintreten. 4. Kalkretention infolge experimenteller Kalkzufuhr bedingt eine gleichzeitige Retention von Kalium. Um die molekulare Konzentration des Blutes zu wahren, findet eine kompensatorisch vergrößerte NaCl- Ausscheidung statt. . Ich möchte nicht unterlassen, Herrn Prof. Dr. R. Rosemann für die freundliche Überlassung der Arbeit und für alle mir gewidmete Mühe und erteilten Ratschläge meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Über die Ursachen der Emigration der Leukoecyten I. Von K. J. Feringa und J. de Haan. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Groningen.) (Eingegangen am 27. September 1922.) Vorwort. In der hier anfangenden Reihe von Artikeln möchten wir über die Resultate von einer ganzen Zahl Versuchen berichten, welche im hiesigen physiologischen Institut über die Emigration von Leukocyten angestellt worden sind; es sind diese Resultate bisher nur in zwei Dissertationen!) verarbeitet worden. Die Unter- suchungen wurden von De Haan angefangen; es waren dies jedoch der Hauptsache nach nur vorläufige Beobachtungen bei Vorversuchen über Leukocyten, deren Haupt- zweck in anderer Richtung lag?). Auf diese Versuche basierend, hat darauf Feringa diese Untersuchungen systematisch weitergeführt und vorläufig beendet. Sämt- liche Resultate werden hier in der Weise mitgeteilt werden, daß in diesem ersten Artikel von De Haan die befolgte Methodik behandelt wird, nebst den Ergebnissen der ersten Versuche und dem darauf basierenden Versuchsplan. Die weiteren Artikel werden von Feringa geschrieben werden. I. Methodik und kurze Betrachtungen über die vorläufigen Ergebnisse. Von J. de Haan. Einleitung. Die merkwürdige Eigenschaft der weißen Blutkörperchen, auf be- stimmte Reize durch bestimmte Protoplasmabewegungen zu reagieren, hat schon längst die Aufmerksamkeit mancher Untersucher gefesselt. Diese Eigenschaft der Protoplasmabewegung findet ihren Höhe- punkt in der Auswanderungsfähigkeit dieser Zellen; es bewegen sich dieselben dabei durch die Wand kleinster und auch größerer Blutgefäße hindurch einem Orte zu, von woher bestimmte Reize ausgehen, welche die Bewegung verursachen und lenken. 1) J. de Haan, Bijdrage tot de kennis der levensverschijnselen van witte bloedlichaampjes, Groningen 1920. — K. J. Feringa, Over de emigratie van witte bloedlichaampjes. Groningen 1922. 2) Siehe darüber De Haan, Arch. Neerl. de Physiol. 6, 388. 1922; Bioch. Zeitschr. 128, 124. 1922; Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 448. 1922. K.J. Feringa u. J. de Haan: Über d. Ursach.d. Emigration d. Leukoeyten I. 405 Von jeher hat man sich bemüht, die Natur der hier wirksamen Reize näher zu bestimmen, ohne daß es jedoch auch nur einigermaßen gelungen ist, bestimmte auslösende Faktoren nachzuweisen. Man darf sagen, daß ebenso wie die Proto- plasmabewegung überhaupt, die Emigration der Wanderzellen noch in seinem Wesen völlig ungeklärt ist. Den Verlauf des Prozesses hat man ziemlich gut kennen gelernt seit dem Tage, daß Cohnheim die Erscheinungen der Entzündung angegeben und dabei wiederum die Aufmerksamkeit auf die dabei auftretende massenhafte Auswanderung der weißen Blutkörperchen gerichtet hat. Was die Ursachen an- belangt, so hat man alsbald eingesehen, daß die lokale Blutdruckerhöhung, eine der Entzündungserscheinungen, welcher man die Rolle zudachte, die Zellen mecha- nisch durch die Gefäßwand zu drücken, nicht der einzige, selbst nicht der vor- nehmste Faktor sein konnte, jedenfalls sollen bestimmte Eigenschaften der be- treffenden Zellen dazu kommen. Man ist darüber einig, daß die Emigrationsfähig- keit an erster Stelle den speziell (neutrophil) granulierten Zellen zukommt; es muß also der wirksame Reiz an erster Stelle diese Zellen beeinflussen. Mit dem Aufschwunge der Bakteriologie lernte man die komplizierten Mittel kennen, mittels welcher die Bakterien einerseits und der infizierte Körper anderer- seits auf einander einwirken, und es war sehr natürlich, daß man bald die Ursache der Emigration bei der Entzündung auf bestimmte Reize zurückführte, welche von den sich entwickelnden Bakterien wie von einem Zentrum ausgingen; be- stimmten Produkten des Bakterienstoffwechsels sollte eine sogenannte chemo- taktische Wirkung auf die weißen Blutzellen zukommen, welche letztere zur Aus- wanderung nötigte; in mehr entfernter Weise sollten diese Produkte die blut- bildenden Organe zum vermehrten Loslassen neugebildeter Zellen in die Blutbahn reizen, und in dieser Weise die Leukocytose der Infektionskrankheiten hervor- rufen. Abgesehen davon, daß mit dem Worte Chemotaxis der Prozeß an und für sich ebenso geheimnisvoll bleibt wie zuvor, zeigte sich jedoch bald, daß es nicht nur auf Bakterienreize zur Eiterung kommen kann, sondern daß auch viele andere Stoffe, welche mit Bakterien nichts zu tun haben, ein sogenanntes steriles Exsudat hervorzurufen vermögen; derartige entzündungserregende Stoffe fand man in Terpentin, aber auch an sich harmlose Stoffe, wie Amylum, Eiweißarten, Bouillon und andere konnten, falls man dieselben außerhalb der Blutbahn dem Körper zusetzte, eine starke Emigration bewirken. Man mußte also auch derartigen Stoffen dieselbe spezifische chemotaktische Wirkung zuschreiben, und es konnte wiederum gefragt werden; welche sind die Faktoren, welche diese Chemotaxis bestimmen ? In neuerer Zeit haben Bürger und Dold!) die Ursache der Exsudatbildung auf eine vermehrte Bildung von Eiweißspaltprodukten zurückgeführt. Sie gelangten zu dieser Schlußfolgerung durch Versuche an Kaninchen, in deren Kniegelenk- höhle verschiedenartige Stoffe injiziert wurden, und bei denen nachher die Zahl Leukocyten in der ausgeheberten Flüssigkeit bestimmt wurde. Die sterile Ent- zündung, wie dieselbe sich vorfindet nach Injektion bestimmter Stoffe, sollte durch vermehrte Lymphbildung (also Vermehrung von Eiweißspaltprodukten) verursacht werden. Friedemann und Schönfeld?) verwenden die Resultate, welche sie bei Unter- suchungen über amöboide Bewegungen der Leukocyten erhielten, zu einem Er- klärungsversuch der Emigrationserscheinungen. Diese Untersucher konnten schöne amöbo:de Bewegungen an Leukocyten nur beobachten in einem stark viscösem 1) Zeitschr. f. Immunitätsforsch., Orig., 21, 378. 1914; Dtsch. Arch. f. klin, Med. 11%. 206. 2) Biochem, Zeitschr. 80, 312. 1918, 406 K. J. Feringa und J. de Haan: Milieu, z. B. in Serum oder in einer Lösung von Gummi arabicum in NaCl 0,9. Diese Untersucher halten die Emigrationsmöglichkeit für abhängig von Viscositäts- bedingungen der injizierten Flüssigkeit, indem nur diejenigen Stoffe, welche die Viscosität der Flüssigkeiten stark erhöhen, chemotaktisch wirksam sein sollten. In beiden Fällen sehen wir also den Versuch, die Eigenschaften der wirksamen Stoffe etwas näher zu bestimmen. Meinerseits kam ich mit der Emigrationsfrage indirekt in Berührung, als ich mit Untersuchungen über die Lebenserscheinungen der weißen Blut- körperchen beschäftigt war, an erster Stelle mit der Phagocytose und der amöboiden Beweglichkeit. Zwecks leichten Erhaltens des benötigten Leukocytenmaterials wurde dazu im Anfange immer Pferde- blut verwendet. Es zeigte sich aber wünschenswert, die erhaltenen Resultate auch bei anderen Tieren nachzuprüfen, deren Blut dazu weniger geeignet ist. Deshalb versuchte ich, ob es nicht möglich wäre, in leichter Weise Leukocyten aus Exsudaten zu erhalten, und bald führte mich eine einfache Methode zum Ziel. Sämtlichen später zu er- wähnenden Versuchen lag dieses Verfahren zugrunde, und deshalb möge hier auf die Methodik etwas ausführlicher eingegangen werden, obwohl dieselbe schon an anderer Stelle kurz erwähnt wurde!). Methodik. Die Methode besteht wesentlich aus einer Modifikation der bekannten Ver- fahren, wo durch Injektion verschiedener Stoffe in eine der Körperhöhlen ein steriles Exsudat hervorgerufen wird. Nach diesem Verfahren wurde fast immer nach einer oder mehreren Injektionen (z. B. eines Aleuronat-Stärkebreies) das Tier zwecks Erhaltens des Exsudates getötet, weil ein Absaugen des Exsudates beim lebenden Tiere meistens große Schwierigkeiten bietet. An erster Stelle ver- suchte ich, ob es nicht möglich wäre, das Tier am Leben zu erhalten, indem die injizierte Flüssigkeitsmenge erheblich vergrößert wurde und infolge dessen die spätere Abnahme erleichtert. Dazu injizierte ich bei meinen Versuchstieren (er- wachsenen Kaninchen) etwa 200 ccm einer physiologischen Salzlösung, welcher im Anfange noch etwa 1 g Stärkekleister zugesetzt war. Eine solche Flüssigkeits- menge braucht längere Zeit zur völligen Resorption, und man hat deshalb die Gelegenheit an einem gewissen Zeitpunkte die Flüssigkeit mit eventuellen Exsudat- bestandteilen wiederum abzuhebern, bevor die Resorption beendet ist; meistens findet man 3—5 Stunden nach der Injektion noch eine genügende Flüssigkeits- menge; falls schon dann alles resorbiert ist, wie es dann und wann zutrifft, genügt ein einfaches Nachspülen mit physiologischer Kochsalzlösung, um die schon ande Leukocyten zu sammeln. Die Ausführung der Methode gestaltet sich nun in folgender Weise: bei dem in Rückenlage aufgebundenen Kaninchen wird unter aseptischen Kautelen mittels Glastrichter, ee und dünnen Troikart etwa 200 cem der erwähnten oder einer ähnlichen Flüssigkeit hineingelassen: die Injektionslösung und auch die genannten Utensilien werden durch Kochen sterilisiert, am Injektionsort werden vorher die Haare entfernt, und die Bauchhaut mit Jodtinktur angestrichen, am besten an der linken oder rechten Seitenwand; man hat dann nicht die Gefahr, daß die Flüssigkeit nach der Injektion bei normaler Haltung des Tieres wieder 1) J. de Haan, |. c. Über die Ursachen der Emigration der Leukocyten I. 407 herausläuft. Nach etwa 3—5 Stunden wird derselbe Troikart wiederum ein- gestochen, mit Gummiröhre versehen und man läßt, indem man das Kaninchen- brett ein wenig schräg hält, die Exsudatflüssigkeit in eine Flasche laufen, welche vorher mit einer genügenden Menge einer Citrat-Kochsalzlösung zur Behinderung der Gerinnung beschickt wurde. Für ein ungehindertes Abnehmen der Flüssigkeit ist eine gewöhnliche Troikartkanüle nicht geeignet, indem die Kanülöffnung fort- während durch Darm oder Mesenterium wieder verschlossen würde; dieses ungehinderte Ablaufen der Flüssigkeit wurde deshalb garantiert durch das An- bringen von einigen Seitenöffnungen. Im Anfange gab es dann und wann Beschwerde, welche ich zwar kurz er- wähnen will, jedoch bei einiger Übung nur sehr selten mehr empfunden habe. So läßt sich ein Troikart beim Kaninchen, der schlaffen und zähen Bauchhaut wegen, oft nur schwierig hineinbringen; in dieser Hinsicht sind Weibchen mit ihrer zarten Haut den Männchen vorzuziehen; ich habe es dadurch erleichtert, daß ich als Kanülenführer statt des soliden Troikartstiftes eine Hohlnadel verwendete. Auf das schwierige Einführen des Troikarts sind noch andere Beschwerden zurückzuführen, wie Blutungen oder Darmverwundungen. Im ersteren Falle erhält man eine Suspension, welche mehr oder weniger mit roten Blutkörperchen vermischt ist, welche einer quantitativen Bestimmung der Leukocytenmenge im Wege stehen; meistens rührt die Blutung von der Bauchwand her und ist dann nur gering. Die Darmverwundung ist im Anfange eine ziemlich oft vorkommende Komplikation, und zwar fast immer des vorliegenden, sehr dünnwandigen Blind- darmes; aus der Kanülenöffnung kommen dann braune Fäkalmassen heraus oder wenigstens spürt man Fäkalgeruch. Diese Komplikation ist für das Kaninchen gar nicht so ernst, wie es erst aussieht; niemals wurde ein Todesfall beobzcchtet; das einzige Symptom war ein Appetitverlust während einiger Tage; ob die be- gleitende Injektion von Salzlösung hier noch einen günstigen Einfluß auf den Ver- lauf hat, ist noch nicht näher untersucht worden. Blutung sowie Darmverwundung riskiert man am meisten bei einer zähen Bauchhaut, wo viel Kraft dazu verwendet werden muß, den Widerstand zu über- winden; und weiterhin öfters, wenn ein und dasselbe Kaninchen in kurzer Zeit schon öfters benutzt wurde, so daß infolgedessen die Bauchwand schon hyper- ämisch ist und vielleicht schon Darmadhäsionen vorhanden sind. Man verfährt deshalb am besten, indem man jedesmal beim wiederholten Versuch am Tiere einen frischen Ort für die Einstichöffnung wählt. Man kann die Abnahme der Suspension sofort nach der ersten Einspritzung vornehmen, oder auch, nachdem man am nächsten Tag die Injektion wiederholt hat; im letzteren Falle ist die Leukocytenmenge eine größere und daher verdient dies namentlich bei einem frischen Kaninchen Empfehlung. Es zeigte sich weiterhin, daß ein und dasselbe Tier in nahezu unbeschränkter Weise wiederholt verwendet werden kann, ohne daß ihm nennenswert geschadet wird; eine Reihe von Kaninchen wurde in derselben Weise gewiß viel mehr als 20 mal im Jahr oder länger behandelt; ich verfüge noch über ein weibliches Tier, daß 3 Jahre hindurch gewiß etwa 100 mal eingespritzt worden ist und sich ganz wohl befindet. Nur soll man jedesmal nach 2 oder 3 Injektionen im Verlaufe einiger Tage dem Tiere etwa 2 Wochen in Ruhe lassen. Das Einströmen der Leukocyten in das Exsudat geht immer schneller, wenn das Tier schon vorher in derselben Weise behandelt wurde; man erhält dann immer 3—5 Stunden nach lmaliger Injektion eine sehr große Leukocytenmenge; das Tier wird auf die Leukocytenlieferung abgestimmt. Die Methode läßt sich ebenso bequem auch bei anderen Tieren verwenden; mit sehr gutem Resultat habe ich selber Meerschweinchen, Ziegen und Schweine 408 K. J. Feringa und J. de Haan: benutzt. Durch die bequeme Handhabung und die Möglichkeit den Versuch an einem Tier in unbeschränkter Weise zu wiederholen, scheint sie mir sehr geeignet für Studien über die Eigenschaften der Leukocyten. Bevor ich nun zu den Befunden betreffs der Emigrationsfrage schreite, erstens etwas über die Weise, in welcher die Exsudatbildung vorgeht. Die Bauchhöhle des Kaninchens,.enthält bekanntlich normal eine geringe, dann und wann beträchtliche Menge einer klaren Iymphoi- den Flüssigkeit, welche spärlich größere und kleinere Zellen vom mono- nucleären Typus enthält. Schon in den ersten Stunden nach der In- jektion der Kochsalzlösung ändert sich die Zusammensetzung der Flüssigkeit, indem massenhaft polynucleäre Zellen hinzukommen, während die Zahl der schon vorher vorhandenen Zellen nicht nennenswert zunimmt, der Weise, daß die herausgenommene Suspension zu etwa 95% polymorphkernige granulierte Leukocyten enthält. Erst allmählich vermehren sich viel später die mononucleären; deshalb ist nach wieder- holter Verwendung desselben Kaninchens die Prozentzahl an mono- nucleären Zellen immer eine etwas größere. Was die übrigen Eigenschaften der gewonnenen Flüssigkeit betrifft, so ist dieselbe meistens ziemlich dünn, oft jedoch bei reichem Leuko- cytengehalt und schneller Resorption so dick und fadenziehend, daß ihr Charakter dem des echten Eiters sich nähert. In die Kochsalzlösung ist während der Resorption Eiweiß hineingetreten in beträchtlicher Menge; etwa 4 Stunden nach der Injektion ist dieser Gehalt an Eiweiß (mittels der Esbach-Methode oder refraktometrisch bestimmt), etwa 1—1,5% und nimmt dann nicht mehr zu, wird also nicht höher als ur- sprünglich in der Peritonealflüssigkeit gefunden wird. Die vorher ent- eiweißte Flüssigkeit reduziert die Fehlingsche Probeflüssigkeit; falls man der Injektionsflüssigkeit vorher etwas Stärkekleister zugesetzt hatte, ist dennoch beim Heraushebern die Amylumreaktion immer schon negativ. Sich selbst überlassen, gerinnt die Exsudatflüssigkeit ziemlich schnell; man kann dem zuvorkommen, indem man das Exsudat in ein wenig einer Citrat-Kochsalzlösung auffängt. Nebenbei sei noch erwähnt, daß die granulierten polymorphkernigen Zellen des Exsudates unter allen Umständen (die mononukleären Zellen niemals) eine starke Jodophilie zeigen in der Granulation, oft auch im ganzen Protoplasma, offenbar infolge des ziemlich hohen Glykogen- gehaltes dieser Zellen). Wie stehen nun die Resultate meiner Untersuchungen zu der Frage nach den Ursachen der Emigration? Vor allem konnten im allgemeinen bakterielle Einflüsse hier ausgeschlossen werden. Wiederholt wurde cine beträchtliche Menge (etwa 1 ccm) der ausgeheberten Flüssigkeit durch Impfen auf Agarboden auf die Anwesenheit von Bakterien !) Siehe darüber J. de Haan, Biochem, Zeitschr. 128, 124. 1922, Über die Ursachen der Emigration der Leukocyten 1. 409 geprüft und das Resultat war fast immer negativ, oder es gab einige wenige Kolonien, welche nicht auf eine Infektion des Exsudates deuten konnten. Auch ist es an und für sich unwahrscheinlich, daß eine etwaige geringfügige Verunreinigung mit einigen Bakterien schon innerhalb 3—4 Stunden zu einer so starken Vermehrung von Mikroorganismen leiten würde, daß die dann schon vorhandenen Leukocyten auf den Reiz von Bakterienprodukten hin herangezogen wären. Eine stärkere Darmverletzung fällt selbstredend außer diesen Betrachtungen. Damit über die Stärke der Emigration geurteilt werden konnte sollte das Volum der erhaltenen Leukocyten gemessen werden. Dazu verfuhr ich in folgender Weise: die Bauchhöhle wurde möglichst voll- ständig entleert, indem etwa 2—3 mal mittels physiologischer Koch- salzlösung nachgespült wurde. Die Gesamtmenge der so erhaltenen Suspension wurde mittels Zentrifugieren zu einem kleinen Volum einer dieken Leukocytensuspension eingeengt, dessen Volum gemessen wurde, und mittels Hämatokriten wurde das Verhältnis zwischen Zellen und Flüssigkeit in dieser Suspension festgestellt; daraus konnte sofort das totale Volum der Leukocyten festgestellt werden. In dieser Weise wurde ein ziemlich genaues Bild der Größe des Exsudates bekommen. Diese Methode scheint mir genauer als die alte Methode Buchners mittels Capillarröhrchen und jedenfalls besser als die, welche Dold verwendete in seinen schon erwähnten Versuchen, nämlich die mikroskopische Zählung der Leukocyten in einem dem Injektionsort entnommenen Flüssigkeitstropfen. Wie schon gesagt, will ich hier nur die vorläufigen Ergebnisse mit- teilen; in der zweiten Mitteilung wird auf dieselben systematisch ein- gegangen werden. Erstens zeigte sich, daß die Menge des zelligen Exsudates bei gleicher Exsudationsflüssigkeit für verschiedene Kanin- chen ziemlich stark schwankt. Erst aus Versuchen an mehreren Kaninchen könnte man deshalb einigermaßen über den Einfluß einer gewissen Flüssigkeit ein Urteil absprechen. Und dann zeigte sich, daß einem Zusatz von Stärkekleister, von Glucose, von Gummi arabicum, von Serum desselben Tieres, keine deutliche chemotaktische Wirkung zukam; umgekehrt konnte man nicht sagen, daß die Emigration die Folge war von der T’atsache, daß NaCl 0,9 kein physiologisches Milieu ist; mehr physiologische Flüssigkeiten wie Ringersche Lösung, Ultrafiltrat von Serum, evtl. mit Zusatz von Kaninchenserum verhielten sich nicht anders. Wie gesagt, waren die so erhaltenen Leukocytenmengen. sehr wech- selnd; bei früher verwendeten Kaninchen betrug dieselbe gewöhnlich 5 Stunden nach einer ersten Injektion etwa 0,5—1l cem und 1—3 cem nach zwei aufeinanderfolgenden Injektionen. Bei frischen Kaninchen wurde nach einmaliger Injektion gewöhnlich nicht mehr als 0,2 —0,3 cem erhalten. Gegen diese Resultate, wobei von spezifischen chemotaktischen 410 K.J.Feringa u. J. deHaan: Über d. Ursachen d. Emigration d. Leukocyten I. Reizen bestimmter Stoffe nichts gesehen wurde, wäre vielleicht einzu- wenden, daß die Versuche im allgemeinen bei schon früher für denselben Zweck verwendeten Tieren angestellt wurden, und es sich also nicht mehr um eine primäre Reaktion auf einen bestimmten Reiz handelte. Es war deshalb angezeigt, diese Vergleichsversuche bei frischen Kaninchen mit einer größeren Zahl von Flüssigkeiten zu wiederholen. Dies ist späterhin, wie gesagt, auch geschehen. Vorläufig konnte jedoch als wahrscheinlich festgestellt werden, daß für die erwähnten Meinungen von Dold und von Friedemann und Schönfeld keine Anhaltspunkte gefunden wurden: es wurde niemals eine direkte hervorragende Bedeutung gesehen, weder von Eiweipspaltprodukten, noch von der Viscosität der eingebrachten Lösung. Alles wies darauf hin, daß die Injektion einer jeden willkürlichen Lösung im Körper irgendeine Gleichgewichtsstörung bewirkt, welche für die Emigration verantwortlich sein mußte. Ich war geneigt, mit Schwyzer!) anzunehmen, daß es sich bei der Emigration um eine Poten- tialdifferenz zwischen Blut und Geweben handeln muß, wodurch nach Art der Kataphorese die Bewegung der Zellen in eine Richtung gelenkt würde. Es kam nun darauf an, ob es möglich wäre, bei fortgesetzten Untersuchungen in den injizierten Flüssigkeiten eine gemeinschaftliche Gleichgewichtsstörung aufzufinden, welche eine Potentialdifferenz verursachen könnte. Die folgenden Artikel werden die Antwort darauf geben, inwiefern dies gelungen ist. 1) Biochem. Zeitschr. 60, 297 u. f£. 1914. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Hamburg [Allg.Krankenhaus St. Georg].) Untersuchungen am überlebenden menschlichen Wurmfortsatz. Von Kurt Holm, ehem. Assistenten am Institut. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 12. September 1922.) Es ist eine jedem Pharmakologen bekannte Tatsache, daß verschie- dene Tierarten im Experiment auf die gleiche arzneiliche Einwirkung häufig nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verschieden rea- gieren, daß man also an einem Tier, oder an dem irgendeinem Tiere ent- nommenen Testobjekt gewonnene Resultate nicht ohne weiteres verall- gemeinern kann. Dies hat dazu geführt, daß man in den letzten Jahren an verschiedenen pharmakologischen Instituten klinisch-pharmakolo- gische Untersuchungsstellen eingerichtet hat, die die auf andere Weise erhaltenen Ergebnisse am kranken Menschen nachprüfen sollen. Eine weitere Bereicherung der neuerdings in dieser Richtung gehenden Be- strebungen bedeutet ohne Zweifel die Prüfung von Arzneistoffen an menschlichen Testobjekten, wie z. B. Deneke und Adam!) es schon am menschlichen Herzen getan haben: Ein Organ, das ganz ohne oder doch ohne stärkere krankhafte Ver- änderungen in größeren Krankenhäusern häufig zur Verfügung steht, ist der menschliche Wurmfortsatz. An neun solcher Wurmfortsätze haben wir unsere Untersuchungen angestellt. Die Methode war im wesentlichen die schon von Magnus?) bei seinen Unter- suchungen am überlebenden Tierdarm verwendete: Der Darm wurde in einem zylindrischen Gefäß zwischen einem festen Haken unten und einem beweglichen Haken oben, der mit einem Schreibhebel verbunden war, aufgespannt. Das Gefäß war mit körperwarmer Ringer- oder Tyrodelösung gefüllt. Durch die Lösung perlte feinverteilt Sauerstoff. Die Bewegungen des Schreibhebels wurden auf einem langsam rotierenden Kymographion verzeichnet. Der Darm wurde mög- lichst rasch — wenige Minuten — nach der Resektion. meist ohne vorherige Aus- spülung, zur Aufspannung gebracht. Das pharmakologisch unbeeinflußte Verhalten der Därme war fol- gendes: Einige Därme mußten sich erst eine gewisse Zeit erholen, bevor sie spontan begannen, sich zu bewegen, andere zeigten sofort starke Be- wegungen. Die Bewegungen setzten sich zusammen aus Tonusschwan- !) Deneke und Adam, Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. 2, 491. ®) Magnus, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 102. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 97 412 K. Holm: kungen und aus diesen aufgesetzten Pendelbewegungen. DieTonusschwan- kungen folgen sich durchschnittlich in cinem Abstand von 1—2 Minuten. Jede Tonuszacke kann etwa bis zu 8 Pendelzacken tragen. Die Form der gezeichneten Kurven ähnelt unter den Darmkurven der üblichen Versuchstiere am meisten der des Hundes!). Während die Därme von Kaninchen wegen der fehlenden Tonusschwankungen gleichmäßige, oben und unten gradlinig begrenzte Kurven schreiben, ist bei der Katze schon ein stärkeres periodisches Heben und Senken der Pendelbewegungen durch den wechselnden Tonus festzustellen; beim Hunde schließlich herrschen unregelmäßige Tonusschwankungen vor und die Pendelbe- wegungen scheinen als sekundär aufgesetzt. Der letzteren Form kommt die Bewegung des menschlichen Wurmfortsatzes am nächsten (s. Abb. 1). Wenn die Därme ermüden, so verschwinden zuerst die Pen- delbewegungen. Sie werden zu immer kleineren Zacken auf den Kurven der Tonusschwan- kungen, bis schließlich die letzteren allein übrig sind und noch relativ lange Zeit be- stehen bleiben. Vonden pharmakologischen Beeinflussungen des Wurm- fortsatzes ist am interessan- testen die durch Adrenalin, weil sie sich sehr exakt quan- Abb. 1. (Auf 2/; verkleinert.) Normale Bewegungen titativ auswerten läßt. Sie des überlebenden menschlichen Wurmfortsatzes bei zeigte sich in unseren Versu- 38,5 Grad. chen immer nur in einer klaren Hemmung. Die von Magnus (l. c) in ganz seltenen Fällen beobachtete Erregung durch Suprarenin Höchst 1: 1000 haben wir bisher nie beobachtet. Die Untersuchung der Adrenalinwirkung am mensch- lichen Darm hatte für uns aber auch deshalb besonderes Inter- esse, weil das Adrenalin bei Mensch und Hund quantitativ so sehr verschieden wirkt. Bei früher in diesem Institut angestellten Atem- versuchen waren zur Erhöhung der Respiration selbst bei großen Hunden 0,2 mg Adrenalin pro Kilogramm Tiergewicht nötig. Eine entsprechende Dosis dem Menschen subcutan gespritzt, also etwa 12 mg, hätte die letale Dosis schon erheblich überschritten, während die Hunde die entsprechenden Gaben ohne irgendwelche bedrohlichen Erscheinungen 1) Nach eigenen Versuchen mit Hunde-, Katzen- und Kaninchendärmen, sowie nach den Veröffentlichungen von Magnus. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 102/108, und Kress, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 109 u. a. Untersuchungen am überlebenden menschlichen Wurmfortsatz. 413 leicht vertrugen. Sei es nun, daß Unterschiede des Stoffwechsels, des Kreislaufs, der Resorption oder der Nerven die verschiedene Reaktion dieser beiden Organismen bedingen, die isolierten Organe sind es wahr- scheinlich nicht. Sicher nicht verschieden verhalten sich die über- lebenden Därme, wie unsere Untersuchungen zeigen: Eine deutliche Hemmung der Pendelbewegungen und Tonusschwankungen wurde durch 1/ 000 mg Suprarenin bei in 120—140 ccm Tyrodelösung aufgespannten menschlichen Wurmfortsätzen erzielt. Es fand sich nur ein Darm, der schon bei 1/,o00;, und nur einer, der erst bei 3/;ooo mg mit Hemmung reagierte. Diese geringen Unterschiede können noch in der Methodik begründet sein, da es sehr darauf ankommt, ob das einlaufende Adrenalin den Darm sofort trifft, oder etwas entfernter von ihm in die Umspülungsflüssigkeit ge- langt. Dieses muß beachtet werden, da das Adrenalin sich beiGegenwart von Sauerstoff in der warmen Lösung rasch zer- setztundsich dieDärmein weni- gen Minuten von der Lähmung restlos erholen (vgl. Abb. 2). Normale Wurmfortsätze erga- ben die gleichen Resultate wie chronisch entzündete. In denselben Grenzen halten sich die hemmenden Dosen beim Hunde- und auch beim Kaninchendarm, die in ent- Abb. 2. (Auf °/; verkleinert.) Hemmung der Be- sprechender Weise behandelt “*sunsen durch a ee At und aufgespannt wurden. Nach dem Adrenalin haben wir noch eine Anzahl Versuche mit Atropin gemacht. Zwar können diese quantitativ nicht so genau mit Tierversuchen verglichen werden, doch sind eine ganze Anzahl Parallelen zu den beim Tierdarm gemachten Beobachtungen festzustellen. Nach den Veröffentlichungen von Magnus (l. c.), Kress (l. c.), Unger!), Lilje- strand?), Le Heux?) u.a. kann man in groben Umrissen zusammen- fassend angeben: Durch große Dosen (0,3%) Atropin wird der Darm bei hohem oder niedrigem Tonus zum Stillstand gebracht, nach mitt- leren (0,025—0,075%) tritt häufig Erregung ein, und nach kleinen Gaben (0,05—0,005% und weniger) folgt meist Lähmung. Die ver- !) Unger, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 119. 2) Liljesirand, ebenda 175. 3) Le Heux, ebenda 1%9. 20% 414 K: Holm: Untersuchungen am überlebenden menschlichen Wurmfortsatz. schiedene Wirkung des Atropins wird erklärt durch den Cholingehalt des Darmes, der bei verschiedenen Tieren auch derselben Gattung schwankt, und sehr durch die vorherige Behandlung (Auslaugung oder Ausspülung) beeinflußt wird. Hierauf soll nicht näher eingegangen werden, da unsere Versuche nicht so weit ausgebaut wurden, um im einzelnen die Atropin- wirkung zu differenzieren. Wir können aber nach unseren Versuchen sagen, daß Lähmung bei hohem oder niedrigem Tonus erzielt wurde durch 30—50 mg Atropin auf 120—140 ccm Tyrodelösung und daß der Darm häufig durch 0,002 — 1,0 mg Atropin (auf dieselbe Menge Suspensionsflüs- sigkeit) gehemmt wurde. Erregung durch irgendwelche Dosen haben wir nicht beobachtet, wenn man nicht die Lähmung bei hohem Tonus als eine solche ansprechen will. Es ist dieses schließlich nur Sache der Auf- fassung. Der in mancher Beziehungähnliche Vorgang der Darmcontractur durch Barium-Chlorid wird z. B. im allgemeinen als Erregung gedeutet. Von Einzelbeobachtungen ist noch mitzuteilen, daß sich der Wurm- fortsatz bei 45° noch lebhaft bewegt, während Magnus (l. c.) am Katzen- darm von 42—45° vorübergehenden und bei 49° dauernden Stillstand erzielte. Abstellung des Sauerstoffs führt zu Tonuserhöhungen bei anfangs lebhaften Bewegungen. Leitet man wieder Sauerstoff zu, so fällt der Tonus erst stark ab. Barium-Chlorid bewirkt Contractur, die nicht wieder zu lösen ist. Zusammenfassung. l. Der überlebende menschliche Wurmfortsatz bewegt sich in mit Sauerstoff durchspülter Ringer- oder Tyrodelösung aufgespannt, spontan. Die Form der Bewegungen ähnelt unter den Darmkurven der üblichen Versuchstiere am meisten der des Hundes. 2. Suprarenin Höchst bewirkt in Dosen von 1/00 mg auf 120 bis 140 ccm Suspensionsflüssigkeit eine kurz dauernde Hemmung der Darm- bewegungen. Es ist dies dieselbe Dosis, die bei überlebenden Tier- därmen zur Hemmung nötig ist. 3. Die hemmenden und erregenden Wirkungen des Atropins auf den Darm sind quantitativ und qualitativ den an Tierdärmen gewonnenen Ergebnissen ähnlich. 4. Bei 45° sind noch lebhafte Bewegungen des Wurmfortsatzes fest- zustellen. 5. Sauerstoffabstellung führt wie beim Tierdarm zu Tonuserhöhung bei anfangs noch lebhaften Bewegungen. Leitet man wieder frisch Sauerstoff ein, so fällt der Tonus erst stark ab. 6. Barium-Chlorid bewirkt ebenso wie beim Tierdarm Contractur, die nicht wieder zu lösen ist. Ich habe Herrn Prof. Dr. Bornstein für die Anregung zu dieser Arbeit zu danken, sowie den Chirurgen unseres Krankenhauses für die Unter- stützung durch rasche Übersendung der exstirpierten Wurmfortsätze. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung und der Labyrinthreflexe. VIIL. Mitteilung. Vergiftung mit Chinaketonen mit besonderer Berücksichtigung der Rollbewegungen. Von U. G. Bijlsma und C. Versteegh. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Reichs-Universität Utrecht.) (Eingegangen am 7. September 1922. Rabe bezeichnet mit dem Namen ‚Chinaketone‘ die Stoffe, welche von den China-alkaloiden abgeleitet werden durch Ersatz der Gruppe HOH am Verbindungskohlenstoff zwischen der Chinolin- und Loipon- gruppe durch O. Statt des sekundären Alkohols ist also das Keton entstanden. Chininon und Hydrochininon, welche von Chinin und Hydrochinin abgeleitet sind, haben also folgende Struktur: CH CH AN VAN zo CH EU 2) ar Na 2 2 IA 2 eC=0® Ü=0 | | KOREA ER (0x © HE C COCH, HC ® COCH, | | | | | | Be 0. CH Ho ech NN’ @ SNZERSE H H Chininon. Hydrochininon. Über die physikalischen und chemischen Eigenschaften dieser Stoffe insofern sie für den Pharmakologen Interesse haben, teilt Herr Prof. Rabe!) uns folgendes mit: „Chininon und Hydrochininon stellen frisch bereitet, weiße Krystalle dar. Beim Aufbewahren verfärben sie sich und nehmen eine gelbliche Farbe an, *) Persönliche Mitteilung an Prof. Magnus. 416 U. G. Bijlsma und ©. Versteegh: Die Chinaketone sind in Wasser sehr schwer löslich. Etwas leichter lösen sie sich wegen ihres amphoteren Charakters in wässerigen Alkalien. Solche Lösungen sind schwach goldgelb gefärbt und werden bereits durch Kohlensäure entfärbt, wobei das Keton wieder in Freiheit gesetzt wird. Auch durch Ausschütteln mit Äther lassen sich die Basen den Auflösungen in Alkali leicht entziehen. Die Chinaketone sind gegen wässerige, verdünnte Mineralsäuren und selbst gegen konzentrierte HC] — bei nur kurzem Kochen — beständig. Die mineralsauren Lösungen der Chinaketone sind gelb gefärbt. Eine recht intensive Gelbfärbung tritt auch ein, wenn man zur alkoholischen Lösung der Chinaketone wässeriges Alkalihydroxyd setzt. Von den organischen Lösungsmitteln lösen Chloroform, Äthyl- und Methyl- alkohol, Benzol, Essigester und Äther die Chinaketone leicht, Ligroin nur schwierig. Salze. Die monaziden Salze der Chinaketone reagieren neutral, die diaziden sauer. Die für die pharmakologische Untersuchung, namentlich in Frage kom- menden Monochlorhydrate und Monosulfate sind in Wasser leicht löslich. Ihre Darstellung in fester krystallisierter Form ist bei den Monosulfaten nicht gelungen. Beim Eindampfen der wässerigen Lösungen erhält man stets amerphe Abschei- dungen (Rabe, A. 364, 348, 351 (1909). Die Monochlorhydrate können krystalli- siert erhalten werden (Rabe, A. 364, 347, 351 (1909). Das Monochlorhydrat des Chininons ist jedoch sehr hydroskopisch und verfärbt sich beim Aufbewahren. Am geeignetsten für pharmakologische Untersuchungen dürften somit frisch be- reitete wässerige Lösungen der Ketone sein, die auf 1 Mol. Keton 1 Mol. HCl enthalten.‘ Wir haben denn auch unsere Lösungen immer auf folgende Weise bereitet: Zu 449 mg von einem der beiden Ketone wurde 1,34 ccm HC] 1,04 N gefügt und diese Menge mit destilliertem Wasser auf 10 cem aufgefüllt. Dies entspricht also einer 5proz. Lösung vom monosalz- saurem Salze. Morgenroth und seine Mitarbeiter beobachteten bei ihren Versuchs- tieren nach Einspritzung der genannten Ketone sehr merkwürdige Er- scheinungen. Herr Prof. Morgenroth schreibt uns darüber das Folgendet): „Von den mit Hydrochininonchlorhydrat 1,5% in Wasser 0,5 cem per 20 g Maus (375 mg pro Kilogramm) subcutan behandelten Tieren verträgt eine Maus (die schwerste 23 g) die Injektion ohne bemerkenswerte Nebenerscheinungen. Bei den anderen treten nach 10—17 Minuten Krampf- und Schwindelanfälle auf, die ungefähr folgendes Bild bieten. Die Mäuse stellen sich hochbeinig auf die krampfhaft steif gestreckten Extremi- täten auf, fallen dann auf die Seite und rollen sich dann unter heftiger Bewegung der Beine auf dem Boden fort, bis sie wohl erschöpft liegen bleiben. Nach längerer oder kürzerer Zeit wiederholt sich der Anfall in stärkerem oder schwächerem Grade. Manchmal schießen die Tiere, hochbeinig aufgerichtet, in weiten Sprüngen geradeaus, ohne auf etwa entgegenstehende Hindernisse, an denen sie anstoßen könnten, zu achten. Die Anfälle dauern im ganzen ca. 1'/, Stunden; dann bleiben die Tiere auf der Seite oder auf dem Rücken regungslos liegen. Durch Anstoßen, treten auf den Schwanz, lassen sich weitere Anfälle, wenn auch etwas schwächere, auslösen. Nach 21/, Stunden hat sich eine Maus völlig erholt, die anderen (drei) liegen noch regungslos da; am folgenden Tag sind alle völlig munter. !) Persönliche Mitteilung an Prof. Magnus, Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VII. 417 Nach der Injektion von Hydrochininonbase, in Ol. olivarum gelöst, 4% 0,5 cem per 20 g Maus (1 mg per Kilogramm) subcutan treten die Anfälle später — 1,—1!/, Stunden — auf, verlaufen milder, aber in den typischen Erscheinungen kaum verschieden von den beschriebenen. Manchmal reagieren die Tiere auch nicht mehr auf akustische Reize (Zusammenschlagen der Pinzette), während nor- male Mäuse prompt zusammenzucken. Diese Tiere sind nach 4 Stunden tot. Aus weiteren Versuchen entnehme ich, daß Hydrochininon-HCl 1,5% (pro 20 g Maus) 0,4 cem noch die gleichen Erscheinungen macht, 0,3 nicht mehr sicher, 0,25—0,2 nicht mehr. Wenn Hydrochininon (Dihydrochininon) HCl in 5proz. Lösung Kaninchen von mittlerer Größe in die Ohrvene injiziert wird, ergibt sich folgendes: 0,02 per Kilogramm nach 3—4 Minuten große Unsicherheit, schwankt, sitzt still. Kopf anfangs stark nach der Seite geneigt. Nach 7—8 Minuten normal. 0,025 per Kilogramm. Nach einigen Sekunden tetanische Krämpfe, Opistho- tonus, Rollbewegungen 30 Minuten lang. Nächsten Morgen tot. 0,03 per Kilogramm. Tot nach 1 Minute 20 Sekunden unter tonisch-klonischen Krämpfen. 0,04 per Kilogramm. Tot nach 1 Minute ebenso. 0,05 per Kilogramm. Tot nach 25 Sekunden, ebenso. Chininon und Äthylhydrocupreininon dürften ungefähr die gleiche Toxizität besitzen. Aus Versuchen an Trypanosomen-Mäusen ergibt sich, daß 0,2—0,3 einer 1 proz. Lösung von Hydrochininon-HCl auf 20 g Maus noch gut vertragen wird.“ J. Cohn!) benutzte bei Trypanosomen-Mäusen als therapeutische Dosis 0,5 ccm einer 0,75 proz. wässerigen Chininon-HÜl-Lösung (3,75 mg per Maus). Von 10 Mäusen, welche per 10 g Maus 0,5 ccm einer 2 proz. Chininonlösung subcutan eingespritzt bekamen, verendeten fünf. Im Anschluß an vorstehende Beobachtungen haben wir die weitere pharmakologische Untersuchung der Körperstellung nach Chinaketonen ausgeführt. Es wurden 2 Reihen von Mäusen untersucht. Die erste Serie bekam Injektionen von Chininon, die andere von Hydrochininon. Die Einspritzungen wurden subcutan in 1-, 2!/,- und 5 proz. wässerigen Lösungen gegeben. Beide Stoffe verursachten qualitativ die gleichen Erscheinungen. Als erstes wurde immer ein Versagen der Hinterbeine beobachtet. Dies äußerte sich in breitbeinigem Gang und leichtem Nachschleppen der Hinterbeine. Diese Abweichung ist sehr gut zu demonstrieren, wenn man das Tier auf einen horizontalen Bleistift setzt. Ein normales Tier ist imstande sich festzuhalten, wenn der Bleistift gedreht wird, während ein Versuchstier, welches genanntes Symptom zeigt, herab- fällt (Bleistiftversuch +). Dieses diagnostische Hilfsmittel wurde allein bei Tab. II (Hydro- chininon) angewendet; infolgedessen wurde das Versagen der Hinter- beine hierbei schneller bemerkt als bei Tab. I (Chininon). 1) J. Cohn, Zeitschr. f, Immunitätsforsch, u. exp. Therap., Orig. 18, 570, 1913, 418 U. G. Bijlsma und Ü. Versteegh: Tabelle 1. Subeutane Einspritzung von Chininon-HCl bei Mäusen (1- und 5proz. Lösungen). | Dosis 2 Auftreten Dauer der Rollen NT. | mg der Sym- Erschei- Krämpfe | aufgetreten ıpro kg | ptome nach) nungen | nach Dauer des Bollens Bemerkungen 1 | 67 _ — | — | — En Keine Erschei- | nungen 2.| 235 | 30 Min. | 5 Stan. | — = — | Parese der Hin- | | | terbeine, un- | | koordinierte | | Kopfbewe- | | gungen 6 | 350 | 27 Min. oe ja 30 Min. |, 3 Stdn. | Rollt ab und zu, danach Seiten- | lage. Tot nach | 6—24 Stdn. 400 | 25 Min. |> 5 Stan. ja | 80 Min. | 3. Stdn. | Rollt ab und zu, | | danach Seiten- I lage 8|| 450 | 15 Min. — | ja 17 Min. | 1 Std. | NachdemRollen | Seitenlage. | | Tot nach 2 bis | | 3 Stdn. 3 | 555 | 25 Min. — ja .|27 Min. | 18 Min. | Nachdem Rollen | Seitenlage. | | Tot nach 1 bis I | 2 Stdn. 4 , 1087 | 15 Min. | ja 17 Min. | 28 Min. | Totnach 45 Min. Gleichzeitig oder kurz nach dem Versagen der Hinterbeine wurden die Tiere sehr unruhig; danach traten unkoordinierte Bewegungen des Kopfes und nach kürzerer oder längerer Zeit tonische Krämpfe der 4 Extremitäten auf. Letztere geraten dabei in Streckstellung. Es tritt ein krampfartiger Opisthotonus auf und der Unterkiefer macht heftige Kaubewegungen. Im weiteren Verlaufe zeigen sich Rollungen, ab- wechselnd mit heftigen periodischen Laufbewegungen in Seitenlage. Auch während dieses Stadiums treten häufig Opisthotonus und Kau- bewegungen auf. In den Ruhepausen zwischen den Krämpfen konnte bei manchen Tieren tiefe, stoßweise, langsame Atmung beobachtet werden. Die Krampfanfälle treten entweder spontan oder nach Reizung (Schwanz kneifen, auf den Tisch schlagen) auf. Die Rollungen werden nicht in konstanter Richtung ausgeführt und dasselbe Tier rollt einmal nach rechts und dann wieder nach links, Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VIII. 419 Tabelle II. Subeutane Einspritzung von Hydrochininon-HCl bei Mäusen (2,5- und 1 proz. Lösungen). | Dosis | Auftreten | Dauer der ? Rollen | A 5 5 ä Y Nr. | mg der Sym- Erschei- Krämpfe | aufgetreten, a, Se Bemerkungen | pro kg |ptome nach) nungen | nach | rau: 9 | 200 | 20 Min. | 2 Stdn. _ — — | Ausschließlich | | | | | Parese der | | | | Hinterbeine 05) 20 | or Se — | Vereinzelte | Krämpfe von | | | | Rücken und | | | | | . | | | | | : | Beinen | | | | | L 11 | 411 | 7 Min. 1<5 Stdn. — _ | — Ausschließlich | | Parese der | | | | Hinterbeine 12 | 500 | 5 Min. > 5 Stdn. ja 7 Min. | 2 Min. | — 17 | 625 | 2 Min. |>18Stdn. ja 10 Min. | 3 Stdn. | Sehr starke Rol- | | ı lungen 15 | 750 | 5 Min. |<18 Stdn. ja 8 Min. | 3 Stdn. | Sehr starke Rol- | | lungen. Nach | 3.2. 9Ldns Fer | | | | | \ höhte Reflexe | | | | , aufBerührung | | | | und auf aku- | | | stische Reize 13 | 1429 | Din — ja 5 Min. | 8 Min. | Tot nach 22Min. Manchmal fangen die Krämpfe mit einem großen Sprung an, wie ihn normale Mäuse nie machen. Während den Krämpfen fallen die Tiere manchmal vom Tisch herunter, so daß von einer richtigen Koordination keine Rede sein kann. Bei Einspritzung von kleinen Dosen werden die Tiere wieder gesund, wobei als letztes Symptom die Schwäche der Hinterbeine verschwindet. Nach den stärkeren Dosen gehen die Tiere ein. Bei der Sektion wurden an den inneren Organen keine typischen Abweichungen gefunden. An der Injektionsstelle ist immer eine gelbe Verfärbung zu sehen. Wir sehen bei diesen Versuchstieren das Folgende: Ungefähr 30 Mi- nuten nach der Injektion treten heftige tonische und klonische Krämpfe auf, zeitweilig durch starke Laufbewegungen unterbrochen. Während dieser Laufbewegungen rollt das Tier abwechselnd nach rechts und links. Bald nach Beginn der Krämpfe ist das Tier nicht mehr imstande, die Normalstellung einzunehmen, Es liegt auf der Seite, Auch während 420 U. G. Bijlsma und C. Versteegh: dieser Periode treten manchmal spontan und manchmal nach Reizung Krämpfe und Laufbewegungen auf. Manche Tiere gehen unter Anzeichen von gänzlicher Er eopluuz ein; andere erholen sich wieder vollkommen. Eine bestimmte Todesursache war nicht nachzuweisen. Um die Rollbewegungen besser untersuchen zu können, setzten wir unsere Versuche an größeren Tieren fort (Meerschweinchen). Im ganzen wurden 7 Meerschweinchen untersucht. Die drei ersten, welche mit einer geringen Dosis Chininon-HCl ein- gespritzt wurden, zeigten außer einer gewissen Unruhe, die von Kau- bewegungen begleitet war, keine besonderen Abweichungen. Die Tiere waren nach kurzer Zeit wieder ganz normal. Die 2 folgenden Versuchstiere, von welchen die Protokolle folgen, zeigten die typischen Erscheinungen. Meerschweinchen IV. Gewicht 0,57 kg. Vor der Einspritzung wurden folgende Reflexe untersucht, welche alle an- wesend waren: Labyrinthstellreflex, Halsstellreflex, Körperstellreflex auf den Körper, Augen- drehreaktionen, Kopfdrehreaktionen, kompensatorische Augenstellung, Gehör- reaktion. 11h 35° vorm. Subcutane Injektion von 240 mg 2!/,proz. Hydrochininon- HCl (420 mg pro Kilogramm Tier). 11h 45° vorm. Tier vollkommen normal. Alle oben genannten Reflexe positiv. 11" 55° vorm. Tonische Streckkrämpfe der Extremitäten und Opisthotonus, mit Laufbewegungen abwechselnd. Während dieser Laufbewegungen rollt das Tier einige Male nach rechts. Wird das Tier gleich nach den Rollungen, in Hängelage, Kopf unten, untersucht, so stellt sich heraus, daß der Kopf nach rechts gedreht ist. Kein spontaner Nystagmus. Keine kompensatorische Augenstellung mehr. Bei Drehung nach rechts sehen wir Nystagmus der Augen, bei Drehung nach links nur Deviation auftreten. Körperstellreflex auf den Körper und Halsstellreflex sind verschwunden. Der Labyrinthstellreflex, welcher noch positiv ist, verschwindet auch bald, so daß um 12h 10° nachm. das Tier ganz in rechter Seitenlage liegt. Die Extremitäten sind tonisch gestreckt und das Tier hat starken Opisthotonus. Die Zehen sind gespreizt. Das Tier reagiert auf Haut- und Gehörreize. Bei Hängelage Kopf unten, ist dieser ein wenig nach rechts gedreht. 12h 20’nachm. Bei Hängelage, Kopf unten, ist dieser nach links gedreht. Wird das Tier jetzt in Normalstellung auf den Boden gelegt, so treten plötzlich Lauf- bewegungen auf, wobei das Tier einige Male nach links rollt. Danach liegt es wieder erschöpft auf der Seite. 12h 30° nachm. Keine wesentlichen Veränderungen. 2h 15’ nachm. Das Tier sitzt wieder in Normalstellung, im ganzen etwas unsicher. Augendrehnystagmus schwach. Alle Reflexe positiv. Meerschweinchen V. Gewicht 0,62 kg. Alle bei Tier IV genannten Reflexe positiv. An diesem Tier wurde auch die Liftreaktion untersucht. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VII. 421 10h 45° vorm. Subcutane Einspritzung von 7 ccm 5 proz. Hydrochininon-HCl (600 mg pro Kilogramm Tier). 11h 5° vorm. Tier normal. Alle Reflexe positiv. 11h 8° vorm. Schwäche der Hinterbeine. 11h 10- vorm. Alle Reflexe positiv. Liftreaktion schwach positiv. Nach- dem das Tier auf den Boden gesetzt wurde, treten plötzlich starke tonische Streck- krämpfe der Extremitäten und Opisthotonus auf. Diese tonischen Krämpfe werden öfters durch heftige Laufbewegungen unterbrochen. Kurz danach macht das Tier vereinzelte Rollungen. Die drei ersten sind nach links gerichtet, einmal rollt das Tier auch nach rechts. Kein spontaner Nystagmus. In Seitenlage sehen wir manchmal nystagmoide Bewegungen der Augen auftreten. 11% 15° vorm. Labyrinthstellreflex auf Kopf —; Halsstellreflex —; Körper- stellreflex auf Kopf —; Liftreaktion schwach +; kompensatorische Augen- stellungen —; Corneareflex +; Augen- und Kopfdrehnystagmus + . Das Tier liegt in Seitenlage. 11h 30’ vorm. Idem. Das Tier liegt ruhig. Nach Reizung Opisthotonus, Laufbewegungen und Streckkrämpfe der Extremitäten in Seitenlage. Bei Hänge- lage Kopf unten, keine Kopfdrehung. 12h 5°’ nachm. Die Krämpfe treten nur nach sehr starker Reizung auf. Bei Hängelage Kopf unten, keine Kopfdrehung. 12h 20°’ nachm. Schaum auf der Nase. Gehörreaktion schwach positiv. 12h 35° nachm. Tot. Sektion. Lungen normal. Herz vergrößert. Weiter keine Abweichungen. Die 4 übrigen Versuchstiere zeigten ungefähr dieselben Erscheinungen. Bei einem Tiere wurde die Flüssigkeit irrtümlich intraperitoneal eingespritzt, worauf das- selbe nach einigen Minuten unter heftigen Vergiftungserscheinungen verendete. Bei einem anderen Tiere waren in dem Stadium, in welchem die tonischen Labyrinth- und Halsreflexe verschwunden waren, sehr lebhafte Kopf- und Augen- drehreaktionen vorhanden. Aus diesen Experimenten ergibt sich folgendes: 1. daß auch bei Meerschweinchen nach Hydrochininoneinspritzung Rollbewegungen auftreten; 2. daß die Rollbewegungen nach der Seite erfolgen, nach welcher der Kopf zufälligerweise gedreht ist und daß nach dem Aufhören der Rollbewegungen der Kopf nach der Seite gedreht ist, nach welcher das Tier gerollt hat; 3. daß sehr bald nach dem Auftreten der Krämpfe die Stellreflexe schwächer werden und endlich ganz verschwinden, während die Laby- rinthdrehreaktionen noch positiv sind. Auch die tonischen Labyrinth- reflexe auf die Augen sind zu dieser Zeit gänzlich verschwunden. Wie müssen wir uns den Rollmechanismus vorstellen? Die Rollungen erfolgen nach der Seite, nach welcher jeweils der Kopf gedreht ist. Man kommt daher zu der Schlußfolgerung, daß ebenso wie bei den Rollungen, welche nach einseitiger Labyrinthexstirpation auftreten, diese Kopfdrehung das Wesentliche ist. Die Frage bleibt dann noch offen, wie diese Kopfdrehungen zu erklären sind, Esist natürlich möglich, daß hierbei die Labyrinthe eine Rolle spielen. 422 U. G. Bijlsma und C. Versteegh: De Um diese Frage zu entscheiden, haben wir bei 2 labyrinthektomierten Meerschweinchen die Erscheinungen, welche nach Hydrochininoninjek- tion auftreten, beobachtet. Das erste Meerschweinchen machte keine Rollbewegungen; der weitere Verlauf wich nicht von dem gewöhnlichen Befund ab. Hier folgt das Protokoll des zweiten Versuchstieres. Meerschweinchen VII. Gewicht 0,58 kg. Alle früher genannten Reflexe positiv. 12h. Beiderseitige Labyrinthexstirpation. 5h nachm. Die Labyrinthreflexe (Labyrinthstellreflex, kompensatorische Augenstellungen, Augendrehreaktion und -nystagmus, Kopfdrehreaktion und -nystagmus) sind negativ. hr 5h 8” nachm. Subcutane Einspritzung von 6,46 ccm 4,4proz. Hydro- chininon-HCl. 5h 16’ nachm. Das Tier sitzt ruhig und symmetrisch. Mäßiges Kopfschütteln, wie es nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation fast immer beobachtet wird. Die Beine sind gebeugt, so daß der Körper des Tieres auf dem Boden liegt. 5h 19” nachm. Das Tier beginnt unruhig zu werden und kriecht nach ver- schiedenen Richtungen auf dem Boden herum, wobei der Kopf in Normalstellung bleibt, ebenso der Körper. 5h 20” nachm. Beginn der Krämpfe (Opisthotonus, Streckstellung der Extre- mitäten, besonders der vorderen, und Kaubewegungen). Danach macht das Tier heftige Laufbewegungen, wobei es öfters auf die Seite fällt, sich aber sogleich wieder aufrichtet. 5h 24’ nachm. Beim Sitzen ist der Kopf etwas nach links gedreht. Das Tier fällt einige Male nach links um, richtet sich aber sofort wieder auf, so daß wir schließen können, daß der Körperstellreflex noch intakt ist. | 5h 25’ nachm. Starker Opisthotonus mit darauffolgendem Sprungreflex, wobei das Tier in der Luft; eine Rollung nach links macht. Danach sitzt das Tier wieder symmetrisch da. 5h 26’ nachm. Das Tier macht Rollungen nach links; einmal rollt es nach rechts. (Bei diesen Rollungen dreht sich das Tier stets nur einmal um seine Längs- achse.) In den Ruhepausen kann das Tier noch aufrecht sitzen, was auf intakte Stellreflexe hinweist. Allmählich werden diese Reflexe schwächer. 5h 40’ nachm. Das Tier liegt jetzt in rechter oder linker Seitenlage und hat hin und wieder Anfälle von Laufbewegungen; zwischen diesen Anfällen liegt es mit Opisthotonus und Streckstellung der Extremitäten. 64 7’ nachm. Nach starker Reizung rollt das Tier dreimal hintereinander nach links, wonach es erschöpft liegen bleibt. 7% 10° nachm. Schwache Laufbewegungen in Seitenlage. Den folgenden Tag liest das Tier tot im Käfig. Aus diesem Versuch geht also hervor, daß die labyrinthektomierten Tiere auf Einspritzung von Hydrochininon ebenso reagieren wie nor- male Tiere und daß für das Auftreten der Rollbewegungen das Vor- handensein des Labyrinths nicht erforderlich ist. Endlich möchten wir noch bemerken, daß derartige Rollungen keine kennzeichnenden Erscheinungen der Chininonvergiftung sind, sondern daß dieselben auch nach Verabreichung von anderen Giften [Cocaint), 1) Fischer, Monatsschr. f. prakt. Tierheilk, 15, 145. 1904. Beiträge zur Pharmakologie der Körperstellung u. der Labyrinthreflexe. VIIL. 423 Stovain !)], welche ebenfalls klonische Krämpfe verursachen, auftreten. Wir haben Mäuse mit Stovain vergiftet und sahen in der Tat ganz die- selben Erscheinungen wie nach Chininonvergiftung. Zusammenfassung. Chininon und Hydrochininon verursachen bei Mäusen und Meer- schweinchen heftige motorische Reizerscheinungen, welche sich in Krämpfen, Opisthotonus, Streckstellungen und Laufbewegungen äußern. Von Zeit zu Zeit kommt es zu Rollbewegungen, und zwar nur dann, wenn vorher eine Kopfdrehung besteht. Geradeso wie nach einseitiger Labyrinthexstirpation, beruhen also auch bei Chinaketon- (und anderen) -vergiftungen die Rollungen auf Anfällen von Laufbewegungen bei gedrehtem Kopf. Für das Zustandekommen dieser Rollungen ist das Vorhandensein der Labyrinthe nicht erforderlich. Es handelt sich um zentrale Vor- gänge. Im Gegensatz zu den Rollungen nach einseitiger Labyrinthexstir- pation wechselt die Rollrichtung, je nachdem der Kopf nach der einen oder anderen Seite gedreht ist. Bei zunehmender Vergiftung erlöschen die Stellreflexe und kom- pensatorischen Augenstellungen vor den Drehreaktionen. !) Launoy und Billon, ©. R. Acad. des Sciences 138, 1360. 1904. Kurze Mitteilungen. Die Veranschaulichung reizphysiologischer Tatsachen durch ein einfaches Modell. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 8. November 1922.) In allen Zweigen der Physiologie, besonders aber in der Lehre von den Reizen, spielen die Modelle eine große Rolle. Die Forschung wird befruchtet, der Unterricht gewinnt an Anschaulichkeit, wenn es ge- lingt, ein Tatsachengebiet mit Hilfe einer sichtbaren Vorrichtung nach- zubilden. Manchen von diesen Modellen wird, wenigstens eine Zeitlang, eine mehr als nur äußerliche Ähnlichkeit mit den Einrichtungen des Körpers zugeschrieben, zu deren Erhellung sie bestimmt sind; es sei hier erinnert an die Helmholtzsche Resonatorenreihe im Ohr, an den Kernleiter, an die Nernst- Riesenfeldsche Membran, aufgebaut aus einem zweiten Lösungsmittel!), an das Bethe-Toropoffsche geladene Dia- phragma?). Andere wieder erheben nur Anspruch auf äußere Analogie, was aber ihrer Verwendung zu den genannten Zwecken keinen Abbruch zu tun braucht. In diese Klasse gehören in der Physik die Nachbil- dungen elektrischer Strömungen durch Wasserströme, elektrischer Schwingungen durch Oszillationen von Massen; in der Physiologie das Pflügersche hydraulische Nervenmodell3), das Zapiequesche Capillaren- system zur Veranschaulichung und Prüfung der Nernstschen Reiz- theorie 2), die Verwornsche reizbare Flüssigkeitsrinne®), das Luxsche 1) W. Nernst und E. H. Riesenfeld, Über elektrolytische Erscheinungen an den Grenzflächen zweier Lösungsmittel. Ann. d. Physik (4) 8, 600. 1902. — W. Nernst, Zur Theorie des elektrischen Reizes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 275. 1908. 2) A. Bethe und T'h. Toropoff, Über elektrolytische Vorgänge an Diaphragmen I und II. Zeitschr. f. physikal. Chem. 88, 685. 1914; 89, 597. 1915. — A. Beihe, Capillarchemische (capillarelektrische) Vorgänge als Grundlage einer allgemeinen Erregungstheorie. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 147. 1916. 3») E. Pflüger, Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus S. 480. 3erlin 1859. Abbildung b. W. Biedermann, Elektrophysiologie S. 717. Jena 1895. #) L. Lapieque, Conditions physiques de l’exeitation @lectrique, etudiees sur um modele hydraulique de la polarisation I et II. Journ. de physiol. et de pathol. sen. 11, 1900 u. 1035. 1909. — Derselbe und J. Petetin, Ebenda 12, 696. 1910. 5) M. Verworn, Ein chemisches Modell des Erregungsvorganges. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 16%, 289. 1917. M. Gildemeister: Die Veranschaulichung reizphysiologischer Tatsachen usw. 425 Gasmodell!), die Güldemeisterschen Modelle des Nervmuskelsystems, bestehend aus einem ballistischen Galvanometer besonderer Einrich- tung?) oder einem hydraulisch betriebenen beschwerten Hebel®). Die Zahl der Beispiele ließe sich noch sehr vermehren. Das Wesentliche dieser und ähnlicher Vorrichtungen ist, daß sie innerhalb gewisser Grenzen denselben quantitativen Gesetzen folgen wie das Vorbild; trotz aller äußeren Unterschiede geben sie bei vorsichtiger Verwendung besonders dem Schüler mehr als es abstrakte Gesetze tun. Ein Modell dieser Art, geeignet zur Erläuterung vieler Tatsachen der elektrischen Reizphysiologie, ist das folgende: Man denke sich eine wärmeleitende Platte, auf die ein Gefäß, mit ein wenig Flüssigkeit ge- füllt, gestellt sei. Nennen wir das Erwäimen der Platte ‚Reiz‘, den Beginn des Siedens ‚Reaktion‘, so bestehen zwischen unserem Modell und einem reizbaren Organ hinsichtlich der elektrischen Reizgesetze viele Analogien4). Die Größe der Wärmezufuhr entspricht der Elektrizitäts- bewegung, d.h. der Stromstärke°). Die Wärmeabgabe nach außen soll vorläufig unberücksichtigt bleiben. Konstanter Strom. Führt man dauernd Wärme zu, z. B. dadurch, daß man die Platte auf eine konstant temperierte Wärmequelle legt, so wird sie sich mehr und mehr erwärmen und schließlich die Tempe- ratur der Quelle annehmen. Ist diese niedriger als der Siedepunkt, so bleibt die Reaktion aus. Sie tritt nur dann ein, wenn die Quelle min- destens Siedetemperatur hat, die Schwelle ist dann erreicht. Die Wärme- zufuhr muß eine gewisse Mindestzeit dauern [Nutzzeit®)]; was darüber ist, kommt nicht in Betracht’). Stromstöße. Zur Vereinfachung der Ausdrucksweise wollen wir die Anfangstemperatur des Systems (Platte + Flüssigkeit) als Nullpunkt 1) F. Lux, Die rhythmischen Erregungsvorgänge im Nerven und deren analoge Darstellung durch eine physikalisch-chemische Methode. Zeitschr. f. allg. Physiol. 1%, 192. 1918. 2) M. Gildemeister, Über ein mechanisches Modell eines Nervmuskelpräparates. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 52. 1904. 3) M. Gildemeister, Theoretisches und Praktisches aus der neueren Elektro- physiologie. Münch. med. Wochenschr. 1911, Nr. 21. 4) Verwandte Gedanken hat schon M. Cremer geäußert (Nagels Handbuch der Physiologie IV, S. 851. 1909). 5) Die Temperatur wäre dann in Parallele zur Konzentrationsänderung oder dem sonstigen erregungsauslösenden Vorgang zu setzen. 6) M. Gildemeister, Die allgemeinen Gesetze des elektrischen Reizes. I. Die Nutzzeit und ihre Gesetze. Zeitschr. f. Biol. 6%, 358. 1913. ?) In Wirklichkeit ist der Wärmestrom nicht konstant, weil die Temperatur- differenz zwischen Quelle und Platte immer kleiner wird. Ebenso nimmt auch der sog. konstante elektrische Strom wegen der Polarisation mit der Zeit ab( Anfangs- zacke). (S. die Abbildungen S. 89 der Mitteilung von M. Gildemeister, Über elek- trischen Widerstand, Kapazität und Polarisation der Haut. I. Versuche an der Froschhaut. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 84. 1919.) 426 M. Gildemeister : betrachten. Dann können wir sagen, daß in der ersten kurzen Zeit die Wärmezufuhr proportional der Temperatur der Stromquelle ist. Wird jetzt das Modell „gereizt“, indem die Platte sehr kurze Zeit mit einer hoch temperierten Wärmequelle in Berührung gebracht wird, so nimmt sie in erster Annäherung eine Wärmemenge auf, die pro- :portional der Berührungszeit und der Temperatur der Wärmequelle ist. Diese Wärmemenge wird sich darauf auf die ganze Platte verteilen, und die Schwelle ist erreicht, wenn dadurch gerade die Siedetemperatur entsteht. Es folgen also die Sätze: Je höher die Temperatur der Wärme- quelle, desto kürzer muß die Zeit der Zufuhr sein, wenn es sich um Schwellenreize handelt. Elektrophysiologisch heißt das analoge Gesetz: Schwellenstromstöße sind desto kürzer, je höher die angelegte Span- nung!). Ferner lehrt unser Modell: Bei sehr kurzer Wärmezufuhr kommt es für die Schwellenwerte nur auf die zugeführte Wärmemenge, d.h. das Produkt von Temperatur und Berührungszeit, an. Entsprechend ist es seit den Untersuchungen von @. Weiß (s. den folgenden Artikel) bekannt, daß bei sehr kurzen elektrischen Stromstößen das Produkt von Spannung und Stoßzeit konstant ist |[d. h. bei konstantem Widerstand die Elektrizitätsmenge?). Dauert in unserem Falle die Berührungszeit länger, so werden verschiedene Umstände, die teils aus den Gesetzen der Wärmeleitung gefolgert werden können, teils in der Wärmeabgabe der Platte nach außen und in der im nächsten Abschnitte behandelten Inkonstanz des Siedepunktes begründet liegen, die schwellenmäßige Wärmemenge vergrößern. In analoger Weise nimmt auch in der Nerven- und Muskelphysiologie die Elektrizitätsmenge für Schwellenreizung mit der Dauer des Strom- stoßes zu. Einschleichen. Hat die reagierende Flüssigkeit einen konstanten Siedepunkt und bleiben die Eigenschaften der Platte hinsichtlich der Wärmeausstrahlung konstant, so hat unser Modell wie diejenigen von Nernst und A.V. Hill?) die Eigenschaft, daß es kein Einschleichen gibt. Es ist für den Endzustand gleichgültig, ob man die Platte einmal mit einer Wärmequelle bestimmter Tersperatur in Berührung bringt, ein anderes Mal aber mit einer solchen, die dieselbe Temperatur erst !) A. Fick, Untersuchungen über elektrische Nervenreizung. Braunschweig 1864. — S. auch die Zusammenstellung der neueren Ergebnisse auf diesem Gebiete in den S. 426 Anm. 3 und 6 zitierten Arbeiten. ®) M. Gildemeister und O. Weiß haben diesen Satz für den Froschmuskel bis zu sehr kurzen Zeiten hinab bestätigen können. Neuerdings will J. Strohl beim Menschen Abweichungen gefunden haben, jedoch ist es fraglich, ob hier nicht Versuchsfehler im Spiel sind. ») A. V. Hill, Anew mathematical treatment of changes of ionie concentration in muscle and nerve under the action of eleetrie currents, with a theory as to their mode of exeitation. Journ. of physiol. 40, 190. 1910. Die Veranschaulichung reizphysiologisch. Tatsachen durch ein einfach. Modell. 427 allmählich erreicht. Da sich die Konzentrationsänderung beim Nernst- Hillschen Membranmodell analog verhält, haben die genannten Au- toren Hilfshypothesen einführen müssen, um der Tatsache gerecht zu werden, daß es reizphysiologisch sehr auf die Steilheit der Strom- schwankung ankommt: Nernst die Akkomodation des reizbaren Organs, Hill einen nicht näher bezeichneten Zwischenprozeß [a. a. O., S. 209 1)]. Unser Modell bedarf keiner Veränderung, um auch die relative Un- wirksamkeit langsam eintretender Zustandsänderungen vor Augen zu führen. Wir haben vorläufig nur festgesetzt, daß das Siedegefäß eine Flüssigkeit enthalten soll, ohne etwas über ihre Art auszusagen. Handelt es sich um eine Lösung eines festen Körpers, z. B. von Calciumchlorid in Wasser, so wird sie bei rascher Wärmezufuhr ins Sieden kommen, ehe sie durch Verdunstung wesentlich an Lösungsmittel verloren hat. Wird sie aber langsam erwärmt, so steigt allmählich ihr Siedepunkt durch Verdunstung und es bedarf der Erwärmung auf eine höhere Temperatur, um die Reaktion auszulösen. So läßt sich das Einschlei- chen veranschaulichen ?). Nach einer Pause wird die Lösung durch die Wärmeabgabe der Platte nach außen, die wir bisher unberücksichtigt gelassen haben, sich wieder abgekühlt und aus dem Dampfraum Wasser aufgenommen haben, so daß das System wieder im Anfangszustand ist. Summation, Refraktärstadium. Zwei unterschwellige Reize in klei- nem zeitlichen Abstande müssen sich summieren, da die Platte beim Eintreffen des zweiten schon vorgewärmt ist. Andererseits wird ein wirksamer Reiz duıch das Sieden die Konzentration der Lösung ver- mehren und so die Wirksamkeit eines kurz darauf folgenden vermin- dern können (Refraktärstadium). Wir finden also hier die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten wieder, die in der elektrischen Reizphysiologie bekannt sind. Deshalb leistet das Modell für didaktische Zwecke gute Dienste, zumal da es an Erfahrungen anknüpft, die jedem geläufig sind. Im folgenden Artikel soll gezeigt werden, daß es auch zur Klärung umstrittener Begriffe beitragen kann. 1) Auch Lapieque (a. a. OÖ.) hat sich veranlaßt gesehen, durch einen Zusatz (daß es nämlich nicht auf die Erreichung einer bestimmten Konzentrations- änderung, sondern eines gewissen Konzentrationsverhältnisses an zwei benach- barten Membranen ankomme), der aber nach Hill (a. a. O. S. 204) nicht zu dem erstrebten Ziele führt, die Nernstsche Theorie zu komplizieren. ?) Theoretisch ist es vielleicht von Bedeutung, daß das Einschleichen auch auf andere Weise nachgebildet werden kann. Beispielsweise kann man sich die Platte mit einer Substanz bekleidet denken, die bei längerer Erwärmung, etwa durch Oxydation, rauh wird und mehr Wärme an die Umgebung verliert. Das ent- spräche mehr der bis jetzt mathematisch nieht durchführbaren Hypothese (Hill, a.a. 0. S. 208), daß die Membran durch die Konzentrationsveränderung selbst größere Permeabilität für Ionen erlangt. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 28 Über Erregbarkeit und ihre Messung. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 8. November 1922.) Die Bemühungen, allgemeine Reizgesetze quantitativer Art aufzu- stellen, haben in der Elektrophysiologie noch nicht zu allgemeiner Über- einstimmung geführt. Entsprechend den beiden naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden sind die Autoren in doppelter Weise vorgegangen: Einerseits haben sie aus theoretischen Vorstellungen heraus mathema- tisch die Gesetze deduziert [Hoorweg !), Hermann?), Lapieque?), Gilde- meister*), Nernst°), Hill®)]; andererseits haben sie das vorhandene Ma- terial zu ordnen und daraus auf induktivem Wege Beziehungen, die für ein mehr oder minder großes Gebiet gelten sollen, abzuleiten ver- sucht [Hoorweg (a.a.O.), @. Weiß), Lapieque”), Oluzet®), Gildemeister?)]. Das mathematische Ergebnis ist, ganz allgemein gefaßt, folgendes: Selbst wenn man sich auf Schwellenreize beschränkt (was für Gebilde, die dem Alles- oder Nichtsgesetz folgen, auch keine Bedenken hat), so braucht man, um die Abhängigkeit der Wirkung vom zeitlichen Ver- !) In zahlreichen Abhandlungen in Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. (52, 53, 57, 71, 74, 82, 83, 85, 87) und an anderen Stellen. 2) L. Hermann, Über indirekte Muskelreizung durch Kondensatorentladungen, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 111, 537. 1906. 3) L. Lapieque, Recherches quantitatives sur l’excitation electrique des nerfs traitee comme une polarisation II. Journ. de physiol. et de pathol. gen. 1907, S. 620, *) M. Gildemeister in der im vorhergehenden Artikel S. 425 Anm, 2 ange- führten Arbeit und Über indirekte Muskelerregbarkeit, und Bemerkungen zur Theorie derselben. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 203. 1904. ?) In den im vorigen Artikel angeführten Arbeiten. °) @. Weiß, Sur la possibilit& de rendre comparables entr’eux les appareils servant & l’excitation electrique. Arch. ital. de biol. 35, 413. 1901. ?) L. et M. Lapicque, Becherches sur la loi d’exeitation @lectrique. Journ. de physiol. et de pathol. gen. 5, 843 u. 991. 1903. ®) J. Oluzet, Loi d’excitation des nerfs par decharges de condensateur. These, Fac. des sciences de Paris 1905. 9) M. Gildemeister, Induktionsströme als Reize I u. II. Pflügers Arch, f. d. ges. Physiol. 131, 601. 1910; 195, 142. 1922. M. Gildemeister: Über Erregbarkeit und ihre Messung. 429 lauf des Reizstromes genau darzustellen, eine Formel mit mehreren Parametern. Wie viele es sind, ist noch nicht bekannt; mindestens sind es drei, da diese Anzahl schon allein für den konstanten Strom nötig ist [Hill (a.a. O.), K. Lucas), Lapicque (a. a. O.)]. Beschränkt man sich auf Ströme, die sofort mit größter Intensität einsetzen (konstante Ströme, Kondensatorentladungen, Öffnungsinduktionsströme), wo also das Einschleichen keine Rolle spielt, so kommt man bei nicht ganz strengen, aber immer noch beträchtlichen Ansprüchen an die Über- stimmung zwischen Theorie und Versuch mit zwei Parametern aus [Hoorweg?), @G. Weiß?), Grildemeister?)], und steckt man die Grenzen noch enger, so genügt einer. So hat Nernst mit Recht betont, daß für Wechselströme in einem großen Bereich eine Konstante genüge; wird aber die Frequenz sehr klein, so mischt sich die Akkomodation ein (Konstante 2), und wird sie sehr groß, so gilt auch hier das sog. Qua- dratwurzelgesetz nicht mehr: Die Abweichungen machen die Einfüh- rung einer Konstanten 3 nötig. Will man das ganze Gebiet umfassen, so ist also auch hier eine Dreizahl von Parametern nötig. Diese Tatsachen bleiben oft unberücksichtigt. Denn jeder Versuch, „die Erregbarkeit‘‘ schlechthin mit elektrischen Reizen zu bestimmen, fußt doch auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß nur ein Para- meter vorhanden sei. Die praktische Medizin hat schon längst die Unzulässigkeit dieser Annahme erkannt; der Elektrodiagnostiker spricht von galvanischer und faradischer Erregbarkeit und setzt damit die Existenz zweier Parameter voraus, womit die Praxis und meistens ‚auch das Laboratorium auskommt. Wie man sie findet und be- nennt, ist hier Nebensache; Zapieque und seine Schule und ihm folgend die französischen Physiologen und Pathologen bestimmen z.B. die Rheobase und die Chronaxie®). An Stelle des letzteren charakteristi- schen Wertes kann auch die Nutzzeit gesetzt werden ®). Zur Erläuterung dieser Verhältnisse kann mit Vorteil das im vor- hergehenden Artikel angegebene Modell dienen. Es ist gezeigt worden, daß es sich bei dauernder oder stoßweiser Zufuhr von Wärme verhält wie ein Muskel, den man durch konstanten Dauerstrom oder durch Stromstöße reizt; es hat eine Schwelle, eine Nutzzeit, und die zum Schwellenreiz nötige Wärmemenge ist bei sehr kleiner „Stoßzeit‘“ merk- lich konstant. !) K. Lucas, An analysis of changes and differences in the exeitatory process of nerves and muscles based on the physical theory of exeitation. Journ. of physiol. 40, 225. 1910. 2) Siehe Fußnote 1, 6 und 9 8. 428. ?) L. Lapieque, Definition experimentale de l’excitabilite. Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 6%, 280. 1909. *) Siehe die zusammenfassende, im vorhergehenden Artikel S. 425 Anm. 6 angeführte Arbeit. 285 430 | M. Gildemeister: Die Erregbarkeit dieses Modells läßt sich nicht mit einer Angabe beschreiben. Wäre der siedefähige Stoff allein gegeben, so könnte man die Erregbarkeit durch die Siedetemperatur charakterisieren; die wärme- aufnehmende und leitende Platte bringt aber etwas Neues hinzu. Das System kann je nach seinen physikalischen Konstanten und der Art der Wärmezufuhr einmal mehr, einmal weniger erregbar erscheinen als ein anderes. Die Frage nach der Erregbarkeit schlechthin ist deshalb falsch gestellt. Man denke sich beispielsweise zwei Modelle der geschilderten Art, übereinstimmend bis auf die Dicke der Platte und die Siedetemperatur. A habe eine dickere Platte, aber eine leichter siedende Flüssigkeit als B. Auf konstanten Wärmestrom wird A leichter, d.h. bei niedrigerer Temperatur der Wärmequelle ansprechen als BD, freilich erst nach längerer Zeit (erhöhte Erregbarkeit gegen konstanten Strom, ver- längerte Nutzzeit). Umgekehrt aber wird A bei genügend großem Plattenvolumen Wärmestößen gegenüber weniger erregbar sein, weil eine größere Wärmemenge zur Durchwärmung der Platte auf die Siede- temperatur nötig ist, obgleich diese nach Voraussetzung ja niedriger ist als bei 5. Ist nun A erregbarer oder B? Nach der Ausdrucksweise der Kliniker hätte A kleinere faradische und größere galvanische Er- regbarkeit als 5, mit längerer Nutzzeit, ebenso wie ein degenerierender Muskel im Vergleich zu einem normalen!). Also die Siedetemperatur allein oder eine einzige sonstige Angabe charakterisiert unser Modell nicht hinreichend, sondern es müssen zwei Konstanten angegeben werden, von denen die eine sich auf die Wärme- kapazität der Platte bezieht; dazu würde sich z. B. neben der Siede- !) Die manchmal gebrauchte Ausdrucksweise, ein Objekt der zweiten Art reagiere besser auf schnelle, der ersten Art auf langsame Reize, ist nicht glücklich und führt nur zu Mißverständnissen. Unter einem langsamen Reiz muß man ohne nähere Definition einen solchen verstehen, der langsam einsetzt, d. h. der erst in merklicher Zeit zu seiner vollen Höhe anschwillt. Es ist bis jetzt in der Phy- siologie und Pathologie kein Fall beglaubigt, daß ein solcher elektrischer Reiz (von anderen weiß man zu wenig Quantatives) bei gleicher Dauer wirksamer gewesen wäre, als ein plötzlich zu gleicher Intensität ansteigender; alle gegen- teiligen Angaben haben sich bei näherer Prüfung als nur scheinbare Ausnahmen des Satzes erwiesen, daß Einschleichen die Wirkung einez Reizes nie steigert, sondern vermindert oder höchstens ungeändert läßt. Fiele dieser Satz, so stürzten, wie mir scheint, auch alle bisher bekannten elektrochemischen Theorien (Nernst, Lapieque, Hill, Bethe), und unsere Anschauungen vom inneren Geschehen bei der Reizung müßten gänzlich geändert werden. Sagt man aber, B reagiere besser auf kurze, A auf längerdauernde Reize, so sind die Beobachtungen richtig, wenn auch nicht erschöpfend, umschrieben. (Sind Reize sehr stark, so geben sie bei langsamem Ansteigen leicht Anlaß zu wiederholter Nervenerregung und summierter Muskel- zuckung. Das ist aber nicht gesteigerte Wirksamkeit in unserem Sinn. Siehe M. Gildemeister, Die Einheitlichkeit der elektrischen Reizgesetze I. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 140, 609. 1911.) Über Erregbarkeit und ihre Messung. 431 temperatur die kleinste noch wirksame, in kurzer Zeit zuzuführende Wärmemenge eignen, entsprechend der zur Reizung nötigen Mindest- elektrizitätsmenge in der Elektrophysiologie. Für Reize, die anschwellen, kommt noch ein dritter Parameter da- zu; wie im ersten Artikel ausgeführt, kommt es dabei auf die Wechsel- wirkung zwischen der erwärmten Flüssigkeit und dem Dampfraum an. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Die Ergebnisse dieser Betrachtung können wir so zusammenfassen: Die Reizphysiologie strebt nach dem Ziel, die Erregungskonstanten, deren wir nach den letzten Erörterungen für den elektrischen Reiz min- destens drei annehmen müssen, einzeln zu bestimmen. Sobald die Wege dazu geebnet sind, wird man allgemeine, leicht zu Mißverständnissen führende Ausdrücke wie „Erregbarkeit‘ und ähnliche vermeiden können oder man wird sie mit neuem Inhalt erfüllen. Die reizbaren Objekte werden dann durch drei oder mehr streng definierte Zahlenwerte zu charakterisieren sein. Bis dahin mag man sich immerhin, wenn es nicht auf ganz erschöpfende Beschreibung der Reizbarkeit ankommt, mit zwei Konstanten begnügen. Hin und wieder wird man auch für be- sondere Zwecke, z. B. wenn man die Veränderung einer bestimmten Eigenschaft mit einfach geformten Probereizen verfolgt, mit einer Kon- stanten auskommen und von ‚der Erregbarkeit‘“ sprechen können. Je- doch ist dabei zu berücksichtigen, daß die Ergebnisse nur mit Vorsicht zu verwerten sind, und daß oft die eine Reizart verminderte Erregbar- keit finden läßt, wo eine andere das Gegenteil zu ergeben scheint. Der galvanische Hautreflex als Teilerscheinung eines allge- meinen autonomen Reflexes. Von Martin Gildemeister. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 8. November 1922.) Die von Tarchanoff!) im Jahre 1890 mitgeteilte Beobachtung, daß die menschliche Haut bei Reizen, die die Versuchsperson treffen, elektro- motorisch wirksam wird, wurde lange Zeit wenig beachtet. Erst als Müller und Veraguth 14 Jahre später eine verwandte Erscheinung ent- deckten, daß nämlich ein durch den Körper, insbesondere durch die Handflächen und Fußsohlen, geschickter Strom unter denselben Um- ständen einen Zuwachs erfährt, wandten sich zuerst die Neurologen, im letzten Jahrzehnt auch die Physiologen diesem Erscheinungskomplex zu. Veraguth führte für das von ihm mitentdeckte und in einer Mono- graphie?) behandelte Phänomen die Bezeichnung ‚psychogalvanischer Reflex‘ ein, die im deutschen und romanischen Schrifttum allgemein üblich geworden ist. Mit dem Worte galvanisch sollte nach klinischem Sprachgebrauch angedeutet werden, daß sich die Erscheinung bei der Durchleitung eines konstanten Stromes zeigt, während mit dem Zusatz „psycho“ gesagt sein soll, daß ‚eine Mitbeteiligung psychischer Instanzen zum Zustandekommen des Phänomens vorausgesetzt werden muß“. Wie die Selbstbeobachtung lehrt, erregen Reize, die nur gleichgültige Empfindungen zur Folge haben, keine oder ganz schwache psycho- galvanische Reflexe; dagegen tıeten bei der üblichen Art der Auslösung deutliche Erfolge immer dann und nur dann auf, wenn Affekte (Schreck, Ärger, Verlegenheit u. dgl.) hervorgerufen werden. Deshalb ist der psychogalvanische Reflex ein beliebtes Untersuchungsmittel der Neuro- logen und Psychologen geworden. In den letzten Jahren sind analoge Erscheinungen bei verschiedenen Wirbeltieren aufgedeckt und studiert worden, so von A. Schwartz, 1) J. Tarchanoff, Über die galvanischen Erscheinungen in der Haut des Menschen bei Reizungen der Sinnesorgane und bei verschiedenen Formen der psychischen Tätigkeit. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 46. 1890. ®2) O. Veraguth, Das psychogalvanische Reflexphänomen. Berlin 1909. M. Gildemeister: Der galvanische Hautreflex usw. 433 Kohlrausch und Schilf und von Fauville beim Frosch, von Erbs!) beim Hunde und Pferde, von Hara?) bei der Katze und beim Hunde. Will man all diesen Erfahrungen gerecht werden und den ganzen Erschei- nungskomplex unter einem Namen zusammenfassen, so muß man meines Erachtens die Bezeichnung ‚‚psychogalvanischer Reflex‘ fallen lassen und eine bessere suchen. Hat schon das Wort psychisch, das eine Hypothese enthält, etwas Mißliches für ein Phänomen, das bereits bei Amphibien vorkommt und hier durch Wegnahme des Großhirns gar nicht, durch Entfernung der Lobi optieci nur wenig gestört wird?®), so kommt noch dazu, daß beim Menschen nicht jeder psychische Vor- gang von Galvanometerschwankungen begleitet ist, sondern nur ein affektiver, daß andererseits der besagte Reflex, wie schon Veraguth (a.a. O., S. 43) angibt, affektlos durch willkürliches Husten hervor- gerufen werden kann oder andere Reflexe (Niesen, Gähnen) begleitet. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß die Physiologen für die ganze Erscheinungsgruppe, die durch Veränderung der elektrischen Haut- eigenschaften auf reflektorischem Wege charakterisiert ist, den hypo- thesenfreien Namen ‚galvanischer Hautreflex‘‘ verwenden mögen. Der psychogalvanische Reflex der Neurologen ist dann ein Sonder- fall; diese Bezeichnung ist nur dann am Platze, wenn es sich um den Menschen und um eine Art der Auslösung handelt, bei der die Mitbeteiligung der Psyche zweifellos ist. Wir brauchen den vorge- schlagenen, umfassenderen Namen hier im Laboratorium schon seit längerer Zeit und Kohlrausch, Schilf und Hara haben ihn schon in mehreren Veröffentlichungen verwendet. Wir nehmen in diesem Falle das Wort galvanisch in dem weiteren Sinn, wie z. B. Hermann, der in der 13. Auflage seines Lehrbuches der Physiologie auf S. 155ff. unter „Galvanische Erscheinungen am Muskel‘ nicht nur die Ruhe- und Tätigkeitsströme aufführt, sondern auch alles, was sich auf Leitungs- widerstand und Polarisation bezieht. Der Physiologe würde dann das Tarchanoffsche Phänomen, sonst gewöhnlich ‚‚psychogalvanischer Re- flex ohne exosomatische Stromquelle‘ geheißen, ohne weiteren Zusatz den ‚„galvanischen Hautreflex‘‘ und das Veraguthsche Phänomen den „galvanischen Hautreflex mit Hilfsstrom‘' nennen. Daß es sich bei der gewöhnlichen Art der Auslösung um einen echten Reflex handelt, be- darf wohl keiner Erörterung; anders steht es mit der galvanischen Haut- veränderung beim Husten, Niesen, Pressen. Ob dabei die Reizung bei- spielsweise in der Bauchhöhle gelegener Endorgane durch Anspannung !) Literatur bei E. Schilf und A. Schuberth, Über das sog. psychogalvanische Reflexphänomen beim Frosch und seine Beziehung zum vegetativen Nerven- system. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 75. 1922. ?) Y. Hara, Der galvanische Hautreflex bei Katzen und Hunden (sog. psycho- galvanischer Reflex). Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 288. 1922. 3) Schilf und Schuberth, a. a. O. 434 M. Gildemeister: Der galvanische Hautreflex der Bauchpresse oder eine Ausbreitung der zentrifugalen Impulse auf die Zentra der Hautnerven das Wesentliche ist, bleibt vorläufig un- entschieden. Der Reflexbogen des galvanischen Hautreflexes beim Frosch ist kürzlich von Schilf und Schuberth (a. a. 0.) genauer verfolgt worden; ersterer ist, wie er mir mitzuteilen freundlichst gestattet hat, gemein- sam mit Aara mit ähnlichen Untersuchungen an Warmblütern be- schäftigt. Die zentrifugale Bahn für die Hinterbeine verläßt das Rückenmark, genau wie die Schweißnerven, mehr kopfwärts als die zugehörigen motorischen und sensiblen Nerven, verläuft ein Stück im Grenzstrang und legt sich dann den zugehörigen gemischten Nerven an. Wir können also jetzt mit noch größerer Sicherheit als zuvor sagen: Nach äußeren und inneren Reizen, die einen Affekt hervorrufen, sowie gleichzeitig mit oder richtiger wohl kurz nach gewissen Reflexen, bei denen die Atemmuskeln (und die Bauchpresse) beteiligt sind (Niesen, Husten, Pressen), werden die zur Haut führenden sympathischen Fa- sern innerviert!). Bekanntlich werden die Affekte auch begleitet von einer Frequenz- steigerung des Herzens, von Volumveränderungen der Gliedmaßen ?), Pupillenerweiterung, Kontraktion der Arrectores pilorum®). Das sind alles Funktionen, die vom autonomen System abhängen. Ich habe nun festzustellen versucht, ob diese Erscheinungen dem galvanischen Haut- reflex zeitlich gleich und ihrer Stärke nach symbat seien. Die plethysmo- graphischen Kurven sind dazu nicht recht geeignet, weil sie einerseits von der Weite der Gefäße der Gliedmaßen, andererseits auch von der vom Herzen nach den Extremitäten geförderten Blutmenge abhängen, die wieder mit der Frequenz und dem Zustand des großen Blutspeichers im Bauche wechselt. Die Bildung der Gänsehaut ist objektiv nicht gut zu messen. Ich habe mich deshalb mit der Messung meiner Pu- pillengröße und mit der Beobachtung des eigentümlichen Schauder- gefühls begnügt, das man bei einem Schreck empfindet, ‚als ob einem etwas heiß und kalt über den Rücken liefe“. Dieser Schauder, der wohl einer Zusammenziehung der kleinen Haarbalgmuskeln zuzuschrei- 1) Auch das willkürliche Husten und Pressen enthält zweifellos eine starke reflektorische Komponente. Neuere Angaben darüber finden sich bei J. Bram- son, Phenom£nes pl&thysmographiques et pneumographiques au cours de pro- cessus r&actionnels psychiques. Arch. neerland. de physiol. 4, 494. 1920. ?) Siehe E. Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper, ins- besondere auf die Blutverteilung. Berlin 1910. ®) Andre-Thomas, Le reflexe pilomoteur et les reflexes affeetivs. Paris med. 11, 83.1921. Siehe auch die Literaturzusammenstellung bei H. Günther, Die mecha- nische Erregbarkeit der Hautmuskeln und Hautgefäße. Ergebn. d. inn. Med. und Kinderheilk. 15, 620. 1917. als Teilerscheinung eines allgemeinen autonomen Reflexes. 435 ben ist, tritt unter all den Umständen auf, die einen galvanischen Haut- reflex hervorrufen, also auch beim Husten, Niesen, Pressen, und zwar anscheinend in seiner Stärke dem Galvanometerausschlag symbat. Er hinterläßt für einige Zeit ein gewisses Gefühl der Beklemmung, wie man es nach einem Schreck oder einer ungünstigen Nachricht emp- findet. Man muß es erst lernen, die Aufmerksamkeit auf diese selbst durch einen einzigen willkürlichen Hustenstoß ausgelöste Empfindung zu lenken; kennt man sie erst einmal, so macht sie sich immer wieder mit unangenehmer Deutlichkeit geltend!). Daß man die Größe seiner eigenen Pupille beobachten kann, wenn man durch ein feines Loch sieht, ist allgemein bekannt. Ich weiß nicht, ob es ebenso bekannt ist, daß man diese Messungsmethode durch An- wendung zweier Löcher nach Art des Scheinerschen Versuches ver- feinern kann; wahrscheinlich werden schon andere diesen naheliegenden Kunstgriff angewendet haben. Besitzen die Löcher gerade Pupillen- abstand, so sieht man zwei Kreise, die sich eben berühren, und jede Veränderung der Pupillengröße macht sich durch Überschneidung oder Trennung der beiden Kreise erkennbar. Befestigt man jetzt ein soiches Kartenbiatt vor dem Auge, taucht die Hände in Ableitungsgefäße und läßt eine andere Person den Gal- vanometerausschlag beobachten, so sieht man auf Knall, Stich, elek- trischen Schlag (z. B. in den Nacken) und ähnliche Reize die Pupille sich mit derselben Latenzzeit in Bewegung setzen, wie das Galvano- meter, und zwar im Sinne der Vergrößerung. Nach kurzer Zeit hat sie nach einigen Schwankungen wieder die Anfangsweite erreicht, gewöhn- lich früher als der Stromzeiger. Das ist auch zu erwarten, denn Ver- suche, die demnächst an dieser Stelle mitgeteilt werden, haben uns gelehrt, daß die zeitlichen Verhältnisse des galvanischen Hautreflexes stark von der Temperatur des Erfolgorgans abhängen, und naturgemäß ist die Außenhaut kühler als der Augeninhalt. Die Stärke der Pupillen- reaktion läuft, soweit die ziemlich rohe Methode das beurteilen läßt, der Größe des galvanischen Hautreflexes parallel. Auch der eben er- wähnte Schauder zeigt anscheinend dieselben Größenverhältnisse und dieselbe Latenzzeit. Alles das eben Geschilderte tritt in ganz derselben Weise bei willkürlichem Husten oder Pressen auf. Ich möchte deshalb das oben Gesagte verallgemeinern und den Satz aufstellen: Der galvanische Hautreflex ist eine Teilerscheinung des all- gemeinen autonomen Reflexes, der immer dann auftritt, wenn den Menschen Reize treffen, die einen Affekt hervorrufen oder wenn reflek- torisch oder willkürlich die Bauchpresse in Tätigkeit gesetzt wird. Von objektiven Kennzeichen des autonomen Reflexes sind bis jetzt bekannt: 1) Ein eigentümliches „Kribbelgefühl‘“ spürt man dabei in den Fingerspitzen, manchmal auch in den Zehen. 436 M. Gildemeister: Der galvanische Hautreflex usw. Pupillenerweiterung!), verschiedenartige Änderungen der Gefäßweite, Beschleunigung des Herzschlages, Zusammenziehung der Haarbalg- muskeln, elektromotorische Wirksamkeit und vermehrte elektrische Durchlässigkeit der Haut (der Schweißdrüsen, vielleicht auch sonstiger Hautzellen); subjektiv tritt ein Schauder- und nachfolgendes Beklem- mungsgefühl auf. Die Stärke des Reflexes wechselt auch bei anscheinend konstanter Reizstärke bei derselben Person und von Individuum zu Individuum nach bisher undurchsichtigen Gesetzen. Soweit bisher Beobachtungen vorliegen, ist nur der sympathische Teil des autonomen Systems daran beteiligt; ob diese Regel in aller Strenge gilt, werden künftige For- schungen zu lehren haben. 1) Die von Redlich (Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurol. 49, 1. 1921) be- schriebene Pupillenerweiterung bei starkem Händedruck dürfte auf die Anspannung der Bauchpresse zurückzuführen sein. Über den Einfluß verschiedener Spannungen auf den galvani- schen Hautreflex. Von Prof. Chou Sung-Sheng und Hans Lehmann. (Aus der physikalischen und sinnesphysiologischen Abteilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin.) (Eingegangen am 8. November 1922.) Eins der Mittel, die geeignet erscheinen, Aufschlüsse über das elektro- physiologische Verhalten der Haut zu geben, deren Besonderheiten viel weniger studiert sind als die der Muskeln und Nerven, ist die Erschei- nung, daß sich die elektrischen Eigenschaften der menschlichen Haut, in erster Linie der Handflächen, für einige Viertelminuten ändern, wenn man die Versuchsperson taktil, akustisch oder optisch stark reizt, oder wenn in ihr selbst gewisse psychische Vorgänge ablaufen. Dies ist zu- erst von Tarchanoff und dann von Veraguth festgestellt worden. Der eine hat von zwei Hautstellen zum Galvanometer abgeleitet, während der andere außerdem noch eine Stromquelle in den Kreis einfügte. Die von beiden beobachteten Erscheinungen zeigen viel Gemeinsames, aber auch mancherlei Unterschiede z. B. hinsichtlich der Stärke und Rich- tung der Galvanometerschwankungen. Der galvanische Hautreflex, wie wir mit Gildemeister!) diese Phä- nomene zusammenfassend nennen, ist also entweder ohne angelegte Spannung studiert worden oder derart, daß eine solche von etwa 1 bis 3 Volt am Körper lag. Diese Werte ergeben sich, wenn man die in der Literatur niedergelegten Versuche durchrechnet. Danach liegt die Ver- mutung nahe, daß noch neue und für die Aufklärung des galvanischen Hautreflexes wichtige Ergebnisse durch Erweiterung des Spannungs- bereiches gewonnen werden können. Von solchen Erwägungen ausgehend haben wir den galvanischen Hautreflex unter Anwendung verschiedener Spannungen untersucht; wir durften diese jedoch nur soweit steigern, daß sie nicht störend empfunden wurden. Hier teilen wir nur die Ergebnisse ganz kurz mit, weil der eine von uns später in einer ausführlichen Arbeit genauer darüber berichten und auch die theoretischen Folgerungen diskutieren wird. Die Methodik war die im hiesigen Institut bei den Reflexversuchen übliche, also die Wheatstonsche Brückenanordnung, bei der in den ent- sprechenden Zweigen Mensch und Vergleichswiderstand eingeschaltet waren. Die Spannungen wurden durch Abzweigen der städtischen !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 19%, 432. 1922. 438 Chou Shung-Sheng und H. Lehmann: Über den Einfluß Lichtleitung entnommen. Die Brücke hatte wegen der verwendeten höheren Spannungen einen größeren Widerstand als sonst üblich. Ihre Zweige, je zu 500 Ohm, blieben durch alle Versuche gleich. Angelest wurden Spannungen von 2—32 Volt, somit lagen, da die Brücke sym- metrisch war, am Körper 1—16 Volt. Höhere Spannungen wurden von den Versuchspersonen als unangenehm empfunden und mußten, wie oben erwähnt, vermieden werden, weil nach Möglichkeit beim galva- nischen Hautreflex alle Reize, außer dem beabsichtigten, ausgeschlossen werden sollen. Als Vergleichswiderstand verwendeten wir einen De- kadenkurbelrheostaten bis zu 20 000 Ohm. Die Stromzuführung zur Versuchsperson im anderen Zweige erfolgte durch unpolarisierbare Zink-Zinksulfatelektroden mit porösen Platten von gebranntem Ton als Membranen. Ihr Widerstand betrug ca. 100 Ohm. Die Elektroden tauchten in Gefäße mit 0,9proz. Kochsalzlösung, in welche die Ver- suchsperson Zeige-, Mittel- und Ringfinger jeder Hand bis zum Ende des ersten Gliedes eintauchte. Es erwies sich als zweckmäßig, die Temperatur der Kochsalzlösung in Höhe der Hauttemperatur, etwa auf 30°C, zu erhalten, was wir dadurch erreichten, daß wir in der Lösung befindliche Kupferplatten durch kleine Flammen erhitzten. Vor Beginn der Versuche mußte die Haut mit dem Elektrolyten einiger- maßen getränkt sein, um große Widerstandsstürze während der ersten Versuche zu vermeiden. Ein hochempfindliches Drehspulenspiegel- galvanometer mit Lichtzeiger von 10 000 Ohm Widerstand diente als Anzeigeinstrument. Seine Empfindlichkeit wurde durch geeignete Nebenschlüsse im Betrage von 10—8000 Ohm den verwendeten Span- nungen entsprechend geändert. Bei Beginn jedes Versuches wurde das Galvanometer durch passende Einstellung des Vergleichsrheostaten stromlos gehalten. Nach Beendigung der Versuche wurde die Versuchs- person durch einen Widerstand ersetzt, dessen Größe dem jeweiligen menschlichen gleich gemacht wurde. Dieser Widerstand wurde nun in solchem Maße geändert, daß sich dieselbe Skalenzahl des Galvanometer- ausschlages einstellte, die der Hautreflexversuch ergeben hatte. Wie bekannt, ergibt sich dabei, daß der Widerstand verkleinert werden muß, daß also der Reflex sich durch Verringerung des Menschenwiderstandes äußert. Nun kann man aber auch ohne Widerstandsänderung die Aus- schlagsgröße des Hautreflexes durch Einführen passender Spannungen in den Kreis erreichen. Beide Verfahren wurden für jeden Versuch an- gewendet und somit alle galvanischen Hautreflexe sowohl als Menschen- widerstandsminderungen, wie als Spannungsveränderungen geeicht. Die zu verwendenden Reize sollten aus einleuchtenden Gründen sowohl der Stärke als der Dauer nach gleichmäßig und möglichst wenig der Ge- wöhnung unterworfen sein. Nach vielen Vorversuchen über die zweck- mäßigste Reizart wählten wir den Reiz durch die Ströme eines kleinen verschiedener Spannungen auf den galvanischen Hautreflex. 439 Induktoriums mit Hammerunterbrecher, da es mit diesem verhältnis- mäßig am leichtesten möglich war, Reizstärke und Dauer einigermaßen gleichmäßig zu halten und die Reize für die Versuchsperson überraschend zu geben. Als Elektroden zur Reizstromzuführung benutzten wir ca. 30 gem große Metallbleche mit gut durchfeuchtetem Lederüberzug. Die Elektroden wurden am Nacken angelegt. Die Reizdauer betrug eine Sekunde, die Reizstärke war so gehalten, daß Tetanus in der Nacken- muskulatur noch nicht ausgelöst wurde. Die Versuche wurden im verdun- kelten Zimmer bei bequemer sitzender Stellung der Versuchsperson vor- genommen, unter möglichster Ausschaltung jeder Ablenkung. Sie wurden überwiegend mit dem einen von uns (Ch.) als Versuchsperson angestellt. Der andere von uns (L.) hatspäter noch zahlreiche Versuche an Europäern angestellt, deren Ergebnisse, die sich nicht ganz mit den hier gewonnenen decken, in der erwähnten ausführlichen Mitteilung näher erörtert werden. Ergebnisse. Bei der experimentellen Prüfung der Frage, ob die Größe des Re- flexes von der verwendeten Spannung abhängig sei, stießen wir insofern auf erhebliche Schwierigkeiten, als gewissermaßen eine Vorbedingung für die Vergleichung der Ausschlagsgrößen, die Konstanz der Aus- schläge bei verschiedenen Versuchen mit gleichen Bedingungen, nicht zu erfüllen war. Trotz der physikalisch und sensibel gleichmäßigen Reize gelang es uns nicht, über eine längere Versuchsreihe, d.h. über mehr als 5 Versuche im günstigsten Fall, Konstanz in der Reflexstärke zu erzielen. Allgemeine Stimmung der Versuchsperson, Temperatur des Raumes, sowie unkontrollierbare andere Einflüsse ergaben bei der glei- chen Versuchsperson unter gleichen Versuchsbedingungen verschiedene Resultate in bezug auf die Reflexstärke. Trotz der genannten Schwierigkeiten gelang es uns, wie wir glauben, durch große Versuchsreihen folgenden Einfluß der Spannung auf die Reflexgröße zu erkennen: 1. Die Galvanometerausschläge nehmen mit Steigerung der Spannung zu. Z.B. betrug für einen Versuch der Ausschlag bei 2 Volt 34, bei 5 Volt 58 und bei 10 Volt 122 Skalenteile. In ähnlicher Weise verliefen alle Versuche. 2. Betrachtet man die Vorgänge in der Haut als Schwankungen des Widerstandes, so liegen diese meistens im Bereiche von 50—200 Ohm, die Extreme sind 15 und 360 Ohm. Setzt man diese Widerstands- schwankungen in Beziehung zum Gleichstromwiderstand der Versuchs- person, so erhält man Werte, die um 1—4%, herum liegen, mit den Grenzen 0,4 und 7,4%. 3. Weder die absoluten, noch die prozentualen Widerstandsschwan- kungen weichen trotz verschiedener angelegter Spannung erheblich vonein- 440 Chou Sung-Sheng u. H. Lehmann: Einfluß verschiedener Spannungen usw. ander ab. Es zeigt sich, trotz beträchtlicher Streuung, kein erkennbarer Gang. So ergaben sich z. B. im Versuch vom 1. Nov. 1921 in Mittel- werten ausgedrückt folgende absolute Widerstandsschwankungen: Für 2 Volt 68, für 5 Volt 32, für 10 Volt 54 und für 25 Volt 44 Ohm; an prozentualen Widerstandsschwankungen wurden für dieselbe Span- nungsreihe, ebenfalls in Mittelwerten, 1,8, 09, 1,5 und 1,4% gefun- dent). Ein ähnliches Bild ergaben die anderen Versuche, mit Ausnahme des vom 7, Nov. 1921. Hier erhielten wir für 2, 5, 10 und 15 Volt an absoluten Widerstandsschwankungen 113, 89, 152 und 321 Ohm; an prozentualen 2,2, 1,6, 2,9 und 6,6%). Hier glauben wir einen Gang erkennen zu können und möchten sagen daß bei diesem Versuch die Widerstandsschwankungen mit Steigerung der Spannung wachsen. Welche Einflüsse dieses Resultat, das das einzige seiner Art geblieben ist, hervor- gerufen haben, ließ sich nicht feststellen; es wäre möglicherweise an eine unbeabsichtigte Reizverstärkung zu denken. Da ein ähnlicher Verlauf sich bei keinem Versuch wiederholt hat, möchten wir aussprechen, daß bei unserer Versuchsperson durch Steigerung der Spannung kein deutlicher Einfluß auf die Widerstandsschwankungen erkennbar wird. 4. Ist man aber mit @Güldemeister, dem sich Waller angeschlossen hat, der Auffassung, daß beim galvanischen Hautreflex die Polari- sationsgegenspannung der Haut herabgesetzt wird, so muß man die Gal- vanometerausschläge als durch Spannungsschwankungen verursacht ansehen. Dann folgt aus allen unseren Versuchen, daß die absoluten Spannungsschwankungen mit der angelegten Spannung steigen. Es er- gaben sich z. B. für den unter 3. zitierten Versuch vom 1. Nov. 1921 zu der angegebenen Spannungsreihe folgende Spannungsschwankungen: 0,016, 0,020, 0,077 und 0,175 Volt. 5. Setzt man aber wieder diese Spannungsschwankungen zur an- gelegten Spannung in Beziehung (prozentuale Spannungsschwankungen), so erhält man dieselben Zahlenwerte wie bei den prozentualen Wider- standsschwankungen, und es zeigt sich daher auch bei diesen, mit Aus- nahme des schon erwähnten Versuchs, kein deutlicher Gang. Es soll hier kurz erwähnt werden, daß bei europäischen Versuchs- personen die unter 3. und 5. angeführten Sätze insofern anders lauten, als die prozentualen Widerstands- und Spannungsschwankungen mil steigender Spannung deutlich abnehmen. Es ist wohl möglich, daß tiefere Gründe dafür vorhanden sind, da nach Dieter und Shou?) sich die Haut der mongolischen Rasse auch in anderer Beziehung, nämlich in Zahl und Verlauf der Capillaren, von der der europäischen unterscheidet. Wie schon oben erwähnt, werden die theoretischen Folgerungen dieser Versuche in einer späteren Arbeit besonders besprochen werden. !) Diese Zahlen sind jedesmal die Mittelwerte aus zahlreichen Einzelversuchen. 2) Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 28, 234. 1922. Das Kleinhirn als Regulationszentrum des sympathischen Muskeltonus. Von Prof. Dr. M. Camis. (Aus dem Physiologischen Institut der R. Universität zu Parma.) (Eingegangen am 9. November 1922.) Im 5. Hefte des 195. Bandes dieses Archivs (S. 525—526) ist eine interessante Mitteilung von X. Kure und Mitarbeitern mit demselben Titel, den ich diesen Zeilen gegeben habe, erschienen. Die Versuche sind natürlich nicht in jener vorläufigen Mitteilung von den Forschern genau beschrieben und ich bin nur mit ihren Resul- taten bekannt. Diese Resultate sind so ausgedrückt: „Aus den erwähnten Tatsachen schließen wir, daß das Kleinhirn als Re- gulationszentrum des sympathischen Tonus zu betrachten ist. Nach unserer Annahme empfängt das Kleinhirn die propriozeptiven Reize durch die Gowersche Bahn und die Flechsigsche Kleinhirnseitenstrangbahn hindurch und verschiedene zentripetale Einflüsse von Hirnnerven durch den Tractus cerebellonuclearis, und außerdem die Nachricht über die Kopfstellung im Raume durch das Labyrinth evtl. durch die Region des dritten Ventrikels; durch diese Impulse orientiert, gibt es jedem Muskel den sympathischen Tonus. Die Regulation im Kleinhirn wird mittels der betreffenden Bahn nach dem Großhirn gemeldet, der Befehl des Großhirns wird umgekehrt durch die entsprechende Bahn hindurch nach dem Kleinhirn geleitet, so daß die willkürliche Bewegung durch das Kleinhirn hindurch indirekt von dem sympathischen Tonus unterstützt wird.“ Ich glaube, daß es angemessen ist, die Aufmerksamkeit auf die Tat- sache zu lenken, daß ich aus Versuchen über das Labyrinth und das Kleinhirn, welche ich 1912—13 ausgeführt habe!), zu denselben Resul- taten gekommen war. Um diese Ähnlichkeit am kürzesten klar zu machen, werde ich nur wörtlich die Zeilen wiedergeben, mit welchen ich die VIII. Mitteilung anfing, in denen ich die Resultate der früheren Beiträge zusammenfaßte. „Angenommen, daß die nach Zerstörung der Bogengänge erfolgenden Er- scheinungen eine Veränderung des Mechanismus der reziproken Innervation darstellen (in den Organen, die ich betrachtet hatte), und da man bemerken kann, daß solche Veränderungen die Merkmale einer Aufhebung der sympathischen !) M. Camis, Contributi alla fisiologia del labirinto. Nota III. Fol. Neurobiol. 6, 138. 1912; Note IV, V, VI. Arch. di farmacol. sperim. e scienze aff. 12. 1912; Note VII e VIII. Fol. neurobiol. %. 1913. 442 M. Camis: Das Kleinhirn als Regulationszentr. d. sympathisch. Muskeltonus. Innervation derselben Organe zeigt, und da ich die Wichtigkeit der anatomischen Beziehungen zwischen N. octavus und nuclei tecti des Kleinhirns erwiesen habe, schließe ich, daß die Bogengänge die Funktion haben, die peripheren Reizungen nach dem Nucleus motorius tegmenti zu bringen, welcher als das autonome Zentrum eines Teils der doppelten Innervation der Muskeln zu betrachten ist.‘ „Dieser Teil der Innervation würde sympathischer Art sein, und das Kleinhirn würde somit als das cephalische Zentrum des autonomen Systems betrachtet werden.‘ Als Schluß derselben VILI. Mitteilung bemerkte ich, daß in den dort mitgeteilten Versuchen ‚‚wir einen neuen Grund haben zur Stütze meiner Behauptung, daß die Kleinhirnkerne (Nucleus motorius tegmenti Edinger) das Zentrum des cephalischen autonomen Systems darstellt, und daß der N. vestibularıs eine der wichtigsten afferenten Bahnen dieses Zentrums ist“. Meine schon seit 10 Jahren mitgeteilten Resul- tate stehen also im Einklang mit jenen von den japanischen Forschern und mit der allgemeinen Richtung ihrer Versuche (cf. auch Shimbo, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 195, S. 617). Dieser Hinweis auf meine früheren Resultate schien mir angemessen auch deshalb, weil sie in enger Beziehung mit modernen Forschungen über das Problem der doppelten Innervation und des Muskeltonus stehen. Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen; zugleich ein Bei- trag zur Schlagvolumfrage. Von Tierarzt Dr. L. Keller. (Aus dem Physiologischen Institute der Universität Graz.) Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. September 1922.) Sandborg und Worm Müller haben in ihren Studien über den Mecha- nismus des Herzens unter anderem auch bewiesen, daß die Ventrikel in der Systole sich nicht vollkommen kontrahieren, sondern daß immer noch ein Rest von Blut zurückbleibt. Sie untersuchten die Raumver- hältnisse beim totenstarren Ochsenherzen und nahmen an, daß bei stark ausgesprochenem Rigor mortis die ganze Muskulatur des Herzens so stark zusammengezogen ist, daß die Hohlräume kleiner sind als bei gewöhnlicher Systole. Von diesen noch bleibenden Hohlräumen machten die Autoren Abgüsse. Die Form der linken Kammer wird als ein sehr unregelmäßiger Konus, dessen Spitze nach unten gerichtet ist, be- zeichnet, die der rechten als halbmondförmig, die auch hier gegen den oberen Teil hin gleichmäßig zunimmt. Die beigefügten Abbildungen ersetzen zum Teil eine genauere Beschreibung. Untersuchungen über die Form der Herzkammern bei diastolisch erweiterten Herzen wurden nicht gemacht. Hesse beschreibt in seiner Arbeit ‚Beitrag zur Mechanik der Herz- bewegung‘ die Ergebnisse der Untersuchung am Hundeherzen. Er nahm die Herzen eines Paares von jungen Hunden gleichen Wurfes, da sich voraussetzen ließ, daß bei Übereinstimmung von Alter, Körper- größe und Gewicht zweier Tiere des gleichen Wurfes auch die Herzen übereinstimmende Dimensionen besitzen, was durch Messungen auch b>stätigt wurde. Hesse beschreibt in seiner Arbeit die Ausgüsse der Kammern, sowohl des dilatierten als auch des kontrahierten Herzens. Bei der kritischen Erwägung seiner Methode auf Berechtigung eines Vergleiches zwischen den von ihm erzeugten Abgüssen und den Formen des Herzens im lebenden Tiere führt er folgendes an: Da zur Erwei- terung Herzen verwendet wurden, die ihre Contractilität besaßen, so ist anzunehmen, daß die elastischen Eigenschaften nicht wesentlich gestört waren. Der Druck auf die inneren Wandflächen wurde dem Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 29 444 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; Drucke im Leben möglichst gleich gemacht. Die Form des Herzens und auch der Kammern ist hier nur von den elastischen Eigenschaften der Herzwand abhängig. Hesse glaubt nun die von ihm erzeugte diasto- lische Form — er füllte ein Herz unter wenigen Zentimetern Druck und brachte es in eine kalte, gesättigte Lösung von doppeltchromsaurem Kali — die typische nennen zu können, von der alle anderen, die unter Anwesenheit von akzessorischen Widerständen auf der Außenfläche des Herzens entstanden sind, nur Bruchstücke darstellen. Alle anderen diastolischen Formen lassen sich aus ihr ableiten, wenn man imstande ist, anzugeben, wie sich die Widerstände über die Herzoberfläche ver- teilen. Untersuchungen über die Form der Kammerhöhlen beim Katzen- herzen wurden von Loeb und Magnus angestellt. Die Form der diasto- lischen Kammerhöhle entspricht im allgemeinen der von Hesse be- schriebenen Form. Zur Erreichung einer maximalen Kontraktion ver- wendeten sie Digitalispräparate. An Längs- und Querschnitten der in Systole in 4proz. Formalinlösung gehärteten Herzen sieht man die rechte Kammerhöhle bis auf einen feinen spaltförmigen Raum völlig verschwunden. Auch unter der Atrioventrikularklappe ist im Gegen- satze zu den Versuchen von Hesse kein Hohlraum mehr vorhanden. Bei der linken Kammer fanden Loeb und Magnus eine stärkere Ver- kleinerung des Raumes als Hesse. Die Schnitte der diastolischen Herzen dürften die Form der normalen Diastole wiedergeben, weil jede abnorme Überdehnung fehlt und die Herzwand einfach im erschlafften Zustand ist. Ob aber im Leben eine derartige Kontraktion eintritt wie hier, ist nicht erwiesen. Die Verfasser wollten nur eine maximal mögliche Ver- engerung zeigen. Eine ausführliche Studie über den Bau des Herzmuskels stammt von Albrecht. Seine Untersuchungen zeigen die Struktur und Faser- richtung des Muskels, den Verlauf der Muskelfasern in Papillarmuskeln und. den verschiedenen Wülsten, die besonders genau beschrieben werden. Die Bezeichnung und Beschreibung ist teilweise neu von ihm eingeführt. Abgüsse der Kammern wurden nicht gemacht. Die genannten Autoren haben die Ausgüsse und Beschreibungen der Herzkammern aus verschiedenen Gründen gemacht. Ich konnte aber nirgends finden, daß Volumenmessungen dieser Ausgüsse vor- genommen wurden. Über Anregung Prof. Zoths soll mit dieser Arbeit, in der eine kleine Anzahl von Ausgüssen kontrahierter und erschlaffter Tierherzen näher beschrieben wird, auch der Frage näher getreten werden, ob es möglich ist, aus Volumbestimmungen der Ausgüsse der Herzkammern gewisse Schlüsse auf das mittlere Schlagvolumen zu ziehen. Vorher will ich die gebräuchlichsten Methoden zur Bestimmung des Schlagvolumens kurz anführen. zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 445 1. Berechnung des Schlagvolumens auf Grund des Fassungsver- mögens der Herzhöhlen. Dies ist die älteste und einfachste Methode. Stolnikow bestimmte so das Schlagvolumen des Hundeherzens vergleichsweise zu der unten erwähnten Methode. Er berücksichtigt bei dieser Bestimmung die Blutmenge, die im systolischen Herzen zurückbleibt, nicht, sondern mißt nur die Höhlen des dilatierten Ventrikels. 2. Berechnung des Schlagvolumens durch Eichung des die Aorta durchströmenden Blutes. Stolnikow bildet sich einen einfachen Kreislauf zwischen Aorta und rechter Vorkammer und bestimmt mit Hilfe eines dazu konstruierten Apparates die durchströmende Blutmenge. Diese Methode wurde durch Tigerstedt verbessert, der in die Aorta ascendens die Stromuhr einschaltet und unter natürlichem Druck die durch die Aorta strömende Blutmenge bestimmt. Weitere Versuche nach dieser Methode wurden von Seppä und Yamada gemacht. Lohmann konstruierte einen Apparat, der es ebenfalls ermöglicht, das Schlagvolumen des Herzens direkt zu bestimmen. Die Aorta wird durchschnitten, die aus dem zentralen Stumpf fließende Blutmenge aufgefangen und gemessen, in den peri- pheren Stumpf Ringersche Lösung eingelassen. Der Kreislauf ist also unterbrochen. 3. Berechnung des Schlagvolumens auf Grund von Eichung des Blutstromes einer peripheren Arterie. Aus dem Durchmesser der Aorta und der Blutgeschwindigkeit in ihr läßt sich die durchströmende Blutmenge berechnen. Volkmann kommt durch Überlegung zu einem Verhältnis der Blutgeschwindigkeit zwischen Carotis und Aorta. Es braucht also nur die Geschwindigkeit in der Carotis bestimmt zu werden, um das Schlagvolumen berechnen zu können. Zu diesem Zweck verwendete er das von ihm konstruierte Hämodromometer. An dessen Stelle wurden dann Stromuhren ver- wendet, wodurch die Methode verbessert und vereinfacht wurde. Neben der direkten Bestimmung der Stromgeschwindigkeit können die Ge- schwindigkeitsänderungen indirekt bestimmt werden. Beispiele dafür sind der Plethysmograph und der Gastachograph. Mit Hilfe der letzten Methoden bekommt man aber nur relative Werte für das Schlagvo- lumen. 4. Bestimmung des Schlagvolumens auf Grund der pulsatorischen Erweiterung zentraler Arterien. Aus den pulsatorischen Volumsschwankungen, die O. Müller und Veiel in der Fossa supraclavicularis an der A. subelavia aufnahmen und auf eine registrierende Flamme übertrugen, suchen sie für das Schlagvolumen Werte zu bestimmen; es handelt sich auch hier um relative Werte. A. Müller bestimmt das Schlagvolumen ausgehend 29% 446 L. Keller: Uber Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; von der Formel V=v», w, p?/D, wobei V das Schlagvolumen, v, die einem Kilogramm Körpergewicht zuströmende Blutmenge, w, der entsprechende Widerstand, p das Körpergewicht und D der mittlere Blutdruck oder Widerstand ist, was er gleichsetzt. 5. Bestimmung des Schlagvolumens auf Grund von Infusion fremder Substanzen ins Blut. Von verschiedenen Autoren wurden Substanzen, wie Ferrocyan- kalıum, Ferrocyannatrium, methämoglobinhaltiges Blut, Kochsalz- lösungen, Rhodannatrium usw. an einer Stelle in die Blutbahn ein- geführt und durch Blutproben an einer anderen Stelle nachgewiesen, dadurch die Umlaufszeit berechnet, die Blutmenge aus der Verdünnung des eingespritzten Stoffes und weiter dann das Schlagvolumen ab- geleitet. 6. Bestimmung des Schlagvolumens auf Grund des respiratorischen Gaswechsels. Das Prinzip dieser Methoden ist folgendes: Es wird die Menge Sauer- stoff bestimmt, die ein Tier in einer gewissen Zeit aus der eingeatmeten Luft aufnimmt, und die Menge Kohlensäure, die es abgibt. Gleich- zeitig mit diesem Versuch werden dem Tiere Proben von arteriellem und venösem Blute entnommen, in denen der Sauerstoff- und Kohlen- säuregehalt bestimmt wird. Die Differenz des Saurestoffgehaltes gibt an, wieviel jedes Kubikzentimeter Blut beim Durchlaufen der Lunge davon aufnimmt. Da man nun weiß, wieviel Sauerstoff beim Lungen- gaswechsel aufgenommen wurde, läßt sich die Blutmenge berechnen, die während der Versuchszeit die Lunge passiert hat. Blutmenge, ge- teilt durch die Zahl der Pulsschläge in der gleichen Zeit, ergibt das Schlasvolumen. Das gleiche Resultat wird erhalten durch Bestimmung des Kohlensäuregehaltes in beiden Blutproben und der an die Atmungs- luft abgegebenen Kohlensäuremenge. Außer der Kohlensäureabgabe wurde auch die Stickstoffabgahe zur Bestimmung des Schlagvolumens benützt. An Stelle der Sauerstoffaufnahme berechnet man die Auf- nahme von Stickoxydul. 7. Bestimmung des Schlagvolumens durch Messung der Volums- schwankungen des ganzen Herzens. Starling bringt das schlagende Herz im künstlichen Kreislaufe in ein Glasgefäß — Kardiometer — und registriert die Volumsschwankungen. Die Werte sind zunächst relativ, aber durch eine einmalige direkte üichung des Blutstromes in der Aorta kommt er auch zu absoluten Werten. Technik des Verfassers. Die Art, wie die Ausgüsse der Herzkammern gemacht wurden, lehnt sich nur sehr wenig an Methoden an, wie sie in der Literatur aufzufinden waren. Die meisten Versuche wurden mit Hundeherzen gemacht, schon wegen der Beschaffung zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 44T des Materials. Hundeherzen bekam ich vom Landestierspital. das andere Material lieferte das Grazer Schlachthaus. Die Hundeherzen stammen fast ausschließlich vom mit Strychnin vertilgten Hunden. Obwohl die Zeit der Entnahme der Herzen nach dem Tode zwischen 1—24 Stunden schwankte, wurden nur ausnahmsweise Herzen gefunden, bei denen beide Herzhälften vollkommen totenstarr waren. Meist war nur die linke Hälfte starr. Auch der Grad der Kontraktion bei den verschiedenen Herzen war schon anatomisch kenntlich sehr schwankend, voll- ständig war sie sehr selten. Bis zur weiteren Verarbeitung wurden die Herzen in frisches Wasser gelegt, weil dadurch eine Veränderung der Form, wie sie beim Liegen durch das Eigengewicht eintritt, vermieden wurde. Im Wasser lag das Herz nur leicht auf der linken Hälfte, wo infolge der dickeren Muskelpartie keine Abplattung zu bemerken war. Die oben befindliche rechte Kammer kollabiert dabei nicht, sondern sie zeigt einen Füllungszustand, der dem bei der Sektion gefundenen gleicht. Zur leichteren Herstellung der Ausgüsse wurden die Vorkammern in den Anulis fibrosis abpräpariert. Die Klappen lagen daher nicht in der Schnittfläche, sondern je nach der Größe der Herzen mehrere Millimeter bis 1 cm tiefer. Das mußte schon aus dem Grunde geschehen, weil die Klappenansatzstellen nicht die höchsten Punkte der auszugießenden Kammern waren und die über den Klappen liegenden Teile der Kammern bei einem Abpräparieren in der Höhe der Klappen mit der Ausgußmasse nicht gefüllt worden wären. Die Aorta und Arteria pul- monalis wurden knapp oberhalb der Semilunarklappen abgetrennt. Jetzt wurden mittels feiner Pinzetten unter Vermeidung von Druck und Zug die Blutgerinnsel aus den Kammern entfernt, dieselben vorsichtig mit Wasser ausgespült, die Wasserreste mit schmalen Filtrierpapierstreifen aufgesaust, die Herzen auch außen sorgfältig abgetrocknet und gewogen. Das weitere Verfahren mit den Herzen richtete sich nach dem Grade der Totenstarre und Kontraktion. 'Totenstarre kontrahierte Herzen zeigen eine der- artige Festigkeit des Herzmuskels, daß sie ohne jede Gefahr einer Veränderung ihrer Form in eine leichte Masse wie Sägespäne oder feinen Sand eingebettet werden konnten. Zur sicheren Fixierung in dieser Lage, und um auch jede spätere Form- veränderung hintanzuhalten, wurde ein sehr dünner Gipsbrei auf die Einbettungs- masse um das Herz herumgegossen. Es entstand so ein fester Mantel um das Herz, der leicht wieder entfernt werden konnte, weil er nicht so fest war wie ein reiner Gipsmantel. Nicht so einfach war es bei Herzen, die gar nicht oder nur teilweise starr waren. Diese wurden teils in Eiswasser zu Kältestarre gebracht, teils in 2proz. Sublimat- oder 4proz. Formaldehydlösung gehärtet. Daß durch das Liegen in der Flüssigkeit die Form der Herzkammern nicht verändert wird, ist schon erwähnt worden. Die kältestarr gemachten und gehärteten Herzen wurden jetzt wie die früheren eingebettet. Die Gefahr einer Formveränderung der schlaffen Herzen ist keine sehr große, denn ein einfacher Versuch, das schlaffe Herz mit Wasser zu füllen, zeigt, daß das Herz, wenn das Wasser aus einigen Zentimetern Höhe eingegossen wird, sich unter diesem geringen Druck derartig gleichmäßig füllt, wie es der Bau des Herzmuskels, der Papillarmuskeln und Sehnenfäden zuläßt. Es wurden auch Herzen vor Eintritt der Starre ausgegossen, nachdem sie durch mehrere, an der Kranzfurche angesetzte Haken derart auf- gehängt waren, daß eine Zerrung der Atrioventrikularöffnungen vermieden wurde. Solche Ausgußformen zeigten keine merkliche Veränderung gegenüber den Formen von gehärteten Herzen. Ob diese Form des Herzens der entspricht, die es während der Diastole im lebenden Tiere hat, ist nicht erwiesen. Die äußeren Einflüsse auf die Form der Herzkammern wurden auch von Hesse und Loeb und Magnus nicht berücksichtigt. Man wird berechtigt sein anzunehmen, daß das Herz sich 448 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; in seinem Baue und Spannungsverhältnissen derart seiner Umgebung, dem ihm zur Verfügung stehenden Raume und den Widerständen während des Lebens anpassen wird, daß es auch, aus dem Tierkörper herausgenommen, bei der Füllung unter einigen Zentimetern Wasserdruck infolge seiner Muskelspannungen wieder die Form annehmen wird, die es im lebenden Tiere zeigte und Abweichungen auf keinen Fall wesentliche sein werden. Die Form der Herzkammern ist im lebenden Tiere nicht immer gleich, sie ist abhängig von der Umgebung und vom Grade der Füllung. Das Schlagvolumen und damit der Füllungsgrad des Herzens ist keine konstante Größe, wie die verschiedenen Methoden zur Bestimmung des Schlag- volumens ergeben haben. Beim totenstarren Herzen fallen die nachträglichen Formveränderungen ganz weg, denn das Herz ist in der Form ausgegossen, die es im Kadaver hatte. Außer von Hundeherzen wurden auch Ausgüsse von Herzen des Schweines, Kalbes, Rindes und Pferdes gemacht. Der Vorgang war hier ähnlich wie beim Hundeherzen. Nur waren infolge der Größe der Herzen entsprechende Abänderungen notwendig. Die frisch aus den geschlachteten Rindern und Pferden heraus- genommenen Herzen wurden nach Abpräparieren der Vorkammern, Entfernung des Blutes aus den Kammern mit mehreren Haken, die am Rande der Atrio- ventrikularöffnungen derart angesetzt worden waren, daß eine Zerrung vermieden wurde, aufgehängt und so ausgegossen. Zum Ausgießen der Herzkammern wurde immer Gipsbrei verwendet. Ein zu dünner Brei hat den Nachteil, daß die Masse nicht entsprechend hart wird, besonders in den feineren Spalten, wo trotz des Aufsaugens mit Filtrierpapier Wasser zurückbleibt und nochmals eine Verdünnung des Breies eintritt und dann beim Abpräparieren des Muskels einzelne Teile des Ausgusses abbrechen. Ein zu dicker Brei dringt wieder schwer in die Fugen ein. Am meisten verwendet wurde ein Gemisch von 3 Teilen Wasser und 4 Teilen Alabastergips.. Da nun ein derartiger Gipsbrei verhältnismäßig langsam erstarrt, ein rasches Festwerden aber von Vorteil ist, wurde ein Drittel des Wassers durch eine konzentrierte Alaun- lösung ersetzt, die aber erst knapp vor dem Ausgießen zugesetzt wurde. Um die Kammern vollständig zu füllen, genügt es nicht, nur bis zum Klappenansatz zu füllen, sondern bis zum abpräparierten Rand, und um ganz sicher zu sein, daß der Gipsbrei bis zu den Semilunarklappen aufsteigt, ist es gut, wenn man dem Herzen eine schwach gegen die A. pulmonalis geneigte Stellung gibt. Die aus- gegossenen Herzen blieben 1—4 Tage ruhig stehen, wobei zu beachten ist, daß das Herz von dem Mantel ganz eingeschlossen ist, damit der Muskel nicht aus- trocknen kann. Das nun folgende Herauspräparieren des Ausgusses muß sehr vorsichtig und, ohne zu zerren, geschehen, weilsonst durch die den Ausguß durch- ziehenden Sehnenfäden einzelne Teile desselben abgebrochen werden. Besondere Vorsicht ist beim rechten erweiterten Herzen notwendig, weil die zwischen den vielen Muskelbalken am unteren Rande befindlichen Anhängsel des Ausgusses sehr leicht abbrechen. Schwieriger ist das Herausschälen des Ausgusses aus dem im Formalin gehärteten Herzen. Am besten ist es, die Herzmuskulatur in einzelnen Fasern vorsichtig in ihrer Richtung herunterzuziehen, besonders die Fasern der innersten Schichte, weil sie die gleiche Richtung haben wie die Leisten und Kämme des Ausgusses. Muskelteilchen, die tiefer in den Ausguß hineinreichen, bleiben vorläufig noch daran. Sehr leicht bricht auch der in die Aorta führende Teil der linken Kammer, der Ausguß des Conus ateriosus, bei Zerrungen der Mitralis. Die Ausgüsse wurden bei 40° getrocknet, die über den Atrioventrikular- und Semi- Junarklappen befindlichen Gipsteile abgeschabt und die noch vorhandenen Reste der Sehnenfäden und Muskelteilchen entfernt. Zur Volumbestimmung wurden die Ausgüsse mit Paraffin durchtränkt, indem die kleineren Ausgüsse in geschmol- zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 449 zenes Paraffin gelegt wurden, bis keine Luftbläschen mehr aufstiegen, größere aber damit bestrichen wurden. Die eigentliche Volumbestimmung geschah durch Eintauchen in Wasser und Bestimmung der Wasserverdrängung. Bei den kleinen Ausgüssen wurden gewöhnliche Meßzylinder verwendet, und zwar, um ein möglichst genaues Resultat zu bekommen, immer der kleinste, in den der Ausguß noch hineinging. Zur Volumbestimmung der großen Ausgüsse verwendete ich die Volummeßwanne von Zoth. Sie geschah sowohl durch einfache Ablesung der ver- drängten Wassermenge als auch durch Nachgießen von Wasser bis zur Marke im seitlichen Steigrohr auf die gleiche Höhe, auf die sie bei eingelestem Ausguß eingestellt worden war. Bei einiger Übung ergaben diese Methoden bei verschie- denen Messungen keine größeren Differenzen als 1/,—1!/;,%. Es wurde stets von mehreren Messungen das Mittel genommen. Beschreibung der Ausgüsse. Bei der Beschreibung der einzelnen Ausgüsse soll die anatomische Lage des Herzens im Tierkörper nicht berücksichtigt werden, sondern sie werden so beschrieben, als stehe das Herz auf der Spitze und die Basis sei horizontal; oben ist also die Basis, unten die Spitze. Als Innen- flächen werden die der Scheidewand zugekehrten Teile bezeichnet, als Vorderfläche des linken Ausgusses die Fläche des vorderen Papillar- muskels, die Hinterfläche entsprechend dem hinteren, die Kante zwischen diesen beiden als Außenkante, die Kante zwischen Vorder- und Innen- fläche als Vorderkante, die zwischen Hinter- und Innenfläche als Hinter- kante. Ein oberer Fortsatz entspricht dem Conus arteriosus, der immer an der Innenfläche liegt und als Konusfortsatz bezeichnet wird. Beim Ausguß der rechten Kammer sind nur zwei Flächen zu benennen: die der Scheidewand anliegende Innenfläche und die der Außenwand an- liegende Außenfläche. Der obere Fortsatz der rechten Kammer ent- spricht wieder dem Conus arteriosus, der vorne liest und ebenfalls als Konusfortsatz bezeichnet wird. An ihm beginnt die Vorderkante. Als Hinterkante wird die an der Basis gegenüber dem Konusfortsatze beginnende Kante bezeichnet. Den Ausdruck Unterkante verwende ich nur bei den systolischen Ausgüssen, und er bedeutet dann die unter . der Basis liegende Kante. Beim diastolischen Ausguß entfällt diese Kante, sie fließt mit der Vorderkante zusammen. Als Oberkante wird die von der Basis zum Konusfortsatz ziehende Kante bezeiehnet. Die Ausgüsse sind rein als solche beschrieben worden. Die Kammer- innenwände bilden die Matrizen dazu. Mulden, Rinnen, Furchen, Wülste, Kanäle, Höcker usw. der Ausgüsse entsprechen in leicht ver- ständlicher Weise den Konfigurationen der Herzmuskelwülste, -höcker, leisten, -furchen, Papillarmuskeln usw. der Ventrikelinnenwände. Versuch I. Systolisches Pferdeherz. Der Ausguß der linken Kammer hat annähernd die Form einer spitzen drei- seitigen Pyramide. Die Basis ist ungefähr elliptisch. Die 3 Kanten beginnen ganz 450 L. Keller: Uber Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen : nahe derselben und laufen ziemlich gerade zur Spitze, die etwas nach außen und hinten gebogen ist. Die Außenkante zeigt von der Basis weg verschiedene sekun- däre kleinere Kämme und dazwischen flache Rinnen, von der Hälfte weg beschreibt sie bis zur Spitze einen nach innen gerichteten Bogen. Die Hinterkante nimmt an einem kleinen Höcker an der Basis ihren Ursprung und sendet in ihrem Verlauf verschiedene Leisten, die unter einem sehr spitzen Winkel abzweigen, auf die Innenfläche in der Richtung gegen den Konusfortsatz. An dessen Vorderfläche beginnt die Vorderkante als ein undeutlicher Kamm, der erst am Beginn des zweiten Drittels schärfer hervortritt und einen leichten, nach vorwärts gerichteten Bogen zur Spitze beschreibt. Die Innenfläche ist leicht gewölbt, zeigt viele Leisten mit dazwischenliegenden Rinnen, die alle gegen den Konusfortsatz zu laufen. Eine von ihnen setzt sich als flacher Kamm bis zum freien Ende desselben fort. Die Hinterfläche zeigt von der Basis weg eine tiefe Rinne, die senkrecht zur Basis verläuft und von 2 Kämmen, von denen der nach innen gelegene der mächtigere ist, begleitet wird. In der Mitte der Hinterfläche ziehen 2 ganz flache Kämme schräg von außen nach innen und aufwärts. Der letzte, ziemlich schmale Teit der Fläche ist ausgehöhlt. Die Vorderfläche, die ohne Grenze auf den Konus- fortsatz übergeht, ist im ersten Drittel gewölbt und hat mehrere senkrecht zur Basis verlaufende feine Rinnen. Neben der Außenkante ist eine größere, mit sekundären feinen Rinnen. An der Grenze zwischen erstem und zweitem Drittel beginnt eine Aushöhlung, die erst rasch an Tiefe zunimmt und gegen die Spitze zu wieder seichter wird. An der tiefsten Stelle der Aushöhlung sind einige kleine Löcher, die in ganz enge Kanäle hineinführen. Von der Spitze weg läuft 2 cm fast parallel mit der Außenkanie eine Leiste. Der Konusfortsatz, der mit dem Kammer- ausguß ein zusammenhängendes Ganzes bildet, hat in der Ebene der Basis einen trapezähnlichen Querschnitt. Seine Außenfläche ist ein wenig ausgehöhlt und bildet mit der Basis eine kleine Spalte. Die Innentläche ist gewölbt und hat 2 abgerundete Kämme. Der Ausguß der rechten Kammer ist ein flachgedrückter Körper von annähernd viereckiger Gestalt, dessen untere Seite halbmondförmig gebogen ist. Die Basis zeigt annähernd die Gestalt eines Dreieckes, von dessen innerem vorderem Winkel die Oberkante in einem nach unten gerichteten Bogen auf den Konusfortsatz geht. Die Hinterkante steht senkrecht auf dem hinteren Winkel der Basis und zeigt im ersten Teil einige Rinnen, verläuft dann als scharfer Kamm und geht in die Unterkante über, die in einem Halbkreis, der 4 Zacken mit entsprechenden Ausbuchtungen zeigt, zur Vorderkante zieht und ohne Grenze mit ihr verschmilzt. Die Vorderkante ist parallel zur Hinterkante und pflanzt sich auf den Konus- fortsatz bis zu dessen freiem Ende fort. Die Innenfläche ist ziemlich glatt und zeigt am oberen Teile Leisten und Rinnen, die alle zur Basis führen. Von vorn nach hinten ist sie flach ausgehöhlt und zeigt im unteren Teile 3 durch 2 flache Kämme getrennte Ausbuchtungen. 3 cm unter dem vorderen Winkel der Basis beginnt in einer Mulde ein Kanal von 5 mm Durchmesser, der schräg nach unten und außen zur Außenfläche führt. Über der Mulde befinden sich 2 linsengroße, warzenähnliche Höcker. Vor der Mulde beginnt eine flache Rinne, die schräg nach aufwärts über den Konusfortsatz bis zu dessen freiem Ende führt. Die Außenfläche ist gewölbt und zeigt an ihrem vorderen Teile parallele, schräg nach auf- und vorwärts zum Konusfortsatz ziehende Leisten mit flachen dazwischen- liegenden Rinnen. An der Basis beginnen normal zu ihr stehend mehrere kurze Leisten und ungefähr 1 cm vom Hinterrand eine etwas stärkere, die fast bis zur Unterkante geht. Vor dieser Leiste liegt in der Mitte der Fläche eine nach unten offene, durch einen Vorsprung in 2 Teile zerlegte Mulde. Im hinteren, größeren Teil sind einzelne kleine Löcher, die in enge Kanäle führen, während im zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 451 kleineren, vorderen, näher der Hinterkante zu liegendem Teil der schon erwähnte von der Innenfläche herkommende Kanal endigt. Am unteren Rand sind einige kurze Leisten, die schräg nach vor- und aufwärts ziehen. Versuch 19. Diastolisches Pferdeherz. Der Ausguß der linken Kammer zeigt annähernd die Form einer umgekehrten dreiseitigen Pyramide, die an der Basis etwas flach gedrückt ist. Die Außenkante beginnt an der Basis und beschreibt bis zur Spitze eine flache, langgezogene Spirale. Sie ist ein mächtiger Wulst, der im oberen Teile Leisten und Rinnen zeigt, im unteren Teil aber flach ist. Die Hinterkante beginnt erst an der Grenze des oberen und mittleren Drittels, bildet im mittleren Drittel einen hohen Kamm und wird dann wieder flach und undeutlich. Die Vorderkante beginnt als ziemlich scharfe Leiste am Konusfortsatz, bildet im mittleren Drittel einen höckerartigen Wulst, der Rinnen und Leisten zeigt, und verflacht im unteren Drittel. Sie beschreibt von ihrem Beginn bis zur Spitze, wie die Außenkante, eine flache, langgezogene Spirale. Die Innenfläche ist etwas vorgewölbt und ziemlich glatt. Vom Kamm der Hinterkante zieht schräg nach vorn und aufwärts ein Wulst, der von einer über ihm liegenden, flachen, breiten Rinne begleitet ist. Von der Vorderkante ziehen einige Rinnen senkrecht nach aufwärts. Die Vorderfläche hat die Gestalt eines sehr spitzwinkeligen Dreieckes und ist entsprechend dem spiraligen Verlauf der Außen- und Vorderkante gewölbt und gedreht. Im oberen Teil zeigt sie senk- recht zur Basis führende Rinnen; an der Grenze des oberen und mittleren Drittels ist eine flache Mulde, die nach oben durch Kämme begrenzt, nach unten offen ist und die Mündungen mehrerer Kanäle zeigt. Der obere schmale Teil der Hinter- fläche zeigt zur Basis führende Rinnen. Im mittleren Teil liegt eine große Mulde, nach vorn und unten offen, nach hinten aber von dem mächtigen Kamm der Hinterkante abgeschlossen. Von der Tiefe der Mulde führen einige Kanäle basis- wärts. Mit Ausnahme einiger niedriger Höcker ist diese Fläche glatt. Der Ausguß der rechten Kammer zeigt von der Seite gesehen die Form eines Dreieckes. Die Hinterkante läuft von der Basis etwas nach hinten und innen und zeigt viele unregelmäßige Höcker und meist querverlaufende Rinnen. Die Vorderkante beginnt am Konusfortsatz und ist ein mächtiger Wulst, der in einer langgezogenen, flachen Spirale zur Spitze zieht, und über den mehrere Rinnen parallel zur Hauptachse des Ausgusses von der Außen- zur Innenfläche ziehen, die durch höckerartige Kanten von einander getrennt sind. Die Innenfläche ist von vorn nach hinten ausgehöhlt und fast glatt. 3—4 cm unter der Basis liegt an der Hinterkante eine kleine, nach oben durch Leisten abgeschlossene, nach unten offene Mulde, die Mündungen mehrerer nach oben führender Kanäle zeigt. Außerdem sieht man die trichterförmigen Öffnungen von 3 zur Außenfläche führenden Kanälen. Eine flache große Mulde liegt zwischen Basis und Konus- fortsatz. Die Außenfläche ist sowohl von vorn nach hinten, als auch von oben nach unten gewölbt, letzteres besonders am Konusfortsatz, der einen fast kreis- förmigen Querschnitt zeigt. Die Außenfläche ist ziemlich glatt und hat nur ganz flache Höcker. 4 cm unter der Basis ist in der Mitte der Fläche eine kleine, nach unten offene, oben von einem bogenförmigen, stark vorspringenden Kamm über- dachte Mulde, von der zur Basis Kanäle führen. Unter ihr liegen die Öffnungen zweier zur Innenfläche führender Kanäle. Versuch 12. Systolisches Rinderherz. Der Ausguß der linken Kammer hat die Form eines sehr unregelmäßigen Kegels, dessen Basis die elliptische Atrioventrikuaröffnung und dessen Spitze nach abwärts gerichtet ist. Über die Basis erhebt sich an der Innenseite der mäch- 452 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; tige Konusfortsatz, der einen trapezähnlichen Querschnitt zeigt und einige Zenti- meter hoch ist. Er geht ohne deutliche Grenzen in die Hauptmasse des Ausgusses über. Diese zeigt im ersten Drittel die Form des Kegels deutlich, dann aber gleicht sie mehr einer sehr spitzen dreiseitigen Pyramide. Die Innenfläche ist ein schmaler Streifen, der von der Spitze weg zuerst ungefähr 8 mm, in den oberen 2 Dritteln aber 1,5—2 cm breit ist und die Innenseite des Konusfortsatzes bildet. Sie ist fast glatt und zeigt nur an der Spitze einen niedrigen Kamm. Von ihr laufen die begrenzenden Kanten parallel und bilden einen leichten Bogen nach vorn. An der Grenze des unteren und mittleren Drittels bildet die Hinterkante einen flachen Höcker, über den ungefähr parallel zur Hauptachse eine schmale Rinne zieht. Nach diesem Höcker wird die Kante 2 cm undeutlich, erst gegen den Konusfortsatz hin tritt sie wieder hervor und geht auf diesen fort. Die Vorderkante zeigt eine 2 cm lange flache Aushöhlung mit 2 kleineren sekundären Einkerbungen, von denen die basiswärts gelegene in eine kleine Rinne führt. Oberhalb dieser teilt Abb. 1. Versuch 12, Rind, systolisch ?/, nat. Größe, Gewicht 920 g, Vol. r. 24, 1. 24 cem!). sich die Kante in einem Winkel von ungefähr 45°, wobei ein Schenkel verschwom- men zum Fortsatz führt, während der andere als scharfer Kamm 1%/, em weiter- läuft. Die Außenkante geht von der Spitze weg in einem sehr flachen, gegen die Achse zugekehrten Bogen bis zur Grenze des mittleren und oberen Drittels, bildet einen kleinen Höcker, teilt sich unter einem sehr spitzen Winkel und verschwindet auf dem Mantel des Kegels. Die Formen der Vorder- und Hinterfläche sind zum größten Teil durch die beschriebenen Kanten schon gegeben. Die Vorderfläche ist von der Spitze weg kaum merklich vorgewölbt, wird im mittleren Drittel breiter und bildet eine starke Ausbuchtung, in der ein Kamm liegt, der mit der Vorder- kante eine nach unten offene Aushöhlung begrenzt. Im oberen Drittel bildet sie einen Teil des Kegelmantels und des Konusfortsatzes. Die schmale Hinterfläche ist von der Spitze weg bis über den Höcker der Hinterkante hinaus ausgehöhlt. Im oberen Drittel ist sie breiter und gewölbt. Eine schmale, tiefe Rinne, die ein Stück gegen die Grenze zwischen Basis und Konusfortsatz hinzieht, mündet in 1) Die Gipsausgüsse wurden zur Aufnahme mit ihrer Längsachse vertika* gestellt und mit ihren Außenflächen um 90° nach vorn gedreht, was an nur einer Aufnahme den besten Überblick über Form und Größe ermöglicht. Der Ausguß des linken Ventrikels steht in den Doppelfiguren rechts. zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 453 einen kleinen Kanal. Auf dem Mantei des Kegels sind zahlreiche, verschieden große Leisten und Rinnen, die senkrecht zur Basis führen. Der Ausguß der rechten Kammer zeigt die Form eines breitgezogenen W, dessen Schenkel sehr massig sind. Im Gegensatz zum Ausguß der linken Kammer ist er breitgedrückt. Außen- und Innenfläche stoßen an den Kanten zusammen. Die Basis hat die Form eines spitzwinkeligen Dreieckes, dessen spitzer Winkel hinten liest. Die an ihm beginnende Hinterkante läuft in einem nach hinten gerichteten Bogen, der eine kleine Ausbuchtung zeigt, zur Unterkante. Diese bildet nach oben einen halbkreisförmigen Bogen, der durch einen kleinen Vor- sprung in 2 ungleiche Teile geteilt wird. Die Vorderkante läuft fast gerade vom Konusfortsatz zur Spitze und hat zur Basisebene eine Neigung von 60°. In ihrem Verlauf wird sie von 2 flachen Rinnen unterbrochen. Die Oberkante geht vom vorderen, inneren Winkel der Basis zum Fortsatz, bildet zwischen beiden eine Ausbuchtung, an deren tiefster Stelle eine schmale Spalte liegt. Die Innenfläche ist fast glatt, ausgehöhlt und zeigt nur in der Nähe der Hinterkante einen senkrecht zur Basis verlaufenden Kamm, der beiderseits von feinen Rinnen begleitet ist. Die Innenfläche des Konus- fortsatzes zeigt außer der Aushöhlung von vorn nach hinten auch eine von unten nach oben. Die stark gewölbte Außenfläche ist durch die schon angeführten Kanten begrenzt und unter- scheidet sich durch unregelmäßige Rinnen und Kämme von der glatten Außenfläche des Konus- fortsatzes. Zu dessen Achse parallel verläuft eine flache, breite Rinne, die gegen die Aus- buchtung der Unterkante hinzieht und von niedrigen, breiten, undeutlichen Kämmen be- gleitet ist. Unter der Basis ist eine mulden- artige Aushöhlung, die nach vorn mit der Rinne des Konusfortsatzes verschmilzt, nach rück- wärts durch zwei, eine kleinere Rinne einschlie- Bende Kämme abgegrenzt ist. Versuch 11. Diastolisches Rinderherz. Der Ausguß der linken Kammer gleicht annähernd einer umgekehrten dreikantigen Py- ramide, deren Spitze von der Hauptachse nach außen und vorn verlegt ist. Der die Basis über- ragende massige, plumpe, kurze Konusfortsatz ist durch eine schmale, tiefe Rinne von ihr Abb.2. Versuch 11, Rind, diastolisch, getrennt, zeigt aber sonst nirgends eine Grenze '/. nat. Größe, Gewicht 1040g. Linke zum Körper der Pyramide. Die Außenkante En Vo aa con: beginnt undeutlich an der Basis, trennt als mächtiger Wulst die Vorder- und Hinterfläche, bildet in seinem Verlauf einen leichten Bogen nach vorn, biegt dann nach hinten zur Spitze um, verflacht dabei immer mehr und wird ganz undeutlich. Der wulstige Teıl zeigt Höcker und flache Rinnen. Die Hinterkante ist nur im mittleren Drittel gut entwickelt, wo sie einen mächtigen Höcker bildet, der von unregelmäßigen Rinnen durchzogen ist; schräg nach vorn und oben zieht von ihm zur Außenkante eine Leiste; gegen den Konusfortsatz sendet er nach hinten und oben eine breite flache Erhabenheit. Im unteren Drittel ist die Hinterkante ganz verflacht. Die Vorder- kante, die stärkste und deutlichste, beginnt erst einige Zentimeter unter der Basis 454 L. Keller: Uber Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; und verläuft als starker Wulst in einer nach innen gerichteten, flachen Spirale fast bis zur Spitze. Die einzelnen Flächen sind infolge der nur teilweise ent- wickelten Kanten nicht überall deutlich getrennt. Die Vorderfläche ist unter der Basis gewölbt und von einigen kleinen Rinnen durchzogen, zeigt gegen Innen- und Hinterfläche keine Grenze. Eine große tiefe Mulde, deren tiefster Punkt ungefähr 6 cm unter der Basis liegt, ist nach oben durch eine Leiste scharf be- grenzt, verflacht gegen die Spitze allmählich und zeigt 2 trichterförmige Öffnungen von zur Basis führenden Kanälen. Von der Mitte an ist die Vorderfläche bis zur Spitze wieder gewölbt, ähnlich einem Kegelmantel, und hat einige flache Höcker. An der Hinterfläche liegt an der Grenze des oberen und mittleren Drittels eben- alls eine tiefe Mulde, von der ein Kanal zur Basis hinaufzieht. Nach oben ver- Abb. 3. Versuch 11, Rind, diastolisch, !/, nat. Größe, Gewicht 1040 g. Rechte Kammer, Vol. 570 ccm. schmälert sie sich allmählich zu einer Rinne, die bis zur Basis reicht und beider- seits von einer Leiste begleitet ist, nach unten verflacht sie. Der unterste Teil der Hinterfläche ist wieder gewölbt, zeigt einige Höcker und verschmilzt mit Vorder- und Innenfläche. Diese ist in ihrem unteren Drittel gewölbt, im mitt- leren zeigt sie eine parallel zur Vorderkante verlaufende sehr breite, aber flache tinne. Das oberste Drittel ist stark gewölbt und bildet die Innenfläche des Konus- fortsatzes. Der Ausguß der rechten Kammer zeigt von den Flächen gesehen die Gestalt eines Dreieckes. Die Hinterkante beginnt an der Basis in einem stumpfen Winkel und geht, viele unregelmäßige Höcker und Rinnen bildend, zur Spitze, die von der Hauptachse nach innen und hinten liest. Die Vorderkante ist ein mächtiger Wulst, der am Konusfortsatz beginnt und in einer flachen, nach hinten laufenden Spirale zur Spitze geht. Über den Wulst ziehen zahlreiche Rinnen von der Außen- zur Innenfläche. Diese ist ausgehöhlt und zeigt an der Grenze des oberen und mittleren Drittels in der Nähe der Hinterkante zwei kleine, untereinander liegende zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 455 Mulden, von denen enge Kanäle zur Basis führen. Eine größere Mulde liegt zwi- schen Basis und Konusfortsatz, von der ein größerer Kanal schräg nach unten und außen zur Außenfläche zieht. Die Außenfläche ist sowohl von vorn nach hinten als auch von oben nach unten vorgewölbt; letzteres besonders am Konus- fortsatz. An der hinteren Hälfte ziehen zahlreiche Leisten parallel zur Vorder- kante. In der Mitte liegt 3—4 cm unter der Basis eine nach unten offene, oben von einem scharfen Kamme überdachte Mulde, von der mehrere Kanäle zur Basis führen, und eine Rinne einige Zentimeter schräg nach unten und vorn zur Mün- dung des oben erwähnten Kanales. Der vordere Teil der Außenfläche ist glatt. Von der Basis zieht eine etwas ausgehöhlte Fläche zum Konusfortsatz. Versuch 14. Systolisches Schweineherz. Die Form des Ausgusses der linken Kammer hat eine sehr unregelmäßige Gestalt, erinnert entfernt an eine umgekehrte, dreiseitige Pyramide, deren Spitze von der Hauptachse nach vorn und innen liegt. Die Vorderkante beginnt an der Basis, mit ihr einen stumpfen Winkel bildend, und geht fast gerade zur Spitze. Die Außenkante beginnt an ei- nem starken Wulst an der Basis und steht senkrecht zu ihr. In der halben Höhe biegt sie in einem rechten Winkel nach innen um, bildet einen kleinen Aus- schnitt und läuft schräg nach innen und vorn zur Spitze. Die Hinterkante ist von ihrem Ur- sprung an ein undeutlicher Kamm, der in der halben Höhe einen stark vorspringenden, von einem kleinen Kanal durchzoge- nen Höcker bildet. Die Vorder- fläche ist dreieckig und fast bis zur Basis tief ausgehöhlt, glatt Abb. 4. Versuch 14, Schwein, systolisch, !/, nat. Größe, und zeigt parallel zum oberenTeil Gewicht 245 g, Vol. r. 20, 1. 3,7 cem. der Außenkante eine schmale Rinne. Die Hinterfläche ist durch einen vom Höcker der Hinterkante zur Außen- kante laufenden Kamm in 2 Teile geteilt. Der obere zeigt senkrecht zur Basis stehende Rinnen und Leisten, der untere dreieckige Teil hat kleine Mulden, die zu engen Kanälen führen. Die Innenfläche besitzt im unteren Teil parallel zur Achse verlaufende Rinnen und Leisten, gegen die Spitze zu zieht ein stark ent- wickelter Kamm, ein anderer zum Konusfortsatz. Der obere Teil der Innen- fläche ist glatt. Der Konusfortsatz hat eine gewölbte Innenseite und eine aus- gehöhlte der Basis zugekehrte Außenseite, beide sind durch scharfe Kämme ge- trennt. Zwischen ihm und der Basis ist eine schmale tiefe Furche. Der Ausguß der rechten Kammer ist flach gebogen und zeigt die Form eines lateinischen W. Die 2 Flächen stoßen mit Ausnahme an der Basis überall in Kanten zusammen. Die Basis hat die Form eines Dreieckes, von dem 2 Winkel nach vorn und einer nach hinten gelegen ist. An diesem beginnt die schräg nach unten und hinten laufende Hinterkante, die einen kleinen Höcker zeigt. Von der hin- teren Spitze geht die Unterkante schräg nach vor- und aufwärts, biegt in einem rechten Winkel um, teilt sich in 2 Kanten, die eine kleine Mulde begrenzen, und wird durch eine tiefe Rinne, die nach innen, vorn und aufwärts führt, unter- brochen. Sie wendet sich wieder nach unten und trifft in der vorderen Spitze 456 L. Keller: Uber Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; mit der Vorderkante zusammen. Diese läuft in einem flachen Bogen, durch einige flache Rinnen unterbrochen, bis zum freien Ende des Konusfortsatzes. Die Ober- kante geht von der Basis zum Konusfortsatz. Sie beginnt als kleine dreieckige Fläche, die durch eine schmale tiefe Furche von der Basis getrennt ist, wird dann ein kurzer scharfer Kamm, der sich am Konusfortsatze verliert. Die Innenfläche ist glatt. In der Nähe der Hinterkante sind 2 kleine zusammenhängende Ver- tiefungen, von denen jede zu einem engen, gegen die Basis laufenden Kanal führt. Die bei der Unterkante angeführte Rinne ist teilweise geschlossen, bildet einen Kanal, der wieder in eine tiefe, schmale, von starken Leisten begleitete Rinne übergeht und in der flachen Mulde mündet, die die Innenfläche des Konusfort- satzes bildet. Vom unteren Teil der Vorderkante ziehen einige Leisten schräg nach vorn und aufwärts. Die Außenfläche ist gewölbt und zeigt viele Leisten und Rinnen, die alle mit der Achse des Konusfortsatzes parallel laufen. Eine breitere, von 2 starken Kämmen gebildete Rinne beginnt an der Hinterkante und zieht gegen die Basis. Eine größere Leiste beginnt an der vorderen Spitze und geht zum Konusfortsatz, dessen freies Ende 3 sternförmig zusammenstoßende Kanten zeigt. Versuch 17. Diastolisches Schweineherz. Der Ausguß der linken Kammer hat annähernd die Form einer dreiseitigen Pyramide. Die Basis ist elliptisch und wird von dem plattgedrückten Konusfortsatz Abh. 5. Versuch 17, Schwein, diastolisch, '/; nat. Größe, Gew. 420 g, Vol. r. 79, 1. 58 cem. überragt. Die Spitze liegt nicht senkrecht unter dem Mittelpunkt der Basis, son- dern ist mehr nach hinten und außen gelegen. Die Außenkante beginnt als deut- licher Kamm an der Basis und läuft in einem nach vorn gerichteten Bogen zur Spitze. Die Vorderkante, die an der Grenze zwischen Konusfortsatz und Basis entspringt, ist im oberen Drittel etwas ausgehöhlt und biegt dann in einem großen Bogen nach hinten und außen zur Spitze um. Die Hinterkante tritt erst an der Grenze des ersten und zweiten Drittels deutlich hervor und gleicht in ihrem wei- teren Verlauf bis zur Spitze, wobei sie sich etwas nach außen biegt, mehr einem breiten Wulst, über den schräg nach oben und innen einige kurze Rinnen ziehen. Die Innenfläche, die in ihrem oberen Drittel gegen die Hinterfläche keine deut- zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 457 liche Abgrenzung hat, ist im oberen Teile glatt und zeigt nur eine Leiste, die zum hinteren Rande des Konusfortsatzes führt. In ihrem unteren Teil zeigt sie eine an der Spitze beginnende, neben der Vorderkante verlaufende Rinne, die an der Grenze des mittleren und unteren Drittels durch einen Kamm geteilt wird. Parallel zu ihr läuft nach vorn gelegen eine kürzere Rinne. Der obere glatte Teil der Innenfläche geht ohne Grenze in die Innenfläche des Konusfortsatzes über. Die Vorderfläche ist mit Ausnahme des unter der Basis liegenden Teiles ausgehöhlt. Die Aushöhlung beginnt unten und nimmt immer mehr zu, ist an der Grenze des oberen und mittleren Drittels am stärksten und nach oben durch einen halbkreis- förmigen Kamm abgeschlossen; parallel zur Außenkante, dicht neben ihr liegend, läuft eine tiefe Rinne weiter, die zu einem engen, nach aufwärts führenden Kanal zieht. Neben der Vorderkante liegt, von der Aushöhlung durch einen scharfen Kamm getrennt, eine große Rinne, die durch einen kurzen engen Kanal mit der Innenfläche in Verbindung steht und nach unten hin durch eine kurze Leiste in 2 Teile zerfällt. In der Aushöhlung sind 2 flache Höcker sichtbar; außerdem die Öffnungen einiger enger, nach oben zur Basis ziehender Kanäle. Die Hinterfläche zeist ebenfalls eine Aushöhlung, die an der Spitze beginnt und wie eine breite Rinne neben der Hinterkante nach aufwärts zu einer halbkugelförmigen, an der Grenze des oberen und mittleren Drittels liegenden Höhle zieht, die von oben durch einen stark vorspringenden Kamm überdacht ist. In ihr sind die Öffnungen einiger aufwärts ziehender, enger Kanäle. Von der Höhle zieht schräg aufwärts zum Beginn der Außenkante eine Rinne, von der kleinere Rinnen und Kanäle abzweigen. An dem unteren Teil der Außenkante beginnen 2 stärkere Kämme, die steil nach hinten und aufwärts ziehen. Das obere Drittel der Außenfläche ist vorgewölbt und zeigt einige feinere Leisten und Kämme. Der Konusfortsatz ist flach, hat eine gewölbte innere und eine ausgehöhlte, der Basis zugekehrte Fläche, die in abgerundeten Kanten vorn und hinten zusammenstoßen. Das freie Ende zeigt eine schmale, unregelmäßige, streifenförmige Fläche. Von einer Fläche betrachtet, zeigt der Ausguß der rechten Kammer die Form eines stumpfwinkeligen Dreieckes. Die Spitze liest von der Hauptachse nach hinten und außen. Die Hinterkante beginnt an der Basis und läuft fast gerade zur Spitze, wo sie mit der Vorderkante zusammenstößt. Sie bildet in ihrem Ver- lauf verschiedene größere und kleinere Höcker, die durch kurze, tiefe Rinnen getrennt sind. Die Vorderkante beginnt am freien Ende des Konusfortsatzes und beschreibt bis zur Spitze eine flache, langgezogene Spirale. Über sie ziehen von der Außenfläche kommend, verschieden hohe und starke Kämme, die tiefe Rinnen einschließen. Die Innenfläche ist glatt und zeigt nur gegen die Basis hin einige flache Rinnen. An der Grenze des oberen und mittleren Drittels liegt an der Hinterkante eine tiefe, erbsengroße Aushöhlung, von der ein Kanal zur Basis und eine Rinne über die Hinterkante zur Außenfläche führt. An der Grenze zwi- schen Basis und Fortsatz liegt die Öffnung eines Kanales, der schräg nach unten und außen durch den Ausguß zieht. Oberhalb dieser Öffnung ist eine flache Mulde, die über die ganze Innenfläche des Konusfortsatzes bis zu dessen freiem Ende reicht. Die Außenfläche zeigt im Gegensatze zur Innenfläche kleinere und größere, teils kurze, teils längere Kämme, die alle schräg von unten nach vorn und auf- wärts ziehen. Gegen die Hinterkante zu ist sie mehr flach. In der Mitte der Außenfläche liest eine dreieckige Mulde, die nach unten offen ist. Von ihr führt eine Rinne schräg nach unten und hinten zur Spitze, eine kürzere nach vorn und aufwärts. Von kleineren, sekundären Vertiefungen führen einige kleine Kanäle zur Basis, ein größerer schon oben erwähnter durch den Ausguß zur Innenfläche. Innen- und Außenfläche des Konusfortsatzes verschmelzen mit den angrenzenden Flächen. Das freie Ende zeigt 3 sternförmig zusammenlaufende Kanten. 458 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; Versuch 7. Systolisches Hundeherz. Beim Ausgusse der linken Kammer sind deutlich 2 Teile zu unterscheiden, der unter der Basis liegende Körper und die von ihm nach abwärts gerichtete, dreiseitige Pyramide. Der Körper ist zylindrisch und zeigt einige kleine Rinnen und Höcker. An einem solchen beginnt die Außenkante und biegt in einem Viertel- kreisbogen nach innen und unten zur Spitze um. Die Vorderkante verläuft von der Basis zwei Drittel gerade nach unten und biegt dann nach hin- ten zur Spitze. Die Hinterkante beginnt an einem kleinen Höcker und ist unter dem Körper etwas ausgehöhlt. Die Innenfläche ist glatt und zeigt eine schräg von unten nach oben und vorn ver- laufende breite, flache Rinne. Die Vorderfläche ist unterhalb des Körpers stark ausgehöhlt; weni- ger ist die Aushöhlung bei der schmalen Hinterfläche entwik- kelt, und sie reicht auch nicht Abb. 6. Versuch 7, Hund, systolisch, nat. Größe, Ge- So weit zur Basis hinauf wie an wicht 43 g, Vol. r. 1, 1. 1,2 ccm. der Vorderfläche. Der Ausguß der rechten Kam- mer zeigt die Gestalt eines breitgezogenen W mit zwei nach unten gerichteten Spitzen. Die Hinterkante beginnt am Hinterrande der elliptischen Basis und geht gerade zur hinteren Spitze. Die Vorderkante“ beginnt am Konusfortsatze und läuft schräg nach unten und hinten zur vorderen Spitze. Beide verbindet Abb. 7. Versuch 35, Hund, diastolisch, nat. Größe, Gewicht 52 g, Vol. r. 9,7, 1. 9,2 cem. eine Kante, die einen flachen, nach oben gerichteten Bogen beschreibt. Die Innen- fläche ist mit Ausnahme einiger kleiner Höcker und zweier Mulden glatt. Eine hanfsamengroße Mulde liegt in der unteren Kante zwischen beiden Spitzen. Die Außenfläche ist glatt. Auf dem Konusfortsatz zieht eine Leiste schräg nach oben und vorn. ' zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 459 Versuch 24. Divastolisches Hundeherz. Der Ausguß der linken Kammer hat annähernd die Form einer dreikantigen Pyramide. Die Basis ist das Ostium atrioventriculare, das eine annähernd ellip- tische Form zeigt. Die Spitze liegt unter der Mitte der Basis. Von den 3 Seiten- flächen ist eine gewölbt und zwei ausgehöhlt. Diese beiden unterscheiden sich dadurch von einander, daß bei einer, der Vorderfläche, die Aushöhlung von der Spitze bis nahe an die Basis reicht, während bei der anderen, der Hinterfläche, nicht ganz zwei Drittel von der Spitze an gegen die Basis zu ausgehöhlt sind. Die Außenkante beginnt an der Basis und läuft in einer flachen Wellenlinie zur Spitze, indem sie sich von der Basis weg leicht gegen die Vorderfläche, im letzten Drittel aber wieder gegen die Hinterfläche zuwendet. Von ihr nimmt sie Kämme auf, die zu leichten Erhebungen der Kante führen. Die Vorderkante beschreibt von der Basis bis zur Spitze einen leichten, gegen die Innenfläche gerichteten Bogen und wird durch von der Innenfläche herkommenden Leisten unterbrochen. Die Hinterkante verläuft fast gerade von der Basis zur Spitze und hat zwischen erstem und mittlerem Drittel eine größere Einkerbung. Die Hinterfläche ist die kleinste der Seitenflächen; die Aushöhlung beginnt seicht an der Spitze und nimmt immer mehr an Tiefe zu, aber nicht gleichmäßig, sondern in der an die Hinterkante an- grenzenden Hälfte stärker. Der tiefste Punkt der Aushöhlung liegt ungefähr in der Hälfte der Höhe und nahe der Hinterkante. Von da weg nimmt die Aus- höhlung rasch ab. Das obere Drittel der Hinterfläche ist eben und wird von einigen feinen Rinnen durchzogen. Drei Kämme gehen unter einem sehr spitzen Winkel von der Außenkante weg gegen die Basis zu in die Hinterfläche. Die Aushöhlung der Vorderfläche wird von der Spitze weg immer stärker. Der tiefste Punkt liest an der Grenze des oberen und mittleren Drittels. Der an die Basis angrenzende Teil ist etwas gewölbt und von 4 größeren Rinnen durchzogen. Von der Spitze weg reichen 2 kurze Leisten, die mit der Außenkante einen sehr spitzen Winkel bilden, in die Aushöhlung. Die größte der 3 Flächen ist die gewölbte Innenfläche. Die Vorwölbung, die an der Spitze beginnt, allmählich stärker wird und auf den Konusfortsatz übergeht, ist gegen die Vorderkante zu stärker. Auf dieser Fläche sind mehrere kürzere und längere Leisten oder Kämme, die teils an der Spitze beginnen, teils an der Hinterkante und fast parallel zur Vorderkante verlaufen. Einer tritt besonders deutlich hervor. An der Spitze beginnend, bildet er mit der Vorderkante eine größere Rinne und setzt sich auf den Konusfortsatz weiter fort. Ein kleinerer Kamm beginnt an der Hinterkante und zieht zum Konusfortsatz. Das obere Drittel der Innenfläche ist frei von Leisten und Kämmen. Die der Basis zugewendete Fläche des Konusfortsatzes ist ausgehöhlt und zeigt einige ganz feine Rinnen. Der die Basis 1 cm überragende Konusfortsatz begrenzt sie an einem Drittel ihres Umfanges. Der Ausguß der rechten Kammerhöhle hat 2 große Flächen, eine ausgehöhlte Innen- und eine gewölbte Außenfläche. Diese hat ungefähr die Form eines Drei- eckes, ist doppelt gewölbt, und zwar von vorn nach hinten und von oben nach unten. Sie zeigt auf der hinteren Hälfte deutliche Leisten, die im Winkel zwischen Vorder- und Hinterkante beginnen, schräg nach vorn und aufwärts gehen und mit der Basis einen Winkel von ungefähr 45° bilden. Auf der vorderen Hälfte der Außenfläche sind nur schwach angedeutete Leisten, die parallel zur Vorder- kante verlaufen. Sie ist zum größten Teil glatt. Die Innenfläche hat eine ähn- liche Gestalt wie die Außenfläche, ist stark von vorn nach hinten ausgehöhlt und zeigt nur wenige schwache Kämme. Im Winkel zwischen Hinter- und Vorder- kante beginnt eine ungefähr 8 mm breite Rinne, die parallel mit der Hinterkante verläuft und 1 cm von der Basis entfernt in einer kleinen halbkugeligen Aushöhlung endet. Von der Innen- zur Außenfläche führt ein unregelmäßiger Kanal. Er Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 30 460 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; beginnt als flache Rinne und teilt sich mehrmals, ein Zweig führt gegen die Basis hin in eine erbsengroße Aushöhlung, einer zur Vorderkante, die an dieser Stelle eine starke Ausbuchtung zeigt, und ein Zweig führt zur Außenfläche. In der Mitte der Innenfläche ist eine kurze größere Rinne, die sehr breit beginnt und zu einer erbsengroßen halbkugeligen Aushöhlung führt. Die Hinterkante zeigt mehrere kleine, durch schräg verlaufende Rinnen getrennte, unregelmäßige Er- hebungen. Gleiche Erhebungen, nur viel größer und stärker und durch breitere Rinnen getrennt, hat auch die Vorderkante. Die Oberkante beginnt an der Basis, nimmt von der Außenfläche mehrere Leisten auf, verbreitert sich dann flächen- haft und bildet die dritte Seite des Konusfortsatzes. Sein freies Ende ist eine kleine niedrige, dreiseitige Pyramide. Betrachtungen über die Ausgüsse. Sandborg und Worm Müller beschreiben die von ihnen gemachten Ausgüsse des kontrahierten Ochsenherzens nur ganz allgemein. So- weit aus den ihrer Arbeit beigefügten Abbildungen zu ersehen ist, ist die Form der von mir erzeugten ähnlich. Es bestehen aber doch Unterschiede. Bei beiden fehlt bei Sandborg und Worm Müller der Ausguß des Conus arteriosus. Die bei der Abbildung der linken Kammer an der Basis sichtbare Linie, die einen Spalt darstellen soll, dürfte dem zwischen Conus arteriosus und Ventrikelhöhle liegenden Teil der Mi- tralis entsprechen. Der Spalt reicht zu der die Vertiefungen der Papillar- muskeln trennenden Leiste. Der Conus arteriosus würde also nach meiner Bezeichnung vor der Atrioventrikularöffnung liegen. Wie aus meinen Beschreibungen ersichtlich, liegt er aber der Scheidewand zu, also nach innen, und die Spalte verläuft parallel zur Scheidewand. Außerdem zeigt der Conus arteriosus im Querschnitt der Basisebene eine viel kleinere Fläche als die Basis und nicht die fast gleiche Größe, wie die Abbildung. Sie stellt die der Scheidewand abgekehrten Flächen dar, also nach meiner Bezeichnung die Vorder- und Hinterfläche mit den Vertiefungen der beiden Papillarmuskeln. Bei meinen Ausgüssen reicht im Gegensatz zur Abbildung die Vertiefung des vorderen Papillar- muskels näher zur Basis als die des hinteren. Auch beim Ausgusse der rechten Kammer ist keine volle Übereinstimmung mit meinen Be- funden zu bemerken. Bei meinen Ausgüssen zeigt die Basis die Gestalt eines spitzwinkeligen Dreieckes, bei dem der spitze Winkel hinten liegt, bei der Abbildung ist das hintere Ende am breitesten. Der Ausschnitt an der unteren Kante entspricht so ziemlich dem bei meinen Ausgüssen gefundenen. Genauere Vergleiche sind mit den Abbildungen nicht leicht möglich. Ein Vergleich mit den von Hesse gemachten Ausgüssen gibt im all- gemeinen keine Unterschiede. Nur scheint es, daß ich bei meinen unter Vermeidung von Druck nicht die Ausdehnung des linken Ventrikels erreicht habe wie Hesse. Ich mache die Vergleiche der einzelnen Aus- güsse, wie Hesse sie der Reihe nach beschreibt. Zum Vergleiche nehme zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 461 ich den Ausguß meines Versuches 33 als Beispiel, der mit meinen anderen im wesentlichen übereinstimmt. Meine Ausgüsse des linken Ventrikels zeigten mit Ausnahme des Ausgusses 30, wo die Füllung mit Druck geschah, nicht die Abrundung der unteren Spitze, wie Hesse sie be- schreibt, woraus ich schließe, daß meine ohne Druck gemachten Aus- güsse nie zu der Dehnung der Kammern führten, wie sie Hesse erhalten hat. Sonst stimmt die Beschreibung auch für meine Ausgüsse. Von den Wülsten der linken Kammer nennt Hesse drei, die beiden Papillar- muskel und den vorderen Längswulst. Albrecht gibt außer diesem Längswulste noch mehrere an, die aber scheinbar nicht so deutlich ausgeprägt sind, denn sonst hätte Hesse ihrer besonders Erwähnung getan. Den von Albrecht als vorderer und hinterer Aortenwulst be- zeichneten entsprechen vielleicht an meinen Ausgüssen Rinnen, die vorn und hinten am Fortsatz gegen die Basis hin liegen und nach unten verlaufen; nach meiner Beschreibung liegen sie an der Innenfläche und die vordere ist größer als die hintere, die nur als ganz schwache, flache Rinne sichtbar ist. Die Rinne des vorderen Aortenwulstes fällt bei meinen Ausgüssen mit der Rinne des vorderen Längswulstes zu- sammen. Albrecht beschreibt auch einen hinteren Längswulst. Diesem dürfte bei meinen Ausgüssen eine Rinne entsprechen, die an der Hinterfläche deutlich bemerkbar als etwas größere Rinne vor der Mulde des hinteren Papillarmuskels, von ihr durch eine starke Leiste getrennt, bis zur Basis nach aufwärts zieht. Der Längswulst des Septums zeigt sich als Rinne an der Innenfläche. Mit Ausnahme der Aortenwülste zeigen die anderen in ihrem Negative Leisten, woraus zu schließen ist, daß diese Wülste einen trabeculären Bau haben. Auch die Aus- höhlungen der Papillarmuskeln zeigen in ihrem unteren Teil Leisten. Ebenso wie beim dilatierten Ventrikel sind auch beim kontrahierten keine wesentlichen Unterschiede zwischen meinen Ausgüssen und der Beschreibung von Hesse. Der suprapapillare Raum ist ein kurzes zylin- drisches Stück. Vom interpapillaren Raum ist nur der kurze, oberste Teil, der zwischen Scheidewand und den freien Enden der Papillar- muskeln liegt, als niedrige, dreiseitige Pyramide ausgegossen. Die Beschreibung des rechten Ventrikels ist bei Hesse nicht so aus- führlich wie die des linken und gilt auch für meine Ausgüsse. Beim rechten Ventrikel berichtet Hesse nichts von den Mulden der Papillar- muskeln. Es sind bei Beschreibung des Ausgusses in Versuch 24 an der Innenfläche zwei Mulden angeführt. Der bei Versuch 7 be- schriebene Ausguß der rechten kontrahierten Kammer entspricht ebenfalls der Beschreibung Hesses. Als Beweis, daß auch bei der rechten Kammer nur der suprapapillare Raum bestehen bleibt, ist der Aus- schnitt am unteren Rande des Ausgusses anzusehen, der durch den Papillarmuskel gebildet ist. 30* 462 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; Tabelle der Ausgüsse. 2 Linke Kammer Rechte Kammer Ver Gewicht a suchs- | Tierart des Volum. | Volum. auf| Volum. | Volum. auf}| Anmerkung zahl | Herzens |d. Aus-| 100 g Herz-|d. Aus- 100 g Herz- | gusses | gewicht | gusses | gewicht 1 | Pferd 1150,0 | 29,4 | 2,5565 | 39,0 | 3,3913 |L-8, RS 32 | Hund. 42,0 2,5 5,9524 7,5 | 17,8572 |L-M, R—D 3 ya 63,0 8,0 12,6984 11,0, 17,4603 |L-D, R—D AR 98,0 10,6 |; 10,8163 22,0 | 22,4489 |L-D, R—D DaB ur 140,0 14,2 | 10,1444 28,5 | 20,3571IL-D, R—D Bl 75,0 8,5 , 11,3333 18,0 |, 24,0 L—-M, R—-D Ta 43,0 1,2 | 2,7906 1,0 | 2,3256 IL. S, RS Sale 94,0 3,0 | 31915 7,0 | 7,4468 IL-S, R—M 9 | Rind. 1470,0 | 634,0 | 43,1292 | 585,0 | 39,7959 |L—D, R—D OR 20 > 1420,0 | 600,0 | 42,2535 | 610,0 | 42,9577 |L-D, R—D 11 5 1040,0 | 432,0 | 41,5384 | 570,0 | 54,8077 |L—D, R—D 12 BER. 920,0 24,0 ı 2,6087 24,0 | 2,6087 |L-8S, R-S 13 | Hund. 58,0 3,8 | 6,5517 9,5 16,3965 IL-M, R—D 14 | Schwein 245,0 3,7 1,5102 20,0 | 81633 |L-8S, RS 15 || Hund... 53,0 3,0 , 5,6604 4,8 | 9,0566 IL-M. R-M oe 50,0 5,5 | 11,0 8:3 16,600 2 Dar 17 | Schwein 420,0 58,0 | 13,8095 79,0 | 18,8095 |L-D, R—D 18 | Hund. 39,0 1,4, 3,5897 | 7,5 | 19,2308 |L-S, R—D 19 | Pferd 1800,0 | 295,0 | 16,1111 | 740,0 | 41,1111 |L—-D, R—-D 20 | Hund. 61,0 2,2 , 3,6066 10,5 | 17,2131 |L—-S, R—D 21 | Kalb. 1440 | 35124575 | 50| 3402 mn 22 | Hund. 102,0 3,01. 2,9412.| 20,0 | 19,6084 |L-S, R—D 2 74,0 3,4 | 4,5946 13,8 , 18,6486 |L—S, R—D 24 3 127,0 11,0 | 8,6614 21,0 | 16,5354 |L—M, R—D 25 25 42,0 4,5 | 10,7143 11,0 | 26,1905 |L—M, R—D 26 | s 62,0 2,5 | 4,0323 7,0 | 11,2903 |L—S, R-—M Da 40,0 2,2.| 5,50 4,0 | 10,0 L—-M, R—-M 28 | Rind 1360,0 48,0 | 3,5294 41,0 | 3,0147 |L-S, RS 29 || Kalb 218,0 51,0 | 23,3945 40,0 | 18,3486 | L—-D, R—D 30. || Hund. . . 54,0 29,0 53,7037 17,0 | 31,4814 |L—D, R—D 31 1 Kalb. 184,0 14,6 | 7,9348 17,0 | 9,2391 |L—-M, R-—M 32 | Schwein . 139,0 11,0 | 7,9137 33,0 | 23,7381 |L—-M, R—D 33 Hunde: 52,0 9,2 , 17,6923 9,7 | 18,6538 |L—D, R—D 34 Rind . 1730,0 | 300,0 | 17,341 690,0 | 39,8843 | L-D, R—D Anmerkungen zur Tabelle: L Ausguß der linken Kammer, R der rechten. S starke Kontraktion des Ventrikels zur Zeit des Ausgießens, M mittlere, D wenig oder keine. In den Versuchen 1, 7, 12 und 14 wurden die totenstarren Herzen ohne jede Behandlung ausgegossen. Bei den Versuchen 9, 10 und 29 waren die Herzen 4 Tage in physiologische Kochsalzlösung gelegt, öfters geknetet und erst nach Lösung der Totenstarre ausgegossen. In den Versuchen 2—6, 8 und 13 wurden die Herzen in Kältestarre ausgegossen. Bei 11, 19, 31, 32 und 34 wurden die Herzen aus dem Tierkörper heraus- genommen, aufgehängt und mit Wasser gefüllt. Sie wurden erst nach 24 Stunden mit Gips ausgegossen. zugleich ein Beitrag zur Schlagvolumfrage. 463 Bei 15—18, 20—24 Härtung in 2proz. Sublimatlösung durch 2 Tage, bei 25—27 und 33 Härtung in 4 proz. Formalinlösung. In Versuch 30 wurde, um eine möglichst große Dehnung zu erzielen, die linke Kammer unter Druck mit Sand gefüllt und so gehärtet. Dieser Ausguß gibt daher keinen Aufschluß über die richtige Kammerform, sondern wird nur zur Volumbestimmung verwendet. Betrachtungen über das Schlagvolumen. Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß die rechten Kammern im all- gemeinen ein größeres Volumen zeigen als die linken. Schon Ellen- berger und Baum begründen dies damit, daß der Eintritt der Toten- starre wegen der geringen Stärke der Seitenwand in der rechten Kammer keine so bedeutende Zusammenziehung im Gefolge hat, wie bei der linken. Ich habe bei einer sehr großen Zahl von Schlachtrindern be- merkt, daß bei der Herausnahme der Herzen aus den Tierkörpern, was ungefähr 2—2!/, Stunden nach dem Schlachten geschah, nur aus- nahmsweise ein Herz noch schlaff war. ®/,—?/; der Herzen waren voll- kommen totenstarr und bei den restlichen ?2/,—!/, war die linke Hälfte des Herzens starr, während die rechte schlaff war. Ähnlich sind meine beim Hund gemachten Erfahrungen. Hier sind, obwohl ich die Hunde 2—6 Stunden nach der Vertilgung sezierte, Herzen, bei denen beide Hälften gleich starr sind, nicht häufig, meistens war nur die linke Kammer starr. Die Nachgiebigkeit der Muskulatur der rechten Kammer ist nach der Form zu schließen im Conus arteriosus am größten, denn von der Hinterkante nimmt die Dicke des Ausgusses gegen den Conus arteriosus keilförmig zu. Bei den Ausgüssen des Versuches 34 versuchte ich bei beiden nach Absägen der Coni arteriosi das Verhältnis zwischen ihnen und den eigentlichen Kammern zu bestimmen und fand bei der linken 260:55, das ist fast 5:1, bei der rechten 490:200, das ist etwas weniger als 5:2. Der Conus arteriosus der rechten Kammer ist also ungefähr doppelt so groß, als der der linken, was nur auf die größere Dehnbarkeit der Muskulatur zurückzuführen sein kann. Die größere Dehnbarkeit der rechten Kammer ist daher auch Ursache der bei meinen Ausgüssen bestehenden Unterschiede des Volumens der beiden Kammern. Die kleinsten Volumina der linken Kammer im Verhältnis zum Herz- gewichte waren: Pferd (1)*) 2,60, Rind (12) 2,6, Schwein (14) 1,5, Hund (7) 2,8, Kalb (21) 2,4; der rechten Kammern der gleichen Tiere: Pferd (1) 3,4%, Rind (12) 2,6, Schwein (14) 8,2, Hund (7) 2,3, Kalb (21) 3,5. Aus diesen Zahlen ist einerseits ersichtlich, daß auch beim kontra- hierten, totenstarren Herzen in der Mehrzahl der Fälle die rechte Kammer etwas größer ist. Beim Rind sind die Zahlen gleich, beim Schwein *) Die eingeklammerte Zahl ist die Versuchszahl. 464 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; die rechte auffallend größer, weil hier der Conus arteriosus besonders stark ist, wie aus der Beschreibung des Versuches 14 ersichtlich. Nur beim Hund ist sie kleiner. Ein Vergleich der Zahlen ergibt andererseits, daß mit Ausnahme des Schweineherzens die Zahlen der linken Kammern beim einzelnen Tiere nur um einige Zehntel schwanken, 2,4—2,8. Ich glaube daher annehmen zu dürfen, daß das dem Kontraktionszustande bei gewöhn- licher Totenstarre entspricht. Da das 1150 g schwere kontrahierte Pferdeherz im Verhältnis fast das gleiche Volumen hat, wie das 43 g schwere Hundeherz, ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß zwischen Herzgewicht und Differenz zwischen systolischem und diastolischem Inhalte (mittlerem Schlagvolumen im Leben) ein an- nähernd konstantes Verhältnis besteht, daß es daher bei den Vergleichen kein wesentlicher Fehler sein wird, wenn die auf 100 g Herzgewicht umgerechneten Kammervolumina der verschieden schweren Herzen einer Tierart zur Bestimmung des Schlagvolumens herangezogen werden. Zum Vergleiche werden auch die annähernd gleich schweren Herzen herangezogen. Ich will bei der Bestimmung des oben definierten Schlag- volumens mit dem Hundeherzen beginnen, weil von diesen die meisten Ausgüsse vorliegen, und will mich zuerst nur auf die linke Kammer beschränken, weil bei den Methoden zur direkten Bestimmung des Schlag- volumens immer nur das Volumen der linken Kammer bestimmt wurde. Herz 7, 43 g systolisch, Volumen 1,2 und Herz 33, 52 g diastolisch, Volumen 9,2, ergibt eine Differenz von 8,0 ccm. Es besteht dabei noch der Fehler, daß die Herzgewichte nicht gleich sind. Das Volumen des Herzens 7 auf ein 52g schweres umgerechnet ergibt 2,79x52=1,4 ccm. Der Fehler bei der ersten Bestimmung war also 0,2 ccm und das kor- rigierte Schlagvolumen ist 7,8 cem. (Die Zahlen sind alle auf Zehntel abgerundet.) Das Verhältnis zwischen Kammervolumen und Herz- gewicht will ich mit Hundertgrammvolumen bezeichnen, das ich mit Hv. abkürze. Das Hv. bei Versuch 33 ist 17,7 ccm, das ist das größte für ein Herz von 100 g Gewicht ohne Anwendung von Druck gefundene Volumen. Nachdem 100 g das Herzgewicht eines mittel- großen Hundes ist, will ich die weiteren Berechnungen für dieses Herz- gewicht machen. Bei einem Hv.von 17,7 ist das Schlagvolumen 14,9 ccm. Das Hv. schwankt aber in meinen Versuchen bei diastolischer Stellung der linken Kammer zwischen 6—12, ist im Durchschnitt 10, das entsprechende Schlagvolumen 3,2— 9,2 cem, im Durchschnitt 7,2cem. Bei Versuch 30 wurde versucht, durch Anwendung von Druck eine maximale Erweiterung zu erzielen und das Hv. ist 53,7, das entsprechende Schlagvolumen 53,7—2,8 = 50,9 cem. Das Schlagvolumen für einen mittelschweren Hund beträgt also nach meinen Untersuchungen 3,2 bis 9,2 bis 14,9, im künstlich erzielten Maximum 50,9 ccm. zugleich ein Beitrae zur Schlagvolumfrage. 465 Hesse kommt bei steigendem Druck von 10—377 mm Blut zu einem Ventrikelinhalt von 4,2—41,6 ccm. Das ist nicht Schlagvolumen, weil die Restmenge Blut der Systole nicht abgerechnet ist. Stolnikow gibt als Schlagvolumen eines 22 kg schweren Hundes 9—57 cem, eines 23 kg schweren 9—55 ccm an. Stewart bestimmt das Schlagvolumen von 27,9-—32,3 kg schweren Hunden mit 47—55 cem, von 10,5—18,2 kg schweren mit 27—47 cem. Die von Henriques und Zuntz angegebenen Zahlen für das Minuten- volumen pro 1 kg Körpergewicht sind nur schwer zu einem Vergleich heranzuziehen, weil die Umrechnung auf Schlagvolumen sehr weit auseinanderliegende Resultate ergibt. Henriques gibt als Minuten- kilogrammvolumen bei 8,5—21 kg schweren Hunden *39—86 ccm an. Nehme ich als Durchschnittszahlen 15 kg und 60 ccm, so ergibt das bei SO Pulsschlägen ein Schlagvolumen von 11 ccm, bei den äußersten Grenzwerten 4 und 23 cem. Zuntz fand ein Minutenkilogrammvolumen bei 3,5—8,5 kg schweren Hunden von 43—159 im Durchschnitt 83 cem. Das Schlagvolumen wäre dann bei einem 6 kg schweren Hund und 80 Pulsschlägen 3,2—6,2—12ccm. Aus den Zahlenangaben von Tigerstedt ergibt sich ein Durchschnittsschlagvolumen von 17,5 cem für einen 20 kg schweren Hund. In den Versuchen bei Hunden von 7—11 kg Gewicht fanden Grehant und Quinguaud das Minutenvolumen von 591—2614 ccm. Die Grenz- werte geben dann Schlagvolumen von 7,4—33 ccm. Nach Bohr ist das Minutenkilogrammvolumen 11—27—35 ccm, denen ein Schlagvolumen von 3—7—9 cem entspricht. Da bei den angeführten Autoren nicht immer alle Vergleichswerte, wie Körpergewicht und Pulszahl bekannt waren und bei meinen Ver- suchen nur die Herzen nach Abpräparierung der Vorkammern gewogen wurden, ergibt die nun folgende Zusammenstellung der Zahlen einen nur annähernden Vergleich. lBleaga ln Sn 4,2—41,6 ccm Stolnikow >. ne. 9,0—55,0 ecm Stewart ins if. 27,09—55,0 ccm Hienmquesas,. 2... 2%. 4,0—11,0—25 ccm ZEN ZN 3,2— 6,2—12 ccm ]Brolatie. Sa... 0 an a a 3,0— 7,0— 9 ccm Ahgerstedin san... 7,0—17,3—34 cem Grehant und Quinquaud . 7,4—32,0 ccm IENcenen en 3,2— 9,2—14,9 ccm, Druckmaximum 50,9 ccm. Diese Zahlen zeigen mit Ausnahme der von Stewart angegebenen in ihren Mittelgrößen keine sehr auffallenden Unterschiede. Nachdem bei meinen Ausgüssen die rechten Kammern größere Volumen zeigen und mit Sicherheit anzunehmen ist, daß im Leben die Kammern gleiche Schlagvolumen haben, so will ich kurz auch die Hv. 466 L. Keller: Über Gipsausgüsse einiger Säugetierherzen ; der rechten Kammern zum Vergleiche heranziehen. Die Hy. zeigen 9,0—26,2 ccm, im Durchschnitt ungefähr 20 cem; vermindert um die Blutmenge der systolischen Herzen von 2,3 ergeben sich Schlagvolumina von 6,8—17,7—23,9cem. Mit diesen Zahlen komme ich den höheren Schlagvolumina von Henriques, Tigerstedt, Grehant und Quinguaud nahe. Die von Stewart und Stolnikow angegebenen höheren Schlag- volumina scheinen demnach zu hoch, oder die äußersten, für gewöhn- lich nicht erreichten Maxima zu sein. Nachdem das Versuchsmaterial bei den anderen untersuchten Tier- arten bedeutend kleiner ist, kann es auch nicht so ausgiebig verwertet werden. Bei den Rinderherzen des Versuches 11 und 12 ergibt sich ein Schlagvolumen von 432—24 = 408 ccm, wobei der Unterschied der Herzgewichte nicht berücksichtigt wurde, entsprechend korrigiert 432—27 = 405 ccm. Nehme ich das Durchschnittsgewicht des Rinderherzens 1500 g an, so komme ich aus meinen Versuchen zu folgenden Schlagvolumina: 221—594 ccm bei Herzen vor Eintritt der Totenstarre, 608 cem nach Lösung derselben. Aus dem rechten Herzen berechnet ist das größte Schlagvolumen 783 ccm. Bei den Versuchen 1 und 19 des Pferdes finde ich ein Schlagvolumen von 249 ccm, wenn das Hv. des Versuches 1 auf das Herzgewicht von 1800 g umgerechnet wird, bei Berechnung aus der rechten Kammer 694 ccm. Beim Schwein ist das für ein 300 g schweres Herz gefundene Schlag- volumen 19,2—36,9 ccm, bei der rechten Kammer 66,7 ccm. Aus den Versuchen bei Kälbern finde ich für ein Herz von 200 & Gewicht ein Schlagvolumen von 11—41,9 ccm. Was unter dem Ausdrucke ‚‚Schlagvolumen“ auf Grund von Aus- güssen zu verstehen ist, liegt auf der Hand. Es sollte durch diese kleine Arbeit nur gezeigt werden, daß man durch Gipsausgüsse von systo- lischen und diastolischen Tierherzen, abgesehen von den Aufklärungen über Form und Größe der Herzhöhlen, zu ähnlichen Mittelwerten für das Schlagvolumen gelangen kann, wie sie die Autoren auf Grund der eingangs angeführten Methoden angegeben haben. Literaturverzeichnis. Sandborg und Worm Müller, Studien über den Mechanismus des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 22, 408. 1880. — Hesse, Beiträge zur Mechanik der Herzbewegung. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. 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Die Fortpflanzung der Nervenerregung kann entweder als ein rein physischer Vorgang [die Übertragung der Polarisation nach Hermann!), die elastische Welle nach Sutherland ?)] oder als eine chemische Reaktion, die am Orte der Erregung entsteht und sich von Schicht zu Schicht fortpflanzt, angesehen werden. Der erste, der diese letzte Ansicht aussprach, war Pflüger?). Die Theorie der physischen Nervenerregung, die hauptsächlich auf der Nichtermüdung des Nerven basiert, ist von mathematischer Seite mit genügender Vollkommenheit durchgearbeitet, während die chemische Theorie von Pflüger als einfache Hypothese ausgesprochen wurde, ohne jegliche mathematische Durcharbeitung und ohne Schluß- folgerungen, die experimentell geprüft werden konnten. In der letzten Zeit muß, dank dem Studium des Temperaturkoeffizienten der Ge- schwindigkeit der Fortpflanzung der Erregung, die physikalische Theorie immer mehr in Abrede gestellt werden, und in zwei Arbeiten haben wir eine chemische Theorie der Erregungsleitung mathematisch entwickelt ®), wobei es gelungen ist zu zeigen, daß der berechnete Temperaturkoeffi- zient mit der Erfahrung übereinstimmt, daß das „Alles oder Nichts“- Gesetz vollkommen erfüllt sein muß, und endlich, daß es möglich ist, die Änderungen der Geschwindigkeit der Erregungsleitung während des Elektrotonus zu erklären. Die chemische Theorie der Erregungsleitung hat dank dieser Unter- suchungen eine neue Stütze erhalten, und in der vorliegenden Arbeit !) L. Hermann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 95, 576 1889. °) W. Sutherland, Amer. Journ. of physiol. 14, 112. 1905. ®) E. Pflüger, Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus, 472. Berlin 1859. *) P. Lasareff, Berichte des Physikal. Instit. des wissenschaftl. Instituts zu Moskau 14, 190. 1921; 2, 136. 1922. (Bussisch.) P. Lasareff: Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. V. 469 geben wir die Theorie des Wiederherstellungsprozesses der Stoffe im Nerven. Wie wir bewiesen haben, liegt der Theorie der Fortpflanzung der Erregung die Voraussetzung zugrunde, daß die einmal begonnene Reaktion bis zu Ende abläuft (,Alles- oder Nichts“-Gesetz), und wir wollen annehmen, daß im Laufe des Prozesses der Stoffzersetzung im Nerven in ihm keine besonderen Wiederherstellungsvorgänge statt- finden. Die Wiederherstellung beginnt erst in dem Moment, wo der ganze sensible Stoff zersetzt ist. Wir wollen annehmen, daß der Zerfall der Zersetzungsprodukte, deren Konzentration Ü', ist, durch die einfachste Reaktionsgleichung sich ausdrückt: de, de | Die Wiederherstellung des sensiblen Stoffes (die Konzentration C‘) setzt sich aus zwei Reaktionen zusammen: aus der Wiederherstellungs- reaktion, die mit der Geschwindigkeit V} = &%,C, abläuft, und aus der Wiederherstellungsreaktion, die mit einer Geschwindigkeit verläuft, die dem Fehlen des sensiblen Stoffes, welcher bei der Erregung zerstört wurde, proportional ist. Diese Geschwindigkeit ist V3 = &;(C) —C); [C) bedeutet eine Konstante]. Somit ist die gesamte Geschwindigkeit der Wiederher- stellung — 05. (I) d we oc eo) (in) Wenn am Anfange 0, =) ist, so haben wir nach der Gleichung (I) (5 — 03 e- Kt ° Daraus erhalten wir (Gleichung II) 3 = 0,05e Rt — 8,0 + 0,0%. (III) Das Integral dieser Gleichung bei den Bedingungen t{=0 und C=0 ist folgendes: Bo 10% a le st, & & n 3 2 Ist die Konzentration des sensiblen Stoffes € gegeben, so läßt sich die Grenzempfindlichkeit E bestimmen, welche durch die minimale Strom- stärke :, welche den Reiz | E= =) gibt, bestimmt wird. Somit muß E eine Funktion von C sein und folglich # = (C); indem wir (©) in eine Reihe zerlegen und nur die ersten zwei Glieder beibehalten, be- kommen wir E=90)+g9(0)C. 470 P. Lasareff: Untersuchungen über die Ionentheorie der Reizung. V. Die Nullsensibilität des Stoffes der Zersetzung gegenüber ist, wie wir es früher annahmen, bei € = (%; folglich — (0) + 9(0)08 , (0) = — PO. Wir erhalten daraus E = ’(0)[C — C5] und wenn wir die Größe 9’(0) durch ß bezeichnen, so haben wir WOrTaus & 2. ö 03 e” Not __ Ics + ..ı a os) B=-B | + 2 Ger 033 oder E=4A—-4A,+Be’*' —(4A+Be *t, A. A, B sind Konstanten. Die Empfindlichkeit bit=® ist , =4A — 4, = , die nach der Theorie ) berechnet sind, wobei Z=1 — 0,4 + 0,5 e!%? _ 1,5 e”?%t und die In der Tabelle I geben wir die Werte von experimentellen Ergebnisse der Bestimmung von ei nach Keith Lucas!): E, Tabelle 1. E 5 Es Es t (sec.) nach Lucas (Theorie) 0,0024 0,00 0,001 0,005 0,58 0,58 0,008 0,84 0,87 0,012 1,00 1,03 0,016 1,08 1,07 0,020 1,09 1,07 0,025 1,04 1,05 0,030 1,01 1,03 Wir sehen somit, daß die Theorie vollkommen mit dem Experiment übereinstimmt; es ist also die Sensibilität der Nervenfaser theoretisch vollkommen zu erklären. 1) Keith Lucas, The conduction of the nervous impulse, S. 35. London 1917. Zur Frage der Einwirkung von Wasser auf die elektro- motorischen Eigenschaften der lebenden Gewebe. Von Priv.-Doz. D. S. Woronzoff (Odessa). (Eingegangen am 9. August 1922.) Die vorliegende Mitteilung enthält die Ergebnisse bei weitem noch nicht abgeschlossener Untersuchungen, die ich aus verschiedenen Gründen unterbrechen mußte. Jedoch gelang es mir, eine ganze Reihe von Tatsachen festzustellen, die, meiner Meinung nach, für die Erkennt- nis der Natur der tierischen Elektropotentialie von Interesse sind. Dies, wie auch die völlige Unmöglichkeit, unter den jetzigen politischen und ökonomischen Bedingungen Rußlands meine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, zwingt mich, das wenige, was ich gefunden habe, zu veröffentlichen. Die Einwirkung von Wasser auf die elektromotorischen Eigenschaften des Muskels ist ausführlich durch Oker-Blom (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 84. 1901) und Brünings (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 100. 1903) untersucht. Beide benutzten fast dieselbe Methode, Ostwaldsche Kalomelelektroden, gefüllt mit NaCl statt KCl zur Ableitung, und das Capillarelektrometer als Nullinstrument in der Kompensationsmethode. Ein Ende des Muskels wurde zusammen mit der einen Elektrode in Wasser getaucht, die zweite Elektrode wurde an das andere Ende des Muskels angelegt; dann wurde im Lauf verschiedener Zwischenzeiten die Größe der sich entwickelnden Potentiale gemessen. Bei meinen Untersuchungen benutzte ich ein Wiedemannsches Spiegelgalvanometer, du Bois-Reymondsche Tonstiefelelektroden (Ton- ZnSO,-Zn), die durch kleine, in physiologischer Kochsalzlösung ange- feuchtete Baumwolldochte an den zu untersuchenden Gegenstand an- gelegt werden. Das auf seinen elektromotorischen Zustand vorher unter- suchte Präparat wurde in Wasser oder in irgendeine andere Lösung versenkt, danach von Zeit zu Zeit herausgezogen und abermals möglichst rasch sein elektromotorischer Zustand untersucht. Falls die Differenzen der Potentiale bedeutend waren, wurde der Strom kompensiert und die Kompensationsgröße in Millimetern der Kompensationsskala ausgedrückt; wenn der Unterschied nicht besonders groß war, so wurde er in Teilen der Galvanometerskala gemessen (1 Teil 472 D. S. Woronzoff: Zur Frage der Einwirkung von Wasser — 1,5 cm). Im allgemeinen war es für mich nicht notwendig, die absolute Größe der Potentiale zu messen; es genügte ihre relative Größe. In dieser Weise habe ich die Einwirkung von Wasser auf die Muskeln des Frosches, der Kröte, der Eidechse, auf die Nerven des Frosches, wie auf verschie- dene pflanzliche Objekte untersucht. I. Versuche mit Froschmuskeln. Ich verwendete hauptsächlich Sartorien und Gastrocnemien. Unab- hängig davon, wie die Muskeln präpariert waren, ob mit oder ohne Ver- letzung, zeigte sich beim Eintauchen des einen Endes ins Wasser (ich nahm immer etwa 50cem, die oft erneuert wurden), daß das Ende schon innerhalb weniger Minuten elektropositiv in bezug auf das Normal- ende geladen war oder, wenn ersteres aus irgendwelchem Grund schon ‚ vorher elektronegativ war, so wurde seine Negativität verkleinert. Das gleiche sahen Oker-Blom und Brünings. Wie dabei die Veränderung der Potentiale unter dem Einflusse des Wassers mit der Zeit verlief, ließ ich außer acht, da dies durch die genannten Forscher schon aus- führlich genug dargelegt wurde. Schon bei den ersten Versuchen erhielt ich aber etwas Neues: wenn man den Muskel, dessen einer Teil dem Einfluß des Wassers unterliegt, so mit dem Galvanometer verbindet, daß eine Elektrode sich auf dem unveränderten Teil befindet, während die zweite auf demjenigen Teil, auf den das Wasser wirkte, liegt, so fließt in dem äußeren Stromkreis ein Strom in der Richtung von dem ver- änderten zum normalen Teil; der Strom nimmt aber sehr schnell ab; der Galvanometerzeiger, der schnell abgelenkt wird, fängt sofort an zurückzukehren. Beispiel: Sartorius des Frosches. Das Distalende ist elektronegativ; es ent- steht im Galvanometer ein Strom vom Proximal- zum Distalende, der eine Ab- lenkung um 11 Teilstriche bewirkt. Das Distalende wurde um 4" 45’ ins Wasser gebracht; um 5" 20° erwies sich das Distalende elektropositiv; im Galvanometer ist ein Gegenstrom bemerkbar, der die Skala um 15 Teilstriche ablenkt. Dies kommt aber nur in dem ersten Augenblick zum Vorschein beim Verbinden des Präparats mit dem Galvanometer; binnen 1!/,—2 Minuten geht der Zeiger auf 8 und dann auf 1'/, Teilstriche zurück. Wenn man nun den Teil des Muskels, der dem Wassereinfluß unter- lag und infolgedessen elektropositiv wurde, in eine physiologische Kochsalzlösung eintaucht, oder wenn man den ganzen Muskel in diese Lösung versenkt, so wird der durch Wasser veränderte Muskelteil bald elektronegativ. Die Negativität nimmt nach mehr oder weniger andau- erndem Aufenthalt in der physiologischen Lösung ab. Sie verschwindet z.B. binnen 24 Stunden gänzlich. Die Negativität entsteht schon ziemlich bald nach dem Eintauchen in die physiologische Lösung (schon nach 10—15 Minuten); jedenfalls schon dann, wenn das mit Wasser behandelte Ende des Muskels noch geschwollen ist. Wenn man jetzt auf die elektromotorischen Eigenschaften der lebenden Gewebe. 473 den Muskel aus der physiologischen Lösung herauszieht, so bemerkt man, daß die Negativität des unter dem Wassereinfluss gewesenen Teils fortfahrend sich vergrößert. Brünings entwickelte eine Theorie, mit Hilfe deren er nicht nur die elektromotorische Wirkung des Wassers, sondern auch den Ruhestrom des lebendigen Gewebes zu erläutern versuchte. Er nimmt an, daß die lebendige Zelle von einer besonderen Hülle umgeben sei, die durch- gängig für die Kationen und undurchgängig für die Anionen ist, infolge- dessen ist diese Hülle polarisiert und wird zur Quelle der elektromoto- rischen Kraft des Ruhestromes. Diese Theorie ist identisch mit der von .J. Bernstein. Die positivierende Wirkung des Wassers wird von ihm in diesem Sinne erklärt, daß unter dem Einfluß von Wasser eine Menge Dissimilationsprodukte sauren Charakter in dem Muskel sich bilden und daß infolgedessen die normale Polarisation der halbdurch- lässigen Zellenhülle vergrößert wird. Die von ihm erhaltenen Resultate der Untersuchung geben aber unmittelbar keine Beweisgründe für seine Voraussetzung. Ich dachte nun die letztere mit Hilfe des Experi- ments folgendermaßen zu kontrollieren: Sobald die positivierende Wirkung des Wassers darin besteht, daß unter seinem Einflusse die Dissimilation vergrößert wird, die Produkte sauren Charakters aber bei ihrem Streben, in das Wasser einzudringen, auf dem Wege eine halb- durchlässige Hülle antreffen, die nur Kationen hindurchläßt, dann ist es klar, daß beim Zerschneiden des Muskels oberhalb der Grenze der Wasserwirkung in zwei Teile der Ruhestrom des mit Wasser behandelten Teils größer sein muß als der des normalen. Der Versuch gibt aber das entgegengesetzte Resultat: der Ruhestrom des mit Wasser behandelten Teils ist immer kleiner als der des normalen, und je größer seine Positivi- tät war, desto kleiner ist der Ruhestrom. Bei bedeutender Positivität ist der Ruhestrom sehr gering im Vergleich mit demjenigen des normalen Muskels. Das Ergebnis dieses Versuchs läßt sich also schwer in Überein- stimmung mit der Brüningsschen Theorie bringen und überhaupt mit irgendeiner anderen Theorie, die als Grundlage zur Erklärung der Potentialdifferenz der lebendigen Gewebe die Voraussetzung halb- durchlässiger Hüllen macht. Noch schwieriger läßt sich die folgende Tatsache mit diesen Theorien vereinbaren: Wir verwenden zum Versuch einen frischen, behutsam präparierten Muskel, den wir in 2 Hälften zerschneiden. Jede Hälfte zeigt einen sehr starken Ruhestrom bei der Längs-Querableitung. Wenn man nun die eine Hälfte mit dem Quer- schnitt ins Wasser taucht, so wird der Ruhestrom schnell verkleinert, mit der Zeit verschwindet er und danach bildet sich sogar ein schwacher entgegengerichteter Strom aus. Nach Übertragen dieses Präparats, das nur mit dem Querschnitt im Wasser lag, in eine physiologische Lö- ATA D. S. Woronzoff: Zur Frage der Einwirkung von Wasser sung, entsteht wieder ein gewöhnlicher Ruhestrom, der aber die frühere Größe nicht erreicht, wenigstens nicht während kurzer Zeitabschnitte. — Hermann behauptete, daß der Ruhestrom des Muskels sich mit der Zeit nicht verändert; wenn er sich verkleinere, so habe das seinen Grund in dem Absterben des Muskels auf der Längsfläche. Wenn es möglich wäre, dieses Absterben zu beseitigen, so könnte man den Ruhestrom in unveränderter Größe bis zum Absterben des ganzen Muskels erhalten. Danach würde die Verkleinerung des Ruhestromes bei der Einwirkung von Wasser auf den Querschnitt von den Ver- änderungen herrühren, die auf dem Querschnitte zustande kommen. Wenn schon die vorigen Versuche einen gewissen Grund geben, sich gegenüber denjenigen Erläuterungen der Wasserwirkung skeptisch zu verhalten, die die Existenz von halbdurchlässigen Hüllen voraus- setzen, so ist immerhin die Voraussetzung doch nicht ganz unwahr- scheinlich, daß auf der Querschnittfläche der Muskelfaser oder in deren Nähe unter dem Wassereinflusse sich eine Art halbdurchlässiger Hülle bilde. In der Tat läßt sich ja bei den Nerven mit der Zeit ein spontanes Verschwinden des Ruhestromes bemerken, der bei der Erneuerung des Querschnitts von neuem entsteht. Die Ursache dieser Erscheinung ist bis jetzt noch nicht erklärt worden. Jedenfalls ist es interessant, nachzusehen, was entsteht, wenn an einem Muskel, an welchem unter der Wassereinwirkung auf den Querschnitt der Ruhestrom verschwun- den ist, dieser erneuert wird. Ich habe eine ganze Reihe solcher Experi- mente ausgeführt. Bei allen beobachtete ich das Entstehen eines Ruhe- stromes bei Erneuerung des Querschnitts, sobald nur die Einwirkung des Wassers auf den vorigen Querschnitt nicht dauerhaft war. Denn sonst wird der Muskel gänzlich aufgequollen und das Wasser steigt hoch über die Eintauchgrenze und nun ist es entweder notwendig, ein mehr oder weniger großes Stück des Muskels abzuschneiden, um einen geringen Ruhestrom zu bekommen, oder es entsteht überhaupt kein Ruhestrom. Zu bemerken ist es jedenfalls, daß so kein starker Ruhe- strom zu erzeugen ist. Ausführlicher werde ich bei der Beschreibung der Experimente am Krötenmuskel darauf zurückkommen. Auf Grund der genannten Versuche wäre nun zu erwarten, daß unter der Einwirkung von Wasser auf die Längsfläche bei einem mit Querschnitt versehenen Muskel der Ruhestrom sich verkleinerte, da ja, wie erwähnt, der Ruhestrom des Muskelteils, der dem W assereinflusse unterlag, bei weitem kleiner ist als der des Muskelteils, der ihm nicht unterlag; indessen zeigte das Experiment das Gegenteil: Ein Sartorius wird behutsam präpariert, er ist fast stromlos.. Von diesem Muskel wird das proximale Ende (ca. !/, des Muskels) abgeschnitten. Der Proximal- abschnitt gibt einen Ruhestrom, der bei der Stellung 85 mm des beweglichen Kontakts kompensiert ist. Der Distalteil gibt einen Ruhestrom gleich 75 mm. Um 11" 40’ wurde der Distalteil mit seiner Längsfläche um ?/, seiner Länge ins auf die elektromotorischen Figenschaften der lebenden Gewebe. 475 Wasser getaucht (der Querschnitt befand sich über dem Wasser). Um 11h 54° wird der Ruhestrom durch 121 mm kompensiert, d. h. er wurde mehr als 1!/, mal vergrößert. Um 12" 45’ ist er bei 115 mm kompensiert (der Muskel war vordem aus Versehen gänzlich ins Wasser getaucht). Um 1248’ wurde der Distalteil in eine physiologische Lösung versenkt. Um 12h 53’ wird der Ruhestrom des Distalteils kompensiert bei 53 mm; um 1 9° bei 44, um 1" 22° bei 35, um 1" 40° bei 29mm. Um 2% 9’ gibt der Ruhestrom eine Ablenkung von 15 Teilstrichen der Galvanometerskala, beim Erneuern des Querschnitts 11 Teilstriche. Führen wir jetzt folgendes Experiment durch: Wenn wir bei einem Muskel mit Querschnitt, dessen Längsfläche der Wassereinwirkung unterlag und bei dem sich infolgedessen der Ruhestrom vergrößert hat, ohne ihn in die physiologische Lösung zu setzen, einen neuen Querschnitt ungefähr in der Mitte des mit Wasser behandelten Teils anlegen, so erweist sich, daß der Ruhestrom des abgeschnittenen Teils, der vorher in Wasser war, unbedeutend ist, und daß die Potential- differenz zwischen den beiden Schnitten des zweiten Teils derart ist, daß der neue Schnitt positiv ist im Verhältnis zum früheren, so daß beim Verbinden der Schnitte mit dem Galvanometer ein Strom entsteht, der ungefähr dem Ruhestrom vor der letzten Operation, vermindert um den Ruhestrom des abgeschnittenen Teils, gleich ist. — Wir haben also 2 Tatsachen: 1. Der Ruhestrom des durch Wasser bearbeiteten Muskelteils ist kleiner als der des normalen; 2. das Wasser verstärkt bei seiner Einwirkung auf die Muskellängsfläche den Ruhestrom. — Diese Tatsachen führen zur Vermutung, daß in der Muskelfaser, an der Grenze zwischen dem Teil, auf den das Wasser wirkte, und dem, auf den es noch nicht wirkte, sozusagen eine neue Längsfläche sich bildet. Diese erzeugt dann mit dem früheren Querschnitt einen gewöhnlichen Ruhestrom, zu dem sich ein Strom addiert, der durch das positive Potential des im Wasser gequollenen Muskelteils hervorgerufen wird. Dieses letztere Potential ist, wie wir sogleich sehen werden, ein rein physisches, d. h. es steht in keiner Verbindung mit den Lebensfunktionen. Allerdings ist eine solche Vermutung bei den gegebenen Tatsachen zunächst willkürlich und besagt nichts über das Wesen des Prozesses. Bei der Untersuchung der Wassereinwirkung auf die elektromoto- rischen Eigenschaften dürfte ganz natürlich die Frage hervortreten, ob die Elektropositivität des mit Wasser behandelten Muskels eine physiologische Erscheinung sei, ode: ob sie in keiner Beziehung zu den Lebensfunktionen des Muskels stehe. Um diese Frage zu lösen, führte ich Versuche an Muskeln aus, die durch Eintauchen in eine kochende physiologische Lösung getötet waren. Die getöteten Muskeln erwiesen sich zunächst als isopotentiell. Wenn man aber ein Ende in Wasser eintaucht, so wird es in bezug auf das zweite elektropositiv. Diese Positivität erreicht mit der Zeit eine enorme Größe; jedenfalls bleibt sie in ihrer Größe nicht hinter der Positivität zurück, die man unter Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 31 476 D. S. Woronzoff: Zur Frage der Einwirkung von Wasser entsprechenden Bedingungen beim lebendigen Muskel beobachtet. Bei nachherigem Übertragen des Muskels in eine physiologische Lösung verschwindet die Positivität nach und nach, sie wird aber nicht ersetzt durch eine Elektronegativität, wie dies beim lebendigen Muskel der Fall ist. Ganz dasselbe läßt sich beobachten, wenn man den getöteten Muskel zerschneidet und mit dem Schnitt ins Wasser taucht — der Schnitt wird positiv und die Positivität verschwindet beim Übertragen des Präparats in eine physiologische Lösung. Ich habe nicht Gelegenheit gehabt, die Frage ausführlicher zu untersuchen; ich habe nämlich nicht die quantitativen Vermessungen der Potentiale, die unter der Wassereinwirkung auf die lebendigen und die toten Muskeln entstehen, ausgeführt, und deshalb kann ich nicht behaupten, in welchem Falle die Elektropositivität größer sei und um wieviel. Aus den von mir erhaltenen Resultaten kann man aber den Schluß ziehen, daß das Wasser auf die toten Muskeln viel rascher einwirkt als auf die lebendigen und dabei ein viel größeres positives Potential hervorruft. Man darf jedoch daraus nicht schließen, daß das Wasser einen doppelten Einfluß auf die lebendigen Muskeln ausübt, d. h. daß diese gleichzeitig elektropositiv und elektronegativ werden. Der folgende Versuch spricht dagegen: Ein behutsam präparierter stromloser Sartorius wurde mit seinem Proximal- ende in Wasser getaucht. Über 1?/, Stunde zeigt sich das Proximalende positiv (Galvanometerablenkung — 20 Teilstriche). Danach wurde der ganze Muskel in eine kochende physiologische Lösung getaucht und gleich darauf wieder mit dem Galvanometer verbunden. Das ganze Verfahren dauerte nicht mehr als eine Minute. Jetzt ist im Galvanometer ein Strom derselben Richtung zu be- merken, mit einer Ablenkung von 14 Teilstrichen; die Positivität des Proximal- endes wurde also ein wenig verkleinert. Wenn die Vermutung von Brünings, daß das Wasser sowohl posi- tivierend als auch negativierend wirkt, richtig wäre, so hätte man in diesem Falle eine Vergrößerung des Stromes, aber keineswegs eine Verkleinerung zu erwarten. Nach Brünings ist der bei Wassereinwirkung entstehende Strom eine Summe 1. des positiven durch das Wasser hervorgerufenen Potentials + a und 2. des negativen, ebenfalls durch Wasser hervorgerufenen Potentials — b. Die letzte Größe ist im Ver- gleich mit der ersteren sehr klein und wird von ihr maskiert. Der be- obachtete Strom kann also durch die Gleichung / = «a — b ausgedrückt werden. Wenn wir nun den Muskel töten, so wird damit gleichzeitig der zweite negative Summand (— b) ausgeschlossen; infolgedessen hätte man eine Vergrößerung der Summe zu erwarten. Tatsächlich wird eine Verkleinerung erhalten. Die Verkleinerung ist aber ganz verständlich, da wir den Muskel in eine physiologische Lösung ver- setzen und diese, wie wir sahen, die durchs Wasser hervorgerufene Positivität beseitigt. Die Verkleinerung geht jedoch nicht so rasch, daß man ihr die Abwesenheit der von Brünings Standpunkt aus ver- auf die elektromotorischen Eigenschaften der lebenden Gewebe. 477 muteten Vergrößerung des Stromes nach dem Tode des Muskels zu- schreiben könnte. Diese Tatsache, daß der mit Wasser behandelte Teil der Muskeln beim Übertragen in eine physiologische Lösung elektro- negativ wird, kann auf keinen Fall der Brüningsschen Voraussetzung als Stütze dienen. Wesentlich ist, daß die physiologische Lösung an und für sich nicht ohne Einfluß auf die elektromotorischen Eigenschaften der Muskeln bleibt. Es wurde von mir der folgende Versuch durchgeführt. Ein Sartorius wurde in 2 Teile geschnitten. Die Ruheströme der beiden Hälften wurden gemessen. Gleich darauf wird die eine Hälfte in eine physiologische Lösung getaucht, die andere aber in eine feuchte Kammer gelegt; von Zeit zu Zeit wurden Beobachtungen über die Ruheströme der beiden Hälften gemacht. Es erwies sich dabei, daß, während der Ruhestrom der in der feuchten Kammer befindlichen Hälfte sich sehr langsam und verhältnismäßig wenig verkleinert, der Ruhestrom der in der physiologischen Lösung befindlichen Hälfte viel rascher und im größeren Maße abnimmt. Um 10% 17° wurde der Ruhestrom der Proximalhälfte bei 1IO mm kompen- siert, der der Distalhälfte bei 85 mm. Die Distalhälfte in eine physiologische Lösung, die proximale in eine feuchte Kammer versetzt. 11h 35’ kompensiert sich das Proximalende bei 107 mm, das distale bei 70 mm, 11h 56° » a ” RAN EO ” 6 900% 1265157 ” 00.80 ob 3 1.090, „ 53 PER 300: 12h337 > 0 8 ” Da 05> > ” a2 a al“ ss SUR 35 8 all, e bs 208; Die physiologische Lösung scheint also viel energischer auf den mit Wasser behandelten Muskel zu wirken. Wodurch wird nun die Elektropositivität des mit Wasser bearbei- teten Muskelteils bewirkt? In dieser Beziehung kann man viele Voraus- setzungen machen. Die Ergebnisse der beschriebenen Versuche geben in dieser Hinsicht keinen Anhaltspunkt. Zur Aufklärung wurden folgende Versuche unternommen: 4. VI. 1918. Sartorius des Frosches. Das Distalende scheint verletzt zu sein; beim Ableiten der Enden zum Galvanometer entsteht ein Strom vom Proximal- zum Distalende, der bei 83 mm kompensiert wird. Um 1" 8° wurde der Muskel in eine 7proz. Kahlbaumsche Saccharoselösung versenkt. Um 4" 51’ ein Strom derselben Richtung, kompensiert bei SO mm. Um 4456’ das elektronegative Distalende in Wasser getaucht; um 5® 4’ entstand ein Strom der Gegenrichtung, der bei 22mm kompensiert wird, um 5" 10” bei 41 mm, um 5" 19’ bei 13 mm. Um 5" 40’ kein Strom mehr. Um 5" 51’ dasselbe. Das Distalende in Zucker- lösung; um 5h 507, 6h 8°, 6h 24° kein Strom. Um 6N 25’ wurde der Muskel in 2 Teile geschnitten, wobei der Ruhestrom des Proximalendes bei 100 mm, der des Distalendes bei 116 mm kompensiert wird. Bei dem Muskel, der sich 3 St. 46 Min. in Zuckerlösung befunden hat, wird also beim Eintauchen eines Endes in Wasser dies Ende stark positiv (es war vorher elektronegativ). Diese Elektropositivität vergrößert 31]*F 478 D. S. Woronzoff: Zur Frage der Einwirkung von Wasser sich zuerst, dann fällt sie und endlich erweist sich der Muskel als strom- los. Das nachfolgende Eintauchen des Muskelendes, das vorher der Wasserwirkung unterlag, in eine Zuckerlösung verändert nicht den elektromotorischen Zustand, wenigstens nicht innerhalb einer halben Stunde. — Das Merkwürdigste bei diesem Versuche ist meiner Meinung nach, daß die Ruheströme beider Hälften gleich sind; der der wasser- behandelten ist sogar ein wenig größer, während wir vorher gesehen haben, daß der mit Wasser behandelte Muskelteil, auch wenn er nachher der Einwirkung der physiologischen Lösung unterlag, einen weit klei- neren Ruhestrom zeigte als der Normalteil. Versuch am 4. VI. 1918. Sartorius des Frosches. Beim Ableiten der Enden entsteht ein Strom vom Proximal- zum Distalende, der bei 48 mm kompensiert wird. Um 112’ das Proximalende in eine 7 proz. Zuckerlösung versetzt. Um 1 30° ein Strom derselben Richtung kompensiert bei 68 mm, ah 37’ „ » = % ss „1120, Du, ” 55 > > 140209 San » > 6 „ ve laoa; base 5% > > e lose 601724 58 ” ss 5 10607 616 > » 150 , Der Muskel wurde in 2 Hälften geschnitten. Der Ruhestrom des Distalendes wird bei 45, der des Proximalendes bei 170 mm kompensiert. Es läßt sich also erweisen, daß eine isotonische Zuckerlösung ebenso wie das Wasser wirkt, d. h. positivierend. Allerdings ist hier ein wesent- licher Unterschied bemerkbar — der Ruhestrom des mit Wasser behan- delten Teils des Muskels ist bedeutend kleiner als derjenige des Normal- teils; der Ruhestrom des mit Zuckerlösung bearbeiteten Muskelteils ist weit größer als der des Normalteils. Wie ich schon erwähnt habe, ist von mir nur eine geringe Zahl solcher Versuche mit Zuckerlösung ausgeführt worden; deshalb wage ich nicht, irgendwelche Schlüsse daraus zu ziehen. II. Versuche mit Krötenmuskeln. Ich beschreibe die Versuche mit den Muskeln der Kröte gesondert, da die erhaltenen Resultate sich beträchtlich von denjenigen der analogen Versuche mit den Muskeln des Frosches unterscheiden. Schon der erste Versuch mit einem Krötenmuskel setzte mich in Erstaunen. Das Muskelende, das der Wasserwirkung unterlag, wurde anstatt positiv negativ. Meine Verwunderung darüber war so groß, daß ich die Auf- stellung der Apparate sorgfältig kontrollierte. Aber es war alles in Ordnung. Auch wenn der Muskel stundenlang im Wasser verbleibt und sehr stark quillt, so bleibt trotzdem das mit Wasser behandelte Ende negativ. Beispiel: Sartorius der Kröte. 1% 9’p9 +, d — (p = Proximalende, d = Distal- ende), kompensiert bei 1!/, Teilstrichen. auf die elektromotorischen Eigenschaften der lebenden Gewebe. 479 1h 10° p wurde ins Wasser getaucht; 11 38° p—. d +, kompensiert bei 20 Teilstrichen: 2h 11’ p —. d-+, kompensiert bei 19 Teilstrichen. Fast der ganze Muskel ist stark aufgequollen. Wenn man nun einen so behandelten Krötenmuskel, gleichgültig, ob gänzlich oder nur denjenigen Teil, der vorher der Wassereinwirkung unterlag, in physiologische Lösung versetzt, so wird der beobachtete Strom äußerst verstärkt, d. h. derjenige Muskelteil, der unter der Wasser- einwirkung negativ geworden war, wird bei der Einwirkung der physio- logischen Lösung nun noch negativer. — Wenn man einen Kröten- muskel, dessen eines Ende der Wassereinwirkung unterlag, oberhalb der Grenze des Wassereinflusses durchschneidet, so ist der Ruhestrom desjenigen Teils, auf den das Wasser wirkte, im Vergleich mit dem Ruhe- strom des anderen Teiles sehr gering. Dieser Unterschied ist bemerkbar sowohl wenn man die Durchschneidung unmittelbar nach der Einwir- kung des Wassers vornimmt, wie auch dann, wenn das Präparat nach der Wassereinwirkung erst noch mit physiologischer Lösung behandelt wird. Noch auf einen weiteren Umstand muß achtgegeben werden. Es ist bekannt, daß, wenn man die Enden eines Normalmuskels zum Gal- vanometer ableitet, hiernach den Muskel durchschneidet und _ die Schnittflächen aneinanderlegt, das Galvanometer fast keine elektro- motorische Veränderung aufweist, daß also die Ruheströme der beiden Hälften identisch sind. Ein ganz anderes Resultat erhält man, wenn man denselben Versuch mit einem Muskel ausführt, dessen eines Ende vorher mit Wasser behandelt wurde. In diesem Falle bekommt man eine bedeutende Veränderung des Stromes. Das folgende Beispiel erläutert dies: Der Sartorius einer Kröte ist isopotential. 10h 55° das Proximalende ins Wasser; 10h 57’ p +, d—, 2 Skalenteile; 1111’ 2» —, d-+, 21 Skalenteile; 11 30° 9» —, d +, 22 Skalenteile. 11 33° der Muskel wird quer in der Mitte der gequollenen Partie zerschnitten und die beiden Hälften mit den Schnitten aneinandergelegt p —, d +; es entsteht ein starker Strom, der den Zeiger aus der Skala rasch herauswirft. Der Ruhestrom des Proximalendes ist gleich 5 Skalenteilen, der des Distalendes sehr stark (über die Skala hinaus). Ich habe diese merkwürdige Tatsache nicht weiter analysiert; doch ist zu bemerken, daß auch in dieser Beziehung der Muskel der Kröte sich von dem des Frosches unterscheidet. Bei dem analogen Versuch mit dem Frosch beobachtet man, daß der Ruhestrom des abgeschnittenen Wasserteils unbedeutend ist, während der übrige Muskelteil (der Normal- teil mit dem dazugehörigen Wasserteil) bei Längs-Querableitung fast denselben Strom erzeugt wie vor dem Versuche, d.h. der Querschnitt 480 D. S. Woronzoff: Zur Frage der Einwirkung von Wasser ist positiv. Wenn man mit Wasser auf den Querschnitt des Kröten- muskels einwirkt, so wird seine Elektronegativität stark verkleinert und kann sogar in Positivität umschlagen. Bei nachfolgender Behand- lung des Muskels mit einer physiologischen Lösung nimmt der Ruhe- strom wiederum stark zu, so daß in dieser Beziehung der Krötenmuskel sich ebenso wie der des Frosches verhält. — Der mit Wasser behandelte Querschnitt kann auch mechanisch durch Anlegen eines neuen Quer- schnitts verändert werden. Dadurch entsteht ebenfalls ein starker Ruhestrom. Beispiel 6. IV. 1918: Sartorius der Kröte. 12h 59’ der Querschnitt ins Wasser. 1" 11” Ruhestrom = 15 Skalenteile (bis dahin war der Ruhestrom sehr stark). 1" 12° der Querschnitt wieder ins Wasser. 1h 22° Ruhestrom = 10 Teile. 1% 23° der Querschnitt erneuert, ein kleines Stückchen des Muskels parallel dem früheren Schnitte abgeschnitten; der Ruhestrom sehr stark; außerhalb der Skala. Merkwürdig ist, daß die Querschnitte des abgeschnittenen Stückchens sich als isopotential erweisen. In anderen Fällen zeigen sie eine Poten- tialdifferenz (der frische Schnitt ist in bezug zum früheren negativ), die Differenz ist aber nicht groß. Man darf jedoch nicht schließen, daß diese Differenz um so größer ist, je größer das abgeschnittene Stückchen. Der lebendige Krötenmuskel wird also unter dem Wassereinfluß negativ im Gegensatz zu dem Muskel des Frosches. Diese Elektro- negativität erreicht aber niemals eine bedeutende Größe; der so hervor- gerufene Strom ist immer kleiner als der Ruhestrom des Muskels, der durch mechanischen oder thermischen Schnitt hervorgerufen ist. Ander ıseits darf auch der Umstand nicht außer acht gelassen werden, daß die Wassereinwirkung auf den Krötenmuskel variabler ist als die auf den Froschmuskel. Die Muskeln von Kröten, die lange Zeit sich im Laboratorium aufgehalten haben (etwa einen Monat), zeigten sich bei der Einwirkung von Wasser weniger negativ als die Muskeln frisch gefangener Exemplare. Der Gastrocnemius der Kröte wird unter der Einwirkung von Wasser weniger negativ als der Sartorius und kann sogar leicht positiv werden. Auf einen verletzten Krötenmuskel wirkt das Wasser, wie wir sahen, anders ein, als auf einen unverletzten — unter der Wassereinwirkung wird die Elektronegativität des verletzten Teils nicht nur kleiner oder verschwindet, sondern sie kann sogar durch eine unbedeutende Elektropositivität ersetzt werden. III. Versuche mit den Muskeln der Eidechse (Lacerta viridis). Die Muskeln der Eidechse verhalten sich zum Wasser genau so wie die des Frosches. Ich untersuchte die Wassereinwirkung auf den Muskel auf die elektromotorischen Eigenschaften der lebenden Gewebe. 481 der Eidechse, um: festzustellen, ob das Verhalten des Krötenmuskels vielleicht mit dem Leben der Kröte außerhalb des Wassers zusammen- hinge. Die Resultate der Versuche negierten jedoch diese Vermutung. IV. Versuche mit den Blättern einiger Pflanzen. Ich wollte weiter nachsehen, wie sich pflanzliche Gewebe zum Wasser verhalten. Zu diesem Zwecke wurden einige Versuche mit den Blättern des Löwenzahns und der Aprikose angestellt. Bei zweiphasischem Ab- leiten zeigt das Blatt gar keinen Strom. Wenn man einen Teil des Blattes wegschneidet, und einphasisch ableitet, so entsteht allerdings ein Ruhe- strom, wenn auch ein sehr schwacher, der sehr schnell abnimmt. Bei Behandlung des Querschnitts mit Wasser wird die Negativität durch eine Positivität ersetzt. | Beispiel: Das Blatt des Löwenzahns mit einem Querschnitt. Die Elek- trode a auf der Längsfläche, 5 auf dem Querschnitt. Der Ruhestrom a +, b— —5 Teilen der Galvanometerskala. Der Querschnitt ins Wasser. Nach 10 Minuten zeigt sich —, b+; 4 Skalenteile. Darauf ein neuer Querschnitt, Ruhestrom = 3 Teile. Der Schnitt ins Wasser. Nach 10 Minuten wird der Querschnitt elektropositiv; Strom — 5 Skalenteile. Es ergibt sich also, daß das Wasser auf pflanzliche Gewebe ebenfalls positivierend wirkt. V. Versuche mit den Nerven des Frosches. Ich stellte schließlich einige Versuche mit den Nerven des Frosches an. Die Wassereinwirkung auf die Nerven wurde inzwischen auch von einem Schüler Wedenskys, Dänemark, untersucht; er beobachtete ebenfalls die positivierende Wirkung des Wassers. Die Ergebnisse meiner Versuche decken sich zumeist mit denen von Dänemark. Unter der Einwirkung des Wassers wird, wie die Längsfläche, ebenso der Quer- schnitt elektropositiv in bezug auf die Normalteile des Nerven. Ebenso, wie wir es bei dem Muskel beobachteten, strebt die Elektropositivität desjenigen Nerventeils, der mit Wasser behandelt wurde, rasch dahin, sich zu verkleinern, sobald die Wassereinwirkung beseitigt wird. Beim Eintauchen in physiologische Lösung wird der Nerventeil, der unter dem Wassereinfluß eine positive Ladung bekam, elektronegativ. Im Gegensatz zu Dänemark konnte ich diese Erscheinung aber bei einem toten Nerven nicht beobachten. Ein toter Nerv, der bei der Wasser- einwirkung ein positives Potential bekommen hatte, verliert dieses beim nachherigen Behandeln mit einer physiologischen Lösung; ein negatives bekam er aber nicht. — Die beschriebenen Versuche sind von mir in der ersten Hälfte des Jah- res 1918 ausgeführt worden. An Literatur stand mir nichtszur Verfügung, was nach 1914 erschienen ist; dieältere Literatur war auch unvollständig. Membranänderung und Nervenerregung. II. Mitteilung. Über das Nervenschwirren bei Reizung sensibler Nerven. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 29. September 1922.) In der Nervenpathologie spielt eine Erscheinung eine gewisse Rolle, die klinisch als Ameisenlaufen (Formicatio), Kribbeln, Prickeln, Kriebeln und Sangeln oder allgemeiner als Nervenparästhesie bezeichnet wird und als ein Symptom von Nervenentzündung wie bei Ischias und Schuß- verletzung oder von Nervenerkrankung wie bei Tabes und multipler Sklerose vorkommt. Dasselbe Gefühl ist normalerweise häufig und jedermann bekannt als Gefühl des Eingeschlafenseins, das bei einer unvollkommenen Drucklähmung oder während der Restitution einer völligen Drucklähmung auftritt. Auf dieses Gefühl des leisen raschen innerlichen Vibrierens, das im folgenden als ‚‚Nervenschwirren‘ bezeich- net sei, war ich seinerzeit bei der Untersuchung der zentralen Hemmungs- erscheinungen!) aufmerksam geworden, da es für zentrale Hemmung, Hemmungsänderung und Hemmungsrückschlag ein einfaches experi- mentelles Beispiel gab, und fand es seitdem bei ganz verschiedenartigen Gelegenheiten wieder, so daß ich die physiologisch bisher unbeachtet gebliebene Erscheinung wegen ihrer Beziehungen zu einigen allgemeinen Fragen der Nervenphysiologie näher verfolgt habe. 1. Vorkommen des Nervenschwirrens. Reibt man kräftig die Lippen, etwa indem man ein straffgespanntes Taschentuch fest gegen die Lippen andrückt und in raschem Tempo hin und her zieht, so ist unmittelbar danach ein eigenartiges Gefühl von Schwirren in den Lippen zu spüren, das in kurzer Zeit, gleichsam als stark gedämpfte Schwingung, abklingt und unter Umständen ein 1) (7. Ebbecke, Über zentrale Hemmung und die Wechselwirkung der Sehfeld- stellen. Pflügers Arch. f, d. ges. Physiol. 186, 200. 1921. U. Ebbecke: Membranänderung und Nervenerregung. II. 483 etwas länger anhaltendes unbestimmtes Gefühl von Spannung oder Druck hinterläßt. Von anderen Hautstellen reagiert ähnlich, nur schwächer, die Haut der Stirn, die mit einem Tuch oder einer harten Bürste gerieben ist, und andeutungsweise die geriebene Fingerspitze. An der Handinnenfläche kommt die Nachempfindung nach übermäßig starkem Händeklatschen, schon nach einmaligem starkem Zusammen- schlagen der Hände, vor und am Finger etwa nach dem Tragen eines sehr schweren Koffers, dessen Henkel Druckfurchen hinterließ. Viel- leicht ist der erste Gedanke, die Empfindung mit dem Wiedereinschießen des weggedrückten Blutes oder dem Auftreten einer Hyperämie in Zusammenhang zu bringen. Aber an den Lippen läßt sich leicht zeigen, daß das nicht der Fall ist; das feste Andrücken des nicht hin- und her- bewegten Tuches hat keine Nachempfindung zur Folge. So wird man an eine durch das Reiben oder Drücken bewirkte Hautnervenreizung denken. In der Tat ist im Charakter ganz gleichartig, nur kürzer und heftiger, das blitzartig einsetzende Kribbeln in den Fingerspitzen oder im Fuß, wie es nach plötzlichem Druck oder Stoß auf den N. ulnaris und N. peroneus, der gegen die knöcherne Unterlage gequetscht wird (‚, Musikantenknochen‘“), allgemein bekannt ist. Und hier ist die Be- ziehung zu dem Gefühl des Eingeschlafenseins ohne weiteres gegeben und die Erklärung als Reizung eines Nervenstamms nicht zweifelhaft. Die angeführten Fälle betreffen teils Hautnervenendigungen, teils Nervenstämme, haben aber das Gemeinsame, daß ein mechanischer Nervenreiz vorliegt. An mehreren Leitungsanästhesien, die ich zu Versuchszwecken an mir vornehmen ließ und für deren Ausführung ich Herrn Dr. Koennecke von der Chirurgischen Klinik besten Dank sage, sah ich als erste Wirkung des Novocains wiederum ein Nervenschwirren eintreten. Während ich es bei der Ulnarisanästhesie, wo die Spitze der Injektionskanüle in den Nerven selbst eingestochen wird, auf mechanische Reizung zurück- führte, war diese Deutung nicht mehr möglich bei der Leitungsanästhesie des Fingers, wo die Fingernerven nur umspritzt werden. Auch da stellt sich zunächst ein typisches Kribbeln oder Schwirren ein, und erst dann folgt, von der Fingerbasis nach der Fingerspitze sich ausbreitend, das Gefühl des Pelzigseins, des Taubseins, das langsam zur Lähmung der Temperatur- und Schmerz- und zuletzt der Tastempfindung fort- schreitet. Eine kleine Beobachtung zeigt deutlich die Unabhängigkeit von mechanischer Reizung. Nachdem bei Umspritzung des 4. Fingers die Anästhesie nahezu ihr Maximum erreicht hatte, 10 Minuten nach der Injektion, kam es zu einem spontanen Nervenschwirren am Mittel- finger, das einer flüchtigen und unvollkommenen Anästhesie des Mittel- fingers vorausging. Ersichtlich hatte sich die Anästhesierungsflüssig- keit allmählich zu dem benachbarten Finger ausgebreitet und rief dort 484 U, Ebbecke: als erstes Stadium seiner Wirkung die Parästhesie hervor. Wir haben also hier einen Fall von Nervenschwirren durch chemische Einwirkung vor uns. Auffälligerweise scheint wie beim Nervendruck auch hier dem Lähmungsstadium ein Reizstadium vorauszugehen, und es erweist sich das Cocain, das doch ein typisch nervenlähmendes Mittel ist, zugleich als Reizmittel. Nachdem mechanische und chemische Reizung sich für das Nerven- schwirren wirksam gezeigt haben, liegt es nahe, das Augenmerk auf den elektrischen Reiz zu richten. Daß das Faradisieren eines Hautnerven- astes eine ähnliche Empfindung hervorruft, kann nicht wundernehmen, da hier das rasche rhythmische Intermittieren schon in der Natur der äußeren Einwirkung liegt. Um so merkwürdiger war mir die Überein- stimmung der Empfindung, als ich den konstanten Strom anwendete, Es überrascht, bei dem physiologisch so wohlbekannten und vielverwen- deten elektrischen Reizmittel dieselbe Wirkung wieder anzutreffen, wie bei den anderen Gelegenheiten, die zunächst außerhalb der physio- logischen Beschäftigung liegen, und die Zusammenhänge, die sich da er- geben, fordern zu näherer Untersuchung auf. Zumal nun im elektrischen Strom ein experimentell leicht zu handhabendes und zu dosierendes Reizmittel vorliegt, erscheint das Nervenschwirren, das wir bei elek- trischer, mechanischer und chemischer Reizung des normalen Nerven und bei dem unbekannten „Reiz“ der Nervenerkrankung auftreten sehen, geeignet, eine Brücke zu schlagen zwischen physiologischem und pathologischem Nervengeschehen und vielleicht etwas zum Ver- ständnis beider beizutragen. Was ist das Gemeinsame in der Wirkung der verschiedenen Reizarten? und welche Vorstellung können wir uns machen über die Vorgänge im Nerven, die sich subjektiv im Nerven- schwirren äußern ? 2. Das Nervenschwirren bei galwanischer Reizung. Indem wir zunächst an die Analyse des Nervenschwirrens bei der elektrischen Reizung herangehen, wird der Hinweis, daß es sich dabei nur um „subjektive“ Vorgänge handelt, nicht wesentlich stören, wenn die Überzeugung besteht, daß der subjektive Indicator der Empfindung, obgleich schwerer quantitativ zu messen und nicht in Kurvenform registrierbar, doch nicht minder wichtig und gesetzmäßig ist als andere Indicatoren bei der Nervenerregung und, den Ausschluß von Suggestio- nen und einige Übung der beobachtenden Versuchsperson vorausgesetzt, nicht minder zuverlässige Resultate gibt, so wie in der Sinnesphysiologie die Analyse der Empfindungen als wichtigste Quelle für die Erkenntnis der physiologischen Vorgänge anerkannt ist. Freilich hatte es noch einen besonderen Grund, daß man die bei der galvanischen Durchströ- mung am Menschen entstehenden sensiblen Reizwirkungen beiseite Membranänderung und Nervenerregung. II. 485 ließ und vernachlässigte, da es hieß, daß der galvanische Strom keine genügend exakt definierbare Empfindung gebe und man auch nicht wisse, was man eigentlich dabei reize. Hier hatte eine frühere Arbeit!) insofern schon den Weg vorbereitet, als sie zeigte, daß es bei der gal- vanischen Durchströmung 3 verschiedene und für die Untersuchung sorgfältig auseinanderzuhaltende Arten von sensibeln Reizschwellen und Empfindungen gibt, je nachdem Epidermis oder sensible Hautnerven- endigungen oder sensible Hautnervenäste gereizt sind. Während ge- wöhnlich alle 3 Reizarten miteinander gemischt sind, kommt es hier auf die letzte an, die es möglichst isoliert zu betrachten gilt. Das gelingt auch recht gut, wenn die differente Elektrode an einem Hautpunkt unmittelbar über dem Verlauf eines Nervenastes aufgesetzt wird. Zum Auffinden eines Nervenastes dient die punktförmige Faradisierung. Ein Kupferdraht wird an einem Ende über der Flamme so geschmolzen, daß das spitze Ende einen Tropfen bildet, welcher beim Erkalten eine brauchbare kleine Knopfelektrode darstellt. Während ein metallener Handgriff die indifferente Elektrode bildet, wird mit dem Kupferknopf als differenter Elektrode, unter Ein- schaltung eines vom Schlitteninduktorium gelieferten faradischen Stroms, die Haut des Unterarms abgetastet. Es empfiehlt sich, die Haut mit Wasser anzu- feuchten, weil bei trockener Haut ein stechender Schmerz entsteht, der an feuchter Haut ganz fehlt. Dabei finden sich Punkte, die mit lokaler Empfindung, und andere, die mit Muskelkontraktion reagieren, und Punkte, wo die Empfindung in einiger Entfernung distal vom Reizpunkt lokalisiert wird. Solche Punkte, unterhalb derer ein sensibler Nerv oberflächlich verläuft, sind ganz scharf zu bestimmen, wenn man die Knopfelektrode quer zur Richtung des Nervenlaufs über die Haut führt. Schon eine Verschiebung der Elektrode um 1—2 mm bringt das eigenartige, in den Ausbreitungsbezirk des Nerven verlegte Gefühl zum Verschwinden. Indem man überall dort, wo der Nervenast anspricht, den Kupferknopf kräftig aufdrückt, kann man die ganze Nervenstrecke als eine mit einigen Bogen und Schlängelungen verlaufende Linie roter Druckpunkte auf der Haut markieren und ein gleichsam anatomisches Bild der Nervenverzweigung gewinnen. Die folgenden Untersuchun- gen wurden meist am N. cutaneus antebrachii lateralis vorgenommen. Auf einem so bestimmten Hautpunkt wird nun als differente Kathode eine kleine Flüssigkeitselektrode angebracht. Eine etwa 6 cm lange Glasröhre von 1 cm Durchmesser wird mittels Stativ der Haut dichtschließend aufgesetzt und von oben mit Salzlösung gefüllt; in sie taucht eine unpolarisierbare Tonelektrode. Zur Bildung der indifferenten Anode taucht die Versuchsperson die Hand des anderen Arms in einen Wasserbehälter, dem durch ein großes Metallblech der Strom zugeleitet wird, oder umgreift mit der gleichseitigen Hand eine Metallhülse. Das letztere hat den Nachteil eines weniger gleichmäßigen Kontakts und der Aufmerksamkeitsablenkung und den nur bei sehr starken Gleichströmen zu berücksichtigenden Vorteil, daß der Strom sich auf die Strecke zwischen Hand und Unterarm beschränkt, ohne den ganzen Körper zu durchfließen. Der Gleich- strom wird mittels Potentiometer von der städtischen Leitung abgezweigt und in seiner Spannung variiert, unter Einschaltung von Voltmeter und Milli- amperemeter. 1) U. Ebbecke, Über elektrische Hautreizung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 300. 1922. 486 U. Ebbecke: Zur Veranschaulichung des Versuchsverlaufs seien 2 kleine Proto- kolle angeführt. Volt 10-3 Amp. Angaben der V.p. A. 6 0,2 Nichts gespürt. 3 0,3 Spur gemerkt; eben ein bißchen angetippt. 10 0,4 Kleiner Schlag. 15 0,8 Schlag stärker. (Wo?) Wo das Röhrchen sitzt. 20 1,2 Schlag bis in den Daumen, danach unbestimmtes Gefühl, daß noch etwas da ist. 25 1,6 Deutliches Surren im Daumen. BE 0,2 Winziger Pick, nur an Ort und Stelle. 10 0,6 Schlag, auch im Zeigefinger und Daumen. 13 1,0 Schlag im Zeigefinger und Daumen, nur momentan, d. h. es verschwimmt, klingt gleich ab. 15 1,6 War nicht mit einem Schlage vorbei, sondern prickelte die ganze Zeit, wie das Anstoßen an den Musikantenknochen, Gefühl in tausend Ästen. Wie solche und ähnliche Versuche zeigen, ist unweit der Reizschwelle die einzige Empfindung die des ruckartigen elektrischen Schlags, der an der Stelle der Reizkathode lokalisiert wird. Bei stärkeren Strömen, die auch noch etwas tiefer unter der Haut die genügende Stromdichte haben, wird der Schlag auch im Verzweigungsgebiet des Nervenastes gespürt, und diese zweite Empfindung überwiegt und unterdrückt bei weiterer Verstärkung die der Hautnervenendigungen. Erst von einer gewissen Stärke an, die ein Mehrfaches des Schwellenreizes beträgt, etwa bei 1,2 Milliampere, wenn die Reizschwelle bei 0,2 Milliampere lag, gesellt sich zum Anfangsschlag eine viel schwächere Empfindung, die in sehr raschem Rhythmus unterbrochen scheint, nicht ganz regel- mäßig ist und sich bald verliert. Man ist versucht, die Empfindung im akustischen Vergleich als. ein rasch in Tonhöhe und Tonstärke absinkendes intermittierendes Geräusch zu charakterisieren, als ein Surren, das zum Summen wird und bald verklingt. Je stärker der Strom, um so heftiger und längerdauernd wird beim Stromschluß das Schwirren, das nach dem ersten raschen Absinken langsam abnimmt und, bei 2 Milliampere etwa eine Minute andauernd, in ein unbestimmtes Gefühl von Schwere oder Spannung übergeht, bis auch dieses aufhört und der mit unverminderter Stärke weiterfließende Strom für die Empfindung völlig unwirksam geworden ist. Hat der Strom eine Stärke, bei der er unangenehm und schmerzhaft zu. werden anfängt, so ist der Abstand zwischen der Stärke des ersten Schlags und des anschließenden Schwir- rens kleiner, und schließlich hebt sich der Anfangsschlag nicht mehr von dem Schwirren ab, das sofort bei Stromschluß einsetzt und einige Zeit mit gleicher Stärke anhält. Bei den größeren Stromstärken macht sich die lokal an der Kathodenstelle durch Hautreizung entstehende Empfindung von Stechen und Brennen störend bemerkbar, die aber Membranänderung und Nervenerregung. II. 487 außer durch ihren anderen Charakter und ihre Lokalisation sich dadurch unterscheidet, daß sie nach Stromschluß zunächst noch an Heftigkeit zunimmt, was beim Nervenschwirren nie der Fall ist. In graphischer Kurve gedacht, wäre der erste Erfolg des galvanischen Nervenreizes eine schmale spitze Zacke, die mit Verstärkung des Stroms nur höher wird. Später geht die Anfangszacke in eine stark nach oben konkave Kurve, nach Art einer Exponentialkurve, über, die bei Reizverstärkung immer gedehnter verläuft, so daß schließlich statt der Anfangszacke ein nur langsam absinkendes Niveau besteht. 3. Nervenschwirren und Schließungsietanus. Es fragt sich nun, welche Schlüsse für die Nervenphysiologie aus den geschilderten Beobachtungen zu ziehen oder wie die Tatsachen zu deuten und mit welchen anderen Erfahrungen sie in Beziehung zu setzen sind. Im allgemeinen gilt als ein Unterschied zwischen motorischen und sensiblen Nerven, daß jene nur auf Stromschwankungen, diese auch auf Stromdauer ansprechen. Die wenigen Untersuchungen, die über das Verhalten der zentripetalen Nerven vorliegen, stammen aus der älteren Zeit und finden sich bei Dubois- Reymond!) und Biedermann?) zusammengestellt. Dubors- Reymond trägt den Ausnahmeverhältnissen der sensibeln Nerven bei der mathematischen Formulierung seines Reiz- gesetzes dadurch Rechnung, daß er für die sensiblen Nerven seiner Formel ein besonderes Glied (+® [4A]) zufügt. Hermann) ist geneigt, die Dauerempfindung mehr einer Reizung der Sinnesendorgane als der Nerven zuzuschreiben. Biedermann (l. e. 8. 542) tritt mit Bestimmtheit für eine Dauerwirkung an den Nerven ein. Bei näherer Untersuchung vermindert sich der Unterschied im Verhalten der sensibeln und moto- rischen Nerven wesentlich. Es genügt, die Reizkathode auf einen moto- rischen Punkt des Unterarms aufzusetzen, um das Parallelgehen der Erscheinungen zu demonstrieren. Auch da tritt zunächst nur die An- fangszacke auf; ist aber der Strom stark genug, so kommt es im Anschluß an die erste Zuckung zu einem bei zunehmender Stärke immer länger anhaltenden ‚‚Schließungstetanus“. Aus der niedrigeren Reizschwelle für Schlagempfindung und Nervenschwirren gegenüber Muskelzuckung und Schließungstetanus läßt sich insofern kein Unterschied herleiten, als zu den oberflächlich gelegenen Hautnerven, die den Körper durch- setzenden Stromlinien leichter und in größerer Dichte gelangen als zu den tiefergelegenen Muskelnerven. Solche Untersuchungen anı Men- 1) E. Dubois- Reymond, Untersuchungen über tierische Elektrizität. Bd. I, S. 283. Berlin 1848. 2) Biedermann, Elektrophysiologie Bd. II, S. 544. Jena 1895. 2) Hermann, Nervenphysiologie, in Hermanns Handb. d. Physiol. Bd. II, S. 54—57. 488 U. Ebbecke: schen sind trotz ihrer Einfachheit physiologisch nicht üblich, aber der Naächteil, der darin liegt, daß der Strom nicht unmittelbar dem Nerven zugeführt werden kann, sondern physiologische Kathoden und Anoden einander benachbart sind und nur ein kleiner, nicht meßbarer Teil des Stromes an die Stätte seiner Wirkung gelangt, wird, wie man sieht, unter Umständen mehr als ausgeglichen durch den Vorteil, unter so normalen Verhältnissen untersuchen und den Reizerfolg nach 2 Indi- catoren, dem objektiven und dem subjektiven, beurteilen zu können, zumal doch auch die Verschiedenheit von Warm- und Kaltblüternerven auf die schon Eckhard!) hingewiesen hat, zu berücksichtigen ist. Der Schließungstetanus ist der Physiologie wohlbekannt aus den Unter- suchungen am Nervmuskelpräparat von Kaltfröschen und an Frosch- nerven, die durch Austrocknung und Behandlung mit Kochsalz über- erregbar geworden sind, wobei es freilich leicht den Anschein hat, daß es sich um Ausnahmefälle bei nicht normalen Nerven handelt. Nach den Versuchen am Menschen können wir nun das Nervenschwirren der sensibeln mit dem Schließungstetanus der motorischen normalen Nerven in Parallele setzen und die Erfahrungen vom einen Gebiet aufs andere übertragen. So ist der intermittierende Charakter des Nervenschwirrens bei. gleichmäßigem Stromfließen in bester Übereinstimmung mit dem durch v. Frey?) und Garten?) geführten Nachweis von der diskontinuier- lichen Natur des Schließungs- und des Öffnungstetanus. Die allgemeine Tatsache, daß der Nerv auf den konstanten Strom mit einem in ihm selbst gelegenen raschen Eigenrhythmus reagiert, gelangt bei der sensibeln Nervenreizung im Nervenschwirren recht eindringlich zu Bewußtsein, und der Schluß, zu dem wir zunächst gelangen, ist: Der konstante Strom ist bei hinreichender Stärke sowohl für den sensibeln wie für den motorischen Nerven ein Dauerreiz; der Nerv reagiert auf den konstanten Strom mit einem raschen Eigenrhythmus. Ob wir freilich berechtigt sind, bei den schwächeren Strömen wegen der feh- lenden Dauerwirkung an den Erfolgsorganen das Bestehen einer lokalen, nicht fortgeleiteten Dauererregung auszuschließen, ist eine weitere Frage. 4. Dauer des Nervenschwirrens. Auch für die stärkeren Ströme trifft der übliche Satz, daß die sen- sibeln Nerven während der ganzen Stromdauer mit Empfindung reagie- ren, nicht ohne weiteres zu. Denn wie die Beobachtung lehrt, bestehen zwischen der Anfangszacke bei schwachen und der beständigen Dauer- empfindung bei sehr starken Strömen alle Übergänge. Selbst ein anfangs recht lebhaftes Nervenschwirren ist nach einer Minute spurlos ver- !) ©. Eckhard, Beiträge 1%. ?) ». Frey, Dubois’ Arch. f. Physiol. 1883, S. 43. ») Garten, Zeitschr. f. Biol. 52, 534. 1909. Membranänderung und Nervenerregung. II. = oO =) schwunden, und bei mäßigen Strömen dauert es nur für einige Sekunden an. Warum nimmt die Reizempfindung, trotzdem der Strom mit unverminderter Stärke den Nerven durchfließt, so bald ab und verliert sich mit der Zeit? In welchen Zustand gerät der Nerv, daß die anfangs so wirksame Durchströmung nach kürzerer oder längerer Zeit für die Empfindung ganz unwirksam erscheint? Hier setzen weitere Versuche ein, welche die Abhängigkeit der Dauer des Nervenschwirrens vom Nervenzustand zeigen. Hat ein Strom, der bei seiner Schließung ein lebhaftes langdauerndes Nervenschwirren gab und allmählich für die Empfindung unwirksam wurde, den Nerven einige Minuten durchflossen, so ist die nach momen- taner Unterbrechung beim Wiederschließen eintretende Reizempfindung nur ein Anfangsschlag, kein Schwirren. Dabei ist der Strom nicht so stark, daß er eine Kathodenöffnungswirkung hat. Zur momentanen Unterbrechung genügt das manuelle kurze Heben und Senken des Hebels am eingeschalteten Quecksilberschlüssel. Nach einer Strompause von einigen Sekunden ist die Wiederholungswirkung desselben Stroms, der bei seiner ersten Wirkung langdauerndes Nervenschwirren hervorrief, ein rasch verschwindendes Schwirren. Was die Genauigkeit der Zeit- angaben betrifft, über die am besten ein Selbstversuch orientiert, so ist zu bemerken, daß bei längerdauerndem Schwirren von etwa einer Minute sich der Zeitpunkt des Verschwindens nicht scharf markiert, da die letzten Stadien von unbestimmtem Summen, Schwere oder Spannung sich nur noch ganz langsam ändern und allmählich unmerklich werden. Die Unsicherheit der sorgfältig beobachtenden Versuchsperson äußert sich in Bemerkungen wie: „Es ist kaum noch zu spüren, ganz wenig — jetzt ist es eigentlich weg — jetzt ist es wirklich ganz weg.“ Der dadurch entstehende Zeitfehler beträgt bei einer Gesamtdauer von über einer Minute 10—20 Sekunden. Dagegen ist bei einem Schwirren, das nur einige Sekunden dauert, der Zeitpunkt des Verschwindens mit voller Schärfe anzugeben. Zur Erläuterung seien 2 Versuchsbeispiele angeführt: Unter- Dauer des Nerven- Stromdauer brechungszeit schwirrens Stromstärke 152,02 — 60— 70” a 5” 4’ 5° 5” 2% Wurde durch Verschieben des Rheostaten 5’15” 30” 30—40” bei 2 Milliampere konstant gehalten. 6’ SYU 4 615” 10” 11 2... 0 - 75—100” Stieg bei konstanter Voltzahl (15 V) von 3 57 57 1,3 auf 2,4 Milliampere in einer Minute 4’ 15” 197 und blieb dann konstant. Wie solche Versuche zeigen, wird durch vorausgehende Durchströ- mung die Dauer des Nervenschwirrens vermindert. Es macht einen 490 U. Ebbecke: Unterschied aus, ob der Strom den Nerven 3 Minuten oder 5 Minuten durchflossen hatte, trotzdem er schon nach einer Minute keine Empfin- dung mehr gab; denn nach 5 Sekunden langer Unterbrechung dauert das Schwirren im ersten Fall doppelt so lang als im zweiten. Es macht auch einen Unterschied, ob in der Zwischenzeit eine längere Pause (30 Sek.) eingeschoben war; deren erholende Nachwirkung macht sich sogar bei der 45 Sekunden später erfolgenden Unterbrechung noch bemerkbar. Es gibt wohl kaum eine einfachere Methode, um zu zeigen, daß ein Strom, der so wirkungslos geworden zu sein scheint, als wäre er nicht vorhanden, doch eine dauernde Wirkung auf den Nerven ausübt, ja sogar eine die Durchströmung überdauernde Wirkung hinterläßt. Von dieser Nachwirkung ‚‚erholt‘“ sich der Nerv recht rasch. Es ist aber zweifel- haft, ob man von einer Ermüdung im eigentlichen Sinne sprechen kann. 5. Einschleichen. Man könnte sagen, daß der Mensch sich an das eigenartige Gefühl des Schwirrens gewöhnt oder, wie es bei gleichbleibenden Reizen leicht _ geschieht, dagegen abstumpft, und würde damit den Grund für das Verschwinden des Schwirrens in psychischen oder doch zentralnervösen Vorgängen suchen. Zur Prüfung der Frage wurde eine dritte Versuchs- reihe angestellt. Die Frage lief darauf hinaus, ob es gelingt, in das Nervenschwirren ‚einzuschleichen‘‘, eine Frage, die bei einer so gut auf Zeitreize ansprechenden Erscheinung um so wichtiger war. Die Antwort, welche die Versuche geben, ist recht deutlich: Auch für das Nervenschwirren ıst ein Einschleichen möglich, wenn auch nicht so leicht wie für den Anfangsschlag. Es ist beim Menschen einfach, für den Antanehlas das Einschleichen des galvanischen Stromes in sensible oder motorische Nerven zu demon- strieren und es genügt die hier verwendete Schaltung eines Schieberrheo- staten als Potentiometer mit Handverschiebung des Schiebers, voraus- gesetzt, daß der Schieber überall guten Kontakt hat. Der hier verwendete Rheostat hatte 2 Spulen von 40 cm Länge, von denen die eine 675, die andere 88 Ohm Widerstand hatte. Wurde der Schieber auf dem zweiten, gleichmäßig gewickelten Widerstand vom Anfang zum Ende geschoben, so wuchs die Spannung um 25 Volt. Hat man sich für die Reizkathode eine Hautstelle ausgesucht, wo sich bei plötzlicher Einschaltung von beispiels- weise 12 Volt eine deutliche Zuckung oder Schlagempfindung einstellt, und stellt dieselbe Stromstärke her, indem man bei geschlossenem Schlüssel den Schieber rasch, in etwa einer Sekunde, vom Anfang bis zur Mitte verschiebt, so bleibt der Reizerfolg aus. Es ist bekannt, daß für einen Froschnerven der Strom 60 mal so stark sein muß, um zu reizen, wenn er, statt plötzlich geschlossen zu werden, innerhalb einer Sekunde allmählich ansteigt. Wiederholt man nun den Versuch mit einer größeren Membranänderung und Nervenerregung. II. 491 Stromstärke, die bei plötzlicher Schließung gutes Nervenschwirren gibt, und gleich rascher Verschiebung, so fällt zwar der Anfangsschlag aus, das Nervenschwirren aber kommt nach wie vor deutlich, nur viel- leicht etwas abgeschwächt, zum Vorschein. Erst, wenn das Anwachsen des Stromes sehr viel langsamer erfolgt, kann der Strom seine vorher wirksame Stärke erreichen, ohne daß die Versuchsperson etwas anderes angibt als vielleicht ein leichtes Brennen an der Stelle der aufliegenden Kathode. Obgleich für quantitative Versuche das manuelle Verschieben nicht exakt genug ist und auch Unterschiede der Versuchspersonen vorzuliegen scheinen, läßt sich doch aus den Versuchen folgendes als Regel entnehmen. Die Zeit des Einschleichens beträgt etwa das Doppelte bis Dreifache der Zeit, die das Nervenschwirren bei plötzlich einsetzen- dem, gleichstarkem Strom andauern würde. Für das Einschleichen ist die untere Hälfte des Stromanstiegs nebensächlich gegenüber der oberen Hälfte; es kommt darauf an, daß der Strom längere Zeit bei einer Stärke verweilt, bei der er für sich nur eben noch nicht wirksam ist. Oder mit anderen Worten: Die Veränderung des Nerven, die das Schwirren beseitigt, tritt schon ein bei einer Stromstärke, die selbst noch kein Schwirren hervorruft. Welche Veränderung des Nervenzustandes das ist, bleibt zu erörtern. Eine Ermüdung ist es insofern nicht, als kein äußerlicher Reizerfolg vorangegangen war; daher ist auch ein zentralnervöser Vorgang aus- geschlossen, da zum Zentralnervensystem überhaupt kein Reiz gelangte. Aber — ganz in Übereinstimmung mit den vorhergehenden Abschnitten — eine Wirkung der Durchströmung ist da, auch wenn sie, ohne sich als Erregungswelle fortzupflanzen, lokal beschränkt bleibt. Ist diese Wirkung auch eine Art Erregung? 6. Natur der Dauererregung. Als ein Ergebnis der Beobachtung des Nervenschwirrens können wir formulieren: Die Wirkung des konstanten Stroms auf den Nerven ist eine Dauererregung und zugleich eine Veränderung, welche die Fortleitung der lokalen Dauererregung verhindert. Es wird sich nun darum handeln, die geschilderten Beobachtungen mit den Erfahrungen und Begriffen der Nervenphysiologie in Beziehung zu setzen und aus den sich ergeben- den Gesetzmäßigkeiten Schlüsse auf die Natur des Nervenvorgangs zu ziehen. Daß, ähnlich dem Kathodenwulst eines durchströmten Muskels, auch am Nerven die Kathode eine während der ganzen Stromdauer anhaltende, nur lokal bleibende Erregung hervorrufe, hat schon Bieder: mann!) mit Bestimmtheit ausgesprochen. Diese nicht recht zur Anerken- nung gelangte Auffassung wird um so wichtiger, seitdem Keith Lucas !) Biedermann, Elektrophysiologie Bd. II, S. 542. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 32 *492 U. Ebbecke: in verschiedenen Arbeiten die Notwendigkeit betont hat, lokale Reizung (local exeitation) und fortgeleitete Störung (propagated disturbance) streng auseinanderzuhalten. Eine Dauerwirkung des Stromes stellten ja schon die elektrotonischen Ströme dar, von denen freilich unsicher war, inwieweit sie als eine Erregung oder nur als eine am physikalischen Modell nachahmbare Polarisationserscheinung zu deuten waren. Neuer- dings fand Verzar!) als eine die Erregungswelle längere Zeit überdauernde Nachwirkung eine Polarisierbarkeitsabnahme und brachte die Erschei- nung mit der Hermannschen positiven Schwankung und der Abnahme des elektrotonischen Quotienten am narkotisierten Nerven (Biedermann, Waller) in Zusammenhang. In einer Arbeit, die sich ausführlich mit den Polarisierbarkeitsänderungen am Nerven beschäftigte, konnte ich?) einige neue Symptome von Dauererregung feststellen und sie auf Mem- änderungen zurückführen. Es zeigte sich, daß die Kathode des kon- stanten Stroms eine Membranlockerung, die Anode eine Membran- verdichtung hervorruft, die sich in einer Abnahme, bzw. Zunahme des Gleichstromwiderstandes dokumentiert, und daß diese kathodische Membranlockerung, wie wir sie nach immer mehr sich häufenden Be- weisen als Anzeichen und erstes Glied einer Erregung anzusehen uns gewöhnen, während der ganzen Dauer der Durchströmung nicht nur anhält, sondern sich sogar noch vertieft, um so mehr, je stärker der Strom ist. Dabei besteht volle Analogie zu dem Verhalten der Epidermis- zellen, die der elektrischen Untersuchung leicht zugänglich sind. Wie aus der Messung des kathodischen Gleichstromwiderstandes zahlen- mäßig hervorgeht, ist die Geschwindigkeit der Durchlässigkeitssteigerung anfangs am größten und läßt sehr bald nach, und nach einiger Zeit hat sich der Grad von Festigkeit und Undurchlässigkeit der semipermeab- len Grenzschichten auf ein relatives Minimum für die bestimmte Strom- stärke eingestellt. Es ist nun nicht mehr schwer, in den hier mit der subjektiven Methode des Nervenschwirrens gewonnenen Resultaten dasselbe wiederzuerkennen, was dort die objektive Methode der Widerstands- und Polarisations- messung zeigte, nämlich, daß sich an die Anfangswirkung bei der gal- vanischen Nervenreizung eine gleichartige, erst rasch, dann langsamer abnehmende Wirkung anschließt. Der ersten Schlagempfindung folgt das rasch absinkende Nervenschwirren. Daß sich der Schlag vom fol- genden Schwirren abhebt, beruht auf der Geschwindigkeitsänderung der Reaktion, die im ersten Augenblick am größten ist. Die Parallele 1!) F Verzar, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 152, 304. 1913 und Zur Frage des Nachweises der Permeabilitätsänderung des Nerven bei Narkose und Erregung. 3iochem. Zeitschr. 10%, 98. 1920. 2) U. Ebbecke, Membranänderung und Nervenerregung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 555. 1922. Membranänderung und Nervenerregung. II. 493 zwischen den beiden objektiven und subjektiven Erscheinungen läßt sich in alle Einzelheiten verfolgen und ist gewiß lehrreich. Sie führt zu dem Schluß, daß das Nervenschwirren oder, um auch den Schließungs- tetanus einzubegreifen, der zum Erfolssorgan fortgeleitete Reizerfolg nur zustande kommt, solange die Membranfestigkeit sich noch nicht auf das relative Minimum eingestellt hat, genauer, solange die Abnahme der Membranfestigkeit in der Zeiteinheit noch über einem bestimmten Mindestbetrag bleibt. Solange aber diese Mindestgeschwindigkeit besteht, kommt es, wie Schwirren und Tetanus zeigt, zu ruckweise in rhythmischer Reihe sich folgenden Erregungswellen. Es ist damit nicht gesagt, daß die Durchlässigkeitssteigerung selbst ruckweise geschehen müsse; denn, bildlich gesprochen, kann auch ein kontinuier- lich einfließendes Wasser einen passend darunter angebrachten Kübel rhythmisch zum Umkippen bringen. Dabei ist die Zeit bis zum Er- reichen des relativen Minimums, wie die objektiven und subjektiven Symptome übereinstimmend anzeigen, um so länger, je stärker der Strom ist, vorausgesetzt, daß der Reiz nicht mit einer die Membranen sogleich maximal und irreversibel schädigenden Heftigkeit einsetzt, und ist bei schwachen Strömen so kurz, daß nur die Erstwirkung, Zuckung oder Schlagempfindung, zum Vorschein kommt. Wenn wir so das Nervenschwirren mit einem Zustand lokaler Mem- branlockerung in Zusammenhang bringen, so ist diese aus der galvani- schen Reizung gewonnene Vorstellung ebenso auf die anfangs angeführ- ten, nicht elektrisch bedingten Fälle von Nervenschwirren übertragbar. Sowohl mechanische wie chemische Reize, zu welch letzteren auch wohl die entzündlichen und krankhaften Einflüsse gehören, bringen eine Permeabilitätssteigerung mit sich und versetzen den Nerven in ein Stadium, das durch Reizerscheinungen und Erregbarkeitsänderungen charakterisiert ist und den Übergang bildet zwischen der Erregung im gewöhnlichen Sinne und der Lähmung. Es ist das Stadium, dem Wedenski!) eingehende und wichtige Untersuchungen gewidmet und den Namen ‚Parabiose‘‘ gegeben hat. Indem wir, ohne näher hierauf einzugehen, auf jene Arbeit verweisen und uns des Namens bedienen, können wir also sagen: In allen den Fällen, bei denen das Nervenschwir- ren auftritt, befindet sich der Nerv in einem Zustand der Parabiose; das Nervenschwirren ist ein Symptom von Parabiose. Hier sei nur eine kleine charakteristische Erscheinung hervorgehoben, die sich bei den Parästhesien leicht beobachten läßt. Von einer unvoll- kommenen Druck- oder Cocainlähmung eines Armnerven ist oft, solange der Arm völlig ruhig gehalten wird, nichts zu spüren, jede Bewegung oder Berührung der Finger aber bewirkt ein lebhaftes, schnell abklin- !) Wedenski, Erregung, Hemmung und Narkose. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 1. 1903. 32* 494 U. Ebbecke: gendes Schwirren. Auf den gewöhnlichen, von den Receptoren der Haut ausgehenden momentanen Berührungsreiz hat der Nerv mit einer etwas länger dauernden, rhythmischen Reaktion geantwortet, wie sie sonst bei unveränderten Nerven nur nach übermäßigem Reiz (Reiben der Lippen, Stoß an den Musikantenknochen) eintritt. Die Eigentüm- lichkeit ist typisch für die Parabiose, die sich durch verlängerte und vertiefte Nachwirkung auszeichnet. Die schon am normalen Nerven vorhandene Erregungsnachwirkung, die praktisch unmerklich und nur mit den feinsten Methoden nachweisbar ist, kommt im ver- größerten Maßstab im Nervenschwirren zum Bewußtsein, wenn die Erregungswelle eine Nervenstelle durchläuft, die durch Vorbehandlung in den Zustand der parabiotischen Membranlockerung und Dauer- erregung versetzt ist. 7. Nutzzeit und Akkommodation. Die Begriffe Dauererregung und Parabiose fanden Anwendung auf die in den ersten Abschnitten der Arbeit beschriebenen Beobach- tungen. Für die über die Dauer des Nervenschwirrens und das Ein- schleichen angestellten Versuche finden sich eine ganze Reihe vergleich- barer, aus verschiedenen Gebieten der Nervenphysiologie stammender Erfahrungen, die nun in Zusammenhang zu setzen sind. So läßt sich die Wirkung einer wiederholten Durchströmung nach kurzer Unterbrechung auffassen als eine ‚Reizung durch Stromlücken“, wie sie Güöldemeister!) und Weiss?) und Keith Lucas?) untersucht haben. Wenn sich dabei ergibt, daß Strompausen unterhalb einer gewissen Dauer wirkungslos sind, mit ihrer Länge an Wirkung zunehmen und, um denselben Erregungseffekt zu haben, um so länger sein müssen, je schwächer der Strom ist, so ließe sich das auch von unseren Versuchen sagen, bei denen man als Reizeffekt nur das Nervenschwirren, nicht den Anfangsschlag in Betracht zöge. Freilich handelt es sich dort um Strom- pausen von weniger als /, 900 Sekunde, während sie hier mehrere Sekunden betragen. Aber die als Nachwirkung eines Reizes hinterbleibende Erregbarkeitsänderung zeigt sich hier wie dort. Nur tritt als ein die Versuchstechnik und die Beobachtung wesentlich erleichternder Um- stand hervor, daß das Nervenschwirren das gewöhnliche Nervenverhalten sozusagen in starker Vergrößerung wiedergibt. Über die Art der Erregbarkeitsänderung, die sich auch mit dem absoluten oder relativen Refraktärstadium in Zusammenhang bringen 1) @ildemeister, Über ein mechanisches Modell eines Nervenmuskelpräparates. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 57. 2) Gildemeister und Weiss, Über indirekte Muskelreizung durch Stromstöße und Strompausen. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 130, 329. 1909. ») Keith Lucas, Journ. of physiol. 35, 310. 1907. Membranänderung und Nervenerregung. II. 495 ließe, unterrichtet näher der Vergleich mit der von Werigo!) genau untersuchten ‚depressiven Kathodenwirkung‘“‘. Was Werigo am Nerv- muskelpräparat findet, die katelektrotonische Erregbarkeitsherabsetzung bei und nach stärkerer oder längerdauernder Durchströmung, das kehrt bei der Beobachtung des Nervenschwirrens wieder. Ja, die Regel, daß an einem erstmalig durch den Strom in ‚Depression‘ versetzten Nerven bei einer wiederholten Durchströmung die zum Hervorbringen desselben Zustandes erforderliche Stromdauer kürzer geworden ist, wird durch das Nervenschwirren besonders einleuchtend demonstriert, dessen Dauer bei der ersten Durchströmung eine Minute, bei der zweiten, gleichstarken Durchströmung nur wenige Sekunden beträgt. Wie in der früheren Mit- teilung auseinandergesetzt, ist die depressive Kathodenwirkung ein gut dosierbarer und meßbarer Spezialfall von Parabiose und steht in Be- ziehung zur Membranlabilität. Scheinbar ganz anders wird die Auffassung, wenn wir den Begriff der „Nutzzeit‘“ in unsere Betrachtung einbeziehen, wie ihn die Unter- suchungen von Lapieque, Dubois, Hermann, Gildemeister?), Keith Lucas geschaffen haben. Nehmen wir die Nutzzeit in ihrer ursprünglichen Definition als die Zeit, während deren der Strom für den Reizerfolg ausgenützt wird, und betrachten als Reizerfolg das Nervenschwirren, so ist auch hier die Nutzzeit über tausendmal größer als bei den üblichen Untersuchungen am Nervmuskelpräparat. Als erste Regel ergibt sich, daß die Nutzzeit mit der Stromstärke zunimmt, was im Widerspruch mit einer Angabe @üldemeisters (l. c. S. 389) steht. Freilich beschränkt Gildemeister seine Untersuchung ausdrücklich auf die Wirkung schwä- cherer Ströme und empfiehlt, Übergangsreize und Dauerreize streng gesondert zu halten. Für unsere Zwecke wiederum wäre die Trennung nicht vorteilhaft. Auch hilft die Formulierung, daß die Nutzzeit eine Funktion von Stromstärke und Nervenzustand ist, hier nicht viel weiter, da sie noch nichts über das Wesen des Vorgangs sagt. So können wir, dem Rate folgend, den Begriff der Nutzzeit für diesen Fall nicht recht anwenden. Denn obgleich auch hier die Nutzzeit keineswegs mit der Stromdauer zusammenfällt, sind doch in dem Begriff sowohl die lokale Reizung als die fortgeleitete Erregungswelle enthalten. In mancher Beziehung reziprok zur Nutzzeit ist ein Begriff, den Nernst bei der Aufstellung seiner elektrischen Reizgesetze als Hilfs- begriff einführte, die ‚„Akkommodation“. Nachdem das Einschleichen auch für das Nervenschwirren zeigte, daß nicht eigentlich eine den Reizerfolg aufhebende Ermüdung vorliegt, kann man von Anpassung, Adaptation oder Akkommodation sprechen, freilich auch hier zunächst, 1) Werigo, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 417. 1883 und 84, 547. 1901. ?) Gildemeister, Die allgemeinen Gesetze des elektrischen Reizes. I. Die Nutz- zeit und ihre Gesetze. Zeitschr. f. Biol. 62, 358. 1913. 496 U. Ebbecke: ohne einen physikalisch-chemischen Sinn mit dem Worte zu verbinden. Schon Reiss!) hat darauf hingewiesen, daß der Befund von Achelis und Gildemeister ?), die diagnostisch wichtige starke Verlängerung der Nutz- zeit bei entnervten Muskeln, sich berührt mit seinem Befund, daß ein Einschleichen des Stromes am entarteten Muskel nicht mehr wie am gesunden möglich ist. Die zugrunde liegende Tatsache läßt sich also sowohl als eine Zunahme der Nutzzeit, oder nach Lapiceque der ‚Chro- naxie“‘, wie als eine Abnahme der Akkommodationsgeschwindigkeit ausdrücken. Wenn beim Nervenschwirren die Nutzzeit sehr groß ist, so ist die Akkommodationsgeschwindigkeit sehr klein. Da sie aber bei schwächeren Strömen tatsächlich so groß ist, daß nur die erste Schlag- empfindung zum Vorschein kommt, so hätte man vielleicht besser zu sagen, der Nerv akkommodiert sich für einen stärkeren Strom schwerer als für einen schwachen. Bei wiederholter Durchströmung lernt er gleichsam sich schneller zu akkommodieren, oder er bleibt auch nach Stromunterbrechung noch eine Zeitlang relativ akkommodiert. Man sieht, wie verschieden ein und derselbe Befund ausgedrückt werden kann je nach Art der zu seiner Einregistrierung gewählten Begriffe, und sieht, mit welchen Schwierigkeiten der Nomenklatur und Verstän- digung die Physiologie zu kämpfen hat, solange sie sich zur Ordnung ihrer Beobachtungen mit bildlichen Umschreibungen behelfen muß, statt ihre Tatsachen auf physikalische und chemische Grundlagen stellen, ihre Begriffe an die gereinigten und einfacheren Begriffe der Physik und Chemie anlehnen zu können. Dauererregung und Akkommodation. Vielleicht am schlimmsten wird die Verwirrung, wenn wir wieder auf den Begriff der Dauererregung zurückkommen. Der konstante Strom versetzt den Nerven in lokale Dauererregung, die bei genügender Stromstärke auch nach der Unterbrechung noch einige Zeit anhält. In dem Satz kann statt Dauererregung ebensogut Akkommodation stehen. Ist also Dauererregung, Erregbarkeitsherabsetzung und Ak- kommodation dasselbe? — Die Parabiose ist ein Zustand von lokaler Dauererregung. Die Narkose ist eine Form der Parabiose. Also ist auch die Narkose eine Erregung, während wir sie doch nach dem Mangel aller äußeren Entladungen und der bei den höheren Graden der Narkose deutlichen Stoffwechsel- und Oxydationshemmung durchaus als Läh- mung zu beurteilen gewohnt sind. — Für den Zusammenhang zwischen Dauerreizung, Akkommodation und Lähmung bei einer nichtelektrischen !) Reiss, Zur Theorie der elektrischen Entartungsreaktion. Zeitschr. f. Biol. 66, 359. 1915 und Die elektrische Entartungsreaktion. Berlin 1911. 2) Acheliz und Güldemeister, Über die Nutzzeit degenerierender Muskeln. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 11%, 586. 1915. Membranänderung und Nervenerreeung. II. 497 Einwirkung sei noch ein Beispiel angeführt. Wie Goldscheider!) zuerst beobachtet und beschrieben hat, wird eine fest an die Haut gelegte Klemme, die zunächst einen heftigen, kaum erträglichen, anhaltenden Schmerz hervorruft, unter Abnahme des Schmerzes innerhalb von etwa 2 Minuten für die Empfindung ganz unwirksam, und erst beim Abnehmen der Klemme tritt erneut ein Schmerz auf. Die bisher fehlende Erklärung der Erscheinung, die im Rahmen jener Arbeit nur Neben- befund war, läßt sich dem Vorangegangenen entnehmen. Obgleich die Verhältnisse insofern ungünstiger liegen, als neben der reinen Nerven- wirkung auch die Hautreizung und Epidermisschädigung eine Rolle spielt, ist doch zu sehen, daß der dauernd gereizte, gedrückte Nerv sich akkommodiert oder in Drucklähmung gerät, um sogleich beim Entfernen des mechanischen Reizes sich wieder zu restituieren. Es ist freilich nicht das Übliche, hier statt von Lähmung von Akkommodation zu reden oder etwa zu sagen, daß ein Nerv sich für die fortgesetzte Wir- kung eines Cocainreizes mit einer Anästhesie akkommodiert. Es wird leichter, den Knoten zu entwirren, wenn wir im Ansehluß an Heringsche Gedankengänge den Begriff der Restitution als not- wendigen Bestandteil der Erregung, als Korrelat und Gegengewicht des dissimilativen Zerfalls, zu Hilfe nehmen. Der konstante Strom oder auch ein anderer Reiz, der zu den ersten Entladungen geführt hatte und weiterwirkt, verhindert den Nerven, in den geladenen und entladungsbereiten Status quo ante zurückzukehren, hält ihn in dem relativ entladenen Zustand fest, in den ihn die Erregung versetzt hatte. Erst bei der Unterbrechung des Stroms tritt die Restitution mit einer großen Geschwindigkeit ein. Ähnlich bezeugt ein Muskel die Fortdauer des durch den galvanischen Strom gesetzten Reizzustandes in der ka- thodischen lokalen Dauerkontraktion, die vermutlich der Ausdruck einer als Stoffwechselhemmung aufzufassenden Anhäufung unzerstörter Milchsäure ist. Was sich bei einer Aktionsstromwelle des Nerven in Bruchteilen von Sekunden abspielt, wird in unserem Fall am Nervenschwirren in . zeitlicher Vergrößerung leicht meßbar. Und es ist doch wohl ein Fort- schritt und eine Vereinfachung, wenn wir nun in der Lage sind, den Vorgang der Entladung und folgenden Restitution im Nerven an dem ihn, sei es causal, sei es symptomatisch, begleitenden Vorgang der Membranlockerung und folgenden Membranfestigung zu verfolgen und dadurch eine Reihe von Erfahrungen und Begriffen in inneren Zu- sammenhang zu setzen. So sehen wir die Nernstsche Akkommodation als eine lokale Dauererregung, Dauerentladung oder Restitutionshem- mung verschiedenen Grades an, die sich in einer elektrisch meßbaren 1) Goldscheider, Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Haut- sensibilität. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 165, 20. 1916. 498 U. Ebbecke: Abnahme von Polarisierbarkeit und Gleichstromwiderstand an der Kathode, einer Durchlässigkeitssteigerung und Membranlockerung äußert. Auf die Stärke dieser Art von Nervenerregung ist das ‚‚Alles oder Nichtsgesetz‘‘ durchaus nicht anwendbar. Solange unter der Reiz- einwirkung die Membranlockerung weiter fortschreitet, treten immer neue Potentialdifferenzen zwischen der unmittelbar betroffenen Stelle und ihrer Nachbarschaft auf, die im Sinne der Hermannschen Strömchen- theorie den Anstoß zu einer Aktionsstromwelle und Erregungswelle geben. Sobald die Membranfestigkeit ihr relatives Minimum erreicht hat, ist das nicht mehr der Fall. Vermutlich kann bei relativ langsamem Reizzuwachs und großer Reaktionsgeschwindigkeit, die sich nach beiden Seiten ausgleichende lokale Erregung so gleichmäßig sich vertiefen, daß das Zustandekommen sprunghaft explosiver Membranänderungen und Potentialdifferenzen zwischen Nachbarstrecken vermieden wird. Ein Einschleichen in die lokale Dauererregung selbst dagegen wäre eine Contradictio in adjecto. Aus der Gleichheit des Geschehens bei Er- regung und Akkommodation ergibt sich die Folgerung, daß ein erreg- bares Gebilde eine um so raschere Akkommodation und kürzere Nutz- zeit hat, je größer seine, nach der Aktionsstromdauer oder Fortleitungs- geschwindigkeit beurteilte Reaktionsgeschwindigkeit ist, was durchaus den Erfahrungen entspricht. Es ist zu hoffen, daß weitere Untersuchungen die Nomenklatur und Verständigung noch mehr vereinfachen und tiefer zu den physi- kalisch-chemischen Grundlagen vordringen und daß die von so vielen Seiten aus unternommenen Bestrebungen zur Erkenntnis und Analyse des Erregungsvorgangs schließlich zu einem einheitlichen Ergebnis zusammenwirken, wobei dann auch die am Nervenschwirren der sen- sibeln Nerven so leicht zu demonstrierenden Verhältnisse von Dauer- erregung und Akkommodation ihren Anteil beitragen mögen. Zusammenfassung. Das als Gefühl des „‚Eingeschlafenseins‘‘ bekannte Nervenschwirren findet sich bei allerlei Nervenerkrankungen und am normalen Nerven infolge einer mechanischen (Nervendruck), chemischen (Cocainanästhesie) oder elektrischen Einwirkung als ein Übergangsstadium zwischen Er- regung und Lähmung — genauer zwischen fortgeleiteter und lokal- beschränkter Erregung — und als ein Symptom parabiotischer Nerven- änderung. Das Nervenschwirren bei galvanischer Reizung sensibler Haut- nervenäste entspricht dem Schließungstetanus bei Reizung motorischer Nerven. Während bei konstanter Durchströmung des sensibeln Nerven schwache Ströme nur Anfangsempfindung, starke Ströme Dauerempfin- Membranänderung und Nervenerregung. II. 499 dung geben, bewirken mittlere Stromstärken ein Nervenschwirren, das sich während der Durchströmung verliert und dessen Dauer je nach der Stromstärke wenige Sekunden oder Minuten betragen kann. Außer von der Stromstärke hängt die Dauer des Nervenschwirrens vom Zustand des Nerven ab und wird durch eine Vorbehandlung (vorhergehende Durchströmung) des Nerven abgekürzt. Auch Ströme, die selbst noch kein Nervenschwirren ‚hervorrufen, können, wenn sie lange genug einwirken, das Nervenschwirren bei stärkeren Strömen verhindern (Einschleichen). Das Nervenschwirren zeigt dieselben Ereignisse, die sich bei der gewöhnlichen Reizung des Nervmuskelpräparats abspielen, gleichsam in zeitlicher Vergrößerung. Der konstante Strom bewirkt am Nerven eine Erregung und zugleich eine Änderung, welche die Fortleitung der lokalen Erregung verhindert. Beide Wirkungen sind einander nahe verwandt. Die durch den konstanten Strom am sensibeln oder motorischen Nerven bewirkte lokale kathodische Erregung hält während der Durch- strömungszeit an und überdauert sie noch. Sie nimmt während der Durchströmung anfangs rasch, dann langsamer zu. Eine fortgeleitete Erregungswelle, die sich in der, subjektiv oder objektiv feststellbaren, Reaktion des Erfolgsorgans äußert, kommt nicht mehr zustande, wenn der Zuwachs der lokalen Erregung in der Zeiteinheit unter ein gewisses Maß herabsinkt. Dauererregung, Akkommodation und Parabiose werden unter- einander und mit der als Aussdruck einer Erregung stattfindenden Durchlässigkeitssteigerung und Membranlockerung in Zusammenhang gebracht. Untersuchungen über die Phlorrhizinglueosurie. 1. Mitteilung. Hunger-Phlorrhizinversuche. Von P. Junkersdorf. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bonn.) (Eingegangen am 4. Oktober 1922.) Nachdem wir in früheren an dieser Stelle veröffentlichten Arbeiten!) das Verhalten der Leber im Hungerzustande und bei verschiedener Er- nährung untersucht haben, wollen wir nunmehr zusehen, wie sich der Organismus und insbesondere die Leber unter denselben Bedingungen während der Phlorrhizinglucosurie verhält. Wir werden finden, daß die hierbei gemachten Beobachtungen, mit den früher gewonnenen Erfahrungen verglichen, sich nicht nur für die Beurteilung der Leberfunktion unter der Phlorrhizinwirkung verwerten lassen, sondern auch mit dazu beitragen können, die Wirkung des Phlorrhizins auf das Gesamtstoffwechselgeschehen zu klären und damit das eigentliche Wesen des Phlorrhizindiabetes unserem Ver- ständnis näherzubringen. In der vorliegenden I. Mitteilung besprechen wir zunächst Versuche über ‚die Phlorrhizinwirkung im Hungerzustande. Die Versuchstiere, gesunde Hunde verschiedener Rasse, verschie- denen Alters, Geschlechts und Größe, befanden sich bei Beginn der Hungerperiode in einem sehr verschiedenen Ernährungszustande. Die voraufgegangene Ernährung war unbekannt. Die Versuchsanordnung war derart, daß die Tiere bei Wassergabe 7 Tage hungerten. Bei Fort- dauer der Karenz wurde am 8., 9. und 10. Tage morgens, je nach der Schwere, 1,0—1,5g Phlorrhizin in Natriumcarbonatlösung subeutan verabfolgt. Was die analytische Methodik angeht, so vergleiche man darüber das bei früherer Gelegenheit Gesagte ?). !) P. Junkersdorf, Beiträge zur Physiologie der Leber. I. Mitteilung, Das Verhalten der Leber im Hungerzustande. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 238. 1921. — Il. Mitteilung, Das Verhalten der Leber bei einseitiger Ernährung mit Eiweiß. Ebenda 186, 251. 1921. — III. Mitteilung, Das Verhalten der Leber bei der Glykogenmast. Ebenda 18%, 269. 1921. — IV. Mitteilung, Das Verhalten der Leber bei Eiweißfütterung nach voraufgegangener Glykogenmast. Ebenda 192, 305. 1921. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 242—243. 1921, P. Junkersdorf: Untersuchungen über die Phlorrhizinelucosurie. I. 501 Wir führten 2 Versuchsreihen durch und besprechen an erster Stelle Versuche, bei denen die Tötung am 10. Hungertage, 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe, erfolgte. 1. Hunger- Phlorrhizinversuche. Tötung 7 Stunden nach der letzten Phlor- rhizingabe. Die Versuchsergebnisse stellen wir in Tabellenform der Besprechung voran!). Tabelle I. Hunger- Phlorrhizinversuche. — Tötung 7 Stunden nach der letzten Phlor- rhizingabe. Sa: Eee N 5 Nr. Sry eı,. | B8oe S | Leber | Muskem| der a, gar | 85 |8 5| Sse | (ol) | (@ol) | Leber | K.-6. kg ka el ee YEE IMELAE AA N |unee g Ders 36, 37 | 0004 0172 | 3098| 88 122 ONE a 2150 2807 0.0910 0.0.1852 | 125 | 37.092224 123 1027 278192 02,32) 360, | 0.028) 0.273 22/62 61,501 ,°0%7 Da sr 0107| 27 | 282 |.0.036 | 0.98) | 279. 63,96. 05.71 oo 205 | 19,2) | 29 | 27.4 10.07 | 0.09 || 41.08 | 58,389 | 3.27 127 .| 537) 46 5,6 | 59,05 | 0,043 | 0,12 | 74,10 49,77 | 10,36 Doro 38 350 005 | os | 199 A619 | 905 DI 100, 85.33 374 003 | 0245507 4637 5,26 131 | 70| 52 | 306| 265 1006 [02 | sa | — | — ro ls W158 2,2 6.30.07 0.085 0.32 neo 20 a5 322 0.0567 | 0108 Berne Die Versuche dieser Reihe wurden im Herbst in den Monaten Sep- tember und Oktober angestellt. Was zunächst beim Überblick der analytischen Daten der Tabelle auffällt, ist die merkwürdige Übereinstimmung in dem ganz geringen Gehalt der Leber an Glykogen. Der Höchstwert beträgt 0,091%,, der Mindestwert 0,036% ‚ der Mittelwert aus allen 10 Versuchen nur 0,0567 %. Auch der Gehalt der Muskulatur an Glykogen ist ein ganz geringer, 0,198% , und schwankt nur in engen Grenzen. Diese Übereinstimmung ist deshalb von Bedeutung, weil die Tiere bei Beginn der Versuche sich in einem ganz verschiedenen Ernährungs- zustande befanden, also sicher ganz verschiedene Mengen von ‚‚Beserve- glykogen‘ aufgespeichert hielten. Man hat mithin in der von uns durchgeführten Versuchsanordnung — 10 Tage Hunger, die 3 letzten Tage Phlorrhizin, Tötung 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe am 10. Hungertage — eine absolut !) Die ausführlichen Versuchsprotokolle dieser, wie auch der übrigen hier mitgeteilten Versuche siehe Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 131, 284ff. 502 P. Junkersdorf: zuverlässige Methode zur Verfügung, Hunde für Stoffwechselversuche „praktisch glykogenfrei‘‘ zu machen, oder richtiger gesagt, in Stoff- wechselversuchen für die Beurteilung des Glykogenbestandes der Versuchs- tiere eine sichere Basis zu schaffen. Von Wichtigkeit ist hierfür, das sei besonders hervorgehoben, die Innehaltung des Tötungstermins 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizin- gabe. Erfolgt die Tötung nämlich früher oder später, so wird, wie wir noch sehen werden, individuell sehr verschieden, absolut mehr Glykogen gefunden. Wichtig erscheint uns in diesem Zusammenhang ein Vergleich der in dieser Versuchsreihe gefundenen niedrigen Glykogenwerte mit den Werten unserer früher mitgeteilten Hungerversuche ohne Phlorrhizin- gabe!). Im Gegensatz zu den vorliegenden Resultaten liegt in diesen, abgesehen von der ohne weiteres verständlichen absolut höheren Menge, der Durchschnittsglykogengehalt der Leber in Höhe von 0,59% be- trächtlich über dem mittleren Muskelglykogengehalt von 0,21%, wäh- rend in den vorliegenden Versuchen das Umgekehrte der Fall ist: Der Leberglykogengehalt von 0,0567% liegt erheblich unter dem Muskel- glykogengehalt von 0,198%. Die Gegenüberstellung dieser Befunde beweist unzweideutig, daß die Leber unter der Wirkung des Phlorrhizins ihr Reserveglykogen aus- giebiger einbüßt als die Muskulatur, resp. daß das Muskelglykogen im Phlorrhizindiabetes zäher zurückbehalten wird. Diese Beobachtung wurde auch schon von Reilley, Nolan und Lusk?) gemacht. Sie fanden in der Beinmuskulatur eines Hundes, der 14 Tage lang durch 3malige Phlorrhizininjektion an jedem Tag der ganzen Versuchsdauer vergiftet war, noch 0,37%, Glykogen, also fast doppelt soviel wie wir in unseren Versuchen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Tötungstermin nach der letzten Phlorrhizingabe, der, wie schon erwähnt und noch gezeigt werden wird, dabei von Wichtigkeit ist, nicht angegeben ist. Aber auch neuere Untersuchungen von Ringer und Dubin?), die in anderem Zusam- menhang noch berücksichtigt werden, erbringen dafür eine Bestätigung. Schon daraus geht wenigstens bis zu einem gewissen Grade hervor, daß das Phlorrhizin in irgendeine direkte Beziehung zur Leber tritt. Einer späteren Gelegenheit bleibt es vorbehalten, auf Grund dieser wie unserer weiteren diesbezüglichen Befunde, sowie der Arbeiten anderer Autoren, 1) P. Junkersdorf, Beiträge zur Physiol. der Leber I], 1. c. 2) Reilley, Nolan and Lusk, Phlorrhizindiabetes in dogs. Americ. Journ. of physiol. 1899, S. 139. ») J. Ringer, H. Dubin and Hulton Frankel, The glykogen content of the tissues of diabetic animals and the influence of adrenalin thereon. Proc. of the soe. f. exp. biol. a. med. %, 92. 1921. Zitiert nach Berichten der ges. Physiologie u. experim. Pharmak. 13, 192. Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. 1. 503 zu entscheiden, wie der schnelle Schwund des ‚‚Reserveglykogens‘', dann aber auch der stetige Befund von ‚,Resiglykogen‘“ und insbesondere die dauernde Neubildung von Kohlenhydrat unter der Phlorrhizinwirkung zustande kommt und wo sie unter diesen Umständen vor sich geht. Außer dem Glykogenschwund fanden wir dann weiterhin als spezi- fische Folge der Phlorrhizinvergiftung die von Rosenfeld!) zuerst be- obachtete und näher beschriebene Fettinfiltration der Leber in unseren Versuchen zum Ausdruck kommen. Die Leber war stark vergrößert, hellgelb anämisch, mit deutlicher Läppchenzeichnung. Der Fettgehalt betrug auf die Trockensubstanz berechnet im Mittel 34,94% ; als Höchst- wert fanden wir in einem Falle sogar 74,1%. Die individuellen Unterschiede im Fettgehalt sind sicher außer vom Alter und anderen Einflüssen wesentlich vom Gesamtfettgehalt, also vom Ernährungszustand der Tiere abhängig. Hund 122 z. B., der sich bei der Tötung als sehr mager erwies, bot den geringsten Leberfettgehalt von 12,5%, der etwa der Norm unter gewöhnlichen Bedingungen entspricht, aber unter dem von uns?) nach I1ltägigem alleinigem Hungern gefundenen Wert von 15,36% (Mittel aus 8 Versuchen) und dem von Schöndorff?) nach 38tägigem Hungern ermittelten Wert von 14,2% liegt, wo ebenfalls eine durch den Hunger bedingte, wenn auch geringere Fetteinwanderung anzunehmen ist. Hund 129 dagegen, mit dem höch- sten Leberfettgehalt von 74,1%, mußte bei der Tötung als sehr fett bezeichnet werden. Auch Rosenfeld*) fand, daß bei ‚„fettärmsten‘‘ Tieren — als solche bezeichnet er Hunde mit einem Muskelfettgehalt von 7—11% — auf Phlorrhizinverfütterung die Fettleber ausbleibt, eine Beobachtung, die mit dafür spricht, daß die im Phlorrhizindiabetes in Erscheinung tretende Fettleber nicht durch Neubildung von Fett aus anderen Stoffen (Eiweiß!) zustande kommt, sondern durch eine Einwanderung von Fett in die Leber bedingt ist. Nach Rosenfeld5) soil bei der Fettinfiltration die Menge des Phlor- rhizins eine wesentliche Rolle spielen. Er glaubt dies daraus schließen zu dürfen, daß in dem Falle, wo er den höchsten Wert von 74,5% Leberfett beobachtete, der Versuchshund 3g pro kg Körpergewicht 1) @. Rosenfeld, Über Phlorrhizinwirkung. Verhandl. d. XIII. Kongr. f. inn. Med. 12, 359. 1893. — Derselbe, Die Fettleber beim Phlorrhizindiabetes I. Zeitschr. f. klin. Med. 28, 256. 1893. — Derselbe, Über Fettwanderung. Verhandl. d. XIII. Kongr. f. inn. Med. 13, 414. 1895. — Derselbe, Gibt es eine fettige Degene- ration? Münch. med. Wochenschr. 44, 723. 1897. — Derselbe, Die Fettleber beim Phlorrhizindiabetes II. Zeitschr. f. klin. Med. 36, 232. 1899. °) Pilügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 238. 1921. ®) B. Schöndorff, Über den Einfluß der Schilddrüse auf den Stoffwechsel. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 6%, 438. 1897. *) @. Rosenfeld, Verhandl. d. dtsch. pathol. Ges. 6. Tag 1903. >) @. Rosenfeld, Verhandl. d. dtsch. pathol. Ges. 1. c. 504 P. Junkersdorf: erhielt. Auch in unseren Versuchen, in denen große und kleine Tiere meist die gleiche Menge, insgesamt 3,0—4,5 g Phlorrhizin erhielten, kommt dies insofern zum Ausdruck, alsz. B. Hund 127 mit sehr niedrigem Körpergewicht, der pro kg Körpergewicht mithin die größte Dosis Phlorrhizin erhielt, auch den höchsten Fettgehalt von 74,1%, aufweist, während schwerere Tiere, vor allem Hund 132, aber auch 126, 124, 123 mit hohem Körpergewicht und mithin geringen Phlorrhizingaben viel geringere Leberfettwerte zeigen. Andererseits ergibt sich aber auch, daß mit einer viel geringeren Dosis subeutan verabfolgt, ein gleicher Erfolg erzielt werden kann wie mit einer viel höheren Dosis, die, wie im Falle Rosenfeld, per os gegeben wird. Unser Hund 127, der nur 0,5g pro kg subcutan erhielt, weist wie der Rosenfeldsche, der 6mal soviel erhielt, über 74%, Fett in der Leber auf. Wenn nun auch die Intensität der Fettinfiltration, wie hieraus hervorgeht, wesentlich durch die Menge und die Art der Einverleibung des Phlorrhizins bedingt ist, so wird sie doch hauptsächlich von dem Feltvorrat im Gesamtorganismus abhängig sein, wie dies ja auch aus den oben angeführten Versuchen von Rosenfeld zu ersehen ist!). Erfahrungsgemäß geht gewöhnlich, wenn wir von wenigen Ausnahmen absehen, der Fettzunahme eines Organs eine Wasserabnahme parallel, dies gilt insbesondere von der Leber, bei der wir in unseren Hunger- versuchen dies schon bestätigt fanden?). In den vorliegenden Versuchen liegt der Wassergehalt der Leber meist weit unter der Norm; er beträgt durchschnittlich 65,8%. Unter normalen Bedingungen fand Profitlich?) beim Hund 71,37% , Voit?) 72,45% ; er liegt auch unter dem von uns?) nach 11tägigem ausschließlichen Hungern ermittelten Wert von 69,07%. Er ist am geringsten bei Hund 127 und 129, die den höchsten Fettgehalt der Leber aufweisen: Hund 127: Fettgehalt der Leber 74,1%, Wassergehalt 49,95% 22129: > > 55,04%, & 62,60% Doch entspricht nicht durchgehends einem höheren Fettgehalt ein niedrigerer Wassergehalt: Hund 131: Fettgehalt 48,61%, Wassergehalt 73,5% el 26: = 41,61% * 72,8% 1) Auf die Frage, wie die Fettinfiltration zu deuten, wodurch sie letzten Endes bedingt wird, kommen wir ebenfalls in einer späteren Mitteilung zurück. 2) Vergleiche die diesbezüglichen Ausführungen in unserer Mitteilung I der Beiträge zur Physiologie der Leber 1. c. S. 246ff. ®») W. Profitlich, Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung der Leber. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 119, 465. 1907. *) ©. Voit, Gewichte der Organe eines wohlgenährten und eines hungernden Hundes. Zeitschr. f. Biol. 30, 511. 1894. >) P. Junkersdorf, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 238. 1921. Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. I. 505 Bei diesen beiden Tieren liegt trotz hohen Fettgehaltes der Leber der Wassergehalt ebenfalls hoch, ja über der Norm. Andererseits kann auch eine relativ fettarme Leber weniger Wasser enthalten als eine fett- reiche, so bietet: Hund 123 einen Fettgehalt von 22,6% und einen Wassergehalt von 64%, BE 12877, L » O0 nn 3 »u.6595 Dagegen bieten die Lebern der Tiere, die dem Normalfettwert nahekommen, auch annähernd den normalen Wassergehalt: Hund 122: Fettgehalt 12,5%, Wassergehalt 71,73% > 132: » 16,66% , 5 70,00% Zur Erklärung der von einigen Autoren beobachteten Wasser- zunahme der Leber im Hunger nahmen wir bei früherer Gelegenheit!) an, daß mit Zunahme der Dauer des Hungerns an Stelle des schwin- denden Fettes Wasser in die Leber eintrete. In gleicher Weise könnte man auch bei Hund 122 und 132 annehmen, daß diese Tiere schon bei Beginn des Versuches fettarm waren, und daß durch die Hungerperiode, vielleicht bei gleichzeitiger Glykogenarmut, dauernd Fett verbraucht wurde, so daß unter der Wirkung des Phlorrhizins nicht soviel Fett in die Leber einwandern konnte und infolgedessen der Wassergehalt der Norm nahekommt. Hund 122 war ja auch bei der Tötung sehr mager. Der trotz des hohen Fettgehaltes der Leber hohe, ja über der Norm liegende Wassergehalt bei Hund 126 und 131 ist vielleicht durch das Alter der Tiere resp. durch Kachexie bedingt, wissen wir doch durch die Untersuchungen Bozenraads?), daß im Senium und in Zuständen von Unterernährung speziell das Fettgewebe an der Wasserbereicherung der Organe wesentlichen Anteil nehmen kann. Im übrigen sind die Versuche, wo einem hohen Fettgehalt ein niedriger Wassergehalt entspricht, erfahrungsgemäß ohne weiteres verständlich. Die ganzen Verhältnisse sind natürlich im Vergleich zu den Hunger- versuchen und Versuchen bei normaler Ernährung durch die uns wahr- scheinlich im einzelnen noch gar nicht bekannte Phlorrhizinwirkung kompliziert und wesentlich mit abhängig von der Wirkung des Phlor- rhizins auf die Nieren. Außerdem wird aber hierbei auch die ‚‚chemische Organisation der Zelle‘ (Hofmeister), der jeweilige ‚‚physiologische Funktionszustand der Zelle‘ (Junkersdorf) mit im Spiele sein. Von Bedeutung ist fernerhin für die Beurteilung der Phlorrhizin- wirkung auch das relative Lebergewicht. Bei den Hungerversuchen ohne Phlorrhizin ) fanden wir, daß während der 1ltägigen Hungerperiode das relative Lebergewicht um durchschnitt- ı) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 186, 238. 1921. 2) O. Bozenraad, Über den Wassergehalt des menschlichen Fettgewebes unter verschiedenen Bedingungen. Arch. f. klin. Med. 103, 120. SL 506 P. Junkersdorf: lich 18,18% abnahm;; es betrug im Mittel 2,7%, des Gesamtkörpergewichts. Wir stellten außerdem fest, daß die Lebergewichtsabnahme infolge des verschiedenen Ernährungszustandes resp. der Verschiedenheit der vorauf- gegangenen Nahrung individuell verschieden war und der allgemeinen Körpergewichtsabnahme von durchschnittlich 19,33% nicht parallel ging. In diesen Versuchen dagegen finden wir, daß das relative Leber- gewicht unter der Phlorrhizinwirkung in der Mehrzahl der Fälle nicht nur nicht ab-, sondern eher zugenommen hat, trotzdem das Körper- gewicht durch die kombinierte Hunger-Phlorrhizinkur in den 10 Tagen um durchschnittlich 17,5% abgenommen hat. Unter Annahme des von Pavy und Pflüger für die Hundeleber angege- benen Normalwertes von 3,3% für das relative Lebergewicht und des von uns in den lltägigen Hungerversuchen ermittelten Hungerwertes von 2,7%, den wir ohne Bedenken in Anrechnung setzen dürfen, — da ja auch im vorliegenden Falle eine, wenn auch nur 10tägige Karenz durchge- führt wurde —, stieg das relative Lebergewicht auf im Mittel 3,4%, an. Diese Zunahme des Lebergewichtes ist nach den obigen Ausführungen bez. des Fettgehaltes der Leber trotz des Glykogenschwundes ohne wei- teres einleuchtend. Sie tritt am auffälligsten bei Hund 127 mit dem höchstbeobachteten Leberfettwert von 74,1% zutage: Das relative Lebergewicht beträgt bei diesem Tier 5,6%. Außer diesem hohen Wert liegt nur noch einer von 3,8, bei Hund 128, über dem Normal- wert, 2 sogar unter dem als Hungerwert in Anrechnung gebrachten von 2,7% — :bei Hund 122 und 132 — vor. Was die beiden letzten Tiere betrifft, so boten sie den geringsten Fettgehalt, so daß das niedrige Lebergewicht bei normalem Wasser- gehalt und Spuren von Glykogen unschwer erklärlich ist, zumal wir ja auch annahmen (vgl. S. 10), daß diese Tiere schon bei Beginn des Ver- suches in einem schlechten Ernährungszustande waren. Die übrigen Versuche sind in dieser Beziehung nicht so eindeutig, obschon auch hier, wie bei Hund 129 und 131, einem hohen Fettgehalt ein hohes relatives Lebergewicht, 3,3 und 3,06% , entspricht, das über dem in Anrechnung zu setzenden Hungerwert von 2,7% liegt. Merkwürdig dagegen ist der Befund bei Hund 128. Hier finden wir trotz eines Fettgehaltes von ‚‚nur“ 19,9% das zweithöchste relative Lebergewicht dieser Versuchsreihe, nämlich 3,3%. Da weder der Fett- noch der Glykogen- noch auch der Wassergehalt, der nur 65% beträgt, dafür verantwortlich gemacht werden kann, sehen wir uns zu der An- nahme genötigt, daß dieses Tier, bevor wir es für unsere Versuchszwecke erhielten, überreich ernährt worden war, so daß sich die Leber, wie wir dies a. a. O.!) ausführten, an die überreiche Zufuhr im Sinne einer funktionellen Hyperplasie angepaßt hatte. 1) P. Junkersdorf, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 18%, 269. 1921. Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. 1. 507 Wie steht es nun mit der Zuckerausscheidung bei den Tieren dieser Versuchsreihe ? Daß die Menge des Phlorrhizins und die Art der Verabfolgung von wesentlichem Einfluß hierbei ist, ist eine schon längst bekannte Tat- sache!). Auch unsere Versuche liefern hierfür eine eindeutige Bestäti- gung. Die kleinen Tiere, die, wie schon gesagt, pro kg Körpergewicht mehr Phlorrhizin erhielten, schieden auch, auf das kg Körpergewicht berechnet, viel mehr Zucker aus und umgekehrt, die großen weniger bei geringeren Phlorrhizingaben — bei subeutaner Verabfolgung: Hund 127: Körpergewicht 4,8 kg, Zuckerausscheidung pro kg 10,36 & os: is Hal; = Be ON al]: 55 35 >n a EL lelre) dagegen: Hund 126: I 18,0 ,, E re „ 124: 5 11622 3 MO 123: r 32, ” NOT 22: BE Su > 4,24, In diesen Fällen scheint tatsächlich die Zuckerausscheidung der Phlorrhizinmenge entsprechend zu steigen. Sie wird aber auch abhängig sein vom jeweiligen Glykogenvorrat; das kommt wenigstens insofern in unseren Versuchsprotokollen zum Ausdruck, als die Zuckerausschüt- tung auf die erstmalige resp. zweitmalige Phlorrhizingabe hin über der durch die letzte bedingten liest. | Wahrscheinlich ist aber auch der Fettgehalt des Organismus hierbei noch mit im Spiele. So schied der magere Hund 122 mit 12,5% Leber- fett, der insgesamt 0,43 g Phlorrhizin pro kg Tier erhielt, nur 4,24 g Zucker pro kg aus, während der sehr fette Hund 127 mit 74,1% Leber- fett, der 0,62 g Phlorrhizin, also nicht ganz doppelt soviel bekam, 10,36 g, also mehr wie doppelt soviel Zucker ausschied. Es ist wohl das Nächstliegendste, dies dadurch zu erklären, daß das fettarme Tier seine energetischen Bedürfnisse vorwiegend mit dem mobilisierten Kohlenhydratbestand deckt, während das fettreiche Tier unter diesen Umständen seinen Fettbestand in erhöhtem Maße mit heranzieht und eventuell sogar unter der Phlorrhizinwirkung wenigstens einen Teil des ausgeschiedenen Zuckers aus Fett zu bilden imstande ist ?). Bevor wir eine resümierende Übersicht über die gewonnenen Resultate dieser Versuchsreihe geben, wollen wir die Ergebnisse der zweiten Hunger-Phlorrhizinversuchsreihe behandeln. Auch hier stellen wir die Versuchsergebnisse in Tabellenform voran. !) Die diesbezügliche Literatur siehe bei Graham Lusk, Ergebn. d. Physiol. 12, 315. 1912. 2) Vergleiche in dieser Beziehung P. Junkersdorf, Über die Bildung der Kohlen- hydrate aus Fett im tierischen Organismus. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 13%, 269. 1910. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 33 2. Hunger-Phlorrhizinversuche. Tötung 24 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe. Tabelle II. Hunger- Phlorrhizinversuche. — Tötung 24 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe. ER E ss a, 32 3 | Giykogengehalt der | 35 a Nr SER SE I Ace Leber Mus ie Nr. a5 BES ı888 us | 85 kg kg 3= = 2 Pol. Titr. Pol. 4.0 g £ A| 48 | 27 | — 0,05 | — Spuren — 4|67| 43) 30| — |004 |. — | 0,02 |-— | 34,82| 6,97 5 | 20. 54.30... 21085 | 0,81 | 0,27% 3334 0535 ZN 60: .3,3.) = 11.0.0 % 1098 0 = 200003 40 s2|22 2] 150.028 7 ee |:0,25: 1.0.26 | 4700 13.052 | 37.221,07 |075.| 01527 1005091005 10 92,65 | 120) 02, .,025| >yosrale 11..111.0:1..88.729) 22.059. |.060 | = oenolsohk 1285| 6% | 24| - 1003 2 | 028). 2 Onma3n9g 18.115 2102. 36 100.2 05. 2699 276 Mittel | | 3,14 020 0 0029| | B.3>2 15) 972 2067 |: 21 220.055) 2 en u 3 7 | 20 3,8 110,35 21094), 47590758 4 | 85| 68 |25 — 123..1.937 016, Sl 7825 35,103 785 | 2,9 — [15 1.52.1041 | za BARor 36 |14,0 11,8 | 3,08 | 28,4 | 2,61 | 2,63 | 0,6 9,6 | 49,26 4,00 3. 152|.391|133%|) 067 | 1041.) 2502189852 33 | 92 75 2,7 : 30,0 . 2,29 | 217 | 0,40. | 14,9 | 48,47 (6,2 39:7 850 | 66 43 3321022 | — 031 426 oAan 2.82 “| 60 4339 |32,06| 007 | — 0,13 [1486| — | — 41 | 8,0.| 66 | 2.07° | 32,6 2,07 212 026 27,90 0,0 422 1001 8794 | 233|\28 20 | 00 an 43 || 18,0 | 15,7. | 2,87 | 36,4.) 3,02 | 3,15 | 1,07 1:45,39) = = Mittel | 13,2 | 32,28| 1,67 | 032 25oue 0. 5852| 60.) 4,6, 2:8 1.0530 | — 1003|. 3808 77 59 | 120 | 92 |ı 2377 | 235 |12 | 1.23 | 0,53 | 25,95) 48,76| 4,43 60.04.2210 3.001037 0,56 | = 1.0202), 230,501 KM 62.1 15,0 | 120 .| 3,2. 27,5.| 2,08 | 2,.11..0,41 | 18,97. 47.08 298 62.2129,5 1°.7,9:1,3:2 1:295.1.50 | 1.3 vo90 ae ae 63.1 46 |.35 148,940 1099 1,0, 009 sone —_ 62.1 17.7 | 15,0, | 2.87.2452 208 2102.02 05 65 | 34 | 25 |A1 7316 | 1,09 1.02 | 0.05 1248 m 66.210 7.52 1.,6,3. 3482021402 .1,392100,1 | 670.182... 6,98 8200.10 022.810 01,850.0:10 68 | 7,5 | 6,3 | 3,48 | 38,55| 1,00 | 0,995) 0,3 | 52,09 — | 69. 52 | 42 34° |7=.2,7,931,194970,92, ZEIT Mittel | | 3,26. | 28,45| 1,30 | 0,29 | 29,23 Dealer 2003| 2 oo 0,13 _ | 36,93| 7,24 92 7,8 3,3 27,0 | 0,8 —3,,..0,192,11503)) 31:70 05,28 93 | 9,8 2,28 | 28,0 0,18 | — |.0,21 | 14,0 | 45,51| 5,69 94 | 10,4 3,17 | 34,3 | 0,06 | — | 0,40 | 42,11| 39,08| 4,5 Mitte) | 2,92 | 29,76 0,51 0,235 22,38 Gesamtmittel | 3,13 | 29,67 1,12 | 0,278 | 26,48 Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. I. 509 Die hier zu besprechenden Versuche wurden in derselben Weise durchgeführt, nur erfolgte die Tötung erst 24 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe. Des weiteren muß hervorgehoben werden, daß die Gruppe A dieser Reihe in den Wintermonaten Dezember-Januar, die Gruppe B im April, C im Mai und D im Juni angestellt wurde. Welche Unterschiede zeigen sich nun beim Vergleich der Versuchs- ergebnisse bei dieser Versuchsanordnung mit denen, wo die Tötung bereits nach 7 Stunden erfolgte ? An erster Stelle fällt der Unterschied im Glykogengehalt der Lebern in beiden Versuchsreihen auf. Während 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe die Leber im Mittel nur 0,0567%, auf weist, finde man nach 24 Stunden bereits wieder im Mittel 1,12% — also rund 20 mal soviel, ın einzelnen Versuchen sogar 2—3% Glykogen. Dieser hohe Glykogenbefund ist um so auffallender, weil die Zucker- ausscheidung, die, wie aus den Angaben anderer Autoren!) hervorgeht, sich auf 21, 31 bis 33 Stunden nach der Phlorrhizingabe erstrecken kann, auch in unseren Versuchen beim Tode noch fortbestand, ja sogar zuweilen erst auf der Höhe war (Hund 32, 33). Er liegt in einigen Versuchen merk- würdigerweise sogar über dem mittleren Glykogenbefund unserer gleich- lang dauernden Hungerversuche ohne Phlorrhizingabe und übersteigt auch die bei normalen Ernährungsbedingungen beobachteten Leber- glykogenwerte. Auch in der Muskulatur hat der Glykogengehalt, wenn auch nicht in demselben Maße, zugenommen; denn nach Tab. I beträgt derselbe 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe 0,198% , während er nach Tab. II, 24 Stunden nachher, im Mittel aus allen 38 Versuchen 0,278% ergibt. Daraus geht hervor, daß das Glykogen nicht aus der Muskulatur in die Leber eingewandert sein kann, sondern daß im Organismus neues Glykogen aus körpereigenem Material nichtkohlenhydrathaltiger Natur entstanden sein muß, und zwar muß dieses Glykogen unter der spezi- fischen Wirkung des Phlorrhizins sich gebildet haben, denn nach den Untersuchungen von Moritz und Prausnitz?) ist die Phlorrhizinaus- scheidung erst innerhalb zweier Tage vollständig und sie war sicher auch in unseren Versuchen noch nicht quantitativ vor sich gegangen, und zudem liegt, wie gesagt, der Glykogengehalt erheblich höher, wie in den gleichlang dauernden Hungerversuchen ohne Phlorrhizin, 1) Literatur bei Graham Lusk, 1. c. S. 327—328. 2) F. Moritzund W. Prausnitz, Studien über den Phlorrhizindiabetes. Zeitschr. f. Biol. 2%, 81. 1890. 29% [323] 510 P. Junkersdorf: wo er nur 0,59% in der Leber und 0,21% in der Muskulatur betrug). In demselben Sinne sind auch Beobachtungen von Külz und Wright?2) zu deuten. Ihre Versuche bezweckten die von v. Mering?) gemachten Angaben, daß Hunde, die nach 2tägiger Karenz Phlorrhi- zin erhielten, nach der in 2—3 Tagen beendeten Zuckerausschei- dung weder in den Muskeln noch in der Leber Glykogen enthielten, auf ihre tatsächliche Richtigkeit zu prüfen, da sie berechtigten Zweifel erweckten. Külz und Wright verabreichten Hunden von verschiedenem Gewicht, die 2—13 Tage vor der Phlorrhizingabe gehungert hatten, 1—3 Dosen Phlorrhizin per os. Die Lebern dieser erst 2—3 Tage nach der letzten Phlorrhizinapplikation getöteten Tiere enthielten im Mittel aus 11 Ver- suchen 1,15%, Glykogen, die Werte schwankten zwischen 0,14 und 3,54% ‚ein Befund, der mit unserem übereinstimmt und der nach unseren Ausführungen bei der Wahl des Tötungstermins in bezug auf die letzte Phlorrhizingabe ohne weiteres verständlich ist: Es hatte sich eben auch in diesen Fällen neues Glykogen gebildet. Wenn die genannten Autoren bei Kritik ihrer Versuche anführen, „weder die Größe des Hundes, noch die Dauer des Hungerns, noch die angewandte Phlorrhizinmenge übte einen entscheidenden Einfluß auf die Glykogenmenge aus, die bei diesen Hunden gefunden wurde‘, so wird man dem beipflichten müssen, es läßt sich wenigstens nach dem Ausfall unserer Versuche bisher keine Gesetzmäßigkeit in dieser Be- ziehung feststellen; aber das eine steht fest, ausschlaggebend für die Menge des gefundenen Glykogens ist der Zeitpunkt der Tötung nach der letzten Phlorrhizingabe und außerdem der jeweilige Bedarf des Organismus an Glykogen. Daß nämlich der Glykogenbedarf hierbei in Frage kommt, ergibt sich ebenfalls aus dem Ausfall unserer Versuche. Vergleicht man die Leber- 1) Wir kommen, wie schon gesägt, in einer späteren Mitteilung auf den Mecha- nismus der Phlorrhizinwirkung und insbesondere auf den Ort, wo unter diesen Umständen die Neubildung von Glykogen stattfindet, des Näheren zurück. Aber schon allein die Tatsache, daß man stets „‚Restglykogen“ vorfindet, und daß der Organismus auch im Hunger bei gleichzeitiger Phlorrhizingabe die Fähigkeit behält, dauernd neues Glykogen zu bilden, legt die Annahme nahe — das sei jetzt schon angeführt —, daß wenigstens ein Teil des Kohlenhydrats, das der Organismus für das intermediäre Stoffwechselgeschehen benötigt — ob es nun von außen mit der Nahrung in irgendeiner Form zugeführt, oder ob es erst aus körpereigenem Material gebildet wird —, primär in das arteigene Kohlenhydrat, in Glykogen, umgeformt werden muß, ehe es von den Körperzellen in bestimmter Weise für bestimmie Zwecke verwandt werden kann. ®) E. Külz und A. E. Wright, Zur Kenntnis des Phlorrhizins resp. Phloretins. Zeitschr. f. Biol. 2%, 181. 1890. ») J. v. Mering, Verhandl. d. VI. Kongr. f. inn. Med. 1837, S. 350. Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. 1. 511 slykogenwerte der einzelnen Versuchsgruppen der Versuchsreihe mit- einander, so divergieren die gefundenen Mittelwerte jeder Gruppe in ziemlich beträchtlichen Grenzen, trotz vollkommen gleichartiger Versuchsanordnung. Den niedrigsten Glykogenbestand bieten die in den Wintermonaten Dezember - Januar angestellten Versuche mit 0,4%. Dem niedrigen Leberglykogengehalt der Tiere dieser Gruppe entspricht auch die niedrigste Muskelglykogenmenge und die geringste pro kg Tier ausgeschiedene Zuckermenge von im Mittel 3,79 8. Im Gegensatz hierzu findet sich bei den Versuchen der Gruppen B und C, die wir im April resp. Mai ausführten, Leberglykogenwerte von durchschnittlich 1,67% (Muskel 0,37%) resp. 1,3% (Muskel 0,29%), denen Zuckerwerte von 6,35 resp. 5,7 g gegenüberstehen. Trotzdem sich nun auch in Gruppe D, die im Juni angestellt wurde, ein ebenfalls niedriger Leberglykogengehalt von 0,51%, aber ein Zuckerwert von 5,68 g nachweisen läßt, darf man wohl ohne Bedenken den niedrigen Glykogengehalt der Versuche der Gruppe A mit der entsprechend niedrigen Zuckerausscheidung auf den Einfluß der Jahreszeit zurück- führen und dem ebenfalls geringen Wert der Gruppe D schon aus dem Grunde nicht ausschlaggebende Bedeutung beilegen, weil der geringe Mittelwert wohl zufällig durch die geringe Zahl der Ver- suche (4 gegen 10 und 12 der anderen Gruppen) beeinträchtigt sein kann. Es findet mithin im Phlorrhizindiabetes bei niedriger Außentemperatur die Wärmeproduktion sicher zum Teil auf Kosten des unter der Phlorrhizin- wirkung aus körpereigenem Material erst neugebildeten Glykogens unter gleichzeitiger Abnahme der Zuckerausscherdung im Harn statt, während unter denselben Bedingungen bei höherer Außentemperatur trotz beträcht- licher Glucosurie eventuell noch relativ große Glykogenmengen zur Auf- speicherung kommen können. Vergleicht man nun die einzelnen Versuche einer Gruppe oder auch der ganzen Versuchsreihe, so sind sowohl die Werte für den Leber- glykogengehalt als auch die Werte für die Zuckerausscheidung pro kg Tier individuell sehr verschieden. Abgesehen von dem Einfluß der Jahreszeit ist es auch hier wieder, soweit die Zuckerausscheidung in Frage kommt, die Menge des Phlorrhizins, die diese Unterschiede mit- bedingt, wie in den Versuchen mit Tötung 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe. Da die Tiere alle, ob schwer oder leicht, meist insgesamt 3 g Phlorrhizin erhalten haben, so kommt auf das kg Körpergewicht bei den größeren Tieren wieder weniger, bei den kleineren mehr Phlor- rhizin. Es werden also die kleineren mehr Zucker pro kg ausscheiden als die größeren. Ein paar Beispiele — wir wählen die schwersten und die leichtesten Tiere jeder Gruppe — geben hierfür die Bestätigung: 512 P. Junkersdorf: Schwere Tiere mit wenig Phlorrhizin Hund 8: Körpergewicht 12,0 kg, Zuckerausscheidung pro kg K.-G. 3,9 g 11: " DI = a ones 32: = 10,0 .. a Be Ale 36: “ 1238 a a 0 „sel: * 10,7% x Se este » 9: ® Buzn, S 2 Leichtere Tiere mit mehr Phlorrhizin Hund 4: Körpergewicht 5,0 kg, Zuckerausscheidung pro kg K.-G. 6,97 g one 5 5 E ' AA. Ne Be 60: & Sa n Ole 58: a 4,9, N er, 91: 9, ann... 28 Bei Besprechung des Fettigehaltes der Leber in der I. Versuchsreihe fanden wir als Mittelwert 34,94% ; in dieser Versuchsreihe dagegen nur 26,48%. Die Fettinfiltration der Leber ist also in 17 Stunden um ein Beträchtliches zurückgegangen, um rund 27%. Die unter der Wirkung des Phlorrhizins in Erscheinung tretende Fettmobilisierung resp. Fett- infiltration ist mithin zeitlich begrenzt: Mit dem Einsetzen der Neu- bildung von Glykogen geht die Fettinfiltration zurück, obschon, wie oben ausgeführt, das Phlorrhizin sicher noch nicht quantitativ ausgeschie- den ist. Rosenfeld!), der wohl hierüber zuerst eingehende Untersuchungen angestellt hat, gibt an, daß bei Hunden, die nach 5Stägigem Hunger am 6. und 7. Tage 10 g Phlorrhizin per os bekommen, die Fettleber 24 Stunden nach der letzten Gabe zutage tritt, und daß bei gleichbehan- delten Tieren 48 Stunden nachher die Leberverfettung wieder völlig geschwunden ist. Die Fettleber soll, wie er sagt, durch Hunger ‚‚zur Ausheilung‘‘ kommen ?). Wir fanden im Gegensatz zu Rosenfeld bereits 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe (55 Stunden nach der ersten) im Mittel 34,94% Fett in der Leber und als Höchstwert in Übereinstimmung mit ihm 74,1% (75%) und bei Fortdauer des Hungers nach 24 Stunden eine Abnahme auf im Mittel 26,48% , also eine „‚Heilungstendenz‘‘ ; bei ein- zelnen Tieren ebenfalls eine vollkommene Rückbildung und damit einhergehend eine beträchtliche Neubildung von Glykogen von im Mittel 1,12% in einzelnen Versuchen bis zu 3%. Daraus ergibt sich, daß bei subcutaner Verabfolgung des Phlorrhizins die Fettleber schneller zur Ausbildung kommt und die Ausheilung auch schon nach kürzerer Zeit erfolgen kann. Hierbei ist aber immer 1) @. Rosenfeld, ]. c. ?) Auf die von Rosenfeld angegebene Begründung für die Rückbildung der Fettleber und die von ihm zuerst beobachtete Tatsache, daß bei gleichzeitig mit der letzten Phlorrhizindosis verabreichtem Fleisch und Kohlenhydrat die Leber- verfettung ausbleibt, kommen wir, unter Verwertung unserer eigenen diesbezüg- lichen Versuche, ebenfalls späterhin zurück. Untersuchungen über die Phlorrhizinelucosurie. 1. 513 zu berücksichtigen, daß die Intensität der Fettinfiltration und damit auch die Rückbildung, wie schon angeführt, außer von der Menge des Phlorrhizins und der Art seiner Einverleibung wesentlich mit abhängig ist von dem Fettvorrat im Gesamtorganismus. Bezüglich des Wassergehaltes der Leber in dieser Versuchsreihe gilt dasselbe, was wir in der I. bestätigt fanden. Bei Hund 39, 43, 68 und 94 entsprechen hohen Fettwerten über 40%, niedrige Wasserwerte von 66,8, 63,6, 61,45 und 65,7% , dem höch- sten Fettgehalt von 52%, der niedrigste Wassergehalt von 61,45% — Antagonismus zwischen Fett- und Wassergehalt! — Annähernd normalen Fettwerten stehen auch normale Wasserwerte gegenüber. Wir finden aber auch hier, daß Lebern mit der Norm nahekommendem Fettgehalt einen Wassergehalt aufweisen, der unter der Norm liegt, Hund 40 und 65. Hierfür wie für die teilweise hohen Wasserwerte der übrigen Versuche dieser Reihe mit mittlerem Fettgehalt können wir vorerst noch keine Erklärung anführen. Vergleichen wir schließlich den als Mittelwert für das relative Leber- gewicht in dieser Versuchsreihe gefundenen Wert von 3,13% mit dem der I. Versuchsreihe von 3,4% , so ergibt sich eine nur geringe Differenz, die man durch den geringeren Leberfettgehalt erklären könnte; da jedoch der Wasser- und Glykogengehalt entsprechend zugenommen hat, ist diese Begründung recht unwahrscheinlich. Der Unterschied ist aber auch so gering, und zudem liegen die Verhältnisse so kompli- ziert, daß man besser von einer Deutung absieht, zumal ja auch die einzelnen gefundenen Werte individuell in ziemlich weiten Grenzen divergieren — niedrigster Wert 2,0, höchster 4,5%. Soviel aber steht fest, das Lebergewicht hat auch in dieser Versuchsreihe unter der Wir- kung des Phlorrhizins meist zugenommen, wenn man den Hungerwert von 2,7%, zugrunde legt, was ohne Bedenken berechtigt ist. Im all- gemeinen steht fernerhin einem hohen Wert für das relative Leber- gewicht auch ein hoher Wert für den Leberfettgehalt gegenüber, wenn auch der Lebergewichtswert dem Fettwert nicht durchgehends parallel ansteigt bei Vergleich der verschiedenen Versuche und umgekehrt einem hohen Fettgehalt, wie bei Hund 43 (45,39%), zugleich mit dem höchstbeobachteten Glykogengehalt (3,02%) ein sehr niedriger Wert für das relative Lebergewicht entspricht. Wie aus dieser Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchungen zu ersehen, konnten wir im allgemeinen durch unsere Versuche für manche schon von anderer Seite her bekannte Beobachtung an der Hand eines umfangreichen Materials eine erwünschte Bestätigung und oft unerläßliche Ergänzung beibringen. Andererseits wurden aber auch für eine Reihe sich zum Teil widersprechender An- 514 P. Junkersdorf: gaben experimentelle Grundlagen geschaffen und neue Resultate gezeitigt, die für die Beurteilung der komplizierten Zustände und Vor- gänge unter der Phlorrhizinwirkung von Wert sind. Zweck der weiteren Mitteilungen soll es sein, auf Grund des bisher vorliegenden und noch zu bringenden Tatsachenmaterials den noch sehr verschieden eingeschätzten Wirkungsmechanismus des Phlorrhizins auf das Gesamtstoffwechselgeschehen in seinen Einzelheiten zu er- gründen und damit für das eigentliche Wesen der Phlorrhizinglucosurie eine auf einwandfreie experimentelle Befunde gestützte Erklärung zu geben. Zusammenfassung. Hunde verschiedener Rasse, verschiedenen Alters, Geschlechts und Ernährungszustandes, die 10 Tage gehungert und die 3 letzten Tage Phlorrhizin erhalten hatten, wurden in einer Versuchsreihe 7 Stunden, in einer zweiten 24 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe getötet. I. Bei Tötung 7 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe fand sich in allen 10 Versuchen, trotz des anfänglichen ganz verschiedenen Er- nährungszustandes, in der Leber ein nur ganz geringer Glykogengehalt, im Mittel 0,0567% und in der Muskulatur ebenfalls nur wenig, aber durchgehends mehr, im Mittel 0,198% Glykogen. Diese Übereinstimmung in dem minimalen Glykogengehalt empfiehlt die von uns durchgeführte Versuchsanordnung als Methode, Hunde „praktisch glykogenfrei‘‘ zu machen, oder richtiger gesagt, in Stoff- wechselversuchen für die Beurteilung des Glykogenbestandes der Versuchs- tiere eine zuverlässige Basis zu schaffen, da sich bei Tötung zu einem späteren Termin wieder neues Glykogen gebildet hat. _ Der Vergleich der gefundenen Glykogenwerte mit früher bei gleicher Versuchsdauer unter alleinigem Hunger beobachteten Werten ergibt, daß die Leber unter der Phlorrhizinwirkung ihr Glykogen ausgiebiger einbüßt als die Muskulatur, resp. daß das Muskelglykogen im Phlorrhizin- diabetes zäher zurückbehalten wird. Außer dem durchgreifenden Glykogenschwund trat als spezifische Folge der Phlorrhizinvergiftung die Fettinfiltration der Leber in aus- gesprochener Form zutage (Leberfettwerte bis 74,1%). Die sich hierbei äußernden individuellen Unterschiede erwiesen sich als wesentlich abhängig vom Gesamtfettgehalt der Tiere, außerdem aber von der Menge und der Art der Einverleibung des Phlorrhizins. Der Fettzunahme ging im allgemeinen, abgesehen vom Glykogen- schwund, eine Wasserabnahme parallel; doch traten hierbei auffallende individuelle Unterschiede und Ausnahmen hervor, für die im einzelnen eine Erklärung zu geben versucht wurde. Unter Zugrundelegung des in den früheren gleichlangdauernden Hungerversuchen ermittelten Wertes hat das relative Lebergewicht trotz Untersuchungen über die Phlorrhizinglucosurie. 1. 515 der beträchtlichen allgemeinen Körpergewichtsabnahme hauptsächlich infolge der Fettinfiltration der Leber meist erheblich zugenommen ; es betrug im Mittel 3,4%, im Einzelfall bis 5,6% des Gesamtkörper- gewichts. Die Zuckerausscheidung im Harn erwies sich als abhängig von der Menge und der Art der Einverleibung des Phlorrhizins und mit großer Wahrscheinlichkeit vom Gesamtfettgehalt der Tiere, eine Beobachtung, die für eine Zuckerbildung aus Fett unter der Phlorrhizinwirkung sprechen würde. II. Bei Tötung 24 Stunden nach der letzten Phlorrhizingabe ließ sich eine beträchtliche Neubildung von Glykogen aus körpereigenem Material nichtkohlenhydrathaltiger Natur nachweisen — Mittelwert aus allen 33 Versuchen 1,12%, , Höchstwert 3,2% —, die als Folge der spezifischen Wirkung des Phlorrhizins angesprochen werden muß, da dieses, wie aus anderen Beobachtungen zu entnehmen, beim Tode noch nicht voll- ständig ausgeschieden und die Glykogenwerte, trotz der fortbestehenden, oft sogar erst auf der Höhe befindlichen Glucosurie über den Hunger- werten der Versuche ohne Phlorrhizin, ja zum Teil über den gewöhnlich beobachteten Normalwerten liegen. Die Menge des aufgespeicherten Glykogens war individuell verschieden und erwies sich als abhängig von der Jahreszeit. Auch die Höhe der Zuckerausscheidung war in den Versuchen dieser, wie der I. Versuchsreihe, individuell verschieden und bedingt durch die Menge und Art der Einverleibung des Phlorrhizins sowie durch den Einfluß der Jahreszeit. Mit der Zunahme der Neubildung von Glykogen machte sich eine Rückbildung der Fettleber, in einzelnen Fällen eine ‚‚Ausheilung‘ ( Rosen- feld) derselben bemerkbar — Antagonismus im Glykogen- und Fett- gehalt der Leber! Der Wassergehalt der Leber war bei normalem Fettgehalt meist normal, bei hohem Fettgehalt entsprechend niedrig; verschiedentlich stand aber auch auffallenderweise einem niedrigen Fettgehalt ein niedriger Wasser- gehalt der Leber und einem hohen Fettgehalt ein hoher Wassergehalt gegenüber. Das relative Lebergewicht zeigte im Vergleich zur I. Versuchsreihe nur eine geringe Differenz, hatte also auch im Vergleich zu den Hunger- versuchen ohne Phlorrhizin eine Zunahme erfahren. Im allgemeinen bot ein hoher Fettgehalt der Leber auch ein hohes relatives Lebergewicht. Die bisherigen Versuchsergebnisse sollen in einer späteren Mitteilung im Verein mit den Resultaten anderer Versuche zur Aufklärung des Wirkungsmechanismus des Phlorrhizins verwertet werden. Über die Wirkung des defibrinierten Blutes auf das isolierte Säugetierherz. Von Frl. @. v. Heuking und A. v. Szent-Györgyi. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. Oktober 1922.) Vor etwa 2 Jahren versuchten wir im pharmakotherapeutischen Laboratorium zu Leiden, am isolierten Katzenherz über die Funktion der Nebenniere Aufschlüsse zu erhalten. Die Versuche scheiterten an einer starken typischen Wirkung des defibrinierten Blutes, das etwaige Wirkungen der im Blute enthaltenen inneren Sekrete verdecken mußte. Da die pharmakologische Wirkung des defibrinierten Blutes in den letzten Jahren eine hohe praktische Bedeutung erlangt hat und wir die genannte Wirkung auch seitdem noch nirgends verzeichnet finden, sei es uns gestattet hier in aller Kürze die Aufmerksamkeit auf dieselbe hinzulenken. Die Art der Wirkung ist aus den beiliegenden ersten Kurven ersicht- lich. Die Kurve verzeichnet die Bewegungen eines isolierten Katzen- herzens (Ventrikel), das von den Coronararterien mit körperwarmer Ringerlösung durchgespült wurde. Bei der Marke wurde der Durch- spülungsflüssigkeit 2 ccm des defibrinierten Blutes derselben Katze zugesetzt. Die Wirkung ist der Wirkung einer toxischen Adrenalin- dose durchaus ähnlich. Das Herz zeigt gewaltige Ausschläge, die zum größeren Teil durch eine erhöhte systolische Funktion zustande kommen. Die Acceleration, die am Organ sehr gut wahrzunehmen war, ist wohl auch an der Kurve zu sehen, ist aber bei dem langsamen Lauf des Kymographen doch minder deutlich. Nach Ablauf dieser Reaktion ist der schädliche Einfluß an der stark verminderten Herztätigkeit deutlich zu sehen. Die wiederholten Versuche ergaben stets dieselben typischen Resultate. | Es lag an der Hand, nach Anleitung der Literatur, diese Wirkung des defibrinierten Blutes auf Gerinnungssubstanzen zurückzuführen. Um uns hiervon Sicherheit zu verschaffen, wurde in einem weiteren Versuch frisches ungeronnenes Blut eingeführt, das unmittelbar aus der Carotis einer zweiten Katze mit einer paraffinierten Spritze entnommen und ohne Zeitverlust in die Durchspülungsflüssigkeit des isolierten G. v. Heuking u. A. v. Szent-Györgyi: Wirkung d. defibrinierten Blutes usw. 517 Herzens dicht oberhalb der Aortenkanüle eingetragen wurde. Wie die beiliegende zweite Kurve zeigt, war die primäre Wirkung eher eine deprimierende, die bloß nach einiger Zeit von einer schwachen Erhöhung der Hubhöhe gefolgt war, die ihre Ursache wahrscheinlich in der ein- tretenden Gerinnung hatte. F= = e 5 Pe 3 Abb.1. Wirkung des defibrinierten Katzenblutes (2 ccm) auf das isolierte Katzenherz. mw... R Abb. 2. Wirkung des ungeronnenen Katzenblutes (10 cem) auf das isolierte Katzenherz. In dem einen angestellten Versuch konnte am isolierten Frosch- herzen keine analoge Wirkung des defibrinierten Blutes der Katze beob- achtet werden. Es sei uns gestattet an Stelle der Wiedergabe der Literatur auf das zuletzt erschienene Referat 4. Handovskys (Klin. Wochenschr. Jg. 1, Nr. 35, S. 1752. 1922) hinzuweisen. Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. Von H. Köllner. (Aus der Universitäts- Augenklinik Würzburg |[Direktor: Professor Dr. Wessely].) Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. Oktober 1922.) Wenn wir in der Mitte eines Eisenbahngeleises stehend in dessen Richtung in die Ferne blicken, so scheinen uns bekanntlich die beiden parallelen Schienen nach der Tiefe zu konvergieren, aber nicht überall in dem Maße, wie es der Fall sein müßte, wenn die scheinbare Größe ihres Abstandes regelmäßig dem Sehwinkel entsprechend abnehmen würde. Hillebrand!) hat diese Erscheinung eingehend experimentell geprüft. Er stellte die Schienen durch schwarze Fäden dar, welche er über eine weiße Tischplatte spannte, und gab diesen nun eine solche Lage, daß sie für den Beobachter nicht mehr konvergierten, sondern scheinbar parallel verliefen. In Wirklichkeit mußten sie dann nach der Tiefe hin natürlich divergent gemacht werden, doch blieb der Grad dieser Divergenz ganz erheblich zu- rück gegenüber einer Lage, bei welcher der gegen- seitige Abstand der Fäden gleichen Sehwinkel gehabt hätte (Abb. 1). Die Augen des Beobachters fanden sich hierbei in geringer Höhe über der Tischplatte, so daß diese in starker perspektivischer Verkürzung erschien. Es ist ohne weiteres verständlich, daß die Ergrün- IR dung der Ursache dieser durchaus konstanten Er- Ar scheinung von großem Interesse sein muß für das Lage der scheinbar Par-- Problem, von welchen Gesetzmäßigkeiten die schein- ee bare Größe von Sehobjekten in verschiedener Ent- fernung abhängt. Denn der scheinbare Parallelismus der nach der Tiefe verlaufenden Fäden schließt natürlich zugleich auch die Gleichheit der scheinbaren Größe aller frontalparallelen Abstände zwischen ihnen ein. Ja, wir können präzise sagen, scheinbare Parallelität besteht dann, wenn diese Abstände überall gleiche scheinbare Größe haben. 1) Denkschr. d. Kaiserl. Akad. d. Wissenschaften, mathem.-naturw. Klasse. Wien, %%, 255. 1902. H. Köllner: Die Lage scheinbar paralleler n. d. Tiefe verlaufender Linien usw. 519 Nun hat Hillebrand schon mit Recht darauf hingewiesen, daß die eben genannte Versuchsanordnung zur exakten Lösung dieser Frage deswegen nicht vollkommen geeignet ist, weil die erforderliche, wenn auch geringe Erhebung der Augen und die dadurch bedingte Neigung der Blickebene gegen den Horizont nicht gleichgültig für das Ergebnis sein kann. Denn je höher sich die Augen über der Tischplatte befinden, desto mehr muß sich der scheinbare Parallelismus der Fäden dem wirklichen nähern. Aillebrand hat statt dessen als zweckmäßigeres Ver- fahren zwei Reihen alleeartig angeordneter Vertikalfäden verwendet, deren obere und untere Enden dem Beschauer durch einen Schirm verdeckt wurden. Das Ergebnis war das gleiche: 1. zeigte sich wiederum, daß bei diesen ‚‚Alleeeinstellungen‘ die beiden Fadenreihen, um parallel zu erscheinen, beträchtlich weniger divergent gemacht wer- den mußten, als es hätte der Fall sein müssen, wenn ihre frontalparal- lelen Abstände unter gleichem Sehwinkel lägen. Erst in größter Ent- fernung vom Beobachter entsprach die Divergenz mehr und mehr dem Sehwinkel; 2. mußte die Reihen außerdem in leichter Kurve (,,Allee- kurven‘‘) verlaufen, und zwar mit der Konkavität der Medianlinie zugewendet. Hillebrand beschäftigte sich hauptsächlich mit der letzteren Er- scheinung und gibt eine sorgfältige experimentell und rechnerisch be- gründete Erklärung für die Beziehungen, welche sich hieraus zwischen dem scheinbaren Tiefenabstande je zweier, frontal einander zugeord- neter Fadenpaare und der scheinbaren Größe der Frontalabstände der Fäden ergeben. Es gelang ihm, wenn zwei Fadenpaare einer derartigen Allee experimentell gefunden sind, auch die Stellung der übrigen Fäden zu berechnen, welche sie einnehmen mußten, um weiter nach der Tiefe hin parallel angeordnet zu erscheinen. Ich brauche hier zunächst auf die Theorie Aellebrands nicht näher einzugehen. Denn sie nimmt, wie eben schon erwähnt, zwei Faden- paare der Allee als bereits gegeben, ihre Stellung zueinander als physio- logische Tatsache an und befaßt sich lediglich mit der Zuordnung der weiteren Fäden. Nun ist aber zweifellos bereits durch die beiden ersten Fadenpaare die Lage zweier nach der Tiefe hin verlaufenden Linien (bzw. auf diesen senkrechter Ebenen) im wesentlichen festgelegt; man braucht sich nur das eine Fadenpaar als die fernen, das andere als die nahen Enden dieser Ebenen denken. Sie bilden dann gleichsam die vier Endkanten eines scheinbar rechteckigen Körpers, dessen zwei Flächen frontalparallel liegen, während die beiden anderen sagittal- parallel verlaufen. Es handelt sich nun nur darum die gesetzmäßigen Beziehungen aufzufinden, welche zwischen der scheinbaren Parallelität der beiden Längsseiten und der wirklichen Stellung, welche die vier Fäden hierzu einnehmen müssen, bestehen. Wir werden sehen, in welcher 520 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Weise die Lösung des Problems möglich wird und welche Schlüsse aus ihr gezogen werden können. Zur Versuchsanordnung: ich verwendete dünne schwarze senkrechte mit einem kleinen Fuß versehene Drahtstäbe, die sich auf der Grundplatte leicht verschieben ließen. Wenn sie auch nicht so exakte Linien darboten wie durch Gewichte ge- spannte Fäden, so zeigte sich doch bald, daß die damit erzielte Genauigkeit voll- kommen ausreichend war; dafür hatten sie den Vorteil einfacher Handhabung. Der Kopf der Versuchsperson war natürlich durch eine Stütze fixiert, die Füße der Stäbe und die Grundplatte durch einen Schirm abgedeckt. Die beiden fernen Stäbe wurden sodann frontalparallel aufgestellt in gleicher Entfernung rechts und links von der Medianebene und nun der Beobachter aufgefordert, die beiden näheren in frontaler Richtung so zu verschieben, daß die beiden durch die 2 linken bezw. die 2 rechten Stäbe markiert gedachten Ebenen untereinander scheinbar parallel (und auch parallel zur Medianebene) verliefen; bzw. daß ihr scheinbarer Abstand voneinander der gleiche wurde, wie der der fernen Stäbe. Die Fixation durfte nur zwischen den beiden fernen Stäben hin- und herpendeln, nicht aber nach der Tiefe auf- und abschwanken. Ruhte der Blick auf dem linken fernen Stab, dann wurde der linke vordere in die scheinbar richtige Lage gebracht, wurde der rechte fernere Stab fixiert, der rechte vordere. Durch wiederholtes abwechseln- des Fixieren wurde dann die Einstellung nachgeprüft und die notwendigen kleinen Verbesserungen der Stellung vorgenommen. Der Abstand der vom Beobachter fernen Stäbe wurde bei den verschiedenen Versuchen zwischen 90 und 43 cm variiert, ihr frontaler Abstand so, daß er unter einem Gesichtswinkel von 2° bis zu 30° gesehen wurde. Der Abstand der vorderen Stäbe von den hinteren wurde ebenfalls variiert. Im allgemeinen war es ratsam, ihn möglichst groß zu wählen. Inwieweit dieser Abstand Einfluß auf das Ergebnis hat, davon wird noch später zu sprechen sein. Natürlich wurden die vorderen Stäbe in Doppelbildern gesehen, die erheblich auseinander lagen. Das medianwärts gelegene Trugbild war das eindringlichere, einmal weil es sich weniger peripher auf der Netzhaut abbildete, vor allem aber, weil es der nasalen Netz- hauthälfte des gleichseitigen Auges zugeordnet war, und sich hier das bekannte Überwiegen der Eindrücke der nasalen Netzhauthälften (Köllner) bemerkbar machte. Die Sicherheit der Beurteilung der Stellung pflegten die Doppelbilder nicht zu beeinträchtigen. Daß auch ihnen unter gewissen Bedingungen ein Tiefen- wert zukommt, ist ja bekannt. Wählt man für den ersten Versuch den gegenseitigen Abstand der beiden entfernten Stäbe so, daß er unter einem Winkel von etwa 20° gesehen wird, so müssen, ähnlich wie bei den Hillebrandschen Ver- suchen, die Seitenflächen (wie ich der Kürze halber die gesuchten scheinbar Parallelen nennen will) nach der Ferne hin divergent ge- macht werden, um parallel zu scheinen. Wieder ist die Divergenz keinesfalls so stark, daß der gegenseitige Abstand der beiden vorderen Stäbe unter dem gleichen Winkel gesehen wird wie der Abstand der hinteren, sondern ganz erheblich geringer. Abb. 2 mag die Richtung der Seitenflächen veranschaulichen. Stellt man derartige Versuche selbst an, so wird man immer über- rascht sein, wie genau sich die Richtung der ‚‚Seitenflächen““ beurteilen läßt und wie schon recht geringe Änderungen des gegenseitigen Ab- standes der vorderen Stäbe wahrgenommen werden, indem die Seiten- - verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 521 flächen dann entweder divergent oder konvergent zu verlaufen scheinen. Dementsprechend differieren bei mehrfachen Versuchen die Einstellungen sowohl bei ein und demselben Beobachter RB als auch bei verschiedenen Versuchsper- sonen (wenn sie annähernd gleichen Augen- abstand haben) nur einige Millimeter, d.h. die maximalen Unterschiede des gegen- seitigen Abstandes der vorderen Stäbe betragen meist nur etwa5% der Gesamt- distanz, oft sind sie noch geringer. Ein Zahlenbeispiel gibt Tab. 11). Das er- scheint zunächst sehr auffällig, wenn man weiß, wie unsicher man sonst bei der Vergleichung zweier verschieden weit entfernter Strecken ist. Auch Hillebrand ee war diese Genauigkeit bei seinen Allee- R S Abb. 2. AA, und B B; die Richtung Einstellungen bereits aufgefallen. der scheinbar Parallelen. Tabelle I. Entfernung der beiden fernen Stäbe vom Beobachter 80 cm, frontaler Abstand von einander 24cm. Entfernung der beiden nasalen Stäbe vom Beobachter 43 cm. Zur scheinbaren Parallelität wurde von 3 verschiedenen Beobachtern der Frontal- abstand der letzteren eingestellt auf Kk N Ke Berechnet 17,4 17,9 17,6 17,6 1763 17,9 17,8 17,3 17,8 17,8 17,7 17,6 17,6 17,9 17,5 17,5 17,6 17,6 17,5 17,4 17,8 17,3 17,5 17,4 17,2 17,6 17,4 17,5 17,4 17,5 17,6 Nun ist aber die Divergenz nach der Tiefe zu, welche die ‚Seiten- flächen‘ haben müssen, um parallel zu erscheinen und wie sie in Abb. 1 wiedergegeben ist, keineswegs für alle Versuchsanordnungen konstant. Wenn man nämlich die Entfernung der beiden fernen Stäbe A und B voneinander (Abb. 2) sehr klein macht, d. h. sie so nahe aneinander- rückt, daß ihr Abstand unter einem Winkel von nur etwa 5° gesehen wird, und nun den Versuch wiederholt, so tritt die umgekehrte Er- !) Bei manchen Beobachtern macht sich hier die Erscheinung geltend, daß der Abstand der nahen Stäbe bei mehrmals hintereinander wiederholten Ein- stellungen zunehmend kleiner gewählt wird, d. h. die Seitenflächen nehmen all- mählich an Divergenz zu. Auch aus der Tabelle I läßt sich das entnehmen. 522 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Tabelle II. (Beobachter Ke.) | | Durchschnitt der Berechnete Entier- Abstand der \pstandder| Ihr Sen- | Entfernung | eingestellten Ent- | nung unter der Vor- fernen Stäbe |sornen Stäbe| winkel der nahen | jernung der nahen | aussetzung, daß die vom Be- |\oneinander beträgt | Stäbe vom Stäbe. (Aus 6-10 | Sehrichtungen durch obachter | | | Beobachter | Einstellungen ge- das gleichseitige cm cm | Grad cm | nommen) Auge verlaufen er ee FETTE s0 24 17 43 | 17,6 17,6 43 | 20 26 I 28 | 17,4 | 1762 43 1.022 281/, 28 | 18,8 18.6 43 le 22 E28 15,8 | 15,8 45 ld 20 18 13,2 13,2 43 | 20 26 18 19) 15,2 35 RZ el) El Dia 19,1 | 19,0 scheinung ein: die beiden nahen Stäbe werden jetzt so weit auseinander- gestellt, daß die beiden Seitenflächen in Wirklichkeit nach der Tiefe konvergieren, um parallel zu erscheinen (Abb. 3). Wieder gelingt die Einstellung mit der gleichen Genauigkeit und wieder sind die dabei auftretenden Abweichungen auffällig gering. Denkt man sich die Entfernung von A zu B unendlich klein, so läßt sie sich anstatt durch zwei Stäbe durch einen einzigen darstellen, der zugleich den Fixierpunkt bildet. Nunmehr wird die scheinbare Parallelität dadurch erhalten, daß man die beiden nahen Stäbe in die Richtungslinien der n 5, beiden Augen bringt. Ihre mittleren Trugbilder fallen dann \ zusammen und scheinen in der Medianlinie vor dem Fixier- punkt zu liegen. Dieser bekannte Versuch, der ursprünglich dazu dient, die Identität der Hauptsehrichtung für beide ; Augen festzustellen, bildet damit zugleich einen Grenzfall | | unserer Versuchsanordnung. Er bildet, wie wir noch sehen 27 werden, auch den Ausgangspunkt für die Erklärung. Abb. 3. Wenn bei größerem Abstand der Stäbe die ‚‚Seitenflächen“ nach der Ferne divergent, bei geringem Abstand dagegen kon- vergent sein müssen, um den Eindruck scheinbarer Parallelität hervorzu- rufen, so muß es theoretisch natürlich einen mittleren Abstand geben, bei welchem sie weder daseine, noch das andere sind, vielmehr wirklich parallel verlaufen. In diesem Falle würde wirklicher und scheinbarer Parallelis- mus zusammenfallen. Das ist in der Tat der Fall. Aus Tab. IV kann dafür ein Zahlenbeispiel entnommen werden, aus dem hervorgeht, daß dabei die Entfernung der Stäbe ein wenig größer sein mußte als der Pupillenabstand des Beobachters (nämlich ca. 7 ccm bei der gewählten Versuchsanordnung). Nimmt man die Versuche bei verschiedenem Seiten- abstand der Stäbe systematisch vor, so sieht man, wie bis zu einer ge- F [so] | ID w verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. Tabelle III. Entfernung der beiden fernen Stäbe vom Beobachter: 90 cm. Frontaler Abstand der beiden fernen Stäbe von einander: 22 cm. Beobachter K. Entfernung der nahen Der frontale Abstand der nahen Stäbe vom Beobachter Stäbe wurde eingestellt auf 42,5 cm 15; 15,2; 15,2; 15,3; 15:2. 19,5 cm 11,4; 11,2; 11,0; 11,0; 11,1. 62 cm 18; 18,1; 18,0; 18,2; 18. Beobachter Ke. Entfernung der nasalen Stäbe vom Beobachter Der frontale Abstand der nasalen Stäbe wurde eingestellt auf 43 cm 16; 16; 15,5; 15; 14,5; 15; 15,3; 15,3. 19 cm 11,1; 10,6; 10,6; 10,5; 11,3; 11,2; 11,5; 11,6; 11.5. Stellt man alle linken Stäbe in Reihe auf dem Beobachter zu auf und sodann die rechten Stäbe in den betreffenden frontalparallelen Entfernungen, so bilden diese hierbei keine Kurve, sondern ebenfalls eine annähernd gerade Linie. wissen Entfernung die Seitenflächen konvergieren, wobei die Konvergenz allmählich abnimmt (Abb. 4). Bei einem bestimmten Abstande tritt dann die wahre Parallelität (in Abb. 4 die stark ausgezogenen Linien) ein, bei zunehmendem Abstand müssen die Seitenflächen mehr und mehr divergent ge- \I|]) \ m \ | | IT I macht werden. | ll ; ||| | || | | i | | | Soviel zunächst über das Ergebnis bei || NN | || | | dieser einfachen Versuchsanordnung. Bei ihm || |||) |) || sind zwei Erscheinungen bemerkenswert: | || | | I| einmal die Genauigkeit, mit welcher die [IN INN Einstellungen auch von verschiedenen Beob- || achtern vorgenommen werden, zweitens die | ||| || gesetzmäßige Abhängigkeit der Richtungen [ll | | der Seitenflächen von dem Frontalabstande | der Stäbe A und 5, d. h. also von ihrem Sehwinkel. Was nun die Erklärung anlangt, so kann ich von dem oben erwähnten Grenzfall aus- gehen, bei dem der Abstand A B gleich 0 u ist, also durch einen einfachen der Fixation Deren dienenden Stab dargestellt wird. Wir sehen, daß hierbei die beiden anderen Stäbe in die Richtungslinien (Blicklinien) der beiden Augen gebracht werden müssen, wobei ihre nach der Medianlinie zu gelegenen Trugbilder zu einem Sammelbilde in der Hauptsehrichtung verschmolzen werden. Hierdurch ist bereits darauf hingedeutet, daß wir es hier mit einem Problem der Sehrichtungen zu tun haben. Abb. 4. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 34 524 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Ich darf daran erinnern, daß ich kürzlich mit Hilfe der haptischen Lokalisation nachweisen konnte, daß die Sehrichtungen nicht, wie man bisher annahm, sämtlich nach einem in der Gegend der Nasenwurzel zwischen den beiden Augen gelegenen Zentrum (Zyklopenauge) zu- sammenlaufen, sondern daß diese Annahme nur für die nächste Um- gebung des Fixierpunktes zutrifft. Für die Mehrzahl der Normalen verlaufen bei einer Exzentrizität von 10° an, die Sehrichtungen nach Abb. 5. dem gleichseitigen Auge; zwischen 10 und etwa 3—5° schneiden sie die Verbindungslinie beider Augen!) (Abb. 5). In der äußersten Peri- pherie, wo bereits monokulares Sehen besteht, gehen die Sehrichtungen ebenfalls annähernd nach dem gleichnamigen Auge (die Genauigkeit der Beobachtung ist hier nicht allzugroß). Wir haben also überhaupt kein annähernd punktförmiges Sehrich- tungszentrum, vielmehr wird dieses von den beiden Augen und ihrer ') Pflüigers Arch. f. d. ges. Physiol. 184; Arch. f. Augenheilk. 88 u. 89. verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 525 Verbindungslinie gebildet. Man kann auch sagen, wir sehen überall im Sehfelde die Dinge annähernd in der gleichen Richtung, in der ihre Richtungslinien nach dem gleichseitigen Auge verlaufen, und nur im mittleren Teil bis zu etwa 10° Exzentrizität tritt eine zunehmende Verschmelzung ein, indem keines der Augen völlig dominiert, sondern eine mittlere Richtung resultiert. Die Folge ist, daß der Winkel, den die verschiedenen Sehrichtungen im Sehfelde untereinander bilden, durchaus nicht, wie man früher annehmen mußte, mit dem Sehwinkel übereinstimmt, sondern wesentlich spitzer ist; d. h. die Sehrichtungen verlaufen in horizontaler Richtung wesentlich weniger divergent in den Raum als die Richtungslinien. Diese letztere Tatsache ist physiologisch wichtiger als das psychologische Problem, ob wir die räumliche Zuord- nung der Dinge der Außenwelt zu unserem Ich letzten Endes auf ein Zentrum im Sinne des Zyklopenauges beziehen oder nicht. Denn durch die Lage der Sehrichtungen wird der scheinbare Ort der Dinge im Raum beeinflußt, die räumlich vor und hinter der Kernfläche des Seh- raums liegen (falls sie mangels räumlicher Wahrnehmung nicht in der Kernfläche selbst gesehen werden). Ein Sehding, das vor oder hinter einem anderen in der Kernfläche befindlichen auf dessen Richtungslinie liegt, erfährt unter Umständen eine beträchtliche scheinbare seitliche Verlagerung im Raume, wie ja der bekannte Heringsche Versuch über die Identität der Hauptsehrichtungen schon zeigt. Diese räumliche Scheinverlagerung und damit die Änderung der Richtung zweier hintereinander befindlicher Sehdinge, von denen nur eines in der Kernfläche liegt, muß auch bei den Versuchen über die scheinbare Parallelität eine ent- scheidende Rolle spielen. Denn @..A____......_. 2... da bei den oben erwähnten Ver-- ‘| i Id suchen nur die ferneren Stäbe fixiert werden, die vorderen also beträchtlich vor der Kernfläche des Raumes liegen, hat auch für sie diese Scheinverlagerung Gül- tigkeit. ES I Man mache den Versuch zu- N N Be a / # nächst mit unbewegtem Blick, ee indem ein in der Medianebene gelegener Stab F (er mag vom RIO Beobachter beiläufig 90 cm ent- ae fernt sein) in der Mitte zwischen Anke 4A und B (Abb. 6) fixiert wird, wobei A und B soweit entfernt sein sollen, daß A F und B F unter einem Winkel von etwa 10° gesehen werden, die Sehrichtungen von 34* 526 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe A und B also nach meinem Gesetz annähernd nach Z und R ver- laufen. Befinden sich die beiden Stäbe in geringer Entfernung vom Auge, etwa 20 cm, so werden sie in ziemlich weit von einander entfernten Doppelbilder gesehen und ein Tiefeneindruck kommt bei der erheblich exzentrischen Abbildung auf der Netzhaut kaum noch in Betracht. Will man ihnen jetzt die gleiche scheinbare Entfernung von einander geben, wie 4 und B, so pflegt man sie so aufzustellen, daß ihre dominierenden mittleren Trugbilder sich mit den fernen Stäben decken. Sie befinden sich damit auf deren Richtungslinien nach den gleichseitigen Augen oder, was nach meinem Gesetz das Gleiche ist, auf deren Sehrichtungen, d. h. in A, und B.. Wiederholt man nun den Versuch in der oben angegebenen Weise, indem man nicht mehr F fixiert, sondern den Blick zwischen A und B hin- und herwandern läßt, so ändert sich jedesmal mit dem Blick auch die Sehrichtung von A und B: Wird A fixiert, so läuft dessen Sehrichtung nicht mehr nach Z, sondern, da sie mit der Fixation zur Hauptsehrich- tung geworden ist, nach C. Das gleiche ist der Fall, wenn B fixiert wird: Dessen Sehrichtung wird mit dem Blick von B Rnach BC ver- schoben. In gleicher Weise hat sich damit auch die Sehrichtung des Trugbildes von A, und 5, geändert. Sollen A, und B, jetzt die gleiche scheinbare Richtung zu A und B haben, wie vorher, so müssen sie weiter nach außen verschoben werden. Dieser neue Ort A, läßt sich leicht trigonometrisch berechnen: Da für die nächste Umgebung des Fixierpunkts (Kernpunktes des Seh- raumes) noch die Sehrichtungen nach der Gegend des hypothetischen Zyklopenauges an der Nasenwurzel führen, wird auch A,, das mit einem Punkt a der Kernfläche auf gleicher Richtungslinie liegt, nunmehr in der Sehrichtung a gesehen werden. Damit es bei A, erscheint, muß der Winkel ALA, nur gleich dem Winkel AC A, gemacht werden. Einfacher und ebenfalls mit annäherndert) Richtigkeit kann man auch sagen: A A, muß um den Winkel € A A, nach außen gedreht werden, der Winkel L A A, muß gleich dem Winkel C A A, sein. Voraussetzung ist dabei nur, daß die Größe des Winkels A LA, nicht 2—3° übersteigt, da sonst für die Sehrichtung von A, nicht mehr das Zyklopenauge zu gelten braucht. Das kann durch die Versuchs- anordnung dadurch erreicht werden, daß, je weiter A und B von F seitlich entfernt liegen, der Abstand der beiden nahen Stäbe vom Beob- achter vergrößert wird, d. h. die „‚Seitenflächen‘ kürzer gemacht werden. Ist diese Überlegung zutreffend und andererseits mein Gesetz der Sehrichtungen für den betreffenden Beobachter gültig, so muß die berechnete Entfernung A, B, mit der experimentell aufgefundenen ') Der geringe Unterschied der Längen A C und A L spielt keine Rolle, wenn A und B nicht sehr nahe am Auge liegen. verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 527 der beiden nahen Stäbe übereinstimmen. Da, wie wir sahen, die Ab- weichungen bei deren Einstellungen unbedeutend sind, kann erwartet werden, daß diese Übereinstimmung, wenn vorhanden, so groß ist, daß damit der Beweis für die Gültigkeit meiner Erklärung zu erbringen ist. In den Tab. I und II (S. 521 u. 522) habe ich die Resultate der Berechnung für einige Versuchsanordnungen angegeben. Man ersieht, daß die Zahlen dem experimentell gefundenen Abstand fast auf den Millimeter entsprechen. Wir haben es also offenbar in der Hand, wenn wir die Lage der Sehrichtungen kennen, auch die Lage der vier Stäbe, welche zwei scheinbar sagittalparallele Ebenen begrenzen, zu berechnen Das gilt einstweilen nur unter der Voraussetzung, daß die Fixation lediglich zwischen den beiden fernen Stäben hin- und hergleitet, zunächst auch nur für den Fall, daß deren Frontalabstand unter einem Gesichts- winkel von mindestens 20° erscheint und daß in Abb. 6 der Win- kel ALA, und BRB, nicht größer als 2—3° ist (s. o.). Ist der scheinbare Parallelismus von der Lage der Sehrichtungen abhängig, so müssen die Verhältnisse in der nächsten Umgebung des Fixierpunkts wesentlich anders liegen; denn hier gilt ja, wie wir sahen, _ im Gegensatz zur Peripherie noch das Zyklopenauge. Die Untersuchun- gen geben ohne weiteres die Bestätigung hierfür. Wenn man nämlich den gegenseitigen Abstand der beiden fernen Stäbe so gering macht, daß er nur noch unter einem Winkel von 4° erscheint (der Abstand von A und B von der Medianebene also unter 2°), so wurden von den Beobachtern, die ich bisher untersucht habe, stets die beiden nahen Stäbe in die Richtungslinien der beiden fernen aufgestellt, so daß sich also ihre mittleren Trugbilder mit letzteren deckten. Es war also nunmehr ganz gleichgültig geworden, ob der in der Medianlinie gelegene Punkt F oder aber A bzw. B fixiert wurde. Wir müssen im Gedanken- gange des vorhergehenden daraus entnehmen, daß die Sehrichtungen von A und B also jetztihre Lage nicht verändern, gleichgültig ob sie zu Haupt- sehrichtungen oder zu Nebensehrichtungen (bei exzentrischer Abbildung) werden. Mit anderen Worten, das Experiment entspricht in der Tat diesmal vollkommen der Annahme, daß die Sehrichtungen von Ob- jekten, die 2° seitlich vom Fixierpunkt gelegen sind, noch ein gemein- sames Zentrum in der Gegend der Nasenwurzel haben, ebenso wie es vorhin bei einem Objektabstande von 10° vom Fixierpunkte mit der Annahme übereinstimmt, daß die Sehrichtungen durch das gleichseitige Auge verlaufen. Hätte das Zyklopenauge auch für die peripheren Teile des Sehfeldes Geltung, müßte eben auch hier scheinbare Parallelität dann bestehen, wenn die vorderen Stäbe in den Richtungslinien ständen. Liest im ersteren Falle A und B in naher Entfernung vom Beobachter, so konvergieren die Richtungslinien noch nach der Ferne. Diese Konvergenz muß sich natürlich verringern und schließlich in Divergenz übergehen, je größer der 528 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Abstand von A und B vom Beobachter wird, und je mehr dadurch die Blicklinien sich der Parallele nähern. Bei großen Entfernungen kann der Augenabstand über- haupt vernachlässigt werden. Dann entspricht der Winkel, den die Richtungs- linien A Lund B R mit einander bilden, dem Sehwinkel von A B. Für diesen Fall tritt also scheinbare Parallelität der „Seitenflächen‘ dann ein, wenn ihr Abstand überall dem Sehwinkel entspricht. Das ist in der Tat der Fall. Schon Hillebrand hat darauf hingewiesen, daß bei großer Entfernung die Abstände scheinbar nach der Tiefe paralleler Linien (bezw. Flächen) gleichen Sehwinkel haben. Damit scheint mir die Beweiskette geschlossen, daß für die von mir gewählte vereinfachte Versuchsanordnung die Lage der scheinbar Parallelen von den Sehrichtungen bestimmt wird. Für den Fall, daß zunächst die Fixation auf das ferne Stabpaar beschränkt bleibt, kann ich das Ergebnis kurz in folgende Sätze zusammenfassen: Damit bei bewegtem Blick zwei nach der Tiefe verlaufende Flächen, deren Begrenzung durch zwei Stabpaare markiert ist, mit der Median- ebene und untereinander parallel erscheinen, müssen sie in denselben Sehrichtungen gesehen werden, wie bei ruhendem Blick die beiden fernen Stäbe, wenn der zwischen ihnen gelegene Punkt der Medianebene fixiert wird!). Ihre wirkliche Richtung findet man folgendermaßen: Denkt man sich einen in der Mitte zwischen den beiden fernen Stäben in der Median- ebene gelegenen Blickpunkt, so muß jede Fläche mit der Blicklinie des gleichseitigen Auges den gleichen Winkel bilden, wie die Sehrichtung der beiden fernen Stäbe mit der Hawptsehrichtung, d. h. der Medianebene?). D. h. in Abb. 6 muß der Winkel, den A A, mit FLund BB, mit f R bilden, gleich dem Winkel sein, den die Sehrichtungen von A und B mit FC haben. Diese Beziehungen, die am besten an der Hand der Abbildung verständlich werden, ermöglichen es nun umgekehrt aus der Stellung, welche die vier Stäbe haben müssen, um den Parallelitätseindruck hervorzurufen, die Lage der Sehriehtungen von A und B zu berechnen. Damit ist auf einem Umwege ein Weg gefunden, die Sehriehtungen rein optisch, d. h. ohne Zuhilfenahme eines anderen Sinnes, wie des haptischen, zu bestimmen. Bevor ich darauf näher eingehe, muß ich aber noch mit einigen Worten auf die Hillebrandschen Alleekurven eingehen. Ich hatte schon eingangs daran erinnert, daß bei der Hellebrandschen Versuchsanordnung die scheinbar parallelen Reihen aus mehreren Stäben keine Ebenen, sondern Kurven bilden, die zur Medianebene konvex laufen. !) Es sei hierbei auf die Ausführungen $. 525 fi. verwiesen. Außerdem ist hierbei Voraussetzung, daß die Strecken AA, und BB, (in Abb. 6) von dem gleichseitigen Auge unter einem Winkel von nicht mehr als 2—3° gesehen werden (S. 527). *) Hierbei ist immer eine horizontale Blickebene vorausgesetzt. verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 529 Hier scheint zunächst ein Widerspruch mit meinen Versuchen zu bestehen. Denn bei Aellebrand könnten ja sowohl die ersten und zweiten Stabpaare als meiner Versuchsanordnung entsprechend angesehen werden, als auch die Paare 1 und 3, 1 und 4 usw. Hätte aber die oben ausgesprochene Beziehung zu den Sehrichtungen allgemeine Gültigkeit, so müßten natürlich alle diese Paare die gleiche Richtung haben. Dann darf aber auch keine Kurve entstehen, sondern alle Stäbe müßten in einer Richtung stehen. Ich habe deswegen den Versuch mit den vier Stäben so vornehmen lassen, daß der Abstand der beiden fernen Stäbe sowohl untereinander als auch vom Beobachter unverändert blieb und die Einstellung der nahen Stäbe auf scheinbare Parallelität nacheinander in verschiedener Entfernung vom Beobachter vorgenommen wurde. Jedesmal wurden 10 Einstellungen vorgenommen, die wieder, wie schon oben erwähnt, nur unbedeutend von einander abwichen. Bei der Versuchsanordnung wurde dafür gesorgt, daß stets der Winkel AL A, und BRB, (Abb. 6) 3° nicht überstieg. Waren nun die Versuche in drei verschiedenen Entfernungen vor- genommen worden, so stellte ich sodann auf der einen, z. B. linken Seite überall die Stäbe in den betreffenden Abständen vom Beob- achter so auf, daß sie sämtlich eine gerade Linie bildeten. Dann wurden die experimentell gefundenen frontalen Entfernungen abge- steckt und danach die rechten Stäbe aufgestellt. Entsprachen die Er- gebnisse den Hillebrandschen Alleekurven, so mußten jetzt die aufge- stellten Stäbe der rechten Seite eine nach außen beträchtlich konvexe Kurve aufweisen. Es zeigte sich jedoch im Gegensatz dazu, daß auch diese meist nahezu vollkommen in einer Richtung standen. Die Allee- kurve fehlte also bei dieser Versuchsanordnung, wie es nach den Be- ziehungen zu den Sehrichtungen der Fall sein mußte (s. Tab. III, S. 523). Die Verhältnisse ändeıten sich jedoch oft, wenn bei den Versuchsbedin- gungen der WinkelALA,BRDB, größer als 2—3° wurde. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Abstand der fernen Stäbe von einander ein rela- tiv großer und der Abstand der nahen Stäbe vom Beobachter ein kleiner ist. In diesem Falle gilt, wie oben ausgeführt wurde, für die Sehrichtung von A, und B, nicht mehr die Nasenwurzel als Zentrum, sondern die Sehrichtungen laufen links und rechts bereits daran vorbei. Infolge- dessen ist in diesem Falle, wenn die Berechnung der Lage von A, und B, nach dem oben angeführten Gesetz erfolgt, der scheinbare Ort der vor- deren Stäbe auch nicht mehr bei A, und B,, wo er sein sollte, sondern weiter nach außen. Infolgedessen muß jetzt A, und B, näher an der Medianlinie liegen, um wieder bei A, und B, zu erscheinen, und zwar um so mehr, je näher am Beobachter sich die beiden nahen Stäbe be- finden, je größer damit die Winkel A ZA, und BRB, werden. 530 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Wiederholt man den Versuch, indem man den Abstand von AB relativ groß macht, indem man das vordere Stabpaar erst in größere, dann in zunehmend geringerer Entfernung vom Beobachter auf schein- bare Parallelität einstellen läßt, so fand ich denn auch in der Tat wieder- holt, daß die S. 526 angegebene Beziehung zu den Sehrichtungen nur im ersteren Falle stimmt. Je näher die Stäbe an dem Beobachter liegen, um so mehr zeigt sich eine Abweichung in dem Sinne, daß die Stäbe A, B, näher zusammengerückt werden müssen: mit anderen Worten, es ent- stehen nach außen konvexe ‚Alleekurven‘‘, wenn man nachträglich in den verschiedenen Entfernungen entsprechend Stäbe aufstellt und ihre Richtung zu einander beobachtet. Ist der Sagittalabstand der beiden Stabpaare sehr gering, so werden die Doppelbilder der Stäbe, die näher am Beobachter liegen, nicht mehr getrennt wahrgenommen. Es ist möglich, daß auch dadurch die Stellung beeinflußt wird. Es bleibt nun noch kurz zu erörtern, auf welche Weise die Lage der scheinbar Parallelen dazu verwendet werden kann, um umgekehrt aus ihr die Sehrichtungen zu berechnen. Die Verhältnisse liegen sehr einfach. Wie ich oben schon hervorgehoben habe, gilt das imaginäre Zyklopen- auge als Sehrichtungszentrum im allgemeinen für die nächste Um- gebung des Fixierpunktes. Inwieweit hierbei individuelle Verschieden- heiten vorkommen, wissen wir noch nicht, müssen aber durchaus für möglich halten, daß bei manchen Individuen dieses Sehrichtungs- zentrum auch für einen größeren Teil des Sehfeldes Geltung hat. Man könnte diese Tatsache als eine Vervollkommnung der Verschmelzung der Seheindrücke beider Augen auffassen!). Bei der Versuchsanordnung mit den scheinbar Parallelen hat das Zyklopenauge solange Geltung, als die Richtung der ‚Seitenflächen“ vollkommen in die Richtungslinien nach den beiden Augen fällt, also in Abb. 3 mit den Linien AL und B R zusammenfällt. Denn fixiert man A, so führt in diesem Augenblicke dessen Sehrichtung sicher nach der Nasenwurzel und das gleiche ist der Fall, wenn B fixiert wird. Bleibt also der Parallelitätseindruck bestehen, gleichgültig, ob wir die in der Medianlinie gelegene Mitte F von A B fixieren oder A und B selbst, so ist damit eben der Beweis erbracht, daß von F aus auch noch bis zu dem Winkel, unter dem # A und F B gesehen werden, die Sehrichtung nach der Nasenwurzel führt. Wird A und B zunehmend weiter seitlich von F aufgestellt, so kommt bald der Moment, in welchem die ‚Seitenflächen‘ erst dann unter einander parallel erscheinen, wenn die vorderen Stäbe A, und BD, außer- ') Vgl. Köllner, Arch. f. Augenheilk. 88 u. 89. verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 531 halb der Richtungslinien stehen. In diesem Fall können die Sehrich- tungen von A und B nicht mehr nach dem sog. Zyklopenauge führen, vielmehr müssen sie links und rechts von der Nasenwurzel auf die Ver- bindungslinie der beiden Augen Z und R treffen. Würden die Sehrichtungen direkt nach Z und AR, also nach den beiden Augen ziehen, so ließe sich nach meinen obigen Ausführungen die Lage der scheinbar parallelen ‚Seitenflächen‘ leicht berechnen. Wir sehen ‚daß wir hier nur den Winkel U A Lin Aan A Z nach außen abzutragen brauchen (Abb. 6). Die so festgelegte Linie A A, entspricht der Richtung der linken ‚‚Seitenfläche‘; und auf der rechten Seite läßt sich die Lage BD, in gleicher Weise ermitteln, vorausgesetzt immer, daß die Winkel ALA, und BRB, kleiner als etwa 3° sind (s. o.). Stimmt also die auf diese Weise berechnete Lage von A, und B, mit den experimentell gefundenen Ergebnissen vollkommen überein — wir sahen ja, daß die bei den Einstellungen zutage tretenden Fehler relativ gering sind —, so gehen bei der entsprechenden Exzentrizität von A und B, von der Medianlinie F an gerechnet, auch die Sehrichtungen nach den beiden Augen, d. h. auf der linken Seite von A nach Z/, auf der rechten Seite von B nach R. Es war also nur notwendig, den Abstand von A und B zunehmend zu vergrößern und dabei festzustellen a) unter welchem Gesichtswinkel AF (und natürlich auch BF) gesehen wird; b) bis zu welchem Gesichtswinkel die Richtung der scheinbar paral- lelen Seitenflächen noch in die Richtungslinien von A und B fällt; c) von welchem Gesichtswinkel an die experimentell gefundene Rich- tung der Seitenflächen mit der errechneten übereinstimmt, wenn der Berechnung die Lage der Sehrichtungen von A nach L und von B nach R in der eben genannten Weise zugrunde gelegt wird. Bei den Versuchen wählt man einen möglichst großen Sagittal- abstand der Stabpaare, um die Ergebnisse genauer zu gestalten. Doch wird diesem bei großem Frontalabstande eine Grenze dadurch gesetzt, daß der Winke ALA, und BRB, (Abb.6) nicht zu groß werden sol. Außerdem soll darauf geachtet werden, daß der Blick schnell und wiederholt zwischen den fernen Stäben hin- und hergleitet. Tab.IV (8.532) gibt über die Beobachtungen bei einer normalen Ver- suchsperson Auskunft. Aus ihr geht hervor, daß bis zu einer Exzentri- zität von ca. 3° die Sehrichtung noch nach der Nasenwurzel (Zyklopen- auge) führen muß, von einem Winkel von etwa 10° vom Fixierpunkt an gerechnet nach dem gleichseitigen Auge. In dem dazwischen gelegenen Gebiete von ca. 3—9° kann sie nicht mehr nach der Nasenwurzel, aber auch noch nicht nach dem gleichseitigen Auge gehen, denn der experi- mentell gefundene Abstand von A, B, bleibt hinter dem errechneten H. Köllner: Uber die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe 532 DOUV 901498 -yoTofd Sep yaanp ypou yyundaoıxt] WOA GG STq „gI uoA opurgsqy ur LONRLIO »onvu9adopAzZ wop ue „°/,g UOA ua» -9adsyuo PZINMUOSeEN dep yaru 1pou DONV HSMOSTITILS sep yaınp TOP9A „F—,6 OA OPurIsqy ueuro 194 UOFNLLIOA 0/0] UOA opueys -qy ur nzoyeu yone "LP ‚II uoa opuegsqy wı 'T5p ‚gI UOA opurjsqy wı "Top p] uoA opuejsqy Wr ‘Top [0] yyUmdasıxT] we 08 UoA opueys -(V wm oonYy 9o1Tos -y9T9L5 SEP yaanp yaru -U9p INELIOA SunyyaLIgogS UBSUNFIOLLTOS U9SUNNPLIYOAS U9SUNMPLINOS IS — T9J9UYO919G UOULWUTIS 94][0989.5uro N 9I9UYOALOET UTOLON UOULUTIS SUNJJOISUTGT "n Sunugvotog] : 4]T0989.5UT9 AOJY9eg09E uUSq[oswop ur opaum YIaZ uadspur aus n I I € I I \ \ UOLUT -söungypIy Up Ur neuen) VOnY UO.OLMOSLTDLD wop Wort uorurssung -OIN Top qfeyaosme send SUNU.LOF 194[[0489.5ur9 pun UOLOSIMZ OPUOSIIE MN ug] ZUOAOTFLCT uroaoqn SUNWIOFLUST sel 871 Gel 061 uadungydTiyas I9p yaıyydısury SIugqasıst UODUNMLOURIE uapInM uU9U9S aöny 9d1ıos -Y9T9]3 sep yamp uoFzunyydLIyas Ip uu9M ‘PuRIs -qy DPUYHIIT 0/CL :@Sl - EST : ST gzl!r en Et Seel Fa aaa GG 09 99 VE N, SIEG LE 06:68:16 :0°6 FOL:FOL:0'01:60T:001 S’ITL:ZIL-8IT-8IL°6 II 7:01 -G.61..971 Gl FEL-JEL-GEL-FEL-TEI EFL:EFI -EFL :SHl rl Frl S’GL:661:S'EL:DEL:6 GL FIL-FILSELT-G2T:- GT ST :8'ST 681 :8°8T :6I 61 61 681 :F6l :S6l INLI9q 9qeIs uayru op puegsqepeJuong 9yT2IsEFure 19cT ‘(wo 6P JuwIsuoy doyyargoag woA [9 'qqy] g pun p oquıg ULF OP PURISqY) AOFyORgOAgT USUTD any YENOTereg Usaequryos dp sne Uodungyaryog op ot ’T OP sI 10.96 sI Tel 81 | 0% sI | F 8I | G a en) Se 8I | 6 sl | 1 SI gi Ba Ag 87 | 2L 8 (ERST 87 | 07 | Sa Fer 8% | 74 SG | % SC °/18% ae 09 wu» PUIH I94y9Eeq09—L "BI UOA wOA | [O1yurayog qLIS uoyeu mouse doyun I9p puvIsqy | uaurayosısm SUNUYOMIDEL De rl GT [in lae (AOIYIRGORAKT ‚ UIOA Purjsq\ UND GE TEA) GIER, JG ud ST F DqUIS uauıe] uopIeq dep puuls -qY A]BJuoA] ‘AI all: ID] verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 533 noch zurück: in diesem Bezirk schneiden also die Sehrichtungen die Verbindungslinie Nasenwurzel— Auge auf jeder Seite. Es ist mir gegen die haptische Bestimmung der Sehrichtungen (Markierung mittels der dem Blicke entzogenen Hand) eingewendet worden, daß ein derartiges Verfahren unstatthaft wäre, und die Ergeb- nisse wurden angezweifelt. Wie man diesem an und für sich theoretisch richtigen Einwand begegnen kann, habe ich bereits gezeigt!). Auf dem Umwege der Einstellung auf scheinbare Parallelität ist es nun möglich, die Lage der Sehrichtungen rein optisch zu bestimmen, was auf direktem Wege natürlich nicht gelingt. Vergleicht man das Ergebnis, das man hinsichtlich der Lage des Sehrichtungsbürdels auf diese Weise erhält, mit den Befunden, die ich früher — weniger genau — auf haptischem Wege erhielt (Abb. 5), so zeigt sich eine fast vollkommene Übereinstimmung bei der Versuchs- person, von welcher die Tabelle stammt, wie auch bei einigen anderen, bei denen ich die Prüfung vorgenommen habe. Daß diese Lage der Seh- richtungen nicht für alle Individuen in gleicher Weise Geltung zu haben braucht, sei nochmals hervorgehoben. Es wäre wünschens wert, in dieser Richtung noch eingehende Untersuchungen vorzunehmen. Vor allem ge- lingt, es auf diese Weise verhältnismäßig recht genau festzustellen, bis zu welcher Exzentrizität die Sehrichtungen nach der Nasenwurzel laufen, entsprechend einem dort befindlichen hypothetischen Zyklopenauge. Wenn auch aus den Tabellen mehrmals eine völlige Übereinstimmung zwischen den errechneten und den experimentell gefundenen Werten hervorzugehen scheint, so darf man sich dadurch doch nicht verleiten lassen, nun die Sehrichtungen etwa als mathematisch genaue Linien vorzustellen. Offensichtlich schwanken sie bei ein und demselben Beobachter, wenn man zu verschiedenen Zeiten prüft, wenn auch nicht innerhalb erheblicher Grenzen. Schon aus Tabelle IV läßt sich entnehmen, daß bei der einen Untersuchung die Sehrichtungen schon bei einer Entfernung von 9'/,° vom Fixierpunkt durch das gleichseitige Auge gingen, bei einer späteren erst dagegen von etwa 11° an. Ähnliche Differenzen fand ich hinsichtlich des Um- fanges der Gültigkeit des „Zyklopenauges“ an der Nasenwurzel als Sehrichtungs- zentrum. Die Sehrichtungen dürfen also keinesfalls als unveränderlich angesehen werden. Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Lage, welche zwei nach der Tiefe hin „sagittalparallel‘‘ ver- laufende Linien (bzw. senkrechte Flächen) haben müssen, um parallel zu scheinen, wurde mit einer vereinfachten Versuchsanordnung, näm- lich mit Hilfe von vier senkrechten Stäben geprüft, welche die Enden der Flächen markieren, wobei die Fixation auf das ferne Stabpaar beschränkt blieb (also nicht nach der Tiefe wandern durfte). Alle Einstellungen schwankten nur innerhalb sehr geringer Fehler- grenzen, d.h. die Empfindlichkeit für den Parallelitätseindruck war eine sehr große, wie schon Hillebrand gefunden hatte. !) Arch. f. Augenheilk. 89. 534 H. Köllner: Über die Lage scheinbar paralleler nach der Tiefe Die Richtung, welche die Flächen haben müssen, um parallel zu er- scheinen, hängt vollkommen von dem Gesichtswinkel ab, unter welchem der Frontalabstand der beiden fernen Stäbe, zwischen denen die Fixa- tion wechselt, gesehen wird: die Flächen müssen nach der Ferne diver- gent sein, wenn der Gesichtswinkel groß ist. Bei kleinem Gesichts- winkel (also geringem Frontalabstand der Stäbe) dagegen können sie sogar nach der Ferne konvergieren. Dazwischen gibt es dann eine Stellung, bei welcher sich in der Tat die scheinbare Parallelität mit der wirklichen Parallelität deckt. Voraussetzung ist hierbei, daß die Stäbe nicht weit vom Beobachter entfernt sind, so daß die Blicklinien bei der Fixation noch konvergieren. Entscheidend für die Stellung der Stäbe ist der Verlauf der Seh- richtungen. Der Parallelitätseindruck ist dann vorhanden, wenn die Flächen unter denselben Sehrichtungen gesehen werden wie die beiden fernen Stäbe, wenn der zwischen ihnen gelegene Punkt der Medianebene fixiert wird. Jede Fläche muß dabei mit der Blicklinie des gleichseitigen Auges zu diesem Punkt den gleichen Winkel bilden, wie die Sehrichtung der beiden fernen Stäbe mit der Hauptsehrichtung, d. h. mit der Medianebene (unter einer gewissen und S. 527 erwähnten Einschränkung, auf welche bei der Versuchsanordnung Rücksicht genommen werden muß). Die Gültigkeit dieses Gesetzes kann aus der vollkommenen Übereinstimmung mit der rechnerisch gefundenen Lage entnommen werden, wenn man für die seitlichen Teile des Sehfeldes von 10—30° die von mir auf haptischem Wege gefundene Anordnung der Sehrichtungen, für den mittleren Teil das Zyklopenauge der Be- rechnung zugrunde lest. Diese Beziehungen der scheinbaren Parallelität zu den Sehrichtungen ermöglichen es, deren Lage und ihre evtl. individuellen Verschieden- heiten in den mittleren Teilen des Sehfeldes auch auf rein optischem Wege, ohne Zuhilfenahme der weniger genauen haptischen Lokalisation zu bestimmen!). Das Ergebnis war das gleiche wie bei der haptischen !) Lohmann hat, theoretisch mit Recht, eingewendet, die Zuhilfenahme der haptischen Lokalisation bringt einen neuen unbekannten Faktor hinein, und man könne auf diese Weise keinen Rückschluß auf die Lage der Sehrichtungen machen. Ich habe ihn an anderer Stelle (l. c.) ausgeführt, daß die sich bei der Lokalisation ergebenden Gesetzmäßigkeiten nicht auf rein haptische Eigentümlichkeiten zurück- führen lassen. Wer sich in einfacher Weise von der Art der Sehrichtungen auf haptischem Wege überzeugen will, dem empfehle ich folgenden kleinen, von Wein- berg bei mir ausgearbeiteten Versuch. Man blicke über eine horizontale Glasplatte, auf welche in etwa 25 cm Entfernung einer Reihe frontal angeordneter Drahtstäbe sich spiegeln. Man fixiere binokular den in der Medianlinie gelegenen mittelsten Stab und versuche nun schnell die Spiegelbilder der Stäbe mit dem Finger auf sich zu nachzuziehen. Dann kommt man bei dem fixierten mittelsten Stab auf die Nasenwurzel, bei den seitlichen Stäben auf das jeweils gleichseitige Auge. verlaufender Linien und ihre Beziehung zu den Sehrichtungen. 535 Bestimmung. Für den Normalen, soweit bis jetzt untersucht, gilt nur in der nächsten Umgebung des Fixierpunktes, nämlich bis zu einer Exzentrizität von 3° das imaginäre Zyklopenauge an der Nasenwurzel als Sehrichtungszentrum. Von da an bis zu einer Exzentrizität von 91/,—10° wird das Sehrichtungszentrum von der Verbindungslinie der beiden Augen gebildet, weiter seitlich verlaufen die Sehrichtungen an- nähernd nach dem gleichnamigen Auge. Auf diese Weise kann es gelingen festzustellen, inwieweit in den mittleren Teilen des Sehfelds im Verlauf der Sehrichtungen, besonders hinsichtlich des Umfanges der Gültigkeit des ‚„Zyklopen- auges“ in der Gegend der Nasenwurzel, individuelle Verschiedenheiten oder auch Schwankungen bei ein und demselben Beobachter vorkommen; diese sind zweifellos vorhanden, und die genannten Zahlen daher nur als Durchschnittswerte aufzufassen. Die Lage der Sehrichtungen zu den Augen ist für die Lokalisation der Sehringe im Raum vor und hinter der ‚‚Kernfläche“ von entscheiden- der Bedeutung. Aufs neue hat sich die von mir nachgewiesene Tat- sache bestätigt gefunden, daß der Winkel, den die Sehrichtungen unter- einander bilden (,Sehrichtungswinkel‘‘) ein gänzlich anderer (viel spitzerer) ist als der ‚‚Sehwinkel‘, den die Richtungslinien nach jedem Auge bilden. Man hat nun daran gedacht, an einem gemeinsamen Zentrum für die Sehrichtungen, an einem in der Medianlinie gelegenen Zyklopenauge fest- halten zu können und dieses weiter zurück in den Kopf zu lokalisieren. Aber auch diese Ansicht, die übrigens physiologisch von sekundärer Be- deutung sein würde, dürfte kaum aufrecht zu erhalten sein. Allerdings würden die beiden bei einer Exzentrizität von 10° durch das rechte und linke Auge führenden Sehrichtungen die Mittellinie etwa 17 cm hinter den Augen, also in der Gegend des Hinterhaupts schneiden, wenn die Augen parallel in die Ferne gerichtet sind. Aber wollte man diese Stelle als Sehrichtungszentrum ansehen, so zeigt eine einfache Berechnung, dab dann die Sehrichtung eines 50° seitlich gelegenen Objektes, das sich in etwa 5 m Entfernung befindet, bereits ca. 15 cm seitlich am Auge vorbeiführen müßte. Daß das in Wirklichkeit nicht der Fall ist, davon kann sich jeder überzeugen. Außerdem würde sich die Lage des Seh- richtungszentrums mit der Konvergenz weitgehend ändern. Liegt der Fixierpunkt z. B. in 30 cm Entfernung, so schneidet die Sehrichtung eines 10° seitlich vom Fixierpunkt liegenden Objektes, die annähernd durch das gleichseitige Auge führt, die Mittellinie erst etwa 40 cm hinter den Augen, also erheblich außerhalb des Kopfes. Es kann also von dem Augenblick an, wo der Sehrichtungswinkel wesentlich spitzer sich erwiesen hat als der Winkel, den die Richtungslinien bilden, von einem einheitlichen Sehrichtungszentrum nicht mehr gesprochen werden. Elektrokardiogrammstudien am Foetus in utero. Von Dr. H. Sachs. (Aus der 3. medizinischen Klinik der Universität Berlin. [Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Goldscheider ].) Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Oktober 1922.) Unter den Faktoren, die auf die Formgestaltung des Elektrokardio- gramms einflußgebend sind, spielt die Lage der Ableitungspunkte eine wesentliche Rolle. Die üblichen Ableitungen I, II und III sind als prak- tisch wirksam erprobt, wenn auch Waller dies für III nicht gelten läßt. Hingegen ist Ableitung VI (rechtes Bein — linkes Bein) offensichtlich unwirksam. Eine der Ableitung VI gleichende Kurve erhielt ich auch bei meinen Untersuchungen über das Elektrokardiogramm der Schwan- geren, wenn die Bindenelektroden oberhalb des Fundus uteri und über die Symphyse gelegt worden waren. Die dabei gesichteten Ausschläge entsprachen regelmäßig dem gleichzeitig aufgenommenen Carotispulse, waren also als unwirksame Ableitung des mütterlichen Herzens zu deuten. Um das Elektrokardiogramm des Foetus wirksam abzuleiten, wäre es nach Oremer nötig, die beiden Elektroden per rectum der Mutter ober- und unterhalb des kindlichen Kopfes zu fixieren, was am Menschen nicht gut ausführbar ist. C’remer hat nun bereits 1906 zwei Kurven veröffent- licht, in denen zwischen den mütterlichen Zacken Andeutungen vom Elektrokardiogramm des Foetus gezeigt werden. Die Elektroden lagen abdominal außen und vaginal bzw. rectal. Später hat Foa (1911) in abdo- minal-vaginaler Ableitung in 3 Fällen kleine Oscillationen gesehen, die er aus dem Zahlenverhältnis 75: 187 als zwischen die mütterlichen Aus- schläge eingestreute fötale Elektrokardiogramme anspricht. Zuletzt hat Nörr elektrokardiographische Aufnahmen an Kühen, Pferden und Ziegen zur Untersuchung auf Trächtigkeit veröffentlicht. Machte Nörr nun an den trächtigen Muttertieren die übliche Ableitung: rechte Vorderbrust — 3egio apicis oder rechtes Vorder-—linkes Hinterbein oder rechte Vorder- brust—Rectum, so erhielt er typische Elektrokardiogramme der Mutter ohne fötale Zacken. Diese erschienen erst, wenn nach C’remer abdominal- vaginal bzw. rectal abgeleitet wurde. Hierzu wurde die Elektrode H. Sachs: Elektrokardiogrammstudien am Foetus in utero. 537 60—65 cm tief in den Endteil des kleinen Kolon eingeführt, die andere Elektrode lag in der Regio umbilicalis. Schließlich fand Nörr eine wesent- liche Vereinfachung der Methode, indem er bei Ableitung von beiden Weichen, Regio iliaca dextra et sinistra, brauchbare Kurven erzielte. In meinen ersten Versuchen (1920), das fötale Elektrokardiogramm beim Menschen zu erfassen, habe ich zunächst die Ableitung I der Mutter als Vergleichungskurve aufgenommen. Sie zeigt die für Schwangere charakteristischen hohen Ausschläge. Hingegen bietet die abdominal-vaginal gewonnene Kurve (l) ein eigenartiges Bild dar. Fast alle prominenten, z. T. atypischen Spitzen f > r = RESET S= er = EEE RÄT = RETTET TESERER) OR Eh j | | Ä ad EN men De al aa vol aned std ; | Abb. 1. Ableitung Abdomen—-Vagina. entsprechen zeitlich mit ihren Intervallen den R-Zacken in Ableitung I. Von den übrigen kleineren Zacken wäre es verlockend zu sagen, daß in ihnen das Elektrokardiogramm des Foetus enthalten sei. Da sie aber viel zahlreicher waren als die kindlichen Herzschläge, erschien ihre Iden- tifizierung zu willkürlich. In einem anderen Falle, ebenfalls Gravid. mens. IX, in gleicher An- ordnung (Abdomen— Vagina) erhielt man ein fast typisches Elektro- kardiogramm (Abb. 2), ähnlich der Ableitung I. Zwischen den hohen Abb. 2. Ableitung Abdomen—-Vagina (gravid.) R-Zacken sind zahlreiche kleinere Zäckchen erkennbar, die man um so eher auf das fötale Herz zu beziehen geneigt war, als eine Kontrollauf- nahme 3 Monate später nach regulär verlaufenem Puerperium in der- selben Ableitung (Abdomen---Vagina) eine vollkonımen glatte isoelek- trische Strecke zeigte (Abb. 3). Abb. 3. Dieselbe Ableitung Abdomen—-Vagina (post puerperium). 538 H. Sachs: Es wurde sodann die von Oremer der abdominal-vaginalen gleichbe- wertete Ableitung Abdomen—Rectum versucht. Bei dieser Anordnung schien es möglich zu sein, dem fötalen Körper in utero näherzurücken. Eine 14,5 cm lange, runde Metallsonde wurde vorsichtig per rectum ein- geführt und daran die dem linken Arm (apex) in Ableitung I entspre- - chende Ableitungsschnur befestigt. Die dem rechten Arm (Basis) zu- gehörende Elektrode lag wie immer quer über dem Abdomen oberhalb des Nabels. In mehreren Fällen (Gravid. mens. V—IX) stets das gleiche Bild: zwischen etwas größeren Ausschlägen vom Typus der Ableitung VI zahlreiche kleine Zäckchen (Abb. 4). In einer Kontrollaufnahme, wobei { : | et ——eeze .._._._..—___ en rapie) Abb. 4. Ableitung Abdomen—Rektum. mit einer Bügelelektrode von beiden Seiten des Uterus abgeleitet wurde, fehlten alle kleineren Ausschläge. Die groben Schwankungen der Kurven- linie entsprachen den fühlbaren Uteruskontraktionen. Dank dem Interesse, das Herr Geheimrat Dumm dieser Frage ent- gegenbrachte, konnten die Versuche an einer Reihe von Hausschwangeren der Berliner Universitäts- Frauenklinik fortgesetzt werden. In 3 weiteren Fällen immer dasselbe Bild: Ableitung I hohe Ausschläge, Ableitung Ab- domen—Rectum und Abdomen— Vagina größere Zacken, den R-Zacken in I entsprechend, und zwischen ihnen dem Anschein nach fötale Zacken, die an Zahl den auskultatorisch gezählten zu entsprechen schienen. Noch fehlte aber der zwingende Beweis, daß die eingestreuten kleinen Zacken tatsächlich vom Foetus herrühren. Auch in den Kurven von Cremer, Foa und Nörr ist hiervon nicht die Rede. Die nunmehr ange- stellte Gegenkontrolle brachte alle Deutungen ins Wanken, denn die nun folgende Kurve, in Ableitung Abdomen—Rectum stammt von einem } A Pr es, r a, N. Abb. 5. Ableitung Abdomen—Rektum bei einem Manne. männlichen Individuum und zeigt ebenfalls kleine Erhebungen zwischen höheren Zacken, die also nichts anderes als Verzitterungen sein können (Abb. 5). Elektrokardiogrammstudien am Foetus in utero. 539 Die Verzitterungen im Elektrokardiogramm sind oft genug eine unerwünschte Beigabe. Ob sie allein auf fibrillären Zuckungen der Skelettmuskulatur beruhen, oder ob auch Aktionsströme oder sog. Strömungsströme der Blutbahnen mitwirken, ist noch nicht klarge- stellt (Blumenfeldt). Wir haben die Zitterkurven nicht nur sehr häufig bei Kranken mit allgemein nervösem Befund, sondern oft auch bei Adipositas gesehen. Auch die Kurven der Schwangeren waren fast durchweg verzittert. Nach Schrumpf und Zöllich kann jede Verzitte- rung durch direkte Ableitung von der Brustwand vermieden werden. Sehr oft folgt einer verzitterten Aufnahme in Ableitung I eine glatte Kurve in Ableitung II, sobald die mit der Prozedur für den Patienten verknüpfte Unruhe im Schwinden ist. Wiederholt man alsdann im Anschluß an II die Aufnahme in Ableitung I, so zeigt meist auch I einen ruhigen Verlauf. Auffallend bleibt es allerdings, daß auch in Aufnahmen mit dem neuen Doppelspulengalvanometer von Stiemens & Halske die Ableitung I verzittert, die Ableitung II hingegen glatt erscheint, obwohl beide Ableitungen gleichzeitig aufgenommen sind. Man muß demnach annehmen, daß Ableitung I von den Armen stets mit größerer Muskelbewegung verbunden ist als die Ableitung II von Arm und Bein. Um nun für unsere Fälle eine glatte Kurve zu erhalten, mußte man versuchen, die Verzitterungen möglichst auszuschalten. Nach Einthoven können die auf elektromotorischen Wirkungen in den Skelettmuskeln beruhenden Verzitterungen im Elektrokardiogramm durch Narkose be- seitigt werden. In einem bisher noch nicht veröffentlichten Experiment war es Mosler gelungen, starke Verzitterungen in der Kurve durch Hypnose zu eliminieren. So wurde denn eine Schwangere, die in Ab- leitung I deutliches Zittern aufwies, durch den Assistenten der Uni- : / Y 5 ö a NVVAANANAWVV VW VYVYVYVVVVVYVVVVVVVVVVV Abb. 6. Leicht verzitterte Kurve. Bei Hy. setzt die Hypnose ein. versitäts-Frauenklinik von Stuckrad in hypnotischen Schlaf versetzt. Der weitere Kurvenablauf zeigt eine vollkommen glatte isoelektrische Strecke (Abb. 6). Alsdann wurde die Ableitung Abdomen—Rectum in Hypnose an- geschlossen, und so erhielt man eine glatte Kurve ohne Verzitterungen. Die Ausschläge waren, nach der 0,1 Sekunden-Zeitschreibung berechnet, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 35 ArAMHAÄHNR e 3 A = . RR VNNW WWW REIN INN NV NV NV NSS IN N MV NM N NV NN NW N MW NV NUN NWNVVNVNVNWWNVNV 540 H. Sachs: noch weniger zahlreich als die im Wachzustande ausgezählte Minuten- pulszahl, konnten also nur der Mutter angehören. Die Wehentätigkeit wird, wie aus der Wellenlinie ersichtlich ist, durch Hypnose nicht aus- geschaltet (Abb. 7). Abb. 7. Dieselbe Ableitung Abdomen-Rectum in Hypnose. In einem anderen Falle mit derselben Versuchsanordnung gelang es nicht, die Verzitterungen durch Hypnose zu beseitigen. Die hier sicht- baren kleinen Zäckchen als ‚‚fötale‘“ zu deuten, war nach den bisherigen Erfahrungen nicht gut möglich. Bei der Überprüfung der Frage blieb noch zu erwägen, ob die Versuchsanordnung geeignet sei, einen Erfolg zu erzielen. Bei Betrach- tung der Bilder von Winter, Füth, Bumm und Blumreich über die Topographie der Fruchtlage bei, Gebärenden und in dem Atlas von Braune über „Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der Schwangerschaft‘ (1372) sieht man sofort, daß eine 14,5 cm. tief ein- geführte Rectalsonde keine wirksame Ableitung für den Foetus her- stellen kann. Auch die Medianschnitte in situ aus der pathologischen Sammlung der Universitäts-Frauenklinik zeigen, daß man bei 14,5 cm ab ano nur bis zum zweiten Sakralwirbel gelangt, also bei noch nicht feststehendem Kopfe allenfalls diesen erreicht. Man leitet also günstig- stenfalls von den schlecht leitenden Schädelknochen ab. Vielleicht hätte sich durch eine mittelst Klysma rectal eingeführte Elektrode noch eine größere und bessere Berührungsfläche mit dem Foetus schaffen lassen. Auf eine Anregung von Herrn Prof. Gildemeister habe ich schließ- lich noch versucht, die von Nörr bei Pferden erfolgreich benutzte Ableitung und Haltung der Frucht auch bei den schwangeren Frauen nachzuahmen. Es wurde ein sonst für Diathermie benutzter, mit Isolierungen versehener Bügel der Schwangeren zu beiden Seiten des Uterus in Nabelhöhe angelegt und das Elektrokardiogramm dann in Knieellbogenlage der Mutter aufgenommen. Die so erzwungene Körperhaltung führt aber, wie man an sich selbst beobachten kann, zu einer Erhöhung der Pulsminutenzahl. In unserem Falle war der Puls auf 105 in der Minute gestiegen. Die Kurve in Bügelableitung und Knieellbogenlage zeigte 138 Erhebungen. In 2 anderen Fällen = Elektrokardiogrammstudien am Foetus in utero. 541 zeigten sich zwischen Ableitung I und Bügelableitung nicht so erheb- liche Unterschiede in der Frequenzzahl. Man hätte hier, um Klar- heit zu schaffen, nach Hofbauer und Weiß mit der Lamelle ihres Phonoskops die fötalen Herztöne photographisch registrieren müssen. Denn nur durch eine korrespondierende Schreibung ist feststellbar, welche Ausschläge im Elektrokardiogramm den etwaigen fötalen ent- sprechen könnten. Die Versuche wurden nach alledem abgebrochen. Obwohl das be- nutzte Spulengalvanometer als besonders empfindlich gilt, scheint es doch nicht geeignet, das fötale Elektrokardiogramm sichtbar zu machen. Vielleicht wären mit einem eingeschalteten Verstärker bessere Resultate zu erzielen. Verschiedentlich wurden auch physikalisch-theoretische Bedenken geäußert, ob ein fötales Elektrokardiogramm in utero überhaupt ableitbar sei, ob nicht vielmehr die Potentialdifferenzen des fötalen Herzens im Fruchtwasser neutralisiert würden. Das Fruchtwasser ist seiner Synthese nach (98% Wasser, 1,42% feste Bestandteile, davon 0,62%, Salze) im Vergleich zum Blutserum stark hypertonisch (Döderlein). Auch bleibt noch zu erörtern, wieweit die Herzachsenstellung des fötalen Herzens die Form des Elektrokardiogramms beeinflussen dürfte. Nach E. Vogt ist beim Foetus rechter und linker Ventrikel nahezu gleich stark entwickelt. Das Herz steht mit seiner Achse rein horizontal und senkrecht zur Medianlinie. Trotz dieser starken Verschiebung zeigt jedoch das Elektrokardiogramm des Neugeborenen bis auf die ihm eigentümliche S-Zacke keine Abweichung von der typischen Form. Hegler fand sogar an Foeten, die bereits I—2 Stunden abgestorben waren, noch z. T. ziemlich normale Formen. Die hier ausführlich dargelegten Versuche, das Rlektrokardiogramm des Foetus in utero abzuleiten, sind erfolglos gewesen. Ü’remer sagt von seinen Versuchen, er habe ‚Andeutungen des Elektrokardiogramms des Foetus‘“ erhalten. Die veröffentlichten 2 Kurvenzeichnungen erreichen nach Cremer ‚bei weitem nicht das Originalnegativ, in dem die fötalen Zacken scharf sichtbar sind“. Die von Foa gezeigten Kurven sind eben- falls ohne begleitende Kontroliaufnahme der fötaien Herzschläge. Trotz- dem sieht er in seinen Aufnahmen die Ermunterung, auf Grund der- selben ‚‚Versuche fortzusetzen über die mehrfache Gravidität, die Lage des Foetus und andere Probleme der Physiologie und Pathologie der Gravidität‘“. Nach den dargelesten Beobachtungen sind genug Schwierigkeiten im Wege. Sie eingehend klarzustellen, schien von gewissem Interesse und Wert zu sein. 352 542 H. Sachs: Elektrokardiogrammstudien am Foetus in utero. Literaturverzeichnis. Blumenfeldt, Exp. Untersuchungen üb. d. Natur d. pulsat. Gefäßströme. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 140. 1918. — Cremer, Über direkte Ableitung der Aktionsströme d. menschl. Herzens v. Oesophagus und über das EkG. des Foetus. Münch. med. Wochenschr. 1906, Nr. 17. — Döderlein, Handbuch d. Geburtsh. 1. 1915. — Einthoven, Verzitterungen im EkG. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 122, 550. 1908. — Foa, Arch. Ital. de Biol. #, 56, 145, l’elektrokard. foetal. — Hegler, Über postmortale Elektrokardiogramme. Münch. med. Wochenschr. 1912, 59, 2894. — Hofbauer und Weiß, Photograph. Registrierung d. fötalen Herz- töne. Zeitschr. f. Gynäkol. 32. 1908. — Nörr, Foetale EkGe. am Rind. Zeitschr. f. Biol. 43, 123. 1921. — Sachs, Über das EkG. der Schwangeren. Berl. klin. Wochen- schr. 1920, Nr. 34. — Schrumpf und Zöllich, Saiten- u. Spulengalvanometer z. Auf- zeichnung der Herzströme. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 140. 1918. — E. Vogt, Der Nabelschnurkreislauf im Röntgenbilde. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 28, 5. 1921. — Waller, Altes und Neues über das Elektrokardiogramm. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1917 (Physiol. Abt.), S. 89. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Breslau.) Die Dehnbarkeit des quergestreiften Muskels im Zustande der Contraetur. Von Dr. J. Schleier, Assistent am Institut. Mit 3 Textabbilduneen. (Eingegangen am 14. September 1922. ) Einleitung. Die Untersuchungen über die Dehnbarkeit des durch Induktions- ströme in Tetanus versetzten Muskels (Weber, Blix, Schenk) haben nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt, sofern der erregte Muskel teils dehnbarer, teils weniger dehnbar als der ruhende gefunden wurde. Offen- bar befindet sich der tetanisch erregte Muskel nicht in einem elastischen Gleichgewichtszustande wie der ruhende. Der tetanisierende Strom löst mit der Zahl der Unterbrechungen wechselnde Vorgänge im Muskel aus. Es erhebt sich daher die Frage, ob ein Muskel eine neue, vollkom- mene elastische Gleichgewichtslage annimmt, wenn er durch andere, gleichmäßiger wirkende Mittel als durch den tetanisierenden Strom, in einen Zustand der Dauerverkürzung versetzt ist. Gedacht sei hierbei zunächst an die mannigfachen Contracturformen, wie sie durch che- mische, pharmakologische und thermische Erregung ausgelöst werden. In den Kreis der Betrachtungen soll hier von den verschiedenen Möglich- keiten elastischer Beanspruchung nur die Zugelastizität gezogen werden. Über die aufgeworfene Fragestellung finden sich nur gelegentlich Angaben in der Literatur. Im Zustande der thermischen Verkürzung ist nach E. Gotschlich!) die Dehnbarkeit bedeutend vergrößert, die Voll- kommenheit der Elastizität verringert. Die größere Dehnbarkeit des in thermischer Verkürzung befindlichen Muskels wurde später von Brodie und Richardsohn?) bestätigt. 1) E. Gotschlich, Über den Einfluß der Wärme auf Länge und Dehnbarkeit des elastischen Gewebes und der quergestreiften Muskulatur. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 54, 109. 1893. *) Brodie und Richardson, The changes in length of striated muscle under varying loads brought about by the influence of heat. Journ. of physiol. 21, 353. 1897. 544 J. Schleier: Dreser!) gibt an, daß die Dehnbarkeit unter der Wirkung des Vera- trins zunehme, unter Coffeinwirkung bei kleinen Mengen zu-, bei großen abnehme. Die Änderung der absoluten Muskellänge, die der unbelastete Muskel durch Veratrin und Coffein erfährt, ist jedoch in dieser Arbeit nicht berücksichtigt, so daß man aus ihr nicht ersehen kann, wieweit durch die Gifte Contracturerscheinungen ausgelöst worden sind. Nach Dontas?) wechselt die Dehnbarkeit mit der Dauer der Veratrinwirkung. Bei Beginn der Wirkung dehnt sich der veratrinisierte Muskel mehr aus als der nicht veratrinisierte. Wenn aber die Untersuchung lange nach der Injektion geschieht, dehnt sich der veratrinisierte Muskel weniger aus als der nicht veratrinisierte. Auch in dieser Abhandlung ist die Änderung der absoluten Muskellänge unter der Giftwirkung nicht angegeben. Dontas hat ferner Versuche am ermüdeten Muskel angestellt und fand, daß der ermüdete Muskel geringere Dehnbarkeit be- sitzt als der nicht ermüdete. Aus den spärlich vorhandenen Literatur- angaben ist eine eindeutige Antwort auf die oben aufgeworfene Frage- stellung nicht zu ersehen. Da in allen diesen Arbeiten Angaben über die durch den Eingriff veranlaßten Längenänderungen des Muskels fehlen, auch der Vergleich der Dehnungs- und Entlastungskurve, die am ruhenden Muskel charakteristische Unterschiede aufweist, nicht durch- geführt ist, erschien es lohnend, die Dehnbarkeit des durch die oben genannten Einflüsse in Dauerverkürzung versetzten Muskels systema- tisch zu untersuchen. Methodik. Als Versuchsobjekt dienten ausschließlich Gastroenemien von mittelgroßen Fröschen, die zur Erzeugung einer chemischen Contractur von der Aorta abdo- minalis aus unter einem Druck von 30 cm Wasser künstlich durchströmt wurden. Das aus den Hinterbeinen bestehende Froschpräparat wurde auf einem beson- deren Brett befestigt. Die unteren Femurenden wurden durch kräftige Steck- nadeln, die durch ein vorgebohrtes Loch durch den Knochen gestoßen wurden, auf der Unterlage befestigt und dadurch der Ursprung der Gastrocnemien fest- gestellt. Durch kräftige Außenrotation der Beine wurden die Gastrocnemien für die Untersuchung gut zugängig. Die Achillessehne wurde freigelegt und vom Knochen gelöst. Durch sie wurde ein kräftiger Haken hindurchgeführt und fest in die Sehne eingebunden, so daß ein Einreißen der Sehne bei Gewichtsbelastung unmöglich war. Das Brett mit dem Präparat wurde horizontal gelagert, durch Gewichtsbelastung gegen Verschiebung gesichert und der in die Achillessehne eingestochene Haken durch einen Stahldraht unter Zwischenschaltung eines kurzen, über eine Rolle laufenden Zwirnfadens mit der Belastungsvorrichtung verbunden. Zur Herstellung einer gleichförmig steigenden und fallenden Belastung’) ver- 1) Dreser, Über Messungen der durch pharmakologische Agentien bedingten Veränderungen der Arbeitsgröße und der Elastizitätszustände des Skelettmuskels. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. %%, 50. 18%. ?) Dontas, Über einige Einwirkungen auf die Dehnungskurve des Muskels. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1903, S. 419. %) Zusammenstellung bei Dittler: Untersuchung der elastischen Eigenschaften des Muskels. Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden 1922, Die Dehnbarkeit des quergestreiften Muskels im Zustande der Uontraktur. 545 wendete ich eine einfache Vorrichtung, die sich gut bewährt hat. Dies möge eine etwas ausführlichere Schilderung der Apparatur rechtfertigen. Das Prinzip der Methode!) ist: Erzeugung von gleichförmig steigender Be- lastung bzw. Entlastung durch Flüssigkeitsfüllung bzw. Entleerung eines mög- lichst leichten, an dem Muskelhebel befestigten Gefäßes. Das Zuggefäß (Z.-@.) besteht aus einem Condomgummi, der durch ein ent- sprechend geformtes, 1,5 g schweres Aluminiumgestell entfaltet gehalten wird und der außen von einer Leinwandhülle umgeben ist. Diese Hülle ist mit dem Condom zusammen oben in einen Metallring eingebunden. Der geschilderte Flüssigkeitsbehälter hat einen Durchmesser von 3 cm und eine Länge von 16,5 cm und ist an dem Schreibhebel (8.), 26,5 mm von der Achse des Schreibhebels ent- fernt, beweglich angebracht. In gleicher Entfernung ist die mit der Achillessehne in Verbindung stehende Zugvorrichtung befestigt. Auf der Achse des Schreib- hebels ist eine Rolle von 7 mm Radius angebracht, an der als Gegengewicht (@.) zu. dem 183,5 mm langen Schreibhebel und der Bela- stungsvorrichtung ein Ge- wicht von 50 g hängt. Zur Erzeugung eines gleichför- migen Gewichtsanstieges fließt aus einer 21/, | fassen- den Flasche von einer Höhe von 100 cm zu dem Zug- gefäß Wasser. In die Lei- tung ist kurz vor dem Zug- gefäß ein Dreiweghahn (H.) eingeschaltet und durch eine Klemme festgehalten. In die eine Öffnung desselben (7) mündet die Zuflußlei- tung (Z.-L.). Von der zwei- ten (II) aus führt ein dünner Gummischlauch (G.-S.) von Abb. 1. Schema der Anordnung zur Erzeuzungt einer gleich- 11), iin Mmsolnmesee van leer Belastung und REaulaslune: ZI G— Zuseeie: H. = Dreiwegehahn. Z.L. = Zuflußleitung. A.L.= Abfluß dem Flüssigkeitsbehälter, Ieitune. @. — Gegengewicht. G. S. = Gummischlauch. $. = der bis auf den Boden her- Schreibhebel. z. P. = Verbindung zum Muskelpräparat. abreicht und innerhalb des Behälters durch Fadenkreuze so fixiert ist, daß er die Wand an keiner Stelle berühren kann. Von der dritten Öffnung (I/II) des Dreiwegehahnes führt die Abflußleitung (4A.-L.) zu einem auf dem Fußboden stehenden Gefäß, das die ablaufende Flüssigkeit auffängt. Je nach der Hahnstellung sind folgende Kombinationen der Leitung möglich: 1. Verbindung der 2!/,1- Flasche mit dem Zuggefäß; 2. Verbindung des letzteren mit der Abflußleitung; 3. Verbin- dung von 'Zu- und Abflußleitung unter Ausschluß des dünnen Gummirohres, das in den Condomgummi hineinreicht. Beginnt man mit dieser Anord- nung, so füllt sich das ganze System unter Ausschluß des Zuggefäßes mit Flüssigkeit; Umschaltung auf Hahnstellung 7 läßt dieses sich füllen und erzeugt so eine steigende Belastung; bei Umstellung auf Hahnstellung II entsteht, da das !) Bereits von Marey (M. Du mouvement dans les fonctions de la vie, Paris 1868) angegeben. Marey ließ in ein an dem Schreibhebel hängendes Näpfchen Quecksilber in gleichmäßigem Strahl zufließen und nachher aus demselben wieder abfließen, 546 J. Schleier: ganze Abflußsystem mit Wasser gefüllt ist, eine Saugwirkung, das Zuggefäß ent- leert sich und damit erfolgt wieder Entlastung. Die Zu- und Abflußleitung ist durch entsprechende Röhrenwahl so eingerichtet, daß Be- und Entlastung gleich- lange Zeit für sich in Anspruch nehmen. Änderungen der Füllungs- bzw. Ent- leerungsgeschwindigkeit lassen sich außer durch Änderungen der Druck- bzw. der Fallhöhe durch Ersatz des in das Zuggefäß hinabreichenden Gummischlauches durch einen weiteren oder engeren leicht erreichen. Bei den weiter unten zu be- schreibenden Versuchen war die Zulaufsgeschwindigkeit so geregelt, daß in 60 Se- kunden eine Zugwirkung von 75 g erreicht wurde und sich in der gleichen Zeit nach Hahnumschaltung das Zugegefäß wieder entleerte. Die Füllung bzw. Ent- leerung gestaltet sich gleichförmig. Mit dem Zulauf von Wasser zum Zuggefäß sinkt zwar die Flüssigkeitshöhe in der großen Zulaufflasche. Bei einer Füllung des Zuggefäßes von 75 ccm sinkt der Flüssigkeitsspiegel in der 21/,-I-Flasche um 0,6 cm, das ist 0,6% der gesamten Fallhöhe. Diese geringe Druckänderung ist praktisch für die Gleichförmigkeit der Füllung ohne Bedeutung. Der Schreibhebel, an dem das Zuggefäß hängt, macht in den Versuchen Ausschläge bis zu 60 mm Höhe, so daß eine erhebliche Abweichung von der Tan- gentenrichtung zur Schreibfläche des Kymographions entsteht. Da die zur Auf- zeichnung üblichen Federkielspitzen nur mangelhafte Kurven lieferten, wurde für die Aufzeichnung die bekannte Brodiesche Papierfeder verwendet, die auch bei größeren Hebelexkursionen ein gleichmäßiges, zartes Anliegen der Schreibspitze gewährleistet. Die üblichen Kymographien mit Friktionsscheibe erwiesen sich für den vorliegenden Zweck als ungeeignet, da je nach der Stärke des Anlegens der Friktionsscheibe oder durch geringe Unebenheiten in dieser die Geschwindigkeit des Trommelumlaufes Änderungen erleidet. Dieser Umstand tritt bei Versuchen, in denen mehrere von der Zeit abhängige Kurven zu vergleichen sind, sehr störend her- vor. Das für die Versuche verwendete Albrechtsche Kymographion ohne Friktions- scheibe hat gleichmäßigen Trommelumlauf. Zur Kontrolle wurde die Zeit für jede Deh- nungskurve gesondert durch eine Jaquetsche Uhr mit Sekundenschlag verzeichnet. Zur Prüfung der Apparatur wurde zuerst die Dehnungskurve eines Gummischlauches, bei dem Gewichtsbelastungen von 0—120 g in Ab- ständen von je 20 g genau proportionale Verlängerungen ergeben hatten, aufgenommen. Die Dehnungskurve dieses Gummischlauches muß, gleichmäßigen Gang des Kymographions und gleichmäßige Be- und Entlastung vorausgesetzt, eine gerade Linie ergeben. Der Versuch zeigte, daß dies tatsächlich der Fall war, ein Beweis für das fehlerfreie Arbeiten der Apparatur. Zur Erzeugung von Contracturen wurden chemische und pharma- kologische Reizmittel verwendet: Milchsäure, Phosphorsäure, Oxal- säure, Rhodankalium, Coffein, Nicotin und Veratrin. Zur thermischen Verkürzung wurde der Muskel mit warmer Ringerlösung durchströmt, zur Erzeugung einer Ermüdungscontractur 10 Minuten lang vom Plexus ischiadicus aus tetanisiert. Die Beeinflussung der Muskeln durch die genannten Stoffe wurde ausschließlich durch Durchströmung der Blutgefäße mit den Lösungen und nicht durch Eintauchen der ausgeschnittenen Muskeln in sie, wie es technisch einfacher gewesen wäre, hervorgerufen, da die letztere Methode für den vorliegenden Zweck nicht geeignet ist, Die Dehnbarkeit des quergestreiften Muskels im Zustande der Contractur. 547 Beim Einhängen eines Muskels in eine Lösung kann diese nur von außen nach innen durch Diffusion in den Muskel gelangen, entfaltet also in den äußeren Teilen eine frühere und stärkere Wirkung als in den inneren. Bringt man einen Muskel auf diese Weise, z. B. durch eine Säure, zur Contractur, so wird er äußere, stärker kontrahierte gegenüber zentral gelegenen, wenig oder gar nicht beeinflußten Fasern enthalten. Dieser Umstand stellt bei Aufnahme von Dehnungskurven eine erheb- liche Fehlerquelle dar, da die Belastung nicht gleichzeitig auf alle Fasern wirken kann. Bei beginnender Belastung werden nur die äußeren, kon- trahierten Fasern beansprucht und erst wenn diese bis zu einem gewissen Grade gedehnt sind auch die inneren, weniger oder überhaupt noch nicht kontrahierten. Bei der Durchströmung findet dagegen eine gleichmäßige Wirkung in allen Teilen des Muskels statt. Ein weiterer Vorzug der Methode ist die Schnelligkeit, mit der die Wirkung eintritt. Versuche: Vor Anstellung von Versuchen am contracturierten Muskel wurde geprüft, ob die Dehnungskurve am normalen, mit Ringerlösung durch- strömten Muskel konstant bleibt. Es wurden zu diesem Zweck in Ab- Abb. 2. !/,nat. Größe. Erhöhung der Dehnbarkeit im Zustande der Contractur. 1 und 2 = Normal- kurven, K = Contracturhöhe, 3 = Dehnungskurve im Zustande der Phosphorsäurecontractur. ständen von je einer Viertelstunde drei Dehnungskurven aufgenommen mit dem Ergebnis, daß die Kurven sich fast völlig decken. Die Abwei- chung in den einzelnen Kurven betrug nur 4% der Gesamtdehnung. Von den zahlreichen, am künstlich verkürzten Muskel ausgeführten Versuchen mag es genügen, einen als Beispiel näher zu schildern und die Ergebnisse der anderen tabellarisch zusammenzustellen. Versuch am 26. IV. 1922. S Esculenta, großes Tier, Herstellung des Präparates und Befestigung erfolgt wie oben geschildert. Der in der Achillessehne liegende Haken wird mitder Dehnungsvorrichtung verbunden. Die Vorbereitung dauert etwa 10 Minuten. Nach Einleitung der Ringerdurchströmung erfolgt Aufnahme zweier Normalkurven, die in Abb. 2 wiedergegeben sind. 548 J. Schleier: Dann wird die Durchströmung von Ringerlösung auf Phosphorsäure ("/o,oı In Ringer) umgeschaltet, 30 Sek. später ist die Contractur in voller Ausbildung, sie ist bei still stehendem Kymographion aufgezeich- net. Die Höhe der Contractur beträgt 16,5 mm Kurvenfläche (X der Abbildung) = 2,4 mm absolut. Das Kymographion wird um die zur Aufzeichnung der Normalkurven abgelaufene Strecke rückwärts gedreht und soweit gehoben, daß der Schreibhebel dicht unter die Ausgangs- linien der Normalkurven zu stehen kommt. Man erreicht so, daß die Kurven übersichtlich untereinander aufgezeichnet werden. Die im Zu- stande der Säurecontractur aufgenommene Dehnungskurve (3) ist auf der Abbildung 2 als unterste verzeichnet. Die Dehnbarkeit ist jetzt deutlich vergrößert. Die direkte und indirekte Erregbarkeit ist nach dem Versuch noch erhalten. Der ruhende, 35 mm lange Muskel wurde bei einer Belastung von 0—75 g in 60 sec. steigend um 3,3 mm gedehnt, der 32/6 mm lange kontrahierte bei der gleichen Belastung aber dagegen um 4,7 mm. Zum Vergleich der Belastung und Entlastungskurve wurde letztere nach Abb. 2 so umgezeichnet (s. Abb. 3), daß sie unter die Dehnungskurve zu liegen kommt, gleichsam als wenn sie bei rückwärts laufen- dem Kymographion aufge- nommen worden wäre. Der Vergleich zeigt, daß die Be- und Entlastungskurve sich nicht entsprechen. Bei be- ginnender Entlastung ver- läuft die Kurve flacher als der entsprechende Teil der Abb. 3. Vergleich der DOBaNE> und Dub une Damage. dann aller kurve. Belastung. — -— -— -— Entlastung. 85 3 bei weiter fortschreitender Entlastung in stärkerer Krümmung, ohne die Ausgangslänge des unbe- lasteten Muskels vor dem Dehnungsversuch zu erreichen. (In der Zeichnung fällt das Ende der Entlastungskurve nicht genau unter den Anfang der Belastungskurve, da eine geringe zeitliche Differenz zwi- schen Belastungs- und Entlastungsdauer bestand.) Der zurückbleibende Verlängerungsrückstand ist bei dem in Contractur befindlichen Muskel größer als beim ruhenden. Bei letzterem bleiben 19,5% des gesamten Dehnungsbetrages als elastische Nachdehnung zurück, gegenüber 43% bei ersterem. Über den Ausfall der übrigen Versuche gibt die Tab. auf S. 549 eine Übersicht. Aus Spalte 1 ist die Art der Contracturerzeugung sowie die Zeit bis zur vollen Ausbildung der Contractur ersichtlich. Die absoluten Längen Wii l u Die Dehnbarkeit des Übersicht über die quergestreiften Muskels im Zustande der Contractur. Dehnungsverhältnisse bei 549 den einzelnen Contracturformen. © EI IR DIEB lo A|lıon | aa | A:5s P3sZu Ass PBRQulEegde 5053 Contractur erzeugt |) 25% Eyes 28% 22°45 SEE 5= ass ee las Ars | mm mm mm mm % oh Milchsäure n/o.01 in Ringerlösung in 3Min. . | 38 3,4 34,8 5,7 16,6 40,5 Phosphorsäure N"/, 01 in Ringerlösung in 30 Sek. 35 33 32,6 4,7 19,5 43,0 Oxalsäure 0,3%, in 10 Min. 30 2,5 29,0 2,9 26,4 22,5 Cotfein 0,5% in Rin- gerlösg. in 15 Sek. 32 2,9 28,6 4,1 75 28,5 Ermüdung durch 10 Min. Tetani- sieren ß 39 4,3 35,0 8,6 21,6 52,9 Thermische Verkür- zung durch Er- wärmen auf ca. Bons. Min. . 3l 2,8 28,6 4,3 15,3 46,6 Rhodankalium "/, in Ringerlösung, in 30 Sek. . 38 3,4 34,3 5,6 24,4 64,1 Veratrin 0,1% in Ringerlösung in 20 Sek. 36 3,3 22,6 8,9 AT, 42,7 Nicotin 0,02% in Ringerlösung, in 6Min... . 34 3,0 31,4 4,1 19 38,5 des unkontrahierten, unbelasteten Muskels sind in Spalte 2 der Tabelle, die des kontrahierten in Spalte 4 wiedergegeben, während die Spalte 3 und 5 die durch die Belastung von 75 g erzeugten Dehnungen des ruhen- den bzw. kontrahierten Muskels angibt. Der nach der Entlastung von der Dehnungsgröße zurückbleibende Verlängerungsrückstand ist in Spalte 6 und 7 in Prozenten der Gesamtdehnung ausgedrückt. Der Ver- gleich von Spalte 3 und 5 zeigt, daß die Dehnbarkeit des Muskels im Zu- stande der Oontractur ausnahmelos größer ist wie im Zustande der Ruhe. Die Vollkommenheit der Elastizität ist im Zustande der Contraetur geringer als in der Ruhe. Der Vergleich der Spalten 6 und 7 zeigt, daß 550 J. Schleier: sich die elastische Nachdehnung bei dem zur Contractur gebrachten Muskel in erheblich stärkerem Maße geltend macht als bei dem ruhenden. Ein festes Verhältnis zwischen der erhöhten Dehnbarkeit im Zustande der Contractur und der Größe der elastischen Nachdehnung besteht nicht, ebensowenig wie zwischen der Erhöhung der Dehnbarkeit und der Größe der Contractur, was bei der Verschiedenartigkeit der contractur- auslösenden Agentien nicht auffallend ist. Die Spalten 3 und 5 zeigen nur die Dehnungsgrößen bei maximaler Belastung. Im einzelnen ge- staltet sich die Dehnungskurve im Zustande der Contractur so, daß sie vom Beginn der Belastung an unter die Kurve des normalen Muskels zu liegen kommt, wenn sie von derselben Abszisse wie die letztere ausgeht, d. h. mit anderen Worten, die Dehnbarkeit ist im ganzen Bereich der an- gewendeten Belastung und Entlastung erhöht. In einigen Versuchen wurde noch geprüft, wie sich die Dehnbarkeit des Muskels nach Lösung der Contractur verhält. Hebt man z. B. den Verkürzungsrückstand beim Zustande der Ermüdung durch etwa 10 Mi- nuten langes Hindurchleiten von Ringerlösung auf, so erhält man Deh- nungskurven, die annähernd denen des unbeeinflußten Muskels ent- sprechen, ebenso gleicht die Dehnbarkeit, wenn man eine Contractur pharmakologisch zur Lösung bringt, z. B. die Veratrincontraetur durch Einleiten einer lprom. Novocainlösung in den Muskel, wieder der des normalen Muskels. Trotz der Mannigfaltigkeit der verwendeten contracturerzeugenden Agentien ist der durch sie entstehende Endzustand im Muskel doch gleich, daher ist die Annahme gerechtfertigt, daß der ihm zugrunde liegende Vorgang im wesentlichen derselbe ist, nämlich in einer Quellung bestimmter Formbestandteile der Fibrille besteht. Diese kommt bei der Beeinflussung mit Säuren durch die quellende Wirkung der H'-Ionen selbst zustande, während bei anderen Stoffen durch Störung des nor- malen Lactacidogenstoffwechsels sich erst im Muskel selbst die Säuren bilden, die zur Verkürzung führen, wie bei der Coffeinstarre!) und der durch Rhodankalium ?) bedingten Starre in den ersten Stadien der Wir- kung. Zu den Contracturen, die durch Störung des normalen Lactacido- genstoffwechsels entstehen, gehört auch der Verkürzungsrückstand bei der Ermüdung und die Wärmecontraetur. Bei anderen Stoffen entsteht wahrscheinlich die die Quellung verursachende Verkürzungssubstanz auf ähnlichem Wege wie beim Nervenreiz, indem sie an der rezeptiven Sub- !) Riesser und Neuschlosz, Physiologische und kolloidehemische Unter- suchungen über den Mechanismus der durch Gifte erzeugten Contractur des quer- gestreiften Muskels. III. Über den Mechanismus der Coffeincontractur. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 93, H. 4—6, S. 163. 1922. ®) v. Fürth, Die Kolloidehemie des Muskels und ihre Beziehungen zu den Problemen der Contractur und der Starre. Ergebnisse der Physiologie 1%, 363. 1919. Die Dehnbarkeit des quergestreiften Muskels im Zustande der Contractur. 551 stanz angreifen. So führt z. B. das Nicotin!) zur Contractur. Noch un- klar sind die sich im Muskel abspielenden Vorgänge, die bei der Vera- trinwirkung zur Starre führen. Bei manchen der starreerzeugenden Mittel wird die Contractur durch Eiweißfällung und Gerinnung bei länger dauernder Einwirkung irreversibel, es kommt zum Erlöschen der Erreg- barkeit, zum Tode des Muskels. Dieses Stadium ist in den Versuchen unberücksichtigt geblieben, da es mit den normalen Lebensvorgängen des Muskels nichts zu tun hat. Die im Zustande der Contractur erhöhte Dehnbarkeit werden wir sicher den im Quellungszustande befindlichen Teilen der Fibrille zuschrei- ben müssen, da der Dehnungsanteil der nicht an der Contractur beteilig- ten Elemente, so z. B. des Bindegewebes im Zustande der Ruhe und der Erregung, als gleich anzusehen ist. Stellen wir uns vor, daß die quell- baren Formbestandteile innerhalb der Fibrille, angenommen die ultra- mikroskopischen Myosingranula Bottazis, in der Ruhe eine längliche Gestalt haben und vermöge der anisodiametrischen Quellung bei der Kontraktion der Kugelgestalt zustreben, so ist es wahrscheinlich, daß die Deformierung der Kugelgestalt geringere Kräfte erfordert als die Ver- längerung der längsovalen Ruheform. Im ganzen Muskel würde diese Erscheinung in einer erhöhten Dehnbarkeit im Zustande der Verkürzung zum Ausdruck kommen. Zusammenfassung. Es wird eine einfache Methode beschrieben, die es ermöglicht, an dem in situ belassenen, durchströmten Froschgastroenemius Dehnungs- und Entlastungskurven fortlaufend zu registrieren. Die Dehnbarkeit des Muskels wird im Zustande verschiedener Con- tracturformen untersucht. Dabei ergibt sich, daß der Muskel im Zustande der Contractur dehnbarer ist als der normale, Die Vollkommenheit der Elastizität ist im Zustande der Contractur geringer als die des unbe- einflußten Muskels. 1) E. Frank, Über die Aufhebung des Muskeltonus durch Cocain und Novo- cain (Nicotin-Cocain-Antagonismus). Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 90. 149. 1921. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Breslau.) Versuch einer Berechnung des Blutstromes in der Leberbahn auf Grund von Gefäßmessungen von Mall. Von Dr. J. Schleier, Assistent am Institut. (Eingegangen am 14. September 1922. Nachdem die den Gesamtstrom des Blutes beeinflussenden Faktoren mit einer für viele Zwecke ausreichenden Genauigkeit festgestellt sind, müssen auch die Unterschiede der Geschwindigkeit und des Gefälles längs der einzelnen Blutbahnen der Organe untersucht werden. Das ist experimentell nicht durchführbar, dagegen ist eine theoretische Be- rechnung möglich und für die Bahn der Arteria mesenterica und die Lungenbahn mit befriedigendem Erfolg!) ausgeführt worden. Im folgenden wird eine Übertragung desselben Verfahrens auf andere. Organe versucht. Voraussetzung ist eine ausreichende anatomische Kenntnis der betreffenden Gefäßbahnen. Besonderes Interesse bietet die Berechnung der Blutbahn eines Organes, daß hinsichtlich der Blutversorgung und Gefäßanordnung eine Sonderstellung einnimmt, der Leber. Auch für diese Bahn hat Mall?) nach Injektionspräparaten von Hunden mittlerer Größe die Ausmaße der Vena portae sowohl wie der Arteria hepatica zu ermitteln versucht. Leider sind wiederum nur Zahl und Durchmesser der Gefäße angegeben, dagegen fehlen Mitteilungen über die Gefäßlängen. Die für die Darstellung des Gefälles notwendige Kenntnis der Gefäßlängen versuchte ich mir soweit als möglich nach Abbildungen von Injektions- präparaten zu verschaffen, die Rex?) in seiner Abhandlung: ‚Beiträge zur Morphologie der Säugetierleber‘‘ wiedergibt. Die Ermittelung der Gefäßlängen nach den erwähnten Abbildungen ist nur etwa bis zur teihe 5 des Mallschen Schemas möglich, die übrigen mußten geschätzt werden. Für die Länge der Capillaren wurde der halbe Durchmesser !) J. Schleier, Der Energieverbrauch in der Blutbahn. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%3, 172. 1919. ®) F. P. Mall, A study of the structural unit of the liver. Americ. journ. of anat. 5, 227. 1906. ») Rex, Morphologisches Jahrbuch 14. 1888. J. Schleier: Versuch einer Berechnung des Blutstromes usw. 553 eines Leberläppchens eingesetzt, da man den Anfang der Capillare am Rand des Lobulus, ihr Ende an der Einmündungsstelle in die Vena centralis schematisch annehmen kann. Der halbe Durchmesser eines Leberläppchens beträgt nach Mall 0,035 em. Die Länge der interlobu- lären Gefäße (Reihe 6) wurde auf 0,08 cm geschätzt. Die nachfolgende Tabelle gibt in Spalte 1-4 eine Übersicht über die Größenordnung der einzelnen Abschnitte der Bahn der Vena portae. Zur Berechnung: der Geschwindigkeit und des Gefälles ist die Kenntnis des Stromvolumens notwendig. Burton-Opitz!) hat durch Stromuhrmessungen in der Arteria hepatica von mittelgroßen Hunden ein Durchschnittssekundenvolumen von 2,39 ccm, in der Vena portae ein solches von 4,47?) ccm ermittelt. Für die nachfolgenden Berechnungen sind diese Werte eingesetzt und etwas schematisierend angenommen, daß das Gesamtstromvolumen in der Bahn der Vena portae bis zum Gebiet der interlobulären Gefäße (Reihe 6) gleichbleibend sei und hier durch die kleinen Venen, die vom Capillargebiet der Arteria hepatica herstammen (innere oder Leber- wurzel der Pfortader) eine Vermehrung erfahre, ferner, daß der andere Teil des aus den Capillaren der Arteria hepatica stammenden Blutes sich durch unmittelbare Kommunikation mit den Capillaren der Lobuli direkt in diese ergieße. Schätzungsweise ist angenommen, daß die Hälfte des Stromvolumens der Arteria hepatica sich durch die Leber- wurzeln der Pfortader in diese ergieße und daß die andere Hälfte erst durch die Capillarkommunikationen den Lobuluscapillaren zuströme. Zur Berechnung des Gefälles wurde die Zähigkeit des Blutes 7 mit 0,03 angenommen. Die sich unter Zugrundelegung dieser Werte ergebenden Größen für die Geschwindigkeit und das Gefälle sind in der Tabelle auf Seite 554 verzeichnet. Die Geschwindigkeit beträgt in der Vena portae 7,07 cm/Sek., hat also einen durchaus möglichen und wahrscheinlichen Wert. Auf- fallend gering ist dagegen die Geschwindigkeit in den Capillaren der Leberläppchen, nämlich nur 0,0074 cm/Sek., also etwa 10 mal kleiner als in den Körpercapillaren angenommen wird. Theoretisch ist das durchaus begreiflich, da der Gesamtquerschnitt von der letzten Reihe zu den Capillaren sehr stark anwächst, nämlich wie 1:49 (in der Bahn der Arteria mesenterica nur 1:5). Zur Kontrolle der Verläßlichkeit dieses Resultates versuchte ich den Capillarkreislauf der Leber mikro- skopisch sichtbar zu machen. Bei kleinen Fröschen mit dünnem Leber- rand gelingt es unschwer, in diesem bei schwacher Vergrößerung die Capillarschlingen zu sehen, wenn die Leber von unten her genügend 1) R. Burton-Opitz, The vascularity of the liver I. The flow of the blood in the hepatic artery. Quart. journ. of exp. physiol. 3, 297. 1910. ®) R. Burton-Opilz, The vascularity of the liver IV. The magnitude of the portal inflow. Quart. journ. of exp. physiol. 3, 113. 1910. 554 J. Schleier: Versuch einer Berechnung des Blutstromes Blutbahn der Vena portae nach Gefäßmessungen von Mall. Von Mall angegeben Von | Berechnet | Gesamt Er | Ge Ei tefäßabschnitt Dusch 2 al 2 | Druck- Gefäßabschnitt a we | a | a | as | . em | ccm cm cem/Sek. cm/W. Vena portae . . . | 1 | 09 1 0:064004 12740722 1820103 Zweige 1. Ordnung | 6 05 1,18 3 | 78,82 0,04 CD: = 2020 1:59 175 | 2,83 0,14 NER i. 00 | 0,08 3.02 0,6 1,28 0,15. A n 8000 | 0,04 10,05 0,3 0,45 0,08 en: ER 80000 | 0,015 14,14 0,15 0,32 0,21 lH % 960000 | 0,005 18,85 0,08 0,30 0,95 Gapilaren er. | 1850000000 0,0008 | 929,86 0,035 | :0,007 | 0,025 Venen 6. Ordnung | 480000 | 0,009 30,54 | 0,08 | 0,23 0,22 Sen: F | 80000 | 0,017 18,16 |. 0,15- | 0,38 0,19 ke „ | 8000 | 0,05 a 0,3 0,44 0,05 wen “ | 700 | 0,1 5,49 | 0,6. 21.252 1,.00z 2: ” | 10 | 0,2 I) 1,5 | 3,14 0,12 Sell: n | Q20:5 1,37 3 ı 5,01 0,06 Vena hepatica. . | lei 0,95 | 4 | 7,26 0,02 stark beleuchtet und so durchscheinend gemacht wird. Am zweck- mäßigsten hierfür erwies sich eine kleine unter den Leberrand ge- schobene elektrische Lampe, wie sie für Rektoskopiezwecke gebräuchlich ist. Die Geschwindigkeit in den Capillaren, deren genaue Bestimmung durch das reiche Anastomosennetz sehr erschwert ist, wurde zu 0,005 cm- Sek. bestimmt, wobei aber die Möglichkeit einer Verlangsamung der Strömung durch die wenn auch geringe Verlagerung der Leber zu be- rücksichtigen ist. Das Ergebnis stimmt mit dem berechneten Capillar- geschwindigkeitswert von 0,007 cm/Sek. recht befriedigend überein. Die Berechnung des Gesamtgefälles in der Bahn der Vena portae ergibt einen auffallend niedrigen Wert, insgesamt nur 2,35 cm Wasser. Da der Druck in der Vena portae nach den Angaben von Schmid!) beim Hund 7,2— 13,4 mm Hg beträgt und in der Vena cava nach Messungen desselben Autors der Druck 0 mit geringen Schwankungen von -: 1,5 mm Hg herrscht, müßte ein Gesamtdruckverlust von mindestens der drei- fachen Höhe des berechneten erwartet werden. Im einzelnen gestaltet sich das Gefälle, wie aus der Tabelle hervorgeht, so, daß mehr als ein Drittel des gesamten Druckverbrauches den interlobulären Gefäßen (Reihe 6) zur Last fällt. Im Gegensatz dazu ist das Gefälle in den Capillaren selbst wegen der geringen Geschwindigkeit nur sehr gering. Wodurch die Abweichungen des Gesamtgefälles von den zu erwartenden !) J. Schmid, Der Blutstrom in der Pfortader unter normalen Verhältnissen und bei experimenteller Beeinflussung. Habilitationsschrift Breslau 1907, 5. 57 in der Leberbahn auf Grund von Gefäßmessungen von Mall 555 Größen bedinst ist, läßt sich nicht ohne weiteres angeben. Es ist mög- lich, daß die angenommenen Gefäßlängen nicht mit den Längen der Gefäße der von Mall benutzten Bahn übereinstimmen. Auch können Fehler in der von Mall angegebenen Gefäßzahl, die doch immer nur schätzungsweise und ungenau zu ermitteln ist, vorliegen. Wahrschein- lich ist mir, daß die von Mall angegebenen Gefäßdurchmesser nicht den mittleren Gefäßweiten der lebenden Bahn entsprechen, sondern zu groß sind. Bei der Injektion von Venen kann ein solcher Fehler durch Gefäßdehnung leicht entstehen. An die Möglichkeit eines solchen Fehlers muß um so mehr gedacht werden, als der Injektionsdruck von Mali nieht angegeben ist. Ungenauigkeiten in der Bestimmung der Gefäßweiten sind für die Berechnung des Gefälles besonders schwer- wiegend, da dieses mit dem Quadrat des Querschnittes abnimmt. Da Mall in der erwähnten Abhandlung auch Angaben über die Aus- maße der Bahn der Arteria hepatica gemacht hat, habe ich versucht, auch diese zur Berechnung des Gefälles und der Geschwindigkeit in den einzelnen Abschnitten zu benutzen, kam aber dabei zu Ergebnissen, die man für unmöglich halten muß. In erster Linie fällt auf, daß der Gesamtquerschnitt der Bahn von der Arteria hepatica bis zu den Ästen 4. Ordnung abnimmt, was mit allen Erfahrungen über die Form der Blutbahn im Widerspruch steht. Mall selbst macht über diese auf- fallende Erscheinung keine Angaben. Man kommt daher bei der Be- rechnung der Stromgeschwindigkeit und des Gefälles zu unmöglichen Werten. So würde sich z. B. unter der Annahme eines Stromvolumens von 2,4 cem/Sek. in einer Arterie von 0,01 em Durchmesser noch eine: Geschwindigkeit von 44 cm/Sek. ergeben und in der gesamten Bahn der Arteria hepatica ein Druckverlust, der 10 mal so groß ist wie der in der Arteria hepatica zu erwartende Blutdruck. So ist leider nach den Gefäßmessungen von Mall eine Darstellung der Strömungsverhältnisse in der Leberbahn nicht durchführbar. Es wäre aber zu wünschen, daß das negative Ergebnis die Anregung dazu gäbe, weitere anatomische Grundlagen für die Berechnung des Blut- stromes der einzelnen Organe zu schaffen. Die Gefäßmessungen der einzelnen Bahnen müßten für den vorliegenden Zweck genügende Voll- ständigkeit haben, d. h. Angaben über Zahl, Durchmesser und Längen der einzelnen Gefäßabschnitte enthalten. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 36 (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Gießen.) Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. Die Gerinnungszeit des Blutes der Haustiere. Von K. Amendt, Aschaffenburs. Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. Oktober 1922.) Inhalt: 1. Einführung (S. 556). . Methodik im allgemeinen (S. 557). Spezielle Methodik und Versuchsresultate (S. 559). . Zusammenfassung (S. 566). a 80) 1. Einführung. Die Gerinnungszeit des Blutes!) der Haus- und Laboratoriumstiere ist noch auffallend wenig untersucht, trotzdem die Kenntnis dieser Zeit in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung ist. Es liegt dies offenbar daran, daß es lange Zeit an einer genaueren Methode zur Bestimmung der Gerinnungszeit gefehlt hat. Nur ganz vereinzelte Angaben über Gerin- -nungszeiten von Tierblut habe ich in der mir zugängigen Literatur finden können, und auch diese Angaben werden nur mit großer Unsicherheit gemacht. i Im Hermannschen Handbuch der Physiologie teilt A. Rollet?) Ver- suche von T’hackrah mit, der beim Pferde die Gerinnungszeit zu5—15Mi- nuten, beim Ochsen zu 5—12, beim Hunde zu 1—3, beim Schaf, Schwein und Kaninchen zu !/,—1!/,, beim Lamm zu !/,—1, bei der Ente zu 1—2, beim Huhn zu !/,—1!/, angibt. P. Meier?), der ganz anderslautende Befunde von Delafond zitiert (Pferd 15—18, Rind 25—30, Schwein 12—16, Hund und Schaf 5—8 Mi- nuten) fand selbst bei Pferdeblut, das er in sorgfältig gereinigten, 2,5cm weiten Reagensgläsern auffing, die Gerinnungszeit bei Zimmertempe- ratur zu 12—18, durchschnittlich 15 Minuten. !) Unter Gerinnungszeit sei die Zeit verstanden, welche vom Momente der Entnahme des Blutes bis zum eben nachweisbaren Eintritt der Gerinnung ver- streicht. ?) A. Rollet, Physiologie des Blutes und der Blutbewegung Bd. IV, Teil I, Ss. 103. 1880. ») P. Meier, Beiträge zur vergleichenden Blutpathologie. Vet.-med. Disser- tation, Zürich, 8. 16. 1905. K. Amendt: Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 557 Im Lehrbuch der vergleichenden Physiologie der Haussäugetiere von W. Ellenberger und A. Scheunert!) werden wiederum andere Zeiten an- gegeben: Pferd 15—30 Minuten, Rind S—10, Hund und Schaf 4—8, Schwein 10—15 und Vögel 1—2 Minuten. Die verschiedenen Angaben erklären sich wohl zum größten Teile aus der Nichtberücksichtigung der Temperatur. H| Mit etwas abgeänderter Bürkerscher Methode hat dann A. Walther?) die Gerinnungszeit des Pferdeblutes genauer bestimmt und sie bei seinen späteren Untersuchungen für 25°C zu durchschschnittlich 12t/, Minu- ten gefunden. ' Bei dieser an sich wenig ausgiebigen Bearbeitung des Themas schien es erwünscht, die Untersuchung auf eine größere Zahl von Haustieren auszudehnen und dabei auch die für das Menschenblut konstatierte große Abhängigkeit der Gerinnungszeit von der Temperatur bei Tierblut vergleichend zu prüfen. Einer Anregung von Herrn Prof. Bürker folgend habe ich daher im Zusammenhang mit den zurzeit im hiesigen Institut im Gange befindlichen anderen vergleichenden Blutuntersuchungen ®) eine größere Zahl von Bestimmungen in dieser Richtung am Blute von omnivoren und herbivoren Säugetieren und von Vögeln durchgeführt, über die ich im folgenden berichten möchte. 2. Methodik im allgemeinen. Zur Ermittlung der Blutgerinnungszeit habe ich mich der Bürker schen *) Methode bedient. Gelegentliche Einwände gegen diese jetzt viel verwendete Methode, wie störende Beimischung von Gewebsflüssigkeit zum Blute bei der Blutentziehung, Nichtberücksichtigung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes, haben sich bei genauerer Prüfung als nicht stichhaltig erwiesen. Es sei hier ganz besonders auf die sorg- fältigen Arbeiten von H. Schloessmann’) verwiesen, der mit der Bürker schen Me- 1) Zweite Auflage, S.43. Verlag von P. Parey, Berlin 1920. 2) A. Walther, Zwei Beiträge zur Kenntnis des Pferdeblutes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 123, 248. 1908; ferner: Beiträge zur Kenntnis von Blutplättchen und Blutgerinnung unter besonderer Berücksichtigung des Pferdes. Vet.-med. Dissertation Leipzig, 8. 45. 1910. 3) Siehe P. Kuhl, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 263. 1919. — @. Fritsch, II. Untersuchung des Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. Ebenda 181, 78. 1920. — H. Herrel, 111. Differentialzählungen der Lymphocyten und Monocyten im Pferde-, Rinder- und Hundeblut. Fbenda 196, 560. 1922. — K. Bürker, Das Gesetz der Verteilung des Hämoglobins auf die Oberfläche der Erythrocyten. Ebenda 195, 516. 1922. *) K. Bürker, Vereinfachte Methode zur Bestimmung der Blutgerinnungszeit. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 149, 318. 1912. >) H. Schloessmann, Studien zum Wesen und zur Behandlung der Hämo- philie. Habilitationsschrift der Med. Fakultät Tübingen 1912, S. 479. — Derselbe, Welchen praktischen Wert haben Blutgerinnungsbestimmungen für die Chirurgie ? S. 4. Sonderabdruck aus dem Arch. f. klin. Chirurg. 102, H.1, 1913. 36 558 K. Amendt: thode nicht weniger als 700 Einzelbestimmungen durchgeführt und auch gezeigt hat, daß es gleichgültig ist, ob man das Blut einer Stichwunde entnimmt oder durch Venenpunktion gewinnt. Es hat sich nicht als notwendig erwiesen, die Methode für die spezielle Unter- suchung von Tierblut abzuändern, wie dies Walther (a. a. O. S. 244 bzw. 43) getan hat, es muß nur dafür Sorge getragen werden, daß das Blut möglichst rasch aus der Wunde bzw. Hohlnadel in den Apparat gelangt, das Tier muß also dem Apparat möglichst genähert werden. Stärkerer Druck bei der Blutentziehung und besonders Entlanglaufen des Blutstropfens an der Haut muß vermieden werden. Auch habe ich es mir, ähnlich wie Schloessmann, zur Pflicht gemacht, den Versuch nur dann zu Ende zu führen, wenn der Blutstropfen 15 Sekunden nach der Erzeugung der Wunde in den Apparat gelangt war. Da die Gerinnungszeit des menschlichen Blutes außerordentlich abhängig von der Temperatur ist, wie die von Bürker ermittelte Kurve deutlich zeigt, für Tierblut aber eine ähnliche Abhängigkeit zu erwarten war, so habe ich alle Untersuchungen bei der üblichen, sich als sehr zweckmäßig erwiesenen Temperatur von 25,0°, die auch der Hauttemperatur naheliegt, durchgeführt. Wenn es sich ermöglichen ließ, habe ich außerdem die Gerinnungszeit in ihrer Abhängigkeit von der Tem- peratur für die betreffende Blutart gesondert bestimmt. So einfach sich im allgemeinen nach einiger Übung eine exakte Blutentziehung beim Menschen gestaltet, so schwierig ist sie bei Tieren für vorliegende Zwecke. Für manche Tiere waren viele Voruntersuchungen nötig, um zu einem gangbaren Wege zu gelangen. Der Untersucher selbst war durch die Handhabung des Appa- rates so sehr in Anspruch genommen, daß er die Blutentziehung einem eigens für diesen Zweck geschulten Fachmanne übertragen mußte. Mit dem Orte der Blutentziehung mußte bei verschiedenen Tieren gewechselt werden. Als geeignete Stellen erwiesen sich die Jugular-, die Ohr- und die Flügel- venen. Beim Hunde wurde zur Amputation einer Krallenspitze geschritten. Ob das Blut dabei den Venen, Capillaren oder Arterien entzogen wird, ist auf die Gerinnungszeit ohne Einfluß. Wohl aber ist wesentlich, daß die Haut über der Blutentnahmestelle sorgfältig gereinigt, von Haaren und Federn befreit, wenn möglich rasiert, und schließlich mit einem mit Äther- Alkohol befeuchteten, mög- lichst fäserchenfreien Leinenläppchen abgewischt wird. Um ein Hineinfallen von Haaren und Hautschüppchen in den Hohlschliff zu verhindern, wurden die stehengebliebenen, der Entnahmestelle benachbarten Haare oder Federn leicht angefeuchtet. Als Instrument zur Blutentziehung kam entweder eine Hohlnadel, eine Hauptner- sche Injektionsnadel, ein spitzes Skalpell oder eine Zange, wie sie in der Veterinär- medizin zum Kürzen der Hundekrallen dient, zur Verwendung. Die möglichst kurze und weite Hohlnadel wurde jedesmal innen frisch mit Paraffin überzogen. Mehrere solcher Nadeln wurden bereitgehalten. Nach dem Gebrauche wurde das alte Paraffin durch Erwärmen beseitigt, die Nadel innen mit Äther-Alkohol ge- reinigt und darauf mit einem frischen Überzuge von Paraffin versehen. Bei dem geringen Blutdrucke in den Jugularvenen war manchmal eine vorübergehende Kompression der Vene nicht zu umgehen, sie wurde aber dann möglichst weit herzwärts von der Entnahmestelle vorgenommen. Die Übertragung des Blutes in den Apparat mußte vom Momente der Erzeugung der Wunde an möglichst rasch, spätestens aber innerhalb 15 Sekunden, erfolgen. Zu dem Zwecke wurde das im Apparat vorgewärmte, mit dem Tropfen Wasser versehene Glasstück mit Hohlschliff rasch aus dem Apparat herausgenommen, der frei abfallende Blutstropfen im Hohlschliff aufgefangen und das Ganze rasch wieder in den Apparat zurückgebracht und mit dem Hartgummideckel bedeckt. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 559 Sollte die Gerinnungszeit auch bei verschiedener Temperatur bestimmt werden, so habe ich Eisstückehen oder heißes Wasser bis zur Erreichung der gewünschten Temperatur in das Wasserbad eingetragen. Die aus den ermittelten Werten kon- struierte Kurve habe ich dadurch noch kontrolliert, daß ich das Wasserbad auf eine mir zunächst unbekannte Temperatur brachte, den Versuch durchführte und dann zusah, ob der gefundene Wert der Temperatur entsprach und sich der Kurve richtig einfüste. Gelang es nicht, den ersten frei fallenden Tropfen Blut einwandsfrei in den Hohlschliff zu übertragen, so wurde einer der 3 folgenden dazu verwendet; ein Unterschied in der Gerinnungszeit hat sich für diese ersten Tropfen nicht ergeben. Wenn möglich habe ich die Versuche bei einer Temperatur der Umgebung von 17° angestellt. Ursprünglich war beabsichtigt, von jeder Tierart 10 Tiere, und zwar 5 männliche und 5 weibliche, zu untersuchen, und bei je einem männlichen und weiblichen Tiere die Abhängigkeit der Gerinnungszeit von der Temperatur zu prüfen. Während letztere Absicht im allgemeinen durchgeführt werden konnte, war dies bei ersterer wegen Schwierigkeiten, welche die Tierbesitzer bereiteten, nicht in allen Fällen möglich. Im ganzen habe ich über 250 Bestimmungen der Gerinnungszeit, teils in Gieben, teils in Aschaffenburg, durchgeführt. 3. Spezielle Methodik und Versuehsresultate. Von Tieren kamen omni- und herbivore Säugetiere und Vögel zur Untersuchung. a) Omnivore Säugetiere. Von omnivoren Säugetieren konnte ich Schweine und Hunde unter- suchen. Schweine. Die ausgewählten, nicht zu großen Tiere werden auf einen Tisch gelegt und von 3 Personen gehalten. Nach gründlicher Reinigung der Außenfläche des Ohres wurde von dem Assistenten ein deutlich hervortretendes Gefäß mit der Hohlnadel angestochen und diese wieder herausgezogen, oder es wurde das Gefäß mit einem spitzen Skalpell angeschnitten. Dabei wurde dafür Sorge getragen, daß die Blut- zirkulation in den Ohrgefäßen vor und während der Blutentziehung nicht behin- dert war. Bei 10 Tieren, zur Hälfte männlichen und weiblichen Geschlechts, wurde die Gerinnungszeit bestimmt, die Tiere waren 3—4 Monate alt, gut ernährt und gehörten zur Rasse der deutschen Landedelschweine. Fünf am 18. und 19. März 1920 bei 25° C durchgeführteVersuche ließen keine durch das Geschlecht und die Tageszeit bedingten Unterschiede er- kennen. In allen 5 Fällen wurde als Gerinnungszeit 3!/, Minuten gefun- den. Das Schweineblut gerinnt also rascher als Menschenblut. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit von der Temperatur ergibt sich aus der folgenden Tabelle, noch deutlicher aus der in der Abb. 1 dar- gestellten, durch graphische Interpolation gewonnenen Kurve. Zum Vergleich ist die Kurve für Menscherblut beigesetzt, 560 K. Amendt: Mın. . ä : 40 Temperatur Gerinnungszeit IniE in Minuten 5 42 10 16 30 15 NIUPR 9) 2 [ 25 31, 31/,, 312, 31)a, Bil, 35 DD 45 öl IH 50 1 Der Verlauf der Kurve ist also ein ähnlicher wie bei Men- schenblut, nur sind die Ordi- natenwerte für dieselbe Tem- peratur kleiner. e 10 20 30 40°C Hunde. Abb. 1. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit des Die einwandsfreie Gewinnung Schweine- und Menschenblutes von der Temperatur. von Blut für die vorliegenden Zwecke - Ist nicht leicht, selbst nicht aus den Ohrgefäßen, wie mir eine ganze Reihe von Versuchen gezeigt hat. Beim Über- legen nach einem anderen gangbaren Wege erinnerte ich mich aus der Praxis, daß bei Hunden durch zu starkes Kürzen der Krallen leicht Blutungen auftreten. Diese Beobachtung nutzte ich für meine Zwecke aus und es zeigte sich, daß auf diese Weise sich mit Hilfe der oben (S. 558) genannten Zange relativ leicht und rasch der nötige Blutstropfen gewinnen läßt. Bei nur 2 Tieren konnte die Bestimmung durchgeführt werden, das eine war ein männlicher Bastardpinscher von ungefähr 8 Jahren, das andere eine 4 Jahre alte Spitzhündin, beide in gutem Ernährungszustande. Die Tiere wurden nach Zubindung des Maules möglichst ruhig gehalten und ihnen dann das Blut entzogen. Unter 8 Versuchen gelangen einwandsfrei 4, die als Gerinnungszeit bei 25°C im Mittel 2!/, Minuten ergaben. Das Hundeblut gerinnt also doppelt so rasch als Menschenblut. B:i einem französischen Rehpinscher, 1!/, Jahre alt, männlich, dem der Schwanz coupiert wurde, ergab sich bei dieser Gelegenheit die Gerin- nungszeit zu 2 Minuten, doch ging hier die Tropfenbildung nicht rasch genug vor sich. Auf Versuche bei verschiedener Temperatur mußte verzichtet werden. Die untersuchten omnivoren Säugetiere Hund und Schwein weisen also eine kürzere Gerinnungszeit als der Mensch auf. b) Herbivoren. Von Säugetieren wurden Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen und Kanin- chen untersucht. Pferde. Die Blutentziehung geschah aus der Vena jugularis mit der Hohlnadel oder der Hawptner schen Injektionsnadel. Wenn das dem Apparate möglichst genäherte Pferd sich nicht ruhig verhielt, wurde ihm die Nasenbremse aufgesetzt. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 561 Die Blutgerinnungszeit wurde bei 13 Pferden bestimmt, 12 davon waren Kaltblüter, eines ein Warmblüter. Dem Geschlechte nach waren es Stuten und Wallache, der Rasse nach Belgier, Holsteiner, Oldenburger, Hannoveraner, Mecklenburger, Ungarn und zwei unbestimmten Schlages. Das Alter schwankte zwischen 5 und 14 Jahren. Unterschiede, die auf die genannten Eigenschaften zu beziehen wären, ergaben sich nicht, ich gebe daher die Resultate ohne Einzelheiten wieder. Von 25 in der Zeit vom 6. Februar bis 22. März 1920 durchgeführten Versuchen gelangen 16 einwandsfrei, von denen 3, bei 25° C angestellt, denselben Wert, nämlich 11!/, Minuten, ergaben. Die Gerinnung des Pferdeblutes ist also gegemüber der des Menschenblutes um mehr als das Doppelte verzögert. Die folgende Tabelle und daran anschließend Abb. 2 zeigt die Ab- hängiskeit von der Temperatur. Temperatur Gerinnungszeit Mın. e im’ © (& in Minuten 40 13 42 15 232 24 12 25 Es a a 35 BU, 6%, 61, 40 Sl, 45 an Sl Eu 50 34/,, 31, = Die Kurve weicht wesent- lich von der für Menschenblut ab. Zu ähnlichen Resultaten ist A. Walther in den oben (S. 557) genannten Arbeiten gelangt. 0 Die besondere Stellung des Abb. 2. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit des Pferdeblutes, die sich auch in _ Pierde-, Menschen-, Hühner- und Taubenblutes von N der Temperatur. der großen Senkungsgeschwin- digkeit der Erythrocyten im Plasma und in der besonderen Art der eosinophilen Leukocyten äußert, findet also auch in der Gerinnungs- zeit ihren Ausdruck. Rinder. Das blut wurde in dreierlei Weise entzogen: Aus der. Jugularvene mit der Hohl- nadel, aus einer Ohrvene mit der Hohlnadel und aus demselben Gefäße durch Anstechen desselben. Die erstere Methode wurde, da die Durchstechung der dicken und derben Haut über der Jugularvene die Blutgewinnung leicht verzögerte, fallengelassen, am raschesten kam ich mit der dritten Methode bei umgebogenem Ohr zuwege. Die Gerinnungszeit erwies sich von dem Orte der Blutentziehung unabhängig, 562 K. Amendt: Etwa 40 Bestimmungen konnten durchgeführt werden, wovon 25 als einwandsfrei gelten können. Mit wenigen Ausnahmen waren die mir zur Verfügung stehenden Rinder gelbes Frankenvieh, sonst Gelbschecks. Der Ernährungszustand war mittelmäßig. Das Geschlecht und Alter — es kamen Tiere von ?/,—12 Jahren zur Untersuchung — hatte keinen Einfluß auf die Gerinnungszeit. Die in der Zeit vom 17. Februar bis 10. März 1920 erzielten Resultate sind in der untenstehenden Tabelle enthalten. Bei 25° C beträgt also N : 5 Min. die Gerinnungszeit 6 Je Minuten, 40 ist also um 1!/, Minuten größer als die des Menschen. Die Abhängigkeit der Ge- 30 rinnungszeit von der Tempera- tur kommt in der Abb. 3 zur Darstellung. | 20 Temperatur Gerinnungszeit ING, in Minuten 5 38, 39 Be 10 191/,, 20 ; 20 10, 91), 23 7,7, 6if,, 6, bla, Bi 30 AA 35 a BL, 0 70 20 36 17T) 21/,, 2, Abb. 3. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit des 45 11/5, 2, IR Rinder- und Menschenblutes von der Temperatur. 50 15 1 Die Kurven weichen etwas voneinander ab, sie kreuzen sich sogar, was bei keiner anderen Tierart beobachtet wurde. Schafe. Nur bei 2 Tieren, einem männlichen und einem weiblichen, konnte die Gerinnungszeit ermittelt werden. Die Tiere ließen sich nicht von der Herde wegtreiben und mußten daher mit Transportwagen geholt werden. Die Untersuchung an Ort und Stelle wäre mit zu großen Schwierigkeiten verknüpft gewesen. Die Blutentziehung gestaltete sich bei der Störrigkeit der Tiere sehr schwierig, sie wollten sich immer legen und mußten von mehreren Personen aufrecht gehalten werden. Das Blut wurde mit der Hohlnadel aus der Jugular- oder Ohrvene oder durch bloßes Anstechen der letzteren erhalten. Von 10 Versuchen ließen sich nur 3 einwandsfrei zu Ende führen, die Bestimmung wurde daher auf die Temperatur von 25° C beschränkt und geschah am 3. März 1920. Als Gerinnungszeit ergab sich unter diesen Umständen 21/, Minuten in jedem einzelnen Falle. Das Schafblut gerinnt also doppelt so rasch als Menschenblut. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 563 Ziegen. Die Versuche waren, obwohl mir mehr Versuchsobjekte zur Ver- fügung standen, durch die Widerspenstigkeit der Tiere mit ähnlichen Schwierigkeiten verknüpft wie bei den Schafen. Untersuchen konnte ich 5 Ziegen im Alter von 1—7 Jahren, 3 davon waren weiße Saanenziegen, 2 graubraune Rhönziegen. Ein Ziegenbock war nicht auf- zutreiben. Die Blutentziehung geschah wie bei den Schafen. . Von 15 Versuchen gelangen nur 3 einwandsfrei am 3. und 18. März 1920 bei einer Temperatur von 25° OÖ, Gerinnungszeit jeweils 2!/, Minuten. Also auch das Ziegenblut gerinnt doppelt so rasch wie Menschenblut. Kaninchen. An diesen Tieren habe ich, nachdem ich mich an meinem eigenen Blute genügend eingeübt hatte, zuerst ausgiebige Versuche angestellt, um den gangbarsten Weg für die Untersuchung von Tierblut zu finden. An die 50 Blutentziehungen wurden von mir vorgenommen, von denen 26 einwandsfrei gelangen und sich auf 5 männliche und 5 weibliche Tiere beziehen. Verfahren wurde in der Weise, daß die Tiere in einen Kasten, in dem sie sich möglichst wenig bewegen konnten, gebracht wurden. Dann wurde die Außenfläche eines Ohres gründlich abrasiert und mit Ather-Alkohol vollends gereinigt. Da die Ohrgefäße des Kaninchens sich periodisch füllen und entleeren, wurde mit der Blutentziehung gewartet, bis die Füllung eine gute war. In diesem Falle wurde von dem Assistenten eines der Gefäße mit dem Skalpell eröffnet und das Ohr so umgedreht, daß der frei abfallende Blutstropfen in den vom Untersucher unter- gehaltenen Hohlschliff zu dem dort befindlichen Wassertropfen gelangte. Die 26 einwandsfreien, in der Zeit vom 24.—30. Januar 1920 ge- wonnenen Versuchsresultate sind in folgender Tabelle zusammengestellt, aus der sich ergibt, daß die Gerinnungszeit bei 25° 0 4 Minuten im Mittel beträgt, ein Wert, der durch neuere weitere Versuche im hiesigen Physio- logischen Institut bestätigt werden konnte!). Das Kaninchenblut ge- rinnt also etwas rascher als Menschenblut. Temperatur in ° C Gerinnungszeit in Minuten 3 Keine Gerinnung 5 48 6 451), 10 171/,, 18, 181), 15 91/,, 10 20 5, 51/,, 54%; 25 41/,, 4, 41/,, 4, 41,,4, 4,4 30 DU, 2, 35 9 40 Il 1) P. Reinewald, Über die Blutstillung mit Koagulen Kocher-Fonio und Clauden- Fischl, Med. Dissertation, Marburg 1922. Die Arbeit wird ausführlicher in Pflügers Arch, f. d. ges. Physiol. erscheinen, 564 K. Amendt: Die Darstellung dieser Versuchsresultate führt zu einer Kurve, die sehr ähn- lich wie die für Menschen- blut verläuft, nur liegt sie im Koordinatensystem etwas tiefer. 30 blickt man auf die an herbivoren Säugetieren durch- geführten Gerinnungsversuche zurück, so ergeben sich bei den einzelnen Arten Unter- schiede, die durch die extre- men Werte 2!/, Minuten für Schaf und Ziege und 11}/, Mi- 7) 70 20 30 #0°7 nuten für das Pferd bei 25° C Abb. 4. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit de° richt A Kaninchen- und Menschenblutes von der Temperatur. ausgearuc werden. 20 70 ec) Vögel. Zur Untersuchung standen mir Hühner und Tauben zur Verfügung. Hühner. An diesen Tieren war kein Mangel. Zur Untersuchung kamen meist rebhuhnfarbige Italiener, die anderen waren von unbestimmter Rasse. Für die Versuche wurden die Tiere so in Tücher eingeschlagen, daß sie sich möglichst wenig bewegen konnten und nur der Kopf hervorragte. Die Blutentziehung geschah nicht, wie vielfach üblich, aus der Flügelvene, sondern aus dem Kamm, die Schwierigkeiten bei der Entziekung aus der Flügelvene waren zu groß. Der Kamm soll aber ein Zacken-, kein Rosenkamm sein. Durch leichtes Schlagen wurde der Kamm hyperämisch gemacht, mit Ather-Alkohol gereinigt, worauf mit einer desinfizierten Schere eine Zackenspitze abgeschnitten wurde. Während der die Blutentziehung vornehmende Assistent das Tier passend hielt und den Kamm leicht umbog, wurde der austretende Blutstropfen in den vom Untersucher untergehaltenen Hohlschliff fallen gelassen. Auf diese Weise wurde 20 Hühnern und 4 Hähnen Blut entzogen. Sämtliche Tiere waren gut genährt, die Hühner legten Eier. Von insgesamt 50 Bestimmungen können 22, in der Zeit vom 9. bis 19. Februar 1920 durchgeführt, als einwandsfrei gelten, die erzielten Zeiten sind in die folgende Tabelle (S. 565) eingetragen. Unterschiede, die auf das Geschlecht bezogen werden könnten, kamen nicht zur Beob- achtung. Für 25° beträgt die Gerinnungszeit 4°/, Minuten, das Hühnerblut ge- rinnt also rascher als Menschenblut. In der Abbildung 2 sind die Versuchsresultate graphisch wieder- gegeben, Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 565 Temperatur in ° C Gerinnungszeit in Minuten 7 Keine Gerinnung 9 23 10 20, 20 15 ll, llEyr, 20 6, 6 25 Al/g, EU/g, Ela, E/a, 8/2, 9 E/a> 8% 30 3 3) 21/, 40 I 2 2a 45 125 50 11), Die Kurve schmiegt sich bei etwas kleineren Ordinatenwerten ziem- lich der für Menschenblut an. Tauben. Am schwierigsten gestalteten sich die Bestimmungen bei diesen Tieren. Untersuchen konnte ich 20 Tauben, und zwar 10 Täuber und 10 Täu- binnen. Alle waren Feldtauben von verschiedenem Alter und gut er- nährt. Zur Blutentziehung wurden die Tiere so in ein Tuch eingeschlagen, daß nur der Kopf und der eine Flügel freiblieb. Auf der Unterseite des Flügels wurden 2 Finger breit vom Flügelansatz entfernt die Federn ausgerupft und die ringsum stehengebliebenen angefeuchtet. Dann wurde die freigelegte Haut mit Äthker- Alkohol gereinigt und ein kleiner Venenast für die Blutentnahme ausgewählt. Nun hielt der Assistent die Taube mit der einen Hand hoch, und zwar so, als ob sie auf ihn zufliegen wollte, breitete mit der anderen Hand den Flügel aus, worauf der Untersucher von unten her die Vene mit einer Nadel anstach und den aus- tretenden Blutstropfen im Hohlschliff auffing. Die Blutentziehung galt nur dann als gelungen, wenn der Tropfen innerhalb 15 Sekunden nach dem Anstechen in den Hohlschliff gelangt war. Von 40 in der Zeit vom 8.— 11. März 1920 durchgeführten Versuchen gelangen nur 16 einwandsfrei, deren Resultate in die folgende Tabelle aufgenommen sind. Auf das Geschlecht bezügliche Unterschiede konn- ten nicht wahrgenommen werden. Temperatur in ° C Gerinnungszeit in Minuten 2,5 23 5) 17 10 61), 15 3 25 NE TREE TE 2 30 1, Ya Das blut der Tauben gerinnt also viel rascher nicht nur als Menschen- blut, sondern auch rascher als das Blut aller bisher untersuchten Tiere. Bei 25° beträgt die Gerinnungszeit, wenn ich von den aus der Reihe fal- lenden Werten 8 und 3 absehe, im Mittel 1 1/, Minuten, 566 K. Amendt: Wodurch die abweichenden Werte 8 und 3 Minuten, die beide beim gleichen Tiere beobachtet wurden, bedingt sind, bedarf noch genauerer Untersuchung, es wurden solche Abweichungen im hiesigen Physiolo- gischen Institut auch früher schon bei Tauben beobachtet. Auffallend war bei meinen Versuchen, daß das betreffende Tier sehr aufgeregt war und schwer atmete, das im Hohlschliff aufgefangene Blut zeigte auch durch seine dunkle Farbe an, daß Asphyxie bestand. Man könnte daran denken, daß Überladung des Blutes mit Kohlen- säure die Gerinnung verzögert. Versuche, die Herr Prof. Bürker in dieser Richtung an Menschenblut angestellt hat, sprechen nicht dafür. Ob nämlich das in den Hohlschliff gebrachte Wasser mit Kohlen- säure gesättigte war oder das Blut nach möglichst langer Atempause, also nach Überladung mit Kohlensäure im Körper selbst, untersucht wurde, die Gerinnmungszeit änderte sich dadurch nicht. Es bedarf noch weiterer Versuche, um diese abweichenden Werte bei der Taube zu erklären. | Die Abhängiskeit der Gerinnungszeit von der Temperatur des Tauben- blutes geht aus der Kurve der Abbildung 2 hervor. Wie das Pferd bei den untersuchten Säugetieren durch die bei allen Temperaturen stark verzögerte Gerinnung eine besondere Stellung ein- nimmt, so die Taube durch die stark beschleunigte Gerinnung gegenüber der anderen untersuchten Vogelart, den Hühnern, deren Blutgerinnungs- zeit sich doch unter den gleichen Verhältnissen nicht wesentlich von der des Menschen und der der meisten untersuchten Säugetiere unterscheidet. Es würde sich wohl lohnen, dem Grund dieses verschiedenen Verhaltens in diesem und auch in den anderen genannten Fällen nachzuspüren. Zusammenfassung. Die Gerinnungszeit des Blutes der Haus- und Laboratoriumstiere ist mit neueren Methoden noch auffallend wenig untersucht. Es wurde daher bei diesen Tieren — omnivoren und herbivoren Säugetieren und Vögeln — diese Zeit mit der Bäürkerschen Methode bestimmt. Um zu einwandsfreien Resultaten zu gelangen, mußte die Blutent- ziehung für jede Tierart besonders ausgearbeitet werden. In die Unter- suchung selbst wurde nur eingetreten, wenn der Blutstropfen möglichst rasch, spätestens aber 15 Sekunden nach Fröffnung der Blutgefäße in den Apparat gelangt war. Ob Capillar-, Arterien- oder Venenblut vor- lag, war auf das Resultat ohne Einfluß. Die erzielten Werte, die für die übliche, der Hauttemperatur nahestehende Temperatur von 25° gelten, sind in der folgenden Ta- belle enthalten; zum Vergleiche ist auch der Wert für Menschenblut eingesetzt, —1 Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. 56 Versuchsobjekt Gerinnungszeit in Minuten Menschwags re nn. 5 SchweinWan als Elundege 2% BIerde NEN. LIU, RindEar TEN 62/5 Schale ern. al, TÜTE En: 218 Kaninchen . 2... 4 EHiulnye me... 41), Nabe raeanssr : 12 Die Gerinnungszeit ist bei den meisten untersuchten Tieren kürzer als beim Menschen. Extreme Werte weist das Pferdeblut mit 11!/, und das Taubenblut mit 1!/, Minuten auf. Die besondere Stellung des Pferde- blutes, die sich auch in der großen Senkungsgeschwindigkeit der Ery- throcyten im Plasma und in der besonderen Art der eosinophilen Leuko- ceyten äußert, findet also auch in der Gerinnungszeit ihren Ausdruck. Auffallend ist, daß auch das Rinderblut eine wesentlich längere Gerin- nungszeit zeigt als das der anderen herbivoren Säugetiere. Daß in der Tat die Gerinnungszeit beim Kaninchen, diesem so viel benutzten Labo- ratoriumstiere, 4 Minuten beträgt, konnte seitdem durch weitere, im hiesigen Physiologischen Institut durchgeführte Versuche bestätigt werden. Bemerkenswert ist, daß die beiden Vogelarten, Huhn und Taube, so verschiedene Gerinnungszeiten aufweisen. Die Abhängigkeit der Gerinnungszeit von der Temperatur ließ sich für die untersuchten Blutarten durch Kurven darstellen, deren Verlauf meist eine weitgehende Ähnlichkeit mit dem der Kurve für Menschenblut besitzt, nur für Pferdeblut sind die Ordinatenwerte wesentlich größer, für Taubenblut aber wesentlich kleiner. Es wird das Ziel weiterer Unter- suchungen sein, diese Verschiedenheiten ausreichend zu erklären. Über den Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße beim Kaltblüter. Von Robert Herbst. (Aus der experimentell-physiologischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie [Abteilungsvorsteher: Prof. Dr. Atzler.]) (Eingegangen am 20. Oktober 1922. Die klassischen Untersuchungen von Chauveau und Kaufmann am Kaumuskel des Pferdes haben dargetan, daß ein Organ während seiner Tätigkeit ausgiebiger mit Blut versorgt wird als in der Ruhe. Die hier- hei auftretenden Veränderungen der Gefäßweite hat man zum Teil auf die Wirkung der sauren Stoffwechselprodukte zurückgeführt, die bei der Tätigkeit in dem Organ gebildet werden. Dies führte dazu, die Ver- änderungen der Gefäße unter dem Einfluß von Säuren und Laugen im allgemeinen, der sauren Stoifwechselprodukte, wie Milchsäure, Kohlen- säure im besonderen zu untersuchen. In allgemeiner Weise wurden diese Fragen von Atzler und Lehmann !) unter genauer Berücksichtigung der Wasserstoffionenkonzentration der Durchströmungslösungen bearbeitet. Sie fanden, daß sich die Gefäße unter normalen Verhältnissen bei der physiologischen Alkalescenz des Blutes bereits in einem geringen Kontraktionszustand, der physiologi- schen Laugencontractur, befinden. Abnahme der [H’] bedingt weitere Kontraktion, geringe Zunahme Erweiterung der Gefäße, während eine stärkere Zunahme wiederum Kontraktion zur Folge hat. In Durch- strömungsversuchen am Frosch fanden diese Autoren, daß sich die Ge- fäße in einem auffallend großen py-Bereich gegen die |H'] als unempfind- lich erweisen. Der Umfang des unwirksamen Bereiches war von dem Pufferungsgrad der Durchströmungslösungen abhängig; bei schwacher Pufferung umfaßte die Zone eine Spanne von pp = 4,2 — Pr = 1,45, bei starker Pufferung ließ sie sich auf den wesentlich engeren Bezirk von Pr = 9:9 — Pn = 6,7 zusammendrängen. Die Lage dieses Bereiches ist nicht symmetrisch zum neutralen Punkt, sondern zu einem Punkt vom pp = 6,3, der etwa mit dem isoelektrischen Punkte des Eiweißes übereinstimmen dürfte. Innerhalb der unwirksamen Zone besitzen die 1) Atzler und Lehmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 118. 1921; 193, 463. 1922. R. Herbst: Über den Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße beim Kaltblüter. 569 Gefäße ihre maximale Weite; überschreitet das p, der Lösung die Gren- zen dieser Zone nach der alkalischen oder sauren Seite, so kontrahieren sich die Gefäße. Des weiteren ergab sich, daß das Tiergewebe eine Durchströmungslösung von abnormer Wasserstoffionenkonzentration so zu verändern vermag, daß sie sich der Blutreaktion nähert (Pufferungs- potenz des Organismus). Die jeweilige Weite der Gefäße wird aber be- stimmt durch diejenige [H], welche die Durchströmungslösungen auf dem Wege durch den Tierkörper unter der Einwirkung der Pufferungs- potenz annehmen. Somit gewinnen neben der ursprünglichen [H'] der Durchströmungslösungen auch deren Pufferungsgrad und die Puffe- rungspotenz des Organismus Einfluß auf den Kontraktionsgrad der Gefäße. Die Wirkung der Kohlensäure auf die Gefäße hat Flevsch!) einer ein- gehenden Untersuchung unterzogen. Aus seinen Ergebnissen geht her- vor, daß die Kohlensäure keinen spezifischen Einfluß auf die Gefäße besitzt, sondern daß die Wirkung der Kohlensäure auf ihrem Säure- charakter beruht, also eine Funktion der [H'] darstellt. Geringe Kohlen- säurekonzentration in der Durchströmungslösung ruft Gefäßerweite- rung, größere Kontraktion der Gefäße hervor. Als optimale Konzen- tration für das Zustandekommen eines dilatatorischen Effekts durch Kohlensäure fand Fleisch bei Versuchen am Frosch 3 Volumprozent, als minimale Konzentration zur Auslösung einer Wirkung 0,5 Volumpro- zent. Atzler und Lehmann hatten ebenfalls nicht publizierte Versuche mit kohlensäurehaltiger Ringerlösung angestellt, bei denen sie die beiden zu vergleichenden Lösungen mit Luftgemischen sättigten, die den bei der Blut- gasanalyse von arteriellem bzw. venösem Blut erhaltenen Luftgemischen entsprachen; hierbei hatten sie jedoch im Widerspruch zu Fleisch keinen Einfluß auf die Gefäße beobachten können. Diese gegensätzlichen Be- funde veranlaßten mich, Versuche über die Kohlensäurewirkung auf die Gefäße anzustellen, wobei dem Pufferungsgrade der verwendeten Lösungen besondere Beachtung zugewendet wurde. Methode. In der Methodik folste ich vollständig dem von Atzler und Lehmann ?) einge- schlagenen Wege. Als Versuchstiere kamen große Esculenten zur Verwendung. Nach Abtraguns des Brustbeins wurde die Kanüle in die linke Aortenwurzel eingebunden; die rechte Aortenwurzel wurde abgebunden und der Venensinus zum Zwecke des Abflusses eröffnet. Als Durchströmungsflüssigkeit benutzte ich in der einen Versuchsreihe Ringerlösung (NaCl 0,65%, KCl 0,014%, CaCl, 0,012%, NaHCO; !) Fleisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%1, 86. 1918; Zeitschr. f. allg. Physiol. 19, 269. 1921. 2) Atzler und Lehmann, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 118. 1921. 570 R. Herbst: 0,01% und Traubenzucker 0,2%); in einer zweiten Versuchsreihe wurde der Ringerlösung 3,5% Gummi arabicum zugesetzt, um durch Erzeugung eines kolloid- osmotischen Druckes das zu rasche Auftreten von Ödemen zu verhindern. Die durch den Gummizusatz zu sauer gewordene Gummisalzlösung wurde durch Hinzufügen von %/,„- NaOH auf das gewünschte 7, eingestellt, der verminderte osmotische Druck wieder ausgeglichen. Die Kohlensäure wurde in den erste Versuchen dem Kippschen Apparat entnommen. Es zeigte sich jedoch, daß trotz Vorschaltung dreier Waschflaschen mit gesättigter Natriumbicarbonatlösung die mitgerissene Salzsäure in kurzer Zeit das gesamte NaHCO, zersetzt hatte und in die Durchströmungsflüssigkeit überging. Die auf diese Weise angestellten Versuche wurden deshalb verworfen und die Kohlensäure in der Folge aus einer Stahlflasche mit flüssiger Kohlensäure entnommen. Auch bei dieser Anordnung wurde die Kohlensäure noch durch drei Waschflaschen mit Natriumbicarbonatlösung geleitet. Die [H'] der Durchströmungslösungen wurde vor Anstellung der Versuche zum Teil mit der Gaskette, zum Teil nach der von Michaelis und Gyemant!) aus- gearbeiteten Indicatorenmethode gemessen. Der Pufferungsgrad der Lösungen wurde nach dem kürzlich von Lehmann?) angegebenen Verfahren bestimmt. Versuchsergebnisse. In einer Anzahl von Versuchen wurde die kohlensäuregesättigte Rin- gerlösung mit einer sauerstoffgesättigten verglichen. Das p,„ der letz- teren schwankte bei den einzelnen Versuchen zwischen 6,42 und 6,96, hatte also eine Höhe, die nach den Beobachtungen von Atzler und Lehmann bei der schwach gepufferten Ringerlösung die maximale Weite der Gefäße bedingte; das 97 der Kohlensäurelösung betrug 4,55 —4,78 Tabelle I. N | O,- gesättigte Lösung | CO;s- gesättigte Lösung | Veränderung | pH PH a) Ringerlösung. 1 6,78 4,55 Kontraktion 2| 6,72 4,78 “ 3 | 6,70 | 4,70 3 4 | 6,51 4,59 5 5 | 6,51 | 4,59 on 6 || 6,42 | 4,64 > 7 | 6,42 4,64 Re) 6,49 4,64 > 9 6,96 4,59 > 10 6,96 4,59 | $ 11 6,65 4,71 s 12 | 6,65 | 4,71 = b) Gummisalzlösung. le3 |. 6,68 | 4,67 en 14 6,64 | 4,67 > 15 6,64 4,67 s !) Michaelis und Gyemant, Biochem. Zeitschr. 109, 165. 1920. ?) G. Lehmann, Biochem. Zeitschr. 133, 30. 1922. Über den Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße beim Kaltblüter. 571 Die Tabelle zeigt, daß kohlensäuregesättigte Lösungen auf Gefäße, die sich vorher im Zustande der maximalen Weite befinden, kontra- hierend einwirken; diese Kontraktion ist als Säurekontraktion aufzu- fassen. In einer weiteren Versuchsreihe wurde an Stelle der sauerstoff- gesättigten Lösung eine mit atmosphärischer Luft gesättigte Lösung eingeschaltet. Es wurde kein Unterschied gegenüber den Versuchen beobachtet, die mit sauerstoffgesättigten Lösungen angestellt worden waren. Fleisch!) hatte beobachtet, daß luftgesättigte Ringerlösung an sich bereits eine geringe Gefäßkontraktion hervorruft; die in der nach- stehenden Tabelle angeführten Versuche können jedoch keine Be- stätigung dieser Beobachtung erbringen. Tabelle II. Nr. | O, gesättigte Lösung | Luftgesättigte Lösung Veränderung | Pu Pu 1 6,44 6,37 ai 2 | 6,44 6,37 — 3 | 6,42 6,27 — 4 | 6,42 6,27 — 5 | 6,30 6,20 — 6 | 6,30 6,20 — 7 7,36 7,28 — 8 7,40 7,31 (K?) 9 7,39 7,30 — 10 | 7,41 7,33 | (K?) Fleisch hatte bei seinen Versuchen Lösungen verwendet, für die er eine |H ] von 0,2 - 10°? berechnete. Wie sich aus meinen 9p-Messungen ergibt, ist die [HJ der luftgesättigten Lösung stets ein wenig größer als die [H ] der sauerstoffgesättigten; diese Beobachtung erklärt sich aus dem geringen Kohlensäuregehalt der atmosphärischen Luft. Es hätte also, wenn die ?„-Differenz der beiden Lösungen nicht unter- schwellig wäre, bei den Fleischschen Versuchen beim Übergang von der sauerstoffgesättigten auf die kohlensäurehaltige Lösung eine Er- weiterung der Gefäße eintreten müssen. Die von Fleisch beobachtete Kontraktion kann deshalb nicht auf dem Einfluß der [HJ] der Durch- strömungslösungen beruhen; sie ist vielleicht mit Fleisch einer Reizung des Vasomotorenzentrums durch den relativen Sauerstoffmangel der luftgesättigten Lösung zuzuschreiben. Bei meinen Versuchen war das p7 der Ausgangslösung teils auf etwa 6,4, teils auf die Höhe der Wasserstoffzahl des Blutes eingestellt worden ; die Ergebnisse waren jedoch in beiden Fällen völlig negativ. 1) Fleisch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1%1, 106. 1918. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 37 572 R. Herbst: Bei den folgenden Versuchen wurde das p, der sauerstoffgesättigten Ausgangslösung auf die Höhe der Wasserstoffzahl des Blutes gebracht. Das ?7 der Kohlensäurelösung wurde dadurch variiert, daß die Ringer- lösung in zeitlich verschiedener Dauer mit dem Kohlensäuregas durch- perlt wurde. Tabelle III. (D = Dilatation; K = Kontraktion) | 0x gesättigte Lösung CO,- haltige Lösung Nr. | | Dauer der | PH Pufferungsgrad | Durchperlung pP Pufferungsgrad | Veränderung mit CO, a) Ringerlösung 1 | 7,38 + 1,04 0,5 Minuten 60 | —LIe | D 2 | 7,38 | — 1,04 1,0 "= 6,49 Kanes 1,15 | D 31127582 + 1,04 2,0 55 5,81 | — 3,53 | D 4 || 7,32 | — 1,04 5,0 N 5,16 | — 4,78 (K) 5 || 7,35 | + 0,98 10,0 >, 4,42 — 5,01 K 6 |) 7,38 | + 1,04 20,0 ” 4,40 — 6,49 KR b) Gummisalzlösung a + 0,90 0,5 Minuten 6,82 in EM) D 8 | 7,27 0,90 1,0 Br 6,46 — 4,01 D 9.| 7,27 — 0,90 2,0 Er 5,70 — 4,79 D 10 | 7,29 0,90 5,0 5 5,38 | — 5,90 (R) 11 | 7,32 10:97 .110.00 gas > ea ee K 127582 0,97 20,0 2 4,34 | — 11,2 K Die in dieser Tabelle mitgeteilten Versuche zeigen, daß kohlen- säurehaltige Lösungen je nach dem Grade ihrer Sättigung mit CO, einen verschiedenartigen Einfluß auf die Gefäße ausüben!). Befinden sich die Gefäße vor dem Einströmen der Kohlensäurelösung im Zu- stande der physiologischen Laugencontractur, so bewirken geringe Kohlensäurekonzentrationen entsprechend der Zunahme der [H] eine Verminderung der Laugencontractur; bei größeren Kohlensäure- konzentrationen dagegen tritt in gleicher Weise wie bei den oben be- schriebenen Versuchen Kontraktion der Gefäße ein. Diese Versuche stehen im Einklang mit den Ergebnissen Fleischs. Mittlere Kohlen-- säurekonzentrationen (Versuch 4 und 10) vermögen nur geringe Ver- 1) Die Spalten 4-6 der Tabelle zeigen den Zusammenhang zwischen der Kohlensäuresättigung, der Wasserstoffzahl und dem Pufferungsgrad der Lösung. Mit zunehmender Kohlensäuresättigung fällt das p5 der Lösung, d.h. steigt ihre [H'] bis zu einem Maximalwert; gleichzeitig wächst der Pufferungsgrad um ein Vielfaches des ursprünglichen Wertes um noch weiter anzusteigen, nachdem die [H'] ihren Maximalwert bereits erreicht hat. Der Pufferungsgrad der Ringer- lösung steigt von einem Anfangswert von (+) 1,04 bei einer Kohlensäuresättigung von 20 Minuten Dauer bis zu einer Höhe von (—) 6,49, der Pufferungsgrad der Gummisalzlösung in der gleichen Sättigungszeit bis zu einem Werte von (—) 11,2. Über den Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße beim Kaltblüter.. 573 änderungen der Gefäßweite zustande zu bringen. Diese Erscheinung kann dadurch erklärt werden, daß durch die wirksame [H] der Kohlen- säurelösungen mittlerer Konzentration eine Säurekontraktion von un- sefähr der gleichen Stärke ausgelöst wird wie die Laugenkontraktion, die vor der Umschaltung durch die schwach alkalische Ausgangs- lösung verursacht worden war. Die Gefäße behalten also die Weite ihrer Lumina annähernd bei, während nur das die Kontraktion aus- lösende Moment sich ändert, indem an die Stelle der alkalischen eine saure Lösung tritt. Für die Richtigkeit dieser Hypothese scheint der Umstand zu sprechen, daß beim Übergang von der Laugen- in die Säurekontraktion meist ein kurzes dilatatorisches Stadium zu beob- achten ist. Zusammenfassung. In Durchströmungsversuchen am Frosch wird der Einfluß der Kohlensäure auf die Gefäße untersucht. Je nach der Wahl des p% der Ausgangslösung und der P„-Differenz der beiden Durchströmungs- lösungen bewirkt die Kohlensäure Kontraktion bzw. Dilatation der Gefäße, wie es von Atzler und Lehmann für andere Säuren beobachtet worden ist. 37* (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. Der Einfluß der Bestrahlung mit ultraviolettem Lieht. Von Rudolf Mond, Assistent am Institut. (Eingegangen am 30. September 1922.) Bei der Betrachtung der Ursachen für die Sedimentierung der roten Blutkörperchen hat schon Fähraeus!) die aus dem Stokesschen Gesetz sich ergebenden Folgerungen dargelegt. Die Formel heißt: 2 ro omg 9 7 ; worin vu die Geschwindigkeit des fallenden Teilchens, 0 seine Dichte, Or und n die Dichte und Zähigkeit der Flüssigkeit, g die Gravitations- konstante bedeuten. Die Fallgeschwindigkeit der Teilchen einer Sus- pension ist also abhängig sowohl vom spezifischen Gewicht der Teilchen wie der Flüssigkeit, der Zähigkeit der letzteren und dem Teilchen- radius. Wenn wir dies Gesetz auf die Suspensionsstabilität im Blut anwenden wollen, so müssen wir erstens von der elektrischen Ladung der Blutkörperchen absehen, die in der Formel nicht berücksichtigt ist. Man kann sodann die Unterschiede in den spezifischen Gewichten für unsere Verhältnisse vernachlässigen, da die Differenzen zwischen Blutkörperchen und Plasma meist ziemlich gleich sind oder doch zu gering, um irgendeinen merkbaren Einfluß zu haben. Die Viscosität der Flüssigkeit aber, also des Plasmas oder des Serums, steht gerade in entgegengesetztem Verhältnis zur Sedimentierung, als nach der Stokesschen Formel zu erwarten wäre; denn je größer die Viscosität des Plasmas oder Serums ist, um so schneller sinken die Blutkörperchen. Dies hängt mit der verschiedenen Zusammensetzung der Blutflüssigkeit zusammen; je reicher sie an labilen Eiweißkörpern ist, um so größer sind die Werte für die Ausflußgeschwindigkeit durch ein Ostwaldsches Viscosimeter; die Viscosität der Bluteiweißkörper steigt in der Reihe: ') Fähraeus, Acta med. Scand. 55. 1921. R. Mond: Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 575 Albumin < Globulin < Fibrinogen, die Stabilität nimmt in derselben Reihenfolge ab. In Hinblick auf die Stokessche Formel ist also zu sagen, daß die von ihr geforderte Abnahme der Zähigkeit bei Zunahme der Fallgeschwindigkeit der Teilchen nicht stattfindet und also nicht als Ursache in Betracht kommen kann. Als letztes bleibt eine Änderung des Teilchenradius, und es ist aus der Formel leicht ersichtlich, daß dieser Umstand von größtem Einfluß sein muß, da r im Zähler in zweiter Potenz vorkommt. Nun ändert sich allerdings der Radius der einzelnen Blutkörperchen nicht oder doch nur unbedeutend, aber es bilden sich große Aggregate, die meist schon mit bloßem Auge zu erkennen sind und immer nur dann auftreten, wenn im Blute die Er- scheinung der beschleunigten Sedimentierung sich zeigt. Darauf weist Fähraeus (l.c.) ausdrücklich hin, und das ist auch von allen Unter- suchern bisher bestätigt. Zunahme der Sedimentierungsgeschwindigkeit und vermehrte Agglutination gehen streng parallel. Erkennen wir die Ursache der Agglutination, so haben wir auch damit die Frage der Sedi- mentierung gelöst. Welche Möglichkeiten sind für die Bildung der Aggregate in Be- tracht zu ziehen? Zunächst könnte man an ein spezifisches Agglutinin denken. Die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme hat Führaeus (l. e.) bereits dargelegt und ich brauche darauf nicht weiter einzugehen. Zweitens könnten die Blutkörperchen aus irgendeinem Grunde, sei es eine Eigentümlichkeit ihrer Oberfläche oder der sie umgebenden Flüssig- keit, bis zu einem gewissen Grade miteinander verkleben. Ich werde darauf noch zurückkommen. Als drittes endlich kann eine Vermin- derung der negativen Ladung der Blutkörperchen zu Aggregatbildung führen, da ja die Attraktionskräfte zwischen den Teilchen einer Sus- pension und ihr elektrisches Potential in entgegengesetzter Richtung wirken. Die Ladungsverminderung ist denn auch von Führaeus und von Linzenmeier!) am hiesigen Physiologischen Institut nachgewiesen worden, und in dieser Arbeit sowohl wie in der daran anschließenden Untersuchung von Kanai?) wird die Bedeutung der elektrischen Ladung abermals bestätigt. Führaeus (l.c.) ist allerdings neuerdings von der Ladungsvermin- derung als Ursache der beschleunigten Sedimentierung abgekommen und hält den ganzen Vorgang für noch recht unaufgeklärt, aber in engem Zusammenhang mit der Gesamtglobulinfraktion stehend, wobei er unter dem Begriff der Globulinvermehrung die Zunahme der im Plasma vorhandenen labilen Eiweißfraktionen versteht. Die Sedi- mentierung ist nach ihm nicht von einem Faktor abhängig, sondern !) Linzenmeier, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 169. 1920; 186, 272. 1921. *) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 19%, 583. 1922. 576 R. Mond: durch den allgemeinen kolloidalen Zustand des Plasmas bedingt, wozu unter anderm Hydratation und Elektrolyteinfluß gehören. Dieser Standpunkt ist sicherlich richtig, aber er führt uns in seiner Vieldeutig- keit nicht weiter. Eine Ablehnung des Ladungseinflusses scheint auch verständlich, wenn man der Verringerung des Potentials der Blutkörper- chen nach der bisherigen Annahme eine Adsorption positiver Bestandteile zugrunde legt. Denn es ist einerseits nicht einzusehen, daß gerade mit einer Globulinvermehrung auch eine Vermehrung positiver Be- standteile einherginge, andererseits ist das Bestehen solcher positiver Bestandteile unwahrscheinlich, da wohl alle Kolloide des Blutes negativ geladen sind. Positive Eiweißkörper speziell kann es aus dem Grunde nicht geben, weil die Säuredissoziationskonstante der Aminosäuren die Basendissoziationskonstante nicht überwiegt. Führaeus hat sodann beob- achtet, daß bei der Adsorption und Entladung der Blutkörperchen durch H die Aggregatbildung unter dem Mikroskop ein ganz anderes Bild zeigt, wie die durch Globulin oder Fibrinogen verursachte, und hat auch daraus die Bedeutungslosigkeit der elektrischen Ladung ‘ deduziert. Da nun aber doch nach den bisherigen und weiteren teils noch nicht veröffentlichten Untersuchungen aus dem hiesigen Institut die Ladungs- verminderung immer dann bei beschleunigter Sedimentierung vorhanden ist, wenn man die Sedimentierung in Eiweiplösungen erfolgen läßt, und diese Beobachtung uns bisher den einzigen zugänglichen Schlüssel zu einem Eindringen in die T'heorie des ganzen Vorgangs bietet, so müssen wir gerade diese Erscheinung besser zu ergründen versuchen und noch andere Erklärungsmöglichkeiten wie die bisherigen dafür heranziehen. Vorerst haben wir uns über die Faktoren klarzuwerden, die über- haupt die negative Ladung der Blutkörperchen bedingen. Es kommen dafür in Betracht: 1. Diffusionspotentiale, 2. Donnangleichgewichte, 3. Grenzflächenpotentiale andern Ursprungs. Die Bestimmung der absoluten Größe der Ladung aus den Diffusionspotentialen und den Donnangleichgewichten ist schwierig. Ich glaube aber aus den folgenden Gründen für unsern Zusammenhang darauf verzichten zu dürfen. Es werden jene nämlich bedingt durch den Gehalt an anorganischen Ionen, das Donnangleichgewicht weiterhin durch das Verhältnis der H. und OH’, bzw. ihrer Verbindung mit den Eiweißkörpern. Die Menge und die Verteilung der anorganischen Ionen und die H'-Konzen- ' tration schwankt aber nicht so sehr vor allem ganz unabhängig vom Globulingehalt, als daß daraus sich ergebende Ladungsdifferenzen für die Agglutination der Blutkörperchen in Frage kommen könnten. Wir können daher, ohne einen erheblichen Fehler zu machen, die durch Diffusionspotentiale und Donnangleichgewichte bedingten Ladungs- änderungen für die vorliegenden Verhältnisse vernachlässigen. Be- Zur Theorie der Sedimentierung. der roten Blutkörperchen. 577 trachten wir nun den dritten Punkt: Wir haben uns vorzustellen, daß die Oberfläche oder Grenzschicht der Blutkörperchen im wesentlichen aus Eiweißkörpern und Lipoiden aufgebaut ist. Die Zahl der negativ geladenen Teilchen in einer Eiweißlösung ist abhängig von dem iso- elektrischen Punkt des Eiweißes, und zwar enthält eine Eiweißlösung um so mehr negative Bestandteile, je weiter entfernt von der Blut- reaktion der isoelektrische Punkt auf der sauren Seite liegt. Die iso- elektrischen Punkte der drei großen im Plasma vorhandenen Eiweiß- gruppen liegen bei 24 = 4,7 für das Albumin, p, = 5,4 für das Globulin; der isoelektrische Punkt des Fibrinogens ist nicht genau bekannt!), jedoch ist anzunehmen, daß er wegen der überaus großen Labilität dieses Eiweißkörpers noch näher der Blutreaktion liest. Rein schematisch können wir nun sagen: Ist an die Oberfläche der Blutkörperchen nur Albumin adsorbiert, so ist ihre negative Ladung größer als wenn sie aus Globulin, und noch größer, als wenn sie aus Fibrinogen bestände, da die Menge der Ionen des Albumins, des Globu- lins und des Fibrinogens der Entfernung ihres isoelektrischen Punktes von der Blutreaktion proportional ist. Die Ladungsdifferenzen hängen aber auch damit zusammen, daß die Blutkörperchenoberfläche in Fibrinogen- und Globulinlösungen stärker mit Neutralteilchen besetzt wird als in Albuminlösungen. Danach wird also die Ladung der Blut- körperchen im Blut bestimmt durch das Mengenverhältnis der im Plasma vorhandenen Eiweißfraktionen. Als Belege für unsere Ansicht führe ich die im hiesigen Institut ausgeführten Untersuchungen von Heesch?) an, der Hefezellen, Stärkekörner, Öl, Leeithin, Cholesterin durch Eiweiß sensibilisierte, d.h. ihre natürliche Ladung deprimierte; weiterhin die Versuche von Ley?) sowie die Ergebnisse von Coulter ®), der kataphoretisch den isoelektrischen Punkt normaler mit Rohr- zucker gewaschener Blutkörperchen bei 94 = 4,75, den mit Immun- serum sensibilisierter Blutkörperchen bei 95 = 5,3 findet, welchen Wert er mit dem isoelektrischen Punkt der Globuline in Zusammen- hang bringt. Praktisch ähnlich wie für die Eiweißkörper liegen die Ver- hältnisse für die Lipoide, soweit sie sich in kolloidalem Zustande befinden. Ich verweise da auf die Versuche von Feinschmidt), der für das Lecithin ein Flockungsmaximum bei etwa p4 = 3,0 findet, und der gleichzeitig zeigt, wie durch Hinzufügen von Serum dieses Maximum weiter ins Alkalische verschoben wird. Es ist zu bemerken, daß sehr wenig Eiweiß notwendig ist, um das charakterische Flockungsmaximum des Lecithins 1) Funck, Bioch. Zeitschr. 124, 148. 1921. ?) Heesch, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 190, 198. 1921. ®) Ley, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 19%, 599. 2) Coulter, Journ. of Gen. Physiol. 3, 309. 1921 u. 4, 403. 1922. >) Feinschmidt, Bioch. Zeitschr. 38. 1912. 578 R. Mond: vollständig zu verwischen, so daß der Einfluß des in der Plasmahaut vorhandenen Lecithins auf die Ladung der Blutkörperchen — und dasselbe gilt wohl auch für das Cholesterin — bei der Menge der im Blut vorhandenen Eiweißkörper im Vergleich zu diesen nur gering ist. Ich führe weiter unten darauf bezügliche Versuche an. Ich sprach vorhin davon, daß eine Verklebung der Erythrocyten von Einfluß auf die Aggregatbildung sein könnte. Wir wissen, daß die Neigung der Eiweißkörper, sich zu Micellen zusammenzulagern und in den Gelzustand überzugehen, verschieden stark ist, und daß vor allem das Fibrinogen, weniger das Globulin, am schwersten das Albumin sich in dieser Richtung ändern können. Diese Neigung zur Gelbildung, die präformiert selbstverständlich auch im Blut vorhanden ist und unter anderm in gesteigerter Zähigkeit zum Ausdruck kommt, wird auf die rein physikalische Beschaffenheit der Blutkörperchen- oberfläche von Einfluß sein. So werden, wenn an diese vorzugsweise Fibrinogen adsorbiert ist, die Blutkörperchen verhältnismäßig leicht aneinander haften bleiben, um so mehr, als ihre Ladung gleichzeitig so erniedrigt ist, daß die abstoßenden Kräfte nicht mehr genügen, sie auseinanderzutreiben. Wir ersehen aus den obigen Betrachtungen, daß es prinzipiell durch- aus möglich ist, die Aggregatbildung und damit die Sedimentierung der roten Blutkörperchen rein physikalisch-chemisch zu erklären. Experimen- tell ist der Beweis nicht leicht zu führen, doch machen die genaue Durchsicht der bisherigen Ergebnisse der Literatur wie die jüngst ausgeführten Untersuchungen am hiesigen Institut unsern Standpunkt höchst wahrscheinlich. Versuche. Angeregt durch Prof. Höber habe ich den Einfluß der durch die Bestrahlung mit wliraviolettem Licht in ihrer Dispersität geänderten Eiweißkörper des Pferdeblutes auf die Sedimentierung der roten Blut- körperchen untersucht. Die Versuchsbeispiele zeigen, daß bestrahltes Plasma die Sedimentierung entweder hemmt oder fördert, besirahltes Fibrinogen immer hemmt, hingegen bestrahltes Globulin und Albumin beschleunigend wirken. Der wechselnde Befund beim Plasma ist wohl auf seinen Fibrinogengehalt zu beziehen, so daß, wenn dieser einen gewissen Prozentgehalt übersteigt, die hemmende Wirkung zum Aus- druck kommt. Mit zunehmender Belichtungszeit kommt es in Globulin- und Albuminlösungen sowie im Serum zu fortschreitender Abnahme der Oberflächenspannung, deren Ursache man, wie ich in einer früheren Arbeit!) dargelegt habe, in einer Änderung des Dispersitätsgrades — und dann würden die Eiweißkörper adsorbierbarer werden — sowohl wie in einer Abspaltung oberflächenaktiver Stoffe suchen kann. Daß der ') R. Mond, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 196, 540. 1922. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 579 Dispersitätsgrad eines Eiweißsols seine Capillaraktivität maßgebend beeinflußt, zeigen Untersuchungen von Bottazzi und Agostino!), die im isoelektrischen Punkt ein Minimum der Oberflächenspannung finden. Brauchbare Werte für die Oberflächenspannung waren mit Fibrinogenlösungen und Plasma leider aus früher dargelegten Gründen nicht zu erhalten. Der Verlauf der Änderungen in der inneren Reibung, die überall nach der Bestrahlung ansteigt, und zwar am meisten beim Fibrinogen, wohingegen bei letzterem die Senkungsgeschwindigkeit gehemmt wird, beweisen, wie auch Führaeus gefunden hat, daß Viscosität und Sedi- mentierung einander nicht parallel laufen. Die Umladbarkeit durch La” der in die bestrahlten Lösungen eingetragenen Blutkörperchen, gemessen im Höberschen Kataphorese- apparat, entspricht der veränderten Sedimentierungsgeschwindigkeit, so daß die mit belichteten Fibrinogenlösungen sensibilisierten Blutkörper- chen durch La schwerer, die mit Globulin- und Albuminlösungen sowie mit Serum sensibilisierten leichter umgeladen werden, wie die entsprechen- den der Quarzlampe nicht ausgesetzten Kontrollen. Die Ergebnisse zeigen also wieder die dominierende Bedeutung der Ladungsänderung und sind wohl so zu erklären, daß die durch die Lichtwirkung in ihrer Dispersität geänderten Globulin, Albumin und Serumeiweißkörper wahrscheinlich leichter adsorbierbar, das Fibrinogen dagegen schwerer adsorbierbar wird, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß das an sich schon gröber disperse Fibrinogen durch die Strahlenwirkung zu stark aggregiert. Um die Annahme, daß die an sich stark negativ geladenen Blut- körperchen durch ebenfalls an sich negative Eiweißkörper mehr oder weniger entladen werden, noch durch Modellversuche zu sichern, habe ich, anknüpfend an die Versuche von Feinschmidt, schließlich Leeithin- emulsionen mit wechselnden Mengen Albumin- und Globulinlösungen kurz geschüttelt, sie in abgestufte Puffergemische gebracht und das Flockungsmaximum beobachtet. Wie aus dem Protokoll zu ersehen ist, konnte ich mich so leicht davon überzeugen, daß schon sehr geringe Mengen von Eiweiß genügen, um das Flockungsmaximum des Lecithins ins Alkalischere zu verschieben, so daß man schließlich lediglich das für den isoelektrischen Punkt des betreffenden Eiweißkörpers charak- teristische Flockungsmaximum erhält. Bemerkenswert ist, daß bei Zusatz von Albumin eine Flockung im isoelektrischen Punkt des Albumins auftritt, das ja bekanntlich für sich allein stabil ist. Methedik. . Die einzelnen Eiweißfraktionen wurden durch Fällung mit Ammonsulfat ge- wonnen, der abfiltrierte Niederschlag in destilliertem Wasser gelöst und bis zur 1) Bottazzi und Agostino, Rendic. R. Acc. dei Lincei 21, 561. 1912. 580 R. Mond: Isotonie dialysiert, bezw. entsprechend viel Ammonsulfat bei zu langer Dialyse zugesetzt. Als Lichtquelle diente eine wassergekühlte Krohmeyerquarzlampe. Die zur Bestrahlung kommenden Lösungen wurden in Quarzröhrchen, die in regelmäßigen Zeiträumen gedreht wurden, der Lampe ausgesetzt. Bestrahlte und unbestrahlte Proben befanden sich stets unter denselben Bedingungen, vor allem wurde auf gleiche Temperatur geachtet. Die Messung der Oberflächenspannung erfolgte mit dem Traubeschen Visco- stagonometer bei Zimmertemperatur, und zwar ist als Maß das Volumen von 3 Tropfen gesetzt. Als Werte für die innere Reibung sind die Ausflußzeiten durch ein Ostwald- sches Viscosimeter angegeben. Die Messungen fanden bei 28° im Thermostaten statt. Die Füllung des Höberschen Kataphoreseapparates erfolgte mit einer Lösung von 9 Teilen 9,7 proz. Rohrzucker mit 1 Teil 0,9 proz. NaCl-Lösung, in der die ent- sprechenden Konzentrationen an La (NO,), enthalten waren. Die angelegte Span- nung betrug 220 Volt. Das Deckglas wurde jedesmal an den Rändern mit Paraffin abgedichtet. Beobachtung auf halber Höhe der 1 mm tiefen Kammer. Als Puffer für die Lecithinflockungsversuche wurden von Pu = 5,9 bis Pu = 3,5 Acetatgemische, von Pn = 2,9 bis Yu = 1,7 Lactatgemische verwendet, deren H'-Konzentration inüblicherWeise berechnet wurde. Die verwendeten Eiweiß- lösungen waren etwa 5 proz. ee Versuchsprotokolle. A. Bestrahlung und Sedimentierung, Viscosität, Oberflächenspannung. Pferdeplasma. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 10° .. 60° Viscos. 0 ®) 11,5 74,2 9 2 8,5 77,4 Pferdeplasma. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 15° Viscos. 0 ) 73,6 3 10,5 74,8 7 11,5 76,9 14 13,0 77,6 26 13,5 80,5 Serum. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 15’ 30° Viscos. Tropfenvolum. 0 3,0 6,5 71,5 23,4 16 5,0 11,0 74,0 21,7 Fibrinogen. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 15’ 30° Viscos. 0 3,5 9,5 69,5 3 3,5 8,9 71,6 722 3,5 8,0 il 14 2,0 5,0 75,8 Globulin. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 30° ° 60’ Viscos. Tropfenvolum. 0 4 10 60,2 20,1 2 45 11 60,4 19,8 4 6 11 60,8 19,5 74, 202 12,604 19,2 10%), 5 2 624 18,9 7 131), 7 2 6 18,2 8 12 65,4 17,6 Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 581 Albumin. Bestrahl.-Dauer Std. Sed. nach 19 Std. Viscos. Tropfenvolum. 0 4 57,6 21,0 3 3,5 58,1 20,8 6 3,5 58,3 20,7 9 4,5 59,6 . 20,7 12 5,0 60,0 20,5 15 6,0 60,6 20,4 18 9,0 61,0 20,3 23 11,0 62,0 20,3 B) Kataphoreseuntersuchungen. Fibrinogen. Bestrahlungsdauer Sediment. nach: Umladbarkeit Std. 15° La(NO,;),@/3ooo ®/2s0o "3000 M/z500 0 16,0 Ar 5 6,0 4 ah m Globulin Bestrahlungsdauer Sediment. nach: Umladbarkeit Std. 15° La(NO;),; "/zo00 W/asoo W/arso /a000 7 15,0 = im a Albumin. Bestrahlungdauer Sediment. nach: Umladbarkeit Std. 60° La(NO,); 2/1000 1500 M/,000 2500 13%, 7,0 ee Serum. Bestrahlungsdauer Sediment. nach: Umladbarkeit Std. 15° La(NO;); "/zo00 W/asoo W/sooo /s500 0 12,0 + SIE _— 12 16,0 -L. au a C) Lecithinflockungsversuche. 1. 1% Lecithinemulsion ohne Eiweißzusatz. Pu 5,9 5,3 4,7 4,1 325 2,9 2,3 7 Ir aim SF ir Sp ==! ar Para Arar Ar 2. 1% Lecithinemulsion 9,9 ccm + 0,1 cem Globulin. DE 5:9 5,3 4,7 4,1 3,5 2,9 3 17 SP Ararae Narr Ar ar Sar AT Ar ner =: 3. 1% Lecithinemulsion 9,9 ccm + 0,1 cem Albumin. 25,90 5,3 4,7 4,1 3,5 2,9 223 7] Spar para Ara Sr» Ararar. Ar ai Ara IC 4. Zu 3 wird je 0,2 ccm Albumin gegeben. Pr 59 5,3 4,7 4,1 3,5 2,9 2,3 137 Ar str Aa Ar ai + IR = 2 5. 1% Lecithinemulsion 9,8 ccm + 0,1 ccm Globulin + 0,1 ccm Albumin. ?n 59 53 4,7 4,1 3,5 2,9 2,3 107 a BE ee ae Da De a — — 582 R.Mond: Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 6. Zu 5 wird je 0,lcecem Albumin gegeben. Pa 59,9 5,3 4,7 4,1 3,9 2,9 2,3 17 ni nt r a1 ir A ira Aal 7. 1% Lecithinemulsion + 0,05 ccm der fünffach verdünnten : Pa 599 5,3 4,7 1,4 3,5 2,9 2 | ea) ET TR ae) Fa I I Ar 1 SL Zusammenfassung. 1. Durch Bestrahlung von Eiweißlösungen mit ultraviolettem Licht wird der Einfluß der Lösungen auf die Sedimentierungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen verändert. Bei Serum, Globulin und Albumin wird die Sedimentierungsgeschwindigkeit vergrößert, bei Fibrinogen verkleinert und bei Plasma bald vergrößert, bald verkleinert. 2. DerÄnderung der Sedimentierung geht stets eine Änderung in der Größe der negativen Ladung der in den Lösungen suspendierten Blut- körperchen parallel. 3. Der Einfluß der Eiweißkörper auf Sedimentierung und Ladung hängt mit der Lage ihres isoelektrischen Punktes und mit der Stabilität ihrer Lösungen zusammen. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. (Über den Einfluß von Erwärmen und Schütteln der Eiweiß- lösungen.) Von Tokujiro Kanai (Osaka, Japan). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Eingegangen am 1. Oktober 1922.) Die Bedingungen für die Zunahme, die die Sedimentierung der roten Blutkörperchen nach den bekannten Beobachtungen von Fähraeus unter dem Einfluß der Schwangerschaft und bestimmter Erkrankungen er- fährt, sind bisher vorwiegend nach klinischen Gesichtspunkten unter sucht worden; mit der physikalischen oder chemischen Natur des Vor- gangs haben sich nur wenige beschäftigt, in erster Linie Führaeus') selber, der auf Grund kataphoretischer Messungen im Kieler physiolo- gischen Institut zunächst zu der Ansicht kam, daß bei erhöhter Sedi- mentierungsgeschwindigkeit die normale negative elektrische Ladung der Blutkörperchen vermindert sei, und daß infolgedessen leichter als sonst Agglutination und dadurch Sedimentierung einsetze. Später, als Führaeus darauf aufmerksam wurde, daß die Beschleunigung der Sedi- mentierung stets mit relativer Vermehrung der Globuline im Serum oder Plasma einhergehe, und daß bei Suspension der Blutkörperchen in den reinen Lösungen der Eiweißkörper bei gleichem Prozentgehalt die Sedi- mentierung am raschesten in Fibrinogen-, langsamer in Globulin- und am langsamsten in Aibuminlösungen erfolge2), ließ er die capillarelek- trische Erklärung fallen. Sie schien ihm unverträglich unter anderem damit, daß die Eiweißkörper, deren Ionen gegenüber den Blutkörperchen in der capillarelektrischen Theorie ungefähr die gleiche Rolle zufällt, wie den Ionen eines anorganischen Salzes bei der Flockung eines anorgani- schen Sols, sonst in diesem Falle gerade als ‚‚Schutzkolloide‘‘ auftreten, die die Suspension stabilisieren ; sie schien ihm unverträglich auch damit, daß ein Salzzusatz, der bei Suspensionen sonst die Stabilität erniedrist, sie hier nach seinen Beobachtungen gerade umgekehrt erhöht. Das Er- gebnis seiner capillarelektrischen Messungen zog er selber in Frage, da die kataphoretische Methode mit allzu großen Fehlerquellen behaftet sei. Wie aber schon Linzenmeier?), so habe ich nun aufs neue mit Erfolg die 1) Fähraeus, Biochem. Zeitschr. 89, 355. 1918. 2) Fähraeus, Acta medica scandinavica 55, 1. 1921. 2) Linzenmeier, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 169. 1920; 186, 272. 1921. 584 T. Kanai: kataphoretische Methode mit dem Apparat von Höber!) angewandt und werde zeigen, daß, der ersten Auffassung von Führaeus durchaus ent- sprechend, die Suspensionsstabilität der Blutkörperchen in erster Linie von ihrer elektrischen Ladung abhängig ist. Den Ausgangspunkt meiner Untersuchungen bilden die interessanten Beobachtungen, die Fähraeus am Schluß seiner großen Abhandlung mitteilt. Wenn man Blutserum vom Pferd 5—6 Stunden lang auf Tem- peraturen erwärmt, die zwischen etwa 26° und 42° gelegen sind, und danach die Blutkörperchen bei Zimmertemperatur in den verschieden erwärmt gewesenen Proben suspendiert, so zeigt sich, daß die Sedi- mentierungsgeschwindigkeit um so geringer ist, je höher die Temperatur in der Erwärmungsperiode war. Durch Erwärmung auf mehr als 42° erhält das‘Serum dagegen mehr und mehr die sedimentierende Kraft des unvorbehandelten Serums, bis es diese bei etwa 48° erreicht. Noch merk- würdiger ist folgende Angabe von Führaeus: Wenn man das Serum während der ganzen Zeit der Erwärmung schüttelt und zwar in fast vollen Flaschen, so daß nur eine kleine Luftblase die Rührung besorgt, dagegen kein Schaum gebildet wird, so wird der ganze eigenartige Effekt der Erwärmung, d. h. die weitgehende Beseitigung der sedimentierenden Kraft bis zu 42°, mehr oder weniger vollständig aufgehoben, so daß das Serum in jedem Fall die Blutkörperchen ungefähr ebenso rasch zur Senkung bringt, wie das unvorbehandelte Serum. Eine Erklärung für diese Erscheinungen vermag Führaeus nicht zu geben; er vermutet, daß sich durch die Erhöhung der Temperatur von 26° auf 42° vielleicht Globulin zum Teil in Albumin umwandele, so wie sich nach amerikani- schen Autoren bei noch höherer Temperatur (57°—58°) umgekehrt Albumin in Globulin verwandeln soll; doch führt er selber dagegen seine Beobachtung an, daß die Viscosität durch Vorwärmung innerhalb des Temperaturintervalls 26°—42° nicht verändert wird, während die Lö- sungen der Globuline, insbesondere die des Fibrinogens, an Viscosität die Albuminlösungen erheblich übertreffen. Ich habe nun auf Veran- lassung und unter Anleitung von Prof. Höber versucht, diese Einflüsse der Erwärmung und der Schüttelung aufzuklären. Methoden. Die Sedimentierung wurde in Röhrchen von 130 mm Länge und 5 mm innerem Durchmesser mit Zirkel und Maßstab gemessen; sie ist auch in den Tabellen in Millimetern angegeben. Es wurden stets 0,6ccm Blutkörperchenbrei und 1,2 cem Flüssigkeit gemischt. Die Blutkörperchen waren mit 0,9% NaCl bis zur Was klarheit der überstehenden Lösung gewaschen. Zur Messung der Blutkörperchen- Ladung wurde der Kataphorese-Apparat von Höber in der üblichen Weise verwendet: Füllung mit 10 T. 9,7 proz. Rohrzucker + 1 T. 0,9 proz. NaCl + La(NO,), in verschiedener Konzentration; angelegte Span- nung 220 Volt, Paraffinverschluß der Kammer, Untersuchung sofort nach Füllung. 1) Höber, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 607. 1904; 10%, 196. 1904. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 585 Die innere Reibung wurde mit Ostwalds Viscosimeter, die Oberflächenspannung gegen Luft mit T’raubes Viscostagonometer bestimmt. Die in den Tabellen für die Oberflächenspannung angegebenen Werte sind die Längen, die 3 Tropfen in der Capillare entsprechen. Die Wasserstoffzahl ist mit der Methode der stehenden Gasblase nach Michaelis gemessen und in Wasserstoffexponenten 9, ausgedrückt. Die Werte für die Fällbarkeit mit Ammonsulfat und Alkohol bedeuten Kubik- zentimeter, die bis zur eben beginnenden Trübung zu 1 cem Eiweißsol hinzugefügt werden mußten. Alle Versuche beziehen sich auf Pferdeblut. Ergebnisse. 1. Untersuchungen an erwärmtem und geschüttellem Serum, Plasma und defibriniertem Blut. Da ich, wie bereits gesagt, zu dem bestimmten Ergebnis gelangte, daß Blutkörperchenladung und Blutkörperchensedi- mentierung zusammenhängen, so will ich mit der Darlegung dieser Be- ziehung beginnen. Bei dem Versuch, die Angaben von Führaeus zu reproduzieren, kam es zunächst zu einer Überraschung, nämlich während die starke Zunahme der Suspensionsstabilität, die Abnahme der Sedimentierungsgeschwin- digkeit durch Vorwärmung des Serums mit Leichtigkeit festzustellen war, mißlang der Versuch, das Zustandekommen der Stabilisierung durch das Schütteln mehr oder weniger zu verhindern. Die kataphoretische Ladungsmessung der Blutkörperchen ergab aber in guter Übereinstim- mung damit, daß die Blutkörperchen sich in dem zuvor erwärmten Serum durchweg stärker negativ verhielten, als im Kontrollserum, daß dagegen das Schütteln keinen deutlichen Einfluß auf die Ladung aus- übte. Ich führe dafür als Beispiele aus einer größeren Reihe die Ver- suche 1 und 2 an. Tabelle IT. Einfluß der 5stündigen Erwärmung und Schüttelung auf die physikalisch-chemi- schen Eigenschaften des Pferdeserums. Ober- Fällbarkeit mit Serum Behandlung en PH flächen- S ar zu. == eschw. spannung | (NH,),SO, Alkohol A Zimmertemp. 40,0 7,76 29,2 0,33 0,46 B 990 ohne Schütt. 42,0 7,76 29,4 0,35 0,44 C mit Schütt. 41,5 7,76 29,4 0,33 0,42 D 49° Johne Schütt. 9,0 7,56 Bari 0,38 0,52 E \mit Schütt. 9,0 7,35 27.0.5.10.0,38 0,54 Kataphorese. La(N0,); | B c D E | I aa 2750 | Ir ER) an gan Ban | ae a5 == == Mao | + 4 — + m 1750 | = ar SE ar M/ 1500 | rar Zlecim SF em 586 T. Kanai: Tabelle II. Einfluß der 5stündigen Erwärmung und Schüttelung auf die physikalisch-chemi- schen Eigenschaften des Pferdeserums. Ober- | Fällbarkeit mit Serum Behandlung Sediment. flächen- | en | Geschw. spannung | (NH,)SO, Alkohol N 99. | Ohne Schütt. 65,0 27,3 0,28 0,63 B | mit Schütt. 65,0 DD 0,31 0,64 C 49° ohne Schütt. 14,0 26,1 0,29 0,66 D mit Schütt. 16,0 26,6 0,34 | 0,68 Kataphorese. ; La(N0,), | A | B c D M/g500 | Sr | Sa ME a ei 2000 | air al TE BE M/ 1750 nz | Ir zii mie M/ 500 te RER ie: = Ar Versuch 1 zeigt, daß, wie fast immer, die Sedimentierungsgesch win- digkeit in dem mehrere Stunden lang auf 22° erwärmt gewesenen Serum ein wenig größer ist als in dem Serum von Zimmertemperatur, daß die Vorwärmung bei 42° dagegen die Sedimentierungsgeschwindigkeit ganz gewaltig erniedrigt. Das Schütteln hat keinen Einfluß gehabt. Auch in der Ladung zeigt sich zwischen der Wirkung von 22° und 42° ein deut- licher Unterschied. Eine geringe Ladungsdifferenz bewirkte hier an- scheinend auch die Schüttelung bei 42°. Noch deutlicher ist das Ergeb- nis von Versuch 2, nämlich starker Einfluß der Erwärmung, so gut wie kein Einfluß des Schüttelns, beides bezogen auf Sedimentierung und Ladung. Da Füähraeus bei menschlichem Blut feststellte, daß Zitratplasma sich gerade so verhält wie Serum, so wurde auch dieses geprüft, aber mit keinem anderen Erfolg, wie Versuch 3 lehrt. Tabelle III. Versuch mit Blutplasma. N Sediment. | Ober- | Fällbarkeit mit Behandlung Geschwind. | flächen- | PH - ————————— nach 30° | spannung | | (NH,):SO, | Alkohol 90 f ohne Schütt. | 49,0 | Sul | 7,64 0,16 0,12 ““ Umib Schütt. | 5,0 | 338, | 7,62 0,18 0,16 495 J Ohne Schütt. | 8.0, DD 758 0.197 os | mit Schütt. 6,0 33.410 | 7350, 1:20 a2 oe Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 587 Kataphorese. || yar r Er Zr 2 FI Sr 22° ohne 22° mit 42° ohne 42° mit La(NO,) | Schütt. Schütt. Schütt. | Schütt. - Er EN are u N u irren 3000 | ac Fe; ER | CKT os | Ar =} Fer | Fr M/go50 | Air St en | SE M/ sooo Zi SF ie | ai 500 Zar rar = | E= Schließlich wurde auch auf Führaeus Erfahrung zurückgegriffen, daß Vorwärmung und Schüttelung von defibriniertem Blut als ganzem die Sedimentierungsgeschwindigkeit ungefähr ebenso verändert wie die ent- sprechende Behandlung des Serums allein. Aber es gelang abermals (s. Versuch 4), gut nur die Stabilisierung durch 42°, während das Schüt- teln bei 42° den Wärmeeinfluß höchstens ganz wenig rückgängig machte. Die Ladungsverhältnisse entsprechen dem ungefähr. Tabelle IV. Versuch mit defibriniertem Blut. | Sediment. O ser- Fällbarkeit mit Behandlung Geschwind. flächen- m nach 30° spannung | (NH,),SO, Alkohol 990 f ohne Schütt. | 57,0 29,4 0,29 | 0,60 ne Ertit Schütt |) 56.0.7 122.091. 002702102°056 49° f ohne Schütt. 10,0 28,6 0,33 0,70 \ mit Schütt. || 16,0 28,2 0,28 0,62 Kontrolle 53,0 296 008 | 06l Kataphorese. 22° ohne 22° mit 42° ohne 42° mit Ta(NO,, Bent Schütt. Schütt. Schütt. Schütt. a + — . - N g50 | Ar jr Fer TE ar | Ir aim zie | _ -- 3000 | SF aim Sr SE SF a ee + Es gelang also nicht oder nur andeutungsweise, den von Füähraeus angegebenen Einfluß des Schüttelns auf die Suspensionsstabilität wieder- zufinden. Der Grund ist wahrscheinlich der folgende: Fähraeus ver- wendete Blut von ‚Serum-Pferden‘, also Tieren, die zur Gewinnung von Immunserum vorbehandelt waren und infolgedessen wahrscheinlich einen ganz besonders hohen Globulingehalt hatten, während das Blut für meine Versuche aus dem Schlachthof bezogen wurde. Wir werden aber gleich sehen, daß sich der Schüttelungseinfluß bei reinen Globulinlösungen ganz gut nachweisen läßt. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 38 588 T. Kanai: 2. Untersuchungen an erwärmten und geschüttelten reinen Biweiß- lösungen. Ich ging nun daran, die Blutflüssigkeit in ihre einzelnen Frak- tionen zu zerlegen. Fibrinogen wurde durch Fällung in zu 27%, gesät- tigter Ammonsulfatlösung gewonnen, die Gesamtglobuline durch Halb- sättigung, das Albumin durch Vollsättigung. Die Globuline wurden dann nach Wiederauflösung durch Dialyse getrennt; Euglobulin fällt bei der Dialyse aus, Pseudoglobulin bleibt in Lösung. Die Lösungen der so gereinigten Eiweißkörper wurden schließlich durch Ammonsulfat blutisotonisch gemacht. a) Gesamtglobuline: Die Übersicht über Versuch 5 zeigt einen Ver- lauf, wie wir ihn etwa soeben für defibriniertes Blut feststellten: starker Wärmeeinfluß, kleiner Schüttlungseinfluß. Tabelle V. Versuch mit Globulin-Sol. Globulingehalt — 5%. | ' Ober- Fällbarkeit mit Serum | Behandlung Sediment. flächen- PH u | ı Geschwind. | „nannung | (NH,):SO, | Alkohol A Zimmertemp. 50,0 22,7 6,72 0,26 0,22 B | 990 ohne Schütt. 48,0 22,7 6,70 0,26 0,23 Ge mit Schütt. 51,0 22,5 6,83 0,26 0,23 Dez 49° ohne Schütt. 2130 22,6 6,60 0,28 0,24 E mit Schütt. 25,0 22,0 6,63 0,29 0,26 N Kataphorese. La(N0,), A B © D B mM 1750 IE vr: er Rs, u M/ 500 ar ale 2 m IE M/1250 Se m eis z et M/ 000 Ar taz ARE ar SF b) Viel deutlicher ist der Einfluß bei Pseudoglobulin, für den in Versuch 6 ein Beispiel gegeben wird. Hier gelingt es in der Tat, so wie Führaeus es für Serum angibt, die starke Verkleinerung des sedimentierenden Ein- flusses durch Erwärmen auf 42° durch gleichzeitiges Schütteln rück- gängig zu machen, und die Versuchsübersicht lehrt zugleich, daß mit der durch das Schütteln erhöhten -Instabilisierung eine Erniedrigung der negativen Ladung Hand in Hand geht. Tabelle VI. Versuch mit Pseudoglobulin-Sol. Pseudoglobulingehalt = 5,38%. | Ober- | Umiade- Fällbarkeit mit Behandlung 5 hwi d | flächen- punkt für — = | Geschwind. | „nannung La(NO,); (NH,).SO, Alkohol Zimmertemp. | 38,0 26,5 M/, 000 0,27 0,30 990 f ohne Schütt. | 35,0 26,4 en 0,29 0,30 l mit Schütt. .|. 41,0. | 25,8 . | soo 0,28 0,30 ygo J Ohne Schütt. | 18,0 | 26,2 m/s 0,30 0,41 | mit Schütt. | 36,0 DS | mn 0,32 0,46 Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 589 c) Demgegenüber war in Euglobulin-Lösung die Sedimentierungs- geschwindigkeit zu gering, als daß sich genauere Messungen durchführen ließen, wie Versuch 7 zeigt. Tabelle VII. Versuch mit Euglobulin-Sol. Euglobulingehalt — 1,09%. Behandlung Sediment. ER an = | Geschwind. | nannung | (NH,),SO, | Alkohol 99° { ohne Schütt. 3,0 28,5 0,62 0,30 mit Schütt. 2,0 28,1 | 0,59 0,27 49° f ohne Schütt. 1,0 24,9 0,62 0,31 il mit Schütt. 1,0 24,4 0,60 0,26 Dies Ergebnis rührt aber wohl nur davon her, daß die Euglobulin- lösungen zu instabil sind, als daß sie in genügend hoher Konzentration herzustellen wären. Die in Versuch 7 verwendete Euglobulinlösung war ungefähr I prozentig. Versuch 8 lehrt aber, daß dieselbe Pseudoglobulin- lösung, die in Versuch 6 mit einem Gehalt von 5,38% starke Sedimen- tierung herbeigeführt hatte, auf 1% verdünnt auch nur sehr schwache Wirkung äußert. Tabelle VIII. Sedimentierungs-Geschwindigkeit in 1,0 proz. Pseudoglobulin-Sol. Sediment. 22° ohne | 2° mit | 42° ohne | 42° mit Geschwind. Schütt. Sehütt. Schütt. Schütt. nach 10 Min. | en : 38 | 0) 10 nach 30 Min. | | 1,0 | 2,0 nach 14 Std. | io. ü n i 18,0722.25,0 Auch Versuch 9 belehrt über die große Abhängigkeit der Sedimen- tierungsgeschwindigkeit von der Konzentration. Tabelle IX. Sedimentierungs-Geschwindigkeit in Pseudoglobulin-Sol bei zentration (in %). verschiedener Kon- Sediment. | oo ; ; | : 5 0 este. | 20/0 | 3% | 4% | 5% 1 6% | 8%, nach 5Min. | 0 0 | 2,0 | 4,0 | 0 | 19,0 nach 20Min. | 0 | 30 | 5,0 100 | 14,0 | 46,0 nach 30Min. | 1,0 | 5,0 | 15,0 | 22,0 | 35,0 | 59,3 d) Fibrinogen-Lösungen zeigen wiederum, wie die Lösungen von Pseudoglobulin, nicht bloß den starken Einfluß der Erwärmung, sondern auch eine recht kräftigen Schütteleffekt, wie Versuch 10 lehrt. Hier ist aber auch das Schütteln bei 22° schon deutlich wirksam. Ladung und Sedimentierung werden wieder parallel verändert. 38* 590 T. Kanai: Tabelle X. Versuch mit Fibrinogen-Sol (2,2%). Sediment. 22° ohne | 22° mit | 42° ohne |. 42° mit Geschwind. Schütt. Schütt. | Schütt. | Schütt. nach 5 Min. | 12.0, 20 | on nach 20 Min. | 48,0 61,0 | 12,0 16,0 nach 30 Min. | 63,0 650 | 132022 2910 Fällbarkeit mit (NH,),SO, und Alkohol. | 22° ohne | 22°mit | 42° ohne | 42° mit | Schütt. | Schütt. Schütt. | Schütt. (NH,):SO, 014 | .023 | 0,26 0,28 Alkohol 012, 1.1.05, .0019 0,21 Kataphorese. ; | 22° ohne | 22° mit | 42° ohne | 42° mit Lande): | Schütt. | Schütt | Schütt, Schütt. m z500 | any ans NE M/z000 Nez: an & EYER Are M 9500 EN eis | TOR ran M/goo0 | zu air | Fan ER M 1750 | SR SF | SE Da "1500 I u | Tag | ai M/ 1950 SFr SFr | IE Sp 1000. ll stone Stets jr ale: e) Die Albumin-Lösungen sedimentieren, wie schon Führaeus zeigte, sehr langsam. Immerhin läßt sich auch bei ihnen wenigstens der Er- wärmungseinfluß demonstrieren, wie Versuch 11 zeigt, und die Ladung ändert sich auch entsprechend. E Tabelle X1. Versuch mit Albumin-Sol (0,95 %). Sediment. Geschwind. | Ober- |Umladungs- Fällbarkeit mit Behandlung = ae EL ACHEN-IE DUNKLE LEN | EEE TEE | nach 30° | nach 2h | Spannung La(NO,), (NH,),SO, Alkohol IT 1 ] 99.[ Ohne Schütt. 0 3,0 A LE) 0,63 “= | mit Schütt. 0 3,0 20,0 | Miro: | 0,60 0,62 49° .„J ohne Schütt. 0 1,0 20,4 Ms | 0,64 0,69 I mit Schütt. 0 1,0 19,8 M/ 1950 0,70 0,71 Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß durchweg jede stärkere Ande- rung der Sedimentierung der Blutkörperchen mit einer Anderung ihrer Ladung einhergeht in dem Sinn, daß der Zunahme der Sedimentierungs- Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 591 geschwindigkeit eine Abnahme der Ladung entspricht und umgekehrt. Es wird dadurch in hohem Maße wahrscheinlich, daß die Änderung der Sedi- mentierung in erster Linie ein capillarelektrisches Phänomen darstellt, wie das auch aus den neuen Untersuchungen von Mond!) aus dem Kieler Institut hervorgeht. Es erhebt sich nunmehr die Frage, wie wir uns den verschieden ent- ladenden Einfluß der Eiweißkörper vorzustellen haben, und wie wir den Einfluß von Erwärmen und Schütteln auffassen sollen. Zur Beant- wortung dieser Fragen wollen wir zunächst die weiteren, bisher noch nicht erörterten physikochemischen Daten ins Auge fassen, die in den tabellarisch wiedergegebenen Versuchen mit enthalten sind. Betrachten wir zuerst die Änderung der Oberflächenspannung, so finden wir, daß die Oberflächenspannung meistens durch die Erwärmung auf 42° im Verhältnis zu 22° erniedrigt wird. Diese Temperaturfunktion geht besonders deutlich aus dem folgenden Versuch 12 hervor, in dem eine größere Zahl von Temperaturen zwischen 9° und 49° in ihrem Ein- fluß auf Pferdeserum untersucht wurde. Tabelle XII. Einfluß der Erwärmung von Pferdeserum. Ba Team open Temp. | Geschwind.| flächen- PH — | nach 30° | Spannung | | (NH,).50, | Alkohol 9 | ar0 23,6 mes 036 10 lese 43:5 23,41. 7,68 0,382, .0,50 20 | 440 23,4 7,70 0,32 0,48 Bao A505 236 0,32 0,49 2a. BR 0,52 33. Bee Bo De as 2180 210 930. 7700138 0,54 39 15,5 22,9 os, 05907 058 2.2110 0555. | mes 0,39 0,62 45 | 10,5 2230 10.0063 0,39 | 0,63 49 | 185 2100, 0740 039 | 0,63 Die Oberflächenspannung bleibt in diesem Versuch ebenso wie die Sedimentierung bis zu 22° hoch und sinkt dann kontinuierlich ab. Meist steigt die Oberflächenspannung durch die Vorwärmung auf 22° ein wenig gegenüber dem Verhalten bei Zimmertemperatur, wie aus den ebenfalls an Pferdeserum ausgeführten Versuchen 13, 14 und 15 ersichtlich ist. Dem geht meistens auch eine kleine Steigerung der Sedimentierungs- geschwindigkeit, auf die schon S. 586 bei Besprechung von Versuch 1 aufmerksam gemacht wurde, parallel. 1) Siehe die vorangehende Mitteilung. 592 NaRKanaız Tabelle XIII. Einfluß der Erwärmung von Pferdeserum. Sediment.- Ober- | Fällbarkeit mit Temp. | Geschwind.| flächen- | nach 30° | Spannung | (NH,),S0, | Alkohol 18 43,0 29,2 7,66 0,36 0,46 22 47,0 29,4 7,68 0,31 0,40 42 12,5 28,1 7,45 0,38 0,52 Kataphorese. La(NO,); 18° 22° 42° M/g500 BR SE Er MM /g000 un = 3 M/1500 a a Aa mn | + ode MM / 1000 eig Aiazir Te Tabelle XIV. Einfluß der Erwärmung von Pferdeserum. Sediment.- Ober- Fällbarkeit mit, Temp. | Geschwind.| flächen- PH = | nach 30° | Spannung (NH,)S0O, | Alkohol 19 530 |, 25 zo, 0. 00 22 .60,0 28,8 | 7,66 | 0,32 0,41 42 6,0 27,4 | 7,42 0,42 0,59 La(NO,), 19° 2° - | 42° / 3500 | Au PRER FR "3000 a; Zar DT M/g500 em = a Mm /2000 SE als En Mm /1750 as iz 2 | + | ++ | + M/ 000 nr Ar anal Tabelle XV. Einfluß der Erwärmung von Pferdeserum. | Sediment.- | Ober- Fällbarkeit mit Temp. | Geschwind. PH flächen | nach 30° Spannung | (NH,),S0, | Alkohol 180 230 2 Was 255 037.1 055 22 | 25,0 7,53 23,5 0,32 0,38 38 | 9,0 7,25 23,1 0,39 0,42 2 | 70 6,95 22,2 0,41 0,48 49 10,0 6,90 21,9 0,43 0,58 Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 593 Die Oberflächenspannung ist aber doch nicht bestimmender Faktor bei der Sedimentierung. Dagegen spricht erstens, daß sie auch unter dem Einfluß so hoher Temperaturen noch weiter absinkt, daß die Sedimen- tierungsgeschwindigkeit beieits wieder zunimmt. Dies lehren z. B. Ver- such 12 und Versuch 15. Zweitens sinkt die Oberflächenspannung in dem Temperaturintervall von 22° bis 42° meist durch das Schütteln, während die Sedimentierungsgeschwindigkeit entweder ungeändert bleibt oder steigt; das lehren z. B. die Versuche 1 bis 7 und 11. Er- wärmen und Schütteln wirken hier also gleichsinnig, in bezug auf die Sedimentierungsgeschwindigkeit aber gegensinnig. Betrachten wir weiter die Änderung der Fällbarkeit des Biweißes mit Ammonsulfat und Alkohol! Es zeigt sich, daßdie Änderung im großen ganzen der Änderung der Oberflächenspannung parallel geht, und zwar entspricht einer Erniedrigung der Oberflächenspannung eine Erniedrigung der Fäll- barkeit. Dies wird durch folgendes bewiesen: 1. Wie die Versuche 12—15 lehren, nimmt die Fällbarkeit durch Vorbehandlung bei 22° zu, von da ab sinkt sie mehr und mehr; sie steigt auch nicht wieder, wenn oberhalb 42° die Sedimentierungsgeschwindigkeit wieder zunimmt. 2. Schütteln der Eiweißlösungen bei 42° hat wenigstensin der überwiegenden Zahl der Fälle (s. Versuch 1, 2, 3, 5, 6 und 11) den Effekt, daß die Fällbarkeit abnimmt, wie auch die Oberflächenspannung infolge des Schüttelns abnimmt. Auch die Wasserstoffionenkonzentration ist wohl mit den gleichen Vorgängen verbunden, welche Oberflächenspannung und Fällbarkeit verändern. Nach Versuch 12—15 steigen die ?7-Werte, wenn das Serum der Temperatur von 22° an Stelle der Zimmertemperatur ausgesetzt wird und sinken von 22° an mehr und mehr. Über den Einfluß des Schüttelns kann mangels einer genügenden Zahl von Beobachtungen nichts Abschließendes gesagt werden. Die Frage, welche Eigenschaften der Eiweißkörper es sind, von denen die Sedimentierungsgeschwindigkeit abhängt, ist also bisher nicht beant- wortet. Denn die eben erörterten Änderungen, die die Biweißlösungen durch Erwärmen und Schütteln erfahren, gehen nicht durchweg mit den Änderungen der Sedimentierungsgeschwindigkeit symbat. Trotzdem müssen wir natürlich fragen, was die Änderungen der Oberflächenspan- nung, der Fällbarkeit und der H'- Konzentration bedeuten, und da ist viel- leicht wegweisend die Bestimmung des Reststickstoffs. Der Reststick- stoff nimmt nämlich sowohl durch Erwärmen als auch durch Schütteln zu, wie der Versuch 16 (S. 594) lehrt. Man darf sich also vielleicht vorstellen, daß durch die Erwärmung das Eiweiß etwas gespalten wird, daß dabei Produkte entstehen, die erstens die Oberflächenspannung erniedrigen und zweitens schwerer fäll- bar sind als das unveränderte Eiweiß. Durchschüttlung könnte sehr wohl diesen (fermentativen oder bakteriellen) Vorgang beschleunigen, 594 T. Kanai: Tabelle X VI. Einfluß der Erwärmung und Schüttelung von Pferdeserum auf Fällbarkeit und Reststickstoffmenge. | Sediment. -Geschwind. | 22° ohne 22° mit | 42° ohne | 42° mit all; Schütt. | Schütt. | Schütt. | Sehütt. } Kg 2] | nach: 30 Min. | 48,0 | 480 |. 100 | 100 Reststickstoffmenge. | 22° ohne 2° mi zum | Schütt ie Schütt. 43° ohne Schütt. 42° mit Schütt. Rest- N. in 100 cem | 0,0149 0,0185 0,0197 0,0235 0,0197 | 0,0235 Serum in Gramm }| 0,0143 | 0,0189 Fällbarkeit. x || 22° ohne | 22° mit | 42° ohne | 42° mit Ballunemiı | Schütt. | Schütt. | Schütt. | Schütt. (NH,),SO,| 0,37 0.34, 7053 7055 en 0,42 | 052 | 054 Theorie der Sedimentierung. Wie wirken denn aber die Eiweißkörper je nach ihrer Art und je nach Erwärmung und Schüttelung verschieden stark entladend auf die Blut- körperchen? Für die Beantwortung dieser Frage ist wohl zweierlei zu berücksichtigen, erstens die Flockungstendenz der gelösten Eiweiß- körper und zweitens die verschiedene Lage ihres isoelektrischen Punkts. Wenn man eine Globulinlösung stehen läßt, so setzt sie bekanntlich all- mählich mehr und mehr Niederschlag ab, während eine Albuminlösung einigermaßen klar bleibt. Die Tendenz zur Flockung ist besonders groß bei Fibrinogen. Dies hängt neben anderem wohl mit den verschiedenen Lagen des isoelektrischen Punkts zusammen. Dieser findet sich für Al- bumin bei ?4 = 4,7, bei Globulin bei pP, = 5,4; für Fibrinogen ist seine Lage nicht genau bekannt, die Instabilität seiner Lösungen kommt darin zum Ausdruck, daß es in Gegenwart von Puffern zwischen u = und pp — 9 eine breite Flockungszone bildet!). Entsprechend diesem Verhalten der reinen Eiweißlösungen ist auch die Fällbarkeit von Plasma und Serum verschieden ?2). Man kann danach folgende Vorstellung von der Beeinflussung der Blutkörperchensedimentierung durch die Eiweiß- körper entwickeln: Die durch ausgiebige Waschung von ihrer Eiweißhülle befreiten Blutkörperchen haben nach Beobachtungen von Ley aus dem Kieler physiologischen Institut?) einen isoelektrischen Punkt, der in der 1) Funck, Biochem. Zeitschr. 124, 148. (1921.) 2) Siehe dazu ». Oettingen, ebenda 118, 67 (1921) und Starlinger, ebenda 123, 215. (1921.) ®) Siehe die nachfolgende Mitteilung. Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 595 Gegend von ?y = 3 gelegen ist. Durch die Umhüllung mit den Eiweiß- körpern der Blutflüssigkeit wird die dem entsprechend stark negative Ladung gegen den Neutralpunkt hin verschoben, um so mehr, je glo- bulinreicher und je albuminärmer das Eiweißgemisch ist. Daß es in der Tat auf Mischung und Prozentgehalt der Eiweißkörper ankommt, ist experimentell leicht zu zeigen, wie etwa die folgenden Versuche 17 und 18 lehren }). Tabelle XVII. Einfluß der Mischung von Pseudoglobulin- und Albumin-Sol. Pseudoglobulin-Sol = 5,5%- Albumin-Sol = 5,2%. A = 1 ccm (5,5%) Pseudoglobulin + 0,5 ccm Blutkörperchen. B = 0,5 ccm (5,5%) Pseudoglobulin + 0,5 ccm (5,2%) Albumin + 0,5 ccm Blutkörperchen. C = 1,0 cem (5,2%) Albumin + 0,5 ccm Blutkörperchen. Sediment.- Geschwind. | > jo) Q nach 30 Min. | 51,0 | 40 m 1250 | | | La(NO,), | a | | | | | Tabelle XVII. Untersuchung der Sedimentierungs-Geschwindigkeit in verdünntem und konzen- triertem Pseudoglobulin-Sol. . | | b mm | 1% | 5% a nach 10° | 0) 20,0 M/ 3000 | 7: ar, nach 20 2,0 | 28,0 M/gr50 | TER = nach 30° | 30 | 3230 M/o500 707 7 5000 Fe ei M/ 500 == rar W/ 1000 Car en = alle - Die umhüllenden Eiweißkörper erteilen also den Blutkörperchen ihre Flockungstendenz; die Fibrinogenblutkörperchen agglutinieren leicht, wie das gelöste Fibrinogen selber, die Albuminblutkörperchen aggluti- nieren schwer wie das gelöste Albumin selber. Zur Agglutination bedarf es aber nicht der Entladung auf das Potential 0, sondern gerade so wie bei anorganischen Solen genügt eine Entladung bis zu einem gewissen !) Siehe auch die Mitteilung von Mond. 596 T. Kanai: kritischen Potential, damit die Flockung einsetzt, und im Blut mit seiner neutralen Reaktion befinden sich die mit Globulin beladenen Blutkör- perchen bereits in dem für die Flockung kritischen Reaktionsgebiet, die mit Albumin beladenen Blutkörperchen noch nicht. Was bewirken dann Erwärmung und Schüttelung an den Eiweißkörpern der Blutflüssigkeit? Die Frage kann noch nicht ganz klar beantwortet werden. Führaeus hat schon gefunden, daß im allgemeinen diejenige genuine Blutflüssigkeit die höchste Sedimentierungsgeschwindigkeit ver- anlaßt, welche die größte innere Reibung hat, und daß danıit zusammen- hängt, daß Fibrinogenlösungen viscöser sind als Globulinlösungen und diese wieder viscöser als Albuminlösungen. Auch dies dürfen wir wohl — mindestens zum Teil — als Ausdruck der verschiedenen Lage der isoelek- trischen Punkte auffassen. Fähraeus hat aber auch schon die interes- sante Feststellung gemacht (s. S. 584), daß, wenn man die innere Reibung von Sera untersucht, die bis zu 42° erwärmt wurden, die Reibung sich trotz der starken Herabsetzung des sedimentierenden Einflusses als so gut wie gar nicht verändert erweist. Das ist nun anders, wenn man statt der Sera wieder die reinen Eiweißlösungen untersucht. Dann zeigt sich, daß die innere Reibung von Globulinlösungen durch Erwärmen sowohl wie durch Erwärmen kombiniert mit Schütteln gleichsinnig mit der Sedimentierungsgeschwindigkeit verändert wird. Dies lehrt die fol- sende Tabelle. Tabelle XIX. Sedimentierungsgeschwindigkeit und innere Reibung beim Pseudoglobulinsol. (A) Versuche mit 6,13% Pseudoglobulinsol. Sediment.- Innere Reibun aa: | Geschwind. nach 807 bei 15,8° = 14 45,0 197,8” 22 46,0 203,4” 32 39,0 199,6” 42 ohne Schütt. 16,0 192,0” 42 mit Schütt. 45,0 202,0” (B) Versuch mit 4,29% Pseudoglobulinsol. nn Sediment.- Innere Reibung enineralut Geschwind. nach 307 bei 15° 15 | 36,0 209,87 22 38,0 211,8” 32 15,0 209,2” 42 ohne Schütt 8,0 208,07 42 mit Schütt. 36,0 DAL 3eide Versuche beziehen sich auf lange dialysiertes Pseudoglobulin- sol, das mit 0,9% NaCl isotonisch gemacht ist, Man sieht, daß Vor- Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. 597 wärmung auf 22° Reibung und Sedimentierung etwas steigern, daß dann nach Vorwärmung bis zu 42° Reibung und Sedimentierung abnehmen, und daß Schütteln bei 42° diese ohne das Schütteln eintretende Ab- nahme verhindert. Man kann also sagen, daß bezüglich der inneren Rei- bung — und diese ist nur ein Symptom des Dispersionszusiandes über- haupt — Erwärmen die Globulinlösung albuminartiger macht, und dafß demzufolge auch die Sedimentierungsgeschwindigkeit abnimmt, während gleichzeitiges Schütteln neben dem Erwärmen den Dispersionszustand der Globuline und damit ihre hohe sedimentierende Kraft erhält. Wenn am Serum diese Beziehung zwischen Reibung und Sedimentierung nicht in Erscheinung tritt, so ist das von der komplizierten Zusammensetzung des Serums, namentlich auch von seiner anorganischen Zusammenset- zung abhängig; wir werden darauf bei anderer Gelegenheit zurückkom- men. | Ziehen wir zum Schluß das Fazit aus den beschriebenen Versuchen, so haben sie unzweideutig gelehrt, daß die Veränderung der Sedimentie- rungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen im Blut in erster Linie ein capillarelektrisches Phänomen darstellt, d. h. daß die Suspensionsstabi- lität des Blutes eine Funktion der elektrischen Ladung der Blutkörper- chen darstellt, und vieles spricht dafür, daß die elektrische Ladung von denjenigen Eigenschaften der in der Suspensionsflüssigkeit enthaltenen Eiweißkörper abhängt, die sie als Kolloidelektrolyte besitzen. Inwieweit daneben noch andere Faktoren eine größere Rolle spielen, ist noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Führaeus, Linzenmeier und Kürten!) haben angegeben, daß durch Zusatz von Gelatine, Gummi, Agar und Chole- sterinemulsion die Sedimentierungsgeschwindigkeit gesteigert werden kann; es bleibt zu fragen, ob das auch in Abwesenheit von Eiweiß ge- schieht, und wie weit diese Einflüsse mit der hier entwickelten capillar- elektrischen Theorie vereinbar sind. Zusammenfassung. Wenn man Serum mehrere Stunden auf 26°—42° erwärmt und danach-Blutkörperchen in dem Serum suspendiert, so zeigt sich, daß die Sedimentierungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen durch das Vor- wärmen vermindert ist, desto mehr, je höher die Temperatur war; wenn man aber während des Vorwärmens das Serum schüttelt, so bleiben seine sedimentierenden Eigenschaften ungeändert (Fähraeus). Es wird nun nachgewiesen, daß der Einfluß von Erwärmen und Schütteln die Globu- line (Fibrinogen, Pseudoglobulin) betrifft, und daß den Einflüssen auf die Sedimentierung Einflüsse auf die elektrische Ladung der Blutkörper- chen parallel laufen; jede Verminderung der Sedimentierung hängt mit 1) Kürten, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. 185, 248. (1920.) 598 T.Kanai: Zur Theorie der Sedimentierung der roten Blutkörperchen. einer Vergrößerung, jede Vermehrung der Sedimentierung mit einer Verkleinerung der negativen Ladung zusammen. Der sedimentierende Einfluß der Globuline ist eine Funktion ihrer Flockungstendenz; indem die Blutkörperchen von den Globulinen umhüllt werden, nehmen sie deren Tendenz zur Flockung an, sie agglutinieren entsprechend. Die Flockungstendenz der Globuline ist aber eine Funktion der Lage ihres isoelektrischen Punkts. Erwärmen schwächt die Globulineigenschaften ab, gleichzeitiges Schütteln wirkt der Abschwächung entgegen. Die mit dem Erwärmen einhergehenden Änderungen von Oberflächenspannung, Fällbarkeit und Wasserstoffionenkonzentration haben mit der Sedime- tierung anscheinend nicht direkt zu tun. Am Schlusse spreche ich Herrn Prof. Dr. Rud. Höber für die liebens- würdige Unterstützung durch Rat und Tat während meiner Arbeit meinen allerverbindlichsten Dank aus. Untersuchungen über die Agglutination der roten Blut- körperchen. Von Richard Ley. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Oktober 1922. Nach den bisherigen Untersuchungen über die Senkungsgeschwindig- keit der roten Blutkörperchen vor allem von Führaeus!) ist als aus- nahmslose Tatsache der Parallelismus dieser Reaktion mit dem Gehalt des Plasmas an labilen Eiweißkörpern, den Globulinen und dem Fibri- nogen, zu verzeichnen. Nur bei Vermehrung dieser Fraktionen kommt es zu beschleunigter Sedimentierung der Erythrocyten und zu Agglu- tination, die als konstantes Merkmal die Voraussetzung für diesen Vor- gang bildet. Durch Führaeus?) und Linzenmeiers?) Untersuchungen im Kieler Physiologischen Institut ist ferner der verschieden entladende Einfluß der Plasmabestandteile auf die Blutkörperchen (Blk.) durch kata- phoretische Messungen sowie ein Zusammenhang zwischen der Ent- ladung und der Sedimentierungsgeschwindigkeit festgestellt worden, wobei man sich die Ladungsverminderung zunächst von der Anwesen- heit kleinerer oder größerer Mengen positiv geladener Substanzen des Plasmas abhängig dachte, die von den Blk. adsorbiert werden und die Sedimentierung sensibilisieren ®). Der Gedankengang meiner Untersuchungen war nun folgender: Wenn man die Agglutination der Blk. als eine Entladung bis zu einem kritischen Minimum deutet, in Analogie zur Flockung eines negativ geladenen hydrophoben Kolloids, so muß die Möglichkeit bestehen, die negative Ladung der Blk. durch die positiven H'-Ionen eines Puffer- gemisches aufzuheben, und wenn die wechselnde Ladung der Bik. von der jeweils verschiedenen Adsorption der einzelnen Eiweißkörper 1) Fähraeus, Acta med. Scandinav. 55. 1921. 2) Führaeus, Biochem. Zeitschr. 89, 355. 1918. 2) Linzenmeier, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181, 169. 1920; 186, 272. 1921. *) Siehe hierzu auch die voranstehenden Veröffentlichungen von Mond und Kanaı. 600 R. Ley: des Plasmas herrührt, so muß diese Verschiedenheit der Ladung auch außerhalb des Plasmas wegen des Anhaftens der Eiweißkörper an der Oberfläche der Blk. in den wechselnden H'-Ionenkonzentrationen zum Ausdruck kommen, die zur Entladung bis zur Agglutination führen, wobei es möglich erscheint, die adsorbierten Eiweißkörper an ihren verschiedenen isoelektrischen Punkten und ihrem spezifischen Flockungs- charakter zu erkennen. Demzufolge wurden die BIk. in ein Puffersystem von isotonischen Phosphatgemischen eingetragen und das Agglutinationsverhalten beob- achtet. Die Verwendung von Acetat-Essigsäurepuffern verbot die bei Py 5,0 bereits eintretende Hämolyse, während bei Anwendung von Phosphatpuffern die Hämolyse nicht früher als bei pp 4,0 in Erschei- nung trat. Methode I: 1 ccm Blk. aus defibriniertem Pferde- bzw. Rinderblut, ungewaschen oder mehrmals mit 0,9proz. NaÜl-Lösung gewaschen, wurden in 7 ccm Phosphatpuffer von pp 6,0 bis 24 3,0 eingetragen. (Die Isotonie der Phosphatmischungen wurde empirisch durch Gefrier- punktsdepression festgestellt.) Puffer und Blk. wurden bis zur gleich- mäßigen Verteilung umgeschüttelt und das Agglutinationsverhalten beobachtet. Danach Abzentrifugieren der Blk. und Bestimmung der Wasserstoffzahl der überstehenden Pufferlösung mittels Gaskette in einer U-Elektrode (nach Michaelis). Das Agglutinationsverhalten der nach dieser Methode untersuchten Blk. war so eindeutig, die Unterschiede so gering, daß wir auf die aus- führlicheren Protokolle verzichten können: I. Pferdeblutkörperchen zeigen bis zu pp 3,7 keine nennens- werte Agglutinationsneigung. Bei ?y 3,7—3,1 erfolgt plötzlich eine starke Agglutination. Bei noch stärkeren H-Konzentrationen tritt sofort starke Hämolyse ein. II. Rinder- sowie Menschenblutkörperchen verhalten sich unter den gleichen Bedingungen fast ebenso wie Pferdeblk. Die Agglutination tritt hier jedoch um weniges später, bei ?p 3,3, in Erscheinung. Diese Resultate entsprechen im wesentlichen den von Kozawa!) gefundenen, der am hiesigen Institut, von ähnlichen Erwägungen aus- gehend, Blk. in Phosphatpuffern kataphoretisch untersuchte. Es ist offensichtlich, daß eine so geringe Differenz der Agglutination zu dem großen Unterschied der Sedimentierungsgeschwindigkeit des Pferde- und Rinderblutes in Widerspruch steht. Wir vermuteten daher, daß durch die Pufferelektrolyte die ursprüngliche Ladung der Blk. völlig übertönt bzw. verändert wird. In der Tat ergaben sich ganz andere Resultate, als die Agglutination nicht im Phosphatgemisch selbst, sondern, nach der Puffereinwirkung, 1) Kozawa, Biochem. Zeitschr. 60, 146. 1914. Untersuchungen über die Agglutination der roten Blutkörperchen. 601 in einer elektrolytfreien Suspensionsflüssigkeit untersucht wurde. Als solche hielten wir eine 9,7 proz. Rohrzuckerlösung am geeignetsten, zumal wir uns von der an sich schon agglutinierenden Wirkung des Rohrzuckers ein stärkeres Hervortreten auch kleinerer Agglutinations- unterschiede versprachen. Leider ist die Wirkungsweise des Rohr- zuckers noch sehr umstritten, und auch eigene Untersuchungen führten zu keinem abschließenden Urteil. Verwendet wurden nur frisch be- reitete Lösungen mit einem pp 6,80 bis p7 6,90. Es zeigte sich nun in Vorversuchen, daß z. B. Serumblk., ohne Waschung sofort in die Phosphatgemische eingetragen, abzentrifugiert und in Rohrzuckerlösung suspendiert, komplizierte, auch variable Asglutinationskurven ergaben, deren Deutung vorerst unmöglich er- schien. Wir nahmen an, daß dies von den den BIk. anhaftenden Eiweiß- resten des Serums herrühre, und strebten daher nach Erzielung einer möglichst weitgehenden Eiweißfreiheit der Blk.-Oberfläche. In der Überlegung, daß die adsorbierten Eiweißkörper in ionisiertem Zustand leichter abwaschbar sein dürften, wurde folgender Versuch angestellt: Rinderblk. wurden aus dem Serum scharf abzentrifugiert und gleiche Mengen (je 1 ccm) mit Phosphatpuffern von p% 7,35, Pp 5,37 und ?p 3,63 und mit 0,9proz. NaCl-Lösung 3mal unter kräftigem Durch- schütteln gewaschen, mit Rohrzuckerlösung einmal nachgewaschen und erneut in zwei Puffergemische (A: pp 5,28 und B: p, 4,52) ein- getragen, darin einmal durchgeschüttelt, mit Rohrzuckerlösung nach- gewaschen und in je 6 ccm Rohrzuckerlösung suspendiert. Tabelle 1. A. B. Eingetragen in Puffer | Eingetragen in Puffer Waschlösung PH 5,28 »u 4,52 Phosphatgemisch oder NaCl ’ 2 Ze Agglutination gr Agglutination nachge- . Roh k nachge-| ! Roh k messen | }n Rohrzucker | essen |, u Rohrzucker vn, ea N | 5,33 4,81 (x) DD a 5,33 xx 4,93 IX BEDEESOSE a a ech || 5,33 DEDSIS IS, | 2E00) DE A 09 pro NaCl-Kösung °- : . ..21529 | x xxx |497 | xxx Das geringe Agglutinationsvermögen der mit p% 7,35 gewaschenen Blk. läßt darauf schließen, daß bei dieser Reaktion die Ablösung der adsorbierten Eiweißkörper von der Plasmahaut am besten gelungen ist. Dementsprechend wurde nun folgende Methode IT angewandt: Rinderplasmablk. 5mal mit Phosphatgemisch p}, 7,4 gewaschen, 16 Stunden im gleichen Puffer auf Eis suspendiert, dann mit Rohr- zuckerlösung nachgewaschen. Je 0,25 ccm dieser Blk. wurden in je 7 cem Puffer von py 6,0 bis ?4 3,0 eingetragen, abzentrifugiert, mit 602 R. Ley: Rohrzuckerlösung 2mal überschichtet, 45 Minuten unter Rohrzucker- lösung stehen gelassen, abzentrifugiert und in 1,5 ccm frischer Rohr- zuckerlösung suspendiert. Die Agglutination der Blk. nach solcher Vorbehandlung verlief folgendermaßen: Tabelle II. Mit ?H 74 gewaschene Mit mn 7,4 gewaschene Plasmablk. Plasmal:lz. (Rind) (Rind) PH Agglutinntion PH Agglutination 5,90 _ 4,53 — 5,67 — 4,12 xx 5,43 on 3,76 UI 5,20 — 30 X 4,88 — Im günstigsten Falle erhielt ich unter den gleichen Untersuchungs- bedingungen folgende Agglutinationsreihe: Tabelle III. Mit pn 7,4 gewaschene Mit pn 7,4 gewachsene Plasmablk. PlasmablIk. WS (Rind) x (Rind) PH | Agsglutination PH Asglutination 5,93 — 4,56 — 5,71 -— 4,19 — (Hämolyse) 5,47 I: 3,72 Ti ” 5,21 | — 326 En SEX. 4,91 | = Die so gewaschenen Blk. wurden also nach Einwirkung stark saurer Puffergemische agglutinabel. Leider gelingt es nicht immer, eine so regelmäßig ansteigende Agglu- tinationsreihe zu erzielen. Störend ist vor allem die leicht eintretende Hämolyse bei stärkeren Waschungen, eine Gefahr, die durch Verdünnen des Puffers mit physiologischer Kochsalzlösung etwas gemildert werden kann. Inwieweit nach solchen foreierten Waschungen Permeabilitäts- änderungen durch Loslösen von Eiweißkomplexen und Mitbeteilisung der Binneneiweißkörper eine Rolle spielen, bedarf noch der Unter- suchung. Frische Rinderplasmablk. aus Citratblut ergaben die besten Resultate. Dafür spricht auch folgender Versuch: l. Rinderplasmablk. 5mal mit 7 7,4 gewaschen, 10 Stunden im gleichen Puffer auf Eis suspendiert, mit Rohrzuckerlösung nachge- waschen, in Pferdeserum suspendiert. Als Kontrolle dienten: 2. Un- gewaschene Rinderplasmablk., scharf abzentrifugiert. 3. Rinderplasma- blk. 3mal mit 0,9proz. NaCl-Lösung unter energischem Schütteln gewaschen: Untersuchungen über die Agglutination der roten Blutkörperchen. 603 Tabelle IV. IE II. II. 0,2 ccm mit pm 7,4 ge- 0,2 ccm ungewaschene, 0.2 ccm 3x mit 0,9 proz. waschene Rinderblk. scharf abzentrifugierte NaCl-Lösung gewaschene + 0,3 ccm Pferdeserum Rinderblk. + 0,5 ccm Rinderblk. + 0,8 ccm Pferdeserum Pferdeserum S.-G. nach 15’: 20 mm | S.-G. nach 15°: 0 mm | S.-G. nach 15°: 0 mm Die Rinderblk. verlieren demnach nach völliger Ablösung der ursprünglich ihnen anhaftenden Eiweißkörper in dem schwach alkalischen Phosphatpuffer ihre spezifisch langsame Sedimentierungsgeschwindig- keit und nehmen im Pferdeserum den Sedimentierungscharakter von Pferdeblk. an. Die Waschung mit Kochsalzlösung genügt dafür nicht. Die Bedeutung der anhaftenden Eiweißkörper für das artspezifische Verhalten bei der Sedimentierung charakterisiert auch folgender Ver- such: Suspendiert man mit 95 7,4 gewaschene Pferdeblk. 1. in einem Globulinsol (ca. 1,5%); 2. in einem Albuminsol (ca. 1,3%); 3. in einem Gemisch von 2 Teilen Globulin und 1 Teil Albumin für die Dauer von 24 Stunden bei niedriger Temperatur, zentrifugiert bis zum konstanten Volumen ab, suspendiert sie in gleicher Menge Pferdeplasma, so verhält sich die Sedimentierungsgeschwindigkeit in folgender Weise: Tabelle V. Ik I. III. 0,3 ccm Globulinblk. 0,3 ccm Albuminblk. 0,3 cem Globulin-Albumin- + 0,7 cem Pferdeplasma + 0,7 ccm Pferdeplasma blk. +0,7 ccm Pferdeplasma S.-G. nach 15°:27mm | 8.-G. nach 15:13 mm | 8.-G. nach 15°: 24 mm Der Unterschied der Sedimentierung von Albumin- und Globulinbik. erweckt den Anschein, als hätten wir es hierbei mit dem gleichen Vor- gang zu tun, wie bei der Suspension von B!k. aus albuminreichem Rinderblut in globulinreichem Pferdeplasma; das reichlich den Blk. anhaftende Albumin hebt die stark beschleunigende Wirkung des Plasmaglobulins auf. Nach diesen Vorversuchen wurde nun geprüft, wie sich die Agglu- tination von mit 9% 7,4 Phosphat gewaschenen Blk. gestaltet, nachdem sie in verschiedene Eiweißsole eingetragen waren. Es wurden untersucht: 1. Mit pn 7,4 gewaschene Pferdeblk. nach Suspension in einem Globulinsol (Globulinblk.). Das Globulin wurde durch Halbsättigung mit Ammonsulfat aus Pferdeserum gefällt, 5 Tage gegen fließendes Wasser, 2 Tage gegen Aqua destillata dialysiert und mit Kochsalz zur Isotonie gebracht. Mit BaÜl,-Lösung noch leichte Trübung. Pr 6,60. 5 ccm der Blutkörperchen wurden in 15 ccm Globulinsol suspensiert. Prüfung der Sedimentierungsgeschwindiskeit ergab zunächst keine Beschleunigung. Nach Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 39 604 R. Ley: 24 Stunden war leichte Aggregatbildung und deutliche Sedimentierung vor- handen. Die Blutkörperchen wurden dann aus dem Globulinsol abzentrifugiert, je 0,25 ccm Blutkörperehenbrei in die Zentrifugengläser eingetragen. Vorsichtiges Überschichten von je 7 ccm Puffergemisch der Pufferreihe. Nach 30 Minuten Abzentrifugieren der Pufferlösungen zur elektrometrischen Messung. Über- schichten der Blutkörperchen mit zweimal je 10 ccm frisch bereiteter Rohrzucker- lösung (pa 6,8) und Stehenlassen unter Rohrzucker mindestens 45 Minuten, Ab- zentrifugieren und Suspension der aufgeschüttelten Blutkörperchen in je 1,5 cem Rohrzuckerlösung. Beobachtung der Agglutination in gleichweiten Röhrchen. 2. Mit pp 7,4 gewaschene Pferdeblk., nach Suspension in einem Albuminsol (Albuminblk.). Das Albumin wurde in bekannter Weise durch Ammonsulfat aus Pferde- serum gefällt, 12 Tage gegen fließendes Wasser, 2 Tage gegen Aqua destillata dialysiert, mit Kochsalz isotonisch gemacht. Leichte Trübung mit BaCl,-Lösung. Pr 6,4. Nach 24stündigem Verbleiben der Blutkörperchen im Sol bei niedriger Temperatur Untersuchung unter den gleichen Bedingungen wie beim Globulin. 3. Mit 25 7,4 gewaschene Pferdeblk. nach Suspension in einem Gemisch von 2 Teilen Globulin und 1 Teil Albumin. Untersuchung nach gleicher Methode. 4. Mit 9% 7,4 gewaschene Pferdeblk. nach Suspension in einem Fibrinogensol (Fibrinogenblk.). Das Fibrinogen wurde durch !/,-Sättigung mit Ammonsulfat aus Citrat- Pferdeplasma ausgefällt, 5 Tage gegen 0,9%, NaCl-Lösung dialysiert. Nach 24stündiger Suspension der Blutkörperchen im Sol Untersuchung der Asglutination in gleicher Weise. 5. Kontrollversuch der mit pp 7,4 gewaschenen Pferdeblk., mehr- mals mit Rohrzuckerlösung ausgewaschen. Die Agglutinationsreihen 1—5 zeigten folgenden Typus: ‚Tabelle VI. (Methode II. Dazu Abb. 1.) Ih, II. II. VI. V. Mit pp 7,4 ge- waschene Blk. : 5 ; Globulin- ARE: GlobulinbIk. Albuminblk. Annan Fibrinogenbik. PH | Agglutinat. PH |Agglut. PH Asgglut. PH | Agglutination PH Asglut. 5,95 — 5,91 | — | 5,92 — 6,60 (3%) 5,89 _ Bl X) 5,53 — | 5,60 — | 6,06 = 5,54 — 5,50 | x 5,425 548 1586 1x x x 330 5,3] X 5,19 | 5,33 5,50 IE ISDL X 5,08 — 032 KERNE IT KES))ED03 ERE3Z EX 4,88 == DVG az 322° 3% 4,67 _ 4,67 2 5,01 SAILIEHK 4,57 — 4,24 ((x)) 4,13 — | 4,15 — | 4,62 DÜDLDL X 4,12 — 3,54 REX 3,53 — 3,55 — 4,31 X 3,58 — er er a 3,95 SEDLIOX — == er = - BEL N BREI FR 3 Ein Vergleich der Agglutinationsreihen zeigt, daß die nirgends agglutinierenden, nur mit 77 7,4 gewaschenen Pferdeblk. durch die Untersuchungen über die Agelutination der roten Blutkörperchen. 605 Suspension in den verschiedenen Eiweißsolen ihr Agglutinations- vermögen in Rohrzuckerlösung zurückerhalten. Die Agglutinations- stärke verläuft dabei in der Reihenfolge: Fibrinogen > Globulin > Albumin. Aber auch im einzelnen zeigt der Agglutinationsverlauf einen für die einzelnen Eiweißsole spezifischen Charakter: Die Fibrinogenblk. beginnen schon nahe dem Neutralpunkt Ag- glutinationsneigung zu zeigen. Das Maximum liegt bei etwa p% 5,8, um von da ab sich auf gleicher Höhe zu halten. Dieses breite Ag- glutinationsniveau ent- spricht dem breiten Flockungsbereich des xxx Fibrinogens!). Die @Glo- bulinblk. haben unter XXX sanftem Anstieg ihr AKKKX Maximum bei ?% 5,0 xK (bis etwa 4,7); dann | folgt ein rasches Zu- x * rückgehen der Aggluti- S Rn nationaufeinMinimum m Su) bei pn 4,2 \bis etwa NG r une io TE NE a Py 40), darauf eine 66 64 62 6058 56 54 52 5048 46 HU 42 40 38 36 34 b) e) P. i He o erneute Steigerung der Abb. 1. Agglutinationskurven von: Fibrinogenblk. Agglutination bis zu ---- Globulinblk. ------- Albuminblk. ---. Globu- einem zweiten Maxi- lin + Albuminblk. (Nach Methode II.) mum bei 74 3,0. Die stärker sauren Werte sind wegen der durch die Hämolyse bedingten Unsicherheit nicht mit verzeichnet. Die Albu- minblk. agglutinieren nur bei ?4 4,9 (in anderen Fällen bei p4 4,8), und zwar erst nach mehreren Stunden und in ganz geringem Maße. Die Agglutination der Albumin-Globulinblk. trägt auffallenderweise mehr den Charakter der Albuminblk. Eine leichte Verstärkung der Agglutination bei pP 4,7 ist jedoch deutlich vorhanden. Die Wasser- stoffionenkonzentrationen der Agglutinationsmaxima liegen also jeweils im Bereich des isoelektrischen Punktes der verwandten Eiweißsole. Mit einer leichten Verschiebung der Flockungsgebiete war hierbei von vorn herein zu rechnen, nachdem Michaelis und Rona?) den ver- schiebenden Einfluß der Salze auf das p„)-Optimum der Flockung der Eiweißkörper festgestellt haben. Die auf der sauren Seite der Agglu- tination auftretenden Hemmungszonen wird man folgerichtig mit 1) Siehe dazu Funck, Biochem. Zeitschr. 124, 148. 1921. 2) Michaelis und Rona, Biochem. Zeitschr. 94, 225. 1919; Michaelis und v. Szent-G’yörgyi, ebenda 103, 178. 1920. 3 606 R. Ley: einer Peptisation der Eiweißkörper erklären. Es müßten dann die Blk. umgeladen, also positiv sein. Kataphoretisch ließ sich der Nachweis aber nicht führen, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß bei Einbringen der Blk. in ein Medium anderer Reaktion ein anderes Gleichgewicht sich einstellt, und daß die von außen den Blk. aufgelagerten und nur locker haftenden Eiweißkörper, zumal wenn sie peptisiert sind, sich in der Füll- flüssigkeit des Höberschen Kataphoreseapparates leicht ablösen werden. Merkwürdigerweise verläuft die Agglutination nun erheblich anders, wenn man sie unter den soeben beschriebenen Versuchsbedingungen prüft mit dem einzigen Unterschiede, daß die gepufferten Blutkörperchen, anstatt bloß mit Rohrzuckerlösung überschichtet zu werden, einmal unter leichtem Umschütteln mit je l10ccm der Rohrzuckerlösung nachgewaschen werden. (Methode IIT.) Dann erhält man nämlich folgendes Bild. Tabelle VII. (Methode III. Dazu Zub I. I. IV Globulinbik. Albuminbik. Fibrinogenbik. ann nen PH Agglutination PH Agglutination PH | Agglutination PH Asglutination 5,92 Cor em N 6,60 “xx | 5,88 = 5,62 x 5,54 — 6,06 DOXEX 5,54 — 5,52 EX 5,41 — 5,86 XIOXPER NEE (x) 5,35 DEIR 5,22 x 5,50 ITIZICK > 5,28 x 5,10 SE EEIRIL 4,97 RE REX 5,32 | xXKXXXXx 1490 Rx AZ ELSE EDER D 5:01 xXXXX | 448 | DL 4,64 | xXXXXX | 4,55 REXX 4,62 RXXXXH SIERT 4,34 xxxxx | 4,48 KIIDEX 14,3 121. X X XI XI 36 ex (Hämolyse) | 3,95 | xXxxXx | 3,79 xxx 1395 | xxxxXx | 3,37): Hämolyse. (Hämolyse) | AKKKX Das gesamte Agglutina- tionsniveau ist also erstens XXXX ein wesentlich höheres; zwei- tens und vor allem kommen rt aber die Hemmungen auf der sauren Seite des Agglu- e tinationsmaximums in Fort- fall. Der Charakter der ein- ! zelnen adsorbierten Eiweiß- R x körper ist im übrigen noch S überall gut erkennbar. Ver- SEX) gleichen wir z. B. den Agglu- DIL 1X) tinationsbeginn (X ), so liest = dieser für die Fibrinogen- L 7 > , A i RE N El ee oder noch jenseits im Alka- Abb.Z. Agglutinationskurven von: ‘ınrınogen {r TE ee e - — Globulinblk. ------ Albuminblk. »--+»-. Gewa- lischeren, für Globulinblut- schene Blk. (Nach Methode III.) körperchen bei 9% 5,9, für Untersuchungen über die Aeglutination der roten Blutkörperchen. 607 Albuminblutkörperehen bei etwa 975,2. Auch hier spielt sich der agglutinations- verschiebende und -verstärkende Einfluß der Eiweißsole also in der Reihenfolge: Fibrinogen > Globulin > Albumin ab, entsprechend der Lage der isoelektrischen Punkte. Wahrscheinlich ist dieser andersartige Verlauf der Agglutinationskurven auf ein verschieden starkes Haftenbleiben der Eiweißkörper an der Blutkörperchen- oberfläche zu beziehen. Gehen wir nun zu den Versuchen an ungewaschenen Blk. über, an deren Oberfläche also die Gesamtheit der in der Blutflüssigkeit ent- haltenen Eiweißkörper in natürlicher Weise haftet. Wenn man Bik. aus defibriniertem Pferdeblut abzentrifugiert, in die verschiedenen Puffergemische einträgt, wiederum abzentrifugiert und sie nun entweder, wie bei Methode II (S. 601), mit Rohrzucker- lösung überschichtet oder sie, wie bei Methode III (S. 606), mit der Rohr- zuckerlösung wäscht, so erhält man folgendes eigenartiges Bild: Tabelle VIII. I II. Serumblk. nach Über- Serum-Blk. nach 1 x schichtung mit R.-Z.-L. Waschung mit. R.-Z.-L. PH | Asglutination PH Asglutination ee 6,02 au 5,79 | (Os) 5,79 x 5,46 x 5,46 ER 5,36 | (x) 5,36 | xx x(x) 5,26 | — 5,26 KIT 3,02 | (x) DOSE IDEE 4,81 | X 4.831 | xXxXxXxx 4,59 ı — LE) DLILST IK 3Z BES 208% SUB) | DEI TIER Bei der Überschichtung (I) ergeben sich also drei deutlich von- einander gesonderte Agglutinationsmaxima. Wir glauben nach den vorher mitgeteilten Erfahrungen den ersten Gipfel auf das adsorbierte Globulin beziehen zu sollen, den zweiten auf das Albumin; der dritte Gipfel entspricht dann wohl der früher (S. 600) erörterten, stets deutlich vorhandenen, starken Agglutinationstendenz der Blk. im sauren Puffergemisch von py 3,7. Wenn man, statt mit Rohrzuckerlösung bloß zu überschichten, damit auswäscht, so verändert sich das Agglutinationsbild (II) wieder so, wie es schon in Tabelle VII und Abb. 2 dargestellt wurde!). Dem eben geschilderten Versuch ähnlich verlaufen nun auch Ver- suche mit Blk., die durch Waschung mit 0,9 proz. Kochsalz oder auch 2) Wir wollen aber nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, daß sich das Bild noch weiter und bis jetzt für uns unübersichtlich durch erneutes Auftreten mehrerer Agslutinationsmaxima kompliziert, wenn man der ersten Waschung mit Rohr- zuckerlösung noch weitere nachfolgen läßt. Wir werden auf diese Erfahrungen in einer späteren Arbeit zurückkommen. 608 R. Ley: mit Phosphatpuffer von 5 7,4 nur teilweise von den ihnen natürlich anhaftenden Eiweißkörpern befreit, danach in die Puffergemische übertragen, mit Rohrzuckerlösung einmal nachgewaschen und in Rohrzuckerlösung suspendiert sind. Ein solcher Versuch war fol- gender: 1. Ungewaschene Pferdeblk. 2. 5mal mit NaCl gewaschene Pferde- blk. 3. 8mal mit NaCl gewaschene und 18 Stunden in Kochsalz suspen- dierte Pferdeblk. 4. 4mal mit Phosphatpuffer pp} 7,4 gewaschene Pferdeblk. 5. 5mal mit Phosphatpuffer p,, 7,4 gewaschene und 10 Stun- den im gleichen Puffer suspendierte Pferdeblk. Tabelle IX. IH. L 106, Ä £ Er. BER Ungewaschene 2 ill Dnroz Ball: ee an 4x. mit pm 7,4 ge- 5x mit pu 7,4 ge- Pt.-Bik. Lösung gewaschene | „na 18h in NaCl-Lös. | waschene Pi.-Bik. | w@sChene und 10° in Pf.-Blk. susp. Pf.-Bik. pH 7,4 susp. Pf.-Blk. PH Agglutination ?u |Agglutination | 2m Agglutination | ?m |Agglutination] ?m | Agglutination 538 «(x)) |582 — 5,80 er 5,00. 5,62 | RX 545 xxx [558 (x) 5,54 (2) 5,51 En 5,47 EX 5,33 | xxxx 1549 x 5,43 | ((x)) 1539 - DSL RE 15.19 xx 5,24 RI 53 — 5,18 — 514 |xxxx(x)|495 x 4,95 EX 5,22 | xx(x) | 5,04 (3%) 305 1 X XxXXxXX [462 |) XXX [4,76 —_ 5,17 | xxxx [4,88 x 4,59 | xxxxx |438|) xxxx [4,44 xxx 1484| ((x)) 14,65 xX E33 XIX X x 1415 S) 4,12 (x) 4,07 — LE SQ SC Z | (Hämolyse) ID KERLE AI X 3,53 RR 3.60 — I EEDS (Hämolyse) | | (Hämolyse) 325 | XKXXXX I3E18E | KK X X | 32.1 x KK X X [313 | XXX BR | (Hämolyse) (Hämolvyse) Das ursprünglich breite und hohe Agglutinationsniveau (I), das durch Konfluenz der einzelnen Agglutinationsmaxima entstanden zu denken ist, verwandelt sich unter dem Einfluß der Waschungen in Asglutinationen von typischer Dreigipfeligkeit (II—IV), wobei die Lage der Maxima, bezogen auf die 977, nicht völlig übereinstimmt, was bei der verschiedenen Größe der anhaftenden Eiweißkomplexe und vor allem auch der Verschiedenheit der Elektrolytkonzentrationen nicht ver- wunderlich ist. Den Einfluß des Waschens auf das Hervortreten mehrerer Agglu- tinationsgipfel zeigt auch folgender Versuch, in dem mit Globulin (aus einem Globulinsol von 1,7%) und mit Albumin (aus einem Albu- minsol von 1,5%) beladene Blk. möglichst gleichartig 2mal unter vorsichtigem Schütteln mit physiologischer Kochsalzlösung abgepült wurden: Untersuchungen über die Agglutination der roten Blutkörperchen. Tabelle X. 609 T. Il. Globulinblk. Albuminblk. B => e » A mit 0,9 proz. NaÜl-- Ungewaschen mit 0,9 proz. NaCl. gew. Ungewaschen Löse. gewaschen | PH Agglutination PH Agglutination PH Asglutination | PH Asglutinat. 1 [ 3,88 | _ 5,88 = 5,89 = 5so | 3,64 | EXO) 5,64 — 5,71 — rl) — 5,49 | x 5,49 x 5,51. — 5,51 — 5,32 RX 5,32 x Sl x SE — 3,01 IITKUIR) | DM xxx(x) | 302 X 5,02 ®S) IHN DEE) EEEIHE ERBE) 4,61 EIER E61 xXKXKXX IH | XXXXX | 4,83 4,18 | AXRXXX 4,18 xx 4,71 .DIDDDS 4,71 (3% | 4,03 | xx xxx | 4,03 — SPEISEN 312 RAR BIT ER 3558 x Das Waschen läßt also je einen zweiten Gipfel neben dem stets vor- handenen Endmaximum bei stark saurer Reaktion hervortreten. Dabei ergibt sich weiter, daß das Albumin sich bedeutend leichter wegwaschen läßt als das Globulin, was bei dem fast molekulardispersen und nicht zur Gelbildung neigenden Charakter des Albumins verständlich erscheint. Die verhältnismäßig leichte Abwaschbarkeit des Albumins tritt auch bei albuminreichen Menschen- und Rinderblk. zutage, bei denen nach intensiver Waschung das Albumin die Blk.-Oberfläche zuerst verläßt und das zurückbleibende Globulin dann die Agglutination beherrscht: 1. Defibrinierte Serumblk. eines gesunden Mannes, ohne vorherige Waschung nach Methode III untersucht. 2. Dieselben Blk., 5mal mit Kochsalz, 3 mal mit Rohrzuckerlösung gewaschen und nach Methode III geprüft. Tabelle IXU 1. | IT. Ungewaschene Ser.-Blk. , Mit 0,9proz. NaCl-Löseg. (Mensch) gew. Ser.-Blk. Mensch) PH Agglutination | ?Hu | Agglutination 5,88 — 5,88 _ 5,56 — 5,51 xxx 5,47 — 5,37 x 5,34 ((x)) 5,21 a 528 (2%) 5,02 x 5,14 x 4,76 1728 28 28% 5,04 IRIKX 4,67 RI 4,96 XXX 1 4,08 xxx 4,59 EXT 3:68 RKRRX 3,93 xxXX | 309 XXXX 610 R. Ley: Untersuchungen über die Agglutination der roten Blutkörperchen. Reihe I (ungewaschene BIk.) zeigt das typische Bild von Albuminblk. (siehe z. B. Tabelle X): plötzlicher rascher Anstieg der Agglutination bei Pp 50. Reihe II: Nach der Kochsalzwaschung treten die uns schon be- kannten drei Agglutinationsmaxima in Erscheinung. Im ersten Fall verschwindet also unter dem übertönenden Einfluß des reichlich vor- handenen Albumins das erste Agglutinationsmaximum bei 24 9,5 völlig, um erst im zweiten Fall, nach einer Verminderung des Albumins durch die Waschung, in seiner charakteristischen Weise zur Geltung zu kommen. Die hier angeführten Untersuchungsergebnisse tragen durchaus die Kennzeichen des Provisorischen; vor allem harren genauere Unter- suchungen der Adsorptionsbedingungen, des Einflusses qualitativer und quantitativer Elektrolytveränderungen, der Mitbeteiligung der Binneneiweißkörper, der elektrischen Ladung der Blk. noch ihrer Durchführung. Immerhin darf man den Nachweis als erbracht ansehen, daß die Agglutination der Blutkörperchen in der Blutflüssigkeit von dem elektrischen Ladungszustand bzw. von der Dissoziation der einzelnen Eiweißkörper abhängt; denn die Blutkörperchen erfahren in Gegenwart verschiedener H'- Konzentrationen eine Agglutinationssteigerung dann, wenn auch die ihnen anhaftenden Eiweißkörper, Fibrinogen, Globulin, Albumin zur Flockung neigen. Zum Schlusse möchte ich nicht verfehlen, auch hier Herrn Professor Dr. Höber sowie Herrn Dr. Mond für die jederzeit gütige und bereit- willige Unterstützung durch Rat und Tat bei der Ausführung meiner Arbeit meinen besten Dank zu sagen. Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente und Hormone auf die vasomotorische Erregbarkeit. Von Dr. K. T. A. Halbertsma. (Aus dem Phyiologischen Laboratorium der Universität Utrecht [Direktor: Prof. Dr. H. Zwaardemaker]). Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 18. Oktober. 1922.) Auf Anregung des Herrn Professor Dr. Zwaardemaker — für dessen freundliche Hilfe und Ratschläge ich an dieser Stelle meinen verbind- lichsten Dank ausspreche — habe ich eine Reihe von Untersuchungen ausgeführt über das Verhalten der vasomotorischen Erregbarkeit beim Frosche, falls man aus der Durchströmungsflüssigkeit das Kalium fort- läßt und dieses Element von Uran, Thorium bzw. Rubidium ersetzt!). Außerdem ist der Einfluß einzelner Hormone (Adrenalin, Histamin und Cholin) auf die soeben genannten Wirkungen untersucht worden. I. Methodik. Beim Läwen-Trendelenburgpräparat?) strömte die Flüssigkeit durch eine Glaskanüle in die Aorta abdominalis. In allen großen Exemplaren von R. temporaria und R. esculenta, die wir durcheinander verwandten, tropfte die Durchströmungsflüssigkeit aus einer Kanüle (in die V. abdo- minalis) ab. Das Reservoir bestand aus 3 Mariotte schen Flaschen zu je 21. Sie waren mittels drei Glasröhren, die sich später vereinigten, mit dem zuführenden Gummischlauch des Präparates verbunden. Durch einen Hahn, der in jedem Glasrohr angebracht war, konnte man schnell die erwünschte Flüssigkeit zutreten lassen. Die verwendete Ringerlösung ohne Kalium war folgendermaßen zusammengestellt: auf 1000 Ag. pur. fanden sich 6,5g NaCl 0,200 g CaCl,, 0,200 g NaHCO,. Sie befand sich in allen Versuchen in einer der drei Flaschen. In einer der zwei anderen befand sich diese Flüssigkeit, wozu jedoch radioaktives Element gefügt worden war. Die dritte Flasche enthielt eine Lösung des zu untersuchenden Stoffes in kaliumloser Ringer- lösung. In allen Versuchsreihen wurde mit Durchströmung mittels kaliumloser Ringerlösung angefangen; diese dauerte ungefähr !/, Stunde, dann strömte die Flüssigkeit klar aus. Daran schloß sich die Durch- !) Im Utrechtschen physiologischen Laboratorium wurde gezeigt, daß a) Ka- lium sei in einer Reihe von Systemen und Funktionen von anderen radioaktiven Elementen in äquiradioaktiven Mengen ersetzbar; b) die Wirkung des Kaliums oder Rubidiums werde, mit anderen radioaktiven Elementen (%-Strahlern) zu- sammengebracht, von diesen letzten in bestimmten Mengen aufgehoben (Klin. Wochenschr. 1, Nr. 11; Ergebn. d. Physiol. 1921, S. 326). ?) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 476. 1904. 612 K.T. A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente strömung mit kaliumhaltiger Ringerlösung an, und nachher wieder die mit kaliumloser Ringerlösung. Dann wurde die Wirkung des zu unter- suchenden Stoffes geprüft. Die einzelnen Durchströmungen dauerten ungefähr !/, Stunde, das ganze Experiment höchstens 4—6 Stunden. Der Durchströmungsdruck beträgt durchschnittlich 20—25 cm H,O. Die Durchströmungsgeschwindigkeit wurde mittels Zählung der in der Zeiteinheit abfließenden Tropfen (aus der Venenkanüle) festgestellt. Dies geschah vermittels einer Uhr oder eines Tropfenzählapparatest), das die Zahl der gefallenen Tropfen auf einem rotierenden Zylinder regi- strierte. Weil der Druck konstant war, wurde aus einer Verminderung der Tropfenzahl in der Zeiteinheit — in unserem Falle in der Minute — eine Verengerung, aus der Vermehrung dieser Zahl eine Erweiterung der durchströmten Gefäßen abgeleitet. Auf Grund meiner Erfahrung habe ich diese Methode zur Bestim- mung der Gefäßweite der mikroskopischen vorgezogen. Die Wasserstoffionen-Konzentration der angewandten Flüssigkeiten schwankte je nach dem Alter der in den Glasbehältern aufbewahrten Lö- sungen. Im Mittel fand ich 94 = 8; bei Uranzufügung näherte man sich einigermaßen der Acidität, jedoch wenn physiologische Mengen Verwen- dung fanden in unbedeutendem Maße. Dieselbe Durchströmungsflüssig- keit wurde höchstens 2—3 Tage nacheinander verwendet. Die Reizung des N. ischiadicus geschah mittels Platinelektroden (48 Induktions- schläge pro Sekunde), jedesmal !/, Minute links und rechts sofort nach- einander. Die Spulendistanz des Induktoriums wurde jedesmal so ge- wählt, daß bei Schließung des faradischen Stromkreises keine sichtbaren Muskelzuckungen am betreffenden Hinterbein auftraten. Zwischen zwei aufeinander folgenden Reizungen wurde mindestens 5 Minuten gewartet. I. Ergebnisse. A. Bei alleiniger Durchströmung. Gunzburg?) hat uns gelehrt, daß Durchströmung der Froschgefäße mit kaliumloser Ringerlösung in einigen Stunden Ödem zum Vorschein treten läßt; durch rechtzeitige Zufügung geeigneter Mengen Kalium, Rubidium, Uran oder Thorium ist dies zu verhindern. Bei meinen Versu- chen hatte ich selbstverständlich diesen Ergebnissen Rechnung zu tragen. Von den x-Strahlern untersuchte ich Uran (und zwar Uranylnitrat bzw. -sulfat pro miscue) und 'Thoriumnitrat. Die Lösungen dieses letzten Salzes wurden jedesmal frisch herge- stellt, weil sich meistens innerhalb einiger Stunden ein deutliches Präci- pitat von ThO, in der Flüssigkeit formt. Außerdem wurde die Thorium- tingerlösung stets mittels Na,0O, sorgfältig neutralisiert; das Thorium- !) Arch. neerland. de physiol. 2%, 534. 1918. ?) Arch. Neerl. de Physiol. T. IV. 1918, S. 364. und Hormone auf die vasomotorische Erregbarkeit. 613 nitrat würde nämlich sonst in den von mir angewandten Konzentra- tionen der Lösung eine saure Reaktion verliehen haben. Bei den untersuchten Dosen (5—20 mg Th(NO,), pro Liter) ent- wickelte sich stets allmählich Ödem. Das Uran verhielt sich ungefähr ebenso: bei einer Dosis von 0— 350 mg Uransalz pro Liter trat immer Ödem zum Vorschein. Als Vertreter der f-Strahlen wurden Kalium und Rubidium zur Untersuchung ausgewählt. War die Kaliumdosis klein (10—20 mg KÜl pro Liter), so entwickelte sich allmählich ein mäßiges Ödem; bei Anwendung von 200 mg KCl pro Liter und höheren Dosen nahm das sich entwickelnde Ödem nicht so schnell zu, wie es bei den niedrigen Dosen im allgemeinen der Fall war. Durchströmung mit 250 mg RbJ pro Liter ließ während 2—3 Stunden die Anzahl der herausfließenden Tropfen konstant bleiben; bei Anwen- dung von kleineren Dosen entstand jedesmal allmählich Ödem. Weil, wie Gunzburg (l.c.) zeigte, bei Durchströmung mit Ringer- lösung ohne Kalium, stets eine bestimmte Menge dieses Stoffes in der Ausströmungsflüssigkeit anwesend ist, habe ich das Gehalt der Aus- strömungsflüssigkeit an Kalium, das in diesem Falle aus den die Gefäße umringenden Geweben stammen soll, in geeigneten Versuchen zu be- stimmen versucht. Die Resultate, mit der Methode de Koninck!)- Bousser?) erhalten, sind aus nachstehender Tabelle ersichtlich (Flüssigkeit aus der V. abdomi- nalis aufgefangen). meKCcl Durchsehnitt- Anzahl ung Stunden liche Ausfluß- Jahreszeit | Durch- Be \ menge Kalium | strömung | in 6 Stunden | | | 1 16 | Sommer 1918 | h = 2059 \ 6 16 | | 1 2022| | Herbst 1918. . . .. i 2 oT | 6 22 | | 1 21 | Winter 1918/19...) R Fe Il 23,25 | 6 25 | | 1 16 | Frühjahr 1919 | : 2 U 18 | || 6 16 | | 1) Zeitschr. f. analyt. Chem. 1891, Nr. 20, S. 390. 2) Journ. of the Americ. chem. soc. 1912, S. 1567. 614 K.T.A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente Zwei Tatsachen gehen hier hervor: 1. Bei Durchströmung mit kaliumloser Ringlösung sind die Durch- schnittsmengen gelösten Kaliums in der Ausströmungsflüssigkeit im Frühjahr und Sommer kleiner als im Herbst und Winter. 2. Die Durchschnittsmengen gelösten Kaliums in der Durchströ- mungsflüssigkeit nehmen in den ersten 4 Stunden der Durchströmung zu: nachher nehmen sie wieder ab. B. Ergebnisse der Nervenreizung. Im allgemeinen wurde an bestimmten Zeitpunkten 10 bzw. 20 bis 30 Minuten nach Anfang der Durchströmung gereizt. Bei anfänglicher Durchströmung mit kaliumloser Ringerlösung ergab sich, daß die Vaso- constrictoren am meisten reizbar sind. Experiment Nr. 1. 5% 23°. Anfang der Durchströmung; Tropfenzahl pro Minute — 28: 5h 33°. Nervenreizung (Spulendistanz — 14,5 cm). Tropfen- zahl pro Minute unmittelbar vor der Reizung —= 28. Tropfenzahl pro Minute unmittelbar nach der Reizung — 526: 5h 43”. Nervenreizung (Spulendistanz — 14,5 cm). Tropfen- zahl pro Minute unmittelbar vor der Reizung — 26. Tropfenzahl pro Minute unmittelbar nach der Reizung — 24. Derselbe Befund ergab sich bei Durchströmung mit Kaliumringer (100 mg KÜl pro Liter). Experiment Nr. 2. 4" 10°. Anfang der Durchströmung; Tropfenzahl pro Minute —z90) 4" 20°. Nervenreizung (Spulendistanz — 14,5 cm). Tropfen- zahl pro Minute unmittelbar vor der Reizung = 50. Tropfenzahl pro Minute unmittelbar nach der Reizung — 4. 4h 30°. Nervenreizung (wie um 4" 20%). Tropfenzahl pro Minute unmittelbar vor der Reizung = 40. Tropfen- zahl unmittelbar nach der Reizung pro Minute —= 30. In einer Reihe von Versuchen, wo stets mit Kaliumringer von wech- selndem Gehalt durchströmt wurde, blieb die vasomotorische Reizbar- keit stets im selben Sinne erhalten. Weil die Möglichkeit vorlag, daß diese Reizbarkeit von dem aus den (Geweben herstammenden Kalium erhalten wurde, wandte ich den Kunst- griff an, der im UÜtrechtschen physiologischen Laboratorium gebraucht wird in dem Falle, wenn der Stillstand des künstlich durchströmten Froschherzen allzulange auf sich warten läßt. Zufügung einer Spur Uran- salz zur Ringerlösung ohne Kalium hat dann oft sofort den Stillstand zur Folge. Dieser Kunstgriff war auch in meinem Falle imstande die vasomotorische Reizbarkeit zum Schwinden zu bringen: die faradische und Hormone auf die vasomotorische Erregbarkeit. 615 Reizung konnte jetzt nicht mehr die Zahl der in der Minute abfließenden Tropfen abändern. Die Vasomotoren waren also bei Anwendung von Ringerlösung ohne Kalium, wozu eine Spur Uran gefügt worden war, unreizbar. Experiment Nr. 3. 4" 00°”. Anfang der Durchströmung (Ringerlösung ohne Kalium pP ko) r oO {o) to) +3 mg Uransalz pro Liter). 4h 15’. Nervenreizung (Spulendistanz — 28cm). Tropfenzahl 8 (97 I ro Minute unmittelbar vor und nach der Reizung —= 23. B . . > . 4h 30’. Nervenreizung (wie um 4" 15). Tropfenzahl pro Minute g an P unmittelbar vor und nach der Reizung — 23. Die anzuwendende Menge des Uransalzes variiert mit den Jahres- zeiten: im Winter braucht man 2—4 mg pro Liter, im Sommer genügen 2—3mg pro Liter. Wenn man diesem Gemisch kaliumloser Ringer- lösung mit einer Spur Uransalz, das ich seiner besonderen Eigenschaft wegen ‚„Nullgemisch“ genannt habe, eine bestimmte Menge radioaktiven (Kalium-, Rubidium-, Uran-, Thorium-) Salzes zufügt, so kehrt sofort die verschwundene vasomotorische Erregbarkeit wieder zurück, und bleibt, wenn man nachher immer wieder neue Mengen eines bestimmten ‘Salzes zufügt, innerhalb gewissen Grenzen erhalten. Das ‚‚erregbare‘“ Gebiet schwankt für die vier Metalle in verschiedenen Grenzen. Für das Uran liegt es zwischen 5 und 40 mg Uransalz pro Liter (Winterdosis); für das Thorium zwischen 5 und 20 mg Thoriumnitrat pro Liter (Sommerdosis). Fügt man 5 mg Th(NO,), pro Liter dem Nuilgemisch zu, so ändert sich nach der ersten Reizung (15 Minuten nach Anfang der Durchströ- mung) die Tropfenzahl nicht, bei der zweiten Reizung (15 Minuten spä- ter) vermindert es; bei den höchsten angewandten Th-Dosen zeigte sich das umgekehrte. Für das Uran konnte ein derartiges Verhalten nicht gezeigt werden, d. h. bei Anwendung der eben angedeuteten Minimum- bzw. Maximumdosis; hier kehrte, ebenso wie bei den übrigen ange- wandten Th-Dosen die Erregbarkeit ohne weiteres sofort zurück. Die ‚„Erregbarkeitsgrenzen“ liegen für die P-Strahler viel weiter auseinander; für das Kalium zwischen 10 und 350 mg KCl pro Liter, für das Rubidium zwischen 10 und 100 mg RbJ pro Liter. Bei Anwendung kleiner Mengen Kalium und Uran herrschten die Vasoconstrictoren vor; bei hohen Dosen Kalium (300 mg KCl pro Liter und mehr) traten die Vasodilatatoren nach Nervenreizung in den Vorder- grund. Fügt man dem Nullgemische abwechselnd bestimmte Mengen eines a&- und f-Strahlers zu, so ist man imstande, ein Gemisch zusammen zu stellen, bei dessen Anwendung die Reizbarkeit verschwindet. Zufügung des &- oder P-Strahlers allein läßt diese sofort wiederkehren, wie es beim Nullgemische der Fall war. So kann man eine ganze Reihe ‚„Gleich- 616 K.T. A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente gewichtsgemische‘‘ auffinden zwischen einerseits K und Rb, anderer- seits U und Th. Die untenstehende Abb. 1 zeigt den Verlauf der „Gleichgewichtslinien“, die man durch die Gleichgewichtspunkte legen kann. Stree/ !) hat für das Froschherz mittels Fluorescein (100 mg pro Liter) eine Gleichgewichtsverschiebung für das K/U-Gleichgewicht zeigen können. Extra Kalium mußte zugefügt werden, damit das Gleichgewicht sich wieder herstellte. In unserem Fall ließ sich diese Tatsache für die Gleichgewichtsgemische 60 K/15 U, 100 K/25 U, 200 K/50 U feststellen; die Mengen Kalium, die in diesen Fällen bzw. hinzugefügt werden mußten, sind auf der nebenstehenden Tabelle mittels Zahlen neben den betref- fenden Gleichgewichten angegeben worden. Uran - IR a) Jalz Ku Ky Ay 40\- ® < 35 Myerluekiy ku 39 u? Wopgy Ky KwH/v K/u Ku 25 [o) o° [0] [0) [0] 20 45 10 ® 5 le 777 um- 9177 10% Abu gr um ysalz | | | | | | | | NEE DA RR ENFETESTE] l l eesae l | 0 "WO 20 30 40 50 60 70 80 %0 %0 120 10 160 180 200 220 240 260 260 300 320 340 360 360 400 420 Abb.1. Übersicht der angewandten Mengen der radioaktiven Salze. = K/U Gleich- gewichtslinie, -—- - —- = K/TH, :::«...- = RbJU, 00000 = Reizbarkeit. C. Die Anwendung von Hormonen. Es erschien mir interessant, in Zusammenhang mit den bisherigen Ergebnissen meiner Untersuchung den Einfluß einzelner Stoffe kennen- zulernen, die in vivo die Gefäßweite überwiegend beherrschen, nämlich des Adrenalins, des Histamins und des Cholins. Weil ich die makro- skopische (Tropfenzähl-)Methode verwendete, sollte des bekannten Ein- flusses dieser Stoffe wegen an erster Stelle dafür gesorgt werden, daß die anzuwendenden Konzentrationen an sich die Gefäßweite nicht änderten. Deswegen wurden zunächst Durchströmungen lediglich mit Hormonenlösungen ausgeführt und die brauchbaren Konzentrationen nachgespürt. Selbstverständlich hatte ich hierbei den Ergebnissen der Literatur Rechnung zu tragen. Der Einfluß der chemischen Reaktion auf die Wir- kung des Adrenalins z. B. ist gezeigt worden von Alday- Redonnet?), !) Onderz. Physiol. Laborat. Utrecht. 5 de Reeks 19, 1. 2) Biochem. Zeitschr. 1%0, 306. 1920. und Hormone auf die vasomotorische Erreebarkeit. 617 Synder und Campell!), Schmidt?) und P. Heymann?), auf die Wirkung des Cholins von W. Teschendorff *). Die Bedeutung der Metallionen (K, Ca, Na) für die Adrenalinwirkung ist von Schmidt (l. ce.) und Alday- Redonnet (l. e.) dargestellt worden und für die Acetylcholinwirkung von W. Teschendorff (1. c.). Unsere Versuche ergaben folgendes: Das Adrenalin ließ in der Konzentration 1: 20 Millionen die Gefäß- weite während einiger Stunden unbeeinflußt, Durchströmung mit 1:10 Millionen Adrenalin ließ bald die Gefäße sich verengern, bald die Gefäße unverändert. Anwendung von stärkeren Lösungen rief immer Gefäß- verengerung zum Vorschein. Die Lösungen waren mittels Verdünnung des Parke-Davis-Präparates 1: 1000 hergestellt worden. Histaminlösungen von der Konzentration 1: 1000 000, 1: 500 000, 1: 330 000 ließen die Gefäßweite im allgemeinen unverändert; sie waren mittels Lösung von Ergamintabletten-Wellcome (0,03 g = 0,01 g Hista- min) angefertigt worden. Das Acetylcholin ändert in der Konzentration 1: 2,5 Million die Gefäßweite nicht, bei Anwendung von stärkeren Lö- sungen zogen die Gefäße sich zusammen, eine Gefäßerweiterung wurde nicht beobachtet. Der Stoff wurde hergestellt aus Cholin und Essigsäure- Anhydrid nach einer Methode, die mir von le Hueux (Pharmakologisches Institut der R.-U. Utrecht) mitgeteilt wurde, für dessen freundliche Hilfe meinen besten Dank! Vor dem Anfang jeder Versuchsreihe wurden die Hormonenlösungen immer frisch bereitet. Beim Nachspüren des Einflusses der Hormonen auf die vasomoto- rische Erregbarkeit wurden anfänglich die oben angedeuteten Konzen- trationen dem Nullgemisch zugefügt. Das Adrenalin erwies sich imstande, die verschwundene Erregbarkeit, sowohl beim Sommer- wie beim Winternullgemisch wieder auszulösen. Experiment Nr. 4. 11h 10°. Anfang der Durchströmung mit Sommernullgemisch (3 mg Uran pro Liter). Tropfenzahl pro Minute = 10. 11h 25°. Nervenreizung (Spulendistanz — 26 cm). Tropfenzahl in der Minute unmittelbar vor der Reizung —= 9. Tropfen- zahl in der Minute unmittelbar nach der Reizung — 9. 11" 25° bis 11% 30°. Durchströmung mit kaliumloser Ringerlösung. 11h 30°. Anfang der Durchströmung mit dem Nullgemisch — 0,05 mg Adrenalin pro Liter. Tropfenzahl pro Min. — 14. 11h 40°. Nervenreizung (Spulendistanz = 26cm). Tropfen- zahl in der Minute unmittelbar vor der Reizung — 14. Tropfenzahl in der Minute unmittelbar nach der Reizung — 13. !) Americ. journ. of physiol. 54, 149. 1920. ?) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 89, 44. 1921. 2) Ibid. 90, 118. 1921. *) Biochem. Zeitschr. 118, 267. 1921. 618 K.T.A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente Wurde nun diesem Gemische Kalium in geeigneter Menge (10 mg KCl pro Liter) zugefügt, so verschwand die zum Vorschein gerufene Reizbarkeit wieder sofort. Diese Tatsache scheint mir, in Zusammen- hang mit einem anderen Ergebnisse, das später weiter erörtert werden soll, einen Fingerzeig zu geben, welchem Umstande die Rückkehr der Reizbarkeit bei Durchströmung von (Nullgemisch + Adrenalin) zu ver- danken sei. Drei Möglichkeiten liegen hier meines Erachtens vor: 1. das Uran oder Kalium löst jetzt dank der Anwesenheit des Adrenalins einen Er- regbarkeitszustand aus (Sensibilisation); 2. das Adrenalin löst selbst die Erregbarkeit wieder aus; 3. die sub 1 und 2 genannten Stoffe lösen zu- sammen die Eirsgbarkei, wieder aus. Folgendes Experiment scheint für die sub 1 Bike Möglichkeit zu sprechen: Bei Durchströmung mit 1,5 mg Uransalz pro Liter wurde vasomotorische Erregbarkeit festgestellt und nachdem Adrenalin (1:20 Millionen) zugefügt worden war, war dieser Zustand erhalten ge- blieben, wie aus der Gefäßreaktion hervorging. Hinzufügung von 5 mg KCl pro Liter brachte diese zum Verschwinden. Es war also ein Gemisch zusammengestellt worden aus zwei radio- aktiven Elementen und Adrenalin, das dieselbe Eigenschaft hinsichtlich der vasomotorischen Erregbarkeit hatte wie das Nullgemisch. Ausschal- tung des Adrenalins ließ sofort die Erregbarkeit wieder zurückkehren, welche durch Zufügung von 1 mg Uransalz pro Liter sofort wieder auf- gehoben wurde. Das Adrenalin macht also eine kleinere Menge Uransalz bei Anwesenheit von Kalium ebenso stark wirkend wie eine größere, i. c. das Nullgemisch. Dieses Ergebnis scheint mir also wohl ein Beweis zugunsten der erstgenannten Möglichkeit zu sein. Auch beim Acetylcholin verschwand nach Zufügung der geeig- neten Konzentration dieses Stoffes am Nullgemische der Unreiz- barkeitszustand der Vasomotoren. Wurde dem Gemische Kalium zugefügt, so blieb die Frregbarkeit stets erhalten; nur Uran war imstande, in geeigneter Menge diese wieder zum Schwinden zu brin- gen. Im letzten Falle kehrte nach Zufügung einer kleinen Dosis des radioaktiven Salzes (K oder U) die verschwundene Reizbarkeit wieder zurück. Experiment Nr. 5. 10h 45’. Anfang der Durchströmung mit dem Nullgemisch (2 mg Uransalz pro Liter). Tropfenzahl pro Mi- nute,— 12. 11h 00°. Nervenreizung (Spulendistanz = 26 cm): Tropfenzahl unmittelbar vor und nach der Reizung = 12 pro Minute. 11" 00° bis 11" 15. Durchströmung mit kaliumloser Ringer- lösung. und Hormone auf die vasomotorische Erregbarkeit. 619 112157. 11h 25°. 111257 11157352 1107502 11h 50° 552 12h 05°. Anfang der Durchströmung mit dem Nullgemisch + 0,5 mg Acetylcholin pro Liter. Tropfenzahl in der Minute = 9. Nervenreizung (Spulendistanz = 26 cm). Tropfenzahl in der Minute vor der Reizung = 9. Tropfenzahl in der Minute nach der Reizung = 6. bis 11h 35°. Durchströmung mit kaliumloser Ringer- lösung. Anfang der Durchströmung mit (3mg Uransalz + 0,5 mg Acetylcholin pro Liter). Nervenreizung (Spulendistanz — 26 cm). Tropfenzahl unmittelbar vor der Reizung = 6 in der Minute. Tropfenzahl unmittelbar nach der Reizung =7 in der Minute. bis 112 55. Kaliumlose Ringerlösung. Anfang der Durchströmung mit (3,5 mg Uransalz + 0,5 mg Acetylcholin pro Liter). Nervenreizung (Spulendistanz = 26 cm). Tropfenzahl unmittelbar vor und nach der Reizung —=7 in der Min. Das Histamin verhält sich hinsichtlich der durch Radioaktivität beeinflußten vasomotorischen Reizbarkeit wie das Adrenalin. Genau wie dort war das Kalium hier (gleichwohl in größerer Menge = 20. mg KCl pro Liter) imstande, die durch Zufügung des Hormones ausgelöste Reizbarkeit wieder zum Schwinden zu bringen. Uran erwies sich auch hier ohne Wirkung. Erneute Zufügung von geringen Dosen Kalium oder Uran brachte die Experiment Nr. 6. 3" 40”. 81507. 3u 557. 4h 05”. 4h 10. 4h 20”. Reizbarkeit wieder zum Vorschein. Anfang der Durchströmung mit (20 mg KCl +3 mg UO;(NO,);, + 3 mg Histamin) pro Liter. Nervenreizung (Spulendistanz = 30 cm). Tropfenzahl in der Minute unmittelbar vor der Reizung = 9. Tropfenzahl in der Minute unmittelbar nach der Reizung — 9. Dem Gemisch von 3" 40° werden 2 mg Uransalz pro Liter zugefügt. Anfang der Durchströmung. Nervenreizung (Spulendistanz = 30 cm). Tropfenzahl in der Minute unmittelbar vor der Reizung = 8. Tropfenzahl in der Minute unmittelbar nach der Reizung — 1. Dem Gemisch von 3" 55’ werden 20 mg KCl zugefügt. Tropfenzahl zu Anfang der Durchströmung in der Minute = 17. Nervenreizung (Spulendistanz = 30 cm). Tropfenzahl unmittelbar vor und nach der Reizung = 1. Es hat sich weiter ergeben, daß Zufügung von geeigneten Hormonen- mengen zu Gemischen von Kalium und Uran, bei deren Anwendung die vasomotorische Erregbarkeit erhalten bleibt, imstande ist diese aufzu- heben. Für das Adrenalin und das Histamin konnte dies für ungefähr dieselben Mengen gezeigt werden. Das Acetylcholin zeigte sich in dieser Hinsicht refraktär. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 40 620 K.T.A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente Wurde nachher einer der im Gemisch vorhandenen wirksamen Stoffe aufs neue zugefügt, so trat die Reizbarkeit wieder zum Vorschein. Auf Grund dieses Verhaltens nannte ich derartige Gemische ‚Adrenalin“- bzw. „Histamin-Gleichgewichtsgemische‘“. Schließlich untersuchte ich den Einfluß der Hormone auf einzelne Gleichgewichtsgemische: 7,5 mg Uransalz 4 mg Uransalz : pro Liter und — 15 mg KCl 30 mg KCl Auch hier trat die Reizbarkeit nach Zufügung des Hormons sofort wieder zum Vorschein, aber offenbar in den verschiedenen Fällen nicht in derselben Weise. Wurde im Fall von Adrenalin und Histamin eine geeignete Menge Kalium hinzugefüst (5 mg KCI pro Liter), so verschwand die zum Vorschein getretene vasomotorische Erregbarkeit wieder sofort. Dagegen war es im Falle von Acetylcholin nur das Uran, das diese Fähigkeit in geeigneter Menge (1,5 mg Uransalz pro Liter) zeigte. Das radioaktive Gleichgewicht wurde also bei Anwendung von Adre- nalin und Histamin nach der Seite des Urans, bei Anwendung von Acetyl- cholin nach der des Kaliums verschohen. Wie aus der folgenden Abbildung hervorgeht, waren die Mengen Kalium bzw. Uran, die zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes in pro Liter. mgr Uransalz p.L. 3 gr u p 6 ’ I 7 A A A 6 [o) o° ° C 5 A Ab hl al af AH u oe 6 oo o 2 Adreno! mn N Irgs Hist p.L.2 = A ME 2 C) N mar AUpL. 5 710 75 20 25 30 35 Abb. 2. Übersicht der Hormonenwirkung auf einzelne radio-aktive Gleichgewichtsgemische. .ernenne A = Gleichgewiehts-(Nullgemisch-)verschiebung nach Adrenalinzufügung. TOT je = = 5 = „ Histaminzufügung. elefeleteinlele C= „ 335 B „ Acetyleholinzufügung. ..unnen 4G = Adrenalin-Gleichgewichtsgemisch. .unnnee HG = Histamin- HD 000000 A = Reizbarkeit bei Anwendung der angegebenen Mengen K u. U + Adrenalin. 000000 H = IR ” eB = A Ku. U -+ Histamin. 000000 ( = FR . n ep 5 A K u, U + Acetylchol. diesen Fällen benötigt sind, unabhängig von der Höhe des untersuchten sleichgewichtes. Die Verschiebung des Gleichgewichtes geschah in demselben Sinne, als früher für das Nullgemisch festgestellt worden war. Dieser Befund und Hormone auf die vasomotorische Erreebarkeit. 621 scheint darauf hinzudeuten, daß das Nullgemisch von derselben Art ist wie die untersuchten radioaktiven Gleichgewichtsgemische. Diese Angelegenheit soll im folgenden Abschnitt eingehender besprochen werden. III. Der Angriffspunkt der besprochenen Wirkungen. Krogh!) hat neulich eine Methode beschrieben zur Untersuchung der Wirkung lokaler mechanischer Reize auf die Gefäße der Frosch- schwimmhaut. Wir haben diese Methode mit Vorteil in unserem Falle angewandt. Während Durchströmung mit dem Nullgemisch wurde die Schwimm- haut des Frosches unter dem Mikroskop (Leitz Oc. 3 Obj. 2) bei schwa- cher Vergrößerung (45 mal) beobachtet. Einige Minuten nach der Aufstel- lung wurde einige Male mit einem Druckhaar (20 mg) entlang einem größeren Gefäße gestrichen. Nach ungefähr einer Minute zog sich das Gefäß deutlich zusammen. Dieser Zustand blieb 1—2 Minuten bestehen, dann wurde die Verengerung aufgehoben und die normale Gefäßweite wieder erreicht. Die angrenzenden Capillaren zeigten in diesem Ver- suche keine Lumenveränderung. Bei Wiederholung des Versuches während faradischer Reizung des Nerven zog sich das Gefäß nur nach Berührung mit dem Druckhaar ein wenig zusammen; während es sonst bei mikroskopischer Beobachtung während der elektrischen Reizung keine Lumenveränderung zeigte. Auch jetzt wurden an den angrenzenden Capillarendurchschnitten gar keine Veränderungen beobachtet. Die Gefäßwand war also imstande, während faradischer Reizung bei Durchströmung mit dem Nullgemisch nur auf mechanische Reizung zu reagieren; die contractilen Elemente waren offenbar funktionsfähig ge- blieben und die Nervenfasern leiteten anscheinend die zugeführten Reize nicht in derselben Weise über als es bei Anwendung von „aktiven“ Gemischen der Fall war. Daß dies wirklich der Fall war, zeigte folgender Versuch: Bei Durchströmung mit (4 mg Uransalz + 15 mg KCl) pro Liter folgte auf der faradischen Reizung eine leichte Gefäßkontraktion; die Gefäßverengerung nach mechanischer Reizung war stärker als in den früher beschriebenen Versuchen. Hier übten die nervösen Elemente einen bedeutenden Einfluß auf die Gefäßwand aus, die contractilen Elemente hatten jedoch ihre Funk- tion behalten. Bei Anwendung von Adrenalin und Histamin zeigte sich das Verhalten der vasomotorischen Reizbarkeit wie bei Durchströmung mit 1) Journ. of physiol. 55. 1921. 40* 622 K.T. A. Halbertsma: Über den Einfluß einzelner radioaktiver Elemente dem letztgenannten aktiven Gemisch; die faradische und mechanische Reizbarkeit waren also gleichzeitig hier vorhanden. Es liegt also auf der Hand anzunehmen, daß in denjenigen Fällen, wo faradische Reizbarkeit der Vasomotoren besteht, die Reizübertragung an der Übergangsstelle zwischen contractilen und nervösen Elementen, d. h. die Synapse, stattfindet. Beim Nullgemisch und bei den Gleichgewichtsgemischen, wo die faradische Reizbarkeit aufgehoben ist, ist meiner Meinung nach die Auf- hebung der Reizleitung an dieser Stelle zu suchen. Noch einen anderen Schluß darf man meines Erachtens aus den hier im vorliegenden be- schriebenen Ergebnissen ziehen, nämlich, daß das Nullgemisch den Gleichgewichtsgemischen zuzurechnen ist. Nicht nur die Ähnlichkeit zwischen beiden Gruppen von Gemischen hinsichtlich der Wiederher- stellung der Reizbarkeit durch radioaktive Salze und Hormone, aber auch der mikroskopische Befund, deutet auf eine Identität beider Grup- pen hin. Das Nullgemisch ist infolge dieser Auffassung also als ‚‚Mini- mum-Gleichgewichtsgemisch‘“ zu betrachten und es liegt auf der Hand, die Menge Uransalz (2—4 mg pro Liter) einerseits und die in der Aus- strömungsflüssigkeit anwesenden Mengen Kalium andererseits als die beiden Antagonisten in diesem Falle zu betrachten. Der Parallelismus zwischen der gefundenen wechselnden Mengen Kalium und Uran in den verschiedenen Jahreszeiten scheinen mir eine bedeutende Stütze für diese Auffassung zu sein. Zusammenfassung. 1. Vermittelst eines Kunstgriffes — Zufügung von 2—3 mg Uran- salz im Sommer, 3—4 mg Uransalz im Winter — ist es möglich, die faradische Reizbarkeit der Vasomotoren beim Frosch, die sonst bei Durchströmung mit kaliumloser Ringerschen Flüssigkeit bestehen bleibt, zum Schwinden zu bringen. 2. Es ist möglich, durch Zufügung geeigneter Mengen radioaktiven Saizes an diesem Gemische die Reizbarkeit wieder zum Vorschein treten zu lassen. 3. Durch Zufügung geeigneter &- und P-Strahler ist es möglich, eine ganze Reihe Gleichgewichtsgemische zusammen zu stellen: die Reiz- barkeit ist in diesen Fällen verschwunden. Das sub 1 genannte Ge- misch — Nullgemisch — stellt das Minimumgleichgewichtsgemisch dar. Zerstörung des Gleichgewichtes hat sofortige Rückkehr der Reizbarkeit zur Folge. 4. Die Gleichgewichtslinien stellen anfangs ziemlich steil aufstei- gende, allmählich mehr horizontal verlaufende Linien dar. Die Abszisse wird von den leichten Metallionen, die Ordinate von den schweren und Hormone auf die vasomotorische Erregbarkeit. 623 Metallionen gebildet. Diese Linien wurden bei gleichzeitiger Durch- strömung mit Kalium/Uran, Kalium/Thorium und Rubidium/Uran festgestellt. 5. Die Hormone Adrenalin, Histamin und Cholin lassen nach Zu- fügung am Nullgemische und die höheren Gleichgewichtsgemische sofort die Reizbarkeit wieder zurückkehren. 6. Das Cholin verstärkt den Einfluß der leichten radioaktiven Ionen (K, Rb); das Adrenalin und Histamin den der schweren Ionen (UO,). Zufügung einer geeigneten Menge der antagonistischen Ionen läßt die Reizbarkeit wieder verschwinden; werden aufs neue die ursprünglichen Stoffe zugefügt, so kehrt die Reizbarkeit sofort wieder zurück. 7. Die Wirkung der radioaktiven Salze auf die vasomotorischen Reiz- barkeit hat ihren Angriffspunkt in der Synapse. Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. Von Fr. W. Krzywanek und Maria Steuber. (Aus dem Tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. November 1922. In einer kurzen Mitteilung haben wir!) eine Methode angegeben, die es ermöglicht, beim tracheotomierten Tiere die alveolare Gasspan- nung und damit die Größe des toten Raumes zu bestimmen. In dieser Mitteilung haben wir ferner erwähnt, daß die Methode sich auch für Versuche am Menschen eigne und hatten in Aussicht gestellt, über der- artige Versuche zu berichten. Die in der ersten Mitteilung veröffent- lichten Versuche am Hunde zeitigten ein Ergebnis, das von den bis- her beim Menschen gefundenen Werten erheblich abwich. Während nämlich bei diesem der tote Raum nach übereinstimmenden Versuchen verschiedener Autoren in Abhängigkeit von der Atemgröße steht, konnten wir eine solche beim Tier nicht feststellen. Um diese gefundenen Abweichungen bei einer anderen Tierart zu kontrollieren, nahmen wir weitere Untersuchungen an zwei Hammeln vor, die in der Tab. I zusammengestellt sind. Wie aus dieser zu ersehen, Tabelle I. Versuch 1-5: Hammel „Z‘, Gewicht 17,7 kg; Versuch 6—9: Hammel IX, Gewicht 19 kg. i | Min.- Atem- Atem- ee Br Pro Min. ccm en Ba Toter Nr. | Vol. züge | größe aschlepurft 1 Jarluft | R.-Q. nung Raum | 1 pro Min. ccm 1 % Co, [05 % | mmHg| ccm 1l 2,0185 17,4 116,17 1,3613 3,94 | 78,92| 94,57] 5,84 | 0,83, 41,89 | 3%,82 2 | 2,5799| 21,2 1121,69 1,7682 3,57 | 91,33 |1106,11| 5,21 | 0,86 | 37,22 | 38,29 3 2,4775 21,5 |115,23 1,6637 | 3,62 | 88,94 101,90| 5,39 | 0,87| 38,74 | 3%,58 4 |2,1172) 20,5 1101,79 1,3238| 3,94 | 82,36 | 90,91| 6,30 | 0,91) 45,41 | 38,15 5 \ 2,0009 18,8 1106,43 1,2866 4,10 | 81,35 | 95,96| 6,38 | 0,85| 45,59 |3%,99 6 2,1299 17,5 1121,71 |1,4856| 3,34 | 70,50| 83,23| 4,79 | 0,83| 34,65 | 36,81 7 2,2095 18,2 1121,40 11,5377| 3,29 | 72,03| 92,51| 4,72 | 0,78, 34,21 | 36,91 1,8710 14,7 1127,28 11,3130| 3,01 | 55,76 | 78,32| 4,29 | 0,71 30,71 39,95 9 12,2428 14,4 1155,75 1,7079| 3,18 | 70,65 | 90,01| 4,18 0,78, 30,39 39,14 !) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 194, 477. 1922. F.W.Krzywaneku.M. Steuber: Ein Beitrag zur Größe destoten Raumes usw. 625 fanden wir auch bei diesen beiden Tieren das auffallende Konstant- bleiben des toten Raumes wie beim Hunde. Die alveoläre CO,-Spannung dagegen zeigte ein abweichendes Verhalten; die Schwankungen waren erheblich größer (4 bzw. 9mm). An beide Tiere war zu Versuchs- zwecken Harnstoff verfüttert worden und sie waren dadurch so herunter- gekommen, daß sie ohne vorherige Dressur an der Gasuhr still lagen. Ihre Nahrungsaufnahme war derart schlecht, daß sie zeitweilig über- haupt nicht fraßen, so daß bei Nr. IX in Versuch 8 der R.-Q. bis auf 0,71, also auf die reine Fettverbrennung abgesunken war. Es ist möglich, daß die gefundenen Schwankungen der alveolären CO,-Spannung mit diesem Zustand zusammenhängen; wir vermögen dies zunächst nicht zu entscheiden, da uns zu den Versuchen nur noch ein völlig gesunder Hammel zur Verfügung stand, der sich an der Gasuhr aber derartig ungebärdig benahm, daß wir zu keinen verwertbaren Ergebnissen kamen. Die mit unserer Methode sowohl beim Hunde wie auch beim Hammel gefundene Übereinstimmung der Werte für den toten Raum veranlaßte uns, die Versuche mit derselben Anordnung auch beim Menschen an- zuwenden. Von den vorliegenden ca. 80 Versuchen lassen wir in der Tab. II einen Teil folgen; es erübrigt sich, sämtliche Versuche anzu- führen, da sie, wie wir weiter unten zeigen werden, für die Lösung der Frage nach der Größe des toten Raumes nicht verwendbar sind. Überblicken wir die in dieser Tabelle zusammengestellten Werte, so sieht man sofort, daß ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen den gefundenen Zahlen für die Atemgröße und den toten Raum nicht besteht. Wir finden zwar im allgemeinen die Tendenz vorherrschend, daß beim Anwachsen der Atemgröße auch der tote Raum vergrößert wird, andererseits finden sich aber unter den angeführten Versuchen auch solche, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Ferner lassen die- jenigen Versuche, bei denen die Atemgröße annähernd dieselbe ist, die beim Tier gefundene Übereinstimmung durchaus vermissen. Lange Zeit konnten wir uns diese Schwankungen, die von anderen Autoren mit ihren Methoden ebenfalls gefunden worden sind (Haldane, Krogh, Lindhardt, Siebeck, Zuntz u. a.) nicht erklären; besonders in Hinsicht auf die Tierversuche schien es uns durchaus unwahrscheinlich, daß sich bei derselben Atemgröße die den toten Raum bildenden Luftwege verschieden stark ausdehnen sollten. Es mußte also ein Faktor von bestimmendem Einfluß vorliegen, der uns bis jetzt bei unserer Ver- suchsanordnung entgangen war. Wir haben, dem Beispiele der anderen Autoren folgend, mit Hilfe der Bohrschen Formel aus der Atemgröße und dem CO,-Gehalt der Exspirations- und Alveolarluft die Größe des toten Raumes berechnet. Wie bekannt, rechnet die Bohrsche Formel mit einem Atemzuge, der 626 F. W. Krzywanek und M. Steuber: Tabelle Il. Langdauernde Zuntz-Geppert-Versuche an M. St. (1—21) und F. W.K. (22-34). CO; d. | CO; d. | Alv. _ | Min.-Vo). Atem- Atemgröße | Exsp.- | Alv.- Toter CO;- Nr züge Luft Luft Raum Span- Bemerkungen 1 pro Min. ccm % % | ecm nung 1 | 4,2897 | 11,13 | 386,23 | 3,48 | 4,991 | 117,021) 36,03 2 4,1310 13,50 | 306,01 | 3,23 | 5,146 | 113,93 37,13 3| 4,3175 11,20 | 385,50 | 3,59 | 5,078 | 113,32 | 36,64 4 | 4,6432: | 7,38| 629,16 | 3,46 |4,926 | 187,86 | 35,55 5 8,3942 | 20,00 | 419,74 | 2,91 |4,185 | 129,52 | 30,39 | Arbeit 6 | 4,5772 |12,93 | 354,00 | 3,36 | 5,030 | 117,54 | 36,39 7 4,1390 |12,07. | 342,90 | 3,30 |5,200| 125,30 | 37,76 8 | 4,4659 [12,13 | 368,08 | 3,38 5,125 | 125,32 | 37,15 91 6,6973 19,60 | 341,70 | 2,97 4,912 | 135,10 | 35,62 | Arbeit 10 | 4,0466 | 12,62 | 320,75 | 3,25 | 5,401 | 127,73 | 39,34 11 | 3,9944 |13,25, 301,46 | 2,87 5,094 | 131,61 | 37,12 12 | 5,0331 |12,73| 395,37 | 3,48 | 5,235 132,54 | 38,34 13 | 11,1630 | 25,56 | 435,04 | 2,60 3,850 141,23 | 28,20 | Arbeit 14 | 15,8210 | 28,40 | 557,10 | 2,75 4,199 | 192,22 | 31,03 | Arbeit 15 | 5,6342 | 21,33 | 264,11 | 2,84 5,054 146,17 | 36,53 | flach geatmet 16 | 5,8531 | 22,50 | 260,14 | 2,43 4,613 | 123,10 | 33,38 17 | 6,5216 | 20,25 | 322,05 | 2,64 4,787 144,47 | 34,56 18 | 5,0144 |12,60 | 397,96 | 3,26 |5,100 143,98 | 36,82 19 | 5,2713 |12,33 | 427,52 | 3,26 [5,020 150,27 | 36,06 20 | 5,6025 |20,00 | 280,12 | 2,66 |4,677 | 121,11 33,60 | flach geatmet 21 | 4,9409 |12,80 | 386,00 | 3,18 | 4,929 | 136,91 | 35,40 | | 22 | 5,7611 |13,35 | 431,57 | 4,07 |5,293| 99,72 | 38,44 23 | 4,7490. | 10,01 |" 474,43 | 4,41 | 5,702 | 106,55 | 41,29 24 | 5,4883 | 8,63 | 635,50 | 4,26 | 5,573 150,29 | 40,39 25 |: 5,4991 |10,17 | 540,70 | 4,15 |5,739| 149,77 |41,59 26 | 5,8051 | 9,10 637,92 | 4,18 | 5,544 | 156,98 | 40,18 27 | 6,1354 |10,50 | 584,30 | 3,90 | 5,303 | 154,59 | 38,53 28 | 6,4799 |10,17 | 637,41 | 4,05 |5,220 144,81 | 37,85 29 | 10,5740 | 22,83 | 463,11 | 3,27 | 5,047 | 163,06 | 36,97 | Arbeit 30 | 12,8840 | 25,33 | 508,58 | 2,82 4,161 | 163,86 | 30,48 | Arbeit 31 | 7,1973 | 4,00 | 1799,30 ' 3,99 | 5,110 | 396,23 | 37,43 32 | 10,2760 | 23,43 | 438,60 | 3,42 5,660 173,60 |40,95 Arbeit 33 | 6,2147 |11,57 | 537,09 | 3,82 5,419 | 158,99 | 39,20 34 | 10,0750 | 20,71 | 468,38 | 3,21 |5,148 | 183,02 | 37,24 aus In- und Exspiration besteht, die gewissermaßen einen bestimmten toten Raum einschließen. Man muß demnach zu der Überzeugung kommen, daß die Bohrsche Formel nur dann Gültigkeit haben kann, wenn In- und Exspiration vollkommen gleich sind, eine Tatsache, auf die unseres Wissens bisher noch kein Wert gelegt worden ist. Bei der Exspiration wird bekanntlich zunächst die im toten Raume verbliebene 1) Sämtliche Zahlen für den toten Raum der Tab. II bis IV enthalten den toten Raum des Mundstücks mit ca. 10 ccm. Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. 627 Luftmenge nach außen befördert. Diese Luftmenge enthält annähernd unverändert den CO,-Gehalt der eingeatmeten Luft. Theoretisch käme nach Ausatmung der Luftmenge des toten Raumes sofort die in der Lunge mit CO, gesättigte Alveolarluft nach außen. Durch Strömungs- und Diffusionsvorgänge wird es aber erreicht, daß der CO,-Gehalt der ausgeatmeten Luft allmählich von dem der eingeatmeten bis zu dem der Alveolarluft ansteigt. Ist nun in einem Versuch die ein- und aus- geatmete Luftmenge gleich, so steht der Durchschnittsgehalt der Exspirationsluft an CO, in dem richtigen Verhältnis zu dem der Alveo- larluft und dem toten Raum. Anders wird aber das Bild, wenn Ein- und Ausatmung ungleich sind. Atmet man z. B. 500 cem ein und 600 cem aus, so setzt sich die ausgeatmete Luft zusammen aus den 500 cem eingeatmeter Luft und 100 cem restierender Lungenluft. Der CO,-Gehalt dieser Exspirationsluft wird also um diejenige Menge 00, zu hoch sein, die in 100 ccm Alveolarluft enthalten sind. In derselben Weise, nur in umgekehrter Richtung, liegen die Verhältnisse, wenn die ausgeatmete Luftmenge kleiner wie die eingeatmete ist. Da aber die ausgeschiedene CO,-Menge einer der Faktoren ist, mit deren Hilfe diejenige Luftmenge berechnet wird, die in der Lunge am Gasaus- tausch teilgenommen hat, so erkennt man, daß man bei Nichtberück- sichtigung des oben Angeführten zu Werten für den toten Raum kommen muß, die um so weniger der Wirklichkeit entsprechen werden, je größer die Differenz zwischen ein- und ausgeatmeter Luftmenge sind. Einen Beweis für diese Überlegung bringen wir weiter unten in der Tab. IV. Abb. 1. Da wir in den langandauernden Zuntz-Geppert-Versuchen die oben zitierte Forderung nicht kontrollieren konnten, mußten wir zu einer anderen Versuchsanordnung übergehen. Diese konnte nur darin bestehen, daß wir statt der langen Versuche nur einzelne Atemzüge untersuchten. Um dies zu erreichen, verbanden wir das Ausatmungs- 628 F. W. Krzywanek und M. Steuber: ventil (a Abb. 1) mit einem Dreiweghahn (5), dessen einer Ansatz- stutzen (c) mit der Außenluft, der andere mit einem luftdichten Gummi- säckchen (d) von 2!1/,1 Fassungsvermögen kommunizierte. An dem Ansatzstutzen des Gummisäckchens war ein kleines Glasröhrchen (e) angebracht, das zur Durchmischung und Gasentnahme diente. Das Einatmungsventil (f) war durch einen Gummischlauch (g) mit dem Ausatmungsrohr (h) einer kleinen Zuntzschen Präzisionsgasuhr (%) ver- bunden, die derart vor der liegenden Versuchsperson stand, daß diese ihre Atemgröße genau auf das jeweils gewünschte Volumen einstellen konnte. Nachdem sich die Versuchsperson auf dieses Volumen eingestellt hatte, so daß ihr das Atmen in der gewünschten systematischen Weise keine Schwierigkeiten mehr bereitete, wurde der Versuch angestellt. Der Experimentator öffnete während einer Inspiration den Weg vom Ausatmungsventil (a) zum Luftsack (d) durch Drehen des Hahnes (b), klemmte nach Beendigung der Inspiration in der in der ersten Mit- teilung angegebenen Weise den Gummischlauch zwischen Einatmungs- ventil und Kreuzungsstelle (bei k) ab und entnahm sofort nach Be- endigung der Exspiration 100 cem Alveolarluft durch Öffnen des Hahnes am evakuierten Meßrohr (l). Nach Beendigung des Versuchs wurde das im Luftsacke befind- liche Gas gemischt, eine Probe zur Analyse entnommen und der Rest gemessen. Die so erhaltene Zahl diente uns als Kontrolle dafür, daß die Versuchsperson nicht mehr oder weniger ausgeatmet hatte, wie sie nach der Gasuhr eingeatmet hatte, eine Forderung, die nur sehr schwer zu erfüllen war. In der Tab. III sind nur diejenigen Versuche angeführt, in denen die Übereinstimmung beider Messungen eine sehr gute war. Nachdem wir in einer langen Versuchsreihe den Beweis für die Richtigkeit unserer oben zitierten Annahme erbracht hatten, verzichteten wir bei Nichtübereinstimmung beider Werte von vorn- herein auf die Analysen der Gase. 12 Versuche, bei denen wir die Ana- lysen trotzdem vorgenommen hatten, sind in der Tab. IV wieder- gegeben, auf die wir später eingehen werden. Die Messung des Luftvolumens im Sack bereitete uns zuerst nicht unerhebliche Schwierigkeiten, da derartige Säcke bekanntlich gegen Druck dicht zu bekommen sind, sehr schwer aber gegen Unterdruck. Wir halfen uns schließlich in der Weise, daß wir den Sack bis über seine Befestigungsstelle am Hahn sofort nach dem Versuch unter Wasser tauchten und nun mittels eines graduierten Glasrohres von 500 cem Fassungsvermögen den Inhalt desselben durch Senken eines an ihm befindlichen Niveaugefäßes herauszogen. Erst auf diese Weise gelang es uns, das Volumen der exspirierten Luft genau zu bestimmen. Die Analyse sowohl der Exspirations- als auch der Alveolarluft wurde im Haldane-Apparat ausgeführt. Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. 629 Mit Hilfe dieser Anordnung sind die Werte gefunden, die in der Tab. III zusammengestellt sind. Die Versuche haben wir gegenseitig an uns beiden vorgenommen. Es gelang uns, unsere Atmung derartig zu modifizieren, daß wir Reihenversuche anstellen konnten, die sich bei M. St. zwischen 260 und 1300 cem, bei F. W.K. zwischen 300 und 2000 ccm bewegten. Man ersieht auch aus diesen Versuchen, daß sich der tote Raum mit der Atemgröße ändert, aber in einer charak- teristischen Weise. Je mehr die Atemgröße wächst, um so größer wird auch der dazu gehörende tote Raum; das Verhältnis beider Werte ist aber kein konstantes. Während bei einem kleinen Atemvolumen (M. St. 260 ccm) der tote Raum ca. 50% der Atemgröße ausmacht, vermindert sich dieses Verhältnis bei steigender Atemgröße zu un- gunsten des toten Raumes, so daß dieser bei ungefähr 800 cem Atem- Tabelle III. Versuch 1—11: M. St.; Versuch 12—22: F. W. K. Der Wert der beiden Konstanten ist für beide Versuchspersonen gleich; er wurde errechnet aus den Versuchen 73 u. 19. k, = 0,11732, k, — 102,45. & CO, der N, Ok Toter Raum %-Größe d. Agernentolig | ———— m 5 = toten Rau- Nr. Exsp.-Luft | Alv.-Luft | Spannung | oefunden | errechnet | mes zur cem 02 % mm Hg ccm ccm Atemgröße 1 260,46 2,541 5,018 36,14 128,55 133,01 49,35 2 333,52 2,961 5,125 37,01 140,81 141,58 42,22 3 387,28 3,210 5,191 37,49 147,78 147,89 38,16 4 402,57 3,264 5,219 37,69 150,80 149,68 37,46 5 519,85 3,7125 5,444 39,25 164,03 163,44 31,57 6 609,16 3,839 5,386 38,83 174,94 173,92 28,72 7107,10 3,812 5,202 37,51 189,19 185,48 26,73 8s | 805,40 3,836 5,045 36,38 193,00 196,94 23,96 9 | - 932,12 3,752 4,946 35,45 225,17 (211,81) 24,16 10 1020,00 3,687 4,856 34,96 249,04 (222,12) 24,42 11 1333,80 3,136 4,163 29,83 329,00 (259,43) 24,67 102 |0.290:71 3,428 6,164 44,45 129,02 136,53 44,38 13 | 356,54 3,806 6,393 46,10 144,28 144,28 40,47 14 409,22 3,857 6,140 43,89 152,16 150,46 37,18 15 466,79 4,287 6,474 46,67 157,65 157,15 33,77 16 640,34 4,432 6,141 44,03 178,15 177,58 27,82 2 7019712 4,8577 | 6,644 47,61 190,83 190,83 26,59 18 | 821,73 4,611 | 6,045 43,87 194,99 198,86 23,73 19 | 912,60 4,624 6,002 43,55 209,52 209,52 22,96 20 | 1030,10 4,591 | 5,858 42,25 222,72 223,31 21,62 21 | 1525,90 4,720 5,864 | 42,02 | 297,70 (281,47) 19,50 22 | 2029,50 4,291 | 5,243 37,97 368,50 (340,56) 18,16 sröße nur noch 24% der letzteren beträgt. Stellt man die bei M. St. und F. W.K. gefundenen Werte für den toten Raum nebeneinander, so ist die Übereinstimmung zwischen den beiden Personen überraschend, trotz der Unterschiede in Größe und Geschlecht. 630 F. W. Krzywanek und M. Steuber: Trägt man die Werte für die Atemgröße (X) und den dazugehören- den toten Raum (Y) in das Koordinatensystem ein und verbindet man die sich ergebenden einzelnen Punkte miteinander, so liegen die für den toten Raum gefundenen Werte alle fast genau auf einer Geraden. Es ist daher leicht, für diese Gerade mit Hilfe der bekannten Zwei- punktformel aus der ebenen Geometrie eine Gleichung aufzustellen, die es ermöglicht, für jeden Wert der Atemgröße den zugehörenden 00 Prozemualer Anteil des Toren ap Taumes an der Aremgroße | I \ 70, | \ \ — Be 200 Hi Y=Tofer Kaum 200 400 600 800 7000 7200 7400 7600 71800 2000ccm A=Aremgröße Abb. 2. Graphische Darsteilung der Werte für die Atemgröße, den toten Raum und den pro- zentualen Anteil des letzteren an der Atemgröße. Versuche 12 bis 22 der Tabelle III. (F.W.K.) Wert des toten Raumes zu errechnen. Die Gleichung einer solchen Geraden lautet y = m x + b, wobei in unserem Falle bedeuten: y der tote Raum, x die Atemgröße, m tg des Winkels, den die Gerade mit der Ab- szissenachse bildet, und b der Abschnitt dieser Geraden auf der Ordinaten- Yıcs Ya c 0 2 achse. Die Zweipunktformel lautet: ZA _AT%, yit Hilfe dieser Formel haben wir für F. W. K. aus den Werten der Versuche 13 und 19 (fettgedruckt!) die Gleichung der Geraden aufgestellt. Der leichteren Orientierung wegen lassen wir die Ausrechnung folgen. x, = 356,54 (Atemgröße Versuch 13), %, = 144,28 (toter Raum Versuch 13), ©, = 912,60 (Atemgröße Versuch 19), % = 209,52 (toter RaumVersuch 19), Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. 631 y—144,28 144,28 — 209,52 x — 356,54 356,54 — 912,60 ’ 65,24 Tao er, 556,06 65,24 23260 un ee, ee 556,06 556,06 06524 56968 = ——— an ——. 556,06 556,06 die endgültige Formel lautet also: y = 0,11732 x + 102,45 , wobei die beiden Zahlen zwei Werte bedeuten, die für ein und denselben Menschen konstant bleiben, und die wir daher als k, und kg bezeichnen. Wenn man nun in die Gleichung für X und Y die Be- zeichnungen der Bohrschen Formel, also E für die Atemgröße und D für den toten Raum einsetzt, so erhält man als Formel für die Er- rechnung des toten Raumes: D=E:k,tk,. Setzt man in diese Formel für Z die gefundene Atemgröße ein, so erhält man durch eine einfache Rechnung den zu ihr gehörigen toten Raum. Durch diese Rechnung sind in der Tab. III die Werte der Kolumne 7 entstanden. Da wir aus der Zeichnung ersehen hatten, daß die Werte für M. St. und F. W.K. in eine Linie fielen, haben wir auch für M. St. dieselben Konstanten angewandt, die wir für F. W.K. aus Versuch 13 und 19 errechnet hatten. Mit Ausnahme der flachsten und tiefsten Atemzüge ist die Über- einstimmung der gefundenen und berechneten Werte eine außerordent- lich gute. Was die flachen Atemzüge anbelangt, so dürfte die zutage tretende Unstimmigkeit wohl hauptsächlich in dem Umstande zu suchen sein, daß es uns sehr schwer fiel, unsere Atmung auf ein der- artig kleines Volumen einzustellen. Trotz zahlreicher Versuche mit kleiner Atemgröße gelang es uns nicht, bei so flacher Atmung eine ebenso gute Übereinstimmung von In- und Exspiration zu erzielen wie in den Versuchen, die einer normalen Atmung näher liegen. Was die tiefsten Inspirationen betrifft, so darf nicht übersehen werden, daß diese wiederum erheblich über der Durchschnittsatemgröße liegen. Die Übereinstimmung bei drei Versuchspersonen läßt darauf schlie- ßen, daß die Alveolen nur bis zu einer bestimmten Grenze, die bei den einzelnen Menschen, je nach der Lungenkapazität, verschie- den hoch liest, der beobachteten gesetzmäßigen Ausdehnung der Formel folgen. Wird diese Grenze überschritten, so scheint der Wider- stand, den die Alveolen der Ausdehnung entgegensetzen, derartig 632 F. W. Krzywanek und M. Steuber: gesteigert, daß er sich dem Widerstand nähert, den der tote Raum der Ausdehnung entgegensetzt. Nur so ist es zu erklären, daß z.B. bei M. St. von der Atemgröße 900 ab die Gerade für den toten Raum der Formel nicht mehr folgt, sondern daß der gefundene tote Raum für diese Werte gegenüber den berechneten erheblich, bei einer Atem- größe von 1300 z. B. gegen 20%, höher liegt. Bei F. W.K. tritt diese Abweichung entsprechend seiner größeren Lungenkapazität wesentlich später ein. Erst bei einer Atemgröße von 1500 cem stimmen hier die beiden Werte nicht mehr überein, ebenso wie bei unserer dritten Ver- suchsperson C.d.S. (Tab. VI). Tabelle IV. x Eingeatmet | Ausgeatmet Toter Raum Toter Raum ge- Nr. | Ausgeatmet genüber d. Wer- ccm | cem ccm ten d. Tab. III 1 | 251,58 | 298,30 113,62 zu viel zu klein 2 0 a5 | 270,65 156,82 zu wenig zu groß 3 | 367,63 | 331,04 169,12 zu wenig zu groß 4 | 470,08 | 530,65 148,19 zu viel zu klein 5 | 477,88 | 549,98 140,28 zu viel zu klein 6 | 501,41 564,07 127,46 zu viel zu klein 7 | 509,81 | 599,03 132,26 zu viel zu klein 8 | 538,60 457,80 182,32 | zu wenig zu groß 9 | 574,39 634,70 164,28 zu viel zu klein 10 \ 690,48 641,34 191,60 zu wenig zu groß 11 | 930,48 | 1063,40 198,68 zu viel zu klein 12 | 990,88 869,82 275,25 zu wenig zu groß Wir haben in obigem ausgeführt, daß die Bohrsche Formel nur dann Gültigkeit haben kann, wenn In- und Exspiration in ihrer Größe übereinstimmen, und daß nur diejenigen Versuche der aufgestellten Formel folgen, die dieser Forderung genügen. Ein Teil derjenigen Versuche, bei denen In- und Exspiration einen größeren Unterschied aufweisen, bei denen wir aber noch die Gasanalysen vorgenommen hatten, sind in der Tab. IV zusammengestellt. Wir nehmen sie als Beweis für die Richtigkeit unser obigen Annahme. In 7 Versuchen, in denen die ausgeatmete Luftmenge größer wie die eingeatmete ist, finden wir auch den toten Raum gegenüber den Versuchen der Tab. III zu klein, in den 5 Versuchen, in denen die eingeatmete Luftmenge die ausgeatmete übertrifft, ist der Wert für den toten Raum zu groß. Diese Übereinstimmung findet durch unsere Annahme eine Erklärung, daß in den angeführten Versuchen der gefundene Wert für den CO,-Gehalt der Exspirationsluft zu hoch bzw. zu niedrig ist und die Rechnung mit diesem falschen Wert zu unrichtigen Ergebnissen in der gefundenen Richtung führen muß. Ein Beitrae zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. 633 Wir wollen noch einmal kurz auf die Zuntz-Geppert-Versuche der Tab. II zurückkommen. Auf die Abweichungen der Ergebnisse von den Versuchen der Tab. III ist schon hingewiesen worden. Als Grund für diese Abweichungen käme neben der Unkontrollierbarkeit des Verhältnisses zwischen In- und Exspiration noch folgendes in Betracht: In einem längeren Versuch wird die durchschnittliche Atemgröße da- durch berechnet, daß man das Atemvolumen durch die Zahl der Atem- züge dividiert. Diese durchschnittliche Atemgröße kann also auf ver- schiedene Weise erreicht werden. Einmal kann sie tatsächlich während des ganzen Versuches ziemlich konstant bleiben; das wird jedoch nur in Ruheversuchen und auch dann kaum zu erreichen sein. Die in einem solchen Falle gefundenen Werte werden tatsächliche Durch- schnittswerte sein. Ein andermal kann sie dadurch zustande kommen, daß man tiefe und flache Atemzüge mittelt. Je nach der Größe ihrer Schwankungen und der Zahl der tiefen gegenüber den flachen Atem- zügen wird man Zahlen für den toten Raum erhalten, die nicht der Wirklichkeit entsprechen können, da der Prozentanteil des toten Raumes an der Atemgröße nicht konstant bleibt. Als weiterer Grund käme hin- zu, daß wir bei den Zuntz-Geppert-Versuchen aus technischen Gründen nur je 2mal 75 ccm Alveolarluft entnehmen konnten. Da es nun durch- aus nicht sicher erscheint, daß die alveoläre CO,-Spannung während des ganzen Versuchs, besonders während eines Arbeitsversuches, kon- stant bleibt, kann man annehmen, daß hierin ein weiterer unkontrollier- barer Fehler gegeben sein könnte. Aus den Bemühungen, diese 3 Fehler zu eliminieren, ist die vorliegende neue Versuchsanordnung entstanden. Im Gegensatz zu den Tierversuchen konnten wir also beim Menschen ein Konstantbleiben des toten Raumes bei verschiedener Atemgröße nicht feststellen. Die Versuche am Tier verlieren aber in dieser Be- ziehung an Bedeutung, da es uns nicht gelang, die Atmung der Ver- suchstiere derartig zu modifizieren, wie wir es beim Menschen erreichen konnten. Betrachtet man die Hundeversuche in der ersten Mitteilung und die Hammelversuche der Tab. I, so sieht man, daß die Schwan- kungen in der Atemgröße nur unbeträchtlich und die durchschnittliche Atemgröße dieser Tiere im Verhältnis zum Menschen nur sehr klein ist. Da aber auch beim Menschen bei kleiner Atemgröße die Ver- änderungen, die der tote Raum erleidet, nur unerheblich sind, so muß dasselbe natürlich in verstärktem Maße auch für die bedeutend kleineren Atemgrößen des Tieres gelten. Hinzu kommt, daß für diese Werte, die wir durch Zuntz-Geppert-Versuche gewonnen haben, auch beim Tier das oben über diese Gesagte gelten dürfte. Überblickt man die in der Literatur niedergelegten Ergebnisse der Versuche, für den Menschen die Größe des toten Raumes zu bestimmen, so findet man, daß die unsrigen von diesen in bezug auf Gleichmäßig- 634 F. W. Krzywanek und M. Steuber: keit erheblich abweichen. Als erster hat sich Grehant!) mit dieser Frage beschäftigt. Er ermittelte durch Einatmen von Wasserstoff für den toten Raum eine obere Grenze von 138 ccm. Loewy?) fand durch Ausgießen des toten Raumes bei der Leiche mit Gips für diesen einen Mittelwert von 144 ccm, eine Zahl, die mit der von uns für eine Atem- größe von 350 ccm gefundenen übereinstimmt und für eine kollabierte Lunge zutreffen könnte. Bei einer rechnerischen Ermittelung dieser Größe fand Loewy?) Werte zwischen 100 und 150 ccm. Neben diesen Autoren, die den toten Raum direkt zu bestimmen suchten und mit seiner Hilfe die alveoläre CO,-Spannung berechneten, singen zuerst Haldane und Priestley*) den umgekehrten Weg. Sie gaben eine Methode an, mit deren Hilfe man die Zusammensetzung der Alveolarluft direkt bestimmen und mit dieser den toten Raum errechnen konnte. Die mit ihrer Methode gefundenen Werte für letzteren lassen sich ebenso wie die von Douglas und Haldane°) mit denen ver- gleichen, die wir in den Zuntz-Geppert-Versuchen gefunden haben und denjenigen, die wir in Tab. IV zusammengestellt haben. Bei ihren Versuchen, die erstere gegenseitig an sich vornahmen, fanden sie als Durchschnittszahlen 142 und 189 cem. Die einzelnen Bestimmungen schwankten bei Haldane zwischen 124 und 234, bei Priestley zwischen 90 und 186 cem. Auf die Einwände, die Krogh und Lindhardt®) gegen die Methode von Haldane und Priestley erhoben, wollen wir an dieser Stelle nicht eingehen. Sie selbst verwendeten eine von ihnen modifizierte Methode von sSiebeck?), ohne indessen wesentlich andere Ergebnisse zu finden wie Haldane und Priestley. Zuntz®) hat ebenfalls Bedenken gegen die Methode der letzteren geäußert, die er dadurch zu beseitigen suchte, daß er die Gewinnung der Alveolarluft nicht auf eine einzige Exspiration stützte, sondern während länger dauernder Respirationsversuche durch Benutzung der von Lindhardt?) angegebenen Anordnung zur Probeentnahme die durchschnittliche Zusammensetzung der Alveolarluft ermittelte. Die mit dieser Methode gefundenen Werte, die in einer Arbeit von Loeb!P) !) Journ. de l’anat. et de physiol. 1, 523. 1864. 2) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 416. 1894. Pflügers Arch. f. oe ges. Physiol. 58, 409. 1894. ) Journ. of physiol. 3%, 226. 1905. >) Journ. of physiol. = 235. 1912. ’) Journ. of physiol. 4%, 30. 1913. 7) Scand. Arch. f. Physiol. 25, 87. 1911. ) :) ) = — 4 6 8, Biochem. Zeitschr. 39, 453. 1912. Journ. of physiol. 42, 337. 1911. Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 11, 16. 1920. Ein Beitrag zur Größe des toten Raumes in den Atmungswegen. 635 wiedergegeben sind, entsprechen sehr gut den von uns gefundenen Werten der Zuntz-Geppert-Versuche. Während des Krieges veröffentlichten Henderson, Chillingworth und Whitney!) eine Arbeit, die sich ebenfalls mit der Frage der Größe des toten Raumes befaßte. Mit 5 verschiedenen Methoden stellten diese Forscher zahlreiche Versuche an, um die Abhängigkeit des toten Raumes von der Atemgröße zu klären. Diese Versuche, die sich über eine Atem- sröße von 720 bis zu 3620 ccm erstrecken, zeigen in ihren Werten ebenfalls sehr starke Unterschiede. Diese Unterschiede beziehen sich nicht allein auf diejenigen Werte, die mit den verschiedenen Methoden gefunden sind, sondern auch auf die einer Versuchsreihe mit derselben Methodik. Zur selben Zeit erschien eine weitere Arbeit von Haldane?), der, unabhängig von den Amerikanern, ebenfalls Reihenversuche an- stellte. Mit Ausnahme eines Versuchs ist in diesen Versuchen Haldanes eine gleichmäßige Erhöhung des toten Raumes bei steigender Atem- größe deutlich sichtbar. Wenn auch die absoluten Werte mit den von uns gefundenen nicht identisch sind, so liegen doch diese Versuche in ihrer Tendenz den unseren am nächsten. Aus der Übereinstimmung der Versuche an uns beiden (Tab. III) konnten wir entnehmen, daß für jeden Menschen die Verbindungslinie der Punkte für den toten Raum auf einer Geraden liegen, deren Gleichung sich aus zwei Punkten leicht bestimmen läßt. Um diese Annahme zu erhärten, stellten wir weitere Versuche in diesem Sinne an 2 Personen an, die in der Tab. V und VI wiedergegeben sind. Tabelle V. Tabelle VI. J. P. k, = 0,1754, k, = 80,013 ©. d. S. k, = 0,2159, k, = 73,60 ® Toter Raum DE) I RE “ 2 Toter Raum 2 | Atemgröße — +. || Atemgröße = N. gefunden | errechnet N. gefunden | errechnet | ccm cem | ccm | ccm cem | ccm 1 | 41474 | 158,79 152,9 415,80 | 161,80 | 163,37 2 588,80 184,00 | 183,32 425,21 165,40 165,40 | 3 | 830,27 | 225,70 8354,58 256,75 258,10 \, 1557,00 451,10 | (409,75) Wir bestimmten aus zwei Versuchen (in der Tabelle fettgedruckt) die Gleichung der Geraden und berechneten mit ihrer Hilfe die übrigen Werte. Die gute Übereinstimmung der errechneten und experimentell gefundenen Werte erbrachte den Beweis, daß die Punkte für den toten Raum auch bei diesen beiden Personen tatsächlich auf einer Geraden lagen. Die Abweichung gegenüber unserer Gleichung bestand nur in 1 2 225,70 3 563,35 | 195,32 | 195,32 4 | 5 !) Americ. journ. of physiol. 38, 1. 1915. ?) Americ. journ. of physiol. 38, 20. 1915. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 197. 41 636 F.W.Krzywanek u. M. Steuber: Ein Beitrag zur Größe d. toten Raumes usw. einem kleinen Unterschied der Richtungskonstanten und des Ab- schnittes auf der Ordinatenachse, also von k, und k,. Aus unseren Versuchen dürfte hervorgehen, daß für jeden Menschen die Verbindungslinie der Werte für den toten Raum im Koordinaten- system auf einer Geraden liegen, deren Gleichung aus zwei Versuchen leicht aufzustellen ist, wobei mindestens eine dritte Bestimmung zur Kontrolle nötig ist. Wir machen nochmals darauf aufmerksam, daß nach unserer Ansicht auf die Übereinstimmung der ein- und ausgeat- meten Luftmenge der größte Wert zu legen ist; daß die Gasanalysen durch Kontrollbestimmungen erhärtet werden müssen, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Da die Gleichung der Geraden für den toten Raum nur in bestimmten Grenzen Gültigkeit besitzt, so muß darauf Bedacht genommen werden, den für die Errechnung notwendigen zweiten Punkt nicht zu hoch zu wählen. Am geeignetsten erscheinen uns Bestimmungen von 400 und S00 cem zur Berechnung und 600 cem zur Kontrolle. Sind die Werte für k, und %, für eine Versuchsperson einmal ermittelt, so ist nach unserer Überzeugung die sicherste Methode, die Zusammensetzung der Alveolarluft für diesen zu ermitteln, die folgende: Aus einem Respirationsversuch wird die durchschnittliche Atemgröße berechnet, mit Hilfe der Formel der dazugehörige tote Raum bestimmt und durch Einsetzen der gefundenen Werte in die Bohrsche Formel der Prozentgehalt der Alveolarluft gefunden. Zusammenfassung. 1. Es wird eine neue Methode beschrieben, die eine Bestimmung der Alveolarluft und die Messung des In- und Exspirationsgases ermöglicht. 2. Es wird eine Formel aufgestellt, mit deren Hilfe man für jede Atemgröße den zu ihr gehörigen toten Raum errechnen kann. Autorenverzeiehnis. Abderhalden, Emil und Ernst Wertheimer. Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Zustandes. IV.Mit- | — — Untersuchungen über den Einfluß teilung. Untersuchungen über das Brechungsvermögen des Serums vor und nach der Erstinjektion von blut- fremdem Eiweiß und nach dessen Reinjektion. S. 85. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- XIX, Mitteilung. zifischer Wirkung. Vergleichende Fütterungsversuche mit Fleisch von normal und von aus- schließlich mit geschliffenem Reis er- nährten Tauben. S. 89. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- zifischer Wirkung. XX. Mitteilung. Vergleichende Fütterungsversuche mit verschiedenen reinen Nahrunos- stoffen. S. 97. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- | zifischer Wirkung. XXI. Mitteilung. Versuche mit reinen Nahrungsstoffen mit Überwiegen der Kohlenhydrate bzw. eines Fettsäuren-Glyzeringemi- sches. S. 105. — Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spe- zifischer Wirkung. XXII. Mitteilung. Fütterung von Tauben mit Fleisch ohne und mit Zusätzen. S. 121. — und Ernst Wertheimer. Studien über Autoxydationen. (Versuche mit Öystein und Geweben. Studien über das Wesen der Blausäurevergiftung). S. 131. Amendt, K. Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht. IV. Die Gerinnungszeit des Blutes der Haustiere. S. 556. Atzler, Edgar und Gunther Lehmann. Untersuchungen über die Pufferungs- potenz desWarmblütergewebes. S. 206. der Wasserstoffionenkonzentration auf die Bluteefäße von Säugetieren. 8.221. Bijlsma, U. G. und (©. Versteegh. Bei- träge zur Pharmakologie der Körper- stellung und der Labyrinthreflexe. VII. Mitteilung. Vergiftung mit Chinaketonen mit besonderer Be- rücksichtigung der Rollbewegungen. S. 415. | Camis, M. Das Kleinhirn als Regula- tionszentrum des sympathischen Mus- keltonus. 8. 441. Ebbecke, U. Membranänderung und Ner- venerregung. ]I. Mitteilung. Über das Nervenschwirren bei Reizung sen- sibler. Nerven. S. 482. Feringa, K. J. und J. de Haan. Über die Ursachen der Emigration der Leu- kocyten I. S. 404. Fodor, K. und L. Happisch. Über die Verschiedenheit der Unterschieds- schwellen für den Geschmackssinn bei Reizzunahme und Reizabnahme. S 337. Frank, E., Nothmann, M. und 7. Hirsch- Kauffmann. Über die „tonische" Kon- traktion des quergestreiften Säugetier- muskels nach Ausschaltung des moto- rischen Nerven. I. Mitteilung. S. 270. Gildemeister, Martin. Die Veranschau- licehung reizphysiologischer Tatsachen durch ein einfaches Modell. S. 424. — Über Frregbarkeit und ihre Messung. S. 428. — Der galvanische Hautreflex (der sog. psychogalvanische Reflex) als Teil- erscheinung eines allgemeinen auto- nomen Reflexes. S. 432. 41° 638 Gurwitsch, Lydia Felicine. Zur Analyse der Arbeit der Nervenzelle. S. 147. Haan, J. Siehe Feringa und de Haan. Halbertsma, K. T. A. Über den Ein- fluß einzelner radioaktiver Elemente und Hormone auf die vasomotorische Erreebarkeit. S. 611. Halpern, Fanny. Über die Beeinflus- sung der Tastschwelle durch aktive Hyperämie. S. 81. Happisch, L. 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Siehe Lipschütz und Siehe Abderhalden [u Ag! u rt ww a; nat a Er Pe) % \ Ar Me en Be ee N 5 2a Mal ELPSER, BEE aaa we x ==. ac +. TH N ne EM Er = FE