;; YERLAG VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG :; Mechanismus und Vitalismus in der Biologie des neunzehnten Jahrhunderts Ein geschiclitlicher Yersucli von Karl Braeuiiig gr. 8. Geheftet Ji 2.40 Selectionsprinzip und Probleme der Artbildung Ein Handbuch des Darwinismus von Dr. Ludwig Plate Professor an der Universität Jena === Dritte, sehr vermehrte Auflage == Mit 60 Figuren im Text. gr. 8. Geh. Ji 12.—, in Leinen geb. Jt 13.— 'Die neue Auflage dieses , Handbuches des Darwinismus' besitzt fast den doppelten Um- fang der zweiten und dürfte in dieser erheblich bereicherten Ablassung recht viele Freunde finden. Und zwar nicht nur welche in den Kreisen der Fachgelehrten (Zoologen und Botaniker), sondern auch ebenso zahlreiche unter den Gebildeten aller Stände, welche ein nicht bloß ober- flächliches Interesse an den biologischen Fragen und Problemen nehmen. Man kann dieses wegen seiner objektiven Darstellung unbedingt wertvolle Buch als einen Wegweiser durch das Labyrinth der darwin istischen Theorien und deren Diskussion in der Literatur ansehen, zumal letztere bereits kaum ,;och überseiibar ist " . Ohne sich nun mit allen Argumentationen des Verfassers solidarisch erklären zu können, stehen wir doch nicht an, die neue Auflage seines Buches als einen der besten Kommentare zu bezeichnen, die in neuerer Zeit zur Lehre des großen englischen Forschers ge- schrieben worden sind. Erklärte Darwinisten sowohl w^ie auch strikte Gegner der Selektionstheorie werden Plate's Schrift mit gleich großem Nutzen lesen.« (Prof. Dr. 0. Zacharias, Plön.) DieMneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Geschehens von Richard Semon = Zweite, verbesserte Auflage = gr. 8. Geh. J/ 9. — , in Leinen geb. J/ 10.— Als erste Fortsetzung der Mneme ist erschienen: Die mnemischen Empfindungen von Richard Semon gr. 8. Geh. ..// 9.~; in Leinen geb. J/ 10.—. Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig PHILOSOPHIE DES ORGANISCHEN GIFFOKD-VOELESUNGEK GEHALTEN AN DER UNIVERSITÄT ABERDEEN IN DEN JAHREN 1907-1908 VON y HANS DRIESCH (HEIDELBERG) ZWEITER BAND \ LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1909 TEBLAG VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG :; REaENERATION von Thomas Hunt Morgan Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Englisclien übersetzt und in Gemeinschaft mit ihm vollständig neu bearbeitet von Max Moszkowski Deutsche Ausgabe, zugleich zweite Auflage des Originals == Mit 77 Figuren im Text gr. 8. Geh. Ji 12. — ; in Leinen geb. Jt 13.20 Das Kausalitätsprinzip der Biologie von Dr. med. Friedr. Strecker Privatdozent in der Anatomie und Biologie und I. Assistent am Kgl. Anatomischen Institut der Universität Breslau gr. 8. Geheftet Jl 3.— Geschichte der biologischen Theorien von Dr. Em. Radi I. Teil: Gsscliiclite der biologischen Theorien seit dem Ende des XVII. Jahrhunderts 2OV2 Bogen, gr. 8. Geh. Jl 7.— Tl. Teil: Geschichte der Entwicklungstheorien in der Biologie des XIX. Jahrhunderts ) 38V2 Bogen, gr. 8. Ji 16.— _rB PHILOSOPHIE DES ORGANISCHEN GIPFORD-VORLBSUNGEN, GEHALTEN AN DEE UNIVERSITÄT ABEßDEEN IN DEN JAHREN 1907—1908 VON HANS DRIESCH (HEIDELBERG) ZWEITER BAND -►^^f«- LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1909 lulialt des IL Bandes. Teil IIT: Die organischen Bewegungen. seite Einleitendes 1 1. Die einfachsten Typen der organischen Be- wegungen 6 a)DereinfacheReflex 6 ß) Die Richtungsbewegungen 7 Tropismus 7 Taxis 11 Y) Die Arbeiten von H. S, Jennings. ^^Versuch und Irrtum" 14 Die Auflösung der „Taxis" 15 Die einfachen Bewegungsakte. Die Bewegung aufs Geratewohl 18 Die Veränderbarkeit der einzelnen motorischen Akte 20 b) Die koordinierten Bewegungen 25 Die Begriffe von Uxkülls 25 Die Klassen der Koordination 27 2. Instinkt 33 a) Unlösbare Probleme 34 ß) Das wirkliche Problem. Definitionen ... 36 Y) Die Arbeiten von J. Loeb 87 b) Das Problem der Instinktreize 38 e) Das Problem der ßegulationsf ähigkeit der Instinkte 42 I) Schluß 48 3. Die Handlung 49 a) Vorbereitendes 49 Abweisung aller Pseudopsychologie 50 Allgemeine Definition der Handlung; Bewegungs- typeu, welche nicht Handlungen sind 51 Die Verbreitung der Handlung 54 ß) Das erste Kriterium der Handlung: die historische Reaktionsbasis 56 Der Ursprung der Willenshandlung 59 Die beiden verschiedenen Typen historischer Reak- . tionsbasen 60 „Assoziation" 61 Driesch, Philosophie. II. ■*- JJ Inhalt des II. Bandes. Seite Y) Das zweite Kriterium der Handlung: die Individualität der Zuordnung 63 b) Ein neuerBeweis derAutonomie des Lebens 67 Vorläufige Bemerkungen 67 Die Vereinigung der beiden Hauptkriterien der Handlung 71 Über einige sogenannte „Analogien'' der Handlung 73 Zusammenfassung 76 e) Das „Psychoid" 78 Z) Die „spezifische Energie" der Sinnesnerven 80 Y]) Einiges aus der Gehirnphysiologie ..... 85 Die Leitungsfunktion 87 Spezifische Funktionen beim Erwachsenen 89 Besitzt das neu geborene Wirbeltier spezifische Hirnfunktionen? 90 Der Begiff „Zentrum" 92 Allgemeines über das Hirn in seinem Verhältnis zum Psychoid 92 Die Bolle des Hirns bei der „Assoziation" .... 93 0) Die Regulierbarkeit der Bewegung mit Rücksicht auf die ßewegungsorgane ... 96 i) Die niederen Hirnzentren der Wirbeltiere . 99 k) Die verschiedenen Grade des Handelns in den verschiedenen Tiergruppen 103 Der Gegensatz zwischen dem Menschen und den höchsten Tieren 103 Höhere wirbellose Tiere 106 Die niedersten Formen der Handlung 107 \) Die x^blehnung des psycho-physischen Paral- lelismus 111 |a) Der suprapersonale Faktor beim Handeln . 114 Die eigentliche Geschichte kennt keinen supra- personalen Faktor 115 Das Ethische als suprapersonaler Faktor 116 Schluß der Abteilung A 120 Abteilung B: Philosophie des Organischen. Einleitende Bemerkungen 125 1. Vom Begriff der Naturphilosophie 125 2. Vom Begriff der Teleologie 129 Teleologie im allgemeinen 129 Die beiden Klassen von Teleologie 135 Inhalt des II. Bandes. HI Seite 3. Die Kennzeichen der Entelechie 137 Extensive und intensive Mannigfaltigkeit 137 Sekundäres und primäres Wissen und Wollen .... 139 Entelechie und das ., Individuum'' 145 Die Klassen der Körper 145 Die Ordnung der Entelechien. Entelechie und Maschine 149 Abschluß und neue Probleme 151 Teil I: Die indirekte Rechtfertigung der Entelechie. A. Entelechie und eindeutige Bestimmtheit 153 B. Entelechie und Kausalität 156 Einleitende Bemerkungen 156 Schwierigkeiten 156 Verschiedene Formen des Kausalitätsprinzips 158 Unsere Aufgabe 162 1. Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie 164 a) Das Prinzip 164 ß) Das Prinzip der Erhaltung in seiner Be- ziehung zur Entelechie 166 Tatsächliches 168 Von der Annahme einer vitalen Energie 169 Entelechie ist nicht Energie 170 2. Entelechie und der Satz des Geschehens . . . 173 a) Der „zweite" Hauptsatz der Energetik . . . 173 Der wahre Satz des Geschehens 174 „Zerstreuung'' als ein drittes Prinzip 175 Über die Verkettung von Energie 177 ß) Der Satz des Geschehens in seiner Beziehung zur Entelechie 178 Noch einmal: „Entelechie ist nicht Energie" . . . 179 Die Beziehunof der Entelechie zu den Intensitäten der Energien 180 Entelechie „suspendiert" mögliches Geschehen . . 181 Entelechie und die Kontinuität des Lebens .... 182 Entelechie und Chemismus 183 Eine Erklärung für die Grenzen der Regulierbarkeit und des Lebens überhaupt 184 Der Entelechie wird ein Minimum an Leistungen zugeschrieben 186 Entelechie und „Katalyse" 187 Schluß . 189 3. Die Beziehung der Entelechie zur Verteilung gegebener Elemente 190 I* jy Inhalt des II. Bandes. Seite a) Einige scheinbare Widersprüche zwischen der Entelechielehre und dem zweiten und dritten energetischen Hauptsatze 190 Das Problem 190 Eine teilweise Lösung des Problems 191 ß)Die elementare Rolle der Entelechie im Schaffen von „Verteilungsverschieden- heiten" 192 Die Rolle der Entelechie bei der Formbildung . . 192 Die Rolle der Entelechie bei der Handlung .... 194 Y) Die Rolle der Entelechie widerspricht den energetischen Hauptsätzen als solchen nicht, wohl aber einem anderen möglichen Prinzip anorganischen Geschehens .... 196 h) Aber die Rolle der Entelechie widerspricht nicht einem gewissen allgemeinsten onto- logischen Prinzip 198 €) Die „Dämonen'' Maxwells 200 4. Vorläufige Bemerkungen über Entelechie in ihrer Beziehung zu den verschiedenen Klassen von Naturagenzien 203 Einiges über „Phänomenalismus" 203 Die „Konstanten" 204 Negative Kennzeichen der Entelechie 206 Die Lücke in der Reihe der Naturfaktoren .... 207 Einiges über den Begriff des „Erklärens" 208 5. Entelechie und Mechanik 210 a) Die Grundlagen der mechanischen Physik . 210 Von der Möglichkeit einer vollständigen qualitativen Wissenschaft 210 Der epistemologische Charakter der allgemeinen mechanischen Physik 211 Die psychologische Grundlage der allgemeinen mechanischen Physik 214 ß) Die verschiedenen Formen der allgemeinen Mechanik 216 Bewegung und die Verursachung von Bewegung . . 217 Die Formen der mechanischen Verursachung . . . 218 Y) Entelechie und dynamische Mechanik . . . 220 Die Entelechie in ihrer Beziehung zu den beiden Formen mechanischer Energie 221 Der Trausport mechanischer Energie seitens der Entelechie 224 Inhalt des II. Bandes. V Seite Gemeinsame Erörterung der suspendierenden und der transportierenden Wirkung der Entelechie . . 226 Entelechie im Gegensatz zur allgemeinen Mechanik . 227 6) Die Ansichten einiger Physiker über Leben und Mechanik 228 6. Die Affektion der Entelechie 230 a) Das Prinzip der Wirkung und Gegenwirkung in seiner Beziehung zur Entelechie . . . . 230 ß) Die möglichen Arten einer Affektion der Entelechie 231 Die Entelechie der Formbildung 231 Das Psychoid 234 Y) Der Unterschied zwischen der Affektion im Organischen und im Anorganischen . . . 235 Allgemeine Schlußfolgerungen 238 Entelechie bezieht sich auf den Raum und gehört daher zur Natur, aber Entelechie ist nicht im Kaum 238 Rechtfertigung unserer Vorsicht 240 Der Regulationsmoment 241 C. Entelechie und Substanz 242 _,a)Die Kategorie Substanz und ihre An- wendung überhaupt 242 Die Substanz im Anorganischen 243 Jede Art von anorganischer Substanz bezieht sich auf Extensives 245 ß) Organische „Assimilation" 246 Atmung 246 „Assimilation" und „Dissimilation" 249 Yon der Annahme einer chemischen „lebenden Sub- stanz" 250 Nur negative Resultate 252 f) Die Unvereinbarkeit derEntelechielehre mit der Annahme einer chemischen „lebenden Substanz" 252 Die Unmöglichkeit einer chemischen Substanz als Grundlage der Entelechie 253 Die Unmöglichkeit einer Konstellation von chemischen Substanzen als Grundlage der Entelechie .... 255 Entelechie und physiologische Chemie 258 Alte Probleme 259 b) Substanz als Kategorie in ihrer Beziehung zur Entelechie 259 Der Begriff der Teilbarkeit unvereinbar mit Entelechie 260 yj Inhalt des II. Bandes. Seite Der Begriff der Örtlichkeit oder des Sitzes nicht anwendbar auf Eutelechie 262 „Entelechie" bis jetzt ein bloßes System von Negationen 263 e) Unlösbare Probleme 263 Ursprung und Ende des individuellen Lebens . . . 264 Der Urspung des Lebens überhaupt 265 Abschluß von Teil 1 268 Teil II: Die direkte Eecbtfertigimg der Entelechie. A. Direkter Beweis der Autonomie des Lebens, be- gründet auf die introspektive Analyse der voll- ständigen unmittelbaren Gegebenheit 271 1. Analytischer Teil 271 a) Ein Fall aus dem täglichen Leben 272 Der Fall selbst 272 Wie das tägliche Leben unseren Fall verwertet . . 274 ß) Derselbe Fall in wissenschaftlicher Form . 275 Eine hypothetische Annahme 275 Noch einmal unser Fall 276 Y) Die verschiedenen Typen der Elemente des Gegebenen 278 Häumliche und nicht-räumliche Elemente 278 Die Elemente des Gregebenen in ihrer Beziehung zum Gehirn 280 Die räumlichen und die nicht-räumlichen Elemente unter den sich nicht auf das Gehirn beziehenden 281 b) Die Verknüpfung der zerebralen Abschnitte der Elemente der Bewußtseinsreihe .... 282 Das letzte zerebrale Element des ersten Abschnittes. Beziehungen zur wissenschaftlichen Analyse der Handlung 282 Über „Identifizieren" 284 Die „intrapsychische Heihe" 285 e) Der direkte Beweis des Vitalismus 286 Mein Körper als „mein Objekt" 287 Andere lebende Körper 289 Das „Verstehen" des Vitalismus '^89 2. PolemischerTeil 292 a) Die Unmöglichkeit der verschiedenen gang- baren Formen des psycho -physischen Pa- rallelismus 292 Der bereits früher widerlegte metaphysische Paralle- lismus 292 Inhalt des IL Bandes. YU Seite Widerlegung des pseudoidealistischen Parallelismus . 295 Die Unmöglichkeit des Parallelismus auf streng ide- alistischer Grundlage 296 ß) Eine neue Form des Parallelismus 299 Schluß 301 B. Die Kategorie „Individualität" 303 a) Kategorien überhaupt 303 Definitionen 303 Fundamentale Schwierigkeiten 304 Eine besondere elementare Art von ,, Erfahrung" als Grundlage der Kategorien 307 Einige Bemerkungen über Kategorien und gewöhn- liche Erfahrung 309 Das Problem des Systems der Kategorien 309 ß) Die Kategorie der Notwendigkeit 310 Das fundamentale Paradoxon 311 „Freiheit" ein negativer Begriff 312 Y) Die Kategorien der Beziehung 313 Introspektive Psychologie und die Kategorien Sub- stanz und Kausalität 314 Das Problem einer neuen ßelationskategorie .... 316 h) Die Kategorie „Individualität" 318 Geleistete Vorarbeit 318 „Individualität" 319 Das Ganze und die Teile 321 „Finalität" eine Unterklasse der Individualität . . . 323 Der Begriff des Zweckes 324 e) Einige Schwierigkeiten des kategorialen Be- griffes „Individualität" 825 Eine Analogie zu der bloß funktionellen Auffassung der Kausalität 325 Keine „causa finalis" 326 Entelechie und Kausalität 327 Der suprapersonale Charakter der Entelechie . . . 329 Z) Kategorien und Faktoren der „Natur" . . . 329 „Ideale Natur." Das „ontologische Prototyp" . . . 330 Die organische Natur 331 Schlußfolgerungen 335 r]) Rationelle Wissenschaft 336 ßationelle Wissenschaft und „ideale Natur" .... 336 ßationelle Wissenschaft und „kausale" Wissenschaft 336 Ideale Natur und Naturfaktoren 337 Das Problem der entelechialen Systematik 340 6) Einiges über das Problem der Zeit 341 VIII Inhalt des II. Bandes. Seite Abschluß des Teils II 348 Zusammenfassung 348 Unsere Methode 350 Definition des Organismus 351 Teil III: Das Problem der universellen Teleolo^ie. o a) Rückblick 353 Folgerungen aus der „Maschinentheorie'' 354 Die verschiedenen Typen entelechialer Wirkungen . 355 Allgemeiner Plan für das Folgende 356 ß) Das Problem einer suprapersonalen Teleo- logie im Bereich des Lebenden 357 Geschichte im allgemeinen 357 Die Geschichte des Individuums •. . 361 Phylogenie 361 Die Bedeutung der Fortpflanzung 362 Y) Die Harmonie der Natur 363 b) Das Problem einer wahren anorganischen Individualität 366 e) Zufall und Teleologie 367 Der Begriff des Zufalls 367 Der Begriff einer begrenzten Teleologie 368 T) Moralität 370 Moralität als Maßstab universeller Teleologie . . . 370 Moralität als Kategorie 371 Moralität und Vitalismus 373 Teil IV: Metaphysische Ausblicke. a) Die drei Fenster ins Absolute 380 Moralität: das Du 380 Die Grundlage des Gedächtnisses: das Ich .... 380 Das Wesen des Gegebenen: das Es 381 ß) Das „Postulat" 382 Y) Teleologie und das Absolute 384 Noch einmal der Begriff einer begrenzten Teleologie 384 Das Bereich der Teleologie 387 b) Die primäre Entelechie im Universum — eine ewige Aufgabe der Wissenschaft — . 390 e) Metalogische Erwägungen 392 Schluß: Unser Weg 394 Register 395 Teil III. Die organischen Bewegungen. Einleitendes. Das Studium der Formbildung hat uns ein sehr wichtiges Resultat geliefert: es hat uns von der Autonomie des Lebens überzeugt, soweit wenigstens, als Ursprung und Bildung des lebenden Individuums in Betracht kommen. Die kurzen Ausblicke in die Physiologie des Stoffwechsels und in die biologischen Probleme von der systematischen und historischen Art erwiesen sich freilich als so erfolgreich nicht; die Physiologie lieferte uns nur gewisse Indizien eines künftigen Vitalismus und aus den beiden Gebieten der Systematik und der Geschichte konnten wir, wie die Dinge heute liegen, überhaupt nicht viel lernen. Im Beginne der zweiten Hälfte unserer Vorlesungen wollen wir nun zunächst ihre tatsächliche, ihre, wenn Sie so wollen, rein naturwissenschaftliche Abteilung be- schließen: die Physiologie der organischen Bewegungen harrt noch der Analyse. Diese Analyse wird ebenso lehr- reich werden, wie das Studium der Formbildung es war; sie wird uns wieder in engste Berührung mit philosophischen Fragen bringen. Und wenn wir sie beendet haben werden, dann haben wir unsere eigentlich naturwissenschaftliche Vorarbeit vollständig getan und können die heiligen Hallen der reinen Philosophie betreten. — Die Physiologie der organischen Bewegungen kann folgende Fragen aufwerfen, und jedes Lehrbuch der Physio- logie zeigt in der Tat, daß sie meist alle bis auf eine auf- Driescli, Philosophie. II. 1 2 Einleitendes. zuwerfen pflegt. Alle organischen Bewegungen sind in ge- wisser Hinsicht Reaktionen auf äußere Reize, d. h. Ver- änderungen des organischen Körpers mit Rücksicht auf seine Umgebung. Anders ausgedrückt: es liegt in ihnen eine Reihe von Prozessen vor, deren erster von außen nach innen führt, während der letzte von innen nach außen ge- richtet ist, und dazwischen liegen Prozesse besonderer Art. Wir können nun fragen, was geht im Organismus vor, wenn er äußere Reize empfängt, was ist der letzte Effekt dieser Reize, und was liegt zwischen Reiz und letztem Effekt? Die sogenannte Sinnesphysiologie beantwortet die erste Frage ; sie lehrt uns, welchen Arten von Reizen die Organismen entsprechen können und auf Grund welcher Eigentümlich- keiten ihres Baues und ihrer Funktionen sie das vermögen. Die Physiologie der Bewegungsorgane belehrt uns über die letzten Ergebnisse beim Bewegungsprozeß: sie studiert die Kontraktion des Muskels, aber auch die Wimperbewegung der Infusorien oder den seltsamen Prozeß der Sekretion und Absorption von Gasen, mittels dessen die Bewegungen der Siphonophoren und Radiolarien vor sich gehen i). Alle Zwischenprozesse bei organischen Bewegungen aber werden von der Physiologie der Nerven und Nervenzentren studiert. Hier ist zurzeit noch nicht gerade viel bekannt. Über die sogenannten ,, Zentren" weiß man so gut wie nichts, und über die Nerven selbst weiß man eigentlich nur, daß Nerven- leitung Zeit gebraucht, daß sie von elektrischen Phäno- menen begleitet, und daß sie wahrscheinlich chemischer Natur ist. Nun würden wir wenig für unsere philosophischen Zwecke gewinnen, wenn wir bei unserer Analyse der Be- *) Rhumbler hat die ßewegungsmittel der niedersten Protisten sehr eingehend studiert. Selbst wenn vieles Einzelne an seinen Deutungen unrichtig sein sollte, wie Jennings und Heidenhain behaupten, so hat er doch die Probleme in sehr verdienstvoller Weise geklärt. Ich lege aber besonderes Gewicht darauf, daß Rhumbler nur ein Mittel der Bewegung studiert hat, nicht mehr. Einleitendes. 3 wegungen den Bahnen der gewöhnlichen Physiologie, die wir hier kurz angedeutet haben, folgen würden. Ja, es fehlt sogar ein besonders wichtiger Punkt in unserer Skizze, und wenn wir auf diese Skizze zurückblicken, dann können wir uns wohl mit Recht der Worte Goethes erinnern : ,,Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt leider nur das geistige Band." Die übliche Physiologie lehrt uns in der Tat nur die „Teile" kennen. Aber gibt es etwas außer ihnen; ist jeder besondere Bewegungsakt eines Organismus etwas für sich, ist er nicht eine bloße Summe oder ein Aggregat ? Das eben scheint mir das zentrale Problem der Bewegungsphysiolo- logie zu sein; mit anderen Worten: ich meine, daß die Frage nach der ,, Ganzheit" des Bewegungsaktes von allem Anfang an aufgestellt werden muß. Ganz und gar nicht darf man diese Frage von Anfang an vernachlässigen. Wir wollen also in unseren analytischen Studien nicht den Bahnen der üblichen Physiologie folgen, sondern unser Problem in etwas abweichender Form formulieren. Und ich meine, wir wissen von unseren früheren Untersuchungen her, wie wir es formulieren müssen, um Erfolg zu haben. Der Begriff der ,, Regulation" soll wieder im Zentrum der Erörterung stehen; freilich in einer etwas verschiedenen und komplizierteren Weise als damals, als wir die Physiologie der Formbildung und des Stoffwechsels untersuchten. Bei organischen Bewegungen gibt es nämlich nicht eigentlich einen ,, normalen" Zustand des Baues oder der Funktion, welcher restauriert oder reguliert werden könnte. Trotz- dem gibt es im Bereiche dieser Bewegungen etwas, das den Charakter einer ,,K orrespondenz" zu einer Ver- änderung des Mediums oder des Organismus trägt, ganz ebenso wie bei der eigentlichen Regulation. Ein konkretes Beispiel sagt Ihnen vielleicht besser, was ich hier meine, als bloße Abstraktion. Denken Sie sich einen Hund und fragen Sie sich, was für regulationsartige, wenn nicht geradezu regulatorische Kennzeichen in seinen Bewegungen auftreten können. Der Hund läuft auf ein 1* 4 Einleitendes. Haus zu und folgt dem direkt zu ihm führenden Wege, ein Wagen kreuzt diesen Weg gerade dort, wo der Hund passieren will: der Hund läuft nun ein wenig rascher und macht eine Kurve, um dem Wagen auszuweichen. Ein anderer Hund ist an der einen Hemisphäre seines Großhirns operiert worden : zuerst sind seine Bewegungen sehr mangel- haft, nach einer gewissen Zeit aber verbessern sie sich, wie die Versuche von G o 1 1 z a. a. gezeigt haben, in ganz erheblicher Weise. Und ein dritter Hund erhielt eine Verletzung am Fuß, so daß er nur auf drei Beinen laufen kann : gleichwohl erreicht er den Ort, zu dem er zu gelangen wünscht; er benutzt eben seine drei Beine etwas anders als sonst. Hier haben wir nun Beispiele der drei möglichen Arten von Regulation, oder wenn Sie lieber wollen, von Korrespon- denz zwischen der Summe von Bedingungen und der Summe von einzelnen Effekten, wie sie im Gebiete der Be- wegungsphysiologie vorkommen können, und es ist dabei ganz gleichgültig, mit welchen Mitteln oder Organen Be- wegung ausgeführt wird, ob mit Wimpern oder mit Muskeln oder mit Protoplasmafäden. Im ersten Beispiel erreicht der Hund sein Ziel trotz einer Veränderung der äußeren Be- dingungen, indem er gewisse einzelne Akte seiner Be- wegungen variierte ; er läuft um den Wagen herum, anstatt in grader Linie. Im zweiten Beispiel wissen wir nicht gerade viel über die funktionelle Änderung, die dem ver- änderten Zustande des Gehirns folgte; wir können aber hypothetisch annehmen, daß andere Nervenbahnen benutzt wurden zur Ausführung dessen, was zu geschehen hatte. Im dritten Beispiel betraf die von außen gesetzte Ver- änderung die eigentlichen bewegungsausführenden Organe selbst; und dieser Veränderung entsprach eine Änderung in der Benutzung dieser Organe; denn es ist klar, daß die Leistung jedes einzelnen Beines beim Laufen eine andere ist, wenn dem Organismus vier Beine zur Verfügung stehen, als wenn er sich mit dreien begnügen muß. Wir können sagen, daß im ersten unserer Beispiele auf eine Variation in der Gesamtheit der äußeren Reize eine Einleitendes. 5 korrespondierende Variation im Effekt folgte, während eine solche korrespondierende Variation im zweiten Falle die Folge einer Veränderung der Zwischenorgane und im dritten Beispiel die Folge einer allgemeinen Bedingungsänderung der bewegungsausführenden Organe gewesen ist. Unsere drei Beispiele lassen sich also den drei fundamentalen Zweigen der allgemeinen Bewegungsphysiologie, die wir oben erwähnt haben, ohne weiteres zuordnen. Uns interessiert das hier aber nicht, uns interessiert vielmehr die Tatsache, daß es etwas Regulationsartiges in den organischen Be- wegungen gibt. Hier sollen nun unsere weiteren Unter- suchungen anknüpfen. Alle in unseren Beispielen primär gesetzten Ver- änderungen, mögen sie die äußeren Bedingungen oder die Zwischenglieder oder die aasführenden Organe betreffen, können nun allgemein als Veränderungen des motorischen ,, Reizes" im weitesten Sinne des Wortes angesehen werden, und so können wir denn sagen, daß die Be- ziehung zwischen motorischem Reiz und Bewegung als solcher unser eigentliches Problem ist. Liegen auf beiden Seiten Summen oder Aggregate vor oder nicht, und was würde im letzteren Falle vorliegen? Das sind die Fragen, die wir zu beantworten haben. Wir wollen nun die große Mannigfaltigkeit der be- kannten organischen Bewegungen durchgehen und jedesmal die Art der Beziehung studieren, welche zwischen Ursache und Effekt besteht. 1. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. Als ich vor 7 Jahren i) die organischen Bewegungen nach dem Grade ihrer Komphziertheit zu ordnen versuchte, ging eine solche Klassifikation naturgemäß von zwei in verschiedener Hinsicht einfachsten Gruppen aus: vom sogenannten einfachen Reflex und von der freien einfachen Richtungsbewegung, der sogenannten Taxis. Neuere Forschungen haben nun aber gezeigt, daß diese beiden Gruppen von Bewegungen zwar begrifflich einfach, aber bei weitem nicht sachlich die ersten sind, und so muß denn heutzutage eine Klassifikation der organischen Be- wegungen anders vorgehen als damals. Aus historischem Interesse mag trotzdem eine kurze Übersicht über die Lehre vom einfachen Reflex und von der einfachen Rieht ungs- bewegung dieses Kapitel einleiten. a) Der einfache Reflex. Der einfache Reflex kommt bei Pflanzen, z. B. bei der Mimose, und bei Tieren vor, bei letzteren ebensowohl, wenn sie ein wohl lokalisiertes Hirn- und Nervensystem be- sitzen, wie wenn das nicht der Fall ist. Husten und Niesen sind wohlbekannte hierher gehörige Beispiele; auf einen Reiz, eine ,, Auslösungsursache", die einen spezifischen Teil des Körpers traf, folgt eine spezifische Bewegung desselben oder eines anderen spezifischen Teiles. Das gilt für manche Bewegungen der Wirbeltiere und auch für einige, obschon nicht sehr viele Bewegungen der Wirbellosen. 1) Die „Seele" als elementarer Naturfaktor. Leipzig 1903. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 7 Die Nicht variierbarkeit, die absolute Fixiert- li e i t der Beziehung zwischen einer Auslösungsursache und einer einfachen motorischen Reaktion, sowohl bezüglich der Qualität wie der örtlichkeit, ist es, die diesen einfachen Reflex 1) kennzeichnet: ein einfacher Reflex verläuft in der Tat mit der Präzision einer Maschinerie. Nichts spricht hier denn auch gegen die wahre Existenz einer solchen Maschinerie als Grundlage des Greschehens. Daher können wir hypothetisch annehmen, daß wahre einfache Reflexe in jeder Hinsicht maschinenartig ablaufen, und mit dieser Bemerkung können wir diesen Typus organischer Bewegung denn schon wieder verlassen; er bietet uns gar keine theore- tischen Probleme von komplizierter Art da. ß) Die Richtungsbewegungen. Die typische Beziehung zwischen der Richtung des Reizes und der Richtung des Effektes, mit Bezug auf die Hauptaxe oder Symmetrieebene des Organismus, ist es, durch welche die einfache freie Richtungsbewegung oder ,,T a X i s" von anderen Typen der Bewegung getrennt wird. Was das bedeutet, wird am klarsten werden, wenn wir uns zunächst gewissen Phänomenen zuwenden, die nicht eigentlich zu der Klasse der freien Bewegungen, mit denen wir es hier zu tun haben, gehören, sondern besser der Phy- siologie des Wachstums eingereiht werden: ich meine die sogenannten ,, Tropismen". Tropismus. Kennzeichnen wir mit wenigen Worten das Charakteri- stische dieser Tropismen. Wir gaben uns mit ihnen, 1) Der allgemeine Typus des einfachen Reflexes wird natürlich nicht geändert, wenn die Orte von Ursache und Effekt nicht identisch sind. — Eine Beziehung zwischen Stärke des Reizes und Stärke der Reaktion besteht beim Reflex im theoretisch strengen Sinne nicht; nur muß die Stärke des Reizes eine gewisse „Schwelle" überschreiten. Gelegentlich spricht man freilich auch von „Reflexen", wenn eine gewisse energetische Proportionalität zwischen Reiz und Reaktion besteht. 8 Die einfachsten Typen der organisclien Bewegungen. als wir die Formbildung und das Wachstum im besonderen untersuchten, nicht ab, da eben ihr wesentlicher Charakterzug nicht Wachstum, sondern typische Bewegung beim Wachsen ist. Wie Sie wissen, wendet sich der Stamm eines Baumes vom Boden weg, während die Wurzel in ihn eindringt. Hier sprechen wir von negativem und positivem Geotropis- mus, denn die Schwerkraft ist es, welche hier die Richtung des W^achsens von Stamm und Wurzel bestimmt; neuere Forschungen haben hier vieles aufgeklärt i). Wir sprechen ebenso von positivem und negativem Heliotropis- mus, wenn der Stamm einer Pflanze der Sonne oder einer anderen Lichtquelle sich zuwendet, oder wenn eine Wurzel von irgend einer Lichtquelle hinwegwächst. Die Worte ,,Thermotropismas", ,,Rheotropismus" und ,,Chemotropis- mus" bezeichnen ähnliches; was sie bezeichnen, liegt in ihren Namen. Und ähnliche Phänomene kommen nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei den Stolonen der Hydroid- polypen und gelegentlich sonst im Tierreiche vor. Stets sind es die wachsenden Teile fixierter Organismen, an denen Tropismen beobachtet werden. Eine scharf ausgeprägte Beziehung zwischen den Richtungen des Reizes und seines endgültigen Effektes liegt bei allen vor. Sagen wir zunächst nun einiges darüber, in welchen Fällen wir überhaupt ein Agens des Mediums ,, gerichtet" nennen können. Daß der Wirkung der Schwerkraft und der Lichtstrahlen, die von einem leuchtenden Körper aus- gehen, eine gewisse Richtung innewohnt, ist ohne weiteres klar; Naturagentien können aber auch gerichtet sein, wenn sie nicht eigentlich Strahlen darstellen. Auch bei der Wärme- ^) Ich verweise auf Noll, Czapek, Nemec, Haberlandt usw. Von ganz hervorragender Bedeutung erscheint die Entdeckung Fittings (Jahrb. wiss. Bot. 44, 1907), daß phototropische Reizung im Zickzack übertragen werden kann, und daß sie wahrscheinlich in einer wahren Induktion von Polarität in jeder Zelle von außen her besteht. Es wird nicht etwa ein maschineller Apparat einfach in Gang gesetzt. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 9 leitung, bei der Diffusion chemischer Substanzen in Lösung und vor allem bei dem elektrischen Strom können wir von der Existenz von ,, Potentialen" im weitesten Sinne des Wortes reden und ebenfalls von der Existenz von „Kraft- linien". Eben die Existenz dieser Kj^aftlinien, nicht nur beim Galvanismus, sondern auch bei der Diffusion und der Wärmeleitung, ist es, die uns von gerichteten Agentien zu sprechen erlaubt, wo immer solche Linien existieren ; eben hierdurch wird das Bereich der gerichteten Agentien des Mediums sehr erweitert. Die gerichteten Bewegungen, von denen wir hier sprechen wollen, existieren nun in der Tat in Beziehung zu fast allen gerichteten Agentien der Außenwelt im weitesten Sinne. Ein ,, Tropismus" ist also eine gerichtete Bewegung eines wachsenden Teiles einer Pflanze oder eines Polypen, welche durch die Richtung eines gerichteten Agens bestimmt wird. Die Theorie der Tropismen 1) würde nun eine sehr ein- fache Sache sein, wenn es nur typische Fälle etwa von Geotropismus oder Heliotropismus gäbe, wie sie z. B. in der Beugung eines Zweiges auf eine Lichtquelle zu und in der unabänderlichen Beugung der Wurzel dem Boden zu vorliegen. Es treten hier aber zwei Gruppen von Komplikationen auf, deren jede wiederum aus zwei Teilen besteht. In vielen Fällen wird der ,,Sinn" des Tropismus, d. h. sein positiver oder negativer Charakter, durch die Intensität etwa des Lichtes oder des chemischen Reizes geändert: Ein unter gewöhnlichen Umständen positives Organ beginnt sich von der Reizquelle abzuwenden, wenn der Reiz eine be- stimmte Intensität erreicht, und umgekehrt. Soweit ist die Komplikation noch ziemlich einfach. Ein neues Phänomen tritt aber hinzu, wenn die erhöhte Intensität des Reizes eine Zeitlang angedauert hat ; dann wird nämlich der Organismus ^) Pfeffer gibt in seiner „Pflanzenphysiologie" (Bd. II S. 546) eine vorzügliche Darstellung dieser Theorie. 10 ^^^ einfachsten Typen der organischen Bewegungen. an diese Intensität angepaßt, oder besser ,,akklimati- s i e r t" und nimmt wieder die positive Reizbarkeit an, die er vorher hatte. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit an das, was wir im ersten Teil dieses Werkes über Reizbarkeit und über ihre Wiederherstellung nach stattgehabter Reizung allgemein gesagt haben: Alle tropistische Reizbarkeit folgt dem soge- nannten Weber sehen Gesetz, d. h. ein Zuwachs der In- tensität des Reizes wirkt nur im Verhältnis zu der bereits vorhandenen Intensität. Dieses Gesetz erinnert an die sogenannte ,, Massenwirkung" in der Chemie, und zeigt wohl, daß irgend etwas Chemisches mit Tropismen verknüpft ist. Auch die Umkehr der Tropismen kann vielleicht in ähnlicher Weise erklärt werden. Aber die Änderung des Punktes der Umkehr ist eine andere Sache ; das ist eine wahre "Akklimatisation", im einzelnen durchaus unbekannt, eine wahre ,, sekundäre Regulation", die zwar, für sich genommen, den Vitalismus nicht geradezu ,, beweist", aber auf alle Fälle sehr bemerkenswert ist. Die zweite Komplikation in der Theorie der Tropismen tritt auf, wenn die allgemeinen Lebensbedingungen geändert werden. So kann z. B. eine Änderung der Temperatur des Mediums den Sinn des Heliotropismus ändern ; N o 1 1 hat das ,, heterogene Induktion" genannt. Dieser von außen induzierte Wechsel des Sinnes eines Tropismus spielt häufig eine wahre formbildende, oder vielmehr restitutive Rolle: wenn eine Fichte entgipfelt worden ist, so nimmt einer ihrer Seitenzweige den negativen Geotropismus der verlorenen Hauptachse an, und etwas Ähnliches gilt für Wurzeln 1). Hier ist der allgemeine organisatorische Zu- stand des Organismus die ,, allgemeine Bedingung", welche geändert wurde. Ähnliches liegt vor, wenn Teile einer Pflanze den Sinn ihres Tropismus je nach Alter oder Reife - zustand ändern. Bei allen diesen Dingen kommt bereits ^) Hier spielt freilich nach Nordhausen (vgl. Bd. I S. 159 Anm. 2) nicht Greo-, sondern Autotropismus eine Rolle. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. H der Begriff des Ganzen der Funktionen in ihrer Ab- hängigkeit von äußeren Faktoren in Frage, freilich noch nicht in einer Weise, die ohne weiteres die Widerlegung der „Maschinentheorie" des Lebens gestattet i). Die letzte Stufe der Komplikationen wird erreicht, wenn zwei oder mehr Reize mit einander in Konkurrenz treten. Dieser Fall wird am besten durch das Verhalten der Wurzeln im Boden illustriert: Schwerkraft, Feuchtigkeit, Wärme und Chemisches sind die wesentlichsten hier in Betracht kommenden Reize. Der Effekt ist nicht eine einfache Summe oder Resultante, sondern eine seltsame Art von Einheit: jede einzelne Reizkomponente kann näm- hch den Sinn der Reizbarkeit des Organismus, seine soge- nannte ,, Stimmung", für jede andere Komponente ändern. Eine gewisse Art von angeborener Richtung bezüglich der Achse, eine Art von ,,Autotropismus", kann mit unter den Komponenten sein, welche das Benehmen eines ge- wissen Organes bestimmen. Hier würde es doch wohl seine Schwierigkeiten haben, die Maschinentheorie des Lebens aufrecht zu erhalten. Soviel über Tropismus. Sind nun die Richtungsbewegungen der frei beweg- lichen Tiere, ist mit anderen Worten die sogenannte ,, Taxis" in ähnlicher Weise wie der Tropismus erklärbar? Taxis. Von Anfang an ist klar, daß Richtung der Körperachse und Bewegung zwei verschiedene Dinge sind. Nur mit jener Richtung haben wir es hier zu tun, und so sagen wir denn am besten : Taxis bedeutet die spezifische Orientierung einer spezifischen Achse des Organismus mit Rücksicht auf die Richtung irgend eines gerichteten Agens des Mediums. 1) Ein sehr seltsamer hierher gehöriger von Neger entdeckter Fall wurde von France diskutiert (Zeitschr. f. d. Ausbau d. Ent- wicklungslehre I, Heft 4 1907). 12 i^iö einfachsten Typen der organischen Bewegungen. Wenn Bewegung der Taxis nebenherläuft oder folgt, ist natürlich auch eine spezifische Richtung in dieser Bewegung. Das Wort ,, Taxis" bezieht sich also immer auf die Korrespondenz von Richtungen. Es sagt nicht das Geringste über die Bewegungsmittel aus, durch welche die Orientierung des Organismus erreicht wird. Ja, es behauptet nicht ein- mal, daß der Prozeß der Orientierung ein in sich einfacher unmittelbarer Prozeß sei. Und eine einfache Über- legung zeigt in der Tat, daß der Prozeß der ,, Taxis" in vielen Fällen durchaus nicht einfach ist. Man nehme einen Organismus, z.B. ein Protozoon oder einen Krebs — um gleich von Anfang an zu zeigen, daß die besonderen in Betracht kommenden Bewegungsorgane hier nicht von Bedeutung sind — und man denke sich, daß er mit seiner Längsachse zur Richtung der von einem leuchtenden Körper ausgehenden Lichtstrahlen einen gewissen Winkel bildet. Dann würde man von dem Auftreten von ,, Taxis", die in diesem Falle Phototaxis oder Heliotaxis heißen würde, sprechen, wenn der Organismus so lange irgend eine Dreh- bewegung ausführt, als noch eine Abweichung zwischen der Richtung seiner Achse und der Richtung der Lichtstrahlen besteht ; jene Bewegung wird durch die Wimpern des Proto- zoons und durch die Beine des Kj:ebses gleichermaßen aus- geführt. Ganz sicherlich ist die Taxis hier weder unmittelbar noch einfach; sie ist eine Kombination sehr vieler einzelner Bewegungsakte. ,, Taxis" ist also ein Resultat , ein Resultat freilich, das auf fortlaufender Linie erreicht wurde. Wir müssen annehmen, daß die Bewegungsorgane der einen Seite unseres Organismus so lange durch die Licht- strahlen gereizt werden, als beide Seiten desselben zur Richtung des Lichtes noch irgendwie unsymmetrisch orientiert sind; bei solcher Sachlage muß natürlich endlich eine Symmetrie der Orientierung herauskommen. Natürlich wird gar nichts damit ,, erklärt", daß man einen solchen Bewegungsprozeß ,, Taxis" nennt ; aber ,, Taxis" ist sicherlich ein guter Name, um eine ziemlich einfache Klasse koordinierter Bewegungen begriffhch zusammen- Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 1 3 zufassen, eine Klasse, welche ein sehr deutliches ge- meinsames Kennzeichen in der festen Beziehung der Rich- tungen des Reizes oder der Ursache und des Endeffektes besitzt, und bei welcher der Endeffekt stets ohne Unter- brechung, sozusagen in gerader Linie, erreicht wird. Nun müssen wir freilich bemerken, daß die Phänomene jener sogenannten Taxis durchaus nicht so einfach sind, wie wir sie hier beschrieben haben; es gibt auch hier alle uns von den Tropismen her bekannten Komplikationen. Taxis pflegt ,, positiv" genannt zu werden, wenn es das vordere Ende des Organismus ist, das sich schließlich dem Ende der Reiz- quelle zuwendet; sie heißt ,, negativ" im entgegengesetzten Ealle. Es hat sich nun herausgestellt, daß derselbe Organismus, der, sagen wir, positiv phototaktisch oder chemotaktisch ge- wesen ist, negativ zu reagieren beginnt, wenn die Intensität des Reizes wächst und umgekehrt. Der Punkt dieser Um- kehr aber ist für ein gegebenes Individuum durchaus nicht fixiert: der Organismus kann sich an einen Reiz, welcher zuerst die negative Reaktion ausgelöst hatte, anpassen oder besser akklimatisieren, und kann so positiv werden ohne irgend einen Wechsel des Mediums. Andererseits aber können Veränderungen des Mediums, etwa seiner Salinität oder Temperatur, einen Einfluß auf den ,,Sinn" der Taxis, etwa der Phototaxis haben (J. Loeb)i). So standen die Sachen bezüglich der anscheinend wohl fundierten Theorie der Taxis noch vor wenigen Jahren. Konnten alle diese Tatsachen so einfach und maschinen- artig wie die einfachen Reflexe erklärt werden ? Die Schwierigkeiten lagen, wie bei den Tropismen, in der Variier- barkeit des Punktes, an welchem der Sinn der Reizbarkeit sich verändert, und in den Phänomenen gleichzeitiger ^) Man vergleiche die vortreffliche Darstellung, welche dieser um die Erforschung der tierischen Taxis — oder, wie er selbst sagt: des tierischen „Tropismus" — so verdiente Forscher in den Kapiteln VII und VIII seiner „Dynamik der Lebenserscheinungen" (Leipzig 1906) gegeben hat. — Hier auch weitere Literatur. \4 I^iG einfachsten Typen der organischen Bewegungen. Reizung durch verschiedene Reizei). Diese Schwierig- keiten aber konnten doch nicht als so erhebhch angesehen werden, um uns zur Annahme des Vitahsmus geradezu zu z w i n g e n , obwohl natürlich die logische Notwendigkeit einer vitalistischen Auffassung in einem gegebenen Falle leugnen nicht dasselbe heißt wie die tatsächliche Un- möglichkeit vitalistischen Wirkens in diesem Falle be- haupten. Soviel über den Anblick, den die Theorie der ,, Taxis '^ vor einigen Jahren darbot. Y) Die Arbeiten von H. S. Jennings. „Versuch und Irrtum.**^ Es ist nun für unsere gegenwärtigen Zwecke sehr bedeutsam, daß ,, Taxis", wie wir sie hier analysiert haben, nach neueren Forschungen nur in beschränktem Maße vor- zukommen scheint. Es gibt eine wahre ,,Galvanotaxis"^ bei Infusorien, Froschlarven usw., und es gibt einige wenige andere taktische Phänomene bei Tieren, wie denn z. B. Hydra oder ein Plattwurm den Kopf starkem Lichte oder einem mechanischen Reize zuwenden. Aber vieles von dem,, was sowohl bei Protozoon wie bei höheren Tieren als Photo- taxis oder Chemotaxis oder Thermotaxis gegolten hat, hat sich als tatsächlich von ganz anderem Charakter erwiesen ; nicht ,, Taxis", d. h. eine endgültige Korrespondenz von Richtungen, die in ungebrochener Linie, wie bei den Tropismen der Pflanzen, erreicht wird, kommt hier in Betracht, sondern etwas ganz anderes. Wir müssen es daher wenigstens als möglich zugeben, daß sich in Zu- kunft noch viel mehr Fälle von Taxis als nur scheinbar er- weisen werden, wobei freilich erwähnt werden muß, daß J. Loeb und gewisse andere Schriftsteller den neueren Ermittlungen nur ein recht beschränktes Geltungsbereich ^) Man vergleiche die lehrreiche Arbeit von ß, H. France, Die Lichtsinnesorgane der Algen, Stuttgart 1908. Frances Begriff der „ßeizverwertung" — ursprünglich von Kohnstamm in rein psychologischem Sinne gebraucht — ist ein guter Ausdruck für die Tatsachen. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 15 zuweisen und die alte ,, Taxis "lehre noch immer in sehr weitem Maße aufrecht erhalten. Die neue Lehre von der ,, Taxis" und gleichzeitig eine ganz neue Theorie von den letzten Elementen tierischer Bewegung überhaupt wird Herbert Jenningsi) ver- dankt. J e n n i n g s gelangte zu seinen wichtigen Ent- deckungen dadurch, daß er nicht nur die Endwirkung eines gerichteten Agens auf den Organismus studierte, sondern auch den sich bewegenden Orga- nismus selbst während des Aktes der Be- wegung. Und dieser Akt der Bewegung selbst erwies sich nun, zumal bei Protozoen, als alles andere denn als ein einfacher zusammenhängender Akt des Drehens. ,, Taxis" wurde so ein bloßes Ergebnis sehr verschie- dener einzelner motorischer Akte und hörte, mit alleiniger Ausnahme der Galvanotaxis, auf ein geeigneter Name zu sein für das, was wirklich vorliegt. Ich folge nur dem historischen Wege der Entdeckungen, wenn ich nun zuerst dazu übergehe, eine kurze Skizze von J e n n i n g s Auflösung des Problemes der Taxis zu geben, und wenn ich mich dann erst der wahren Systematik der tierischen Bewegungen zuwende. Die Auflösung der ,, Taxis". Das Infusorium P a r a m e c i u m ist ,, positiv chemo- taktisch" gegen eine schwache Lösung von Essigsäure; d. h. Individuen von dieser Protistengattung, welche in einem Gefäß, das einen Tropfen von solcher Lösung irgenwo im Wasser enthält, leben, befinden sich nach einer gewissen Zeit alle in einer bestimmten Region um diesen Tropfen herum; der Tropfen diffundiert natürlich langsam in das umgebende Wasser. Die alte Theorie würde hier sagen, daß die Diffusionslinien der Essigsäure die Para- mecien ,, positiv", d. h. mit dem Vorderende voraus, zu ihrer ^) Vgl. sein Werk Behaviour of Lower Organisms (New York 1906). Hier findet man die vollständige Literatur. 16 Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen Richtung orientieren, und daß diese dann, nachdem die Orientierung vollendet ist, die Lösung durch einfaches Vorwärtsschwimmen erreichen. Das ist nun aber ganz und gar nicht der Fall. J e n n i n g s fand im Gegenteil, durch Beobachtung der einzelnen Individuen, daß die Infusorien aufs Geradewohl umherschwimmen, und daß sie auch aufs Geradewohl in die Lösung eintreten, daß sie aber im Bereich einer bestimmten Konzentration der diffundierenden Säure in sehr seltsamer Weise fest- gehalten werden. Sobald sie nämlich einen Bezirk erreichen, dessen Passieren sie aus dem Bereich einer bestimmten Konzentration der Säure herausbringen würde, geben sie eine gewisse sehr typische motorische Reaktion, welche bewirkt, daß sie in der Region bleiben, in der sie gewesen sind. Diese Reaktion besteht in einem Rückwärts- schwimmen, kombiniert mit einer Drehung um die Längs- achse und einer Wendung auf die aborale Seite. Ganz entsprechendes gilt nun für ,, negative Chemo- taxis", wie sie z. B. bei Anwesenheit einer Kochsalzlösung irgendwo im Medium vorliegt. Alle diejenigen Tiere, welche durch ihre gewöhnliche Vorwärtsbewegung in das Bereich einer gewissen Konzentration des diffundierenden Kochsalzes kommen würden, führen die oben genannte Reaktion in dem Momente aus, in welchem sie im Begriff sind in jenes Bereich einzutreten. Sie treten daher niemals in jenes Bereich eigentlich ein, denn die Reaktion kann wiederholt werden, so oft es nötig ist. Die wenigen Orga- nismen, andererseits, welche bei Beginn des Versuches im Bereiche einer bestimmten Konzentration des diffun- dierenden Salzes waren, können dieses Bereich frei verlassen. Schließlich sind natürlich alle Tiere außerhalb des Bereiches der Lösung, ganz ebenso wie bei ,, positiver Chemotaxis" alle Tiere sich in ihrem Bereiche vorfanden. Es muß hier eingeschaltet werden, daß Loeb mit der Aufstellung des Begriffes der ,, Unterschiedsempfindlich- keit" d. h. der Fähigkeit von Tieren auf Unterschiede der Intensität, z. B. des Lichtes, zu reagieren, den hier Die einfachsten Typen der organisclien Bewegungen. 17 dargestellten Gesichtspunkten bereits nahe kam, obschon er durchaus nicht geneigt war oder ist, die Auflösung aller Arten von ,, Taxis" in solcher Weise zuzulassen i). Chemotaxis ist also nach Jennings ein bloßer resultierender Effekt von vielen verschiedenen einfachen Leistungen, und ist durchaus nicht ein einfacher und unmittelbarer Prozeß der Orientierung 2). Und was von chemischen Reizen gilt, gilt nun auch mit Beziehung auf Wärme, Licht, Berührung und alle anderen Reize, mit Ausnahme des galvanischen Stromes, und bezieht sich nicht nur auf Infusorien, sondern auch auf Flagellaten und Bakterien und Rotatorien und auf alle möglichen anderen wirbellosen Tiere, soweit wenigstens, wie Jennings Versuche der geschilderten Art aus- geführt hat. Obwohl wir daher gegenwärtig nicht sagen dikfen, daß, von Galvanotaxis abgesehen, kein Fall von irgend einer wahren ,, Taxis" existiert, so werden wir doch wohl der Wahrheit ziemlich nahe kommen, wenn wir vermuten, daß das Bereich der ,, Taxis" sich einmal als außerordentlich beschränkt erweisen wird. Es könnte nun scheinen, als ob die typische motorische Reaktion, z. B. des Paramecium, wenn es die im Versuche angewendete Lösung verläßt oder in sie eintritt, vom Typus eines wahren Reflexes der einfachsten Art sei, und als ob daher durch die Auflösung des Begriffes der ,, Taxis" 1) Ich kann Walter nicht recht geben, wenn er in seinen Studien über die Lichtreaktionen von Planaria das "Wort „Phototaxis" auf die Reaktionen dieses Wurmes auf bloße Differenzen der Belichtungsintensität anwendet. Das Wort „Taxis" bezieht sich stets auf die ilichtung des reizenden Agens (vgl. Journ. exp. Zool. 5 1907; hier weitere Literatur). ^) Ich glaube nicht, daß Jennings' Auflösung der „Taxis" sich auf das Wandern embryonaler Zellen an bestimmte Orte, im Grefolge von „Richtungsreizen" (s. Bd. I S. 153), anwenden läßt. Auch für die „Entzündung" und für protektive Wanderungen von Zellen des vielzelligen Organismus überhaupt (Metschnikof f s. Bd. I Ö. 210) gilt wohl die „alte" Theorie. Driesch, Philosophie. 11. 2 X8 I^iö einfachsten Typen der organisclien Bewegungen. durch J e n n i n g s der einfache Reflex die wirkhche letzte Basis aller organischen Bewegung geworden sei. So dachte in der Tat J e n n i n g s selbst in der ersten Periode seines Arbeitens, aber eine tiefere Analyse lehrte ihn anders denken. Die einfachen Bewegungsakte. Die „Bewegung aufs Geratewohl". Hier ist nun der richtige Punkt zum Beginne des systematischen Studiums der Typen tierischer Bewegungen ; studieren wir zunächst das, was man die einzelnen Bewegungsakte nennen könnte. Der „einfache Reflex" ist einer dieser Akte, aber er ist weder der grundlegendste, noch der am weitesten ver- breitete; er scheint auf gewisse spezifische Bewegungstypen unter den höchsten Tierklassen beschränkt zu sein; schon was unser Paramecium leistete, ist nicht ein ,, einfacher Reflex". Der ursprünglichste Bewegungsakt, das heißt derjenige, welcher sowohl ontogenetisch wie systematisch (,, phylo- genetisch") der elementarste ist, ist die ,, Bewegung aufs Geratewohl", d. h. ein unbestimmt variierbarer motorischer Effekt, welcher auf irgend eine Art von Reiz folgt und keine bestimmte Beziehung zur Örtlichkeit des letzteren besitzt, mag die örtlichkeit möglicher Reizbarkeit über- haupt begrenzt und fixiert sein, wie z. B. bei vielen Infu- sorien, oder nicht, wie bei vielen höheren Tieren und bei allen Amoeben. Wie schon angedeutet, steht das, was Jennings ,, Bewegung aufs Geratewohl" nennt, mit dem- jenigen, was schon vor Jahren durch Loeb den Namen „Unterschiedsempfindlichkeit" erhielt, in naher Beziehung : der sich aufs Geratewohl bewegende Organismus ist eben unterschiedsempfindlich ; darauf legt Loeb den Nach- druck, dieses durch Unterschiede des Mediums Gereizt- werden stellt er in Gegensatz zum Gereiztwerden durch die Richtung von Agentien ; Jennings andererseits stellt fest, wie der unterschiedsempfindliche Organismus reagiert. Die einfachsten T}3)en der organischen Bewegungen. 19 Zwei Klassen von ,, Bewegung aufs Geratewohl" müssen nun unterschieden werden. Die erste besteht in solchen einzelnen motorischen Akten, welche eine absolute Zu- fälligkeit aufweisen, die zweite aus solchen, welche eine relative zeigen. Alle Amoeben liefern ein gutes Beispiel des ersten Typus: Auf irgend eine Reizung hin folgt hier irgend eine mögliche Bewegung in irgend einer geometrisch möglichen Richtung; und es gibt eine wahrhaft unendliche Zahl von ,, Möglichkeiten"; dasselbe gilt für viele Würmer. Bei den Infusorien aber und bei allen Tieren, welche bezüglich ihrer Bewegungsorgane spezifischer organisiert sind, ist die Zahl der Bewegungsmöghchkeiten beschränkter; Paramecium z. B. schwimmt immer rückwärts, dreht sich um die Achse und wendet sich auf die aboraJe Seite, Das könnte zuerst als tjrpischer Reflex erscheinen, ist aber keiner. Denn einer von den Komponenten der moto- rischen Reaktion gestattet selbst hier eine unendliche Varietät von Bewegungen : das Drehen um die Längsachse. Dieser Akt kann nämlich bis zu jedem beliebigen möglichen Betrage hin geleistet werden, die kleinste Varietät in seiner Ausführung bringt aber natürlich das Tier im Verlaufe der folgenden Bewegung zu einem ganz verschiedenen Teile des Gefäßes, in welchem es lebt i). Jennings hat den passenden Namen ,,A ktionssyste m" eingefüln^t, um die typische Beschränkung möglicher, trotzdem unendlich 2) bleibender, Bewegungsarten zu bezeichnen, soweit diese Beschränkung auf die typische Organisation der Bewegungsorgane gegründet sind: es ist klar, daß alle höheren Tiere ein solches Aktionssystem besitzen, und daß der Mensch durch dasselbe z. B. am Fliegen verhindert wird. ^) So Jennings; will man (s. S, 7 Anm. 1) auch dann von „Reflexen" reden, wenn eine gewisse energetische Proportionalität von „Reiz" und Reaktion statthat, so dürfte man freilich das Wort wohl hier gebrauchen. 2) Man könnte hier im Sinne der Mathematiker von Unendlich- keiten verschiedenen Grrades sprechen. 2* 20 ^iö einfachsten Typen der organischen Bewegungen. So zeigte sich denn also, daß alle einzelnen Bewegungs- akte, die tatsächlich zur Beobachtung kamen, vom T3rpus der ,, Bewegung aufs Geratewohl" waren, mochten sie an einem bestimmten Aktionssystem sich realisieren, oder an einem absolut unbestimmten. Es gab so gut wie kein einziges Beispiel von einem wahren Reflex mehr, mit seiner absolut fixierten Zuordnung zwischen motorischer Ursache und motorischem Effekt. Die Veränderbarkeit der einzelnen motorischen Akte. Die Zufälligkeit der einzelnen motorischen Akte schließt ihre Veränderbarkeit ein. Da unser Geist aber alles, was geschieht, als eindeutig bestimmt auffassen muß, so tritt das Problem auf, durch welche Faktoren oder Be- dingungen die wirkliche Leistung einer bestimmten Bewegung in einem bestimmten Falle tatsächlich als solche bestimmt ist. Bedenken wir zunächst, daß das Sichbewegen als solches durchaus nicht eine gesonderte äußere Ursache für jeden seiner einzelnen Akte benötigt. Im Gegenteil, nicht allein periodische Bewegungen, wie diejenigen des Medusenschirmes oder des Herzens, geschehen auf Grund immanenter Ursachen oder Reize und sind sozusagen der dauernde normale Zustand des betreffenden Organes, sondern auch Veränderungen im spezifischen Typus der ,, Bewegungen aufs Geratewohl" können von innen heraus bestimmt werden. Bei Hj^dra lassen sich solche von innen bestimmte Änderungen der verschiedenen zufälligen Be- wegungen besonders gut studieren. Die Möglichkeit eines von innen heraus erfolgenden Wechsels einzelner Bewegungen aufs Geratewohl läßt uns nun auch ihre Veränderung, sofern sie als Antwort auf äußere Reize vor sich geht, verstehen. In letzter Linie bestimmt immer der innere allgemeine Zustand des Organismus, welche besondere motorische Leistung nun gerade jetzt und hier vor sich gehen soll; das heißt, er bestimmt, ob Die einfaclisten Typen der organischen Bewegungen. 21 der Zustand der Ruiie in den Zustand irgend einer möglichen Bewegung übergeht, oder ob eine permanente Bewegung ihren Tjrpus ändert. Nach diesem allen könnte es nun scheinen, als wäre der Ausdruck „Bewegung aufs Geratewohl" doch eigentlich recht wenig angebracht. Das ist aber nicht der Fall. Wir können nämlich immer dann von ,, Bewegungen aufs Gerate- wohl" reden, mögen wir auch wissen, d a ß sie determiniert sind, wenn wir wissen, daß der allgemeine Zustand des Organismus nicht eine auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Bewegung bestimmt. Die Bewegungen eines Tieres, das sich anderenfalls überhaupt nicht bewegen würde, oder die Bewegungsveränderungen eines sich dauernd be- wegenden Organismus können in der Tat ,,aufs Ge- ratewohl" genannt werden, wenn sie nicht einem spezi- fischen Gesetze bezüglich ihrer Abfolge gehorchen, wenn sie so lange fortlaufen, bis der äußere Reiz, welcher sie letzthin bedingte, ganz zufälligerweise während und durch die Bewegung vermieden worden ist. J e n n i n g s hat in diesen Fällen, wie auch in anderen noch später zu er- örternden, von der Methode des ,, Versuchs und Irrtums" (,,trial and error") gesprochen. Ich möchte diesen Ausdruck nun zwar nicht anwenden, denn, ganz abgesehen von seinem psychologischen, hierher nicht passenden Charakter, scheint mir das Wort ,, Versuch" sogenannte ,, Erfahrung" einzu- schließen. Aber hier, bei der einfachen Bewegung aufs Geratewohl kommt derartiges ganz und gar nicht in Be- tracht; es könnte nur sein, daß wahre Bewegungen aufs Geratewohl für Erfahrungen das Material liefern, wie sich später herausstellen wird. Zufälligkeit ist also der leitende Charakterzug bei der Leistung aller dieser elementaren einzelnen motorischen Akte, und sie ist auch der Charakterzug ihres Aufhörens. Nun gibt es aber Fälle, in denen doch etwas Be- stimmteres über die den T3rpus jeder einzelnen Bewegung bestimmenden Faktoren ausgesagt werden kann. Typische innere Zustände, nicht nur ganz unbestimmt gefaßte, 22 Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. können den Reaktionstypus ändern, oder auch das Sicli- bewegen überhaupt zum Aufhören bringen, mag auch der äußere Reiz, welcher letzthin Bewegung bedingt, noch anwesend sein. So ist es z. B. in vielen Fällen bekannt, daß ein hungriges Tier auf denselben Reiz anders als ein gesättigtes reagiert, oder überhaupt keine Reaktion auf ihn zeigt; und es gibt auch Reaktionsdifferenzen, die den ver- schiedenen embryonalen Stadien oder dem Alter des Orga- nismus entsprechen. Weiter entdecken wir nun auch eine Art von Konkurrenz unter den verschiedenen Reizen, welche den Typus einer Reaktion bestimmen. Die Wirkung eines zweiten äußeren Reizes kann entweder jede Reaktion auf den ersten auf- heben, oder sie kann zu einer Art von resultierender Reaktion führen oder den Typus der ursprünglichen Reaktion in anderer Weise verändern. Hier müssen wir uns der so- genannten Umkehr des ,, Sinnes" der Reaktion erinnern, von der wir bei der Theorie der ,, Taxis" sprachen, anläßlich welcher diese Umkehr bei einer Erhöhung der Intensität des ursprünglichen Reizes oder beim Auftreten neuer Reize in Frage kam. Tatsachen lagen hier vor, aber ihre wirkliche Erklärung erweist sich jetzt von viel allgemeinerer Art. Es gibt wirklich so etwas wie eine ,,Akklimatisa,tion", z. B. an chemische Reize: in diesem Falle wird die anfangs eingetretene negative motorische Elementarreaktion nach einiger Zeit eben nicht mehr vollführt, ,, negative Chemo- taxis" hört damit auf. Und andere Reizarten, die mit den ursprünglichen Reizen in Konkurrenz treten, können zu demselben Ergebnis führen i). ^) Eine wichtige hierher gehörige Tatsache ist kürzlich von Minkiewicz (Arch. Zool. exp. et gen. 4 ser. 7 notes 1907) entdeckt worden: Die Krabbe Maja kann die Art — nicht den „Sinn" — ihres, von ihren Reaktionen auf Licht überhaupt unabhängigen „Chromotropismus" ändern, in Anpassung an die Farbe des Bodens auf dem sie lebt; und die Krabbe Hippolyte ändert sowohl ihre Farbe wie ihren Chromotropismus adaptiv. In diesem Falle ist alles aufs klarste vom Typus der von uns im ersten Bande so genannten „physiologischen Anpassung". Man könnte hier die Frage Die einfaclisten Typen der organischen Bewegungen. 23 Endlich kommen wir zu zwei Klassen der Verände- rungen einzelner motorischer Akte, welche eine große Bedeutung für alles Folgende besitzen: Es kann eine typische Reihe auf einander folgender verschiedener einzelner motorischer Reaktionen auf- treten, falls die erste oder irgend eine folgende derselben nicht zur Vermeidung des äußeren Reizes, nicht zur Er- reichung der ,, gewünschten" Bedingung geführt hat, und diese typische Reihe kann fortlaufen, bis der ,, gewünschte" Zustand wirklich erreicht worden ist. Solche typischen Reihen verschiedener einzelner Reaktionen sind von Jennings und seinen Schülern mit Erfolg studiert worden, besonders klar lagen die Verhältnisse bei dem Infusorium Stent or und bei Actinien. Wenn man einen Stent or z. B. durch auf ihn fallenden Sand in seiner Ruhe stört, so beugt er sich zunächst mehrere Male zur Seite; wenn ihn das aber nicht von dem Reize befreit hat, so setzt ein zweiter Reaktionstypus ein : die Richtung der Wimper bewegung wird umgekehrt; wieder ohne Erfolg. Selbst ein dritter Reaktionstypus, Kontraktion in die Röhre hinein, führt zu nichts, und erst die letzte Be- wegungsart, das Fortschwimmen, befreit das Tier definitiv aus seiner mißlichen Lage. Hier hat ganz deutlich die Tatsache, daß der eine Bewegungstypus geschehen ist, den Typus der nächsten Reaktion bestimmt: das Wort ,, Versuch" hat hier jedenfalls eine bessere Bedeutung als oben, wo es auf bloße Bewegung aufs Geratewohl angewendet wurde, ganz passend ist es aber auch hier nicht. Es könnte scheinen, als wenn auch dann eine typische Folge von Reaktionen vorliegen möchte, wenn unser Stentor auf einen sehr schwachen Reiz zunächst in seiner üblichen Art und Weise und dann überhaupt nicht mehr reagiert; aufwerfen, ob sich nicht alle Modifikationen motorischer Reiz- barkeit diesem Begriff subsumieren lassen möchten. — Übrigens muß es statt Chromo-„tropismus'^ besser Chromo-taxis heißen — wenn es sich überhaupt um echte „Taxis"' handelt. 24 I^iö einfachsten Typen der organischen Bewegungen. aber es scheint mir doch, als ob hier nichts anderes als die wohlbekannte Tatsache der Akklimatisation vorliege. Nur wenige Worte widmen wir an dieser Stelle der letzten typischen Klasse der Veränderbarkeit einfacher motorischer Akte. Wenn Stent or die ganze Reihe seiner möglichen Reaktionen geleistet hat und dann nach kurzer Zeit ein anderes Mal gereizt wird, so antwortet er sofort mit seiner letzten Reaktionsart. Und ähnliches ist bei den einfachen Bewegungsreaktionen anderer Protozoen, der Aktinien und gewisser Würmer beobachtet worden. Machten diese Wesen etwa ,, Erfahrung" der einfachsten Art, und was bedeutet ,, Erfahrung" im Bereiche der Naturwissenschaft? Ein späteres Kapitel wird sich mit dieser grundlegenden Frage eingehend zu beschäftigen haben. Blicken wir nun auf die Gesamtheit der vornehmlich von Jennings geleisteten Arbeit zurück, so sehen wir, daß die primitivsten Typen tierischer Bewegungen nichts weniger als fixiert, daß sie sehr variabel sind. In einigen Fällen verstehen wir die Gesetze und Prinzipien dieser Variabilität, in anderen sind sie entweder nicht vorhanden oder entgehen uns wegen der Kleinheit der Objekte. Könnten wir nun wohl alles, was über die einfachsten Bewegungen zur Beobachtung gelangt ist, auf Grund der ..Maschinentheorie" des Lebens verstehen ? Vieles sicher- lieh, wenigstens im Prinzip, und solange keine größeren Komplikationen vorliegen. Es wird aber der Gegenstand einer besonderen Erörterung des Folgenden sein, zu zeigen, daß die Tatsache der sogenannten ,, Erfahrung" die Mög- lichkeit einer solchen Erklärung übersteigt. Und nochmals sagen wir es : die logische Möglichkeit einer mechanischen Erklärung zugeben, heißt nicht die tatsächliche Unwirklichkeit vitalistischer Gresetzlichkeit behaupten; aus methodologischen Gründen halten wir immer die ,, Maschinentheorie" des Lebens, solange wir können; es kann sein, daß diese Theorie schon für die allereinfachsten organischen Phänomene tatsächlich falsch ist. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 25 b) Die koordinierten Bewegungen. Wir verlassen jetzt die Arbeiten von Herbert J e n - n i n g s und wenden uns einer kurzen Übersicht über die möglichen Klassen der sogenannten koordinierten Be- wegungen zu. Vieles ist seit langem über die elementaren Prozesse bekannt, die im Nervensystem eines sich bewegenden Tieres vor sich gehen, oder besser gesagt, vieles hat man diesem System in Form einer sogenannten ,, Eigenschaft" oder eines ,, Funktionszustandes" zugeschrieben. Denn das unmittelbare Objekt des experimentellen Studiums war, wohlverstanden, immer und in jedem Falle der Zustand der Bewegungsorgane als solcher; sogenannte nervöse Zustände oder Bedingungen werden von diesem Studium abgeleitet und gewissermaßen auf das Nervensystem projiziert. Man sah z. B., daß einfache Nervenleitung zur Erklärung nicht ausreiche und erfand das Wort ,, Zentrum", das dann berufen war, eine recht mysteriöse Rolle zu spielen. Die ,, Zentren" wurden mit den anatomischen Ganglien identifiziert, bis B e t h e zeigte, daß bei Krabben gewisse typische Reflexe auch nach Exstirpation der eigentlichen Ganglienzellenkörper noch ablaufen. Eine gewisse Schule moderner Physiologen glaubte darauf den Begriff des ,, Zentrums" gänzlich ent- behren zu können; neuerdings ist es endlich zu einer Art von Kompromiß zwischen der älteren und der neueren Theorie gekommen. Die Begriffe der ,, Hemmung", ,, Bahnung" usw. hat man angewendet, um besondere elementare Leistungen des Nervensystems, die bei kom- binierten Bewegungen neben bloßer Leitung in Betracht kommen, zu bezeichnen. Die Begriffe v. Üxkülls. Mir scheint das System elementarer nervöser Eigen- schaften, welches v. Üxkülli) kürzlich entworfen hat, ^) Vgl. zumal: Leitfaden in das Studium der experimentellen Biologie der Wassertiere, VV^iesbaden 1905. Üxkülls Arbeit besteht 26 I^iö einfachsten Typen der organischen Bewegungen. die v^oll ständigste und originellste Leistung auf diesem Gebiete zu sein. Wollen wir mit wenigen Worten den logischen Wert der Begriffe v. Ü x k ü 1 1 s , soweit sie sich auf die allgemeine Theorie der Bewegung beziehen, aus- sprechen, so können wir wohl sagen, daß er die elementaren Mittel formuliert hat, welche bei der gegenseitigen Be- ziehung sich bewegender Teile gebraucht werden, und in der Tat bei jeder Art koordinierter Bewegung in Aktion sind. Ich trage in der Tat keine Bedenken, seine Begriffe: ,, Tonus", ,, Tonus-Reservoir", ,, Blockieren", ,, Klinkung" usw., geradezu mit den elementaren Begriffen der Form- bildungslehre: formativer Reiz, prospektive Potenz, innere Mittel, usw. in Parallele zu setzen. Alle Begriffe v. Ü x - k ü 1 1 s kommen in der Tat bei jeder koordinierten Bewegung in Betracht, aber, wohlverstanden, keiner von ihnen sagt etwas über die Sonderheit der Koordination als solcher aus. Es ist nun sehr wichtig, daß die analytischen Ergeb- nisse Ü X k ü 1 1 s , hinsichthch der bei koordinierten Be- wegungen in Betracht kommenden Elemente, mit den Entdeckungen von J e n n i n g s , bezüglich der einfachen motorischen Akte, vortrefflich harmonieren. Erwähnen wir hier einige wenige der von Ü x k ü 11 entdeckten nervösen Beziehungen. Der Typus jedes einzelnen Konstituenten einer kombinierten Bewegung kann geändert werden: entweder durch eine Änderung der Intensität des Reizes, oder durch eine Änderung seiner Qualität, oder durch die Einführung eines zweiten gleich- zeitigen Reizes, am gleichen Orte oder an einem anderen, oder durch vorhergegangene Reizungen. Das Verhalten der einzelnen Bewegungskonstituenten kann sich ferner ändern, wenn die Bewegung mehrmpJs nach einander aus einem analytischen und einem hypothetischen oder besser fiktiven Teil; wir haben es hier nur mit dem sehr wertvollen ersten zu tun. Er wird seine Bedeutung behalten, sollte auch die hydrodynamische und elektrische Konstruktion des „Tonus" aufgegeben werden müssen. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen. 27 abläuft, auch kann ein Konstituent der Bewegung durch irgend einen anderen sistiert werden. Es gibt in der Tat kaum einen Charakterzug in dieser Lehre von den Beziehungen zwischen den Konstituenten kombinierter Bewegungen, der nicht auch bei den einzelnen motorischen Akten aufträte. Die kombinierten Be- wegungen sind also alles andere als eine bloße Konstellation einfacher typischer Reflexe, fast alles, was früher für einen wahren Reflex galt, ist kein solcher i). Die Klassen der Koordination. Werfen wir nun einen Blick auf die verschiedenen Typen oder Klassen der koordinierten typischen Bewegungen und fragen wir uns jedesmal, was sich hier wohl auf Grund der Maschinentheorie des Lebens verstehen lassen möchte und was nicht. Die einfachste Klasse aller koordinierten Bewegungen wird, logisch betrachtet, dmxh die sogenannten ,, Kettenreflexe" gebildet, wie sie in verschiedenen Gruppen der Wirbellosen auftreten; ein typischer einfacher Reflex ist hier mit einer Zahl von anderen einfachen Reflexen in fester Weise kombiniert. Entweder bewirkt, wie bei den Medusen oder dem Herzen höherer Tiere, ein einfacher Reflex die gleichzeitige Ausführung vieler von gleicher Art, oder das Ende des Ablaufs des einen ist der Reiz für den Ablauf des nächsten, wie bei den Bewegungen vieler sogenannter metamerer Tiere. Wir können die erste Gruppe ,,synchronische" Reflexe, die zweite ,, meta- chronische" Reflexe nennen. Bei der Meduse bewegen sich ^) Hier muß freilich gesagt sein, daß v. Üxküll selbst (Zeitschr. f. Biol. 1907 p. 168) ein Vertreter der Pteflextheorie ist, und daß er und Jennings sich literarisch befehden. Doch beruht das wohl auf gegenseitigem Mißverstehen. Jedenfalls faßt v. Üxküll den Begriff ,,Ileflex" nicht ausschließlich im alten Sinne auf; schon seine wichtige Unterscheidung zwischen zwei elementaren Funktionen der Muskeln und motorischen Nerven — gewöhnliche Kontraktion und „Sperrung^' — zeigt das deutlich. 28 l^^G einfachsten Typen der organischen Bewegungen. alle Teile des Schirmes zusammen, sobald einer von ihnen die Bewegmig begonnen hat, und beim Regenwurm bedingt die Beendigung der Kontraktion eines Segmentes, immer diejenigen des nächsten. Nun können auch verschieden or- ganisierte Teile eines Tieres als die einzelnen Konstituenten eines metachronischen Kettenreflexes auftreten. J. Loeb^) vor allem hat unsere Kenntnis der ,, Kettenreflexe" sehr gefördert. Diese einfachen Phänomene sind natürlich auf Basis der Maschinentheorie vollkommen verständlich. Leider sind sie nun aber nicht so einfach, wie L o e b u. A. annahmen. Die nächste Klasse der kombinierten Bewegung, die zuerst durch v. Ü x k ü 1 1 als solche zu- sammengefaßt worden ist, zwingt uns bereits neben bloßer Beizung und Nervenleitung noch gewisse andere elementare nervöse Phänomene einzuführen. Dieser Typus ist bei der Vorwärtsbewegung vieler niederer Tiere, aber auch, nach Sher rington 2), bei den Bewegungen der Wirbel- tiere, soweit sie nur vom Rückenmark abhängen, realisiert. Das einfachste Schema dieser Klasse kann so ausgedrückt werden: jede motorische Reizung in ,, einfachen Nerven- netzen" läuft immer zu denjenigen Muskeln, welche nicht kontrahiert, sondern ausgedehnt sind, sei es passiv oder aktiv. Dieses Schema redet gar nicht von der Reizung als solcher, sondern sagt nur : wenn Reizung gegeben ist, und wenn die Organisation der Muskeln eines Tieres so und so beschaffen ist, dann ist die Art der Bewegung dieses Tieres in der angedeuteten sehr einfachen Weise bestimmt. Viele der rhythmischen Bewegungen beim Gehen werden auf diese Weise erklärt. Sie hängen von dem antagonistischem Chara-kter der Muskeln ab : der eine Muskel hat gerade den entgegengesetzten Effekt wie der andere, so daß, wenn der eine kontrahiert ist, der andere ausgedehnt ist; der letztere empfängt nun also die Reizung und kon- ^) Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie. Leipzig 1899. 2j Ergebn. d. Physiol. 4 1905; The integrative action of the nervous system. New York 1906. Die einfachsten Typen der organischen Bewegungen, 29 traliiert sich ; dadurch dehnt sich der andere aus, wird daher gereizt, kontrahiert sich usw. Diese einfache Klasse koordinierter Bewegungen, in welcher neben bloßer Leitung nur eine andere nervöse Funktion in Betracht kommt, dürfte auch ohne Schwaerigkeit auf Grund einer mecha-nischen Hypothese verständlich sein. Nun versagt aber leider das einfache Schema wieder, sobald die Grenzen bloßer typischer Vorwärtsbewegung überschritten sind. Der Seeigel z. B. gehorcht unserem Gesetze sehr gut, solange er sich bloß vorwärts bewegt, aber ganz anders liegt die Sache, sobald er auf den Rücken gelegt ist und sich in seine normale Lage zurückdrehen muß. Hier kommen alle möglichen Sorten neuer elementarer Funktionen, die sich auf die x\bhängigkeit der verschiedenen einzelnen motorischen Konstituenten von einander beziehen, immer den Umständen gemäß, ins Spiel, und die Auf- stellung einer einfachen Formel wird eine Unmöglichkeit. Dasselbe gilt von den Umdrehungsbewegungen des See- sterns, bei denen die erfolgreichen Bewegungen gewisser Arme die Bewegung der anderen sistieren; ja wir können recht eigentlich sagen, daß jede Bewegung eines Tieres, welche irgendwie als ,, abnorm" bezeichnet werden kann, einen besonderen Typus kombinierter Bewegung re- präsentiert. Die Umdrehungsbewegungen des Seesterns bilden neben gewissen anderen Dingen den Gregenstand einer jüngst erschienenen sehr wichtigen Abhandlung von Jennings^), in welcher die alten Resultate von P r e v e r vollkommen bestätigt und viele neue ihnen beigefügt werden. Nur weniges können wir hier erwähnen: Asterias vermeidet ohne weiteres Hindernisse, wenn er sich in seiner gewohnten Umgebung irgend wohin bewegt, in ungewohnter Um- gebung aber ,, erforscht" er jeden Gegenstand. Die Um- drehungsbewegung zeigt die allerverschiedensten Typen; stets ist die ursprüngliche Bewegung jedes ein- 1) Univ. Californ. Publ. Zool. 4 1907, p. 53. 30 I^iß einfachsten Typen der organischen Bewegungen. zelnen Armes durch äußere Reize oder innere Bedingungen gesondert bestimmt. Sobald aber hinsichtlich der Umdrehung das geringste Resultat erzielt worden ist, tritt ein ,,unified Impulse" auf; Koordination tritt an Stelle der Inkoordination ; es kann nun nicht mehr wie vorher jeder einzelne motorische Akt auf einen einzelnen Reiz bezogen werden; im Gegenteil, einzelne Reize haben gar keinen Einfluß mehr. Das Tier wird durch nichts mehr sozusagen ,, abgelenkt". Der ,,unified impulse" kann auf sehr verschiedene Konstellationen bezüglich der Ausgangs - bewegungen der einzelnen Arme basiert sein. Es ist nun sehr wichtig zu beachten, daß die Umdrehungsbewegungen in keiner Weise in ihren Einzelheiten auf so etwas wie eine „normale" Lage des Tieres als solche bezogen werden können ; diese Annahme wird durch die Tatsache widerlegt, daß während der einheitlichen Reaktionsperiode die einzelnen Arme häufig Bewegungen vollführen, durch welche sie selbst in ,, abnorme" Lagen gelangen, oder welche doch für ihre eigene Aufrichtung indifferent sind ; alles ge- schieht hier im Dienste des Ganzen. J e n n i n g s hat nun allerdings gezeigt, daß der Seestern einen erheblichen Betrag an sogenannte ,, Er- fahrung" machen kann. Die Umdrehungsbewegungen dieses Tieres gehören daher nicht eigentlich in dieses Kapitel. Es schien mir aber doch richtig zu sein, auch an dieser Stelle den Entdeckungen von P r e 3^ e r und Jennings einige Worte zu widmen, da gerade die Bewegungen des Seesternes so oft als besonders einfach angesehen worden sind. Ganz sicherlich sind die Reaktionen des Seesternes keine ,, Reflexe", sie sind im allerhöchsten Grade das, was wir später als ,, individualisierte Bewegungen" be- zeichnen werden ^). ^) Ich freue mich zu sehen, daß Jennings selbst die Einheit der von ihm beobachteten Phänomene betont. £r gibt sogar zu, daß meine Entelechie diese Einheit erklären würde; freilich will er hier keine „Erklärung" sehen. In dieser Hinsicht wird ihn hoffentlich Teil II der Abteilung B dieses Werkes überzeugen. Die einfachsten Typen der organisclien Bewegungen. 31 Auch bei Wirbeltieren sind fast alle vom Rückenmark abhängigen ,, Reflexe" nicht eigentlich Reflexe im all- gemeinen Sinne des Wortes; sie sind vielmehr motorische Reaktionen, die bestimmt werden durch den Reiz und durch alles, was geschehen ist oder gleich- zeitig anderswo geschieht, ja sogar durch die Zufälligkeit der tatsächlichen allgemeinen Anordnung der Bewegungsorgane zur Zeit ihres Statthabens (S h e r - r i n g t o n). Man sagt uns, daß hier ,, Zentren" die Reizungen aufstapeln, verbinden, stoppen, und zur rechten Zeit frei- lassen usw. Das Wort ,, Zentrum" ist aber hier doch nur ein Name für hypothetische anatomische Orte, an welche man die genannten Prozesse verlegt. Die Anwendung dieses Wortes erklärt wirklich gar nichts. Und nun gibt es noch andere Beispiele kombinierter Bewegungen von ganz anderer Kompliziertheit des Stiles, als das einfache Umdrehen in die normale Lage. Ich denke hier an das, was man gewöhnlich ,, Instinkt" nennt. Und die letzte und höchste Gruppe der kombi- nierten Bewegungen ist die sogenannte ,, Handlung", bei welcher ,, Erfahrung" ihre Rolle spielt. Was können wir angesichts dieser Naturtatsachen sagen? Leider kann ich in diesem Werke nicht eine eingehendere und detaillierte Analyse aller möglichen Arten komplizierter koordinierter Bewegungen geben; es scheint mir vielmehr besser zu sein, die wesentlichsten Charaktere der typisch- sten und höchsten Formen dieser Bewegungen so eingehend wie möglich zu analysieren und gewisse andere Formen nur kurz zu streifen. Gerade ein solches Vorgehen wird uns zu einem klaren Verständnis der wirklichen Probleme der Bewegungsphysiologie führen — und vielleicht auch noch zu mehr. In den nächsten Kapiteln sollen daher die typische Form des Instinktes und die typische Handlung vollständig analysiert werden. Ich werde so scharf als möglich zu zeigen versuchen, welche- 32 I^ie einfachsten Typen der organischen Bewegungen. Probleme bei diesen zwei Gruppen organischer Bewegungen auftreten, und wie diese Probleme ,, lösbar" sind. Andere Arten komplizierter koordinierter Bewegungen aber, die weder eigentliche Instinkte noch eigentliche Handlungen sind, werden anhangsweise im Gefolge der einen oder der anderen der beiden fundamentalen Gruppen ihren Platz finden. 2. Instinkt. Wir wissen bereits, daß die elementaren Prozesse, die bei tierischen Bewegungen in Frage kommen, nicht nur in nervöser Leitung bestehen, sondern daß sie sehr verschiedener Art sind und daher die modernen Autoren veranlaßt haben, das alte Wort ,, Zentrum" in rein physio- logischem Sinne zu gebrauchen, nachdem sich die anato- mische Bedeutung dieses Wortes als von sehr zweifelhaftem Werte für die physiologische Analyse erwiesen hatte. Ü X k ü 1 1 wird das am besten durchgearbeitete System der einfachen Komponenten aller koordinierten Bewegungen verdankt, und wir zögerten nicht, den wahren logischen Wert seiner Analyse dadurch auszudrücken, daß wir ihre Ergebnisse mit denen verglichen, die uns das Studium der Formbildung geliefert hat. Dieser Vergleich hat nun noch eine andere sehr wichtige Folge. Wir wissen, daß Form in klarster Weise das Ergebnis der Anordnung gewisser Elemente ist, und daß alle Formentstehung sich aus der Anordnung gewisser Faktoren ergibt; aber doch war weder Form eine bloße Summe jener Elemente, noch war ihr Ursprung das Ergebnis einer bloßen Summe dieser Faktoren. Gar nichts eben wird dadurch über den Charakter einer Totalität als bloße Summe oder als Nicht -Summe ausgemacht, daß man zeigt, aus welchen Elementen die Totalität besteht: das gilt für Form und für Bewegungen gleichermaßen. Wir sagten, daß wir hier leider nicht imstande seien, alle Variationen kombinierter Bewegungen, die es im Tierreiche gibt, eingehend zu studieren. Als Grundlage Driesch, Philosophie. II. 3 34 Instinkt. mancher können wir uns sicherlich eine sie gleichsam repräsentierende Maschine denken; aus Gründen der Ein- fachheit wollen wir in solchen Fällen also annehmen, daß alsdann wirklich eine solche Maschine existiert, obwohl das ganz und gar nicht bewiesen ist. Gibt es aber nun nicht gewisse Fälle koordinierter Bewegung, Fälle, die Ihnen sehr wohl bekannt sind, in denen es von Anfang an denn doch wohl alles andere als aus- gemacht ist, daß eine Maschine hier überhaupt in Betracht kommen könne ? Gibt es nicht gewisse Klassen tieri- scher Bewegungen, die schon der Ungelehrte täglich durch Ausdrücke beschreibt, welche die Überzeugung ausdrücken, daß es sich hier ganz und gar nicht um einfache, mechanische, maschinen artige Ereignisse handele ? Der Instinkt ist die eine dieser Klassen tierischer Bewegungen; mit der Analyse des Instinktes wollen wir uns also zmiächst beschäftigen. a) Unlösbare Probleme. Das Problem des Instinktes war immer eines der wichtigsten Kampf ob jekte zwischen Darwinisten und Lamarckisten. Da wir weder die eine noch die andere dieser Theorien annehmen, so folgt, daß wir den Instinkt nicht von den üblichen Gesichtspunkten aus studieren werden. Es mag hier genügen zu sagen, daß die spezifischen Instinkte der Arbeiterbienen, welche ja von der Fort- pflanzung ausgeschlossen sind, eine lamarckistische Er- klärung nie zulassen würden, wie Weismann aufs Klarste gezeigt hat; und andererseits versagt hier jede darwinistische Erklärung aus denselben allgemeinen Gründen, aus denen sie bei jeder Erklärung von Kom- binationen, welche in irgend einem Sinne Einheiten sind, versagt. Wir kennen die ,, Geschichte der Instinkte" nichfc, wir kennen auch nicht die Faktoren, die bei dieser Geschichte in Betracht kamen. Versuchen wir daher lieber etwas über die Faktoren auszumachen, die bei den Instinkt- Instinkt. 35 bewegungen, so wie wir sie täglich geschehen sehen, eine Rolle spielen. Hier tritt nun ein zweites Problem auf, um das sich heut- zutage die Diskussion vorwiegend dreht. Wir werden auch dieses Problem a limine ablehnen müssen, aber wir müssen begründen, warum wir das tun, und da eine solche Be- gründung auf einer gewissen erkenntnistheoretischen Ein- sicht ruhen wird, die für alle unsere Studien über tierische Bewegungen von hervorragender Bedeutung ist, so ist ein kurzer Exkurs ins Gebiet der Philosophie hier nicht zu umgehen. Sind Instinkte ,, bewußte" oder ,, unbewußte" Be- wegungen ? Das ist die heutzutage so viel erörterte Frage. Und doch kann gerade dieses Problem nicht eine wissen- schaftliche oder philosophische Frage sein, wenigstens dann nicht, wenn die Worte ,, bewußt" und ,, Bewußtsein" das bedeuten sollen, was sie gewöhnlich bedeuten. Seien wir in dieser Sache ganz besonders streng. Als Natm^for scher studieren wir die tierischen Be- wegungen als Bewegungen von Körpern in der Natur, und weiter können wir nichts als Naturforscher tun. Die Begriffe ,, bewußt" und ,, Bewußtsein" gehören aber nicht zu dem Teil des Gegebenen, den wir Natur nennen; sie gehören zum Ich, zu ,, meinem Ich", und zwar ganz aus- schließlich. Es läßt sich überhaupt nicht klar ausdrücken, was es eigentlich bedeuten solle, daß Bewußtsein in irgend einem natürlichen Wesen ,,sei". Wir treffen hier auf ein Pseudoproblem reinster Art. Auch andere Physiologen haben die Möglichkeit geleugnet, ,, Bewußtheit" oder ,,Unbewußtheit" in den Bewegungen der Tiere zu entdecken. Aber sie verstanden eine solche Unmöglichkeit immer in praktischem Sinne. Wir verstehen sie epistemologisch. Jene Autoren sagten: es mag Gefühle geben, die uns ganz unbekannt sind, daher reden wir lieber nicht von Gefühl. Wir aber sagen: das ,,Sein" von ,, Gefühlen" in der Natur bedeutet überhaupt nichts. ,,Sein" bezieht sich auf körperliche Bewegungen 3* 36 Instinkt. und Veränderungen, wenigstens wenn das Wort sein das- jenige bedeuten soll, was es im Beginne aller Wissenschaft bedeuten muß, nämlich dem ,,Ich" räumlich gegeben sein. Der Begriff des ,, Seins" kann von einer vorgeschrittenen philosophischen Wissenschaft freilich erweitert werden; wir selbst haben das getan und werden es noch weiterhin tun, indem wir Möglichkeiten als ,, seiend" einfüliren. Aber selbst solche Möglichkeiten, als Naturagentien gefaßt, würden niemals ,, Bewußtsein" sein. Das Wort ,, bewußt" gehört ausschließlich der introspektiven Psychologie an. ß) Das wirkliche Problem. Definitionen. Wie steht es nun aber mit den Instinkten? Wie for- mulieren wir unser legitimes und wissenschaftliches Problem ? Wie wir das anstellen müssen, kann wohl kaum zweifelhaft sein. Wir fragen: Sind diejenigen tierischen Bewegungen, welche man gewöhnlich Instinkte nennt, derart, daß sie sich auf eine Maschine, d. h. auf eine räumliche Mannigfaltigkeit begründen lassen, welche nur physikalisch-chemische Elementarfaktoren umfaßt, oder tragen die Instinkte gewisse Kennzeichen, die es uns ver- bieten, die Existenz einer solchen Maschine selbst hypo- thetisch anzunehmen ? Definieren wir zunächst rein formal den Begriff der instinktiven Bewegung. Es wird sich zeigen, daß es ziemlich schwierig ist, eine untere Grenze der Instinktbewegung zu finden, während eine obere sich leicht finden läßt. Alle Instinkte sind von der nächst höheren Gruppe von Be- wegungen, die wir ,, Handlungen" im weitesten Sinne des Wortes nennen wollen, dadurch geschieden, daß sie in ihrer Spezifität schon das erste Mal, wo sie überhaupt geschehen, vollendet ablaufen. Sie können sich in gewisser Weise in der Folge verbessern, diese Verbesserung betrifft aber nie ihre Spezifizität als solche. Vielleicht sagen wir besser, daß wir den Begriff ,, Instinkt" eben auf keine tierische Bewegung anwenden wollen, welche mit Rück- sicht auf ihre Spezifizität eine Verbesserung zeigt. Instinkt. 37 Man sagt häufig, Instinkte seien für ihren Träger ,, zweckmäßig"; wir ziehen gegenwärtig vor zu sagen, daß sie einen gewissen regulativen Charakter besitzen, daß sie, mit Bezug auf das Gesamtleben ihres Trägers dem ,, Nor- malen" zustreben. Gerade hier ist die Grenze zwischen Instinkten und anderen Bewegungsklassen nicht immer sehr scharf: denn fast alle typisch kombinierten Bewegungen, seien sie reine Kettenreflexe oder einem komplizierteren Typus angehörig, besitzen gleichermaßen einen regulativen Charakter. Daher ist es unmöglich hier eine scharfe Grenze zu ziehen, wenn man das Problem der ,, Bewußtheit" als ungerechtfertigt verworfen hat. Sind doch alle Instinkt- bewegungen Ketten einzelner nervöser Akte, ganz ebenso wie wahre Kettenreflexe und viele andere koordinierte Bewegungen; nur der Grad der Verkettung ist verschieden. Was bedeutet aber das Wort ,,Grad" hier: bezieht es sich nur auf verschiedene Zustände einer Komplikation, die doch stets denselben Allgemeintypus besitzt? Eben hier beginnen unsere analytischen Probleme. Y) Die Arbeiten von J. Loeb. Bis zum Jahre 1890 studierte man die Instinkte aus- schließlich vom historischen Gesichtspunkt oder mit Rück- sicht auf das Bewußtseinsproblem. Jacques Loeb er- kannte zuerst das Unzureichende dieser beiden Probleme und gab dem Instinktproblem seine klare physiologische Basis. Leider beeinflußte ihn dabei der materialistische Dogmatismus seiner Zeit. Der einzelne Reflex war ihm das Prototyp a.ller bei organischen Bewegungen überhaupt in Betracht kommenden Elementarfaktoren, alle komplexen oder verketteten Bewegungen waren ihm rein additiver Art, selbst die später von v. Ü x k ü 1 1 diskutierten Kompli- kationen waren damals noch unbekannt. So konnte denn Loeb auch die Instinkte als bloße Kettenreflexe rein additiver Art ansehen. Der eine von den elementaren Prozessen, die eine Instinktleistung zusammensetzen, sollte immer die Ursache des nächsten sein usw. Der allgemeine 38 Instinkt. Zustand des Organismus wurde bei dieser Analyse freilich nicht vernachlässigt, und L o e b wußte wohl, daß junge Tiere andere ,, Kettenreflexe" zeigen können als Erwachsene, daß ein gut genährtes Tier von einem hungernden in seinen Reaktionen abweicht; aber der verschiedene physiologische Zustand des Tieres galt in diesen Fällen a priori als bloße Folge seiner Organisation im weitesten Sinne, und Nervenlei- tung galt als das einzige wirklich erwiesene physiologische Element; selbst die sogenannte ,, Hemmung" galt nicht als nervöse Funktion eigener Art. So räumten dann pseudopsychologische Probleme den Problemen des mechanischen Dogmatismus im Gebiete der Physiologie der Instinkte das Feld. Trotzdem haben aber die Arbeiten von L o e b einen sehr bedeutsamen Punkt klargestellt, und eben an diesen muß eine rein analytische Behandlung der Theorie der Instinkte anknüpfen. Durch seine Auflösung aller Instinkte in Kettenreflexe, die als Ganzes den wohlbekannten Charakter der ,, Taxis" tragen sollten, hatte L o e b ein sehr wichtiges Problem in Form einer Tatsache aufgestellt: die Wissenschaft wird zu untersuchen haben, o b es sich hier um eine Tatsache handelt. b) Das ProblerQ der Instinktreize. Wenn wirklich alle Instinkte vom Typus sehr einfacher koordinierter Bewegungen sind, mag das nun der aller- einfachste, bloß additive Typus oder ein komplizierterer sein, kurz, wenn alle Instinkte als Ganzes vom Charakter einer ,, Taxis" sind, so folgt, daß nur die einfachen und elementaren Agentien der Natur Reize der Instinkte darstellen können. Die Reize instinktiver Bewegungen können Licht von verschiedener Wellenlänge oder Wärme oder Feuchtigkeit oder chemische Verbindungen sein, aber niemals spezifische typische Körper. Es wird sich sogleich zeigen, wie wichtig diese Be- hauptung ist. Wenn nur einfache Reize im instink- tiven Leben in Betracht kommen, so kann, wenigstens im Instinkt. 39 Prinzip, die Beziehung zwischen Medium und Instinkt ohne weiteres nach Analogie einer Maschine verstanden werden. Wie aber, wenn typisch zusammengesetzte, wenn ,,individuahsierte" Reize, wie wir sie nennen werden, ebenfalls instinktive Bewegungen hervorrufen können? Zeigen wir zunächst an der Hand eines einfachen Beispiels, was wir mit unseren beiden, einander gegenüber gestellten Klassen von Reizen ausdrücken wollen. Lloyd- Morgan i) hat eine Reihe sehr schöner Versuche an- gestellt, um zu entscheiden, ob eben ausgeschlüpfte Hühnchen auf die spezifischen Körper, welche ihre Nahrung bilden, reagieren oder nicht. Wenn er sie vor ein Gefäß setzte, welches Erbsen and andere kleine Körper verschiedenster Art durcheinander gemengt enthielt, pickten sie die ihnen dargebotenen Gegenstände sehr sorgfältig auf. Aber sie nahmen sie a 1 1 e , und erst Erfahrung lehrte sie unterscheiden, was Nahrung war und was nicht. An- dererseits hatte man oft behauptet, daß junges Geflügel eine instinktive Fm^cht vor dem Habicht und seinem Schrei habe. Lloyd- Morgan konnte zeigen, daß junges Ge- flügel sich vor jedem bewegten großen Körper und vor jedem schrillen Ton fürchtet. Diese schönen Experimente zeigen uns zweierlei: sie zeigen uns erstens, was ein ein- facher und was ein individualisierter Reiz ist, und sie lehren zweitens, daß, soweit unsere Erfahrung geht, die äußeren Instinktreize einfache Reize sind. Alle Fälle von Instinkt- bewegungen, die bis jetzt experimentell untersucht werden, haben sich in der Tat ausschließlich als Folgen einfacher äußerer Reize erwiesen. Die instinktive Antipathie zwischen Hund und Katze ist wahrscheinlich auch der Effekt von chemischen Verbindungen, d. h. von einem ,, Geruch", wenn wir diesen weniger sorgfältigen Ausdi^uck einmal benutzen wollen, und nicht der Effekt von einem indivi- dualisierten Reiz, nicht der Effekt der Katze oder des Hundes als ,, gesehener" Dinge. ^) Habit and Instinct. London 1896; deutsch Leipzig, 1909. 40 Instinkt. Nun sind freilich die Versuche über diese wichtige Frage durchaus nicht zahlreich, und so kann denn keineswegs apodiktisch behauptet werden, daß wahre Instinktbe- wegungen niemals durch einen spezifischen Körper, der psychologisch gesprochen ein ,, gesehener" sein würdei), oder, allgemeiner, durch einen Reiz des individualisierten Typus ausgelöst werden können. Es ist nun von äußerster Wichtigkeit zu betonen, daß, wenn ein wirklicher Fall von einem spezifischen individualisierten Instinktreiz bekannt werden würde, damit die Grenzen der Möglichkeit einer mechanischen Er- klärung überschritten wären. Sie wären über- schritten, und wir wären zur Annahme eines auto- nomen oder vitalistischen Faktors genötigt, weil es mechanistisch durchaus unverständlich sein würde, wie der spezifisch kombinierte oder ,, individualisierte" Reiz derart vom Organismus aufgenommen werden könnte, daß er die Ursache einer spezifischen und festen Reihe von Bewegungen im Organismus abgäbe. Die Annahme, daß irgend ein Organismus durch den bloßen Anblick eines anderen typischen Organismus, beispielsweise von 1) Elise Hanel (Zeitschr. f. allg. Physiol. 4 1904) hat, im Anschluß an Versuche Ch. Darwins, gezeigt, daß ßegenwürmer auf die spezifische Form von Blättern oder Papierstücken spezifisch reagieren, indem sie dieselben stets mit dem spitzesten Winkel voran in ihre röhrenförmige Höhle zu ziehen trachten; diese Tiere werden in der Tat durch eine typische Abfolge ver- schiedener Einzelheiten, welche nur relativ bestimmt sind, gereizt und ihre Reaktion geschieht schon das erste Mal in Vollendung, d. h. instinktiv. Neue Forschungen müssen hier weitere Aufklärung schaffen. Von Hühnchen weiß man, daß sie Erbsen oder Korn mit richtiger Abmessung der Tiefendimension aufpicken, und zwar bereits das allererste Mal. Psychologisch gesprochen, ist ihnen die richtige Idee des Raumes nicht nur „apriori" im Sinne von Kant, sondern in Wahrheit „vor" aller Erfahrung, im temporalen Sinne des Wortes „vor", eingepflanzt. Nützt uns diese Tatsache für unser gegenwärtiges Problem? Instinkt. 4 1 derselben Spezies aber vom anderen Geschlecht^), in seinen instinktiven Bewegungen typisch affiziert würde, und daß diese Affektion dieselbe bliebe, gleichgültig ob der den Reiz abgebende Organismus von vorn oder von hinten oder von der Seite oder unter irgend einem Winkel gesehen wäre, würde eine sehr bedeutsame Folgerung zulassen; eine Maschine könnte doch offenbar nur dafür ein- gerichtet sein, den spezifisch kombinierten Reiz in einigen wenigen Stellungen aufzunehmen ; was wäre also das für eine ,, Maschine", auf die eine unbestimmt variier bare Zahl von Stellungen eines Körpers denselben unveränder- baren Effekt hätte ? Doch wir verlassen unsere Erörterung an dieser Stelle, da ein ganz ähnliches Problem uns bei der Analyse der Handlungen erwartet und alsdann sehr eingehend diskutiert werden soll. Ganz abgesehen davon ist auch zu bedenken, daß wir uns gegenwärtig auf ganz problematischem Boden bewegen; denn gegenwärtig ist ja, wie gesagt, mit Sicherheit nichts über individualisierte Reize instinktiver Bewe- gungen bekannt. Es scheint mir freilich sehr wahrscheinlich zu sein, daß die Forschung in Zukunft solche Fälle entdecken wird, und diese Diskussion hier ist recht eigentlich ge- schrieben worden, um zu Forschungen in dieser Richtung einen Anstoß zu geben. Bienen und Ameisen zumal, aber auch Wirbeltiere sollte man mit Rücksicht auf die Frage, ob es hier Fälle gibt, in denen spezifisch kombinierte ,, gesehene" Körper die Reize wahrer Instinktbewegungen sind, studieren. In einer früheren^) Publikation unterschied ich zwischen zwei Klassen von ,, Reflexen", den festen und den ,,frei-kombinierte n", wobei das Wort Reflex ^) Auf dem Felde der Geschlechtlichkeit erscheint die Existenz „individualisierter" Instinktreize in der Tat sehr wahrscheinlich. Männliche ihrer Flügel beraubte Motten werden nach Mayer-Soule (Journ. exp. Zool. 3, 1906) von den Weibchen nicht zugelassen; aber nur dann, wenn die Weibchen ihres Gesichts nicht beraubt waren! 2) Die „Seele". Leipzig 1903. 42 Instinkt. in einem weiteren Sinne als in diesem Buche gebraucht ward. Es verdient Beachtung, daß alle ,, frei kombinierten" Reflexe dieselben analytischen Probleme darbieten wie die Instinktbewegungen, und zwar in jeder Beziehung ; vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht einfache Formen der ,, Handlung" sind, wie z. B. die Umdrehungsbewegungen der Seesterne i). Wenn wir für einen Augenblick unsere strenge wissen- schaftliche Sprache aufgeben, und uns den Gebrauch der üblichen pseudopsychologischen Terminologie gestatten wollen, dann können wir sagen, daß alle Fälle, in denen individualisierte Reize am Werke wären, eine gewisse An- nahme notwendig machen würden, die den von Locke widerlegten ,, eingeborenen Ideen" sehr ähnlich sieht. Die Physiologen aus der alten Schule der deutschen Natur- philosophie haben oft gesagt, daß eine Art von ,, Träumen" die wahre Grundlage des instinktiven Lebens sei. Dieser Art des Träumens würden wir hier begegnen, und die einzige Verschiedenheit zwischen den alten Forschern und uns selbst würde terminologischer Art sein; wir würden nicht von Träumen und nicht von eingeborenen Ideen sprechen, sondern als Naturforscher auf dem Standpunkt des kritischen Idealismus würden wir sagen, daß ein autonomer, ein entelechialer Naturfaktor im instinktiven Leben am Werke sei, soweit wenigstens, als der Empfang der Instinkt- reize in Betracht kommt. €) Das Problem der Regulationsfähigkeit der Instinkte. Unsere Erwähnung der alten Physiologen kann uns nun als Einleitung zur Analyse des zweiten Grundproblemes dienen, welches die Instinktlehre der theoretischen Biologie darbietet. Der Hauptpunkt muß leider auch hier problematisch bleiben, da der Tatsachen für eine definitive Entscheidung gar zu wenige sind. Auch hier aber kann die Analyse von Möglichkeiten künftigen Forschungen einen Anstoß geben. 1) Vgl. S. 29 f. Instinkt. 43 Die alten Physiologen, wie z. B. Treviranus und Johannes Müller, haben oft die Formbildung mit dem instinktiven Leben verglichen, und Schopen- hauer wird bekanntlich der durchgeführteste Vergleich zwischen den instinktiven und den embryonalen Lebens- prozessen verdankt. Die Instinkte werden von den ge- nannten Forschern gewissermaßen als Fortsetzung der Formbildung angesehen, als auf demselben Grunde erwachsen, als von derselben Macht, dem vitalen Prinzip, gelenkt. Wir wissen nun, wie gesagt, nicht, ob ein solcher Gresichtspunkt durchaus gerechtfertigt ist; die Forschung der Zukunft wird das entscheiden. Aber wir können von dem Vergleiche zwischen Formbildung und Instinkt Ge- brauch machen, um neben dem Problem von der Natur der Instinktreize eine andere Frage aufzuwerfen, deren Antwort eines Tages darüber entscheiden wird, ob die Natur der Instinkte als autonom anzusehen ist oder nicht. Ganz sicherlich sind deshalb die Instinkte mit Form- bildungsvorgängen vergleichbar, weil sie in Vollständigkeit und Zweckmäßigkeit das erste Mal geschehen, wo sie über- haupt im Individuum auftreten. Könnte es hier nun nicht noch einen anderen Vergleichspunkt geben ? Formbildungs- prozesse können, wie wir wissen, im weitesten Maße reguliert werden; auf Störungen der Organisation oder des Form- bildungsprozesses selbst folgen atypische Prozesse, die zum typischen Resultat führen. Gibt es nun unter Instinkten irgend welche wahre Regulationen? Solche Instinktregulationen würden natürlich nur dann scharf beobachtbar sein, wenn es irgend welche sichtbare Resultate der instinktiven Tätigkeit gäbe. Das ist freilich nicht sehr häufig der Fall; aber es gibt doch in der Tat eine gewisse Art von Regulabilität gerade in allen Fällen von sogenannten technischen oder Kunstinstinkten, wie sie von Vögeln, Spinnen, Ameisen, Wespen und Bienen bekannt sind. Die instinktive Tätigkeit dieser Tiere hat einen gewissen spezifischen Zustand des Mediums zum Resultat; 4:4: Instinkt. stören wir einmal diesen Zustand, etwa ein Nest oder einen Bienenstock, verändern wir das einem Vogel zum Nestbau dargebotene Material, und sehen wir zu, was geschehen wird. Leider ist nur ein einziges Experiment auf diesem Gebiete mit der ausgesprochenen Absicht durchgeführt worden, Art und Grad der Regulationsfähigkeit instink- tiver Bewegung als solche zu untersuchen. Fast alles, was wir sonst wissen, gehört ausschließlich dem Gebiete der sogenannten Naturgeschichte an, und entbehrt der tieferen Analyse. Wir müssen uns nun noch einmal von Anfang an darüber klar werden, daß wir es hier nicht mit der Möglichkeit einer Modifikation des instinktiven Lebens durch sogenannte Erfahrung zu tun haben. Unsere Frage lautet so: Sind instinktive Akte in derselben Weise einer Regulation fähig, vollendet und zweckmäßig von Beginn an, wie morphogene tische Vorgänge ? Von Bienen weiß man, daß sie die Waben ihres Stockes nach Zerstörungen wieder herstellen; sie können auch die Bauart ihres Stockes den Umständen gemäß ändern und können in abnormer Richtung zur Schwerkraft bauen, wenn die Umstände es erfordern. Anstatt von oben nach unten, bauen sie gelegentlich von unten nach oben oder auch nach der Seite. Von der Seidenraupe heißt es, daß sie ihr seidenes Gewebe nicht bildet, wenn sie in einer Schachtel, welche Tüll enthält, kultiviert wird, und gewisse Bienenarten, die normalerweise Tunnel bauen, unterlassen das, wenn sie einen fertigen Tunnel im Boden vorfinden; alsdann leisten sie nur ihren zweiten instinktiven Akt: sie teilen den Tunnel in einzelne Raumabschnitte. Li allen diesen Fällen, mit Ausnahme des sich auf die Schwerkraft beziehenden, scheinen die Dinge zu liegen, wie folgt: Von außen her geändert ist entweder das voll- endete Resultat der ganzen Reihe instinktiver Akte oder sozusagen irgend ein embryonaler Zustand innerhalb dieser Reihe, das heißt irgend ein Zustand in der Reihe, die zu dem vollendeten Resulta,te führt. Die künstliche Instinkt. 45 Veränderung der zweiten Art kann nun wiederum von zweierlei Art sein: Es wird entweder etwas von dem weg- genommen, was das Tier schon geleistet hat, oder es wird dem Resultat seiner Tätigkeit etwas hinzugefügt, natürlich in der Art, daß das Zugeführte zum Prozeß seiner normalen Bautätigkeit gehört. In allen diesen Fällen paßt nun das Tier seine Bewegungen dem durchaus zufälligen wirk- lichen Stand der Dinge an, gleichgültig, ob es dabei mehr oder weniger als normalerweise zu leisten hat — mehr, wenn Bestandteile seines eigenen Baues entfernt, weniger, wenn solche Teile künstlich hinzugefügt wurden. Das Wort ,, Regulation" ist hier ohne Zweifel am Platze. Was bedeutet das nun aber und was lehrt es uns für das Problem des autonomen Charakters der Instinkte? Natürlich muß der wirkliche Stand der Dinge, welcher dem vom Organismus Geleisteten gegenüber künstlich verändert wurde, dem Organismus irgendwie mitgeteilt werden, damit dieser sein künftiges Verhalten ihm ent- sprechend einrichten kann. Mir scheint nun, daß von der möglichen oder wahrscheinlichen Natur dieser Mit- teilung die analytische Erörterung unseres Problems aus- gehen muß. Die instinktiven Bewegungen, die bei allen Arten von Bautätigkeit in Betracht kommen, bilden eine auf einanderf olgende Kette einzelner Leistungen, von denen normalerweise die eine durch die andere hervor- gerufen zu werden scheint, von denen aber, wie eben die Versuche zeigen, auch jede einzelne unabhängig hervor- gerufen werden kann, und so treffen wir denn wieder das Problem des Hervorrufens der instinktiven Be- wegungen, das Problem des ,, Instinktreizes" an. Im Normalen scheint die ganze Folge einer Bauinstinkt- leistung sich abzuspielen wie folgt : Der elementare Instinkt- akt a hat den Zustand des Baues A zum Ergebnis; der nächste Zustand des Baues ist B\ B folgt auf den in- stinktiven Akt b\ ^ kann nun in Gang gesetzt werden, weil a abgelaufen ist, es kann aber auch durch die Existenz von A hervorgerufen werden, und das be- 46 Instinkt. deutet natürlich etwas ganz anderes. Die Tatsache der Regulation, wie wir sie beschrieben haben, d. h. die Tat- sache, daß durchaus atypische, künstlich gesetzte Zustände des Instinktergebnisses eine ihrer atypischen Zufälligkeit entsprechende Adaptation der Instinktakte hervorrufen, scheint nun darauf hinzuweisen, daß die zweite Alternative das Richtige trifft, daß auch im Normalen die Existenz von A, d. h. das Ergebnis des ersten elementaren instink- tiven Aktes, der Reiz für b ist; denn bei der Regulation, verläuft, ganz abgesehen von dem hier atypischen Charakter der Reihenfolge der Akte als solcher, der Akt n-\-i ohne daß der Akt n verlief, oder nachdem n-\- 1 selbst schon einmal stattgefunden hatte — ersteres, wenn daa Ergebnis der instinktiven Tätigkeit durch das Hinzu- fügen, letzteres, wenn es durch die Entnahme von Etwas verändert worden war. Eben hier treffen wir das Problem an, wie denn der Zustand von A als solcher dem Organismus übermittelt werden könne, derart, daß er ihn zu einer spezifischen Tätigkeit bestimmt, und es ist klar, daß hier genau dasselbe Problem wie bei der Frage nach der Natur des Instinktreizes vorliegt. Es handelt sich um den Reiz, welcher den Prozeß b als unabhängige instinktive Phase hervorruft. Ist dieser Reiz einfach oder individualisiert, d. h. aus spezifischen Elementen zusammengesetzt ? Ich bedaure nun sehr, daß ich unser Problem wiederum nur aufstellen konnte, es aber ungelöst verlassen muß; aber in exakter Weise läßt sich in der Tat nichts zu seiner Lösung beibringen. Es scheint freilich so, als wenn wirklich nur typisch kombinierte oder individualisierte Reize ge- nügen könnten, um die Modifizierbarkeit der instinktiven Tätigkeit in voller Korrespondenz zu dem, was nötig ist, zu erklären ; aber das ist doch nur wahrscheinlich, nichts weiter. Ja, ich muß sogar besonders betonen, daß in der Frage nach der Regulation der Instinkte schon die bloßen Tatsachen heutzutage eine noch ziemlich bedenkliche Instinkt. 47 Sache sind. Alles, was wir hier an Beobachtungen beige- bracht haben, ist leider nicht ganz so gesichert, wie es den Anschein haben könnte, und ich gebe zu, daß ich die sogenannten ,, Tatsachen" hier für etwas gesicherter aus- gegeben habe, als sie es wahrscheinlich sind, bloß um eine Basis für unsere analytische Erörterung zu gewinnen. Diese Erörterung aber war nur eine Erörterung von Mög- lichkeiten. Denn nicht eine einzige der über die Regulier- barkeit der Instinkte mitgeteilten Beobachtungen ist mit der Absicht ausgeführt worden, nun gerade diesen Punkt ins Klare zu bringen. Erwähnen wir kurz den einzigen Fall, in welchem unser Problem mit voller Absichtlichkeit und Sorgfalt experi- mentell in Angriff genommen worden ist. Der Entomologe Ch. F. Schröder!) studierte das Verhalten gewisser Raupen experimentell und fand, daß sie ihre instinktive Spinntätigkeit auf sorgfältigste dem wirklichen Zustande des bereits Gebildeten anpaßten; er sah nicht nur, daß sie ihre Grewebe reparierten, nachdem man dieselben künstlich gestört hatte, sondern sie bildeten auch typische Gewebe unter Benutzung von Blättern, denen künstlich eine ab- norme Form gegeben war, oder unter Benutzung von Blättern normalerweise nicht verwendeter Pflanzen. Es ist sehr zu hoffen, daß die Zukunft uns mehr 2) an derartigen Untersuchungen bringen wird, daß zumal die Entomologen das Verhalten ihrer Insekten studieren mit dem vollen Bewußtsein, wie wichtig ihre Beobachtungen für die theoretische Biologie sein können, und nicht nur im Interesse der eigentlichen Naturgeschichte. 1) Verh. D. Zool. Ges. 1903, p. 158. ") Sehr beachtenswerte Ansätze dazu liegen vor in den Arbeiten von Dahl (Spinnen), Gr. u. E. Peckham (Wespen), Lubbock, Wasmann, Doflein, C. H. Turner usw. Vgl. zumal "Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, 2. Aufl. Stuttgart 1909. woselbst sich weitere Literatur findet, und Dahl, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. IX 1885, p. 162. 48 Instinkt. l) Schluß. Hier beschließen wir nun unsere Erörterungen der instinktiven Bewegungen. Sie hat uns einige Indizien der Autonomie des Lebens gehefert, aber keine wahren Be- weise; denn die Zahl der bekannten Tatsachen ist gegen- wärtig noch gar zu armselig, um eine definitive Antwort auf die Grundprobleme zu gestatten, welche hier auftreten: das Problem der Natur der Instinktreize und das Problem der Regulierbarkeit der Instinkte; Probleme, von denen das zweite wahrscheinlich auf das erste reduzierbar ist. Es ist wahrscheinlich, daß beide Probleme eines Tages zu- gunsten des Vitalismus beantwortet werden, daß, wie die Dinge liegen, keine Maschine ersonnen werden kann, die leisten könnte, was hier an Leistung vorliegt. Ein solches Resultat würde dem analytischen Schema der koordinierten Bewegungen, wie es v. Ü x k ü 1 1 auf- stellte, nicht widersprechen. Die elementaren physio- logischen Faktoren dieses Schemas würden auch bei den Instinkten am Werke sein; aber etwas anderes wäre auch am Werk: ein ,, Etwas", von dem man sagen kann, daß es von den Faktoren jenes Schemas Gebrauch macht. 3. Die Handlung. a) Vorbereitendes. Die Wissenschaft pflegt vom Einfachen zum Kom- pUzierten vorzuschreiten, und so erwartet man denn wohl, daß wir diesem üblichen, wohlbegründeten Wege folgen werden, wenn wir uns jetzt der Analyse derjenigen organi- schen Bewegungen zuwenden, die man ,, Handlungen" zu nennen pflegt. Wir wollen das aber nicht tun, und wir haben unsere guten Gründe dafür. Es könnte ja als das Natürlichste erscheinen, auf die Erörterung der wesentlichen Punkte aus der Theorie der Reflexe und Instinkte zunächst die Analyse der einfachsten Formen dessen, was aus irgend einem Grunde ,, Handlung" genannt wird, folgen zu lassen, alsdann die ganze Reihe der tierischen Organismen dm'ch- zugehen, und mit der Zergliederung der menschlichen Hand- lung zu enden. Aus einem ganz besonderen Grunde aber erscheint eine sehr wesentlich andere Anordnung des Stoffes bei weitem geeigneter. Auf Grund einer sehr seltsamen Tatsache, die trotz ihrer Seltsamkeit bekannter ist als irgend eine andere im Gebiete der theoretischen Biologie, ziehen wir es vor, unsere Analyse der Handlung mit solchen Fällen zu beginnen, in denen das Handeln von der allerkompliziertesten Art ist, und erst ganz am Ende einige Bemerkungen über seine einfacheren Formen beizufügen : Der denkende und analy- sierende Naturforscher ist selbst ein handelnder Organismus — das ist die seltsame und doch so allgemein bekannte Tatsache, welche wir meinen. In einem der letzten Kapitel dieses Buches werden Brie seh, PMlosopliie. IT. 4 50 I^iß Handlung. wir uns mit dem zentralen Probleme der Philosophie sowohl wie der eigentlichen Biologie zu beschäftigen haben, das sich uns in dieser Tatsache vor Augen stellt; zunächst ziehen wir aus ihr nur einen gewissen praktischen Nutzen. Wenn wir nämlich die ,, Handlungen" der Tiere und die des Menschen mit einander vergleichen, so entdecken wir viel mehr spezifische Besonderheiten bei den letzteren als bei den ersteren, weil wir eben nur die menschlichen, aber nicht die tierischen Handlungen vollständig verstehen; ja, nur bei menschlichen Handlungen haben wir sozusagen ein Organ dafür, was eigentlich vorliegt, was eigent- lich an Tatsächlichkeit wirklich gegeben ist; nirgends hat es sich so klar gezeigt wie bei der Deutung aller operativen Versuche am Hirn, daß ein Hund uns nun doch eben nicht ,, sagen" kann, wie ihm zumute ist. Wenn also Psychologie auch nicht unser Ziel ist, so wird sie uns hier doch ein Mittel der Forschung. Nur mit Hilfe einer objektivierten Psychologie des Menschen sind wir im- stande, die Handlung überhaupt in ihre letzten Elemente aufzulösen. Die Handlungen der Tiere könnten wir nie soweit auflösen: wir sehen hier eben gar nicht alles, was es aufzulösen gibt. Freilich bleibt uns die ,,A u s - sage" des Menschen eine besondere Ai't von Bewegung einer besonderen Körperart: aber eben dieser Bewegungs- art intimste Eigentümlichkeiten sind wir zu erfassen imstande. Abweisung aller Pseudo-Psychologie. Nun wollen wir natürlich durch unseren Appell an die Psychologie in keiner Weise diejenige Art von Pseudo- Psychologie einführen, die wir bei unserem Studium der Instinkte so streng von der Naturwissenschaft ausschlössen. Alle handelnden Organismen, und unter ihnen der handelnde Mensch, sind uns nur natürliche Körper in Be- wegung; wenigstens sind sie uns unmittelbar nur als solche gegeben, mag auch die fortschreitende Analyse Die Handlung. 51 Naturagentien einführen, welche nicht nur der Ausdruck von Bewegung, sondern auch der Ausdruck von der Mög- lichkeit von Bewegung sind. Diese Agent ien oder Faktoren würden aber doch nie ,, psychologisch" im introspektiven Sinne sein, dem einzigen Sinne, den das Wort ,, psycholo- gisch" in legitimer Weise besitzen kann. Die Beschränktheit unserer Zeit verbietet mir, mich eingehender über diesen methodologischen Punkt zu ver- breiten; ich bitte Sie aber, immer eingedenk sein zu wollen, daß wir es im folgenden nur mit Phänomenen zu tun haben, welche ablaufen an natürlichen Körpern, und zwar an solchen, die wir Organismen nennen, und daß es unsere Absicht ist, diejenigen Gesetze zu entdecken, nach denen sich die Bewegungen dieser Körper regeln. Es mag sein, daß dieses Kapitel uns wieder dem Vitalismus zuführt ; sicherlich wird es uns nicht einer Pseudo-Psychologie zuführen. Allgemeine Definition der Handlung; Bewegungstypen, welche nicht Handlungen sind. Einige vorläufige Bemerkungen über die allgemeine Definition der Handlung, in positiver wie in negativer Form, erweisen sich für das Folgende als nützlich. Eine ,, Handlung" ist jede tierische Bewegung, deren Besonderheit von der individuellen Lebensgeschichte ihres Vollbringers derart abhängt, daß diese Besonderheit nicht nur, wie sich später herausstellen wird, an die Besonder- heit des aktuellen Reizes, sondern auch an die Besonder- heit aller Reize der Vergangenheit und ihrer Effekte ge- knüpft ist. Keine tierische Bewegung darf Handlung heißen, die nicht dieses Kennzeichen, wenigstens in gewissem Grade, trägt. Die subjektive Psychologie nennt dieses Kennzeichen ,, Erfahrung". Wir werden bald einen geeigneteren Namen für dasselbe einführen, wollen aber in dieser kurzen vor- läufigen Übersicht das Wort „Erfahrung" gebrauchen. 4* 52 I^ie Handlung. Keine Erfahrung und daher keine ,, Handlung" liegt vor, wenn ein endgültiger physiologischer Elementarprozeß, d. h. der Prozeß der Kontraktion der motorischen Organe, das zweite oder das dritte Mal besser als das erste Mal abläuft: in diesem Falle sprechen wir von ,, funktioneller Anpassung" des Nervensystems i). Auch bei sogenannter ,, Ermüdung" der Muskeln liegt natürlich keine ,, Handlung" vor. Diese beiden Phänomene, zumal funktionelle An- passung, d. h. eine Verbesserung der Funktion durch die Funktion selbst, können sich aber mit wahrem Handein kombinieren, und es gibt in der Tat eine Gruppe von Tat- sachen, bei der diese Kombination besonders wichtig wird. Sie alle kennen den gewöhnlich als die Mechani- sierung des Handelns bezeichneten Prozeß; der Klavier- spieler ist ein Beispiel für ihn, aber auch jeder, der eine Treppe hinabsteigt. Die übliche Psychologie spricht hier von komplizierten Bewegungen, welche, als sie erlernt wurden, unter der Kontrolle des Bewußtseins standen, sich aber später von dieser Kontrolle befreiten. Es würde richtiger sein zu sagen, daß ein und derselbe Handlungs- effekt, wenn er sich viele Male wiederholt, eine Kombination mit der funktionellen Anpassung gewisser unbekannter Teile des Nervens^^stems derart eingeht, daß er nahezu zu einem typischen Reflex wird. Dieser Vorgang, die so- genannte ,,Ü b u n g", ist nun aber keineswegs mit dem Prozeß der Handlung als solcher identisch, und wir haben ihm hier diese wenigen Worte gewidmet, bloß um ihn von unseren weiteren Studien ausschließen zu können. Ferner dürfen wir nun auch nicht von ,, Handlung" sprechen, wenn ein und derselbe Reiz verschiedene moto- rische Effekte hat, je nach der Verschiedenheit gewisser physiologischer Bedingungen, die nicht mit der Spezifizität von irgend etwas Motorischem zusammenhängen. Der- artiges kennt man von niederen Tieren, und als wir von den sogenannten Richtungsbewegungen und von den neuen ^) Funktionelle Anpassung der Muskeln als solcher ist natürlich etwas anderes, das nicht hierher gehört. Die Handlung-. 53 *«3 Entdeckungen von J e n n i n g s sprachen, haben wir bereits einige Beispiele erwähnt, in denen Änderungen der Temperatur oder der Sahnität oder des Ernährungszustandes den ,,Sinn" der Antwort auf äußere Reize verändern. Aber in diesen Fällen liegt doch eben nicht so etwas wie die individuelle Geschichte des Bewegung-Leistenden vor; sicherlich nichts von ,, Geschichte" mit Bezug auf den be- sonderen Reiz, der gerade am Werke ist. Historische Elemente dieser Art fehlen nun aber auch ferner gänzlich bei einer anderen Gruppe von Tat- sachen, bei der sie auf den ersten Blick vielleicht vorhanden zu sein scheinen möchten. Beginnen wir mit einem Bei- spiel, welches Jennings bei seinen Studien am Protozoon Stentor entdeckt hat, und welches wir bereits früher kurz erwähnt haben: Auf ein und denselben mechanischen Reiz reagiert Stentor zunächst durch ein bloßes Zurseitewenden, aber diese Reaktion bringt ihn nicht aus dem Bereich des Reizes hinaus; er kehrt dann die Richtung seiner Zilien- bewegung um und zieht sich darauf in seine Röhre zu- sammen, aber ohne Erfolg; der Reiz, ein Herabfallen von feinem Pulver, dauert fort. Endlich schwimmt der Stentor fort. Hier sehen wir drei oder mehr verschiedene Reaktionen einander folgen, in Antwort auf ein und denselben Reiz. Wir können vielleicht sagen, daß die späteren Reaktionen ablaufen, weil die erste keinen Erfolg hatte, und sicherlich liegt ein gewisses ,, historisches" Element hier vor. Aber doch wollen wir hier nicht von Handlung sprechen. Hier geschieht nämlich nur eine einzige Reihe von Ereignissen, nicht das eine Mal diese Reaktion und das andere Mal jene; vielleicht liegt hier ein ,, Versuchen" vor, ,, Erfahrung"!) sicherlich nicht. ^) Dasselbe gilt, nach v. Üxküll und Glaser (Journ. exp. Zool. 4, 1907), für Ophiuriden. Auch hier gibt es eine große Variierbarkeit von Reaktionen, aber nicht „Erfahrung". Preyer hatte in seiner Schilderung der Tatsachen Recht, nicht in seiner Deutung. — Aber bei Asteriden existiert „Erfahrung", neben einer großen Reaktionsmannigfaltigkeit (s.S. 29 f.). 54 Die Handlung, Es handelt sich nun aber wirklich um ,,E r f a h - r u n g", und deshalb um Handlung, obschon um Handlung einfachster Art, wenn Stentor, bei einer Wieder- holung des Versuches mit dem Pulver nach kurzer Zeit, vom Beginne an seine vierte Keaktionsart an Stolle der ersten in Szene setzt. Die Ermittelungen an Stentor schließen also einerseits eine ganze Gruppe von motorischen Phänomenen von unserer künftigen Diskussion aus und dienen gleichzeitig dazu, provisorisch zu zeigen, was allein wir ,, Handlung" nennen wollen. Die Verbreitung der Handlung. Wahre Handlungen, freilich von einem weit niedrigeren Komplikationsgrade als beim Menschen, sind in folgenden Klassen des Tierreichs nachgewiesen worden: bei allen, selbst den niedrigsten Gruppen der Wirbeitiere, bei Bienen, Ameisen, einigen Käfern, bei Krabben, Tintenfischen, Aktinien und einigen Protozoen. Einen wichtigen Punkt darf man bei allen Unter- suchungen über die sogenannte Intelligenz der Tiere nie außer acht lassen: alle Organismen können na.turgemäß nur über das ,, Erfahrung" erwerben, was sie ,, erfahren" können; mit anderen Worten, nur über solche Umstände, durch welche sie zu motorischen Reaktionen überhaupt gereizt werden. Es ist nun klar, daß es bei niederen Organismen immer zweifelhaft bleiben muß, was für Arten von Sinnesorganen — um uns hier des üblichen Ausdrucks zu bedienen — sie besitzen; ihr ,, Medium" kann immer nur die Summe der- jenigen Faktoren sein, denen sie zugänglich sind. Wie können wir z. B. erwarten, daß individualisierte Reize auf Organismen wirken sollen, die weder Auge noch Ohr besitzen ? Vielleicht liegt hier der Grund dafür, daß wir über wahres Handeln bei Protozoen so wenig wissen. Es gibt viele Beobachtungen über sie, über ihr Jagen z. B., die zu zeigen scheinen, daß ein ziemlich hoher Grad von Erfahrung bei Infusorien existieren kann; aber wer könnte eine Die Handlung. 55 richtige Auskunft über die wahrscheinlich chemischen Reize geben, die diese kleinen Organismen erreichen können? Und andererseits mag es nun Bezirke der Erfahrung geben, bei den höheren Klassen der Wirbellosen z.B., welche uns subjektiv überhaupt ganz und gar unverständlich sind. Bienen scheinen sich des absoluten Betrages ihrer Orts Veränderung zu erinnern. Auch nach passivem Trans- port, nicht einmal auf gerader Linie, erreichen sie ihren Stock immer wieder, und ähnliches gilt von Vögeln^). In anderem Sinne gehören die äußerst wichtigen neuen Entdeckungen von P a w 1 o w und seinen Schülern hierher; sie lehren, daß ,, Assoziation" sich nicht nur auf sensorische und motorische, also auf sogenannte ,, bewußte" Phänomene, beziehen kann, sondern auch, freilich nervös vermittelt, auf Prozesse der Ausscheidung. Die Sekretion der Speicheldrüsen kann z. B. von irgendeinem Reize aus- gelöst werden, der irgendwann einmal den ursprünglichen Reiz des rein physiologischen Prozesses der Sekretion begleitete. Einige Worte über die Verteilung von Erfahrung nicht im Tierreiche, sondern im Hinblick auf die Teile eines und desselben Organismus, mag diese vorläufigen Be- merkungen abschließen; etwas mehr über diesen Gegen- stand wird später folgen. Die Versuche von Goltz, S c h r a d e r u. a. haben gezeigt, daß im Hirne der Wirbel- 1) Rädl (Biol. Centr. 26 1906 und sonst) hat das Verhalten der Tiere bei ihrer Orientierung im Raum gut analysiert. Teilweise ist es dem Gesicht, nämlich einer Fixierung durch den Blick, verdankt; ein anderer Teil steht in Beziehung zu den halbzirkel- förmig-en Kanälen des Ohrlabyrinths oder zu anderen „statischen" Organen; ein dritter Teil ist zurzeit wohl noch physiologisch unverstanden. Das Verhalten der Bienen würde diesem letzten Teil angehören. — J. B.Watson (Psychol. Rev. Monograph, Suppl. Vol. 8 No. 2 1907; Referat in Amer. Nat. 42, p. 355) stellte kürzhch fest, daß Ratten lernen, sich in einem Irrgarten zurecht zu finden, selbst, wenn sie des Gesichts und Getasts beraubt sind, also lediglich auf Grund von Bewegungserinnerungen. Das wäre freilich wohl auch dem Menschen in gewissem Grade verständlich. 56 J^ie Handlung. tiere nicht die sogenannten Hemisphären allein mit Erfahrung zu tun haben; Frösche und Tauben wenigstens und in gewissem Grade auch Hunde können neue Erfahrung erwerben, oder wenigstens ältere Erfahrungen benutzen, wenn ihnen diese Hemisphären auch total exstirpiert sind. Sie besitzen ohne Zweifel nach der Exstirpation weniger Erfahrung als vorher ; aber sie haben ihre Erfahrung und ihr Erfahrungsvermögen nicht ganz eingebüßt. So sehen wir also, daß neben den Hemisphären auch andere Teile des Zentralnervensystems es mit Erfahrung zu tun haben. Das gilt für alle sogenannten niederen Hirnzentren und vielleicht auch für das Rückenmark. Was diese Tatsachen eigentlich bedeuten, kann ebenfalls erst später erörtert werden. Und nun sind wir gerüstet zur eingehenden Analyse des Prozesses der Handlung selbst. ß) Das erste Kriterium der Handlung: die historische Reaktionsbasis. Der Phonograph ist eine wohlbekannte Maschine, deren Reaktionen in ihrer Sonderheit von seiner individuellen Geschichte abhängen : der Phonograph gibt von sich, was er in der Vergangenheit empfangen hat. Nun haben wir bereits vorläufig bemerkt, daß die individuelle Geschichte eines der wichtigsten Kriterien ist, die bei der Kennzeichnung des Handelns in Betracht kommen. Kann darum vielleicht das Handeln irgendwie mit den Reaktionen so einer Maschine, wie der Phonograph ist, verglichen werden ? Mit der Auf- stellung dieser Frage beginnen wir passend unsere Analyse des Prozesses der Handlung. Wenn wir zunächst den handelnden Organismus als Ganzes ins Auge fassen, ohne auf sein Nervensystem oder Gehirn besondere Rücksicht zu nehmen, dann können wir sagen, daß die Besonderheit jeder seiner Handlungen ab- hängt von der Besonderheit aller sich auf Empfindung und Bewegung beziehenden Reize, die ihn in der Vergangenheit betroffen haben, und von allen besonderen Effekten dieser Reize. Dieses Kennzeichen haben wir bereits kurz zu be- Die Handlung. 57 schreiben versucht, als wir sagten, daß Handeln von der ,, individuellen Geschichte" des Organismus abhänge, und wir werden ihm nun einen technischen Namen geben, indem wir sagen, daß eine historische Reaktions- basis eine der Haupt komponenten ist, von denen das Spezifische jeder Handlung abhängt. Ohne Schwierigkeit, denke ich, werden sie sich nun überzeugen, daß diese ,, historische Reaktionsbasis", das eine der Fundamente der Handlung, etwas von der ,, Ge- schichte" eines Phonographen sehr Verschiedenes ist. Der technische Ausdruck ,, historische Reaktionsbasis" erfordert daher eine genaue technische, oder viel- mehr wissenschaftstechnische Definition : er soll mehr bedeuten, als das bloße Wort vermuten läßt. Der Phono- graph wird zwar im Spezifischen seiner Reaktionen durch das Spezifische seiner Geschichte bestimmt; er kann aber dieses Spezifische nicht abändern, er bewahrt es, so wie er es empfangen hat. Die ,, historische Basis" der Handlung würde also dann eine vollkommene Analogie zu derjenigen des Phonographen darbieten, wenn alles menschhche Sprechen wie das Aufsagen eines ,, aus wendig" gelernten Ge- dichtes wäre. Aber eine „Unterhaltung" ist etwas ganz anderes. Der Organismus hat nämlich die Fähigkeit, aus spezifischen empfangenen Kombinationen für die Bildung neuer kombinierter Spezifizitäten Nutzen zu ziehen. Er verändert sozusagen das Spezifische, was ihm begegnet ist, zu anderem Spezifischen, das er auf Grundlage der Elemente des erster en bildet. Hier finden wir, was wir suchen : die historische Reaktionsbasis ist nur in einem sehr allgemeinen, nicht in einem besonderen Sinne ,, historisch". Durch Spezifisches freilich ist jene ,, Geschichte" geschaffen worden, die man gewöhnlich ,, Erfahrung" nennt; aber die historische Reaktionsbasis, d. h. die historisch geschaffene Basis des Handelns, ist darum doch in keiner Weise ganz im Einzelnen spezifiziert, sondern besteht aus den Ele- menten des erfahrenen Spezifischen. Die zweite Hälfte unserer Analyse der Handlung wird zu zeigen haben, wie 58 JDie Handlung. neue kombinierte Spezifizitäten auf Grundlagen der Ele- mente der historisch empfangenen gebildet werden können. Ein zweiter fundamentaler Unterschied zwischen den historischen Reaktionsbasen eines Phonographen und eines Organismus läßt sich nun unschwer dem ersten beifügen. Der Phonograph empfängt Luftschwingungen und gibt Luft- schwingungen ab; mit anderen Worten, früherer Peiz und spätere Reaktion sind von gleicher Art. Ein Organismus, der ,, Erfahrung" gemacht hat, empfängt Sinnes- eindrücke und gibt Bewegungen ab, d. h. die Ereignisse, welche die Geschichte des Organismus geschaffen haben, und die Ereignisse, welche sich auf Grund dieser Geschichte ab- spielen, gehören zu zwei durchaus verschiedenen Klassen von Phänomenen. Wir müssen uns nun noch eingehender mit der Anatyse unserer ,, historischen Basis" abgeben, und zwar wollen wir an erster Stelle einen gewissen Ausdruck rechtfertigen, den wir bei unserer Definition gebrauchten. Wir haben gesagt, daß Handlungen nicht nur von allen einst empfangenen Reizen, sondern auch von den Effekten dieser Reize abhängen. Das Wort ,, Reize" soll hier alles einschließen, was die Sinnesorgane des handelnden Organismus irgendwie und irgendwann betroffen hat; das Wort ,, Effekte" soll die letzten Konsequenzen irgend einer früheren Bewegung, die durch irgend einen Reiz ausgelöst worden ist, bezeichnen. Die zweite Hälfte dieser Erläuterung ist es nun eben, die weitere Auslegung nötig macht, und eine solche Auslegung läßt sich passend auf die kurze Erörterung eines funda- mentalen Problems gründen, welches häufig seitens philo- sophischer Psychologen diskutiert worden ist : des Problems vom sogenannten Ursprung der Willenshand- lung beim Kind. Der Gebrauch einiger psychologischer Ausdrücke wird sich im folgenden kaum vermeiden lassen: wir wiederholen aber, daß wir diese Ausdrücke nur der Kürze halber hier verwenden, und daß es besser sein würde, hätte jeder sein eigenes pliänomenologisches Kor- relat; denn wir beschäftigen uns mit Körpern in Bewegung. Die Handlung. 59 Der Ursprung der Willenshandlung. Bewegungen ohne Regelmäßigkeit, hervorgerufen durch unbekannte allgemeine äußere und innere Ursachen gelten als der eigentliche Ausgangspunkt der Handlungen des Kindes; eine Annahme, weiche mit den neuen Entdeckungen von Jennings gut übereinstimmt. Das Kind merkt sich die Wirkung jeder dieser Bewegungen, namentlich soweit sie Lust oder Schmerz bringen — diese W^orte im weitesten Sinne verstanden — und später ,, wünscht" es gewisse mögliche Effekte seiner Bewegungen und führt die ent- sprechenden Bewegungen aus, während es andere Effekte ,, nicht wünscht" und die ihnen entsprechenden Bewegungen daher nicht ausführt. Mit fortschreitendem Alter des Kindes können die möglichen Effekte seiner Bewegungen sich natürlich auf jede beliebige Veränderung des Mediums im weitesten Sinne beziehen, soweit das Medium überhaupt Gegenstand der Erfahrung sein kann. Es ist Sache der Psychologie, auszumachen, welche elementaren psychischen Funktionen bei diesem ,, Wünschen" und ,, Mögen" in Betracht kommen. Natürlich kommen auch die Anfänge des Urteilens hier in Betra.cht, und eine eingehendere Analyse würde wohl zeigen, daß Wollen, Urteilen und Gefa,llen hier als Ganzes am Werke sind, faktisch untrennbar und nur für die analytische Wissenschaft getrennt. Manche Schrift- steller haben es übersehen, aber W u n d t und einige andere haben es besonders klar hervorgehoben, daß die Lehre vom sogenannten Ursprung der Willens handlung sich keineswegs auf den Ursprung des W o 1 1 e n s bezieht, sondern nur auf den Ursprung der Fähigkeit auszuführen, was gewollt worden ist. Wollen selbst gehört ebenso wie Mögen und Urteilen zu den unerklärbaren elementaren Tat- sachen der Psychologie. Doch kehren wir zu unserem eigentlichen Problem zurück, das nicht psychologisch, sondern naturwissenschaft- lich ist. Die Erörterung der Entstehung der Willenshand- lungen hat uns aufs Klarste gezeigt, was wir wußten, nämlich (jO Die Handlung. daß die Effekte motorischer Reize einen Bestandteil der historischen Reaktionsbasis bilden können. Waren es doch die Effekte der Bewegungen aufs Geratewohl, die dem Kind ,, gefielen", und eben dieses Gefallen der Effekte tritt in die historische Basis seiner künftigen Handlungen ein, ganz ebenso wie alle Art von Reizungen selbst. In gewissem Sinne können wir geradezu sagen, daß die Effekte motorischer Reize ihrerseits zu neuen Reizen werden, insofern wenigstens, als sie ein Etwas darstellen, das sich dem Organismus dar- bietet und von ihm ,, erfahren" wird; auf diese Weise würde die ganze Analyse der historischen Basis sehr einfach und gleichförmig werden. Trotzdem ist es aber von Nutzen, die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Typen von historischen Reaktionsbasen aufrecht zu erhalten und sie zu nehmen, wie sie in den besonderen Fällen nun eben sind. Die beiden verschiedenen Typen historischer Reaktionsbasen. Alles Handeln, vv^elches auf die zur Erfahrung gebrachten Endeffekte früherer motorischer Reize gegründet ist, geht vom ,, Zufall" aus und gewinnt seine höchste Be- deutung beim sogenannten ,, Probieren". Sie haben da einen neuen Koffer und wissen nicht, wie Sie ihn öffnen sollen. Zuerst versuchen Sie alle möglichen Handgriffe, die Sie von Ihrer Erfahrung bezüglich der Effekte Ihrer Hand- bewegungen beim öffnen anderer Koffer her als erfolgreich kennen; aber dieses ,, Probieren" hat keinen Erfolg. Zuletzt, durch ,, Zufall", drücken Sie auf einen unscheinbaren kleinen Knopf: die Öffnung des Koffers ist der ,, Effekt". Das zweite Mal drücken Sie nun sofort auf den Ejiopf ; Sie ,, probieren" nicht mehr, aber Ihre neue Erfahrung unter- stützt Sie nun bei zukünftigem ,, Probieren". Alles hat hier in der Tat die größte Ähnlichkeit mit dem, was uns die Analyse der ersten Handlungen des Kindes gelehrt hat, obschon gewisse Unterschiede nicht übersehen werden dürfen. Erfahrung, die sich lediglich auf vergangene Reize gründet, ist Ihnen nicht weniger bekannt als das eben Die Handlung. ßX Erörterte. Das Sprachenlernen und alles Nachahmen gehört hierher. Das allgemeine Schema dieses Typus der ,, historischen Reaktionsbasis" ist folgendes : man lernt durch Erfahrung, daß eih gewisses einfaches sekundäres Phänomen immer dasjenige primäre, welches den eigenthchen moto- rischen Reiz des Handelns ausmacht, begleitet; und man führt dann später in Antwort auf jenes sekundäre oder ,, indizierende" Phänomen hin dieselbe Handlung aus, die man anfangs nur auf den primären Reiz hin folgen ließ. Auf diese Weise lernt man z. B. verschiedene Trambahnlinien an den bunten Schildern oder bunten Lichtern, welche sie tragen, erkennen. Sie werden bemerken, daß wir uns hier eigentlich mit dem beschäftigt haben, was die Psychologen ,, Assoziation" zu nennen pflegen. Davon wird gleich des Weiteren noch die Rede sein. Eine gute, gleichsam populäre Illustration des Unter- schiedes zwischen einer historischen Basis, die mit ver- gangenen Reizen und Effekten, und einer solchen, die lediglich mit vergangenen Reizen arbeitet, mögen schließlich noch die beiden folgenden Beispiele darbieten: Wenn Sie in einer fremden Stadt einen Ort zu erreichen wünschen, von dem Sie nur die allgemeine Lage kennen, so werden Sie sich das erste Mal wohl sehr oft verlaufen: Sie werden aber durch die ,, Effekte" Ihres Gehens ,, lernen", richtig zu gehen. Wenn Sie aber das erste Mal von einem Ereund begleitet waren, welcher die Stadt kennt, und wenn Sie gut Acht gaben, auf das, was Sie auf ihrem Wege ,, sehen", dann finden Sie den Ort das nächste Mal ohne ,,Irrtum"i). ,, Assoziation." Wir sagten schon, daß es einer der wesentlichsten Züge der historischen Reaktionsbasis sei, die Auflösung ihrer ^) Man vergleiche zu dieser Darlegung das von Was mann (Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, 2. Aufl., 1909) über die verschiedenen Formen des „Lernens" Gresagte. 62 I^ie Handlung, Besonderheiten in Elemente zu gestatten. Wir dürfen nun aber nicht vergessen, daß trotzdem eine gewisse Er- haltung der Kombination der empfangenen Besonder- heiten die conditio sine qua non für den Prozeß des Handelns ist : ohne sie wäre ,, Assoziation" unmögUch. Die Psychologie unterscheidet bekanntlich zwei Arten von Assoziation, solche der Berührung und solche der Ähnlichkeit oder des Kontrastes. Alle Berührungsassoziation kann nun in ge- wisser Hinsicht angesehen werden als eine Art von Er- haltung wenigstens eines Teiles der ursprünglichen Kombinationsbesonderheit jener Reize, welche die historische Peaktionsbasis bildeten. Andererseits ist aber die bloße Tatsache, daß, psychologisch gesprochen, Association allein die Gesamtheit des psychischen Lebens nicht erklären kann, hinreichend, um zu zeigen, daß die Erhaltung eines Teiles der ursprünglichen Reizbesonderheiten nur eine sekundäre Rolle beim Handeln spielen kann. Jenes Erhaltenbleiben spielt freilich seine Rolle; aber es würde doch nur sehr primitive Formen des Handelns geben, wäre jene Erhaltung nicht begleitet von der Trennung und der neuen Kombination des ursprünglich Empfangenen, und gäbe es nicht das merkwürdige Phänomen einer auf Kontrast und Ähnlichkeit basierten Assoziation. Diese Prozesse aber, und in Sonderheit der Prozeß der Auflösung gegebener kom- plexer Besonderheiten und ihre Umbildung zu anderen Besonderheiten, können ohne eine Erörterung des zweiten fundamentalen Kriteriums der Handlung nicht wohl ver- standen werden i). Wenn wir uns nun also diesem zweiten Kriterium zuwenden, so verlassen wir damit doch nicht endgültig ^) Mit einer psychologischen Theorie dei* Association haben wir es hier nicht zu tun. Bloß passive Association trägt sicherlich zum wachen psychischen Leben nur wenig bei. Sie kann nämlich nie erklären, daß unter den unzähligen Vorstellungen, die einander „ähnlich" sind, nun gerade eine in einem bestimmten Zeitpunkt auftaucht und keine andere. Vgl. hierzu die ausgezeichnete Er- örterung in Bergs ons „Mati^re et Memoire" (Deutsch, Jena 1908) und auch den Begriff „Apperzeption", wie Wandt ihn verwendet- Die Handlung. 63 6.8,8 erste. Im Gegenteil: wie das erste unvollständig war ohne das zweite, so wird auch das zweite vom ersten untrennbar sein. T) Das zweite Kriterium der Handlung: die Individualität der Zuordnung. Als wir uns mit der Theorie der Instinkte beschäftigten, legten wir bereits dar, was wir unter einem ,, einfachen" und einem ,, individualisierten" Reiz verstehen. Ein Reiz ist individualisiert, wenn er aus einer spezifischen, spezifisch geordneten Verbindung einzelner Elemente besteht; die Ordnung kann räumlich oder zeitlich oder beides sein. Das zweite der beiden Hauptkriterien der Handlung, als Problem der Naturwissenschaft betrachtet, besagt nun, daß die Handlung stets eine einem indi- vidualisierenden Reize entsprechende Reaktion ist. Ich brauche Sie bloß daran zu erinnern, daß der Anblick eines bestimmten Menschen oder eines bestimmten Hauses Ihr Verhalten in bestimmter Weise beeinflussen kann, daß eine Melodie oder ein bestimmter Satz, weichen sie hören, dasselbe vermag, und Sie sehen an einem bestimmten Beispiel das deutlich vor sich, was unsere Analyse abstrakter ausdrückt. Nun hat aber ferner der individualisierte Reiz der Handlung einen Effekt, welcher ebenfalls individualisiert ist. In der anorganischen Welt gibt es das in gewissen Fällen auch, und doch besteht schon auf den ersten Blick eine große Differenz zwischen dem Anorganischen und dem Leben. Ein Siegel, das bestimmte Buchstaben trägt, kann ja auch ein individuali- sierter Reiz oder doch wenigstens eine individualisierte Ursache genannt werden, und wenn man es in heißes Siegellack eindrückt, so ist auch sein Effekt individualisiert r aber die beiden Individualisationen sind hier von genau gleich erArt. Das eben ist bei den Individualisationen von Reiz und Effekt in der Handlung nicht der Eall; Q4: I^iö Handlung. hier sind sowohl Reiz wie Effekt spezifisch individualisiert, aber beide in anderer Weise. In mehr technischer Sprache können wir das Ergebnis unserer vorläufigen Analyse nun folgendermaßen aus- drücken: Neben dem Prinzip der historischen Reaktions- basis tritt noch ein anderes fundamentales Prinzip bei allem Handeln in Kraft — das Handeln stets aufgefaßt als ein körperlicher Prozeß in der Natur. Dieses zweite fundamentale Prinzip kann passend als das Prinzip der Individualität der Zuordnung zwischen Reiz und Effekt bezeichnet werden. Wir müssen nun zunächst noch eingehender erörtern, wo- rin die Individualität der Zuordnung beim Handeln eigent- lich besteht, und eben hier wird die Durchdringung unserer beiden Prinzipien, von der wir bereits redeten, klar werden. Die Individualisation des Handlungseffektes nämlich, obschon sie, wie gesagt, von der Individualität der Ursache abhängt, indem sie ihr korrespondiert, hängt gleichzeitig von der ,, historischen Reaktionsbasis" ab: die Elemente des individualisierten Handlungseffektes nämhch leiten sich von dieser Basis her. Über die theoretischen Folgen dieses Verhält- nisses wollen wir später reden; zunächst ist die eingehende Analyse der beim Handeln zwischen dem individualisierten Reiz und dem individualisierten Effekt bestehenden Zu- ordnung unsere wichtigste Aufgabe. Man versteht jedes komplizierte Problem besser, wenn man es zunächst durch ein konkretes Beispiel erläutert sieht, und so will ich denn auch unsere Erörterung mit einem solchen anfangen. Ich wähle hier einen Fall, der Ihnen allen wohl bekannt ist, denn es ist ja ein Vorteil des Feldes der Biologie, mit dem wir uns gegenwärtig beschäftigen, daß das eigentlich Tatsächliche hier allgemein bekannt ist, während auf dem Gebiete der Formbildung selbst die einfachsten Tatsachen von rein beschreibendem Charakter einem weiteren Leser- kreise immer erst erläutert werden müssen, damit eine theoretische Erörterung überhaupt möglich sei. Die Handlung. 65 Hundertmal am Tage erleben wir, was eine Unterhaltung zwischen zwei Menschen ist. Versuchen wir also zu ana- lysieren, was vom Standpunkte der Naturwissenschaft aus eine Unterhaltung bedeutet. Zwei Freunde treffen sich auf der Straße, und der eine von ihnen, A, sagt zu dem anderen, B.: ,,Mein Vater ist ernstlich erkrankt". Dieser von A ausgehende Reiz wird einen ganz bestimmten Effekt bei B verursachen. Der Vater von A sei in Amerika. B wird dann von der Schwierigkeit sprechen, die es bietet ihn zu besuchen und von vielen anderen Dingen, welche alle sehr bestimmt und spezifisch sind. Was würde aber geschehen sein, wenn A anstatt der Worte ,,Mein Vater" die Worte ,,Dein Vater" gebraucht hätte? Sicherlich etwas ganz anderes und doch auch wieder etwas ganz Besonderes. A sei gerade aus der Familie des B gekommen, welcher der er- krankte Vater angehört ; B wußte noch nichts von der plötz- lichen Erkrankung, ereilt schnell nach Hause, zum^Arzt usw. Als ,, Reize", vom Standpunkte der Naturwissenschaft aus betrachtet, sind nun aber die Sätze ,,Mein Vater ist ernstlich erkrankt" und ,,Dein Vater ist ernstlich erkrankt" nur ganz unbedeutend verschieden: der Buchstabe m steht das eine Mal, wo das andere Mal der Buchstabe d steht. Nun wollen wir etwas anderes annehmen: Die beiden Freunde seien von verschiedener Nationalität, der eine sei Deutscher, der andere sei Franzose; die Stadt aber, in der sie sich treffen, möge eine englische Stadt sein, und beide Freunde mögen die englische und deutsche und frs^n- zösische Sprache gleichermaßen beherrschen und alle drei gelegentlich in ihrer Unterhaltung anwenden. Dann könnte A, anstatt zu sagen ,, Mein Vater ist ernstlich erkrankt", auch gesagt haben: ,,Mon pere est severe ment malade" oder ,,My father is seriously ill". Welches wüi'de der Effekt dieser Verschiedenheit gewesen sein ? Ganz sicherlich derselbe wie derjenige des auf Deutsch gesprochenen Satzes i). ^) Man hat eingewendet, hier seien nicht die Sätze „Mein Vater ist krank" usw. die eigentlichen Handlungsreize, sondern dieso Driesch, PhilosopMe. II. 5 QQ Die Handlung. Dieses Beispiel zeigt uns also, daß der Handlungseffekt unverändert bleiben kann trotz einer fundamentalen Änderung des Handlungsreizes: dieses zweite Ergebnis unserer Analyse ist das richtige Gegenstück zum ersten. Beim Handeln braucht also einerseits keine Ände- rung in der Spezifizität der Reaktion vorzuliegen, wenn der Reiz fundamental geändert wurde, und kann andererseits die allerfundamentalste Verschieden- heit in der Reaktion auftreten, obwohl der Reiz nahezu identisch blieb. Ein sehr seltsames Resultat haben wir also durch unsere Analyse erreicht. Stellen wir nun unser Resultat in abstrakterer Form dar. Das wird uns alsdann zu unserem zentralen Problem führen: Läßt sich das Handeln auf Grund der Annahme einer spezifischen physikalisch-chemischen Anordnung, kurz, einer Maschine, erklären oder nicht ? Der individualisierte Reiz beim Handeln, den in unserem Beispiel der Satz ,,Mein Vater ist ernstlich erkrankt" dar- stellt, kann analytisch als eine spezifische Ordnung der be- stimmten Elemente a, b, c, d, e, f, g, h, i dargestellt werden. Der spezifische Effekt, welchen der Reiz auf die handelnde Person, den Freund B unseres Beispiels, hat, mag eine typische Kombination der Elemente ai, bi, Cj, di, Ci, fi, gl, hl, ii usw. sein. Die Frage ist dann die: Wie ist die Reihe a, b, c usw. verknüpft mit der Reihe ai, bi, Ci usw.; und läßt sich ai, bi, Ci usw. aus a, b, c usw. auf Grund der gegebenen Organisation, des Gehirns insbesondere, oder wenigstens auf Grund irgend einer Art von Maschine irgendwie verstehen? Die Sachlage würde einfach sein, wenn jedem Element des Reizes ein Element des Effektes entspräche, wenn ai beständen in den allgemeinen „geistigen" Umständen der angeredeten Person. Im wahren physikalischen Sinne des Wortes sind aber jene Sätze unzweifelhaft „Reize"; die allgemeinen geistigen Umstände, d. h. unsere „historische Basis" mit allen ihren Kennzeichen, könnten nie und nimmer allein die besonderen spezifischen Reaktionen, die hier und gerade jetzt geschehen, erklären. Die Handlung. 67 der Effekt von a, bi von b, Ci von c usw. wäre. Beim Phonographen ist das so, aber beim Handeln nicht. Wie können denn nun die Beobachtungen, die wir aus der Analyse einer üblichen Konversation gewannen, formuHert werden? Mir scheint, das könnte wohl folgendermaßen angehen : Verändert man den Reiz a, b, c, d, e, f, g, h, i zu a, b, Y, d, e, f, g, h, i, so ist der Effekt nicht mehr ai, bi, Ci, dl, Ci, fi, gl, hl, ii, sondern: m, n, o, p, q, r, s, t. Verändert man andererseits den Reiz a, b, c, d, e, f, g, h, i zu a, j3, y, o, s, C, ttj, {>, i, x, so b 1 e i b t der Effekt trotzdem: ai, bi, Ci, di, Ci, fi, gi, hi, ii. Es kann kaum einen besseren Ausdruck für die Tat- sache geben, daß sowohl beim Reiz wie beim Effekt der Handlung eine Totalität in ihrer Besonder- heit in Betracht kommt und nichts anderes. Was be- deutet aber diese Totalität? Hier haben wir nun schon gewissermaßen unbewußt das Wort angewendet, welches unser Problem gleichsam einschließt; wir können sagen, daß es ganz unverhofft zu uns kam: das W^ort ,, bedeuten". Die Totalität von Reiz und Effekt haben eine ,,B e d e u t u n g", und ihre Be- deutungen hängen eben nicht stückweise von einander ab. Einem psychologischen Ausdruck begegnen wir hier, obwohl wir ja das Feld der Psychologie nicht betreten wollen; auf alle Fälle haben wir etwas sehr Seltsames auf- gefunden. b) Ein neuer Beweis der Autonomie des Lebens. Vorläufige Bemerkungen. Wir stellen nun die wichtige Frage: gibt es irgend etwas dem Geschilderten Ähnliches im Anorganischen ? Wenn nicht, so würde das eine unserer Prinzipien der Handlungen, das Prinzip der Individualität der Zuordnung, einen neuen und unabhängigen Beweis der Autonomie der Lebens Vorgänge, des Vitalismus, bilden. 5* 68 Die Handlung. Ist es möglich, sich eine Maschine auszudenken, oder besser, das Hirn als eine Maschine zu begreifen, deren Reaktionen, selbst individualisierte Kombinationen höchster Art der Zusammensetzung, sich korrespondierend mit jeder Art des Reizes ändern, der seinerseits auch indi- vidur.lisierter Natur ist ? Oder widerspricht es dem Begriff einer Maschine anzunehmen, daß eine typische Anordnung physikalisch-chemischer Elemente auf typisch kombinierte Reize stets mit einem typisch kombinierten Effekte ant- wortet, obwohl die einzelnen Elemente des Effektes nicht in kausaler Abhängigkeit von den einzelnen Elementen der Ursache stehen? In einem früheren Kapitel dieser Vorlesungen, als wir es mit der Physiologie des Stoffwechsels und der Im- munität insbesondere zu tun hatten, sagten wir, daß die Unbeschränktheit der Zuordnung von bestimmter Ursache und bestimmtem Effekt, falls sie stets den Bahnen adap- tiver Regulation folge, jedenfalls als ein Indizium der Auto- nomie des Lebens gelten könne. Damals hatten wir es mit ,, einfachen" Reizen und Effekten zu tun. Jetzt aber sprechen wir von ,, individualisierten" Reizen und Effekten, und eben darum scheint mir jetzt ein Beweis des Vita- lismus an die Stelle eines bloßen Indiziums zu treten, ein Beweis, basiert auf die intime Natur der Zuordnung zwischen individualisiertem Reiz und individualisiertem Effekt, welche beide Totalitäten darstellen i). G o 1 1 z 2) hat bei seiner Analyse der Bewegungen des seiner Großhirnhemisphären beraubten Frosches den Ausdruck ,, Antwortsreaktion" zur Darstellung seiner Ver- ^) Rein psychologisch kann die Bedeutung dieser aus Einzel- heiten aufgebauten „Totalität" am besten verstanden werden. Der Künstler, ein Maler zum Beispiel, trägt die vollständige Totalität dessen, was er leisten will, in sich: er führt sie später durch einzelne Eewegungsakte seiner Hand aus. Ganz ebenso bilden die einzelnen Sätze einer Unterhaltung, trotz ihrer Zusammensetzung aus einzelnen Elementen, eine ,, Totalität'", die eine bestimmte „Bedeutung'- hat. ^) Beiträge zur Lehre von den Funktionen der Nervenzentren des Frosches. Berlin 1869. Die Handlung. 69 sucüsresultate eingeführt. Seine Erörterungen sind zwar nicht frei von Pseuclopsychologie, aber trotzdem ist sein neuer Begriff ebenso wertvoll wie seine Versuche. Wir können in der Tat sagen, daß Handlungen deshalb einer mechanischen Erklärung unzugänglich sind, weil sie Antwortsreaktionen, besser individuali- sierte Antwortsreaktionen darstellen. Einige Worte mögen hier den verschiedenen möglichen Arten von ,, Individualität", welche Reize und Effekte beim Handeln besitzen können, gewidmet sein. Die indi- vidualisierten Handlungs e f f e k t e können, wie ohne weiteres klar ist, entweder nur zeitlich, wie ein Satz in einer Unterhaltung oder eine Melodie, oder zeitlich und räumlich, wie die Schöpfung aller Gegenstände der Kunst oder Technik, zusammengesetzt sein. Die individualisierten Reize können einmal den beiden eben erwähnten Klassen von Kombinationen angehören; es gibt hier aber ferner noch eine dritte, nur räumhch zusammengesetzte Klasse : zu ihr gehört der vollendete Gegenstand der Kunst oder der Technik als Reiz betrachtet, ja jeder typische dingliche ,, Gegenstand" überhaupt. Auch diese letzte Klasse von Reizen besitzt ja doch eine individuelle Ganzheit, wie z. B. ein Tisch oder ein Hund. Wir begegnen hier einem Problem wieder, das uns bereits aus unserem Studium der proble- matischen Instinktreize bekannt ist. Der Hund, ,, dieser Hund", ,,mein Hund", ist derselbe Reiz, mag er von irgendwelcher Seite oder unter irgendwelchem Winkel gesehen werden : er wird immer als derselbe erkannt, obwohl das wirkliche Retinabild in jedem Falle ein anderes ist. Eben das kann unmöglich auf Grund der Annahme irgend eines präformierten materiellen Empfängers im Gehirn, der dem fraglichen Reize entspräche, verstanden werden i), selbst dann nicht, wenn wir absichtlich davon absehen, daß der materielle Empfänger ja doch durch die Reize, ^) Solche Annahme machte kürzlich v. Üxküll (Zeitschr. f. Biol. 50, 1907). 70 -Die Handlung. welche das Individuum früher trafen, geschaffen sein müßte. Der Empfänger für den von der Seite ge- sehenen Hund würde eben nicht zur Identifizierung des von hinten gesehenen Hundes genügen! Hängt doch, um psychologisch zu sprechen, alle Identifikation, ja schon das einfache Wiedererkennen nur teilweise von der Reizung ab; sie ist vielmehr in der Hauptsache ein aktives Ver- suchen seitens des Ich auf Grund von Wahrscheinlichkeit!). Doch darauf kommen wir später zurück. Soviel fürs erste über die ,, Individualität der Zu- ordnung" in ihrer Bedeutung für den Vitalismus. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn zwei Forscher auf demselben wissenschaftlichen Gebiet unabhängig zu gleichen Resultaten gelangen, und da gerade auf dem Gebiete, mit dem wir es jetzt zu tun haben, ein Fall solcher unabhängiger gleichzeitiger Entdeckung vorliegt, so erlaube ich mir, hier mit einigen Worten darauf einzugehen. Im Frühjahr 1903 veröffentlichte ich zuerst die neue und unabhängige Beweisführung des Vitalismus, die ich Ihnen hier dargelegt habe, und ungefähr um dieselbe Zeit teilte der verstorbene Philosoph Busse in seinem Buche ,, Geist und Körper, Seele und Leib" ein Ai^gument gegen den so- genannten psycho-physischen Parallelismus mit, welches mit meiner Analyse bis in die kleinsten Details überein- stimmt, und wir wußten von einander nicht das Geringste. Busse verwendet ein Telegramm als Beispiel, wo ich eine Unterhaltung verwende, aber das ist der einzige Unter- schied. Später werden wir sehen, daß die Autonomie des Lebens, wie sie in der Handlung zutage tritt, be- weisen, in der Tat dasselbe heißt, wie die p a r a 1 1 e - listische Theorie abweisen. Aber es liegt noch ein anderer Fall von selbständiger Entwicklung unserer Ai'gumentation vor. Ich war sehr erfreut, nach der Niederschrift dieses Kpopitels zu erfahren, *) Vgl. Bergson; s. auch v. Kries: Über die materiellen Grundlagen der Bewußtseinserscheinungen. Tübingen 1901. Die Handlung. 71 *ö daß einer der originellsten Denker unserer Tage, der franzö- sische Philosoph Henri Bergson, in seiner tiefgehenden Analyse der Beziehungen zwischen ,, Materie und Ge- dächtnis"!), bereits im Jahre 1896 die Autonomie des Handelns durch eine Erörterung bewiesen hatte, welche sich zwar im Rahmen der Psychologie bewegt und daher von der unsrigen in den Worten abweicht, welche ihr aber in der Sache außerordentlich ähnlich ist. Ich empfehle Bergsons Werk aufs angelegentlichste allen denen, die ein tieferes Interesse an diesem Gegenstande nehmen. Wir wollen den aus der Analyse der Differenzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme im Bereiche der Form- bildung gewonnenen Beweis des Vitalismus den ersten Beweis des Vitalisnius nennen; der aus der Erörterung der Genese komplex-äquipotentieller Systeme, welche die Grundlage der Vererbung und vieler morphologischer Regulationen sind, gewonnene Beweis mag der zweite Beweis des Vitalismus heißen. Dann können wir einen dritten Beweis des Vitalismus in unserer Analyse des Prinzips der ,, Individualität der Zuordnung" erblicken, welches eines der Hauptkennzeichen der Handlung ist. Dieser Beweis ist ebenso unabhängig und in sich geschlossen, wie die beiden ersten; nur das allgemeine logische Schema ist immer dasselbe: irgend eine Maschine, sei sie auch noch so kompliziert, ist hier nicht ersinnbar. Die Vereinigung der beiden Hauptkriterien der Handlung. Unser diitter Beweis ist aber noch nicht vollständig; wir müssen ihn in gewisser Weise ergänzen, und eben des- wegen haben wir ihn bisher nur verhältnismäßig kurz erörtert. ^) Paris 1896; deutsch 1908, — Dieses ausgezeichnete Werk war mir, als ich meine „Seele" sehrieb (1903), unbekannt; es ist auch weder bei Busse noch bei A. Klein (Die modernen Theorien über das allgemeine Verhältnis von Leib und Seele, Breslau 1906) erwähnt. 72 Die Handlung. Das Prinzip der Individualität der Zuordnung besagt, wie wir wissen, nicht, daß es ein statisches oder fixiertes Etwas gebe, das Gehirn, durch welches jene Zuordnung gleichsam hindui'chgeht, und dessen wahre Natur, ob Maschine oder nicht, in Frage steht. Das Gehirn, oder besser das reagierende Etwas, ist in seiner Besonderheit erst geschaffen worden, ist zu dem, was es ist, erst geworden, und zwar durch seine Geschichte. Obwohl daher die erste Hälfte unserer Argumentation, wie ich glaube, für sich zu einem Beweise des Vitalismus genügt, so erfordert sie doch zu ihrer Vollständigkeit eine andere Hälfte, und eben diese andere Hälfte können wir durch eine eingehende Analyse der ,, historischen Reaktionsbasis" gewinnen. Sind doch, wie wir wissen, unsere Prinzipien der Handlung immer untrennbar verknüpft. Das eigentlich Handelnde ist, wie wir wissen, in seiner potentiellen Besonderheit durch seine individuelle Geschichte bestimmt. Alle Reize, die es in der Vergangenheit emp- fangen hat, und alle Effekte dieser Reize bestimmen es, wie zukünftige Reize, immer in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Zuordnung, beantwortet werden können. Hier treffen wir also die seltsame Tatsache an, daß ein Etwas, von welchem Reaktionen ausgehen sollen, in der Besonderheit der Fähigkeit seines Reagierens fast vollständig von außen her bestimmt wird. Nicht aber derart, daß es bloß zurückgäbe, was es empfangen hat. Wissen wir doch, erstens, daß nur die Elemente der empfangenen typischen Kombinationen die Basis für alles zukünftige Reagieren bilden, und zweitens, daß die emp- fangenen Besonderheiten einem ganz anderen Felde des Geschehens angehören, als die beim Reagieren abgegebenen. Sogenannte Empfindungen, oder besser tjrpische Kon- stellationen zentripetaler Reize des zentralen Nervensystems werden empfangen ; Bewegungen, oder besser typische Kon- stellationen von Reizungen zentrifugaler Nerven, werden abgegeben. Eben dieser Punkt unterscheidet, wie wir wissen, unser reagierendes ,, Etwas" vom Phonographen. Die Handlung. 73 Ich bin nun nicht imstande mir irgend eine Art von ,, Maschine" vorzustellen, die zu reagieren vermöchte, wie der Organismus es hier tut, und ich bin überzeugt, auch Sie werden sich in derselben Lage befinden. Denken Sie daran, daß es das Medium im weitesten Sinne des Wortes ist, und das Medium allein, welches ein Kind zu einem englisch oder französisch oder deutsch sprechenden Menschen macht, daß das Medium es allein bewirkt, ob ein Kind einst das lateinische oder das griechische oder das zyrillische oder das arabische Alphabet liest, und besser als durch bloße Abstraktion werden Sie alsdann einsehen, wie unmöglich es wäre, eine Maschine als Grund- lage dieser Tatsachen anzunehmen. Widerspricht es nicht geradezu dem Begriff einer ,, Maschine", d. h. einer typischen Anordnung von für bestimmte Zwecke aufgebauten Teilen, anzunehmen, daß sie durch äußere Zufälligkeiten entstanden sei? Und die ,, historische Reaktionsbasis" entsteht ja in der Tat in ihrer Besonderheit durch äußere Zufälligkeiten und spielt nachher doch ihre Rolle bei der ,, Individualität der Zuordnung". Die Individualität der Zuordnung selbst ist für sich genommen bereits unvorstellbar auf der Grund- lage von irgend etwas Vorbereitetem, da Reiz und Reaktion hier Totalitäten sind. Nun stellt sich aber sogar heraus, daß dasjenige, welches a priori eventuell vorbereitet sein könnte, nicht vorbereitet, sondern von außen ge- schaffen worden ist, und zwar in einer solchen Weise, daß es die Auflösung seiner Elemente und ihre Übertragung in ein anderes Feld des Geschehens gestattet. Gibt es irgend eine xA.rt von Maschine, welche ,,p r o b i e r t"? Über einige sogenannten ,, Analogien" der Handlung. Mechanistische Autoren haben gelegentlich anorganische ,, Analogien" für die Erfahrung oder für den Urgrund der 74 Die Handlung. Erfahrung, das Gedächtnis, ins Feld geführt. Ich zweifle freihch, ob jene Autoren wirldich geglaubt haben, daß sie durch ihr Vorgehen auch nur im geringsten eine mecha- nische Erklärung der in Frage stehenden Tatsachen geliefert hätten. Mir scheint vielmehr, daß ihre Produktionen nicht einmal den Namen ,, Analogien" verdienen, weit weniger sind sie natürlich eine ,, Erklärung" der histo- rischen Reaktionsbasis, wie sie tatsächlich beschaffen isti). An erster Stelle müssen wir hier bemerken, daß, psychologisch gesprochen, ,, Gedächtnis", als bloße Fähigkeit der Aufspeicherung, durchaus nicht dasselbe ist, wie die beim Handeln eine Rolle spielende ,, historische Basis". Psychologisch gesprochen, kommt hier zum Gedächtnis in seiner einfachen Form ,, Assoziation" hinzu, und nicht nur sie, für sich genommen, sondern kombiniert mit dem Urteil. Hier ist wieder die historische Basis untrennbar von ihrer Rolle bei der Individualität der Zuordnung. Die sogenannte elastische Nachwirkung und einige ähnliche Phänomene sind gelegentlich Analogien der historischen Basis genannt worden. Meiner Meinung nach sind sie jedoch nicht einmal Analogien des einfachen Ge- dächtnisses; sie könnten Analogien der ,, Ermüdung sein, aber die ist so ungefähr das Gegenteil von ,, Erfahrung" Ganz gewiß wird ein Gummiball durch seine ,, Geschichte ,, verändert"; unsere Kritiker müssen aber doch daran denken, wie wir das Wort ,, Geschichte" in unserer Definition verstehen, die durchaus den Charakter eines terminus technicus hat. Andere haben meiner Beweis- führung eingewandt, daß die ,, Reaktionen" eines Berges, (( ii ^) Sehr sorgfältig hat jedoch Becher (Zeitschr. f. Psych. 45, 1907, p. 401) meine „Seele" analysiert. Er hat Kecht. wenn er sagt, daß meine beiden „Kriterien" immer zusammen erwogen werden müssen. Seine mechanische Analogie für ihr Zusammenwirken (p. 428 seiner Arbeit) versagt aber, abgesehen von anderem, schon deshalb, weil er nicht beachtet, daß die vergangenen Reize und die Reaktionen meiner „historischen Basis" verschiedenen Gebieten der Wirklichkeit angehören. Die Handlung. 75 nämlich ob er langsam oder schnell von Regen und von Bächen abgewaschen werde, auch von seiner individuellen geologischen ,, Geschichte" abhänge; Granit setzt der Zerstörung einen größeren Widerstand entgegen als Kalk. Aber warum sagen meine Kritiker nicht, daß ein Berg „handelt", wenn atmosphärische Agentien ihn abwaschen? Sie sagen in der Tat nicht so, und ich vermute, sie werden das auch nie tun. Doch wir wollen den hier vorliegenden Unterschied so scharf wie möglich formulieren. Bei der elastischen Nachwirkung geschieht ein bestimmter einfacher Prozeß seiner Quantität nach das erste Mal in ganz bestimmter Weise, und das zweite Mal geschieht er in etwas anderer Weise, weil das Ding, an dem er geschieht, in gewissem Sinne, nämlich seiner aggregativen Natur nach, ein anderes geworden ist. In der dynamischen Geologie folgen be- stimmten Phasen der Geschichte später gewisse rein passive verschiedene Effekte. Beide Klassen von Verschiedenheiten entsprechen einander der Örtiichkeit nach. Beim Handeln dagegen sind historische Besonderheiten und Verschieden- heiten, die innerhalb einer ganz besonderen Klasse von Geschehnissen, nämlich von Empfindungen im weitesten Sinne des Wortes, auftraten, verantwortlich für Besonder- heiten und Verschiedenheiten, welche erstens aktive spezifisch zusammengesetzte Reaktionen auf spezifisch zu- sammengesetzte Reize im strengsten Sinne des Wortes sind, und welche zweitens einem ganz anderen Gebiete des Ge- schehens, dem Gebiete der Bewegungen, angehören. An- gesichts dieser Differenzen, so scheint mir, werden alle ,, Analogien" zwischen ,, Erfahrung" und anorganischen Ereignissen zu einem bloßen Spiel mit Worten. Niemals wären wohl Analogien, wie die hier erörterten, überhaupt aufgestellt worden, hätte man sich immer klar gemacht, daß sogenannte Erfahrung oder besser, in unserer strengen Definition, das Prinzip der historischen Reaktions- basis nicht nur die bloße Erinnerung an das, was geschehen ist, bezeichnen soll, sondern auch die Fähigkeit, die Elemente 76 Die Handlung. früheren Geschehens auf einem anderen Felde zu neuen individuahsierten Besonderheiten, welche Totali- täten darstellen, zu kombinieren. Stets ist das eine unserer fundamentalen Prinzipien der Handlung mit dem anderen verknüpft. Wir können das auch so ausdrücken: das Wort ,, Element", auf das Prinzip der historischen Reaktionsbasis bezogen, ist immer relativ. ,, Elemente" können Worte, aber auch Buchstaben oder ganze Sätze oder die bloßen Linien der Buchstaben sein — ganz wie man will. Wir verstehen jetzt auch, wie beschränkt die Rolle der reinen ,, Association" beim Handeln ist; sie ist nicht ohne Bedeutung, aber sie bedeutet nur ein Mittel des Handelns; oder, psychologisch ausgedrückt, sie liefert das Material für Urteile, aber ist kein Urteil; und Urteilen seinerseits geht in alle psychische Akte, die mehr als Asso- ciation sind, ein. Wie nun aber alle sogenannten anorganischen Ana- logien zur Erfahrung gar keine wirklichen Analogien sind, so ist auf der anderen Seite auch jedes Bestreben, die elementaren organischen oder vitalen Tatsachen auf das Anorganische zu übertragen, durchaus irreleitend. Es ist ein Unsinn zu sagen, daß der Stein zur Erde zu fallen ,, wünsche", selbst dann ist es ein Unsinn, wenn das Wort ,, wünschen" hier nur ein psychologischer Ausdruck für einen Naturprozeß sein soll. In der anorganischen Welt gibt es eben nichts, was auch nur im geringsten mit der Zuordnung der Individualität zu vergleichen wäre. Der moderne sogenannte ,, Monismus" ist leider fast stets ein Monismus der Worte, aber nicht der Gedanken, mag er materialistisch oder psychistisch gefärbt sein. Zusammenfassung. Wir wollen nun versuchen unseren dritten Beweis der Autonomie des Lebens, der sich auf die Analyse der Handlung als eines Phänomens in der objektivierten Natur gründet, endgültig zu formulieren. Die Handlunor. 77 o Alles Handeln ist eine Zuordnung zwischen indivi- dualisierten Reizen und individualisierten Wirkungen, verlaufend auf einer historisch von außen geschaffenen Reaktionsbasis. Aus folgenden Gründen macht die Handlung jede Art von Erklärung, die von einer gegebenen physikalisch- chemischen Tektonik ausgeht, unmöglich : Es würde schon allein unmöglich sein, sich eine Maschine im weitesten Sinne des Wortes vorzustellen, welche die Individualität der Zuordnung, wie sie beim Handeln vor- liegt, erklären könnte. Denn es läßt sich zeigen, daß nicht die einzelnen Konstituenten des Effektes hier einzeln von den einzelnen Konstituenten des Reizes abhängen, sondern daß ein Ganzes von einem anderen Ganzen abhängt, wobei beide ,, Ganze" nur logisch verständlich sind. Zu dieser ersten Unmöglichkeit gesellt sich aber eine zweite, noch wichtigere, sobald der Charakter der historischen Basis näher analysiert wird. Daß die individuelle Zuord- nung beim Handeln auf einer historischen Basis ruht, daß diese Basis von außen geschaffen wird, ist gewiß an und für sich sehr seltsam : aber hier haben wir im Phonographen ein Analogon. Die historische Basis des Handelns, gleichsam die ,, prospektive Potenz" für das Handeln, wenn wir einmal so sagen wollen, unterscheidet sich nun aber in zwiefacher Hinsicht grundlegend vom Phonographen und von jeder Art von Maschine, die wir uns im Gebiete der Phvsik und Chemie ersinnen können: Erstens gehören die beim Handeln abgegebenen Effekte einem ganz anderen Gebiete des Naturgeschehens an als die historisch empfangenen Reize: die einen sind Emp- findungen, die anderen Bewegungen. Zweitens aber dient die historische Basis nur als ein allgemeines Reservoir von Möglichkeiten, in welchem die spezifischen Kom- binationen der historisch empfangenen Reize keineswegs in der Spezifizität ihrer Anordnung fest erhalten bleiben, sondern in ihre Elemente auflösbar sind; diese Elemente sind es, welche, und zwar übertragen in ein anderes Gebiet 78 I^ie Handlung. des Geschehens, zu neuen Spezifizitäten umgeordnet werden, in Zuordnung zu der IndividuaUtät des gerade in Betracht kommenden Reizes. Das handelnde ,,Etwas" hat die immanente Fähigkeit, gewisse spezifische Kombinationen von Muskelbewegungen zu leisten; die Kombination, welche es in einem besonderen Falle leistet, hängt von der Individualität des in diesem Falle tätigen Reizes und von der Gesamtheit aller ,, Emp- findungen" der Vergangenheit, im weitesten Sinne des Wortes, ab. Dieses ist das Ergebnis einer undogmatischen Analyse der Handlung. e) Das „Psychoid". Hier ist nun wohl der richtige Ort, um dem handelnden Etwas, dessen nicht-maschinelle Natur wir aufgedeckt haben, einen Namen zu geben. Wir könnten hier, wie bei der Theorie der Formbildung, wieder von ,,Entelechie" sprechen; aber es ist wohl besser, dasjenige Agens, welches den Körper bildet, von demjenigen elementaren Agens, welches ihn lenkt, auch im Worte zu unterscheiden. Die Worte ,, Seele", ,, Geist" oder ,, Psyche" bieten sich hier nun dar, aber sie alle würden uns in das Bereich der so sorgfältig vermiedenen Pseudo-Psychologie führen. Ich kann von meiner ,, Psyche" sprechen — womit ich freilich nicht mehr sage als ,,Ich" — , aber in diesem Sinne ,,gibt" es keine Seelen im Bereiche desjenigen Phänomens, welches räumliche Natur heißt. Ich schlage daher den sehr indifferenten Namen ,, Psychoid" für das elementare in der Handlung entdeckte Agens vor. Psychoid — d. h. ein Etwas, welches zwar keine Psyche ist, aber doch nur in psychologischen Analogien erörtert werden kann. Es kann in der Tat keinem Zweifel unterliegen, daß wir die Zuordnung der beiden Individualitäten in unserem wichtigen Prinzip nur durch analogienhafte Verwendung solcher Worte wie ,, Abstraktion", ,, Denken" usw. überhaupt verstehen können ; der Prozeß der sogenannten Ab- Die Handlung. 79 straktion, als ein an Körpern sich abspielender Prozeß betrachtet, ist es eben, der nicht von einer Maschine geleistet werden kann. Das ist unsere Rechtfertigung des Wortes ,,Ps3^choid". Würde die Analyse der Instinkte uns einst zu einem wahren Beweise des Vitalismus führen, anstatt uns nur gewisse vitalistische Indizien darzubieten, dann müßten wir auch als Basis der Instinktphänomene ein Psychoid annehmen. Der übhche Unterschied zwischen dem ,, Be- wußten" und dem ,, Unbewußten" würde alsdann durch die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten von Psychoiden auf seinen legitimen und wahrhaft natur- philosophischen iVusdruck gebracht sein. Es liegt hier nämlich sicherlich ein Unterschied vor, der sich ja schon allein durch den Mangel von ,, Erfahrung" bei Instinkten kundgibt; und zwischen dem hypothetischen Instinktpsychoid und der formbildenden Entelechie gibt es auch Unterschiede. Der erste systematische Vitalist, den wir kennen, Aristoteles, sah diese analytischen Unterschiede aufs klarste und gab ihnen eine sehr passende Bezeichnung. Er nannte das seelische Prinzip, welches er als die wahre Grundlage des Lebens ansah, im allgemeinen '^'^X'^j und unterschied sorgfältig drei ihrer Arten. Die niederste von allen ist die Seele des Stoffwechsels, ^^'/Ji öpSTr-ixYi, welche zusammen mit ihren Modifikationen, der ^^yJ^ au^r^TixYj und ysvTiTLXY], d. h. der Seele des Wachstums und der Fort- pflanzung, als Repräsentant unserer formbildenden ,, Entelechie" angesehen werden kann; a,lle Organismen, Pflanzen wie Tiere, besitzen sie. Die nächst höhere Klasse von Seelen wird durch die Seele der Empfindung und des Willens, die ^ü/yj alabr^xixr^, dargestellt; sie gehört nur den Tieren an und ist in gewisser Hinsicht als Seele der In- stinkte zu bezeichnen. Nur der Mensch besitzt, nach Aristoteles, die höchste Art von Seele, den vouc, d. h. die Fähigkeit der Vernunft, welche unserem Psychoid als dem Regulierer der Handlung entspricht. 80 Die Handlung. Die allgemeine Klassifikation des Aristoteles scheint mir auch noch heute, im Großen und Ganzen, am Platze zu sein, wobei wir freilich wohl die Ansicht aufgeben müssen, daß der vouc nur dem Menschen eigentümlich sei. Tiere besitzen ganz sicherlich mehr als nur Instinkt, wenigstens dann, wenn wir das Wort Instinkt in seinem ursprünglichen Sinne gebrauchen wollen, d. h. im Sinne von vollendeter Zweckmäßigkeit der Reaktion o h n e Erfahrung oder irgend etwas, das Erfahrung ähnlich ist. Wir wollen hiermit nicht die großen Unterschiede leugnen, welche zwischen dem Handeln des Menschen und dem Handeln selbst der höchsten Tiere tatsächlich bestehen ; später werden wir noch mehr über diese Probleme erfahren. Aber ganz sicherlich gibt es ,, Erfahrung" im eigentlichen Sinne des Wortes bei vielen Tieren. In dieser Hinsicht kann ich mich der Terminologie W a s m a n n s nicht anschließen, obschon ich, was wichtiger ist, seiner eigentlichen Analyse der hier vorliegenden Tatsachen voll beistimme. Wir sind am Ende unseres analytischen Studiums der Handlung als solcher angelangt und haben auch unserem allgemeinsten Resultate einen besonderen Namen gegeben. Wir können aber unseren Untersuchungsgegenstand doch noch nicht verlassen; durch unsere Erörterungen ist die Rolle, welche das Gehirn und das Nervensystem beim Handeln spielen, durchaus noch nicht klar geworden, und einige weitere Worte über die tatsächlichen Unter- schiede zwischen dem Handeln des Menschen und dem der Tiere sind wohl auch am Platze. Z) Die „spezifische Energie" der Sinnesnerven. Es könnte nach unseren bisherigen analytischen Dar- legungen so scheinen, als wäre das Gehirn für das Handeln eigentlich unnötig; solche Ansicht wäre aber natürlich sehr weit von der Wahrheit entfernt. Versuchen wir es also zunächst, unsere Analyse mit einem im Laufe der letzten 100 Jahre sehr oft erörterten, Die Handlung. 8X obschon keineswegs gelösten physiologischen Problem zu verknüpfen, einem Problem, das sich auf unseren Begriff der Individualität der Zuordnung bezieht, soweit die Voraussetzungen der ,, Individualisierung" der Reize in Betracht kommen. Ich meine das Problem der sogenannten ,, spezifischen Energie" der Sinnesnerven, und Sie werden unschwer einsehen, daß dieses Problem mit unserer Analvse in Zusammenhang steht, wenn Sie sich daran erinnern, daß ja alle Handlungsreize auf sensiblen Nerven übertragen werden 1). Nach der Meinung von Johannes Müller, dem Vater des sogenannten ,, Gesetzes" der spezifischen Energie, sollte dieses Prinzip bedeuten, daß die Besonderheit der Empfindung, etwa von Rot oder Grün, oder von Wärme, oder von einem musikalischen Ton, in irgendwelcher Weise eine ,, Eigenschaft" der einzelnen gereizten Nervenfaser sei, und daß es ganz ohne Bedeutung sei, auf welche Weise eine Reizung statthat. Die nachfolgende Forschung hat die Spezifizität von den Nervenfasern auf bestimmte Orte des Gehirns übertragen, aber der allgemeine Gesichts- punkt blieb derselbe, und Emil Dubois-Reymond gab daher der herrschenden Lehre einen etwas seltsamen, aber klaren Ausdruck, wenn er sagte, daß wir nach einer Operation, die das Ohr mit dem Nervus opticus, das Auge aber mit dem Nervus acusticus verbunden hätte, den Blitz als ein Kj:achen hören, den Donner aber als eine Linie leuchtender Punkte sehen würden. Absichtlich lassen wir hier die epistemologische Seite der Frage — - durchaus kein leichtes Problem — , außer acht. Sie ist nicht gerade immer ganz entsprechend behandelt worden ; selbst Johannes Müller war im Irrtum, wenn er sein Prinzip mit der Kantischen Lehre von der ^) Von sogenannten „spontanen'' Handlungen reden wir hier absichtlicli nicht, da sie unsere fundamentalen Probleme nicht berühren. Auch bei ihnen kommt sicherlich etwas in Betracht, was das Hirn affizierte; eben daher ist eine gesonderte Erörterung- unnötig. D lies eil, Philosophie. II. 6 g2 Die Handlung. Apriorität in Zusammenhang brachte, mit welcher sie gar nichts zu tun hat. Absichtlich nehmen wir in der folgen- den kurzen Erörterung den Standpunkt des naiven Realismus ein und werden auch Exkurse in das Gebiet der Pseudo- psychologie hier nicht scheuen. Unsere Frage ist diese: Ist es überhcLupt wahr, daß der Prozeß der Nervenleitung immer ein und derselbe ist, und daß nur deshalb spezifische Qualitäten das Hirn erreichen, weil besondere Teile desselben gereizt wurden, aber nicht wegen irgend einer Beziehung zur Natur der Reizung ? Es scheint mir nun, offen gestanden, zurzeit ganz unmöghch zu sein, endgültig zu entscheiden, o b das wahr ist oder nicht. Ganz sicherlich ist kein einziges über jeden Zweifel erhabenes Beispiel zugunsten des Müller sehen Prinzips vorgebracht worden. Die oft erörterte Tatsache z. B., daß auf Durchschneidung des Gesichtsnerven Lichtempfindung folgt, beweist hier gar nichts, da, wie alle modernen Autoren zugeben, diese Operation unmöglich ist ohne gleichzeitig in gewissem Grade die Retina mitzureizen, bevor der Nerv ganz durch- geschnitten wurde. Die elektrischen Phänomene anderer- seits, welche jede Nervenreizung begleiten, sind nur sekun- därer Art und beweisen weder für noch gegen das Problem einer qualitativ verschiedenen Nervenleitung das Geringste. So bleiben nur gewisse, freilich immerhin seltsame Tat- sachen übrig, die sich auf ein örtlich bestimmtes Fühlen etwa der Hand oder der Finger nach der Amputation des ganzen Armes beziehen, aber es muß betont werden, daß derartige Amputationen stets an Individuen vorgenommen wurden, welche die spezifischen hier in Frage kommenden Emp- findungen während ihres vergangenen Lebens bereits in normaler Weise erfahren hatten. Stets hatten viele normale Reizungen vor der Operation stattgefunden, und wer kann sagen, ob nicht die verschiedenen Örtlich- keiten des Gehirns eben dadurch verschieden geworden sind, daß sie in spezifischer Weise gereizt wurden? Auf diese Frage kommen wir später noch zurück. Die Handlung. 83 Andererseits haben nun die am Hirn ausgeführten Exstirpationsversuche, wie wir sie Goltz und anderen verdanken, positiv gezeigt, daß es hier eine erhebliche Anzahl von Regulationen gibt; auch darauf kommen wir zurück. Wahrscheinlich wird ein Unterschied in der Regulation vorliegen, je nachdem einzelne Teile ein und derselben Sinnessphäre oder verschiedenen ,, Sinnen" angehörige Teile in Frage kommen. Vielleicht ist der erste Fall regu- lationsfähig, der zweite nicht. Aber selbst dann würde das Prinzip der spezifischen ,, Energie" mit Rücksicht auf die einzelnen Elemente eines Nerven oder auf die einzelnen Teile eines sogenannten ,, Zentrums" durchbrochen sein: ein und dasselbe Element des Hirns würde zu verschie- denen Sinnes qua,litäten, wenigstens innerhalb einer Sinnes- sphäre, in Beziehung stehen, und wir könnten daher kaum der hypothetischen Annahme entgehen, daß ein- und die- selbe Nervenfaser Reizungen übermitteln kann, welche ,, qualitativ" verschieden sind. Diesen Standpunkt nimmt z. B. H e r i n g 1) ein, während W u n d t 2) noch weiter geht und einen Standpunkt vertritt, den man die Lehre von der ursprünglichen Äquipotentialität des Gehirnes nennen könnte. So mag denn also das Prinzip Müllers vielleicht halb richtig und halb falsch sein, soweit der Erwachsene in Betracht kommt, während er für das Kind vielleicht ganz versagt. Das alles wird, wie gesagt, bald eingehender erörtert werden. Mit unserer Abweisung des Prinzips der ,, spezifischen Energie" im Smne J. Müllers wollen wir natürlich nicht die besondere Natur der ,, Empfindung'-' und ihre Unver- träglichkeit mit den Begriffen Bewegung oder Energie leugnen. Wenn — um in der Sprache des naiven Rea- lismus zu reden — Empfindung statthat, so hat stets etwas statt, was der ,, Ursache'- von Empfindung gänzlich 1) Zur Theorie der Xerventätigkeit. Leipzig 1899, 2) Physiologische Psychologie, 5. Aufl. Leipzig 1903. 6* 84 I^iö Handlung. fremd ist. Aber die „Ursache" spezifischer Empfindung ist darum nicht, wie J. Müller wollte, eine eingeborene potentielle Eigenschaft spezifischer Teile des Nerven- systems als solcher. Gegenwärtig ist nun für uns seltsamerweise das Wich- tigste an unserem Gegenstand nicht die Frage nach der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Lehre von der ,, spezi- fischen Energie", sondern die ganz einfache Tatsache, daß diese ganze Frage unser Prinzip von der ,, Individualität der Zuordnung" doch eigent- lich gar nicht berührt. Nur um das klar zu machen, haben wir dem gegenwärtigen Stande des Problems von der spezifischen Energie diese wenigen Worte gewidmet. Ließe sich irgend eine Art von Äquipotentialität des Gehirns positiv beweisen, dann wäre freilich ein neuer und unabhängiger Beweis des Vitalismus aus solcher Tatsache gewonnen. Aber auch wenn Müllers Gesetz mehr oder weniger richtig bliebe, ja sogar, wenn es in voller Strenge gälte, was es sicherlich nicht tut, so würde das unsere früheren Erörterungen doch gar nicht berühren ; denn das Prinzip von der Individualität der Zuordnung, die eine der beiden Grundlagen unseres dritten Beweises der Autono- mie des Lebens, hat es n u r zu tun mit der Einheit und Individualität einer aus einzelnen Elementen auf- gebauten Totalität, ohne irgendwie danach zu fragen, durch welche Prozesse die Elemente des äußeren ,,individualisierten" Reizes dem handelnden Etwas dargeboten werden. Daß dieses Etwas keine Maschine sein kann, bleibt gleichermaßen wahr, mögen verschiedene Leitungsprozesse in derselben Nervenfaser vor sich gehen, oder mag die Reizung verschiedener Hirnorte die verschiedenen Elemente des ,, individualisierten Reizes" darstellen. In keinem Falle ist dieser Reiz eine bloße Summe; und die Tatsache, daß hier mehr als eine bloße Summe vorliegt, beweist in jedem Falle, daß etwas anderes als eine Maschine am Werke ist. Die Handlung. 85 So verstehen wir es denn also, da,ß unsere Analyse der Handlung von der Frage nach der Richtigkeit der Lehre von der „spezifischen Energie" durchaus unabhängig ist. Die große physiologische Bedeutung dieses Problems bleibt durch unsere Ausführungen natürlich unberührt; aber Probleme müssen immer klar geschieden werden. Y]) Einiges aus der Gehirnphysiologie i). Wir gehen nun dazu über, positiv zu ermitteln, welche Rolle das Gehirn beim Handein spielt. Sie alle wissen natür- lich, daß dem Gehirn und den Nerven in der Tat eine sehr wichtige Rolle wie bei allen Bewegungen so auch bei den Handlungen zufällt; der Vollständigkeit halber müssen wir daher diese Rolle wenigstens in ihren allgemeinen Zügen kennen lernen ; sonst würde unsere ganze Analyse der Hand- lung mit wohl gesicherten Tatsachen ohne alle Ver- knüpfung sein. Im Beginne dieses Teiles unserer Vorlesungen be- merkten wir, daß wir die orga^nischen Bewegungen vor- nehmlich unter dem Gesichtspunkt der Regulation studieren würden, und wir sagten auch kurz, daß es hier Regulationen von dreierlei verschiedener Art geben könne. Die Besonder- heit der Bewegung kann bestimmt sein: erstens durch die Besonderheit der äußeren Reize, zweitens clmx-h die Be- sonderheit des va.riablen Zustandes der Bewegungsorgane, und drittens durch die Besonderheit des variablen Zustands der Zentralorgane. Bisher haben wir uns nur mit der ersten Klasse dieser Regulationen beschäftigt. Unsere bisherige Analyse, welche uns zu einem neuen Beweise des Vitalismus geführt hat, baute sich ausschließlich auf der Zuordnung von Reizen und ^) Außer den üblichen Lehr- und Handbüchern der Physiologie vergleiche man: L. Asher, Zeitschr. f. Physiol. d. Sinnesorg. 41, 1906.S.157. Nagel. Handbuch d. Physiol. 3.1. MonakowErgebn. d. Physiol. 1, 2 Abt., 1902. Lewandowsky, Die Funktionen des zentralen Nervensystems, 1907. — Eine gute historische und kritische Darstellung des ganzen Gegenstandes findet sich in C. Hauptmanns Werk: Die 3Ietaphysik in der modernen Physiologie, 1893. 86 Die Handlung. Reaktionen auf. Das Gehirn, ja die Organisation überhaupt, spielte gar keine Rolle bei dieser Analyse ; sie wird aber nun von Wichtigkeit werden, sobald wir daran gehen, die anderen möglichen Arten motorischer Regulation zu studieren. Sagen wir zunächst einiges über die Rsgulierbarkeit der Gehirnfunktionen selbst. Diesen Gegenstand berührten wir bereits kurz in unserer Erörterung der Lehre von der ,, spezifischen Energie". Alles andere als Übereinstimmung herrscht auf diesem Felde der Physiologie, und hier ein Urteil zu gewinnen ist ganz besonders schwierig, wenn man, wie ich, über keine persönlichen Erfahrungen experimenteller Art verfügt und sich auf die Literatur verlassen muß. Den Einen gelten alle Teile des Gehirns als nahezu funktionell gleichwertig, während die Anderen die äußerste funktionelle Sonderung, bis zur individuellen Zelle hin, vertreten. Soweit ich mich hier nun überhaupt zu einem Urteile berechtigt fühlen kann, scheint es mir, auf Grund eines Studiums der experimentellen und pathologischen Literatur, daß bezüglich der Organisation des Gehirns und der soge- nannten Großhirnhemisphären der Säugetiere im besonderen zwei verschiedene grundlegende Faktoren unter- schieden werden müssen, von denen jeder für verschie- dene Resultate im Bereich der experimentellen und patho- logischen Tatsachen verantwortlich ist. Es läßt sich in der Tat ein interessanter Parallelismus zwischen dem Hirn und einem j u n g e n E m b r y o auf- stellen, insofern bei beiden zwei verschiedene Typen der Kompliziertheit des Baues in Betracht kommen. Beim reifen Keim^) lernten wir erstens die intime Richtungsorganisation kennen, welche je nach dem Zustand des Protoplasmas mehr oder weniger regulabel ist, und zweitens den wahren stofflichen Bau, der so gut wie gar keine Regulierbarkeit zeigt. Im Gehirn des Erwachsenen werden wir auch zwei Charakterzüge kennen lernen: erstens eine einfache, der Leitung dienende Struktur und zweitens eine gewisse höhere Art von Tektonik, und auch hier wird 1) Vgl. Band I S. 88 und vorher. Die Handlung. 87 sich nur die eine von ihnen als in höherem Maße regulabel erweisen. Die zu erörternden hypothetischen Differenzen aber zwischen dem Hirn des Neugeborenen und dem Hirn des Erwachsenen bezüglich ihrer Regulierbarkeit haben hinwiederum ihre Parallele in den Verschiedenheiten des Keimes vor und nach der Befruchtung und Reifung. Die Leitungsfunktion. Zunächst einmal ist das Gehirn ein System nervöser Verbindungen von einer beinahe unbegreiflichen Kompli- ziertheit, ein System, welches der Leitung dient. Wir gehen wohl kaum fehl, wenn wir vermuten, daß nicht nur jeder Teil des Hirns mit jedem anderen verknüpft ist, sondern daß auch eben durch Vermittelung des Hirns beinahe jeder Teil der Körperoberfläche irgendwie mit jedem anderen Teil dieser Oberfläche in Verbindung steht i). Auf alles dieses bezieht sich die funktionelle .Regulier- barkeit des Gehirns. Es ist eine wohlbekannte Tatsache, daß gewisse G^hirnkrankheiten, zumal Apoplexie, in ihren Symptomen nach einer gewissen Zeit, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, nachlassen, und andererseits hat die ex- perimentelle Forschung 2) gelehrt, daß operativ gesetzte Hirndefekte zwar sensorische und motorische Ausfallserschei- nungen im Gefolge haben, daß diese aber mit der Zeit immer geringer werden ^), bis ein gewisses Maximum der Regulation ^) Für den Menschen geht das aus folgender Überlegung hervor: man kann willkürlich den Entschluß fassen, sobald irgend ein bestimmter Punkt der Haut passiv berührt ward, aktiv mit dem Finger irgend einen anderen bestimmten Punkt derselben zu berühren; beide Punkte können durchaus beliebig sein. 2) Versuche sind stets besser als klinische Beobachtung, denn Krankheit kann die ßegulationsfähigkeit beeinträchtigt haben und kann sie daher verschleiern, wo sie eigentlich da ist. ^) Vielen gilt dieses Geringerwerden funktioneller Defekte als Folge des Aufhöreus eines „Schockes". Neuerdings gibt mau freilich zu, daß dieser Begriff etwas gar zu freigiebig angewandt ward. Sicherlich hat das Glauben an ihn oft für die Entdeckung wahrer Regulation blind gemacht. 38 -Die Handlung. erreicht ist. Höchst wahrscheinUch beruht diese Regu- lation, zum Teil wenigstens, auf der Tatsache, daß gewisse typische nervöse Verbindungen im Hirn, die durch die Apoplexie oder die Operation zerstört worden waren, sich wieder herstellen: zwar nicht etwa morphologisch, denn vom Hirn der Wirbeltiere kennen wir keinen Fall irgend eine Restitution oder Regeneration, wohl aber physio- logisch und zwar derart, daß die funktionelle Verbindimg zwischen den Orten A und B nach Zerstörung des kürzesten Weges auf irgend einem der vielen möglichen Wege ge- leistet wird. Eben auf diesen Tatsachen beruhte unser Zweifel an der extremen Form der Lehre von der ,, spezifischen Energie". Diese selben Tatsachen nun, noch eingehender analysiert, könnten wohl dazu dienen, einen neuen und unabhängigen Beweis des Vitalismus zu hef ern, falls sich nämlich das Gehirn als das erweisen möchte, was man ein ,, funktionelles har- monisch-äquipotentielles System" nennen könnte: Die Besonderheit einer motorischen Reaktion würde alsdann nicht von der Besonderheit des Hirns als solcher abhängen, sondern die Organisation des Hirns würde bloß ,, benutzt" werden, um eine spezifische Reaktion zu vollbringen, und ihre verschiedenen Teile würden dazu in verschiedener Weise dienen, derart, daß es stets zu einer Harmonie, nämlich zur Besonderheit des eben in Rede stehenden individuali- sierten Effektes, kommt. Wir wollen hiermit keineswegs sagen, daß die mög- liche funktionelle Harmonie der Teile des Gehirns stets voll- endet wäre. Es kann im Gegenteil, trotz der außer- ordentlichen Mannigfaltigkeiten der cerebralen Verbin- dungen, doch wohl vorkommen, daß gewisse apoplek- tische oder experimentelle Störungen eine funktionelle Wiederherstellung unmöglich machen. In solchen Fällen wäre dann jede Verbindung zwischen den Orten A und B aufgehoben, und klinische wie experimentelle Ausfallserscheinungen wären dauernd. Die Handlung. 89 Spezifische Funktionen beim Erwachsenen. Die Permanenz solcher Ausfallserscheinungen scheint aber meist andere Gründe zu haben, und ich hoffe, daß wir zu ihrem Verständnis gelangen werden, wenn wir uns nun dem zweiten grundlegenden Charakterzug der Organisation des Hirnes zuwenden. Das Gehirn ist nicht nur ein Verbindungssystem, es ist mehr. Die spezifischen Ver- schiedenheiten der Empfindungen, um einmal psychologisch zu sprechen, erfordern gewisse spezifisch lokalisierte An- ordnungen in seinem Bau, welche das Hirn bis zu einem gewissen Grade i n äquipotentiell machen. Und diese Anordnungen existieren nun wirklich. Gewisse spezifische Teile des Gehirns scheinen einen spezi- fischen funktionellen Wert zu haben, der mehr bedeutet als einen bloßen Ort spezifischer Verbindung — wenigstens beim Erwachsenen. Störungen dieser sogenannten ,, Sphären", durch Krankheit oder Operation, sind größten- teils irreparabel. Diese Besonderheiten des Hirnbaues scheinen, wie gesagt, für die Besonderheit der Empfindungen verantwortlich zu sein und sind wohl die Grundlage des- jenigen Teils von Johannes Müllers Gesetz, welches der Kritik standhält — wenigstens mit Rücksicht auf den Erwachsenen. Sie sind aber, wohl verstanden, nicht die einzigen bei spezifischer Empfindung in Betracht kommenden Faktoren: die Spezifizität des Prozesses der zentripetalen Nervenleitung ist hier ein anderer Faktor von ebenso großer Wichtigkeit: Die ersten Autoritäten geben gegen- wärtig zu, daß, wenigstens im Gebiet einer und derselben Sinnessphäre, z. B. im Gebiet des Gesichts, e i n nervöses Element verschiedene ,, Qualitäten" in ihrer Spezifizität übertragen kann, und zumal, soweit der Geruchssinn in Be- tracht kommt, sehe ich keine Möglichkeit dieser Folgerung zu entgehen. Die peripheren Organe, als Orte der eigent- lichen Reizung des Organismus, werden auf diese Weise in hohem Maße für die Spezifizität der Empfindung mit verantwortlich, freilich weniger auf Grund der Natur des 90 I^ie Handlung. äußeren Reiza,gens als solcher, als vielmehr auf Grund ihrer eigenen (chemischen?) Spezifizität. Durch das Zu- sammenwirken von beiden, den spezifischen Zentren und der spezifischen Rezeptionsorganen, kommt also die Spe- zifizität der Empfindung zustande. Die spezifischen Zentren sind der Regulation unfähig. Besitzt das neugeborene Wirbeltier spezifische Hirnfunktionen? Das alles gilt aber nur für das erwachsene Tier. B e c h t e r e w 1) hat beobachtet, daß eine Exstirpation der sogenannten motorischen Sphären, wenn sie am neu- geborenen Hunde oder an der neugeborenen Katze ausgeführt wurde, keine Wirkung irgendwelcher Art auf die künftigen Bewegungen dieser Tiere hat. Es ist ja auch bekannt, daß die Aphasie vollständig geheilt werden kann durch ein Neuerlernen des Sprechens. Das alles weist darauf hin, daß ,, Sphären" nicht angeboren, sondern während des Lebens geschaffen sind, und daß, wenigstens unter gewissen Umständen, auch Sphären regulationsfähig sind. Das würde uns denn gestatten, das Gehirn als ein Organ zu bezeichnen, welches ursprüng- lich in allen seinen Teilen dieselbe funktionelle ,, pro- spektive Potenz" besitzt, und dessen Teile ihre spezifische ,, prospektive Bedeutung" erst sekundär erwerben und dieselbe bis zu einem gewissen Grade unter gewissen Be- dingungen umzuändern vermögen. Für die Theorie der spezifischen Energie im wirklich strengen Sinne des Wortes wäre eine solche Lehre der Todesstoß. Freilich muß zu- gegeben werden, daß, soweit die sensiblen Nerven und Zentren in Betracht kommen, zu unserer Frage bisher noch wenig Positives bekannt ist : hierher gehörende Versuche sind bisher am Neugeborenen nicht ausgeführt. Dürfen wir aber doch vielleicht erwarten, daß die Spezifizität der ,, Zentren" des Erwachsenen durchaus ein Ergebnis 1) Bewußtsein und Hirnlokalisation. Leipzig 1898, p. 48. Die Handlung. 91 der Spezifizität vorhergegangener zentripetaler Leitung ist; daß nach einer Vertauschung der Verbindungen des optischen und des akustischen Nerven mit ihren zugehörigen Sinnes- organen, falls sie am Neugeborenen statt- hat, das optische Hirnzentrum des Erwachsenen an den Ort übertragen werden würde, an dem sich normalerweise das akustische Zentrum befindet und umgekehrt ? Ich gebe gern zu, daß eine solche Ansicht, welche in den ,, Zentren" nichts anderes sieht als das, was für den einzelnen Nerven ,, Einfahrung" genannt wird, recht revolutionär ist; aber ihre Möglichkeit, so scheint mir, muß doch zugestanden werden, ja, soweit nur eine Sinnessphäre für sich in Betracht kommt, sogar ihre Wahrscheinlichkeit. Erwiese sich eine solche Ansicht in vollstem Maße als richtig, dann würden alle Druck-, Wärme- und Schmerzpunkte, die man in der Haut des Erwachsenen aufgefunden hat, mit Rücksicht auf angeborene Besonderheiten von Nerven und Hirn teilen natürlich gar nichts beweisen : alle Be- sonderheiten würden ursprünglich peripher sein^). ^) Die wenigen „Tatsachen"', die sich, abgesehen von den bereits erwähnten (s. S. 82), auf das Problem der Spezifizität der Xerven und Hirnteile beziehen, sind sämtlich xlussagen über den Erwachsenen. Reizung der Chorda tympani, d. h. des Geschmacksnerven, ruft stets Geschmacksempfindung hervor, mag sie elektrisch oder mechanisch erfolgt sein; diese Tatsache läßt sich natürlich zugunsten der Spezifizität der „Zentren*' des Erwachsenen auslegen, sie kann aber auch auf einen chemischen, durch die Reizung in Gang gesetzten Prozeß im Xerven bezogen werden. Langley gelang es einen gefäßzusammenziehenden Xerven zu einem gefäßerweiternden und einen motorischen Xerven zu einem peripheren Ganglien erregenden zu machen; es war eine Verbindung des zentralen Teiles des Xerven A mit dem peripheren Teil des Xerven B, und umgekehrt, hergestellt worden; dieser Versuch beweist aber nur, daß zentrifugale Leitung in ein und demselben Xerven zu verschiedenen Resultaten führen kann; über „Zentren" wird hier unmittelbar gar nichts ausgesagt. Ich selbst habe darauf hingewiesen, daß in den von Born an jungen Amphibienlarven ausgeführten Transplantationsversuchen das Hirn ganz abnorme Leistungen in vollendeter Harmonie vollbringt. Vgl. meine „Seele", p. 42; auch Braus, Anat. Anz. 26 1905. — ■ Die von Korscheit, Joest und Ruttloff am Regen- 92 Die Handlung, Doch genug von diesen hypotlietischen Dingen; die Hirnpliysiologie des Erwachsenen lehrt uns auf alle Fälle Besonderheiten im Hirne kennen, welche nicht regulationsfähig sind. Der Begriff ,, Zentrum". Hier mögen nun passend einige Worte über jenes viel- deutige Wort jjHii'nzentrum" eingeschaltet werden. An- fangs identifizierte man das Zentrum mit dem rein anato- mischen Begriff des Ganglions; diese Ansicht wurde aber namentlich unter dem Einfluß von L o e b ^) und B e t h e aufgegeben. L o e b sah dann im Zentrum nichts anderes pJs eine typische Örtlichkeit typischer intracerebraler Ver- bindungen. Ein solcher Gesichtspunkt war aber wohl zu beschränkt; es scheint, wie wir wissen, spezifische Funk- tionen im Gehirne zu geben, die sich auf die Empfindung beziehen, und diese Funktionen scheinen, wenigstens im Erwachsenen, spezifisch lokalisiert zu sein. Für Lokali- sationen solcher Art wäre natürlich das Wort ,, Zentrum" ein geeigneter Name. Allgemeines über das Gehirn in seinem Ver- hältnis zum Psychoid. Wichtiger als alles andere ist aber dieses: Der eigent- liche Faktor, welcher den typischen Charakter irgend einer cerebralen oder vielmehr motorischen Reaktion be- stimmt, ist nicht ein ,, Zentrum" in irgend einem Sinne des Worts; wir haben gezeigt, daß dieser Faktor überhaupt keinen physikalisch-chemischen Charakter trägt. So können wir denn sagen, daß bei allen Reaktionen, die vom Hirn aus- oder durch das Hirn hindurchgehen, mehr wurm ausgeführten Transplantationsversuche beweisen wohl nur die Möghcbkeit von Nervenleitung in umgekehrter Richtung(Arch.Entw.- Mech. 25 1908). ^) Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie. Leipzig 1899. Die Handlung. 93 als bloße Verbindungsorte in Betracht kommen und auch mehr als bloße Örtlichkeiten spezifischer Funktion; was hier ,,mehr" in Betracht kommt, ist aber nicht ein Zentrum im Sinne von irgend Etwas, das sich i m Hirn befindet. Dieses ,,Mehr", unser Psychoid oder unsere Entelechie, benutzt die verbindenden und spezifischen Eigen- schaften des Gehirns wie ein Klavierspieler sein Instrument benutzt. In diesen Worten ist ausgesprochen, was wir den eigentlichen ,, Hirn "f unkt ionen nicht zuschreiben dürfen. Die Rolle des Hirns bei der ,. Assoziation". Einem anderen wichtigen Punkte müssen wir nun einige Worte widmen. Die historische Reaktionsbasis wird in ihrer Spezifizität von außen bestimmt; sie muß daher in einer gewissen körperlichen Art und Weise inner- halb des zentralen Nervensystems gekennzeichnet sein. In welcher Weise kann das der Fall sein? Die unmittelbaren Funktionen der historischen Basis sind von zweierlei Ai't. Wir wissen, psychologisch ge- sprochen, daß ein sinnlicher Eindruck, welcher das zweite Mal statthat, als ,, derselbe" mit Rücksicht auf sein erst- maliges Auftreten erkannt wird: diese Eigentümlichkeit, die Erkennung ,, desselben", ist die erste unmittelbare Funktion der historischen Reaktionsbasis. Ihre zweite Funktion ist die sogenannte ,,Berührungsassociation", d. h. die Tatsache, daß jede Empfindung nicht nur als ,, die- selbe" oder ,,eine andere" zum Bewußtsein kommt, sondern daß sie auch die Erinnerung an solche andere Empfindungen der Vergangenheit erweckt, welche bei einer früheren Ge- legenheit räumlich oder zeitlich mit ihr verbunden waren. Die Möglichkeit des Ursprungs dieser beiden Ai'ten von Elementarfunktionen der historischen Basis muß irgend- wie im Hirn gelegen sein; die Versuche zeigen in der Tat, daß sie im Sinne einer spezifisch geordneten Verteilung m ihm gelegen ist. 94 I^ie Handlung. Aber es muß hinwiederum gesagt werden, daß der primäre beim Handeln beteiligte Faktor auch mit diesen körperlichen Voraussetzungen des Handelns oder mit ihrer Verteilung keineswegs identisch ist: das Gehirn ist eine Art von Warenhaus, ein Stapelplatz, und wir werden vielleicht eines Tages alles, was beim Handeln auf seine Rechnung kommt, physiologisch-chemisch verstehen. Das Handelnde ist aber nicht identisch mit dem Warenhaus: es benutzt dieses ganz ebenso, wie es das Gehirn als ein System von Verbindungen benutzte i). Das Gehirn, insofern es ein spezifisch organisierter Körper ist, besitzt lediglich die Fähigkeit, alle Eindrücke, welche es je ge- troffen haben, irgendwie aufzuspeichern, gerade so wie sie ihm dargeboten worden sind. Auf Grund eben dieser Tatsache wird es durch ein und denselben Reiz das zweite Mal in anderer Weise gereizt als das erste Mal: das ,,Gereiztwordensein" durch einen Reiz verändert den Typus des späteren ,, Gereiztwerdens" durch denselben. Wenn wir einem Buche S e m o n s 2) einen recht geeigneten Namen entnehmen wollen, so können wir sagen, daß das Hirn die Fähigkeit besitze, ,,Engrammata" aufzuspeichern. Es kann aber eben nur Engrammata aufspeichern, d. h. n u r gegebene Kombinationen gegebener Elemente, und daher können nur die psychischen Phä- nomene der bloßen Wiedererkennung und der Berührungs- assoziation unmittelbar mit cerebralen Prozessen verknüpft ^) Eine Theorie der Geisteskrankheiten ist liier nicht unsere Aufgabe, und so sagen wir denn nur dieses, daß alle „Greistes"- krankheiten nicht Krankheiten des „Geistes", sondern des Gehirnes sind: auf Grund von Abnormitäten des Gehirns wird dem Geist sozusagen eine „abnorme Wirklichkeit" zugeleitet. Auch eine Theorie des Hypnotismus gehört nicht hierher. Alle hypnotisierenden Agentien, seien sie auch „psychisch", müssen natürlich das Hirn irgendwie beeinflussen. Entsprechendes gilt auch für die sogenannte „Bewußtseinsspaltung". Das sogenannte „Unterbewußtsein" der Psychologen würde in unserer, wie wir glauben besseren, Terminologie ein Psychoid niederer Ordnung sein. 2) Die Mneme, 2. Aufl. Leipzig 1908. Die Handlung. 95 sein. Es ist vollkommen unverständlich, wie das Hirn als körperliches Hirn die neue und freie und ,, logische" Umordnung der Elemente der Engrammata, welche auf den Bahnen der Individualisierung vor sich geht, sollte vollführen können i). Die Aufspeicherung der Engrammata für sich genommen möchte wohl, wie wir bereits bemerkten, in gewisser Hinsicht mit der Fähigkeit eines Phonographen vergleichbar sein, aber das Vermögen der Umordnung, ja schon das Vermögen der Assoziation nach Ähnlichkeit und Kontrast hat auch nicht die geringste Ver- wandtschaft mit irgend einer Leistung irgend einer Kom- bination physikalisch-chemischer Agentien überhaupt 2). Durch eine psychologische Analogie können wir wohl noch leichter und vollständiger verstehen, was hier vorhegt. Ich denke hier an den Unterschied zwischen Assoziation und Apperzeption, oder auch an denjenigen zwischen Vor- stellung und Urteil. Die Vorstellungen kommen wie sie wollen, aber i c h urteile in jedem Falle darüber, ob sie richtig oder falsch sind. Die Grundlage des ersten Vor- gangs sind wahre cerebrale Prozesse, die des zweiten nicht. Unser dritter Beweis des Vitalismus hat gezeigt, daß jener zweite Vorgang überhaupt nicht ein mechanistischer Prozeß 1) Y. ÜxküUs „Schemata" im Dienste der ,.Ikonorezeption" und „Motorezeption" können nur Engrammata im definierten Sinne sein. Diese „Schemata" sind, soweit Handlung in Betracht kommt, also erworben. Sie können nur Mittel für Handeln sein und stellen in keiner Weise den handelnden Faktor selbst dar; (Zeitschr. f. Biol. 50. 1907). Übrigens sieht v. Üxküll selbst in diesen „Schemata" nur „Erkennungsmittel". 2) Unsere Darstellung schreibt dem Hirn eine gewisse, obschon beschränkte Bedeutung für das „Gredächtnis" zu. Bergson geht nicht einmal so weit; sein „souvenir pur" hat zur Materie nur, soweit „perceptions pures" in Betracht kommen, irgend welche Beziehungen. Man vergleiche seine ausgezeichnete Analyse von „abstraction" und „reconnaissance"; (vgl. Materie und Gedächtnis, deutsch 1908; s. S. 71 Anm. 1). Eine der unseren ähnliche Ansicht vertritt wohl auch K. C. Schneider in seinem „Versuch einer Begründung der Deszendenz- theorie" (Jena 1908); vgl. z.B. Seite 33 f. 96 Die .Handlung. irgend welcher Art sein kann. Fassen wir die wichtigsten Punkte dieses Beweises noch einmal zusammen: die histo- rische Reaktionsbasis könnte mechanistisch verstanden werden, wenn sie nichts anderes leisten würde, als was ein Phonograph leistet; ihr Hauptkennzeichen ist aber die freie Kombination ihrer Elemente ; eben deshalb müssen wir annehmen, daß ein Faktor, welcher auch nicht in irgend einer Weise irgend etwas Anorganischem gleicht, der eigentlich handelnde Faktor ist; die historische Reaktionsbasis kann daher nur mit Bezug auf ihre Elemente durch physikalisch-chemische Prozesse, d. h. durch das Hirn als Hirn affizierende Reize geschaffen worden sein; eben diese Elemente stehen dann dem auto- nomen handelnden Agens zur Verfügung. Durch diese Ausführungen, zusammen mit jenen über spezifische Hirnfunktionen des Erwachsenen ist gleichzeitig die Frage erledigt, was der Begriff ,,Lokalisatio n" der Hirnfunktionen eigentlich bedeuten kann: nur ,,En- grammata" können lokalisiert sein — aber nichts anderes. 6) Die Regulierbarkeit der Bewegung mit Rücksicht auf die Bewegungsorgane. Wir haben nun die Erörterung aller am Hirn ge- schehenen Regulationen vollständig durchgeführt und haben damit gleichzeitig das Studium des zweiten Typus möglicher Bewegungsregulationen, d. h. solcher Regulationen, die sich auf die vermittelnden Organe beziehen, abgeschlossen, wenigstens soweit die ,, Hemisphären" in Betracht kommen. Ehe wir nun dem Gesagten einige Worte über die Regulations- fähigkeit der sogenannten ,, niederen" Hirnzentren beifügen, müssen der dritten möglichen Art motorischer Regulation einige Worte gewidmet sein, d. h. der Regulation, die sich auf die Bewegungsorgane als solche bezieht. Das braucht aber nur kurz zu geschehen, denn die Tatsachen lassen sich hier auf die beiden anderen Regulationstypen zurück- führen. Die Handlung. 97 Der Hund, welcher an einem seiner Beine verwundet ist und daher nur auf drei Beinen laufen kann, ist ein gutes Beispiel für das, was wir hier meinen: der Gebrauch der drei gesunden Beine erfolgt hier regulatorisch, sie werden in anderer Weise gebraucht, als es der Fall sein würde, wemi alle vier Beine zur Verfügung stünden. Es scheint mir nun, daß dieses und ähnliche Beispiele unschwer unserer ersten Klasse von Bewegungsregulationen, nämlich derjenigen, welche sich auf die Zuordnung zwischen Reizen und Effekten bezieht, eingereiht werden können; eben des- wegen können wir uns hier eine eingehendere Erörterung ersparen. Die Tatsache, daß nur drei gesunde Beine da sind, gehört eben mit zu der Summe der motorischen Reize und Bedingungen, ganz ebenso wie ein Wagen, der den Weg des Hundes kreuzt, zu dieser Summe gehören würde; jene Tatsache bildet einen Teil des ,, individualisierten Reizes", dem entsprechend die Individualität der Handlung sich bestimmt. Wenn man lieber will, kann man natih^lich auch einen unabhängigen Autonomiebeweis aus dieser Art motorischer Regulation gewinnen; man hätte dann zu sagen, daß bei der Handlung neben der individuellen Zu- ordnung zwischen dem eigentlichen Reiz und der Reaktion a^uch eine ebenfalls individualisierte Zuord- nung zwischen dem spezifischen Zustand der Bewegungs- organe und der spezifischen Art ihres Gebrauches bestünde. In gewisser Hinsicht würde sich diese Regulation natürlich wieder auf das Gehirn beziehen; andere zentrifugale Nerven kommen ja für ein und dieselbe Handlung in Gebrauch, je nach der Art des abnormen Zustandes der motorischen Organe i). Ein sehr interessantes von V u 1 p i u s ausgeführtes klinisches Experiment verdient in diesem Zusammenhange Beachtung. Die Sehne eines Beugemuskels des Fußes 1) Ophiuriden, welche einen oder mehrere Arme eingebüßt haben, illustrieren auch besonders gut diese Klasse von Bewegungs- regulationen. Man vergleiche Preyers Versuche, die ich selbst in vollstem Maße bestätigt habe. Driesch, Philosophie. IL 7 98 Die Handlung. wurde gespalten, und die eine ihrer Hälften wurde derart zur Verkeilung gebracht, daß sie die Funktion des Streckens ausführen konnte; es war nämlich der Streckmuskel ge- lähmt. Nach einer gewissen Zeit war nun der Beugemuskel in der Tat auch physiologisch ,, gespalten": seine eine Hälfte wurde zum Beugen, die andere zum Strecken verwendet, ganz wie die Umstände es erforderten. Hier war es dem handelnden Prinzip in ebenso seltsamer wie vollendeter Weise gelungen, einen völlig abnormen zentrifugalen Nerv zu benutzen und ebenfalls abnorme zentrale Teile in Erregung zu versetzen, damit eine gewisse ,, individuali- sierte" Reaktion das Resultat sei. Man könnte sich kaum eine bessere Illustration für unseren Satz denken, daß das Nervensystem ein bloßes Instrument für das Handeln ist; im Lichte dieser Entdeckung erscheinen in der Tat die sogenannten motorischen ,, Sphären" als alles andere denn fixiert i); auf alle Fälle kann der Organismus lernen, abnorme zentripetale Nerven für seine ihrer Individualisation nach normalen Leistungen zu be- nutzen. Die meisten Physiologen stehen gegenwärtig noch gBAiz unter dem Einfluß materialistischer Lehren und wollen daher alle komplizierten tierischen Bewegungen, soweit als möglich, als bloße Summe von Reflexen begreifen. Solchen Autoren war jene Formel sehr willkommen, welche v. U X k ü 1 1 für gewisse sehr primitive Be- wegungen aufgestellt hat, und sie haben gelegentlich versucht aus der Formel eine allgemeine Theorie zu machen. Nach Ü X k ü 1 1 s Formel bestimmt, wie wir wissen, bei Tieren mit ,, einfachen Nervennetzen" der Zustand des terminalen, d. h. des motorischen, Organs den Weg moto- rischer Reizung; die ,, Zentren" arbeiten hier eigentlich ^) Flourens wußte bereits im Jahre 1842, daß Vögel ihre Flügel richtig gebrauchen, wenn die beiden Hauptstämme ihres plexus brachialis operativ gekreuzt werden. Vgl. auch Spitzy, Zeitschr. f. Orthopäd. Chir. 1904 Band 13, und Bethe, Münch. med. Wochenschr. 1905, No. 25. Die Handlung. 99 nur passiv als bloße ,, Tonusreservoire". Wie durchaus unmöglich es nun aber ist, den V u 1 p i u s sehen Fall oder den Fall des auf drei Beinen laufenden Hundes in dieser Weise zu verstehen, kann durch nichts besser gezeigt werden, als durch den bloßen Hinweis auf die einfache Tat- sache, daß alle in Rede stehenden Bewegungen aus- gesprochenermaßen ,, gewollte" sind, und daher ganz sicherlich ihren Ursprung nicht von der Peripherie nehmen i). v. Üxkülls Formel gilt, wie er selbst übrigens ausdrücklich sagt, nur für bereits in Gang gesetzte rhyth- mische Bewegungen, aber nie für den Ursprung oder das Aufhören oder die Änderung solcher Bewegungen. Ich ka,nn in mechanischer und unbewußter Weise gehen, aber ich kann auch gehen oder nicht gehen wollen! Anders gesagt : Üxkülls Formel erklärt eine ganze Reihe tieri- scher Bewegungen, soweit diese Bewegungen ausschließlich vom Rückenmark abhängen. Seine Formel erklärt aber niemals, wie abnorme regulatorische Be- wegungen, die auf ein normales Ziel hinstreben, zuerst eingeleitet werden. Nach ihrer Einleitung können diese Bewegungen natürlich dem Ü x k ü 1 1 sehen Gesetz wieder gehorchen, soweit ihr bloßes Weiterlaufen, also weder ihr Ursprung, noch ihr Ende, in Betracht kommt 2). i) Die niederen Hirnzentren der Wirbeltiere. Unserer Erörterung der Rolle, welche das Hirn beim Handeln überhaupt spielt, müssen nun einige Bemerkungen über die physiologische Bedeutung der sogenannten niederen Hirnzentren der Wirbeltiere beigefügt werden. P f 1 ü g e r hat zuerst von einer ,, Rückenmarksseele" gesprochen, d. h. von der Fähigkeit des Rückenmarks ihres gesamten Hirnes beraubter Frösche auf Reize in einer handlungs- artigen Weise zu reagieren. Spätere Untersuchungen haben es freilich zweifelhaft gemacht, ob diese Reaktionen, ^) Vgl. auch die Entdeckung- von Giardina, S. 102 Anm. 2. 2) Vgl. zum Vorstehenden S. 26 und 28. y* 100 ^^^ Handlung. des Rückenmarks wirklich den Namen Handlungen ver- dienen; es ist vielleicht wahrscheinlicher, daß hier nur eine aufeinanderfolgende Reihe verschiedener einzelner Bewegungen, in Zuordnung zu einem dauernden Reize, der durch die erste oder zweite jener Bewegungen noch rieht entfernt wurde, vorliegt. Wir wissen ja, daß J e n n i n g s ein derartiges Verhalten, freilich neben wirklichem Handeln, z. B. beim Infusorium Stentor auffand, daß man aber eine derartige Tatsache nicht als Handlung bezeichnen darf. Goltz hat zuerst gezeigt, daß ihrer Hemisphären beraubte Frösche, welche freilich von ihrem zentralen Nervensystem mehr als nur das Rückenmark besaßen, Reaktionen ausführen können, die, um in unserer Termi- nologie zu sprechen, aufs deutlichste die beiden grund- legenden Ej^iterien der Handlungen, die ,, historische Reaktionsbasis" und die ,, Individualität der Zuordnung" aufweisen. Seh rader hat später dasselbe für das Nervensystem der Vögel gezeigt, und endlich haben wir die berühmten Versuche von Goltz am Hunde ohne Großhirn i). Was diese Tiere leisteten, war sicherlich weit be- schränkter als das, was sie im Besitze der entnommenen Teile geleistet haben würden, aber handeln im wahren Sinne des Wortes taten sie : sie vermieden Hindernisse sogar dann, wenn eines ihrer Beine bewegungsunfähig gemacht war; sie reagierten auf spezifische optische Reize ; die Hunde, nicht die Tauben, aßen und tranken spontan, die Frösche fingen Fliegen, die Tauben flogen mit richtiger Tiefen- abmessung. Das ,, Gedächtnis" dieser Tiere bezog sich freilich zum größten Teil auf die vor der Operation ge- machte Erfahrung, in beschränktem Maße konnten sie aber auch neue Erfahrung, trotz ihres defekten Zustancles 1) Pflüger. Die sensorisclien Funktionen des Rückenmarks, 1853; Goltz, Beiträg-e zur Lehre von den Funktionen der Nerven- zentren des Frosches, 1869, und Pflügers Archiv, 51, 1892; Schrader, Ebenda 41, 1887 und 44, 1889. Die Handlung. 101 erwerben. Anders ausgedrückt : auf Basis einer allgemeinen ,, prospektiven Potenz" erwarben die niederen Hirnteile eine bestimmte ,, prospektive Bedeutung", welche sie sonst nicht erworben hätten^). Es muß daher zugegeben werden, daß eine gewisse Art des Handelns auch ohne die höchsten Teile des Hirnes möglich ist, mag auch der Grad dieses Handelns von viel niedrigerer Art sein. Den Begriff ,, Antwortsreaktion", den wir schon früher gebraucht haben, erfand Goltz, um seine Entdeckungen am Frosch ohne Hemisphären passend zu beschreiben. Er spricht selbst von der Unmöglichkeit, sich eine Maschine als Basis der hier beobachteten Phänomene zu ersinnen und führt dann eine psychologische Terminologie ein. Seltsamerweise bemerkt er nicht, daß er durch seine Ent- deckungen die Autonomie der vitalen Prozesse, den Vita- lismus bewiesen hat. Hier steht aber Goltz nicht allein, viele Autoren geben ja zu, daß die sogenannte ,, Seele" eine positive, kausale Rolle beim Handeln spielt, ohne zu bemerken, daß sie damit einen Naturfaktor einführen, der weder chemisch noch physikalisch ist. Daß auch ihrer Hemisphäre beraubte Tiere noch handeln, ist natürlich von gro*ßer Bedeutung für die Theorie der Autonomie des Lebens überhaupt; es zeigt, daß das ,,Psychoid" nicht nur an das Großhirn gebunden ist, sondern auch die niederen Hirnteile ,, benutzen" kann. Man könnte vielleicht sagen, daß eine höhere Ai't von Psychoid das Großhirn beherrscht, eine niedere den Thalamus opticus, das Kleinhirn, die Medulla usw. Und das würde dann in gewisser Hinsicht mit dem Unterschiede zwischen Be- ^) Daher können uus, wie auch Lewandowsky und andere betonen, operative Versuche nie über die „normalen"' Leistungen der von ihnen belassenen Teile aufklären. Sie zeigen uns aber, was wichtiger ist, ihre „prospektive Potenz". Alle Versuche anderer- seits über die elektrische Erregbarkeit von Hirnteilen haben es natürlich nur mit der „prospektiven Bedeutung" zu tun. Man vergleiche hier das im Text hypothetisch über den neugeborenen Organismus Bemerkte (S. 90 f.). 102 ßie Handlung. wußtsein und ,, Unterbewußtsein" übereinstimmen, den gewisse moderne Psychologen gemacht haben. Trotzdem kann natürhch die in einem Individuum wirksame moto- rische Entelechie stets nur ein und dieselbe sein, und es wird also wohl nur von dem alsdann primitiveren Zustande der Organisation abhängen, daß sie mit den niederen Hirnteilen weniger als mit den Hemisphären anzufangen imstande ist. Doch muß das im Einzelnen eine offene Frage bleiben. Eine Art von vikariierender Regulation i) unter den niederen Hirnteilen selbst wird in trefflicher Weise durch gewisse von L u c i a n i am Kleinhirn ausgefülirte Ver- suche illustriert. Die Funktion des Kleinhirns ist be- kanntlich die Aufrechterhaltung des körperlichen Gleich- gewichts bei der Bewegung ; alle Störungen dieser Funktion, durch partielle Exstirpationen, wurden nun in kurzer Zeit ausgeglichen; ja sogar auf die Entnahme einer ganzen Hälfte des Organs folgte nur für eine Weile sogenannte Ataxie, alsdann setzte die Regulation ein, und das Tier lief und schwamm ebensogut und sjanmetrisch wie vorher 2). ^) Vgl. hierzu unsere Analyse der „Potenzen" der Hemispheren. 2) Xeue Entdeckungen Giardinas (Arch. Entw.-Mech. 23 1907) gehören hierher. Stücke des Schwanzes von Kaulquappen bewegen sich koordiniert, wenn sie sehr jungen Tieren entstammen ; ent- stammen sie aber etwas älteren Individuen, so stellt sich die Koordination erst nach einiger Zeit her. Im letzten Fall war im Lendenmark bereits ein gewisser allgemein ordnender Einfluß zur Geltung gekommen und deshalb mußten im isolierten Schwänze die Koordinations-„Zentren" erst neu eingerichtet werden; in den sehr jungen Stücken stellt sich die erforderliche Koordination von vornherein richtig her. Dies alles richtet sich gegen Loebs so- genannte „Segmentaltheorie" der Bewegung und widerlegt diese Lehre in der Tat. Griardina behauptet durch seine Versuche eine „indipendenza iniziale o virtuale", aber nicht eine „indipendenza effectiva" bewiesen zu haben. Diese Ausdrücke bedeuten wohl ungefähr dasselbe wie meine Begriffe „prospektive Potenz'- und „prospektive Bedeutung" in ihrer Anwendung auf die Hirn- physiologie. Die Handlung. 103 k) Die verschiedenen Grade des Handelns bei verschiedenen Tieren ^). Das Handeln des Menschen war Ausgang und Zentrum unserer Analyse der Handlung ; unsere Darlegung würde aber unvollständig sein, würden wir nicht einiges über die ver- schiedenen Arten und Grade des Handelns beifügen, welche uns in anderen Gruppen des Tierreiches entgegentreten. Der Gegensatz zwischen dem Menschen und den höchsten Tieren. Der Darwinismus und die Phylogenie legten großes Gewicht auf die Verwandtschaft des Menschen mit den Tieren, und sie hatten Recht, soweit die Besonderheiten seines Baues in Betracht kamen; immerhin bestand eine gewisse Schwierigkeit mit Bezug auf die Hemisphären des Hirns. Es steht nun hiermit in guter Übereinstimmung, daß Versuche der letzten Jahre, vornehmlich von englischen und amerikanischen Forschern (Lloyd Morgan, Thorn- dike, Hobhouse, Kinnaman) ausgeführt, ge- zeigt haben, daß bezüglich des Grades des Handelns der Unterschied zwischen dem Menschen und selbst dem höchsten Affen ganz enorm ist 2); trotz der Deszendenz- theorie bleibt der Mensch das einzige ,, vernünftige" Tier. ^) Eingehenderes in folgenden Werken: Thorndike, Animal Intelligence 1899; Lloyd Morgan, Introduction to Comparative Psychologie 1903; Wasmann, Instinkt und Intelligenz im Tierreich, 3. Aufl. 1905; Washburn, The Animai Mind, 1908. Hier findet man auch die vollständige Literatur. — Die neueste Literatur wird gut erörtert in der ..Comparative Psj'chology number" des „Psychological Bulletin" (Vol. V No. 6) und im Artikel „Animal Behaviour" des „xlmerican Naturalist". Bd. 42, S. 207. — In Wasmanns Werk „Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen"^ 2. Aufl. 1909, findet sich eine gute Kritik der verschiedenen neueren Versuche, Instinkt und Handlung materialistisch zu deuten: ich unterschreibe diese Kritik durchaus, namentlich alles gegen Zur Straßen Vorgebrachte. ^) Beiläufig mag hier erwähnt sein, daß neuere, vornehmlich auf ältere Angaben Bunge s basierte Untersuchungen von M.Rubn er 204 -^^^ Handlung. Mehr als einmal haben wir betont, daß nur die Be- wegungen der Tiere in diesem Kapitel der Gegenstand unserer Untersuchungen sind, ihre Bewegungen und nichts anderes. Um aber diese Bewegungen in genügender Weise überhaupt beschreiben zu können, können wir eine psychologische Terminologie nicht gut vermeiden, und keiner dürfte uns auch wohl deswegen tadeln, nachdem wir ja ausdrücklich betont haben, daß wir nur im Sinne einer beschreibenden Analogie von ihr Gebrauch machen. Affen und Hunde lernen eine ganze Menge ; ihr Handeln besitzt also eine recht komplizierte ,, historische Basis", aber es entbehrt doch so gut wie völlig der sogenannten ,, Abstraktion". Eben deshalb erfinden sie nichts und haben nichts, was mehr als oberflächlich einer Sprache gleicht. Mit Recht hat W u n d t einmal bemerkt, daß Tiere nicht aus Gründen ihres Baues keine Sprache besitzen, sondern weil sie nichts zu sagen haben. Es ist in der Tat seltsam, wie vollständig selbst den höchsten Affen eine wahre erfinderische, ja selbst nachahmende Fähigkeit abgeht. T h o r n d i k e hielt einige Affen in einem Stall mit mehreren leicht zu öffnenden Türen. Er öffnete nun eine Tür mehrere Male besonders scTrgfältig und deutlich, um dem Affen den Mechanismus des öffnens zu zeigen, aber kein einziger ahmte seine Bewegungen nach. Erst dann, wenn irgend eines der Tiere durch Zufall selbst erfahren hatte, was öffnen der Tür bedeutete, hatte es das öffnen ,, erlernt". Seine (Das Problem der Lebensdauer, München und Berlin 1908) auch bezüglich des Stoffwechsels einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Menschen und den übrigen Säugetieren ergaben. Rubner geht aus von der Zeit, in welcher der neugeborene Säuger sein Gewicht verdoppelt; er wirft die Frage auf, welcher Nahrungsauf- wand, in Kalorien gemessen, dazu nötig sei. Unabhängig von der Wachstumsgeschwindigkeit ist das bei allen Säugern derselbe, allein beim Menschen ist er sechsmal so groß; bei ihm wird eben von 100 Kalorien Zufuhr nur ^'e des sonst Üblichen als Organsubstanz abgelagert („Wachstumskoeffizient"). Auch der ausgewachsene Mensch verbraucht viel mehr Nahrung als das ausgewachsene Säugetier. Die Handlung. 1'05 Genossen zogen aber selbst dann keinen Vorteil aus ihres Kameraden Erfahrung: jedes Tier mußte durch persönhche Erfahrung, auf dem Wege des Zufalles, lernen, was Tür- öffnen sei. Ganz eicherlich gibt es hiernach bei Affen das, was unser Ausdruck ,, historische Reaktionsbasis" bezeichnet. Die Besonderheit ihres Verhaltens wird durch ihre indivi- duelle Geschichte, d. h. durch die Besonderheit der Reize, welche sie betroffen haben, und durch die Effekte dieser Reize bestimmt. Aber die individualisierte Neukombination der Elemente ihrer Erfahrung ist viel weniger kompliziert und viel weniger variabel als beim Menschen. Einige Au- toren, wie W a s m a n n , haben daher mit Recht gesagt, daß Tiere nur ein ,,sinnKches Gedächtnis" besitzen i). Um die Unterschiede im Verhalten zwischen dem Menschen und den höchsten Tieren richtig zu verstellen, muß meines Erachtens die Analvse von einem besonderen Punkt innerhalb der Charakteristik des Handelns ausgehen: Wir haben bei anderer Gelegenheit bemerkt, daß der Ausdruck ,. Element" für das analytische Studium der Handlung etwas Relatives bedeutet ; alles Beliebige an den Reizen und Effekten, die bei der Schöpfung der historischen Basis in Betracht kommen, kann in irgend einem Sinne als ,, Ele- ment ' ' angesehen werden . Einzelne Worte oder Buchstaben können die Elemente eines Satzes sein; die Elemente einer Landschaft können ganze Abschnitte derselben sein, oder die in ihr befindlichen individuellen Körper, oder gewisse Teile dieser Körper, oder irgend etwas anderes. Ich meine nun, daß wir eine passende Beschreibung des Verhaltens der Tiere gewinnen, wenn wir sagen, daß selbst bei den höchsten Tieren die Fähigkeit Gegebenes in Elemente aufzulösen weniger entwickelt ist als beim Menschen. Sie hängen an den einst empfangenen Reizkombinationen, ^) Ich gebe Wasmann aber uicht zu, daß dieses ., sinnliche Gedächtnis'' Instinkt sei. Denn das Hauptkennzeichen des Instinkts ist Unabhängigkeit von einer ..historischen Basis'' — wenigstens in bezug auf das Individuum. 106 I^ie Handlung. wie sie sind ; a,iif alle Fälle lösen sie sie nicht weiter als bis zu individuellen Körpern hin auf; ein Stock und eine Wurst sind in diesem Sinne gewissermaßen Buchstaben des Hunde- alphabets. Und daraus folgt nun, daß auch die zusammensetzende Fähigkeit der Tiere verhältnismäßig gering ist; denn es folgt, daß ihre Assoziation nur durch räumliche oder zeitliche Berührung verläuft, aber niemals in wahrem Sinne nach Ähnlichkeit oder Kontrast, und eben deshalb ist das Material, welches sie beim Handeln zu kombinieren vermögen, ein sehr kleines. So ist denn also Mangel an der Fähigkeit, Gegebenes aufzulösen, verantwortlich für den niederen geistigen Zustand der Tiere; alle anderen Unter- schiede zwischen dem Handeln des Menschen und dem Handeln der Tiere sind Folgen dieses fundamentalen Unter- schieds. Doch würde uns ein tieferes Eingehen in diesen Gegen- stand für unsere philosophischen Absichten nicht viel nützen, und ich muß daher das weitere Studium der Unter- schiede im Handeln der höchsten Tiere und des Menschen Ihrem persönlichen Nachdenken überlassen. Höhere wirbellose Tiere. Der Typus des Handelns, welchen wir bei Affen und Hunden antreffen, ist durchaus nicht auf die höheren Wirbeltiere beschränkt; viele Insekten, nicht nur Ameisen und Bienen, sondern auch z. B. Käfer, können Handlungen von demselben Grade der Komplikation vollbringen. Wie viele von Ihnen wissen werden, haben F o r e 1 , W a s - mann, Lord A v e b u r y , früher Sir John L u b b o c k , u. a. eine Reihe sehr schöner Versuche über die Erfahrungen der Ameisen ausgeführt; ich brauche Sie hier nur an des letzteren ,, Brückenvers ach" zu erinnern. Er fand dasselbe, was die neueren Erforscher des Verhaltens der Hunde und Affen gefunden haben: die Tiere handeln, aber die sogenannte Abstraktion fehlt ihnen völlig. Die Handlung. 107 Wir können also mit voller Sicherheit behaupten, daß jene alte Ansicht, welche das Benehmen der Ameisen und Bienen mit dem Verhalten einer menschlichen Gesell- schaft verglich, falsch war. Das Handein dieser Wesen steht auf einem viel tieferen Boden als dasjenige des Menschen; ihr instinktives Leben ist dafür, wie wir ja wissen, um so mehr entwickelt, es zeigt uns einen uns geradezu unverständlichen Grad der Ausbildung. Wir fassen hier das Wort Instinkt natürlich in seiner strengen Bedeutung, es bezeichnet uns eine Reaktion, die von Anfang an vollendet ist : ich benutze diese Gelegenheit, um Sie noch einmal an die fundamentalen Probleme der Lehre von den Listinkten, die. sich auf die Möglichkeit ihrer Regulation und auf die Möglichkeit ihrer Auslösung durch individualisierte Reize beziehen, zu erinnern. Erfahrung bei Insekten kann natürlich, obschon sie der menschlichen Erfahrung an Grad der Komplikation erheblich nachsteht, von einer der letzteren durchaus unähnlichen Art sein und sich auf Gebiete erstrecken, auf denen der Mensch nie Erfahrung macht. So könnte es z. B., wie wir schon erwähnt haben, möglich sein, daß Bienen die Fähigkeit besitzen, sich des absoluten Betrages und der Richtung eines Ortswechsels zu erinnern; das wäre in der Tat etwas, von dem ein Mensch sich so gut wie gar keine Vorstellung machen kann. Die niedersten Formen der Handlung, Beschließen wir jetzt unsere Darlegungen mit einigen Worten über die niedersten Formen der Erfahrung. Psy- chologisch gesprochen hegt, wie wir wissen, der einfachste Fall eines Erinnerns in der bloßen Aussage des Wortes ,, derselbe" vor, d. h. in der Bemerkung, daß ein gewisser Reiz mit einem früheren identisch sei. Objektiv könnte man diese Art der Erfahrung wohl schwer bei einem Organismus feststellen; sie mag vorliegen, wenn etwa IQQ Die Handlung. ein Tier auf einen gewissen Reiz das zweite Mal rascher als das erste Mal reagiert i). Die zweite Stufe oder vielmehr die zweite Grundlage des Sich-Erinnerns im psychologischen Sinne wird durch die Berührungsassoziation dargestellt; ein Reiz ruft nicht nur die Aussage ,, dasselbe" hervor, sondern ruft auch die Erinnerung an andere Reize und Effekte wach, die früher einmal mit ihm kombiniert waren. Gedächtnis dieser Art ist natürlich nur beim Handeln beteiligt, ist aber nicht Handeln; es wird sogar besser von wahrer ,, Erfahrung" begrifflich geschieden, indem das Wort Erfahrung für etwas, was sich auf Handeln als solches grundlegend bezieht, reserviert wird. ,, Erfahrung" in diesem Sinne tritt in ihrem einfachsten Typus auf, wenn eines der beim assoziativen Gedächtnis in Betracht kommenden Elemente ein gewisses Verhalten der Bewegungsorgane ist, welches entweder hervorruft, wa-s gefällt, oder wegschafft, was mißfällt. Von dieser Art der Erfahrung geht, wie wir ja aus unserer Erörterung des Ursprunges der Willenshandlung wissen, das mensch- liche Handeln überhaupt aus; diese Art der Erfa,lirung aber ist es gleichzeitig, welche in vollem Maße die Bezeich- nung einer Grundlage des ,, Handelns" verdient, und zwar auch dann, wenn so gut wie gar keine Auflösung der gegebenen ,, historischen Reaktionsbasis" in weiter zurückliegende Elemente möglich ist. Amerikanische Autoren 2) zumal haben die einfachsten Typen des Handelns bei den niederen Tieren, bei Infusorien, Aktinien, Würmern, Echinodermen und Krebsen studiert. Bei anderer Gelegenheit, als wir versuchten den Begriff der Handlung zu anderen Arten veränderbarer motorischer Reaktionen in Gegensatz zu bringen, haben wir bereits gesagt, daß die bloße Tatsache einer aufeinander folgenden Reihe verschiedener Reaktionen, in Antwort auf ein und ^) Vgl. Davenports und Cannons Versuche an Daphniden, Journ. Physiol. 21 1897. -) Literatur bei Jennings, s. S. 15 Anm. 1. Die Handlung. 109 o denselben oft wiederholten Reiz, wie sie von J e n n i n g s bei dem Protozoon Stentor und beim Regenwurm entdeckt wurde, nicht den Namen einer wahren Handlung verdient, sondern entweder auf Ermüdung oder auf gewissen un- bekannten Bedingungen des physiologischen Zustands beruht. Es hegt aber wahres Handeln vor, wenn das erste Mal die Reaktionen A, B und C dem Reize a, eine nach der andern, entsprochen haben, und wenn nun das zweite Mal C ihm unmittelbar entspricht, vorausgesetzt, daß es eben C w?.r, das herbeiführte, was gefiel, oder wegschaffte, was mißfiel. Dieser Fall ist nun tatsächlich bei Stentor realisiert und ist sehr bedeutsam als ein Fall von Erfahrung im Gebiete einfacher motorischer Reaktionen. Primitive Formen von Erfa,hrung, die sich auf kom- binierte Bewegungen beziehen, lassen sich sehr erfolg- reich bei Krebsen studieren. In dem von Y e r k e s aus- geführten ,,Labyrint- Versuch" wurde eine Krabbe in eine Schachtel gesetzt, in welcher ihr zwei Wege zur Verfügung standen, von denen nur der eine zum Wasser führte. Die Krabbe lief eine Zeitlang ,,aufs Geratewohl" herum, bis sie endlich nach vielen ,, Versuchen" den Eingang zum Wasser fand; das zweite Mal erreichte sie den Weg zum Wasser mit sehr viel weniger ,, Irrtümern" und schließlich lief sie direkt zum Wasser, ohne sich irgenwie zu verlaufen. Hier haben wir einen typischen Fall solcher Erfahrung vor uns, bei welcher der Effekt früherer motorischer Reize in Betracht kommt, und es ist für das Wesentliche ziemlich gleichgültig, ob die Krabbe durch ihr Gesicht oder durch irgend eine Art von uns unbekanntem räumlichen Ge- dächtnis, wie wir es für gewisse Insekten angenommen haben, geleitet wird^). Erfahrung führte hier zum Auslassen einer Gruppe früherer Reaktionen zugunsten der früheren letzten, die sich allein als wirkungsvoll erwiesen hatte. Bei anderen Ver- suchen, die von Spaulding ausgeführt wurden, liegt ^) Vgl. hierzu das auf S. 55 Anm. 1 über Hatten gesagte. 2 J^ Q Die Handlung. alles etwa^s anders: ein Einsiedlerkrebs wurde mit Fisch- stückchen gefüttert, welche unter einen grünen Schirm gelegt wurden; nach einer Anzahl von Versuchen lief er auf den Schirm zu, auch wenn kein Fleisch da war. Ähnliche Versuche haben die Schüler des russischen Physiologen P a w 1 o w mit Hunden ausgeführt i). In allen diesen Fällen wird eine gewisse Reaktion, welche ursprünglich durch den Reiz a hervorgerufen war, schließlich durch einen Reiz b hervorgerufen, welcher a immer begleitet hatte. Während im Beispiel von der ihren Weg zum Wasser abkürzenden Krabbe eine sehr deutliche Art von ,, Probieren" vorlag, gibt es hier kein Probieren; beide Versuche sind gute Beispiele der beiden fundamentalen Typen unserer histo- rischen Basis: beim ersten sind nicht nur frühere Reize, sondern auch frühere Effekte für die Spezifizität der Rea-ktion verantwortlich, beim zweiten frühere Reize allein. Aber das allgemeine Schema ist immer dasselbe 2). Ein sehr schönes Beispiel von wirklichem ,, Unterricht" mit Hilfe von ,, Stunden" ist von Jennings in seiner ^) Hier steht aber die Assoziation nicht zu Bewegungen, sondern zur Sekretion des Speichels in Beziehung. Man vergleiche, außer den Arbeiten von Pawlow selbst, den guten zusammen- fassenden Aufsatz von Boldyreff in Zeitschr, f. d. Ausbau d, Ent- wicklungslehre I 1907, Heft 5 u. 6. 2) Hierzu S. 60 f. Im Versuche von Yerkes ist das Jenningssche „Versuch und Irrtum" ganz am Platze: was anfangs der Effekt einer Reihe von teilweise irrtümlichen Versuchen war, ward beim zweiten Statt- haben der Reize unmittelbare Reaktion. Man darf aber meines Erachtens nicht von Versuch und Irrtum reden, wenn keine objek- tivierte ..Erfahrung" vorliegt, wenn vielmehr eine Reihe aufeinander folgender verschiedenartiger Reaktionen bloß bei Erreichung eines gewissen Zustandes beendet wird: dieser Zustand mag ja ,, gefallen", das läßt sich aber an niederen Tieren nicht entscheiden. Was Jennings die „Auflösung physiologischer Zustände in einander" nennt, entspricht ungefähr meiner „historischen Reaktions- basis". Jennings ist aber im Irrtum, wenn er sagt, daß diese „Auflösung" immer nur „leichter und schneller" geschieht bei jeder Wiederholung: es werden Glieder der Kette fortgelassen, und das ist viel wichtiger. Die Handlung. 111 vorzüglichen, bereits erwähnten Arbeit über die Bewegungen des Seesterns aufgefunden worden. Der ,, Unterricht" bezog sich hier auf die Umdrehungsbewegungen; frühere Reize, früherer Reaktionen und frühere Effekte kamen gleichermaßen in Betracht. Und nun wollen wir unsere lange Erörterung der tie- rischen Bewegungen mit einigen sehr allgemeinen Betrach- tungen beschließen. X) Die Ablehnung des psycho-physisehen Parallelismus. Unsere Analyse der Handlung hat uns die Über- zeugung verschafft, daß wir nicht imstande sind, das, was hier vorgeht, mit Hilfe der Physik und Chemie, oder wenn Sie lieber wollen, mit Hilfe der Mechanik zu erklären. Die Tatsache der individuellen Zuordnung zwischen Ursache und Effekt, die noch dazu auf eine historisch geschaffene Basis gegründet ist, lehrt uns, daß ein neuer und autonomer, in der anorganischen Welt unbekannter Naturfaktor bei der Handlung eine Rolle spielt. Wir müssen uns nun darüber klar werden, daß wir mit unserer Auffassung der Handlung als eines autonomen Naturereignisses in fundamentalem Gegensatz treten zu einer weit verbreiteten Theorie, die gegenwärtig noch in der Psychologie viele Vertreter hat. Ich denke hier an die Theorie des psycho-physisehen Paralle- lismus. Wenigstens steht unsere Ansicht zu der einen Seite der Theorie in fundamentalem Wider- Sprue h. Sie alle wissen, wie ich denke, worin jene Lehre eigentlich besteht, und ich brauche hier wohl um so weniger auf dieselbe einzugehen, als James Ward vor einigen Jahren an eben dieser Stelle Ihnen eine vorzügliche Skizze der verschiedenen Typen der Theorie vom psychophysischen Parallelismus vorgeführt hat i). ^) Naturalism and Agnosticism, Bd. II 2. Aufl. London 1903. — Ferner vergleiche man: Busse, Geist und Körper, Seele und Leib, Leipzig 1903; sowie Bergson, Le paralogisme psycho- physiologique, ßev. metaph. et mor. 12 'Nr. 6 1904 und „Materie und Gredächtnis", Jena 1908. 112 Die flaudlung. Die Theorie des Parallelismus kann von einer meta- physischen Grundlage ausgehen, indem sie behauptet, daß die psychischen und physischen Tatsachen nur ver- schiedene Seiten einer unbekannten absoluten Wirklichkeit sind, zwei Seiten, welche in steter Zuordnung zueinander stehen ; das war die Ansicht von Spinoza und seinen Nachfolgern; eine ähnliche Ansicht ist oftmals auch in einer mehr materialistischen Form vorgetragen worden. Die parallelistische Theorie kann sich aber auch auf eine idealistische!) oder phänomenalistische Basis stellen, indem sie behauptet, daß das ,, Gegebene" eine vollendete wechselseitige Zuordnung seiner Elemente zeigt, mag es das eine Mal als räumlich objektivierte Natur, das andere Mal als unmittelbares Selbsterleben gefaßt sein; nicht ein einziges Element der einen Reihe soll hier ohne ein zugeordnetes Element innerhalb der anderen sein. Wie nun auch ihre Auffassung im einzelnen sein mag, in jedem Falle behaupten die Vertreter der paralle- listischen Lehre, daß die physische Seite ihrer Dualität eine zusammenhängende Kette rein physikalischer oder mechanischer Ereignisse, ohne irgend eine Lücke, bilde. Die Vertreter der para,llelistischen Theorie haben das keineswegs b e - wiesen, sie sehen es vielmehr ohne weitere Erörterung als selbstverständlich an. Es kann nun keinem Zweifel unter- ^) Freilich wird eines der folgenden Kapitel den Parallelismus auf idealistischer Basis ad absurdum führen. — Wir wollen an dieser Stelle nur kurz bemerken, daß doch auch der metaphysische Parallelismus eigentlich von vornherein eine vollkommene Unmög- lichkeit ist. Wie könnte eine bloße Summe oder Addierung, was doch die physische Seite der vorausgesetzten Realität sein soll, von ihrer „anderen Seite" als etwas „erscheinen", das ganz sicher- lich kein bloßes Additionsphänomen ist? Übrigens wird heutzutage der Parallelismus immer weiter zurückgedrängt; selbst Wundt ist kein überzeugter Parallelist mehr. Daß Kant keiner war. mag man in meinem „Yitalismus als Geschichte und als Lehre" (Leipzig 1905; man vergleiche auch zumal die Zusätze zur italienischen Aus- gabe) nachlesen. Die Handlung. 113 liegen, daß wir ganz und gar nicht mit dieser Auffassung übereinstimmen können, jedenfalls soweit nicht, als die physische Seite der parallelistischen Theorie in irgend einer ihrer üblichen Formen in Betracht kommt; wir haben ja gerade gezeigt, daß die Handlung als ein Bewegungs- phänomen nicht eine stetige Kette mechanischer Ereignisse darstellt, daß es bei ihr vielmehr wechselseitige Beziehungen zwischen mechanischen oder physikalisch-chemischen Fak- toren und zwischen Elementarfaktoren einer ganz und gar anderen Art gibt. Andererseits muß aber dieses wohl beachtet werden: trotz unserer Ablehnung der parallelistischen Theorie haben wir nicht von ,,psycho"- physischen Wechsel- wirkungen gesprochen, unsere kritisch-idealistische Grund- lage verbietet uns das, solange wenigstens, als wir nicht Metaphysiker werden wollen. Unsere Ausführungen haben es mit räumlichen Naturereignissen und mit solchen Er- eignissen ausschließlich zu tun: innerhalb dieser natür- lichen Ereignisse weisen wir Faktoren nach, die sich den mechanischen entgegenstellen, aber diese Faktoren sind auch N a t u r f aktoren ; sie gehören zur ,, Physik" im Sinne des Altertums, wennschon sie nicht zur Physik im modernen Sinne gehören. Unser ,,Psychoid" ist in diesem Sinne ein Faktor von laccootxa, ein Agens oder Faktor der Natur als eines Teils der Gegebenheit. Von unserem idealistischen Standpunkt aus, solange er nicht metaphysisch ist, gehört Psychologie und ,,das Psychische" ausschließlich dem Selbsterleben des Ich, meines Ich, an. Es tritt nun die Frage auf, ob von solchem Gesichts- punkt aus nicht ein ganz neuer Typus von Parallelismus möglich wäre, ein Typus, der sich auf den ersten Blick sehr seltsam ausnimmt, ein Parallelismus zwischen ,, meinem Ich" und ,, meinem Psychoid", als einem an meinem Körper sich äußernden Naturfaktor. Vielleicht würde das nur ein Parallelismus sein, der einen gewissen methodischen Wert besäße und gewissermaßen doktrinär zu heißen verdiente. Es mag hier über ihn die kurze Bemerkung genügen, daß in Driescli, Philosophie. II- 8 114 I^i^ Handlung. der Tat mein ,,Ich" und mein ,,Psychoid", als Gegenstand meines Nachdenkens, als in ihrer Tätigkeit zu einander ,, parallel" angesehen werden können. Ein besonderes Kapitel wird später der weiteren Aufhellung der Beziehungen zwischen der idealistischen Philosophie und dem Vitalismus überhaupt gewidmet sein. Wir leugnen also einerseits den Anspruch des Parallelis- mus, daß es eine lückenlose mechanische Kette von Er- eignissen beim Handeln gebe, und wir leugnen auch die Lehre von einer ,,psycho"-physischen Wechselwirkung, wenn wir nicht Metaphysiker werden wollen. Durch unseren nicht- metaphysischen Standpunkt vermeiden wir natürlich alle Schwierigkeiten bezüglich der Art und Weise einer ,, Wechsel- wirkung" zwischen zwei Entitäten, die so durchaus ver- schieden sind, wie das Psychische und die physische Wirk- lichkeit im Raum. Es ist bekannt, daß es gerade diese Schwierigkeiten waren, welche Spinoza zu seinem dogmatischen Parallelismus, L e i b n i z zu seiner Monaden- lehre, Berkeley und Kant zu ihren verschiedenen Formen des Idealismus führten. Auf unserem gegen- wärtigen Standpunkt kennen wir ,, Wechselwirkung" nur zwischen physikalisch-chemischen und nicht physikalisch- chemischen Natur faktoren. }i) Der suprapersonale Faktor beim Handeln. Diese kurzen Bemerkungen bilden das eine Ende unserer Analyse der Handlung und gleichzeitig das eine Ende unserer langen Erörterungen über Probleme der analytischen Natur- wissenschaft überhaupt. Das nächste Kapitel wird uns in das Bereich der wahren Naturphilosophie führen. Unsere Theorie der Handlung soll aber noch einen anderen Abschluß bekommen : wir müssen noch einige Worte über die Rolle sagen, welche das Handeln in der Geschichte spielt, und über das, was auf dieser Rolle folgt. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß die menschliche Geschichte durchaus auf Handeln basiert ist; Die Handlung. 115 diese Ta-tsacbe findet ihren entsprechenden Ausdruck schon in dem Begriffe der ,, historischen" Reaktionsbasis, welche ja eine der Grundlagen des Handelns ist : die individuelle Ge- schichte des handelnden Menschen ist verantwortlich für die Besonderheit dessen, was er tun wird. Auch braucht ja nur angedeutet zu werden, daß Sprache und Schrift die beiden fundamentalen Faktoren sind, auf denen die Geschichte der Generationen ruht. Aber noch ein anderes Problem tritt hier nun auf, und zwar ein solches, das mit dem Problem der Menschheitsgeschichte im allgemeinen, wie es an einer früheren Stelle erörtert wurde, zusammenhängt. Die eigentliche Geschichte kennt keinen suprapersonalen Faktor. Lehrt uns etwa die Geschichte, daß in wahren histo- rischen Zuständen und Ereignissen irgendwelche elemen- taren Agentien oder Faktoren oder Gesetze in Frage kommen, die hinzu treten zu dem, was in unserer fundamentalen Formel der Handlung des Individuums, mit ihren beiden uns jetzt wohlbekannten Kriterien, zum Ausdruck gelangt ? Unsere Analyse der Geschichte gibt die Antwort auf diese Frage: Sie zeigt uns, daß die Geschichte der Mensch- heit, soweit wir hier wirklich etwas wissen, ein bloßer K u m u 1 a t i o n s prozeß zu sein scheint, ein Prozeß, bei welchem die eine Komplikation der anderen einfach hinzu- gefügt wird, ohne daß es sich — wenigstens soweit uns bekannt ist — um die ,, Evolution" einer wahren Einheit handelte. Dadurch, daß wir das bewiesen haben, haben wir zugleich ausgedrückt, daß wir im Staat, in der Religion, in der Wissenschaft, im Gesetz, im Ökonomischen nur Kumulationen des Handelns und ihren Ergebnissen begegnen, aber keinen neuen elementaren Agentien. Die sogenannte ,, Philosophie" des Staates oder des Rechts, wie sie am tiefsten von Hegel geschaffen wurde, ist daher nur eine Philosophie zweiter Ordnung ; sie steht zur Philosophie der Handlung in derselben Beziehung, in der die Geologie zur Physik steht. Staat und Recht sind, soweit wir wissen 8* 216 Die Handlung. keine ,,Entitäten", wenn wir einmal scholastisch sprechen wollen. Der Staat ist k e i n „Organismus" — und wie oft hat nicht gerade die moderne Literatur behauptet, daß der wahre biologische Organismus durch die Analogie des Staates ,, erklärt" sei! Es sind aber sogar die sogenannten ,,Staroten" der Bienen und Ameisen nur zu einem sehr geringen Bruchteil und ganz und gar nicht im Einzelnen wahre Organismen. Damit irgend eine Form der menschlichen Gesellschaft mit Recht als ein Organismus d. h. als sondergesetzliche Einheit mit einer ,, Evolution" angesehen werden könnte, wäre zum mindesten erforderlich, daß Störungen dieses Or- ganismus mit Hilfe des Ganzen wiederhergestellt würden. Derartiges ist aber, wenigstens gegenwärtig, ganz und gar unbekannt: sicherlich gibt es ,, Regulationen" im sozialen Leben, wie denn z. B. ein Erwerbszweig, welcher Arbeiter braucht, sie durch Anbieten besserer Bezahlung an sich zieht, während ein überfüllter Erwerbszweig leicht Ai^beiter abgibt; das alles geschieht aber mit Rücksicht auf Wunsch und Glück der Individuen und, soweit wir wissen, aus keinem anderen Grunde, Etwas mehr von wahrer Organi- sation liegt in der Tat im ,, Staate" der Hymenopteren vor. Wir werden am Schlüsse des Ganzen noch einmal auf diese Fragen zurückkommen. Das Ethische als suprapersonaler Faktor. Nun wollen wir aber eine andere, allgemeinere Frage stellen : Erscheint irgend etwas Neues überhaupt in der Natur, neben bloßem Handeln, sobald nicht nur ein handelndes menschliches Wesen, sondern eine Ge- meinschaft, also wenigstens zwei mensch- liche Wesen oder gar lebende Wesen überhaupt in Betracht kommen? Ein derartiger neuer Faktor würde natürlich seine Rolle im sozialen Leben spielen, obschon nicht im eigentlich historischen Sinne. Wir können auch so fragen: Stellt unsere Analyse der Handlung wirklich eine vollständige Philo- Die Handlung. 117 Sophie des Handelns oder wenigstens die Vorbereitung zu einer solchen dar ? Da scheint mir nun, daß noch ein wichtiges Ding für eine solche Vorbereitung fehlt, und daß eben dieses bedeutsame Ding der elementare Faktor ist, der bei historischem und sozialem Greschehen neben den beiden von uns analysierten Prinzipien der Handlung auftritt. Die Entelechie der Formbildung, des Stoffwechsels und des instinktiven Lebens strebt dahin, die Spezifizität der Form und Funktion zu gewährleisten; die Entelechie des Handelns, unser Psychoid, gewährleistet die Erfüllung dessen, was — um nicht ganz korrekt, aber verständlich zu sprechen — dem Ausführer der Handlung ,, gefällt". In beiden Fällen geschieht alles, was sich abspielt, zum Heile des Trägers der Entelechie. Wenn aber das Handeln zwischen zwei oder mehr Lebewesen, von denen das eine ein Mensch ist, in Frage kommt, dann kann — ich sage nicht muß — eine sehr seltsame Ausnahme von dieser Rückbeziehung auf den Handelnden stattfinden. Es kann seitens des Menschen zu Handlungen kommen, die sich nicht auf das Wohl des Handelnden, sondern auf den normalen Zustand oder den Wunsch eines anderen Wesens beziehen. Diese Art des Handelns kann bis zur Vernichtung des Lebens des Handelnden führen, um den ,, anderen" zu retten. Was hier geschieht, steht zur Entelechie in demselben Widerspruch, in welchem Entelechie selbst zur Mechanik steht ; in gewisser Hinsicht zeigt es eine Älmlichkeit mit dem Instinkt. In diesen wenigen Worten haben wir die Kennzeichen des Ethischen skizziert — des Ethischen, soweit es als ein Phänomen der körperlichen Natur für einen Natur- forscheri) in Betracht kommt; und gleichzeitig, so scheint mir, haben wir jenen zweiten elementaren Faktor, neben ^) Moralität gehört also auch zur „Natur" und ist ihr nicht, wie viele Philosophen wollen, durchaus fremd. Wir kommen hierauf zurück. 118 Die Handlung. bloßem Handeln, aufgedeckt, den wir für eine vollständige Lehre von den elementaren Agentien, auf welche sich die Geschichte und das soziale Leben der Menschheit aufbauen, noch gebrauchten. Geschichte und ihre Ergebnisse sind also zwar für sich genommen bloße Kumulationen; aber sie sind Kumulationen, entstanden durch eine dauernde Wechselbeziehung zwischen dem entelechialen Leben in allen seinen Formen und der Moralität. Es ist nicht ohne Bedeutung, bei dieser Gelegenheit kurz zu bemerken, daß die Rolle, welche die allgemeine Moralität oder vielmehr, welche moralisch handelnde Individuen in der Geschichte spielen, eine außerordent- liche Wirkung selbst dann haben könnte, wenn es sich eines Tages herausstellen sollte, daß die Geschichte doch wahre evolutive Momente enthält. Die Moralität, als das allgemeine Gesetz, welches in gewissen Fällen die Hand- lungen zwischen wenigstens zwei lebenden Wesen reguliert, könnte nämlich einer ,, Evolution" entgegenwirken und sie zum Stillstand bringen. Sie würde das tun, sobald eine ,, Evolution" durch unethische Phasen hindurchführen würde. Angenommen, ein evolutiver Prozeß irgendwelcher Art könnte sich nur durch Krieg oder Revolution ver- wirklichen, die Majorität eines Volkes verwürfe aber Krieg oder Revolution aus ethischen Gründen: dann wäre die Evolution zugunsten der Moralität zu Ende gebracht. Wir haben hier von der Möglichkeit gesprochen, daß die Geschichte gewisse evolutive Momente enthalten möchte. Wäre sie durchaus Evolution, dann wäre alle ,, Moralität" natürlich nur scheinbar; dann gäbe es in Wahrheit gar nicht so etwas wie die Beziehung zwischen zwei ,, Indivi- duen", dann gebe es e i n ,,Superindividuum" und dieses würde die biologischen Individuen als seine ,, Mittel" brauchen^). ^) In diesem Falle würde das moralische Fühlen selbst der Evolution unterworfen sein, was ich persönlich — soweit das Wesentliche des Ethischen in Frage kommt — freilich nicht glaube. Die Handlung. 119 Moralität scheint, ebenso wie wahres abstraktes ,, Denken", auf das Handeln des Menschen beschränkt zu sein und ihn ebenso grundlegend wie dieses von den Tieren zu scheiden. Doch richtet sie sich nicht nur auf Menschen, sondern kann sich auch auf Tiere beziehen. Inwieweit die Instinktbewegungen — und wohl gar auch die Handlungen — gewisser höherer Insekten etwa ,,mora- hsch" zu nennen wären, entzieht sich erklärlicherweise unserem Urteil. Daß alle Arten von K um ulationen durch Ethisches beendet werden können, ist zu offenkundig, um nähere Ausführung zu benötigen. — Das Problem des Inhalts der „Ethik" liegt übrigens jenseits der Grenzen dieses Buches. Scliluß der Abteilung A. Unsere Übersicht über die wichtigsten theoretischen Ergebnisse der Biologie als einer Naturwissenschaft ist jetzt beendet; die Analyse dieser Resultate selbst kann beginnen und soll uns in der Tat im weiteren Verlauf dieses Werkes allein beschäftigen. Keiner, so hoffe ich, wird uns vorwerfen, daß wir den Begriff ,, Biologie" in zu engem Sinne gefaßt haben; im Gegenteil, viele werden vielleicht sagen, daß gar za viele Probleme von uns als Objekte der biologischen Natur- wissenschaft gefaßt wurden, wie z. B. die Geschichte und Kultur und Moralität der Menschheit. Aber ich meine, die Biologie muß als die Naturwissenschaft von allem Belebtem und von allen Phänomenen, die sich irgendwie auf Leben beziehen, angesehen werden; soweit wenigstens, als dieselben als Zustände und Veränderungen räumlicher Körper definiert werden können ; und alle von uns erörterten Tatsachen konnten so definiert werden. Es folgt aus der großen Mannigfaltigkeit der biologi- schen Gegenstände, daß eine vollständig verstandene Biologie mit vielen Sonderwissenschaften in Berührung kommt und jeder einzelnen etwas entlehnen muß; nur dann kann die Biologie vollständig heißen; nur dann ist sie ein für eine wahre Philosophie des Organischen wohl vorbereitetes Material. Nur ein einziges Gebiet problematischer biologischer Phänomene ist in diesem Werke gar nicht in Erwägung gezogen worden, da mir hier persönliche Erfahrung gänzlich abgeht. Ich denke an die sogenannten ,, spiritistischen" ScMuß der Abteilung A. 121 oder besser mediumistischen Phänomene, von denen ein gewisser Teil, die sogenannte Telepathie, neuerdings wohl wirklich der Wissenschaft angehört. Die ,, Society for psychical research" hat hier durch kritische Sichtung des Überlieferten viel getan^) : schon auf Grund ihrer Darlegun- gen konnte man kaum umhin, die Telepathie für eine Tat- sache zu halten; die Versuche Na um Kotiks^), Forschungen von ganz grundlegender Bedeutung, haben neuerdings nun dem hypothetisch Wahrscheinlichen wohl den experimentellen Nachweis des Faktischen hinzugefügt. Es scheint mir wenigstens kein Grund vor- zuliegen, die sehr umsichtig ausgeführten Forschungen K o t i k s anzuzweifeln ; freilich wäre eine kritische Nachprüfung seitens anderer Forscher natürlich sehr erwünscht. Es muß nun besonders hervorgehoben werden, daß diese ganz neuen, oder besser ganz neu bekanntgewordenen Natur- tatsachen das Problem des ,, Vitalismus" nicht eigentlich berühren. Bereits in der englischen Ausgabe 3) dieses Werkes sprach ich die Vermutung aus, daß es sich bei der Tele- pathie — ihre Tatsächlichkeit zugegeben — um ,,ein Strahlungsphänomen, der drahtlosen Telegraphie vergleich- bar", handeln könnte. ,,Das einzige Neue", so sagte ich, ,, würde dann die Fähigkeit des Menschen sein, bestimmte Teile eines Gehirns willkürlich in einen besonderen (,, strah- lenden") Zustand zu versetzen, wie er das mit seinen Muskeln vermag. Das wäre wenigstens die einfachste Theorie, wobei freilich die Möglichkeit, daß auch Anderes, ganz Rätselhaftes in Betracht käme, zuzugeben bliebe*). Dasjenige, was wir, mit S e m o n , Engrammata nannten^), würde wohl das ^) Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Frank Podmore, „Studies in Psychical Research". London 1897. 2) Die Emanation der psychophysischen Energie (Grrenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, Nr 51). Wiesbaden 1908. Daselbst weitere Literatur. 3) Band n S. 122 Anm. *) Vgl. den Schluß von Podmores Buch. 5) Vgl. S. 94. 122 Schluß der Abteilung A. bei der Telepathie eigentlich Übertragene sein." Ich bm erfreut, an dieser Annahme nach Lektüre der grundlegenden Arbeit K o t i k s nicht Wesentliches ändern zu müssen, freilich käme auf Grund seiner Versuche noch die Möglich- keit einer Affektion anorganischer Dinge, wie eines Blattes Papier, durch die Hirnstrahlen und damit deren mittel- bare Übertragbarkeit hinzu ; auch handelt es sich nicht eigentlich um ,, Willkürliches", sondern, psychologisch ge- sprochen, um ,, Unterbewußtes". Aber den Vitalismus be- rührt jedenfalls die Telepathie nicht im Sinne eines neuen mechanistisch unanalysierbaren Datums ; nur neue ,, Mittel" des Lebens sind bekannt geworden. Mit dem Gesagten hängt zusammen, daß ich mit K o t i k s', unter 0 s t - w a 1 d schem Einflüsse stehenden Einführung einer ,,psycho- physischen Energie" nicht einverstanden sein kann; eine Energie ist nie ,, psychisch". Doch davon wird im Verlauf des weiteren noch genugsam zu reden sein. Abteilung B. Philosophie des Organischen. Einleitende Bemerkungen. 1. Yom Begriff der NatnrpMlosopliie. Naturphilosophie nennen wir die Lehre von dem allgemeinen Schema der Natur, soweit es dem Wesen des Denkens zugeordnet ist, und von der Bedeutung dieser Zuordnung. Die Philosophie der Natur erhielt ihre moderne Grundlage durch die analytische Arbeit Kants und seiner Nachfolger, obschon Kant selbst, durch seine Begriffe der Kategorien und des Apriori, nur zeigte, mit welchen Mitteln eine solche Philosophie der Natur aufzubauen sei. In der Beantwortung der einen seiner grundlegenden Fragen: ,,Wie ist reine Naturwissen- schaft möglich?", zeigteer, daß sie wirklich möglich ist auf Grund gewisser Eigentümlichkeiten des Denkens hin- sichtlich der Bildung gewisser Begriffe und Relations- prinzipien. Diese Begriffe und Prinzipien sind ,,a priori" oder von selbst einleuchtend, d. h. sie können nicht ge- leugnet werden, wenn ihre Bedeutung einmal verstanden ist, obschon sie nicht allein auf dem logischen Prinzip des Widerspruchs ruhen. Schellin g und Hegel und in gewisser Hinsicht auch Schopenhauer versuchten die Weiterbildung der Gedanken K a n ts ; leider waren aber die beiden erstgenannten Philosophen wenig kritisch in ihrer Ab- leitung, und so wurde denn die gesamte Naturphilosophie unter ihren Händen mehr oder weniger phantastisch. Das hat sehr bedauerlich auf das philosophische Verständnis der Natur in unserer Zeit nachgewirkt. Die Natur philo- 126 Vom Begriff der Naturphilosophie. Sophie, im wahren Sinne des Worts, ist völlig in Mißkredit geraten: eine Periode des reinen Empirismus löste die Periode der Naturphilosophie ab; ja mehr als das: es herrschte nicht nur das Bestreben, empirische Kenntnis zu erwerben, was ja an und für sich nur von Nutzen ge- wesen wäre, sondern es herrschte die Überzeugung, daß etwas anderes als Empirie überhaupt gar nicht möglich wäre. Eine solche Überzeugung herrscht auch noch heutzutage in weiten Kreisen, und ich brauche hier nur die Namen Mach, Clifford, Pearson und Ostwald zu nennen, um Sie an diese Sachlage zu erinnern und um Ihnen gleichzeitig die merkwürdige Tatsache vor Augen zu führen, daß die Männer der Wissenschaft, welche den empiristischen Standpunkt vertreten, als Wissen- schaftler zu den Besten unserer Tage gehören. Trotzdem ist es aber meine feste Überzeugung, daß eine so enge Auffassung der Naturwissenschaft falsch und unvollständig ist, und daß die Arbeit von Schelling und Hegel ihre Berechtigung und ihren Wert hatte, wenigstens soweit als ihre Absicht in Frage kommt. Es kann eine Naturphilosophie auf den Grundlagen des Kritizismus geben, und sie kann ein wahres System der Natur aus dem Wesen des Denkens heraus entwickeln, ohne sich phantastischer Einbildung zu bedienen; und es wird eines Tages ein solches System geben, es wird ein wahres System geben, welches den Namen ,, Natur- philosophie" im eigentlichen Sinne des Wortes verdient. Im Englischen bedeutet ,, Natural Philosophy" soviel wie mathematische Physik. Das ist insofern berechtigt, als ein großer Teil der theoretischen Physik in der Tat auf Prinzipien ruht, welche wahrhaft naturphilosophischer Art sind, mögen viele Physiker das auch nicht zugeben. Die Verwendung des Wortes ,, Natural Philosophy" als identisch, mit mathematischer Physik ist aber insofern irreleitend, als in der mathematischen Physik auch viele empirische Prinzipien in Frage kommen, deren Folgerungen Tom Begriff der Naturphilosophie. 127 allein mathematisch entwickelt werden. Darlegungen dieser Art gehören natürlich nicht einer wahren Natur- philosophie an. Im folgenden werden wir uns nun mit der Philo- sophie des Organismus beschäftigen; erwarten Sie aber nicht ein vollständiges philosophisches System des Lebens in dem, was hier folgen soll; Sie würden sehr enttäuscht werden, wenn Sie das täten. Ich werde in der Tat in dieser Abteilung meiner Vorlesungen zu zeigen versuchen, daß die Gesetze des Lebens, wenn wir sie überhaupt sollen begreifen können, so sein müssen, wie sie sind, daß unser Verstand uns das Verstehen anderer Gesetze nicht gestatten würde, daß er uns, wenn wir die Lebensgesetze noch nicht gefunden hätten, zwingen würde, gerade sie zu suchen, und daß er uns zwingt, die wirklichen Gesetze als endgültig anzuer- kennen, sobald ihre Bedeutung einmal begriffen worden ist. Aber ich werde das alles erst am Ende einer ziemlich langen Erörterung zeigen, am Ende einer Erörterung, welche sich sozusagen halbwegs zwischen theoretischer Wissenschaft und systematischer Philosophie bewegen wird. Für ein wahrhaft vollständiges philosophisches System des Organismus ist die Zeit nicht reif; ein solches erfordert heute noch eine große Zahl vorläufiger Diskussionen. Ich selbst wenigstens fühle mich außerstande, Ihnen ein solches System ohne eine große Anzahl von Vorbereitungen dar- zulegen. Ich will daher mit der Erörterung gev/isser Bruchstücke eines künftigen vollständigen Systems der philosophischen Biologie, oder vielmehr mit gewissen Erwägungen in bezug auf ein solches System beginnen; und erst, wenn das geschehen ist, will ich versuchen, den Umriß dessen zu skizzieren, was wirklich den Namen einer reinen Philosophie des Lebens und des Organismus verdient. Unsere erste Aufgabe ist nun noch beschränkter: wir müssen zunächst die allgemeinen Begriffe, die wir durch die Analyse biologischer Tatsachen erworben haben, mit Teilen des philosophischen Systems der anorganischen 128 Vom Begriff der Naturphilosophie. Welt in Verbindung setzen, wenigstens mit einigen be- sonderen Begriffen und Gesetzen, die in diesem System einen besonders bedeutsamen Platz einnehmen. Unsere Zeit ist natürlich zu beschränkt, als daß wir selbst ein System des Anorganischen hier entwickeln könnten; denken wir uns, es sei fertig und vollendet; diejenigen seiner Teile, welche wir benutzen werden, sind derart, daß Sie alle leicht ihre Bedeutung verstehen können, auch wenn Sie vielleicht für Einzelheiten halten, was in Wahrheit Teile einer großen Einheit und Totalität sind. 2. Vom Begriffe der Teleologie. Wir beginnen unsere philosophische Analyse mit einer Zusammenfassung der allgemeinsten Ergebnisse des wissenschaftlichen Teils dieser Vorlesungen in einer neuen Form und Terminologie. Das ^vird uns zur Erörterung eines Begriffes führen, der in der üblichen Logik und Ontologie eine sehr wichtige Rolle spielt, eines Begriffes, den die einen für eine wahre Kategorie halten, während andere ihm einen bloß regulativen und heuristischen Charakter zugestehen. Viele von Ihnen werden sich wohl schon gewundert haben, daß in allen unseren Darlegungen der Gebrauch eines gewissen Begriffes durchaus vermieden wurde, obwohl das meiste an unseren Darlegungen sich eigentlich auf die Bedeutung dieses Begriffes bezog. Ich denke an den Begriff ,,T e 1 e o 1 o g i e"; die Worte ,, Teleologie" und ,, teleologisch" sind nicht ein einziges Mal von uns verwendet worden i), und trotzdem haben wir uns fast ausschließlich mit Phänomenen be- schäftigt, die im höchsten Sinne teleologisch oder ,, zweck- mäßig" waren. Teleologie im allgemeinen. Beginnen wir unsere Untersuchung mit einigen analy- tischen Worten über Teleologie, ohne fürs erste die wahre logische oder ontologische Natur dieses Begriffes zu unter- suchen. 1) Nur referierend haben wir einmal, in bezug auf Gedanken G. Wolffs, das Wort „Zweckmäßigkeit" gebraucht. Driesch, Philosophie. U. 9 230 Vom Begriffe der Teleologie. In der üblichen Sprache und auch in der Wissenscha,f t , solange sie rein beschreibend ist, wird das Wort ,, zweck- mäßig" auf Verhältnisse sehr verschiedener Art angewendet. Der menschliche Fuß ist zum Gehen sehr zweckmäßig, die Flügel der Vögel sind es zum Fliegen; der Prozeß der Regeneration des Regenwurms ist zweckmäßig, und das ist auch die einem Schlangenbiß folgende Bildung von Anti- toxin; das Insekt Plij^^llum hat eine für den Schutz gegen Feinde sehr zweckmäßige Form und Farbe; aber auch das moderne Eisenbahnsystem ist sehr zweckmäßig; der Aufzug ist ein sehr zweckmäßiges Ding; und von einem Manne, der in drei Jahren sein Vermögen verdoppelte, sa-gt man auch, daß er gelegentlich sehr zweckmäßig gehandelt haben muß; während wiederum der Arzt zweckmäßig handelt, wenn er durch eine Operation seinen Patienten vom Tode errettet. Es kann nach diesen Proben wohl nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß das Wort ,, zweckmäßig" wissen- schaftlich nur nach einer sehr gründlichen Klärung ver- wendet werden kann. Vermeiden wir es zunächst einmal gänzlich für die Bezeichnung bloßer Anordnungen oder Zustände : eine Maschine irgendwelcher Art ist also nicht zweckmäßig, sondern ist ,, praktisch"; sie könnte in gewissem Sinne ,,ein Zweck" heißen: und sie ist dann ,, praktisch", wenn sie den Ablauf solcher Ereignisse erlaubt, welche irgendwie ,, zweckmäßig" sind. Also nur Ereignisse sollen ,, zweckmäßig" heißen. Wann ist nun aber ein Ereignis zweckmäßig und wann nicht ? Um die eigentliche Bedeutung des Begriffs ,, zweck- mäßig" zu verstehen, müssen wir von unseren eigenen Handlungen ausgehen; auf diese nämlich bezieht sich der Begriff ,, zweckmäßig" ursprünglich allein. Wir werden uns hier auf einer Bahn des Denkens bewegen, die uns später zu sehr wichtigen Folgerungen führen wird, die wir aber gegenwärtig nur beschreiten, um eine klare Termino- Vom Begriffe der Teleologie. 131 logie zu gewinnen. Mein Handeln ist „zweckmäßig", wenn es dazu dient, herbeizuschaffen, was mir gefällt, oder wegzuschaffen, was mir mißfällt. Der ,, Zweck" meines Handelns ist immer ein gewisser Zustand der Außenwelt, welcher ,,da sein sollte", in gewissen besonders scharf aus- geprägten Fällen, also z. B. eine Maschine; er ist immer außerhalb bezüglich meiner selbst, und so kann der Begriff eines ,, Selbstzwecks" von vornherein abgewiesen werden. Mein Handeln auf einen Zweck hin gründet sich stets auf Kenntnis der ,, Mittel", welche zur Erreichung dieses Zweckes dienen, und auf ein Urteil über das , .Passen" dieser Mittel. Von hier führt uns nun nur ein Schritt dazu, die Hand- lungen anderer Menschen zweckmäßig zu nennen : ein anderer Mensch handelt zweckmäßig, wenn ich ihn so handeln sehe, daß ich mir denken kann, ich handelte wie er unter ähnlichen Bedingungen, d. h. wenn ich mir denken kann, daß unter den Umständen, unter denen sich da,s andere menschliche Wesen befindet, m i r etwas gefallen oder mißfallen würde, und daß ich handeln würde in einer Weise, welche es herbei- oder fortschafft. Daraus folgt, daß Zweckmäßigkeit im Handeln anderer Menschen stets lediglich nach Analogie beurteilt wird. Das gilt nun auch in bezug auf höhere Tiere: auch die Handlung eines Affen oder Hundes ist mir daher in gewisser Weise verständlich. Alles wird aber viel schwieriger, sobald wir uns den niedersten noch als ,, handelnd" betrachteten Organismen zuwenden, so wie dem Prozesse der Formbildung und des Stoffwechsels : wann haben wir hier ein Recht, von zweck- mäßigen oder teleologischen Vorgängen zu sprechen, und wann nicht ? Bloße Analogie würde hier die Anwendung des Begriffes nicht rechtfertigen, denn wir können uns nicht in die Lage eines Molches versetzen, welcher seinen Fuß regeneriert; einmal nämlich können wir unseren Fuß überhaupt nicht wieder bilden, wenn wir ihn durch einen Unfall verloren haben, und zweitens würde, auch wenn unser Körper ihn 9* 132 Vom Begriffe der Teleologie. wieder bilden könnte, das doch wahrscheinlich „unbewußt" vor sich gehen. Wir müssen uns also nach einem anderen Kriterium der Teleologie umsehen, ohne daß wir damit freilich die Analogie zu unserem eigenen Handeln ganz außer Sicht lassen wollen. Es würde nun, wie mir scheint, nicht das Rechte treffen, physiologische und morphogenetische Prozesse nur deshalb teleologisch zu nennen, weil sie den Organismus bilden und erhalten helfen; damit wäre nämlich nicht gesagt, daß es etwas gibt, was erhalten und gebildet werden sollte. Wir blicken tiefer in die Natur des individuellen Organismus, wenn wir uns daran erinnern, daß der Orga- nismus vom Typus einer aus einfachen Elementen auf- gebauten spezifischen Konstellation, und daß er in u n - zähligen Exemplaren verwirklicht ist. Und diese Exemplare sind, um einen Ausdruck K a n t s zu gebrauchen, wechselseitig ,, Ursache und Effekt" voneinanderi). Eben deshalb nannte Kant die Organismen ,, Naturzwecke". Wir werden nun Kants Terminologie zwar nicht an- wenden, halten aber seine Darlegung für wichtig. Jeder organische Prozeß, sei er formbildend oder funktionell, ist in der Tat deshalb ,, zweckmäßig", weil er eine spezifische Konstellation bilden und erhalten hilft, welche in unbe- schränkten Exemplaren auftritt, und deren Besonderheit keinen anderen Grund hat als das Dasein einer vorher- gehenden Besonderheit des gleichen Typus; nur aus diesem Grunde ist ein organischer Prozeß ,, teleologisch". Denn nur auf dieser Basis läßt sich hier eine Analogie mit Prozessen gewinnen, auf welche das Prädikat teleologisch oben bereits angewendet worden ist, mit jenen Prozessen nämlich, welche zu den als ,, Maschinen" be- zeichneten unbeschränkt vielen Exemplaren spezifischer Konstellationen führen, oder zu Gegenständen der Kunst ^) Bei Kant ist freilich dieser Ausdruck nicht nur genetisch gemeint („Der Baum erzeugt sich der Gattung nach"), sondern soll auch das bezeichnen, was wir „Funktionalharmonie" (Band I, S. 109) nennen. Vom Begriffe der Teleologie. 133 und Industrie, eine Analogie also zu den Prozessen des menschlichen Handelns. Die Organismen erscheinen also, in gewisser Hinsicht wenigstens, als ,, Zwecke", ebenso wie die Effekte des Handelns, und deshalb sind die zu ihnen führenden Pro- zesse zweckmäßig. Damit, daß wir gewisse Körper in der Natur als Zwecke ansehen, kehren wir also zur Analogie mit unserem eigenen Handeln zurück; wir sagen, daß wir uns vorstellen können, wir selbst wünschten die Existenz jener Körper, und zwar ihre ,, normale" Existenz. Es ist ohne Bedeutung für diese vorläufigen Erörterungen, daß Gegen- stände der Kunst oder Technik die ihnen eigene typische Konstellation aufs deutlichste von außen her, im räumlichen Sinne des Wortes, erha.lt en, während die Organismen sicher- lich nicht durch äußere räumliche Faktoren aufgebaut werden. Später werden wir diesem Unterschied die Be- deutung beimessen, welche ihm zweifellos zukommt; jetzt suchen wir uns nur eine passende Sprechweise. Man könnte unserer Darlegung erwidern, daß doch niemand Vulkane oder Kristalle als ,, Zwecke" bezeichnet, daß aber beide in unbeschränkt vielen Exemplaren vor- kommen. Vulkane stammen aber doch nicht voneinander ab, sondern entstehen aufs deutlichste in jedem Falle durch eine Kumulation äußerer physikalisch-chemischer Akte, und Kristalle sind nicht typisch zusammengesetzte Körper, wie sich später noch eingehender herausstellen wird. Daher entstehen weder Vulkane noch Kristalle auf Grund ,, teleo- logischer" Vorgänge. Unbeschränkt oft wieder- holte Körper müssen einen spezifischen zu- sammengesetzten Charakter besitzen und müssen von ihresgleichen herstammen, wenn die sie bildenden oder erhaltenden Prozesse ,, teleologisch" genannt werden sollen. Wir vermögen, so sagten wir, uns vorzustellen, daß wir selbst nicht nur die Existenz der Kant sehen ,, Natur- zwecke" in unzählbaren Exemplaren, sondern auch ihre normale Existenz wünschen; diese Unterscheidung bedarf 134 Vom Begriffe der Teleologie. weiterer Erläuterung. Man könnte ja, vielleicht sagen, daß nur die eigentlichen Regulationsprozesse, welche Abnormes wieder normal machen, teleologisch heißen sollen; wäre es aber nicht ganz ungerechtfertigt, diesen Namen den eigent- lich embryologischen Prozessen zu versagen, die doch auf Grund ihrer verschiedenen Arten von Harmonie das Dasein der organischen Körper in der allergrundlegensten Weise fördern ? Die Existenz dieser Körper als solche muß daher als Zweck der Natur gelten, wobei das Wort ,, Exi- stenz" die Regulation von Störungen einschließt. Nun wollen wir in unserer Anwendung des Wortes ,, teleologisch" auf Vorgänge in der Natur den letzten Schritt tun. Alle Vorgänge, welche zur Bildung irgend einer Art von Maschinen führen, sind zweckmäßig, denn sie sind menschliche Handlungen, die Maschinen selbst haben wir ,, praktisch" genannt: Alle diejenigen Prozesse nun aber, welche a n solchen Maschinen geschehen, wenn sie in Tätig- keit sind, sind wiederum , .zweckmäßig". Diese Art der Zweckmäßigkeit zu begreifen, ist nicht so schwierig, wie es anfangs vielleicht scheint. Zweckmäßigkeit tritt hier zwar seltsamerweise an anorganischen Körpern, aber doch eben an solchen, welche zur Gruppe der soge- nannten Artefakte gehören, auf. Und da ist es nun geradezu ein Teil der Definition einer Maschine, daß sie mensch- lichen ,, Zwecken" dient. So ist die Zweckmäßigkeit von Vorgängen an Maschinen in letzter Linie also eine bloße Folge der Zweckmäßigkeit des Handelns i). Es ist aber von Bedeutung, daß auf diese Weise der Begriff ,, teleologisch" auf anorganische Ereignisse übertragen ist. Erinnern wir uns stets des eigentlichen Charakters dieser Erörterung. Wir wollen hier nur die Frage beant- worten: Welche natürlichen Vorgänge verdienen irgendwie das seiner Bedeutung nach als bekannt vorausgesetzte Prädikat ,, teleologisch" ? Wir wollen nur diese termino- ^) Man vergleiche M. Hartogs treffende Ausführungen über Maschinen und das Organische. Contemp. Rev. April 1908 und Arch. Entw.-Mech. 27, 1909. Vom Begriffe der Teleologie. 135 logische Frage erledigen. Was Teleologie eigentlich bedeutet, geht uns hier noch gar nichts an. Von unserem bisher verwendeten Teleologie-Begriff gilt also der oft gehörte Satz, daß Teleologie nichts über die Art der Entstehung des mit ihrer Hilfe Beurteilten ausmache. Die beiden Klassen der Teleologie. Nun treten wir aber in eine weit wichtigere Erörterung ein: wir gehen von bloßer Terminologie zu ontologischen Problemen über. Wenn wir uns die teleologischen Vorgänge ansehen, die au. einer vom Menschen gebauten Maschine ablaufen, dann verstehen wir aufs Klarste und Deutlichste, wie ein Naturvorgang teleologisch oder zweckmäßig sein kann, und wie ja er doch gleichzeitig von rein mechanischer oder physikalisch-chemischer Art ist. Alle sich an mensch- lichen Maschinen abspielende Vorgänge sind in der Tat von dieser Art, mag die Maschine sein, wie sie will. Wir wissen, daß hier jeder einzelne Prozeß innerhalb der Gesamtheit der Leistungen der Maschine in seiner Einzelheit abläuft, und daß seine Zweckmäßigkeit oder Teleologie nur seinem Orte und seiner Stellung im Ganzen verdankt wird. Er ist nur deshalb zweckmäßig, weil er in dieser bestimmten Beziehung zu anderen einzelnen Vor- gängen steht, und aus keinem anderen Grunde. Wir wollen hier von einer statischen Teleologie oder von einer Teleologie der Konstellation sprechen. Nun tritt aber die wichtige Frage auf: Sind alle teleo- logischen Naturvorgänge vom statischen Typus, und was würde es heißen, wenn sie es nicht wären ? Natürlich könnten alle Arten von Naturvorgängen, welche zweck- mäßig, aber doch nicht die bloße Folge des Baues einer Maschine sind, ,,dynamisch -teleologisch" heißen. Wir haben nun in der ersten Abteilung dieses Werkes auf drei von einander unabhängigen Wegen bewiesen, 136 Vom Begriffe der Teleologie. daß es solche Vorgänge gibt, und zwar in den Organismen. Aus der Analyse der Differenzierung ,,harmonisch-äqui- potentieller Systeme" und der Genese .,komplex-äqui- potentieller Systeme", und aus dem intimen Studium der Handlung mit ihren Kriterien, der ,, historischen Reaktions- basis" und der ,, Individualität der Zuordnung" zwischen Ursache undW^irkung, haben wir gelernt, daß keine Maschine, sei sie so kompliziert, wie sie wolle, uns in den Stand setzen kann, zu verstehen, was hier im Organismus vor sich geht. Ein autonomer, nicht aus einer Kombination anderer Agentien resultierender, sondern in sich elementarer Naturfaktor war hier am Werk; dieser Faktor als solcher wirkte ,, teleologisch" : er mag daher jetzt ein dynamisch- teleologischer Faktor heißen. Es möchte scheinen, daß wir uns unsere Beweisführung leichter hätten gestalten können: hätten wir nicht nur zu sagen brauchen, daß die einzelnen a n einer Maschine ablaufenden Vorgänge zwar statisch-teleologisch seien, daß aber der Akt des Bauens der Maschine selbst- verständlich dynamisch-teleologisch sei, da er doch auf einem Willen beruht ? Ein solcher Beweis wäre freilich einfach, er wäre aber auch nicht sehr korrekt gewesen; denn wir schlössen psychologische Begriffe aus unserer rein naturwissenschaftlichen Erörterung aus. Nur mit naturwissenschaftlichen Mitteln mußten wir beweisen, daß eine statisch-teleologische Erklärung hier unmöglich sei, und ich hoffe, das ist uns gelungen. Nach dieser terminologischen Vorarbeit wollen wir nun dazu übergehen, zu untersuchen, was die Unmöglich- keit einer statisch -teleologischen Auflösung des Organischen bedeutet. Beginnen wir mit einer beschreibenden Auf- zählung der wichtigsten Kennzeichen unserer Entelechie. 3. Die Kennzeiclieii der Entelecliie. Extensive und intensive Mannigfaltigkeit. Entelechie ist einerseits die Grundlage des Ursprunges eines organischen Körpers, der sich typisch aus typischen Elementen aufbaut, andererseits ist sie die Grundlage der Handlung, d. h. einer typischen Kombination typischer Bewegungen. Entelechie resultiert also stets in einer Mannigfaltigkeit typischer Art, deren einzelne Elemente entweder räumhch nebeneinander oder zeitlich nach- einander oder beides sind, immer in typischer Ordnung. Wir wollen eine solche Mannigfaltigkeit, wie sie das Ergebnis einer Manifestation von Entelechie ist, eine extensive Mannigfaltigkeit nennen, und wollen nicht vergessen zu bemerken, daß alle Arten von Maschinen auch extensive Mannigfaltigkeiten in dieser Bedeutung des Wortes sind. Nun glauben wir bewiesen zu haben, daß Entelechie, d. h. der Grund des Ursprunges der eben erwähnten extensiven Mannigfaltigkeiten, seien sie Organismen oder Maschinen, nicht selbst hinwiederum eine extensive Mannigfaltigkeit vom Typus irgend einer Maschine sein kann. Mit anderen Worten: Der wirkliche Organismus, wie er sich der Beob- achtung darbietet, ist sicherlich eine Kombination von Einzelheiten, deren jede, wie bei einer Maschine, in physi- kalischen und chemischen Ausdrücken beschrieben werden kann, und auch alle Veränderungen dieser Einzelheiten führen zu Resultaten, welche in solcher Weise beschreibbar sind ; aber der letzte Grund des Ursprunges der Kombination und aller ihrer Veränderungen ist nicht J[38 I^iö Kennzeichen der Entelechie. wieder selbst ein Agens oder eine Kombination von Agentien, wie Physik und Chemie sie mis kennen lehren, sondern ruht auf Entelechie, und ebenso ist der letzte Grund des Ur- sprunges irgend einer Art von Maschine, welche ja das Ergebnis von Handlungen ist, nicht wiederum eine Maschine selbst. Wir wollen alle Arten von Entelechien oder Psvchoiden intensive Mannigfaltigkeiten nennen ; freilich enthalten sie etwas ,, Mannigfaltiges", aber die Elemente dieser Mannigfaltigkeit sind weder räumlich nebenein- ander, noch zeitlich nacheinander. Wir können sagen, daß Entelechie in Gedanken mannigfach, als Natura,gens aber einfach sei. Als intensive Mannigfaltigkeit gehört Entelechie der allgemeinen Sphäre der dynamischen Teleologie an : in ihrer Leistung liegt etwas Teleologisches; mag diese Leistung sich auf den normalen Zustand eines individuellen Organismus mit Bezug auf Form oder Funktion richten — wobei die räumliche Existenz überhaupt mit unter den Begriff des ,, Normalen" fällt — oder mag sie, wie beim eigentlichen Handeln, die Grenzen bloßer Normalität überschreiten. Handeln, die Leistung des ,, Künstlers" im weitesten Sinne, ist nicht räumlich, sondern schafft Räumliches, und Entelechie schafft durch den Künstler. Hier begegnen wir wiederum dem Unterschied zwischen einem Produkt der Entelechie, welches selbst ein Manifesta- tionsort von Entelechie ist, dem Organismus, und einem Produkt der Entelechie, welches eine Maschine ist und unfähig, weitere entelechiale Akte zu leisten: ,,Die Tätigkeit ist in ihr Produkt übergegangen", um einen H e g el sehen Ausdruck zu gebrauchen. Wir werden später auf diesen Punkt zurückkommen. Noch einmal sagen wir, daß weder Entelechie noch Psychoid ,, psychischer Natur" sind: in der psychischen Sphäre gibt es für den idealistischen Philosophen nur mein Ich. ,,Ich" habe Empfindungen und Gefühle und Urteile und Wünsche, die Natur aber, als das Objekt meines Wahrnehmens und Urteilens und Wünschens, hat nur Die Keunzeichen der Entelechie. 139 Agentien oder Faktoren, die sich auf ihren Bau und den Typus ihrer Veränderungen beziehen; Entelechien und Psychoide gehören zu diesen Faktoren. Freilich haben wir gelegenthch der Psychologie analy- tische Ausdrücke entlehnt, um diese Agentien analogien- haft zu beschreiben, und wir werden das auch wiederum tun. Unsere Absicht dabei aber war und wird nur die sein, die Analyse der Art und des Grades der in der Ente- lechie beschlossenen Mannigfaltigkeit zu ermöglichen; denn diese Art und dieser Grad von Mannigfaltigkeit ähnelt zu einem großen Teil der Mannigfaltigkeit des gesamten psychischen Phänomens. Auf diese Weise wird Psycho- logie uns eine Methode. Zu einem eingehenderen Studium der Natur der in die Entelechie einbeschlossenen Mannigfaltigkeit ist es nun geraten, die verschiedenen Typen von Entelechien danach zu sondern, ob sogenannte ,, Erfahrung" bei ihnen eine Rolle spielt oder nicht: die Entelechien der Form- bildung und des Instinktesi) entbehren des Kriteriums der historischen ,, Reaktionsbasis", die Psychoide be- sitzen es. Sekundäres und primäres Wissen und Wollen. Von der Rolle derjenigen intensiven Mannigfaltigkeit, welche in P s y c h o i d e n vorliegt, ist es nicht schwer, si?h einen klaren Begriff zu bilden. Wir bedienen uns hier der psychologischen Analyse. Wir brauchen in der Tat bloß solche Begriffe, wie ,, wahrnehmen", ,, gefallen", ,, urteilen", ,, wollen" auf ein Psychoid inüber tragener Bedeutung anzuwenden und wir haben ein gutes Bild dessen, was bei jedem Naturvorgang, an welchem ein Psychoid beteiligt ist, vorliegt — natürlich nur ein Bild im rein beschreibenden Sinne des Wortes. ^) Vorausgesetzt, daß beim Instinktleben „Entelechie" in Frage kommt. Vgl. S. 48. 240 i^ie Kennzeichen der Entelechie. Wir wollen nun bei allen denjenigen Akten eines Psychoids, welcher auf Grund seiner historischen Basis, seiner ,, Erfahrung", vor sich gehen, von sekundärem WissenundWollen sprechen. Diese beiden psycho- logischen Begriffe genügen zur Beschreibung des Geschehens, da, wie aus der Psychologie bekannt ist, ,, Gefallen" und ,, Urteilen" — letzteres mit Rücksicht auf die ,, geeignetsten" Mittel unter denen, die überhaupt bekannt sind — niemals fehlen, sobald irgend ein Akt des Wissens oder Wollens ins Dasein tritt; die elementaren psychischen Funktionen sind ja tatsächlich untrennbar und können nur in Gedanken geschieden werden; einige von ihnen nennen heißt daher für die Zwecke unserer Analogie alle nennen. Unsere Anwendung des Wortes ,, sekundär" auf gewisse Charaktere der Mannigfaltigkeit des einen Entelechie- typus, des Psychoids, scheint nun einzuschließen, daß es auch gewisse ,, primäre" Kennzeichen ähnlicher Art gibt ; das Studium dieser primären Kennzeichen der Entelechien wird sich weit schwieriger gestalten. Zunächst verdient es Beachtung, daß nicht nur die Entelechie der Formbildungen, des Stoffwechsels und des Instinkt primäre Charaktere besitzt, sondern in gewisser Hinsicht auch die Psychoide. Daß erstere Entelechiearten sie besitzen müssen, ist als Faktum ohne weiteres klar; die Manifestationsarten dieser Entelechien sind ja eben ,, primär", sie geschehen entweder überhaupt nicht oder cfleich das erste Mal vollendet; alle Arten von Resti- tutionen und Instinkten sind Beispiele dieses primären Charakters, auf den wir alsbald zurückkommen werden. Aber wie könnten wohl ,, sekundäre" Fähigkeiten bei der anderen Klasse der Entelechien, den Psychoiden mit ihrer historischen Reaktionsbasis, überhaupt auftreten, wenn diese Entelechien nicht auch primäre Fähigkeiten besäßen ? Hier begegnen wir einem grundlegenden Problem der Erkenntnistheorie in seiner biologischen Form. Die er- kenntniskritische Frage Kants war: ,,Wie ist Erfahrung Die Kennzeichen der Entelechie. 141 möglich V — die biologische Frage ist : ,,Wie sind die sekun- dären Fähigkeiten der Psychoide möglich?" Auch hier kommen wir natürlich über Analogien nicht hinaus i). Wir können sagen, daß, um zu urteilen und zu wissen, der allgemeine Typus des Urteilens und des Wissens gegeben sein muß. Und gleiches gilt für Analogien zum Wollen: Was gewollt wird, ruht auf Erfahrung, aber das Wollen selbst ist primär. Und ferner ist der Effekt, welcher ,, bewußt" in ,, sekundärer" Form gewollt wird, auf Grund von Erfahrung, stets ein gewisser Zustand der Außenwelt, dieser Zustand wird aber keineswegs unmittelbar erreicht; er wird erreicht durch Muskelbewegungen, welche ihrer- seits von spezifischen Innervationen abhängen. Nun weiß aber das unwissenschafthche Denken von ,, Inner- vationen" ganz und gar nichts und es ,,wiH" keineswegs Innervationen. Sie geschehen aber — auf ,, unbewußte" Weise — und diese Tatsache stellt es wohl über allen Zweifel, daß primäres Wissen und Wollen bei jeder Art des Handelns beteiligt ist. Die Fähigkeit der Innervation ist primär. Soweit bestehen kaum ernstliche analytische Schwierig- keiten; das Problem wird aber sehr kompliziert, sobald wir uns von den Tatsachen zu ihrer Erklärung wenden, ^) Ich benutze diese Gelegenheit zu der Bemerkung-, daß Jennings im Unrecht ist, wenn er glaubt, bei den ümkehr- bewegungen des Seesterns könne Entelechie deshalb jedenfalls nicht als etwas Endgültiges oder Letztes beteiligt sein, weil diese Reak- tionen in ihrer Sonderheit auf der „past history" des Individuums beruhen. Er trennt die ,, primären'- und die ..sekundären" Kenn- zeichen eines entelechialen Faktors, oder besser eines „Psychoids", nicht scharf genug. Wenn die Umkehrbewegungen instinktiv wären, würde nur primäres „Wissen und Wollen" in Frage kommen; Jennings hat nun gezeigt, daß sie auf „Erfahrung" beruhen, und hält deshalb Entelechie für nichts Elementares. Die Möglichkeit ihres von der „past history'' Beeinflußtwerdens schheßt aber gerade die Existenz eines neuen elementaren Naturagens ein. ,, Sekundäres Wissen und Wollen*' (d. h. „Erfahrung-' oder die „historische Basis") schließt nämlich „primäres Wissen und Wollen" (d. h. die Mög- lichkeit, eine besondere „historische Basis" zu erwerben) ein. 142 I^^^ Kennzeichen der Entelechie. sobald wir zumal die Bedeutung der primären Fähigkeiten derjenigen Enteiechien erforschen, bei denen eine historische Basis überhaupt keine Rolle spielt. Bei der Analyse der fundamentalen Eigenschaften der morphogenetischen, adaptiven und instinktiven Enteiechien befinden wir uns in der Tat in einer sehr mißlichen Lage: denn es muß hier etwas geben, das nicht nur eine Analogie zu Wissen und Wollen im allgemeinen aufweist, wir wie es ja auch für die primären Fähigkeiten der Psychoide annehmen müssen, sondern zu dem Wollen spezifischer, noch nicht erfahrener Wirklichkeiten, und zu dem Wissen über die spezifischen Mittel, die zu ihrer Erreichung dienen. Wir sind aber ganz und gar außer- stande, ein solches spezifisches primäres Wissen und Wollen auch nur im geringsten zu verstehen i). An diesem Punkte tritt der Unterschied zwischen dem ,, Bewußten" und dem ,, Unbewußten" auf, wenn wir für einen Augenblick Eduard von Hartmanns Terminologie uns zu eigen machen. Wir schließen uns dieser Terminologie nicht endgültig an, aber die von ihr ausgedrückten Unter- schiede sind wirkliche Unterschiede. Hier begegnet zweifellos der Vitalismus seinen größten Schwierigkeiten; gerade hier ist es, wo so viele sich außer- stande erklären, die vital istische Theorie anzunehmen. Ganz gern würden sie die Lehre von der Autonomie des Lebens annehmen, soweit Psychoide in Betracht kommen, soweit die historische Reaktionsbasis, d. h. sekundäres Wissen und Wollen, eine Rolle spielen. Sie behaupten aber,, autonome teleologische Agentien, welche diese sekundären Fähigkeiten nicht besitzen, nicht zulassen zu können. Schneider, Pauly, Strecker und einige andere moderne Autoren, nicht aber R e i n k e , vertreten solche 1) Wer hier von „vererbter Erfahrung" reden würde, würde nur das Problem in anderer Form aufstellen. Abgesehen davon liegen zurzeit für die Annahme einer solchen Vererbung in all- gemeinster Form keine hinreichenden Gründe vor. Vgl. Bd. I S.276ff.^ Die Kennzeichen der Entelecbie. 243 Ansicht 1); Kant dachte wohl ähnhch, denn er Heß das Problem des eigentlichen Vitalismus offen und ver- trat für die Formbildung und den Stoffwechsel nur eine formale Teleologie, während er die Lehre von der so- genannten psychophysischen Wechselwirkung nicht durch- aus ablehnte 2). Es ist nun aber meine feste Überzeugung, daß wir ge- zwungen sind, vitalistische autonome Agentien zuzu- lassen, welche keine Erfahrung, cl. h. keine ,, sekundären" Fähigkeiten, besitzen und doch mit spezifischem ^) Wenigstens scheint mir das daraus hervorzugehen, daß die Genannten ihren Yitalismus ausgesprochenermaßen ,, psychisch" aus- deuten. Das soll doch wohl auf jeden Fall bedeuten: zwar nicht ganz so wie das „Seelische" beim Menschen, aber doch ihm wesens- ähnlich. Primäres Wissen und Wollen ist unserer „Seele" aber durchaus nicht wesensverwandt, es sei denn bezüglich des einen negativen Punktes, daß beide Male prinzipiell nicht Anorganisches in J^'rage kommt. Zur Kennzeichnung der „sekundären" Fähigkeiten der Psychoide hätte die Heranziehung des Wortes „psychisch" immer noch einen guten Sinn, obwohl ich es in einer naturwissenschaftlichen Betrachtung überhaupt nicht liebe. Aber etwa die Restitution „psychobiologisch" aufzufassen, geht wirklich nicht an: E|ntweder man sagt damit, daß sie auf „Erfahrung" beruhe, und das tut sie ganz sicher nicht. Oder man nennt „psychisch" ein Etwas, das in einem ganz wesentlichen Punkte „unserer Seele" unähnlich ist. — Dieses an die Adresse der „Psychobiologen", mit denen ich meinerseits sehr gern zu einer Verständigung käme, denn in vielem sind unsere Ansichten einander ähnlich. Freilich täten die ,,Psycho- vitalisten" gut daran, es mit dem Beweisen etwas strenger zu nehmen und sich um den kritischen, nicht ,, psychischen" Vita- lismus etwas mehr zu kümmern, als es der Fall ist; die bloße An- wendung des Wortes „psychisch" nützt gar nichts. Wenn Pauly, nach Art des falschen Vereinfachungsmonismus, Organisches und An- organisches vermengen will, wenn er z. B. das Seelische ausgedehnt nennt usw., so stehe ich dem freilich, wie aus dem Folgenden noch hervorgehen wird, durchaus ablehnend gegenüber. Ihre „monistischen" Neigungen sollten die Psychovitalisten lieber durch den Versuch ersetzen, die Intimbeziehungen zwischen Vitalem und Nicht- Vitalem aufzudecken, eine Aufgabe, welche auf den folgenden Blättern zu lösen versucht wurde. '^) Vgl. mein Buch: Der Vitalismus als Geschichte und als Lehre. Leipzig 1905. X4:4 I^iö Kennzeichen der Entelechie. Wissen und Wollen begabt sind. Soweit die Formbildung, die physiologische Anpassung und die instinktiven Be- wegungen in Betracht kommen, m u ß es in der Tat etwas geben, das, im übertragenen Sinne, einem spezifischen Wissen und Wollen ohne Erfahrung vergleichbar ist. Wir müssen natürlich mit der Aufstellung dessen, was denn hier ,, gewußt" und ,, beurteilt" und ,, gewollt" werden muß, sehr vorsichtig sein. Für morphologische Restitutionen ist diese Frage noch ziemlich leicht zu beantworten; hier ist die normale Organisation das zu erreichende Ziel; daß ,, Mittel" für dieses Ziel gewußt und gefunden werden, mag sehr seltsam erscheinen, es ist aber eine Tat- sache; und es ist auch eine Tatsache, daß im Falle unserer ,,äquifinalen" Regulationen verschiedene zu ein und demselben Endziel führende Mittel gekannt und a,n- ge wendet werden. Bezüglich der primären bei der Anpassung anzu- nehmenden Fähigkeiten ist große theoretische Vorsicht am Platze. Wir dürfen uns, wie bereits früher gesagt, nicht einmal analogienhaft vorstellen, daß etwa der Organismus ,, wisse", daß irgend eine Substanz, wenn er sie durch den Darm oder die Haut aufnimmt, ihn vergiften wird. Es läßt sich aber vorstellen, daß ein Organismus weiß, wie er sich verhalten soll, wenn der funktionelle Zustand seines Lebens gerade an dem Punkte ist, eine Störung zu erleiden, und daß er dann etwas tut, um diese Störung zu vermeiden. Wissen wir doch, daß ,, Antikörper" immer erst gebildet werden, nachdem Gifte in den Organismus eingedrungen sind, und daß ein Wechsel in der Durchlässigkeit von Oberflächen erst statthat, nachdem der abnorme spezifische Aus- tausch von Material zwischen dem Medium und den Körper- säften eine Zeitlang vor sich gegangen ist. Ich sehe also doch keine fundamentale Schwierigkeit darin, hier von einem primären Wissen und Wollen der Entelechie analogienhaft zu sprechen; sicherlich ist das, was hier vorliegt, mit keinen anderen Worten auch nur irgendwie beschreibbar. Die Kennzeichen der Entelechie. 145 Entelechie und das „Individuum". Wir studieren nun die Entelechie unter einem anderen Gesichtspunkt, der uns zu einem Vergleiche zwischen Orga- nismen und Kristallen nötigen wird. Seit alters hat man den Organismus ein Individuum genannt, d. h. ein Etwas, welches nicht geteilt werden kann, ohne aufzuhören, das zu sein, was es war. ,, Individuen" in anderem Sinne sind die Atome des Anorganischen ; bedeuten doch die Worte ,, Individuum" und ,,ato{iov'' dasselbe. Unter solchem Gesichtspunkt können wir sagen, daß die Entelechie das Individuum darstelle, daß sie ,, individuali- sierend" sei. Doch kann die moderne Wissenschaft den Be- griff des Individuums hier nur mit einiger Einschränkung ver- wenden: wir wissen aus unseren Versuchen, daß sowohl der embryona.le wie der erwachsene Organismus geteilt werden kann, ohne seine Ganzheit einzubüßen, indem er aus seinen Teilen neue Ganze macht. Der Begriff Individuum ist daher in seiner Anwendung auf körperliche Formen, wenigstens in vielen Fällen, inkorrekt. Teile eines ursprünglichen Indivi- duums können, wenigstens potentiell, selbst Individuen sein. Vielleicht wäre es besser, den Begriff Individuum nur auf Entelechien, aber nicht auf körperliche Formen anzuwenden : aber alsdann würden sofort die fundamentalen Probleme von der Teilbarkeit der Entelechie und ihrer Beziehung zur Materie auftreten. Diese zentralsten Probleme aller Biologie können aber hier noch nicht erörtert werden. So wollen wir uns denn lieber beschränken und wollen fragen: In welchen Typen von natürlichen Körpern stellen sich die Manifestationen von Entelechie dar, und in welcher Beziehung stehen diese Körper zu anderen Natur körpern. Die Klassen der Körper. Alle Körperl) lassen sich nach zwei allgemeinen Ge- sichtspunkten klassifizieren: sie sind entweder einheitlich 1) Wir lassen hier die Frage, was ,, Körper sein" eigentlich bedeute, auf sich beruhen. Diese Frage geht die Materientheorie und nicht die Biologie an. Driesch, PhilosopMe. II. 10 246 I^iö Kennzeiclien der Entelechie. oder zusammengesetzt, und ihre Form ist entweder zufällig oder wesentlich. Einheitliche zufällige Körper nennt man amorph; sie bieten kein Interesse für unsere Erörterung. Zusammengesetzte zufällige Körper spielen eine große Rolle in der Geologie; Inseln und Berge gehören hierher; ihre Form wird ihnen durch äußere Vorgänge, welche Teile einer Kumulation sind, aufgeprägt, wie wir das in einem früheren Kapitel gesehen haben. Einheitliche wesentliche Körper sind die Kristalle, alle tj^pischen An- ordnungen von Kristallen, wie die sogenannten Dendriten, und alle anderen Formmannigfaltigkeiten, welche eine homogene Materie annehmen kann, wie z. B. die Schrumpfungsfiguren der Gelatine, des Eiweißes und anderer Stoffe i). Zusammengesetzte wesentliche Körper sind ausschließlich Organismen und Kunstprodukte. Einer der größten Unterschiede zwischen Kristallen und Organismen besteht nun darin, daß nur erstere, aber nicht letztere durchweg von derselben stofflichen Natm" sind. Der zweite fundamentale Unterschied zwischen den genannten Klassen von Körpern bezieht sich auf die Art ihrer Entstehung. Die Organismen kommen von Ausgängen her, welche weniger sichtbare Manigfaltigkeit besitzen, als das Ende besitzt, von den Eiern nämlich; Kristalle sind immer sie selbst und besitzen eigentlich nur die Eigen- schaft des Wachsens. Einen dritten Unterschied könnte man in der Tatsache finden, daß Kristalle während ihres Wachsens die Spezifizität des Mediums in ihrer Spezifizität benutzen, während den Organismen das Medium nur ein Mittel zum Wachsen ist und ihre Spezifizität in ihnen selbst ruht; auf diesen Punkt lege ich aber in unserer gegenwärtigen Analyse geringeres Gewicht. Gegen unsere zweite Unterscheidung wird man viel- leicht einwenden, daß die Forschungen der letzten Jahre, namentlich diejenigen von Rauber, Lehmann und 1) Hier wird den Forschungen Bütschlis Grundlegendes verdankt. Die Kennzeichen der Entelechie. 147 Przibrami) eine sehr erhebliche Restitutionsfähigkeit an Kristallen nachgewiesen haben. Zerbrochene Kristalle können in der Tat nicht nur die fehlenden Teile, ähnlich einer Regeneration, ersetzen, sondern sie können sich auch in gewissen Fällen durch eine Veränderung aller ihrer Proportionen in ein neues kleineres Ganze umbilden — ein Vorgang, welcher an die Differenzierung eines harmo- nisch-äquipotentiellen Systems erinnert. Wie könnte ich angesichts dieser Tatsachen sagen, daß Kristalle immer sie selbst seien und nur wachsen? Ich konnte das, weil Kristalle trotz ihrer sogenannten ,, Restitution" ihre ge- samten formbildenden Prozesse doch nur mit Hilfe der- jenigen Kräfte vollziehen, welche auch ihr Wachstum be- stimmen, und mittels keiner anderen. Diese Kräfte sind in den verschiedenen Richtungen des Raumes von ver- schiedener Intensität und besitzen eine typische Anordnung relativer Maxima; eben dieser Charakter der formbildenden Kräfte der Kristalle, zusammengenommen mit gewissen Spannungsverhältnissen zwischen dem festen Material des Kristalles und der umgebenden Lösung, genügt, um sowohl normales Wachstum wie auch die sogenannte Restitution zu erklären: es geschieht eigenthch immer dasselbe. Eben deshalb ist die Kristallisation trotz der sogenannten ,, Restitution" ein bloßer Additionsprozeß: das Wachstums- material stammt immer aus der Lösung in ihrer Spezifizität, und die typische Form wird durch die gerichteten Kräfte aller kleinsten Partikel des KJristalls vollständig bestimmt. Wenn man die Kräfte eines Partikels und die vorhandenen physikalischen Bedingungen kennt, so kennt man auch die Art des Wachstums, welche statthaben muß. In letzter Linie läßt sich alles auf eine gewisse Ai't molekularer An- ordnung zurückführen: der besondere Charakter der An- ordnung schließt die Besonderheit der Verteilung der Kj'äfte von verschiedener Intensität ein. Wir können daher sagen, daß ein Kristall in jedem seiner Teile nicht nur potentiell, 1) Arch. Entw.-Mech. 22, 1906; hier vollständige Literatur. 10* ]^48 ^^^ Kennzeichen der Entelechie. sondern in Wirklichkeit ,,ganz" sei; alle seine ,,Restitutions"- prozesse beziehen sich nur auf einen Wechsel in der An- ordnung solcher „Ganzer"; ihr Resultat ist nicht eine ,, eigentliche Totalität" für sich genommen ^), Ich bin hier über das Problem der Kristallisation etwas ausführlicher gewesen als vielleicht nötig erscheint, da man neuerdings die Analogien zwischen der Kristallisation und der organischen Formbildung stark übertrieben hat ^). Es gibt hier auch nach meiner Meinung ganz sicherlich Analogien, ja sogar Identitäten; aber nur insofern, als die Kristallisation eines derjenigen anorganischen Mittel ist, welche die Entelechie für ihre Zwecke benutzt. Denn, wohlverstanden : die Morphogenesis benutzt nur einige Züge der Kristallisation, und diese an und für sich hat absolut nichts mit irgend einem organisatorischen Phänomen zu tun. Die kombinierten wesentlichen Körper, welche wir Organismen nennen, entstehen zwar wie die Kristalle mit 1) Ich habe anderenorts (Arch. Entw.-Mech. 23, 1907, p. 174) gezeigt, daß Przibram im Unrecht war, wenn er sagte, Kristalle seien deshalb harmonisch-äquipotentielle Systeme, weil sie in einigen Fällen fähig sind, ihre äußere Form nach Störungen zu verändern und ein neues kleineres proportionales Ganze zu bilden. So etwas wie eine „prospektive Potenz" kommt hierbei nämlich gar nicht in Frage: es handelt sich nur um einen Wechsel des Ortes unter gleichen Teilen. Und selbst dieser Ortswechsel ist kein einfacher Prozeß, sondern das Ergebnis von zwei unabhängigen Vorgängen : die Kräfte des Mediums nehmen etwas irgendwo fort und die Kräfte des Kristalles fügen etwas anderswo zu. — übrigens habe ich nie gesagt, daß die bloße Tatsache der Regeneration den Vitalismus beweise; nur die besondere Natur der „Systeme", welche die Grrund- lage der organischen Regeneration bilden, beweist ihn (vgl. Band I p. 245). ^) ^gl- auch den Aufsatz von Hof mann in Ann. Naturphil. 7, 1908, p. 63. Hof manu s Darlegung wird, wie mir scheint, durch die im Text und in der vorstehenden Anmerkung ausgeführte Erörterung erledigt. — Man vergleiche auch den S. 134, Anm. 1 genannten Aufsatz Hartogs; mit Recht sagt er u. a. : „In the accumulation of bound energy organic growth is the very opposite to crystallisation to which it has been compared.'* Die Kennzeichen der Entelechie. 149 Hilfe eines von außen — nämlich in der Form von Sauer- stoff und Nahrung — geheferten Materials; der Ausgangs- punkt eines Organismus benutzt aber diese Substanzen nicht unmittelbar; er bildet erst etwas aus ihnen, was er benutzen kann, und die Art seiner Benutzung ist alles andere als eine bloße Addition: es ist eine Folge typischer, typisch geordneter Differenzierungen. Der Aufbau des Organismus als eines kombinierten Körpers typischen Stiles ist die Aufgabe der Entelechie. Entelechie bedeutet die Fähigkeit, eine ,, forma essentialis" zu bilden; Sein und Werden sind hier in höchst merk- würdiger Weise vereinigt; Zeit tritt in das Zeitlose, d. h. in die ,,Idee" im Sinne P 1 a t o s ein. Schon die elementare Physiologie lehrt uns, daß die organische Form noch im anderen Sinne ,, forma essentialis" ist: Die Form des Organismus wird nicht nur typisch auf- gebaut, sondern wird auch trotz eines fortwährenden Materialwechsels im Laufe des Stoffwechsels in ihrem normalen Zustand erhalten. Einige Autoren haben hier von einem ,, dynamischen Gleichgewicht" gesprochen. Der Ausdruck ist harmlos, wenn er nichts bedeuten soll als die Dauer der Form trotz Wechsels des Materials; aber ,, erklären" tut ein solches Wort natürlich gar nichts, und noch weniger führt es irgend etwas auf das Anorganische zurück, wie unkritische Physiologen gelegentlich behauptet haben. Die Ordnung der Entelechien. Entelechie und Maschine. Wir wissen bereits, daß nicht jedes Ereignis, welches im Laufe der Fortbildung und des Stoffwechsels statthat, der direkte Ausfluß entelechialer Akte ist, und es ist wohl der Mühe wert, hierüber noch etwas zu sagen. Zunächst wollen wir wiederholen, daß verschiedene Arten von Entelechien am Organismus ihre Rolle spielen: es gibt da die Entelechia morphogenetica und später die Ente- lechia psychoidea, und die letztere kajin man wieder scheiden. 150 I^i^ Kennzeichen der Entelechie. je nachdem sie Instinkte oder Handlungen lenkt. Ferner kann man auch sagen, daß die verschiedenen Teile des Gehirns, wie z. B. bei Wirbeltieren die Hemisphären und das Kleinhirn, ihre verschiedenen Arten von Entelechie besitzen. So können wir denn in der Tat von einer Ord- nung der Entelechien nach Rang oder Wert sprechen, einer Ordnung, die vergleichbar ist der Rang- oder Wert- ordnung in einem Heere oder einer Verwaltung. Alle Entelechien leiten aber ihren Ursprung von der einen an- fänglichen her und können in dieser Beziehung doch wieder alle zusammen eine heißen. Die ursprüngliche Entelechie des Eies nun schafft nicht nur abgeleitete Entelechien, sondern baut auch alle möglichen Arten rein mechanischer Anordnungen auf: das Auge z. B. funktioniert in erheblichem Grade als bloße Camera obscura, und das Skelett gehorcht den Gesetzen der anorganischen Statik. Jeder Teil dieser organischen Systeme ist durch Entelechie an seinen Ort gebracht worden, um daselbst dem Ganzen zu dienen; der Teil selbst aber wirkt maschinenartig. So kommen wir denn endlich zu der Einsicht, daß die verschiedenen Formen der Harmonie bei der Ent- stehung und Funktion von Teilen, die nicht unmittelbar von einander abhängen i), in letzter Linie die Folge ente- lechialer Akte sind. Die Entelechie, welche sie gemacht hat, w a r in ihrer intensiven Mannigfaltigkeit harmonisch : eben deshalb sind die von ihr geschaffenen extensiven Strukturen auch harmonisch. Mit anderen Worten: es gibt freilich im Orga^nismus viele Prozesse vom statisch- teleologischen Tvpus, d. h. Prozesse, welche auf Grundlage einer maschinellen Basis teleologisch oder zweckmäßig ver- laufen; aber die Entelechie hat diese Basis geschaffen; und so hat statische Teleologie ihre Wurzel in dynamischer Teleologie. ') Vgl. Band T, p. 109. Die Kennzeichen der Entelechie. 151 Jetzt erst sehen wir vollständig ein, was es heißt, daß Entelechie eine ,, intensive Mannigfaltigkeit" sei, welche sich ,, extensiv" realisiert; mit anderen Worten, wir wissen jetzt, was es heißt, einen Naturkörper einen lebenden Organismus zu nennen ; wir haben den Begriff des lebenden Organismus beschreibend definiert. Abschluß und neue Probleme. Wie kann aber eine ,, intensive Mannigfaltigkeit" ein elementarer Naturfaktor sein ? Die Antwort auf diese Frage hängt natürhch davon ab, was man unter dem Ausdruck „elementarer Naturfaktor" versteht. Eine eingehende Analyse dieses Begriffs kann uns also zeigen, wann wir berechtigterweise einen Naturfaktor elementar nennen dürfen und wann nicht. i)er materialistische Dogmatismus würde hier erwidern, daß die Begriffe der Mechanik oder Energetik die einzig berechtigten Elementarbegriffe aller Wissenschaft seien — aber Dogmatismus geht uns in keiner Form etwas an. Die Lehre von der sogenannten ,, Ökonomie des Denkens", welche heutzutage eine so große Rolle spielt, wird ihrer- seits sagen, daß die Einführung irgend eines elementaren Naturfaktors berechtigt ist, wenn sie notwendig ist. Wenn immer die Analyse zeigt, daß irgend etwas bisher Un- bekanntes vorliegt, was sich nicht mit Hilfe der der Wissen- schaft bereits bekannten Naturfaktoren darstellen läßt, dann, dann aber ohne weiteres, wird die Lehre von der Denk- ökonomie uns erlauben, neue Elementarfaktoren beliebiger Art zu schaffen, und sie wird nur von uns fordern, daß wir analysieren, ob irgend ein neuer Faktor als eine ,, Kon- stante", ohne eine,, Kraft" oder eine,, Energieart", oder als was sonst anzusehen ist. Für den erkenntnistheoretischen ,,Okonomiker", dessen summum ius das ,, Praktische" ist, ist Wissenschaft reine Erfahrung; ja für ihn gibt es über- haupt keine ,, Philosophie", die höher als emphische Wissen- schaft stünde. Alle nach seiner Methode geschaffenen neuen J^52 ^^^ Kenuzeichen der Entelechie. Faktoren können natürlich nichts „erklären", sondern können nur in abgekürzter Form „beschreiben": aber die Ökonomiker sagen uns ja auch, daß etwas anderes als solche Beschreibung nicht möglich sei. Wir teilen nun ganz und gar nicht den modernen empiristischen ,, ökonomischen" Standpunkt, und daher ist für uns die Frage nach der epistemologischen Recht- fertigung unseres neugeschaffenen elementaren Natur- faktors ein wichtiges Problem. Wir wollen also jetzt mit dem Versuch einer solchen Rechtfertigung beginnen. Teil I. Die indirekte Eeclitfertigung der Entelechie. A. Entelecliie und eindentige Bestimnitlieit. Ein vollständiges System der Naturphilosophie als Vor- bereitung zur Ontologie muß die Gesamtheit aller aprioristi- sehen Begriffe und Prinzipien entwickeln, mittels deren sich das vernünftige Denken auf die Natur beziehen kann. Eine solche Leistung können wir nun hier nicht unternehmen, und sie würde auch für unsere unmittelbaren Zwecke gar nicht nötig sein. Unsere Aufgabe ist es, in erster Linie zu zeigen, wie unser Begriff der Entelechie, als eines elemen- taren Naturfaktors, sich zu denjenigen Begriffen der all- gemeinen Naturphilosophie verhält, welche in der Wissen- schaft vom Anorganischen eine Rolle spielen. Bei späterer Gelegenheit werden wir über die Theorie der ,, Kategorien" als solcher einiges sagen. Der Begriff der eindeutigen Bestimmt- heit des Seins und Werdens kann der eigentliche Ausgangs- punkt der Naturphilosophie heißen. Kein Zustand und kein Geschehen in der Natur ist ohne zureichenden Grund für sein Sosein und für sein Dasein, und dasselbe ist oder geschieht unter denselben Bedingungen. Das ist der all- gemeinste Ausdruck des Prinzips der Eindeutigkeit. Nichts 254 Entelecbie und eindeutige Bestimmtheit. gibt es in der Lehre von der Entelechie, das diesem Prinzip widerspricht. Wenn bestimmte Umstände und wenn eine bestimmte Entelechie in einem bestimmten Zustand ihrer Entfaltung gegeben sind, dann wird immer nur ein spezi- fischer Zustand, e i n spezifisches Ereignis statthaben und kein anderes. Ich nenne dieses Prinzip der Notwendigkeit oder Bestimmtheit des Naturgeschehens nicht Prinzip der ,, Kausalität"; Kausalität bezieht sich ausschließlich auf eine besondere Art von Veränderungen, und die Beziehung der Entelechie zu ihr wird später erörtert werden. Unser Prinzip der Notwendigkeit oder eindeutigen Bestimmtheit bezieht sich auf alles, was im Universum sein oder geschehen kann, o h n e j e d e Beziehung auf den Charakter und die Natur der Veränderungen, die gerade vorliegen, ja nicht einmal nur auf Veränderungen. Und dieses Prinzip gilt natürlich, mag Entelechie bei einer Gruppe von Ereig- nissen beteiligt sein oder nicht. Die Tatsachen im Uni- versum, die in Entelechie begründet sind, werden stets eindeutig als eben sie selbst bestimmt sein, wenn Entelechie sie selbst und keine andere ist, und Entelechie ist immer von dieser oder jener bestimmten Art. Und weiter, jedes einzelne räumliche Faktum, das durch Entelechie herbeigeführt oder verändert wird, hat sein vorhergehendes einzelnes Korrelat in einem gewissen einzelnen Charakterzug der Entelechie, die ja eine intensive Mannigfaltigkeit ist. Es würde absolut unver- ständlich sein, etwas anderes anzunehmen, obschon zu- gegeben werden muß, daß unsere Annahme zu der selt- samen Folgerung führt, daß nichts eigentlich Neues im Universum geschehen kann — wenigstens würden w i r etwas Neues zu begreifen voll- kommen unfähig seini). ^) Hier hatBergsons Philosophie ihre Ausgangspunkte; hier wohl auch die moderne, nach unserer Ansicht zu weitgehende, Würdigung des Historischen. Entelechie und eindeutige Bestimmtheit. 155 Wir betonen hier noch einmal, daß wir es auch bei Erörterung derjenigen Entelechieart, welche die Handlung leitet, niemals mit eigentlich psychischen Tatsachen, sondern mit Tatsachen in der Natur zu tun hatten. Aber wir müssen nun auf eine sehr seltsame Beziehung zu sprechen kommen, die gewöhnlich in psychologischen Worten ihren Ausdruck findet. Im Gebiete der Natur- philosophie dürfen wir nicht von einer ,, Freiheit" des Handelns sprechen, wenigstens nicht im wahren und strikten Sinne des Wortes, nicht im Sinne einer Negierung eindeutiger Bestimmtheit. Es ist ganz un- möglich, zu denken, daß bei gegebenen Umständen und bei gegebener psychoidaler Entelechie entweder A oder B geschehen solle. Im Gegenteil: was geschehen soll, ist absolut fixiert; und eine höchste Vernunft, welche mit allen Tatsachen der anorganischen Natur bekannt wäre, und auch alle intensive Mannigfaltigkeit aller Ente- lechieen und Psychoide, einschließlich der individuellen Geschichte der letzteren, kennen würde, wäre imstande, die Handlungen eines Psychoids mit absoluter Sicherheit vorauszusagen. Eine solche Voraussage wäre ihr hier ebenso möglich wie im Gebiete der reinen Mechanik, für welches diese Wahrheit bekanntlich in der Fiktion des ,,Laplaceschen Geistes" ihren Ausdruck gefunden hat. Es ist interessant zu bemerken, daß fast alle Philosophen und Theologen, welche wirklich analytisch in die Tiefe dringen, in ihrem Verwerfen der Lehre von der Unbe- stimmtheit des erfahrungsmäßigen Seins und Geschehens einstimmig sind. Im Christentum ist das Wort ,, Gnade" ein kurzer Ausdruck für die Unmöglichkeit dieser Un- bestimmtheit. ,, Freiheit" wird hier in die metaphysische Sphäre verwiesen: ich bin nicht einmal frei zu glauben oder nicht zu glauben, sondern die Fähigkeit zum Glauben ist ein Geschenk der Gnade. Doch jetzt müssen wir dem Wege folgen, der uns durch unsere phänomenologische Naturphilosophie vor- geschrieben ist; bei anderer Gelegenheit werden wir auf 156 Entelechie und eindeutige Bestimmtheit. das Problem der „Freiheit" unter anderem Gesichtspunkt zurückkommen. Wir wenden uns nun der Lehre von der wahren ,,Kausahtät" zu, d. h. der Lehre von der eindeutigen Be- stimmtheit ausschheßlich räumhcher Veränderungen. Wie stellt sich Entelechie zu diesem Begriff, nachdem wir jetzt wissen, daß sie dem Begriff der eindeutigen Bestimmtheit überhaupt nicht widerspricht ? B. EntelecMe und Kausalität. Einleitende Bemerknngen. Entelechie kann zur Entfaltung gebracht werden durch eine Veränderung in der körperhchen Natur, wie sie z. B. in der Befruchtung oder in irgend einer Operation vorhegt oder in einem Bewegungsreiz ; und auf der anderen Seite kann Entelechie ihrerseits zu Änderungen der körper- lichen Natur führen. Das ist nun alles sehr allgemein; es schließt die Be- hauptung ein, daß Entelechie zu Kausalität, d. h. zu dem Prinzip der Verknüpfung räumlicher Veränderungen in Beziehung treten könne. Aber gar nichts wird hier zunächst ausgesagt über die besonders wichtige Frage : Ist Entelechie selbst eine besondere Art kausaler Verknüpfung oder nicht ? Eben diese Frage jedoch erfordert eine Antwort. Schwierigkeiten. Erinnern wir uns daran, daß nicht jedes einzelne räumliche Ereignis, das aus der Entfaltung der Entelechie resultiert, seine einzelne äußere Ursache hat. Eben darum, weil das nicht der Fall ist, wurde unser Begriff Entelechie ja geschaffen. Wir würden ihn gar nicht brauchen, wenn wir eine einzelne äußere Ursache j^des ein- zelnen Ereignisses bei der Differenzierung eines harmonisch- äquipotentiellen Systemes auffinden könnten, und wir würden den Begriff des Psychoids nicht benötigen, wenn die Handlung eine Summe und nicht ein Ganzes wäre. Die einzelnen Stufen in der Entfaltung der Entelechie 158 Entelechie und Kausalität. sind nun, wie wir wissen, zwar eindeutig bestimmt, aber sie sind das deshalb, weil sie in der intensiven Mannigfaltigkeit ihres Entfalters gewissermaßen vorbereitet sind : sie scheinen also nicht-kausal zu sein mit Bezug auf wirkliche ,, Ursachen", d. h. mit Bezug auf einzelne Veränderungen im Baume. Es gehört, mit anderen Worten, zum Wesen der Entelechie, sich in eine extensive Mannigfaltigkeit zu entfalten: alle Einzelheiten dieser extensiven Mannigfaltigkeit hängen von der inten- siven Mannigfaltigkeit der Entelechie ab, aber nicht von verschiedenen räumlichen ,, Ursachen". Mit Bezug auf die Formbildung können wir so von einer unmittelbaren nichtkausalen Korrelation der Teile sprechen, wie es in der Tat R a d 1 in etwas anderer Weise getan hat. Es gibt Kombinationen einzelner Verschiedenheiten, die immer alle mit einander, aber jedes vom anderen im Einzelnen unabhängig, sich verändern; ihr gemeinsamer Grund ist die spezifische intensive Mannigfaltigkeit der Entelechie, welche sie zur Entfaltung bringt. So scheint denn also das Problem von der Beziehung zwischen Kausalität und Entelechie durchaus nicht einfach zu sein; wir werden daher am besten versuchen, unser Ziel mit Hilfe einer ziemlich langen Reihe von analytischen Erwägungen zu erreichen. Zunächst wollen wir etwas tiefer in den reinen Begriff der Kausalität 1), wie die Wissenschaften vom Anorganischen ihn verstehen, einzudringen versuchen. Verschiedene Formen des Kausalitätsprinzips. Ein vollständiges System der Naturphilosophie würde, sobald es sich mit der Kausalität befaßt, verschiedene be- 1) Eine allgemeine kritische Erörterung der „Energetik" findet sich in meinem Buche „Naturbegriffe und Natururteile", Leipzig 1904. Meinen Standpunkt der Energetik selbst gegenüber vertrete ich nach wie vor ; über die Beziehung zwischen Entelechie und Energie denke ich aber jetzt nicht unerheblich anders als im Jahre 1904: ich hoffe, klarer und besser. Entelechie und Kausalität. 159 sondere kausale Prinzipien zu entwickeln haben. Einige solcher Prinzipien sind in der Tat durch Naturforscher auf- gefunden worden, werden aber heutzutage seltsamerweise als empirische und induktive Prinzipien angesehen, was sie durchaus nicht sind. Das Prinzip der ,, Phasen" und das Prinzip der ,, kleinsten Wirkung" gehören hierher. Wir selbst werden diese Prinzipien im folgenden nicht benutzen. Es gibt aber zwei andere aprioristische kausale Sonder- prinzipien, welche eine besonders große Rolle in der Ge- schichte der anorganischen Wissenschaften gespielt haben, und welche auch wir anwenden werden und daher ein- gehender kennen lernen müssen: die beiden sogenannten Prinzipien von der ,, Energie". Es scheint mir, daß diese Prinzipien, die unter dem Namen ,, Erhaltung der Energie" und ,, Vermehrung der Entropie" allgemein bekannt sind, ihren logischen Ursprung in den verschiedenen Weisen haben, in welcher Kausalität sich der analytischen Forschung darstellen kann. Die ,, Ursache" eines Effektes in der räumlichen Natur ist diejenige Veränderung der räumlichen Natur, auf welche der Effekt eindeutig und ,, notwendig" folgt. Wir können nun dieses Kausalverhältnis in einer allgemeineren und in einer spezifizierteren Form auffassen. Zunächst gehen wir aus von der Totalität eines ,, Systems", d. h. eines abgegrenzten Raumteiles mit Ein- schluß aller in ihm befindlichen Naturrealität. Wir stu- dieren die Zustände dieses Systems als eines Ganzen zu den verschiedenen Zeiten Ti und T2; alle Kausalbeziehungen zwischen dem System und seiner Umgebung sollen aus- geschlossen sein. Dann sind wir überzeugt, daß die Kau- salität des Systems mit Bezug auf seine Umgebung trotz aller Veränderungen in ihm selbst unverändert gebheben ist. Der Zustand des Systems zur Zeit Ti als ein Ganzes ist die Ursache seines Zustandes zur Zeit T2 gewesen; aber als kausales System mit Bezug auf seine Umgebung ist es dasselbe geblieben. 260 Eütelechie und Kausalität. Wir untersuchen nun zwei Systeme der beschriebenen Art und nehmen an, daß kausale Prozesse zwischen diesen beiden Systemen stattfinden, aber nicht in irgend einem anderen Sinne. Dann nennen wir die gesamte Veränderung der TotaUtät des einen Systems die ,, Ursache" der ge- samten Veränderung des anderen und sind überzeugt, daß beide Veränderungen von gleichem Betrage sind. Auf diese beiden Fiktionen gründet sich das Prinzip von der Erhaltung der Energie, und von diesen beiden Fiktionen her gewinnt es seine beiden wichtigsten modernen Formu- lierungen: ,,Die Energie eines isolierten i) Systems ist konstant" 2) und ,, Jeder Energie verlust in einem isolierten System korrespondiert einem gleichwertigen Energiegewinn in einem anderen und umgekehrt". Robert Mayer wußte wohl, daß sein Prinzip eine aprioristische Grundlage hatte; mit Recht setzte er daher an den Anfang seiner Erörterung die beiden Sätze: ,, causa aequat effectam" und ,, nihil fit ex nihilo aut ad nihilum". Der aprioristische Teil des Prinzips von der Erhaltung der Energie ruht auf einer Kombination der Kategorien Kausalität und Quantität: Energie ist quantitativ bestimmte Kausalität. Kausalität kann aber nun auch in einer anderen sehr verschiedenen Weise aufgefaßt werden und erlaubt uns dann, die Grundlagen des sogenannten zweiten Prinzips der Energetik zu legen. Wir sprechen jetzt von spezifizierter Kausalität. Wir denken uns wieder ein begrenztes System, aber wir studieren die Verschiedenheiten aller in ^) Von der Konstanz der Energie des Universums zu sprechen ist bedeutungslos, solange das Problem seiner materiellen Endlich- keit oder Unendlichkeit nicht gelöst ist. Im Falle seiner materiellen Unendlichkeit würde es natürlich überhaupt bedeutungslos sein, hier von „Konstanz" zu reden. ^) Eine andere, abgeleitete Formulierung des Prinzips lautet so: „Der Energieinhalt eines isolierten Systems ist in jedem Zeit- punkt eindeutig bestimmt, und der gesamte Kausaleffekt, welcher, die g-esamte „Arbeit", welche von einem solchen System geleistet werden würde, wenn seine „Energie" auf Null reduziert würde, ist von dem Wege des Übergangs unabhängig." Entelecliie und Kausalität. 16X ihm vorhandenen physikaUschen und chemischen Agentien. Wir finden dann, daß das Vorhandensein von Verschieden- heiten in den einzelnen Teilen des Systems die notwendige Bedingung dafür ist, daß überhaupt irgend etwas in dem System zu geschehen vermag; ohne ursprünglich gegebene Verschiedenheiten geschieht nichts in ihm. Denn der zu- reichende Grund für Geschehen würde in einem durchaus gleichförmigen System fehlen, wenigstens soweit dieses System gleichförmig ist. Nur wenn ein Element oder ein Teil eines Systems von dem anderen verschieden ist, kann Geschehen an diesem besonderen Element oder Teil statt- haben. Das ist die allgemeinste logische Quelle des zweiten Prinzips der Energetik; das Prinzip selbst bezieht sich auf Sonderheiten in der Verursachung, ebonso wie sich das erste Prinzip auf Allgemeinheiten bezog. Doch wir wollen einstweilen das zweite Prinzip der Ener- getik verlassen und wollen zunächst etwas mehr über das Prinzip der Erhaltung und über seine Beziehung zur Ente- lecliie auszumachen suchen. Ehe wir unsere Aufgabe in Angriff nehmen, ist aber noch einem recht gefährlichen Mißverständnis ein für allemal entgegenzutreten: Die Behauptung, daß irgend eine Natur- beziehung in irgend einer Hinsicht ,,aprioristisch" sei, d. h. daß ihre Tatsächlichkeit unabhängig vom Erfahrungs- q u a n t u m bejaht werden müsse, sobald der Sinn dessen, was diese Tatsächlichkeit ausdrückt, einmal begriffen worden ist, diese Behauptung sagt über die logische Notwendigkeit des Daseins jener Tatsächlichkeit gar nichts aus. Mit anderen Worten: Die beiden Energiesätze sind in ihren Grundzügen a priori, wenn es einmal rein räumliche, eindeutig verknüpfte Veränderungszusammenhänge gibt, die Prinzipien der Mechanik sind a priori, wenn Be- wegungsübertragung durch Stoß und ähnliches in einem euklidischen, rein formalen Räume da ist, die quantitative Form des Newtonschen Gravitationsgesetzes ist a priori, wenn Fern Wirkung im [euklidischen formalen Raum existiert. Daß aber rein räumliche Veränderung über- Driesch, PhilosopMe. II. 11 162 Entelechie und Kausalität. haupt, daß Stoß und Fernanziehung naturwirklich sind, das ist eine reine Frage der Empirie. Unsere Aufgabe. Wir beginnen jetzt einen Teil unserer philosophischen Untersuchungen, welcher, obschon er nicht der endgültige ist, doch zu den wichtigsten Erwägungen dieser Vorlesungen überhaupt gehört. Wir haben gezeigt, daß es gewisse Gruppen von Er- scheinungen in der lebendigen Natur gibt, die sich nicht auflösen lassen in die Elemente, welche uns das Studium der anorganischen Welt kennen gelehrt hat. Aber weiter haben wir noch nichts gezeigt. Die wichtige Frage tritt nun unabweisbar auf: Welches sind die letzten Be- ziehungen zwischen dem Anorganischen und unserer autonomen Entelechie? Was bedeutet es, wenn wir sagen, daß die anorganischen Faktoren zu ihrer Erklärung nicht ausreichen ? In welcher Weise wird den anorganischen Faktoren sozusagen entgegengearbeitet in der organischen Welt? Daß die engsten Beziehungen zwischen dem Organischen und dem Anorganischen existieren, wird uns aufs deutlichste schon allein durch alles das vor Augen gjeführt, was wir über die ,, Mittel" der Formbildung wissen; es erhellt weiter aus der bloßen Tatsache, daß jede Organisation so viele verschiedene Organsysteme besitzt, wie sie Funktionen vollführen, d. h. wechselweise Beziehungen zum Anorga- nischen aufweisen kann. Weiß man, was es heißt, ein Organismus zu sein, und kennt man die verschiedenen Faktoren des Mediums, so kann man in der Tat geradezu ableiten, was für Organsysteme ein Organismus besitzen muß. So ist also unsere wichtige Frage unabweisbar. Wir sind geradezu verpflichtet, das Problem in Angriff zu nehmen, welches die intimsten Beziehungen zwischen der anorganischen Natur und der Entelechie sind. Entelechie und Kausalität. 163 Wir werden versuchen, uns schrittweise einer Lösung unseres Problems zu nähern; wir weiden die allgemeinen wissenschaftlichen Begriffe der anorganischen Wissenschaft der Reihe nach studieren und werden die Entelechie zu jedem derselben in Beziehung setzen. Die sogenannte Energetik soll den Anfang machen; die reine mechanische Physik soll folgen. Was heißt es also, zu behaupten, wie wir es tun, daß das Organische die Grenzen des Anorganischen überschreitet ? Was heißt das in den Ausdrücken der Energetik und in denen der Mechanik? Und was folgt endlich aus solcher Diskussion für das Problem ,, Entelechie und Kausalität"? IV 1. Entelecliie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. a) Das Prinzip. ,, Energie" ist nichts als ein Maß; sie mißt den Betrag an Kausalität, der von einem begrenzten System abgegeben oder empfangen wird, in keiner anderen Weise, als das Kilogramm oder das Pfund den Betrag an schwerer Materie mißt. Die Einheit dieser Messung, das ,,Erg", ist vom Charakter der ,, Arbeit" in der Terminologie der Mechanik. Der Ausdruck ,, Erhaltung" der Energie bedeutet, daß in allen rein oder wahrhaft kausalen Prozessen, wie sie oben definiert sind, ein Etwas auftritt, welches seine Quantität bewahrt, mag es auch an Charakter i) von Körper zu Körper oder besser von Ort zu Ort wechseln. Soweit ist das Prinzip der Erhaltung durchaus aprioristisch^); es wird empirisch, sobald seine Anwendung auf bestimmte Bereiche der Naturwissenschaften beginnt. Nur die Mechanik macht hier eine Ausnahme, denn die Prinzipien der reinen rationellen Mechanik und unter diesen die allgemeinen Bewegungsgleichungen, welche das Prinzip ^) Ich vermeide hier absichtlich das Wort „Qualität". 2) ,.Aprioristisch" heißt hier, wie nochmals betont sei, natür- lich nicht, daß es nun gerade rein kausale Prozesse von dieser Art geben muß, und auch nicht, daß es nur „kausale" Prozesse in der Natur gibt; es heißt aber: wenn es rein kausale Prozesse gibt, so müssen sie sich in gewisser Hinsicht so verhalten. Ganz Entsprechendes gilt von den mechanischen Prinzipien und z. B. von Newtons Gravitationsgesetz. Vgl. auch S. 161. EntelecHe und das Prinzip der Erhaltung der Energie. 165 der Erhaltung der Energie in seiner meclianischen Form einschließen, sind durchaus aprioristisch i); eben aus diesem Grunde hat man, gewissermaßen unbewußt, ,, Arbeit", d. h. die eine der beiden Formen rein mecha- nischer Energie, als Maßstab für Energie überhaupt ge- wählt. Daß aber in der Thermodynamik die sogenannte Wärmemenge und nicht etwa die Temperatur nach ,,Ergen" gemessen werden muß, ist eine rein empirische Tatsache. Wir können allgemein sagen, daß die allgemeine Form des Erhaltungsprinzips aprioristisch ist, daß aber sein besonderer Inhalt, der sich auf die Art der nach ,,Ergen" zu messenden Quantität bezieht, empirisch ist, mit Ausnahme der reinen Mechanik. Alle diese Beziehungen sind noch recht einfach: ein bewegter Körper, welcher die kinetische Energie — v^ besitzt, kann einen spezifischen Betrag an Arbeit pl leisten, d. h. er kann die Kraft p auf die Strecke 1 hin überwinden, und andererseits teilt eine Kraft p, die den Körper auf die Strecke 1 hin affi ziert, ihm die kinetische Energie — v^ 2 mit ; und eine sogenannte Kalorie ist immer 424 Kilogramm- metern ,, äquivalent". Aber die Dinge sind nicht so einfach, wie sie zuerst zu sein scheinen. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie ist nämlich durchaus nicht empirisch richtig, wenn nur diejenigen Naturfaktoren, welche tatsächlich durch die von ihnen geleistete Arbeit meßbar sind, in Betracht gezogen werden. Andererseits wird aber die Wahrheit unseres Prinzips vom Denken gefordert und eben daher wird nun seine empirische Unkorrektheit auf sehr interessante Weise korrigiert. Sobald nämlich das Prinzip eigentlich nicht gilt, werden sogenannte ,, poten- tielle Energien" eingeführt, aus denen aktuelle Energien entstehen oder in die sie sich umwandeln können. Solche ^) Vgl. die vorige Anm. 166 Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. potentielle Energien spielen ihre Rolle in den Theorien der Gravitation, der Elektrizität, der Elastizität und noch in einigen anderen Zweigen der Physik, wie auch in der Chemie. Für alle diese potentiellen Energien kann nichts eigentlich aktuell festgestellt oder gemessen werden: es wird einfach angenommen, daß ein Etwas, welches einen bestimmten Betrag von ,,Ergen" repräsentiert, da sein muß; sonst würde aktuelle Energie aus nichts entstehen. Wir können daher alle Arten potentieller Energie subsidiär oder supplementär nennen : sie sind ,, wirklich", soweit Möglichkeiten logisch als wirklich zugelassen werden können, aber sie sind nie in unmittel- barem Sinne wirklich i). In diesem Sinne ,,ist" ein be- stimmter Betrag von potentieller Energie dort, wo ein Pendel einer seiner höchsten Punkte erreicht. Dieser Betrag wird als quantitativ gleich angesehen mit der ,, Arbeit", die das Pendel leistete, während es die Schwer- kraft überwand, und diese ,, Arbeit" ist wiederum gleich der kinetischen Energie des Pendels an seinem niedrigsten Punkt. Ganz dasselbe gilt mit Rücksicht auf alle anderen oben genannten Naturfaktoren, wobei freilich der Begriff ,, Arbeit" eine mehr oder weniger bildliche Bedeutung hat. ß) Das Prinzip der Erhaltung in seiner Beziehung zur Entelechie. Nach diesen einleitenden Erörterungen fragen wir nun : erstens, wie steht der Begriff der Entelechie zum Prinzip der Erhaltung der Energie, und zweitens, wie stellt er sich zum Begriff der Energie überhaupt ? ^) Empiriker behaupten gelegentlich, daß potentielle Energien deshalb „existierten", weil es immer derselbe Betrag an meßbarer Energie ist, der in die potentielle Form eingeht oder aus ihr entsteht. Diese „Tatsache" ist aber nur ein Ausdruck des Prinzips der Ein- deutigkeit der Natur, und wir würden, wenn sie sich nicht als wahr erweisen würde, keineswegs das Erhaltungsprinzip aufgeben, sondern wir würden soviel supplementäre oder subsidiäre Energien erfinden, wie nötig wären. Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. 167 Von Anfang an ist klar, daß Widerspruch gegen ein aprioristisches Prinzip völlig unmöglich ist. Die Frage ist daher nicht: ,,Ist die Lehre von der Entelechie in Har- monie mit dem ersten Prinzip der Energetik?", sondern: ,,Wie ist eine Harmonie hier herzustellen?" Mit anderen Worten: das Prinzip der Erhaltung als ein aprioristisches Prinzip ist unantastbar, aber der Typus, welchen es im Anorganischen einnimmt, könnte ohne Zögern verändert oder erweitert werden. Erinnern wir uns zunächst wieder daran, daß das Prinzip der Erhaltung rein quantitativ ist, daß es über Qualität oder Richtung gar nichts aussagt. Was könnte nun dieses Prinzip in seiner Beziehung zu Prozessen des Lebens, bei denen Entelechie im Spiele ist, bedeuten? Zwei ver- schiedene Antworten auf diese Fragen sind a priori möglich. Man denke sich einen Organismus inmitten eines gegebenen begrenzten Mediums, und man stelle sich vor, daß wir einerseits den energetischen Wert jedes möglichen Ge- schehens, das vom Medium zum Organismus, und anderer- seits den energetischen Wert jedes möglichen Geschehens, das vom Organismus zum Medium führt, kennen. Dann müssen entweder die Summen der energetischen Werte beider Geschehensarten identisch sein oder es muß hier im einen oder im anderen Sinne einen Unterschied geben. Im ersten Falle würden wir sagen, daß Energie ihre Quantität nicht verändert, wenn sie durch Lebensprozesse hindurch- geht; im letzteren würde ein Energiebetrag sich zu ver- ändern scheinen, wenn er einen Organismus passiert; er würde entweder in einer unbekannten Form aufgestapelt werden oder er würde zur Aktualität erweckt werden aus einer unbekannten Form der Stapelung heraus. In j e d e m Falle würden wir einen Weg finden, das, was vorliegt, mit dem allgemeinen Prinzip zu vereinigen. Die unbekannte Energie, von der wir im Falle einer Differenz der beiden in Betracht kommenden Energiebeträge, der eintretenden und der austretenden, gesprochen haben, würde von der potentiellen oder subsidiären Art sein ; und wir würden nicht 168 Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. viel mehr von ihr wissen, als daß sie eben in irgend einer Form, freilich nicht in einer aus dem Anorganischen be- kannten, existieren muß; aber über ihre Rolle in den Lebensprozessen wäre gar nichts ausgemacht. Tatsächliches. Ehe wir in unserer Analyse fortschreiten, wollen wir gewisse Tatsachen über die wirkliche Beziehung zwischen den anorganischen Formen der Energie und den Lebens- prozessen kurz betrachten. Die neuesten Unter- suchungen, mit besonderer Sorgfalt namentlich von R u b n e r und A t w a t e r ausgeführt, haben hier gezeigt, daß zwischen den Energiesummen, welche in den Organismus ein-, und denjenigen, welche aus ihm austreten, durchaus keine Differenz besteht, wenigstens soweit der erwachsene Organismus in Betracht kommt, dessen Stoffwechsel ja so gut wie vollständig funktionell und nicht formbildend ist. Berechnet man die Verbrennungswärme der Nahrung, und vergleicht man sie mit der Verbrennungswärme aller Exkrete, vermehrt um das thermodjnaamische Äquivalent der wirklich geleisteten Arbeit und um den Energiebetrag der abgegebenen Wärme, so sind die beiden Werte innerhalb der Fehlergrenzen einander gleich i). Durch dieses Resultat wird unser Problem bedeutend vereinfacht: die Annahme subsidiärer Energien ist unnötig, um das Funktionieren energetisch zu verstehen. Die Resultate würden wahr- scheinlich etwas verschieden ausfallen, wenn an Stelle des erwachsenen der embryonale Organismus Gegenstand der Untersuchung wäre: aber auch dann, so scheint mir, dürfte sich eine wirkliche Gleichung zwischen der auf- genommenen und der abgegebenen Energie gewinnen lassen, falls alle diejenigen Substanzen, welche während der Onto- genie chemisch gestapelt werden, oder besser, welche als ^) Grute Zusammenfassungen bei Zwaardemaker, Ergeb. d. Physiol. 5, 1906 und Becher, Zeitschr. f. Psych, u. Physiol. d. Sinnesorg. I Abt. Bd. 46, p. 87. Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. 169 chemische gestapelt werden, als ausgegeben an- gesehen würden und ebenfalls auf Grund ihrer Ver- brennungswärme energetisch in Betracht kämen. So sehen wir denn, daß das Prinzip von der Erhaltung der Energie im Organismus seine Gültigkeit in klarster Form bewahrt. Was aber noch wichtiger ist, wir haben auch gesehen, daß es für den Organismus doch gelten würde, auch wenn die bekannten Energieformen sich zur Herstellung einer vollständigen ökonomischen Gleichung für den Organismus nicht als hinreichend erweisen würden. Von der Annahme einer vitalen Energie. Doch wie steht es nun mit der Rolle der Entelechie und mit ihrer Beziehung zur Energie? Der Führer der energetischen Schule, Ostwald, und viele, die ihm folgen, haben angenommen, daß bei der Formbildung und vielleicht auch bei nervösen Phänomenen gewisse unbekannte potentielle Energieformen am Werke sind; und einige dieser Autoren, wie Bechterew z. B., behaupten gleichzeitig, ,,Vitahsten" zu sein, indem Sie annehmen, daß eben die Sonderheit der vitalen Phänomene und ihre Autonomie den Besonderheiten, welche jene unbekannte Energie besitzt, verdankt werden, wie ja auch mechanische Energie ihre Besonderheiten mit Rücksicht auf räumliche Richtung, und wie strahlende Energie ihre Sonderheiten mit Rück- sicht auf Periodizität besitzen. Um unser Problem nicht zu komplizieren, gehen wir nicht auf die allgemeine Frage ein, ob es überhaupt geboten erscheint, den Energiebegriff in solcher Weise als elementar zu behandeln und von ,, Eigenschaften" oder ,, Besonder- heiten" der Energie zu sprechen. An anderem Orte i) habe ich eingehend dargelegt, daß ich persönlich dieser Ansicht nicht zuneige, welche mir vielmehr künstlich und unnatürlich ^) Naturbegriffe und Natururteile. Leipzig 1904. 170 Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. erscheint. Hier haben wir uns nur zu fragen: ist es in irgendeinem, selbst einem künsthchen und unnatür- lichen Sinne möglich von einer subsidiären oder potentiellen Energie zu sprechen, die mit dem Naturfaktor, welchen wir Entelechie nennen, identisch wäre ? Daß die fragliche Energie subsidiär wäre, würde nicht ohne weiteres gegen sie sprechen. Die sogenannte chemische Energie ist das auch : es wird die Differenz zwischen zwei Beträgen von thermischer Energie ,,c he mische" potentielle Energie genannt — das ist alles. Aber die vitalistische Energie würde freilich in einer Beziehung eine sehr sonderbare Energieart sein: sie wäre nämlich vollständig unentdeckbar, da sie sich ja n i c h t als Differenz zwischen zwei entdeckbaren Energien darstellen soll. Überall wenigstens, wo es eine ökonomische Gleichung gibt, würde gar kein Platz für eine ,,neue" Energie sein. Eine vitalistische Energie würde daher nur einen Durchgangs- oder Umwandlungspunkt be- kannter Energien bezeichnen und würde in keiner Weise stapelfähig sein. Aber auch das wäre noch keine absolute Schwierigkeit. Entelechie ist nicht Energie. Es gibt nun aber noch eine weitere Schwierigkeit gegen die Auffassung der Entelechie als eines T5rpus der Energie; und diese ist absolut. Alle ,, Energien" seien sie wirk- lich bekannt oder seien sie erfunden, um das allgemeine energetische Schema zu vervollständigen, sind Quanti- täten, und beziehen sich auf Phänomene, zu deren Kenn- zeichen Quantität gehört. Indem diese Phänomene als energetische angesehen werden, wird gleichzeitig behauptet, daß es ein Mehr oder Weniger von ihnen geben kann, und daß dieses Mehr oder Weniger in deutlichster Weise die Fähigkeit besitzt, meßbar zu sein, indem es einem Mehr oder Weniger an wirklicher ,, Arbeit" äqui- valent ist. Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. 171 Aber der Entelechie fehlen alle quanti- tativen Kennzeichen: Entelechie ist bezie- hende Ordnung und ganz und gar nichts anderes ; alle Quantitäten, die bei ihrer Entfaltung in Betracht kommen, sind in jedem Falle den von ihr benutzten Mitteln ver- dankt oder unvermeidbaren Bedingungen. Es ist also nicht nur ziemlich nichtssagend von einer vitalen Energieart zu sprechen, wie es ja in gewisser Hin- sicht auch nicht eben allzuviel bedeutet, andere Arten poten- tieller Energie zu erfinden, sondern es ist geradezu falsch und widerspricht den Grundprinzipien aller Definition und der Terminologie. Man darf nicht etwas als „Spezies" einem allgemeinen ,,Gattungs "begriff unter- ordnen, wenn dieses Etwas sich von dem Gattungsbegriff gerade in derjenigen Eigenschaft unterscheidet, welche seine eigentlich essentielle ist. Die Wissenschaft tut besser, nicht nach dem Prinzip ,,lucus a non lucendo" zu klassi- fizieren. Entelechie ist also nicht eine Energieart; trotzdem aber stört sie die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Energetik i) nicht. Dieser Hauptsatz gilt für das Leben selbst dann, wenn die Aufstellung einer ökonomischen Gleichung unmöglich ist. Neue subsidiäre Energien müßten dann freilich geschaffen werden ; aber diese neuen subsidiären Energien hätten gar nichts zu tun mit der Entelechie und mit dem V i t a 1 i s m u s. Ob sie existieren oder nicht, ist eine ^) Die Beziehung zwischen Entelechie und dem ersten Haupt- satz der Energetik läßt sich kurz auch so ausdrücken: In einem gegebenen begrenzten System ist Z (E) = Const., mag sich Ente- lechie an dem Geschehen in diesem System beteiligen oder nicht. — Ich lege kein großes Gewicht auf die oft zitierte Tatsache, daß sogenannte „geistige Arbeit", soviel man weiß, die allgemeine Öko- nomie des Körpers in energetischer Hinsicht nicht beeinflußt, obschon diese Tatsache in einer meiner Lehre günstigen Weise ausgelegt werden könnte. Die Tatsache andererseits, daß bloße Vorstellung einer Bewegungsausführung die Zirkulation in den Hirngefäßen verstärkt, erlaubt zurzeit keine eindeutige theoretische Auslegung. 172 Entelechie und das Prinzip der Erhaltung der Energie. Frage für sich, die nur auf Grund wirklicher empirischer Untersuchung beantwortbar ist. Ich lehne also noch entschiedener als früher i) jede Art von „energetischem Vitahsmus" ab. Was ,,ist" denn aber Entelechie, wenn sie keine be- sondere Art von Energie ist? Noch weitere vorbereitende Erörterungen sind zur Entscheidung dieses wesentlichsten Problems erforderlich. ^) ^gl- nieine „Naturbegriffe und Natururteile", 1904. 2. Entelecliie imd der „Satz des Gescheliens". Wir wenden uns dem zweiten Hauptsatz der Energetik zu. Er wird uns zum Studium der intimen Beziehungen führen, welche zwischen der nichtenergetischen Entelechie und den energetischen Faktoren des Anorganischen be- stehen. a) Der „zweite" Hauptsatz der Energetik. Es ist oft bemerkt worden, daß der ,, erste" Haupt- satz der Energetik gar nichts über Greschehen als solches aussagt, sondern nur über etwas, das mit Geschehen ver- knüpft ist. Wir wissen aber schon, daß sich noch ein anderes ganz allgemeines kausales Prinzip unschwer auf Grund rein gedanklicher Überlegungen entwickeln läßt : das Prinzip, daß es kein Geschehen geben kann, wo keine Ver- schiedenheiten existieren. Auf dem beschränkten Felde der Thermodynamik wurde dieses allgemeine Prinzip zuerst gesehen. C 1 a u s i u s und Lord Kelvin fanden, unabhängig von einander, einen kurzen Ausdruck für die Beziehungen zwischen Wärme und der von ihr geleisteten Arbeit; beide von ihnen gingen von der alten, aber sehr genialen Analyse der be- wegenden EJraft der Dampfmaschine aus, welche die Wissenschaft dem französischen Ingenieur SadiCarnot verdankt. Der erwähnte Ausdruck hat sehr verschiedene Formen angenommen. Lord Kelvin spricht von der ,, Zerstreuung der Wärme", während Clausius seine Analyse mit dem Prinzip beginnt, daß Wärme nicht ,,von selbst" von X74: Entelechie und der „Satz des Geschehens". einem kälteren zu einem wärmeren Körper übergehen kann. Clausius endet mit dem Satze: ,,Die Entropie des Universums strebt einem Maximum zu", wobei der Begriff Entropie eine besondere mathematische Funktion bezeichnet, die zu den charakteristischen Kennzeichen jedes thermodynamischen Prozesses gehört. Und es gibt noch viele andere Formulierungen desselben Prinzips. Der wahre Satz des Geschehens. Helm erweiterte zuerst das Gültigkeitsbereich des hier vorliegenden Prinzips über die Grenzen der Thermo- dynamik hinaus, und 0 s t w a 1 d folgte ihm. Helm formulierte einen allgemeinen ,,Satz des Geschehens", des Inhalts, daß Verschiedenheiten in den sogenannten ,, Inten- sitätsfaktoren" der Energie vorhanden sein müssen, damit Geschehen möglich werde, und daß sich eine Intensität nur dann auf einen höheren Wert erheben kann, wenn ein anderer IntensitätsAvert fällt. Es muß nämlich hier erwähnt werden, daß die moderne Energetik jede Energieart aus einem ,, Kapazitätsfaktor", wie Masse, spezifische Wärme, Elektrizitätsmenge, und aus einem ,,Intensitäts- faktor", wie Geschwindigkeit, Temperatur, elektrisches oder chemisches Potential, zusammengesetzt sein läßt. An anderer Stelle i) habe ich gezeigt, daß der so- genannte ,, zweite" Hauptsatz der Energetik sich aus zwei ganz verschiedenen logischen Bestandteilen zusammen- setzt. Der eigentliche ,,Satz des Geschehens" ist nichts anderes als eine spezielle Formulierung des aprio- ristischen, der allgemeinen Ontologie angehörigen Satzes, daß ohne gegebene Verschiedenheiten nichts geschehen kann, und daß die Entstehung von Verschiedenheiten vorgebildete Verschiedenheiten erfordert. Dieses Prinzip ist mit dem Satze von der Erhaltung der Energie von gleichem logischen Rang; wie der letztere ist es empirisch nur in seinen besonderen Anwendungen auf die wirkliche 1) „Naturbegrifife", Teil C 2. Entelechie und der „Satz des Gescheliens". 175 Natur. Daß eben die Intensitäten und diese allein verschieden sein müssen, und daß eine Intensität im Werte steigt, wenn eine andere Intensität fällt und damit ,, Arbeit" leistet, ist eine empirische Tat- sache; aber daß Etwas hier verschieden sein muß, wußte man vor aller Erfahrung. Ein gutes Beispiel dieses wahren zweiten Prinzips der Energetik liefert die Tatsache, daß selbst in der größten Wassermenge, im Ozean z. B., nichts ,,von selbst" geschehen würde, wenn die Temperatur überall gleich oder wenn das Niveau überall dasselbe wäre, obgleich der absolute im Wasser enthaltene Betrag an ,, Energie" enorm ist. Es würde eben keine thermischen oder mechanischen ,, Intensitätsdifferenzen" geben. Und andererseits liegt es lediglich an solchen Differenzen, wenn eine Dampfmaschine mechanische Arbeit leistet oder wenn ein Wasserfall elektrische Potentiale hervorbringt. Beiläufig bemerken wir, daß diese Tatsache des Nicht- geschehens bei Abwesenheit von Intensitätsverschieden- heiten zugunsten des Vorschlages spricht, das wahre zweite Prinzip der Energetik als ,, erstes", den Erhaltungs- sa,tz aber als ,, zweites" Prinzip anzusehen. Der Inten- sitätssatz ist in der Tat in weit unmittelbarer Weise der ,, erste". Und ferner ist der Erhaltungssatz nur von idealer Geltung: nur in Bezug auf einen Nullpunkt für alle Energie könnte nämlich alle Energie praktisch gemessen werden; einen solchen Nullpunkt gibt es aber nicht. Dies zeigt, nebenbei bemerkt, einmal wieder, wieviel mehr der Erhaltungssatz auf Vernunftgründen als auf Tatsachen berührt. Doch kehren wir zum Prinzip von C a r n o t in seiner erweiterten Eorm zurück, Zerstreuung als ein drittes Prinzip. Neben dem aprioristischen Satz des Geschehens steht nun die rein empirische Behauptung, daß es bei allen IJQ Entelechie und der „Salz des Geschehens". natürlichen Geschehnissen einen Prozeß der ,, Zerstreuung" oder der ,, Vermehrung der Entropie" gibt. Diese bloße Tatsache, der man auf allen Gebieten der Physik begegnet, ist in die üblichen Formulierungen des sogenannten ,, zweiten" Hauptsatzes stets einbeschlossen. Die Bedeutung dieser Tatsache erkennt man am besten, wenn man sich einen Fall ersinnt, in dem sie n i c h t gelten würde. In der abstrakten Mechanik wechselt ein Pendel in seinem Gehalte an kinetischer und an potentieller Energie ad infinitum: es schwingt ohne Ende; aber ein wirkliches Pendel hört bald auf zu schwingen wegen der Reibung; ,, Zerstreuung", in Form von Wärmeleitung, wird hier durch die Reibung herbeigeführt. Wir nennen das Gesetz der Zerstreuung das dritte oder empi- rische Gesetz der Energetik. Es ist leicht einzusehen, daß dasjenige, was den natür- lichen Phänomenen einen bestimmten Sinn, eine Richtung, im allgemeinsten Sinne des Wortes, gibt, nicht der wahre aprioristische zweite Hauptsatz ist, der von der Notwendigkeit von Intensitätsdifferenzen für Geschehen handelt, sondern das empirische Prinzip der Zerstreuung. Gäbe es nicht Zerstreuung, so würden alle Ereignisse in der Natur vom Typus des idealen Pendels sein, es würde einen ewigen Wechsel von Verschiedenheiten geben, aber nie würden Verschiedenheiten verschwinden. Er- fahrung zeigt, daß das nicht der Fall ist. Natürlich soll diese Lehre von der Zerstreuung nicht besagen, daß alles Geschehen, das aus der Verschiedenheit der Inten- sitäten resultiert, unmittelbar zu einem Mittelwert der Intensität und damit zu einem Ende des Geschehens führe, was bei rein thermischem Geschehen allerdings der Fall ist. In allen Fällen, in denen Umwandlungen von Energie statthaben, in denen eine Energie auf Kosten der anderen, auf Kosten des Arbeitleistens der anderen er- scheint, da liegt ein Zuwachs der Intensität der neu auftretenden Energie vor. Aber dieser Zuwachs ist nicht nur die Folge eines Intensitäts f a 1 1 e s der anderen Entelechie und der „Satz des Geschehens". 177 Energieart 1), sondern er ist auch stets von kleinerem Betrage, als der korrespondierende Intensitätsfall war: die Differenz zwischen Fall und Zuwachs ist ,, zerstreut" worden und daher verloren für künftige Geschehnisse in der Natur. Über die Verkettung von Energie. Unsere letzten Bemerkungen haben uns zu dem wichtigen Probleme der „Verkettung" oder ,, Kuppelung" der verschiedenen Energiearten geführt, und eben dieses Problem wird uns zur Biologie zurückführen. Es gibt eine spezifische Äquivalenz zwischen den Intensitätsfaktoren verschiedener Energien, ebenso wie es eine solche Äqui- valenz zwischen den Energiebeträgen als solchen gibt. Der Intensitätszuwachs der einen Energie steht in festen Beziehungen zum Intensitätsfall der anderen, derart, daß nicht nur die ,, Kuppelung" der einen Energie A zu den Energien B, C usw. fixiert ist, sondern auch der Betrag dieser Kuppelung. Durch diese Tatsache des Grekuppelt- seins wird der Begriff der Intensitätsdifferenz in sehr wichtiger Weise erweitert: er wird relativ. ,, Gleichgewicht" kann existieren, wenn soviel von der Intensität der einen Energie und soviel von der Intensität der anderen \^or- handen ist, und das Gleichgewicht kann gestört werden, wenn die Beziehungen zwischen den beiden Intensitäten wechseln. An diesem Punkte treten nun im Bereiche des zweiten Hauptsatzes der Energetik Möglichkeiten in ganz derselben Weise als Wirklichkeiten auf, wie es im Bereiche des ersten der Fall war. Nur in sehr wenigen Fällen können nämlich Intensitäten unmittelbar gemessen werden, in allen übrigen Fällen sind sie imaginär oder subsidiär. Man bewegt sich ^) So spricht die dogmatische Energetik. In Wirklichkeit bewirkt, im Chemischen zum Beispiel, die fallende Intensität das Steigen einer anderen wohl immer vermittels der Wärme. Das Steigen ist dann geringer als das entsprechende Fallen, weil eben ein Teil jener Wärme ,,zerstreut" wird. Driesch, Philosophie. II. 12 178 Entelechie und der „Satz des Geschehens". hier natürlich, wie bei allen Folgerungen aus aprior istischen Sätzen, aufs deutlichste in einem Zirkel: wenn z. B. in einem System, das aus verschiedenen chemischen Verbindungen oder Phasen verschiedenen Aggregatzustandes besteht, nichts geschieht, dann sagt man, es bestehe ,, Gleich- gewicht" der Intensitäten; geschieht etwas, so waren ,, Potentialverschiedenheiten" da. Das alles ist aber immer erst post factum bekannt ! Mit anderen Worten : die Potentiale und ihre Verschiedenheiten sind geschaffen worden, nachdem man wußte, was geschah und in welchem Betrage es stattfand. Und das leitende Prinzip dieser Schöpfungen ist immer die aprioristische Über- zeugung, daß Verschiedenheiten da sein müssen , damit etwas geschehen kann. ß) Der Satz des Geschehens in seiner Beziehung zur Entelechie. Wir studieren nun die Beziehung der Lebensphänomene zum wahren zweiten aprioristischen Hauptsatz der Ener- getik. Das dritte empirische Prinzip wird nur gelegentlich in unsere Erörterungen eintreten; eben da es empirisch ist, bietet es mit Rücksicht auf die Entelechie kein besonderes eigentlich ontologisches Problem dar. Daß ein ,, Gleichgewicht" irgend weicher Art gestört gewesen sein muß, wenn z. B. ein Regenera,tionsprozeß statthat, ist völlig selbstverständlich; diese Behauptung wirft durchaus kein Licht auf das Problem. Zu sagen: ,,Das Gleichgewicht ist gestört" und zu sagen ,,Es geschieht etwas" sind im logischen Sinne identische Sätze. Seltsamer- weise haben gewisse Biologen i) geglaubt, sie verkündeten die höchste Weisheit, wenn sie solche vitalen Phänomene wie die Restitution auf eine ,, Gleichgewichtsstörung" zurück- führten ! ^) Das Wort „Gleichgewicht" ist in der Biologie aufs äußerste gemißbraucht worden. Gewisse Autoren argumentieren oftmals so: Alle organischen Geschehnisse sind die Folge einer Gleichgewichts- störung, alle anorganischen Geschehnisse sind die Folge einer Gleichgewichtsstörung, „also" sind organische Geschehnisse eigent- Entelechie und der „Satz des Geschehens". 179 Das wahre Problem ist dieses: Mit Hilfe welcher einzelnen Akte stellt sich das gestörte Gleichgewicht wieder her, zumal in solchen Fällen, in denen wir wissen, daß Entelechie ihre Rolle spielt, und daß physikalisch-chemische Verschiedenheiten und Potentiale für sich genommen eine zureichende Erklärung dessen, was geschieht, nicht bieten könne. Noch einmal: ,,En tele c hie ist nicht Energie". Wer geneigt wäre, eine vitale Energieart anzunehmen, würde wenig Schwierigkeiten haben, dieses Problem zu lösen. Die ,, Intensität" seiner vitalen Energie wikde mit den Intensitäten der anorganischen Energien in ,, Ver- kettung" treten müssen; sie würde auf Kosten dieser wachsen oder zu ihren Gunsten fallen. Aber schon früher ist eine vitale Energie uns als etwas durchaus Unmögliches erschienen, und sie wird das hier erst recht. Denn obwohl sie immer ein und dieselbe ,,Art" von subsidiärer Energie wäre, müßte doch die ,,Entelechie-Energie" eines Indivi- duums mit variablen Intensitäten in Beziehung zu ein und derselben anorganischen Intensität begabt sein, immer in Harmonie mit den verschiedenen wirklich vorhandenen Zuständen der Störung eines Organismus, Mit anderen Worten : sie müßte eine Energie mit Ver- schiedenheiten in sich sein, was dem Begriff der Energie widerspricht. Wir können also nicht von den Intensitäten einer subsidiären ,,Entelechie-Energie" sprechen. lieh anorganisch (mechanisch). Dieser Beweis ruht auf der ,.logischen" Formel: Alle A sind C Alle B sind C Also: Alle A sind B; oder in Worten: Alle Menschen sind zweifüßig, alle Vögel sind zwei- füßig, „also" sind alle Menschen Vögel. Ich bedauere es sagen zu müssen, daß diese Art von „Logik" in der Biologie wirklich eine Bolle gespielt hat. 12* 180 Eütelechie und der „Satz des Geschehens''. Die Beziehung der Entelechie zu den Intensitäten der Energien. Aber trotzdem ist unser Studium des wahren zweiten Hauptsatzes der Energetik für uns fruchtbar gewesen. Obschon sie nicht in irgend einem Sinne einer Energie vergleichbar ist, kann doch Entelechie, soweit sie mit den Energien der anorganischen Natur in Beziehung tritt, solches nur durch Vermittlung derjenigen Faktoren tun, welche auch bei jeder Art von Verknüpfung der an- organischen Energien unter einander in Betracht kommen. Die Intensitäten der anorganischen Energien sind also der Punkt, an welchem jede mögliche Beziehung zwischen dem Lebenden und dem Nicht-Lebenden ansetzen muß, denn an den Intensitäten haftet alles räumliche Ge- schehen ausschließlich. Intensitäten der anorganischen Energien stehen nun, wie wir wissen, wenn sie überhaupt in irgend einer Be- ziehung zu einander sind, entweder in dem relativen Zu- stande des Gleichgewichts, das heißt der Kompensation, oder in dem Zustande des wechselseitigen Erscheinens und Verschwindens. Es ist also nach allem klar, daß auch die Entelechie im Bereiche des energetischen Weltbildes nur zu den Zuständen der Kompensation oder Nicht - kompensation der anorganischen Intensitäten eine Beziehung gewinnen kann und zu nichts anderem. Versuchen wir es, diese grundlegenden Beziehungen in einer konkreteren Weise zu formulieren, um aufs Klarste zu zeigen, wie nach unserer Meinung die Verschiedenheiten zwischen dem Vitalen und dem Anorganischen verstanden werden sollen. Man denke sich ein nicht-lebendes System, zusammengesetzt aus einer spezifischen Zahl von spezifisch angeordneten spezifischen chemischen Verbindungen und spezifischen Aggregat zuständen. Dann ist durch das sogenannte Potential und durch die Masse jedes Konsti- tuenten absolut bestimmt, was bis zur Erreichung des Gleichgewichts geschehen wird. Wir haben ein chemisches Entelechie und der „Satz des Geschehens". 181 und aggregatives System als Beispiel gewählt, weil auch im Organismus die einzelnen wirklich beobachtbaren Geschehnisse zu chemischen und aggregativen Sonderheiten führen. Wir studieren nun andererseits das Verhalten eines Systems, das aus chemischen und aggregativen Kon- stituenten besteht, wie früher, das aber gleich- zeitig Teil eines lebenden Organismus ist. Unsere Entelechielehre lehrt uns dann, daß das Ver- halten dieses Systems nicht ausschließlich von Po- tential und Masse der Konstituenten abhängig ist, sondern noch von etwas Weiterem. In welcher möglichen Beziehung kann dieses Weitere zu den Potentialen der Konstituenten des Systems stehen ? Esistvondergrößten Be- deutung, auf diese Frage eine Antwort zu finden, und ich hoffe im folgenden eine solche Ant- wort wenigstens anbahnen zu können. Entelechie ,, suspendiert" mögliches Geschehen. Entelechie kann nicht die chemischen Potentiale der Elementarbestandteile des Systems qualitativ ändern; wir haben wenigstens keinen Grund, diese Annahme zu machen, welche beispielsweise einschließen würde, daß Entelechie Schwefelsäure (H2 SO4) aus den Chloriden des Kaliums und Natriums machen könnte. Soviel wir wissen, ist Entelechie in ihrem Wirken durch viele Specifica der anorganischen Natur beschränkt, und darunter sind auch die als ,, chemische Elemente" bezeichneten Sonderheiten. Entelechie kann auch nicht, von Elementar Verwandlungen ganz abgesehen, solche chemische Verbindungen zur Reaktion veranlassen, welche im Anorganischen nie mit einander reagieren. Kurz gesagt : Entelechie kann keinelnten- s i t ä t s d i f f e r e n z e n irgend welcher Art überhaupt schaffen. Aber, soweit wir auf Grund der Tatsachen der Re- stitution und Adaptation urteilen können, ist Entelechie 282 Entelechie und der „Satz des Geschehens". fähig, diejenigen Reaktionen, welche zwischen den in einem System vorhandenen Verbindungen möglich sind und ohne die Dazwischenkunft von Entelechie ge- schehen würden, so lange zu suspendieren, wie sie es nötig hat. Und zwar kann sie diese Suspension von Reaktionen bald in dieser und bald in jener Richtung regulieren, indem sie mögliches Geschehen sistiert oder zuläßt, wie es ihren Zwecken entspricht. Nach allem früher Gesagten kann diese Suspension der Affinität, um es so auszudrücken, nur als zeitweilige Kompensation von Intensitätsfaktoren aufgefaßt werden, von Faktoren, die sonst unkompensiert sein und unmittelbar zu Geschehen leiten würden. Diese Fähigkeit zu tempo- rärer Suspension anorganischen Geschehens muß als die wichtigste ontologische Eigenschaft der Entelechie an- gesehen werden ; weil sie diese Fähigkeit besitzt, ohne doch eine Energie zu sein, ist Entelechie das nicht-physiko- chemische Agens. Wohl verstanden: wir nehmen nicht an, daß Ente- lechie Potentiale dadurch in aktuelles Geschehen über- führen kann, daß sie irgendwie ,, auslöst". Nach unserer Auffassung ist Entelechie ganz und gar unfähig zum Weg- räumen irgend eines ,, Hindernisses" für aktuelles Ge- schehen, wie es z. B. bei der Katalyse geschieht; denn solch ein Wegräumen braucht Energie, und Entelechie ist nicht- energetisch. Wir lassen Entelechie nur das in Aktualität setzen, was sie selbst vordem gehindert, was sie selbst suspensiert hatte. Entelechie und die Kontinuität des Lebens. Daraus folgt nun etwas sehr Wichtiges : Wenn Ente- lechie immer etwas getan haben muß, damit sie etwas tun kann in Gegenwart oder Zukunft, so kann es natürlich keinen eigentlichen Anfang ihres Wirkens geben, sondern dieses Wirken muß kontinuierlich sein. Und das lehrte uns nun ja auch die Tatsache der Ver- erbung. Das Leben ist in der Tat kontinuierlich : ein Entelecliie und der „Satz des Geschehens". 183 gewisser Teil Materie, der unter der Kontrolle der Ente- lechie steht, wird von Generation zu Generation weiter ge- geben, und auf diese Weise hat Entelechie immer schon gehandelt i). Unglücklicherweise sind wir, wie sich noch näher herausstellen wird, durchaus nicht imstande, diesen regressus ad infinitum zu vermeiden. Wir wissen wenigstens nichts über einen ersten und wahrhaft ursprüng- lichen Akt von Suspension anorganischen Geschehens seitens der Entelechie. Entelechie und Chemismus. Wir können die Möglichkeit eines temporären Suspen - dierens von Rea^ktionen seitens der Entelechie natürlich nur für solche Fälle zugeben, in denen ein empirischer Grund dafür vorliegt, daß sie diese Leistung vollbringt; und dieser Grund liegt gegenwärtig nur im Bereiche chemischer und aggregativer Ereignisse vor. In diesen Gebieten gibt es in der Tat eine Art von Überwindung der anorganischen Natur durch das Organische, eine Überwindung, die natürlich nicht selt- samer ist als z. B. die Tatsache, daß die Gravitation durch Elektrizität überwunden wird, wenn kleine Hollundermark- kugeln von einem geriebenen Glasstab angezogen werden; freilich treten im letzteren Falle zwei wahre ,, energetische" Intensitäten mit einander in Beziehung, im ersteren nicht. Wenn die vom Spiritismus behaupteten Tatsachen wahr sein sollten — eine Frage, über die ich durchaus 1) Hier könnte man einwenden, daß die Kontinuität der Kon- trolle seitens der Entelechie eine Verminderung des Betrages an möglichem Geschehen einschließen würde, wegen des Zerstreuungs- prinzips; und daß deshalb das Leben, d. h. die suspendierende Wirkung der Entelechie, bald zu Ende kommen würde. Aber der Satz von der Zerstreuung ist ein rein empirisches Prinzip der anor- ganischen Wissenschaft, und keiner kann apriori sagen, daß die regulierenden Suspensionsakte der Entelechie ihm unterworfen sein müssen; Anstieg und Fall zwischen gekuppelten Intensitäten könnte in der Sphäre vitalistischen Geschehens von gleichem Betrage sein. X84 Entelecliie und der „Satz des Geschehens". keine persönliche Erfahrung besitze — , oder wenn es wirk- hch wahr sein sollte, daß indische Fakire imstande sind, die Schwerkraft zu überwinden und sich vom Boden zu erheben, dann würde es ein weit größeres Feld anorganischer Intensitäten geben, auf welchem Geschehen, das auf Basis gegebener Intensitätsdifferenzen möglich wäre, von der Entelechie zeitweise suspendiert werden kann. Eine Erklärung für die Grenzen der Regulier- barkeit und des Lebens überhaupt. Wir wissen jetzt, daß die Wirkung der Entelechie nur darin besteht, zu suspendieren, was ohne sie unmittelbar geschehen würde, und diesen Suspensationsakt regulatorisch zu leisten. Mit Hilfe dieser Einsicht verstehen wir nun aber gleichzeitig zwei sehr wichtige Charakterzüge aller Lebensphänomene: die Abhängigkeit des Lebens von den Bedingungen des Mediums und die Grenzen seiner Regulationsfähigkeit. Wir wissen, daß Leben ohne Nahrung und Sauerstoff, ohne einen gewissen Betrag an Wärme und ohne eine be- sondere Zusammensetzung des Mediums bei Wasserorganis- men, alles innerhalb bestimmter Grenzen, unmöglich ist. Wir haben auch oft in unserer rein biologischen Unter- suchung betont, daß große Unterschiede in der regulativen und adaptiven Fähigkeit der Organismen existieren: Die eine Pflanze kann in Wasser und in Luft gleichermaßen leben, während die andere stirbt, wenn man sie unter das Wasser versenkt; der Molch regeneriert den Fuß in äußerster Vollendung, während Säugetiere nur zur Wundheilung be- fähigt sind. Gerade diese Tatsachen nun, so scheint mir, sind un- schwer auf Grund der Annahme verständlich, daß Ente- lechie nur die Kompensation solcher energetischer Intensitäts- oder Potentialdifferenzen suspendieren kann, welche bereits da sind, daß sie aber nicht Intensitäts - differenzen schaffen kann. Die Leistung der Entelechie Entelechie und der ,.Satz des Geschehens". 185 wird damit abhängig von den Potentialen der einzelnen Teile des Körpers unter einander, welche Potentiale für sich genommen anorganischen Charakters sind, und von den Potentialen des Körpers zum umgebenden Medium. Man könnte hier einwenden, daß das Medium ja stets Potentiale des allerhöchsten Wertes in sich berge, wie sie z. B. in seiner Temperatur und in der Intensität der Sonnenstrahlen gegeben sind. Diese Potentiale sind sicherlich für die Erhaltung des Lebens von der größten Bedeutung, weil auf Grund ihrer das Leben nicht aus- schließlich von den inneren Potentialen des materiellen Organismus als solchem abhängt. Wir wissen aber anderer- seits, daß es nicht nur Potentialdifferenzen als solche geben muß, damit Geschehen möglich sei, sondern mit einander gekuppelte Potentialdifferenzen, welche wegen dieser ihrer Kuppelung in einander umgeformt werden können; und es ist nun eine wohlbekannte Tatsache, daß sehr viele chemische und aggregative Prozesse dem Einfluß strahlender Energie so gut wie vollständig ent- rückt sind Entelechie ist also in ihren Leistungen von bereits existierenden Potentialdifferenzen abhängig, da ja der Organismus auch ein a n organisches System ist, welches sich inmitten eines energetischen Mediums befindet. Diese Beschränkung i) nun erklärt nicht nur die Grenzen der Regulationsfähigkeit, sondern auch, im Prinzip wenigstens, Krankheit und Tod 2). ^) Die Diskontinuität der physischen Phänomene, auf der die sogenannte „Theorie der Materie" ruht, ist natürlich auch eine der Bedingungen, welche die Entelechie beschränken. Maxwell, Mac Kendrick und Errera haben das mögliche Größenminimum eines Organismus von diesem Gesichtspunkt aus diskutiert. Ygl. Errera, Bull. soc. roy. sc. med. et nat., Bruxelles, janvier 1903, wo sich die weitere Literatur genannt findet. 2) Aus unserer Erörterung morphogenetischer Teleologie (S. 132f.) geht hervor, das der Tod zwar das „Ende"' des individuellen Lebens, aber keineswegs sein TeXoq ist — wenigstens nicht vom Standpunkt der Naturphilosophie aus. 186 Entelechie und der „Satz des Geschehens". Die Grenzen der Regulationsfähigkeit können be- kanntlich ?ouf ziemlich unbedeutende Daten letzthin begründet sein, und ihr Effekt kann trotzdem stark hervor- treten. Die Fragmententwicklung der isolierten Blastomeren gewisser Arten von Eiern illustriert das Gesagte in klarer Weise ; es kann von irgend einer an sich sehr unbedeutenden Eigentümlichkeit des Protoplasmas abhängen, daß die isolierte Elastomere des Ctenophoreneies ihre einfache intime Protoplasmastruktur nicht zu einem kleinen neuen Ganzen umzubilden vermag; aus der Unmöglichkeit, diese ziemlich einfache Regulation zu vollbringen, folgt nun aber die Entstehung eines halben Organismus an Stelle eines ganzen. Der Entelechie wird ein Minimum an Leistungen zugeschrieben. Es ist unser Bestreben gewesen, die Beziehung zwischen der Entelechie und den anorganischen Elementaragentien so zu formulieren, daß nichts gefordert wird, was nicht auf Grund experimenteller Tatsachen gefordert werden darf, und daß gleichzeitig der Betrag der der Entelechie zu- geschriebenen Sonderleistungen so klein als möglich er- scheint. Nach unserer persönlichen Überzeugung haben wir der Entelechie zu wenig an Neuem auf- gebürdet. Wir glauben, daß künftige Erfahrung das Bereich ihres Wirkens erweitern wird. Die beste wissenschaftliche Methode ist aber immer diejenige, welche von Neuem nur das absolut Notwendige annimmt i). Indem wir der Entelechie nur die Suspension mög- lichen Geschehens, freilich in variier- und regulier- barer Weise, zuschrieben, haben wir, glaube ich, auch einen Vorwurf vermieden, der häufig dem Vitalismus gemacht ^) Man vergleiche zu unserer Darlegung die Art und Weise, in der neuerdings Klein schrod (Die Eigengesetzlichkeit des Lebens. Langensalza 1908) die Beziehung zwischen Leben und Energie zu formulieren versucht. Entelechie und der „Satz des Geschehens". 187 worden ist. Wir haben der Entelechie keine Leistung aufgebürdet, welche an sich irgend einen Energiebetrag repräsentiert; wir taten das darum nicht, weil wir einmal aufs strikteste jede Theorie abwiesen, welche die Entelechie selbst als eine Energieart ansieht, und weil andererseits der Gredanke einer Schöpfung von Energie durch ein Nicht- energetisches unnötig viel an Neuem einführen würde — freilich würde auch er nichts einführen, was aprioristisch unmöglich wäre, denn der Satz von der Energieerhaltung ist nur dann eine in seinen Grundlagen aprioristische Wahrheit, wenn lediglich räumliche Kausalität für ein System in Frage kommt i). Die Suspension der Kompen- sation unkompensierter gekuppelter Intensitätsdiffe- renzen und die Aufhebung solcher Suspension sind nun in der Tat keine Leistungen, die irgend einen Energie- "betrag erfordern würden. Denn wir wiederholen es noch einmal: unser hypothetischer Akt der Suspension und des Aufhebens der Suspension tatsächlich unkompensierter Potentiale bezieht sich durchaus nicht auf ein Weg- schaffen von Hindernissen, wie es z. B. bei der Katalyse 2) geschieht. Wir müssen immer aufs Sorgfältigste unterscheiden zwischen dem Schaffen von Potentialdifferenzen und zwischen der Suspension der Kompensation existierender Differenzen. Das erste ist nur bei wirklicher Energie- übertragung möglich, während Suspension und Suspen- sionsaufhebung keine Energieübertragung benötigt, sondern nur in einer Umformung von Energie aus aktueller in potentielle Form und vice versa besteht. Entelechie und ,, Katalyse". Es dürfte endlich am Platze sein, noch einige Worte über die besondere Natur der anorganischen Potentiale, mit 1) Vgl. S. 161. ^) Auf Grund der Lehre von den „Zwischenreaktionen" würde die vom Katalysator ausgeführte Leistung auch keinen besonderen Betrag an Energie erfordern. 18g Entelecbie und der „Satz des Geschehens". denen Entelechie es zu tun hat, beizufügen. Wir haben bereits wiederholt bemerkt, daß das Gebiet der Chemie und der Aggregatphysik die eigenthche Wirkungssphäre der Entelechie ist; eben daher sind alle Untersuchungen über die chemische und aggregative Natur der sogenannten ,, lebenden Materie", wie sie namentlich von Berthold, Bütschli, J. Loeb und Rhumbler ausgeführt wurden, von so großem Interesse. Wir können nun, glaube ich, noch schärfer präzisieren, an welchem bestimmten Punkt Entelechie einsetzt. Der Prozeß der ,,Katatyse" spielt, wie wir bereits wissen, nicht nur im normalen, sondern auch im regulativen Lebenslauf eine große Rolle. Es ist nun für unseren gegenwärtigen Zweck ohne große Bedeutung zu wissen, welche Theorie der katalytischen Vorgänge die richtige ist, obschon wir persönlich glauben möchten, daß Katalysatoren nicht nur Reaktionen beschleunigen, sondern auch ermöglichen i); wir können auch zugeben, daß der Effekt eines fertigen Ferments oder Enzyms a n organisch ist, ebenso wie der- jenige der anorganischen Fermente B r e d i g s 2). Auf alle Fälle ist aber die Bildung der Katalysatoren oder ihre sogenannte ,, Aktivierung" dasjenige, was bei Regu- lationen und Adaptationen in erster Linie in Betracht kommt, wobei bemerkt sei, daß die ,, Aktivierung" von ,, Profermenten" zu Fermenten natürlich auch insofern ein Prozeß wahrer Neubildung ist, als die Fermente durch diesen Prozeß erst gewissermaßen sie selbst werden. ^) Die Verschiedenheit zwischen beiden Theorien verschwindet praktisch, wenn angenommen wird, daß alle vom Katalysator „beschleunigten" Prozesse ohne ihn „unendlich langsam" verlaufen. Ihr Verlauf auch ohne die Fermente ist hier eben nur angenommen, um einer Eigentümlichkeit des Denkens zu genügen, nämlich seiner Unfähigkeit, einen Anfang zu begreifen. Viele Anwendungen der Infinitesimalrechnung- auf Physik beruhen auf dieser Eigentümlichkeit des Denkens. 2) Bredig selbst ist durchaus kein dogmatischer Gegner des VitaUsmus (vgl. Biochem. Zeitschr. 6 1907, p. 326, und Zentralbl. f. Bakter. 19 1907, p. 493). Entelechie und der „Satz des Geschehens". 189 In der Bildung oder Aktivierung von Fermenten sehen wir also hypothetisch die eigentliche fundamentale Rolle, welche die Entelechie spielt. Unsere Suspensionstheorie verbietet uns natürlich, die Entelechie als wahre Schöpferin katal3^ischen Materials anzusehen. Wir meinen vielmehr, daß auf Basis des im Organismus wirklich gegebenen chemischen Systems eine unbeschränkte, obschon nicht strikte unendliche Va.riation von Reaktionen bezüglich der Bildung von Fermenten möglich ist. An dieser Summe möglicher Reaktionen hat Entelechie teil, indem sie durch Suspension und Suspensionsaufhebung das Mögliche regu- latorisch wirklich werden läßt. ScMuf). Wir haben nun, wie mir scheint, alles dargelegt, was sich in allgemeinster Beziehung über das Verhältnis der Entelechie zum wahren zweiten Hauptsatz der Energetik, welcher, aprioristisch in seinen Grundlagen, sich mit den Intensitätsdifferenzen und ihrer Kuppelung beschäftigt, ausmachen läßt. Dieser Hauptsatz bleibt bei allen Lebens- prozessen in voller Gültigkeit, und eben, weil er gültig bleibt, sehen wir das Leben in Abhängigkeit vom Anorganischen stehen. In gewisser Hinsicht kann es ja gar keinen Widerspruch zwischen dem zweiten Hauptsatz und der Entelechielehre geben, nämlich eben wegen des teilweise aprioristischen Charakters des ersteren. In diesem Sinne können wir sagen, daß jener Hauptsatz gültig sein mußte, und daß es sich für uns nur um das besondere Problem der Art seiner Versöhnung mit der Entelechie- lehre handelte. Unser Problem war also nicht zu untersuchen, ob der zweite Hauptsatz für den Organismus gilt oder nicht, sondern auszumachen, wie er gilt, da seine anorganische Form des Geltens natürlich nicht zur Erklärung des Lebens genügt. Was nun aber Entelechie eigentlich ,,ist", ist durch unsere recht komplizierten Untersuchungen immer noch nicht ausgemacht. 3. Die Bezielmug der Entelecliie zur Verteilung gegelbener Elemente. a) Einige scheinbare "Widersprüche zwischen der Ente- lechielehre und dem zweiten und dritten energetischen Hauptsatze. Das Problem. Die Tatsache der individuellen organischen Entwick- lung im allgemeinen und die Differenzierung harmonisch- äquipotentieller Systeme im besonderen scheint dem zweiten und dem dritten Hauptsatz der Energetik auf den ersten Blick zu widersprechen, und einige Sonderheiten, welche mit menschlichem Handeln wenigstens verbunden sein können, scheinen das auch zu tun. Daher bedarf das Problem der Beziehung zwischen Entelechie und dem zweiten und dritten energetischen Hauptsatze noch weiterer Erwägung i). Ein harmonisch-äquipotentielles System besteht vor Beginn der Differenzierung aus Elementen, welche unter- einander aktuell und potentiell gleich sind; und aus der Summe dieser Elemente formt der Differenzierungsprozeß ein neues System, dessen Elemente eine außerordentlich hohe Verschiedenheit unter sich aufweisen, sowohl aktuell wie meist auch potentiell 2). Wir wissen, daß keine spezi- fischen und lokalisierten äußeren Ursachen für jede einzelne 1) Das hier vorliegende fundamentale Problem sah ich zuerst in meinen „Naturbegriffen" (1904), S. 180. Aber ich fand damals keine befriedigende Lösung. ^) Man vergleiche zu diesem Abschnitt Bd. I S. 119 ff. Die Beziehung der Entelechie usw. 191 der resultierenden Verschiedenheiten verantworthch sind. Entelechie andererseits, wie wir wissen, ist keine Energie, obschon sie fähig ist, energetische Prozesse zu suspendieren. Was bedeutet das ? Sieht es nicht so aus, als würde bei der Differenzierung eines harmonisch-äquipotentiellen Systems lediglich mittels der Faktoren des Systems ein homogener Zustand zu einem Zustand der Verschiedenheit ? Das scheint in der Tat der Fall zu sein, wenigstens so weit die Entstehung von Verschieden- heit im System selbst in Frage steht, mögen auch ener- getische Potentiale zwischen dem Medium und dem System eine Rolle in diesem Prozesse spielen. Denn diese Potentiale beziehen sich ja nur auf Geschehen überhaupt, aber nicht auf Geschehen, das zu einem Verschiedenwerden der örtlich verschiedenen Teile des Systems führt. Das scheint nun in der Tat dem zweiten und dem dritten energetischen Prinzip gleichzeitig zu widersprechen. Eine teilweise Lösung des Problems. Freilich darf man nun nicht vergessen, daß ein harmo- nisch-äquipotentielles System alles andere als im strikten Wortsinne homogen ist; es besteht meist aus Zellen, und Kern wie Plasma dieser Zellen sind wahrscheinlich aus einer enormen Menge chemischer und aggregativer Kon- stituenten zusammengesetzt. Ein gewisser Teil des Problems mag durch solche Einsicht gelöst erscheinen, aber ein anderer Teil bleibt ungelöst. Denn wenn wir selbst zugeben, daß am Ende des Differenzierungsprozesses nicht eine größere Zahl einzelner verschiedener Elementarkonstituenten des Systems existiert als vor seinem Beginne: ganz gewiß gibt es am Ende der Differenzierung einen erheblich größeren Betrag oder Grad von Verschiedenheit in der Verteilung der einzelnen verschiedenen Elementarkonstituenten a,ls am Beginn der Differenzierung ; und dieser größere Betrag von Verteilungsverschiedenheit ist durch die Faktoren des Systems allein geschaffen worden. Was bedeutet das? 292 ^^^ Beziehung der Eutelechie usw. Eine Mischung von öl und Wasser, die sich in eine Lage öl und eine Lage Wasser sondert, zeigt auch einen höheren Grad von Verschiedenheit oder Heterogeneität in der Verteilung ihrer Elemente am Ende als am Beginn des Geschehens, und etwas Älmliches tritt noch klarer auf, wenn drei Substanzen gemischt werden, die verschiedenes spezifisches Gewicht besitzen und ineina.nder unlöslich sind. Aber hier ist ein äußerer Faktor, die Gravitation, für das Geschehen verantwortlich. Ein solcher äußerer Faktor, der für das Wachsen des Betrages an Verteilungsverschiedenheit verantwortlich sein könnte, fehlt aber im Falle der Diffe- renzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme! ß) Die elementare Rolle der Enteleehie im Sehaffen von „Verteilungsverschiedenheiten". Die Rolle der Enteleehie bei der Formbildung. Wir wissen bekanntlich, daß ein harmonisch-äqui- potentielles System von Enteleehie beherrscht wird, und daß die Leistung von Enteleehie darin besteht, bestehende Potentialdifferenzen, d. h. mögliche anorganische Wechsel- wirkungen, in regulatorischer Weise aufzuheben und frei- zugeben. Was bedeutet das nun für den Ursprung von Differenzierung ? Ein harmonisch-äquipotentielles System besitzt, wie wir wissen, das Charakteristikum, daß aus jeder seiner Zellen jeder einzelne Organisationsbestandteil werden kann. Da nun aber Formbildung ganz wesentlich von chemischen und aggregativen Umwandlungen abhängt, so heißt das, daß in jeder Zelle eines harmonischen Systems dieselbe Zahl und Art von chemisch-aggregativen Reaktionen möglich isti). Nur ein Teil dieser möglichen Reaktionen ^) Das Wort „möglich" soll hier nicht, wie in einer gewissen Theorie der Katalyse, „in unendlich kleinem Maße wirklich" be- deuten. Die Enteleehie suspendiert Aktualität absolut; ohne sie würden alle möglichen chemischen Reaktionen bis zur Erreichung des „Gleichgewichts" mit der durch die anorganischen Umstände gegebenen Geschwindigkeit vor sich gehen. Die Beziehung der Entelechie usw. 193 wird in jeder Zelle wirklich, und diese wirklichen Reaktionen sind jeweils mit der relativen Lage der Zelle verschieden. Eben in dieser Umwandlung von Möglichkeit in Wirklich- keit besteht der Entelechie fundamentale Leistung, be- gründet in ihrem elementaren Vermögen, mögliches Ge- schehen zu suspendieren und freizugeben, je nachdem es nötig ist. Was folgt daraus ? Wie mir scheint, eine Beziehung ganz fundamentaler Art. Wenn wir einmal zwischen der ,, Verschiedenheit der Elementarkomposition" und der ,,Verteilungs Verschieden- heit" eines Systems unterscheiden wollen, so können wir sagen: Entelechie ist zwar nicht imstande, den Betrag an Kompositionsverschiedenheit eines gegebenen Systems zu erhöhen, wohl aber kann sie, regulatorisch, den Grad seiner Verteilungsverschiedenheit vermehren; und zwar tut sie letzteres, indem sie ein System gleich verteilter Möglich- keiten in ein System ungleich verteilter Wirklichkeiten verwandelt. Jetzt erscheint als unmittelbarer Effekt der Entelechie und zugleich als Realdefinition des Begriffs ,, Differenzierung", was anfangs nur als der letzteren Be- schreibung erschien. ,, Differenzierung" eben ist es, welche die Grenzen anorganischen Geschehens überschreitet. Es verlohnt sich, den Unterschied zwischen Elementar- kompositions Verschiedenheit und Verteilungs Verschieden- heit noch in etwas konkreterer Weise schematisch zu ver- anschaulichen. Ein harmonisch-äquipotentielles System mag aus n Zellen bestehen, deren jede aus m elementaren (chemisch-aggregativen) Konstituenten aufgebaut ist. In jeder Zelle könnte jeder Konstituent mit jedem anderen rea- gieren; mit anderen Worten, es existieren chemische Po- tentiale oder Affinitäten zwischen jedem möglichen Paar von Konstituenten in jeder Zelle. Soweit handelt es sich um die gegebene ,, elementare Kompositions Verschiedenheit", Driesch, Philosophie. 11. 13 294 -Die Beziehung der Entelechie usw. welche hinsichtlich der auf Grund ihrer möglichen Wirkungen durch die suspendierende Leistung der Entelechie in einem Zustand reiner Potentialität gehalten wird. Aber nun geht die Entelechie zur Aktualität über und eben damit vergrößert sie den Betrag an ,,Verteilungs Verschiedenheit" in unserem System; in Wirklichkeit wird nur einer von allen in jeder Zelle möglichen Reaktionen der Ablauf gestattet; und diese aktuelle Reaktion, durch welche die ,, prospektive Bedeutung" der Zelle bestimmt wird, ist verschieden in jeder einzelnen. Ihre Spezifität wird in jeder Zelle regulatorisch durch die Entelechie bestimmt, und auf diese Weise wandelt Entelechie eine ,, homogene" Verteilung gegebener verschiedener Elemente und gegebener möglicher Reaktionen in eine ,, heterogene" Verteilung von Effekten umi). Die Rolle der Entelechie bei der Handlung. Nachdem das analytische Studium derjenigen Art von Entelechie, welche tjrpische Ordnung im Räume beherrscht, uns so wichtige Resultate ergeben hat, wollen wir jetzt auch einige mit dem Begriff der Handlung ver- knüpfte Charakteristika studieren, d. h. uns denjenigen Arten der Entelechie zuwenden, welche sich vornehmlich auf zeitliche Ordnung beziehen. Gregeben sei ein Arbeiter und ein Haufe Ziegelsteine, und der Arbeiter baue ein kleines Haus aus den Ziegeln» Ohne weiteres ist hier klar, daß das durch die Ziegelsteine dargestellte ,, System" aus einem Zustande ungefähr homogener Verteilung in einen Verteilungszustand von ^) Wer sinnliche Gleichnisse für das Nicht-sinnliche liebt, mag die Entelechie mit einem Sieb vergleichen, dessen Löcher eine typische Anordnung haben: durch so ein Sieb wird auch eine homogene Verteilung, etwa von Erbsen, zu einer heterogenen; ja, durch Annahme verschieden großer Löcher und verschieden großer zu siebender Gegenstände könnte man das Bild noch weiter ausmalen. Die Beziehung der Entelechie usw. 195 sehr ausgeprägtem Verschiedenheitsgrad übergeht. Man wird mir hier antworten, daß jeder einzelne Stein durch einen einzelnen äußeren Faktor, nämlich einen einzelnen Bewegungsakt seitens des Arbeiters, an seine Stelle gebracht sei, und das ist sicherlich zutreffend. Wenn man aber Arbeiter plus Steinhaufen und, natürlich, plus Medium als das zu studierende ,, System" ansieht, so verändert das Problem seinen Charakter. Ganz gewiß sind viele Ver- schiedenheiten in einem Teile des Systems, nämlich in dem Arbeiter, zu Beginn des Prozesses gegeben gewesen, aber, wenn der Prozeß zu Ende ist, finden wir einen viel höheren Grad von Verschiedenheit in dem ganzen System mit Rück- sicht auf die Verteilung seiner Elemente als vorher: denn der Steinhaufen ist in Bezug auf seine Verteilungsart viel ,, verschiedener" geworden, und der Arbeiter hat nichts an Verschiedenheit eingebüßt. So hat denn das ,, System" seinen Betrag an Verteilungs Verschiedenheit erhöht durch lediglich in ihm selbst i) gelegene Faktoren. Wir erhalten so dasselbe Resultat, wie aus dem Studium der harmonisch- äquipotentiellen Systeme, wenigstens in Bezug auf diesen einen Punkt: Verteilungs Verschiedenheit. Nur insofern ist ein Unterschied vorhanden, als bei der Formbildung die suspendierenden Akte der Entelechie sich auf die materiellen Elemente des Körpers ausschließlich erstrecken, während sie sich bei der Handlung unmittelbar auf die materiellen Elemente des Hirns beziehen und durch das Hirn — und das Muskelsystem — ein gewisses äußeres Material mit affizieren. Aber dieser Unterschied berührt nicht die Hauptsache. ^) Die energetischen Agentieu des Mediums sind natürlich nur notwendig für Geschehen überhaupt, aber haben gar nichts mit dem Auftreten von Verschiedenheiten der Verteilung in unserm System zu tun. Mit Hilfe eines und desselben Quantums von Sauerstoff, Nahrung usw. würde der Arbeiter ja entweder den ursprünglichen homogenen Ziegelhaufen in einen anderen homo- genen Haufen umformen oder irgend ein kleines Haus seiner Wahl bauen hönnen, 13* 296 -^'^ Beziehung der Entelechie usw. y) Die Bolle der Entelechie widerspricht den ener- getischen Hauptsätzen als solchen nicht, wohl aber einem anderen möglichen Prinzip anorganischen Geschehens. Auf den ersten Blick scheint unser Resultat dem zweiten, und natürlich erst recht dem rein empirischen dritten Hauptsatz der Energetik zu widersprechen: Denn wenn Verschiedenheiten ohne das Vorhandensein anderer Verschiedenheiten erzeugt werden können, so nimmt der Betrag an Verschiedenheiten in einem gegebenen System nicht nur nicht ab, wie der dritte Hauptsatz fordert, sondern in aller Deutlichkeit zu, und zwar ohne Wirkung vonaußenher. Und doch liegt hier kein Widerspruch zum zweiten und dritten Hauptsatz in ihrer üblichen Fassung vor, sondern etwas ganz anderes: denn wir haben ja nicht eine Vermehrung der Zahl elemen- tarer Verschiedenheiten durch unsere Ausführung zu- gelassen und haben auch nicht von einem Anwachsen von Verschiedenheit mit Bezug auf Intensitätsdifferenzen geredet. Wir haben nur behauptet, daß ein Anwachsen von Verschiedenheit mit Rücksicht auf die Verteilung von Elementen von innen heraus eingetreten ist, eine Ver- schiedenheit mit Rücksicht auf Tektonik i), wenn wir einmal so sagen wollen. Aber darüber wird gar nichts von den energetischen Hauptsätzen ausgesagt, weder im Positiven noch im Negativen; diese Hauptsätze beziehen sich aus- schließlich auf die Verschiedenheit von Potentialen oder Intensitäten, kurz, auf ,, Kompositions Verschiedenheit". Es würde nun freilich falsch sein, daraus weiter zu schließen, daß in unserem Resultat überhaupt kein Gegen - 1) Ein sehr gutes Beispiel für die Vermehrung der Verteilungs-, aber nicht der Elementarkompositionsverschiedenheit wird durch den Prozeß des Buchdruckens dargeboten: Es seien der Setzer und und die Lettern zusammen als „System" angesehen; durch den Akt des Setzens — eine wahre „Handlung" in unserem analytischen Sinne — werden neue Lettern natürlich in keiner Weise erzeugt, aber die gegebenen Lettern, welche anfänglich in sehr einfacher Weise verteilt waren, sagen wir in 52 Schachteln, zeigen am Ende einen ganz außerordentlich hohen Grad spezifischer Verteilung. Die Beziehung der Entelecliie usw. 197 satz zwischen e^norganischen und vitalen Phänomenen vorHege. Aber dieser Gegensa,tz bezieht sich nicht auf den eigentlichen zweiten Hauptsatz der Energetik, sondern auf ein allgemeineres ontologisches Prinzip, welches mit Rücksicht auf anorganisches Geschehen hätte formuliert werden können, auf ein Prinzip, welches in der Tat in einer gewissen Form im Anorganischen und in einer gewissen anderen Form im Organischen i) realisiert ist, welches aber Physik und Chemie gewisser- maßen vergessen haben. Dieses Prinzip kann in seiner allgemeinsten, ontologischen Form ausgedrückt werden, wie folgt: ,,Ein System, welches einen gewissen Zustand von Verschiedenheit hinsichtlich seiner aktuellen und potentiellen Konstituenten besitzt, kann nicht durch seine eigenen Faktoren in einen heterogeneren Zustand übergeführt werden." Solches Geschehen würde das Prinzip des zu- reichenden Grundes verletzen. Das Prinzip empfängt eine beschränkte, nur für das Anorganische gültige Form, wenn die Worte ,, Konstituenten" und ,, Faktoren" energetisch verstanden werden, und schließt dann natürlich den wahren zweiten Hauptsatz der Energetik als Unterfall ein; es spricht aber auch dann von jeder Art von Verschiedenheit, auch von solcher bloßer räumücher Ordnung, und nicht nur von Intensitätsverschiedenheiten, wie der letztere; es ist also allgemeiner als dieser. Es lautet also in seiner anorganischen Form: ,,Ein System, welches durch eine bestimmte Konstellation von Energiegrößen vollständig gekennzeichnet ist und also auf ^) Es ist ein seltsames Faktum, daß von unserem Gesichts- punkte aus das biologisch höchst seltsame Phänomen der Rück- differenzierung, wie es bei Clavellina und Tubularia (vgl. Bd. I, p. 164f.) vorkommt, trotz seiner biologischen Ausnahmestellung, an- organischen Phänomen ähnlicher erscheint als normale Differen- zierung: ßückdifferenzierung besteht ja in einer Abnahme des Grades der Verteilungsverschiedenheit. 198 I-^i® Beziehung der Entelechie usw. Grund dieser einen gewissen Grad von Verschiedenheit der Elementarkomposition und Verteilung aufweist, kann von sich aus den Grad dieser Verschiedenheit nicht erhöhen." Die Leistung der Entelechie nun widerspricht, oder besser, setzt sich entgegen unsf^rem Prinzip in dieser seiner allgemeinen anorgani- schen Form, und eben hier liegt der Gegensatz zwischen unorganischem und vitalem Geschehen: ,, Organische Sy- steme können einen höheren Grad von Verteilungs- verschiedenheit ohne Beziehung auf andere energetische Faktoren als ihre eigenen erlangen." Aber — die Faktoren organischer Systeme sind nicht nur energetische Fak- toren: Entelechie ist einer ihrer Faktoren. b) Aber die Rolle der Entelechie widerspricht nicht einem gewissen ganz allgemeinen ontologischen Prinzip. In seiner aller allgemeinsten, wahrhaft ontologischen Form wird daher unser Prinzip nicht durch die vitalen Tatsachen verletzt — sonst würde das Prinzip ja auch gar kein streng ontologisches Prinzip sein, ja, es würde sogar das Prinzip der Eindeutigkeit verletzt erscheinen. Das Prinzip der Eindeutigkeit fordert, daß nichts geschehe, was nicht zum Rest des Gegebenen nur eine Beziehung hat. Mit besonderer Rücksicht auf den Ursprung von Verschiedenheiten irgend welcher Art formuliert, würde dieses Prinzip also fordern, daß irgend ein Zuwachs irgend einer Art von Verschiedenheit eindeutig beziehbar sei auf präexistierende Verschiedenheiten, die eben diesem Zu- wachse entsprechen und für ihn verantwortlich sein können ; anders gesagt : daß jede neu auftretende Verschiedenheits- einzelheit auf eine präexistierende Einzelheit beziehbar sei. Unsere Analyse lehrte uns nun, daß zwar einem ge- wissen allgemeinen ontologischen Prinzip des Verschieden- werdens von den vitalen Fakten widersprochen wird, wenn dieses Prinzip in seine beschränkte anorganische Form ge- kleidet ist, daß aber Entelechie eine Rolle in vitalen Ge- schehnissen spiele. Entelechie ist nun ja aber Die Beziehung der Entelechie usw. 199 eine intensive Mannigfaltigkeit, die ein ganzes System präexistierender Verschiedenheiten in sich schheßt. So folgt denn schheßlich, daß unsere Darlegung das Prinzip der Eindeutigkeit ganz unberührt läßti), und daß unserem Prinzip des Verschiedenwerdens in seiner aller- allgemeinsten Form auch durchaus nicht widersprochen wird. Auch in organischen Systemen können Verschieden- heiten irgend welcher Art nur auf Basis präexistierender Verschiedenheiten geschaffen werden, mögen auch äußere Agentien ausgeschlossen sein 2); denn organische Systeme sind von Entelechie beherrscht und enthalten daher alle möglichen künftig wahrnehmbaren Verschiedenheiten in einer unwahrnehmbaren latenten Form, aber als Verschiedenheiten 3). In Kürze : Differenzierung ist ,, Evolution" im ontologischen Sinne des Wortes. In die Form räumlicher, wahrer ,, Kausalität" ist das Prinzip der Eindeutigkeit hier natürlich nicht gekleidet. Durch unsere jetzt beendete neue Analyse der ,, Diffe- renzierung" und der ,, Handlung" haben wir den Gegensatz ^) Ist doch unser Entelechiebegriff geschaffen worden, um der Forderung der Eindeutigkeit des Geschehens zu genügen. Es sollen eben 3Iaunigfaltigkeiten des Geschehens in jedem ein- zelnen ihrer Kennzeichen auf einzelne Kennzeichen präexistieren- der Mannigfaltigkeiten zurückbezogen werden; das gelingt für die Differenzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme weder mit Hilfe der Annahme äußerer Faktoren, noch auf Basis chemischer oder maschineller Hypothesen: also muß so ein Faktor von Entelechie am Werke sein. 2) Natürlich ließe sich alles auch so fassen, daß Entelechie als ein in Bezug auf das seinen Grad an Verteilungsverschiedenheit erhöhende System äußerer Faktor gefaßt wird. 3) Wir haben an keiner Stelle unserer Erörterung von soge- nannter vitaler „Selbstbewegung" eines Massenteilchens gesprochen, und wollen hier ausdrücklich diesen „Begriff" abweisen, „Selbst- bewegung" ist nichts als ein Selbstwiderspruch, wenn sie sich auf ein Massenteilchen allein beziehen soll. Wir lassen nicht einmal die Schöpfung von Bewegung durch Entelechie zu, sondern nur die Regulierung existierender Bewegung, wie in einem späteren Kapitel klar werden wird. 200 I^iö Beziehung der Entelechie usw. zwischen anorganischem und organischem Geschehen mit Rücksicht auf ein sehr wichtiges Kennzeichen beider for- muhert. Vielleicht springt dieser Gegensatz in keiner anderen seiner Formen so unmittelbar in die Augen wie hier. Und doch ist es nur eine abgeleitete Folge des eigentlichen Grund-Gegensatzes zwischen Anorganischem und Organi- schem, die wir hier formuliert haben: dieser Grundgegensatz selbst aber war bereits in unserer Lehre von der Suspen- sion möglichen Geschehens seitens der Ente- lechie zum Ausdruck gebracht. e) Die „Dämonen" Maxwells. Physiker haben, zumal in England, das Leben sehr häufig zu den physikalischen Prinzipien in Beziehung gebracht. Soweit sich ihre Ausführungen auf reine Mechanik beziehen, werden wir später mit ihnen zu tun haben. Es gibt aber eine sehr berühmt gewordene Behauptung, welche dahin- geht, daß organische Prozesse dem zweiten energetischen Hauptsatz, wenigstens im Gebiete der Thermodynamik, vielleicht widersprechen könnten. Das Prinzip von Clausius, daß Wärme nicht von selbst von einem kühleren zu einem wärmeren Körper übergehen könne, soll durch so etwas wie einen Organismus verletzt werden können. Das berühmte Beispiel, an welches ich hier denke, geht zwar vom Boden der sogenannten mecha- nischen Physik aus, es bezieht sich aber nicht auf die mechanischen Prinzipien als solche, und eben deshalb gehört es an diese Stelle unserer Erörterung. Max well 1) denkt sich zwei Räume von ver- schiedener Temperatur, die durch ein kleines Loch verbunden sind, welches nach Belieben verschlossen und geöffnet werden kann. Wir wollen nun annehmen, sagt er, daß es eine Art von ,, Dämon" gibt, der die Tür des Loches nach Belieben bewegen kann, der sie aber nur öffnet, wenn ein Molekül von großer Geschwindigkeit sich von ^) Theorie der Wärme, deutsch von Neesen, 1878, p. 373 f. Die Beziehung- der Entelechie usw. 201 dem Raum A in den Raum B bewegt, aber in keinem anderen Falle, wobei die Temperatur von B als die höhere vorausgesetzt sei. Das Ergebnis dieses Vorgehens wird sein, daß die Temperatur von B, obwohl sie die höhere ist, auf Kosten der Temperatur von A steigt; und das widerspricht dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Mir scheint, daß in Maxwells Fiktion die Dinge hypothetisch gerade ebenso liegen, wie sie in unserem Beispiel von dem Arbeiter und den Ziegeln wirklich liegen ; es handelt sich beide Male um einen durch das vitale Agens herbeigeführten Zuwachs an Verteilungs- verschiedenheit. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß es ,, Temperatur" im energetischen Sinne, als ener- getische ,, Intensität", für den mechanischen Standpunkt Maxwells nicht gibt : bewegte Moleküle sind die Elemente, welche er studiert, jedes von ihnen mit spezifischer Geschwindigkeit begabt. Sein ,, Dämon" hantiert mit diesen Molekülen, wie unser Ai'beiter mit seinen Ziegeln; er schafft keine Geschwindigkeitsver- schiedenheiten, er vermehrt nur den Betrag an Ver- schiedenheit in der Verteilung verschieden bewegter Moleküle. Daß daraus ein Widerspruch zum Prinzip von Clausius resultiert, soweit dieses ein Prinzip der reinen, sogenannten ,, qualitativen" Energetik ist, kommt hier also gar nicht in Frage. Die qualitative Energetik und Maxwells Denken stehen auf ganz verschiedenem Boden; für letzteren ist „Temperatur" nichts Elementares, keine ,, Intensität". Halten wir uns nun ganz an Maxwells Denkweise, so liegt die Sache so: Ganz ebenso wie die Leistung unseres wirklichen Arbeiters widerspricht auch diejenige von Maxwells fingiertem Dämon nicht unserem allgemeinsten ontologischen Prinzip von der Rolle von Verschiedenheiten für Geschehen überhaupt; wohl aber widersprechen beide dem für des Anorganischen gültigen Satze, daß ein System seinen Grad an Ver- schiedenheit — auch an solcher der Verteilung — aus seinen materiellen Kräften heraus nicht vermehren kömie. 202 I^iö Beziehung der Entelechie usw. Daraus folgt nun freilich, daß auch der zweite ener- getische Satz hier verletzt wird — aber das ist für Maxwell gar kein elementarer Satz i). Wohlverstanden : Maxwells Argument ruht auf einer Fiktion und behauptet nicht, daß das Leben irgend einem energetischen Gesetze widerspreche. Aber es ist deshalb für uns wichtig, da jetzt, auf Grund unserer anal\i}ischen Erörterung, das von ihm Fingierte als wirklich erscheint. Es gibt seine ,, Dämonen" : wir selbst sind sie. ^) Man hat oft gesagt, daß das „zweite Prinzip" der Ener- getik für die Mechanik keine Gültigkeit habe, aber der „wahre zweite" und der „empirische dritte" Hauptsatz sind dabei meist nicht aus einander gehalten worden. Es scheint mir, daß das wahre zweite Prinzip („Satz des Geschehens") seinen mechanischen Ausdruck in dem einfachen Satze findet, daß ein System von Körpern, die sich alle in derselben Pichtung und derselben Ge- schwindigkeit bewegen, unfähig ist, die Geschwindigkeiten seiner Elemente zu verändern. Der Zerstreuungssatz, unser ..drittes em- pirisches" Prinzip, ist von Boltzmann, auf Grund von Erwägungen über Wahrscheinlichkeit, auf die Mechanik angewendet worden. Um das Wesentlichste in unserer Terminologie auszudrücken: Eine homogene Verteilung ist in einem System sich bewegender, mit verschiedenen Geschwindigkeiten begabter Körper „wahrscheinlicher" als eine heterogene Verteilung. 4. Vorläufige Bemerkimgen über Entelechie in ihrer Beziehung zu den yerschiedenen Klassen der Naturagentien. Einiges über „Phänomenalismus". Sind wir nun endlich genügend vorbereitet, um zu entscheiden, was für eine Art von Faktor oder Agens oder •Elementar wert die Entelechie im Ganzen der Natur darstellt ? Zunächst ist es an dieser Stelle wohl nicht unan- gebracht, einige Worte über den sogenannten ,, Phänomena- lismus", als die Grundlage der Naturwissenschaft, zu bemerken. Der sogenannte reine Phänomenalismus, der heute eine so große Rolle spielt, ist im eigentlichen Sinne des Wortes doch nie das, für was er sich ausgibt, mag er auch den Begriff des Apriori verwerfen. Auch daim nämlich ist er nicht ausschließlich auf ,, Phänomene" basiert und sollte daher lieber ,, empirischer Ideahsmus" genannt werden. Phänomene allein nämlich, d. h. die bloße Summe dessen, was unmittelbar in Form sogenannter Empfindungen ,, gegeben" ist, würde niemals die Bildung von ,, Wissenschaft" irgend einer Art erlauben. Das Ich empfängt nicht nur, sondern leistet auch, und was üblicherweise, ja bereits das, was noch ganz unwissenschaftlich als ,,Welt" bezeichnet wird, ist zum größten Teil eine Leistung des Ich. Nun kann man ja freilich das ,, Gegebene" auch noch, soweit es im Räume mit seinen drei Dimensionen gedacht wird, soweit man von seiner ,, Existenz" redet, auch wenn man es nicht 204 Vorläufige Bemerkungen über Enteleehie usw. unmittelbar wahrnimmt, soweit es der Kausalität in ihren verschiedenen Formen unterworfen sein soll, man kann, sage ich, das ,, Gegebene" auch noch in diesem ganz und gar nicht mehr „unmittelbaren" Sinne ,, phänomenal" nennen, insoweit nämlich, als es nichts ,, Absolutes", nichts ,, Metaphysiches" bedeuten soll — und Wissenschaft ist sicherlich möglich, auch ohne aus dem Rahmen dieses Phänomenalismus herauszugehen. Aber hier ist das Ge- gebene, obwohl es lediglich mit Rücksicht auf das Ich da sein soll, doch sicherlich bereits ein ,,Konzeptum" und nicht mehr ein bloßes ,,Perzeptum"; es ist nicht unmittel- bare, sondern ,,e r w e i t e r t e" Gegebenheit. Soviel fürs erste über diesen wichtigen Punkt und über den Sinn, in dem w i r den Ausdruck ,, phänomenologisch" verwenden wollen. Unser ,, Phänomenalismus" ist, dem em- pirischen Idealismus z. B. eines Mach entgegen, nun freilich identisch mit kritischem nicht metaphysischem Idealismus; in dieser Form ist er in der Tat die einzige Basis der Wissenschaft, welche von Voreingenommenheiten jeder Art ganz frei ist, und deswegen sollte jede Wissen- schaft von dieser Art des Idealismus ausgehen, wenn sie auch in Metaph3^sik enden will. Die „Konstanten". Die Frage nach der logischen oder ontologischen Natur irgend eines Fa,ktors oder Agens im Bereich des Gegebenen ist nichts anderes als die Frage, welchen Arten allgemeiner, bei der Schaffung des mundus conceptus in Betracht kommender Kategorien diese Faktoren oder Agentien zu- geordnet werden können. Wir wissen nun bereits, daß Energien und Energie- intensitäten zu den Faktoren gehören, welche die ,,Welt" im Sinne eines begrifflich erweiterten Phänomens aufbauen, und viele von Ihnen wissen wohl auch, daß es noch eine andere Klasse solcher Faktoren gibt, welche man gewöhn- lich ,, Konstanten" nennt. Intensitäten und Konstanten Vorläufige Bemerkungen über Entelechie usw. 205 bezeichnen beide ,, Eigenschaften" von Körpern ; Intensitäten sind variable oder temporäre Eigenschaften, Konstante sind, wie ihr Name sagt, dauernde Eigenschaften. Eben diese Konstanten zeigen sehr deuthch den be- grifflichen Charakter von Natm^faktoren, im Gegen- satze zu bloßer Wahrnehmung. Spezifische Wärme, Leitungs- fähigkeit, Masse usw. sind Beispiele von Konstanten; aber das sind auch in komplizierterer Art die Begriffe, welche die Umwandlung einer Energieart in eine andere aus- drücken, und als Konstante müssen auch die Affinitäts- beziehungen zwischen chemischen Substanzen und die Richtungsspezifizität der bei der Kristallisation auftretenden anziehenden Kräfte gelten i). Keine dieser Konstanten gibt uns in der Tat Aufschluß über irgend etwas, das unmittelbar beobachtet oder wahrgenommen wird ; sie haben es alle nur mit Mög- lichkeiten zu tun, mit Möglichkeiten für unmittel- bares Geschehen, welche als Realitäten nur in jenem er- weiterten Sinne, den dieses Wort auch für den Idealismus haben kann, ,, existieren". Konstante sind Ausdrücke für mögliche unmittelbare Erfahrungen von verschiedener, jedesmal elementarer Art; sie sind Begriffe, geschaffen, um den Überblick über die gesamte mögliche Erfahrung zu vereinfachen. Ihre Schöpfung liegt aber nicht nur in unserem Belieben, sondern geschieht gemäß den grund- legenden Eigenschaften der Organisation des Denkens. Daraus folgt, daß eine Art von Komplikationsordnung zwischen all den verschiedenen Gruppen von Konstanten, welche eine phänomenalistische Philosophie begrifflich auf- stellt, existieren muß. Ihre einfachste Klasse bezieht sich lediglich auf einfache physikalische Eigenschaften ; spezifische Wärme ist ein gutes Beispiel dieser Klasse, sie ist ein Aus- druck für den Grad, in welchem eine Substanz der Wärme zugänglich ist. Die physikalischen Konstanten, welche zwei Energiebezirke verbinden, indem sie es mit der Um- ^) Vgl. meine „Naturbegriffe", Teil A. 206 Vorläufige Bemerkungen über Entelechie usw. Wandlung der einen in die andere zu tun haben, bilden die nächst höhere Klasse, während die chemischen und kristallo- graphischen Konstanten, welche einerseits Aussagen machen über die wechselseitigen Beziehungen unter den Konstanten der physikalischen Art, andererseits über die Spezifizität gerichteter Kräfte, die beiden Arten der höchsten Klasse von Konstanten sind. Negative Kennzeichen der Entelechie. In welche Gruppe von Naturfaktoren gehört denn nun eigentlich die Entelechie ? Wir wissen bereits, daß sie keine Energie und keine energetische Intensität ist, da Quantität nicht zu ihren Kennzeichen gehört. Aus demselben Grunde kann sie keine ,, Kraft" in irgend einer Bedeutung dieses vieldeutigen Wortes sein. Dürfen wir sie eine ,, Konstante" nennen? So glaubte ich selbst einst^); ich meinte, es sei möglich, von der Entelechie eines organischen Systems als von seiner ,, Konstante" im Sinne einer dauernden Eigenschaft zu sprechen. Das Wort dauernde Eigenschaft sollte hier dasselbe bedeuten wie im Anorganischen, wo es eine Be- zeichnung ist für die Möglichkeit von Geschehen, welches einst in Bezug auf unmittelbare Wahrnehmung wirklich werden kann. Es scheint mir aber jetzt, als ob das Wort ,, Konstante" auf ein entelechiales System, wenn überhaupt, so nur in einem sehr übertragenden Sinne angewandt werden könne; denn eine Konstante bezeichnet immer die Eigenschaft eines Körpers, sie ist immer etwas, was ein Körper wirklich besitzt. Nur mit Hilfe der Kategorien Substanz und Inhärenz, angewandt auf Räum- liches, kann das wirkliche Verhältnis einer Konstanten zu ihrem Träger richtig verstanden werden. Ein späteres Kapitel wird nun aber zeigen, daß wir die Beziehung der Entelechie zu den materiellen Systemen, auf welche sie wirkt, durchaus nicht in dieser Weise auffassen dürfen. 1) Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. Vorläufige Bemerkungen über Enteleciiie usw. 207 Fürs erste muß es daher genügen, hier in einer mehr pro- srisorischen und apodiktischen Weise zu sagen: Entelechie ist keine Konstante. Wir können nur sagen, daß in diesem spezifischen harmonischen System hier oder bei dieser Handhmg hier Etwas in Betracht kommt, was kon- stant ist, nämhch eine prospektive Potenz; anders gesagt: Etwas, was bei allen Reaktionen gleichermaßen auftritt. Aber dieses Etwas, welches konstant ist, ist nicht ,,eine Konstante". Was bedeutet denn nun endlich unser elementarer vitaler Naturfaktor ? Wir können an dieser Stelle, so scheint mir, nur das eine sagen, daß die Entelechie auch bezüglich ihres eigentlichen ontologischen Cha- rakters ,, elementar" ist, ganz ebenso wie das Gesetz, dem sie gehorcht, elementar war. Entelechie ist nicht Energie, nicht Kraft, nicht Intensität und nicht Konstante, sondern — Entelechie. Wie wir wissen, ist die Entelechie ein teleologisch wirkender Naturfaktor. Sie ist eine intensive Mannigfaltig- keit und vermag auf Grund ihrer inhärenten Verschieden- heiten den Betrag an Verschiedenheit in der anorganischen Welt zu vermehren, soweit Verschiedenheit der Verteilung in Betracht kommt; sie wirkt durch Suspension möglichen, auf gegebene Potentialdifferenzen basierten Geschehens und durch Aufheben solcher Suspensionen. Es gibt nichts, was ihr gleich ist, in der anorganischen Welt. Die Lücke in der Reihe der jS^aturfaktoren. Wir wissen, daß es eine Art von Stufenreihe der Kon- stanten im Anorganischen gibt : von den einfachen physika- lischen Konstanten werden wir schrittweise zu denen der Chemie und der Kristallographie geführt. Soweit alles Geschehen ausschheßlich in Beziehung zum Satze von der Eindeutigkeit überhaupt betrachtet wird, könnten wir sagen, daß diese Stufenreihe sich im Organischen fortsetzt, und 208 Vorläufige Bemerkungen über Entelechie usw. daß Entelechie ihre nächste Stufe bedeutet. Moralität, als Naturphänomen angesehen, würde dann vielleicht hier den höchsten Grad überhaupt bedeuten. Soweit aber Naturfaktoren auf Materie bezogen werden, gibt es eine Lücke zwischen den konstanten Faktoren des An- organischen und den Faktoren, auf welchen das Leben beruht. Eben wegen dieser Lücke in ihr besitzt die Stufen- folge der Faktoren des Geschehens nur eine beschreibende Bedeutung. Noch einmal bemerken wir hier, daß mit unserer Entelechie nichts ,, Psychisches" im eigentlichen Sinne des Worts eingeführt ist: Entelechie ist ein elementarer Faktor der Natur, aufgestellt zur Erklärung einer gewissen Klasse von Naturvorgängen. Einiges über den Begriff des „ErMärens". Ich weiß wohl, daß das Wort ,, erklären" voll von Zwei- deutigkeiten ist, und daß viele ,, Erklärungen" sich im Kreise bewegen. Von Konstanten heißt es, daß sie erklären, und ebenso von Entelechien und besonderen Formen der Kräfte und Energien: Was hier wirklich geschieht, ist nichts als eine Art des Unterordnens einzelner Phänomene unter ge- wisse Klassen von Allgemeinheiten, die aus dem Einzelnen abgezogen sind, und die Sache muß in der Tat auf diesem wenig befriedigenden Punkte stehen bleiben, so- lange man, wie Mach, Ostwald, Pearson u. A. den Phänomalismus im Sinne eines empirischen Idealismus vertritt. Auf der Grundlage unserer kritischen idealistischen Philosophie ist es uns aber erlaubt, etwas optimistischer über das ,, Erklären" zu denken. Nach unserer Lehre sind die Allgemeinheiten, welche ,, erklären" sollen, auf Grund der immanenten und kategorialen Prinzipien des aprioristi- schen Denkens gebildet, und was die Empirie ihnen bei- fügt, besteht nur in der Zuordnung gewisser wahrhaft induktiver Allgemeinheiten zu dem kategor ial Allgemeinen. Anders gesagt: den allgemeinen Typus aller sogenannten Vorläufige Bemerkungen über Entelechie usw. 209 Naturgesetze kennen wir unabhängig vom Betrage der Erfahrung, obschon er unserem Bewußtsein durch die Er- fahrung vermittelt wird; und nur jene empirischen Zusätze zu diesen Gesetzen sind in Wahrheit aus empirischen Einzel- heiten „abstrahiert", um dann nachher diese Einzelheiten zu ,, erklären". Beispiele solcher empirischen Zusätze sind nicht nur Konstanten in ihren verschiedenen Besonder- heiten, sondern auch alle Entelechien, soweit sie Spe- zifisches bedeuten. In dieser Beziehung zeigen die Wissenschaften vom Organischen und vom Anorganischen keinen Unterschied. Wir werden später zeigen können, daß auch zum Apriorismus Anorganisches und Organisches in demselben Verhältnis steht. Driesch, PMlosopMe. II. 14 5. Entelecliie und Meclianik. a) Die Grundlagen der mechanischen Physik. Von der Möglichkeit einer vollständigen qualitativen Wissenschaft. Wir verlassen jetzt das Bereich der Energetik mit allen ihren Folgerungen und wenden unsere Aufmerksamkeit einem anderen Wege zu, auf welchem die Natur gedeutet werden kann. Die übliche qualitative Energetik stellt durchaus kein vollständiges System dar, nicht einmal im An- organischen : das Problem der Materie, mit anderen Worten, das Problem des ,, Materiellseins", des ,,Ein-Körper-seins", ist in ihr so gut wie ganz vergessen. Trotzdem bleibt es bestehen. Es muß nun zugegeben werden, daß eine Wissen- schaft vom Anorganischen möglich wäre, welche qua- litativ bliebe und doch das Problem der Materialität nicht beiseite setzte. Eine solche mögliche Wissenschaft hätte es nicht nur mit qualitativen Energien und Intensitäten zu tun, sondern auch mit dem Begriffe der qualitativen Kräfte, definiert nach Analogie des Begriffes ,, Kraft" in der Me- chanik, und sie würde dahin kommen, das anorganische Universum als ein System geometrischer Punkte anzusehen, von denen Linien verschiedener Arten qualitativer Kräfte ausgingen, als Repräsentanten von Wärme, Elektrizität, chemischer Affinität und den verschiedenen Aggregat- zuständen. Das Wort ,, Qualität" würde in einem solchen wissenschaftlichen System zwei sehr verschiedene Be- deutungen haben: es würde erstens in dem üblichen Sinne des Begriffs ,, Eigenschaft" gebraucht werden, z. B. zum Entelechie und Mechanik. 211 Ausdruck der Wärme oder der Röte, zweitens aber würde es auch Qualitäten sozusagen mit Bezug auf ,, Körper- lichkeit" geben, und eben diese zweite Gruppe von Quali- täten würde sich auf die Probleme der Materialität, insbesondere auf das Problem der Kontinuität und der Diskontinuität, welches die übliche Energetik so gut wie vollständig vernachlässigt, beziehen. Da eine vollständige qualitative Wissenschaft des Anorganischen, wie sie hier skizziert wurde, nicht existiert, mag es genügen, ihre mögliche Existenz hier erwähnt zu haben. Wir wenden uns also gleich einem viel allgemeiner bekannten wissenschaftlichen Standpunkte zu. Der epistemologische Charakter der allgemeinen mechanischen Physik. Es ist nicht ganz leicht, die Möglichkeit der sogenannten mechanischen Physik in legitimer Weise einzuführen, d. h. die Berechtigung der Deutung der Natur als eines mechanischen Systems und der Zurückführung aller Qualität auf bloße Anordnung von Elementen. Man hat die mechanische Physik eine ,, metaphysische Hj^othese" genannt, d. h. eine Annahme, die sich auf irgend etwas Absolutes beziehe und sich eines Tages als wahr erweisen möge. Ein solcher Gesichtspunkt verträgt sich aber ohne nähere Erläuterung nicht mit einer idea- listischen Philosophie. Andere haben die Theorien der mechanischen Physik ,, Fiktionen" oder ,, Bilder" genannt, die geeignet wären, die Beziehungen zwischen den Natur- phänomenen, soweit ihre Quantität allein in Betracht kommt, analogienhaft zu beschreiben, die aber nur den Wert einer bloßen ,, Ökonomie des Denkens" besäßen, welche doch wohl besser auf anderem Wege auf ihre Rechnung käme. Dieser Gesichtspunkt insbesondere hat die Wissen- schaft ihrer qualitativ-energetischen Periode zugeführt i); ^) Wir können uns hier nicht näher mit der Elimination des Kausalitätsbegriffs einlassen, wie sie von einigen modernen em- 14* 212 Entelechie und Mecliamk. denn wenn man einmal die mechanischen Theorien als bloße Fiktionen ansah, so war es nur ein Schritt weiter, sie vollständig als einen für die reine Beschreibung von Phänomenalitäten überflüssigen Ballast zu verwerfen. Trotzdem lebt die mechanische Physik aber noch heut- zutage; ja mehr als das: sie feiert in der Theorie der Elek- tronen eine sehr bemerkenswerte Renaissance. Das beweist denn doch wohl, daß diesen Theorien eine große Lebensfähigkeit innewohnt, und es scheint mir in der Tat, als wenn sie sehr viel mehr als bloße Fiktionen bedeuten, mögen sie sich auch andererseits nicht auf etwas Absolutes beziehen. Auf Grundlage immanenter Nötigungen des menschlichen Denkens treten sie immer und immer wieder auf. Sie kommen immer dann auf den Plan, wenn die Wissenschaft sich anschickt, das letzte Problem des- ,, Materiellen" als solches zu erreichen, und wenn sie die Verschiedenheiten der materiellen Zustände einer-, der üblicher Weise sogenannten Qualitäten andererseits auf derselben Basis verstehen will. Ein System der Natur, welches gleichzeitig vollständig und frei von logischen und faktischen Widersprüchen sein will, braucht mechanische Physik in irgend einer Form und kann sich nicht zufrieden geben, ehe es ihm gelungen ist zu zeigen, daß die Verschiedenheit des ,, Gegebenen" auf einer bloßen Anordnung oder Konstellation gewisser Ele- mente beruht, deren Verhaltungsgesetz, wenigstens dem allgemeinen Schema nach, aprioristisch bekannt ist. Für die moderne, angeblich ,,rein" phänomenalistische Wissen- schaft muß die Kombination von Eigenschaften, zumal von Konstanten, in ein und demselben ,,Ding" ein gegebener piristischen Phänomenalisten vertreten wird. Es ist leicht einzusehen, daß diese Elimination auf einer durchaus unvollständigen philo- sophischen Lehre ruht; gleiches gilt von der rein mathematischen Eorm dieses „funktionellen" Phänomenalismus. Naturphilosophie kann sich mit dem Nachweis bloßer notwendiger Abhängigkeit nicht begnügen; sie braucht „Kausalität" in ihrer eigentlich onto- logischen Form. Entelechie und Mechanik. 213 Zustand, der bloß als solcher hinzunehmen ist, bleiben. Eben das ist so wenig befriedigend. Die mechanische Physik gibt eine wahre Erklärung des Problems von der Kombination der Eigenschaften, und sie erlaubt uns gleich- zeitig ein anderes wichtiges Problem zu verstehen, welches sonst ganz unlösbar wäre; ein Problem, das man die Systematik der natürlichen Ereignisse und Eigenschaften im Anorganischen nennen könnte. Als letztes Ziel hat die mechanische Physik in der Tat den Beweis vor Augen, daß einerseits alle Kom- binationen von Eigenschaften in einem Ding, andererseits die Gesamtheit möglicher Eigenschaften und Ereignisse über- haupt die bloße Folge der möglichen Arten von Gleich- gewicht oder Kausalität elementarer Materie sei. Wir wollen hier nur eine Gruppe von Phänomenen erwähnen, die damit ihre Erklärung finden würden : die mechanische Physik zeigt uns erstens, warum es so viele Arten typischer Atome gibt, sie zeigt uns zweitens, warum es so viele Arten von Molekülen gibt, und sie zeigt uns drittens, warum es so viele Arten von Kristallsystemen gibt. Um das alles zu zeigen, hat sie nichts weiter zu tun, als gewisse Probleme über die möglichen Typen räumlichen Gleichgewichts erstens mit Bezug auf Elektronen, zweitens mit Bezug auf Atome und drittens mit Bezug auf Moleküle zu lösen. So werden alle Probleme in gewisser Hinsicht bloße Probleme der Stereo- metrie. Alles hier Gesagte ist nun vollständig unabhängig von dem gegenwärtigen Zustand der mechanischen Physik. Es bleibt richtig, mag die alte klassische Physik mit ihrer einen Art von materiellen Elementen und ihren beiden Arten primärer Kräfte das Feld behaupten, oder mögen wir Masse auf Selbstinduktion bewegter Elektronen zu reduzieren haben und gezwungen sein, den Raum selbst als eine Form des Wirklichen, in der Form des ,, Äthers", anzusehen. Die Mechanik der Zukunft wird also freilich die meta- physischen Ambitionen der älteren Mechanik auf- zugeben haben ; in dieser Hinsicht kann sie von dem modernen 214 Entelechie und Mechanik. energetischen Phänomenalismus lernen. Aber die mecha- nische Physik ist darum nicht ein System von ,, Fiktionen". Die mechanische Physik ist ,, Phänomenalismus" in der erweiterten Bedeutung des Wortes, wie wir sie dargelegt haben; sie studiert den ,,mundus conceptus", wie er sich dem Geiste darstellt. Sie ist aber ein vollständiger, ein wahrhaft ontologischer Phänomenalismus i). Ihr all- gemeines Schema ist aprioristisch oder ontologisch; ihre besondere Form zu einer gegebenen Wissenschaftsperiode ist wahrhaft ,, hypothetisch" mit Bezug auf das, was ,, Existenz" im erweiterten Phänomenalismus bedeutet: In diesem Sinne des Wortes mag einst die ,, Existenz" der Moleküle aufgefunden werden, ebenso wie diejenige des Kernes und der Chromosomen einer Zelle aufgefunden worden ist ^). Die psychologis che Grundlage der allgemeinen mechanischen Physik. Soviel über die Epistemologie der ,, mechanischen Physik" ; ihr rein psychologischer Ausgangspunkt ist die wissenschaftliche Akustik: hier wissen wir es tat- ^) Viele moderne phänomenalistische Physiker verfielen dem Fehler, die theoretische Mechanik als eine rationelle aprioristische Wissenschaft mit der Lehre von den wirklichen Bewegungen der wahrnehmbaren Körper zu verwechseln. Bationelle Mechanik liegt aber jenseits der Erfahrung und wird nur an ihrer Hand ge- schaffen. Sie kann nicht „falsch" sein: Wenn auch alle wirk- lichen Bewegungen im Universum, wie die moderne Elektro- dynamik, wenigstens für sehr große Greschwindigkeiten, behauptet, dem Prinzip der Konstanz der Masse nicht folgen würden, so würde sie doch „gelten". Wirkliche Bewegung wäre dann eben nicht rein „mechanische" Bewegung, sondern wäre reine Bewegung, beeinflußt durch ein elektromagnetisches Feld. Bationelle Mechanik ist er- weiterte Mathematik, oder vielmehr ein Schritt über wahre Mathe- matik hinaus auf dem Gebiete reiner kategorialer Ontologie. 2) Von der Pfordten hat durch Schöpfung des Wortes „Konform" dem epistemologischen Charakter der mechanischen Physik, im weitesten Sinne, einen guten Ausdruck verliehen; vgl. seine „Vorfragen der Naturwissenschaft", 1907. EntelecMe und Meclianik. 215 sächlich, daß ein tönender Körper ,, derselbe" ist, wie einer, der sich ,,auch" in spezifischer Weise bewegt i). Wir können hier nun nicht diese sehr wichtigen Worte ,, derselbe" und ,,auch", welche trotz ihres alltäglichen Charakters Wurzeln aller Philosophie sind, näher erörtern 2) ; es muß hier genügen zu sagen, daß die Akustik die einfachste Brücke ist, welche von Qualität zu typisch geordneter Bewegung führt; von Ton zu Wärme ist dann nur noch ein Schritt. Wir sagen noch einmal, daß die Bewegungsarten, welche der Wärme ,, entsprechen", seien sie Moleküle, Atome oder was sonst, ihrem epistemologischen Charakter nach ebenso ,, wirklich" sind wie die sich bewegenden Luftteilchen, deren Bewegung den Tönen entspricht. Oder anders gesagt: alle diese Dinge sind entweder ,, nicht wirklich" oder ,, wirklich", was Sie vorziehen ; auf alle Fälle aber besitzen sie den- selben Grad von ,, Wirklichkeit", wobei das Wort Wirk- lichkeit im Sinne von ,, möglicher Erfahrung" gebraucht sein mag. Hypothesen kommen hier freilich hinzu, soweit die Besonderheit dessen, was nicht wirklich wahrgenommen wird, in Frage steht; daß es aber ein diskontinuierliches ,, Etwas" geben muß, das vom Range eines Moleküls oder Atoms oder Elektrons ist, ist nicht eine Hypothese, sondern eine unmittelbar durch gewisse Tatsachen geforderte Setzung ^). ^) Die einander entsprechenden Wahrnehmungen zweier „Sinne" bilden auch die Hauptgrundlao-e für eine praktische Unterscheidung von „Wirklichkeit" und „Illusion". 2) Ygl. Hegel, Phänomenologie des Geistes. ^) Wenn Moleküle oder Atome einst, etwa mit Hilfe des „Ultramikroskops", wirküch „entdeckt" würden, so würde natürUch auch bei dieser Entdeckung das unmittelbar Wahrgenommene sich aus Empfindungen zusammensetzen. Wären darum die Moleküle oder Atome „rot" oder „grün", oder wenigstens „dunkel" oder „hell"? Sicherlich nicht, sondern gewisse auf Empfindungen sich beziehende Diskontinuitäten würden uns zwingen zu sagen, daß hier ein Feld vorliegt, auf dem wir gewisse, der Anwendung in unserem Geiste harrende Begriffe anwenden können und müssen. Dies alles aber wäre nicht „Metaphysik", sondern „erweiterte Ge- gebenheit". 216 Eatelechie und Mechanik. Der tiefste Grund endlieh, der uns dazu zwingt, zum Gegenstand der Wissenschaft nicht „Ton" und j,Wärme", sondern die Bewegung von etwas zu wählen, sobald nur das geringste Anzeichen dafür da ist, daß dort, wo Ton und Wärme sich befindet, auch Bewegung ist, ist, wie wir bereits wissen, epistemologisch in der dann möglichen Anwendung von Geometrie gegeben. Psychologisch sehen wir uns hier der einfachen Tatsache gegenüber, daß Stoßen und Ziehen, d. h. die roheste Form mechanischer Kausalität, die einzige Art derselben ist, die wir selbst mit unserem Körper leisten können. In diesem Sinne ,, verstehen" wir keine andere als mechanische Kausalität. Wir haben hier über die Philosophie der Mechanik etwas mehr eingefügt, als in eine biologische Erörterung zu gehören scheint, weil in letzter Zeit die mechanische Physik viel an Kredit eingebüßt hat. Dieser Kredit mußte in ge- wissem Grade wieder hergestellt werden, damit es nicht als überflüssig erscheine, wenn wir nun daran gehen, die Be- ziehung, in welcher die autonome Biologie zum mechanischen Typus der Wissenschaft vom Anorganischen steht, eingehend zu analysieren. ß) Die verschiedenen Formen der allgemeinen Mechanik. Wir kehren jetzt zu unserem biologischen Problem zurück. Wie steht die Entelechie zur anorganischen Natur als zu einem System gleichartiger bewegter Elemente, nach- dem wir nun wissen, wie sie sich zum organischen Universum als einem System qualitativer Energien oder sogar quali- tativer elementarer Energiezentren verhält? Es ist wichtig, schon im Beginn unserer Studien über die Rolle der Entelechie in einer mechanisch angesehenen Welt klarzustellen, daß es wenig bedeutet, von welcher Art die mechanische Auffassung der Natur im einzelnen ist. Mag der Dualismus von Äther und Masse, oder in anderen Worten, von primärer und sekundärer Materie gelöst oder ungelöst sein, mögen die letzten Massenelemente als Partikeln oder als djmamische Punkte oder, in kinetischer Art, als Entelechie und Mechanik. 217 spezifische Dauerzustände in einem Kontinuum angesehen werden — alle diese Fragen, für die Ontologie des An- organischen von größter Bedeutung, haben für unser Problem, in seiner allgemeinsten Form wenigstens, gar keine Wichtig- keit. Und es würde unser Problem auch wenig angehen, wenn die Bewegungen in der Natur sich eines Tages als elektrodynamisch herausstellen sollten; geradeso wenig, als wenn die rationelle Mechanik sich zugleich als die natürliche Mechanik herausstellte. Im ersteren Falle würde bekanntlich die natürliche Masse nicht die ,, Masse" der analytischen Mechanik sein, während im zweiten Falle analytische und empirische Masse identisch wären. Bewegung und die Verursachung von Bewegung. Das Problem der Beziehung zwischen Entelechie und Mechanik hat es nicht mit Bewegung als solcher zu tun, sondern mit einer gewissen möglichen Art der Ver- ursachung von Bewegung, welche sich auf die Arten der Bewegungsverursachung im Anorganischen nicht zurückführen läßt. Was das heißt, wird alsbald deuthch werden. Hertz tut in seinem berühmten posthumen Abriß der Mechanik einmal den Ausspruch, daß sein allgemeinstes Prinzip der Bewegung, welches in gewissem Sinne eine Ver- einigung des Galilei sehen Trägheitsprinzipes und des G a u ß sehen Prinzips der kleinsten Wirkung ist, daß dieses allgemeinste Prinzip, obwohl nur für anorganische Systeme aufgestellt, doch auch für Systeme, an denen Lebensprozesse beteiligt sind, Gültigkeit habe, wenn nur die Effekte irgend eines Lebensprozesses stets durch die Effekte eines anorganischen Systems ersetzt ge- dacht werden können. Aus diesem Ausspruch und in der Tat aus Hertz' ganzer Analyse geht ohne weiteres hervor, daß sein Prinzip es nur mit dem Wesen der Bewegung, soweit sie irgendwie verursacht worden ist und nun existiert, zu tun hat, aber nicht mit der Verursachung 218 Entelecliie und MecJianik. von Bewegung. Mag diese Verursachung sein, wie sie will, sie resultiert stets in einer Kraft von spezifischer Stärke und spezifischer Richtung, wirkend auf ein spezifisches Massenelement, und ganz dasselbe kann natürlich auch aus der Wirkung irgend einer anorganischen Kombination resultieren. Von solchem Gresichtspunkt aus ist Raum für alle möglichen Arten von Bewegungsursachen, mögen sie in den Effekten von Systemen ,, verborgener Massen" oder in dem Effekt von irgend etwas anderem bestehen: Bewegung und Bewegung allein wird hier studiert. Daß das besondere mechanische System von Hertz im Grunde kinetisch ist, daß es nur Bewegung als die Ursache von Bewegung und daher nur eine Art von Energie, nämlich kinetische Energie, kennt, kommt hier nicht in Betracht ; sein Prinzip der Bewegung an sich würde auch für irgend eine andere Theorie der Dynamik gelten. Die Formen der mechanischen Verursachung. Das Problem der Verursachung von Bewegung im Anorganischen, von Hertz in einer ziemlich abrupten Art und Weise gelöst i), verlangt aber nun eine Lösung. Hier müssen die beiden möglichen Hauptklassen von Mechanik, Kinetik und Djmamik, gesondert in Erwägung gezogen werden 2). ^) Nämlich durch die Annahme starrer Verbindungen. Diese Annahme versagt bereits in der Elastizitätslehre. ") Kinetische Mechanik kann in zwei verschiedenen Formen auftreten, je nachdem die „Materie" als kontinuierlich oder dis- kontinuierlich angesehen wird. Dynamische Mechanik behauptet in ihren Atomen, d. h. ihren , .Kraftzentren" natürlich die Diskontinuität der Materie; ihre „Kraftlinien" erfüllen aber den Raum kontinuierlich, mögen sie als bloße Abstraktionen (als „geometrischer Ort" möglichen Geschehens) oder als Zustände eines kontinuierlichen Äthers gelten. Für die kinetische Mechanik, welche gleichzeitig die Kou- tinuitätslehre annimmt, kann „Bewegung" im gewöhnlichen Sinne des Wortes, streng genommen, nicht existieren. „Bewegung" wird ihr zur kontiguierlichen und kontinuierlichen Veränderung von Elementen des Raumes. Entelechie und Mechanik. 219 Für die kinetische Mechanik kann nur Bewegung die Ursache von Bewegung sein; alle anderen Kräfte sind für sie nur scheinbar. Das Prinzip der Erhaltung der ,,Bg- wegungsgröße" {ß?iv) eines gegebenen Systems ist ihr einziges Prinzip; es schließt natürlich die Erhaltung der kinetischen Energie, der einzigen Energie, welche die kinetische Mechanik kennt, ein. Sobald die Natur aber als ein mechanisches System vom djmamischen Typus betrachtet wird, mrd sie angesehen als eine typische An- ordnung von mit Zentral kr äften begabten Massenelementen, und in einem solchen System hängt alles Geschehen von dem lu'sprünglichen wirklichen Bewegungszustand und dem Betrag dieser Kräfte ab. Hier gibt es zwei Arten von Energie, die aktuelle Form — v^ und die potentielle Form, und alles Geschehen stellt sich als entsprechende Zu- nahme und Abnahme des Betrages dieser beiden Formen dar, wobei ihre Gesamtsumme in jeder der drei Haupt - richtungen des Raumes konstant bleibt. Die potentielle Form der Energie ist hier eben so subsidiär, wie es gewisse Energien im Felde der qualitativen Energetik waren. Auf alle Fälle kann die Gesamtsumme der existierenden Energie nicht a,ls veränderbar gedacht werden; und dieser Satz gilt mit Rücksicht auf jede Koordinate für sich genommen. Das Prinzip der Erhaltung der Bewegungsgröße (7?i v) gilt natürlich nicht für eine dynamische Theorie der Mechanik; der Begriff der potentiellen Energie wider- spricht ihm. Welche Rolle könnte nun Entelechie in einer Welt des mechanischen Typus spielen ? Soweit mir bekannt ist, gibt es nicht ein einziges kinetisches mechanisches System, welches ganz rein wäre. Um die Gesamtheit der physikalischen Phänomene zu erklären, werden doch irgendwelche Arten von ,, Kräften" immer wieder eingeführt, wenigstens im Bereiche sogenannter molekularer Dimensionen. Und so wird schließlich die reine Kinetik immer wieder aufgegeben. 220 Entelechie und Mechanik. Es scheint mir daher, als könnten wir es uns gestatten, im folgenden von der kinetischen Mechanik abzusehen i) und uns nur zu fragen : Wie steht die Entelechie zur dyna- mischen Form der Mechanik? T) Entelechie und dynamische Mechanik ''). Da Entelechie nicht energetisch ist, kann sie doch wohl nicht den Betrag an Energie, welcher einem begrenzten Systeme anhaftet, verändern ^) ; sie kann aber alles tun, ^) Wenn wirklich im Anorganischen nur Bewegung der Be- wegung Ursache sein könnte, so müßte freilich die Rolle der Entel- echie — von der ja bewiesen ist, daß sie sich nun einmal dem anorganischen Typus des Geschehens nicht fügt — auf eine wahre Schöpfung oder Vernichtung von Bewegung und damit auch von Energie, ja von räumlicher Wirklichkeit überhaupt, hinaus kommen. Wir sind aber nicht gezwungen so weit zu gehen, da eben Kinetik nicht die einzige legitime Form von Mechanik ist. Absichtlich sehen wir hier von den modernen Ansichten über die elektro- dynamischen Grundlagen der wirklichen (nicht der analytischen!) Mechanik ab. 2) In Busses Werk „Geist und Körper, Seele und Leib" (Leipzig 1903), sind alle laufenden Ansichten über das Verhältnis von „Seele" und Mechanik kritisch behandelt. Wir erwähnen hier daher nur das, was wir selbst für wertvoll halten. Es ist angesichts der gleichsam ewigen Natur unseres Problems seltsam, daß unsere alsbald im Text mitzuteilende erste Hypothese, soviel mir bekannt ist, in unserer Form noch niemals aufgestellt ward; es wird sich zeigen, daß diese Hypothese eine Anwendung des — ebenfalls neuen — Gedankens ist, es könne Entelechie den Betrag an Ver- schiedenheit der Verteilung vermehren. *) Busse, Schwarz und wohl noch andere haben freilich in ihrer Erörterung des Verhältnisses von „Seele" und Materie die Ver- mehrung des Betrages an mechanischer Energie seitens der ersteren zugelassen. Ich möchte nicht so weit gehen, ehe die Tatsachen geradezu dazu zwingen. Freilich würde selbst mit solcher Annahme nichts Undenkbares eingeführt; denn die „Seele" (oder die Ente- lechie) wäre in Bezug auf das in Frage stehende materielle System etwas Äußeres (hierzu die vorletzte Anm. und oben S. 131 und 197 fif.). Gelegentlich hat man die „Seele" auf die Materie auch im Sinne einer Störung sogenannten labilen Gleichgewichts wirken lassen. Ein solches Gleichgewicht ist aber unendlich unwahr- scheinlich. Sonst würde freilich ein logischer Grund gegen diese Entelechie und Mechanik. 221 von dem man sich denken kann, daß es ohne Beziehung auf die Quantität des energetischen Zastandes eines Systemes geleistet werden könnte. Es scheint mir nun, als wenn es zwei verschiedene mögliche Arten nicht ener- getischer Veränderungen dieses Zustandes gäbe; die eine derselben kennen wir bereits von der qualitativen Ener- getik her. Die Entelechie in ihrer Beziehung zu den beiden Formen mechanischer Energie. Ich denke hier in erster Linie daran, daß Entelechie ein Geschehen, welches ohne sie statthaben würde, suspendiert. Der Prozeß der Kompensation von Potentialen, im allgemeinsten Sinne des Wortes, im Sinne von Differenzen gekoppelter Intensitäten, konnte, wie wir wissen, von der Entelechie suspendiert werden. Kann nun nicht im Gebiete der reinen Mechanik mit ihren zwei Arten von Energien etwas Ähnliches geschehen ? Kinetische Energie und potentielle mechanische Energie würden hier freilich die einzigen Gebiete eines möglichen Wirkens der Entelechie sein. Es würde nun sicherlich nicht berechtigt sein anzunehmen, daß die Entelechie fähig ist, irgend eine potentielle Energie dadurch in die kinetische Form überzuführen, daß sie irgend eine Art von Hindernis, welches diese Überführung bisher unmöglich macht, ent- fernt, denn dieser Prozeß, diese sogenannte ,, Auslösung", erfordert auf alle Fälle einen gewissen bestimmten Betrag an Energie; und Entelechie ist keine Energie. Da>s Problem gewinnt aber ein ganz anderes Aussehen, sobald wir an- nehmen, daß kinetische Energie, d. h. ,, Geschehen", immer das gegebene Material ist, mit welchem Entelechie arbeitet. Annahme nicht vorliegen, da die für Störung eines labilen Gleich- gewichts notwendige Energiemenge unendlich klein (dx) ist, und somit als gleichsam einer anderen Sphäre des Seins angehörend betrachtet werden kann. Man vergleiche den wichtigen Begriff der „ßehaftung" bei K. Geißler (Das Unendliche, Leipzig 1902; zumal S. 406). 222 Entelechie und Mechanik. daß Entelechie aber imstande ist, wirkliches Geschehen in einem Zustand bloßer Möslichkeit durch eine Art von Suspension zu überführen, und daß sie nur solche ,, Potentiale" freilassen kann, welche sie selbst vorher durch ihre Suspension möglichen Geschehens geschaffen hatte. Eine Kombination von Prozessen der folgenden Art ist also, wie mir scheint, nicht ungeeignet, die Leistung der Entelechie, wie ich mir sie vorstelle, zu erläutern : Ein Massenelement m bewege sich mit der Geschwindigkeit v, bis es in das Bereich einer abstoßenden Kraft kommt; seine Geschwindigkeit nimmt dann ständig ab, bis sie Null wird. Dieser Punkt wird erreicht sein, sobald der Betrag der ursprünglichen kinetischen Energie des Massenelements^ — z;2 von der sich von dem abstoßenden Agens her- 2 leitenden potentiellen Energie erreicht wird. Endlich erfährt das Element m einen Impuls in entgegengesetzter Richtung, und dieser Impuls, welcher als solcher mit zu- nehmender Geschwindigkeit des Elements von Moment zu Moment abnimmt, dauert an, bis das Element seine ursprüngliche Geschwindigkeit und auch seine ursprüngliche kinetische Energie, in umgekehrtem Sinne, wieder erreicht hat. Man denke sich nun, daß dieser Prozeß der ständig an Geschwindigkeit abnehmenden Bewegung, den wir hier geschildert haben, auf irgend einem Stadium durch Entelechie suspendiert werde, z. B. dann, wenn die Geschwindigkeit des Teilchens v-^, ist, und zwar derart, daß der Betrag der kinetischen Energie ^v-^^ nicht nur in einen äquivalenten Betrag von ,, potentieller Energie" überführt wird, sondern daß auch dieser Betrag örtlich an den Ort von m gebunden bleibt und dort in seiner Sonderheit und unter Wahrung seiner potentiellen Richtung festgehalten mrd, bis die Suspension nachläßt und ihn wieder in die aktuelle kinetische Energie —v^^ überführt. Könnte ein solches 2 Entelechie und Mechanik. 223 Geschehnis nicht statthaben, ohne Rücksicht auf eigentUch energetische Fragen ? SicherHch, denn der Prozeß der Suspension hätte mit dem Betrag an Energie gar nichts zu tun, obschon er mit der Trägheit in Kon- flikt kommen würde, und der Prozeß des Aufhebens der Suspension würde daher ganz und gar nicht irgendeine ,. Aus- lösung" oder eine Beseitigung von Hindernissen bedeuten. Der mechanische Vorgang, wde wir ihn uns vorstellen, wäre z. B. realisiert, wenn ein sich mit der Geschwindigkeit V bewegender Körper im Laufe seiner Bewegung in eine elastische Kugel, sagen wir einen großen Gummiball, ein- dringt. Er wird in diese Kugel eine Zeitlang mit ab- nehmender Geschwindigkeit eindringen, für einen Augen- blick zur Ruhe kommen und sich dann in entgegen- gesetzter Richtung mit zunehmender Geschwindigkeit bewegen: Es werde nun dieser Prozeß suspendiert in dem Augenblick, in welchem der Körper ein Drittel seines Weges in die elastische Kugel hinein zurückgelegt hat. Der Energetik widerspricht ein solches Ereignis nicht, vorausgesetzt, daß nach Aufhören der Sus- pension die mechanischen und energetischen Ereignisse ihren Lauf wieder an dem Punkte aufnehmen, an dem er unterbrochen worden war^). So meine ich denn, daß wir auch im Gebiete der eigentlichen Mechanik eine Möglichkeit sehen, die Leistung der Entelechie streng logisch zu formulieren 2). ^) Unsere Hypothese schließt natürlich ein, daß eine Bewegung^ wie die des Pendels, welche periodisch ihre Richtung- ändert, indem sie durch rein potentiell-energetisch gekennzeichnete Stadien an den Punkten dieser Änderung hindurchgeht, auch auf eben diesen bewegungslosen Stadien „suspendiert" werden kann. In diesem, einfacheren, Fall hätte Entelechie nicht ein aktives Stoppen aktueller Energie zu besorgen. Unsere Hj^othese ist aber viel allgemeiner als diese Annahme und ist auch berechtigt. ^) Wen ts eher und andere haben mit Bezug auf „psycho- physische" AVechselwirkung eine ähnliche Ansicht vertreten ; doch wurde zwischen „Auslösung" und Suspensionsaufhebung dabei nicht klar geschieden. 224 Entelechie und Mechanik, Entelechie kann Bewegung suspendieren, indem sie kinetische Energie in potentielle Energie überführt, und sie kann suspendierte Bewegung wieder frei machen, je nach den Umständen : sie kann das auf Grund ihrer eigentlichen Natur. Immer wieder betone ich, daß Entelechie nur fähig ist, solche Potentiale wieder frei zu machen, welche sie selbst durch ihre suspendierende Wirkung zu ,, Poten- tialen" gemacht hatte, nicht aber Potentiale, welche ihre Existenz irgend einer anorganischen Ursache verdanken. An dieser Stelle könnten wir nun auch wieder zu einer Erörterung der Kontinuität der suspendierenden Leistung der Entelechie, wie sie in der Vererbung zutage tritt, geführt werden, erachteten wir nicht das früher über diesen Punkt Gesagte als hinreichend. Der Transport mechanischer Energie seitens der Entelechie. Ehe wir unser Resultat weiter erörtern, wollen wir uns dem zweiten möglichen Weg zuwenden, auf dem Entelechie mechanische Systeme beeinflussen kann. Die Entdeckung dieses möglichen Weges der Beeinflussung des Mecha- nischen seitens des Nichtmechanischen geht auf D e s - c a r t e s zurück. In unseren Tagen hat ihn zumal Eduard v. Hartmann sorgfältig erforscht. Streng ge- nommen, versuchte Descartes nicht den Einfluß der Entelechie, als eines Naturfaktors, auf mechanische Maße und Bewegung zu studieren, sondern er wollte die Wechsel- wirkung von ,, Seele" und Körper ermitteln. Wir selbst sehen, wie Sie wissen, dieses Problem als ein nicht ganz legit im formuliertes an. Descartes' Analyse behält aber ihre Bedeutung auch auf einer verschiedenen erkenntnis- kritischen Basis, nämlich in dem Sinne, daß irgend ein nichtmechanisches Agens, obschon es nicht fähig ist, das Quantum der Energie eines dynamischen Systemes zu EntelecMe und Mechanik. 225 ändern i), doch die Fähigkeit besitzt, irgend ein Massen- element des Systems zu drehen und dadurch die Richtung von Kräften und Bewegungen zu ändern. Man könnte hier einwenden, daß zum ,, Drehen" eines Massenelementes doch ein gewisser Energiebetrag nötig sei, da ja, wegen der ,, Trägheit", hier eine gewisse Ivraft oder besser ein Kräftepaar von der Seite her in Frage komme; woher stammt mm. diese notwendige Energie, wo doch die Entelechie selbst als nicht energetisch angesehen wird? Hartmann will diese Schwierigkeit durch die Annahme vermeiden, daß die Entelechie, oder vielmehr sein ,, Un- bewußtes", Energie von einer Achse des Raumes in die andere verlagern könne. Die Energie, welche für den Prozeß der Drehung als solche benötigt wird, werde eben aus der einen Achse in die Richtung der anderen überführt: die Summe aller Energien bleibe alsdann unverändert; nur mit Bezug auf die drei Hauptkoordinaten des Raumes, 'X, y- und z, liegen energetische Änderungen vor, und so würde die Wirkung des vitalen Prinzips zwar die Grenzen der Mechanik überschreiten, da das Trägheitsprinzip verletzt wird, aber nicht die Grenzen der Energetik überhaupt. Ich sehe nicht ganz die Notwendigkeit dieser Kompli- kation ein . Entelechie ist nun einmal ein ISl aturagens eigener Art ; warum sollen wir da nicht annehmen , daß ihre Wirkung, welche in der Veränderung der Richtung von Kraft und Energie besteht, auch eben eine Wirkung eigener Art ist, die in die intensive Mannigfaltigkeit der Entelechie eingeschlossen ist ? Die eigentlichen ^) Descartes kennt, gemäß seiner Lehre von der Kontinuität der Materie, eigentlich nur kinetische Energie; die sogenannte „Bewegungsgröße" {mv) wäre daher eigentlich dasjenige mechanische Quantum, an welches nach ihm die „Seele" gebunden wäre. Aus diesem Grunde wäre für Descartes die Annahme unserer ersten Hypothese über die Beziehung zwischen Entelechie und Materie unmöglich gewesen. Übrigens ermangelt seine eigene Aussage über die Beziehung zwischen „Seele" und Körper auf Grund der kinetischen Theorie der völligen Klarheit (s. S. 220 Anm. 1). Driesch, Philosophie. II. 15 226 Entelechie und Mechanik. engeren Gesetze der Mechanik werden ja doch ein- mal durchbrochen, und Entelechie dürfen wir uns ja doch nicht etwa als eine Art von mechanischem Apparat vor- stellen; sie ist gerade das Gegenteil davon. Wir müssen uns von allen konventionellen Bildern, soweit es nur irgend möglich ist, befreien. Man mag immerhin sagen, wenn man das vorzieht, daß Entelechie, wenn sie ein Massen- teilchen dreht, rechtwinklig zu seiner Bahn auf dasselbe wirkt ; bei dieser Art von Wirkung kommt nämlich Energie nicht in Frage. Aber selbst dann würde den Gesetzen der eigentlichen Mechanik doch nur scheinbar gehorcht werden, da ja Entelechie als nichtenergetisch angesehen werden muß und hier trotzdem mit der Trägheit in Konflikt kommt. Gemeinsame Erörterung der suspendierenden und der transportierenden Wirkung der Entelechie. Wenn wir nun die theoretische Wahrscheinlichkeit der beiden möglichen Wege, auf denen Entelechie oder irgend ein nichtmechanisches Agens überhaupt mechanische Systeme beeinflussen kann, überdenken, so scheint mir, daß unsere erste Hypothese, welche von der Möglichkeit einer Suspension möglichen Geschehens in mechanischen Systemen handelt, gewisse Vorteile darbietet, welche der Lehre von einer Veränderung der Richtung von Kräften nicht zukommen. Auf Grundlage der letzteren Theorie würde nämhch die Entelechie praktisch nur durch den Betrag an existierender Energie gebunden und in ihren Leistungen begrenzt erscheinen, während sie nach der erstgenannten Theorie nicht nur durch das Energie quantum als solches, sondern auch durch bereits existierende Unterschiede mit Bezug auf Geschwindigkeit und Potentiale als begrenzt erscheinen würde. Und wir sehen ja doch, daß die Ente- lechie in ihren Leistungen in sehr erheblichem Maße be- grenzt und beschränkt ist. Ich gebe aber zu, daß auch jene Annahme, welche der Entelechie ein Drehen von Massen- Entelechie und Mechanik. 227 elementen und damit eine Änderung der Richtung von Kräften und Energien zuschreibt, als eine mögUche Lösung unseres Problems angesehen werden kann. Auf jeden Fall würde auch diese Theorie nicht eine wirkliche Schöpfung der Energie seitens der Entelechie annehmen. Entelechie im Gegensatz zur allgemeinen Mechanik. Liegt nun irgend ein ,, Widerspruch" zur Mechanik' in unseren beiden hypothetischen Aufstellungen vor? Ohne Zweifel, soweit die Ausschließlichkeit der Me- chanik in Betracht kommt ? Wo immer es in der Welt Leben gibt, da geschieht etwas, was nicht in den mecha- nischen Konstellationen als solchen vorbereitet ist; ein Etwas wird eingeführt, das zwar nicht die quantitative Seite, wohl aber die Aktualität und die Richtung mechanischen Geschehens verändert. Freilich würde ich hier lieber von einem ,, Gegensatz" als von einem Wider- spruch reden. Es könnte scheinen, als ob der Gegensatz zwischen der Entelechie und Mechanik größer sei als derjenige zwischen Entelechie und Energetik, soweit wenigstens die übliche Energetik der Lehrbücher in Betracht kommt. Denn unsere beiden Formulierungen von der möglichen Beziehung zwischen Entelechie und Mechanischem behaupten, daß etwas, was nicht energetisch ist, obschon nicht mit dem Betrag an mechanischer Energie überhaupt, so doch mit dem Trägheitsprinzip in Konflikt kommt und eben dadurch auch mit dem wechselseitigen Betrage der beiden Typen mechanischer Energie. Wir dürfen hier aber nicht vergessen, daß auch auf energetischem Gebiete ein großer Gegensatz zwischen dem vitalen Prinzip und einer vollständigen Wissenschaft vom anorganischen oder räumlichen Greschehen, deren Formulierung der Zukunft angehört, vorgelegen hat. Diejenige Leistung der Entelechie, welche in einer Ver- mehrung des Betrages an Verteilungsverschiedenheit unter 15* 228 Entelecliie und Mechanik. gegebenen Elementen bestand, stand im Gegensatz zu jener Wissenschaft der Zukunft. Natürlich würden auch unsere Ausführungen über Entelecliie und Mechanik aufs klarste einschließen, daß Entelecliie den Betrag an ,, Verteilungsverschiedenheit" vermehren kann. Doch braucht dieser Punkt hier nicht ein- gehender erörtert zu werden. Die Leistung der ,, Dämonen" Maxwells wird gerade hier wirklich vollbracht. b) Die Ansichten einiger Physiker über Leben und Mechanik. Daß das Leben zu der Richtung materieller Bewegung in die intimste Beziehung treten muß, ist Physikern und Chemikern, zumal in Großbritannien, ein wohl vertrauter Gedanke . Lord Kelvin nennt die Organismen begabt mit der Fähigkeit ,, Massenteilchen zu richten und zu bewegen", und T a i t erklärt es für einfach ,, unwissen- schaftlich", eine mechanische Erklärung des Lebens auch nur zu versuchen. Diese Behauptungen i) sind ziemlich allgemein. Es hat aber J a p p 2) vor einigen Jahren eine vitalistische Theorie vertreten, die in aus- gesprochener Weise geradezu auf dem Begriff der Richtung basiert ist. Die Fähigkeit niederer Orga- nismen, von einem Paar korrespondierender asymmetrischer chemischer Verbindungen nur die eine zu konsumieren oder zu produzieren, beweist nach J a p p , daß spezifische Richtung im organischen Leben eine elementare Rolle spielt; außer jenen niederen Organismen kann nur der bewußte Geist des chemischen Experimentators dasselbe ^) Lord Kelvin, Populär Lectures II, p. 464 ff; Fortnightly Eev. 1892, vol. 51, p. 313. Tait, Contemp. ßev. 1878, 31, Jan., p. 298. — Lord Kelvin behauptet auch die UnmögHchkeit, die Tatsache der Vererbung aus einem zufälligen Zusammentreffen der Atome zu begreifen. Unser „zweiter Beweis" des Vitalismus schließt dieselbe Behauptung ein (s. Bd. I S. 228 ff.). 2) Stereochemistry and Vitalism. Report 68tli, Meeting Brit. Ass. Bristol 1898, p. 813. Entelechie und Mechanik. 229 vollbringen. Ich würde hier zwar nicht von einem eigent- lichen Beweise des Vitalismus reden, aber sicherlich be- weisen die von Japp beigebra^chten biochemischen Tat- sachen eine gewisse Art von spezifischer statischer Teleologie und sie zeigen sicherlich die Bedeutung spezifischer Richtung für das Leben; eben deshalb sind sie hier erwähnt. Von großem Interesse sind endlich gewisse von H ö f 1 e r 1) mitgeteilte Gedanken Boltzmanns: Eine Einwirkung des Psychischen auf das Physische wird als mit dem ersten Energiesatze verträglich angesehen, ,,wenn man annimmt, daß diese Einwirkung normal gegen die Niveauflächen erfolgt". Weiter erwidert Boltzmann auf die Frage H ö f 1 e r s ,,ob es für den z. B. für das Träg- heitsgesetz geforderten Begriff ,, physischer" Kräfte nötigen- falls genüge, wenn zwar die Wirkung (räumliche Be- schleunigung), nicht aber die Provenienz der Kräfte als physisch gedacht werde," daß es ,,um von physischen Kj"äften zu reden, genüge, wenn die physischen Ver- änderungen als durch irgend welche Koordinaten, die nicht räumlich, nicht einmal bloß zeitlich sein müssen, eindeutig bestimmt angenommen werden (also nur nicht etwa eine Willensfreiheit oder dergleichen)." Über einige in diesen Zusammenhang gehörige Äuße- rungen von Hertz haben wir früher geredet. i) Psychologie, AVien 1897; S. 58 Anm. 1. 6. Die Affektioü der Enteleehie. Wir habeii nun eingehend erörtert, wie die Enteleehie auf ein energetisches oder mechanisches anorganisches System wirken kann, mit anderen Worten, was sie an einem solchen System zu verändern vermag. Die korrespon- dierende Frage hierzu ist aber noch nicht einmal gestellt worden. Wie können Geschehnisse in irgend einem an- organischen System die Enteleehie affizieren ? Dieses Problem ist sicherlich nicht weniger bedeutsam als das andere. In der Lehre von der sogenannten psycho - physischen Wechselwirkung werden gewöhnlich beide Probleme gemeinsam behandelt: das ,, Psychische" affiziert hier nicht nur das ,, Physische", sondern wird auch durch dieses affiziert. a) Das Prinzip der Wirkung und Gegenwirkung in seiner Beziehung zur Enteleehie. An erster Stelle müssen wir uns, wie mir scheint, darüber klar werden, ob bei der Leistung der Enteleehie irgend etwas auftritt, was zu dem Newton sehen Prinzip der Wirkung und Gegenwirkung irgendwelche Beziehung hat, wobei dieses Prinzip natürlich — wie bereits in der elektrodynamischen Mechanik — von vornherein in seinem weitesten ontologischen Sinne verstanden werden muß. Da Enteleehie weder eine Energie noch ein Agens vom mechanischen Typus ist, so kann natürlich das Prinzip der Gegenwirkung hier nicht in irgend einem physikalisch- chemischen oder mechanischen Sinne in Betracht kommen. Aber Enteleehie ist doch immerhin ein ,, Agens" oder ein Die Affektioa der Entelechie. 231 ,, Faktor" der Natur, Entelechie ist ein Etwas, das in Eindeutigkeit auf das Anorganische wirkt, wie wir wissen, und daher muß in dieser Wirkungsbeziehung auf jeden Fall etwas gelegen sein, das mit dem Satze von der Gegen- wirkung in seinem allgemeinen logischen Sinne vergleichbar ist, mag auch das Bereich anorganischer Kausalität über- schritten werden. Denn nicht nur eigentliche Kausalität, sondern alles Geschehen muß unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung verstanden werden. Wenn ein Faktor A den Faktor B affiziert, dann wird immer nicht nur B beeinflußt, sondern auch A. Im Gebiete reiner Kausalität gilt dieses Prinzip ganz ohne Rücksicht auf alle speziellen Definitionen der ,, Ursache", die ja beinahe alle mit Rück- sicht auf praktische Zwecke i) formuliert werden. Ich glaube nun, daß sich die Beziehung des Begriffes der ,, Gegenwirkung" zur Entelechie unschwer formulieren läßt; wenn Entelechie irgend eine Wirkung auf ein System ausübt, so wird sie verändert mit Rücksicht auf ihre intensive Aktualität und zwar durch ihr Wirken selbst ; ihr ,,G«t anhaben" verändert ihr ,,Tun", denn Tun wird unnötig, nachdem getan worden ist. So wird Entelechie durch die Vollendung ihrer eigenen Leistung affiziert; das gilt sowohl von der Formbildung wie vom Handeln. Hier begegnen wir dem ersten Falle einer Affektion der Entelechie. ß) Die möglichen Arten einer Affektion der Entelechie. Wir erörtern jetzt kurz die möglichen Wege, auf denen Entelechie von einer Veränderung im Gebiet des An- organischen affiziert werden kann. Die Entelechie der Formbildung. Der Organismus ist, wie wir wissen, ein System, dessen einzelne Konstituenten für sich genommen anorganisch sind; nur das von diesen Konstituenten gebildete Ganze 0 Vgl. B. I S. 69 f., BUS 158 f. 232 ^^^^ Affektion der Entelechie, verdankt seine typische Anordnung der Spezifizität der Entelechie. Die einzelnen Konstituenten eines Organismus stehen daher auch in energetischen und mechanischen Möglichkeitsbeziehungen zu vielen äußeren Konstituenten der anorsranischen Welt. Eine Änderung dieser Beziehungen kann das Ganze, so wie es von Entelechie gelenkt wird, stören : eben durch irgend eine Störung dieser Art kann die Entelechie affiziert und sozusagen in Aktivität gesetzt werden. Wir begegnen hier wieder dem Problem der resti- tutiven und adaptiven Reize. Damit eine Adaptation statthaben kann, muß der funktionelle Zustand des Orga- nismus in seiner Normalität gehört sein; eben diese Tat- sache affiziert die Entelechie und ruft ihre Aktivität hervor. Bei Restitutionen konnten wir nicht mit voller Sicherheit den eigentlichen Reiz feststellen, welcher sie hervorruft. Da aber bei allen Restitutionen die morpho- genetische Leistung, obschon sie auf Grundlage unbegrenzter Möglichkeiten geschieht, doch stets in sehr typischer und spezifischer Beziehung zur Art der Störung steht, so dürfen wir mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, daß der Restitutionsreiz etwas ist, das mit der Spezifizität der Störung des normalen Ganzen nahe Berührung hat; eben diese spezifische Störung ist hier dasjenige, was die Entelechie affiziert. Kurz gesagt also: bei adaptiven oder restitutiven Leistungen wird die morphogenetische Entelechie affiziert, sobald der Zustand des Normalen, der gegründet ist auf eine spezifische Suspension möglichen anorganischen Ge- schehens seitens der Entelechie, durch Geschehen von außen her verändert wurde. Entelechie macht dann einen mehr oder weniger erfolgreichen Versuch ihre Suspension derart zu modifizieren, daß jenes äußere Geschehen in seinen Wirkungen wieder auf den früheren, den normalen Zustand zurückgeführt wird. Zum Verständnis der eigentlichen echten E n t - Wickelung aus dem Ei reicht nun eine solche Annahme Die AfFektion der Entelechie. 233 aber nicht aus. Hier wissen wir, daß die Befruchtung oder irgend ein Ersatz für sie notwendig ist, damit Entelechie in Aktion komme. Was bedeutet das ? Ich glaube, daß wir hier weiter kommen, wenn wir annehmen, daß die Befruchtung oder ihr Ersatz in der Darbietung irgend- welcher notwendiger Mittel, irgendwelcher notwendiger spezifischer Potentialdifferenzen gewissermaßen, besteht, ohne welche Entelechie zur Untätigkeit verurteilt ist; ganz ebenso wie das ja bei Abwesenheit von Sauerstoff der Fall ist. L o e b 's Entdeckung der künstlichen Parthenogenese ist eine gute Stütze solcher Ansicht i). Das alles würde aber bedeuten, daß selbst im Falle der normalen Entwicklung Entelechie dadurch zur Aktivität gebracht wird, daß sie die Existenz ihres normalen Ergebnisses, da wo es existieren könnte, vermißt, und so würde die normale Entwicklung gewissermaßen als ein bloßer Fall von Restitution erscheinen. Befruchtung oder ihr Ersatz würde so eine ziemlich sekundäre Rolle spielen; sie würde nicht eigentlich die Entelechie aktivieren, sondern sie würde nur der Entelechie ermöglichen zu wirken, nach- dem sie bereits durch die bloße Existenz eines lebenden Fragmentes eines Organismus aktiviert worden war. Dies ist natürlich keine Antwort auf die Frage, warum denn der Organismus überhaupt in aktiver Weise ,, Frag- mente" zum Zwecke seiner ,, Fortpflanzung" produziert; dieses Problem führt aber über die Theorie der ,, personalen" Entelechie, wie sie der Gregenstand der Embryologie ist, hinaus und kann erst später kurz erwähnt werden. Sowohl die Restitution wie die normale Formbildung geschehen mit Hilfe einer großen Zahl auf einander folgender ^) Während des Druckes von Band I erschien J. Loeb's hervorragendes Werk ,,Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies" (Berlin, 1909); dasselbe ist, ganz abgesehen von seinem besonderen Inhalt, ein wahres Muster experimentell-ana- lytischer Methodik und auch für den Gegner der mechanischen Lehre Loeb's ebenso belehrend wie anregend. 234 l^ie Affektion der Entelechie. Einzelleistungen oder einzelner ,, Stadien". Was können wir nun über die Leistung jedes einzelnen Stadiums seitens der Entelechie sagen ? Wir wollen zu diesem wichtigen Problem für's Erste nur kurz bemerken, daß wir wohl annehmen dürfen, es affiziere die räumliche Existenz etwa des Stadiums A die Entelechie derart, daß sie nun ihren nächsten Akt leistet, der zum Stadium B führt. So wird die Formbildung, und nicht die Formbildung allein, eine Reihe von Ereignissen, die sich zwischen Materie und Entelechie wechselweise abspielen i). Das Psycho id. Wenn wir uns nun der Affektion des Psychoids oder der Handlungsentelechie durch äußere anorganische Er- eignisse zuwenden, so dürfen wir nicht vergessen, daß der Begriff des ,, Normalen" hier nur in übertragener Weise in Betracht kommt, indem nämlich ein gewisses aktuelles Gefallen und Wollen seine Stelle einnimmt: ein gewisses Ding zu einer gewissen Zeit zu wollen, ist eben für das Psychoid zu dieser Zeit ,, normal". Wenn wir unsere Analyse auf solche Fälle von Hand- lung beschränken, welche in sichtbaren Resultaten endigen, z. B. in einem Gegenstand der Kunst oder Technik, so können wir sagen: das Psychoid, sein spezifisches Wollen als gegeben vorausgesetzt, wird affiziert durch die eigent- liche Spezifizität derjenigen Kombination seiner Effekte, welche schon existiert, verglichen mit derjenigen, welche gemäß seinem Willen existieren sollte. So wird z. B. ein Setzer seine Arbeit immer an dem Punkte aufnehmen, wo er sie tags zuvor verließ. Ein ähnlicher *) Wir vermeiden durch unsere Formulierung den schwierigen Begriff einer intra-entelechialen „Kausalität", der z. B. beiLotze, in anderer Form und Terminologie, eine ßoUe spielt. Die intro- spektive Psychologie scheint zwar einem solchen Begriff das Wort zu reden — wir selbst werden später von einer „intra-psychischen Reihe" sprechen — aber eigentliche Naturphilosophie vermeidet ihn besser. Die Affektion der Entelechie. ^ 235 Gesichtspunkt ließe sich unschwer auf das Handeln über- haupt anwenden. Psychologisch wird alle Passivität oder besser Rezep- tivität der Entelechie mit Bezug auf äußere Veränderungen durch das Wort ,, Empfindung" ausgedrückt. Wir können kaum umhin, dasjenige, was bei der Affektion der Entelechie überhaupt statthaben muß, ebenfalls analogienhaft mit diesem Worte zu beschreiben, ebenso wie wir ja auch von einem primären Wissen und Wollen der Entelechie ge- sprochen haben. Unser Postulat, das eine Affektion aller Entelechie durch äußere Veränderungen existieren müsse, und daß diese Affektion sich auf Spezifizitäten der Ordnung und Kombination beziehe, ist aber wichtiger als diese Frage der Terminologie. Wie wir bei der Erörterung der Affektion der form- bildenden Entelechie auf das Problem der Restitutions- reize zurückkamen, so könnten wir hier wieder auf eine Analyse der individualisierten ,, Reize" zurückkommen, die wir aus unserer Diskussion von Instinkt und Handlung kennen. In beiden Fällen bildet die Analyse des Typus der Affektion des vitalen Agens für sich einen Beweis des Vitalismus, und zwingt uns eben dieses Agens als autonom zu bezeichnen und Entelechie zu nennen. Y) Der Unterschied zwischen der Affektion im Organischen und im Anorganischen. Um also zusammenzufassen: die Entelechie wird affiziert und dadurch zur Aktivität wachgerufen durch Veränderungen irgend einer von ihr beherrschten Normalität mittels äußerer Ursachen, und diese Veränderungen affi- zieren die Entelechie nicht als bloße Summe veränderter Einzelheiten, sondern als Veränderungen des Normalen als eines Ganzen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, da uns ja anderer- seits unser sorgfältiges Studium der Beziehung zwischen Entelechie und Mechanik oder Energetik gezeigt hat, daß sich die Aktivität der Entelechie ihrerseits unmittel- 236 ^^^ Affektion der Entelechie. bar stets auf einzelne anorganische Geschehnisse be- zieht, obschon im Dienste einer TotaUtät. Der fundamentale Gegensatz zwischen der Affektion der Entelechie von außen her und irgend einer Art der Beeinflussung im Anorganischen wird sehr gut durch die bloße Tatsache illustriert, daß eben im Falle der Entelechie die affizierenden anorganischen Kombinationen als Totali- täten wirken. Eben deshalb konnten wir sagen, daß die Analyse des Typus der Affektion der Entelechie für sich genommen einen Beweis der ,, Autonomie" des hier vorliegenden Geschehens bildet, während wir bei unserer Erörterung der aktiven Rolle der Entelechie, mit Be- ziehung zur Energetik und Mechanik, die Autonomie des Lebens als bewiesen voraussetzen mußten, und nur zu studieren hatten, was aus dieser Autonomie mit Bezug auf die einzelnen Effekte der Entelechie im An- organischen folge. Alle Veränderungen des Normalen, welche die Entelechie affizieren, sind natürlich ,, Ursachen", insofern als sie Ver- änderungen gegebener räumlicher Wirklichkeiten sind i) ; mag auch ihre Wirkung nicht eine unmittelbare räumliche Wirkung sein, sondern eine solche, welche durch Entelechie hindurchgegangen ist. Als Ursachen aber sind sie ebenso spezifisch wie ihr endgültiger von der Entelechie beeinflußter räumlicher Effekt. So treffen wir denn hier die seltsame Tatsache an, daß im Biologischen dort, wo es sich um entelechiales Geschehen handelt, erste Ursache und end- gültiger Effekt bezüglich ihrer Spezifizität in der *) Natürlich ist es Aufgabe der Wissenschaft, diese Ver- änderungen immer genau physikaHsch-chemisch zu kennzeichnen. Ich stimme J. Loeb (vgl. dessen in der vor. Anm. genanntes Werk) vollkommen bei in der Forderung, den Begriff „Reiz" durch den Nachweis dessen, was wirklich im einzelnen in jedem Falle am Organismus geschieht, falls (reschehen an ihm „ausgelöst" wird, zu ersetzen. Und zwar gilt — von meinem Standpunkte aus — diese Forderung sowohl für vitale wie für maschinelle Lebens- reaktionen. Die Affektion der Entelechie. 237 engsten Beziehung zu einander stehen, obschon diese Be- ziehung nicht unmittelbarer Art ist, sondern durch Entelechie gleichsam hindurchgeht. Eine solche Art der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung liegt im Bereich des Anorganischen nur in der reinen Mechanik vor, und hier in ganz anderer, nämlich unmittelbarer Art. Eine allgemeine ontologische Theorie der Folge- beziehung — ich sage nicht der ,, Kausalität" — hätte diese wichtige logische Tatsache zu prüfen. Allgemeine Schlußfolgerungen. EntelecMe bezieht sich auf den Eaum und gehört daher zur Natur, aber Entelechie ist nicht im Raum. In allen Erörterungen dieses lang angewachsenen Teils unserer Studien trat der Gegensatz zwischen dem Unbelebten und dem Belebten auf^). Dieser Gregensatz war aber immer ein Gegensatz mit Bezug auf Natur, oder besser i n der Natur, als in demjenigen, was im Raum gegeben ist. Wir haben niemals das Bereich der Natur verlassen. Der Gegensatz selbst ist in der Tat von sehr funda- mentaler Art: ein ganz neuer T5rpus des Naturgeschehens tritt vor uns, wo Entelechie bei der Arbeit ist, wo sie aktiv, in regulatorischer Art, den Betrag von Verteilungsverschie- denheit vermehrt, auf Grundlage ihrer intensiven Mannig- faltigkeit und im Gefolge ihrer Affektion durch individuali- sierte Reize. Anorganisches Geschehen bezieht sich auf Extensitäten und wird durch Energie gemessen; wir können sagen, daß Energie denjenigen Betrag an Kausalität messe. ^) Derselbe Gegensatz würde auftreten, würden wir Entelechie mit einer anderen modernen Art, anorganische Systeme zu analysieren, verknüpfen, mit der sogenannten „Phasenregel", welche im wesent- lichen auch auf aprioristischen Erwägungen ruht. Unter diesen Gesichtspunkt habe ich die Bedeutung der Entelechie in meinen „Naturbegriffen" (S. 182) erörtert; das hier mögliche Ergebnis würde aber eine längere Analyse in diesen Vorlesungen kaum rechtfertigen : Entelechie wird ein „Parameter" eigner Art, welcher neben den anorganischen Parametern „Gleichgewicht" und „Frei- heitsgrad" bestimmt. Das wäre hier das Hauptergebnis der Analyse. Allgemeine Schlußfolgerungen. 239 welcher als solcher im Räume ist. Die Entelechie dagegen ist eine Verschiedenheit oder Mannigfaltigkeit in sich selbst, obschon nicht im Sinne räumlicher Ausdehnung; daher hat sie mit dem Betrage an räumlicher Kausalität als solchem gar nichts zu tun, mag sie sich auch auf Ereignisse im Raum beziehen, und eben daher wird sie nicht durch Energie gemessen. Wir können gradezu sagen: Entelechie wird von räumlicher Kausalität affiziert und wirkt auf räum- liche Kausalität, als wenn sie von jenseits des Raumes herkäme : sie wirkt nicht im Raum, sie wirkt in den Raum hinein; sie ist nicht im Raum, im Raum hat sie nur Manifestationsorte. Diese Analogie mit gewissen theoretischen Ansichten, welche der sogenannte Spiritismus zur Erklärung der von ihm behaupteten Tat- sachen vertritt, ist in der Tat eine ganz gute Beschrei- bung von dem, was in jedem natürlichen Systeme ge- schieht, auf welches Entelechie wirkt. Fürs erste muß es nun genügen, auf den großen Unterschied zwischen den beiden großen Klassen des Geschehens in der Natur, welche beide, wie wir wissen, dem Prinzip der Eindeutigkeit unter- worfen sind, Nachdruck zu legen: Die eine ist räumlich, extensiv, quantitativ ; die andere ist nicht räumlich, intensiv und ordnet nur; beide beziehen sich aber auf räumliche Ereignisse, d. h. auf Natur. Auf diesem Unterschiede, so wie er im Text formuliert ist, ruht das eigentliche Wesen des Vitalismus oder ,, Nicht- Materialismus" im Gegensatz zum ,, Materialismus". Wie der Materialismus etwa im Einzelnen formuliert wird, tut hier wenig zur Sache; auch die ,, Energetik" ist nur eine neue Form des Materialismus und ganz und gar nicht, wie O s t w a 1 d denkt, seine ,, Überwindung". Wie steht denn nun aber Entelechie zu Kausalität ? Ist sie selbst eine besondere Art der letzteren? Leider muß die Antwort auf dieses endgültige Problem noch einmal verschoben werden, bis Erwägungen anderer Art zum Abschluß gebracht worden sind. 240 Allgemeine Schlußfolgerungen. Rechtfertigung unserer Yorsiclit. Wir liaben der Entelechie mit Rücksicht auf ihre nicht-physikahsch-chemische Leistung so wenig wie möghch aufgebürdet, mag diese Leistung in ihrer passiven oder in ihrer aktiven Stellung zur anorganischen Kausalität in Be- tracht kommen. Vom energetischen Standpunkt aus geben wir nur dies eine zu, daß Entelechie ein Faktor ist, welcher ein Geschehen suspendiert, das gemäß der anorganischen Gesetzlichkeit möglich sein würde. Vielleicht sind wir gar zu vorsichtig gewesen, wennschon unser Vorgehen mit unserer wirklichen Kenntnis harmoniert; denn diese Kennt- nis zeigt uns an vielen Stellen Grenzen der Regulations- fähigkeit. Vergessen wir aber nicht, daß es viele Dinge geben mag, die wir noch nicht kennen und vielleicht erst in vielen hundert Jahren kennen lernen werden, etwa wegen ihrer Kleinheit; wobei wir das Wort ,, Dinge" im Sinne von ,, möglichen Gegenständen der Erfahrung" verstehen wollen, solange wir das Gebiet der Methapysik nicht betreten. Er- innern wir uns daran, wie spät doch die Phänomene der Radioaktivität uns bekannt geworden sind. Anders gesagt : Es mag noch viele fundamentale Wirkungen der Entelechie geben, die wir bisher nicht kennen und daher auch nicht zu deuten brauchen. Könnte nicht Entelechie eine indivi- dualisierende Wirkung auf die Elektronen selbst haben ? Und wie steht es mit dem ersten Ursprung des Lebens ? Hier berühren wir aber schon Probleme, welche dem nächsten Abschnitt angehören. Vielleicht wird es sich einst als nötig erweisen, an- zunehmen, daß Entelechie nicht nur Potentiale suspendiert, sondern daß sie Potentiale und damit Energie schafft, indem sie vielleicht ungekuppelte Intensitätsdifferenzen verkettet; etwas Älmliches würde sich auch rein dynamisch formulieren lassen. Es liegt aber kein Grund vor, uns hier näher mit einer solchen Annahme einzulassen, einer Annahme, welche auch das Problem der Endlichkeit oder Unendlichkeit der materiellen Welt in Erwägung zu ziehen haben würde. Allgemeine Schlußfolgerungen. 241 Denn wir wollten in diesem Kapitel nur sokbe theoretischen Schlußfolgerungen ziehen, welche von bekannten Tatsachen ausgehen. Der ßegulationsmoment. So beschließen wir denn dieses Kapitel mit einer Über- legung, die sich wieder ganz eng auf biologische Tatsachen im allgemeinen bezieht. Wir sind durchaus nicht zu der Annahme gezwungen, daß die Entelechie, wenn sie bei morphogenetischen Re- gulationen, bei der Anpassung und beim Handeln an- organischem Geschehen entgegenwirkt, solche Gegen- wirkungen sich auf alle einzelnen Phasen des in Rede stehenden Vorganges beziehen läßt. Bei der Anpassung zumal würde es zur Erfüllung der Bedürfnisse des Organis- mus vollständig genügen, wenn Entelechie die Kette an- organischer Ereignisse nur an einem Punkt durchbrechen und alles weitere wieder in anorganischer Weise ablaufen lassen würde. Bei der Restitution und beim Handeln können die Dinge ähnlich liegen. Das Wort ,, Regulations- moment" würde in passender Weise jenen einen Punkt in der Kette des Geschehens bezeichnen, an welchem Ente- lechie ansetzt. Im Einzelnen können wir freilich über dieses Problem nichts weiter sagen i). ^) Vgl. das auf S. 188 über Katalyse Gesagte. Driesch, Philosophie. II, 16 C. EntelecMe und Substanz. a) Die Kategorie Substanz und ihre Anwendung überhaupt. Eduard v. Hartmann sagt an einer Stelle seiner ,, Kategorienlehre", daß alle Philosophie ein Kampf um den Begriff ,, Substanz" gewesen sei; und jeder, der die Geschichte der Philosophie kennt, wird ihm wohl recht geben. Gewißlich sind die Kategorien Substanz und Inhärenz von allen die am meisten gebrauchten: schon das Kind kennt viel früher ihre Anwendung als die Anwendung des Kausalbegriffs ; trotzdem ist aber das Problem, was eigent- lich als ,, Substanz" zu bezeichnen sei, noch in allen ver- schiedenen Gebieten der Forschung ein ungelöstes Problem. Ihre einfachste Anwendung finden, wie Sie wissen, die Kategorien Substanz und Inhärenz dann, wenn ,, Dinge" als im Besitze von Eigenschaften, als ,, Träger" ihrer Eigen- schaften angesehen werden. Die Wissenschaft geht aber weiter und sieht bald das ,,ein Ding sein" selbst als eine Eigenschaft an. Als was für eine Eigenschaft? und was ist das Kriterium dessen, was nicht eine Eigenschaft ist ? Hier sehen wir nun von Beginn an ein sehr wichtige» Prinzip der Ontologie auftreten, zunächst dem Bewußtsein verborgen, auf einem vorgeschrittenen Stadium der Philo- sophie aber bewußt angewendet; das Prinzip, daß es im Bereich der erweiterten Wirklichkeit etwas in seiner Qualität absolut unveränderliches geben müsse, und daß nur dieses Unveränderliche den Namen einer „Substanz" verdiene. EntelecMe und Substanz. 243 Die Substanz im Anorganischen. In unseren biologischen Vorlesungen können wir natürlich nicht eine Erörterung der Probleme der all- gemeinen Ontologie und Epistemologie als solcher unter- nehmen; so bemerken wir hier denn nur, daß die an- organischen Wissenschaften gegenwärtig dazu gekommen sind, entweder diskrete dynamische Punkte, welche, freilich nicht im Sinne der Chemie, ,, Atome" genannt werden, oder den Raum selbst als die wahre ,, Substanz" anzusehen. Der Raum ist bei solcher Auf- fassung nicht nur eine ,, Anschauungsform", sondern er wird identisch mit dem, was gewöhnlich ,, Äther" genannt wird, insofern der letztere als ein Kontinuam gefaßt wird: wenn man in der Tat an alle die sogenannten ,, Eigen- schaften" des ,, Äthers" der Physiker denkt, so findet man, daß sie alle Nicht-Eigenschaften sind, oder wenigstens nichts als der bloße Ausdruck von Möglichkeiten i), daß sie bloße Negationen sind, und daß der Raum allein als sub- stantielles Kontin uum übrig bleibt, als der wahre Träger der phänomenalis tischen Wirklichkeit . Diejenige Lehre, welche den Raum als die anorganische Substanz ansieht, hängt fester als irgend eine andere an dem Prinzip der Stabilität oder Erhaltung oder Unveränder- lichkeit: der Raum kann ja nicht einmal seinen „Ort" ändern, während alle Arten von Atomen ihre Lage im formalen Raum ändern können. Andererseits geht aber diese Identifizierung von Raum und Substanz gar zu weit über die alltägliche Anwendung der Substanzkategorie hinaus, welche in ihrer primitivsten Form zum Begriff des ,, Dinges" führte. So kommt es denn, daß die Vertreter der Lehre von der Raum-Substanz gewöhnlich noch eine Art anderer Substanz einführen, welche sie freilich nur aus- gezeichnete Elemente ihres Raumes nennen. Diese Elemente haben aber auch den Charakter der Unveränderlichkeit, ^) Mit Bezug auf ein elektromagnetisches Feld. 16^ 244 Entelechie und Substanz. wenn wir von ihrer Beweglichkeit absehen. Sie sind mit den Atomen der anderen Theorie ungefähr identisch. Und es scheint in der Tat, als wäre der menschliche Geist gezwungen, irgend eine Substanz im Räume an- zunehmen und nicht nur im Räume selbst die Substanz zu sehen. Das Prinzip von der Konstanz der Summe aller anorganischen oder materiellen Substanz würde alsdann dadurch garantiert sein, daß ihr Verlassen des Raumes oder ihr Eintreten in ihn als nicht geschehend gefordert wird 1). Hier liegt die eigentliche Quelle des aprioristischen Prinzips von der Erhaltung der materiellen Substanz. Das Prinzip von der Erhaltung der Substanz und das Prinzip von der Erhaltung der Energie haben enge Be- ziehungen zu einander: beide beruhen zum Teil auf dem Charakter des formalen Raumes, als eines allumfassenden Etwas, welches weder verlassen noch neu betreten werden soll. Diese Verwandtschaft hat wohl gewisse neuere Autoren dazu geführt, Substanz und Energie für identisch zu erklären, eine Lehre, die uns vollständig unannehmbar erscheint. Diese Lehre vergißt nämlich, daß dasjenige, welches durch ,,Erge" gemessen wird, nur der Betrag an Kausalität ist, soweit er Quantität besitzt und daher meßbar ist, während Substanz sich gerade auf das bezieht, was von Kausalität prinzipiell nicht betroffen wird. Die beiden Erhaltungsprinzipien beziehen sich auf zwei durchaus verschiedene Zweige der Ontologie. Energie ,,ist" nicht, sondern stellt sich in der Veränderung dar; Substanz ist. Freilich muß man zugeben, daß die übliche Energetik gar keine rechte Gelegenheit hat, das eigentliche Äqui- valent der Substanz in der Natur zu entdecken. Aber das ist ihr Fehler und nicht derjenige der Substanzkategorie. Sobald man die Probleme des ,, Materiellseins" nicht ver- nachlässigte, würde die Kategorie Substanz auch im Be- reiche der qualitativen Energetik a^n wendbar werden; im 1) Vgl. hierzu S. 161 f. Entelechie und Substanz. 245 Bereiche der mechanischen Physik wird ihre Anwendung freihch viel klarer. Ja ich glaube, wir können geradezu sagen, daß die unwiderstehliche Tendenz zur Anwendung der Kategorie Substanz eine der letzten Quellen der mechanischen Physik überhaupt gewesen ist: Es soll nur eine „Stoffart" geben, eben die Substanz im Räume. Jede Art von anorganischer Substanz bezieht sich auf Extensives. Doch genug über die Bedeutung der Kategorie ,, Substanz" im Bereich des Anorganischen; genug auch über die hier noch ungelösten Schwierigkeiten. Im folgen- den wollen wir uns nur ein fundamentales Resultat zu Nutzen machen, welches allen verschiedenen Substanz- theorien im Anorganischen gemeinsam ist: An- organische Substanz ist entweder selbst Extensität, d. h. der Raum als Träger der phänomenalistischen Realität, oder sie ist etwas, das aus absolut einzelnen Elementen, welche im Extensiven eines neben dem anderen sind, besteht. Alle Extensitäten im Anorganischen bauen sich auf solchen substantiellen Elementen auf. Der Satz, daß die substantiellen Elemente des Anorganischen sich auf Extensitäten und auf Extensitäten aJlein beziehen, gilt auch, wenn die substantiellen Elemente selbst dynamisch verstanden werden, d. h. wenn man sie ansieht als gewisse elementare ,, Sphären" im Raum, deren jede der Sitz einer Zentralkraft ist. Auch dann ist das substantielle Element im Raum als solches eine Extensität, obwohl das EJ:aft- zentrum ein nicht ausgedehnter Punkt ist. Wir wollen hier- mit nicht ohne weiteres die dynamische atomistische Theorie verteidigen; wir wollen nur die Tatsache betonen, daß an- organische ,, Substanz" sich in jeder ihrer möglichen Formen auf Extensitäten bezieht, und daß, wenn sie sich auf Verschiedenheiten und Mannigfaltigkeiten bezieht, sie das nur mit Rücksicht auf solche extensiver Art zu tun vermag, und mit Rücksicht auf nichts anderes. 246 Entelechie und Substanz. Und jetzt nehmen wir unser eigentliches Unter- suchungsgebiet wieder auf: die Philosophie des Organischen in ihrer Beziehung zur Kategorie ,, Substanz". ß) Organische „Assimilation". An erster Stelle müssen wir uns hier mit gewissen Kenn- zeichen des Lebens beschäftigen, welche für sich genommen durchaus nicht philosophischer Art sind. Diese einleitenden Bemerkungen werden gleichzeitig zur Ausfüllung einer ge- wissen Lücke in unserer Übersicht über die Lebensphäno- mene führen. Ich vermute wenigstens, daß Sie eine solche Lücke in unserer Übersicht bemerkt haben, obwohl ich hoffe, Ihnen im folgenden zu zeigen, daß das nur eine schein- bare Lücke gewesen ist, daß hier ein Pseudoproblem zu- grunde lag. Atmung. Atmung und Assimilation gelten gewöhnlich als die grundlegendsten Funktionen des organischen Lebens, als die eigentlichen Grundlagen aller Physiologie. Im wissenschaftlichen Sinne bedeutet Atmung die Oxydation irgend eines chemischen Konstituenten des Körpers, d. h. seine Verbindung mit Sauerstoff; und diese Oxydation dient, wie die Lehrbücher uns lehren, dazu, eine Energiequelle für das Funktionieren zu liefern. Die zu oxydierenden Verbindungen werden entweder vor der Oxydation in einfachere Verbindungen gespalten oder nicht. Das letzte Ergebnis des Prozesses der Oxydation ist die Bildung von Kohlensäure, Harnsäure, Harnstoff oder anderer Verbindungen, welche alle für den Organismus giftig sind, wenn sie nicht entfernt werden. Wie bereits bemerkt, gilt die Oxydation meist nur als Energiequelle oder besser als eine Quelle sogenannter freier Energie, d. h. solcher, die auf Grund von Differenzen ge- kuppelter Potentiale zur Leistung von Arbeit fähig ist. Diese Rolle der Oxydation würde aber, wie mir scheint. Entelecliie und Substanz. 247 niemals ihre absolute Notwendigkeit erklären. Wenn eine solche Lehre ganz richtig wäre, dann würde das Aufhören der Oxydation nur die Funktionen des Organismus sistieren; der Organismus wird aber nicht nur in seinen Funktionen geschädigt, wenn die Oxydation unmöglich geworden ist, sondern er stirbt, und sein Tod beruht hier bekannter- maßen nicht nur auf einer Vergiftung durch die End- produkte der Oxydation, wie z. B. Kohlensäure, für deren Entfernung vielmehr die feinst ausgebauten Einrichtungen im Organismus existieren. Die Oxydation muß daher noch eine andere Rolle spielen, und wir können diese Rolle, wie mir scheint, folgendermaßen formulieren: der Organismus produziert im Laufe seines synthetischen oder analytischen Stoffwechsels gewisse Substanzen, welche für ihn selbst giftig sind, d. h. welche die Ordnung seines Stoffwechsels in unwiederherstellbarer Weise zerstören, wenn sie nicht in eine unschädliche Form übergeführt worden sind : e b e n diese Überführung in eine unschädliche Form leistet die Oxydation i). Lange Zeit waren die Grundlagen der organischen Oxy- dation ein vollkommenes Rätsel für die Biologie, und alle möglichen Theorien wurden zur Lösung dieses Rätsels erfunden. Alle diese Theorien, wie z. B. diejenige, welche von der Wirkung des Sauerstoffs in Form des sogenannten Ozons ausgeht, sind nun aber durch Entdeckungen der letzten Jahre antiquiert worden. Es war ihr Fehler ge- wesen, in der Atmung einen Prozeß zu sehen, bei dem der Organismus eine passive Rolle spielen sollte: entweder sollten gewisse Verbindungen des Organismus durch ihre 1) Diese Ansicht vertrat ich bereits im Jahre 1901, zu einer Zeit, als nurNoll auf einem ähnHchen Standpunkt stand. Gegen- wärtig scheint die Lehre von der entgiftenden Wirkung der Oxydation an Boden zu gewinnen; die neuen Entdeckungen Wintersteins sind ihr sehr günstig; vgl. Bd. I S. 202 Anm. 1. Man vergleiche auch J. Loeb, Vorles. üb. d. Dynamik der Lebensersch., 1906, Seite 42, und Die ehem. Entwicklungserregung d. tier. Eies, 1909, Seite 17, 74, 236. 248 EutelecMe und Substanz, eigene Affinität den Sauerstoff der Luft an sich ziehen, oder der Sauerstoff sollte seinerseits den Organismus ge- wissermaßen angreifen. Die neuere Biologie hat festge- stellt, daß die Oxydation eine aktive Leistung seitens des Organismus zum Besten des Ganzen ist; wo immer sie geschehen muß, entweder um schädliche Verbindungen zu zerstören oder um energetische Potentiale zu gewinnen, da bildet der Organismus Katalysatoren oder er aktiviert sogenannte Zymogene, welche die Oxydation ermöglichen, die ohne sie nicht statthaben würde i). Als Energie- quelle wird dabei meist ein Brennstoff verwendet, welcher aus den Konstituenten der Nahrung stammt, freilich wohl kaum, ohne daß eine gewisse Umsetzung vorher statthat; es kann aber auch zur Verbrennung wichtigerer Teile der Gewebe kommen, wie wir von unserer Analyse des Stoff- wechsels im Hungerzustande her wissen. Als bloßer Ent- giftungsprozeß greift die Oxydation alle sogenannten Nebenprodukte des Stoffwechsels überhaupt an. Das wichtigste von der neueren Biologie ermittelte Resultat besteht also in der Erkenntnis, daß die Oxydation den übrigen Stoffwechselprozessen durchaus verwandt ist; daß sie ebenso regulabel und in ihrer Regulierbarkeit ebenso begrenzt ist wie diese; daß sie nur darum wichtiger erscheint als sie, weil sie fast allen Formen des Lebens nie fehlt. Wir können daher die Theorie der Oxydation ver- lassen und uns dem allgemeinen Problem des Stoffwechsels zuwenden; die Lehre von der Oxydation ist nur ein Teil dieses allgemeinen Problems. 1) Unsere Darstellung ist absichtlich schematisch gestaltet, die früheren Theorien der Atmung schieden zwischen „primärer" und „sekundärer" Oxydation; die erstere sollte zum Leben überhaupt, die zweite für den Ablauf gewisser Funktionen notwendig sein. Dieser Unterschied aber wird im Lichte der neueren Forschungen wahrscheinlich verschwinden; ganz entschieden ist das freilich noch nicht. Entelecliie und. Substanz. 249 „Assimilation" und „Dissimilation". Der Stoffwechsel, d. h. der Wechsel der chemischen Spezifizitäten des Organismus während seiner Differen- zierung, seines Wachstums und seines Funktionierens wird gewöhnhch mit Hilfe der beiden Schlagwörter ,, Assimi- lation" und ,, Dissimilation" dargestellt. Wenige wissen- schaftliche Begriffe sind in ihrer Bedeutung zweifelhafter und problematischer als diese und doch werden wenige so freimütig angewendet. Keiner könnte natürlich etwas dagegen einwenden, wenn jene Worte nur ausdrücken sollten, daß gewisse unter denjenigen Prozessen im Orga- nismus, welche chemische Resultate zeitigen, vom Einfachen zum Komplizierteren, gewisse andere vom Komplizierteren zum Einfacheren führen. In diesem Falle könnte man nur sagen, daß die Worte synthetisch und analytisch, wie die Chemiker sie gebrauchen, doch eigentlich auch für die Be- dürfnisse des Physiologen genügen würden. Gewöhnlich will man aber etwas anderes und zwar mehr ausdrücken, wenn man die Worte ,, Assimilation" und ,, Dissimilation" verwendet — eben dieses „mehr" ist nun äußerst proble- matisch. Wir müssen uns hier auf den Boden der sogenannten physiologischen Chemie begeben, mit der ich leider wenig vertraut bin; trotzdem hoffe ich, daß die folgenden sehr all- gemeinen und eigentlich rein logischen Erörterungen dazu dienen können, den gewissermaßen zentralen Punkt der Physiologie etwas aufzuhellen. Wenn die Worte ,, Assimilation" und ,, Dissimilation" irgend etwas Besonderes bezeichnen sollen, d. h. etwas anderes als das, was die Chemiker S3nithese und Analyse nennen, und sobald sie gleichzeitig überhaupt eine strenge Bedeutung haben sollen, dann können sie nur meinen, daß es ein Etwas von chemischer Natur gibt, das aufs Intimste mit dem Leben verknüpft ist und die Fähigkeit besitzt, andere, weniger komplizierte chemische Stoffe sich selbst gleich zu machen, oder, aus sich 250 Eutelechie und Substanz. selbst weniger komplizierte Stoffe durch einen analy- tischen Prozeß hervorgehen zu lassen. Wohl verstanden: das Wort ,, Assimilation" soll hier nicht sagen, daß es eine grundlegende materielle Substanzart von be- stimmtem Quantum gebe, zu welcher äußere Mittel und ELräfte ein weiteres Quantum beifügen, sondern es spricht aus, daß eine gewisse chemische Verbindung A sich durch ihr eigenes Wirken auf Kosten der Konsti- tuenten des Mediums im weitesten Sinne vermehrt. Fassen wir das Wort Assimilation in diesem üblichen Sinne, dann tritt natürlich sofort die Frage auf nach der Natur der Kräfte, welche ,, assimilieren", d. h. welche fremdes Material dem Material A angleichen und gleich- zeitig in A selbst gelegen sind. Doch es scheint mir, daß wir zunächst eine andere Frage erledigen müssen, die noch von viel größerer Wichtigkeit ist, wenn sie auch nicht so theoretisch klingt. Von der Annahme einer chemischen ,, lebenden Substanz". Ich denke hier an die sehr einfache und doch so grund- legende Frage : Gibt es denn überhaupt Assimilation in dem soeben skizzierten Sinne? Existiert die chemisch charak- terisierte homogene Substanz A, die sogenannte ,, lebende Substanz" denn überhaupt? Sind irgendwelche Kriterien für ihre Existenz vorhanden? Viele theoretische Autoren haben in der Tat diese Fragen bejaht; sie standen immer auf dem Boden des Materialismus. Ist es aber nicht bemerkens- wert, daß die positiven Forscher im Grebiete der phy- siologischen Chemie uns auch nicht ein einziges Wort berichten von jenem proble- matischen ,, lebenden" chemischen Stoffe A und von dem problematischen Prozesse seiner wahren Assi- milation? Was lehrt uns denn die physio- logische Chemie auf Grund ihrer Versuche? Im. Organismus gibt es viele spezifische chemische Ver- bindungen, die zu verschiedenen Klassen des chemischen Entelechie und Substanz. 251 Systems gehören; teilweise sind sie in ihrer Konstitution bekannt, teilweise unbekannt. Aber auch die Unbekannten werden wohl bald in ihrer Konstitution bekannt werden, und es liegt sicherlich durchaus keine theoretische Unmöglich- keit vor, die Konstitution des Eiweißes zu entdecken und Eiweiß zu ,, machen". Alle chemischen, im Organismus vor- handenen Substanzen können auf verschiedene Weise physiologisch entstehen und physiologisch zerstört werden; die Organismen verhalten sich in dieser Hinsicht verschieden. Die Pilze können z. B. alle Haupt klassen der chemischen Konstituenten ihres Organismus, Fett, Kohlehydrate und Eiweiß, aus einer einzigen organischen Verbindung, die sehr verschiedener Konstitution sein kann, aufbauen, während die Tiere bekanntlich Repräsentanten aller drei jener Gruppen mit ihrer Nahrung aufnehmen müssen, oder doch wenigstens ohne Eiweiß nicht leben können. Die Wege, auf denen die Organismen ihre Konstituenten aufbauen oder zerstören, sind meist von den im Laboratorium gebräuchlichen sehr verschieden ; um hier nur eine Verschiedenheit zu erwähnen, so leistet der Organismus das, was im Laboratorium mit Hilfe der Wärme geschieht, meist durch Fermente. Grerade auf dem Gebrauch der Fermente seitens des Organismus beruht der bemerkenswerteste Zug des organischen Stoff- wechsels : dieser Stoffwechsel geschieht nämlich regulatorisch, im Dienste des Ganzen; jetzt geht ein chemischer Aufbau hier vor sich und bald wird ein chemischer Abbau dort vor sich gehen, je nach den örtlichen und zeitlichen Bedürfnissen; alle Regulationen sind freilich ziemlich eng begrenzt, was sich ja schon daran zeigt, daß eben spezifische Verbindungen in beschränkter Zahl die absolut notwendige Nahrung des Organismus ausmachen. Das sind die wesentlichsten Ergebnisse der Physiologie des Stoffwechsels : nicht ein Wort von einer spezifischen lebenden Substanz A und von ihrer „Assimilation" kommt in ihnen vor. Freilich könnte man sagen, daß die spezifischen Konstituenten des Organismus insofern ,, assimiliert seien", als ihr Betrag 252 Enteleciiie und Substanz, sich vermehren kann. Diese Pseudoassimilation ist aber erstens für jeden einzelnen Konstituenten fast immer die Wirkung gewisser anderer meist fermentativer Stoffe und geschieht nur in seltenen Fällen auf dem auch wohl nur scheinbar eine Ausnahme von der Regel darstellenden Wege sogenannter ,,Autokatalyse" 1); zweitens betrifft sie, selbst in letzterem Falle, eben nur wohlbekannte spezi- fische chemische Verbindungen, aber nie eine dunkle ,, lebende" Substanz. Nur negative Resultate. Was hat uns denn nun unsere Erörterung der wichtigsten allgemeinen Ergebnisse der physiologischen Chemie für das zentrale Problem dieses Kapitels, das Problem der Be- ziehung von Enteleciiie zu Substanz, gelehrt ? Sie lehrt uns ganz offenkundig, daß wir keine Ver- anlassung haben, anzunehmen, daß eine ,, lebende Substanz", welche im strengen Sinne des Wortes assimiliert und dissi- miliert, die eigentliche Grundlage des Lebens sei. Im Gegenteil: die physiologische Chemie v/eiß weder von einer lebenden Substanz etwas, noch von „Assimilation" und ,, Dissimilation". Die von dieser Wissenschaft gelehrten Tatsachen beweisen zwar nicht unmittelbar das Wirken eines autonomen Lebensfaktors, wie unsere Entelechie es ist, sie sind aber sicherlich mit unserer Lehre leicht vereinbart. Eine chemische ,, lebende Substanz" gibt es auf alle Fälle nicht. t) Die Unvereinbarkeit der Enteleehielehre mit der Annahme einer chemischen „lebenden Substanze". Wir wollen uns unser Problem nun noch von einer anderen Seite her ansehen. Wir wissen, daß die Tat- ^) Autokatalyse heißt die Beschleunigung einer chemischen Keaktion durch das Reaktionsergebnis; ihr Vorkommen wider- spricht, streng genommen, dem chemischen Gesetz der „Massen- wirkung" und ist wohl stets als Resultante komplizierter „Zwischen- reaktionen" aufzufassen. Entelechie und Substanz. 253 Sachen uns über eine ,, lebende Substanz" im chemischen Sinne des Wortes nichts lehren, und wir wissen ferner, daß bei den organischen Prozessen ein autonomer regula- torischer Faktor eine Rolle spielt. Was folgt nun, so wollen wir fragen, aus dem Begriff dieses Faktors oder Agens selbst mit Bezug auf die Existenz einer lebenden Substanz von spezifischer chemischer Konstitution als Grundlage des Lebens ? Führt etwa eine Analyse des Be- griffes der Entelechie zur Annahme einer chemischen ,, lebenden Substanz" trotz der negativen Ergebnisse der physiologischen Chemie, oder steht das Ergebnis einer solchen Analyse in Harmonie mit dem, was wir über die Stoff - Wechsel Vorgänge wirklich wissen ? Im ersteren Falle würde es die Aufgabe der Wissenschaft sein, nach dieser ,, lebenden Substanz" zu suchen, bis sie sie gefunden hat und in einem Reagenzglas zeigen kann; im zweiten Falle wäre ihre Auf- gabe erledigt. Ich hoffe nun imstande zu sein, ihnen auf Grundlage des Begriffes der Entelechie, welche ein wohlbegründetes ele- mentares Agens der Natur darstellt, zu beweisen, daß Entelechie weder die Folge irgend einer spezifischen chemischen Verbindung, welche als ,, lebende Substanz" gelten könnte, noch der Ausfluß oder die Folge irgend einer Kombination verschiedener spezifischer Verbindungen irgendwelcher Art, welche alsdann die Materia viva reprä- sentieren würden, sein kann. Die Unmöglichkeit einer chemischen Substanz als Grundlage der Entelechie. Die Entelechie ist, wie wir wissen, eine intensive Mannigfaltigkeit, d. h. ein Agens, welches mannigfaltig wirkt, ohne selbst räumlich oder extensiv mannigfaltig zu sein. Die Entelechie ist also nur ein Agens, ■\;\elches ordnet, aber kein quantitatives Agens. Was würde es nun bedeuten zu sagen, daß eine spezi- fische chemische Substanz der Träger der Entelechie sei? 254 Entelechie und Substanz. So za sagen würde nichts anderes bedeuten, als die Eigen- schaft der Extensität einem gewissen Etwas beizulegen, welches mit Extensität ganz und gar nichts zu tun hat, ja welches in gewisser Hinsicht die Negation der Extensität genannt werden kann. Man gewinnt eine gute Vorstellung von den seltsamen Konsequenzen, zu welchen die Lehre von einer „lebenden Substanz" als Träger oder Quelle der autonomen Entelechie führen würde, wenn man sich der Tatsache erinnert, daß eine lebende Substanz im Sinne einer bestimmten chemischen Ver- bindung natürlich, wie jede andere chemische Substanz, nach Gewicht meßbar sein würde. Man würde von, sagen wir, 6 kg Löwensubstanz oder 1% kg Adlersubstanz oder 3 g Regenwurmsubstanz sprechen können; und alle diese chemischen Verbindungen würden eines Tages Welleicht auf dem Markt verkauft werden. Hier sehen wir es be- sonders klar, wie unmöglich es ist, das Kennzeichen der Extensität auf ein Agens anzuwenden, welches nur zur Bestimmung von Ordnung im Extensiven dient; denn unsere Löwensubstanz würde ja z. B. nicht bedeuten: soviel von der wirklichen Substanz eines gegebenen Löwen, sondern sie würde bedeuten: soviel Kilogramm von der- jenigen homogenen chemischen Substanz, welche das ,,ein Löwe sein" darstellen soll. Gar nichts ist hiermit natürlich gegen die Vermutung ausgesagt, daß bestimmte chemische Verbindungen in der Tat für die Besonderheit der organischen Formen im Sinne notwendiger formbildender Mittel existieren, und daß solche Substanzen bei dem Prozeß der Vererbung, soweit seine materielle Seite in Betracht kommt, eine Rolle spielen. Wie wir wissen, stützen die neuen Ermitt- lungen auf dem Gebiet der Bastardforschung eine solche Ansicht bis zu einem gewissen Grade. Diese Substanzen sind aber keineswegs identisch mit der Entelechie, sondern werden von ihr gebraucht. Gegen den materiellen Charakter der Entelechie läßt sich noch ein anderer schwerwiegender Einwand Entelechie und Substanz. 255 erheben: wenn die Entelechie materiell wäre, würde sie energetischen Veränderungen unterliegen, denn sie würde dann selbst energetisch sein; das ist aber,|wie wir gesehen haben, eine Unmöglichkeit. Und endlich würde ja, wie wir schon wissen i), die Annahme, daß die Zerlegung eines bestimmten Betrages eines homogenen chemischen Materi- ales die ontogenetische Differenzierung leite, aufs schärfste dem Prinzip der Eindeutigkeit widersprechen. Die Unmöglichkeit einer Konstellation chemischer Substanzen als Grundlage der Entelechie. An diesem Punkte sagen Sie nun vielleicht: gut, eine spezifische chemische Verbindung kann nicht die Grund- lage oder Quelle der Entelechie sein, derart, daß Ente- lechie immer aufträte, wo diese Substanz gebildet wird, eben durch die Tatsache ihrer Bildung. Könnte aber Entelechie nicht die Folge einer spezifischen Anordnung ■verschiedener chemischer Substanzen von verschiedenen Aggregatzuständen sein ? Könnte nicht ein neuer und elementarer Faktor aus der Konstellation anderer schon bekannter Faktoren erwachsen ? Sehen wir nicht, daß solches geschieht, wenn eine geriebene Glasstange elek- trisch wird? Wir wollen eine Antwort auf diesen Einwand zunächst auf engerem Gebiete versuchen. Die typische Konstellation der anorganischen Agentien A, B, C und D soll eine neue Art von Aktivität aus sich hervorgehen lassen, welche nicht von außen zu ihnen hinzu kommt, sondern welche ihr wahrer und wirklicher Ausfluß sein soll: Wie wäre das möglich, wenn man nicht annehmen würde, daß der eine der vier Konstituenten, A, B, C und D, das neue in Rede stehende Agens bereits in einem Zustande der Potentialität besessen hat, vergleichbar etwa dem Zustande eines so- genannten Zymogens, bei der Fermentation, welches nur 1) Vgl. Bd. I S. 134 ff. 256 Eutelechie und Substanz. darauf wartet, in ein Ferment umgebildet zu werden? Wenn wir die Sache aber so wenden, so bietet die Konstel- lationstheorie keinen Vorteil gegenüber der reinen chemi- schen Theorie der Entelechie, die wir bereits widerlegt haben. Das eine der vier Elemente der hypothetischen Konstellation, aus welcher Entelechie hervorgehen soll, würde dieselbe Rolle zu spielen haben, welche die eine spezifische Verbindung der reinchemischen Lehre spielt. Doch stellen wir unsere Darlegung auf breiteren Boden. Ist es überhaupt möglich, daß neue elemen- tare Arten von Naturgeschehen durch die bloße Kon- stellation bereits bekannter Agentien geschaffen werden? Kann aus einer solchen Konstellation etwas anderes folgen als eine bloße Resultantenwirkung der Summe der elemen- taren Wirkungen ihrer Konstituenten ? Neuere Autoren haben gelegentlich gesagt, daß ein System durch bloßen Zuwachs des Quantums seines Materials dazu gebracht werden könne, sein Verhalten zu ändern. Man denke z. B. an eine homogene rotierende Kugel; sie wird sich an ihren Polen abflachen, wenn sie klein ist; eine große aus demselben Material bestehende Kugel, welche sich mit derselben Winkelgeschwindigkeit bewegt, wird aber an ihrem Äquator Substanz in Form eines Ringes abwerfen, woraus sich dann ein Mond bilden kann; denn der absolute Betrag der peripheren Winkel- geschwindigkeit und damit die Zentrifugalkraft wächst enorm mit dem Zuwachs des Betrages an Material überhaupt. Auf diese Weise können also sehr ver- schiedene Endformen aus Systemen hervorgehen, welche anfänglich nur an Größe verschieden waren. Es ist nun aber doch von Anfang an klar, daß es sich in diesem Beispiel um den Ursprung neuer elemen- tarer Faktoren ganz und gar nicht handelt. Wie steht es nun mit der Beziehung eines geriebenen Glasstabes zur Elektrizität; wie mit der Entstehung des elektrischen Stromes aus chemischen Potentialen, die wir im galvanischen Element vor uns haben? Entelechie und Substanz. 257 Auf den ersten Blick scheint es sich hier in der Tat um die Schöpfung von etwas wirklich Neuem aus bloßer Konstellation heraus zu handeln; der Phänomenalismus in seiner reinsten Form würde derartiges wohl annehmen. Die Greschichte der Physik zeigt aber, daß der menschliche Geist sich mit einer solchen Auffassung unmöglich zufrieden geben kann. Die Wissenschaft ist immer darauf aus- gegangen, das scheinbar Neue als schon vorher existierend nachzuweisen, und dieser Nachweis ist ihr auch immer gelungen. Sie hat entweder das neue Ding, was entstand, dem bereits Existierenden zugeschrieben, indem sie dem letzteren eine Art von potentieller Eigenschaft, dar- gestellt unter dem Titel einer Konstanten, beilegte, oder sie ist noch weiter gegangen und hat versucht das Mögliche geradezu substantiell aufzufassen. Der mathematische Phänomenalismus bevorzugt den ersten Weg, die neuere Theorie der Elektrizität geht den zweiten; das bloße e des ersteren, welches das ,,Potentiell-elektrischsein" als etwas nicht weiter Zurückführbares bezeichnet, wird zum Elektron der zweiten im Sinne der elementaren Quantität des neuen zur Untersuchung stehenden Agens. In gewisser Hinsicht wird unser Geist durch beide Methoden befriedigt, freilich mehr durch die zweite. Für unsere Absicht hier genügt es nun, wenn wir wissen, daß unser Geist ein Verlangen nach solcher Befriedigung in sich trägt: scheinbar neu auftretende Elementaragentien müssen immer als bereits in irgendwelcher Form präexistierend begriffen werden. Hierdurch ist nun, wie ich hoffe, klar geworden, daß jene Theorie, welche die Entelechie als neue elementare Folge irgend einer Konstellation verständlich machen will, schließlich doch irgend einen der Konstituenten dieser Konstellation als wahre ,, lebende Substanz" auffassen muß. Die Lehre von der lebenden Substanz aber haben wir bereits widerlegt. In keiner Form hängt also das Dasein des Naturagens Entelechie von irgend etwas Materiellem ab, obschon seine räumlichen Leistungen, wie wir von Driesch, Philosophie. II. 17 258 Entelechie und Substanz. früher her wissen, von gegebenen Potentialdifferenzen ab- hängen. Letzteres bedeutet aber etwas ganz anderes : Hängt doch auch die Tätigkeit eines Baumeisters von dem Dasein von Ziegelsteinen ab, ohne daß jemand sagen wird, das Dasein des Baumeisters sei eine ,, Funktion" der Steine. Ein Steinhaufen ohne den Baumeister bleibt ein Steinhaufen und ein Organismus ohne Entelechie ist ein a n organisches System — ein ,, sterbender" Organismus. In der Tat: Wenn es gelungen wäre, etwa ein Ei ganz so, wie es seinen chemischen und physikalischen Kennzeichen nach beschaffen ist, künstlich aufzubauen, was wüi'de man geschaffen haben? — Nicht ein Ei, das vor seiner Ent- wicklung steht, sondern ein Ei im Moment seines Sterbens! Entelechie und physiologische Chemie. Es ist, wie wir jetzt wissen, unzulässig anzunehmen, daß Entelechie irgendwie aus materiellen Bedingungen hervorgehe. Was folgt nun hieraus für die Tatsachen der physiologischen Chemie, die wir oben kurz erörtert haben? Es folgt, wie mir scheint, daß die physiologische Chemie es nur zu tun hat mit chemisch gekennzeich- neten Resultaten, aber nicht mit den Resultaten von Prozessen, welche chemische Prozesse sind. Die Einsicht in diese Sachlage ist von großer Bedeutung. Chemische Potentiale haben natürlich die allgemeine Basis aller physiologisch-chemischen Resultate gebildet; diese Resultate jedoch sind, wie wir wissen, nicht die Folge eines bloßen Spieles dieser Potentiale als solcher, sondern sind die Folge einer Intervention der Entelechie: etwas rein Chemisches ist daher nur in den Resultaten ge- legen, aber nicht in den Prozessen. Ohne Entelechie würden die chemischen Resultate andere sein. Die Entelechie kontrolliert also nicht nur die Atmung, sondern auch ,, Assimilation" und ,, Dissimilation": ohne sie würde es zu einem Chaos chemischer Prozesse kommen und Organisation wie Funktion würden bald gestört werden. Entelechie und Substanz. 259 Aus früheren Untersuchungen wissen wir, daß die Wirkung der Entelechie im Freilassen präexistierender Potentiale besteht, deren Kompensation sie selbst suspendiert hatte; ebendasselbe gilt nun auch für die allergrundlegendsten Phänomene aller Physiologie. Wahrscheinhch ist es hier die Bildung und Aktivierung von Fermenten, welche Ente- lechie unmittelbar kontrolliert; Oxydation oder irgend eine Art chemischer S3nithese oder Analyse würden dann rein chemische Prozesse sein, die dem fundamentalen und vitalen Akt folgen. Alte Probleme. Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, ist in gewissem Sinne dasselbe wie die berühmte Frage des Aristoteles, ob der Begriff eines Hauses den Be- griffen Holz oder Stein in mehr als formaler Weise sub- ordiniert sei. Aristoteles verneint die Frage und wir würden sie auch verneinen. Es ist nun aber ganz das- selbe, nur in allgemeinerer Form gesagt, zu leugnen, daß die Entelechie von chemischen Substanzen irgendwie als von ihrer wahren Wurzel abhänge. Und noch ein anderes berühmtes Problem ist von uns gleichsam implizite gelöst worden: das ,, Rätsel", wie Materie ,, denken" könnte, eine Frage, welche in einer der wohlbekannten Reden E. Du Bois-Reymonds eine große Rolle spielt. Die Antwort auf die Frage ist einfach, denn das Problem ist ein Pseudoproblem : „Materie" ,, denkt" nicht nur nicht, sondern ,, Materie" ist nicht einmal in irgend einem Sinne die Grundlage des Lebens. Entelechie ist von Materie total verschieden und der Kausalität der Materie durchaus entgegengesetzt. b) Substanz als Kategorie in ihrer Beziehung zur Entelechie. Durch den Nachweis, daß Entelechie weder mit irgend einer chemischen Substanz identisch, noch die Folge irgend einer chemischen Substanz oder irgend einer Konstellation 17* 260 Entelechie und Substanz, solcher Substanzen sein kann, haben wir nun keineswegs die Grundfrage unseres gegenwärtigen Kapitels, welches sich mit der Beziehung zwischen Entelechie und der Kategorie Substanz befaßt, gelöst. Kann nicht Entelechie, wenn sie auch allem, was im Anorganischen ,, Substanz" genannt werden kann, vollkommen fremd ist, ganz gleichgültig, ob der Begriff Substanz hier rein chemisch oder im Sinne einer Theorie der Materie verstanden wird, kann nicht Entelechie im allgemeinsten philo- sophischen Sinne eine ,, Substanz" genannt werden, im Sinne nämlich von etwas Unzurückführ barem, das der nie veränderte Träger seiner wechselnden Eigenschaften bleibt ? Dann würde es zwei Substanzen in der Natur geben, und unsere Lehre würde gewissen Lehren der Ver- gangenheit sehr ähnlich werden, wennschon unser idealistischer Standpunkt uns verbieten würde, die eine dieser zwei Substanzen als ,, psychisch" anzusehen, wie alle ähnlichen Lehren, und unter ihnen als letzte diejenige L o t z e s es taten. Es würde eine räumlich ausgedehnte Substanz geben, ,, Materie", und eine nicht räumliche, intensive Substanz, Entelechie. Beide Substanzen würden einen Teil desjenigen Zweiges der erweiterten Wirklichkeit bilden, welcher die begriffliche wissenschaftliche Natur genannt werden kann. Sagen wir zunächst einiges Wenige über gewisse Eigen- tümlichkeiten der Entelechie, die man gewissermaßen ihr Verhalten nennen könnte ; diese Analyse wird uns vielleicht Material zur Lösung unserer grundlegenden Frage dar- bieten. Der Begriff der Teilbarkeit unvereinbar mit Entelechie. Ich scheue mich nicht, eine scheinbare Absurdität zu begehen und zu sagen: Entelechie kann ihre spezifische intensive Mannigfaltigkeit bewahren, mag sie auch in zwei oder mehr Teile zerteilt werden. Die von uns als Genese EntelecMe und Substanz. 261 komplex-äquipotentieller Systeme bezeichnete Tatsache scheint diesem Gesichtspunkt in der Tat das Wort zu reden, und ebenso tun das alle Versuche, die sich auf die Entwicklung isolierter Blastomeren eines Keimes zu einem ganzen kleinen Organismus beziehen. Ruht doch unser zweiter Beweis des Vitalismus geradezu auf der Überlegung, daß zwar eine typische maschinenartige Konstellation von Faktoren, welche in den drei Achsen des Raumes eine verschiedene Anordnung zeigt, nicht geteilt werden und gleichzeitig ganz werden kann, daß es aber bei den lebenden Organismen eia Etwas gibt, welches in der Tat diese beiden scheinbar miteinander unverträglichen Kennzeichen auf- weist. Es erhebt sich nun aber die Frage, ob wir in einem tieferen Sinne davon sprechen dürfen, daß Entelechie trotz ihrer ,, Teilung" ganz bleibe. Es ist außerordentlich schwer, die philosophische Analyse der Entelechie von allem demjenigen zu befreien, was uns aus unserer Bekanntschaft mit extensiven Phäno- menen vertraut ist ; und doch müssen wir uns von allem frei machen, was der Extensität angehört. Eine der großen Leistungen Kants bestand in dem Nachweis, daß der Raum die unvermeidliche Form unserer Anschauung des Extensiven sei; bei der Entelechie kommt nun An- schauung überhaupt nicht in Frage und daher haben weder der Raum noch alle Arten räumlicher Beziehung irgend etwas mit der Entelechie zu tun. Entelechie wird nur begriffen; wahrgenommen werden nur ihre extensiven Resultate. Entelechie ist nicht räumlich, sondern wirkt nur in den Raum hinein — ich sage nicht i m Raum — und das Wort ,, hinein" ist hier selbstverständ- lich nicht von irgend einem ,, räumlichen" Chara,kter. In dieser Beziehung gibt es, wie sich später noch deutlicher herausstellen wird, eine wahre Kluft zwischen der Ente- lechie und solchen Naturagentien, wie Kräfte und Energie es sind, obwohl auch die Letzteren Begriffe und nicht Wahr- nehmungen bedeuten. Es ist nun klar, daß das Wort 262 Entelecbie und Substanz. ,, teilen" sich immer auf etwas Räumliches bezieht, und so folgt denn aus allen unseren Ausführungen, daß dieses Wort sich in seiner strengen Bedeutung auf die Entelechie über- haupt nicht anwenden läßt. Wenn wir von ,, teilen" sprechen, so denken wir immer an etwas, was in Stücke zerschnitten werden kann. Die Entelechie kann aber nicht in dieser Weise zerschnitten werden, schon allein, weil sie gar keine räumliche Ausdehnung besitzt. Das Besitzen von Ausdehnung würde ihrem Begriff widersprechen. So wollen wir denn also besser nicht die Entelechie ein Agens nennen, welches trotz seiner Zerteilung ganz bleibt, sondern wollen einfach sagen, daß die Entelechie sich auch nach der Zerteilung eines bestimmten organischen Körpers, an welchem sie sich, wäre er ein Ganzes geblieben, als e i n Ganzes manifestiert haben würde, stets in Ganzheit manifestieren kann. Entelechie manifestiert sich immer individuell: unsere Analyse zeigt aber, daß die sogenannte Individualität des wirklichen organischen Körpers nicht ohne weiteres mit der tieferen Bedeutung der entelechialen Individualität identifiziert werden kann. Der Begriff der örtlichkeit oder des Sitzes nicht anwendbar auf Entelechie. Ein Agens, welches nicht räumlicher Natur ist, kann auch keinen bestimmten Sitz im Räume haben. Entelechie hat also keinen Sitz. Ganz und gar nicht darf Entelechie als ein Punkt vorgestellt werden, der aus einem gewissen Etwas besteht und sich bald in dieser, bald in jener Richtung durch den Raum bewegt. Descartes sah bekanntlich die Seele an, als ob sie in einem bestimmten Organ des Hirns, der Zirbeldrüse, ihren Sitz hätte. Wir können ihm nur soweit folgen, als wir zugeben, daß es bestimmte Punkte im Organismus geben muß, mit Bezug auf welche die Entelechie eine unmittelbar aktive Rolle spielt, während sie in Bezug auf andere Punkte nicht zur unmittelbaren Wirkung gelangt. Das würden aber nur Punkte wechsel- seitiger Beziehung, nicht Ruhepunkte sein. Entelechie und Substanz. 263 ,,Entelechie" bis jetzt ein bloßes System von Negationen. Ich verkenne die Schwierigkeit durchaus nicht, die es bietet, irgend etwas Positives über die Entelechie zu sagen, ohne mit anderen Äußerungen über sie in Widerspruch zu kommen. Noch einmal sage ich, daß man sich über die Entelechie durchaus gar nichts in einer bild- artigen Weise vorstellen darf ; das Nichträum- liche läßt sich niemals durch räumliche Bilder vorstellen. Das mag uns wenig passen, aber es ist so. Und gleichzeitig müssen wir uns immer erinnern, daß wir es bei der Ente- lechie bis jetzt nicht mit irgend etwas Psychischem oder Absolutem oder Metaphysischem zu tun haben : wir analy- sieren ein Agens, das in der Natur eine Rolle spielt. Wir wissen von diesem Agens, daß es nicht irgendwie räum- lich ist, daß es keinen Sitz im Raum hat und keine Ausdehnung, daß es nur in den Raum hineinwirkt; mit einem Woit: es ,,ist" nicht in der räumlichen Natur, sondern wirkt nur in Bezug auf sie. So bilden denn in der Tat die Kennzeichen der Ente- lechie bis jetzt nur ein kompliziertes System von Negationen und wenig mehr, und das kann nicht anders werden, ehe wir uns anschicken, unsere ganze Stellung zur Reahtät und zur Naturrealität im besonderen zu ver- ändern, was wir in der Tat bald tun werden. So muß denn gegenwärtig die Frage, ob die Entelechie ,, Substanz" sei, ebenso offen bleiben, wie früher die Frage nach der Beziehung zwischen Entelechie und Kausalität offen gebheben ist. Entelechie war ,, gleichsam" eine Art Kausalität und mag jetzt ,, gleichsam" eine Art Substanz genannt werden. Aber unser Verstand verlangt doch wohl noch mehr. e) Unlösbare Probleme. Am Ende dieses Kapitels erwarten Sie nun vielleicht die Erörterung einiger Fragen, die Sie mehr als alles andere interessieren, und deren Beantwortung Sie vielleicht als 264 Entelechie und Substanz. Endresultat von unserer Gesamtanalyse erhofft hatten. Ich kann Ihnen aber über den U r s p r u n g u n d d a s Ende des individuellen Lebens und über den Ur- sprung des Lebens überhaupt nichts anderes als meine ganz subjektive Meinung darbieten. Die Materia- listen behaupten sehr viel über diese ewigen Probleme zu wissen; ich selbst muß zugeben, daß ich gar nichts über sie weiß. Ursprung und Ende des individuellen Lebens. Erinnern wir uns im Anblick dieser fundamentalen Fragen zunächst wieder daran, daß unsere Aufgabe hier weder eine psychologische noch eine metaphysische ist. Mit dem Problem der Unsterblichkeit des eigentlichen Ich haben wir es also nicht zu tun, wir studieren nur Phänomene für das Ich. Ja, wenn wir auch ein ,, Prinzip der Erhaltung der Entelechie" aufstellen dürften, und wenn es uns erlaubt wäre, so etwas anzunehmen, das man eine phänomena- listische Seelenwanderung nennen könnte, dann würde sich alles dieses doch in erster Linie nur auf Phänomene beziehen. Es ist von Wert, sich bei dieser Gelegenheit klar zu werden,, daß auch die sogenannten spiritistischen Phänomene, wenn sie teilweise wahr sein sollten, nur Phänomene für das Ich und nichts anderes sein würden. Erst das Ende dieser Vorlesungen wird uns zu gewissen Erwägungen führen, die uns vielleicht aus unserem theoretischen Egoismus hinaus- führen können. Mit dem Auftreten eines neuen Individuums beginnt die Entelechie eine neue Manifestation und mit seinem Tode beendet sie eine; das ist alles, was wir sagen können. Was die Manifestation als individuelle vor jenem Be- ginne war, und was sie nach dem Tode sein wird, ist uns vollkommen unbekannt. Wir können nicht einmal sagen, ob sie in diesen beiden Perioden in irgend einem Sinne „individuell" war und sein wird — wobei die Worte ,,war" und ,,sein wird" hier im nicht metaphysischen Sinne, also EntelecMe und Substanz. 265 im Sinne von „mögliche unmittelbare Erfahrung" zu ver- stehen sind. Denn die ideale oder platonische Existenz der Entelechie als eines individualisierenden Agens garantiert natürlich nicht irgend eine Art von Permanenz derjenigen Individuen, welche auf Grund einer Manifestation der En- telechie zu einer gegebenen Zeit einen Bestandteil des ge- gebenen Universums bilden. Die Spiritisten behaupten mehr über unser Problem zu wissen und sagen, daß nach dem Tode die Manifestationen der Entelechie ihre Individualität bewahren und nur eine neue Art von Material, eine sogenannte ,, astrale", verwenden. Ich wiederhole aber, daß ich in dieser Frage kein Urteil habe, obwohl ich viel darum geben würde, es zu besitzen. Die Wissenschaft sollte sich in der Tat mit diesen Fragen abgeben, selbst auf die Gefahr hin, sich einem wahren Chaos von Kritiklosigkeit und Betrügerei gegenüber zu finden; aber die Feststellung einer einzigen positiven Tat- sache würde die Arbeit von Generationen belohnen i). Was die Wissenschaft über den Tod sagen kann, ist nur dieses: ein gewisses Quantum von Materie, welches vordem unter der Kontrolle der Entelechie stand, wird von dieser Kontrolle befreit und gehorcht nun ausschließlich den Gesetzen physikalisch-chemischer Kausalität. Zieht sich die Entelechie aktiv von der Materie zurück oder nicht, und wenn sie es tut, warum dann ? Warum ist ,, Regulation" hier unmöglich geworden ? Doch es hat keinen Zweck, noch weitere völlig unzugängliche Fragen hier zu formulieren. Der Ursprung des Lebens überhaupt. Die Frage nach dem sogenannten ersten Ursprung des Lebens kann ebensowenig diskutiert werden, wie das Problem des Todes, trotz der großen Zahl populärer Schriften, die über sie existieren. Ganz sicherlich ist das Leben nicht durch ein zufälliges Zusammentreffen anorganischer Faktoren 1) Vgl. hierzu S. 120 £f. 266 Entelechie und Substanz. entstanden: das geht ohne weiteres aus allem hervor, was wir übsr die Beziehung der Entelechie zur Materie und Kausalität sagen konnten^). Materielle Konstellationen schaffen nicht die Entelechie, sondern werden von ihr beherrscht. Aber gar nichts wissen wir über die eigentlich ersten Beziehungen zwischen der Entelechie und der elementaren Materialität. Als wir von der Entelechie in ihrer Beziehung zu energetischen Intensitäten redeten, sagten wir, daß unsere Theorie die Kontinuität des Lebens fordere, die ja auch durch die Tatsache der Vererbung so gut illustriert werde. Aus dieser Sachlage können wir wohl schließen, daß die entelechialen Manifestationen keine Lücken aufweisen ; es gibt eine Kontinuität in den von Entelechie kon- trollierten Konstellationen von spezifischen Arten der Materie; dauernd werden diese von der Entelechie als solche erhalten, dauernd wird bei ihnen das anorganische Geschehen suspendiert. Wenn wir die Deszendenztheorie annehmen, dann können wir nun ferner sagen, daß sich der Typus der Mani- festationen der Entelechie im Laufe ihrer kontinuierlichen Reihe verändert. Wir kommen aber niemals an einen Anfang. Es ist sehr seltsam, daß wir Leben nur in unmittelbarer Beziehung zu sehr komplizierten chemischen Verbindungen einiger weniger Klassen kennen. Warum wirkt die Ente- lechie nicht unmittelbar auf die letzten Teile der Materie ? Oder ist der gegenwärtige Stand der Beziehung zwischen Enteleohie und Materie eine Folge der langen Zeit, die das Leben schon in Kontinuität existiert? Hat die Entelechie sozusagen ihr Verhalten zur Materie geändert ? Oder kennen wir nur ihre anderen Manifestationstypen nicht? ^) Die Tatsache, daß alle auf der Erde vorkommenden so- genannten „organischen" Verbindungen von Organismen herrühren, ist nur ein Beweisgrund von minderer, nämHch von bloß empirischer Bedeutung gegen die Lehre von einer „generatio aequivoea" durch Zufall. Entelechie und Sub3taii2. 267 Und so könnten wir die Reihe der Fragen und Probleme noch lange fortsetzen — aber Antworten gibt es hier nicht. Hier ist nun wohl auch ein geeigneter Ort, um noch einmal darauf hinzuweisen, daß das ganze Problem vom Ursprung des Liebens auf der Erde von weit geringerer theoretischer Bedeutung ist, als das Problem der Gesetze des Lebens, mag auch die übliche Meinung fast stets anders urteilen. Eben deshalb haben wir so besondere Sorgfalt auf das Studium des vitalen Gresetzes und seiner Folgen verwendet. Die Lösung aller Probleme von sekundärer Bedeutung wird einst der Kenntnis des Gesetzes folgen; ohne die Kenntnis des Gesetzes aber würden diese Probleme überhaupt niemals lösbar sein. Abschluß von Teil I. Wir sind am Ende des ersten Teils unserer Philosophie des Organischen; gönnen wir uns hier einen Augenblick Ruhe, um auf den zurückgelegten Weg zurückzublicken. Unsere wissenschaftliche Erörterung hatte uns gezeigt, daß die Lebensphänomene mit den Begriffen und Gesetzen, welche wir vom Anorganischen her kennen, nicht erklärt werden können, daß v^ielmehr die wissenschaftliche Biologie etwas Neues und Elementares einführen muß. Der erste Teil unserer Philosophie des Organischen war nun, in einer gewissen Bedeutung des Wortes, der Rechtfertigung unseres neu eingeführten Faktors gewidmet. Es war unser Bestreben, zu zeigen, daß und wie unser neues elementares Agens und sein Gesetz zu denjenigen allgemeinen onto- logischen und logischen Prinzipien in Beziehung zu stellen sei, welche in der Wissenschaft vom Anorganischen von Bedeutung sind. Wir haben aber diese Beziehung zwischen dem Organischen und dem Anorganischen nur mit Hilfe solcher ontologischer aprioristischer Prinzipien formuliert, welche im Anorganischen empirisch realisiert sind, und das hat uns mit Rücksicht auf die Entelechie lediglich zu Negationen geführt. Natürlich ist nun noch eine andere Art von Recht- fertigung unseres Entelechiebegriffs erforderlich und auch möglich. Wir mußten nicht nur zeigen, daß zwischen unserem neuen Begriff und denjenigen Elementen des aprioristischen Systems, welche im Anorganischen eine Rolle spielen, Verträglichkeit besteht, sondern wir werden auch zeigen müssen, daß unser Faktor selbst ein Be- Abschluß von Teil I. 269 standteil des aprioris tischen Systems der Naturfaktoren oder der Entitäten der Natur, mit anderen Worten, daß er legitim ist. Wir müssen zeigen, daß die Erkenntnis- theorie uns positiv berechtigt, so etwas wie die Ente- lechie in die Wissenschaft einzuführen. Mit anderen Worten : wir müssen den Vitahsmus zur Organisation des Denkens in Beziehung setzen. Das soll nun geschehen, und die folgenden Betrachtungen sollen dazu den Weg bereiten. Alle Beweise des Vitalismus, die wir in der rein wissen- schaftlichen Abteilung unseres Werkes entwickelt haben, sind indirekte Beweise, Beweise per exclasionem gewesen: alle Möglichkeiten außer einer waren falsch und daher war diese eine richtig. Unser nächstes Bestreben wird es sein, den Vitalismus direkt zu beweisen: und auf diesen direkten Beweis whd dann die positive Rechtfertigung der Entelechie sich gründen. Teil IL Die direkte Rechtfertigung der Entelechie. A. Direkter Beweis der Autonomie des Lebens, begründet auf die introspektive Analyse der vollständigen unmittelbaren Gregebenbeit. 1. Analytischer Teil. Der Weg, welchen die Biologie, wie jeder Zweig der Wissenschaft und Philosophie, gewöhnlich einschlägt, führt vom Einfachen zum Komplizierten, beide Worte im Sinne der formalen Logik verstanden. Es ist aber auch eine andere analytische Methode möglich, und diese soll uns jetzt zu einem wichtigen Resultate verhelfen. Wir wollen unser analytisches Studium der biologischen Tatsachen noch einmal beginnen, aber wir wollen dabei nicht von den einfachsten, sondern von den unmittel- barsten Tatsachen ausgehen, d. h. von denjenigen Tatsachen, welche zum Ich in näherer Beziehung als irgend- welche anderen stehen. Mein eigener Körper, als Objekt der Wissen- schaft, soll der Ausgangspunkt dieses neuen Typus der Biologie sein; mein eigener Körper im strengsten Sinne des Worts. 272 Analytischer Teil. Mein eigener Körper soll hier aber nicht als ein kon- stitutiver Teil der objektivierten ,, Natur" angesehen werden, wenigstens nicht im eigentlichen Beginne der Analyse. Die gesamte Reihe dessen, was meinem Bewußtsein ,, gegeben" ist, während ich handle, soll den Gegenstand unserer Analyse bilden, und erst am Ende derselben soll ein Teil dieses Ganzen als ,, Natur" betrachtet werden. Unsere Methode wird also nicht biologisch, ja sie wird gar nicht im eigentlichen Sinne sozusagen ,, wissenschaftlich" sein ; sie wird die Gegebenheit in ihrer Voll- ständigkeit analysieren, nicht nur das sogenannte ,, natürlich" Gegebene. Die aufeinanderfolgende Reihe der- jenigen Phänomene, welche sich meinem Bewußtsein dar- bieten, während ich handle, soll formuliert werden. Erst an zweiter Stelle wollen wir dann versuchen zu trennen, was davon im eigentlichen Sinne zur ,,Natür" gehört und was nicht. Auf diese Weise werden wir, so hoffe ich, finden, wie Natur und Naturfaktoren in elementarster Weise zu den Prozessen des Lebens in Beziehung stehen. Ich sitze auf meinem Stuhl und will schreiben; eine kürzlich gekaufte Lampe, die ich noch nicht genau in ihrer Konstruktion kenne, steht auf dem Tisch; die Lampe be- ginnt zu rauchen — hier setzt unsere Analyse ein. Diese Analyse wird sich nicht auf die ,, gegebenen" Phänomene in ihrer bloßen Passivität beziehen, d. h. nicht auf bloße Empfindungen, sondern ausschließlich auf solche Bewußtseinsdaten, bei denen irgend eine Art von Aktivität oder ,, Apperzeption" seitens des Ich in Betracht kommt; ,, Wahrnehmungen" gehören natürlich zu diesem Bereiche der geistigen Aktivität. a) Ein Fall aus dem täglichen Leben. Der Fall selbst. Meine optische Wahrnehmung der rauchenden Lampe, kurz : meine optische Lampe, hat meinen Wunsch izur Folge, das Rauchen zu sistieren. Um das zu tun, richtet Analytischer Teil. 273 sich meine Aufmerksamkeit auf den Bau der Lampe, und ich vergleiche ihn mit demjenigen anderer mir bereits be- kannter Lampen. Diese Erwägung führt dazu, daß ich eine gewisse Schraube der Lampe bewegen will. Ich sehe und fühle dann, wie meine Hand diese Schraube berührt und bewegt ; das Rauchen der optischen Lampe ist zu Ende. Das sind die allgemeinsten Züge des Prozesses. Es lohnt sich, dieselben in eingehenderer Weise zu studieren. Mein Sehen der rauchenden Lampe hat, wenn wir ganz streng sein wollen, zunächst die Erinnerung an das zur Folge, was das Rauchen einer Lampe eigentlich ist; als- dann kommt die assoziative Erinnerung, daß die Folgen solchen Rauchens sehr unangenehm sind; der Wille setzt ein, das Rauchen zu sistieren; das erinnert mich an ver- gangene Fälle, wo ich ein Gleiches tat, und diese Erinnerung führt mich zu dem Gedanken, wie ich es vollbrachte; das hinwiederum weist meine Aufmerksamkeit auf den Bau der Lampe hin ; ich finde, daß dieselbe von Lampen, welche ich kenne, in ihrem Bau zwar abweicht, ihnen aber doch ähnlich ist; ein gewisser Punkt der Ähnlichkeit, der sich auf die Art und Weise, in welcher der Docht sich bewegen läßt, bezieht, wird von mir bemerkt; der Wille tritt auf, diese Bewegung auszuführen; ich fühle und sehe, wie meine Hand die Schraube bewegt; ich sehe, wie die rauchende Lampe ihr Rauchen einstellt. Mit diesen Worten ist eine Beschreibung geliefert von der Gesamtheit eines bestimmten Aus- schnittes aus der gegebenen Wirklich- keit, in welchem ,,ich selbst" eine Rolle spiele. Alle Konstituenten des hier Geschehenden sind meinem bewußten Ich gegeben. Sie alle folgen einander in der Zeit mit Rücksicht auf ihren Ursprung, mag auch die Geschwindigkeit, mit der sie einander folgen, sehr un- gleich sein. Nur wenige unserer Konstituenten sind räum- lich. Wenn wir sagen, daß alle Konstituenten sich zeitlich folgen, so wollen wir damit nicht behaupten, daß dem Ich in jedem Zeitelement immer nur eines dargeboten ist; im Driesch, Philosophie. II. 18 274 Analytischer Teil. Gegenteil: mein Sehen der rauchenden Lampe währt durch die ganze Dauer der Reihe hindurch, und gewisse Erinne- rungen an vergangene Fälle rauchender Lampen und an Lampen verschiedenen Baues mögen auch durch das Ganze hindurch fortlaafen. Dasjenige aber, was wir die aktive R o 1 1 e 1) des Ich nennen können, bezieht sich in einem Zeitelement immer nur auf einen Konstituenten der fortlaufenden -) Reihe. Daß ,,ich" es bin, der diese Erfahrung macht, weiß ich immer nur mit Bezug auf einen ihrer Be- standteile; die Fortdauer der anderen Teile der Reihe, obschon sie da ist, bedeutet für mich nicht mehr als mein Sehen des Zimmers, in welchem ich mich während der Analyse dieses ganzen Prozesses befinde. Wiedas tägliche Leben unseren Fall verwertet. Für den ganz unbefangenen Betrachter kann es nun nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß in unserem Beispiele das Ich, soweit es ,,w i 1 1", eine aktive Rolle spielt. Das wollende Ich beeinflußt und wird beeinflußt. Es ist ein wahres Glied in der ganzen Kette der Ereignisse, und diese Kette, mit anderen Worten: die Gesamtheit der auf einanderf olgenden Reihe von Konstituenten, weiche den in Rede stehenden Prozeß bilden, muß als eindeutig bestimmt angesehen werden, soweit sie überhaupt ein Gegenstand des Nachdenkens ist. Eben aus diesem Grunde ^) Könnte passiv nur ein Phänomen dem Bewußtsein in einem bestimmten Zeitdifferential gegeben sein, so wären die Akte des. Identifizierens und Vergleichens unmöglich. Wir können an diesem Orte auf die hier auftretenden wichtigen psychologischen und epistemologischen Fragen nicht eingehen. Neben den Handbüchern der Psychologie vergleiche man die originelle Behandlung dieser Probleme (und der Assoziation) seitens M. Palägyi „Naturphilo- sophische Vorlesungen über die Grundprobleme des Bewußtseins und des Lebens". Charlottenburg 1908. ^) Das Wort „fortlaufend" ist hier also in sehr weitem Sinne zu verstehen. Man denke daran, daß einerseits der Raum, daß anderseits aber auch die Reihe der ganzen Zahlen „fortlaufend" („kontinuierlich") ist. Analytischer Teil. 275 müssen wir sa,gen, daß jedes einzelne Element unserer Reihe das nächste beeinflußt und von seinem Vorgänger beeinflußt ward. Wir gewinnen nun aber ein viel wichtigeres Resultat, wenn wir eben an diesem Punkte der Analyse auf den verschiedenen Charakter der Konstituenten unseres Pro- zesses mit Bezug auf ihre Räumlichkeit achten: Nur das erste und das letzte Phänomen unseres Prozesses waren räumlich, was zwischen ihnen lag, war nur zeitlich, aber nicht räumlich objektiviert. Daraus folgt, daß räum- liche Phänomene durch nicht räumliche Phänomene ein- deutig verknüpft sein können; die letzteren bilden eine Gruppe für sich. Was wir hier beschrieben und erwogen haben, ist in der Tat die Aussage des alltäglichen Lebens, mit der einen Ausnahme, daß das alltägliche Leben die räumlichen Phänomene als absolute Wirklichkeiten und nicht nur als Wirklichkeiten für das Ich auffaßt. Die Wissenschaft wird uns nun sagen, daß unsere Analyse alles andere als vollständig gewesen ist, daß wir unseren Körper nicht wie einen Organismus, sondern wie eine außerordentlich einfache Tatsache betrachtet haben. ß) Derselbe Fall in wissenschaftlicher Form. Machen wir uns also an die wissenschaftliche Vervoll- ständigung unseres Studiums der Phänomene, welche mir während meines Handelns unmittelbar gegeben sind; be- trachten wir meinen Körper als einen Organismus, der auf Grund seines Baues seine besondere Rolle bei dieser be- stimmten Reihe von Tatsachen spielt; vergessen wir aber gleichzeitig nicht, daß wir hier eine bestimmte Reihe von Phänomenen, die meinem Bewußtsein, meinem Ich, sich darbieten, studieren und nichts anderes. Eine hypothetische Annahme. Der Organismus also, mein Organismus, mag seine volle Rolle spielen. Ich muß Sie hier nun von allem Anfang 18* 276 Analytischer Teil, an bitten, mir eine gewisse hypothetische Freiheit zu er- lauben: um eine ganz vollständige Analyse derjenigen Phänomene, die in unserem auf meinen Körper bezüglichen Prozesse in Betracht kommen, zu ermöglichen, wollen wir eine Voraussetzung machen, welche zwar nicht tatsächlich wahr ist, deren Wirklichkeit wir uns aber leicht vorstellen können, ohne die Grenzen unserer gegenwärtigen Erwägung zu überschreiten. Wir wollen annehmen, daß wir imstande sind, jedes einzelne Element unseres gesamten Körpers einschließlich des Gehirns und der Nerven zu berühren. Wir können ]a sicherlich unser Hirn nicht an jedem be- liebigen Punkte berühren, aber es liegt doch im Prinzip nichts vor, das uns zwingt, solche Annahme als eine Denk- unmöglichkeit zu verwerfen, da doch auf alle Fälle die Gehirne in allen ihren Teilen berührbare Dinge sind. Noch einmal unser Fall. Nach diesen Vorbereitungen wollen wir nun daran gehen, das Phänomen der rauchenden Lampe noch einmal zu analysieren. Wir wollen dabei voraussetzen, daß wir eine vollständige Kenntnis aller Physiologie besitzen; wir wollen aber gleichzeitig auch nicht einen Augenblick ver- gessen, daß wir es mit Phänomenen in Bezug auf mein Ich und mit nichts anderem zu tun haben. Das optische Phänomen der rauchenden Lampe — die ,, optische Lampe" — ist wiederum der Ausgangspunkt. Die Physiologie sagt uns nun, daß diese Lampe zunächst die Retinae unserer Augen affiziert; von den Retinae geht ein Einfluß auf die optischen Nerven aus, und von diesen ein solcher auf Teile des Gehirns. Doch machen wir hier einen Augenblick Halt: Wie könnte die ,, optische Lampe" — um unseren kurzen Ausdruck zu gebrauchen — der Vor- läufer von Prozessen sein, von denen sie bekanntermaßen der Effekt ist ? Mit anderen Worten : Wie könnte die optische Lampe die Retinae und die Nerven beeinflussen, wo wir doch wissen, daß unser Sehen der Lampe, als eines optischen Analytischer Teil. 277 Bildes, auf die Reizung dieser Teile unseres Körpers folgt? Das würde absurd sein. Wir dürfen daher unsere Analyse nicht mit der ,, optischen" Lampe beginnen, sondern müssen nach einem anderen Ausgang suchen. Grcwiß dürfen wir annehmen, daß eine ,, Lampe" das erste Glied der von uns studierten Phänomenreihe ist, aber, kurz gesagt, es ist eine ,, taktische" Lampe, welche, sagen wir, von meiner linken Hand berührt wird, oder wenigstens durch sie berührbar ist ; diese taktische Lampe, als Constituent der unmittelbaren Gegebenheit, beeinflußt dann meine Retinae, diese ebenfalls im taktischen Sinne ver- standen, was wir ja, wenigstens im Prinzip, zulasse» dürfen. Es folgt alsdann Reizung meines ,, taktischen" — oder wenigstens tangierbaren — optischen Nerven und alsdann Reizung meines taktischen Gehirns, und erst am Ende aller dieser Prozesse, ist die ,, optische Lampe" mir gegeben^). Es ist eine rauchende Lampe ; und eben dieses Rauchen ruft nun die gesamte Reihe der bereits früher erwähnten Bewußtseinsphänomene hervor : Identifikation mit früheren Fällen des Rauchens; Erinnerung an ihre unangenehmen Wirkungen, den Wunsch, das Rauchen zu sistieren, Er- innerung an frühere Fälle solchen Sistierens, an die Mittel ^) Unser Beispiel könnte natürlich umgedreht werden; die „optische"' Lampe könnte der Anfang der studierten Heihe sein und die „taktische" Lampe ihr Ende. Dann müßten auch alle Nerven- und Hirnprozesse als „optisch" angesehen werden. Das ganze Beispiel würde aber sehr schwerfällig. — Ein gutes Beispiel dieser Klasse böte dagegen eine Wespe, die auf meine Hand fliegt und dann von „mir" entfernt wird. Der Leser mag dieses Beispiel bei sich durchdenken. Die Phasen der „kontinuierlichen Beihe" würden hier sein: 1. „optische", d. h. „gesehene" Wespe; 2. Affi- zierung, d. h. Änderung der „optischen" Haut; 3. Beizung eines „optischen" Empfindungsnerven (natürlich nicht etwa des nervus opticus!); 4. Beizung eines „optischen'* Hirnteils; 5. Wahrnehmung der „taktischen" Wespe. Alle folgenden Phasen, (Identifizierung, Assoziation, Wille, Handbewegung), sind dieselben wie in unserem Beispiel. Das neu erdachte Beispiel würde uns natürlich zwingen, hypothetisch anzunehmen, daß wir unsere Nerven und unser Hirn — wenigstens mit Hilfe eines Spiegels — sehen können. 278 Analytischer Teil. das Sistieren auszuführen ; Achtung auf den Bau der Lampe ; Verprleich mit bekannten Bautj^pen, das Bemerken einer gewissen Schraube als eines wichtigen Bestandteils, den spezifischen Willen die Schraube zu bewegen; das Fühlen und Sehen meiner bewegten Hand: die optische Lampe hört auf zu rauchen. T) Die verschiedenen Typen der Elemente des Gegebenen. Räumliche und nicht- räumliche Elemente. Es ist nun besonders wichtig zu erwägen, welche von allen diesen Phänomenen als räumlich, d. h. als in irgend einem Sinne extensiv angesehen werden können, sei es im Bereich der taktischen oder der optischen Sphäre. Ganz sicherlich liegt ja eine kontinuierliche Reihe von Phänomenen für mein Bewußtsein vor; sie führt von dem Gregebensein der taktischen Lampe durch die Reizung von Retina, Nerven und Hirn als tak bische Phänomene, durch mein Sehen der ,, optischen Lampe" und durch noch vieles Andere hindurch bis zu der Be- wegung meiner Hand als zu einem Phänomen, welches gleichzeitig optisch und taktisch ist. Es ist weiter sehr wichtig, sich daran zu erinnern, daß die einzelnen Kon- stituenten dieser kontinuierlichen Reihe einander folgen mit dem Kennzeichen eindeutiger Notwendig- keit. Die ,, optische Lampe" folgt einem taktische Hirnphänomen, welches seinerseits einem taktischen Phä- nomen im Sehnerven folgte, und die ,, optische Lampe" hat zur Folge das Phänomen der Identifizierung. Es steht nun r,ber keineswegs von Anfang an fest, daß diese kontinuierliche Reihe aus Phänomenen bestehen muß, welche ^ausschließlich taktischen und optischen, d. h. räumlichen Charakters sind. Die introspektive Analyse ■zeigt uns im Gegenteil, daß gerade das Gegenteil dieser Annahme wahr ist. Der erste Prozeß, welcher sich, nach Reizung des optischen Nerven, auf das Gehirn bezieht, Analytischer Teil. 279 mag noch räuTnlich sein, d. h. irgendwie als taktischer wahrnehmbar. Auf dieses Bewußtseinsdatum folgt als- dann aber das ,, Sehen" der Lampe, welche vorher nur berührt war, d. h. ein Bewußtseinsakt, welcher zwar auch räumlich ist, a.ber zu einer ga.nz anderen Gruppe sogenannter Qualitäten gehört. Nun treten die ersten Prozesse der Er- innerung und Identifizierung auf: die rauchende Lampe wird als früher wahrgenommenen rauchenden Lampen ,, ähnlich" angesehen. Ganz sicherlich ist nicht irgend etwas ,, Räumliches" in diesem Prozeß des Vergleichens als solchem, selbst dann nicht, wenn die Gedächtnisbilder früherer erfahrener Lampen, welche ja zu den Voraus- setzungen der Identifizierung gehören, als räumlich an- gesehen werden. Nun folgt die Erinnerung an den unan- genehmen Effekt des Rauchens und der Wunsch das Rauchen zu sistieren. Diese Prozesse entbehren voll- ständig des Kennzeichens der Räumlichkeit oder Aus- dehnung. Die Bewegung meiner Hand ist wieder der erste räumliche Prozeß, wenigstens für den unwissenschaftlichen Beobachter; der wissenschaftliche Physiologe wird uns hier nämlich sagen, daß dieser Prozeß auf eine gewisse räumlich mit irgend einem Teil des taktischen Hirns verknüpfte Veränderung folgt, und daß zwischen diesen beiden ein räumliches, sich auf die motorischen Nerven beziehendes Phänomen hegt, nämlich zentrifugale Nervenleitung. Sorg- fältige psychologische Selbstbeobachtung könnte hier noch beifügen, daß ein gewisses optisches Vorstellungsbild meiner bewegten Hand wahrscheinlich zwischen meinem eigent- lichen Willen und derjenigen Veränderung im Gehirn, von welcher die zentrifugale Nervenleitung und die wirkliche Bewegung der Hand endgültig abhängt, gelegen ist. Würde es nun empfehlenswert sein, alle diejenigen Phänomene unserer bewußten Reihe, welche irgendwie räumlich sind, von den nicht-räumlichen zu sondern? Ich meine, daß eine andere Art der Einteilung wohl zu wichtigeren Resultaten führen dürfte: Diese Einteilung geht von der Tatsache aus, daß sich unschwer drei ver- 280 Analytischer Teil. schiedene Abschnitte von Phänomenen m dem- jenigen Teil unserer kontinuierlicher Reihe unmittelbar bewußter Ereignisse unterscheiden lassen, welcher mit der Reizung meiner Retinae beginnt undmitderBewegungmeinerHandendet. Die Elemente des Gegebenen in ihrer Beziehung zum Gehirn. Das letzte räumliche Phänomen des ersten dieser Abschnitte der kontinuierlichen Reihe unmittelbar bewußter Ereignisse ist ein gewisses Phänomen, das sich auf das Gehirn als ein ,, berührbares" Ding bezieht und der Reizung des optischen Nervs folgt. Das erste räum- liche Phänomen des letzten Abschnittes unserer Reihe bewußter Daten ist wiederum ein Phänomen, das sich auf das Gehirn bezieht und zentrifugaler Nerven- leitung vorangeht. Aber der mittlere Abschnitt unserer Reihe hat gar nichts mit dem Gehirn zu tun, obwohl auch dieser mittlere Abschnitt der Bewußtseins- reihe sich aus verschiedenen Gliedern aufbaut, die einander eindeutig folgen. So gewinnen wir denn auf Grund der Tatsache, daß sich die Glieder unserer Reihe entweder auf das Gehirn, oder, wenn wir lieber wollen, auf meinen Körper beziehen oder nicht beziehen, einen klaren Einteilungs- grund für die gesamte Bewußtseinsreihe, soweit dieselbe mit der Reizung meiner Retina anfängt und mit der Be- wegung meiner Hand endet; und zwar den Grund für eine Einteilung in drei verschiedene Abschnitte. Gleich- zeitig bemerken wir, daß die Phänomene des ersten und dritten dieser Abschnitte sämtlich räumlich sind, während der zweite Abschnitt, welcher mit dem ,, Sehen" der Lampe beginnt, sich aus räumlichen und nicht-räumlichen Ele- menten zusammensetzt. Es ist nun äußerst wichtig an diesem Punkte unserer Analyse zu ermitteln, ob wir nicht noch etwas mehr sagen Analytischer Teil. 281 können über das letzte Phänomen des ersten rein räumlichen Abschnittes unserer bewußten Reihe und über seine Beziehung zum ersten Phänomen des letzten wiederum rein räumlichen Abschnittes der- selben, welche Phänomene sich beide, wie wir wissen, auf das Grehirn als auf etwas Räumliches beziehen. Die räumlichen und die nicht-räumlichen Elemente unter den sich nicht auf das Gehirn Beziehenden. Zuerst müssen wir aber etwas näher feststellen, was es eigentlich heißt, daß der zweite Abschnitt unserer kontinuierlichen Reihe unmittelbar bewußter Ereignisse sich aus räumlichen und nichträumlichen Elementen aufbaue. Der mittlere Abschnitt unserer bewußten Reihe, der sich ganz und gar nicht auf das Gehirn bezieht, entbehrt nämlich darum doch nicht vollständig des Kennzeichens der Räumlichkeit. Sein erstes und sein letztes Element weisen dieses Kennzeichen sicherlich auf: das erste ist das ,, Sehen" der Lampe und das letzte, wie wir sagten, wahr- scheinlich ein gewisses optisches Bild meiner künftigen Handbewegung. Einige der sogenannten bei der Iden- tifizierung und dem Ähnlichfinden in Betracht kommenden assoziativen Phänomene sind ebenfalls räumlich. Und doch gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem letzten Phänomen des ersten Abschnittes unserer Serie und dem ersten Phänomen ihres zweiten Abschnittes, mögen auch beide räumlich sein. Das erste Phänomen des mittleren Abschnittes unserer Reihe bezieht sich nämlich in keiner Weise auf das Gehirn, sondern istdie Lampe als ein optisches Phänomen; und eine ähnliche Beziehung gilt zwischen dem letzten Element des mittleren Abschnittes unserer Reihe, der optischen Vorstellung meiner künftigen Handbewegung, im Vergleich zu dem ersten Phänomen des dritten und letzten Abschnittes derselben, welches sich wiederum auf das Hirn bezieht. So sehen wir denn, daß 282 Analytischer Teil. der mittlere Abschnitt unserer bewußten Reihe, soweit er sich überhaupt auf Räumliches bezieht, solches in ganz anderem Sinne tut, als der erste und der dritte Ab- schnitt, welche sich beide ausschließlich auf Räumliches beziehen. Beim zweiten Abschnitte kommt Räumlichkeit nur im Sinne einer Beziehung auf sogenannte äußere ,, Dinge" oder bildliche ,, Vorstellungen" von ,, Dingen" in Betracht, aber nicht im Sinne einer Beziehung auf das „Gehirn" oder auf irgend einen Teil von ,, meinem Körper". Das letzte Element des ersten Abschnittes unserer bewußten Reihe hat nun den mittleren Abschnitt dieser Reihe zur eindeutigen Folge, und zwar zunächst sein erstes Element, das ,, Sehen der Lampe"; aber natürlich nicht dieses erste Element allein, sondern auch alles Übrige, was überhaupt jenen mittleren Abschnitt ausmacht. Hier stehen wir nun einem außerordentlich wichtigen Problem gegenüber. b) Die Verknüpfung der zerebralen Abschnitte der Elemente der Bewußtseinsreihe. Das letzte zerebrale Element des ersten Ab. Schnittes. Beziehungen zur wissenschaftlichen Analyse der Handlung. Das Prinzip der eindeutigen Bestimmtheit^) verlangt, daß das sich auf mein Gehirn beziehende letzte Phänomen des ersten Abschnittes unserer Reihe so b e - schaffen sei, daß es eine bestimmte Be- schaffenheit der Gesamtheit der, wie wir wissen, nicht zerebralen Phänomene des mittleren Abschnittes unserer Reihe nach sich zieht. Was folgt aber dry^r^us? Wir kommen hier in enge Berührung mit gewissen analjrbischen Ergebnissen eines anderen Teiles unserer Vorlesungen, freilich von einem ganz anderen Gesichts- punkt aus. Als wir die Handlung als ein Natur- ^) Ich sage nicht: das Prinzip der ..Kausalität". Analytischer Teil. 283 phänomen analysierten, nannten wir die eine ihrer wesentlichen Grundlagen die „historische Reaktionsbasis": das Handeln hängt nicht nur von der Individualität des gegenwärtigen Reizes ab, sondern auch von der Spezifizität aller früheren Reize und ihrer Effekte. Wir sagten, daß in der Psychologie die Worte ,, Assoziation", ,, Gedächtnis", ,, Erfahrung", ,, Abstraktion" usw. verwendet zu werden pflegen, um das zu bezeichnen, was der wahre Naturforscher nur die ,, historische Reaktionsbasis" nennen darf. Gegen- wärtig treiben wir aber ,, Psychologie", sogar solche sehr ausschließlicher Art, denn alles was ,,i s t", gilt uns jetzt als psychischer Zustand. Der zweite Abschnitt unserer be- wußten Reihe zeigt uns nun von einem anderen Standpunkt aus das voll entwickelt, was wir früher in das eine Wort ,, historische Basis" zusammengefaßt hatten. Und so ver- stehen wir denn, daß das letzte sich auf das Gehirn be- ziehende Ereignis im ersten Abschnitt unserer bewußten Reihe derart sein muß, daß es der ,, historischen Basis" in Auktion zu treten erlaubt. Diese ,, historische Basis" ist nun ihrerseits geschaffen worden, und zwar durch Reihen von Phänomenen, welche derjenigen Reihe ähnlich waren, die wir hier studieren. Das aber heißt : zerebrale Phänomene waren auch in jene vergangenen Reihen ein- beschlossen; und daraus folgt weiter, daß der letzte Prozeß des ersten Abschnittes der von uns studierten bewußten Reihe, eben weil er ein derartiger ist, d a ß er ,,die historische Basis" erwecken kann, beim, sagen wir, vierten Male seines Ablaufs verschieden sein muß vom ersten, zweiten und dritten Male seines Geschehens. Da nun aber alle diesem letzten Prozeß vorhergehenden Konstituenten des ersten Abschnittes unserer bewußten Reihe beim vierten Male ihres Ablaufs nicht von der Ai't ihres ersten, zweiten und dritten Ablauf ens abweichen i), so können sie nicht in sich selbst den zureichenden Grund dafür tragen, daß das letzte Phänomen jenes ersten Abschnittes mit *) Abgesehen vielleicht von „funktioneller Anpassung", 284 Analytischer Teil. auf einander folgenden Wiederholungen verschieden wird. Der Grund dieses Verschiedenwerdens muß daher i m Gehirn liegen. Damit ist bewiesen, daß ein gewisser letzter Prozeß des ersten Abschnittes irgend einer bewußten Reihe unseres Typus, und zwar ein zerebraler Prozeß, jedesmal, wenn er statthat, ein j anderer wird, weil das Gehirn selbst eben durch das frühere Statt- gehabthaben dieses Prozesses ein anderes geworden ist; und zwar ist das Gehirn derart ein anderes geworden, daß es den Ablauf des zweiten Abschnittes der bewußten Reihe in seiner Spezifizität gestattet. Deshalb nun — hier kommen wir endlich zum Abschluß — deshalb wird die Lampe nicht nur ,, gesehen", sondern wird auch als eine Lampe identifiziert und erinnert mich an alle meine frühere Erfahrung. Wie in einem früheren Kapitel, so haben wir also auch hier festgestellt, was an dem Phänomen der historischen Basis ,, zerebral" sein kann und was nicht. Das Gehirn ist ganz sicherlich bedeutsam; es birgt sozusagen die Elemente der historischen Basis; aber es benutzt sie nicht. Seine aufbewahrende Eigenschaft mag eines Tages vielleicht sogar als von physikalisch-chemischen Eigentümlichkeiten abhängig nachgewiesen werden. In diesem Sinne, aber in keinem anderen, darf man von mechanischen Grundlagen des Gedächtnisses reden. Über „Identifizieren". Hier tritt nun die Frage auf, ob der zweite Abschnitt unserer bewußten Reihe, welcher in unserem Beispiel mit dem ,, Sehen" der Lampe beginnt, nicht etwa durch einzelne „zerebrale" Elemente in Teile zerlegt werde. Könnte nicht die sogenannte Assoziation, die an verschiedenen Punkten des zweiten Abschnittes unserer Reihe, ganz besonders aber an ihrem Beginn, wo die ,, gesehene" rauchende Lampe ,, identifiziert" wird als eine rauchende Lampe, eine Rolle spielt, könnte nicht diese Assoziation die unmittel- Analytischer Teil. 285 bare Folge eines vorhergehenden zerebralen Prozesses sein, d. h. idealistisch gesprochen, eines bewußten Ereignisses, das auf mein Gehirn bezogen wird, wie doch das letzte Element des ersten Abschnittes der ganzen bewußten Reihe es war? Eine eingehendere Erörterung dieses Problems gehört der sogenannten physiologischen Psycho- logie an. Ich erwähne hier nur, daß mir starke Gründe vorzuliegen scheinen, eine solche Möghchkeit von vorn- herein abzuweisen. Was das ,, Identifizieren" der Lampe angeht, so darf nämlich nicht vergessen werden, daß hier nicht zwei psychische Ereignisse vorliegen, erstens das Sehen und zweitens das Identifizieren, sondern nur eines; die Lampe ist das zweite Mal, wo sie gesehen wird, ganz unmittelbar psychisch ein anderes Ding als die das erste Mal gesehene Lampe. Daher brauchen wir in der Mitte des zweiten Abschnittes unserer Reihe nicht auf das Hirn zurückzugehen. Eben aus diesem Grunde sagten wir, daß das Gehirn durch einen ersten Reiz verändert wird mit Rücksicht auf die Art, wie es auf denselben Reiz das zweite und dritte Mal reagiert. Ich stimme in dieser Beziehung vollständig mit der vorzüglichen Darlegung Bergsonsi) über den Begriff ,,Reconaissance" überein. Die ,, intrapsychische Reihe". Doch kehren wir zu den drei Abschnitten unserer be- wußten Reihe zurück. Der erste Abschnitt endet, wie wir wissen, in einem zerebralen Akt von solcher Art, daß er den Ablauf des zweiten Abschnittes in seiner Spezif izität erlaubt ; und dieser zweite Abschnitt endet natürlich in der Ermög- lichung des Auftretens des letzten Aktes. Lediglich der zweite Abschnitt ist durchaus nicht zerebraler Natur, er ist aber an seinen beiden Enden mit zerebralen 1) Materie und Gredäclitnis, deutsch 1908, Jena. — Rehrake andererseits vertritt zwar die Theorie der „Wechselwirkung", läßt aber unsere „intrapsychische Reihe" fortwährend von zerebralen Akten unterbrochen werden; man vergleiche seine ,, Psychologie" und sein vortreflliches kleines Buch ,,Die Seele des Menschen". 286 Analytischer Teil. Elementen verknüpft. Aus dieser fundamentalen Beziehung ergeben sich sehr wichtige Folgen. Wir wollen nun zunächst eine zur Bezeichnung des zweiten Abschnittes unserer bewußten Reihe im Gegensatze zu deren ersten und dritten Abschnitt geeignete Termino- logie erfinden. Wir müssen klar im Auge behalten, daß wir ja bei allen unseren gegenwärtigen Erörterungen das Gegebene nur als Phänomen für das Bewußtsein studieren wollen: wir haben studiert, wie ein Zustand meines Bewußtseins von einem früheren beeinflußt wird und einen späteren beein- flußt; in dieser Hinsicht, in ihrem für das Ich Sein, sind alle hier von uns betrachteten Gegenstände ,, psychisch". Trotzdem sind nun aber die von uns studierten psychischen Phänomene insofern von einander verschieden, als ihr erster und dritter Abschnitt in solchen Bewußtseinsdaten besteht, denen die Besonderheit zukommt, vom Ich in Bezug auf meinen sogenannten ,, Körper" und auf mein ,,Hirn" im besonderen objektiviert zu werden, während der zweite Abschnitt der Reihe unserer Phänomene nicht in solcher Weise objektiviert wird, sondern entweder auf sogenannte ,, andere Dinge", wie z. B. auf die Lampe bezogen wird, oder jeder dinglich objektivierten Beziehung entbehrt. Ohne daß wir also vergessen, daß die von uns studierten Phänomene ausnahmslos ,, psychische" sind, wollen wir doch den Namen ,, intrapsychische Reihe" insonder- heit demjenigen, zweiten, Abschnitte des Ganzen unserer bewußten Reihe subjektiver Ereignisse geben, welcher zu meinem sogenannten Körper nicht irgendwie in Beziehung steht. e) Der direkte Beweis des Vitalismus. Und nun verlassen wir unsere streng subjektive Be- trachtungsweise und sehen das Gegebene mit den Augen der Wissenschaft an. Damit wollen wir uns natürlich nicht ohne weiteres dem Realismus verschreiben; das ,, Gegebene" soll Analytischer Teil. 287 immer ein Phänomen für mich bleiben, aber wir wollen nun denjenigen Teil von der Summe der mir gegebenen Phäno- mene ,, Natur" oder ,,das Objektive" nennen, welchen ich gezwungen bin, auf sogenannte Körper im Räume zu be- ziehen; und im Gebiete dieser ,, Natur" studieren wir an erster Stelle ,, meinen Körper" als das unmittelbarste Objekt der Biologie. Wir sind damit aus dem Bereiche der Psychologie in dasjenige der ,,Gegenstands"-lehre im Sinne Meinongs getreten. Mein Körper als mein ,, Objekt". Wenn wir nun versuchen, die Ergebnisse unserer Er- örterung auf ,, meinen Körper" als ,,mein Objekt" zu be- ziehen, so finden wir die bemerkenswerte Tatsache, daß gewisse Vorgänge, y^^elche wir als in meinem Körper ge- schehend ansehen müssen, eine Lücke in ihrer Mitte aufweisen, so daß bei ihnen ein Punkt vorliegt, an dem ihre auf einander folgende eindeutige Reihe derart unter- brochen ist, daß sich, soweit körperliche Prozesse, d. h. Bewußtseinsphänomene, welche in Bezug auf ,, meinen Körper" objektiviert werden, in Frage kommen, ihre zweite Hälfte nicht aus ihrer ersten ver - stehen läßt. Es liegt ,, Wirklichkeit" zwischen diesen beiden Hälften, wenn anders Zustände, die sich dem Bewußtsein gegenständlich darbieten, Wirklichkeit sind, es gibt aber keine Wirklichkeit zwischen ihnen mit Bezug auf ,, meinen Körper". Von unserem subjektiven Standpunkt aus nannten wir nun ,, intrapsychische Reihe" denjenigen Teil der bewußten Phänomene, welcher jene Lücke im ganzen der körperlichen Phänomene ausfüllt; vom Standpunkte der Naturwissen- schaft aus dürfen wir das nicht, denn wir dürfen nicht psychisch bleibende Elemente vermischen mit Phänomenen, welche zu physischen objektiviert wurden. Aber doch muß auch die Wissenschaft eine Art von Korrelat zu der intra- psychischen Reihe der subjektiven Betrachtungsweise schaffen: hier begegnen wir denn also wieder unserem 288 Analytischer Teil. alten Bekannten, dem ,,Psychoid", d. h. einer Art von Entelechie, im Sinne eines Naturfaktors. Auf Grundlage streng subjektiver introspektiver Analyse der vollständigen unmittelbaren Gegebenheit haben wir also gezeigt, daß, insofern mein ,, Körper" ein Objekt der Biologie ist, der Vitalismus nicht nur mög- lich, sondern notwendig ist. Vom Stand- punkt einer ganz streng idealistischen oder ,,sol- ipsistischen" Erkenntnislehre aus, der einzigen, welche die ,, Gegebenheit" ohne alle metaphysische Annahmen studiert, erscheint die phänomenologische Reihe bewußter Zustände, welche auf meinen Körper bezogen ist, durch eine Reihe von Zuständen unterbrochen, die auf keine Weise auf diesen Körper bezogen werden kann. Die Psychologie füllt diese Lücke in der körperlichen Welt durch die ,, intrapsychische Reihe" aus; die Wissen- schaft darf hier nur sagen i), daß bei der Gesamtheit der an meinem Körper sich abspielenden Ereignisse ein gewisser Naturfaktor in Betracht kommt, welcher eine intensive Mannigfaltigkeit darstellt und ,,Psychoid" genannt werden kann. So führt der phänomenologische Idealismus ohne weiteres von sich selbst aus zum Vitalismus, wenigstens für ein biologisches Objekt — meinen Körper. ^) Neuere Autoren haben diese Sachlage nicht immer klar erfaßt. Alles, was wir kennen, ist „psychisch", sagen sie und kommen so zu einem „Psychomonismus". Diese Behauptung ist schon für sich genommen anfechtbar, denn „psychisch" ist doch nur das Wissen um das Gegebene, aber nicht das gewußte Gegebene; für die "Wissenschaft von der Natur wird sie geradezu sinnlos. Diese hat es mit räumlich objektivierten Geschehnissen zu tun und will lediglich die für diese gültigen Prinzipien und Gesetze auffinden. Erst mit Rücksicht auf räumliche Phänomene tritt das Problem „Mechanismus oder Vitalismus" auf. Denn daß die vollständige Reihe der unmittelbar zum Bewußtsein kommenden Ereignisse keine „mechanistische Reihe" ist, ist selbstverständlich; in Bezug auf sie sind die Begriffe „Mechanismus" und „Vitalismus" überhaupt ohne Bedeutung. Analytischer Teil. 289 Andere lebende Körper. Es erübrigt nun, die Grenze zwischen meinem ,, Körper" als einem Naturobjekt und anderen lebenden Wirklichkeiten zu überschreiten, um unseren direkt bewiesenen Vitalismus auf eine allgemeinere Form zu bringen; schwierig ist dieser Übergang nicht. Eine erste Stufe bezeichnet hier der Über- gang von meinem Körper als einem objektivierten Phä- nomen der Natur zu denjenigen Körpern der Natur, welche dem meinigen sehr ähnlich sind: zu den Körpern anderer Menschen. Wir haben bewiesen, daß das Verhalten meines Körpers in der Natur aus einer bloßen Kombination einzelner auf Extensitäten bezogener Ereignisse nicht verständlich ist, und daraus folgt durch Analogie, daß auch das Ver- halten der Körper anderer Menschen in solcher Weise nicht erklärbar sein kann, daß auch, um sie zu verstehen, eine Art intensiver Mannigfaltigkeit, eine Entelechie oder ein Psychoid, eingeführt werden muß. Wir gelangen also durch unsere neue und direkte Methode zu ganz demselben Schlüsse, den wir durch eine Analyse der Handlung als eines Naturphänomens bereits indirekt erreicht haben. Der weitere Weg führt uns dann von den Menschen zu den- jenigen höheren Tieren, welche wenigstens gewisse Ähnlich- keiten des Verhaltens mit demjenigen des Menschen auf- weisen, und auf diese Weise mögen wir sogar bis zu den niedersten Organismen gelangen, soweit ihr Verhalten beim Handeln in Betracht kommt. Natürlich versagt aber diese Beweismethode für das Studium der instinktiven Phäno- mene, des Stoffwechsels und der Formbildung: hier ist nur ein indirekter Beweis möglich, wie er ja von uns an so vielen Stellen dieser Vorlesungen geführt ward. Das ,, Verstehen*' des Vitalismus, Alle diese recht subtilen Erörterungen haben wir nicht unternommen, bloß um den Vitalismus als eine Tatsache der theoretischen Biologie zu beweisen ; ich hoffe wenigstens, daß dieser Beweis durch unsere früheren analytischen Er- Driesch, Philosophie. IL 19 290 Analytischer Teil. wägungen bereits in genügender Weise geführt ward. Hier ist unser Ziel philosophisch und nicht nur wissenschaftlich. Wir wollten also hier nicht nur den Vitalismus beweisen, sondern wir wollten auch seiner epistemologi- schen Rechtfertigung den Weg bereiten, und das bedeutet viel mehr. Wenn wir nun aber auch einen direkten Beweis der Autonomie der Lebensphänomene, oder wenigstens einiger von ihnen, durch eine bloße Analyse der voll- ständigen phänomenologischen Gegebenheit gewonnen haben, durch eine Analyse der vollständigen Reihe der un- mittelbar bewußten Ereignisse als solcher, durch eine Analyse des Objekts für das Selbstbewußtsein, so können wir mit Recht behaupten, daß wir jetzt vitalistisches Ge- schehen auf Grundlage unserer allerintimsten psychologischen Selbsterfahrung verstehen. Das Ich fühlt sich selbst als vitalistisches Agens. So behauptet es die Ansicht des täglichen Lebens, und so beweist es unsere Analyse. Dieses ,, Selbstfühlen" und ,, Verstehen" wird den Aus- gangspunkt für das Folgende bilden. Die Ansicht des täglichen Lebens über das Leben, welche natürlich weder irgendwie analytisch noch theore- tisch ist, behauptet, daß ,,ich" meinen Körper durch ,, meinen Willen" bewegen kann, und daß jedes lebende Wesen eine sogenannte ,, Seele" hat, mittels deren es das- selbe vermag. Dieser Gesichtspunkt der gewöhnlichen unwissenschaftlichen Erfahrung kann sich jetzt rühmen, aus einer nichtanalytischen und nichttheoretischen Sphäre in eine analytische und theoretische Sphäre erhoben zu sein und in dieser Sphäre seinen Beweis und seine psycho- logische Rechtfertigung empfangen zu haben. ,,Ich", insofern ,,ich will", bin in der Tat ein Glied in der eindeutig bestimmten Reihe der Phänomene; mein Wille beeinflußt und wird beeinflußt. Ich bin mir dieser meiner Fähigkeit in ganz unmittel- barer Weise bewußt; nicht durch Erfahrungen, sondern nur an der Hand der Erfahrung, wie wir noch sehen werden. Analytisclier Teil. 291 Und diese Erfahrung, welche sozusagen meine Kenntnis meines Wollens erweckt, ist von einer sehr seltsamen Art. Sobald ich irgend einen Zustand der phänomenologischen Wirklichkeit entweder herbeiwünsche oder wegwünsche, tritt mein Wille in Aktion, ganz so wie es gerade in diesem vorliegenden Falle passend erscheint. Und ich weiß noch mehr über die Fähigkeit meines Willens: Ich weiß, daß dasjenige, was aus meinem Willen jedesmal resultiert, solche Zustände der Außenwelt sind, welche typische Kon- stellationen der Naturwirklichkeitselemente dar- stellen, und daß diese Konstellationen nicht irgendwie auf andere präexistierende räumliche Konstellationen zurückgeführt werden können. Meine Fähigkeit zu wollen ist so für mich das einzige Mittel, um analogienhaft zu verstehen, wie ein Zustande- kommen spezifisch kombinierter Resultate ohne präexi- stierende äußere spezifische Ursachen überhaupt möglich ist. Es ist schon oft bemerkt worden, daß gewisse andere sehr allgemeine Begriffe, die sich auf das Gegebene be- ziehen, einen ähnlichen Ursprung haben. Ich verstehe z. B. die ,, Kausalität", d. h. die notwendige Beziehung zwischen einem früheren und einem späteren Zustand der Ereignisse im Raum, weil ich fähig bin. Kausalität und insbesondere ,, Kraft" sozusagen zu fühlen. Und hinwiederum verstehe ich die Wirklichkeit in der Form von ,, Substanz und In- härenz" nur deshalb, weil ich unmittelbar die Dauer meines Ich trotz seiner wechselnden Zustände fühle. In genau derselben Weise nun fühle ich, durch das Wissen um meinen Willen, daß ich ein Agens der Natur bin, welches es mit dem Ursprung des Komplizierten aus dem Nicht- komplizierten zu tun hat. An diesem Punkte wird unsere Analyse alsbald wieder aufgenommen und vom psychologischen Boden auf den epistemologischen übertragen werden. Zunächst müssen wir aber für eine Weile die rein analytische Betrachtung zugunsten sehr wichtiger Erörterungen polemischer Art aufgeben. 19» 2. Polemischer Teil. Die Lehre vom sogenannten psychophysischen Paralle- lismus verneint, was wir bewiesen zu haben glauben. Sie behauptet, daß, wie bei allem und jedem Naturphänomen so auch bei den Handlungen des Menschen eine lücken- lose Reihe körperlicher, physikalisch-chemischer Ereig- nisse vorliegt, daß es nicht einen nichtkörperlichen Ab- schnitt von Ereignissen gibt, welcher die Lücke zwischen zwei körperlichen Abschnitten ausfüllt; daß mechanische Kausalität ohne Unterbrechung durch das Gehirn als durch ein körperliches, d. h. materielles System hindurch- fließt. a) Die Unmöglichkeit der verschiedenen gangbaren Formen des psychophysischen Parallelismus. Die parallelistische Theorie tritt in zwei wesentlich verschiedenen Formen auf: die eine ist ausgesprochen realistisch und metaphysisch, die andere ist pseudoidea- listisch. Der bereits früher widerlegte metaphysische Parallelismus. Die erste dieser Formen geht auf Spinoza zurück. Ein unerkennbares Wirkliches stellt sich in zwei lücken- losen, unabhängigen, parallelen Reihen von Ereignissen, der psychischen und der physischen Reihe, dar; beide Reihen sind in sich vollständig, es gibt keine Wechselwirkung zwischen ihnen. Es tut zwar der Vollständigkeit der psychischen Reihe, aber nicht der Lückenlosigkeit und Polemischer Teil. 293 Vollständigkeit der physischen Reihe Abbruch, wenn die parallelistische Theorie gelegentlich dem metaphysischen Materialismus insofern ein gewisses Zugeständnis macht, als sie das Psychische als ein bloßes ,,Epiphänomenon" des Physischen betrachtet. Diese Form des Parallelismus ist natürlich durchaus metaphysisch, sie kann daher nicht durch eine immanente, introspektive, psychologische Analyse, wie die unsrige es gewesen ist, widerlegt werden, sondern nur entweder durch allgemeine Erwägungen oder dadurch, daß durch eine Analyse des objektiven Geschehens gezeigt wird, daß jene Vollständigkeit der physischen Reihe nicht existiert. Auf diesem Wege haben wir bei Gelegenheit unserer Analyse der Handlung bereits den Parallelismus abgewiesen. Um an dieser Stelle noch einiges Weitere über die allgemeinen Gründe gegen die parallelistische Theorie bei- zubringen, so will ich dem oben bereits i) Gesagten zunächst einen Gedanken L o t z e s beifügen, daß es nämlich un- möglich sei, die ,, Seele" als parallele Resultante einer Resultante einzelner mechanischer Ereignisse aufzufassen, da sich eine ,, Resultante" in der klaren, nämlich mechani- schen Bedeutung des Wortes stets auf die Wirkung von Kräften bezieht, die auf ein und dasselbe mate- rielle Element wirken, wovon hier doch eben gar nicht die Rede sei. Hiervon abgesehen, kann die strenge paralle- listische Theorie, welche die Vollständigkeit ihrer beiden Seiten oder Erscheinungsweisen des Wirklichen behauptet, durch den Nachweis widerlegt werden, daß sie, zu Ende gedacht, in Absurditäten sehr seitsamer Art hineinführt: nur das Psychische soll nach der Theorie auf das Psychische, nur das Physische auf das Physische wirken können; das schließt aber die Behauptung ein, daß jeder einzelne an- organische Vorgang oder Zustand sein ,, psychisches" Kor- relat habe, und eben das ist einfach absurd. Rickert^) 1) Vgl. S 112 Anm. 1. 2) Zeitschrift für Sigwart, 1900. 294 Polemischer Teil. hat in dieser Beziehung treffend gegen den Parallelismus eingewendet, daß auf Basis dieser Theorie die Wirkung des Alkohols auf den menschlichen Geist nicht diejenige des chemischen Stoffes C<2.H^0, sondern diejenige des „psychi- schen Korrelats" von C^H^O sein würde. C^H^O als solches würde nur auf den menschlichen Körper wirken. Es liegt in der Tat auch nicht der geringste Grund zu der Annahme vor, daß jeder anorganische Vorgang oder Zustand etwas Psychisches ,, darstelle"; und umgekehrt haben wir ja gezeigt, daß das ,, Psychische", wo es wirklich ist, kein anorganisches Parallelkorrelat haben kann. Anorganische Ereignisse sind, in gewisser Hin- sicht wenigstens, immer Summen; psychische Ereignisse sind das nicht. Dieser Umstand allein widerlegt nach meiner Meinung den strengen Parallelis- mus, ja überhaupt jede Art von Parallelismus, dessen ,,eine Seite" räumliche Kausalität ist. Es ist nämlich durchaus nicht irgendwie einzusehen, wie die Bewegungen oder Veränderungen der Teile eines mecha- nischen oder energetischen Systems, d. h. eines Systems, welches ausgesprochenermaßen, ja, defi- nitionsgemäß ein Aggregat ist, ,, begleitet" sein könnten von etwas oder von etwas die ,, Er- scheinung" sein könnten, das ganz sicherlich nicht ein Aggregat ist. Und in einem anorganischen System gibt es so etwas wie ,, Ganzheit" wirklich nur in rein formal geometrischem Sinne. Es ist ja gerade das Hauptkenn- zeichen eines energetischen oder mechanischen Systems, daß jedes einzelne in ihm ablaufende Ereignis, von der ganz unbestimmt-allgemeinen Tatsache der Gegenwirkung ab- gesehen, vom Ganzen unabhängig ist und nur von seinen unmittelbaren Bedingungen und der unmittelbaren Ursache abhängt. Eben aus diesem Grunde kann ein mechanisches oder energetisches System • — eine ,, Maschine" — zwar wohl das räumliche R e - s u 1 1 a t der Manifestation eines intensiv mannigfaltigen Ganzen sein, die Ereignisse an diesem System können aber Polemisclier Teil. 295 nie die Manifestation eines solchen Mannigfaltigen in paralleler Weise „begleiten" ^), Widerlegung des pseudoidealistischen Parallelismus. Die zweite Form der parallelistischen Theorie nennt sich idealistisch, ist aber in Wirklichkeit auch realistisch und metaphysisch. Alle sogenannte Wirklichkeit gilt hier als phänomenalistisch, als nur mit Bezug auf ein Subjekt ,, seiend". Als dieses Subjekt wird hier nun aber nicht ausschließlich mein Ich angesehen, sondern es wird die Existenz einer unbestimmt großen Zahl möglicher Subjekte angenommen. Unsere Form der parallelistischen Theorie argumentiert dann wie folgt: Was für mich selbst Vor- stellungen von Dingen oder irgendwelche Begriffe sind, d. h. also für das Subjekt A, das sind Bewegungen oder Ver- änderungen von Energie und Potentialen in demjenigen mechanischen oder physikalisch-chemischen System,welches für die Subjekte B, C, D usw. mein Gehirn ist. Der wahre idealistische Kritizismus oder Solipsismus muß hiergegen einwenden, daß über die wirkliche und absolute Existenz der Subjekte B, C, D usw. durchaus nichts unmittelbar gewußt wird, ja gewußt werden kann. So fällt also der Anspruch der Theorie, ,, idealistisch" im strengen Sinne des Wortes zu sein. ^) Man denke bei sich eine an sich geistvolle Darstellung der parallelistischen .,Ersclieinungs''lehre (wie z. B. diejenige von Lipps in der 2. Auflage der „Philosophie im Beginne des 20. Jahr- hunderts", 1907), durch und man wird finden, daß die Darstellung einer unfreiwilligen Selbstwiderlegung gleichkommt. Bei dieser Gelegenheit mag betont sein, daß, der übhchen Auffassung entgegen, Schelling durchaus Anhänger der „Er- scheinungstheorie" gewesen ist. Er nennt (Ausgabe von 0. Weiss, IL Band, S. 281 ff.) die Natur „nicht zweckmäßig der Produktion nach", „Werke des blinden Mechanismus", „Produkt blinder Natur- kräfte" usw. In unserer Sprechweise würde er als Vertreter „statischer Teleologie" zu bezeichnen sein; seine , .Naturphilosophie" soll nicht erklären, sondern deuten. 296 Polemischer Teil. Der pseudoidealistischen parallelistischen Theorie begegnet nun auf ihrem eigenen Boden eine sehr bemerkens- werte Schwierigkeit, die sich kurz wohl folgendermaßen ausdrücken läßt: A sieht eine Lampe, B sieht diejenigen Bewegungen im Hirn von A, von denen es heißt, daß sie dem Sehen des A parallel gehen; der Sehakt des B muß aber nun seinerseits eine korrespondierende Parallele im Hirn des B haben; diese Bewegung des Hirns von B mag wiederum von A gesehen werden; dann muß aber doch dieser neue Sehakt des A eine cerebrale Parallelkorre- spondenz besitzen, welche nur insofern ,,ist", als sie von einem Subjekte gesehen wird, sagen wir von B, und so geht es weiter ad infinitum. Kurz gesagt : der pseudoidealistische Parallelismus, welcher zwar alle Wirklichkeit phänomena- listisch sein läßt, gleichzeitig aber die ,, Existenz" ver- schiedener Subjekte behauptet, wird zu Absurditäten geführt. Wenn man der Sache auf den Grund geht, so fehlt immer noch ein neues ,, psychisches" Parallelglied und dieses Fehlen eines neuen Parallelgliedes hört nie auf. In dieser Hinsicht ist der eigentliche metaphysische Parallelismus klarer, wenn er mit dem Physischen und dem Psychischen, als den beiden Formen des „Wirklichen" operiert. Die Unmöglichkeit des Parallelismus auf streng idealistischer Grundlage. Wir wollen nun zu der Sphäre des ganz reinen Idealismus, dem einzigen völlig unvoreingenommenen Aus- gange aller Reflexion, auf welche wir ja unsere positive Analyse gründeten, zurückkehren und sehen, ob es möglich ist, auf einer solchen Grundlage die parallelistische Theorie zu halten. Dabei bemerken wir von vornherein, daß unsere Darlegung einen gewissen gezwungenen Charakter tragen wird: eigentlich nämlich kann ja für die ganz streng idealistische Stellungnahme das Parallelismusproblem gar nicht einmal als solches auftauchen. Polemischer Teil. 297 Wir stellen folgende Frage : Ist es irgendwie vorstellbar oder denkbar, daß dem ,,Ich sehe eine Lampe" oder dem ,,Ich denke (a +h)^ eine Bewegung oder eine Veränderung energetischer Intensitäten in meinem Gehirn parallel geht ? ,, Parallelgehen" soll heißen ,, gleichzeitig sein"; ,,sein" soll aber andererseits bedeuten ,,von mir wahrgenommen oder wenigstens für mich wahrnehmbar sein" — so will es der strenge Idealismus. Wir wissen nun bereits, daß, wenigstens im Prinzip, mein Gehirn den wahrnehmbaren Dingen zugerechnet werden kann. Die parallelistische auf den Idealismus gegründete Theorie müßte also die folgende Kette von Geschehnissen postuheren: Ich sehe die Lampe, nachdem ich einen Vorgang im nervus opticus und in einem gewissen Hirnteil gesehen oder gefühlt habe ; in demselben Augen- blick, in welchem ich ,,die Lampe" sehe, sehe oder fühle ich auch ein bestimmtes Ereignis in meinem Hirn als meinem Objekte. Dieses ,, wahrgenommene Ereignis" ist nun aber ganz sicherlich nicht dasselbe wie meine bewußte ,, Wahrnehmung des Ereignisses" i); für diese muß eine neue wahrnehmbare Veränderung im Gehirn da sein, die Wahrnehmung derselben aber erfordert eine neue Veränderung usw. — ad infinitum; ganz ebenso wie bei unserer Analyse des auf eine pseudoidealistische Basis begründeten Idealismus. Die Reihe der Forderungen neuer ,, Parallelen" hört nie auf. Wir können nun das ganze Problem noch etwas anders wenden.. Ich sehe die Lampe nach Ablauf einer Reihe von Veränderungen in der Retina, dem Sehnerven und dem Gehirn, welche ich, wollen wir annehmen, durch Berührung vorher wahrgenommen habe. Ich weiß aber, daß, ehe ich jenen cerebralen Parallelismus, welcher mein bewußtes Sehen der Lampe begleiten soll, irgendwie wahrnehmen könnte, vorher eine wahrnehmbare Veränderung ^) Das „wahrgenommene Ereignis" mag grün sein; aber „meine Wahrnehmung des Ereignisses" ist sicherlich nicht grün. 298 Polemischer Teil, in der Retina und dem Sehnerven oder in der Haut und den centripetalen Hautnerven stattgefunden haben müßte. Diese müßten sich also verändert haben, bevor ich die cerebrale Veränderung, welche meinem Sehen der Lampe parallel korrespondieren soll, überhaupt wahrnehmen kann. Auf diese Weise aber würden die sogenannten Parallel- effekte im Sinne des strikten Idealismus ja immer später ,,sein", als dasjenige, dem sie ,, parallel" gehen sollen — mit anderen Worten: es würde gar keinen Parallelismus geben. So wird also auf Grundlage des strikten Idealismus die parallelistische Lehre zu einer einfachen Unmöglich- keit!). Der strenge, solipsistische Idea- lismus, der einzige völlig unmeta- physische e p i s t e m o 1 o g i s c h e Stand- punkt, schließt daher ohne weiteres die Einsicht ein, daß die Reihe der körper- lichen Kausalität in Bezug auf meinen Körper, während ich handle, eine Lücke aufweist. Mit anderen Worten : auf einem ge- wissen Felde des Wirklichen schließt der Idealismus den Vitalismus ein. Und wir wiederholen es: Aus diesem und nur aus diesem Grunde ,, verstehen" wir den Vitalismus 2). Durch eine Analyse, welche frei war von metaphy- sischen Annahmen irgendwelcher Art, durch eine Analyse ^) Viele Autoren sind hierüber im Unklaren. Verworn z. B, fängt in seiner „Allgemeinen Physiologie" mit einem reinen Idealismus an, macht alsdann den Fehlschluß, daß alle Wissenschaft Psychologie sei (s. S. 288 Anm. 1), indem er nicht sieht, daß Wahrnehmen und Wahrgenommenes, Denken und Gedachtes zweierlei sind und ver- wirft endlich, seltsamerweise, den Vitalismus zugunsten einer dog- matischen physikalisch-chemischen Auffassung des Lebens. 2) Man vergleiche hierzu die Schriften H. Bergsons (Essai sur les donnees immediates de la Conscience, 5. Aufl. Paris 1906 ; Materie und Gedächtnis 1896, deutsch 1908, Jena). Es gibt viele Berührungspunkte zwischen seiner und meiner Art, die Wirklichkeit und zumal das Leben zu betrachten. Polemischer Teil. 299 des unmittelbar Gegebenen, hatten wir bereits positiv gezeigt, daß das wollende ,,Ich" eine elementare Rolle bei meinem Handeln spielt. Wir haben dieses Ergebnis auf dem kritischen und polemischen Wege jetzt durch den Beweis ergänzt, daß auf der Grundlage des Idealismus die Lehre vom ,, Parallelismus" in ganz unmittelbarer Weise unmöglich ist, ja sogar auf der Grundlage eines nicht ganz strengen Idealismus. Unsere unmittelbare Ablehnung des Parallelismus gilt aber ausschließ- lich auf einer idealistischen Basis; d. h. sie gilt nur, wenn ,,Sein" als gleichwertig angesehen wird mit ,,von einem bewußten Subjekt wahrgenommen oder gedacht". Sobald irgendwelche metaphysischen Annahmen über ein absolutes oder unabhängiges Sein gemacht werden — und wir selbst werden alsbald solche Annahmen machen — so hört der Gang unserer x4.blehnung auf, zwingend zu sein. Aber dann tritt nicht nur die Analyse der Handlung an ihre Stelle, sondern auch unsere positive, unpolemische Analyse der unmittelbaren Gegebenheit, welche gleichsam ganz unbefangen, für meinen Körper wenigstens, den Vitalismus be- weist und für welche so etwas wie Paral- lelismus streng genommen eigentlich überhaupt gar nicht in Frage kommt. Gibt es für sie doch eigenthch nicht einmal den Begriff des Idealismus als einen Gegensatz zu anderem — sie untersucht eben einfach „das Gegebene" in seinem Für-mich-sein. ß) Eine neue Form des Parallelismus. Wenn wir jetzt endlich zurückdenken an die Rolle, welche ,,mein Körper" und sein „Psychoid" in der objek- tivierten Natur spielt, d. h. auf die Rolle, welche beide als Gegenstände der Naturwissenschaft spielen, dann treffen wir auf den ersten Blick eine recht seltsame Schwierigkeit oder vielmehr Zweideutigkeit an. 300 Polemischer Teil. Mein Körper und die Rolle, die er spielt, wurden zunächst, ebenso wie mein Wollen, Urteilen usw., nur als Phänomene für mein Ich angesehen; alsdann erst wurde mein Körper als Bestandteil der objektivierten Natur auf- gefaßt, freilich auch immer in der Sphäre des Idealismus. Aus der intrapsychischen Reihe der ersten Betrachtungsart wurde so das Psychoid der zweiten. Die intrapsychische Reihe war eine unmittelbare Erfahrung des Bewußtseins, während das Psychoid nur ein Begriff, oder besser noch ein begrifflicher Naturfaktor ist, geschaffen zum Zwecke der Ausfüllung einer Lücke in der Kette der Ereignisse, welche sonst in der objektivierten Natur existieren würde, wie wir das nun sowohl indirekt wie direkt bewiesen haben. Der direkte Beweis der ,, Existenz" des Psychoids, im Sinne phänomenologischer Objektivität, ist, teilweise wenigstens, auf die Unmöglichkeit der parallelistischen Lehre be- gründet worden — und nun scheint trotzdem unsere Erörterung wieder bei einer Art von Parallelismus endigen zu wollen. Es kann nämlich keinem Zweifel unterliegen, daß das unmittelbare, bewußte Selbsterleben der intrapsychi- schen Reihe der vom Psychoid gespielten Rolle ,, parallel" ist. Dieser ,, Parallelismus" ist nun freilich von durchaus anderer Art als der übliche. Wir halten es, wie wir ausführten, für ganz unmöglich, den üblichen Parallelismus anzunehmen, nämlich die Behauptung, daß der intrapsychischen Reihe eine Reihe von Ereignissen parallel gehe, die sich aus einzelnen bewußten Akten vom Typus sogenannter ,, Empfindungen" zusammensetzt, oder, um objektiv zu sprechen, daß ihr eine Reihe von mechanischen oder energetischen Ereignissen parallel laufe. Unsere neue Form des Parallelismus behauptet ja aber solches nicht. Wenn wir uns einmal einen Exkurs in die Metaphysik gestatten wollen,* d. h. eine Vermutung über den hypothetischen Charakter des Absoluten — was wir uns in ausgedehnterem Maße am Ende dieses Buches gestatten werden — dann können wir sagen, daß die intra- Polemischer Teil. 301 psychische Reihe, oder kurz ,,das Psychische", das ,, Be- wußte", die eine Seite eines gewissen metaphysischen Greschehens ist, dessen andere zur ,, Natur" gehörige Seite, im einzelnen nicht erklärbar, ganz sicherlich nicht irgend einem Mechanischen, sei es auch nur analogien- haft, ähnelt. Metaphysisch gesprochen tritt aber das dem Psychoid und dem Psychischen gleichermaßen ent- sprechende Wirkliche mit dem Wirklichen, welches wir unter der Form des Mechanischen oder Energetischen kennen, in Wechselbeziehung i). Schluß. Unter allen lebenden Körpern in der Natur ist sicherlich einer, dessen vitalistische Autonomie direkt bewiesen werden kann: ,,mein Körper". Sein ,, Psychoid" wird zur intrapsychischen Reihe, sobald der introspektive Stand- punkt an die Stelle desjenigen der Naturwissenschaft tritt. Mit diesen Worten läßt sich das allgemeine Resultat der hier abgeschlossenen Untersuchungen darstellen. Die hier mitgeteilte Beweisführung gegen die Lehre vom psychophysischen Parallelimus, welche auf die durch idealistische Introspektion gewonnene Einsicht in die Diskontinuität der materiellen Kausalität basiert ist, wurde zwar unabhängig von ihr aufgefunden, ehe ich die vor- handene Literatur kannte, ist aber doch nicht ganz neu. Sie finden sehr Ähnliches in Busses Werk ,,Greist und Körper, Seele und Leib", in welchem das ganze Problem des Parallelismus kritisch sehr eingehend mit Rücksicht auf die Ansichten der großen Mehrzahl der Psychologen und Philosophen erörtert ist; und sie finden Ähnliches ^) Insofern das als Mechanismus Erscheinende mit dem „Psychischen" und mit dem Psychoid in Wechselbeziehung tritt, könnte man unseren Parallelismus als Abart der sogenannten „Doppelursachen"- und „Doppeleffekt-theorie" bezeichnen; aber viel ist damit nicht gewonnen, und man darf ja nicht vergessen, daß keines unserer „Doppel"-glieder mechanisch ist. 302 Polemischer Teil. auch in den von Busse nicht erwähnten Schriften L e c - 1 a i r s 1) und B e r g s o n s 2). Was aber, wie ich glaube, neu ist an meiner Ausführung, das ist meine Verknüpfung der unmittelbaren idealistischen Widerlegung des Parallelismus mit der all- gemeinen Lehre vom Vitalismus. Durch die Widerlegung des Parallelismus und durch den Nachweis, daß das handelnde Ich ein elementarer Naturfaktor ist, wird zugleich der Vitalismus bewiesen, wenigstens für einen natürlichen Körper — meinen eigenen. Beachten wir wohl, daß die Widerlegung der paralle- listischen Lehre durchaus nicht bedeutet, daß das Wollen des Ich oder die Manifestationen des Psychoids von den energetischen oder mechanischen Konstellationen im Gehirn unabhängig sind. Wir wissen im Gegenteil, daß hier eine sehr enge wechselseitige Abhängigkeit besteht und wir haben versucht zu zeigen, was sie bedeutet. Abhängigkeit und Parallelismus sind aber zwei sehr verschiedene Dinge. Und jetzt sind wir vorbereitet von psychologischen Erörterungen zu erkenntnistheoretischen überzugehen. ^) Der Realismus der modernen Naturwissenschaft, Prag 1877« 2) S. S. 298 Anm. 2. B. Die Kategorie „Individualität". a) Kategorien überhaupt. Definition. Ich ,, verstehe" den VitaHsmus, denn ,,ich" selbst bin ein vitaHstischer Faktor; ebenso verstehe ich die KausaUtät in der Natur und Ziehen und Stoßen im Besonderen, denn ,,ich" kann mit Teilen meines eigenen Körpers die Prozesse des Ziehens und Stoßens ausführen. Und ich verstehe, was eine unveränderbare Substanz bedeutet mit ihren veränder- lichen Eigenschaften, da ,,ich" mich selbst als eine solche dauernde Substanz fühle, als ein Etwas das unveränderbar ist, trotz der veränderlichen Phänomene, die sich meinem Bewußtsein darbieten. Soweit ist der Vitalismus psychologisch gerechtfertigt, und es würde von diesem Standpunkte aus wohl nur noch eine nähere Analyse dessen erforderlich sein, was mein Verstehen des Vitalismus eigentlich alles einschließt. Ist nun noch eine andere Art direkter und positiver Rechtfertigung des Vitalismus möglich? Mit Bezug auf das Geschehen in der ,,N a t u r", von meinem eigenen Handeln abgesehen, kann, wie mir scheint, eine bloß psychologische Selbstanalyse nur eine ziemlich ungewisse und unbestimmte Einsicht herbeiführen. Das, was ich unmittelbar bei meinem Handeln fühle, gewährt mir zwar einen Schlüssel zum Verständnis gewisser Naturphäno- mene aber das muß doch immer ein bloß analogienhaftes Verstehen bleiben und schließt nicht aus, daß es noch viele Typen von Naturphänomenen gibt, zu deren Verständnis es nicht genügt. 304 I^iö Kategorie „Individualität". Gibt es nun noch einen anderen Weg des „Verständ- nisses" ? Sie alle wissen, was eine ontologische Kategorie ist. Eine Kategorie ist ein Bestandteil des irreduziblen begriff- lichen Schemas, nach welchem die Wirklichkeit Gegenstand für das menschliche Bewußtsein wird. Während Ari- stoteles und die Scholastiker die Kategorien als die unveränderbaren Kennzeichen des Absoluten ansahen, setzten bekanntlich Locke, Hume und Kant den be- greifenden Verstand an die Stelle dieses Absoluten und über- trugen damit das ganze Problem, mindestens zum Teil, in das Bereich des Subjektiven. Wir können hier natürlich nur wenige Worte über die heutzutage noch durchaus nicht zur allgemeinen Befriedigung gelösten verschiedenen Probleme beibringen, die sich auf die epistemologische Natur der Kategorien beziehen. Eine Kategorie ist ein bestimmter Begriff oder Satz, welcher bei jedem Versuch das Gegebene zu verstehen, in Anwendung kommt. Mir scheint, daß kaum irgend ein Zweifel über das bloße Vorhandensein solcher Kategorien im menschhchen Geiste überhaupt besteht. Selbst Hume und seine modernen Nachfolger würden dieses wohl nicht leugnen wollen, mögen sie auch das System der Kategorien für die bloße Wirkung einer ,, Gewöhnung" oder einer ., Ökonomie" des Geistes halten, welche durch ,, Vererbung" sich befestigt. Wir selbst glauben freilich nicht, daß indi- viduelle Gewohnheit oder Ökonomie imstande sein könnte, den Kategorien das Kennzeichen der absoluten Gültig- keit zu verleihen, welche sie, subjektiv wenigstens, un- zweifelhaft besitzen; eine Art von ,, Vererbung" bezüglich ihrer zuzulassen, würde uns aber widerspruchsvoll er- scheinen, denn der Begriff Vererbung ist selbst ein Ergebnis des kategorialen Begreif ens. Fundamentale Schwierigkeiten. Hier werden wir nun zu einigen schwierigen Erwägungen geführt. Die Kategorien erlauben uns Aussagen über die Die Kategorie „Individualität". 305 sogenannte Objektivität, welche nicht vereint werden können, welche bejaht werden müssen, sobald ihre Bedeutung überhaupt verstanden ist : In diesem logischen Sinne sind sie apriori, d. h. vor gewöhnlicher Erfahrung. Ja der Begriff der Objektivität selbst in seiner Beziehung zur Sub- jektivität beruht auf ihnen. Aber die Kategorien sind nicht im zeitlichen Sinne ,,vor" gewöhnlicher Erfahrung: sie werden während der Vorganges der bewußten Erfahrung erweckt, sind aber logisch a priori, da sie eben doch nur ,, erweckt", nicht aber irgendwie induziert sind. Sie sind unabhängig von dem Betrage der gewöhnlichen Er- fahrung. Soweit sind die Schwierigkeiten nun wohl noch nicht von sehr ernstlichem Charakter. Es tritt nun weiter die Frage auf : Sind die Kategorien inhärente Eigenschaften des bewußten Ich, derart, daß das Ich gezwungen ist, die Gegebenheit ausschließlich mit ihrer Hilfe aufzufassen ? Besitzt das Ich gewisse angeborene Eigen- schaften? Dieser neuerdings nicht sehr glücklich als ,, Psy- chologismus" 1) bezeichnete Standpunkt wurde von vielen der Nachfolger Kants vertreten ; er spielt gegenwärtig eine große Rolle, und es muß zugegeben werden, daß Kant selbst, wenigstens in der ersten Auflage der ,, Kritik", ihm gewisse Zugeständnisse gemacht hat, mögen sich auch seine wesentlichen Absichten in anderer Richtung bewegt haben. Zweifelsohne fühle ich mich gezwungen, das System der Kategorien bei jedem Versuche eines Begreifens des Gegebenen und insbesondere der Natur anzuwenden; ich bin überzeugt, daß es, wenn ich nicht im Besitz dieses Systems wäre, zu gar keiner Erfahrung über Natur kommen 1) Wenn man nur an die übliche Psychologie als induktive Wissenschaft denkt, so ist der Name freilich am Platz, Er ist aber zweideutig, da das Wort „Psychologie" doch auch in einem sehr weiten Sinne gebraucht werden kann; alsdann würde es die Kenntnis von allem, das sich irgendwie auf geistiges Leben bezieht — also auch Epistemologie, Ethik, Ästhetik — einschließen. Driesch, PhilosopMe. II. 20 306 I^i^ Kategorie „Individualität". ürde. Und doch ist, so scheint mir, die psychologistische Theorie als letzte Begründung der Kategorien falsch i). Zwar nicht deshalb ist sie falsch — wie Kant selbst in der zweiten Auflage der ,,Ej:itik der reinen Ver- nunft" annahm, und wie Viele seiner Nachfolger sagen — nicht deshalb, weil auf einer psychologischen Grundlage des Apriorismus unseren aprioristischen Aussagen der Charakter der objektiven Allgemeingültigkeit fehlen würde. Objektive Allgemeingültigkeit im absoluten Sinne ist in der Tat dem menschlichen Geiste unerreichbar; ,,A11- gemein"gültigkeit bleibt für ihn immer eine Sache der sub- jektiven Überzeugung kontrolliert durch die Majorität 2). Die Kategorien garantieren also, obwohl sie ,, objektivieren", doch nicht ,, Objektivität" im absoluten Sinne; diese beiden Abkömmlinge des Wortes ,, objektiv" sind sehr oft ver- wechselt worden. Aber doch ist jede ,, psychologische" Basis des Aprio- rismus, d. h. jede Begründung der Kategorien auf gewöhn- liche ,, Psychologie", ungenügend; ja mehr, sie ist sogar unlogisch, weil alle gewöhnliche Psychologie selbst auf den Kategorien ruht. Wenn man sagt, daß das Ich gezwungen sei, seine katego- rialen Eigenschaften anzuwenden, so wendet man damit ^) Hier und erst recht am Ende des Buches wird der Leser, welcher meine „Naturbegriffe und Natururteile" (1904) kennt, meinen epistemologischen Standpunkt etwas geändert finden. ^) Diejenigen Kantkritiker, welche behaupten, daß Kant selbst seine „transzendentale Deduktion" als zur Widerlegung des „Psycho- logismus" hinreichend angesehen habe, haben meiner Ansicht nach durchaus Recht. Eine andere Frage ist es, ob Kant das durfte. Es scheint mir, daß die ultra- „psychologische" Grundlage der Kate- gorien nur durch die Argumentation unseres Textes und nicht durch Kants transzendentale Deduktion erwiesen W' erden kann, daß sich aber andererseits der Begriff der objektiven Allgemein- gültigkeit lediglich auf einem ganz anderen Wege — der uns am Ende dieses Buches beschäftigen soll — einführen läßt. Mit Kants „Deduktion'' hat objektiv Allgemeingültigkeit sicherlich nichts zu tun; das , »Bewußtsein überhaupt" nützt hier nichts; ohne eine weitere Zutat bleibt es meine für mich geltende Fiktion. I Die Kategorie „Individualität". 307 den Begriff der ,, Not wendigkeit" an, welcher selbst ein Bestandteil des mit Hilfe jener ,, Eigenschaften" ge- schaffenen Systems ist ; und das Ich als Träger von Eigenschaften ansehen — gar nicht zu reden von dem Ausdruck ,, angeborene" Eigenschaften, der hier gar nicht am Platze ist — würde bedeuten auf das Ich die Kategorien Substanz und Inhaerenz anwenden, welche doch ihrerseits auch einen Teil des kategorialen Systems bilden. So würde man also, um das Wesen der Kategorien zu erklären, auf der Basis des Psychologismus gewisse Kate- gorien selbst anwenden! Das Ich als ,, Substanz" ist das Ergebnis meines kategorialen Begreif ens, und der Aus- druck ,,Grezwungensein" hat eine verständliche Bedeutung nur auf Grundlage des kategorialen Systems selbst. Mein Begreifen der Kategorien kann daher auf keinen Fall auf Psychologie begründet sein i). Was sollen wir nun aber angesichts dieser außer- ordentlichen Schwierigkeit anfangen? Eine besondere elementare Art von ,,Erf ahrung" als Grundlage der Kategorien. Alles, was mir das System der Kategorien über das Ge- gebene auszusagen erlaubt, ist, wie wir wissen, logisch vor gewöhnlicher Erfahrung und daher nicht diese selbst. Wie steht es aber mit meiner Entdeckung des kategorialen Systems oder besser mit dem Faktum, daß ich mir seiner bewußt werde? Die Entdeckung dieses Systems ist ganz sicherlich nicht ,, Erfahrung" in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, nicht ,, Er fahrung im Sinne von Induktion oder Abstraktion ; aber ist sie nicht doch in einem sehr all- gemeinen Sinne ,, Erfahrung" ? Besteht sie nicht darin, daß ich mir eines gewissen Etwas bewußt und von seiner Richtigkeit überzeugt werde ? ^) Wie steht es mit „anderen" Subjekten? Hierüber vergleiche man den gleich folgenden Abschnitt ß. 20* 308 ^^^ Kategorie ,, Individualität". Kant gründete seine Tafel der Kategorien auf die verschiedenen Formen der Urteile; die Urteile sah er gewissermaßen als objektivierte Vernunft an. War es nun nicht eine gewisse Art von „Erfahrung", daß er die Über- zeugung von der Möglichkeit eben dieser Formen der Urteile gewann ? Und würde es nicht auch eine gewisse Art von ,, Erfahrung" sein, unmittelbar durch Selbstanalyse zu entdecken, welche Arten elementarer Begriffe und Be- ziehungen hinsichtlich des Gegebenen für meinen Geist ganz unvermeidlich sind? So dürfen wir denn, meine ich, in sehr unbestimmter Form doch sagen, daß das System der Kategorien sich mir durch eine unmittelbare ,, analytische Erfahrung" enthüllt, freilich durch eine Erfahrung von durchaus elementarer und irreducibler Art. Diese Art von ,, Erfahrung" behauptet einfach: ,,die Kategorien gelten so, wie sie sind", und sie drückt gleichzeitig die Überzeugung aus, daß alle Wissen- schaft, einschließlich der Psychologie, auf den Kategorien ruhe, und daß selbst solche Begriffe wie „Ich"' „Subjekt nnd Objekt", „Wirklichkeit", „Be- gründung" Bestandteile des kategorialen Systems aus- machen 1). Wir werden alsbald eine gute Gelegenheit haben, das hier Gelernte auf einen besonderen Fall an- zuwenden. ^) Von neueren Ausführungen über das Wesen der Kategorien sind diejenigen von Husserl (Logische Untersuchungen, Band I), Meinong und Nelson (Über das sogenannte Erkenntnisproblem 1908) besonders zum Studium zu empfehlen. — Nelson, als „Neo-Friesianer", ist darum durchaus nicht, wie wohl gelegentlich geglaubt wird, „Psychologist". Übrigens bemerke ich hier ausdrücklich mit Hinblick auf alles folgende Eines: Ich fasse absichtlich den Begriff der „Kategorie" in diesem Werke als weit elementarer auf, als er meiner eigenen Meinung nach ist; nach meiner eigenen Meinung sind gerade die Kategorien der „Relation" in einfachere denkmäßige Bestandteile auflösbar: sie sind, sozusagen, ratio- nalisierbar. Doch würde ein Eingehen auf diese logischen und ontologischen Fragen den an sich schon hinreichend zusammen- Die Kategorie „Individualität". 309 Einige Bemerkungen über Kategorien und gewöhnliche Erfahrung. Während des bewußten Stromes der unmittelbaren Ge- gebenheit werden die Kategorien, mittels der eben beschrie- benen irreduziblen Form der ,, Erfahrung", aufgefunden; wenn sie aber einmal erworben worden sind, dann sind sie fähig, ihrerseits das bewußte Subjekt zu leiten und auf diese Weise seine gesamte weitere gewöhnliche Er- fahrung in ein System zu bringen ; denn wir verstehen das Gregebene nur, soweit es kategorial formuliert ist. Die Kategorien werden auf diese Weise axiomatisch. Alle Be- griffe und Sätze der Wissenschaft, welche sich auf das kategoriale System gründen, oder wenigstens soweit sie es tun, sollten in der Tat Axiome heißen ; das Wort ,, Postulat" sollte für gewisse Annahmen mit Bezug auf die zufällige Konstellation der Gegebenheit reserviert werden, wie später noch ausgeführt werden soll. Wir können auch sagen, daß die Kategorien wissenschaftliche Aufgaben schaffen, mögen diese Aufgaben leicht oder schwer oder gar nicht lösbar sein. Die Theorie der Materie ist ein gutes Beispiel einer gewissermaßen halbgelösten kategorialen Aufgabe, es wird für unsere weiteren Untersuchungen von Wichtigkeit sein, im Gedächtnis zu behalten, daß kategoriale Aufgaben und ihre Lösung zwei sehr verschiedene Dinge sind. Die Natur der Kategorien selbst schließt aber das Vertrauen ein, daß diese Lösung nicht unmöglich ist. Das Problem des Systems der Kategorien. Die weitere Frage tritt nun auf : Läßt sich irgendeine Beziehung unter den einzelnen Konstituenten des kate- gorialen Systems aufweisen ? Mit anderen Worten : Ist dieses gesetzten Gegenstand unserer Untersuchung nur noch mehr kom- plizieren; und zwar in unnötiger Weise, soweit die eigentliche Philosophie des Organischen in Betracht kommt. Diese mag immer hin mit dem Begriff „Kategorie", als mit einem let en, arbeiten; ihr Wesentliches kann sie auch so ausdrücken. 310 Die Kategorie „Individualität". System ein wirkliches ,, System", ist es ein Ganzes? Kant selbst machte keinen Versuch zu zeigen, daß nur diese Arten von Kategorien und keine anderen existieren können; seine ,, Deduktion" führt nur den Beweis der allgemeinen Tatsache, daß sie in den verschiedenen Formen des Urteilens zutage treten, und daß sie die Vorbedingungen der Erfahrung in gewöhnlichem Sinne sind. Hegels auf seine dialektische Methode begründetes System der Kate- gorien bietet ebenfalls keine Garantie für Vollständigkeit und trennt auch elementare und abgeleitete kategoriale Begriffe nicht genügend i). Es ist aber ohne Zweifel eine der Hauptaufgaben der Philosophie der Zukunft ein ratio- nelles System der Kategorien an die Stelle der gegenwärtig allein vorliegenden rein aggregativen Systeme zu setzen. Wir gehen nun dazu über, die Theorie des Systems der Kategorien mit besonderer Bezugnahme auf unsere biophilosophischen Zwecke zu studieren. Dazu brauchen wir eine vollständige Kenntnis dieses Systemes, mag sie auch noch so wünschenswert sein, nicht; uns genügt die Erörterung von zwei Erlassen der Kategorien, von den- jenigen der Relation und der Modalität in der Sprechweise Kant s 2). ß) Die Kategorie der Notwendigkeit. Sagen wir zunächst einige Worte über eine Kategorie der letztgenannten Klasse, welche uns an der Spitze aller zu stehen scheint, und welche wir von beschränkterem Stand- punkt aus bereits früher erörtert haben : Notwendig- keit oder eindeutige Bestimmtheit. ^) Gleiches gilt von den Systemen Hart mann s und Cohens und von vielen anderen geringerer Bedeutung. '^) Hiermit wollen wir nicht etwa unsere Zustimmung zu Kants Kategoriensystem aussprechen. Zunächst einmal würden wir ihm nicht zugeben, daß seine vier Hauptklassen einander ko- ordiniert seien. Doch dürfen wir hier unser Thema durch Auf- rollen des Kategorienproblems in seiner Gesamtheit nicht unnötig komplizieren. Die Kategorie „Individualität". 311 Alles, was ist, ist notwendig, mag es sich mittelbar oder unmittelbar von anderen Notwendigkeiten herleiten. Dieses Axiom, welches im Begriff der ,, Funktion" im weitesten, sozusagen metamathematischen Sinne zum Ausdrucke kommt, und mit dem logischen Prinzip der Identität verknüpft ist, umfaßt alle anderen. Es ist daher auch viel weiter als die Axiome der Substanz-Inhärenz, der Kausalität usw., kurz als irgend eine axiomatische Aussage mit Bezug auf irgend eine besondere Art der Be- ziehung. Wir wissen es bereits und brauchen es hier nicht zu wiederholen, daß der Vitalismus in jeder seiner Formen diesem Axiome unterworfen ist. Das fundamentale Paradoxon. Notwendigkeit aber bezieht sich nur auf Gegebenheit. Hier kommen wir nun zu einem sehr wichtigen Punkte, den wir bereits bei unserem Studium des allgemeinen Wesens der Kategorien zur Erörterung brachten. Mein ,,Notwendigkeit-denken" kann nicht als ,, not wendig" an- gesehen werden, und eben daher kann das kategoriale System sich nicht auf gewöhnliche Psychologie gründen — es ,, gründet" sich überhaupt nicht, es ,,ist". Hier begegnet uns nun eine sehr seltsame Antinomie: ,,mein Denken", als bewußter Akt, ist der Notwendigkeit nicht unterworfen, sondern schafft Notwendigkeit; aber ,,Ihr Denken" und, seltsam zu sagen, mein eigenes ,, Gedachthaben" sind Ele- mente meiner phänomenalistischen Gegebenheit und können sogar sehr wirkliche Elemente der Natur sein, z. B. in Form eines Buches. Mein ,, Gedachthaben" und ,,Ihr Denken" sind daher mit Rücksicht auf ,,mein Denken" notwendig und eindeutig bestimmt. Ist nun deshalb ,,mein Denken", ist irgend eine meiner ,, Handlungen" als gegenwärtiger und wirklicher Handlungen, frei? Bei früherer Gelegenheit bemerkten wir, daß das Psychoid deshalb nicht , in seinen Manifestationen frei sei, weil es ein Element der Natur ist; 312 I^ie Kategorie „Individualität". damals beschäftigten wir uns mit den Psychoiden anderer, gegenwärtig aber beschäftige ich mich mit mir selbst, nicht einmal mit meinem Psychoid, sondern mit ,, meinem Denken". ,, Freiheit" ein negativer Begriff. Dieses Buch ist natürlich nicht der Ort dazu, das philo- sophische Urproblem eingehender zu erörtern, und so sage ich hier denn nur, daß wir meiner Meinung nach von der ,, Freiheit" meines Denkens oder irgend eines meiner geistigen Akte in einem negativen Sinne, im Sinne der ,, Nicht-Notwendigkeit" sprechen dürfen. Unsere Vernunft ist aber unfähig, irgend etwas Positives unter diesem Ausdrucke zu verstehen. Wir sind nämlich in einem derartigen Grade an ein Begreifen unter der Form der Not- wendigkeit gebunden, daß sogar, wie wir schon sagten, mein eigenes ,, Gedachthaben", sobald es der Vergangenheit angehört, als notwendig angesehen werden muß. Wir be- trachten eben daher mein ,, Gedachthaben" so, als wenn das natürliche Äquivalent meines Ich, mein Psychoid, den zureichenden Grund für dasselbe enthalten hätte, obwohl wir in Wahrheit über diesen zureichenden Grund erst nach seiner Verwirklichung etwas wissen. Und das gilt auch für alle Manifestationen der Psychoide ,, Anderer": immer erst post factum wissen wir etwas über den Grund ihrer Manifestationen; besser gesagt: wir verlegen die vollendete Tatsache auf eine ,, Fähigkeit" des Psychoids zurück und sagen alsdann, daß diese Tatsache ,, notwendig" war auf Grund eines Etwas, von dem wir in Wirklichkeit vorher gar nichts wußten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unsere Vernunft in dieser Weise begrenzt i s t i). ^) Ich verweise hier auf Bergsons tiefgehende Analyse der „liberte". Gelöst freilich hat meines Erachtens auch er das Problem nicht, denn ,, Intuition" ist keine legitime Lösung; sagt er doch selbst, daß wir alle als Platoniker geboren seien. Auch sein „elan vital" muß kategorial gefaßt sein, wenn er überhaupt scharf ge- faßt sein soll. Die Kategorie „Individualität". 313 Der Begriff der Freiheit entzielit sich daher der Analyse durchaus i), denn ,, Analyse" würde ja schon eine Unter- ordnung unter den Notwendigkeitsbegriff bedeuten. T) Die Kategorien der Beziehung. Unsere endgültige Auffassung des Vitalismus wird sich auf ein Studium der Kategorien der Relation gründen; damit treten wir in den wichtigsten Teil unseres gesamten bio-philosophischen Systems ein. Schon in einem früheren Abschnitte dieser Vorlesungen haben wir gelernt, daß die Entelechie zwar nicht Substanz im eigentlichen Sinne des Wortes und erst recht nicht im Sinne der Wissenschaft vom Anorganischen ist, daß sie aber doch einer ,, Substanz" ähnelt, insofern als sie dauert trotz ihrer Veränderungen; und wir haben auch gelernt, daß die Entelechie zwar nicht Kausalität im eigentlichen Sinne des Wortes ist, daß sie aber der ,, Kausalität" insofern ähnelt, als sie Veränderungen in der Natur mit eindeutiger Not- wendigkeit bestimmt. Wir können sagen, daß die Ente- lechie Kausalität und Substanz, aber auch noch mehr ist, 1) Nirgends läßt sich die Antinomie im Begriffe der Not- wendigkeit besser einsehen als auf dem Gebiete des Ethischen. Ich weiß, daß meine vergangenen Handlungen eindeutig bestimmte waren ; und doch fühle ich mich beim Handeln frei und kann über meine vergangenen Handlungen das urteil fällen: ,,sie hätten nicht sein sollen"; kurz: ich fühle mich verantwortlich. Und ich mache andere für ihr Handeln verantwortlich, obwohl ich weiß, daß ihre Handlungen notwendig w^aren. Freilich gilt mit Rück- sicht auf andere ein „Verzeihen" auf Grundlage der Unabänder- lichkeit gewöhnlich als ein Zeichen hohen moralischen Standpunktes, und so mag denn in dieser Hinsicht die Antinomie als gelöst er- scheinen. Aber ist es auch moralisch, wenn ich mir selbst verzeihe ? Fast alle Moralphilosophen haben die Lösung der Antinomie auf metaphysischem Gebiete gesucht. In der Tat erscheint keine andere Lösung als möglich. Persönlich bekenne ich, daß mir die Lösung Schopenhauers von allen die beste zu sein scheint. In gewisser Hinsicht, freilich nur bezüglich des Ausgangspunktes, ist diese „Lösung" mit derjenigen Kants identisch. 314 I^iß Kategorie „Individualität". daß der Begriff Entelechie seinem Inhalte nach die Begriffe Kausalität und Substanz einschließt, daß heißt mitsetzt — ebenso wie ja Kausalität für sich genommen Substanz begriffsinhaltlich einschließt, da sie sich nicht denken läßt, ohne einen trotz allen Wechsels dauernden Träger. Was ,,ist" nun die Entelechie im Sinne des Kategorien- systems ? Kein Platz scheint für sie freigelassen zu sein, wenigstens nicht in dem Kategoriensysteme Kants, in welchem die sogenannte ,, Wechselwirkung" den dritten und letzten Platz unter den Kategorien der Relation einnimmt. Introspektive Psychologie und die Kategorien Substanzund Kausalität. An erster Stelle wollen wir jetzt etwas eingehender den Weg studieren, auf dem die Kategorien Kausalität und Substanz zum Bewußtsein kommen und ihren Wert für die Wissenschaft gewinnen. Wie wir wissen, ermöglichen die Kategorien ,, Er- fahrung" mit Bezug auf alles Gegebene, mit Ausnahme ihrer selbst : sie selbst werden auf eine unmittelbare und irreducible Weise ,, erfahren", während wir uns der Gegebenheit be- wußt werden. Die Kategorien schaffen also Natur, inso- fern die letztere ein Kosmos und nicht ein Chaos ist; die Wissenschaft bringt den Kosmos in ein System. Nur durch einen beschränkten Betrag unseres Bekanntwerdens mit der Gegebenheit werden die Kategorien zum Bewußtsein ge- bracht; sobald sie aber zum Bewußtsein gebracht worden sind, leiten sie das Bewußtsein in aller künftigen Erfah- rung des Gegebenen : so wird die Systematisierung der Natur mit Hilfe der Kategorien ein ,, Problem". Psychologische introspektive Erfahrung ist es, welche, die Kategorien zwar nicht schafft, sie aber doch un- mittelbar erweckt. Die Kategorie der Substanz wird auf diese unmittelbare Weise dadurch dem Bewußtsein zugeführt, daß es die Dauer des Ich trotz des Wechsels der einander folgenden bewußten Zustände erfährt; der Kate- Die Kategorie „Individualität". 315 gorie der Kausalität werde ich mir bewußt, wann immer ich fühle, daß ich durch die Bewegung von Teilen meines Körpers, welcher selbst ein Körper in der Natur ist, Naturkörper bewege. Auf die Beziehungen von Körpern in der Natur unter einander, ohne Beziehung auf meinen Körper, werden nun die Kategorien Substanz und Kau- salität im Anfang nur analogienhaft angewendet ; die psychologische Selbsterfahrung wird so das verknüpfende Glied zwischen den Kategorien und der objektiven Natur. Ein Körper stößt den anderen, so sagen wir, weil er eine ,, bewegende Kraft" besitzt, ebenso wie ,,ich", eine solche ,, Kraft" besitze. Erst allmählich werden die Kategorien unmittelbar auf die äußere Natur angewandt ; erst allmählich also werden sie wahrhaft als ,, Kategorien" ange- wandt. Die theoretische Mechanik hat sich in der Tat in hohem Grade von der psychologischen, sogenannten anthropomorphistischen Verknüpfung zwischen den Kate- gorien und der äußeren Gegebenheit befreit. Die Kategorie der Substanz ist auf diese Weise die Grundlage aller Materientheorien geworden, die Kategorie der Kausalität wurde die Grundlage der Energetik und der Dynamik in jeder ihrer Formen, sei sie klassisch oder elektro- dynamisch. Wir wissen, daß die Kategorie der Kausalität hier derart formuliert werden muß, daß sie Substanzialität in gewissem Sinne einschließt, obschon sie mehr als die letztere ist i). Die Tatsachen der anorganischen Welt können sich rühmen, auf diese Weise mit Hilfe der Kategorien Substanz und Kausalität ,, verstanden" zu sein, wobei das Wort „verstehen" jetzt in einem höheren als bloß psycholo- gischen Sinne gebraucht werden darf. ^) Wir wiederholen bei dieser Grelegenheit, daß „Energie" nicht Substanz, sondern nur ein 3Iaß von Kausalität ist (vergl. S. 160 ff,). Die Substanz, an der Kausalität sich äußert, würde gleich den letzten Einheiten der Materie sein. 316 Die Kategorie „Individualität", Das Problem einer neuen Relationskategorie. Haben wir nun keine kategor ialen Mittel, um den Vitalismus in derselben Weise zu verstehen, wie wir die Mechanik oder Energetik verstanden haben ? Würden unsere analytischen Erörterungen über Vitalismus und Entelechie überhaupt möglich gewesen sein, wenn wir solche kategorialen Mittel nicht besäßen? Die Frage schon scheint einen Schlüssel zu ihrer Lösung dar- zubieten. Es scheint mir, daß wir hier einem sehr folgeschweren Mangel des Kategoriensystems von Kant begegnen. Um es kurz zu sagen: Unter den Kategorien der Relation muß an Stelle seiner ,, Gemeinschaft" oder ,, Wechselwirkung", welche nur eine Art von Erläuterung zur Kausalität ist, eine ganz andere Art von Kategorie treten, und eben diese neue Kategorie muß uns die wissenschaftliche Analyse des Lebens gestatten. In der ,, Kritik der Urteilskraft" hat ja Kant freilich den Begriff ,,Teleologie" sehr eingehend erörtert, er sah Teleologie aber nicht als eine Kategorie an, sondern schrieb ihr nur eine ,, regulative", nicht eine ,, konstitutive" Bedeutung zu. Daß das verkehrt war, zeigen wir am besten durch den Nachweis dessen, was richtig ist. Kant war mit Rücksicht auf die Probleme des Lebens noch viel zu sehr ein Kartesianer. Eduard von Hartmann ist, soviel ich weiß, der einzige Philosoph, welcher ausdrücklich die ,,Finalität" als dritte wahre Kategorie der Relation aufstellte. Doch wollen wir unsere Ausführungen von den Erörterungen und der Terminologie dieses Autors unabhängig gestalten i). ^) Dieses Kapitel war bereits geschrieben, als ich aus der „Logik der reinen Erkenntnis" Cohens ersah, daß auch dieser Autor die Begriffe „Zweck" und „Individuum" als echte Kategorien auffaßt. Er zieht aber meines Erachtens nicht die Schlüsse, die aus solcher Auffassung gezogen werden müssen, und seine Theorie des Organischen geht daher nicht über eine Abart des Kantia- Die Kategorie „Individualität". 317 Schon in rein beschreibender Weise aufgefaßt, bezieht sich, wie wir wissen, ,,Teleologie" im Gegensatze zur Kau- sahtät nie auf einzelne Naturphänomene als solche, sondern stets auf die räumliche oder zeitliche Kombination von Phänomenen in ihrer Besonderheit. Wir fragen ,,wozu?", sobald wir irgend etwas sich ereignen sehen, das auf ein typisch kombiniertes Ganzes Bezug hat, ,, typisch", entweder mit Rücksicht auf irgend eine Art von Symmetrie, oder weil es in unbegrenzt vielen Exemplaren da ist. Wir stellen diese Frage — insonderheit der Mann aus dem Volke stellt sie — weil wir wissen, daß es wenigstens einen elementaren kombinierenden Naturfaktor gibt : unseren eigenen Willen. Was anderes bedeutet das aber als dieses: unsere Erfahrung bezüglich dieses einen Eaktors hat eine gewisse Kategorie in unserem Bewußtsein erweckt, welche nun nach weiterer Anwendung verlangt, ganz ebenso wie die Kategorien Substanz und Kausalität, welche anfänglich auch der introspektiven Psychologie allein angehörten. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung von Interesse, daß bei primitiven Völkern und beim Kinde die hier in Rede stehende neue Kategorie eine weit größere Rolle als die Kausalität spielt : von ihnen werden alle Natur- tatsachen, die sich auf irgend eine Art von Konstellation beziehen, so aufgefaßt, als ob sie elementaren Willens- prinzipien ihren Ursprung verdankten, als ob sie in jedem Falle Glieder irgend einer Konstellation wären, auf welche hin sie geschehen. In dieser Weise wird die Natur ,, beseelt" ; später gewinnt die Kausalität vor der neuen Kategorie einen Vorsprung, ja verdrängt sie wohl gar vollständig, wenigstens in der sogenannten Wissenschaft. Kann sie aber diesen Vorsprung im praktischen Leben behaupten ? Selbst ein überzeugter Materialist pflegt doch seine Eltern, Freunde und Kinder nicht als mechanische Systeme anzusehen. nismus hinaus; mechanische Kausalität bleibt das letzte wirkende konstitutive Naturprinzip, auf Basis der beiden organischen Kate- gorien werden von Cohen nicht wie von uns Naturageutien einer neuen besonderen Klasse geschaffen. 318 Die Kategorie „Individualität". Wenn es nun aber im Wissen um den eigenen Willen ein Feld der Anwendungsmöglichkeit für eine neue, ihre eigene intellektuelle Aufgabe in sich tragende Kategorie gibt, warum sollen wir da nicht so streng wie möglich die eigentliche Wissenschaft dieser Kategorie for- mulieren ? Ich denke nun, wir haben mit dieser Arbeit bereits begonnen. b) Die Kategorie „Individualität". Geleistete Vorarbeit. Als wir in dem letzten Kapitel durch unmittelbare introspektive Analyse das eigene Handeln studierten, formulierten wir in wissenschaftlicher Weise gewisse Tat- sachen, welche jedes menschliche Wesen kennt; eben dadurch zeigten wir, wie mit Hilfe der introspektiven Psychologie die neue Kategorie für das Bewußtsein erweckt wird. In unseren sogenannten indirekten Beweisen des Vitalismus andererseits ermittelten wir gewisse Kon- stellationstypen unter den Phänomenen der Natur, welche neben der Substanz und Kausalität nach der Anwendung einer neuen Kategorie der Relationen ver- langen, wenn anders sie überhaupt verständlich sein sollen. Was haben wir denn in unserer Erörterung der ,, Diffe- renzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme" eigentlich geleistet? Wir formten ans das Problem wie eine mathe- matische Gleichung, und indem wir die wahre Natur des Problems studierten, fanden wir seine Lösung. Eine gewisse ,, Unbekannte", unser Faktor E, wurde eingeführt, als wenn sie bereits gefunden sei, und alsdann ermittelte unsere Analyse, was diese Unbekannte bedeuten könne und was nicht. Sie erwies sich als irreducibel und autonom, nicht als ein Aggregat von Extensitäten. Das waren alles negative Kennzeichen und konnten in der Tat im Bereiche der Kate- gorien ,, Substanz" und ,, Kausalität", als der notwendigen Die Kategorie „Individualität". 319 Beziehungen zwischen Veränderungen in der räumhchen Natur, nur negative Kennzeichen sein. Nachdem nun die psychologische introspektive Selbst- analyse eine neue Kategorie erweckt hat, wird aus dem Negativen Positives. Ein positiver Begriff wird jetzt die Entelechie, geschaffen auf Grund der neuen Kategorie, die uns noch fehlte. Jetzt ,, verstehen" wir die Entelechie auch epistemologisch; und die letzten Ergebnisse unserer indirekten Beweise des Vitalismus — welche Be- weise übrigens durch die Einführung der neuen Kategorie durchaus nicht überflüssig gemacht werden — gewinnen ihre eigentliche verständliche Bedeutung auch erst in diesem Augenblick, in welchem es uns gelingt, die Entelechie auf eine Kategorie eigener Art zu basieren. In Wahrheit haben wir ja das von unserer neuen Kategorie gestellte Thema bereits verarbeitet, ohne uns dessen ganz bewußt zu sein. Wir haben ja gerade die Frage studiert, ob auf diesem speziellen Gebiete der Natur eine gewisse neue Kategorie in Frage komme oder nicht: das schloß aber den halbbewußten Begriff der neuen Kate- gorie bereits ein. Wäre dem nicht so, so wäre es überhaupt unmöghch gewesen, das ganze Problem bezüglich des mechanischen oder nichtmechanischen Charakters des Lebens auch nur zu formulieren! Ja, ich scheue mich nicht zu sagen, daß auch die Mechanisten unter der Fahne der neuen Kategorie, deren Existenz sie leugnen, arbeiten! Auch sie wissen, daß es eine gewisse Mani- festation dieser Kategorie gibt — sie wissen es aus sich selbst — und sie fragen dann: ,,Ist diese Kategorie auch sonst noch irgendwo am Werk ?" Sie m ö c h t e n sie nicht gern anderswo finden; daß sie solches aber als möglich ansehen, zeigt sich in der bloßen Tatsache, daß sie diese Möglichkeit überhaupt erörtern: das würde ja sonst sinnlos sein! ,,Individualität." Ich schlage vor, der neuen Kategorie, welche wir hier studieren, den Namen Individualität oder Kon- 320 -f^i^ Kategorie „Individualität". struktivitätzu geben i). Dieser Name bedarf einiger Worte der Rechtfertigung und Erklärung. Er wurde ge- wählt, um das Wesen der neuen Kategorie so wenig psycho- logisch und anthropomorphistisch wie möghch erscheinen zu lassen. In der Tat : Wenn wir sagen, daß ,, Individualität" zu individuellen Konstruktionen führt und in sich elementar ist, so geben wir der Rolle unserer Kategorie wohl den klarsten Ausdruck. Irgend eine besondere Kategorie müssen wir zur Verfügung haben, um überhaupt im- stande zu sein, über spezifische und typische konstruktive Ganzheiten systematische Erfahrung zu machen ; ohne solche Kategorie wäre eine Erfahrung hier überhaupt unmöglich 2). Eben deshalb ist ,,Indi- ') Am Ende des ,, Beweises'" seiner ,, Dritten Analogie der Erfahrung" verwendet Kant das Wort „Komposition" an Stelle von ,, Gemeinschaft" oder „Wechselwirkung". Sieht es nicht aus, als habe er hier die wahre dritte Relationskategorie erfaßt? 2) Für eine wirkliche „Deduktion" der Kategorie „Indivi- dualität" im K an tischen Sinneist hier nicht der Ort. Ich bemerke nur, daß sich für sie unschwer, ebenso wie für die anderen Kate- gorien, eine Beziehung zu einem gewissen Typus der unter dem Gesichtspunkte der Relation betrachteten Urteile — oder besser, wie Marcus will, zu den in den Urteilen enthaltenen ,, logischen Momenten" — gewinnen lassen möchte, daß sich also, umgekehrt, auch die neue Kategorie auf demselben Wege gewinnen läßt, auf dem Kant seine „Tafel der Kategorien" gewann. Die Typen der Urteile, insonderheit der Relationsurteile, müßten aber für diesen Zweck vollständig in Erwägung gezogen werden. Seltsamerweise haben solches weder Kant selbst noch die Kantianer getan: das finale Urteil (,,damit", ,,in order that", „afinque") wurde stets übersehen; und doch ist es irreducibel! Das disjunktive Urteil, das überhaupt nicht zu der Gru]3pe der Relationsurteile gehört, nahm fälschlich seine Stelle ein. Man vergleiche aber zu dem hier Gesagten den Schluß von Anm. 1 auf Seite 308! Übrigens darf nicht vergessen werden, daß die Kantische „Deduktion" der Kategorien aus den Urteilsformen durchaus nicht etwa eine „Ableitung" derselben ihrem Da- und Sosein nach aus einem als notwendig gesetzt erkannten Prinzip bedeutet (vgl. S. 310); eine solche Ableitung haben erst Kants Nachfolger versucht, aber auch nicht befriedigend geleistet. Die Kategorie „Individualität". 321 vidualität" nicht weniger ,, konstitutiv" als Kausalität. Die Konstruktion an sich mag räumlich oder zeitlich oder beides sein ; d. h. die Gesamtheit der Konstruktion kann eine typische Ordnung von Elementen im Raum oder in der Zeit sein oder in beiden; ihr logischer Charakter bleibt in jedem Falle die Konstruktion individueller Ganzheit trotz der Zusammensetzung dieser Ganzheit aus Teilen, und eben in der Möglichkeit den Begriff solcher Ganzheit zu fassen, zeigt sich die neue Kategorie in ihrem Da- und Sosein. Das Ganze und die Teile. Auch mit Hilfe des aristotelischen Begriffspaares ,,das Ganze und die Teile" läßt sich das logische Wesen unserer Kategorie ,, Individualität" sehr gut und zugleich etwas anders als bisher darstellen. Da es wünschenswert ist, daß unser neuer Begriff von so vielen Seiten als nur irgend möglich betrachtet werde, erläutere ich seine Be- deutung hier auch noch in Kürze unter Verwendung dieses neuen Hilfsmittels. Wenn ein Gegebenes in der Natur sich als immer wieder- kehrende, typisch aus Teilen zusammengesetzte Einheit erweist, so ist es, wie wir wissen, darum zunächst nur im unbestimmt-deskriptiven Sinne teleologisch, aber noch nicht mehr. Ein Gegebenes, das eine typisch zusammengesetzte Einheit darstellt, ist aber dann mehr als nur teleologisch beurteilbar, eine neue Kategorie, unsere Individualität, muß dann zum eindeutigen Verstehen des Geschehens an einem solchen Gegebenen in Anwendung kommen, wenn ein Nicht vorha-ndensein von Teilen eines zusammen- gesetzten Ganzen das Wiedervorha-ndensein dieser Teile und damit des Ganzen als ,, Ganzen" nach sich zieht, ohne daß doch dieser Prozeß des Wiederauftretens der Teile auf präexistierende Einzeiursachen bezogen werden könnte. Eben dann muß ein Teil ordnender Naturfaktor geschaffen werden, zu dessen denkmäßiger Kennzeichnung der Begriff des Ganzen gehört. Driesch, PMlosopliie. II. - "^ 322 -Die Kategorie „Individualität". Das hier Ausgeführte paßt ohne weiteres auf die Lehre von der Differenzierung harmonisch-äquipotentieller Sy- steme. Es paßt aber auch auf die Handlung: auch jede Handlung ist Setzung des Vorhandenseins eines Ganzen durch ordnende Setzung von Teilen; die Setzung erfolgt auf Grund eines Agens, des Psychoids, zu dessen Kennzeichnung der Begriff des Ganzen in Anwendung kommt. Mit dem disjunktiven Urteil, auf das Kant mit Un- recht seine ,, Wechsel Wirkung" beziehen wollte, hat das Begriffspaar ,, Ganzes und Teile", ebenso wie auch unsere Individualitätskategorie, gar nichts zu tun. Das dis- junktive Urteil ist, wie bei früherer i) Gelegenheit gezeigt ward, die Grundlage aller rationellen Systematik, soweit Koordination bei ihr eine Rolle spielt; ein A ist hier ,, ent- weder" Ai ,,oder" A2 ,,oder" A3 u. s. f.; hierbei sind, wenn A im Individualsinne ein Ganzes ist, auch Ai, A2, A3 u. s. f. Ganze. Natürlich können nun auch ,, Teile" eines ,, Ganzen" Glieder einer vollständigen oder unvollständigen Disjunktion sein: ein Körperteil des Menschen ist Kopf ,,oder" Rumpf ,,oder" Arm ,,oder" Bein. Was hier aber dis- junktiv neben einander gestellt ist, sind Teile des Körpers als koordinierte Spezies des Genus ,, Körperteil": daß und wie diese ,, Teile" ein Ganzes ausmachen, kommt gar nicht in Frage, obschon sich aus dem Begriff des Ganzen, wenn man ihn hat, rein erfahrungsgemäß über Vollständigkeit oder Un Vollständigkeit der Disjunktion entscheiden läßt. Wie so oft, kann hier die Sprache der Logik gefährlich werden. Nochmals also: Ein Raubtier ist Hund ,,oder" Ka,tze ,,oder" Bär ,,oder" sonst etwas; ein Raubtierkörperteil ist Kopf ,,oder" Rumpf ,,oder" Bein — dieses alles sind Anwendungen des reinen Disjunk- tionsbegriffes, d. h. Systematisierungen. Daß aber das Raubtier jeder Art ein aus seinen Teilen bestehendes Ganzes ist, tritt als etwas logisch vollkommen Neues zu jenen Disjunktionen oder Koordinationssystematisierungen hinzu. 1) Vgl. Bandl S. 247 £f. Die Kategorie „Individualität". 323 Beruht doch übrigens auch alle systematische Subordi- nation nicht auf Disjunktionen. ,,rinalität", eine Uj^nterklasse der Individualität. Bekanntlich bedarf der kategoriale Begriff der Kau- salität, nachdem er zuerst in Form der Fähigkeit zu ziehen und zu stoßen erweckt wurde, eines guten Teiles logischer Reinigung, damit er für die Naturwissenschaft brauchbar werde; schließlich erscheint Ziehen und Stoßen nur als eine Unter klasse der Kausalität. So steht es nun auch mit der Kategorie Individualität: sie bedarf sozusagen wissenschaftlicher Reinigung ; Anthropo- morphismen müssen entfernt werden; schließlich erscheint dann die besondere Art von ,,Konstruktivität", die ich von mir selbst durch Introspektion kenne, nur als eine Unter- klasse, ganz wie bei der Kausalität. Diese Unterklasse konstruktiver Individualität nun, welche bei meinem Handeln auftritt, verdient allein im engeren Sinne Finalität oder Zweckmäßigkeit oder Teleologie genannt zu werden: nur hier wird das ,,Finis" bewußtermaßen in klarer und deutlicher Weise voraus- genommen, und nur hier ist es für den besonderen Typus jeder einzelnen Phase der Leistung des individuellen Faktors verantwortlich. In gewissem Sinne könnten wir wohl auch den Namen ,, Finalität" auf jede einzelne Leistung inmitten einer dem Handeln vergleichbaren Totalität von Geschehnissen anwenden i). In diesem Zu- ^) Bergson (L'evolution creatrice) leugnet den ,,finalisme radical", wobei dieser Ausdruck, soweit ich sehe, im Sinne eines allgemeinen, sich auf jedes Einzelne erstreckenden Planes des Universums verstanden ist. Am Ende dieses Werkes werden wir selbst ähnlich verfahren. Aber Bergson verwirft auch die „finalite*' als ein Prinzip des Lebens: seinen ,.elan vital" setzt er an ihre Stelle — freilich soll dieser „elan'' mehr dem ,,finalisme" als dem Mechanismus ähneln. Unsere ,. Individualität" scheint mir das Problem zu lösen, aber sie muß als wahre Kategorie gefaßt 21* 324 l^iö Kategorie „ludividualität". sammenhang werden Sie sich erinnern, daß wir auf die Formbildungsentelechie die Worte ,, Wollen", ,, Urteilen", und ,, Wissen" ja auch im Sinne beschreibender Analogie angewandt haben. Der Begriff des Zweckes. Hier erhält denn also auch der Begriff Zweck seine eigentliche sozusagen ontologische Bedeutung, welche er aus unserer früheren nur beschreibend orientierenden Er- örterung üb3r Zweckmäßigkeit oder Teleologie noch nicht gewinnen konnte. Psychologisch ist Zweck ein vorgestellter zukünftiger geordneter Zustand, welchen ich durch Handeln erreichen will; zweckmäßig ist jeder einzelne Handlungsakt, welcher diesen Zustand verwirklichen hilft. Da der Zweck mir ,, wertvoll" ist, so wird mir auch jeder zweckmäßige, oder wie ich auch sagen könnte, zweck voller Handlungsakt zugleich ,. wertvoll": der Zweck ist mir ein ,,Wert", womit sogleich das in der neueren Philosophie so beliebte Wort ,,Wert" in psychologischem Sinne definiert ist. Um von Naturgeschehen sagen zu können, daß es in seinen Einzelheiten zweckmäßig sei, muß ich wissen, daß diese Einzelheiten sich einem individualisierten Ganzen einreihen. Die Verwirklichung dieses Ganzen kann ich, wenn ich um seine individualisierte Einheit weiß, zweckmäßig, zweckvoll, ja auch wertvoll nennen, ob mir schon, psychologisch, ihre Verwirklichung keinen Wert zu bedeuten braucht. Tue ich das, so wird der Wertbegriff seines psychologischen Cha^rakters gänzlich entkleidet — freilich kann ich es nur tun auf einer sehr entwickelten werden, was übrigens meines Erachtens von allem dem gilt, was Bergson mittels seiner ,,intuition" auffand. Nur insofern alle Kategorien in gewisser Hinsicht auf „intuition" ruhen, tut das auch die „Individualität". — ßergson hat nur die Phylogenie analysiert; in der Ontogonie hätte er das „le tout est donne" und den Vitalismus zugleich finden können. Vgl. meinen Artikel über Bergson in Zeitschr. f. d. Ausbau d. Entwicklungslehre 5. 1908- Die Kategorie .Individualität''. 325 Stufe meines Wissens um das Naturwirkliclie und sein Gesetz. Hier liegt die Wurzel gewisser Zwiespältigkeiten der Ethik; zugleich liegt hier aber auch ein Weg zu ihrer Lösung. 6) Einige Schwierigkeiten des kategorialen Begriffs „Individualität". Wohlbekannte Schwierigkeiten birgt der ontologische Begriff der Kausalität in sich. Es kann hier natürlich nicht unsere Aufgabe sein, sie alle zu erwähnen, und so mag es denn genügen, Sie an solche Probleme wie die ,, Fernwirkung", den ,,Sitz" einer Kraft, die Zeit zwischen Ursache und Wirkung, die Grenze zwischen zwei Körpern beim Stoß usw. zu erinnern. Die Infinitesimalrechnung ist ganz vorwiegend zu dem Zwecke erfunden worden, um dieser Schwierigkeiten, welche zu einem großen Teil Schwierigkeiten der Raumanalyse sind, Herr zu werden; denn Kausalität bezieht sich immer auf räumliche Ver- änderungen ausschließlich, sowohl Ursache wie Effekt sind räumliche Veränderungen. Wir dürfen uns nun, wie mir scheint, nicht wundern, wenn wir auch bei dem Versuche einer wissenschaftlichen Reinigung unserer Kategorie ,, Individualität" einer großen Anzahl von Schwierigkeiten gegenüberstehen, von Schwierig- keiten freilich, welche von den bei der Analyse der Kau- salität auftretenden sehr verschieden sind. Eine Analogie zu der bloß funktionellen Auffassung der Kausalität. Wenn wir mit einer bloß funktionellen Auffassung der Natur zufrieden wären — was gewisse neuere Autoren zu sein behaupten — , d. h. mit einer Auffassung der Natur, welche bloß aufstellt, von welchen elementaren Natur- faktoren Sein oder Geschehen eindeutig abhängt, ohne 326 I^iö Kategorie „Individualität". verschiedene Arten und Grade der notwendigen Abhängig- keit zu unterscheiden, so würden die uns begegnenden Schwierigkeiten nicht sehr zahlreich sein. Wir hätten dann nämhch nur zu sagen wie folgt: Der ganze Prozeß, durch den die Individualität sich manifestiert, mag Individualisations verlauf heißen. Wir studieren die Frage: Welche Faktoren bestimmen die jeweiligen Ereignisse in einem Individualisations verlauf zu dem gegebenen Zeitpunkt t% Es sei (p (E) der psychoidale oder entelechiale Faktor selbst, E bezeichnet das ,,Ende", und die Funktion (p bezeichne, daß nicht das Ende selbst, sondern etwas, was von ihm abhängt, in Frage kommt; s sei der Zustand des Verlaufs, d. h. derjenige Betrag der gesamten konstruk- tiven Individualität, welcher bereits vollendet ist; a sei eine von außen gesetzte spezifische Änderung dieses Zu- standes. Dann lassen sich die Ereignisse B zurzeit / aus- drücken durch die Formel i): B=f(cp(E),s,a) Wenn gezeigt werden kann, daß sich cp (E) nicht in andere Elemente auflösen läßt, so ist bewiesen, daß ein auf die Kategorie Individualität gegründeter Naturfaktor vorliegt. Das alles besagt nun nicht allzuviel; es ist gewisser- maßen zu summarisch. Keine ,, causa finalis". Wir knüpfen unsere weitere Analyse noch einmal an unsere Formel an. Wir haben geschrieben cp (E) und nicht E; das schließt nun eine sehr wichtige Behauptung ein. *) Diese Formel ist eingehend diskutiert in meiner Schrift „Die Lokalisation morphogenetischer Vorgänge'' (1899) und in meinen „Organischen Regulationen" (1901) vgl. auch P. N. Coss- mann, Elemente der empirischen Teleologie, 1899. Die Kategorie „Individualität". 327 Wir wissen bereits, daß unsere Entelechie zwar der Kausalität ähnelt, aber keine Art von Kausalität ist. Eine Ursache ist immer nur eine Veränderung im Räume, welche eine andere Veränderung im Räume eindeutig bestimmt, deshalb ist Entelechie keine Ursache. Aber wie steht es denn nun mit der berühmten ,, causa finalis" ? Derart steht es mit ihr, daß man sagen kann, ohne weitere Erläuterung sei dieser Begriff vollkommen absurd. Denn zunächst einmal handelt es sich hier gar nicht um eine eigentliche ,, causa" und zweitens müssen wir doch wohl fragen: Wie könnte denn das ,,Ende", welches nicht erreicht ist, sondern erst erreicht werden soll, ein wirkender Faktor sein? Das ,,Ende" freilich macht Entelechie, zu dem was sie ist : es bestimmt z.B. ein Psychoid in seiner aktuellen Spezifizität mit Hilfe der sogenannten Einbildungskraft; aber das „Ende" wirkt nicht; was wirkt, ist dieses: ,,das Ende in seiner Einbildung haben". Entelechie und Kausalität. Ist es nun aber wirklich wahr, daß weder Entelechie noch irgend ein ihr ähnlicher Faktor Kausalität ist ? Es ist wahr auf Grund von Definitionen, und diese Definitionen entsprechen Unzurückf ülirbarem : Kausalität bezieht sich per definitionem nur auf Einzelheiten, En- telechie aber hat es mit der Konstruktion von Komplexen, welche Einheiten sind, zu tun. Und weiter: eine causa ist räumlich wie ihr Effekt, Entelechie ist aber nicht räum- lich, obwohl ihre Effekte räumlich sind. Wir können daher zwar sagen, daß mit Rücksicht auf räumliche Effekte die Kategorie Individualität in gewissem Sinne ,, Kausalität" begriffsinhaltlich einschließe, ebenso wie Kausalität Substanz einschließt, aber eine Identität liegt hier nicht vor. Ganz sicherlich ist also nach allem Gesagten Entelechie nicht etwa ,, Kausalität von hinten gesehen", wie gelegentlich von solchen Philosophen behauptet worden istj welche 328 Die Kategorie „Individualität". Individualität oder Teleologie nicht für eine ebenso wahre Kategorie wie Kausalität ansehen, und welche sie daher nicht zur Aufstellung wahrer elementarer unzerlegbarer Naturagentien verwenden. Wir bekommen nun noch eine bessere Vorstellung von der Beziehung zwischen Individualität und Kausalität,/ wenn wir uns erinnern, daß alle auf der Basis von Indivi- dualität geschaffenen Faktoren, wie unsere Entelechie, intensive Mannigfaltigkeiten sind. Das bedeutet näm- lich, daß sie, obwohl nicht im Räume, zusammen- gesetzt sind, daß aber ihre einzelnen — freilich bloß begrifflichen — Konstituenten als einzelne in den Raum hinein wirken. Mit Bezug auf die einzelnen Manifestationen der einzelnen Kon- stituenten der intensiven Mannigfaltigkeit Entelechie liegt daher in der Tat so etwas wie eine ,, Ursache" vor — freilich eine außerräumliche Ursache. Das Prinzip ,, keine Wirkung ohne Ursache" behält nun seine Gültigkeit: ein Etwas ist in der Tat verantwortlich für diesen einzelnen räum- lichen Effekt hier inmitten irgend einer räumlichen Mani- festation der Entelechie, es handelt sich aber um die Manifestation eines Elementes, das einer zusammen- gesetzten intensiven Einheit zugehört und nicht um das Wirken einer vorangegangenen räumlichen Einzelheit. Und auch das Gegenstück hierzu bleibt wahr : Jede einzelne Veränderung im Raum kann eine ,, Ursache" sein, die ihren ,, Effekt" hat, dieser Effekt aber ist nicht immer wiederum eine räumliche Veränderung. Er kann auch eine Art von Affektion eines einzelnen Konstituenten der Entelechie sein, welche Affektion alsdann irgend eine Art von Mani- festation der Entelechie veranlaßt. So ist die Kette von Ursachen und Effekten lückenlos — aber ein Teil von ihr ist nicht räumlich. Wir können auch sagen: Inmitten der Kette räumlicher Ursachen und Wirkungen der Welt gehen einige Glieder durch Nichträumliches gleichsam hindurch. Wir haben oben den Namen ,,Finalität" zur Bezeich- nung derjenigen Einzelheiten im Bereiche einer Indi- / Die Kategorie „Individualität". 329 vidualitätsmanifestation v^orgeschlagen, welche in der geschilderten Weise die Stelle von Ursachen einnehmen ohne reine und einfache ,, Ursachen" zu sein. Auf diese Weise schließt Individualität Kausalität ein. Der suprapersonale Charakter der Entelechie. .Die Entelechie ist unräumlich, daher ist die Frage ,,wo" sie ist, bedeutungslos. Die Entelechie ist das indivi- dualisierende Agens. Es würde nun aber gerade das Gegen- teil der Wahrheit sein, anzunehmen, daß es ebensoviele Entelechien gibt, wie es Individuen gibt, oder auch nur soviele Arten von Entelechien wie verschiedene Formen oder Typen individueller entelechialer Ma,nifestationen existieren 1). Falsch würde, abgesehen davon, daß es be- denklich ist, auf Unräumiiches den Plural anzuwenden, eine solche Annahme schon aus dem einfachen Grunde sein, weil in vielen Fällen zwei oder mehr Individaen aus einem durch eine künstliche Zert eilung gebildet werden können. Eben deshalb ist die Entelechie, obwohl sie individualisiert, doch selbst supraindividuell oder besser ,,suprapersonar', wie E. V. Hartmann bereits klar erkannt hat 2). Z) Kategorien und Faktoren der „Natur". Ehe wir uns unserer wichtigsten Aufgabe zuwenden, nämlich dem Nachweis, wie die Kategorie Individualität zur Aufstellung einer klaren und deutlichen Gruppe von Agentien oder Faktoren in der Natur dienen kann, muß der Begriff ,, Natur" in seiner Beziehung zu den Kate- gorien überhaupt etwas eingehender betrachtet werden. ^) Wenn trotzdem der Pkiral des Wortes Entelechie gelegent- lich im Text gebraucht ist, so geschah das also nur der sprach- lichen Einfachheit wegen. Der Ausdruck ., Kräfte und Entelechien" bedeutet also z.B. in strenger Sprachweise: „Kräfte und Mani- festationsakte der Entelechie". *) Auch Bergs on erkannte das. Er fügt hinzu, daß jede organische „finalite" ,, externe" sein würde, da sogar in der Onto- genie das Ganze von der Selbstbeschränkung der totipoteuten Teile abhängt. Für den kategorialen Standpunkt verschwinden diese Schwierigkeiten wohl. Yergl. S. 328 Anm. 1, 33Ö I^i^ Kategorie „Individualität". ,, Ideale Natur". Das ,,ontologische Prototyp". Alle elementaren Konstituenten der Wissenschaft sind nach Maßgabe des Kategoriensystems formuliert, jeder derselben entspricht einer bestimmten ontologischen Kate- gorie der Relation. Besonderheiten mit Rücksicht auf Quantität, Qualität, Raum und Zeit dienen dazu, jedem Konstituenten seinen endgültigen Charakter zu geben, und die allgemeinen Begriffe der Wirklichkeit und der Möglichkeit vervollständigen das Bild. So werden die Konstituenten der Natur geschaffen, welche unter den Namen, ,, Masse", ,, Kraft", ,, potentielle Distanzenenergie", ,, Konstante" usw. bekannt sind. Alle diese Beispiele gehören den Wissenschaften vom Anorganischen an; von ontologischen Relationen kommen hier nur die beiden Kategorien Substanz und Kausalität zur Anwendung. Das System aller dieser Konstituenten und ihrer all- gemeinen Beziehungen ist die ,, ideale anorga- nische Natur" in der wissenschaftlichen Bedeutung des Wortes. Die ideale anorganische Natur als Ganzes entspricht der Gresamtheit der möglichen Beziehungen, welche sich, immer verbunden mit den einfachen Kategorien Quantität, Qualität, Raum, Zeit, Wirklichkeit und Möglich- keit, vom Standpunkte der reinen Ontologie oder ,, tran- szendentalen Logik" im Sinne Kants aus aufstellen lassen. Auf Grundlage aller hier genannten Kategorien wird eine gewisse Zahl von irreduziblen Prinzipien der Relation, eine gewisse Zahl von ,,ontologischen Proto- typen" , wie sie passend genannt werden mögen, auf- gestellt, und die Aufgabe der Wissenschaft ist die Zu- ordnung der Naturgegebenheit zu diesen ontologischen Prototypen 1). Die Naturgegebenheit ist nur so weit ,, ver- standen", als diese Zuordnung von Erfolg war. ^) Bekanntlich läßt Kant seine „transzendentale Logik" auf der Fähigkeit zu „synthetischen Urteilen apriori" beruhen. Es kann Die Kategorie ,. Individualität", 331 Alle anorganische Natur, cl. li. das gesamte System aller an ihr beteiligten Konstituenten, ist nun im Raum, a.uch alle Möglichkeiten, wie Potentiale, potentielle Energien, Konstanten, haben ihre besondere räumliche Lokalität. ,, Kausalität" heißt dann eben, daß auf eine räumliche Veränderung eindeutig eine andere folgt. Die organische Natur, Die Kategorie ,, Individualität" erlaubt nun die Schöpfung elementarer Konstituenten mit Rück- sicht auf räumliche Natur, aber nicht ,,in" räumlicher Natur. Das ist das wichtigste Kennzeichen dieser Kategorie. Alle Konstituenten der Natur, die auf Basis der Individualität geschaffen sind, wie Entelechien und Psy- choide, sind daher durchaus unvorstellbar. Denn alles Vorstellbare muß räumliche Kennzeichen haben, und es ist ganz unmöglich sich, eine Vorstellung von etwas zu bilden, das manigfaltig, aber nicht räumlich ist. Alle Konstituenten der Natur, deren ontologischer Prototyp auf Individualität basiert ist, können daher nur gedacht, aber nicht vorgestellt werden, obwohl ihre Effekte sich in der vorstellbaren Natur realisieren. Alle Entelechien und Psychoide sind daher in diesem Sinne vooujj-sva; aber sie sind nicht voou[jL£va in dem transzendenten Sinne Kants, denn sie sind Konstituenten der Welt fraglich erscheinen, ob es nicht besser wäre, von einer Fähigkeit des Denkens zu reden, die es erlaubt, ein gewisses System irreduzibler Begriffe aufzustellen, und alles eigentliche „Urteilen" apriori ana- lytisch sein zu lassen. Doch muß man zugeben, daß damit nur dieselbe grundlegende Tatsache der Bewußtheit einen anderen Aus- druck finden würde. Poincare läßt in seinem Werke ,, Science et Hypothese" einen Teil der sogenannten synthetischen Urteile apriori analytisch sein, da er nur auf Definitionen ruhe. Diese Annahme scheint mir zwar nicht unrichtig, aber sicherlich unvollständig zu sein. Es tritt die Präge auf: „Warum denn gerade diese Definitionen, oder besser Definitionsformen, und keine anderen''? Vom „Gegebenen" allein hänoft das nicht ab. 332 ^i^ Kategorie „Individualität". der cpaivojxsva, insofern als die ,,Welt", auf welche sie sich beziehen, dem Ich gegeben ist. Wenn also die En- telechien das Bereich des Vorstellbaren überschreiten, so sind sie doch nicht allein darum schon Bestandteile einer Metaphj^sik, d. h. eines Wissens um etwas, das absolut und von einem Subjekt unabhängig ist^). Ja selbst wenn die Moralität uns zur Annahme einer neuen Art von Kate- gorie nötigen würde, so wikde sie nicht allein darum, weil auch das v^on dieser Kategorie Ausgesagte unvorstellbar wäre, die Grenzen der Phänomenalität in unserem Sinne überschreiten. Indem wir in der hier geschilderten Weise unter ,, Natur" die Gesamtheit alles dessen, was sich auf Räumlichkeit irgendwie bezieht, verstehen und in die Natur vitalistische Prinzipien, Handeln und Moralität, welche alle sich auf Räumlichkeit be- ziehen, einbeschließen, gewinnt unsere Analyse der sogenannten objektiven Gegebenheit einen in sich weit geschlosseneren Charakter als vom Gesichtspunkte der orthodoxen Kantianer aus. Für K a n t , als für einen Cartesianer in dieser Be- ziehung, ist ,, Natur" nur im Raum; die moralische „Welt" ist eine Welt ganz für sich, und das Leben erhält eine sehr zweideutige Stellung. Die Gesamtheit des Gegebenen wird so in zwei, ja sogar in drei Teile zerschnitten, und das ist um so unbefriedigender, weil der eine dieser Teile, die Moralität, in die Sphäre der voou[i£va d. h. der intel- ligiblen Dinge im transzendenten Sinne verwiesen wird, deren absolute Unnahbarkeit für den Intellekt Kant ^) Ich sage noch einmal, daß Entelechie nicht dasselbe wie „Bewußtsein" oder „Das Psychische" bedeutet. Auch wenn wir schon hier unseren methodologischen kritischen Idealismus („Solip- sismus") zugunsten metaphysischer Betrachtung aufgeben wollten, würden darum Entelechie und Psyche nicht identisch werden, ob- schon sie alsdann nur als zwei Formen erscheinen möchten, unter welchen dasselbe Wirkliche sich ausdrückt. Vgl. auch S. 301. Die Kategorie „Individualität'*, 333 ausdrücklich vertritt i), und weil ein zweiter Teil, das Leben, wenigstens für die ,, Wissenschaft" unerreichbar sein soll. So stehen denn die drei Teile der Gegebenheit zueinander in gar keiner Beziehung. Im Gegensatz zu dieser Lehre Kants meine ich, daß ^nr eben den Begriff ,, Natur" erweitern müssen, so daß also ..Natur", immer im Sinne der objektivierten Gegebenheit, aus einem vollständig räumlichen und aus einem nur teilweise räumlichen Teile besteht 2). Der logische Prozeß, auf dessen Basis sowohl der Begriff ^) Freilich finden sich bei Kant auch Aussprüche, welche die Deutung- zulassen, daß er den handelnden Menschen habe „autonom" sein lassen wollen in unserem Sinne, und als bedeute seine Freiheit Autonomie und nicht Anomie. Auf Seite 131 (ßeclam) der „Pro- legomena" steht z. B. Freiheit sei Handeln „nach Maximen, deren Wirkung- in der Erscheinung- jederzeit beständigen Gesetzen gemäß sein wird". ^) ^?1- die vorige Anm. Nur so kann, wie mir scheint, jenes Kapitel von Kants ., Kritik" „Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit, in Verbindung mit dem allgemeinen Gresetz der Natur- notwendigkeit" einschießlich seiner ihm folgenden „Erläuterung" eine wirklich klare Bedeutung gewinnen; sogar vom Standpunkt des „analytischen" Teils der „Kritik" selbst aus. Kants „Freiheit" bedeutet etwas Deutliches eben nur dann, wenn sie als nicht- mechanische und nicht-räumliche autonome Form determinierten Naturgeschehens, ganz ebenso wie unsere Eutelechie, gefaßt wird. Solange die Handlung als Element der Gegebenheit verstanden wird, handelt es sich hier noch um gar nichts Metaphysisches. Über ,,mein" Handeln und ,,mein" Denken, d. h. über den echten (rein negativen) Freiheitsbegriff vgl. man S. 311 f. Daß die „Antinomien" der „Dialektik" Kants in Wahrheit keine sind, daß hier wenigstens nicht der Unterschied zwischen transzendentalem und transzendentem Denken in Frage kommt, ist oft bemerkt worden. Sie alle können innerhalb des Bereichs des Gegebenen erledigt werden und berühren das Problem des „Ab- soluten" gar nicht. Innerhalb der Gegebenheit ist der Verstand vollendeter, als Kant dachte. Auch das Problem der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt ist verständlich und lösbar innerhalb der Geg-ebenheit und braucht nicht auf etwas anderes bezogen zu werden. Es war ein Fehler Kants, das ,,Diug an sich" mit allen möglichen Problemen, die sich nur auf Gegebenheit beziehen, zu verknüpfen. 334 ^^^ Kategorie „Individualität". ,, Kraft" als irreduzibler Konstituent der idealen Natur wie der Begriff „Entelechie" als irreduzibler Konstituent der idealen Natur gebildet wird — der erste mit Hilfe der Kausalität, der zweite mit Hilfe der Individualität — ist in der Tat genau derselbe, nur daß das zweite Mal Räumliches ausgeschlossen ist. Vergessen wir bei dieser Gelegenheit nicht, daß auch eine Kraft oder eine potentielle Energie oder eine Konstante, obwohl sie im Räume sind, doch nicht unmittelbar vorgestellt, sondern nur gedacht werden können; in der Sphäre der begriff- lichen Welt sind sie freilich ,, Realitäten"; sie drücken aber mit Bezug auf das Wirkliche im Sinne unmittelbarer vorstellbarer Gegebenheit nur Möglichkeiten aus. Auch um sie zu umfassen, muß die Sphäre des ,, Wirklichen"^ schon erweitert werden. Ganz ebenso ist es mit der En- telechie, nur daß hier auch die räumliche Lokalisation fehlt. Wenn wir uns bei dieser Gelegenheit einige Worte über unsere Auffassung des Begriffes der Moralität gestatten dürfen, so finden wir die Kant sehe Auffassung der ,, Natur" erst recht unhaltbar. Wie könnte denn das Moralische für ein menschliches Wesen überhaupt von Bedeutung sein, wenn es sich wirklich auf etwas bezöge, das nicht nur der Wissenschaft ganz unerreichbar ist, sondern das, wie Kant will, überhaupt in durchaus keiner Weise erkennbar und diskutierbar ist und nicht auf etwas, das einen Bestandteil des Gegebenen im weitesten Sinne bildet ? Mir scheint vielmehr das Moralische auch zur Gegebenheit zu gehören; wäre das nicht der Fall, so wäre hier ja eine Erörterung überhaupt unmöglich. Auch Moralität, begründet vielleicht auf einem kategorialen Begriff von besonderer elementarer Art, angewendet auf die Handlungen anderer Menschen und meiner selbst, bezieht sich auf Natur in unserer er- weiterten Bedeutung des Wortes. Daher ist auch ,, mora- lisches" Handeln ,, natürliches Handeln"; es ist wenigstens ein Teil desselben, und es ist irreleitend, die Mo- ralität der Natur entgegenzusetzen: das Moralische ist Die Kategorie „Individualität". 335 selbst ein Teil der Natur. Freilich steht es ja jedem frei, einen Begriff, also auch den Begriff ,, Natur", zu um- grenzen, wie er will; aber es gibt eben in der Sache ge- gründete und gekünstelte Definitionen. Der Sache scheint es mir nun zu entsprechen, Natur alles dasjenige Ge- gebene zu nennen, welches von mir nach ,, außen" verlegt wird. Ganz sicherlich aber finde ich Moralisches auch ,, außen". Schlußfolgerungen. So können wir denn schließlich sagen, daß Entelechien und Psychoide ebenso wirklich sind, wie Potentiale und Konstante — sie allesind nicht unmittelbar, sondern nur in einer erweiterten Bedeutung des Wortes. Sie alle sind als Ergebnisse der intellektuellen Verarbeitung des Gegebenen : sie alle, und auch die Moralität, sind Teile eines Systems, welches der Menschheit eines Tages in seiner Vollständigkeit offenbart werden wird und dann seine metaphysische Aus- deutung erhalten mag i). Die Natur ist eine, mag sie, um in der Weise der Scholastiker zu sprechen, nur ,, natura naturata" oder auch natura naturans" sein. Das Leben aber wird mit Hilfe des Begriffs Entelechie ebensogut ,, ver- standen", wie die anorganische Natur mit Hilfe der Begriffe „Energie", ,, Kraft", ,, Masse" usw. Eine weitere Art von ,,Erklärung" gibt es hier nicht. ^) Manche neuere Philosophen übertreiben einen Irrtum Kants und zerteilen die Philosophie, d. h. „das Verstehen'", in eine Reihe von durchaus verbindungslosen Zweigen. Psychologie und Logik, Logik und Ethik, Natur und die „intelligible Welt'-, Wissenschaft und Geschichte sollen jeweils gar nichts mit einander zu tun haben. Nichts kann wohl verkehrter sein als das. Unser Wissen ist eines und die Gegebenheit ist auch eine: Philosophie als das Verstehen der Gegebenheit muß also auch eine sein, mögen ihre verschiedenen Zweige eine Zeitlang verschiedenen methodischen Bahnen folgen oder nicht. Doch ist dies nicht der Ort für eine Entwicklung eines Systems der Philosophie. 336 J^iö Kategorie „Individnalitüt", In gewissem Sinne können wir S8,gen, daß alle begriff- lichen Konstituenten der Natur geschaffen werden, um die Einzelheiten des Gegebenen logisch als Sonderfälle von Allgemeinheiten zu verstehen: auch in diesem Sinne gibt es keinen Unterschied zwischen den Natiu-agentien, welche sich nur auf den Raum beziehen, und den- jenigen, welche i m Räume sind. Y]) Rationelle Wissenschaft. Obwohl eine Theorie der Erkenntnis nicht die Aufgabe dieser Vorlesungen ist, so muß hier doch die Beziehung der auf die Kategorien begründeten Konstituenten der Natur zu dem unmittelbar Gegebenen mit einigen Worten erläutert werden. Rationelle Wissenschaft und ,, ideale" Natur. Alle Wissenschaft, welche über bloße Beschreibung und empirische Klassifikation hinausgeht, verdient das Prädikat rationell, denn sie ist nur insofern ,, Wissenschaft", als sie sicli auf die Eigentümlichkeiten des Denkens gründet. Diese Eigentümlichkeiten des Denkens bestehen inderEähig- keit, kategoriale Aussagen in der Form von Begriffen und Urteilen zu machen, und in der Fähigkeit des Schließens. Das Rohmaterial der Wissenschaft bleibt natürlich immer die unmittelbare Gegebenheit in Raum und Zeit. Dieses Roh- material wird durch die ,, Wissenschaft" zu dem Begriffe der ,, idealen Natur" umgeformt, insofern als katego- riale Aussagen, anders: ontologische Prototypen, mit bloß induktiven Verallgemeinerungen verknüpft werden. Ob diese Verknüpfung immer möglich ist, und in welchen Grenzen sie das ist, ist ein Problem für sich, das wir später kurz erörtern werden. Rationelle Wissenschaft und ,, kausale" Wissenschaft. Es ist ein großer Irrtum, rationelle und kausale Wissenschaft als dasselbe anzusehen. Rationelle und kau- Die Kategorie ,jlndividualität". 337 sale Wissenschaft sind aber in der Tat sehr oft verwechselt worden, und dieser logische Irrtum beruht, wie mir scheint, auf der Zweideutigkeit des Wortes ,, erklären". In seiner legitimen Bedeutung bezeichnet dieses Wort das Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen. Ein einzelnes Ereignis im Bereich der Gegebenheit, etwa das Fa,llen eines bestimmten Steines mit bestimmter Geschwindigkeit, wird durch eine auf einem kategorialen Prinzip ruhende Allgemem- heit, in diesem Fall durch das Gravitationssesetz, erklärt. Der allgemeine Satz als solcher ist in d i e s e m Beispiel — nicht in anderen — ,, kausal", und kann hier mittels des Begriffes ,, Kraft" oder ,,Potentia,l" oder ähnlich formuliert werden. Man spricht nun aber auch von ,, erklären", wenn man den Begriff Kausalität — welcher mit der Erklärung des Ein- zelnen durch kategorial formulierte Allgemeinheiten gar nichts zu tun hat — auf das unmittelbar Gegebene bezüglich seiner zeitlichen Abfolge als solcher anwendet. In dieser Hinsicht ist das Fallen des Steines erklärt, wenn man weiß, daß ein Kand ihn von einem Tische herabwa,rf. Im logischen Sinne würde es sich hier natürlich ganz und gar nicht um ,, Erklärung" handeln, solange ma^n nicht im Besitze des Newtonschen oder wenigstens des Galilei sehen Gesetzes ist. Kurz gesagt : Das auf einem kategorialen Prinzipe be- ruhende Gesetz erklärt das Fallen überhaupt im wahren Sinne des Wortes ,, erklären"; Wissen um jene Tat des Kindes erklärt einen besonderen Fall des Fallens in einer ganz sekundären Bedeutung des Worts. Kausales ,, Erklären" ist immer nur historisch; man sollte hier lieber von ,, kausalem Beziehen" reden. Ideale Natur und Naturfaktoren. Doch ist das bisher Ausgeführte noch keine endgültige Lösung der hier vorliegenden Schwierigkeit. Wenn Naturgesetze, welche auf dem Prinzip der Kau- salität ruhen, die ,, erklärenden" Allgemeinheiten sind, sind sie solches nichtnurin ihrer Eigenschaft als all- gemeine Aussagen im Bereich rein idealer Begriffe, nicht Driesch, Philosophie. II. 22 338 ^^^ Kategorie „Individualität". also nur als K o n s t i t u e d t e n der ,, idealen Natur", sondern ganz vorwiegend auch deshalb, weil sie zur Schöpfung typischer Agentien oder Faktoren in der unmittelbar gegebenen Natur dienen. So ist das Newton sehe Gesetz nicht nur ein Ausdruck der allgemeinen, mit Rücksicht auf Quantität formulierten Tatsache der An- ziehung, sondern mit Hilfe des Gesetzes von Newton sind wir berechtigt, die hier vor uns befindlichen Körper, als Teile der uns in ihrer zufälligen Besonderheit ge- gebenen Welt, mit Energien und Kräften auszustatten. Wir bleiben hier zwar im Bereich der Begriffe, vertauschen aber den Standpunkt des P 1 a t o mit dem des Aristo- teles ; auf Basis von ,, Erkenntnisgründen" schaffen wir uns ,, Tatsachengründe" oder Ursachen im weitesten Sinne dieses Wortes. In unserem Beispiel von dem Kinde, welches einen Stein vom Tische wirft, so daß er fällt, kommen also die Konstituenten des allgemeinen Gesetzes von Newton für die Schöpfung jedes einzelnen Faktors in Betracht, welcher in der vom Kinde eingeleiteten Reihe von Ereignissen eine Rolle spielt. Das Kind stößt nicht nur ,, einen Stein", sondern einen Stein begabt mit einem be- stimmten Betrage potentieller Energie mit Bezug auf die Erde; eben deshalb fällt der Stein, sobald er die Ober- fläche des Tisches verläßt. So ist unser Schluß also endgültig dieser: Die zu F a k - t o r e n der wirklichen Natur verarbeiteten Konsti- tuenten der idealen Natur ,, erklären" den Fall unseres Steines; ,, kausal bezogen" wird er auf das Stoßen des Kindes. Alles, was wir hier aasgeführt haben, gilt nun auch für die Entelechie. Der Begriff Entelechie als ein wirksamer, außerräumlicher, intensiv mannigfaltiger, auf die Kategorie Individualität begründeter Konstituent der Natur er- klärt beispielsweise die Tatsache der Restitution der Ascidie Clavellina überhaupt. Die Restitution dieses besonderen Individuums hier vor uns dagegen wird „kausal" oder historisch ,,be zogen" auf die Tatsache, daß ich das Tier in zwei Teile zerschnitt. Sie wird als Sonder- Die K.ategorie „Individualität". 339 fall ,, erklärt" dadurch, daß ich durch die Operation und damit durch das Schaffen eines Restitutionsreizes einen gegebenen Organismus beeinflusse, welch er ein Manifestationsort eines bestimmten Natur- faktors, nämlich einer bestimmten Art von En- telechie ist — ganz ebenso wie das Kind in unserem Bei- spiel nicht nur einen ,, Stein", sondern einen mit bestimmter potentieller Energie begabten Stein vom Tische stieß. Durch diese Erwägungen werden nicht nur die logischen und ontologischen Ähnlichkeiten zwischen der Entelechie und anderen Naturagentien besonders klar, sondern auch die allgemeinen Beziehungen zwischen Gesetzen der ,, idealen Natur" oder ,, platonischen Ideen" und Faktoren im Bereich der natürlichen Gegebenheit — soweit sie be- griffliche und nicht nur unmittelbare Gregebenheit ist. Dem Erklären durch Gesetze und Faktoren aber tritt als etwas ganz anderes das ,, kausale Beziehen" gegen- über. Hier entdecken wir die eigentlichen Wurzeln des Windelband sehen Gegensatzes von ,, nomothetischer" und ,,idiographischer" Forschung. Und noch etwas anderes verdient in diesem Zusammen- hang Erwähnung : Unsere Entelechie bedeutet ein Ende, ein Letztes, in Bezug auf das Erklären, mit Rücksicht auf dieses ist sie ein nicht weiter Zurückführbares, logisch ist sie irreducibel. Aber mit Rücksicht auf kausales Beziehen gibt es im Bereich des vitalistisch gefaßten Belebten ebensowenig ein wissenschaftlich legitimes Letztes, oder, wenn man anders will, Erstes, wie im Bereiche des Un- belebten: die Kette der Geschehensfolgen ist für das noch nicht metaphysisch gewordene Denken stets ohne Grenze, mögen die Glieder dieser Kette alle räumlich gekennzeichnet sein oder nicht. Das Wort von der ,, faulen Vernunft" paßt auf den Vitalismus nicht; wissen wir doch auch schon, daß seine ,,Teleologie" sehr wohl von der Art des hier vorliegenden Werdens Rechenschaft gibt. Eine tiefergehende Analyse aller dieser Dinge würde natürlich einer Theorie der Erkenntnis angehören. 22* 340 -Die Kategorie „Individaalität*'. Das Problem der entelecliialen Systematik. Endlich gibt es nun mit Rücksicht auf Entelechie ganz ebenso wie mit Rücksicht auf den Raum noch eine dritte Art von ,, Erklärung". In diesem Sinne können z. B. die besonderen Kennzeichen eines bestimmten Typus von entelechialer Manifestation, etwa die Kenn- zeichen eines Hundes oder einer Biene, durch Entelechie als ein Ganzes ,, erklärt" gelten. Diese neue Art des Er- klärens ist dem Erklären im wahrhaft rationellen Sinne nahe verwandt, ohne aber identisch mit ihm zu sein. Wir betreten das Bereich dieser Art von Erklären, wenn wir uns jetzt mit wenigen Worten dem schon bei früherer Ge- legenheit erwähnten Problem der entelecliialen Svstematik zuwenden. Ganz sicherlich ist es ein Problem, ob die Kategorie Individualität uns vorauszusagen erlaubt, wie viele Typen von Manifeste.tionen der Entelechie — im Menschen ihren Höhepunkt erreichend — möglich sind, und weshalb diese Manifestationen in Wirklichkeit so beschaffen sind, wie sie sind. Bekanntlich erlaubt uns die Kategorie des Raumes 1) unter anderen die Anzahl der regulären Körper und ihre Eigentümlichkeiten vorauszusagen. Das Problem der Systematik ist es, dem wir hier noch einmal begegnen. Wenn wir von einigen ziemlich phantastischen Kon- struktionen der S c h e 1 1 i n g sehen Schule absehen, so ist zur Beantwortung der ersten unserer Fragen bisher kein Versuch gemacht worden. Und es ist in der Tat heutzutage unmöglich zu sagen, welches der Einteilungsgrund für ein System der entelecliialen Manifestationen sein könnte. Die introspektive Psychologie 2), insonderheit die Analyse ver- ^) Eine scharfe Unterscheidung- zwischen Kategorien der „An- schauung" und ontologischen Kategorien ist für unsere Zwecke überflüssig. ^) Bergson macht so etwas wie einen Versuch, die ver- schiedenen Typen der Lebewesen — Pflanzen -|- Echinodermen -\- Mollusken, Arthropoden, Wirbeltiere — aus dem Charakter seines überbewußten „elan vital" zu deduzieren. Diese gemeinsame Quelle Die Kategorie ,, Individualität". 341 scliiedener Typen des Wollens, könnte vielleicht diesen Einteilungsgrund einst liefern; fürs erste käme man hier aber über bloße Analogien nicht hinaus. Was unsere zweite Frage angeht, das Problem nämlich, warum eben diese Einzelheiten und keine anderen zu einer Einheit verknüpft sind, so kommt hier zumal jene dritte oben erwähnte i\.rt des ,,Erklärens" in Frage. Die alten französischen Morphologen, C u v i e r z. B., sahen dieses Problem; in unserer Zeit hat nur E. Radl^) es gesehen. Es ist das Problem der notwendigen, aber nicht kausalen Verknüpfung, das ja auch in der Geometrie und in allem, was mit ihr zusammenhängt, eine Rolle spielt. ,, Erklärt" wird hier auf Grundlage des ,, Satzes vom Grunde des Seins", in der Terminologie Schopenhauers. Zur Lösung dieses fundamentalen Problems ist aber bisher noch nicht einmal ein erster Versuch gemacht worden. Das einzige, was zurzeit möglich ist, sind einige wenige aprioristische Sonderaussagen bezüglich der verschiedenen Formen entelechialer Manifestationen; diese beziehen sich aber nicht eigentlich auf Systematik. Aus der Natur des Organismus heraus könnte man z. B. vorhersagen, daß er sich nach Störungen seines Baues entweder durch Regeneration, oder durch Umdifferenzierung, d. h. ent- weder auf Basis eines harmonischen oder auf Basis eines komplex-äquipotentiellen Systems wieder- herstellen kann. Dieser aprioristische Unterschied ist aber nicht aus einer Analyse der Entelechie als solcher gewonnen, sondern aus einer Analyse der Natur des vollendeten Organismus. G) Einige Bemerkungen über das Problem der Zeit. Wir wissen, daß dief autonomen Lebensphänomene sich auf Naturfaktoren und Naturgesetze gründen, die wir würde auch die Harmonie erklären, die zwischen diesen Typen, zumal zwischen Pflanzen und Tieren, besteht. ^) Man vergleiche zumal seine ausgezeichnete ., Geschichte der biologischen Theorien". Leipzig 1905 u. 1909. 342 -^iö Kategorie „Individualität". mit Hilfe einer besonderen Kategorie der Relation, mit Hilfe der Individualitätskategorie nämlich, zu begreifen imstande sind. Wir wissen auch, in welchen Beziehungen diese Faktoren zu den Faktoren und Gesetzen des An- organischen stehen, und wie sie sich bezüglich des Raumes verhalten — sie sind unräumlich, verwirklichen sich aber im Raum. Ein sehr bedeutsamer Punkt ist aber bisher nur ganz beiläufig erwähnt worden: die Beziehung der Entelechie zur Zeit. In etwas mystischer Form sagte ich bei einer früheren Gelegenheit 1) ,,Sein und Werden sind in der Entelechie vereinigt", ,,Zeit tritt in das Zeitlose ein", nämlich in die Ideen im Sinne P 1 a t o s. Mit anderen Worten : Obwohl die Entelechie eine elementare ontologische Entität ist, braucht sie zu ihrer jedesmaligen vollständigen Manifestation doch immer einen bestimmten Betrag an Zeit. Eben das scheint auf den ersten Blick dem Begriff einer platonischen Idee, welche ja das Zeitlose, das Nichthistorische ausdrücken soll, zu widersprechen. Betrachten wir zunächst noch einmal den Prozeß der Formbildung. Die Formbildung ist eine Aufeinanderfolge typischer Stadien; wenn das eine Stadium fertig ist, beginnt das nächste. Diese Aussage verliert ihre Gültigkeit nicht durch die z. B. in den Versuchen von K 1 e b s erhärtete Ta.t- sache, daß bei sogenannten ,, offenen" Formen, wie den Pflanzen, die verschiedenen Stadien unter besonderen äußeren Bedingungen verlängert oder verkürzt oder auch vollständig unterdrückt werden können. Auf jeden Fall würde doch ein Pflanzenembryo keine Blüte bilden, ehe er seine ersten Blätter, die sogenannten Cotyledonen, gebildet hat. Wir sagten nun schon bei früherer Gelegenheit, daß das Vorhandensein verschiedener auf einander folgender Stadien bei aller Formbildung sich wohl mit Hilfe der An- nahme verstehen lassen möchte, daß die Entelechie eben 1) S. S. 149. Ygl, auch meine „Organischen Regulationen" 1901, S. 204. Die Kategorie „Individualität". 343 dadurch, daß sie ein Stadium A geleistet h a t , d. h. durch die räumliche Existenz von A, zur Leistung des nächsten Stadiums B veranlaßt werde. So aufgefaßt würde die Form- bildung eine fortwährende Wechselwirkung zwischen En- telechie und Materie sein. Natürlich würde aber die Aktivi- tät der Entelechie Zeit brauchen, um sich vollständig zu manifestieren; und zwar auch dann, wenn die ein- zelnenSch ritte in dem Prozesse einer entelechialen Manifestp.tion als in strengem Sinne momentan, d. h. als in der Zeitstrecke Null geschehend, angesehen werden. Was das Handeln angeht, so genügt hier die Be- merkung, daß ein bewußtes Ziel, z. B. die Schöpfung eines Kunstwerks, in jedem Falle durch Stadien verwirklicht wird, indem eben ein vollendetes Stadium die Ausführung des nächsten hervorruft. Auch das Psychoid kann sich also nur in der Zeit manifestieren. Und wie steht es mit der introspektiven Selbsterfahrung ? Ist nicht die allerunmittelbarste meinem Ich bewußte Tatsache die Tatsache meiner eigenen Dauer? In diesem Sinne hat B e r g s o n den Begriff ,,la duree" — nicht le temps — zum Zentrum aller Epistemologie und Biologie gemacht. Es tritt nun die Frage auf, ob wir das ,, Zeitliche" in irgend einer Form zu einem Konstituenten dessen machen dürfen, was wir die „ideale Natur" genannt haben oder nicht. Die ,, ideale Natur" i s t nur im Sinne einer ewigen, d. h. zeitlosen Geltung; sie ist das Nicht- historische. Es scheint also, als könne das Zeitliche keinen Platz in dieser idealen Welt haben. Gilt ja doch auch die Zeit der neueren Philosophie für ein subjektives Phänomen im strengsten Sinne; die Zeit scheint, wenn man uns den Ausdruck gestatten will, noch weniger real zu sein a,ls der Raum. Auf der anderen Seite nun aber gibt es nichts, das für die unmittelbare Selbsterfahrung ,, realer" wäre, als die Da,uer; schon das Gedächtnis, die Voraus- setzung aller Erfahrung, ja alles Wissens überhaupt, sei es unwissenschaftlich oder wissenschaftlich, erfordert Dauer. Ohne die Dauer meines Ich könnte ich mir vielleicht einzelner 344 -Diö Kategorie „Individualität". ,, Gegebenheiten" im Raum bewußt werden, sie würden aber jeder Verbindung ermangeln ; es würde nicht eine Ge- gebenheit geben, es würde ein fortwährendes Vergessen geben; keine Veränderung, keine Bewegung, keine Ver- gangenheit und Zukunft — nur Gegenwart. Und es würde auch keine Formbildung und kein Handeln geben : es würde nur ,, Stadien" geben. Da aber das Stadium A bei Ein- tritt des Stadiums B bereits vergessen wäre, so würde keine Verknüpfung zwischen den Stadien da sein. Mein Ich dauert nun aber, und ich begreife die Veränderung und die Bewegung und die Formbildung und die Handlung, meine eigene und die anderer. Was sollen wir da vorziehen ? Das Postulat einer absolut zeitlosen idealen Welt und die rein subjektive Natur aller zeitlichen Realisation — welche gewisser- maßen eine Art von Un Vollkommenheit meines Begreifens jener idealen Welt wäre — oder das unmittelbare Wissen um meine Dauer, meine Kenntnis der Zeit als der ,, wirk- lichsten" von allen Wirklichkeiten? Ohne Zweifel sind Gedächtnis und Dauer nahezu identisch; und ohne Zweifel ist andererseits das, was in Strenge Zeit — zumal wissenschaftliche Zeit — genannt wird, nichts als ein gewisser Konstituent der erweiterten Gegebenheit, der begrifflich erfunden ist, nach Analogie des Raumes ,, gemessen" wird, und mit der unmittelbar gegebenen Dauer durchaus nicht identifiziert werden darf. In dieser Hinsicht ist Bergsons Anatyse grundlegend. Ich füge ihr eine gewisse Bemerkung L o t z e s bei, daß nämlich die Zeit, im objektivierten und wissenschaftlichen Sinne des Wortes, uns davon befreit, die unmittelbare Gegebenheit als aus dem Nichts kommend und als in das Nichts versinkend anzusehen. Kann nun also die Dauer etwas Absolutes, in strengem Sinne, sein, und kann die Entelechie, wenigstens meine Entelechie, weil sie ja Dauer einschließt, als etwas Ab- solutes gelten ? Dann würde Dauer ein Konstituent der „idealen Natur" sein. Bei späterer Gelegenheit werden Die Kategorie „Individualität". 345 wir sehen, daß das Gedächtnis in der Tat eines von den wenigen Daten der Gegebenheit ist, welche uns zu so etwas wie Absolutheit führen können; freilich in einem anderen Sinne des Wortes als dem hier in Betracht kommenden. An dieser Stelle müssen wir unsere fragmentaren Erwägungen mit dem Worte beschließen, daß jedenfalls die Einführung der Dauer in die ideale Natur nicht die Einführung der wissenschaftlichen ,,Zeit" bedeuten würde; denn die Zeit, wie sie z. B. von Kant definiert wird, ist nicht Dauer. Das , .Zeitliche", das von Entelechie ein- beschlossen wird, würde aber objektivierte Dauer sein ; und diese wäre im wissenschaftlichen Sinne des Wortes zeitlos. — Doch wir müssen das Problem ,, Entelechie und Zeit" noch unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Es ist eine der bekanntesten Tatsachen der Biologie, daß der erwachsene Organismus aus dem Ei durch eine auf einander folgende Reihe von Prozessen, eine auf einander folgende Reihe von Stadien hervorgeht. Eben weil diese Tatsache so allgemein bekannt ist und jeden Tag beobachtet werden kann, bemerken sogar wissenschaftliche Biologen meist nicht hinreichend, wie außerordenthch merkwürdig diese Tatsache ist. Warum wird denn nicht der erwachsene Organismus durch einen momentanen Akt der Entelechie aus dem Ei gebildet? Man darf hier nicht antworten: ,,Weil die Entelechie natürlich in einem gegebenen Moment nur einen in Strenge einzelnen Akt leisten kann"; denn bei der Differenzierung eines harmonisch-äquipotentiellen Systems produziert die Entelechie, obschon nicht die voll- endete, so doch sicherlich eine in gewisser Hinsicht zusammengesetzte Totalität momentan^), und wir alle wissen, daß auch wir gewisse spezifische individuelle Totalitäten zusammengesetzten Charakters in einem Zeitelement leisten können, z. B. wenn wir einen ^) Nämlich diejenige Totalität, welche auf Basis der expli- ziten prospektiven Potenz eines bestimmten Organs produziert wird. Vgl. JBd. I S. 83. 346 ^^^ Kategorie „Individualität". Akkord auf dem Klavier anschlagen. Wurde doch von uns der Begriff der Entelechie geradezu deshalb eingeführt, weil dem so ist. Die Frage bleibt also berechtigt: Warum gibt es auf einander folgende Stadien in der Ontogenie ? Warum spielt die Zeit bei jeder Manifestation der Ente- lechie eine Rolle ? Zur Beantwortung dieser Frage können wir nun nur Eines sagen : Wir wissen es nicht. Theoretisch würde es verständlicher erscheinen, wenn es so etwas wie die ,, Ontogenie" nicht geben würde. Andererseits wissen wir aber, daß ein Maler ein Gemälde zwar in Strenge momentan als Ganzes begreift oder besser sich vorstellt, und daß er auch imstande ist, gewisse zusammengesetzte Totalitäten momentan zu leisten, daß er aber durchaus nicht das vollendete Ganze in einem Moment schaffen kann. Das mag uns nun als eine Analogie dienen; in diesem Sinne kann es uns wenigstens etwas über die Abhängigkeit der entelechialen Akte — nicht der Entelechie selbst — von nichtentelechialen Faktoren lehren: eben weil er von seiner Organisation und von vielen anderen Dingen abhängt, kann ein Maler ein ganzes Bild nicht momentan fertigstellen. Nur auf der Grundlage irgend einer Abhängigkeit ähnlicher Art sind wir imstande, die Tatsache der Ontogenie als einer auf einander folgenden Reihe von Stadien zu verstehen. Wir können daher sagen, daß das Problem ,, Entelechie und Zeit" teilweise durch den Hinweis auf die Abhängigkeit der entelechialen Manifestationen von anorganischen Mitteln gelöst ist. Ganz sicherlich ist das aber nur eine teilweise Lösung. — Bemerken wir zu dem großen Probleme ,, Entelechie und Zeit" endlich noch Eines: Eine höchste Vernunft, ein ,,L a p 1 a c e scher Geist" höchster Form würde, so sagten wir, als wir sron der Eindeutigkeit der vitalen Geschehnisse handelten, nicht nur anorga.nische, sondern auch entelechiale Ereignisse vorauszusagen imstande sein. Im Anorga- nischen vermag ein solcher Geist nun bekanntlich nicht nur auch beliebig zurückzublicken, indem er in der ,,Welt- Die Kategorie „Individualität". 347 formel" der Zeit negative Werte erteilt, sondern er kann sich auf diese Weise gedanklich auch geradezu den Rück- lauf alles a,norganischen Geschehens, wenigstens wenn es mechanisch gefaßt ist, vergegenwärtigen. Wie würde es um eine solche mögliche Rückläufigkeit des vitalen Geschehens stehen ? Eine solche Rückiäufigkeit ist hier nicht denkbar, und eben hier zeigt sich wiederum, daß vitale ,, Dauer" nicht anorganische ,,Zeit" ist: Ihrem Wesen nach weisen nämlich entelechiale Akte nur vor- wärts; wo, wie z. B. beim Phänomen der Rückdifferen- zierung, organisierende Prozesse rückwärts verlaufen, tun sie das doch nur in regulatorischem Dienste, also für ein Vorwärts gehen. Wer sich die Mühe nehmen will, das von uns über die ,, Affektion" der Entelechie Beigebrachte sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dem wird noch klarer w^erden, daß der Vitalismus es nicht erlaubt, in einer ,, Formel" der gesamten Welt einen negativen Wert für die Zeit variable einzusetzen i); gibt es hier doch eben prin- zipiell keine ,, Weltformel", da Entelechie der räum- lichen Kennzeichnung entbehrt. Das Vor- und Rückwärts- blicken eines L a p 1 a c e sehen Geistes in biologischen Dingen wäre also doch eine recht wesentlich andere Sache als im Gebiete der Mechanik; es setzt einen Geist voraus, der nicht unser, für alles Vorwärts- und Rückwärts - prophezeien an lückenlose Raumkausalität gebundener, Geist ist. Eindeutig bestimmt freilich bleiben die biologischen Ereignisse darum doch. ^) Der verstorbene Mathematiker Minkowski hat jüngst ver- sucht, das anorganische Geschehen in einer Weise zu formulieren, als ob die Zeit eine vierte, zu den drei Abmessungen des Euklidischen Raumes hinzutretende „Dimension" sei. Es ist hier nicht unsere Aufgabe zu untersuchen, ob und inwieweit aua solchem Vorgehen dem Begreifen eine wirkliche Förderung erwächst. Wir müssen aber darauf hinweisen, daß eine vitalistische Biologie ein solches Unter- nehmen von vornherein nicht gestattet, und zwar deshalb, weilin Lebensphänomenen die Kette räumlicher Kausalität ja nicht geschlossen ist. Abscliluß des Teils IL Zusammenfassung. Wir haben jetzt versucht, das Problem der , Individuali- tät" und der auf sie begründeten Naturfaktoren, oder, um in der übhchen Sprechweise zu reden, das Problem der Teleologie, soweit wir es vermochten, zu lösen. Ganz sicherlich ist Teleologie nicht ,, Kausalität von hinten ge- sehen", wie viele unserer dogmatischen Philosophen be- haupten. Teleologie oder Individualität ist ebenso elementar wie Kausalität. Die Kategorie Individualität berechtigt uns, in die ,, ideale Natur" eine besondere Art von elementaren Kon- stituenten, und in die gegebene Natur eine besondere Art von elementaren Faktoren einzuführen; beide sind un- räumlich, schließen aber Dauer ein; die Entelechie und das Psychoid sind T3rpen von ihnen. Wir sind zu dieser Einführung berechtigt, da unser Denken die ontologische Kategorie Individualität besitzt; eben deswegen wird das Leben mit Hilfe der Entelechie ,,e r k 1 ä r t". Die unmittelbare psychologische Selbstanalyse lehrt uns die Kategorie Individualität zuerst kennen. Für die objektivierte Natur muß sie indirekt bewiesen werden. Solche Beweise lassen sich finden; sie beziehen sich auf typische und spezifische Kombinationen im Bereiche der organischen Natur, typisch und spezifisch mit Rücksicht auf Raum oder auf Zeit oder auf Beides. Die Entelechie schließt in gewissem Sinne Kausalität und Substanz begriffsinhaltlich ein; sie kann der wahren Abschluß des Teils II. 349 oder anorganischen oder materiellen Kausalität ent- gegenwirken, aber auch sie wirkt. Ihre Haupt- leistung ist die Vermehrung des Grades von Verteilungs- verschiedenheit unter gegebenen Elementen; diese Leistung kann auch mit Rücksicht auf die Begriffe der Mechanik formuliert werden. Die Entelechie benutzt Materie und materielle Kausalität für ihre ,, Zwecke". Ein materielles System im Raum verhält sich anders, wenn es sich selbst überlassen ist, als wenn es von Entelechie kontrolliert wird. Mit anderen Worten: Die im Raum lokalisierten Faktoren bilden nur einen Teil von der Summe aller Faktoren, von denen organisches Geschehen abhängt. Eben aus diesem Grunde kommt uns alles Lebensgeschehen als etwas Neues und Ursprüngliches vor; trotzdem aber bedeutet die von der Entelechie gespielte Rolle nicht eigentlich Schöpfung, sondern nur das regulatorische Zulassen vorbereiteter Möglichkeiten. Diese Aussage schließt ein, daß die Ente- lechie nicht nur der Materie gegenüber, sondern auch ihren eigenen materiellen Zwecken gegenüber ein Fremdes ist. Das ist in der Tat ein sehr wichtiger Punkt; ist doch der Begriff eines ,, Selbst- zwecks" schon für die rein formale Betrachtung in sich widerspruchsvoll; ein ,, Zweck" ist immer ein gewisser Zu- stand der Umgebung, welcher vom Standpunkt eines für ihn äußeren Subjektes aus ,,sein sollte". Am Beschluß des Ganzen verschwindet also die oft erwähnte Verschiedenheit zwischen Organismen und Kunst - Produkten, soweit die Beziehung zwischen dem ,, Material" und seinem ,, Benutzer" in Betracht kommt: nicht nur bei Gegenständen der Kunst und Technik, sondern auch bei denOrganismen sind Material und Benutzer zweierlei. Denn auch Entelechie, mag sie die Form- bildung eines Organismus leiten oder seine Bewegungs- organe lenken, ist n i c h t ,,in" dem materiellen Organismus, sondern manifestiert sich nur an seinem Material. Zwischen Organismen und Kunstprodukten bleibt also nur 350 Abschluß des Teils II. der folgende Unterschied bestehen i) : bei den Produkten der Kunst wird Materie durch eine schon existierende ente- lechiale Manifestation geordnet: bei der Formbildung und bei dem Prozeß des Handelns als solchem wird Materie unmittelbar durch Entelechie beeinflußt. In beiden Fällen aber ist in letzter Linie die nichträumliche indivi- dualisierende Entelechie an der Arbeit: und sie ist mit Rücksicht auf ihr ,, Material" immer außen. Unsere Methode. Wir haben jetzt unsere wissenschaftliche und philo- sophische Theorie des individuellen lebenden Organismus- beendet. Da wollen wir uns an erster Stelle noch einmal des- Weges erinnern, dem wir im Verlaufe unserer langen Analyse und Synthese gefolgt sind. Das wesentlichste Kennzeichen unserer Methode, ja dasjenige Kennzeichen, welches uns allein unsere theoretischen Konstruktionen gestattete, ist der besondere Charakter derjenigen Begriffe gewesen, von denen wir ausgegangen sind. Diese Begriffe waren nicht ,, kollek- tive" Begriffe, wie die gewöhnliche Biologie sie gebraucht, nicht Begriffe wie die ,, Zeile", der ,,Kern", die ,,Gastrula", ,, Sekretion", ,, Nervenleitung"; solche Begriffe hatten ihren Platz nur in unseren einleitenden Betrachtungen. Die- jenigen Begriffe, mit denen wir wahrhaft arbeiteten, waren von ganz anderem Charakter: ,, prospektive Potenz", ,, äqui- potentielles System", ,, Regulation", ,, historische Reaktions- basis", ,, individualisierter Reiz" sind einige Beispiele von ihnen. Sie alle sind kategoriale Begriffe, d. h. Begriffe, die durch eine besondere Anordnung reiner Kategorien ge- schaffen wurden; ihnen allein verdanken wir es, daß wir endlich das Bereich der reinen Kategorien selbst erreichen konnten. ^) Ich setze also den Organismus zum Kunstwerk in viel nähere Beziehung, als Kaut es tut. Um das Berechtigte solchen Vorgehens einzusehen, braucht man nur an tierische Skelette^, Hörner usw. zu denken, die doch nicht „leben" und durchaus- ,,Kunstwerke'' sind. Abschluß des Teils IL 351 Definition des Organismus. Und jetzt wollen wir alles, was wir über das organische lebende Individuum gelernt haben, in einer besonderen Form kurz zusammenfassen, wir wollen unsere Erörterung be- schließen mit einer analytischen Definition des individuellen lebenden Organismus. Als Objekt der Wissenschaft, oder, anders gesagt, als Konstituent der idealen Natur, oder, noch anders, vom Standpunkt eines erweiterten Phänomenalismus aus ist der lebende individuelle Organismus eine typische Konstellation verschiedener Elemente, von denen jedes einzelne chemisch und physikalisch charakterisiert ist; seine typische Kon- stellation erhält sich trotz des Stoffwechsels, d. h. eines unausgesetzten Wechsels des Materials, aus welchem er besteht. Der Organismus existiert in unbeschränkt vielen Exemplaren; er zeigt die Eigentümlichkeit der Entwick- lung, seine grundlegenden Eigenschaften sind die Fähig- keiten der Regulation, Reproduktion und aktiven Bewegung. Der Charakter aller dieser Eigenschaften und Fähigkeiten, mit denen der lebende individuelle Organismus ausgestattet ist, ist nun derart, daß der Organismus nicht als eine Kon- stellation anorganischer Teile aufgefaßt werden kann, welche als Konstellation anorganisch ist. Es liegt ein Etwas in dem Verhalten des Organismus — das Wort im weitesten Sinne verstanden — was sich einer anorganischen Auflösung desselben entgegensetzt und uns zeigt, daß der lebende Organismus mehr ist, als eine Summe oder ein Aggregat seiner Teile, daß es nicht hinreicht, den Organismus ohne weitere Erklärung einen ,, typisch kombinierten Körper" zu nennen. Dieses Etwas nennen wir Entelechie. Ente- lechie, welche keine extensive, sondern eine intensive Mannigfaltigkeit ist, ist weder eine Energieart, noch von einem chemischen Materiale in ihrem Dasein abhängig; ja, sie ist weder Kausalität noch Substanz im wahren Sinne dieser Worte. Aber Entelechie ist ein Faktor der Natur, obwohl sie sich nur auf die Natur im Räume bezieht und 352 Abschluß des Teils II. nicht selbst irgendwo im Räume ist. Die Rolle, welche die Entelechie in der räumlichen Natur spielt, kann mechanisch oder energetisch formuliert werden, Introspektive Analyse belehrt uns, daß der menschliche Geist im Besitze einer besonderen Kategorie, Individualität genannt, ist, mit deren Hilfe er fähig ist, das Wesen der Entelechie zu seiner eigenen Befriedigung zu verstehen; die Kategorie der Individualität vervollständigt so den Begriff der idealen Natur in positiver Weise. Dieses ist eine ins Einzelne gehende analytische Definition des lebenden organischen Individuums. Teil III. Das Problem der universellen Teleologie. Individualität oder Teleologie hat sich uns als wahre ontologische Kategorie der Beziehung erwiesen. Da tritt uns nun die Frage entgegen, ob das Bereich ihrer Anwend- barkeit auf das im Räume Gegebene, auf die ,, Natur", nicht etwa noch ein weiteres sein möchte, als nur die Biologie des organischen Individuums. Die Anwendung der Individualitätskategorie in dogmatischer Weise auf dieses Grebiet einschränken, würde die Behauptung einschließen, daß Naturagentien der entelechialen Gruppe sich nur an gewissen chemischen Verbindungen, an den Eiweißverbindungen insbesondere, manifestieren können, und das würde doch eigenthch sehr seltsam und unverständlich sein. Um nun Aufschluß darüber zu gewinnen, auf welche Gebiete der Natur sich Individualität als Kategorie, wenigstens im hypothetischen Sinne, wohl noch sonst be- ziehen lassen möge, tun wir, glaube ich, am besten, uns zunächst noch einmal klar zu machen, welche Gründe uns denn eigentlich zur Schöpfung entelechialer Natur- faktoren dort, wo wir sie einführten, veranlaßt haben. a) Rückblick. Ausgegangen sind wir von gewissen Klassen natür- licher Vorgänge, welche vom Typus spezifischer, räumlicher und zeitlicher Kombina- tionen qualitativ und quantitativ gekennzeichneter Driesch, Philosophie. IL 23 354 ^'^^ Problem der universellen Teleologie. cheniiscli-physikalischer Einzelheiten waren, und welche sich in einer unbegrenzten Zahl von Exemplaren wieder- holten. Diese Klassen waren uns zuerst ,, teleologisch" im beschreibenden Sinne des Wortes. Alsdann trat die Frage auf, ob sich die Kombination dieser Zustände und Vorgänge etwa als Ausfluß oder Folge einer anderen ursprünglichen, gegebenen, physikalisch-chemischen Kom- bination festen Charakters verstehen lassen möchte — wie wir ja die Kombination der Vorgänge an einer künst- lichen Maschine auf Grund der Kombination ihrer Teile verstehen — oder ob die spezifische Kombination unserer Objekte in ihnen selbst garantiert, d. h. immanent sei. Die zweite Frage lautete also kurz: Ist die Teleologie der von uns studierten Zustände und Vorgänge vom ,, statischen" oder vom ,,d3niamischen" Typus? Im Gebiete der Form- bildung, der Vererbung und des Handelns erwies sich Teleologie nun wirklich als von dynamischer Art. Ganz am Ende entdeckten wir dann eine besondere Kategorie,. ,, Individualität", auf welche unsere ganze Erörterung basiert gewesen war, unbewußt am Anfang, bewußt am Ende. Folgerungen aus der ,, Maschinentheorie". Wir müssen einen gewissen Nachdruck auf die Tat- sache legen, daß die Kategorie Individualität auch dann aufgetreten sein würde, wenn sich, z. B. für die Form- bildung, die ,, Maschinentheorie" des Lebens als richtig erwiesen hätte. Auch in diesem Falle wären wir ge- zwungen gewesen, nach einem inneren Grunde der ,, indi- viduellen Konstruktion" zu fragen — freilich nicht mit Hinblick auf diese hier vorliegende Maschine A, das Ei, wohl aber für diejenige hypothetische Maschine B, welche alsdann als Grundlage des Ursprunges von A zu gelten gehabt hätte. Und wenn diese Maschine B sich nun wiederum als Effekt einer anderen Maschine C erwiesen hätte, so würden wir nach dem Grunde der Entstehung dieser Maschine haben fragen müssen, und so fort — ad infinitum.. Das Problem der universellen Teleologie. 355 So würde also selbst auf Grundlage der Maschinentheorie der Formbildung das Suchen nach einem wahrhaft dynamisch teleologischen oder entelechialen Faktor zu einer wissen- schaftlichen Aufgabe geworden sein — zu einer niemals endigenden Aufgabe vielleicht. Denn wo immer wir typische Konstellationen der statisch teleologischen Art auffinden, sind wir gezwungen zu schließen, daß in i r g e n d einer früheren Zeit irgend einmal eine autonome intensive Aktivität am Werke gewesen sein muß. Die Kate- gorie Individualität zwingt uns zu diesem Schluß. Natürlich verliert diese Erwägung ihre Bedeutung, sobald bewiesen worden ist, daß ein entelechialer Faktor unmittelbar beim Ursprung jedes einzelnen orga- nischen Individuums an der Arbeit ist; ohne Bedeutung für unsere künftigen Erörterungen war diese Erwägung darum aber doch nicht. Die verschiedenen Typen entelechialer Wirkungen. Und noch eine weitere Unterscheidung wird sich für das Folgende als wertvoll erweisen. Wir können den ente- lechialen Faktor der Formbildung ordnungs typisch nennen, während das Psychoid, abgesehen von den Fällen, wo es zu Kunstprodukten führt, lediglich folge typisch ist. Die formbildende Entelechie manifestiert sich ja immer in sichtbaren kombinierten Produkten, den Orga- nismen. Das Psychoid kann sich auch in solchen Kon- stellationen manifestieren, nämlich in den Gegenständen der Kunst und Technik, aber es tut das nicht beim all- täglichen Handeln. Das beweist natürlich gar nichts dagegen, daß auch beim typischen Handeln typische spezi- fische Kombinationen in Frage kommen: die einzelnen Phasen einer Konversation sind eben doch Einheiten, wenn sie auch nicht sozusagen zu Sichtba-rkeit verdichtet sind. Ein Unterschied freilich besteht zwischen sichtbaren Effekten von Entelechie und den bloß folgetypischen Kom- 23* 356 ^as Problem der universellen Teleologie. binationen beim Handeln: die ersteren sind selbst wieder Manifestationsorte vitalistischer Faktoren — wenigstens so lange wie das Leben dauert, so lange als keine ,, Leiche" da ist ; die letzteren sind anorganische Konstellationen oder ,, Maschinen" und entsprechen in diesem Sinne gradezu der Leiche. ,,r>ie Tätigkeit ist in ihr Produkt über- gegangen", um mit Hegel zu reden. Aber dieser Unter- schied ist für unsere gegenwärtigen Erwägungen ohne Bedeutung; grundlegend ist er übrigens, wie wir ja von früher her wissen, nicht. Allgemeiner Plan für das Folgende. Nach diesen Vorbereitungen wollen wir nun an die Arbeit gehen. Wir wollen versuchen ausfindig zu machen, in welchen Gebieten des Naturganzen, abgesehen von den lebenden Organismen und ihren Folgen, wir wenigstens hypothetisch annehmen dürfen, daß es wahrhaft indivi- dualisierende Vorgänge gibt oder gegeben hat; mit anderen Worten: wir wollen untersuchen, welches Anwendungs- bereich der Begriff der individuellen Einheit haben kann. Wir wissen nun, daß uns ein gewisser Erfolg wohl allemal dort verheißen sein möchte, wo es sich um solche Kombinationen oder Folgen von Zuständen oder Vor- gängen handelt, welche wenigstens in unserer wohldefinierten beschreibenden Bedeutung des Wortes ,, teleo- logisch" sindi). In diesem Falle, und in diesem Falle ^) Hierdurch schließen wir aufs Entschiedenste vom Bereiche des ,, Teleologischen"' Alles aus, was sich nicht auf Kombinationen oder Abfolgen als solche bezieht. Wir widersprechen also Jenen, welche z. JB. gewisse Formen der allgemeinsten mechanischen Prin- zipien unter einem „teleologischen" Gesichtspunkt betrachtet haben. Im „Prinzip der kleinsten Wirkung" ist nichts Teleologisches; dieses Prinzip ist nur eine andere Form des mit Hücksicht auf den euklidi- schen Raum formulierten Kausalitätsprinzips. Vgl. meine „Natur- begriffe" S. 47 und 97, und Petzoldt „Maxima, Minima und Öko- nomie", 1891. Ahnliches gilt von den Prinzipien von Lenz und Le Chatelier auf elektrischem und physikalisch-chemischem Ge- biete. Das Problem der universellen Teleologie. 357 allein 1) ist es wenigstens möglich, daß es sich um mehr als Aggregate oder Summen handelt, während uns sonst die Natur, vom individuellen Organismus abgesehen, immer nur dieselbe letzte Einheit, nämlich das letzte Element der Materie, in rein äußerlichen Kombinationen vor Augen führen würde. Leider muß nun der Ausdruck Teleologie in allem folgenden noch in sehr viel unbestimmterem Sinne ver- standen werden, als es schon in unserer früheren be- schreibenden Einleitung der Fall war. Wir werden nämlich weder irgend eine nahe Analogie zu ,, meinem Handeln" noch wahre ,, Natur zwecke" im Sinne K a n t s zu entdecken imstande sein; wir werden zufrieden sein müssen, wenn wir wenigstens irgend etwas auffinden können, das wie ein ,, Ganzes" oder wie eine ,, Einheit" oder wie ein ,, Zweck" aussieht, und so kann denn alles Folgende nicht mehr bedeuten als eine Anregung für künftige strenge Forschung. ß) Das Problem einer suprapersonalen Teleologie im Bereiche des Lebenden. Geschichte im allgemeinen. An erster Stelle betrachten wir noch einmal die Phäno- mene der menschlichen Kultur, wie sie uns in der mensch- lichen Geschichte entgegentreten. Bei einer früheren Gelegenheit sagten wir, daß wir gegenwärtig kein positives Recht zu der Behauptung haben, in irgend einer Gruppe kultureller oder historischer Erscheinungen mehr als eine Kumulation der Handlungen psychoidaler und moralischer Individuen zu sehen. Ganz sicherlich wissen 1) Wenn wir unsere ,. Individualität" zu den Begriffen der „Gestaltqualität'' (Ehrenfels) und des ., fundierten Inhalts" (Mei- nen g) in Beziehung setzen wollen, so können wir sagen, daß alle Fälle von Individualität sich diesen Begriffen der modernen Psycho- logie — welche übrigens rein psychologisch, nicht ontologisch be- gründet sind — unterordnen lassen; aber unsere Kategorie Indivi- dualität ist nicht mit diesen Begriffen identisch; letztere sind viel weiter an Umfang'. 358 I^^s Problem der universellen Teleologie. wir gegenwärtig weder von irgend einer Einheit noch von einer echten Evolution i) auf diesem Gebiete etwas. Es ist aber von Interesse, daß auch wir hier ein Pro- blem aufstellen : die Kategorie Individualität ist an der Arbeit; sie stellt uns eine wissenschaftliche Aufgabe — eine ewige Aufgabe vielleicht. Sie stellt uns, logisch gesprochen, die Frage: Sind Begriffe wie Staat, Gesell- schaft, Geschichte wirklich solchen Begriffen wie Gebirge, Kontinent, Überschwemmung gleichwertig ? Es könnte doch auch anders sein — eben dieses ,, könnte'* garantiert uns der Besitz der Kategorie Individualität; der Begriff ,, Staat" könnte doch auch dem Begriff ,,Tier" logisch verwandt sein, Geschichte könnte so etwas sein wie Embryologie. Ganz ebenso wie beim Studium des organischen In- dividuums würde natürlich eine problematische kategoriale Theorie der Kultur zu allererst zu zeigen haben, daß hier irgend eine Art von deskriptiv-teleologischer Einheit als ein Gegenstand für weitere Untersuchung vorliegt. Wir wissen leider nicht einmal das. Wir kennen keine einzige Komplikation und keine Art des ,, Fort- schritts" im Bereiche der menschlichen Geschichte, welche sich nicht unschwer als Kumulation verstehen ließe. Soweit wir wissen, ist der Staat im weitesten Sinne des Worts die Summe des Handelns aller an ihm beteiligten In- dividuen und ist nicht ein wahres ,, Individuum" für sich 2). ^) Individuelle Einheit und Evolution sind nicht dasselbe, aber letztere ist, wie hier nicht weiter ausgeführt werden kann, das Hauptkriterium der ersteren. 2) Wenn er es wäre, so würde aber nicht die logische Be- ziehung ,, Materienelement: Mensch = Mensch: Staat'" gelten, obwohl die Entelechie des Menschen die Materienelemente und die supra- personale Entelechie des Staates die Menschen gleichermaßen als J.Mittel" benutzen würde. Denn auch der Mensch ist ja schon ein Individuum; das Materienelement ist ein solches definitionsgemäß nicht. Das Problem der universellen Teleologie. 359 Natürlich würde, auch wenn irgend eine Art von Konstruktion oder wahrhaft individueller Einheit sich im Gebiet der Kultur als existierend herausgestellt hätte, das Problem eines dynamischen, autonomen kulturellen und historischen Faktors noch ungelöst sein. Es m ö c h t e alsdann eines Tages vielleicht ein solcher Faktor gefunden werden — im Bereiche des sogenannten ,, Unbewußten" oder ,, Unterbewußten"; aber eine historische Teleologie, ihre Existenz überhaupt zugegeben, könnte auch als Teleologie ,, maschinenartig " sein. Das würde hier natürlich nicht heißen, daß die menschliche Kultur ,, mechanisch" verständlich sei; die entelechialen Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, würden ja einer solchen Annahme von Anfang an widersprechen; es würde aber heißen, daß die individuelle Konstruktion auf einem gewissen Zustand der Kultur als Konstruktion die Wirkung der Konstruktion eines früheren Zustandes ist, welche ihrerseits wiederum auf eine frühere Kon- struktion folgte und so fort ins Unendliche. Das Wort Konstruktion würde sich hier auf die Greschwindig- keit und Anordnung der Materie im Raum und auf die Anordnung der individuellen or- ganischen Personen beziehen. Sowohl wenn die Maschinentheorie der Kultur richtig wäre, als auch wenn es sich um einen dynamischen evolutiven Kulturfaktor handelte, würde es sich natürlich um mehr als nur um die Summe der historischen Individuen handeln; im letzteren Falle würde ein gegenwärtig aktiver Faktor am Werke sein, im ersteren wäre irgend ein solcher Faktor in irgend einem Punkte der Vergangenheit — vielleicht der unendlichen Vergangenheit — am Werke gewesen. Selbstredend darf bei der Frage nach dem Individual- charakter des Staates nicht an irgend einen existierenden Staat gedacht werden i); in ihm wäre sicherlich das Evo- ^) Mit Recht nennt Schelling einmal „das allmähliche Ent- stehen der weltbürgerlichen Verfassung" das einzige wahre Objekt der Greschichte, 360 I^^s Problem der universellen Teleologie. lutive und Individuelle von Kumulativem bis zur Un- kenntlichkeit überlagert 1). Das Wort ,, Staat" soll uns bei unserer Frage ein menschliche Gemeinschaft überhaupt umfassendes Allgemeines bedeuten. Ob ,, Staat" in diesem Sinne individuelle Ganzheit ist, wollen wir wissen 2). Wäre er es, dann wäre mit Rücksicht auf die einzelnen Kon- stituenten des Staates der suprapersonale Staats-Ganzheits- faktor der Bestimmer der Besonderheit ihres Wollens ^). Leider muß also das Problem der historischen Teleologie in jeder Beziehung eine offene Frage, eine kategor iale Auf- 1) Vgl. Band I S. 297 und 325/6. 2) Man vgl. hierzu Darlegungen von rechtsphilosophischer Seite, z. B. die kritischen Darlegungen von G. J ellin ek (Allgemeine Staatslehre. 2. Aufl. 1905. S. 130 ff.) über die möglichen Auffassungs- weisen des Staatsbegriffs. Mein Wort „Individualität" seheint mir besser das Problem zu formulieren, als das meist verwendete Wort „Organismus"; dieses ruft gar zu viele Analogien mit dem wirk- lichen biologischen Organismus wach. Die Frage nach der „organischen'- oder nicht-organischen Natur des Staates wird natürlich eigentlich bedeutungsvoll erst dann, wenn im Biologischen der Begriff des „Individuums" nicht nur von Kumulativem begrifflich scharf gesondert, sondern auch als realisiert nachgewiesen worden ist; erst dann kann in mehr als formaler Weise gefragt werden: „Gibt es nun auch „Supra"- Individuen?" J ellin ek selbst faßt übrigens das Problem wesentlich for- maler als ich; es hängt das mit seiner Stellung zum Zweckbegriff zusammen. 3) Wäre Geschichte durchaus „Evolution", so gäbe es keinen Platz für den Begriff der „historischen Möglichkeit" ; wäre sie teil- weise evolutiv, so wäre dieser Begriff nur in sehr beschränktem Maße anwendbar. Die Analyse des Begriffs der „Möglichkeit" über- haupt, in seinem objektiven und subjektiven Sinne, liegt natürlich jenseits des Rahmens dieses Werkes und gleiches gilt von der Ana- lyse der Beziehung des Begriffs „Möglichkeit" zu den Begriffen „Eindeutigkeit" und „Freiheit" (vgl. hierzu Max Weber, Arch. Sozialwiss. 22, p. 143). Ich bemerke hier nur, daß vom höchsten Standpunkt aus für objektive „Möglichkeit" überhaupt kein Platz ist, weder mit Rücksicht auf Kausalität noch mit Rücksicht auf Individualität; sind doch beide Unterarten der eindeutigen Be- stimmtheit überhaupt — wenigstens im Bereich der Objekte (vgl. S. 153ff.). Das Problem der universellen Teleologie. 361 gäbe bleiben, und zwar, da, sich mit dem Staate nicht experimentieren läßt, ja, da wir nur einen Staat in unserem Sinne kennen, wohl für immer. Die Geschichte des Individuums. Aber finden wir nicht vielleicht so etwas wie eine teleologische Einheit in den Elementen des historischen Prozesses, d. h. im Leben des einzelnen menschlichen In- dividuums 1 Gibt es so etwas wie Einheit oder Zweckmäßig- keit in meinem eigenen Leben und in Ihrem Leben; wobei das Wort Leben alles das oder wenigstens einen Teil dessen umfassen soll, was mir und was Ihnen begegnet ist ? Wir haben alle wohl eine gewisse Summe von Erfahrungen, die uns geneigt machen könnten, diese Frage zu bejahen — aber ich zweifle, ob sie stark genug ist, um eine wissen- schaftliche Tatsache zu begründen, so sicher wie das Grav^ta- tionsgesetz Newtons. Dieser Grad von Sicherheit müßte aber erreicht werden. Phylogenie. Was die Phylogenie, d. h. die Geschichte der ver- schiedenen Formen des Lebendigen überhaupt angeht, so haben wir schon oben gesagt, daß wir hier nur eines mit Sicherheit wissen, nämlich dieses, daß sowohl ,, Darwinismus" wie ,, Lamarekismus" zur Lösung des hier vorliegenden Problems ungeeignet sind. Es mag ein wahres -ziXoc, geben, welches in der Phyologenie erreicht werden soll, aber es mag auch, trotz autonomen Charakters der Phylo- genie, der Stammbaum der Organismen als solcher eine bloße Kumulation und nicht eine wahre teleologische Konstruktion sein i). Und das tsXoc hinwiederum mag auf dynamischer oder auf konstellativer, d. h. maschinen- artiger Teleologie beruhen. Es gibt nicht viele Gebiete der Wissenschaft, auf denen wir so unwissend sind wie gerade hier. ^) Vgl. Baudl S. 306. Bergson vertritt in seiner ,.Evolution"' creatrice" eine zwar autonome, aber endlose Phylogenie. 3g2 I^äs Problem der universellen Teleologie. So stellt uns denn also die Kategorie der Individualität im Bereiche der Biologie, von dem eigentlichen persönlichen Individuum abgesehen, nur Aufgaben. Die Bedeutung der Fortpflanzung. Gibt es nun aber nicht doch eine Gruppe von biologischen Tatsachen, welche deutlich darauf hinzuweisen scheint, daß es so etwas wie einen das biologische Individuum als solches überragenden Zweck im Bereiche des Lebendigen gibt ? Es gibt in der Tat eine Gruppe organischer Phänomene, die wir bisher nur ganz beiläufig erwähnt haben, da sie den eigentlichen Gegenstand unseres Studiums, das organische personale Individuum, nichts angeht: ich denke hier an die einfache Tatsache der Fortpflanzung. Die Vererbung haben wir studiert; sie besteht in der Tatsache, daß der junge Organismus seinen Eltern ähnelt. Wir haben auch analysiert, was die Entwicklung aus dem Ei eigentlich bedeutet oder die Entwicklung aus irgend einer anderen Art von Keim oder Knospe; es stellte sich heraus, daß die Manifestation der Entelechie an einem Ei oder Keim im ontologischen Sinne sich als nichts weiter als einen besonderen Fall der allgemeinen Tatsache der Wiederherstellung von Fragmenten auffassen läßt. Wir haben aber noch nicht ein einziges Wort über die Bedeutung des allbekannten Faktums gesagt, daß das organische Individuum ,, Fragmente" aktiv produ- zieren kann, Fragmente, welche sich dann unter der Kontrolle der Entelechie entwickeln sollen. Das ist aber durchaus ein Problem für s i c h i). Liegt hier nun nicht die eigentliche Wurzel dessen, was im Bereiche des Lebendigen in höherem als dem übhchen 1) Das Problem hat natürlich gar nichts mit dem früher kurz erwähnten (Band I S. 33 Anm, 1) Problem der sexuellen Fort- pflanzung zu tun. Dieses Problem, über das ich übrigens dem oben Gesagten nichts von Bedeutung beifügen könnte, geht uns hier gar nichts an. Das Problem der universellen Teleologie. 363 Sinne überhaupt teleologisch oder ,, individuell" sein kann? Scheint es nicht, als diene die Fortpflanzung einem über persönlichen Zweck ? Jedenfalls kann die Fortpflanzung auf andere Weise überhaupt gar nicht ver- standen werden^), und eben deshalb haben wir ihrer gerade an dieser Stelle Erwähnung getan. Aber auch hier wissen -wir gar nichts. Auf alle Fälle würden wir nur dann, wenn mr die einzelnen biologischen Individuen als Mittel zu einem höheren Zweck betrachten, einigermaßen zu verstehen im- stande sein, was denn eigentlich die Manifestationen der Entelechie im Räume überhaupt wollen und sollen. Warum unterbleiben sie nicht? Ja, warum werden sie immer weitergeführt? Den zureichenden Grund für ihr Weiter- gehen können wir nur in einem superpersonalen Zwecke sehen, mögen die einzelnen Individuen gleichwertige oder ungleichwertige Glieder im Zweckganzen darstellen 2). T) Die Harmonie der Natur. Wir gehen nun zu der Analyse eines gewissen Typus problematischer Teleologie über, welcher sich auch auf suprapersonales Leben, freilich nicht in historischem Sinne, bezieht. Kein Mensch faßt, soviel ich weiß, heutigenta,gs den Ursprung von Inseln, Bergen, Wolken, Flüssen oder irgend einer anderen Art anorganischer Kombinationen auf der Erde teleologisch auf. Diese Art von Teleologie spielte aber, wenigstens statisch gefaßt, eine bedeutsame Rolle im 18. Jahr- hundert. Und in derselben Weise sprach man von einer gegenseitigen teleologischen Zuordnung der verschiedenen 1) Hiergegen könnte man nur dieses einwenden, daß nämlich die Entelechie wisse, daß sie anorganische Potentiale nicht auf unbeschränkte Zeit hin überwinden kann, und daß sie sich des- halb Orte künftiger Manifestationen sichere. Doch w^äre auch das in gewisser Hinsicht etwas „Suprapersonales". 2) Die Lösung dieser Frage gehört in die Ethik. 364 I^^s Problem der universellen Teleologie. Formen der Organismen zu einander, wie ja denn in der Tat die Tiere heutzutage ohne die Pflanzen nicht würden existieren können. Hier treffen wir auf den Begriff einer Harmonie der Natur, der organischen wie der anorganischen. Der Begriff dieser Harmonie geht aber im Bereiche des Anorganischen noch weiter; er geht von der Geologie und Geographie zu den Elementen des Anorganischen: die Eigenschaften des Eises und des Salzes werden als Beispiele dieser ,, Harmonie" aufgefaßt, und ebenso die Tatsache, daß das Wasser seine größte Dichtigkeit bei 4^ C und nicht am Gefrierpunkt erreicht. Ich trage nun kein Bedenken, zuzugestehen, daß, ganz ohne Rücksicht auf eine problematische historische Tele- ologie, die sich auf die Folge politischer oder ökonomischer Zustände beziehen würde, und ganz ohne Rücksicht auf Phylogenie, ich trage, sage ich, kein Bedenken, zuzugestehen, daß mir in der Tat im Begriffe einer allgemeinen Harmonie zwischen der organischen und anorganischen Natur eine gewisse gesicherte teleologische Grundlage vorzuliegen scheint, ein Etwa^s, welches darauf hinweist, daß Natur zu einem gewissen Zwecke ,,N a t u r" ist. Ich muß aber gleichzeitig bekennen, daß ich durchaus nicht imstande bin, diesen Zweck anders als rein anthropo- morphistisch aufzufassen. Prüfen wir nun einmal etwas systematischer, auf welche Gruppen anorganischer oder organischer Konstellationen sich irgend eine Art von teleologischer Harmonie beziehen könnte. Jede derartige Harmonie würde natürlich in erster Linie nur statisch, d. h. eine gegebene teleologische Anord- nung sein und nichts weiter. Aber es wäre viel gewonnen, wenn wenigstens das als bewiesen gelten könnte. Was die verschiedenen Arten von Materie und Kraft betrifft, so versuchen bekanntlich Physik und Chemie die Atome, Moleküle und Kristalle als bloße Gleichgewichts- Das Problem der universellen Teleologie. 365 zustände eines elementaren Mater iales zu begreifen. Die möglichen Formen des Gleichgewichts würden unter solchem Gesichtspunkt durch die Natur des Raumes gegeben sein. Wie steht es nun aber mit der spezifischen Ver- teilung und relativen Häufigkeit der ver- schiedenen Gruppen des anorganischen Materiellen ? Beide sind natürlich die Folge einer früheren spezifischen Ver- teilung, welche ihrerseits wieder die Folge einer noch früheren ist. Findet sich nun in diesen Verteilungen irgend etwas vom Charakter einer teleologischen Einheit ? Der einzige Weg, auf dem sich diese hypothetische Einheit würde entdecken lassen, wäre der Nachweis, daß sie irgend eine Zweckmäßigkeitsbeziehung auf organische Wesen hat. Das klingt sicherlich sehr ,,anthropomorphistisch". Wir dürfen hier aber nicht vergessen, daß wir auf andere Weise nicht einmal einen Ausgangspunkt gewinnen können für eine künftige wahrhaft gesicherte Entdeckung einer ,, suprabiologischen" oder ,, suprapersonalen" Teleologie. Denn von einer dynamischen oder entelechialen Teleologie wissen wir in diesem Bereiche der Natur ganz gewiß nichts — andernfalls wäre ja unsere Aufgabe nicht schwierig. So ist denn das Einzige, was wir teleologisch hier tun können, das Suchen nach irgend einem Kennzeichen im Be- reiche der anorganischen Besonderheiten der Anordnung, welches sich möglicherweise auf irgend einen denkbaren Zweck beziehen könnte. Und die Organismen allein sind für uns solche Zwecke. So betrachtet dienen nun Häufigkeit und Verteilung von Salz und Eisen und die be- merkenswerten Eigenschaften des allgegenwärtigen Wassers in der Tat zur Unterstützung wichtiger Funktionen und Leistungen aller Organismen, einschließlich der Menschen. Und demselben Zwecke dient die Trennung der Ozeane und Kontinente auf der Erde. Doch wir wollen die weitere Erörterung dieses zentralen Problems aufschieben und erst noch einen anderen Typus möglicher Individualität oder Teleologie im Bereiche des Anorganischen kennen lernen. 356 Das Problem der universellen Teleologie. b) Das Problem einer wahren anorganischen Individualität. Hier handelt es sich nicht um die spezifische Verteilung und Häufigkeit der Typen des Materiellen, sondern um die allgemeine Verteilung der Massen im kosmischen Universum. Und andererseits haben wir es hier nicht mit der Möglichkeit einer bloßen allgemeinen ,, Harmonie" ausschließlich zu tun^ sondern mit der Frage, ob sich im anorganischen Universum solche Typen von Anordnungen — oder sogar vielleicht von dynamischen Ereignissen — finden lassen, die uns be- rechtigen würden, von wahren anorganischen Individuen oder um es seltsam auszudrücken, von ,, anorganischen Organismen" zu reden. Das ist natürlich logisch ein Problem ganz anderer x4.rt als das Problem einer allgemeinen Har- monie des Universums mit dem Menschen als letztem Zwecke. Unser neues Problem scheint weit weniger ,,anthro- pomorphistisch" zu sein als das Problem der Harmonie. Viele kosmische Konstellationen von Massen, wie z. B. die einzelnen Planetensysteme, sind, soweit wir wissen, sehr typisch in ihrer Besonderheit und sind doch nicht auf bloße Raumsymmetrie zu beziehen, wie das mit den chemischen Elementen auf Grundlage der Elektronentheorie der Fall ist. Es ist nun heutzutage sicherlich nicht bewiesen, daß sich eine kategoriale Teleologie auf planetarische oder siderische Systeme anwenden läßt, daß sich an ihnen irgend etwas wie Individualität findet; aber andererseits muß ein solcher Standpunkt doch als möglich zugegeben werden und als in der Zukunft einmal beweisbar. Wissen wir doch, daß nicht nur F e c h n e r in seiner poetischen Weise, sondern daß auch andere Philosophen die Planetensysteme gelegentlich als wahre ,, Organismen" angesehen haben. Eine solche Behauptung würde natürlich nicht ausschließen, daß auch eine gewisse Art von ,, Harmonie" mit Hinsicht auf das Leben in den planetarischen Anordnungen zum Ausdruck komme. Wir können wohl in diesem Zusammen- hang die Frage auf werfen, ob denn ein Bakterium, das, mit menschlicher Vernunft begabt, irgendwo im Körper Das Problem der universellen Teleologie. 367 des Menschen lebt, imstande sein würde, die ,, Ganzheit" und ,,dynamisch-teleologische Natur" seines Wirtes zu ent- decken, und ob es nicht lieber sagen würde, daß, soweit es urteilen könne, keinen Grund vorliege, die Kategorie Tele- ologie, selbst im statischen Sinne, auf die seltsame und ganz offenbar ,, zufällige" Konstellation anzuwenden, in die es gestellt sei. Es könnte doch sein, daß wir im Hinblick auf die planetarischen und siderischen Anordnungen die Rolle dieses Bakteriums spielen. Was über die Besonderheit siderischer Anordnungen, von dem Planetensystem abgesehen, wirklich bekannt ist, bezieht sich in erster Linie auf die bemerkenswerte Bildung der jVIilchstraße und auf die Verteilung vieler Sternsysteme in ihrer Ebene. Alles zeigt jedenfalls, d a ß es eine siderische Anordnung von sehr typischem Charakter gibt. Um also zusammenzufassen: Weder über eine Har- monie der Natur noch über eine wahrhaft teleologische und individuelle Anordnung des Anorganischen ist irgend etwas Sicheres bekannt, und zwar weder mit Rücksicht auf die allgemeine Verteilung der Arten des Materiellen noch auf die Anordnung der Gestirne. Aber es gibt wenigstens einen Hinweis auf so etwas wie eine allgemeine statische harmonische Teleologie mit Rücksicht auf die leben- den Wesen und den Menschen. e) Zufall und Teleologie. Der Begriff des Zufalls. Anorganische Teleologie in jeder Form leugnen, würde offenbar dasselbe bedeuten, wie behaupten, daß der Zufall das ausschließliche Kennzeichen jeder Art von besonderer Konstellation im Anorganischen sei. Der Begriff ,, Zufall" hat, wie er gewöhnlich gebraucht wird, zwei verschiedene Bedeutungen. In Beziehung zum Begriff der Notwendigkeit muß die Philosophie daran festhalten, daß nichts in der Natur geschieht, was nicht eindeutig bestimmt ist, und daß daher nichts ,, zufällig" ist. Mit 3()8 I^as Problem der universellen Teleologie. Rücksicht auf Ereignisse an diesem Orte des Raumes und in diesem Zeitpunkte aber darf die Philosophie sagen, daß ihr Geschehen an diesem Orte und zu dieser Zeit zufällig sei, sobald sich nicht irgend eine Art von Ganzheit oder irgend ein Plan auffinden läßt, dem ihr zeitliches oder ört- liches Auftreten verdankt wird. Zufälligkeit in diesem Sinne ist dasselbe wie Nicht-Teleologie i), während der Be- griff des Zufalls in jener anderen Bedeutung in einer kriti- schen Philosophie überhaupt unzulässig ist 2). Wenn wir nun unser allgemeinstes Resultat hinsichtlich des Problems irgend einer nichtbiolcgischen Teleologie oder Individualität unter Verwendung des Wortes Zufall ausdrücken wollen, so können wir sagen, wie folgt: Was die Anordnung der Gestirne als solche angeht oder die Phylogenie oder die Geschichte, so sind wir hier gegen- wärtig nicht imstande, die Existenz irgend einer Nicht- zuf älligkeit zu beweisen; doch ist das keine endgültige Antwort, und die auf die Kategorie Individualität be- gründete Aufgabe bleibt bestehen. Mit Rücksicht auf eine allgemeine Harmonie zwischen der anorganischen Natur und den Organismen scheint es sich aber schon jetzt um mehr als nur um eine Aufgabe zu handeln. Der Begriff einer begrenzten Teleologie. Wir haben nämlich gesehen, daß es wenigstens g e - wisse Anzeichen einer suprapersonalen Harmonie, wenig- stens von einem anthropomorphistischen Standpunkt aus, gibt, gewisse Anzeichen einer allgemeinen statischen Har- monie des Naturganzen, in dem Sinne, wie die älteren Naturforscher es annahmen. Das Wort ,, Harmonie" ist in der Tat das Einzige, das geeignet erscheint, die wenigen ^) Der Begriff „Zufall" hat also nur im Gegensatz zur Teleo- logie einen klaren Sinn; er ist eine Negation. Das beweist wieder, daß Teleologie (oder besser: Individualität) eine Kategorie ist. 2) Eine tiefere Erörterung des Problems gehört der allgemeinen Philosophie an. Siehe auch S. 311 f. und S. 360 Anm. 3. Das Problem der universellen Teleologie. 369 Punkte, über welche wir hier positive Aussagen machen können, passend zu bezeichnen. Der Kosmos ist jedenfalls derart, daß er organisches Leben und insonderheit das Leben des Menschen, wenigstens auf der Erdoberfläche, garantiert. Einer solchen Erwägung pflegt häufig ein Einwand ge- macht zu werden, den man als eine Art von erweitertem Darwinismus bezeichnen könnte. Man sagt, daß irgend ein gegebener Zustand des Organischen nicht aus Zweckmäßig- keit resultiere, sondern daß er der einzige Übriggebliebene aus einer unbegrenzten Zahl anderer möglicher Zustände sei, weil er eben, durch ,, Zufall", das Geheimnis besaß, seine dauernde Existenz unter den herrschenden Umständen zu behaupten. Diesem Widerspruch gegen eine allgemeine in wechselseitiger Harmonie zutage tretende Teleologie erwidern wir nun hinwiederum, daß eine solche Erwägung ganz offensichtlich nie imstande ist, die einfache Wahr- heit hinwegzuschaffen, daß die Gegebenheit doch nun einmal s o ist, wie sie ist, und daß der eine ihrer Bestandteile nun doch einmal tatsächlich zu- gunsten des anderen existiert. Es gibt nun einmal teleologische Beziehungen zwischen den verschiedenen Organismen, zwischen den Pflanzen und der Sonne, zwischen dem Wasser und den allgemeinen Lebensfunktionen. Das ist nun einmal so, und also g i b t es eine gewisse Harmonie zwischen den elementaren Konstituenten der Natur, zum mindesten mit Rücksicht auf ihre Verbreitung. In Hinsicht auf m e h r als eine solche bloße Harmonie liegen nun freilich nicht irgendwelche logischen Gründe vor, die uns geradezu verbieten würden, die Anordnung der anorganischen Welt als solche oder den Ablauf der Ge- schichte als durchaus zufällig und als die Folge einer un- begrenzten Reihe von Zufälligkeiten in der Vergangenheit, deren jedes Glied zu jedem Zeitpunkt durch bloße Wahr- scheinlichkeit bestimmt ist, anzusehen. In diesem Falle wäre mit Rücksicht auf das Anorganische als solches oder auf Greschichte als solche die von der Kategorie Individualität Driesch, Philosophie. II. 24 370 ^^^ Problem der universellen Teleologie. gestellte Aufgabe praktisch unlösbar. Da wir nun aber eine gewisse Art von Harmonie zwischen den Mani- festationen der Entelechie und der Verteilung der an- organischen Wirklichkeiten in der Tat entdeckt haben, so gewinnen eben damit doch wenigstens einige Züge der primordialen Konstellation der anorganischen Welt eine besondere Art teleologischer Bedeutung: nämlich diejenige einer Harmonie mit Rücksicht auf Mani- festationen der Entelechie. Hört nun aber damit nicht die Zufälligkeit der anorganischen Kon- stellationen überhaupt wenigstens in gewissen Ge- bieten auf, ,, Zufälligkeit" zu sein? Scheint es nicht, als wäre die Art der Wahrscheinlichkeit anorganischer Kon- stellationen derart spezifiziert, daß sie wenigstens auf einen begrenzten Zweck hinweist ? Wir werden auf dieses Problem alsbald von einem anderen Standpunkt aus zurückkommen und wollen hier nur kurz bemerken, daß die Zulassung einer Teleologie von nur begrenzter Art eine sehr wichtige Auffassung des letzten Charakters der Gegebenheit überhaupt einschließt. Z) Moralität. Moralität als Maßstab universeller Teleologie. Ein recht gewichtiger Einwand dagegen, daß der eine Organismus zugunsten des anderen da sei, geht aus der Erwägung hervor, daß es mit unserem Ideal von dem, was ,,sein sollte", doch recht wenig übereinstimmt, wenn die eine Gruppe der Organismen auf Kosten des Schmerzes und Todes einer anderen blüht. Für das menschliche Fühlen wenigstens wiegt dieser Einwand schwerer als irgend ein anderer, obschon die rein kritische Erwägung hier doch wohl kein endgültiges Urteil zu fällen geneigt sein dürfte. Kennen wir doch die Mittel nicht, welche der hypo- thetischen suprapersonalen Entelechie zur Verfügung standen, von der wir annehmen müssen, daß die Har- monie der Natur ihr Werk ist. Nur eine Lösung des Pro- Das Problem der universellen Teleologie. 371 blems vom Sinne und von der Bedeutung des Gegebenen könnte uns ja eine endgültige Antwort auf die Frage nach der Art und Weise universaler Teleologie liefern. Wir können heute angesichts dieses Problems durchaus nichts anderes tun als einfach bekennen, daß die einzige Sphäre, in welcher, w i r eine solche Lösung überhaupt zu begreifen imstande wären, das Gebiet der Moralität und Intellektualität wäre. Wenn das Universum eine Be- deutung mit Rücksicht auf diese beiden Zwecke besäße — welche letzthin wohl als ein Zweck gelten können — dann würden wir diese Bedeutung wenigstens zu b e - greifen imstande sein. Moralität und Intellektualität werden so zum Maßstab aller universalen Teleologie jeder Art, und so tritt denn Moralität noch einmal in das Bereich unserer theoretischen Erwägungen ein. Moralität als Kategorie. Gestatten Sie mir zunächst einige ergänzende Worte über den Begriff des Moralischen vom rein ontologischen Standpunkt aus, um so unsere früheren Äußerungen über diesen Gegenstand etwas weiter auszuführen. Als eine Form des Urteilens, also von allem Gemüts- mäßigem, allem ,, Psychologischen" abgesehen, ist auch Moralität eine Kategorie, ebenso wie Kausalität und Individualität!). Nur auf diese Weise wird die Einheit des Gegebenen garantiert, während das Moralische als etwas ansehen, was von jeder anderen Art unserer Be- ziehung zum Gegebenen vollständig differiert, nichts anderes heißt als das Gegebene in zwei Teile zerlegen, die durchaus nichts mit einander zu tun haben. ^) Moralität und Moralisieren sind zweierlei: Die theoretische Ethik ist in letzter Linie die Beschreibung eines Ideals und ist rein intellektual. Ein .,Du sollst'' gibt es für sie nicht; nur ein „so sollte es sein". Daher kommt es, daß der persönliche moralische Charakter eines Autors nichts mit seiner Moralitätstheorie zu tun hat. 24* 372 I^^s Problem der universellen Teleologie. Was auch immer der besondere sogenannte „Inhalt" des Moralischen sein mag, Moralität im allgemeinsten kategorischen Sinne kommt stets in Frage, sobald die Be- ziehung zwischen einem Ordnungsbestandteil und der Ordnung, welcher er mit Sicherheit oder vermutungsweise angehört, insbesondere die Beziehung zwischen zwei oder mehr aktiven entelechialen Manifestationen zu einander der Gegenstand des Nachdenkens ist. ,, Moralisch ur- teilen" heißt alsdann die zutreffende Bolle eines Ord- nungsbestandteiles innerhalb seiner Ordnung verwirklicht finden oder sie vermissen. Moralität ist als Kategorie ebenso ,, konstitutiv" wie jede andere Kategorie, und nicht nur regulativ : denn die moralischen handelnden Individuen sind wahrhafte Bestandteile der Natur i). Ich ,, verstehe" Moralität, ebenso wie Kausalität und Individualität, psycho- logisch, da ich ja selbst eines der in Rede stehenden In- dividuen sein kann. Moralität wird auf diese Weise ein Bestandteil: erstens des Systems der Kategorien, zweitens der Natur, drittens der Psychologie — wie alle Kategorien. Alles würde natürlich anders liegen, wenn das ,, Mo- ralische" im eigentlichen Sinne eine Täuschung und die menschliche Gemeinschaft in Wahrheit eine suprapersonale individuelle Einheit wäre, welche die biologischen Individuen als Mittel benutzt 2). In diesem Falle müßte Moralität wohl als rein psychologisches oder subjektives Korrelat dieser suprapersonalen Individualität gelten und wäre keine besondere Kategorie. Oder dürfen wir viel- leicht umgekehrt sagen, daß ,, Moralität" ihrerseits die von uns gesuchte suprapersonale Einheit der Geschichte und Kultur garantiert? Mir scheint, eine solche Auf- fassung ist zwar möglich, aber doch nicht gerade not- wendig. 1) Vgl. S. 332. «) Vgl. S. 118. Das Problem der universellen Teleologie. 373 Es ist ein ebenso wichtiges wie seltsames Kennzeichen der Kategorie Moralität, daß sie fast immer in negativer Form auftritt. Wir urteilen, daß etwas ,.nicht hätte geschehen sollen", es würde aber in den meisten Fällen — freilich wohl nicht in allen — sehr schwer für uns sein, mit vollständiger Sicherheit zu bestimmen, was nun ,, ge- schehen sollte" 1). Denn das moralische Urteil setzt eben Kenntnis der Ordnung, dem das Beurteilte zugehört, voraus ; diese Ordnung kennen wir aber, wie ja erörtert, meist nur ganz unbestimmt und gefühlsmäßig. Es verdient Beachtung, daß wir in diesem kurzen Abriß einer logischen Theorie des Moralischen nicht ein einziges Mal Worte wie ,, Freiheit", ,, Verantwortlichkeit" oder Ähnliches gebraucht haben. Das Moralische als G e f ü h 1 bezieht sich auf Individuen und auf Individuen allein 2). Historische Kumulationen irgend einer Art sind daher nur dann moraUsch bindend, wenn sie nicht zum Widerspruch gegen die unmittelbare Beziehung von Individuum zu Individuum auffordern. Das ist von großer Wichtigkeit für das praktische Leben. Moralität und Vitalismus. Wir kommen nun auf eine sehr wichtige Beziehung zwischen der Moralität und jeder Art von Vitalismus zu sprechen : Die Setzung des Begriffs des Moralischen schließt die Setzung des Begriffs der Indivi- ^) Aber irgend einen , .Inhalt" muß Moralität haben. Bloß ..formale" Moralität, im Sinne Kants, wäre eben so leer wie die bloße Behauptung der Existenz von Kategorien der ., Beziehung" ohne nähere Ausführung; freilich soll sie wohl nur eine Formu- lierung des Problems, also eine Vorarbeit bedeuten. — Eine voll- ständige Theorie der Moralität ist natürlich nicht die Aufgabe dieses Werkes. 2) Unser Satz ist wohl identisch mit dem Kantischen Aus- spruch, es dürfe der Mensch dem Menschen nie ein ,, Mittel" werden; ein Ausspruch, der viel bedeutsamer als die bekannte allgemeine, aber leere und das Problem nur vorbereitend klärende Moral- ormel Kants ist. 374 I^^s Problem der universellen Teleologie. dualität ein, ganz ebenso wie Individualität Kausalität und Substanz begrifflich einschloß. Es ist von allergrößter Bedeutung, sich klar zu machen, daß Moralität und Individualität in der Tat derart ver- knüpft sind, daß die erstere bejahen gleichzeitig die letztere bejahen, und die letztere verneinen gleichzeitig die erstere verneinen bedeutet. In diesem Sinne ist der Vitalismus in Wahrheit die Pforte zur Moralität: er bereitet sie vor und andererseits folgt er aus ihr, denn sie setzt ihn mit Ohne Annahme der vitalistischen Lebenslehre wäre das Moralische eine Absurdität, sowohl als Urteil über andere wie als Urteil über mich. Über andere kann ich doch offenbar nur dann urteilen, daß ihre Hand- lungen ,, nicht hätten geschehen sollen", wenn ich diese Handlungen als elementare auf ein Ziel, auf eine individuelle Konstruktion bezogene Ereignisse ansehe. Und wie könnte ich*selbst anderen Individuen gegenüber ,, moralisch" fühlen, wenn ich wüßte, daß sie Maschinen und nichts anderes sind ? — Maschinen, die ich selbst wohl eines Tages bauen könnte, wie eine Dampfmaschine! Für den über- zeugten theoretischen Materialisten, dem sein Nächster ein ,, mechanisches System" ist, wird so alle Moralität absurd. Und das ist gleichermaßen wahr, mag der Materialismus nur als eine Theorie der Natur gelten und in letzter Linie auf einer idealistischen oder phänomenalistischen Grund- lage ruhen, oder mag er sich auf die roheste, unkritischste metaphysische Art gebärden. In jedem Falle ist die mechanische Theorie des Lebens mit Moralität unverträglich. Und es nützt hier auch nichts, anzunehmen, daß es ein Etwas gebe, das selbst nicht mechanisch sei und nur unter der Form eines mechanischen Systemes ,, erscheine"; etwas Ganzes kann niemals in der Form von Etwas ,, erscheinen", das seiner Definition nach nicht Ganzheit, sondern Summe ist^). Wenn ein Autor moralisch fühlt 1) So widerlegten wir auch die Lehre vom psychophysischeu Parallelismus; vgl, S. 294. Das Problem der universellen Teleologie. 375 und die objektiven Beziehungen unter den Menschen, trotz seiner materialistischen Ansicht vom Leben, moralisch be- urteilt, so gibt er damit uneingestandenermaßen seinen Materialismus auf; die Theorien vom ,, Erscheinen" ver- schleiern nur diesen Sachverhalt. Es ist seltsam zu sehen, welch' eine außerordentliche Verwirrung des Denkens auf diesem Gebiete gegenwärtig noch herrscht. Es könnte Vitalismus geben ohne Moralität, ebenso wie es Kausalität ohne Individualität geben könnte; aber die kategoriale Existenz des Moralischen schließt den Vitalismus geradezu begriffsinhaltlich ein, selbst dann, wenn wir keine anderen Beweise für ihn hätten. Ethisches als ontologisch bedeutsam setzen heißt eben : es gibt ein uns noch unbekanntes höchstes Ganze in bezug auf das Leben. Damit aber verträgt sich nicht die Setzung: es gibt überhaupt kein Ganzes, nicht einmal das biologische Individuum ist eines. Vielmehr folgt das biologische Ganze aus dem suprapersonalen Ganzen. Doch genug von einem Problem, welches nicht eigent- lich zu unserem Thema gehört, der eigentliche Grund dafür, daß wir auf das Moralische hier eingingen, soll noch erst zur Sprache kommen. Teil IV. Metaphysische Ausblicke. Alle unsere Ausführungen haben bis hierher auf dem Grunde eines erweiterten idealistischen Phänomenalismus, wie wir ihn früher i) definiert haben, geruht; wir haben das Gegebene analysiert, insofern als es sicherlich mein Phänomen ist. In diesem Sinne gab es Kräfte und Ente- lechien genannte Agentien in der Natur, als in einem Teile meiner Gegebenheit; sie waren Begriffe, geschaffen, um mit ihrer Hilfe das Gegebene zu verstehen. Gibt es nun wirklich gar keinen Weg vom Phänomena- lismus zu etwas Absolutem, zur ,, Metaphysik", zu etwas, das nicht nur ,,mein" Phänomen ist? Und was würden alle unsere Darlegungen auf einer metaphysischen Basis bedeuten ? Es scheint mir, daß es in der Tat drei Möglichkeiten gibt, drei Fenster gewissermaßen — Fenster von mattem Glase freilich — durch welche wir sehen können, d a ß es so ein Ding wie Absolutheit g i b 1 2). 1) S. S. 203 f. -) Ka.nt setzte das Wissen vom Dasein der „Dinge an sich" als erwiesen voraus und bestritt nur die Möglichkeit eines Wissens von ihrem Sosein. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wenigstens faßt man, so scheint mir, mit Riehl und anderen, Kants Lehre im Sinne eines solchen Realismus auf — mag es auch Stellen bei Kant geben, die sich dieser Auffassung nicht ohne weiteres fügen. Kant fragt: Wie ist (allgemeingültige) Erkenntnis möglich? Er fragt nicht: Ist allgemeingültige Erkenntnis möglich? Er fragt nicht: Wie komme ich aus dem strengen Subjektivismus auf legi- time Weise heraus? Das ist ein Mangel des Kantischen Systems, Es setzt den Begriff der Allgemeingültigkeit an eine zu frühe Stelle. 378 Metaphysische Ausblicke. Freilich bilde ich mir durchaus nicht ein, imstande zu sein, Absolutheit im eigentlichen Sinne des Wortes zu ,, be- weisen". Das seiner Definition nach Unbegreifbare kann nicht ,, bewiesen" werden; und Absolutheit schließt Un- begreifbarkeit im Sinne von Unbeweisbarkeit in der Tat geradezu ein — andererseits würde sie ja nämlich nicht ,, Absolutheit", sondern auch Phänomenalität sein. Ich weiß also sehr wohl, daß alles Gegebene mein Gegebenes ist, mag es unmittelbar wahrgenommen oder begrifflich umgeformt sein, daß alle Empfindungen und alle Gefühle und alle Begriffe und alle Kategorien meine sind. Das alles ,,ist" mit Bezug auf mich, und ich ,,weiß" nichts anderes über das alles im eigentlichen Sinne des Wortes ,, wissen". Insofern ist der kritische subjektive Idealismus oder Solipsismus durchaus im Recht. Aber bei diesem Idealismus stehen bleiben, das bedeutet auf wenig- stens drei Gebieten des Phänomenalen auf jedes Ver- stehen überhaupt verzichten. Es gibt wenigstens drei Gebiete der Phänomenalität, die einen Be- standteil irgend eines wahren Systems der Gegebenheit überhaupt gar nicht bilden können, wenn nicht die Grenzen des Idealismus überschritten werden. Diese Grenzen können aber nur überschritten werden mit Hinblick auf die Tatsache, daß etwas ,,ist", was nicht nur mit Rücksicht auf mich ist i) — ganz ebenso wie wir von einem Zimmer mit Fenstern von mattem Glas aus zwar sehen können, ,,daß" etwas draußen ist, ohne irgendwie zu wissen, was es ist. So sind wir denn also fähig, uns dem Bereiche dessen, was allein den Namen ,,W a h r h e i t" mit Rücksicht auf das Sein verdient, wenigstens zu nähern. Das Wort ,, Wahrheit" bedeutet in diesem Sinne natürlich etwas durchaus anderes als in der Logik und Mathematik. Logische ^) Selbst die Worte „etwas" und „ist" haben in diesem Zu- sammenhang natürlich eine bloß übertragene Bedeutung. Wäre dem anders, so wäre das „Absolute" nicht absolut. Weiter kann in diesem Werke der Gegenstand leider nicht verfolgt werden. Metaphysische Ausblicke. 379 und mathematische Wahrheit bedeuten nur die Gültigkeit von Beziehungen für ein Subjekt; und diese Gültigkeit verbürgt nicht Wahrheit als Wirklichkeit. Logische und mathematische Wahrheit ist ja in ihrer Geltung sicher- lich ,, absolut", aber doch nur so lange als ein Sub- jekt wie der menschliche Geist da ist. Sie fällt aber mit diesem Subjekt, und eben deshalb kann sie zwar subjektiv ,, absolut wahr" sein, ist aber doch nicht im metaphysischen Sinne ,, absolute Wahrheit". In der modernen Philosophie ist die Theorie des Gtjltens zu Un- gunsten der Theorie des Seins allzu sehr in den Vorder- grund getreten ; die erstere ist immer nur eine Vorbereitung. Man hat wohl gesagt, daß doch jedenfalls der Satz des Skeptikers ,,Es gibt keine Wahrheit" wahr zu sein be- anspruche und daß eben damit aller Skeptizismus widerlegt und die Erreichbarkeit der Wahrheit durch das logische Denken selbst bewiesen sei. Aber auch die Wahrheit jenes Satzes, sage ich, ist nur eine Geltungswahrheit für das denkende Einzelsubjekt, so lange es da ist. Wahrheit des Seins kann nicht durch Logik allein erreicht werden, sondern nur auf Grund des Postulats der Begreif bar keit aller Ge- gebenheit überhaupt. Geltungswahrheit ist, trotz allem, immer ,,psychologistisch"; und wir wollen nun einmal, ontologisch wie ethisch i), aus dem ,, Psychologismus" heraus 2), ^) Auch ethisches Gelten als solches ist zunächst stets nur ein Gelten für mich. Verabsolutiert kann Ethik nur durch teleologische Metaphysik werden. 2) Ich sage noch einmal, daß auch das in der neueren Logik eine so große Rolle spielende Kantische „Bewußtsein überhaupt", als rein formales logisches Subjekt gefaßt, nur eine für mich geltende Fiktion ist und insofern den psychologischen Subjek- tivismus nicht überwindet. Soll es ein metaphysisches absolutes höchstes Bewußtsein, also Gott als absolut seiendes Subjekt, bedeuten, so liegt alles natürlich anders — es ist dann aber die Legitimität eben dieser metaphysischen Annahme zu beweisen, was meist nicht versucht wird. 380 Metaphysische Ausblicke. a) Die drei Fenster ins Absolute. Moralität: das Du. Die Moralität ist eines jener Fenster, welche uns, wie wir sagten, erlauben, das Absolute zu sehen. Denn ein moralisches Fühlen gegenüber von Phänomenen, welche nur ,, Phänomene für mein Ich sind, würde absurd sein. Moralität schließt also Absolutheit, d. h. Unabhängigkeit vom Ich ein; mag auch diese Absolutheit im einzelnen durchaus unverständlich bleiben. Das Wort Absolutheit, wie wir es hier gebrauchen, ist natürlich nicht identisch mit dem Begriffe ,, Wirklichkeit" oder ,, Realität", im Sinne von ,,das Gegebene". ,, Wirklichkeit" in diesem Sinne ist und bleibt ein Bestandteil des Phänomenalen und bedeutet nur, daß ein gewisser Bereich desselben objektiviert worden ist. ,, Wirklichkeit" in diesem Sinne ist also nur das Produkt einer gewissen Kategorie, der Kategorie Subjekt-Objekt. Moralität zwingt uns nun aber, die Gegebenheit, oder wenigstens einen Teil von ihr, als ein Gebiet anzusehen, auf welchem, durch Handeln, Leistungen vollzogen werden sollen, die für ein wirklich Letztes von Bedeutung sind. Indem wir Moralität ver- stehen, verstehen wir im gewissen Sinne das Absolute: das ,,Du". Hier gewinnt die Geschichte ihre Bedeutung als ein Feld für moralisches Handeln; hier tritt ihre allgemeine emotionale Bedeutung hervor. Die Geschichte gewinnt durch diese Erwägung zwar keine besondere wissen- schaftliche Bedeutung, sie erweist sich aber gewisser- maßen als der Schauplatz der Moralität; Moralität im all- gemeinen ist freilich durchaus unabhängig von der Besonder- heit historischer Konstellation. Die Grundlage des Gedächtnisses: das ,,Ich". Das zweite ,, Fenster", durch das v/ir ins Absolute blicken, wird durch die bereits früher erwähnte Tatsache dargestellt, daß eine Einheit der subjektiven Erfahrungen Metaphysische Ausblicke. 381 überhaupt und des Gedächtnisses im Besonderen existiert ; mit anderen Worten durch die Tatsache, daß nicht nur das Selbstbewußtsein dauert, sondern auch etwas, was sich ihm darbietet. Das beweist die absolute Existenz einer unbewußten oder besser überbewußten Basis des bewußten Ich. Der Phänomenalismus der strengsten Art würde uns immer nur gestatten, das als wirklich an- zusehen, was sich dem Bewußtsein in einem Augenblick darbietet. Wenn ich aber ,,Ich" sage, so behaupte ich mehr als die Wirklichkeit eines Augenblicks. Ich behaupte zwar nicht, daß das Ich eine ,, Substanz" sei, denn das Ich schafft Substanzen; aber wenn ich ,,Ich" sage, so schließe ich damit die Gesamtheit meiner vergangenen Erfahrung in teilweisen latentem Zustande ein, und eben damit Absolutheit überhaupt. Freilich muß diese im einzelnen wieder ganz unerkennbar bleiben, da das Ich sie ja nur mit Hilfe der Kategorien erläutern könnte, welche ihrer- seits seine Schöpfungen sind. Das Wesen des Gegebenen: das Es. Das dritte und letzte Fenster zum Absoluten ist die Zufälligkeit der unmittelbaren Gegebenheit und der trotz dieser Zufälligkeit bestehende innere Zusammenhang unter den einzelnen Phasen der Gegebenheit. Der Grund der unmittelbaren Gegebenheit mag sein, welcher er will: das bewußte Ich schafft sie sicherlich nicht bewußt aus sich selbst. Sie ist oft für seinen Willen gleichgültig, oder ihm gradezu entgegengesetzt. Und doch gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen den einzelnen Phasen der unmittelbaren Gegeben- heit, mögen diese Phasen auch dadurch unterbrochen sein, daß ich geschlafen habe oder eine Zeitlang nicht anwesend war. Ein Stein fällt von einem hohen Berge herunter: ich sehe ihn, wende mich dann einen Augenblick weg und sehe darauf wieder hin : stets ist der Stein an demjenigen 382 Metaphysische Ausblicke. Orte des Raumes angekommen, wo ich ihn zu finden er- wartete: die zufällige Gegebenheit, obwohl in ihrer Un- mittelbarkeit unterbrochen, ist ein e. Dafür bin ,,Ich" nicht verantwortlich, noch sind es die ,, Kategorien" i). Kurz gesagt also: Die Zufälligkeit der unmittelbar ge- gebenen Tatsachen, soweit ihr nicht aprioristischer Be- standteil, d. h. soweit Empfindungen oder ,, Präsentationen" in Betracht kommen, vereint mit dem inneren Zusammen- hang dieser Zufälligkeit in sich, beweist Absolutheit mit Rücksicht auf das Es. ,,Es" ist nun hier und dort, nun dieses Ding und dann jenes. Das alles ist sicher- lich mit Rücksicht auf das Ich ; aber nicht durch das Ich. Die dritte Gruppe von Tatsachen, welche uns das Ab- solute im allgemeinen zeigen, bedarf nun einer weiteren kurzen Analyse, ehe wir von unserem neuen Standpunkte aus das Studium der universellen Teleologie wieder auf- nehmen. ß) Das „Postulat". Die unmittelbar empfundene Gegebenheit ist das Material, mit dem das Kategoriensystem arbeitet; die Kategorien liefern Axiome in Bezug auf dieses Material und machen es so zu einem System. Das Ich ist nun aber nicht mit bloßen Axiomen bezüglich der Gegebenheit zu- frieden, sondern bildet auch vom Beginn an gewisse, die Gegebenheit angehende Postulate, d. h. das Ich bildet gewisse allgemeinste Begriffe, welche durchaus nicht wie die Axiome unvermeidhch sind, welche aber erforder- lich sind, damit das Bereich unserer wirklichen Erfahrung ^) Eine vollständige Theorie des Absoluten hätte hier die- sogenannten „Naturkonstanten", die in der Form quantitativer Be- ziehungen ihren Ausdruck finden, also z. ß. die Größen der Elek- tronen und Atome, zu berücksichtigen. Diese Konstanten sind für das Denken „zufällig" ; eine Theorie der Materie kann sie vielleicht auf drei Urkonstanten zurückführen. MetaphysiscLie Ausblicke. 383 in sich Zusammenhang habe. Das wichtigste i) dieser Postulate erwähnten wir bei Gelegenheit unseres ersten Beweises des Vitahsmus^): Experimentieren können wir nur mit wenigen Eiern des Seeigels, wir fordern aber, daß das, was für eins gilt, für alle gelte. Dieses Postulat ist durchaus nicht identisch mit dem ,, Axiom" der Eindeutigkeit oder notwendigen Bestimmtheit, sei es auf Kausalität oder auf Individualität bezogen. Das Axiom der Eindeutigkeit würde wahr bleiben, auch wenn wir unser Postulat aufgeben müßten: wenn zwei Eier eines Tieres sich ganz verschieden verhalten würden, dann würden wir nicht sagen, daß unter gleichen Umständen Verschiedenes geschehen sei, sondern daß die Umstände eben doch nicht gleich waren. Wir fordern nun aber, daß die Natur so gleichförmig — ich sage nicht ,, konstant" — in sich sei, daß bei Anwesenheit einer gewissen Zahl von typischen Kennzeichen stets mit höchster Wahrscheinlich- keit auch immer diejenigen zu erwarten 3) sind, welche jene Kennzeichen in Fällen früherer Erfahrung begleiteten. Es ist von größter Wichtigkeit, sich den Unterschied zwischen diesem Postulate und den aprioristischen Axiomen ganz klar zu machen : die Axiome, gegründet auf die Kategorien als solche, beziehen sich auf das Gegebene als ein Phänomen überhaupt; sie sind Voraussetzungen der Erfahrung, des ,,Verstehens"; sie stellen wissen- ^) Wir nannten oben (S. 379) auch das Argument, welches vom Phänomenalismus zum Absoluten führt, ein ,.Postulat" ; es war das Postulat der Begreifbarkeit aller Gegebenheit. 2) Vgl. Band I S. 150. ') So faßte Hume bekanntlich fälschlich den Kausalsatz auf, welcher aber vielmehr ein auf den Prinzipien der Eindeutigkeit und des zureichenden Grundes ruhendes Axiom ist. — Auf „Ge- wöhnung"' freilich ruht unser Postulat der „Erwartung" auch nicht. Hierzu vergleiche man die gute Kritik der Hume sehen Lehre bei Nelson, „Über das sogenannte Erkenntnisproblem'' Göttingen 1908. — Der moderne Empirismus, Ökonomismus, Humanismus, Pragmatismus, oder wie es sonst noch heißt, hat stets das Postulat mit Axiomen verwechselt. 384 Metaphysische Ausblicke. schaftliche Aufgaben dar. Das Postulat bezieht sich auf das Gegebene in seiner Besonderheit und anscheinenden Zufälligkeit ; es behauptet, daß es i n der Zufälligkeit doch Einheitlichkeit gibt : es ist eine Sache der Induktion : e s ist Induktion, teleologisch erweitert zum Behufe der Möglichkeit der Wissen- schaft. Da nun alle Besonderheit und Zufälligkeit der unmittelbaren Gegebenheit auf das Absolute weist, s o weist auch das Postulat der Einheitlich- keit der Natur auf das Absolute. y) Teleologie und das Absolute. Noch einmal der Begriff einer begrenzten Teleologie. Wir sagten oben, daß die Anwendung der Kategorie Individualität oder Teleologie auf alles Gegebene jedenfalls eine Aufgabe sei, und wir warfen die Frage auf, ob die Verteilung der besonderen Arten der Materie und der besonderen geographischen und geologischen Bildungen auf der Erde und ob die spezifische Verteilung der Gestirns- massen sich nicht eines Tages als in irgend einer Weise zweckmäßig erweisen möchte, sei es in sich selbst, oder wenigstens für den Menschen. Und wir leugneten auch nicht durchaus, daß es der Zukunft beschieden sein möchte, in der Geschichte irgend eine Einheit aufzufinden. Das Problem dessen, was wir eine ,, begrenzte" Teleologie nannten, bedarf nun an erster Stelle weiterer Aufhellung. Wieweit in das Spezifische der unmittelbaren Gegebenheit hinein mag Teleologie gehen ? Zugegeben, daß es Zweckmäßigkeit, wenigstens vom statischen oder kon- stellativen Typus, in der spezifischen Verteilung der Materie und der G^stirnsmassen mit Rücksicht auf das Gedeihen des Organismus oder mit Rücksicht auf superpersonale Zwecke überhaupt gibt: wieweit geht diese Zweck- mäßigkeit ? Erstreckt sie sich bis in die allerintimsten Einzel- heiten ? Dann würde das ganze Universum in jedem Punkte Metaphysische Ausblicke. 385 eine teleologische Einheit sein. Ja : nur dann wäre es im höchsten Sinne des Wortes ein ,, Universum"; nur dann würde es gar keinen ,, Zufall" geben. Haben wir nun aber irgendwelchen Grund zu der An- nahme — selbst dann, wenn wir ein gutes Teil supra- personaler Individualität zugeben — daß es in irgend einem Sinne des Wortes zweckmäßig war, daß es vor einer Woche fünf Minuten lang regnete, oder daß mir heute morgen drei Hunde begegneten, oder daß dieser Stein hier auf seiner Oberfläche einen schwarzen Fleck besitzt ? Auch wenn man einer allgemeinen Teleologie noch so sehr zuneigt, wird man, glaube ich, doch kaum soweit in der teleologischen Betrachtung gehen, die ganz unmittel- baren ,, historischen" Einzelheiten ihr zu unterstellen. Teleologie muß eben doch wenigstens analogienhaft ver- ständlich sein, um hypothetisch zugelassen zu werden; und der Grund für ihre Verständlichkeit fehlt, wenn man an- nimmt, daß ein jedes Ereignis in der Welt unter ihrer Kontrolle steht. Hier eben begegnen wir wieder dem Problem einer „begrenzten" Teleologie, das wir schon früher, zwar nicht in Beziehung zu dem ganz unmittelbar Gegebenen, studiert haben. Der M e n s c h ist nun einmal nur imstande, gemäß seinen eigenen Zwecken von äußerer Zweckmäßigkeit zu reden, und der höchste Zweck des Menschen ist das Intellektuelle und das Moralische, welche beiden vielleicht in letzter Hinsicht dasselbe sind. Das Universum aber ist nicht durchaus ethisch und intellektuell vollendet und scheint auch nicht auf solche Vollendung in jeder Be- ziehung zuzustreben ; es kann uns daher auch nicht durchaus als ,, teleologisch" erscheinen. Wir können vielleicht sagen, daß es zweckmäßig sei, insofern als es die moralische und ' intellektuelle Vervollkommnung des individuellen Menschen gestattet, daß es eine Art mo- ralischer und intellektueller Einrichtung sei. Das würde mit gewissen Lehren der indischen und der christlichen Philosophie übereinstimmen ; übereinstimmen würde es auch Driesch, Philosophie. II. 2o 386 Metaphysische Ausblicke. mit der Metaphysik des letzten großen moralistischen Denkers, Schopenhauers. So können wir denn wohl, damit gleichzeitig das zuletzt Ausgeführte zusammenfassend, hypothetisch sagen: Es gibt wahrscheinlich gewisse Bezirke entelechialer Manifestationen der Vergangenheit im Universum, sowohl anorganischer Art wie suprapersonaler organischer. Die Harmonie der Natur, welche gegenwärtig nur statisch ist, ist ihr Ergebnis. Aber das Universum ist nicht in jeder historischen Einzelheit ein teleologi- sches System, wenigstens ist der menschliche Geist unfähig, es durchaus als ein ,, Universum" im strikten Sinne des Wortes zu begreifen. Es gibt ,, Zufall", d. h. Nicht- Teleologie im Universum, und zwar nicht nur scheinbar, sondern wirklich^). Wahre teleologische Konstellationen im Anorganischen würden sich also nur auf eine wechsel- seitige Harmonie in der Verteilung der verschiedenen be- sonderen Typen des Geschehens und Seins mit Rücksicht auf das organische Leben im allgemeinen oder auf uns unbekannte Zwecke beziehen, würden aber nichts zu tun haben mit diesem besonderen Ereignis hier, an diesem besonderen Ort und zu dieser Zeit. Problematische wahre teleologische Konstellationen in der Geschichte würden es nur mit den allgemeinen verschiedenen Typen des menschlichen Geistes zu tun haben, aber nicht mit den einzelnen Persönlichkeiten als solchen. In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig sich zu erinnern, daß selbst auf dem einzigen Gebiete, auf welchem uns eine wirkende dynamische Individualität be- kannt ist, im biologischen Individuum nämlich, diese Individualität sich nicht auf das allerletzte Einzelne ersteckt : die einzelnen Zellen eines Gewebes sind ^) Wir sagten oben, daß die ZufäUigkeit der unmittelbaren Gegebenheit uns die „Tatsächlichkeit" des Absoluten kennen lehre. Dieser Begriff der Zufälligkeit des unmittelbar Gegebenen darf natürlich mit dem Begriff der Zufälligkeit oder Nicht-Teleologie der „idealen Natur" nicht verwechselt werden. Metaphysische Ausblicke. 387 nicht als solche wahrhaft essentielle Konstituenten der Organisation. Und noch ein anderer Punkt ist von Bedeutung: wenn sich das Anwendungsbereich der Kategorie Individualität soweit in das Einzelne erstrecken würde, daß alles, was in einem System geschieht, der unmittelbaren Kontrolle einer Entelechie, oder wenigstens, auf statische Art, einer solchen Kontrolle in der Vergangenheit unterworfen wäre, dann würde kein Raum da sein für Kausali- tät i), oder Kausalität würde wenigstens immer später kommen als Individualität. Es ist nun aber nicht denkbar, daß Individualität aktiv am Werke ist, dynamische Tele- ologie oder Entelechie nämlich, oder daß sie, wie wir aus statischen Verhältnissen schließen, am Werke gewesen ist, wenn sie nichts findet, womit sie arbeiten kann. Sie braucht ,, Mittel", und die Materie einschließlich der räumlichen Kausalität ist eben ihr Mittel, so wie wir es beschrieben haben. Individualität ersetzt also keineswegs Kausalität, sondern setzt sie voraus; sie wäre ohne die letztere un- möglich; sie tritt mit der Kausalität hier und dort in Kon- flikt, aber sie tut das nicht an jedem Punkte und sie tut es, indem sie gleichsam m i t der Kausalität arbeitet. Das Bereich der Teleologie. An dieser Stelle wollen wir nun alles, was wir über Teleologie gelernt haben, auf das Absolute anwenden. Kant wußte bereits, daß sich in unserer Fähigkeit, die unmittelbare phänomenologische Gegebenheit zu einem wahren ,, System" zu verarbeiten, eine gewisse Art der Zu- ordnung zwischen dem aktiven und dem passiven Teil der Erfahrung, zwischen den Kategorien, oder besser: den ontologischen Prototypen, und der empfundenen Gegeben- heit selbst offenbart. Denn diese Gegebenheit könnte begehen! ) Es wäre das Gegenstück zum Fehler, den die Materialisten 25* 388 Metaphysische Ausblicke. SO gedacht werden, daß sie irgend eine Art von Ordnung überhaupt nicht erlaubte. In diesem Falle würde äußere Erfahrung im Geiste höchstens den Begriff der eindeutigen Bestimmtheit erwecken, aber es würde sich nicht einmal ein Feld für Substanz und Kausalität finden und so würden denn Kausalität und Substanz als Kategorien durch eine chaotische Gregebenheit nicht zum Bewußtsein gebracht werden. Diese allgemeinste Frage berührt nun freilich unser bio theoretisches Problem als solches nicht. Beschränken wir daher unsere Analyse auf ein engeres Gebiet. Es würde nicht unmöglich sein, sich eine Welt zu denken, in welcher nur die Kategorie Substanz zur An- wendung käme — Veränderung würde einer solchen Welt fehlen. Und es wäre auch nicht unmöglich, sich eine Welt ohne Entelechie, aber mit Kausalität vorzustellen — einer solchen Welt würden die Organismen fehlen; das einzige Anwendungsbereich für die Kategorie Individualität würde das Denken des Subjekts sein. Nun gibt es aber wahre Kausalität und wahre Individualität nicht nur in meinem Ich, sondern in der Welt, so wie sie ist; mit anderen Worten: die empfundene oder unmittelbare objektive Gegebenheit entspricht dem System der Kategorien durchaus. Das ist eine Tatsache und eben diese Tatsache nun bezieht sich auf das Absolute, wenn anders die spezifische Gegebenheit in ihrer Zufälligkeit und ihrem Zusammenhang sich auf Absolutheit bezieht. Können wir vielleicht sagen, daß die unmittelbare Gegebenheit und unsere Fähigkeit dieselbe mit Hilfe der Kategorien zu ,, verstehen" auf einer gemeinsamen metaphysischen Basis ruhen? Doch kommen wir auf unser Thema zurück. Sicherlich wird die unmittelbare Gegebenheit nicht in jeder Einzelheit von Individualität beherrscht. Die Zu- fälligkeit aber, welche das Universum auf gewissen Gre- bieten zeigt, schließt Nicht-Zufälligkeit auf gewissen anderen Gebieten, nämlich in den Organismen und wohl noch in einigen anderen Konstellationen, nicht aus. Metaphysische Ausblicke. 389 Was bedeutet das nun mit Bezug auf das Absolute, nachdem wir eingesehen haben, daß die objektivierte Ge- gebenheit uns einiges über das Absolute auszusagen ge- stattet ? An erster Stelle haben wir ein wirkliches Recht zu sagen : Wo immer der denkende Geist orga- nische lebende Individuen vor sich sieht, da entdeckt er objektivierte aktive Vernunft, oder aktive Vernunft als sein Objekt. In dieser Hin- sicht muß also das Absolute derartig ge- artet sein, daß es in einer — freilich unerkennbaren — Verknüpfung mit so etwas wie Vernunft stehen kann. Wir können das auch so ausdrücken i): Das Absolute muß derart sein, daß es ein Bestandteil unserer phänomeno- logischen Gregebenheit nicht nur unter den Formen der Kausalität, Substanz und Inhärenz, sondern auch unter der Form der Individualität, d. h. der objektivierten Ver- nunft werden kann. Und an zweiter Stelle haben wir nun ein wenigsteni hypothetisches Recht, noch gewisse andere Kon- stellationen des Gegebenen, nicht nur die Organismen, als teleologisch im Sinne einer statischen Harmonie der Natur anzusehen. Diese Harmonie ist freilich, wie gesagt, statisch, sie ist eine Teleologie der Konstellation, des Seins, nicht eine Teleologie im Werden, wie die Teleologie des Organismus es ist; das eine Stadium dieser statischen Teleologie weist auf ein früheres Stadium zurück, welches wiederum hinter sich zurückweist und so fort, und jedes dieser Stadien folgt hier aus dem früheren mechanisch; wir wissen wenigstens von einem wahren ente- lechialen nichtmechanischen Akt im Gebiete des Anorga- nischen durchaus nichts. ^) Die folgende Formulierung ist wahrscheinlich „Kautischer" als viele annehmen werden. Kant war durchaus nicht in dem Maße, wie z. B. Schopenhauer es annahm, ,, Idealist''. Vgl. z. B. Riehl, Der philosophische Kritizismus, Bd. 1. 2. Auf. 1908. 390 Metaphysische Ausblicke. b) Die primäre Enteleehie im Universum — eine ewige Aufgabe der Wissenschaft. Weist nun aber nicht diese hypothetische statische Harmonie auf gewissen Gebieten der Natur zurück auf eine ursprünghche primäre Enteleehie, welche sie gemacht hat, ganz ebenso wie ein Künstler einen Gegenstand der Kunst macht ? Es scheint mir, daß wir trotz der Mög- hchkeit eines unendlichen zeitlichen Regressus, dem wir hier begegnen, gezwungen sind anzunehmen, daß diese primäre Enteleehie im Universum — ich sage nicht ,,des" Universums — existiert, sobald wir eine universelle Natur- harmonie überhaupt annehmen. Diese primäre Enteleehie würde zwar nicht die Wirklichkeit ge- schaffen haben, sie würde aber gewisse ihrer Teile ge- ordnet haben, und diese Teile würden uns eben daher eine Art nicht-zufälliger Konstellation zeigen, während alle anderen Konstellationen der Elemente des Universums zufällig sein würden. Das ist nun in gewisser Hinsicht ,, Dualismus" in schärfster Form, die alte Unterscheidung von uXyj und voü?. Wie sollen wir aber diesem Dualismus der Faktoren des Wirklichen entgehen, wo doch schon das System der Kategorien der Beziehung durchaus dualistisch ist ? Die eigentliche Gegebenheit zeigt uns nun eben auch Kausalität und Enteleehie durchaus gesondert, und wenn immer das Gegebene auf das Absolute, das an sich Wirkliche weist i), ^) Hüten wir uns hier vor Irrtümern: Das Problem der Zu- fällig-keit oder Nicht-Zufälligeit oder begrenzten Zufälligkeit des Universums und, weiterhin, das Problem der primären Enteleehie im Universum bezieht sich in erster Linie auf das Gregebene als begriffenes Phänomen. Und auf diesem Felde ist — trotz ^ant — eine klare und befriedigende Lösung des Problems prinzipiell möglich; Kants „Antinomien" sind immanenter Art und sind auf immanentem Felde lösbar. Es ist nun natürlich eine ganz andere Frage, ob und inwiefern diese Lösung auf irgend etwas Absolutes bezogen werden darf. Oder theologisch gesprochen: der physiko-theologische Beweis von Gott oder irgend einem gott- ähnlichen Wesen kann entscheidend sein mit Rücksicht auf Metaphysische Ausblicke. 391 SO gilt vom Absoluten zunächst dasselbe. Der heute übliche „Monismus", welcher alles Wirkliche auf eine Art von Geschehen zurückführen will, ist also sicherlich eine Absurdität. Aber es gibt nicht nur diesen Monismus der leeren Eins, es gibt auch einen Monismus der Einheit. Diesen Monismus der Einheit oder Ordnung dürfen auch wir annehmen : Ordnung ist in der Seele und in der Natur und im System der Kategorien; Ordnung ist auch im Absoluten — es ist Urgrund der Ordnung. Im Sinne einer primären Entelechie der Bauordnung der Welt, eines Srj{xtoupY(i<; also im Gregensatz zu bloßem ,, Material", tritt der Begriff Gott als eine ewige Aufgabe der Wissenschaft auf ; u n - erkennbar, wie auch alle Religionen behaupten, und nur, wie alles Absolute, durch Analogien erreichbar. Denn nur durch Fenster von mattem Glas ist es uns erlaubt, in das Absolute zu bhcken; wir wissen mit Sicherheit nur, daß es da ist ; an unser Kategoriensystem gebunden, können wir aber nur ganz unbestimmt etwas über sein Wie aussagen. Im Sinne einer wissenschaftlichen Aufgabe, aber in keinem anderen, ist also ,, natürliche Theologie" möglich. Es gibt im Gegebenen sicherlich etwas, was unmittelbar als Vernunft erscheint, nämlich die Organismen, und es gibt wahrscheinlich noch mehr Vernunft in ihm, als wir wissen, nämlich die Harmonie der Natur, oder um noch Gott als auf einen entelechialen Gregebenheitsfaktor; es ist aber eine andere Frage, ob die so erreichte Lösung das Absolute angeht. Das wichtigste ist also dieses : Alle dem Absoluten anhaftenden Schwierigkeiten und Dunkelheiten sind nicht dem Problem der „primären Entelechie" als solchem eigentümlich, sondern treten bei jedem Versuch auf irgendwelche begriffliche Kennzeichen der Gegebenheit auf Absolutes zu beziehen. Vgl. S. 333 Anm. 2. Übrigens gibt es in Kants „Prolegomena" (Reclam S. 137 bis 154) Aussprüche, die unserm Begriff des Demiurgus als einer legitimen Hypothese viel näher kommen, als die Darlegungen der „Kritik". 392 Metaphysische Ausblicke. allgemeiner zu sprechen: die Verteilung von Materie und Geschwindigkeit . Die ,, primäre Entelechie im Universum", welche die Naturwissenschaft uns als legitime Hypothese aufzustellen erlaubt, und welche die Epistemologie uns analogienhaft auf das Absolute zu beziehen gestattet, bleibt freilich weit hinter dem Begriff zurück, welchen der menschliche Geist sich von einem absolut vollkommenen unbedingten Wesen zu bilden fähig ist. Aber sie widerspricht dem Be- griffe Gottes, wie er von der denkenden Einbildungskraft geformt wird, nicht. e) Metalogische Erwägungen. Bei früherer Gelegenheit machten wir einen kurzen Ausflug in das Gebiet der reinen Erkenntnistheorie, indem wir zeigten, wie auf Basis des Systems der Kategorien der Begriff einer ,, idealen Natur" geschaffen wird, und wie mit Rücksicht auf die einzelnen, wirklichen und möglichen Ereignisse der begrifflichen Gegebenheit ,, Naturfaktoren" oder ,,Naturagentien" aufgestellt werden. Unsere früheren Erörterungen bezogen sich sowohl auf die anorganische Natur wie auf das Leben. Angesichts der metaphysischen Erwägungen, die wir hier pflegen, gewinnen nun die Begriffe ,, ideale Natur" und ,,Naturfaktoren" einen etwas anderen Charakter. Das ganze System der idealen Natur, einschließlich der Beziehungen individueller und moralischer Art, erscheint jetzt als eine analogienhafte Beschreibung des Absoluten: das Absolute ist auf alle Fälle so, daß es auf diese Weise analogienhaft beschrieben werden kann. Alle Naturagentien hinsichtlich der einzelnen Ereignisse im Gegebenen aber, z. B. hinsichtlich des Falles eines bestimmten Steines oder der Formbildung eines be- stimmten Tieres, würden jetzt als etwas erscheinen, das seine Quelle im Absoluten hat und das eine Ai't von Emana- tion des Absoluten genannt werden könnte. In kausaler Kraft und biologischer Entelechie tritt eine solche Emanation Metaphysische Ausblicke. 393 unmittelbar vor unsere Augen, im anorganischen Geschehen nämlich und in den Organismen ^). Sie hat aber auch in der Vergangenheit stattgefunden, wenn anders unsere Hypothese von einer individualisierten allgemeinen Har- monie der Natur richtig ist. In diesem Falle würde die das Weltall ordnende Tat des Demiurgus, welchen die Wissenschaft als ewige Aufgabe einzuführen erlaubt, die höchste Form aller Emanationen des Absoluten sein. Bei allen diesen Fragen würde natürlich auch das Problem der Zeit wiederum auftreten. Doch ist hier unsere ,, Philosophie des Organischen" zu Ende. ^) Bei einer anderen Gelegenheit (S. 265) sagten wir, daß die ideale oder platonische Existenz der Entelechie, als eines Kon- stituenten der „idealen Xatur", die Fortdauer der Individuen, welche die Folge ihrer Manifestationen sind, nicht garantiere. Dieses Problem muß wohl auch auf „absolutem*' Gebiete eine offene Frage bleiben. Persönliche Unsterblichkeit ist also unbeweis- bar; freilich kann auch nicht ihr Gegenteil bewiesen werden. Eine üb er- personale geistige Unsterblichkeit aber kann von uns nur ganz allgemein und unbestimmt begriffen werden — was natürlich nichts gegen ihre Existenz beweist. Schluß. Unser Weg. Die Entwicklung des gemeinen Seeigels scheint auf den ersten Blick ein Ding von recht anderer Art zu sein, als die Kategorien und die Moralität und die Teleologie des Universums, und so könnte es denn scheinen, als ob, wie einige neuere Philosophen meinen, ,, Wissenschaft" und „Philosophie" zwei verschiedene, gar nicht mit einander verknüpfte Angelegenheiten des menschlichen Wissens wären. Es hat aber immer Philosophen gegeben — und unter ihnen waren L e i b n i z und Hegel — , welche nicht so kurzsichtig dachten, und sie haben, meine ich. Recht gehabt. Die Gegebenheit ist Eine und Philosophie ist das Bestreben, die Gegebenheit zu verstehen. Ein Teil der Gegebenheit sind Empfindungen, ein Teil sind Kategorien, ein Teil sind Gefühle, ein Teil ist Gedächtnis und es gibt hier noch viele andere Teile. Derjenige Bezirk der Ge- gebenheit, der sich auf Empfindungen und Kategorien aufbaut, heißt Natur. Es bedingt nun, wie mir scheint, keinen logischen Unterschied, ob die Natur mit Rücksicht auf das studiert wird, was sie eigentlich ist, d. h. mit Rücksicht auf das, was in ihr eigentlich geschieht, oder ob wir zu entdecken versuchen, welche elementaren Bestandteile unserer geistigen Organisation für das Ver- ständnis der Natur in Frage kommen, und was ,, Natur" im Gebiete der Metaphysik bedeutet. Das erste heißt meistens ,, Wissenschaft", das zweite ,, Philosophie". In Wahrheit gibt es aber nur eine Art menschlichen Wissens. Eegister zum IL Bande. Absolute, das 204. 304. 377 ff. 384 ff. 392 f. Affektion der Entelechie 230 £f. Affen 104. Akklimatisation 10. Aktionssystem 19. Aktion und Reaktion 230 f. Allgemeingültigkeit 306. Ameisen 106. 116. Amöben 19. Anpassung 22. 142 ff. 232. — funktionelle, desNervensystems 52. 283. Antinomie 311. 333. 390. Antwortsreaktion 68 f. Apriori 40. 125 ff. 161. 164. 203. 305 ff. Aristoteles 79 f. 259. 304. Asher 85. Assimilation 246 ff. 249 ff. Assoziation 61 f. 74. 93 f. 274. 283. Atmung 246 f. Atwater 168. Auslösung 223. Autokatalyse 252. Autonomie des Lebens s. Vita- lismus. Autotropismus 10 f. Avebury, Lord, s. Lubbock. Axiom 382 f. Becher 74. 168. Bechterew 90. 169. Befruchtung 233. Bergson 62. 70f. 95. 111. 154. 285. 298. 302. 312. 323 f. 329. 340. 343 f. 361. Berkeley 114. Berthold 188. Bethe 25. 92. 98. Bewegung, aufs Geratewohl 18 ff. — koordinierte 25 ff. — organische Iff. Bewegungsorgane 2. Bewußtsein 35. 79. 141. Bienen 34. 44. 54f. 106. 116. Biologie 120. Bois-Reymond, du 81. 259. Boidyreff 110. Boltzmann 202. 229. Born 91. Braus 91. Bredig 188. Bütschli 146. 188. Bunge 103. Busse 70f. 111. 220. 301f. Carnot 173. 175. Causa finalis 326 f. Chemie, physiologische 249 ff. 258f. Chemotaxis 15 f. Chromotaxis 22. Clausius 173. Glifford 126. Cohen 310. 316. Cossmann 326. 396 Register zum II. Eande. Cuvier 341. Czapek 8. Dahl 47. Darwin, Ch. 40. Darwinismus 34. 103. 361. Dasselbigkeit 93. 107 f. Davenport 108. Deduktion der Kategorien 320. Definition der Handlung 51. — des Instinkts 36. — des Organismus 351 f. Demiurgus 391 ff. Descartes 224f. 262. Deszendenztheorie 266, Differenzierung 193. Dissimilation 249 jff. Doflein 47. Dualismus 390. Ehrenfels 357. Eindeutigkeit 153 ff. Eingeborene Ideen 42. Elastische Nachwirkung 74. Empfindung 235. 300. Ende des Lebens 264f. Energetik 158 ff. 196 ff. 315. — qualitative 210 f. Energie, und Entelechie 166 ff. 179. — Erhaltung der 160. 164 ff. — Intensität der 174f. 180 ff. — potentielle 165 f. — spezifische der Sinnesnerven 80ff. 88. 91. — Umwandlungen der 176 ff. — Verkettung der 177 f. — vitale 169. Engramm 94. 121. Entelechie 137 ff. 206 f. 313 ff. 348 ff. — und anorganische Welt 162 ff. 235 f. ■ — — Chemismus 183. Energie 166 ff. 179 ff. 240. Entelechie und Individuum 145. Katalyse 187 f. Kausalität 157 ff. 239.327. Konstante 204 ff. Mechanik 210 ff. 220 ff. 227 f. — Ordnung der 149 f. — primäre des Universums 390 ff. — undPrinzip der Gegenwirkung' 230 f. — und Raum 238 f. 261 f. — Rechtfertigung der 153 ff. 268 ff. — und Substanz 242 ff. 252 f. 259 f. — Teilbarkeit der 260 f. Entwicklung s. Differenzierung. Epiphänomen 293. Erfahrung 21. 24. 31. 51 ff. 74. 80. 107 ff. 139 f. 283. 307 ff. Erklären 208. 337 ff. 348. Ermüdung 74. Errera 185, Ethik s. Moralität. Evolution 115, 118. 360. Extensität 245, 254. Fechner 366, Finalität 316. 323. Fitting 8, Elourens 98. Eorel 106. Forma essentialis 149. Formbildung 43, 142. 192ff.231f. 342, 345 f. Fortpflanzung 233. 362 f. France 11. 14, Freiheit 155. 311 ff. 333. Funktion, mathem, 311. 325 f. Funktionelle Anpassung d. Ner- vensystems 52. Ganzheit 3. 11. 30. 67 ff. 76.321 f. Gedächtnis 74. 283. 380 f. Gegebenheit 112. 203. 212. 272ff. 381 ff. Register zum II. Bande. 397 Geisteskrankheit 94. Geißler, K. 221. Geotropismus 8. Geschehen, Satz des 174 £f. 202. — und Entelechie 178 £f. Geschichte 115 ff. 154. 357 ff. Giardina 99. 102. Glaser 53. Gleichgewicht 177 f. 220 f. Grade der Handlung 103 ff. Grenzen der Regulation 184. 226. 240. Goltz 4. 55. 68. 82. 99 ff. Gott 379. 391. Haberlandt 8. Handlung 31. 42. 49 ff. 194ff. 234 f. 282 f. 343. — der Affen 104. — Analogien zur 73 ff. — Definition 51. — Grade 103 ff. — Kriterien der 56 ff. — Mechanisation der 52. — niedere Formen der 107 fi. — Verbreitung der 54 f. — der Wirbellosen 106 f. Hanel 40. Harmonie der Natur 363 ff. Harmonisch-äquipotentielles System 88. 190 ff. 199. Hartmann, E. v. 142. 2241. 242. 310. 316. 329. Hartog 134. 148. Hauptmann. C. 85. Hegel 115. 'l25f. 138. 215. 310. 356. 394. Heidenhain 2. Heliotropismus 8. Helm 174. Hering 83. Hertz 217 f. 229. Heterogene Induktion 10. Hirn, Beziehung zur Gegeben- heit 94. 280 ff. — Funktionen 85 ff. — niedere Teile 99 f. — Physiologie 85 ff. — Sphären 88 ff. — verbindende Funktion 87 ff. — Zentrum s. Zentrum. Historische Reaktionsbasis 56 ff. 104f. 283. — Elemente der 67 f. 72. 76. 105. — verschiedene Typen 60 f. Hobhouse 103. Höfler 229. Hofmann 148. Hume 304. 383. Husserl 308. Hypnotismus 94. Idealismus 113. 203f. 295 f. Identifizierung 284 f. Individualisierte Reize s. Reize. Individualität, Kategorie der 318 ff. 325 ff. 353 ff. Individualität der Zuordnung 63 ff. 84. Individuum 145. 264f. Instinkt 31. 33 ff. 105. 107. 117. 142f. — Definition 36. — Regulation 42 ff. — Reize 38ff. 46. Intelligenz der Tiere 103 ff. Intensität der Energie s. Energie. Intrapsychische Reihe 285 ff. 300. Japp 228 ff. Jellinek 360. Jennings 2. 14 ff. 26 ff. 29 f. 53. 59. 99. 108ff. 141. Joest 91. Kant 40. 112. 114. 125. 132f. 140. 142. 261. 304 ff. 313 ff. 320 ff. 330 ff. 345. 350. 357. 373. 377. 387 ff. 398 Register zum II, Bande. Katalyse 187 f. Kategorien 304 ff. Kausalität 154. 157ff. 211f. 313. 331. 336 ff. 387. Kelvin, Lord 173. 228. Kettenreflex 27 f. 37. Kinnaman 103. Klebs 342. Klein 71. Kleinschrod 186. Körper, Klassen der 145 ff. Kohnstamm 14. Konstante 204 ff. 382. Kontinuität des Lebens 182f. 266. Koordination 25 ff. 30. Korrelation, nicht-kausale 158. Korscheit 91. Kotik 121 f. Kries, v. 70. Kristalle 146 ff. Kriterien d. Handlung, erstes 56 ff. ^ zweites 63 (f. — beide zusammen 71 ff. Kumulation 115 f. 357 ff. Kunstwerke 349 f. Lamarckismus 34. 361. Langiey 91. Leben, Ende des 264f. — Ursprung des 265 f. „Lebende" Substanz s. Substanz. Leclair 302. Lehmann 146. Leibniz 114. 394. Lernen 61. Lewandowsky 85. 99. 101. Lipps 295. Locke 42. 304. Loeb, J. 13f. 16. 18. 28. 37f. 92. 102. 188. 233. 236. 247. Lokalisation, der Hirnfunktionen 96. Lotze 234. 260. 293. 344. Lubbock, Sir John 47. 106. Luciani 102. Mach 126. 204. 208. MacKendrick 185. Mannigfaltigkeit, extensive 137. — intensive 138. 199. Marcus 320. Maschine 130. 134. Maschinentheorie des Lebens 7, 11. 24. 41. 48. 68 f. 73. 354 f. Materie 218. 259 f. Materielle, das 210. 212. 244. Maxwell 185. 200 ff. 228. Mayer, K. 160. Mayer-Soule 41. Mechanik 164 f. 210 ff. 2271 Mechanismus s. Maschinentheorie. „Mein eigner" Körper 271ff.301L Meinong 287. 308. 357. Metaphysik 204. 213. 215. 300f. 377 ff. Metsclmikoff 17. Minkiewicz 22. 3Iinkowski 347. Mittel 2. 26. 76. 95. 148. 387. Möglichkeit 360. Moment der üegulation s. Re- gulation. Monakow, v. 85. Monismus 391. Moralität 116 ff. 313. 334. 363. 370 ff. 379f. — als Kategorie 334. 371 f. — und Teleologie 372. 379. — und Vitalismus 373 f. Morgan, Lloyd 39. 103. Mülfer, J. 43. 81. 88. Wagel 85. Natur 113. 117. 272. 288. 303.. 329 ff. 394. — Harmonie der 363 ff. — ideale 330. 336 ff. 386. 389. 392 f. Philosophie 125 ff. zweck 132. 357. Neger 11. • Register zum II. Bande. 399 Nelson 308. 383. Nemec 8. Nervenleitung 2. 25. Noll 8. 10. 247. Nordliausen 10. Notwendigkeit 3 10 f. Ökonomie des Denkens 151. 211, 304. Ontologisches Prototyp 330. Ophiuriden 97. Ordnung der Entelechie 149 f. Organismus, Definition des 351 f. Ostwald 122. 126. 169. 174. 208. Oxydation 246 f. Palägyi 274. Parallelismus, psycho-physischer 111 ff. 292 ff. 299 f. 374. Paramecium 15 f. Pauly 142 f. Pawlow 55, 110. Pearson 126. 208. Peckham 47. Petzoldt 356. Pfeffer, W. 9. Pflüger 99 f. Phänomenalismus 203 f. 212. 377. 383. Phasenregel 238. Philosophie der Natur s. Natur. Phonograph 561". Phylogenie 103. 361 f. Podmore 121. Poincare 331. Postulat 382 ff. Pragmatismus 383. Preyer 29 f. 53. 97. Prospektive Potenz 77. 90. 99. Prototyp, ontologisches 330. Przibram 147 f. Pseudo-Psychologie 50. 78. Psychobiologie 143 Psychoid 78f. 92f. 101. 113. 139f, 234 f, 288. 300. Psychologie 50. 62. 138 ff. 235. 274. 283. 287. 300 ff. 305 ff. 314. 318. Psychologismus 305. 379. Rädl 55. 158. 341. Rauber 146. Raum 239. 243. 261. 275. 278 ff. Reaktionsbasis s. historische, Rechtfertigung der Entelechie s. Entelechie. Reflex 6f. 18f. 27. 41. — frei kombinierter 41 f. Regulation 3 ff. 42 ff. 85. 116. 265. — Grenzen der 184. 226. 240. — der Instinkte 42 ff, — 3Ioment 241. Rehmke 285. Reinke 142, Reiz 5f, 38, 58. 236. — einfacher 38. 46. 68. — individualisierter 39. 46. 54. 63 ff. 97. 235. — der Instinkte 38 ff. 46. — der Restitutionen 235. — Schwelle 7, Relation, Kategorien der 313 ff, Restitution 232. Restitutionsreiz 235. Rhumbler 2. 188. Richtungsbewegung 7 ff, Rickert 293, Riehl 377. 389. Rubner 103 f. 168. Rückdiffereuzierung 197. Ruttloff 91. Schelling 125f. 295. 340. 359, Schneider 95. 142. Schock 87, Schopenhauer 43. 125, 313. 341. 386. 389. Schrader 55. 99 f. Schroeder, Ch. 47. 400 Kegister zum II. Bande. Schwarz 220. Seele 220. 224. 290. Seestern, Bewegungen des 29 f. Sein 36. 286f. 378 ff. Selbstbewegung 199. Selbstzweck 131. Semon 94. 121. Sherrington 28. 31. Sinn (des Tropismus usw.) 9.13. 22. Sinnesorgan 2. Spaulding 109. Spezifische Energie der Sinnes- nerven s. Energie. Sphären des Hirns s. Hirn. Spinoza 112. 114. 292. Spiritismus 120 f. 265. Spitzy 98. Spontan 81. Staat 116. 358fie. Stentor 23. 53. 109. Stimmung 11. Strecker 142. Substanz 242 £f. 313. — anorganische 243 f. — als Kategorie 242. 259 f. — „lebende" 250 ff. Suprapersonaler Faktor der Ge- schichte 115 f. 357 ff. 372. Suspensionswirkung der Ente- lechie 181 ff. 200. 222f. 259. Systematik 322. 340. Tait 228. Taxis 6ff. llff. 15ff. 22. 38. Teilbarkeit der Entelechie 260 f. Teleologie 129 ff. 316. 353ff. — und Absolutes 384 ff. — anorganische 366 f. — begrenzte 368 f. 384 ff. — dynamische 135 ff. — statische 135. — suprapersonale 357 ff. — universelle 353 ff. Telepathie 121 f. Theologie, natürliche 391. Thorndike 103 f. Tod 185. Tonus 26. Totalität s. Ganzheit. Trägheit 225. Transplantation 91. Treviranus 43. Tropismus 7 ff. Turner 47. Übung 52. Üxküll, V. 25 ff. 33. 37. 48. 53. 69. 95. 98f. Unbewußt 35. 79. 141. 225. Universelle Teleologie s. Tele- ologie. Unsterblichkeit 264. 393. Unterbewußtsein 102. Unterschiedsempfindlichkeit 16. Ursache 236. Ursprung des Lebens 265 f. Vererbung 182. 304. Verschiedenheit 191 ff. — der Verteilung 191 ff. 201. „Versuch und Irrtum" 14ff. 21. 110. Verworn 298. Vitalismus 40. 67 ff. 88. 95. 121. 136. 171. 236. 261. 269. 288. 303. 347. — direkter Beweis des 271 ff. 286 ff. — dritter Beweis des 71. Von der Pfordten 214. Vulpius 97. Wahrheit 378 f. Walter 17. Ward, J. 111. Washburn 103. Wasmann 47. 61. 80. 103. 105 f. AVatson 55. Weber, Max 360. Webersches Gesetz 10. Register zum II. Bande. 401 Wechselwirkung, Kategorie 314. 316. 320. — psycho-physisclie 114. 230. Weismann 34. Wentscher 223. Wert 324. Willenshandlung 58 fi. 108 Winterstein 247. ,.Wissen und Wollen" 139 £f. 235. WolfP, G. 129. Wundt 59. 62. 83. 104. 112. Yerkes 109fif. Zeit 341 ff. Zentren des Hirns 2. 25. 31. 33. 83. 90 fi. 98 f. 102. — niedere 99 f. Zerstreuung der Energie 175 3". 183. Zufall 60. 3670". 386. Zuordnung s. Individualität der. Zur Straßen 103. Zwaardemaker 168. Zweck 37. 1290". 324. — der Natur 132. :: TERLAG VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG :: Anthropogenie oder EntwickelungsgescMclite des Menschen Keimes- und Stammesgescliiclite Gemeinverständliche wissenscfiaftiiciie Vorträge von Ernst Haeckel ' Fünfte, umgearbeitete und vermehrte Auflage === Mit 30 Tafeln, 512 Textfiguren und 60 genetischen Tabellen Zwei Bände, gr. 8. Geh. Ji 2b. — ; in Leinen geb. ^/ 28.— Eugenio Eignano Ober die Vererbung erworbener Eigenschaften Hypothese einer Zentroepigenese Teilweise Neubearbeitung und Erweiterung der französischen Ausgabe Mit 2 Figuren im Text. gr. 8. Geheftet Jl 5.— Die geologischen Grundlagen der Abstammungslelire von Gustav Steinmann Mit 172 Figuren im Text XI u. 284 S. gr. 8. Geh. Jl 7.—, in Leinen geb. .// 8.— Über die Zelle Nachgelassene Schrift von ^^Ifred. Schapei' Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Wilhelm Roux Mit 3 Textfiguren. Gr. 8. 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