Natural Hislory Museum Library □001 1 1825 Svjfl Tyr hh j J/j Im V VA NJ \ \ \ \ktr-. J|Äf rT. -^1 SJ&.A \ \fW!r JvA] MtJmVwWrW^ twillN/l 4/ Sr 3 / ^5T3r^^Bl ' '' : : • mvAlwf 'Y zr Wim wßpZA hrf räHi(i r^SfSi.-/S' V '1 wi' lwff, ■ J IT ( ivm I U U M/u jgggj^V \l ! fi REISEN IN BRITISCH-GUIANA IN DEN JAHREN 1840—1844. ZWEITER THEIL. y,/r*^> ifou/t *fLjiri/ir/)'s fmroJi /.eun/iOrc/uff^ \ fioji/te / (ur* Att ny/trc/r Jlcilr/t ( JtfljUon , S tanlvy ■’s Torrn3 J\9. Of(Jic/i -oom Äs/t. JlPa/rtA. ev \rtrcc7c/ ' r/Wv, vom,/)cm£r G7 7ns xtir (ormtyn -Afü/uTvng , f/eM Jfirc7up. SiS/rrwur, Y'fjt*)* \ fyttftytrr-j-f fmtutr //oni *J ßirnunyfu • farttl/uu/cl ■ svucö \jierlui WEHr-AMS7 { S‘C_ V / 'furtnnJii « w./ftuttW i itrtss*/'* ,ßr. i Tnf’uif^Ot fat: Ai/nstrrf/rr. \yWt/rrt//l// f7iits/i,rnt /)tutyem/ul DAS OUELr^ATVI» t'AiR'OIYII ioyd COT IO’ GA. (\2./)/c ßo/ttn . r/sul ih f> rrrr.rer/Jy/J- {myrye7jesi-, tyr-~‘7(0u/e o. Ao6crt'u.7!ic7uird JWrßm6usy7yriu REISEN IN ( lind ge), Iso/epis junciformis (Humb. Bonp.), capillaris (Roem. et Schult.), Hij- po/ytrnm pungens (Vahl.), Chlorideen und Festucnceen , zwischen denen man je- doch auch häufig Eriocaulonccn fand , bildeten die allgemeine Grasdecke. Unter letztem hat der Paepalanthus capillaceus besonders dadurch ein eigentümliches Interesse, dass ihm der Indianer durch das Abbrennen der Savannen förmlich zur Bliilhe zu verhelfen scheint. Hat das Feuer sämmtliche Blätter vernichtet, so erscheinen bereits nach 2 bis 3 Tagen aus dem starken, kurzen, blattlosen, ge- schwärzten Stengel, die zahllosen, wohlriechenden, kopfförmigen Blüthen; ist die Blütezeit vorüber , dann erst folgen die neuen Blätter nach. Ich habe nur in äusserst seltenen Fällen Exemplare gefunden , die , von dem Feuer verschont, Blätter und Blüten zugleich besessen hätten. Eine Grasart, die ich jedoch nie in Blüthc sah, bedeckte oft ausschliesslich ganze Strecken, und wurde mir besonders durch ihren Namen interessant; — die Maeusis nannten sie « vannah •>, und solche Flächen « vandai ». Ob von diesem Worte vielleicht die Benennung «Savanna« hcrzuleiten sein möchte, muss ich freilich den Etymologen zu entscheiden über- lassen ! Der Boden war durch die grosse Hitze so zerrissen , dass er mit einem förmlichen Netzwerk von oft 3 — 4 Zoll breiten Rissen überzogen wurde. Unsere Tour würde heute im höchsten Grade monoton gewesen sein, wenn nicht im Süden und Norden das Canuku- und Pacaraima-Gekirge, diese Monotonie etwas gemildert hätte, wozu sich an dem freilich jetzt fast wasserleeren See Veti- luru noch die zahllosen blauen Blüthen der Eichhornia azarea, Heteranthera li- mosa(Vahl.) und die grossen Entenheerden gesellten, die sich bei unserer Annähe- rung unter ihrem pfeifenden Geschrei erhoben. Dass die Anas viduala und brasih'cnsis ihr reichhaltiges Contingent zu unserm nächsten Mahle liefern musste, brauche ich nicht zu versichern; ausser diesen belebten nur noch vereinzelte Cara- cv//Y/- Adler , die auf den ausgetrockneten Sumpfboden herumliefen und kleine Ge- sellschaften des Ibis albicollis (Fieill) die einförmige Fläche. Wurden letztere von uns nurgescheucht , dann Hessen sie auch ihre eigentümliche, schnarrende Stimme laut werden. Ich habe diese Ibis durchgehends weniger an dem Rande der Sümpfe, als auf der trockenen Savanne bemerkt, wo man gewöhnlich 6 — 8 Stück vereint findet. Mycterien, strdea , Ciconien u. s. w., die früher solche Stellen belebten , — alles hatte sich mit dem verschwundenen Wasser nach den Savannen- flüssen iibergesicdelt. Gegen .Mittag hatte die Hitze 125° Fahrenheit erreicht, und bald traten jene Wirkungen der reflcklirten Sonnenstrahlen nicht bloss in der Atmosphäre , nach welchen alle Gegenstände in eine tanzende Bewegung versetzt zu sein scheinen, sondern auch in meinem Blute iifs Leben. Einzelne kühlende Luftslröme , aus denen man wieder in die unbewegten, durchglühten Schichten cintrat, machten BRITISCH -GUIANA. 7 den Gegensatz nur noch fühlbarer. Ein eigenthümliches und zugleich ziemlich neues meteorologisches Phänomen waren mir die Menge Wirbelwinde und die dadurch hervorgerufenen Wirbelsäulen , die ich seit der Savanne am Rupununi nicht wieder in solcher Anzahl gesehen. Plötzlich sieht man von einem Punkte aus den Staub und die Blätter der Sträucher u. s. w. ziemlich in horizontaler Richtung in schneckenförmiger Linie eine Strecke über die Ebene hingetrieben werden , bis sich der Anfang immer mehr hebt und bald als spirale Säule einen Augenblick über der Savanne steht, und dann über diese hinjagt, wobei sie gegen die Erde hin immer durchsichtiger wird, sich dann in der Mitte scheidet und spur- los verschwindet. Offenbar liegt die Ursache dieser zahlreichen Wirbelsäulen in der durch die reflectirte Sonnenhitze hervorgerufenen Ungleichheit der Temperatur der Luftschichten und in den dadurch entstehenden, zwar parallel, aber in entgegenge- setzter Richtung verlaufenden Luftströmen.*) Seit dem kleinen See Venturu , des- sen noch zurückgebliebenes Wasser kaum trinkbar war, hatten wir wieder 8 — 10 Miles zurückgelegt , ohne dass unser brennender Durst Befriedigung gefunden, und doch waren jene 1.25° Fahrenheit noch keinesweges der Culminationspunkt der heutigen Hitze, den sie erst gegen 3 Uhr erreichte. Die am Vormittag un- durchbrochene, indianische Reihe war längst aufgelöst; warf man das Auge zurück, so folgte in weiter Unterbrechung die matte Arrieregarde den Vorangehenden und viele waren sogar noch ausserhalb des weiten Gesichtskreises. Unter Jubel, Scherz und Laune waren wir ausgezogen , doch in demselben Maasse , wie die Hitze stieg , verstummten auch nach und nach die lärmenden Stimmen. Wo irgend eine kümmerliche Curatella etwas Schatten warf, sah man einzelne der erschöpften Neger und Deutschen diesem blassen Schatten zueilen, um in ihm auszuruhen. Die Indianer dagegen Hessen sich selbst unter ihrer Last keine solche Schwäche zu Schulden kommen ; — rüstig schritten sie auf dem schmalen Pfade voran, und erwiederten alle dringend an sie gestellten Fragen : wie weit es noch bis zur Mündung des Pirara, unserm heutigen Ziele , sei , unter zu- *) Der vom Winde aufgeregte rothe Staub der Savanne, der sich besonders an den Stengeln der Eriocavlonecn festsetzt, enthielt nach der Untersuchung des Prof. Eurenberg folgende mikroskopische Thierformen : Polygastrica. Trachelomonas volvocina. Dijflugia areolata. Pinnularia borealis. Arcella areolata. Phy tollt haria. Lithodontium furcatum. Spongolithis aspera. Lith. platyodon. Sp. - - - ßstulosa. Litho stylidium Amphiodon. Sp. - - - obtusa. Spongolithis acicalaris. 8 REISEN IN rückgcwandtcm Gesicht mit der Antwort: « a-m in ki,-a-m inki, Matti (Freund, sehr weit, sehr weit)!» freilich ein leidiger Trost für Todmüde und Halbverdurstete ! Endlich tauchte in tanzender Bewegung am Horizont eine Reihe Bäume auf, — es waren die bewaldeten Ufer des Pirara! Alle noch nicht vertrockneten Kräfte wurden zusammengerafft, um sobald als möglich dem marternden Zustand ein Ende zu machen , uud die ermüdeten Glieder in dem dunklen Schatten zu stärken. Das ersehnte Eldorado war nach vier Uhr erreicht; — endlich konnte der einzige Wunsch, den wir hegten, befriedigt werden! Eine Stunde Rast im dunklen Schat- ten der grünen Bäume stärkte die müden Glieder so , dass wenigstens der Theii unserer Colonne , welcher standhaft mit den Indianern vorangeschritten war, die Mündung des Pirara in den Mahn erreichte. Viele von den Zurückgebliebenen kamen erst spät in der Nacht, die übrigen, und dies war der grössere Theii der Neger und Deutschen , sogar erst am folgenden Morgen an. Wir hatten 17 Miles zurückgelegt, ein Marsch , der, bei 125 — 130° Fahrenheit und einer schatten- losen Savanne, keineswegs so unbedeutend war , als es scheinen könnte. Die sich weithin ausbreitenden Aeste und die dichtbelaubte Krone eines mäch- tigen Maranbaumes ( Copaifera Jacquini Desf.), der eine kleine Strecke von der .Mündung, aber in der unmittelbaren Nähe des Ufers des Pirara stand, dessen un- geheurer Stamm eine Menge alter und frischer Spuren aufwies , wie oft man sich schon in Besitz seines Balsams gesetzt hatte, so wie der von allem Unterholz gereinigte Boden, nach welchem dieser allgemein zur Landungsstelle benutzt worden sein musste, versprach auch uns den gewünschten Schutz, und wurde da- her augenblicklich zur Bivouakstelle benutzt. Während der Besitznahme Pirara' s durch die Brasilianer, standen diese mit der Bevölkerung am Rio Branco und Fort Saö Joaquim in lebhafter Communi- kation , der in der trocknen Jahreszeit nur durch die Seichtigkeit des Pirara- Flusses etwas Abbruch gethan wird , da in dieser die Bewohner am Rio Branco mit ihren grossen Corials nur bis hierher fahren können. L m den Balsam der Marane zu sammeln , hauen die Indianer eine halbrunde \ ertiefung in den untern Theii des Stammes , die sich bis zum Kern erstreckt. In gewissen -Monaten, namentlich im Februar und März, fliesst der harzige Saft in Menge aus und füllt die Vertiefung an , die von Zeit zu Zeit ausgeschöpft wird. Auch wir fanden die Höhlungen gefüllt, und zahllose Wespen und Fliegen um sie versammelt. Sollten crstcre den Balsam vielleicht als Bindemittel zu ihren Nestern benutzen? Ausser bei Verwundungen und zum Einsalben des Körpers und der Haare, benutzen die Indianer selbst den Balsam zu nichts weiterem, da ihnen alle jene verheerenden Krankheiten fremd sind, zu deren Heilung er früher allgemein angewandt wurde; sic sammeln ihn nur, weil er ihnen als gesuchter und müheloser BRITISCH-GUIANA. !) Tiiuschartikel bekannt geworden ist. In der unmittelbaren Niilie unsers Bivouaks zogen gleich anfangs mehre Tonteliabäume durch ihren reichen Bliithenschmuck mein botanisches Interesse auf sich. Bei der spätem Untersuchung stellte sich die Species als neu heraus, und Tontelia guianensis (Klotssch) war mein erster Fun dam Pi- rar a. — Das jenseitige Ufer des Pirara hatte eine steile Höhe von 20 — 30 Fuss. Obschon die Indianer im Laufe des folgenden Tages unter der Belaubung der Uferumsäumung zwei kleine Corials entdeckten, so zeigten sich diese doch in einem so erbärmlichen Zustand, dass wir ihnen ohne vorherige gründliche Ausbesserung nicht einmal unser weniger werthvolles Gepäck würden anvertraut haben. Die Zeit zu einer solchen Ausbesserung fand sich. Um zu sehen, welchen Einfluss der Land- transport auf die beiden Chronometer ausgeübt, die sich in einem kleinen Blech- kasten befanden, und von dem zuverlässigsten der Deutschen, Heiter, vermittelst eines Riemens über die Schulter, getragen wurden , war wenigstens eine Rast von drei Tagen erforderlich; die Corials konnten daher bis zum erneuten Aufbruch aus- gebessert werden, und di eCuratella americana lieferte uns in Folge ihres krüppel- haften Wuchses das trefflichste Knieholz, so dass wir den Fahrzeugen ohne grosse Mühe die so nolhwendige Festigkeit geben konnten. Die gleichmässig gekrümmten Aeste dieses in den Savannen allgemein verbreiteten Baumes müssten sich ungemein vortheilhaft zu Gestellen von Militairsätteln benutzen lassen, und ich glaube sicher, dass man aus den Savannen zwischen dem Riqmnuni und Rio Rranco die. ganze europäische Gavallerie damit versehen könnte. Die Macusi nennen den Baum Curat.akie, da sie mit seinen rauhen Blättern namentlich dem Futteral ihrer Blase- röhre ( Cura ) die Politur geben. Die Einwirkung des Transportes auf die Chronometer hatte sich gleich Null gezeigt, die Corials waren reparirt, und doch waren wir leider durch einen trau- rigen Vorfall noch an unser Bivouak gebunden. Die grosse Zahl Cucuril- (Ma.ri- mil. regia) und SöM>vir uns die wunden Gesichter, den wunden Hals nicht kratzen durften. Obschon mit den Sandbänken auch eine Menge von Mijcicrien , Ciconien, Ardea, Ibis, Tantalus , Anas , selbst die schöne Orinoco- Gans ( Anser jubatus Spix.) erschienen waren , verging uns bei den Schmerzen , die wir auszuslehen halten , doch alle Jagdlust. Dass eine grosse Zahl der Wasservögel gegen die Mitte der Trockenzeit nach andern , wasserreicheren Gegenden ziehen muss , be- wiesen mir diese, wenn auch immer noch zahlreichen, doch im Verhältnis zu jenen , die ich am See Amucu gefunden , geringen Heerden , unter denen sogar eine ganze Zahl von den mir schon dort bekannt gewordenen Species fehlte. Ob- schon sich der Nimmersatt nicht nur während der Regenzeit, sondern auch nach dem Ende derselben noch eine längere Zeit in unzählbaren Schaaren an den Sümpfen der Savanne aufhält, so ist sein Nest doch vollkommen unbekannt. Auf meine Fragen darnach erwiederten mir die Indianer jedesmal : «der Vogel zieht weit, weit fort, » wobei sie gegen Süden zeigten, «dort brütet er, und kehrt dann nach langer Zeit mit seinen Jungen nach der Savanne zurück. « Darf man den Angaben der Indianer auch nicht immer unbedingten Glauben schenken, da sie vermöge ihrer natürlichen Schlauheit es dem Reisenden nur zu schnell abge- lauschl, was er gern hört, und ihm daher auch das überreich auftischen, was sei- ner Neugier zusagt, oder wenigstens in einem Gewände mittheilen , dessen dünner und trügerischer Faden aus falschen und grundlosen Naturerscheinungen und einem ganzen Gewebe von Aberglauben zusammengedreht sind , so fand diese Angabe doch in unserer eigenen Erfahrung einen hinreichenden Unterslülzungsgrund für ihre Wahrheit; so vielfach und so lange Zeit wir uns auch in den Savannen des Rio Branco , Takutu , Rupununi , so wie in den östlich und nördlich von diesen Flüssen gelegenen Strichen aufgehalten und den Vogel in der nassen Jahreszeit überall und häufig antrafen, so haben wir doch niemals sein Nest gefun- den, das nach der Grösse des Vogels ziemlich ansehnlich und in die Augen fallend sein muss. Dieselbe Beobachtung haben wir auch noch an der Ciconia Maguari BRITISCH • GUIANA . 29 gemacht, während wir die Nester der Alyctciia häufig auf den grossen Bäumen der Uferumsäumung und der waldigen Oasen am Mahn, Takutu und Cotinga fanden. Die hässliche J/fl/ff/«ffta-Sehildkröte, die wir seit dem Essequibo nicht wieder gesehen , war hier ziemlich häufig. Gewöhnlich hatte sie sich am Rande des W assers in den Sand eingewühlt, so dass das Wasser etwa 2 Finger hoch über sie wegging, und schien dort bewegungslos auf Rauh zu lauern; ebenso bewegungs- los liess sie sich ergreifen, was wir freilich nur selten thaten, da sie ausser mit einer hässlichen Gestalt , auch mit einem ekelhaften Geruch begabt ist. Sahen wir unter den Vierfüsslern auch dann und wann Tapire , so waren diese doch fortwährend so auf ihrer Hut, dass sie sich schon in weiter Entfernung aus dem Staube machten. Weniger scheu zeigte sich das Wasserschwein. Ich fand oft 6 — 8 Stück beisammen, die immer eine Reihe bildeten, in deren Mitte sich die Jungen befanden. Trafen wir aber unser Ziel nicht unmittelbar tödtlich , so ent- ging uns jedesmal die Beute, indem sich dass verwundete Thier augenblicklich in das Wasser stürzte , dessen Nähe sie selten verlassen , und vergebens auf seine Rückkehr warten liess; nur wenn die Indianer eins derselben mit dem Giftpfeil angeschossen , wurde unser Warten dann und wann belohnt. Am 13. April erreichten wir die ersten bedeutenden Stromschnellen, die durch eine Bank metamorphischen Grauwackenschiefers gebildet wurden , welche den Fluss in 56%° W. durchkreuzte ; an einzelnen Stellen zeigte der Grauwacken- schiefer grosse Mengen Granit, während dieser an andern gänzlich fehlte. Bald folgte Stromschnelle auf Stromschnelle , die jedoch nicht mehr von jenem Grau- wackenschiefer, sondern jetzt von unzähligen Granit- und Gneisblöcken gebildet wurden , welche theils als einzelne Massen , theils als anstehendes Gestein den Fluss durchsetzten. Unsere Qualen und Mühen sollten jetzt erst ihren Gipfel- punkt erreichen , denn zu all den bisherigen Anstrengungen gesellte sich nun noch das täglich sich oft mehr als einmal wiederholende Ausladen und beschwer- liche Hinüberziehen der Corials , welches uns , ungeachtet der unansehnlichen Fahrzeuge, besonders dadurch doppelt erschwert wurde , dass die Spalten , durch welche sich das wenige Wasser drängte, meist nur 2 — 4 Fuss breit waren. Hatten wir eine solche Felsenbarriere überschritten , dann hot uns das dahinter aufgestaule Wasser wohl einen Ruhepunkt, doch wie lange Währte dieser? Nach drei bis vierhundert Ruderschlägen baute sich schon wieder eine neue Barriere auf! Ein Glück war es, dass bei unsern äusserlichen Leiden und Mühen, nicht auch noch unser Magen zu darben brauchte , da wir nicht allein mit Brod noch reich versehen waren , sondern auch der Fluss unsern Jägern und Fischern die reichste Ausheute darbot. Besonders reich waren die Felsenbarriercn an der REISEN IN 30 schönen und schmackhaften Bisamente ( Auas moschata). Sie ist unstreitig die wilde Stannnrace der sich häufig auf unsern grösseren Hühnerhöfen findenden Muscovu- Ente. Letztem Namen scheint sie von der falschen Annahme erhalten zu haben, dass sie aus Russland eingeführt sei. Da sie Azara selbst in Paraguay fand , so scheint sic über ganz Südamerika verbreitet zu sein. Was ihr den Spe- ciesnamen moschata erworben , kann ich nicht recht begreifen , da sie auch keine Spur von Moschusgeruch an sich hat. Während der drückenden Hitze am Mittag und Nachmittag suchen sie meistens ein schattiges Plätzchen am Ufer oder auf den Sandbänken auf ; am Morgen und Abend aber gehen sie ihrer Nahrung nach , die in Fischen, Schnecken, Algen und andern Wasserpflanzen besteht. Das Männchen ist bedeutend grösser als das Weibchen; ihre Nester bauen sie theils in hohle Bäume am Ufer , theils , wie man uns versicherte , besonders in Sümpfen auf die Mauritia ßexuosa , von wo die Alte die Jungen, unmittelbar nachdem sie aus dem Ei gekrochen sind, im Schnabel nach dem Wasser tragen soll. Ob das Letztere w ir klich faktisch ist, will ich dahin gestellt sein lassen ; gesehen habe ich es nie. Dass die Ente des Nachts nur auf hohen Bäumen schläft, und auch immer nur nach solchen fliegt, wenn sie am Tage aufgescheucht w ird, hatte ich jeden Tag Gelegen- heit aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Selbst die, die sich am Tage in den Sümpfen der Savanne aufhalten, fliegen beim Untergang der Sonne den waldi- gen Oasen oder Ufersäumen zu, um dort auf den hohen Bäumen zu schlafen. Ihr Flug ist ungemein schnell und immer, besonders aber beim Auffliegen, von einem lauten und dumpfen Geräusch, ähnlich dem beim Auffliegen unserer Rebhühner, begleitet. Im Mai, wie im September fanden wir Junge, die von der Mutier sorg- fältig bewacht wurden. Bei der geringsten Gefahr eilt diese augenblicklich mit den Kindern in das dichteste Gesträuch, aus dem sie dieselben, sobald die Gefahr vor- über ist, wieder durch einen besondern Ton hcrvorlockt. Die Paarzeit scheint die blutigsten Kämpfe unter den Männchen hervorzurufen; wenigstens fanden wir dann ganze Strecken mit den Federn derselben bedeckt. Ist die Ente nicht tödllich ver- w undet, und irgend ein Dickicht in der Nähe, so entgeht dem Jäger grösstentheils die Beute, da sie sich dann augenblicklich so verkriecht, dass es meistenlheils selbst den Indianern nicht gelingt, sie aufzufinden. Noch häufiger aber als die Muscovy- Enle waren die blauen Araras. Näherten wir uns den Bäumen, auf welchen sie sassen, so erhoben sie sich paarw eise unter betäubendem Gekreisch und umkreisten uns mit wildem Gelärm. Die Pärchen sassen meist in kosender Eintracht, und unter unun- terbrochenem Ausstossen eines eigentümlichen Knurrens neben einander; wurde dann eins durch das tödlliche Schroot herabgeschossen, so umflog das Gerettete den Raum und Zweig unter klagendem Geschrei, kehrte auf die Stelle zurück und sah sieh vergebens nach dem verschw undenen Genossen um. Diese zärtliche Liebe der BRITISCH -GUIANA. 31 Paare scheint der ganzen Gatlung eigen zu sein. — Es ist eigentümlich, dass sich die Gesellschaften der beiden ^?'«ras-Arten , Macao und Araraunn , streng von einander gesondert halten; ich kann mich keines Falls entsinnen, wo ich die eine Species in der Nähe der andern gesehen hätte. Prinz von Neuwied hält diese Ab- sonderung fü eine Fabel, — mein Bruder und ich müssen sie als einen vieljährigen Erfahrungssatz aufstellen. Ausser dem Savanne-lIocko-IIuhn (Crax tomentosa), wurde auch häufig der Crax alector in dem Ufersaume geschossen. Bemerkens- wert war es , dass beide Species in diesem Monate einen starken , zwiebelartigen Geruch verbreiteten, den auch das Fleisch angenommen, was diesem einen höchst pikanten Geschmack verlieh. Höchst wahrscheinlich sind gewisse Saamenarten oder Früchte, die in diesem Monate ihre Reife erhalten, die Ursache, obschon uns der in dem Magen der Geschossenen Vorgefundene Inhalt keinen Aufschluss darüber gab. Da wir hier eine so reiche Fülle von schmackhaftem Vogelwild fanden, so wurde natürlich der gleichfalls grossen Menge der zähen Penelope Paraca nicht geachtet, die jedes Bambusgebüsch des Ufers mit ihrem durchdringenden, fasanen- ähnlichen Geschrei belebte. Schon seil einigen Tagen war ich von einzelnen Fieberschauern heimgesucht worden, die ich leider nicht im Keime ersticken konnte, da Herr Fryer dem Me- dizinkasten , den er uns bei seiner Abreise nach Pirara zurückgelassen , Chinin beizufügen vergessen hatte. Heute verkündete dieser unwillkommene Gast seine wirkliche Besitzergreifung in einem ziemlich raisonablen Grade, und ich hatte es unserer Vergesslichkeit zu danken, dass ich das Fieber auf der ganzen Takulu- Reise mit mir herumtragen musste, und mich auch erst nach unserer Rückkehr nach Pirara davon frei machen konnte. Nach einer astronomischen Beobachtung befand sich unser Lager vom 12. April unter 3° 12' 51" Norderhreite und 20,6 Miles westlich von Pirara. Der Fluss behielt seinen felsigen Charakter auch am folgenden Tag bei, ja steigerte ihn sogar um vieles, da die einzelnen Blöcke jetzt eine Höhe von 20 — 30 Fuss annahmen und wild zerstreut im Fluss neben und aufeinander geschichtet herumlagen. Der Curatawuihari lag N . 73° 0. von uns, was auch die Ilauptrich- tung dieser Granitlager zu sein schien. Wurden unsere Mühen schon dadurch im Vergleich gegen gestern vielfach gesteigert, so hielten die vermehrten Qualen der Sandfliege gleichen Schritt mit ihnen. Ebenso unerwartet wie im Herbst biswei- len kalte Luft in eine mit Feuchtigkeit geschwängerte Atmosphäre eindringt und einen plötzlichen Nebel hervorruft, fanden wir uns oft in eine solche Fliegen- wolke gehüllt. Die Blutgierigen lielen dann in Unzahl über uns her, und senkten unter peinigendem Schmerz, der sich mit jedem Augenblick steigerte, ihren starken, kurzen Säugrüssel in die Haut, bis sich das Thier endlich vollgesogen 32 REISEN IN hat. Während sic saugen, erhebt sich die Haut halbkugelförmig , unterläuft mit einer Feuchtigkeit, die sich, nachdem das Thier wieder fortgeflogen, mit Blut vermischt, das nach einiger Zeit eintrocknet, und jenen rothen Punkt er- zeugt, der, wie ich schon früher bemerkte, mehre Tage sichtbar bleibt, bis er herausfallt. So lange die Stiche einzeln bleiben, ist die Qual immer noch zu ertragen, kommen diese Harpyen aber in solchen Massen, wie es hier der Fall war, so rufen sie nicht allein Entzündung, sondern oft auch förmliche Geschwüre hervor. Zahlreicher aber wie hier konnten sie nicht werden , was Wunder, dass daher unsere bereits durch den Sonnenbrand wunden und blasigten Gesichter heute ein noch schrecklicheres Aussehen annahmen ! Den Vormittag erbarmte sich unserer dann und wann ein kühler Luftzug und verscheuchte die hungrige, erbar- mungslose Schaar wenigstens auf Minuten ; doch am Nachmittag verschwand auch dieser und die drückende Hitze steigerte sich so, dass das von der Sonne abge- wandte Thermometer 108° Fahrenheit zeigte. Schlagen, Verscheuchen, kurz alle angewandten Rettungsversuche blieben fruchtlos , und mit einer wahrhaft ver- zweifelten Resignation ergaben wir uns endlich in das unvermeidliche Schicksal. Am Nachmittag fuhren wir auf dem rechten Ufer an der Mündung des kleinen Flusses Saivara-auuru vorüber. Sawara ist, wie ich schon bemerkte , der india- nische Name das für Aslrocaryum Jauari und auuru heisst in der Sprache der IVapisianas «Fluss«. Vermittelst dieses Flusses und einer unbedeutenden Portage kann man den Rupununi in drei Tagen erreichen. Dieser Weg hat dadurch eine geschichtliche Bedeutung, dass ihn, nach Alexander von Humboldt , der Chirurg IIoiitsmann im Jahre 1739 einschlug, als er Demcrarn verliess , um im Innern die Gold- und Diamantengruben aufzusuchen, wie ihn, nach derselben Autorität, auch Francisco Jose Rodriguez Barala verfolgte , als dieser 1793 zweimal von Para aus Depeschen nach Surinam zu bringen halte. Die Indianer und Brasilianer be- nutzten ihn auch jetzt noch ; namentlich in der nassen Jahreszeit. Das Streichen der Granit- und Gneislager verlief fortwährend von S. 10° 0. nach S. 10° W. Der Gneis zeigte sich fast durchgehends von schwarzer Farbe, nur dann und wann trat er mehr gelblich gefärbt auf. Hier und da entdeckten wir auch jene metamor- phischen Schiefer mit Quarzgängen wieder, während andere Bänke aus einem verwitterten Glimmerschiefer, gelben Jaspis und grob- und feinkörnigen Quarz- geröll bestanden. Gleich wie die Sandfliegen hatten sich mit dem Erscheinen dieser Eelsenbar- rieren auch die Fische vermehrt, unter denen uns namentlich der schon erwähnte schöne Ammann (Ostcoglossum bicirrhosum) höchst willkommen war. Ihr Fang machte uns in diesen Felsenlabyrinthen wenig Schwierigkeiten, da wir nur die Zwischenräume zwischen mehren der Felsen abzuschliessen brauchten, worauf BRITISCH “GUIANA. 33 die Indianer mit ihrem Waldmesser zwischen die abgeschlossenen einhieben, oder sie auch mit den Pfeilen schossen, wenn die Lokalitäten jene Metzeleien nicht er- laubten. Zu ihnen hatten sich eine Menge Pirapoco oder Morouoai ( Xiphostoma Cuvieri) gesellt , die wie jene immer an der Oberfläche schwimmen. Ihr schönes, buntes Schuppenkleid nimmt, sobald sie einige Zeit aus dem Wasser sind , eine gleichmässige , braune Färbung an. Den mit den zwei, drei bis vier Zoll lan- gen Zähnen bewaffneten Hydrolycus scomberoides (Müll. Trosch.), Palha der Macusis , der besonders die felsigen Stellen der Savannenflüsse zu lieben scheint, fand ich hier zum erstenmal. Ebenso auffallend , wie ihre Zähne, war mir ihre Muskelkraft, die sich besonders dadurch deutlich herausstellte, dass sie meist eine ganze Zeit mit dem sechs Fuss langen Pfeile, der sie durchbohrt hatte, hin und herschwammen. Die beiden gewaltigen , etwas nach Innen gebogenen Zähne , befinden sich in der untern Kinnlade und schieben sich , wenn der Fisch die Schnauze schliesst, jeder durch ein rundes Loch in dem Oberkiefer. Das Fleisch ist zwar nicht unschmackhaft, aber so grätenreich, dass ein hun- griger Magen gern nach etwas anderem greifen lässt. Die Nahrung des Fisches be- steht in kleinen Fischen, die er ganz verschlingt. Wie der Pirai biss er in seiner Gier oft die Angelschnur mit seinem scharfen Gebiss .durch. Die erwähnten Zähne geben dem Fische ein merkwürdiges Aussehen , worin er nach meiner Erfahrung nur von dem mit Schienen bedeckten Hypostoma übertroffen wird , das hier eben- falls durch mehre Species repräsentirt war. Da sie sich meistentheils in einer ge- wissen Tiefe in den Spalten zwischen den Felsenblöcken aufhielten, so tauchten die Indianer darnach unter, um sie aus ihrem Schlupfwinkel hervorzuholen, wobei sie, wie letztere behaupteten, einen eigentümlichen Ton hören lassen sollen. Auch der Sudis gigas zeigte sich an den tiefem Stellen wieder. Wo die Savanne unmittelbar bis an das Ufer herantrat, fiel dieses auch durchgängig in 15 — 20 Fuss hohen, steilen Wänden ab. Unter der Curntella bemerkte ich auch hier und da die mit blauen Blüthen übersäete, wenn auch nie- drige Bowdichia major (Mart.), mehre Malpighien , krautartige Leguminosen , besonders Clitoria Lin. ( Vexillaria , Hoffmsg.) , die diesen sterilen Flächen wenigstens ein etwas belebteres Kleid verliehen, als das, welches die Savannen des Mahu und Pirara trugen; und da das Gras abgebrannt gewesen, aber bereits wieder durch jungen Trieb ersetzt war, so trug dieser grüne Teppich allerdings viel dazu bei, mich wieder einmal mit den einförmigen Flächen auszusöhnen. Dass der Takulu ausser dem gewöhnlichen Kaiman auch noch eine kleinere Species beherberge, welche die Indianer Kaikutschi (Champsa vallifrons Natt.) nennen, und deren Fleisch sie, nächst dem der Iguana, für die grösste Delikatesse halten , hatten wir ebenfalls wahrgenommen. Am späten Nachmittag sollten wir 11 Thcil. 5 34 REISEN IN auch noch Zeugen eines höchst interessanten Kampfes werden. Jenseits der oben erwähnten ersten Geröllbänke lag der Fluss in tiefer und ebener Fläche vor uns, so dass die Corials nach langer Zeit wieder einmal die Wellen ungehindert durchschneiden konnten. Plötzlich sahen wir in geringer Entfernung vor uns eine ungewöhnliche Bewegung im Wasser. Wir trieben daher die Indianer zum schnellem Kudern an, um sobald als möglich in die Nähe jener Stelle zu kommen. Ein ungeheurer Kaiman hatte eben einen Kaikutschi in der Mitte des Leibes ge- packt, so dass Kopf und Schwanz an beiden Seiten seines fürchterlichen Rachens hervorragten. Der Kampf war hart, war höchst interessant, aber alle Anstren- gungen des Schwächern blieben gegen die Wuth und Gier des Mächtigem frucht- los. Jetzt verschwanden beide unter der Oberfläche , und nur die aufgeregten Wellen des sonst glatten und ruhigen Flusspiegels verkündeten, dass in der Tiefe ein Kampf auf Leben und Tod gekämpft wurde; nach einige Minuten tauchten sie wieder auf, und peitschten mit den Schwänzen die Wasserfläche, die sich in Wellen nach allen Seilen hin zertheilte ; bald aber war der Erfolg nicht mehr zweifelhaft, die Kräfte und Anstrengungen des Kaikutschi liessen nach; wir ruderten näher; — so wie uns der Kaiman bemerkte , tauchte er unter, kehrte aber, da er seine Beule im Wasser nicht verschlingen konnte, in einiger Ent- fernung wieder zurück , und schwamm nach einer kleinen Sandbank, wo er sein Mahl augenblicklich begann. Wie uns heute die weniger durchbrochene Wasserstrasse namhafte Erleichte- rung gebracht, so fanden wir am 14. in dem bewölkten Himmel und einem kühlen- den Windaus 0. bei S. den willkommensten Begleiter bei der Fortsetzung unserer Reise; um 11 Uhr zeigte das Thermometer 90° Fahrenheit. Im Laufe des Tages passirten wir wieder eine mächtige, 50 — 60 Fuss hohe Bank aus Quarzgeröll, das durch einen eisenhaltigen Thon zu gewaltigen Conglomeratblöcken verkittet war; inderseiben Richtung, in welcher diese Conglomeratbank den Fluss durch- setzte, konnte man das unverkittele Quarzgeröll auch als breiten Streifen auf der Savanne verfolgen. Da jenseits dieser mächtigen Felsenrippe die Sandbänke wieder häufiger wurden und damit der Fluss auch seinen alten Charakter wieder annahm, so eilte ich während des HinüberschafFens der Corials den übrigen mit einer Flinte voraus , um an den schattigen Stellen des Ufers Enten aufzusuchen, und uns für den Abend ein schmackhaftes Mahl zu verschaffen. Das klare Wasser erlaubte mir, die belustigenden Manoeuvres zweier Stachelrochen, die sich eben in dem sandigen Boden in der Nähe des Ufers einwühlen wollten, zu beobachten und sie hatten meine Aufmerksamkeit so in Anspruch genommen, dass ich alles um und neben mir vergass , bis ich plötzlich durch ein dumpfes Murren und Knurren aus meinen Träumereien aufgeschreckt wurde. Es konnte, nach der gemachten Er- BRITISCH- GUI ANA. 35 fahrung vom Canuku - Gebirge her, nur von einem Jaguar Herkommen , und als ich bestürzt und blass aufblickte, traf mein Auge wirklich etwa 10 — 12 Schritt vor mir auf einen solchen von ungeheurer Grösse , der mit sprühenden und rollenden Augensternen und mit auf den Hoden niederhängendem Schwänze am Wasser- saume stand, und wahrscheinlich so eben aus dem dichten Gebüsch der Uferum- säumung zur Tränke getreten sein musste. Offenbar war er über meine Gegen- wart gleich ungehalten , wie ich über seine Nähe erschrocken ; denn ich muss gestehen, dieses unangenehme Zusammentreffen machte mich im ersten Augen- blick so bestürzt, dass ich seinen starren und feurigen Blicken, wahrscheinlich eben so starre, wenn auch weniger feurige entgegengesetzt haben mag. — Sollst du schiessen? — war der erste Gedanke — nein — denn nur der eine Lauf des Doppelgewehrs war geladen, und auch dieser nur mit Entenshcrot; — was aber thun? — dich rückwärts, den Feind immer scharf im Auge behaltend, zurückzie- hen. Gedacht, gethan, und ohne die Augen von dem die grossen Zähne fletschenden Unthier zu wenden , ohne daran zu denken , wohin mich mein Krebsgang führen möchte , trat ich den Rückweg an. Ruhig blieb der Jaguar stehen, sah mich fort- während starr an , zischte und knurrte ununterbrochen fort, bis er mir plötzlich durch eine Biegung des Flusses aus dem Auge verschwand , und ich nun «Kehrt um» machte, um in mächtigen Sätzen zu den Corials zurück zu eilen. Als wir mit Büchse und Kugeln zurückkehrten , hatte er sich in das Gebüsch zurückgezogen, ohne dass es uns gelungen wäre, ihn wieder aufzufinden. Der Schreck war nicht klein; denn das Bewusstsein, gar keine entsprechende Waffe gegen einen solchen Feind zu besitzen, ist lähmender, als die grösste Gefahr, der man gerüstet ent- gegen treten kann. — Etwas oberhalb der ominösen Sandbank fanden wir wieder tieferes Wasser. Sechs Ottern schienen uus dasselbe streitig machen zu wollen , da sie uns ununter- brochen mit dem ihnen eigenthümlichen Schnarchen und Bellen umschwammen, in die- sem Augenblick sich bis zur Hälfte ihres Körpers aus dem Wasser erhebend und uns ihr fürchterliches Gebiss zeigend, wobei sie sich den Corials so weit näherten, dass die Indianer mit den Rudern nach ihnen schlagen konnten , — im nächsten Moment aber wieder untertauchend, um sogleich mit erneuerter Wuth abermals über dem Wasser zu erscheinen. DieseEnergie Hess mich vermuthen, dass sie ihre Jungen in der Nähe hatten ; denn sowohl früher als später, näherten sie sich wohl immer bis auf eine gewisse Entfernung unsern Corials unter jenem zornigen Schnarchen, nie aber machten sie eine förmliche Attake auf uns, wie es hier der Fall war. Auch hier wurde eine derselben verwundet, augenblicklich aber tauchte sie unter; das Wasser färbte sich roth vom Blut, das Thier kam aber nicht wieder zum Vorschein. Ueber- raschlen wir sie bei demFrasse ihrer Beule am Ufer oder auf einem der Felsblöcke, 36 REISEN IN dann eilten sie mit Gedankenschnelle, jedoch jederzeit eine hinter der andern zum Wasser hinab, oder sprangen eine nach der andern vom Block hinunter. Meist haben sie ihre bestimmten Plätze, wo sie ihre Beute verzehren, deren Umgebungen durch die Ueberbleibsel, wozu der Kopf, der Schwanz und die Gräten gehören, vollkommen verpestet werden. Die kleinere Species geht gewöhnlich in Gesellschaften von 8 — 10 Stück auf Raub aus, wobei sie in eiper Reihe den Strom entgegen schwimmen, plötz- lich untertauchen, 8 — 10 Minuten unter dem Wasser fortschwimmen, und jegli- chen Fisch , der über sie hineilt , beim Bauche ergreifen und nach dem Fressplatz schleppen, die Beute dort niederlegen und augenblicklich nach dem Wasser zurück- eilen, um den Raubzug von neuem zu beginnen. Erst wenn sie eine Quantität auf- gehäuft , beginnt das gemeinsame Mahl der Theilnehmer. Die Indianer benutzen diese Eigenthümlichkeit zu ihrem Vortheil: sie schleichen sich behutsam in die Nähe solcher Plätze, warten ruhig ab, bis die Ottern die Beute dort niedergelegt haben, und nehmen diese weg, sobald jene nach dem Wasser zurückgekehrt sind. Die Ottern greifen die grössten Fische, selbst den Sudis gigas an, und schleppen oft 12 — 15 Pfd. schwere an das Ufer. Mein Bruder war auf dem Corentyn Zeuge, wie eine Otter dieser kleinen Species einen 12 Pfund schweren Haimura (Macrodon trahira Müll., Erythrinus macrodon Agas.) an einem Felsblock emporzog, sich dort auf keine Weise durch das Geschrei der Indianer, welche meinen Bruder be- gleiteten, stören liess, sondern so lange fortfrass, bis einige derselben in das Boot sprangen und auf sie zu ruderten, wonach sie erst in das Wasser sprang und den Indianern die Beute üherliess. Die eben erwähnten Fressplätze sind ausser dem pestilcnzialischen Geruch ihrer Umgebung noch dadurch kenntlich, dass eine tief ausgehöhlte Strasse dahin führt. Ihre Wohnungen haben die Ottern in Löchern am Ufer. Die Jungen scheinen ziemlich lange unter dem Schutze derEltern zu stehen. In der Gefahr ergreift die Mutter die Jungen mit der Schnautze und springt in das W asser; sind sie in Sicherheit, so erscheint sie unter dem erwähnten, zornigen Schnarchen wieder an der Oberfläche. Dennoch wissen die Indianer die Alten zu überlisten, ihnen ihre Jungen zu rauhen und diese so zu zähmen, dass sie ihnen wie die Hunde nachlaufen. Sie füttern sie mit Fisch, Fleisch und Früchten. Das Fell der grossem Species war am Bauch dunkel mäusefahl, auf dem Rücken beinah schwarz, der Kopf ebenfalls mäusefahl, die Brust zeigt einen milchweissen Fleck. Ihre Schnauze ist kurz, mit einem starken Bart besetzt 5 eben so sind die Fü'sse ungemein kurz. Das eigentliche Borstenhaar ist grob, das Wollhaar dagegen un- gemein fein und von hellerer Farbe. — Die Länge der kleinern Species beträgt etwa 4 Fuss, wovon der Schwanz 13 — 14 Zoll wegnimmt. Ihre Färbung geht aus dem hell Mäusefahlen mehr in das Rölhliche über. Der Bauch ist weiss, wie sich auch der wcissc Bruslflcck bei ihnen findet. In ihren Gewohnheiten stimmt BRITISCH- GUIANA. 37 sie ganz mit jener überein, nur dass sie nicht, wie jene paarweise , sondern in Gesellschaften zusammenlebt ; auch schien mir ihr Kopf verhältnissmässig breiter als bei jener zu sein. Die Arawaaks nennen sie Assiero , die Caraiben Avari- puya , die Tarumas Carangneh , die Warraus die kleinere Species Elopu , die grössere Itscha-keya, die Macusis die erstere Dura, die letztere Maparua. An den Küstenflüssen, besonders in D einer ar a , kommt noch die Saumotter ( Pterura Sambachn) vor. Unser heutiges Bivouak lag unter 3° 1' Norderbreite , am linken Ufer des Takutu , und wurde von unzähligen Sträuchern jener Eugenia eingeschlossen, die wir schon am Pirara fanden ; auch hier beugten sich die zarten Aeste unter der Last ihrer Früchte. Desgleichen kam die Outea acaciaefolia (Benth.) mit ihren schönen gefiederten Blättern häufig vor. Dass der Zustand unserer an und für sich höchst gebrechlichen Fahrzeuge mit jedem Tag gebrechlicher wurde, zeigte sich immer deutlicher, und war bei dem fort- währenden Ziehen über die Sandbänke oder dem Hinüberschaffen über die Granit- rippen und Gerölldämme gar nicht zu verwundern. Schon seit zwei Tagen war in jedem der Corials , sobald wir in tiefes Wasser kamen, ein Mann fortwährend damit beschäftigt, das eindringende Wasser auszuschöpfen. Der grosse Fall Sca- bunk , der grösste, den wir bis jetzt getroffen, setzte uns am nächsten Tage be- deutende Hindernisse entgegen. Der Fall hat seinen Namen von dem kleinen Flusse Seabunk erhalten, der sich am Fusse des Cataracts von 0. her mit dem Takutu vereinigt. Catu-auuru , wie ihn die IV apisianas nennen, bedeutet so gut wie Seabunk oute: « sandiger Fluss » , nach den mächtigen Sandbänken seiner Ufer. Schon hatten wir zwei unserer Corials glücklich über die Felsenbarrieren hinweg- geschafft, als ein Unglücksfall für heute unserer Reise ein Ziel setzte. Unter den zahlreichen Fischen, die dem Takutu eigen sind, nimmt der Stachelrochen ( Sting-ray der Colonisten) durch seine Menge, eine der ersten Stellen ein. Wie ich schon früher angab, wühlen sie ihren platten Körper so in den Sand oder Schlamm ein, dass nur die Augen frei bleiben, wodurch sie sich selbst im klarsten Wasser den Blicken der im Wasser Herumwatenden entziehen. Hat nun Jemand das Unglück, auf einen dieser Hinterlistigen zu treten, so schnellt der beunruhigte Fisch seinen Schwanz , der mit einer auf beiden Seiten sägeartig ausgezackten Knochenstachel versehen ist, mit einer solchen Kraft gegen den Stö- renfried , dass der Stachel die abscheulichsten Wunden beibringt, die oft nicht allein die gefährlichsten Krämpfe, sondern selbst den Tod in ihrem Gefolge haben. Da unsere Indianer diesen gefährlichen Feind kannten, so sondirten sie immer, sobald die Corials über die Bänke geschoben oder gezogen wurden, den Weg vor sich mit dem Ruder oder einem Stocke. Ungeachtet dieser Vorsicht 38 REISEN IN wurde einer unserer Ruderer, der Arekuna - Indianer Awacaipu doch zweimal von einem der Fische auf der Spanne verwundet. Sowie der arme Mann die Wunden erhielt, wankte er der Sandbank zu, wro er zusammenstürzte und sich , die Lippen zusammenbeissend vor wüthendem Schmerz , im Sande herum- wälzte, obschon seinem Auge keine Thräne entrollte, und seinem Munde kein Schmerzensschrei entfloh. Noch w'aren wir damit beschäftigt, dem armen Schelm seine Schmerzen soviel als möglich zu lindern, als unsere Aufmerksamkeit durch ein lautes Aufschreien von dem Patienten abgezogen und auf den schon so hart geprüften Cumeru gerichtet wurde, der an der Mündung des Pirara so gefährlich von einem Pirai gebissen worden und dessen Wunde noch immer nicht zugeheilt war; — eben hatte sich zu dieser an demselben Fusse eine zweite von einem Stachelrochen gesellt. Der Knabe besass noch nicht die Cha- rakterfestigkeit, um wie Awacaipu den Ausdruck seines Schmerzes zu unter- drücken: unter durchdringendem Schmerzensgeschrei, warf er sich auf dem Bo- den herum, und w ühlte sein Gesicht und seinen Kopf in den Sand ein, ja biss sogar in diesen hinein. Ich habe nie einen Epileptischen in solchem Grade von den Krämpfen befallen gesehen. Obschon Awacaipu auf der Spanne und Cumeru auf der Sohle des Fusscs verwundet w'orden waren, fühlten doch beide die grössten Schmerzen in den Weichen, der Gegend des Herzens und unter den Armen. Tra- ten die Krämpfe schon bei dem Arekuna ziemlich hart auf, so nahmen sie bei dem Knaben einen so bösen Charakter an, dass wir alles fürchten zu müssen glaubten. Nachdem wir die Wunden hatten aussaugen lassen, überbanden wir sie, wuschen sie dann mit Laudanum aus , und legten nun fortwährend erweichende Rreiumschläge von Cassadabrod auf. Die Symptome hatten sehr viel Aehn- liclikcit mit denen, welche den Schlangenbiss begleiten. Keinesfalls kann diese gänzliche Nervenerschüllerung von der blossen Verwundung allein herrühren, und muss höchst wahrscheinlich zugleich einer damit verbundenen Vergiftung mit zu- geschrieben werden. Ein kräftiger und rüstiger Arbeiter , der kurz vor unserer Abreise aus Demerara, auf der Plantage Zelandia von einem Stachelrochen ver- wundet worden war, starb unter den fürchterlichsten Krämpfen. Die Indianer benulzen die sägeartigen Stachel als Pfeilspitzen und als Lancetten beim Aderlässen. Da wo das Wasser die Sandbänke etwas ausgewaschen hatte, zeigte sich an mehren Stellen ein weisser Kies. Das Streichen der compacten Felsmasse verlief S. 20°O., wobei das Gestein eine Menge Gänge einer abweichenden Formation von einer Breite von ungefähr 2Fuss zeigte, die N. G0° 0. die Slrata durchsetzten; — auch Quarzadern durchsetzten in 0. 15° S. in Menge das Massengebirge. Unge- fähr 2 .Mil es vom linken oder westlichen Ufer entfernt, erhebt sich der Berg Ma- riwcllc oder Tuquiara ; seine Höhe beträgt ungefähr 2 — 300 Fuss. BRITISCH* GUIANA. 39 Hatten sich auch am folgenden Tag die Schmerzen unserer Patienten etwas gelindert, so waren sie doch noch vollkommen unfähig, ihre Füsse zu gebrauchen, weshalb wir sie in die Corials brachten. Wir setzten die Reise unter den bisheri- gen Schwierigkeiten fort, bis diese sich durch die wachsende Zahl der Strom- schnellen und Cataracten so steigerten, dass wir fast alle Hoffnung verloren, sie ferner bekämpfen zu können. Riesige Granit- und Gneisblöcke, oft von 40 — 50' im Durchmesser, versperrten uns das Flussbett fast Schritt für Schritt. Nachdem wir unter den grössten Mühen den grossen Cataract Curucuku über- stiegen halten und eben schweisstriefend damit beschäftigt waren, an dem darauf fol- genden Fall Matzipao unsere Corials durch eine 3 Fuss breite Spalte, die einzige Wasserslrasse, die er zeigte, zu ziehen, hörten wir menschliche Stimmen in dem Cfergebüsch , und bald stand zu unserer ungetheilten Freude Sokoreng in Beglei- tung eines grossen, muskulösen und phantastisch gekleideten Indianers vor uns, dessen edle und kühne Züge dem stolzesten Römer Ehre gemacht haben würden. Die wundervolle Federmütze bestand aus den schneeweissen Federn des süd- amerikanischen Adlers ( Harpijia destructor Tem.), die gleich Straussfedern in schönen Bogen über ein Stirnband von grünen Papageifedern herüberhingen. Das Septum der Nase war durchbohrt, und in der Oeffnung hing ein breitgeschla- genes und blank polirtes Geldstück ; in den ebenfalls durchbohrten Ohrläppchen trug er runde, halbe Fuss lange Stäbchen von Letlcrwood ( Brosimnm Aublelii ), die an dem einen Ende mit bunten Federbüscheln geziert waren. Die schöne, kräftige Figur, der phantastische Schmuck und das wundervolle schwarze, glän- zende Haar, das lang über die Schultern herabfiel, hatte etwas so Imposantes, dass ich den Mann lange verwundert anstaunte ; — es w ar ein fVapisiana. Nach Sororeng’s Berichten hatte die Landparthie die l/^ff/«sm//ff-NiederIassung Tcnette in der Nähe des Cursato- Gebirges bereits am dritten Tage nach ihrem Auf- bruche erreicht. Beunruhigt durch unser langes Aussenbleiben, hatte sich der brave Sororeng aufgemacht, um uns aufzusuchen, was ihm auch schneller gelungen, als er erwartet, da die Niederlassung nur drei Wegstunden von hier entfernt lag, eine Kunde, die uns alle in die freudigste Aufregung versetzte, welche freilich bald etwas herabgestimml wurde, als wir hörten, dass sich in Folge eines Misswachses die Provisionsfelder in einem so erbärmlichen Zustand befänden, dass sich bereits viele Bewohner auf Reisen begeben und die Zurückgebliebenen sich grösstentheils statt des Cassadabrodes mit Palmenfrüchten begnügen müssten. Der Plan, den Fluss in den Corials weiter zu verfolgen, war schon gestern aufgegeben worden , und die Kunde Sororeng's , dass wir bloss drei Stunden zu- rückzulegen hätten, um Tenette zu erreichen, liess uns auch nicht mehr lange mit der Ausführung unseres Entschlusses zögern. Der grosse Cataract, jetzt frei- 40 REISEN IN lieh ohne Wasser , zeigte auf seinem Scheitel ein förmliches Plateau von Granit mit ungemein grossen und reichen eingebetteten Quarzmassen , während er eben- falls von durchsichtigen Quarzgängen, wie von paralellen Gängen jenes Gesteins durchsetzt wurde, das wir schon am Scabunk bemerkt hatten. Eine halbe Meile oberhalb der Fälle von Dabaru erreichten wir die ersehnte Landungsstelle von Tenette, in der Nähe des grossen Cataractes Cocoya, der durch die an beiden Ufern sich erhebenden Berge, der Wawat am westlichen und der Ta tat am östlichen, gebildet wird. Der Fluss wird auch hier von einem Chaos von Granit- und Gneisfelsen verengt. Beide Berge sind von unbedeutender Höhe. Damit unsere Sachen schon am folgenden Morgen nach dem Dorfe geschafft werden konnten, trat Sokoreng den Weg dahin augenblicklich an, um nicht allein unsere Leute, sondern auch noch einige JVapisianas zum Transport zu holen; wir selbst begannen mit dem Ausladen, fanden aber leider, dass das Wasser un- geachtet des beständigen Ausschöpfens sich an einigen Stellen der defectenCorials erhalten und manche Gegenstände unbrauchbar gemacht hatte. Schon der frühe Morgen brachte unsere Leute und einige Bewohner des Dor- fes zu uns ; — das Gepäck wurde vertheill und die Reise angetreten. Ein in der Savanne, südöstlich von uns, sich isolirt erhebender, ansehnlicher Hügel zog augen- blicklich unsere Aufmerksamkeit auf sich ; es war der kleine Berg Tejiette , nach welchem die Wapisianas ihre Niederlassung, die an der südöstlichen Seite lag, be- nannt hatten. Eine bewaldete Fläche an seiner Basis, die sich bis zur Hälfte der Höhe emporzog, verlieh ihm ein ungemein freundliches Aussehen. Das Interesse, das mir bereits die abwechselnde Flora*) auf unserem Wege durch die etwas sump- fige Savanne erregt, wurde besonders durch einen herrlichen, hyacinthengleichen Geruch erhöht, den uns dann und wann ein starker Luftzug von dem noch ziemlich entfernten , bewaldeten Hügel zu trug. Je mehr wir uns näherten, um so reicher war die Luft mit dem herrlichen Parfüme geschwängert; um so mehr steigerte sich daher meine Neugier nach seiner Quelle, die mir bald in mehren Bäumen von mittler Höhe, ungemein gefälliger Form , und mit zahllosen weissen Blüthen be- deckt, freundlich enlgegenlrat. Wie der Geruch, so hatte auch die Blülhe unge- mein viel Achnlichkcit mit unserer einfachen , weissen Hyacinthe. Bei näherer Untersuchung erwies es sich als eine neue Species Tabernaemontana , die ich nach Alexander von Humboldt Tabcrtiacmontana Humkoldlii (Schomb.) nannte. Der Baum zeichnet sich nicht allein durch seine herrlichen duftenden Blüthen, *) Boiodichia tnajor {Mart.), Buttncria divarieata ( Benth .), Licania pendula ( Benth .), Clidcmia rmnprstris (Benth.) , Cup hau anlisiphylitica (Humb. Bonp.) , Elcphantopus caro- linianu t (IPiltd.), Mr/orhia mclissacfotia (Benth.) , fasciculata {Benth.), lanceolata (Benth.), /Ujvnia tumeutusa (Lin.). Das Innere einer Wapisiana- Hütte. BRITISCH- GUIANA. 41 sondern auch in Rücksicht seiner schönen, grossen, glänzend dunklen Belaubung aus und gehört unbestritten zu den lieblichsten Zierhäumen der Tropen. Ein dichter Kranz der Agave vivipara (Lin.), der den Waldsaum umschloss und mit seinen riesigen Blüthencandelabern förmliche Verhaue bildete, über die sich die weissen Blüthenäste der Tabernaemontana herüberbeugten , verlieh dem Ganzen einen wahrhaft feenartigen Beiz. Hatte uns bisher bloss die liebliche Seite des Wäld- chens entgegengelächelt , so setzte uns einer seiner Bäume , der sich unmittelbar neben dem Pfade nach dem Dorfe erhob, in solches Staunen, dass wir alle zugleich in einen Ausruf der Verwunderung ausbrachen. Es war ein wahrer Biese von Bombax globosvm (Aub/.); — wiewohl seine Höhe nur 120 Fuss betrug, so erstreckten sich seine Biesenäste doch über eine Fläche von 129 Fuss. Einen Fuss über der Erde betrug der Umfang seines Stammes 57 und die Breite einer der tafelförmigen, strahligen Ausbreitungen des Wurzelhalses 83/4 Fuss. Die Ma- cvsis nannten den Baum Copalpe. Nachdem wir das mit Vegetationswundern überfüllte, interessante Wäldchen durchschritten, sahen wir die bienenkorbähnlichen, kuppelförmigen Hütten des Dorfes über niedere Cvratella und mit blauen Blüthen bedeckte Bowdichia her- vorragen. Bei unserm Eintritt sahen wir eine schwarze Gestalt auf uns zueilen; — es war Hamlet, der eben hier eingetroffen, uns die Nachricht brachte, dass Herr Fryer den armen Petri noch nicht habe verlassen können, und dass er Hamlet, da seine Krankheit sich bald gehoben, vorausgesandt, um uns über sein längeres Aussenbleiben zu beruhigen. Erfreulicher als diese Nachricht, war uns eine Quan- tität Beis, die uns Herr Fryer durch die zwei Indianer, welche Hamlet den Weg gezeigt, zuschickte; eine Sendung, die uns bei dem in Tenet te benschenden Mangel doppelt willkommen war. Die Niederlassung bestand aus sieben runden, domförmigen Hütten von 30 — 40 Fuss Durchmesser und durchschnittlich 40 — 50 Fuss Höhe. Der Eingang war auch bei ihnen die einzige Oeffnung, die bei Eintritt der Nacht mit einer Art Thür aus Palmenblättern geschlossen wurde. Wie bei den andern Stäm- men bewohnten mehre Familien eine Hütte, in deren inneren Baum sich die Be- wohner stillschweigend getheilt, ohne dass diese besondern Besitzungen durch Scheidewände abgetheilt gewesen wären. Das Territorium der einzelnen Fami- lien bezeichneten einige Steine, die den Heerd bilden, drei bis vier Querbalken, durch Lianen an die aufrechtstehenden Tragbalken etwa 7 — 8 Fuss vom Boden befestigt , um die Hängematten daran zu schlingen , die Bogen , Pfeile und Blase- röhre der verschiedenen Hausherrn darauf zu legen, und die Trophäen des Muthes derselben auf der Jagd, Yvelche nach der Beihenfolge an die aufrechtstehenden Trä- ger befestigt waren. Den mittleren Theil der grossen Hütte nahm ein gewaltiger, II. Theil. G 42 REISEN IN nusgehöhlter, nach indianischem Geschmack bemalter Baumstamm ein, der bei Fest- lichkeiten als Bowle dient, und gewiss 300 Quart fassen mochte. Dieselbe edle Gestalt, welche wir bei dem Begleiter Sororeng’s bewundert, charakterisirte auch die übrigen Bewohner; alle waren schöne, schlanke Leute mit edlen, regelmässigen Gesichtszügen , grossen , römischen oder griechischen Nasen , Avodurch sie sich höchst vortheilhaft Aron dem mehr mulattenglcichen Typus der IV arr aus, Mncusis und Ariiwaalss auszeichneten , wie sie überhaupt nicht nur in ihrer ganzen Phy- siognomie , sondern auch in ihrem Körperbau mehr an die nordamerikanische Ra- cenent Wickelung erinnerten. Gleiche Eigenschaften, nur dass bei ihnen das Kräftige und Muskulöse der Männer in einer viel zarteren Abrundung auftrat, besassen auch die Frauen, die uns Fremde mit naiv verschämtem Staunen betrachteten. Das Haar der Indianerinnen hatte ich schon vielfach zu beAVundern Gelegenheit gehabt, in einer solchen Länge und Fülle aber, Avie es die Wapisianas besassen, hatte ich es noch nie gesehen. Sic trugen es durchgängig sauber geglättet, geordnet, mit Palmöl eingerieben, und, über die Schultern herabfallend, reichte es bei vielen bald bis nz den Waden. Die Männer schneiden es fast immer kurz. In dem durchbohrten Nasenseptum trugen sie glaltgeschlilfcne und breitgeschlagene Silber- oder Kupfer- münzen, und in der durchbohrten Unterlippe entweder einen kleinen Cylinder oder eine Art Glocke von Knochen. In der Kleidung stimmten Männer und Frauen mit den übrigen Indianerstämmen überein, d.h. sie bestand bloss in einem Schaum- schurz; desto abweichender aber Avar ihre Sprache, die viel Aehnlichkeit mit der der Vauixanus am Rio Branco halte und in der Aussprache und Betonung der harten und scharfen Worte mich lebhaft an die Juden erinnerte. Die endemische Hautkrankheit, die ein Erbübel der südamerikanischen Stämme zu sein scheint, war auch bei ihnen heimisch. Noch keinen der Stämme, mit denen wir in Berührung gekommen, halten wir von ihr frei gefunden, und auch alle übrigen, die Avir noch kennen lernten, waren damit behaftet. Dass der rege Kunstsinn unseres Goodall durch die wahrhaft lieblichen Ge- sichtszüge und schönen Gestalten der Weiber und Mädchen augenblicklich ange- fcuerl wurde , einige derselben seinem Skizzenbuch anzuvertrauen , erregte weni- ger unsere Verwunderung, als cs das unendlich naiv mädchenhafte Benehmen ft der Originale that, die durch das Ungewisse der Handlung und das feste Ansehen des Mal ers in eine solche Verlegenheit und Unruhe versetzt wurden, dass die Hölhe, welche die Verschämtheit auf ihre Wangen rief, selbst den braunen Teint durchbrach. Nachdem die erste Bestürzung vorüber war, fand Goodall mehr Hindernisse, als wir erwartet, denn ehe eres sich versah, Avaren die Schönen verschwunden, und cs gelang uns erst nach vielen Geschenken, sie zu vermögen, sich im Beisein ihrer Männer oder Mütter von neuem den prüfenden Blicken rr>Hr‘ ■'V Wf 'fgretvpeh rrW£ Esse - tarn aipu Wapisiana. BRITISCH GUIANA. 43 Goodall’s auszusetzen. Noch interessanter für den Beobachter war es aber, den iunern Kampf zwischen der natürlichen Schaam und der Neugier zu verfol- gen. So wie Goodall seinen Blick auf dem Papier haften liess, bewegte sich auch der Augapfel des Originals darnach hin; — welcher Schreck aber, wenn sie sich auf diesem verstoblnen Weg durch uns oder den aufblickenden Maler ertappt fanden! Obschon die Männer sich offenbar durch dieses Portraitiren geschmeichelt fühlten, konnten wir sie doch eben so wenig, wie die Frauen dahin vermögen, ihrem Conterfei offen in die Augen zu schauen ; die Freunde dagegen betrachteten die Gemälde mit sichtbarem Interesse. Polygamie ist unter ihnen ebenfalls heimisch, wenn auch nicht so häufig, als bei den Warraus und Arnwaaks. Nach der Menge von Jagdtrophäen, zu denen auch die Rückenschilder mehrer Schildkröten gehörten , und der grossen Zahl ihrer schönen Hunde , müssen die IVapisianas ebenso leidenschaftliche Jäger sein, wie sie passionirte Raucher sind. Sie wickeln die Tabacksblätter ebenfalls in die innere Bastschicht des Karakalli- Baumes (Lecytlus Ollarin ) und rauchen sie als Cigarre ; den Rauch bliesen sie meistentheils durch die Nase. Da wir von hier aus unsere Reise zu Fuss fortsetzen wollten, und mein Bru- der zuvor gern die trigonometrische Messung der Verbindung des Cö7??/Ä7/-Gebirges mit dem Cursato , so wie die der isolirten Gebirgsgruppen , durch die uns später unser Weg führen sollte, vornehmen wollte , so dauerte unser Aufenthalt mehre Tage, die ich dazu benutzte, den interessanten Hügel Tenette botanisch genauer zu untersuchen, der nordwestlich vom Dorfe lag und sich 124 Fuss über die Savanne erhob, und dessen Spitze ausser einigen kümmerlichen Curatella -Gebüsch , fast von aller Vegetation entblösst ist. Bevor ich den eigentlichen Gipfel erreichte, kam ich auf zwei ziemlich grosse , mit ansehnlichen Granittafeln bedeckte Plattfor- men, zwischen denen eine Menge Agaven , Ccrcus und Melocactus wucherten. In der nächsten Umgebung dieser Granitplatten sprossten zwischen wild über und durcheinander zerstreuten Granitblöcken, Plumeria, Polygala , besonders Poly- gala Timoutou (Aubl.), monticola (Humb . Bo/ip.) und Myrtaccen , Melostama- ceen und Malpighiaceen. Ausser den oben schon erwähnten Bäumen enthielt das üppige Wäldchen auch noch einen für mich interessanten Baum , den wir zwar schon öfter in der südlich von Pirara sich hinziehenden, waldigen Oase gesehen, aber noch niemals in Blüthe getroffen hatten. Nicht nur das schöne, dunkel orange Holz, aus dem die Brasilianer hauptsächlich die Kirche und Fazenda errichtet hatten, sondern namentlich auch seine merkwürdigen, grossen geflügelten Saamen, zogen gleich anfänglich unser Interesse auf sich. Aus der Bliilhe ergab sich, dass es eine neue Species Ormosia war, die den Namen Onnosia histiophylla (Klotzsch) er- 6* REISEN IN 44 hielt. Da das wirklich schöne, durch seine dunkel orange Farbe, die fast in das Kölhlichc überspielt , dein Mahagoni sehr ähnliche Holz die herrlichste Politur annimmt, so würde es sich, wenn es ausgeführt würde, jedenfalls als ein gesuchtes Möbelholz geltend machen, wie es die Brasilianer schon als solches gebrauchen, die es Poa da rainka nennen. Die Aussicht von der Höhe war reizend. Von N.N.O. zog sich nachO.S.O. die malerische Canu/cu- Kette, während der 30 — 40 Miles im Umkreis sichtbare Saeraeri, mit seinen drei ziemlich tief eingesattelten, konischen Gipfeln, und eine Menge andere, isolirte Höhen sich ungefähr 18 — 20 Miles gegen N.O. aus der Savanne erhoben. Der Mondberg ( Kai-irite der W a- pisia/ias) begrenzte den Horizont in S.W., indess in N.N.W. der Mariwette seinen Gipfel in die duftigen Luftschichten streckte. Die nahe von meinem Stand- orte in S.O. sich erhebende Gebirgskette Cursato , Ursato oder Cussato, wie ihn auch manche Stämme nennen, ist nur von geringer Ausdehnung. Ihre sich von N. nach S. erstreckende Längenachse beträgt kaum 5 Miles, und ihr höchster Punkt, unter 2° 47' Norderbreite, erhebt sich nicht über 3000 Fuss über den Spiegel des Takutu. Wie das Camtku- Gebirge , so ist auch das Cwrsßfo-Gebirge dicht be- waldet, nur fehlen ihm jene mächtigen, steilen Granitklippen und Kegel, die dein erstem einen so malerischen und romantischen Charckter verleihen. Gegen S.O. von Cursato erhebt sich der Duruau ; diesem folgt der Ma/ioa. Nach der Be- hauptung der Indianer soll dessen Contur die Gestalt eines Ameisenbären wieder- geben , daher auch sein Name. Leider musste ich meinen Begleitern versichern, dass meine Phantasie viel zu dürr und trocken sei, um dies herauszufinden. Mein Fieber halte sich jetzt völlig eingebürgert und gab mir seine Gegen- wart alle drei Tage auf eine solche Weise zu erkennen, dass es selbst das Mit- leiden des Piai der Niederlassung erregte, denn während eines der Anfälle trat er unaufgefordert an meine Hängematte heran, blies mir in das Gesicht, und murmelte zugleich ununterbrochen unverständliche Worte zwischen den Zähnen, um mich dann abermals anzublasen. So wenig mich auch mein Zustand zum Lachen geneigt machte , so wurde die Lust dazu doch endlich in einem solchen Grade rege, dass ich ihr nicht mehr widerstehen konnte. Beleidigt und zürnend wandte sich der sympathische Arzt ab und verkündete am folgenden Tage, wo das Fieber mich noch immer hcrumschültelte , allen seinen Pfleglingen , das sei die Strafe, dass ich gestern bei seiner Entzauberung gelacht. Die L angeweile , die mich mit ihrer lästigen Gegenwart in meiner Hänge-- matte jedenfalls heimgesucht haben würde, wurde mir durch die sonderbaren und lächerlichen Caprioien eines jungen Ameisenbären (Myrmecophaga jubata Litt.) vertrieben, den unsere Jäger am Tage nach unserer Ankunft aus der Savanne milgebracht, in der sie ihn in Gesellschaft seiner Mutier angctroHcn, und bevor er BRITISCH- GUIANA. 45 sich auf den reitenden Rücken derselben hatte flüchten können, gefangen hatten. Die ersten zwei Tage war er ungemein wild und wagte sich nur selten aus den dunkelsten Schlupfwinkeln der Hütte hervor. Näherte sich jemand , so ergriff er zwar immer nur die Defensive, diese aber in einer Art, die selbst den Verwege- nen zur Vorsicht nöthigte. Indem er sich niedersetzte und den linken Vorderfuss auf die Erde stemmte, hieb er mit dem rechten so kräftig nach dem Ruhestörer aus, dass jedes Treffen mit den harten* langen Krallen gewiss einen namhaften Mus- kelverlust nach sich gezogen haben würde. Wurde er von hinten angegriffen, so veränderte er gedankenschnell seine Position , und geschah es von mehren Seiten, so warf er sich auf den Rücken, führte dann seine Hiebe mit beiden Vorderfüssen und stiess dabei fortwährend unmuthige und zornige Töne aus, die viel Aebnlich- keit mit dem Knurren der jungen Hunde hatten. Oft genug vermischte sich damit das Zetergeschrei der jungen Jagdhunde, deren freundliche Absicht, mit dem neuen Gesellschafter zu spielen, auf das jämmerlichste von dem wilden Fremdlinge vergol- ten wurde. Hatte er einen derselben ergriffen , so konnte diesen nur die vereinte Hülfe mehrer Indianer aus der tödtlichen Umarmung retten, in der er den Zudring- lichen mit übergeschlagenen Vorderfüssen an sich drückte. Da der Ameisenbär weder eine Höhle, noch ein bestimmtes Lager hat, in dem er die Nacht zubringt , so scheint ihm die Natur den langbehaarten Schwanz als Decke gegen die kühlere Nacht und gegen den Regen verliehen zu haben, wenigstens brauchte ihn unser kleiner Gefangener zu diesem Zwecke. Legte er sich zum Schlafen nieder, so zog er entweder alle 4 Füsse unter den Bauch zusammen, und bedeckte dann den gan- zen Leib mit dem Schwänze, oder er nahm die Lage eines schlafenden Hundes an, und breitete den Schwanz nur über den Kopf und den Vordertheil seines Körpers. Auffallend war es mir, dass sich sein ganzer Körper immer eiskalt anfühlte. War es in der Hütte ruhig geworden, dann hob er seine spitze Schnauze empor, schnüf- felte einigemal in der Luft herum , erhob sich und lief, mit der rüsselförmigen Schnauze fast die Erde berührend , in dem Raum umher. Kam er in die Nähe eines Hundes, oder eines andern Gegenstandes , so setzte ersieh augenblicklich auf die Hinterfüsse, streckte die Schnauze in die Luft, schnüffelte und unter- suchte diese nach allen Richtungen, knurrte und murrte, bis er sich endlich wieder auf seiner alten Fährte fortbewegte. Aus allen Beobachtungen , namentlich aber daraus , dass er häufig an Gegenstände , die in seinem Wege lagen , anrannte, nahm ich deutlich wahr , dass sein Gesichtsorgan ungemein schwach sein muss. Nie war sein knurrender Ton missmuthiger , als wenn er wirklich an einen Gegenstand angelaufen war. Diese Species muss eben so gut klettern können, wie der kleinere Ameisenfresser (Myrm. tetradactyfa) , denn unser Gefangner unter- nahm seine Excursionen nicht nur auf ebener Erde, sondern dehnte sie auch REISEN IN /|<) auf die Pfähle und Wände der Hütte aus, an denen er mit der grössten Leichtig- keit eraporkletterle. Hatte er eine Zeitlang ruhig gelegen, so richtete er sich plötz- lich auf den Hinterfüssen , wie die Bären , auf, schnüffelte in der Luft herum und legte sich, wenn er nichts Verdächtiges entdeckt halte, wieder nieder. Aus Schnauze und Nase tröpfelte ihm ununterbrochen eine dem Wasser ähnliche Flüssigkeit; saufen sah ich ihn äusserst selten. Wir fütterten ihn mit Termiten, welche die Indianer in der Savanne sammelten. Die Schnelligkeit, mit der er seine lange, klebrige Zunge in die Masse steckte und bedeckt, mit den Insekten, wieder zurückzog, benahm mir die Verwunderung, wie ein so grosses Thier seinen Hunger mit so kleinen Insekten stillen könnte. Mit den Termiten verschlang er zugleich auch eine grosse Menge Baumaterial der Hügel. Eben so gern, wie die Termiten , verzehrte er klein gehacktes Fleisch , womit mein Bruder bereits auf seiner frühem Reise lange Zeit zwei junge Ameisenbären gefüttert hatte. Da wir nach Entdeckung der Quellen des Takutu wieder über Tenette zurück- kehren wollten , so Hess ich meinen Gefangenen zur Pflege hier , um ihn dann mit nach Pirara und Demerara zu nehmen, und später nach Berlin zu befördern. Leider fand ich ihn bei unsrer Rückkunft verendet; die Indianer hatten ihn wahr- scheinlich verhungern lassen. Da die Natur dem Ameisenbär die Waffe der Zähne versagte, verlieh sie ihm in den ungeheuren Klauen und der ausserordentlichen Muskelkraft der Vorderfüsse ein nicht minder gefährliches Verlheidigungsmittel. Selbst aus den Kämpfen mit dem Jaguar soll er oft als Sieger hervorgehen, und die Indianer versicherten uns, dass sie nicht nur oft schon Jaguare allein mit aufgerissenem Leibe , sondern auch beide Kämpfer zugleich todt in der Savanne gefunden hätten. Der Jäger wird sich einem, mit dem Giftpfeil angeschossenen Ameisenbär nie früher nähern, als bis er überzeugt ist, dass das Gift seine volle Wirkung ausgeübt. Die Weibchen werfen alljährlich nur ein Junges, das sie, nachdem es einige Tage alt ist, auf ihrem Rücken herum tragen. Auch in Gefahr nimmt das Junge seine Zuflucht dorthin. Das Junge begleitet die Mutter gewöhnlich ein Jahr, bis es von einem neuen Nach- kömmling verdrängt wird, und dann als cmancipirt anzusehen ist. Der Ameisenbär läuft, wie bekannt, auf der äussern Seile der Sohle der Vorderfüsse , wobei er die Klauen unter der Sohle zusammenzieht, da er diese nicht, wie das Kalzengcschlecht zurückziehen, und daher auch nicht auf der platten Sohle laufen kann. An der Zungenwurzel befinden sich zwei grosse Drüsen, die die Zunge mit der erwähnten klebrigen Feuchtigkeit versehen. In noch flüssigem Zustand ist diese Sekretionsmasse ungemein zähe, in trockenem kann man sie selbst zwischen den Fingern zu Pulver reiben. Da die grosse Hütte, welche wir eingenommen , auch noch von ihren Ei- BRITISCH- GUIANA. 47 genlhümern bewohnt wurde, so gab mir die Beobachtung ihres Thuns und Handelns manche Abwechselung auf meinem Lager. Die fV apisianas weichen in ihrer Lebensweise fast gar nicht von den andern Stämmen ab, die ich bereits kennen gelernt halte. Mit dem Erwachen des Morgens erhob sich auch hier der Herr Ge- mahl, trat vor die Thür, reckte, streckte und rieb sich mehremal die Glieder, und entfernte sich dann, um seine natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen, wobei Männer und Frauen eine ungemeine Verschämtheit bekunden, indem sie dies nie in Gegen- wart von Andern thun, und dann alles, wie die Katzen, mit Erde bedecken. Ist dies geschehen, so kehrt er nach der Hütte zurück, hockt am Feuer nieder, sucht dies, ohne mit den Genossen ein Wort zu sprechen, zu unterhalten, röstet sich Früchte oder verzehrt das ihm von den Frauen Vorgesetzte Frühstück, und eilt dann zur Jagd oder zum Fischfang, während die Frauen sich und den Kindern das Haar glätten und salben, den Körper bemalen, und dann andere häusliche Verrich- tungen vornehmen , oder auf das Feld und in den Wald eilen , um Früchte zu suchen, da ihnen ersteres, in Folge des Misswachses, wenig oder nichts bot. Im Baumwollspinnen waren sie eben so geschickt, wie die Macusis. So reinlich sich die tVapisianas in Bezug auf den Körper zeigten, so schien doch jede Familie die Reinigung der Hütte als eine Beschwerde anzusehen , die man lieber unverrichtet Hess, denn der Staub und Schmutz hatte sich hier förmlich massenhaft aufgehäuft. Das Unangenehme meiner Lage wurde durch den Rauch von vier bis fünf unerlöschlichen Feuern erhöht , der ausser der Thür vergebens nach einem Ausgang suchte, so langsam schleichend er sich auch in der domförmi- gen Kuppel in vielfach verschlungenen Windungen hinbewegte; er belästigte mich so, dass meine Augen in einem fortwährenden Thränenbade schwammen. Dazu kam noch das unausstehliche Bellen der vielen halbverhungerten Hunde, das jedes- mal ausbrach, sobald einer unserer Leute in die Hütte trat, das Geschrei zahlloser Papageien, so wie des anderen zahmen Geflügels, und zahllose Heerden blutdürsti- ger Flöhe, auf die meine Gegenwart in der Hängematte eine besondere Anziehungs- kraft zu üben schien. Mehre Hokkohiihner (Crax tomentosa ) übten offenbar die Oberherrschaft über das übrige zahme Federvieh aus, und die Hühner, Psophia, Penelope hatte ihr hartes Scepter in eine Furcht und Unterwürfigkeit gesetzt, die wahrhaft lächerlich war; — denn nicht genug , dass sie sich bei Tage in ihren launenhaften Willen schicken mussten, durfte es selbst bei hereinbrechender Nacht kein Anderer wagen, sich da zur Ruhe niederzulassen, wo diese sich hinsetzen wollten. Den Mangel der Cassada mussten die eben reifen Früchte der Melicocca bijuga, Macu der Macusis, ( Genipa Merianae Rieh.) und Genipa edulis (Rieh.) ersetzen. Die Frucht der erstem ist in der Colonic , wo der Baum cultivirt 48 REISEN IN wird, unter dem Namen « Marmoladnbox » geschätzt; die IV apisianas nennen sie • Umpa «. Wie der Papagei, so verkündet hier noch ein anderer Vogel, der Ibis oxycer- cus ( Spix .), Tah-rong oder Tah-rah der Macusis und JVapisianas , den an- brechenden Morgen. Zwei Paare derselben, die sich in der Nähe der Niederlassung aufhielten, Hessen jeden Morgen bei Tagesanbruch ihr lautes, schnarrendes, lang- gezogenes und durchdringendes Geschrei hören, das den Worten Tah-rong ähnelt und das sie, paarweise von Baum zu Baum fliegend, ausstiessen. Das Weibchen ging dem Männchen nie von der Seite : wo dieses hinflog, eilte es ihm nach und kehrte am Abend unter demselben unangenehmen Geschrei nach ihrem Ruheplatz, einer Mauritia , gleichzeitig mit ihm zurück. Als das Männchen geschossen wurde, kehrte das Weibchen wie die Araras , ununterbrochen auf die Stelle zurück, wo es dasselbe zum letztenmal gesehen. Das metallglänzende Gefieder und die orange- farbene Wachshaut des Schnabels und der Augenringe , giebt dem Vogel ein schönes Aussehen. Ich habe diesen Jbis nur in der Umgegend von Tenettc, sonst nirgends anders gefunden. Südwestlich von der Niederlassung, in einer kleinen Entfernung, zog sich ein ansehnlicher Sumpf hin, dessen Wasser aus der Ferne von der dichten Vegetation, namentlich der Mauritia in der üppigsten Ausbildung, ganz verborgen wurde. Ich fand hier Stämme von 100 — 120FussHöhe, bis zu der Stelle, wo sich die grossen, fächerartigen Wedel auszubreiten anfangen. Der wilde Plantain der Colonisten, (Ravenala guianensis), schloss sich in ihrer Höhe an die stolzen Palmen an; Cannaceen , Farrn, Zingiberaceen folgten dann, die an dem Wassersaum von einem Blüthenkranz der Rhynchanlhera grandiflora ( Dec .), Micro/icia bivalvis (Dec.) , brevifolia (Dec.) und einer neuen Species , Microlicia heterophyl/a (Iilotzsch) umschlossen wurden. Den Saum entlang zogen sich eine Menge Löcher hin, die die Indianer zu dem Zwecke ausgetieft hatten, damit sich das zu ihrem täglichen Gebrauch nöthige Wasser durchseihen sollte. Freilich durfte man, wollte man sich den Appetit nicht ganz verderben, diese Flüssigkeit nicht mit kritisirenden Augen anschen ! Einen interessanten Fund hatte ich bereits an dem ersten Tage nach unserer Ankunft in dem Wäldchen des Hügels an einem Exemplare des schönen Nacht- falters , der Noctua (Erebus) Agrippina gemacht , das an einem Baume sass ; der Schmetterling mass bei ausgebreilcten Flügeln 10 Zoll ; cs war das einzige Exemplar, das mir auf der ganzen Keise vorgekommen ist. Auffallend war es uns, bei den fVapisianas ein Salz vorzufinden, das sie , wie wir auf unsere Erkundigung erfuhren , in der Savanne sammelten und das ungemein scharf war. Bei dem Aufsammeln gleicht die Masse unserer BRITISCII-GUIANA. 49 Torferde , die erst später durch wiederholtes Waschen eine wcissliche Farbe erhält. Der Takutu hatte uns bisher die Reise so schwer gemacht, dass wir seine Hülfe im Transport unserer Sachen gern entbehren wollten, dafür freilich aber einen grossen Theil unseres Gepäckes in Tenette zurücklassen mussten, indem das Dorf nicht mehr soviel männliche Bewohner bcsass , als zum Fortzuschalfen des- selben nöthig waren. Was daher nicht durchaus nothwendig war, blieb hier. Das Mittel der während unseres Aufenthalts angestellten Thermometerbeob- achtungen war : 1842 Vormittag Mittag 12 Uhr. Nachmittag Bemerkungen. 6 Uhr. 9 Uhr. 3 Uhr. G Uhr. 16.bis23. April. 75°. 87 79°. 83 87°. 63 90°. 10 81°. 33 Beobachtungen wur- den in einer nach allen Seiten offenen Hütte gemacht, wo dasTher- momcter vor den re- fleclirlen Sonnen- strahlen geschütztwar. II. Theil. 7 50 REISEN IN II. Aufbruch von Tenelle. Bulimus baemastomus. Orthalicus gallina, undatus. Descimentos der Brasilianer. Niederlassung Auuru-paru. Berg Kuipali. Savannenreh. Fluss Cu- rati, Guidiwau. Berg Wurucokua. Fluss VVatuwau. Kai-irite oder Mondgebirge. Auf- fallende Granitflächen. Tuarutu - Gebirge. Felsenpyramide Aikuxve. Wasserloses Ge- birgsdefile. Fluss Manaliwau. Niederlassung Tuarutu. Abenteuer Hamlet’s. Mischling von Neger und Indianerin. Hautkrankheit der Indianer. Granitfelsen Uruwai-Wapuna und Curuschiwini. Abreise von Tuarutu. Ossotschuni - Gebirge. Bertholletia excelsa. Atta cephalolhes. Macusi-Niederlassung Maripa. Quelle des Watuwau. Die verschie- denen Arten des Katzengeschlechts in Guiana. Ampelis Poinpadora. Quellen des Ta- kutu. Stromgebiet desselben. Ateles paniscus. Mit Tagesanbruch des 23. April verliessen wir das unter 2° 49' 40" N. B. und 59° 48' 29" W.L., 13 Milcs westlich von Pirara liegende Tenelte. Meine Schuhe waren durch das häufige Baden in dem Wasser des Takutu , da ich sie aus Furcht vor den Stachelrochen nicht auszuziehen wagte, in einen solchen Zustand versetzt worden, dass sie mir für einen Landweg keinen Nutzen mehr gewähren konnten ; ich musste zu einer Unterlage greifen , die mich so ziemlich in un- mittelbare Berührung mit der mütterlichen Erde brachte. Schuhmacher gab es nicht, und ich sah mich daher genöthigt, wie die Indianer auf Sandalen zu laufen. Dieser Entschluss war aber leichter gefasst, als ausgeführl, da die Verbindungshaut meiner Zehen , wie die Haut- und Muskelbedeckung der Achil- lessehne noch ganz ihre deutsche Empfindlichkeit besass. Die Sandalen werden aus den gespaltenen Blattstielen der Mauritia gemacht, und allgemein von den Indianern der Savanne und der Gebirge getragen, da ohne diese ihre Fiisse durch die zahllossen scharfen und spitzen Quarzfragmente, die beide bedecken, zerschnitten und zerstochen werden würden. Auf ähnlichem Terrain hält eine BRITISCII-GUIANA. 51 solche Sohle freilich kaum 2 — 3 Tage , doch jede Palme liefert eine neue. Um sie an den Fuss zu befestigen, befinden sich an beiden Seiten Schnuren aus den Fibern der Bromelia Karatas , die zwischen der grossen und der zweiten Zehe hindurchgezogen, oberhalb der Hacke um das Bein geschlungen, und über dem Spann zugebunden werden. Anfangs ging das Laufen auf diesem einfachen Schuh- werk ganz gut , bald aber begann das Hinken , und schon nach einer halben Stunde lief mir das Blut zwischen den Zehen und an der Hacke hinab , wo sich durch die fortwährende Friction die Schnuren eingerieben halten. Da die Wunden nie zuheilen konnten, so war die Zeit, bis zu welcher sich an diesen Stellen eine Hornlage gebildet , wahre Kreuz- und Marterwochen ; — doch die Notli wurde auch hier die beste Lehrmeisterin — Abänderung war nicht möglich , ich musste mich in das Unvermeidliche ergeben ! Nachdem wir von Tenette aus unsern Weg durch die Savanne eine Stunde gegen S.W. fortgesetzt, erreichten wir die Mündung des kleinen Flusses Curso- rari und damit auch wieder den Takulu. Unzählige Bäume und Sträucher der herr- lichen Elisabetha coccinea (Schomb.) , überstreut mit ihrem glänzenden, rotheu Blüthenschmuck, umsäumten die Ufer des kleinen Flusses und hüllten diesen förm- lich ein. Die Bäume waren zugleich mit Knospen, Blüthen und Schoolcn be- deckt; besonders verliehen die letztem durch ihr rothes, sammtartiges Carpellum dem Baume ein höchst interessantes Aussehen. Ein kleines Corial, das wir hier fanden, brachte uns nach dem gegenüberliegenden Ufer des Takutu, wo sich eben- falls, dem Cursorari gegenüber, ein kleiner Fluss einmündet, und von wo wir unsern Weg mehr gegen S. nach dem in eine Spitze auslaufenden Berg Auuru- paru richteten , der sich in einiger Entfernung vor uns erhob. Auf der Savanne selbst, die wir durchschritten, wechselten fortwährend Flächen mit vereinzelten Curatella und Bowdichia bestanden, mit dichtbewaldeten Oasen. Nähert man sich einer solchen Oase, die meist einen Umfang von 1 — 6, oft noch mehrMiles hatten, so verkündet schon der veränderte Vegetationscharakter ihre Nähe, ohne dass man sic selbst zu sehen braucht. Die vereinzelt stehenden Bäume der Curatella und Bowdichia werden zahlreicher, hier und da mischt sich schon der Strauch einer Bubiacea , Composita oder Melastomacea ein; noch aber kann man nicht sagen, ob die Savannen- oder Waldvegelation die überwiegende ist; — ein Zweifel, der vollkommen gehoben wird, sobald Solanum, Apeiba, Helicteres, Mi~ mosa, Bauhinia , Peltogyne, Melastoma, Sauvagesia und Wedelia, von Aga- ven und Cactus umsäumt, den Blicken entgegentreten, und die kühlende At- mosphäre der brennenden Haut und lechzenden Zunge , die Nähe der dichtbe- laubten Myrtaceen : Lecythideen, Laurineen, Leguminosen und Euphorbiaceen verkündet. Ist die Fläche , die eine solche Oase einnimmt, sumpfig, dann ist die 7 * 52 REISEN IN Familie der Palmen und Heliconien die vorherrschende. Der Boden dieser Oasen weicht natürlich, wie ihre Vegetation, ganz von dem der Savanne ab, und besteht meist aus einem reichen Marschgrund , oft auch aus schwerem Lehm mit Sand und verrotteten vegetabilischen Bestandteilen gemischt. Wir überschritten im Verlauf des Vormittags den kleinen Fluss Totowau , der von Westen her dem Takutu zuströmte. Ein dunkelschwarz heraufziehendes Gewitter trieb uns zur Eile, um noch vor seinem Ausbruch eine der dichtbewaldeten Oasen zu erreichen ; doch ehe wir unseren Wunsch erfüllt sahen, begann der Himmel auch schon seine Schleusen zu öffnen. Die Oase bestand fast nur aus Palmen, Zingiberaceen , Cannaceae und Musaceen, deren Blätter die herrlichsten Schulzdecken für unser Gepäck abgaben, welches die Indianer so schnell als möglich in einige Haufen zusammengelegt hat- ten. Zwei, drei Blätter der Ravenala guianensis bildeten für uns die trefflichsten Regenschirme , auf denen uns der herabströmende Regen noch ein ziemlich geräuschvolles Concerl gab. Das Wetter hielt mehre Stunden an, und so lang- weilig die Sache auch an und für sich war, so hatte sie doch auch in den stummen, nackten Gruppen, die in sich zusammengekauert, vor Frost mit den Zähnen klap- pernd, die riesenhaften Blätter über sich hallend, um uns herum sassen, manche lächerliche Seile. Als endlich der Regen nachgelassen, setzten wir den Weg tüch- tig durchnässt, durch die Oase fort, und waren nicht wenig überrascht, bei dem Heraustreten aus derselben, eine der freundlichsten Hügellandschaften sich vor uns ausbreiten zu sehen, welchen Genuss mir aber ein heftiger Fieberanfall bitter ver- gällte. Die waldigen Striche rückten von jetzt ab immer näher aneinander, wäh- rend die Savannenflächen an Ausdehnung abnahmen. Erschöpft betraten wir am Nachmittag einen Wald , dessen tropische Fülle mich so überraschte, wiewohl ich von meinem Fieberanfall ermattet und von meinen Sandalen schmerzlich gepei- nigt war, dass meine Aufmerksamkeit von allen , eben noch bitter empfundenen Leiden abgezogen wurde. Die Laubgiganten , Palmen , vereint mit riesigen Ravenalas , die durch ihr mächtiges , baldachinarliges Dach jedem befruchtenden Sonnenstrahl zur mütterlichen Erde den Weg abschnitten, beschatteten zahllose Musaceen, Cannaceae, Piperaceen , Orchideen und modernde Pilze, die alle mehr oder weniger durch saftige, fette Blätter und Stengel, sowie durch un- gewöhnliche Färbung ihre lichtscheue Entwicklung bekundeten. Sowohl an dem Sauine als in der Oase selbst, fand ich mehre Exemplare der schönen Vielfrass- schnecke (Buliinus hacnmslomvs Lam.); sie ist mir später in Guiana nie wieder vorgekommen. Nach ihrem purpurrothen Saum und der Lippe des Gehäuses gehört sic unbestritten zu den schönsten Schnecken Guiana’s. In der Oase waren mir bereits mehre Exemplare Orthalicus gallina Sultan a (Beck.) und undalus (Beck.) BRITISCH -GUIANA. 53 an den Baumstämmen aufgestossen. Ich habe beide Species durch ganz Britisch- Guiana gefunden ; oft war das Thier der ersten Species so gross, dass es sich nicht mehr in sein Gehäuse zurück ziehen konnte. Nachdem wir unsern Weg eine zeitlang durch den Wald mit seiner nassen, dumpfen Atmosphäre fortgesetzt, traten wir auf ein ziemlich ausgebreitetes Cassada- feld, den willkommenen Verkünder einer Niederlassung, die nicht mehr allzufern liegen konnte und die wir auch wirklich bald auf einer kleinen Erhöhung als öde Brandstätte entdeckten. Das ehedem freundliche Dorf von 5 Häusern war von einem brasilianischen Descimento (Sklavenjagd) heimgesucht, des Nachts überfallen und in Brand gesteckt worden, um seine Bewohner, Männer und Weiber, Greise und Kinder, in die Sklaverei zu führen. Nur eine der 5 Hütten war noch in leid- lich bewohnbarem Zustande. Indem wir uns mit innerm Unwillen über all das Elend , welches europäische Cultur über den friedlichen Heerd gleichberechtigter Brüder gebracht, zwischen den lautklagenden Zeugen der menschlichen Bosheit um- sahen, und jeder nach der Verwirrung, in welcher zerbrochenes Kochgeschirr, zer- brochene Waffen und halbverkohlte Feuerbrände umherlagen, sich die Scene aus- malte , von der nur die stillrauschenden Bäume Zeugen gewesen , traten mehre Macusis aus der Hütte, die noch vor dem Wetter Schutz gewährte. Es war eine Familie vom Rio Branco, die hier übernachten wollte und unter der mein Bruder zu seiner grossen Freude zwei seiner frühem Begleiter auf der Reise nach der Quelle des Orinoko erkannte. Die Freude über dieses unerwartete Zusammen- treffen war aber um so grösser, als er damals den einen derselben todtkrank in einer Niederlassung an den Ufern des Kundanama hatte zurücklassen müssen. Nach seiner Wiedergenesung hatte der Mann allein einen Weg von mehr als 300 Miles zurückgelegt , um wieder zu seinem Dorfe zu gelangen ! — Nachdem wir einige Stunden auf dieser Stätte der Verwüstung und mensch- licher Grausamkeit verweilt, um auszuruhen, und mein Bruder seine alten Freunde mit mehren Kleinigkeiten beschenkt hatte, setzten wir, obschon es bereits spät war, doch unsere Reise noch fort, um wo möglich die nach der Aussage der Führer am Fusse des Auuru-paru liegende Niederlassung zu erreichen, was uns auch unmittelbar vor Sonnenuntergang gelang. Die Niederlassung bestand aus einer grossen Hütte mit 10 Bewohnern, gröstentheils alten Leuten. Als ich in die Hütte trat, begegnete meinen Augen die älteste Indianerin, die ich noch gesehen. Sie lag unbekleidet in ihrer Hängematte , schneeweisses, aber immer noch volles Haar be- deckte die zusammengeschrumpflen Schultern , doch glich die ganze Gestalt mehr einem mit schlotternden Haulfalten bedeckten Gerippe , als einem wirklich noch lebenden Wesen. Die furchtbare Hässlichkeit, welche durchschnittlich dem Greisen- alter der heissen Zone eigen ist, trat mir in dieser Frau so abstossend entgegen, 54 REISEN IN dass ich augenblicklich wieder ins Freie zurück eilte. Ungeachtet ihrer Schwäche hatte sie die Neugierde nicht in der Hängematte gelitten, denn kaum hatte ich die Hiitte verlassen , als das wandelnde Gerippe an der Hand eines blödsinnigen Kna- ben , den ich früher nicht bemerkt , in der Thür erschien und mit verwunderten Augen die ersten Parana ghieris anschaute, die die Niederlassung besuchten. Das wirklich thierische Aeussere ihres Begleiters, aus dessen offenem Munde die Zunge auf das Kinn herabhing , seine blöden , stieren und nichtssagenden Blicke , die er abwechselnd auf der alten Frau und auf uns haften Iiess , machten die schon an und für sich abstossende Gestalt nur noch schauerlicher. Mein Bruder konnte, un- geachtet seines langjährigen Aufenthaltes, diesem Beispiel eines hohen Greisenalters unter den Indianern doch nur noch einen zweiten Fall an die Seite setzen. Die Blödsinnigen werden unter den Indianern mit besonderer, ehrfurchtsvoller Scheu behandelt , da es allgemeine Ueberzeugung ist, dass diese Armen in inniger Verbindung mit dem guten Geiste stehen, weshalb auch ihre Worte und Handlun- gen für Aussprüche der Gottheit gehalten werden. Mil Ausnahme einer einzigen jungen, hübschen Frau, die lächelnd uns in einer Kürbissflasche etwas Honig (Majja) brachte, und dafür zu ihrer unaussprechlichen Freude mit einigen Glasper- len beschenkt wurde, bestanden wie schon erwähnt alle gegenwärtigen Bewohner aus alten Leuten, zu denen aber, wie Sororeng bald herausbrachte, noch zwei junge Männer gehörten , die sich eben im nahen Walde auf der Jagd befanden. Um ihnen ein Zeichen zu geben, dass Fremde in ihrem Besitzthum angekommen, schossen wir zwei Gewehre ab. Der Schrecken , welchen diese beiden Schüsse sowohl unter den vernunftbegabten, als den vernunfllosen Bewohnern hervorrief, bewies uns deutlich , dass beiden das Gewehr mit seiner Sprache gleich unbekannt war. Das wilde Aufschreien der alten Weiber, des blödsinnigen Knaben, der auf der Hiitte und den nahen Bäumen schon zur Ruhe gegangenen zahmen Papageien, Hühner u. dergl., vermischte sich mit den Schreckenstönen der wilden Vögel, die sich in Schaarcn über die Wipfel der Bäume erhoben , zu einem solchen Höllen- lärm , dass wir uns staunend gegenseitig ansahen , und nicht anders glaubten , als die ganze uns umgebende Welt sei wahnsinnig geworden. Mit verstörten Mienen sahen wir nach einer halben Stunde die beiden Männer über die Savanne der Hülle zugelaufen kommen, die wahrscheinlich in den Schüssen die Verkünder der Zer- störung nnd des Mordes gehört zu haben glaubten. Die Holfnungen , welche das üppige Cassadafeld in uns erweckt, wurden mit einem Male durch die Aeusscrung niedergeschlagen, dass die Cassada noch nicht reif, und daher auch noch nicht tauglich zum Brod sei; wohl aberbiete sich uns in den zahlreichen liehen der Savanne eine ergiebige Quelle zur Ausfüllung der cingetrelenen Provisionslücken. Um daher wenigstens unsern Bestand noch BRITISCH -GUIANA. 55 einige Tage schonen zu können, wurde beschlossen, den nächsten Tag noch hier zu verweilen, und die Jäger mit dem anbrechenden Morgen zur Jagd zu schicken. Nachdem die freundliche junge Frau längere Zeit mit ihrem Gemahl, einem der jungen Männer , die unser Schiessen aus dem Walde zurückgerufen, gesprochen und ihm mit den sprechendsten Zeichen der grössten Freude die vorgehaltenen Perlen gezeigt hatte, zugleich einen deutlichen Wink über die Schätze lallen lassen , die wir noch besässen , meinte dieser plötzlich , dass sich morgen doch noch einige Cassadakuchen würden backen lassen, nur müsse er, bevor er sich be- stimmt darüber aussprechen könne, noch einmal das Feld besehen. Pas unangenehme, ohrenzerreissende Geschrill und Gezirpe zahlloser Cica- den ( Cicada grossa und manifera ) scheuchte uns mit Sonnenaufgang aus unserm festen Schlaf auf. Während sich die besten Jäger in Begleitung der beiden jungen Männer in dem Savannengebüsch verloren , wagte ich mit Goodall noch einmal das Altershospital zu betreten, und mich genauer als gestern in der Hütte umzu- sehen. Ausser einigen alten Mütterchen, die unter der Hängematte ihrer eben so alten Männer sassen, um das Feuer unter denselben zu erhalten, oder ein Töpfchen mit den Ueberbleibselu von den Mahlzeiten des gestrigen Tages zu wärmen, lag alles noch in den Hängematten. Wie mich gestern der unerwartete Anblick der alten Frau zurückgescheucht, so hätte es heute beinahe der eines nicht gerade viel jün- gern Mannes gethan, dessen unmässig aufgeschwollener Leib deutlich genug zeigte, dass er mit der Wassersucht oder irgend welchem Leberleiden im hohen Grade be- haftet war. Der blödsinnige Knabe sass unter der Hängematte des Kranken und stierte gedankenlos in die glühenden Kohlen eines kleinen Feuers, warf, als ich mich ihm näherte , seine stumpfen , aber furchtsamen Blicke auf mich , und verschwand mit der Schnelligkeit eines aufgescheuchten Rehes in dem dunkelsten Winkel der Wohnung, wodurch die hochbejahrte Frau des Kranken, die neben ihm sass, auf uns aufmerksam gemacht wurde. Ein neugeflochtener, breiter Strohhut, wahr- scheinlich brasilianisches Fabrikat , der auf wer weiss welchem Wege des Tausch- handels hierher verschlagen worden war , zog meine Aufmerksamkeit um so mehr auf sich, als der meine sich in einem ganz schlechten Zustande befand. Mein Vor- schlag, mir denselben abzulassen, wurde leichter eingegangen, als der Antrag Good- all’s, ihm den dicken Haargürtel (Matupa) zu verkaufen, welcher neben dem Hute hing, und durch seine Stärke ein sprechendes Zeugniss von der frühem Tapferkeit und dem manneskräftigen Muthe des Besitzers ablegte Die Trennung von dem Hute wurde dem Alten eben nicht schwer, und unser Handel war bald abgeschlossen. An- ders aber verhielt es sich mit der geliebten Matupa, aus deren Anblick der verglim- mende Lebensfunken noch eine kümmerliche Nahrung zu ziehen schien. Bei dem Manne war daher Goodall’s Ueberredungsgabe vergebens ! — Die Veränderung der 56 REISEN IN apathischen Züge der Frau, die der Anblick der glänzenden Perlen hervorgebracht, liessGooDALL sein Strategen» ändern und sich an die Frau wenden, die, geblendet von der Eitelkeit, nun den Gemahl zu überzeugen suchte, dass sie wohl noch Perlen, er aber seine Matupa nicht mehr gebrauche. Doch die Trennung war zu schwer ; den Gürtel nach allen Seiten traurig anblickend , schüttelte er den Kopf, und hielt ihn der Frau hin, die ihn wieder an den alten Ort hängen sollte; ärgerlich that dies die getäuschte Ehehälfte und händigte Goodall zugleich die Perlen wieder ein, die sie schon erhalten. Da fügte der unerschütterliche Käufer zu den Perlen noch einige andere Kleinigkeiten , und augenblicklich begannen die Capitulationen zwischen Frau und Mann von neuem, die damit endeten, dass der Kranke die Matupa herabnehmen liess, sie in die Hand nahm, sein Gesicht hineindrückte und sie dann seiner Frau überliess, die sie, eitel Freude strahlend, Goodall über- reichte. Ohne einen Blick auf die Gegenstände zu werfen, welche die Frau erhal- ten , und die sie ihm vorhielt , kehrte sich der Kranke in der Hängematte um und verbarg sein Gesicht in den Falten derselben. Im Laufe des Vormittags bestiegen wir den kahlen Gipfel des Kuipaiti , den wir schon von Tenette aus gesehen hatten. Kuipaiti scheint der Collectivname für alle Hügel zu sein , die aus Massengebirge bestehen und nur mit einer spär- lichen Vegetation bedeckt sind, da wir diese Benennung noch bei einer grossen Menge anderer Berge antrafen. Die Basis des Hügels bestand aus Granit und Gneis; von seinem südwestlichen Abhang zog sich ein mehr als 1000 Fuss langer Gesteinwall von ungefähr 50 — 60 Fuss Höhe hin. Die Aussicht von dem Gipfel, der einer jüngern Formation angehörte, war reizend und viel ausgedehnter, als die vom Tenette. Der Gipfel mochte sich etwa 500 Fuss über die Savanne erheben. Gegen S.W. thürmte sich das Mondgebirge , Kai-irite der Wapisianas , empor, während sich das ferne Canuliu- Gebirge gleich einem dunklen Bande am nördlichen Horizonte hinzog, und hier und da durch schwarze Wolkenmassen zerrissen wurde, die auf seinem Rücken zu ruhen schienen ; umsäumt von grünem Gebüsch und riesigen Bäumen schlängelte sich der Talsutu in tausendfachen Krümmungen durch die Savanne zu unsern Füssen hin und nahm in S.W. die Wellen des Curati auf. Zugleich mit uns trafen die ausgesandten Jäger nach kurzer Abwesenheit reich beladen im Lager ein. Sieben schöne Rehe waren der Lohn ihres Jagd- zuges. Da wir erst nach vier Tagen wieder eine Niederlassung anlrelfen sollten, so war uns dieser reiche Erfolg auf der Jagd um so erwünschter. Alle Hände hatten jetzt vollauf zu thun. Dort wurden Gerüste zum Räuchern errichtet, hier die liehe ausgewaidet und in Stücke zerlegt; nach kaum anderthalb Stunden wurde ein Theil der Beute , welche noch kurz vorher im Grase herumsprang, schon verzehrt. Ein grosser Leckerbissen für die Indianer schienen die Eingc« BRITISCH-GUIANA. 57 weide, namentlich aber der Magen des Wildes zu sein , da sie diese Tlieile immer zuerst verzehren. Freilich nahmen die Frauen das Reinigen derselben nicht gerade allzugenau, und die Aufforderung , ihr Gast dabei zu sein, fand daher bei uns taube Ohren, namentlich da es uns an Fleisch nicht fehlte, wenn sich die In- dianer an ihrem Lieblingsgericht labten. Die Macusis nannten das Savannenreh IVaiking , die Colonisten Begu. Allem Anschein nach bildet es gleichsam das Mittelglied zwischen Hirsch und Reh. Es findet sich stets einzeln, äusserst selten in Rudeln und dann immer nur zu 3 bis höchstens 5 Stück vereint in der Savanne. Das Junge muss das Weibchen im März oder April werfen; wenig- stens befanden sich unter unserer Reute vier hochträchtige Ricken ; da ich aber auch im September oder Oktober solche erlegte , so werfen sie entweder zwei- mal im Jahre, oder sind überhaupt an keine bestimmte Rrunstzeit gebunden. In Wäldern kommt dies Reh niemals vor. Da die Savanne nur wenig oder gar kein Gebüsch hat, in dem sich der Jäger an das Reh anschleichen könnte, so ist es ungemein interessant, ihn auf dieser Jagd zu beobachten. Sobald er das Wild bemerkt, und das Reh beugt sich zum Fressen nieder, so bewegt sich der Jäger, gleich der Katze, kriechend vorwärts, wobei er das Thier jedoch immer im Auge behält, um augenblicklich unbeweglich, gleich einer Statue, liegen zu bleiben, so wie jenes den Kopf wieder emporrichtet. Nichts kann seine Geduld ermüden , sollte er auch zwei bis drei Stunden nöthig haben , um sich auf diese Weise his auf Schussweite zu nähern. Ist er dem arglosen Wilde bis auf ungefähr 100 Schritt nahe gekommen , so ahmt er auf das Täuschendste den Lockruf des Rockes nach. Das Reh wird aufmerksam , spitzt die Ohren, stampft mit den Vorderfüssen und sei es nun Mangel an scharfem Gesicht, oder scharfer Witterung, kurz, das Thier fängt an, den Jäger in immer engern und engern Windungen zu umkreisen, bis es sich ihm ungefähr 20 Schritt genähert, wo es als sichere Reute der Schrotkörner oder des noch sicherem Pfeiles fällt. Dem unbelheiligten Zuschauer dünkt es , wenn er den Jäger be- wegungslos im Grase stehen , und sich das Reh ihm immer mehr und mehr nähern sieht, als müsse Zauberei dabei im Spiele sein. Uns ist es nie gelungen, das Wild auf diese Weise zu erlegen! Ausser der eben erwähnten Species be- sitzt Guiana noch den Cervus rufus (Hl.); das Gehörn des männlichen Thiers führt keine Enden. Er lebt einzeln in den Wäldern, und sucht nur des Morgens und Abends die freien Stellen des Waldes, oder tritt auch an den Waidsäumen auf die Savanne heraus. Die Mutier führt das weissgefleckte Junge mit sich. Diese Hirsche werden besonders von den Stechfliegen geplagt und ihr ganzer Körper ist mit der Larve des Insccts bedeckt. Die Holzböcke (Ixotcs) peinigen sie nicht minder. Unsere Jäger brachten oft Thiere nach Hause, deren Kopf und Hals II. Tlieil. 8 58 REISEN IN förmlich von diesen Holzböcken bedeckt war, so dass uns der Eckel das Mahl un- möglich machte. Die dritte Species ist der Cervus smpltcicornisl ( III .), der sich ebenfalls nur im Walde und besonders häufig an der Küste aufhält, wo er gegen Abend oder am Morgen meist die an den Urwald grenzenden Plantagen be- sucht, und dort geschossen wird. Das Fleisch ist schmackhaft und gilt in der Coloniesladt als eine grosse Delikatesse. Die vierte und kleinste Species ist unter dem Namen Walibisiri ( Cervus humilis?) bekannt; sein Aufenthalt ist ebenfalls in dichter Waldung. Bei der Rückkehr vom Kuipaiti fand ich im Gebüsch mehre interessante Kä- fer, unter denen mir namentlich ein Bock mit langen Hörnern, die mit schwarz und weissen Bürstchen besetzt waren , viel Freude machte. Schon glaubte ich, es sei eine neue Species, die ich, nach der Uebereinstimmung der Färbung der er- wähnten Büschel mit den preussisehen Nationalfarben , als borussica bezeichnen zu dürfen hoffte , als sich ergab, dass er bereits in d’ Orbignv’s Reise unter dem Namen Cosnrisoma formosa abgebildet, aber noch nicht beschrieben ist. Die Bu- prestis gigantea (logen in grosser Menge von Baumstamm zu Baumstamm. Die Indianer stellen diesem Käfer besonders nach, da sie seine metallschimmernden Flü- geldecken zu Halsketten und dergleichen Schmuck benutzen. Das zerschrotene Holz an den umgestürzten und vermodernden Stämmen bewies , dass Passalus und Calandra häufig hier Vorkommen; — beide sind eine Delikatesse der Indianer, die sie roh verzehren. Die Inspcclion des Cassadafeldes von Seiten des jungen Mannes musste nicht ohne Erfolg gewesen sein, denn seine junge Frau brachte uns am Abend wirklich mehre Cassadakuehen. Mit dem frühen Morgen packten wir unsere geräucherten Rehe in Körbe und brachen auf. Anfänglich durchkreuzten wir die pfadlose Savanne , wandten uns dann aber gegen den in der Ferne sich in Süden erhebenden Berg fVurucokua. Die Savanne wurde immer freundlicher, die Umgebungen immer lachender; nach allen Seiten tauchten um, neben und vor uns bewaldete Bergkuppen auf, bis wir endlich den Fluss Curati durchwaten mussten, da viele den schwindelnden Gang über die natürliche Brücke, welche ein umgestürzter Baum bildete, nicht wagten. Der Curati bildet in Verbindung mit dem Guidiwau und einer kurzen Portage eine treffliche Wasserstrasse mit dem Rio Branco. Jenseits des Curati. überschritten wir einen sanften Wellcnboden, den unsere Führer fVariweli nannten. Von einem dieser Hügel starrten uns die traurigen Brandruinen einer Niederlassung entgegen; ob auch diese das Werk der Brasilianer waren, konnten wir nicht erfahren. Die Höhe, auf welcher die Niederlassung gestanden, boteine reizende Aussicht, und von den umgcslürzlen Lehmwänden der Hütten, auf denen wir unser Frühstück B1UTISCH-GUIANA. 59 verzehrten und die uns sagten , dass ihre Bewohner Macusis gewesen , da die W apisianas nur kuppelförmige Hütten aus Palmenblättern hauen , bemerkten wir, dass sich die bewaldete Hügelreihe 1 % Mile von N.N.O. nach S.S.W. hinzog. Eine Menge Capsicum - Sträucher , mit rothen und gelben Früchten behängen, waren von dem Feuer unversehrt geblieben, und ein willkommener Fund für unsere Begleiter. Gegen O.S.O- verlief eine Anzahl vereinzelter Berge , unter denen der JVu- rucokua und IVayawatiku die höchsten waren ; diese ansehnlicheren Erhebungen waren nur spärlich bewaldet, dafür aber ihre Abhänge mit massenhaften Felsen- trümmern bedeckt, zwischen denen der tropische Winter eine Menge Wasser- strassen ausgespült hatte. Mehre kleine Nebenflüsse des Watuwau hatten da- zwischen ihre Quellen. Vom IVurucokua zog sich, wie vom Kuipaili ein Trümmer- wall S. 60° 0. ungefähr eine Mile in die Savanne herab, über die sich der Berg etwa 1500 Fuss erhob. Nach einem fernem Marsch von einer halben Stunde, sliessen wir abermals auf eine Erhöhung, die von rothem , verhärtetem Thon gebil- det wurde, in dem eine Menge eckige Quarzfragmente eingebettet waren, während ihre Oberfläche mächtige, in Zersetzung begriffene Granitblöcke überzogen. Der Berg Piritate bildet den südlichen Vorposten der Berggruppen IVurucokua, Wayawatiku und Wakuroite. Längs ihrer östlichen Abdachung erstreckt sich gegen den Tuarutu und Ossotschuni eine andere Gruppe gegen S., wie gegen den Kai-irite eine südwestlich. In ihrer Formation ganz übereinstimmende Gruppen, wie der Pauisette, Rhati , Duruau , Pinighette , zogen etw a 5 Miles vom Bette entfernt auf dem rechten Ufer des Takutu von N. nach S. hin. Am Nachmittag betraten w ir eine niedere Savanne , in der wir eine Menge Sümpfe zu durclnvaten hatten, deren Wasser und Schlamm uns oft bis über den Gürtel reichte. Die Mauritia bildet in diesen Sümpfen förmliche Wälder, die von grossen Heerden Araras und kleinen Papageienarten bevölkert waren. So oft ich auch schon solchen Heerden begegnet, so oft mir ihr widriges Gekreisch die Ohren zerrissen , so hatte doch der unendliche Reiz , den ihr glänzendes Gefieder entfal- tet , w enn die Fliehenden paarweise in unbedeutender Höhe hinziehen , für mich noch nichts von seinem Anziehenden verloren. Fast durchgängig erheben sich in solchen Morästen , ich weiss nicht aus wel- cher Ursache , eine Menge kleiner Hügel , so dass man immer von dem einen zum andern zu springen suchen muss. Wehe aber dem Armen, der zu kurz springt — ein Schlammbad bis unter die Arme, oder noch tiefer ist die unausbleibliche Folge und das schadenfrohe Lachen der ganzen Gesellschaft der Lohn seiner falschen Berechnung oder schwachen Sprungkraft. Nächst diesen Hügeln zogen namentlich ganze Haufen von Reh- und Jabiruknochen unsere Aufmerksamkeit auf sich , ohne 8 * 00 REISEN IN dass wir uns auch hierbei erklären konnten, wie sie hierher gekommen. Hätte man auch annehmen wollen, dass irgend ein Rauhthier diesen Sumpf zur Wohnung er- koren, und die durstenden Rehe bei Stillung ihres Durstes überfallen, so war doch die Ueberrumpclung der Jabirus nicht so leicht zu deuten. Nicht weit davon hatte sich eben eine Parthie Aasgeier an das Skelettiren eines Rehes gemacht, während ihnen auf einem nahen Baume der Geierkönig in träger Dummheit, bereits gefüllt mit dem Besten des Aases, zusah. Die sumpfige Grasfläche wurde hier und da von kleinen Gebüschgruppen unter- brochen , und von den weissen Blüthen des Hippeastrum Solandriflorum (Herb.) überdeckt. Der Blüthenstiel war oft 30 Zoll lang und trug gewöhnlich 2 — 3 Blü- then von 10 y2 Zoll Länge und 6 Zoll Weite; die Blätter erscheinen erst nach der Bliithe, wie bei allen Amaryllideen. Am Morgen und Abend verbreiten sie einen herrlichen Geruch. Die Macusis nannten sie Manasero , die Wupisianas : Gua- tappu. Von Orchideen fand ich namentlich in der Nähe der Gebüschgruppen das herrliche Epistcphium parviflorum (Lindf.) und Cleistes rosea (Lindl.). Höchst interessant war mir eine kleine Eule, die ich schon seit mehren Tagen bemerkt hatte ; in ihrer Lebensweise wich sie von ihren übrigen Verwandten beson- ders dadurch ab, dass sie nicht wie diese, bei Einbruch der Nacht auf Raub ausging, sondern dies Geschäft am Tage abmachte. Sie verlässt den Boden nur selten und duckte sich, sobald sie uns sich nähern sah, nieder, um, wenn wir sie übergangen, eine Strecke wcgznfliegen und sich wieder aul den Boden niederzusetzen, wobei sie immer ein pfeifendes Geschrei ausstösst. Es gelingt nur selten zum Schuss zu kom- men, da sie den sich noch in grosser Entfernung befindlichen Feind immer im Auge behält, und sich seinen Augen auf listige Weise zu entziehen weiss. Es ist di eStrix cunicularia Lin., dieselbe Species, die auch in den Prairien des westlichen Theils der Vereinigten Staaten vorkommt, und besonders die Kolonien der Prairihunde ilebt , in deren Höhlungen sie nisten und zugleich in der Gesellschaft der Klapper- schlange leben soll. Nach den Aussagen unserer Indianer nistete sie hier in den Löchern und Höhlungen , die man oft an der Basis der Termitenhügel findet. Die Klapperschlange sucht diese Höhlungen wegen der animalischen Wärme des ver- einten Völkchens ebenso gern auf. Bei der Fortsetzung unseres Weges durch die Savanne begegneten uns diese Eulen heute zahlreicher als je. Sobald sic uns bemerkten , streckten sie den Hals empor, ihre grossen Augen glänzten in der Sonne gleich Sternen, dann duckten sie sich nieder, bis sie einen günstigen Augenblick zur Flucht erspäht zu haben glaubten. Dasselbe Manocuvrc cxcrcirlen auch die Ziegenmelker, die wir auf unserm heutigen Wege ebenfalls in Menge in der Savanne antrafen. BRITISCH -GUIANA. 61 Die Vorsicht der Ziegenmelker, welche die Indianer auch zu behaupten ver- anlasste, dieser Vogel besitze noch ein zweites Paar Augen auf dem Rücken , und die Schnelligkeit , mit der sie sich unsern Nachstellungen zu entziehen wussten, machte uns ungemein viel Spass, bis unsere Aufmerksamkeit wieder auf einen andern Gegenstand, den schäumenden und tosenden IV atuwau , gezogen wurde. Der Fluss war ungefähr 150 Vards breit und hat seinen Namen von dem Aasgeier den die W apisianas : Watuwau nennen. Obschon er an demselben Wassermangel wie der Takutu litt, und uns kaum bis zum Gürtel reichte , so gehörte der Ueber- gang, in Folge der ungemein reissenden Strömung und der zahllosen vereinzelten Granitblöcke in allen Grössen und Formen, doch zu den schwierigsten, nament- lich war er dies für mich, da mich eben wieder ein heftiger Fieberanfall überrum- pelte und so weidlich durchschüttelte , dass wir am jenseitigen Ufer einige Stun- den anhalten mussten, bevor ich die Reise fortsetzen konnte. Auf dieser Seite war die Savanne wieder mit kleinen, eckigen Quarzfragmenten, so wie mit grösse- ren Blöcken überzogen, die mir namentlich das Gehen mit den durch die Sandalen wund geriebenen Füssen ungemein schmerzhaft machten. Nachdem wir den Rücken des Aruatimau, eines Hügels von ungefähr lOOFuss Höhe, der ebenfalls mit grossen Quarz- und Granitblöcken überdeckt war, erreicht, lag das reizende Gebirgspanorama des Kai-irite (Mondgebirges) in einem wahrhaft zauberhaften Glanze vor uns. Nach den halbmondförmigen Umrissen seines Gra- tes, nennen die Wapisianas den Gebirgszug Kai-irite (Kaira der Mond), die Brasilianer Serra da Luna. Der oben erwähnte magische Glanz wird , wie bei einigen Gebirgsmassen des Canuku und Pacaraima durch die Feuchtigkeit, die sich auf dem kalten Quarzgestein niederschlägt, und die Sonnenstrahlen, wenn sie sich unter einem bestimmten Winkel reflektiren, erzeugt, wie daraus hervor- geht, dass sobald die Sonne eine gewisse Höhe erreicht, die Massen ihren intensiv weissen Glanz 30 — CO Miles weit zu verbreiten anfangen, was jedoch nach dem verschiedenen Stande der Sonne immer blos periodisch der Fall ist. So leuchtete einer der Felsen des Pacaraima nur vom Mai bis August, während vor und nach dieser Zeit die Strahlen nicht unter den Winkel auf seine feuchte Oberfläche fielen, um dieselbe in dem angegebenen Grade zu reflektiren. Der Felsen Curassaivaka und Guaniwaka im Canuku hat ebenfalls solche scheinende Quarz- stellen, der Kai-irite ühertrifft sie jedoch alle bei weitem. So nahe dieser Gebirgs- zug dem Rio Branco liegt, so ist er den Brasilianern doch eben so unbekannt, wie den Indianern. Jene hallen ihn für das Gebiet der wildesten und grausamsten In- dianer, und vermeiden seine Nähe aus Furcht vor den Menschen, diese aber sehen ihn als den Sammcl- und Tummelplatz aller bösen Dämone an, und fliehen seine Nähe aus Furcht vor der fürchterlichen Begegnung der Geister. Der Zug erstreckt 62 REISEN IN sich von N. nach S.O., sieht aber mit dem Gebirge des obern Essequibo in keiner Verbindung. Der höchste Punkt des Gebirges erhebt sich 3100 Fuss. Nachdem die trigonometrischen Messungen beendet waren , stiegen wir den Ilügel abwärts und betraten ein enges, waldiges Gebirgsthal, dessen rechte Seite ein 900 Fuss hoher, pyramidenähnlicher Berg bildete, den die Wapisianas « Aru- atintiku » (Tigerberg) nannten. Ungeachtet nach der Aussage unserer Beglei- ter sich hier eine Menge Jaguare aufhalten sollten , schlugen wir doch an seinem Fusse unser Lager auf, denn wir waren mehr als ermüdet, und durstiger als wir seit dem Mahu wieder gewesen. Der Berg ist bis zum Gipfel bewaldet ; dort er- hebt sich noch eine nakte, spitze Felsenmasse über die dunkle Laubmasse. Die Hügel der linken Thalseile waren nur von unbedeutender Höhe. Einige kleine Vertiefungen, mit einem bläulich milchigen, dicken Wasser an- gefüllt, lieferten nicht soviel, um unsern Durst zu löschen und die Gefässe zum Kochen zu füllen. Glücklicher Weise fanden die Indianer mehre Melicoccabäume, deren Früchte uns das reichten, was uns die Vertiefungen versagten. Ein wüthen- der Sturm, der sich gegen Mitternacht aus S.W. erhob, sauste mit solcher Gewalt und Wuth durch das enge Thal, dass wir jeden Augenblick durch irgend einen entwurzelten Baum erschlagen zu werden fürchteten. Der Durst trieb uns schon vor Sonnenaufgang aus den Hängematten und zum Antritt der Tagestour. Der Weg führte uns bald an der isolirten Hügelgruppen Tabaitiku vorüber, die einen ziemlich regelmässigen Halbkreis bildet und mit dem westlichen Ausläufer des Aruatintiku in Verbindung stellt. Auch hier war die Basis der einzelnen Hügel dicht bewaldet, während ihre Gipfel in schroffen und kahlen Felsenzinnen ausliefen. Eine schöne, blühende, baumartige Cassin verlieh dem Thalwalde ein ungemein liebliches und wechselndes Colorit. Bald darauf wurde die Savanne immer steiniger, die einzelnen Quarz- und Granitblöcke nahmen immer mehr au Höhe und Umfang zu und wuchsen endlich zu förmlichen Felsen an, bis sie von der isolirt aus der Savanne aufspringenden , kleinen Gebirgskette Muruwit mit ihren thurm- oder säulenförmigen Felsengipfeln unterbrochen wurde. Der west- lichste dieser Berge, an dem uns der Weg vorüberführte, ist eine solide Granit- masse von 4 — 500 Fuss Höhe ; die Wapisianas nannten ihn , wie alle kahlen Felsenhöhen, Kuipaili. Der Coloss bot nach seinen von drei Seiten senkrechten Abfallen und einer Menge Cereus, Melocaclus, Agaven , Tillandsicn und Orchi- deen , besonders Epidcndrum, Monachanthus , Cyrlopodium Andersonii, und einzelne Gesnerien , die in dem Felscngekliift hinlängliche Nahrung fanden, ein gar wunderbares Bild, das durch einen förmlichen Pallisadcnkrcis von riesenhaftem, grauem Cereus, der die Basis der dunklen Gcslcinmassc umzog, ein höchst charak- lerislischcs Aeusscrc erhielt. Dieser Pallisadcnkrcis schmückt sich nur des Nachts BRITISCII-GUIANA. 63 mit seinem festlichen Kleide , den reizenden , feenhaften , oft fusslangen weissen Blüthen, die dann aber mit ihrem Dufte die ganze Luft erfüllen und sich schon wieder schliessen, ehe die Sonne das erste Viertel ihrer Bahn durchlaufen, um sich nie wieder zu öffnen. Nur die schönen rothen, apfelartigen Früchte unterbrachen in etwas die düstere Einförmigkeit dieser Verhaue und boten unsern lechzenden Gaumen eine Labung, die man sonst in ihrer Nähe vergebens sucht, da ihr Auf- treten das sicherste Zeichen einer vollkommnen wasserarmen Umgebung zu sein pflegt Da mein Bruder zum Behuf einiger Messungen von der einzig zu- gänglichen Seite den Gipfel ersteigen wollte , so eilten wir übrigen voraus und einem dichten Gebüsch zu, das sich am Horizont aus der Savanne erhob; denn dort musste Wasser sein ! — Die sengende Hitze hatte unsre Sehnsucht nach einem Tropfen des flüssigen Elements so gesteigert, dass schon die Hoffnung in jenem dunklen Gebüsch solches zu finden , mich kaum auf den lieblichen blauen Teppich, den hier und da die niedliche Xiris americana ( Aubl .) über die Savanne aus- breitete, achten liess ; hier und da streute eine Varietät weisse Flocken in die tief- gesättigten blauen Flächen , die uns die Erfüllung unserer Wünsche fast mit Ge- wissheit verhiess , obschon sie mehrmals durch andere Strecken wankend gemacht wurde, die förmlich mit ein halb bis zwei Fuss hohen Granitplatten gepflastert waren. Hatte mich die Xiris nicht in meinem Wettlauf nach dem lockenden Ge- büsch aufhalten können , so blieb ich doch verwundert vor der ersten dieser merk- würdigen , natürlichen Pflasterungen stehen , die sich etwa über eine Fläche von 200 Fuss Breite ausdehnte. Keine Platte lag auf der andern , das Auge schaute über eine vollkommene Steinflur, in welcher Platte an Platte gelegt war, zwischen denen hier üppige Rhexia und Melastoma , dort Clusien, Euphorbien, Pcpcromia, Gesnerien oder Tillandsicn ein förmliches, wenn auch in seinen Maschen unregel- mässiges Netzwerk bildeten. Wo die jedesmaligen Zwischenräume sich etwas grösser zeigten , starrten uns zahllose Melocactus , bewaffnet mit ihren furcht- baren , langen Stacheln und ihrer aschgrauen Oberfläche , umgeben von ihrer un- zählbaren Nachkommenschaft, entgegen; — doch unwiderstehlich zog uns derbren- nende Durst und mich ausserdem ein heftiger Ficberanfall dem dunklen Gebüsch zu, unsers Bleibens war hier nicht! — Von diesem einen Gedanken beherrscht, hatte ich nicht auf denWeg geachtet, da hielt ein markdurchdringender Schmerz in der Fusssohle, der mir einen lauten Schrei auspresste, plötzlich unsere Eile auf. — Ich war auf einen Melocactus getreten, die ]/4 Fuss langen Stacheln waren mir durch die Sandalen in den Fuss gedrungen und hier abgebrochen. Gestützt auf die Schultern z'weier Indianer hinkte ich blutend dem Gebüsch zu, wo wir nicht allein unsere Hoffnungen erfüllt fanden , sondern wo ich mir auch die abgebrochenen Stachelspitzen von den Indianern aus der Sohl herausschneiden und die Wunden aus- 64 REISEN IN waschen lassen konnte. Die brennenden Schmerzen des Fusses und der doppelt zu- rückgekehrte Fieberaufall nöthigten mich, die Hängematte in dem Schatten zweier Bäume aufzuschlingen, um mich bis zur Ankunft meines Bruders wenigstens etwas zu erholen. Dieser hatte inzwischen auf dem Gipfel des Kuipaiti eine niedliche Helicteres gefunden 5 es war eine neue Species, Helicteres glaber ( Schomb .). Der Durst, der Fieberanfall und der Schmerz der Fusssohle hatten mich so ermattet, dass ich mich bei der Fortsetzung der heutigen Reise kaum vorwärts bewegen konnte , und mehr geschleppt werden musste , als dass ich selbst ging. Dazu gesellte sich noch der lästige Kohlenstaub , der durch das Anbrennen der Savanne entstanden, dass die Indianer niemals unterlassen können, wenn sie von einem Rendezvous aufbrechen. Das Feuermeer, durch einen östlichen Wind heftig angefacht, wurde in der Richtung, die wir einzuschlagen hatten vor uns herge- trieben. Eine dichte Waldgruppe in der Ferne hatte ihm « Halt» geboten, was uns die fixirten Rauchsäulen verkündeten, die von ihrem Saum aufstiegen. Nachdem wir die Oase und ein kleines Flüsschen, das sich in tausend Krüm- mungen durch sie hinwand , durchschritten , traten wir wieder in die offene Sa- vanne und damit zugleich in einen fast ununterbrochenen Sumpfboden, auf welchem uns der Wasserüberfluss fast eben so peinigend wurde, als am Vormittag der Wassermangel. Sumpf folgte auf Sumpf, die wir alle zu durchwaten hatten, wo- bei uns das Wasser oft bis unter die Arme reichte. Bei solcher Gelegenheit erreg- ten die abgehärteten Naturen unserer Indianer unsere volle Verwunderung. War einmal ein längerer, trockner Zwischenraum eingetreten, und erreichten wir dann wieder Sumpfstellen, so ging es von Seiten unserer Begleiter, obschon sie in Folge ihrer Last von Schweiss trieften , ohne Zaudern in das Wasser hinein und hin- durch. Hätten wir nach jedem Durchwaten unsere allerdings einfache Bekleidung, die eben nur in einem Hemd und leinenen Hosen bestand , wechseln wollen, dann hätten wir eine andere Garderobe besitzen müssen , als wir bei uns führten. Plötzlich wurde die lautlose Stille, die nicht allein in unserer Colonne, son- dern über die ganze Umgebung herrschte, in der Ferne durch ein heftiges Hunde- gebell unterbrochen, das uns von einem bewaldeten Hügel, an dessen Abhang sich eine unförmliche Granilmasse erhob, entgegcschalltc, ohne dass unsere Augen die Lrheber desselben auffinden konnten. Da unsere Begleiter mit Recht schlossen, dass da, wo Hunde bellten, auch Menschen sein müssten, brachen sie in ein helles Geschrei aus ; alles blieb still, nichts Lebendes liess sich blicken. Der Vorlrab verdoppelte seine Schrille, der Felsen wurde erstiegen, eine dichte Umsäumung aus Agava vivipara , die ihre candelaberartigen Blüthenstengel hoch in die Luft getrieben und sich an das Gebüsch anschloss, wurde durchschritten, und bald ent- deckten die vordersten auf einer Felsenbank zwischen den Agaven einen alten O BRITISCH-GUIANA. 65 Indianer, der Pfeil und Bogen in der Hand trug und unsere Bemühung gleichgül- tig beobachtete. Nachdem er einige Worte mit unsern Indianern gewechselt, drehte er sich nach einem dichten Gebüsch um und stiess einige laute Töne aus — worauf sich das Gebüsch theilte und eine junge, niedliche Indianerin mit einem hübschen Knaben an der Hand zum Vorschein kam, der nicht lange darauf ein junger, starker, ebenfalls mit Bogen und Pfeilen bewaffneter Indianer in Be- gleitung mehrer schönen Hunde folgte. Die Jagdparthie hatte uns schon in weiter Entfernung bemerkt, und uns, durch unsere grossen Sti'ohhüte verleitet, für Brasilianer gehalten; als ihnen das nicht zurückzuhaltende Gebell der Hunde gesagt, dass ihre Gegenwart verrathen sei, hatte sich das junge Ehepaar mit dem Sohne in einen sichern Versteck zu- rückgezogen; nur der alte Mann, den sein hohes Alter vor der Sklaverei schützte, war zurückgeblieben , um die vermeintlichen Menschenjäger durch seine Gegen- wart von einem genauem Durchsuchen des Waldes abzuhalten, oder im Noth- fall den Verborgenen ein Zeichen zu geben, die weitere Flucht zu ergreifen. Die Leute waren aus der Niederlassung Tuarutu, unserm vorläufigen Reise- ziel, in den uns jetzt nicht mehr allzufernen Gebirge gleiches Namens gelegen. Um sich in der Savanne Rehe zu schiessen , die es im 7Wmfw-Gebirge nicht giebt, hatte die Parthie ihre Jagdstreiferei bis hierher ausgedehnt. Sie hatten das Dorf vor 3 Tagen verlassen. Die allseitig ersehnte Ruhe nach einem so ermüdenden Marsche verscheuchte leider ein fürchterlicher Gewitiersturm , der gegen Mitternacht mit einer sol- chen Heftigkeit über uns hereinbrach , dass an keinen Augenblick Schlaf mehr zu denken war. Der Regen stürzte in solchen Strömen auf unsere Zelte nieder, dass nicht einmal die dickgeölten Zelttücher dem Angriff widerstehen konnten, obschon wir diese unter dichtbelaubten Bäumen aufgespannl hatten. Alle Ele- mente waren in Aufruhr; der entfesselte Sturm sausste und rasete durch den uns umschliessenden Wald, wobei sein wildes Geheul in einzelnen Momenten von den krachenden Donnerschlägen oder dem dumpfen Gedröhn eines in grösserer oder geringerer Entfernung stürzenden Riesenbaumes iibertäubt wurde, das uns jedesmal im Innersten erzittern Hess, da wir in Folge der wahrhaft ägyptischen Finsterniss, die nur auf Augenblicke von den flammenden Blitzen erhellt wurde, immer fürchten mussten , einer der mächtigen Bäume in unserer unmittelbaren Nähe sei entwur- zelt, und werde uns im nächsten Augenblick unter seiner Last begraben. So schwer es uns auch wurde, bei dieser Aufregung der Elemente in unserer Hängematte lie- gen zu bleiben, so war dieses vollkommen passive Ausharren doch das einzige Mit- tel , den uns überall drohenden Gefahren wenigstens so weit zu entgehen , als sie nicht über das Fleckchen hereinbrachen, das wir eben inne hatten. Die armen India- II. Theil. 9 REISEN IN 66 ner, die sich keines solchen Weiters versahen, waren noch viel schlimmer daran, als wir, da sie sich keine Reisehiitten aufgebaut und ihre Hängematten hlosz wischen den Bäumen aufgehangen, aus denen sie das grauenhafte Wetter unter unser Zelt- dach trieb, wo sie wie die Heringe an einander geschichtet, auf den Fersen hockend und zähneklappernd vor Frost auf dem Boden sassen , und dann und wann von den Blitzen grell beleuchtet wurden , um dem Auge im nächsten Moment wieder zu verschwinden. Endlich, wir hatten ihn lang ersehnt, kam der Morgen, und es wurden augenblicklich alle Anstalten zur Fortsetzung der Reise getroffen; — unbemerkt war die Indianer-Familie schon aufgebrochen , denn vergebens suchten wir sie bei Anbruch des Tages, und waren daher genöthigt , ohne ihre Führung die niedere Savanne zu durchwaten , die der wolkenbruchähnliche Regen in einen förmlichen See umgewandelt halte. Bei der kühlen Temperatur des frühen Morgens war dieser über zwei Stunden anhaltende, nasse Weg, auf dem uns das Wasser oft bis über die Iinie ging , kein angenehmer. Ausser einer neuen Species Oncidium , die den Wasserspiegel an einzelnen Stellen mit ihren gelben Bliithenstengeln überragte, war die niedere Vegetation gänzlich überdeckt. Bald nachdem wir die wasserreiche Savanne durchschritten, nahm uns das waldreiche Tuanitu-Gvblrge auf, wie wir zugleich ein schmales Defile betraten, das sich in dem dichten Urwald und zwischen Bergen von 4 — 500 Fuss Höhe hin- zog , die in der Ferne von einer noch hohem Kette überragt wurden. Der Pfad wurde immer steiniger und unwegsamer, bis er endlich ganz verschwand, und dann wieder auf einzelnen kleinen, steinigen Savannenflecken zum Vorschein kam, die von nun an fast ununterbrochen mit dem dichten Urwalde abwechselten. Unsere Neger und Farbigen erhielten die strengsten Befehle , sich mehr zu- sammen und namentlich zu der Avantgarde der Reihe zu halten, da zwischen den Felscntrümmern und in dem pfadlosen Urwald ein Abirren nur zu leicht möglich war. An vielen Stellen mussten wir endlich sogar Hände und Füsse zu- gleich brauchen , um über die massenhaften Granitblöcke , die oft förmliche Gür- tel und Verhaue bildeten, hinwegzukommen. Es war die wildeste und roman- tischste Scenerie, die ich noch gesehen ; eine Landschaft mit unendlichen Reizen, die in ihrer steten Abwechselung zwischen phantastischen Felsenriffen , die hier gleich Uyclopenbauten aus der tiefgesätliglen Belaubung emporragten, und den lieblichsten Wiesenthälern , das Auge mit einem bannenden Zauber fesselte. Gleich den Ameisen klimmten die braunen Gestalten mit ihren Lasten in den diislern Massen empor, — jetzt verschwanden sie zwischen den Spalten und Rissen, um bald darauf, wie der Bergmann aus dem Schacht, wieder aufzutauchen; — endlich zog eine riesige Pyramide, die in einer Entfernung von etwa 2 Miles uns BRITISCH GUIANA. G7 zur Linken ihre Umgebungen weit überragte, alle Blicke auf sieh; — die W apisia- nas nannten sie Aikuwe, und mein Bruder glaubte sich in die Nähe der Ufer des Quilaro versetzt, auf dessen schäumende und von Cataracten unterbrochene Wasser ebenfalls eine in ihrer Form vollkommen gleiche Felsenmasse, der Alararpu (Teu- felsfelsen) ernst und düster herabschaul. Der Wald, der die wilden Savannenstrecken unterbrach, wurde endlich so dicht, dass selbst die sengenden Strahlen der Mittags- sonne die fest von Lianen in einander verschlungenen und mit einander verbunde- nen Baumgipfel nicht durchbrachen. Während uns eine weniger grosse Anzahl ecki- ger, scharfer und spitzer Felsentrümmer den Boden gangbarer machte, wurde er da- für von mächtigen Baumwurzeln überzogen, an denen ich die Schnüre meiner San- dalen durch unaufhörliches Anstossen nur immer tiefer in das Fleisch zwischen den Zehen eintrieb, so dass mich der Schmerz bei jedem neuen Anstoss zu den künst- lichsten Luftsprüngen zwang, und mich laut aufschreien machte. Was hätte ich darum gegeben , wenn ich jetzt ein Paar Schuhe oder Stiefeln herbeizaubern oder wenigstens meine Beine an den stelzenartigen Schritt der Indianer gewöhnen kön- nen ! Zu diesen allgemein verbreiteten Hemmnissen gesellten sich noch hier und da Verhaue von umgestürzten Bäumen, die die gestrigen und frühere Stürme auf ein- ander gethürmt hatten, und ungeheure Schichten von trocknen Wedeln der Stech- palmen ( Astrocaryum , Bactris ), deren Stacheln mir fast bei jedem Schritte fühlbar machten , dass meine Fiisse auch an andern Stellen , als der Ferse verwundbar waren. Zum ersten Male waren die Indianer Gegenstand meines Neides; die brau- nen Gestalten schlüpften zwischen den Bäumen und über alle diese Hindernisse, wie die Schatten hin, ohne dass ihnen wie mir das Blut an den Füssen herabge- laufen, oder Hände und Arme zerrissen worden wären. Um, wenn auch nicht im Gesichtskreis dieser flüchtigen Führer, doch wenigstens im Bereich des Schalles zu bleiben , wurde von Zeit zu Zeit durch einen herzhaften Schrei ein Signal ge- geben , das sich dann vor und hinter uns fortpflanzte , bis die Erwiederung der Nachzügler in fast unhörbaren Tönen erstarb und uns sagte, dass die gegebenen Befehle von den Negern und Farbigen doch nicht befolgt worden Avaren. Nachdem wir noch einige Zeit in dem Defile fortgegangen, erstiegen wir wie- der einen Hügel , dessen Abhänge wo möglich mit einer noch grossem Zahl mäch- tiger Granilblöcke bedeckt waren, zwischen denen und über die wir unsern Weg in Schlangenlinien fortsetzten. Viele dieser Blöcke waren mit Orchideen , Agaven und Cactus bedeckt, am häufigsten mit Cyrtopodium Andersonii , Schombitrg- kia marginata , Cattlcya si/perba, Maxillaria, Brassavo/a , Vanilla. Seitdem Bupvnuni halte ich die Cattleya nicht wieder gesehen. Wo sich etwas Pflanzen- erde angesammelt, da waren auch Sträucher der Cassia und Eugenien aufge- schossen, die förmlich aus den Gesteinmassen herauszuwachsen schienen. Als wir 9* (»8 IUJISEN IN den Gipfel erstiegen hatten, breitete sich zu unsern Füssen abermals eine steinige Savannenstrecke aus, an deren Ende sich ein riesiger Ficus erhob, welcher seine mächtigen, horizontalen Zweige weil in die Luft ausstreckte; diese wurden von un- zähligen Stützen getragen, welche seine Luftwurzeln bildeten, die nach dem gan- zen Umfang seiner Laubbedachung zur Erde herabgegangen waren und hier wieder Wurzel gefasst hatten. Giebt das mächtige Laubdach diesem Riesenbaum mit seinen Stützen, der darin am meisten dem auf Ceylon vorkommenden Banyan- Baum (Ficus i/idica) gleichkommen mag, in einer gewissen Entfernung ein schon an und für sich äusserst charakteristisches Aussehen, so trat dies hier in noch höherem Grade hervor, da sich unmittelbar hinter ihm eine ungeheure Granitmasse auf- thürmte, die sich, vielleicht l‘/2 Mile im Umfang, wenigstens bis zu 300 Fuss er- hob ; über diese sollten wir hinüber ! — Auf den vielen einzelnen Blöcken in dem kühlenden Schatten des Ficus, gönnten wir unsern müden Gliedern die uns jetzt so nölhige Ruhe, und wollten zugleich, bevor wir den Steinwall erklimmten, die Nachzügler wenigstens auf dem Grathdes hinter uns liegenden Hügels erwarten, die wir auch nach und nach einzeln, aber höchst schwerfällig, dort auftauchen sahen. Hatte schon das Aufklimmen an der riesigen Felsenmasse ungemeine Vorsicht gefordert, so wurde dieselbe in einem dreifachen Grade bei dem Herabgleiten, denn so nur konnte man das Abwärtssteigen auf der andern Seite nennen, in Anspruch genommen. Die Höhe deckten ebenfalls Cereus , Melocactus , Agaven und hier und dort das niedere Gesträuch eines Desmanlhus , sowie mehre Clusien und Cas- sien. An der jenseitigen Basis des Felsens angelangt, schloss uns wieder ein neues, von Bergen und Felsen umgebenes Basin ein, über das uns unsere Führer, welche sich in ihrer Richtung nach einzelnen Felsenkuppen und Riffen richteten, theils durch kleine dichte Waldungen, theils über unbedeutende Savannenstrecken führten. Nur diese offenen Savannen gestalteten uns einen Rundblick über unsere wild roman- tischen Umgebungen. Ich habe nie wieder bizarrere Felsenmassen, nie wieder Thäler oder Höhen gefunden, die ich denen, welche unsere heutige Tour umfasste, auch nur im Entferntesten an die Seite hätte stellen können. Hatte ich früher über die reiche Phantasie der Indianer lächeln, und meine nordische Armuth bejammern müssen, wenn sie mir in diesem Felsen einen Menschen, in jenem irgend welches Thier zeigten, so glaubte ich mich hier in ein wahres Zaubergehiet versetzt, in welchem die versteinerte Welt mit brennendem Verlangen des lösenden Zauber- slabcs harrte , um ihr geschäftiges Leben , das ein bannendes Machtwort unter- brach , ungestört wieder fortzusetzen. Die Scheitel des gesammten Hügelkreises liefen in kahlen Granit-, Gneis- und Quarzmassen von den cigenthümlichsten Bil- dungen aus, während die letztem in Folge der reflectirten Sonnenstrahlen über die dunkeln Laubmassen des Thalkessels einen Glanz verbreiteten, der die Täuschung BRITISCH- GUIANA. 69 nur noch mehr erhöhte. Schon der Gedanke, sich in diesem Felsenlubyrinth zu ver- lieren, erregte ein unheimliches Frösteln, und bereits befand sich einer unserer Ne- ger, und dazu noch der kopfloseste von Allen, Hamlet, in dieser schrecklichen Lage ! Seitdem wir den Savannensee verlassen, hatten wir keinen Tropfen Wasser mehr zu Gesicht bekommen, wohl aber Felsen und Sonnenbrand unsern Durst bis zum Verschmachten gesteigert. Zu meiner Pein kam noch ein heftiger Fieberanfall, der uns zum Halten nöthigte ; inzwischen w urden die Indianer angewiesen, sich in den Umgebungen zu zerstreuen, um vielleicht einen Sumpf oder ein rieselndes Bächlein aufzufinden. Mit welcher Sehnsucht namentlich ich jedem aus dem Ge- büsch heraustretenden Abgesandten entgegensah, wird nur der begreifen können, der von dem Wechselfieber in seinen höchsten Stadien heimgesucht worden ist, und sich vergebens nach einem kühlenden Trunk gesehnt , nachdem ihm eine un- unterbrochene Tour von fast sechs Stunden über durchglühtes Gestein und unter sengenden Sonnenstrahlen Mund und Gaumen völlig ausgetrocknet hat ! Einer nach dem andern kehrte zurück , ohne nur einen Tropfen Wasser gefunden zu haben ; die lechzenden Nachzügler trafen wenigstens theilweise ein und schauten sehnsüch- tig mit uns den noch ausbleibenden Indianern entgegen ; — aber auch diese kehrten zurück, ohne etwas anderes, als einige reife Früchte der Cucurit- Palme ( Maxi - miliana regia) mitzubringen, die zwar etwras süsslichen Saft besitzen , dabei aber ein unangenehmes Kratzen im Gaumen zurücklassen , das bald nach dem Genuss die Pein des Durtes nur noch mehr erhöht; — und doch genossen wir sie, um der lechzenden, bleiernen Zunge, dem ausgetrockneten Munde nur etwas Feuchtigkeit zu geben. Wiewohl noch immer sämmtliche Neger , sowie auch noch einige Andre fehl- ten , so glaubten wir doch keine ernstliche Befürchtung hegen zu dürfen , und da unser Warten nur unsere Pein verlängerte, so setzten w ir die stumme Reise wieder fort. — Der Wald, den wrir jetzt durchschritten, w urde immer dichter, die Bäume immer colossaler, und bald verkündeten die zahlreichen tiefen Seufzer, die sich von dem Vordersten auf den Nächstfolgenden u. s. w. fortpflanzten, dass w ir abermals an dem ausgetrockneten Bett eines Sturzbaches angekommen waren. Bei der ersten Kunde, dass hier früher Wasser vorhanden gewesen sei, hatten w ir uns nach ober- und unterhalb des Beltes zerstreut, um vielleicht in einer felsigen Vertiefung noch etwas Feuchtigkeit vorzufinden; — aber der verabredete Ruf blieb aus, einer nach dem andern kehrte zurück , und das langsame Rascheln des Laubes , das sich in dem Bett gesammelt, verrieth uns, die wir zuerst nach der Ausgangsstelle zurück- gekehrt waren, da uns die Kräfte zum weitern Vordringen fehlten, dass auch jene nicht glücklicher gewesen! Nach mehrmaliger, vergeblicher Wiederholung dieser Excursioncn gaben wir die Hoffnung bei den folgenden Flussbetten verzweifelnd auf. 70 REISEN IN w as aber jetzt um mich vorging, war für mich gleichgültig; — wie die Indianer in diesem Walde die Richtung nach unserm Ziele auffinden konnten, hatte für mich kein Interesse, mit abgestumpften Sinnen wankte ich willenlos meinem Vorgänger mit der mich fortwährend beherrschenden fixen Idee nach, in jedem ungewöhnlichen Ton das Wort « Tuna » (Wasser) zu hören. Doch diese Lethargie sollte plötzlich auf eine nichts weniger als angenehme Weise gehoben werden. Der Weg war immer unwegsamer und verworrener geworden, und die an der Spitze befindlichen Indianer mussten ihn von jetzt an mit Axt und Wald- messer wenigstens soweit klären, dass wir Nachfolgenden hindurchkriechen konn- ten. Mehre ausgestossene Schmerzensrufe, ein dumpfes Summen um meine Ohren und das gänzliche Zersprengen der Reihe spannten meine erschlaffenden Sinne wieder so weit an , dass ich mich von der Ursache der wilden Flucht überzeugen und mich derselben anschliessen konnte. Als das Gebüsch umgehauen wurde, waren mehre kopfgrosse Nester einer grossen Wespe ( Marimbonla ) mit zur Erde gefallen , deren Bewohner uns nun wahrhaft wüthend anfielen und verfolgten. Unter wildem Geschrei, mit niedergebeugtem und von den Händen bedecktem Ge- sichte verschwanden die Indianer im Gebüsch , aber die sich oft wiederholenden Schmerzenstöne verkündeten deutlich genug, dass mancher von den wüthenden Thieren ereilt worden sei, was uns nach beendeter Verfolgung auch die dickge- schwollcnen Gesichter nur zu augenscheinlich bestätigten. Um einem solchen Wes- pennest auszuweichen, scheut selbst der Indianer einen bedeutenden Umweg nicht. Eine Menge durch das Dickicht gebrochener Pfade Hessen plötzlich unsre Ilolfnungen von neuem aufleben. Hier mussten Menschen in der Nähe wohnen, Bäche in der Nähe sein , denn woher sonst die vielen Wege, die unsere Richtung unter allen Winkeln durchkreuzten? — Die ernste Warnung der voranschreilen- den Indianer, keinen dieser trügerischen Pfade cinzuschlagen , nur immer dem Vordermann zu folgen , schlugen abermals die kaum geborne Hoffnung nieder — es waren die Wildbahnen der Tapire und Schweine. Die Täuschung war für uns Europäer um so verzeihlicher, da der harte Boden keinen Eindruck der Fährte gestattet und wirklich nur das geübte Auge des Indianers diese Bahnen von wirk- lichen Wegen zu unterscheiden vermag. Wehe dem, der diesen trügerischen Pfa- den folgt; er kann Tage , Wochen wandern, ehe er eine Hütte oder ein mensch- liches Wesen anlrifft, -wenn ihn nicht schon früher Hunger und Durst tödtet ! So mochten wir eine Strecke von einer deutschen Meile in dem unwegsamen Walde zurückgelegt haben , da hörte ich in der Entfernung einen Ton, — wie fest gcwurzcll stand ich, lauschte, und die Worte: “Tuna! - Tuna!« schlugen an mein ängstlich horchendes Ohr. Jubelnd, zitternd vor Freude, wiederholte ich mit BRITISCH- GUIANA. 71 so lauter Stimme, als mir geblieben : « Tuna ! » und vorwärts ging es, um das er- sehnte Wasser so schnell als möglich zu erreichen, und unter einer wahrhaft fieber- haften Aufregung stand ich bald an dem Bette des kleinen Flusses Manatiwau , der zwar kein fliessendes Wasser, wohl aber mehre dunkelgefärbte Pfuhle zeigte. W as kümmerten mich, was kümmerten uns alle die Schaaren Frösche, die, gemächlich ihre vier Füsse ausgestreckt, auf der Oberfläche herumschwammen und, durch das Geräusch aufgeschreckt, nach dem sumpfigen Boden untertauchten , um sich im Schlamme einzuwühlen, und das Wasser noch dickflüssiger zu machen, als es schon an und für sich war! Für uns wurde es zum Nektar, in den wir mit seligem Entzücken unser Cassadabrod eintauchten , die ersten Bissen , welche wir heute unsern Magen anboten , denn der quälende Durst, der trockne Mund, der ausge- dörrte Gaumen hatte dem trocknen Brod den Weg zum Magen unmöglich gemacht. Es war ein Göttermahl für uns ! Vergessen waren unter diesem Genüsse alle Qua- len und Schmerzen , die wir ausgestanden, vergessen alle Erinnernngen an die überstandenen Leiden, und noch ferner lag uns der Gedanke, dass der folgende Tag unser vielleicht mit gleicher Pein harrte ! Um die Nachzügler zu erwarten , hätten wir keinen bessern Ort finden können. Kaum erblickten diese unsere fröhlichen, befriedigten Gesichter, als sie neue Lebenskraft bekamen, in raschen Sprüngen herbeieilten und sich nach gestillter Gier mit gleicher Fröhlichkeit neben uns lager- ten. Die Indianer warfen ihre Last ab und sprangen, ungeachtet unserer Vorstel- lungen mit gleichen Füssen mitten in den Pfuhl hinein, um neben der Stillung ihres Durstes auch den brennenden Gliedern ein erquickendes Bad zu verschaffen , wo- durch das Wasser für die Nachkommenden freilich noch consistenter wurde. Das Flüsschen Manatiwau ergiesst während der Regenzeit sein Wasser in den Warimiwau , der sich in den Takutu mündet. Nachdem wir wenigstens zwei Stunden geruht , auch viele der Nachzügler uns eingeholt, fehlten nur noch Hen- drick, Hamlet und zwei Indianer; da aber die beiden ersten als die schlechtesten Fussgänger bekannt waren, so glaubten wir, dass sie die Indianer durch irgend ein Versprechen vermocht hätten, bei ihnen zu bleiben, um ihnen den Pfad zu zeigen , was schon mehrmals der Fall gewesen , so dass sie oft mehre Stunden später im Lager angekommen waren. Wir brachen daher auch jetzt wieder auf, um wo möglich Tuarutu noch zu erreichen , das nur noch eine Stunde von hier entfernt liegen sollte, Hessen aber Sororeng zurück, damit dieser die Verspäteten hier erwarten und sie davon benachrichtigen sollte. Nachdem wir die freie, hügeliche Savanne wieder erreicht und durchschritten, die auch liier von Bergen und dichten Waldungen umschlossen war, erstiegen wir abermals einen der Hügel, dessen Abhänge und Höhe förmlich mit Quarz- und Graniltrümmern, so wie von einer Menge Brauneisenstein in Körnern von Schrot- 72 REISEN IN und Postengrösse, dem Bolincnerz vergleichbar, überdeckt waren. In solcher Menge hatten wir den Brauneisenstein in dieser Form noch nicht angetroffen. Nächst diesen kleinen Trümmerfragmenten zogen gewaltige Blöcke eines körnigen Quarzes, die äusserlich durch den eisenoxydhaltigen Thon, wie er uns schon früher als verhärtete Concretionen auf den Savannen des Mahu aufgefallen, tief roth ge- färbt waren ; noch mehr Freude aber machten uns heute die beiden grossen Hütten von Tuarutu, die wir von dieser Höhe auf einer zweiten vor uns liegen sahen, und die wir bald erreicht hatten. Die grösstentheils bejahrten Bewohner der beiden Häuser waren bereits durch die uns vorausgeeilte Familie von unserer Ankunft benachrichtigt, und kamen uns mit dem keineswegs tröstlichen Geständniss entgegen , dass wir hier nur wenig Provision erhalten könnten, da sie selbst beinahe Mangel litten ; besser aber sei es damit in den benachbarten Niederlassungen bestellt. Da unsere Provision ihr Ende erreicht, so mussten die Lücken wieder gefüllt werden, und wir hier einige Tage verweilen. Ein kleines Thal mit einer waldigen Oase in der Nähe beider Hütten wurde zu unserem Lager gewählt, und eben hatten wir unsere Zelte aufgeschlagen, als Hendrick mit den beiden Indianern, aber ohne Hamlet ankam , den sie bereits bei uns angekommen glaubten. Aus He ndrick’s Erzählung ging hervor, dass sich Hamlet in dem Walde hinter jener soliden Granitmasse, wahrscheinlich auf einer der Wildbahnen verloren. Hendrick hatte sich durch einen Sturz über eine Baumwurzel schon früh am Tage den Fuss verrenkt, und war dadurch zu öfterer Ruhe genöthigt worden , obschon er sich, soweit es irgend seine Schmerzen gestatteten, in unserer Nähe gehalten. Das Er- klimmen der grossen Felsenmasse hatte ihn so erschöpft und seine Pein so gestei- gert, dass er sich auf der Plattform zu einer längern Rast niederlassen musste, wobei ihn Hamlet mit den beiden Indianern eingeholt. Hendrick bat die letztem, bei ihm zu bleiben , was sie auch thaten , während Hamlet äusserte , er werde immer langsam vorangehen, da er sonst zu spät zum Bereiten des Abendbrodes in das Bivouak kommen möchte. Hendrick folgte nach einiger Zeit mit den zwei In- dianern ; sie erreichten den Fluss Manntiwau, wo sie Sororeng vorfanden, der sie nach Hamlet fragte; da erst erinnert sich Hendrick kurz vor Eintritt der Dunkel- heit eine Stimme gehört zu haben , die ganz wie der Ruf eines Menschen geklun- gen, die aber, nach der Aussage der Indianer, einem Thiere oder Vogel angehört haben sollte. Heute liess sich nichts mehr thun. Mit Anbruch des Morgens (28. April) traf auch Sororeng ohne Hamlet von dem Ufer des Manuliwau ein , und behauptete, dass sich der Verirrte meilenweit von uns bclindcn müsse, da er sonst seine Signale, die er die ganze Nacht hindurch mit seiner Flinte gegeben, gehört haben und ihnen gefolgt sein würde. Es wurde BRITISCH -GUIANA. 73 mm alles aufgeboten , um den Unglücklichen aufzusuchen, und nach vielen Ueber- redungskünsten verbunden mit dem Versprechen mehrer Gläser Rum, gelang es uns endlich , zehn Indianer zu vermögen, ihre Antipathie gegen den - Negro » , den schon längst ein Jaguar gefressen haben sollte, weshalb es unnöthig sei, sich weiter um ihn zu kümmern, zu bekämpfen und mit Stöckle an der Spitze aufzubrechen. Dieser erhielt den gemessenen Befehl, alle Viertelstunden ein Gewehr abfeuern zu lassen, und unter Lachen und Kopfschütteln traten sie ihren Weg an. — Die Nachricht von unserer Ankunft hatte sich liier eben so schnell in der Um- gegend verbreitet, als dies an andern Orten der Fall gewesen, denn schon im Laufe des Vormittags bewegte sich ein langer Zug Indianer auf unser Lager zu, um die ersten weissen Leute zu sehen und zu begriissen, welche in diese Gegend gekom- men waren. An der Spitze des Zuges schritt eine lange Gestalt, den Körper, mit Ausnahme der stark bemalten Beine und Arme , mit einem Stück bunten Kattuns umwickelt, das auf dem Wege des Tauschhandels durch wer weiss welchen Zufall hierher verschlagen worden war. Das Haar war zurückgekämmt und über der Stirn mit einer dichten Masse Roucou beklebt, in das sie die weissen Daunen des Hokko- huhns geklebt hatte. Ihr folgte ein anderer geputzter Indianer, der eine Art Sessel trug, dem sich dann noch eine ganze Reihe über den ganzen Körper stark bemalter Indianer anschloss, bis die Frauen den Zug schlossen. Als sie unser Zelt erreicht, begann der Häuptling seine Begrüssungsceremonie , die wie gewöhnlich darin be- stand , dass er die flache Hand dreimal in der Nähe unsers Gesichts auf- und abbe- wegte, ohne dieses selbst zu berühren, worauf er sich gravitätisch auf den unterdess hingestellten Sessel niederliess und die Rapporte empfing, die ihm die übrigen über das , was sie an und neben uns sahen , brachten ; denn er schien es unter seiner Würde zu halten, sich selbst nach uns und unsern Sachen umzusehen. Die Be- richte über Sachen, welche die Begriffe dieser Naturmenschen überstiegen, die sie heute zum erstenmal sahen , schienen etwas verworren zu werden , die Mienen des Herrschers nahmen einen unwilligen Charakter an , die Unterhaltung wurde immer lebhafter, die Berichterstatter mussten immer öfterer zu dem Gegenstand zurückkehren, und ihn nochmals genau ansehen, um eine deutlichere Beschreibung liefern zu können ; — endlich schien entweder seine Geduld gerissen, oder seine Neugier von dem, was man ihm mittheilte, so gesteigert zu sein, dass es ihn nicht mehr auf dem Sessel litt. Er stand auf und unterwarf alles, namentlich aber den Kochapparat , den wir in einer besondern Küchenhütte aufgestellt hatten , seiner eigenen Ansicht, und als ihm Sororeng den Gebrauch desselben erklärte, erreichte sein Erstaunen den höchsten Gipfel. Auch bei ihnen erregten unsere Gabeln grosse Bewunderung, die sich noch mehr steigerte, als Sororeng ihnen die praktische Be- nutzung deutlich machte. Dieser Parlhie folgten im Laufe des Tages noch mehre II.TIieil. 10 74 REISEN IN andere , von denen ebenfalls jedes einzelne Stück auf das sorgfältigste gemustert wurde. Unter den Zulelztangekommenen zog namentlich ein Halbindianer ( Capou - cre), dessen Vater ein Neger und dessen Mutter eine Indianerin gewesen, unsere Aufmerksamkeit, besonders wegen seines eigentbümlichen Haarwuchses auf sich. Dieser hatte nämlich halb den Charakter des Vaters, halb den der Mutter angenom- men, war somit weder zum vollkommen gekräuselten Wollhaar des Negers, noch zum schlichten des Indianers gekommen, und starrte nun, halb dieses, halb jenes, in die Luft, was dem Kopfe ausser einem ungeheurem Umfang ein höchst auffallen- des Aussehen verlieh. In Bezug auf den Körperbau übertraf der Mischling die Indianer nicht nur an Stärke und Grösse, sondern auch an gedrungener, kräftiger Muskulatur; seine Färbung war ein Gemisch von Braun und Schwarz. In Britisch- Guiana sind uns nur wenige solcher Individuen begegnet; desto zahlreicher sollen sie in Surinam sein, wo sich die entlaufenen Sklaven vielfach mit Caraibinnen ver- heirathet haben. Auch unter den JVapisianas fanden wir jene flechtenartige Hautkrankheit hei- misch, und sahen unter den Versammelten mehre Individuen, die in einem ziemlich hohen Grade damit behaftet waren. Bei einzelnen Kranken war nicht allein die Brust und das Gesicht, sondern selbst die Extremitäten mit den sich schuppenden, weissen Flechten überzogen, was ihnen ein höchst merkwürdiges, gewissermassen abschreckendes Aeussere gab; — es waren, wenn ich mich des Ausdrucks bedie- nen darf, umgekehrte Schimmel. Allen Erfahrungen nach, die wir machten, scheint bei den Indianern gerade die Haut das reizbarste und den meisten Krank- heiten unterworfene Organ zu sein. Auch hier entdeckte mein Bruder einen alten Bekannten vom Fort Saö Joaquim , den er dort im Jahre 1837 als Sklaven gefun- den. Später hatte sich ihm eine günstige Gelegenheit zur Flucht gezeigt, die er mit günstigem Erfolg benutzt. Spät am Abend kehrte Stöckle mit seiner Parthie ohne Hamlet, aber wie wir wohl fanden, auch ohne viel nach ihm gesucht zu haben, in’s Lager zurück. Die Indianer, welche Stöckle's Charakterfestigkeit kannten, hatten ihn ziemlich schnell zu der Uebcrzeugung gebracht, dass der « Negro >< längst von einem Jaguar zer- rissen worden wäre, und sich dann ruhig niedergelegt, um die Zeit bis zum Abend zu verschlafen. Durch diese unverzeihliche Vernachlässigung stieg unsere Besorgniss um den armen Verirrten natürlich immer mehr, und cs musste jetzt alles aufgeboten werden, um ihn, wo möglich, noch zu retten. Für die Nacht wurden daher grosse Massen Holz auf dem Gipfel des Hügel aufgcsehichtct und angezündet, damit Hamlet, wenn er noch am Leben war, durch den sich weit hin verbreitenden Schein auf- merksam gemacht würde. Am folgenden Morgen, dem um Mitternacht wieder ein BRITISCH-GMANA. 75 Gewittersturm vorhergegangen war, wurden alle Indianer der Nachbarschaft auf- geboten , um uns im Aufsuchen des wahrscheinlich schon vor Angst halbtodten Hamlet behiilflich zu sein. Bald hatten die gemachten Versprechungen, denn erst nach diesen zeigten sie sich bereit , den « Negro » mit aufsuchen zu helfen, gegen 20 um uns versammelt, so dass wir mit unsern Leuten einen Haufen von 50 Mann bildeten, der in drei Parthien getheilt wurde; die eine derselben ging unter Leitung meines Bruders unsern alten Weg zurück, die zweite, von Herrn Goodall be- gleitet, wandte sich mehr nördlich, während ich mit der dritten eine südliche Rich- tung einschlug, wobei wir fortwährend in kurzen Zwischenräumen unsere Gewehre abfeuern sollten, um Hamlet auf die nahende Hülfe aufmerksam zu machen. Bald hatten wir die beiden andern Züge aus dem Gesicht verloren, der Schall der von jedem abgefeuerten Gewehre wurde immer schwächer und erstarb endlich ganz. Schüttelnd und lachend meinten meine Indianer, dass der « Negro » das Pul- ver gar nicht werth sei , welches man lieber zur Jagd auf Tapire, Hokkohühner u. s. w. verwenden sollte; — ja, es gab einzelne Momente, wo ich meine ganze Ueberredungsgabe und Energie aufwenden musste, um sie vom Umkehren abzu- halten. Dieser allgemeine Hass der Indianer gegen die Neger ist merkwürdig, namentlich da er sich nicht allein auf besondere Oertlichkeiten beschränkt, sondern sich in gleichem Masse über Brasilien , Chili und Peru verbreiten soll. Nachdem wir durch Sümpfe gewatet, durch Gebüsche gekrochen, bergauf und bergab gestiegen, über Felsen geklettert und nichts versäumt hatten, was den Verirrten nur irgend auf unser Bestreben aufmerksam machen konnte, sah ich mich gegen Sonnenuntergang , wo mich wieder ein heftiger Fieberanfall durch- schüttelte, genöthigt, den Rückweg einzuschlagen. So störrisch sich auch die Indianer gezeigt, so wandten sie später doch ihren ganzen Scharfsinn an , um aus den aufgefundenen Spuren , die für mich freilich vollkommen unbemerkbar blieben, zu untersuchen, ob sie von Hamlet, d. h. von einem Neger , herstammten: «dies ist der Fussstapfen eines Indianers; dies einer Indianerin; hier ging einer vorüber, welcher nicht zu unserm Dorfe gehört», — doch die Worte, die ich so sehnlichst erwartete: «hier war der Neger,» blieben aus. Der Scharfsinn der Indianer in dem Auffinden dieser Fussspuren grenzt in der That an das Zauberhafte. Im feuch- ten Gras hätte auch ich mich anheischig gemacht, die Fussstapfen eines Europäers, Negers und Indianers von einander zu unterscheiden , aber diese selbst auf den Felsen zu entdecken und zu classificiren , schien mir dem Hellsehen verwandt. Es war schon ziemlich finster, als wrir in der Niederlassung ankamen, in der wir Herrn Goodall bereits vorfanden, ohne dass auch er nur die leiseste Spur von Hamlet entdeckt hatte. Eine halbe Stunde später verkündete uns ein lautes Lärmen die Rückkehr der 10* 76 REISEN IN letzten , aber auch glücklichen Parlhie. Ungefähr sechs Miles rückwärts hatte mein Bruder den armen Teufel in dem kläglichsten Zustande aufgefunden. Schon hatten auch sie die Hoffnung auf Erfolg aufgegeben und wieder nach der Nieder- lassung zurückkehren wollen, als einer der Indianer ein fernes Rufen gehört, dem sie folgten und so seine Spur und Hamlet selbst fanden. Furcht und Ermattung hatten so heftig auf ihn eingewirkt, dass mein Bruder ihn anfänglich für wahnsinnig hielt, so schnell wechselten die unzusammenhängendsten Reden mit heftigem Wei- nen und dem ausgelassensten Gelächter. Als man ihn getroffen, hatte er eine halb- ausgeleerte Landschildkröte, bisher seine höchste Antipathie, auf der Schulter ge- habt, um sich wahrscheinlich den Rest für die nächste Mahlzeit aufzusparen. Wie oft hatte er, wenn er uns eine zubereitete Schildkröte aufgetragen, hoch und theuer versichert , dass er sich lieber todtschlagen lassen oder verhungern würde , ehe er nur einen Bissen Schildkrötenfleisch verzehre, doch Hamlet hatte bisher noch nicht den Spruch aus Erfahrung gekannt: Noth kennt kein Gebot; diese zwang ihn sogar, das verhasste Fleisch roh zu verzehren. Um heute noch mit derParthie nach der Niederlassung zurückzukehren, dazu war er zu schwach gewesen , es waren daher mehre Leute bei ihm gelassen worden , um ihn morgen nach dem Dorfe zu bringen. Als er am folgenden Tage ankam, erschütterte mich sein Aussehen bis in das Innerste. In dieser zitternden, jeden Augenblick aufschreckenden , leichenhaften Gestalt, die sich ohne Unterstützung nicht aufrecht halten konnte, aus den wilden, verstörten Blicken, war Hamlet, der ewig schmunzelnde Hamlet nicht wieder zu erkennen ; die Besorgniss, die schon gestern gehegt wurde, wich auch heute noch nicht, und erst am folgenden Tag , wo sein schon an und für sich schwacher Geist wieder etwas in’s Gleichgewicht gekommen, theilte er uns in abgerissenen Brocken seine Leidensgeschichte mit. Nachdem er bei Hendrick und den beiden Indianern vorüber gegangen, sei er in den Wald getreten und immerauf dem ihm richtig scheinenden Weg fortgeschritten, bis ihm die tiefe Stille aufgefallen und er sich ge- wundert, dass er noch Niemand von den Vorangegangenen eingeholt. Er sei stehen geblieben, um den Nachtrab zu erwarten, dieser sei aber nicht gekommen , er sei umgekehrt, um diesem entgegen zu gehen, habe ihn jedoch nicht gefunden. Als er aber endlich gegen Abend jenen Felsen wieder getroffen, ohne auch nur eineSpur von den Zurückgelassenen zu entdecken, da habe sich ihm der schauerliche Gedanke aufgedrängt, dass er verloren sei; alle seine Hülferufe seien ohne Antwort verhallt. Jetzt hätte ihn die Furcht vor wilden Thiercn und bösen Geistern, als deren unrett- bare Beute er sich schon angesehen, die letzte Spur der Besinnung geraubt, und un- ter wildem Geheul wäre er durch das Gebüsch und Gestrüpp gebrochen, um endlich wieder an den alten Ausgangspunkt zu gelangen. Den nagenden Hunger halle er BRITISCH -GUIANA. 77 erst am zweiten Tage gespürt, und ihn so lange mit Pilzen gestillt, bis er in seinem Kreisläufe jene Schildkröte gefunden. Schlaf sei seit drei Tagen und zwei Nächten nicht in seine Augen gekommen, und während der letzten habe er ununterbrochen zu dem Geiste seiner verstorbenen Mutter gebetet, dass er ihn rette. Am zweiten Tage habe er zwar Flintenschüsse gehört , sei auch der Gegend zugelaufen, doch plötzlich hätten diese Signale geschwiegen, — Stöckle hatte sich mit seiner Parthie schlafen gelegt! — und er habe sich nun ohne Rettung für verloren gehalten, bis am dritten Tage erneuerte Flintenschüsse ihm verkündet, dass man noch nach ihm suche. Da habe er seine letzten Kräfte zusammen gerafft, sei der Gegend, wo die Schüsse gefallen , zugeeilt , und habe dann durch Rufen und Schreien , da er vor Mattigkeit nicht weiter konnte , seine Gegenwart kund gegeben, bis er glücklich gefunden worden. Dass er uns bei der Fortsetzung der Reise folgen konnte, gehörte bei seinem geschwächten Körperzustande zu den Unmöglichkeiten ; aber trotz der heiligen Versicherung, dass wir ihn auf der Rückkehr von den Quellen des Takatu hier abholen wollten, war seine Furcht in einem solchem Grade aufgeregt, dass endlich die tröstenden Ermahnungen in ernste Befehle übergehen mussten, bevor er sich in sein schreckliches Schicksal ergab , für welches er dies Zurückbleiben hielt. ; Die Niederlassung Tuarutu lag unter 2° 7' 3" N.B. uud 59° 46' W.L. ; der höchste Punkt des Gebirges gleiches Namens, in dem wir uns jetzt befanden, erhob sich 1800 Fuss über den Takutu. Einige andere bedeutende Berge in unserer Um- gebung erreichten eine Höhe von 1000 — 1150 Fuss. Die Kette erstreckt sich der Länge nach ungefähr lOMiles, ohne jedoch ein eigentliches Längengebirge zu bilden, vielmehr ist es eine unregelmässige Masse einzelner Berge und Hügel , die grössere Savannenflächen, durchgängig mit wilden Granittrümmern überlagert, um- schliessen. Durch solche Savannenflächen und einzelne Hügel von 150 — 200 Fuss Höhe, steht das Tuarutu- mit dem Ossotschuni - Gebirge in Verbindung, welches sich seiner Länge nach 11 Miles von N.O. nach S.W. erstreckt. Die erwähnten steilen, granitischen Massen , die schon im Tuarutu - Gebirge unser höchstes Er- staunen erregten , traten im Ossotschuni in noch mächtigem Erhebungen auf. Uruwai Wapuna oder Wahuma, Curischiwini sind Granitcolosse , die sich von 1500 — 1800 F. erheben, und vermöge der Beleuchtung, welche durch die von den ungeheuren, eingesprengten Quarzgängen reflectirten Sonnenstrahlen verursacht wird, einen wirklich magischen Contrast gegen die dunklen, düslern Granitmassen bilden und zugleich den Waldungen an ihrer Basis einen mehr als zauberhaften Reiz verliehen. Nach der Behauptung der Wapisianas sollte am Uruwai der Ta- back wild wachsen. Südlich vom Ossotschuni zog sich dichter Urwald bis zum 78 REISEN IN lernen Horizont, während diesen in blauer Ferne gegen S.S.O. die Gebirge des Esscquibo begrenzten. Nach den Nachrichten , die wir hier über die Quellen des Takutu einzieben konnten, würden wir in zwei Tagen eine Macusiniederlassung erreichen, in deren Nähe sich diese befinden sollten. Bis zum 2. Mai hatten wir uns soweit verproviantirt, dass wir die Reise fort- setzen konnten, wie wir auch das Versprechen erhielten, bei unserer Rückkehr so- viel Vorrath zu finden, um damit bis Pirara ausreichen zu können. Hamlet zerfloss in Thränen, als wir Abschied von ihm nahmen und der Zug, einen Indianer von Tuarulu als Führer an der Spitze, sich gegen das Ossotschuni- Gebirge in Bewe- gung setzte. Nachdem wir mehre Felsenhügel, auf denen eine Menge Orchideen , als Cyrtopodium , Monachanthus und Oncidium wucherten, überschritten, erreich- ten wir den Fluss Turerucata-kurin , dessen Wasserreichthum aber keineswegs dem langen Namen entsprach. Er mündet sich in den Ossotschuni , der seine Quelle in dem gleichnamigen Gebirge hat, das wir zu unserer Rechten liegen Hessen, seiner Abdachung ungefähr in einer Entfernung von 2 Miles folgend, wo- bei eine hohe, pyramidenförmige Granitmasse unsern Führern als Wegweiser diente. Als wir ermattet nach einem Trunk Wasser lechzten , bot uns am Nach- mittag der kleine Fluss Taramtibawau , der wild über mächtige Granitplatten hin- brausste und sich zwischen ihnen hindurch wand , reiche Labung. Nach kurzer Ruhe brachen wir von neuem auf und überstiegen bald einige Erhöhungen, welche die IV apisianas « fV awacunaba » nannten , und von deren Gipfel wir eiue der lieblichsten Aussichten über die Savannen und gegen S.O. auf den Berg Vin- dnua genossen , während man hinter diesem die gewaltigen Massen des JVangu- wai- und .^?/me«-Gebirges, in der Nähe des Zusammenflusses des Yuawauri oder Cassikityu mit dem obern Esscquibo , aufsteigen sah. Weiter gegen 0. thürmle sich eine mit dem JVanguwai gleich hohe Gebirgsmasse auf, welche die Indianer Uassari nannten, und in welcher mein Bruder eins der Gebirge erkannte, die Alexander von Humboldt in seiner Reise im sechsten Bande erwähnt. Nach der nngestelllen Trigonomelcrmessung differirte die Angabe Alexanders von Humboldt mit dem Resultat meines Bruders um 40 Miles zu weit nördlich ; meines Bruders Rechnung gab 1° 40' Norderbreite als ihre Lage. I)ic Felsen des JVawacunaba zeigten sich ungewöhnlich krystallinisch, wäh- rend mächtige , hellbraune Glimmerblöcke und Glimmcrtafeln auf den Savannen zerstreut herumlagen. Dass die Indianer den Glimmer für Gold oder Silber (Brata) halten, habe ich schon angeführt. Bald darauf betraten wir einen Wald, der in der That alles übertraf, was ich bisher gesehen ; — über ihn schien die tropische Vegelationskraft ihre ganze Fülle BRITISCH-GUIANA. 79 ausgeschüttet zu haben, deren Schilderung seihst der gewandtesten Feder nur sehr annäherungsweise gelingen möchte. Palmen, Zingiberaceen, Canaceen, Musaceen und Farrn bildeten diese übersättigte Waldmasse. Oft wechselten dichte Gruppen des Astrocaryum, Desmoncus , der Bactris, Euterpe , Maximiliana und Acrocornia mit grossen Strecken des wilden Plantain (Ravenala guianensis und Phenacosper- mum guianense Endl.) ab , die meist eine Höhe von 40 — 50 Fass erreichten, bis jene wieder vereinzelt unter diesen auftraten und sie mit ihren stolzen Wedeln über- ragten. Das starke Geräusch , welches die von den Palmen herabfallenden Früchte auf den riesigen Blättern der Ravenala hervorbrachten, verrieth, wie eifrig die zahl- losen Papageien damit beschäftigt waren, ihren Hunger an den reifen Palmenfrüchten zu stillen; — klang es doch, als wenn eben eine Hagelwolke ihren Inhalt über die- sen Ort der Ueberfülle ausschütte. Den Boden, der aus einem steifen Lehm mit Sand untermischt bestand, verhüllte eine dichte Decke von Ar um , Canna und Farrn, als: Trichoman.es, Lygodium, Aneimia, Merlensia, Adiantum und Daval- lia. Der laute Schrei: «Schlange, Schlange!« und ein unmittelbar darauf folgender Schuss verkündete, dass wir es hier doppelt nötbig hatten, auf unserer Hut zu sein. Als ich dem Ort zueilte, wand sich das erlegte Reptil noch in seinem Blute und der erste Blick auf seine mächtigen Fänge zeigte, dass es zu den giftigsten zu rechnen war. Die Schlange mass 5 Fuss und hatte eine schwärzliche Färbung. Die India- ner zeigten selbst noch gegen ihren todten Feind die grösste Furcht und einen auf- fallenden Abscheu. Obschon ich sie noch nie gesehen, konnte ich sie doch nicht präpariren , da ich keinen Spiritus hatte. An einem kleinen Flüsschen, das sich langsam durch den Zauberwald schlän- gelte, schlugen wir unser Bivouak unter einer Ungeheuern Caro/inea auf, die den Inhalt ihrer zerplatzenden Saamengehäuse , die ganze Nacht hindurch unter einem starken Geräusch auf unser Zeltdach herabregnen liess ; das jenseitige Ufer war mit einem so dichten Gehege von Bambus (Guadua latifolia) bestanden, dass die- ses selbst den grösseren Säugethieren bei ihrer Flucht ein undurchdringliches Hin- derniss entgegengesetzt haben würde. Am folgenden Morgen setzten wir unsern Weg längs dem Ossotsehuni- Ge- birge fort , wobei wir einem betretenen Pfade folgten , der uns nach einem zwei- stündigen Marsche zu einer verlassenen Niederlassung führte , deren drei grosse, kuppelförmige Hütten auf einer Anhöhe lagen. Eine aufgelockcrte Stelle in der Mitte der grössten Hütte, gab die Ursache an, welche die Bewohner vermocht, ihren gesegneten Grund und Boden zu verlassen; — es war das Grab des Häupt- lings, wie uns die Wapisianas mittheilten. Der noch vollkommen bauliche Zustand der Hütten zeigte, dass die Bewohner sic erst seit kurzer Zeit aufgegeben, und dennoch war das Provisionsfeld so ver- 80 REISEN IN wildert, das & Mimosen, Solatieen und Cordia die Manihot schon unterdrückt hatten; nur einige Musa paradisiaca und sapientum mit breiten, zerrissenen Blättern über- ragten noch die neue Generation, um in kurzer Zeit ebenfalls zu verschwinden. An dem Saum einer kleinen Oase zog eine Palme, die hier in Gruppen vereint wuchs, meine Aufmerksamkeit auf sich : es war für mich das erste Exemplar der rei- zenden und zierlichen Maurilia aculeala (Humb. Bonp.). Obschon sie mein Bru- der auf seinen frühem Reisen häufig an den Ufern des Rio Negro gefunden, so waren dies doch auch für ihn die ersten, die ihm in Britisch-Guiana begegnet. Er- reicht die Mauritia aculeata auch nicht die Höhe und Stärke der ßexuosa , so be- sitzt sie doch ebenfalls den dieser Gattung eigenthümlich graziösen Wuchs, der sie zu einer der grössten Zierden der tropischen Landschaft macht. Die W apisianas nannten sie Urukusch. Die Oase, die uns jetzt aufnahm, wurde fast ausschliess- lich aus Bactris , Astrocaryum und Maximiliana gebildet, die nur von einzelnen riesigen Laubbäumen verdrängt worden waren, unter denen ich zu meiner grossen Freude auch die gigantische Juvia, Brasiliennuss (Bertholletia excelsa Humb. Bonp ) fand. Der riesige, schnurgerade Stamm erhob sich durchschnittlich 80 — 90 Fuss, bevor sich die ersten Aeste abzweigten , zwischen denen sich derselbe dann noch 50 — 60 Fuss fortsetzte. Eine unzählbare Menge geöffneter 16 — 18" im Umfang haltender Deckelkapseln lagen, ihres Inhalts beraubt, auf dem Boden umher. Jede dieser Deckelkapseln enthält 15 — 18 dreikantige Saamen, die im Handel unter dem Namen « brasilianische oder Para-Nüsse» bekannt sind, aber auf der Reise ungemein viel von ihrem lieblichen Geschmack verlieren. Zur Zeit der Reife , wenn sich die Deckel der Kapseln öffnen und die reifen Saamen herabfallen, ist der Standort dieser imposanten Bäume nicht allein der Versammlungsort der Indianer, sondern auch der Tummelplatz einer Menge Nagethiere, Buschschweine und Affen , für welche die Nuss ein eben so gesuchter Leckerbissen, wie für die Indianer ist. Besonders sind es die Affen , welche einen solchen Baum dann in ganzen Heerden umlagern ; man fabelt sogar von ihnen, dass sie die steinharte Deckelkapsel, die oft auch ungeöffnet herabfällt , und die sie mit ihrem Gebiss und wegen ihrer Grösse nicht öffnen kön- nen mit Steinen aufschlügen, um zu den gewünschten Nüssen zu gelangen. So weit haben es die Schlauen in ihren Schlüssen nun freilich noch nicht gebracht, wohl aber lassen sie sich das Oelfnen der äussern, für ihr Zahnsystem undurch- dringlichen Kapsel, von andern Thieren, namentlich von den Agntis (Dasyprocta Aguti), Labas ( Coclogcnys Paca), so wie von einzelnen Dickhäutern, als: Dico- lyles labiatus und torqualus besorgen , denen sic iin Augenblick wo diese die Oeffnung gemacht, den mühsam errungenen Lohn unter den Füssen wegstehlen, um damit auf den nächsten Baum zu eilen und den Raub ruhig zu verzehren. Ge- lingt das Manöuvre nicht mit der ganzen Deckelkapsel, so doch gewiss mit einzelnen BRITISCII-GUIANA. 81 Nüssen. Nach allen gemachten Erfahrungen scheint die Bcrlhollctia einen steinigen Boden zu liehen, und selten höher als 1500, aber auch nicht liefer als 400 Fass über dem Meere vorzukommen; ihre geographische Verbreitung muss ziemlich ausgedehnt sein, indem sie sich, nach unser» jetzigen und meines Bruders früheren Erfahrungen , auf die Flächen zwischen dem 57 0 — G8° westlicher Länge von Greenwich und dem 6° Süderhreite bis 4° Norderbreite erstreckt. Nächst den Palmen und der BertkoUctia , wurde dieser Wald mir auch noch durch ein grosses Heer der Cuschi- Ameise interessant, das in einer, einen Fuss breiten, ununterbrochenen Colonne auf dem Wege nach seiner Colonie, einem Hü- gel von mehren hundert Fuss im Umfange und sechs Fuss Höhe,unsern Pfad durch- kreuzte. Eine arm e Bertkollelia war zum Feld ihrer Zerstörung auserkoren wor- den. Tausende waren damit beschäftigt, die aus den Blättern aus gebissenen run- den Stückchen bis zum Fuss des Baumes herabzubringen, die ihnen dort von den andern abgenommen und nach der Colonie getragen wurden. Jenseits des Waldes betraten wir wieder die offene Savanne, überstiegen ein- zelne kuppelförmige Hügel mit Quarzfragmenten und mächtigen Glimmerplatten überstreut, und erreichten endlich, nachdem wir den Abhang eines bewaldeten Hügels herabgestiegen, auf dem ein 120 Fuss hoher Ficus unser Staunen auf sich zog , die aus zwei Hütten bestehende , in der angrenzenden Savanne liegende Ma- cusiniederlassung Maripa. Obschon uns ein Heer wahrhaft wüthender Hunde, das fort und fort durch neue Ankömmlinge verstärkt wurde, die Annäherung streitig zu machen suchte, während alles zahme Geflügel unter wüstem Geschrei in der wilde- sten Flucht auseinander stob, gelang es doch endlich den von den Frauen geschwun- genen Prügeln , uns den Zugang möglich zu machen. Der Häuptling der Nieder- lassung, Tuma-Tumn, der dickste Indianer, den ich bisher noch gesehen , lag während dieses Auftritts in einer kleinen offenen Hütte ruhig in seiner Hängematte und sah unser Ankunft mit der höchst möglichen Gleichgültigkeit entgegen, rauchte, nachdem wir uns schon alle um seine Hütte versammelt hatten, ruhig seine Cigarre fort und freute sich über die blauen Wölkchen, die er kräuselnd in die Luft blies. Um diese Apathie zu brechen, trat Sororeng an ihn heran und machte ihn mit dem Zweck unserer. Reise und unserer Gegenwart bekannt; das gewöhnliche « altem », war die einzige Wirkung dieser Neuigkeit, und lustig wirbelten die kaum unter- brochenen Rauchwölkchen wieder aus seinem Munde auf. Mit einer so anhaltenden Missachtung und Gleichgültigkeit waren wir bisher noch von keinem Häuptling behandelt worden, obschon wir die ersten Parana ghieris waren, die das Dorf besuchten. Während wir uns noch über den stoischen Gleichmulh des dicken Häuptlings ärgerten, zog ein kränklich aussehender, magerer, junger Mann, der eben in II Tlieil. U 82 REISEN IN einem höchst lächerlichen Costiime aus einer der Hütten trat, unsere Augen auf sich. Das blasse, hagere Gesicht stak bis an die Augen in einer sclmrlachrothen Zipfelmütze, während ein buntes Hemd den Oberkörper und ein Paar einst weiss> gewesene leinene Hosen, die jedoch nur bis zu den Waden reichten , die unter» Extremitäten , soweit eben ihre Kürze es vermochte, bedeckte. Nachdem er uns einen Moment fixirt, kam er auf uns zu und begrüsste uns auf die bei den Macusis eigentümliche Weise. Es war ein Verwandter des dicken Häuptlings und einer der berühmtesten Hundezüchter, von dem die Indianer weit und breit ihre Jagd- hunde kauften , wodurch er auch in Besitz des eben beschriebenen Anzugs gekom- men. Die Zahl der Bewohner betrug zwanzig, die der Hunde wenigstens das Doppelte. Da die Kälte des Häuptlings sich keineswegs zu mildern schien, hielten wir es für das Geratenste , ihm das Gleiche fühlen zu lassen, was wir um so eher konnten , da uns sowohl der kränkliche Mann , als die gesummte weibliche Be- völkerung auf das freundlichste entgegen kamen. In der an die beiden Hütten an- grenzenden Niederung, in der sich der fVatuwau, den wir als reissenden Strom überschritten, jetzt als unbedeutender Bach von einigen Yards Breite hinwand, schlugen wir, ohne weiter auf Tuma-Tuma Rücksicht zu nehmen , unser Lager auf. Die Quelle des fVatuwau befand sich (i Miles weiter südlich. Kaum hatten wir die Einrichtung unseres Bivouaks beendet, als schon die Bewohner der näch- sten Niederlassungen , ihren Häuptling an der Spitze, ankamen, um die Parana- ghieris zu sehen, von deren Ankunft sie bereits am Morgen durch einen fVapisiana aus Tuarulu benachrichtigt worden waren , welcher sich die Mühe eines zwei- tägigen Marsches nicht hatte verdriessen lassen, um seinen Freunden die wichtige Neuigkeit mitzutheilen. Die beiden Würdenträger , unser stoischer Tuma-Tuma, und der eben angekommene Herrscher bildeten, ihrem Körper und Charakter nach, die möglichst denkbaren Contraste, weshalb wir letztem, so abschreckend auch die dürre, ausgetrocknete, nackte, einäugige Gestalt aussah , herzlich willkommen hiessen und ihm alle mögliche Aufmerksamkeit bezeigten. Freundlich hot er uns an, uns mit dem frühen Morgen soviel Cassadabrod zu bringen, als wir bedürften, und uns auch nach der Quelle des Takulu zu begleiten , die er erst vor kurzem be- sucht hätte. Die Zuvorkommenheit, die wir gegen den gutmüthigen Einäugigen zeigten, schien, äusserlich wenigstens, den Neid des behaglichen, wohlgenährten Faullcnzcrs auf keine Weise zu erregen; — wie bei unserer Ankunft, so behandelte er uns während des ganzen Tages kalt und geringschätzend. Als aber am nächsten Morgen die benachbarten Indianer, mit Lebensmitteln beladen , bei uns ankamen und dafür reich beschenkt wurden , als sie mit den Geschenken nach der Nieder- lassung eilten und die Suchen unter der lautesten Freude und einem wahrhaft ßRITISCII-CUIANA. 83 kindlichen Triumph zeigten, war es mit der Apathie und der Kälte Tuma-Tu- nuis vorbei, — denn plötzlich sahen wir ihn zu unserer grossen Verwunderung mit mehren seiner Indianer und Frauen die Anhöhe herab auf unser Bivouak zu- kommen und in unser Zelt treten , in dem er jeden Gegenstand, den sein Auge traf, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit betrachtete. Besonders schien ihm ein Compass viel Kopfzerbrechens zu machen und seine ganze Neugier auf sich zu ziehen. Als er sich endlich überzeugt, dass alle Mühe, der Nadel eine andere Richtung zu geben, vergeblich sei , stellte er ihn kopfschüttelnd wieder anseine Stelle, schaute uns verwundert an, und war von jetzt an der gefälligste , gut- mütigste Mensch, den man sich irgend wünschen konnte. Sein abslossendes Be- tragen schien weniger in seinem Charakter, als in einem bisher immer noch geheg- ten Misstrauen gegen unsere eigentlichen Absichten gelegen zu haben. Die frühem Fieberanfälle und ein neuer, gesteigerter Ausbruch hatten mich so ermattet, dass ich am folgenden Morgen nicht fähig war, der Parthie nach den Quellen des Takutu zu folgen ; ein gleiches Schicksal traf auch Hesndrick, dessen verrenkter Fuss so angeschwollen war, dass er nicht einmal die Hängematte ver- lassen konnte und mir daher Gesellschaft leisten musste. Den 5. Mai brachen dieUebrigen in Begleitung des einäugigen Häuptlings nach jenen Quellen auf, und iiberliessen es uns, uns die Zeit bis zu ihrer Rückkehr so gut als es gehen wollte, zu vertreiben, was mir die sonderbaren und wilden Caprioien einer jungen Tigerkatze, die ein Indianer vor einigen Tagen eingefangen und in einer der Hütten an einem Stricke angebunden hatte, ziemlich leicht machten. Leider war das Thier noch zu jung, als dass ich hätte unterscheiden können, oh es Felis purdalis oder Prinz von Neuwied’s Felis macroura war. Nach der Menge der Jaguar- und Tigerkatzenfelle , hauptsächlich aber nach der grossen Anzahl der Zähne , die sowohl die Frauen , als auch die Kinder als Talisman um den Hals trugen, mussten sich diese Thiere in der Nachbarschaft Maripas ziemlich häufig finden. Erst vor wenigen Tagen war in der Nähe des Dorfes ein Jaguar erlegt worden, dessen Reisszähne von einer ungemeinen Grösse zeugten, indem sie 3J/2 Zoll lang waren, und an der Wurzel einen Umfang von 3 Zoll hatten. Die Indianer erzählten uns die abenteuerlichsten Geschichten von der Kühnheit und Raubgier der Jaguare des Tuarutu- und Finden a- Gebirges, nach welchen sie dort selbst Menschen anlielen, was mir besonders in sofern nicht unglaublich schien , als beide Gebirge wenig oder gar keine Rehe und die angren- zenden Savannen ebenfalls keine wilden Rinderheerden beherbergen , die erst 100 Miles weiter nördlich wieder auftreten , so dass die blutdürstigen Thiere nur auf kleinere Vierfiissler, als: Agutis, Lahns und Pekaris angewiesen sind. Dass sich die Indianer ihre Jagdtaschen fast durchgängig aus den Jaguar- und II * 84 REISEN IN Tigcrkalzcnfellen machen, habe ich schon erwähnt; wiewohl ich aber bei einzel- nen Gelegenheiten Hunderte von Indianern versammelt sah, gelang es mir doch nur selten, unter ihren Taschen, oder unter den Fellen, die wir in den Niederlassun- gen vorfanden , zwei, drei in ihrer Zeichnung vollkommen mit einander überein- stimmende herauszufinden, indem der Grund des Felles bei dem einen röthlicher, bei dem andern bleicher , bei dem dritten bräunlicher war ; ebenso variirt auch die Grösse der Ringe, indem die einen mehr oder minder zerrissen sind, sich bald näher, bald ferner stehen , hier heller oder dunkler, dort innerhalb des Kreises stärker oder geringer gefleckt sind; ja, die Abweichung der Zeichnung gebt soweit, dass nur selten die eine Seite desselben Individuums mit der andern völlig überein- stimmt. Ich halte es daher für nicht uninteressant, wenn ich hier die Erfahrungen und Beobachtungen mittheile, die ich und mein Bruder während unserer Reise in Rücksicht auf das Katzengeschlecht gemacht, ohne dabei auf eine genauere Be- schreibung einzugehen. Azara hat im allgemeinen die Lebensart der Katzen treff- lich beschrieben. Guiana besitzt nur zwei eigentlich typische Hauptformen, für die auf der einen Seite der Jaguar ( Felis onca), auf der andern der Puma ( Felis con- color) die Repräsentanten sind , von welchen der erstere jedenfalls der stärkste, blutdürstigste und zugleich der grösste ist. Während der frühem Reise meines Bruders wurde auf den Savannen der Ufer des Padauiri, eines Nebenflusses des Rio Negro , ein Jaguarskelett gefunden, das mit Einschluss des Schwanzes 9 Fuss Länge hatte. Obschon in Britisch-Guiana allein acht gefleckte und fünf ungefleckte Katzen Vorkommen, die nicht nur von den Indianern mit besondern Namen belegt sind, sondern sich auch wesentlich durch die Färbung ihres Felles unterscheiden, so dürften bei den meisten diese vielfachen Abweichungen in der Färbung eher als Varietäten, denn als wirkliche Speciesmerkmale anzusehen sein. Leider gelang es uns nicht, von diesen von den Indianern unterschiedenen 13 Arten jede einzelne an einem vollkommenen Exemplare untersuchen zu können; wir bekamen von der grossem Zahl nur die Felle, und auch diese nur in einem verstümmelten Zustande zu sehen. Wie ich schon erwähnte, ist der Jaguar (Felis onca Lin.), Tiger der Colo- nisten, Taiteusi der Macusis , der raubgierigste und dadurch für die Rinder-, Schaf- und Schweineheerden der gefährlichste Feind. Wir fanden ihn unter einer nur unbedeutenden Abwechselung in der Färbung von der Küste bis zum Acqualor. Eine von ihm wesentlich abweichende Varietät oder Spccies(?) ist der Turtel- liger der Kolonisten. Seine Fleckung ist fast durchgängig schwarz, der Grund des Felles mehr dunkelgelbbräunlich , sein Bau zwar krallig und stark , aber doch etwas kleiner als die Felis onca. Obschon auch er auf den Meiereien bedeutende Verwüstungen unter den Beeiden anrichlet, so scheint sein Licblingsfrass doch in BRITISCH -GUIANA. 85 Schildkröten zu bestehen, denen er auf den Sandbänken auflauert, seinen Fang auf den Rücken legt , und nun an der Verbindungsstelle des Rückenschildes mit dem Brustschild mit der grössten Geschicklichkeit ein rundes Loch ausfrisst, aus dem er dann mit den Vordertatzen das Fleisch herausholt. Der Waracaba- Arowa der Arawaaks (IVaracaba nennen diese den Trompetenvogel, Psophia crepitans, und Arowa heisst Tiger) soll nach ihrer Versicherung sehr wild und blutgierig, aber nur in den dichtesten Waldungen anzutrelfen sein. Von der eigenthümlichen Färbung ihrer Brust, die ganz der des Gefieders der Psophia gleichkommen soll, haben sie ihren Namen erhalten. Der Abouya- Arowa oder Pekari-Tiger der Arawaaks, ist für seine Grösse ein ungemein kräftiges Thier. Seine Länge überschreitet nicht die von 4 Fuss, wovon 16 — 18 Zoll auf den Schwanz kommen. Die Grundfarbe ist ein gesättigtes Gelbbraun, auf dem vom Rücken nach dem Schwänze schwarze, oblonge Streifen laufen, die einen etwas dunklern Fleck einschliessen , als die Grundfarbe ist. Die Seiten des Thieres , so wie die übrigen Theile , sind mit un- regelmässigen Flecken bedeckt. Der Schwanz ist im Verhältniss bedeutend kürzer, als der der übrigen. Am häufigsten kommt er an der Küste vor, wo er namentlich viel Schaden unter den Schafen und Schweinen anrichtet. Es ist wahrscheinlich Felis parilalis (Lin.). Der Lala- Arowa hat die Grösse einer wilden Katze; der Grund des Felles ist hellbraun und die Fleckung viel grösser, als bei allen übrigen. Auch diese halten sich zum grossen Nachtheil der Hühnerhöfe der Plantagenbesitzer häufiger an der Küste , als im Innern auf. Laba nennen, wie ich schon erwähnt, die Indianer die Coelogenys Paca , der diese Katze besonders nachstellen soll. Wahrscheinlich eine blosse Varietät dieser Katze nennen die Indianer Aguti- Aro- wa; ihr Fell hat dieselbe Grundfarbe; nur die Fleckung weicht von der des Laba- Arowa ab, indem dieselbe nicht nur kleiner, sondern namentlich auch viel dichter ist. Sie hat ihren Namen von dem Aguti erhalten, das sie, wie jene das Backenlhier, besonders gern fressen soll. Wahrscheinlich ist es Felis macroura (Neuwied). Zwei bedeutend kleinere Arten nannten die Indianer Rattentiger. Ihre Grund- farbe stimmt ganz mit der unserer jungen Rehe überein, während die des Kopfes und die Nähe der Schulter abwechselnd rund und oblong gefleckt ist. Der Schwanz ist weiss und schwarz geringelt. Sie erreichen kaum die Grösse unserer zahmen Katze und ihr Rauh scheint bloss in Vögeln zu bestehen. Beide kommen nur im dichtesten Wald vor. Sie stehen der Felis tigrina (Lin.) nahe. Bei der Felis coneolor unterscheiden die Indianer den IV awula-Arowa von dem Soasoranna- Arowa; ersterer findet sich sowohl in den Wäldern der Küste, als auch auf der Savanne, letzterer nur auf den Savannen des Innern. Der tV awula-Arowa (Felis coneolor) ist schon so bekannt , dass er kcineT nähern Beschreibung bedarf. In Rücksicht seiner Stärke stellt er dem Jaguar keinesweges nach , und ein glaub- 80 «EISEN IN liaflcr Planlagcnbesitzer versicherte uns , einen geschossen zu haben, der eben da- mit beschäftigt war, ein Maullhicr, welches er überfallen, durch einen bedeutenden Planlagengraben, der nur etwa bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, und an einem daran stossenden Hügel empor zu schleppen. Wie für den Jaguar, so scheinen auch für den Puma die Hunde eine Lieblingsbeule zu sein, denen sie auf jede Weise nachstellen ; wird er aber von Hunden verfolgt, so flüchtet er sich gleich auf einen Baum, wo er in der Regel ohne Gefahr geschossen werden kann. Ebenso beutegie- rig folgen sic den Heerden der Pekaris und überfallen mit sicherem Sprunge die Nachzügler, hüten sich aber wohl, ihre Angriffe auf die Mitte der Heerden zu richten, da sie ein solch frevelndes Beginnen oft mit dem Tode würden zahlen müssen. Das Weibchen wirft jedesmal zwei Junge, bei denen sich noch dunkle Flecken unterscheiden lassen. Der Wilibisiri-Arowa ist ebenfalls eine ungedeckte Katze, die jedoch als sehr selten bezeichnet wird. Ihre Färbung wurde als ein Hellgrau angegeben , das sich am Leibe und an der Brust dem Weiss nähert , wie auch ihr Schwanz nicht die schwarze Spitze des Puma haben soll. Die Indianer nennen, wie schon erwähnt, die kleinste Rchart, welche in Guiana vorkommt, fVilibisiri , und dieser stellt jene besonders nach ; wahrscheinlich ist es Felis unicolor? Der Haeca-Arowa der Indianer (Felis Yaguarundi), dem ich oft begegnete, ist etwas grösser als unsere Hauskatze ; seine Färbung ist ein dunkles Grauschwarz, das am Bauch in ein mäusefurbenes Grau übergeht. Der Schwanz hat ebenfalls keine Ringe. Er hat seinen Namen von dem Vielfrass ( Gufo barbarus) , dem er in seiner schwarzen Färbung ähnelt, und den die Arawaa/cs Hacca nennen. Noch gefürchteter, als der gewöhnliche Jaguar und der Puma ist der schwarze Jaguar (b/ack-tiger der Colonistcn). Ob es blos eine Varietät der gewöhnlichen Felis onca ist, muss ich der Entscheidung der Zoologen anheimgeben; meiner IJcberZeugung nach aber dürfte er für mehr als eine solche, für eine besondere Spccies anzusehen sein , indem er sich nicht blos durch seine vollkommen ab- weichende Färbung, sondern namentlich auch durch seine Grösse vom Puma ebenso, wie vom Jaguar unterscheidet. Die glänzend schwarze, sammetartige Färbung und die noch schwärzere, volle Flcckung, die man jedoch nur dann wahrnimmt, wenn das Licht unter einen bestimmten Winkel auf das Fell fällt, macht dasselbe zu einem der schönsten Pelzwerke, die man finden kann. Das Thier muss äusserst selten sein, da ich während meines ganzen Aufenthalts bei den Indianern nur zwei Felle gefunden , nie aber die Iiatze selbst gesehen habe. Das eine Fell sah ich in Mot 'ncco , wo das Thier von einem Indianer in der Nähe der Mission getödlet worden war, das zweite in Fort Säo Joaquim ; beide Male aber waren die Felle durch das Abschneiden dcrFüssc so verstümmelt, dass sie zur genauen Bestimmung BRITISCH -GUIANA. 87 nicht zu gebrauchen waren. Nacli der Entfernung, in welcher das Thier in beiden Fällen erlegt worden war, muss er sich von der Küste bis zumAequator verbreiten. Am Demcrora soll er nicht so selten sein ; dort nennen ihn die Indianer Maipuri- Arowa , weil er dem Tapir besonders gern nachstellt. Sein Schwanz ist ansehnlich länger, als der des gewöhnlichen Jaguars ; in der Schädelbildung scheint er sich mehr dem Puma zu nähern. Die Indianer fürchten die übrigen zusammen nicht so, wie den schwarzen allein , da er den Menschen bei Tag und Nacht eben so blut- dürstig anfallen soll, wie den Tapir und die Rinderheerden. Allen Erfahrungen nach kommt die Felis onca und concolor häufiger an der Küste , als im Innern vor, und fast kein Jahr vergeht, in welchem nicht 20 — 30, meist in grossen Fal- len gefangen und getödtel werden. Die bedeutende Viehzucht, die namentlich auf den Plantagen und Meiereien zwischen demEssequibo und Berbice betrieben wird, scheint die Thiere besonders hierher gezogen zu haben. Haben sie einmal ihr La- ger in der Nähe einer solchen Meierei aufgeschlagen, so vergeht selten eine Nacht, wo sie nicht gegen die Ileerden auf Raub ausgehen. Gewöhnlich saugen sie dem erlegten Vieh das Blut aus und fressen von der Reute nur 10 — 15 Pfund aus der Brust, oder vom Hals und lassen das übrige entweder liegen, oder schleppen es in das nahe Gebüsch ; nur die äusserste Noth kann sie zu dem Zurückgelassenen zurückführen. So viel Feuer die Besitzer auch während der Nacht um die Hürden anzünden mögen, so sind diese doch kcinesw'egs im Stande, sie zu vertreiben. Die oben erwähnten Fallen stimmen in ihrer Conslruction ganz mit unsern Ratten- oder Marderfallen überein. Sie bestehen in einem grossen Kasten, dessen starke Bohlendecke und gleichstarker Bohlenboden nach allen vier Seiten mit star- ken Eisenstäben verbunden ist, und haben an der einen Seite eine Fallthür, die durch ein Stellbrett in der Höhe erhalten wird. In einen Verschlage, innerhalb des Kastens, der ebenfalls durch starke Eisenstäbe von dem Hauptraum getrennt ist, wird ein Schaf oder eine Ziege eingesperrt und die Falle dann an einem etwas abgele- genen Theile der Plantage aufgeslellt. So wie der Jaguar oder Puma, um die Beute zu ergreifen, durch die Fallthür in den Kasten kriecht und auf das Stellbrett tritt, fällt diese hinter ihm zu und der Räuber ist gefangen. Auf diese Weise hatte unser Freund, van Günthern, auf der Plantage Greenwick-park in einem Jahre 4 Stück überlistet, von denen es jedoch einem gelungen war, die daumenstarken Eisen- stäbe zu zerbrechen , und sich während der Nacht aus seiner Gefangenschaft zu befreien. Die Wuth des betrogenen Thiers, sein Brüllen und seine Anstrengungen, sich zu befreien, sollen etwas wahrhaft Grauenerregendes haben. Meistentheils werden die Gefangenen in der Falle erschossen. Kurz vor meiner Abreise nach Europa hatte ein junger, kühner V aqueiro von 18 Jahren auf einer Meierei in der Nähe von Deiner ara einen Jaguar, der sich der Heerde am Tage genähert, zu 88 REISEN IN Pferde mit dem Lasso gefangen und erdrosselt. Diese kühne That war wochenlang das allgemeine Tagesgespräch , und da dies der zweite Jaguar war, den er in kur- zer Zeit getödtet, erhielt er vom Gouverneur eine ansehnliche Belohnung. Dass der Jaguar die Hunde oft mitten aus dem Kreise der Indianer und aus den Meiereien herausholt , habe ich früher schon angeführt , und eben so die auf- fallende Thatsache erwähnt, dass er sich, sobald er auf der Jagd von der Meute ver- folgt wird, auf den ersten, besten schrägstehenden Baum flüchtet, wo er meist eine leichte Beute des Jägers wird. Missglückt der Schuss oder wird der Jaguar blos leicht verwundet, so stürzt er sich freilich mit unwiderstehlicher Wuth auf den Jäger, den dann nur eine andere Waffe und kaltblütige Geistesgegenwart vom Tode retten kann. Bei meiner Expedition, den Demerara aufwärts, traf ich einen Neger, der bei einer solchen Gelegenheit nicht nur seine rechte Hand, sondern auch einen bedeutenden Tlieil seiner Schultermuskeln eingebüsst hatte. Er war in Begleitung eines Indianers und seiner drei Hunde auf die Jagd gegangen ; da trieben die Hunde einen Jaguar aus seinem Lager auf, der sich zuletzt auf einen halbentwurzelten Baum Büchtet. Unter lautem Gebell umstellen ihn die Hunde, der Neger nähert sich dem Gefangenen bis auf ungefähr 18 Schritt, feuert sein Gewehr ab, trifft aber das wüthende Thier nicht tödtlich und mit zwei Sprüngen hat der verwundete Ja- guar den unglücklichen Jäger erreicht, und seine Tatzen in die Schultern desselben eingeschlagen, um ihm im nächsten Augenblick die Kehle zu zerfleischen. Um die- sen grausigen Moment abzuwenden , mochte der unglückliche Waidmann unwill- kürlich mit der rechten Hand in den blutgierigen Bachen des Raubthieres gefahren sein, denn als er wieder zur Besinnung kam , lag die röchelnde Katze und seine rechte Hand neben ihm. In dem entscheidenden Augenblicke war nämlich der nach- folgende Indianer auf dem Kampfplatze angekommen und hatte dem Jaguar sein lan- ges Waldmesser durch das Herz gestossen, ohne jedoch verhindern zu können, dass dieser im Todeskampf den schon bewusstlosen Neger noch das ganze Fleisch der Schultern , in das er seine Krallen eingcschlagen , mit herabriss. Dass der Jaguar auch von freien Stücken Menschen angreift , dafür wurden uns mehre Beweise ge- liefert. So trug einer der Begleiter meines Bruders auf seinen frühem Reisen, noch die Narben auf der Brust, die ihm die Zähne eines Jaguars verursacht, welcher, als der Indianer, noch als ein Knabe, mit seiner Grossmutter auf das Cassadafeld gehen wollte, aus dem Dickicht gestürzt war, und ihn an der Brust packte und fort- schlepple, woran er jedoch durch die muthige alle Grossmuttcr verhindert wurde, die ihn mit dem Waldmesser angriff, was ihm so unerwartet kam , dass er den linaben fallen liess und die Flucht ergriff. Ausser zu derZeit, wo das Weibchen Junge hat, scheint der Jaguar kein besonderes Lager zu besitzen , sondern nach Beule suchend , überall hcrumzu- BRITISCH -ClTI ANA. 89 schweifen. Beim Anblick von Menschen, wenn sie nicht von Hunden. begleitet sind, ergreift er niemals die Flucht, sondern geht ruhigen Schrittes weiter, wobei er sich nur dann und wann umsieht. Erst wenn ihm die Verfolger zu sehr auf den Fersen sind, und ihre Zahl seiner Kraft überlegen zu sein scheint, beginnt er einen kurzen Trott. Mit der grössten Leichtigkeit überschwimmt er die breitesten Flüsse und hält dabei seinen Schwanz gekrümmt über dem Wasser, woran man ihn schon beim Schwimmen aus ziemlicher Entfernung erkennen kann ; steigt er dann am Efer empor, so schüttelt er ganz wie unsere Hunde das Wasser erst von sich, bevor er den Landweg antritt. Umkreist er ein Bivouak oder eine Viehhürde, so geschieht dies stets unter einem ununterbrochenen Knurren; geht er erst bei Nacht auf Beute aus, so erhebt er sich unter einem furchtbaren Gebrüll , das dann den ganzen Wald durchdröhnt. Nicht nur die Indianer, sondern auch die glaub- würdigsten Colonisten versicherten uns , Augenzeugen von Kämpfen des Jaguars und Kaimans gewesen zu sein, die man bisher immer noch für Fabeln gehalten hat. Nach ihrer Versicherung soll der Jaguar in einem solchen Kampfe nur dann unterliegen, wenn seine Klauen zwischen den Bauchschilden des Gegners einge- klemmt Averden, worauf ihn dieser gewöhnlich in das nahe Wasser zieht und ersäuft; — der Kampf beginnt stets nur auf dem Lande. Die fast unglaubliche Dreistigkeit der Jaguare halte mein Bruder auf seinen frühem Reisen aus eigener Erfahrung kennen gelernt. Während seines Aufent- halts in dem Caraibendorfe Curassnwaku am liupunüni , hatte das erwähnte ver- dächtige Knurren und das wüste Geheul während der Nacht die Nähe eines Jaguars verkündet. Meines Bruders Zelt war etwa hundert Schritt von den Hütten der Indianer aufgeschlagen. Eine seiner Hündinnen hatte ein Junges, welches am Mor- gen fehlte, und bald war auch eine Hängematte , die gewaschen worden war und die er in das Zelt gelegt, so wie jede folgende Nacht ein anderes Stück, ein Tuch oder irgend ein Kochgeschirr verschwunden. Der Verdacht fiel natürlich auf die Indianer, trotz ihrer Versicherung, dass der Jaguar der Dieb sei. Alle Versuche den Urheber des nächtlichen Gebrülls zu verscheuchen, blieben erfolglos. Die Diebereien dehnten sich bald auch auf die Zelte der drei europäischen Begleiter meines Bruders aus, und der Verdacht gegen die Bewohner stieg immer mehr. Das wilde Gebrüll des Thieres halte die Gesellschaft natürlich vorsichtig gemacht; auch mein Bruder legte, als er nach einem neuen Diebstahl bis spät in die Nacht hineiu in seinem Zelt arbeitet, zwei geladene Pistolen neben sich. Eben blickt er von der Arbeit auf, als er einen Gegenstand vor sich sieht, den er aber wegen der schon ge- schlungenen Hängematte nicht deutlich unterscheiden kann; er hebt das Licht empor, und ruhig blickt ihm der Jaguar, der vier Schritt vor ihm steht, in die Augen, doch ehe er die Pistole ergriffen, war der lästige Besuch verschwunden. Die nächste II. Tlieil. 12 90 MEISEN IN IVaclit wird er durch ein Thier, das ebeu unter seiner Hängematte durchkriecht und mil dem Rücken an ihm hinstreift, aus dem Schlafe erweckt; er glaubt, es sei einer seiner Hunde, und schlägt mit der Hand wacker auf den Rücken, nicht des Hundes, sondern des Jaguars, der unter einem knurrenden Ton mit einem Satz durch die Zellwand springt. Am Morgen wurde eine allgemeine Jagd veranstaltet, auf der man zwar nicht den Ruhestörer, wohl aber die gestohlnen Gegenstände, bis auf rin Tischtuch , zerstreut im Dickicht auffand. Was das Thier zu diesen sonder- baren Räubereien veranlasst, möchte schwer zu entscheiden sein, da man bei die- ser Gattung bisher noch nie die Diebeslust der Elster beobachtet hat. Unserm zwei- ten Koch Adams w urde während der Expedition nach den Quellen des Corentijn ein ähnlicher Besuch zu Theil. Ein lauter Angstschrei weckt dort das ganze Lager aus dem Schlafe auf, und der geängsligte, heulende Adams erzählt: Er habe nicht schlafen können und wach in seiner Hängematte gelegen , da sei plötzlich ein grosser, dunkler Gegenstand auf sein Lager zugekommen, in dem er bald ein Thier erkannt, das ihn vom Kopf bis zu den Zehen beschnupperte ; starr vor Entsetzen habe er gleich einem Todten in der Hängematte gelegen , bis sich seinem Gesicht ein Paar glühende Kohlen genähert; da sei die Erstarrung gewichen , und unter lautem Hiilfsgcschrci sei er aus der Hängematte gesprungen. Das Thier war ver- schwunden und die zurückgelassenen Spuren verkündeten den Jaguar. Bei meiner Abreise von Berlin wurde mir gesagt, ich sollte, da das Museum im Besitz sämmtlichcr Vierfüssler Guiana’s sei , um den unnöthigen Transport zu ersparen, keinen der grossem Repräsentanten präpariren und einsenden ; jetzt be- daure ich dem Aufträge Folge geleistet und die angeführten Varietäten nicht präpa- rirt und eingesendet zu haben , da ich mich bei meiner Rückkehr vergeblich nach einigen von ihnen umsah. Die Menge von Körben mit Brasiliennüssen , welche ich in den Hütten von Maripa fand , zeigten, in welcher Anzahl die Berlho/lctia cxcrlsa auf dem V in- daun- Gebirge Vorkommen musste. Als mir mein Fieber einen kleinen Ausflug nach den benachbarten Nieder- lassungen erlaubte, trat ich in Begleitung einiger Indianer den Weg dahin durch Wald und Savanne an, wo die Maurilia jlexuosa eine Höhe von 100 Fuss, die Maurilia aculeata von gewiss 50 Fuss erreichte. Die kleinen dichten Gruppen und fächerartigen Wedel der letztem erhielten durch mehre gelbe und bläuliche conccntrische Streifen in der Mille ein ungemein liebliches Kolorit. Den Wald bildeten grösstentheils mächtige Ficus- Arten , deren Früchte eben in ihrer Reife standen. Farrn, Rapatca, Alpinia, Calathea und Canna bedeckten den Boden, und eine Menge der brillanten Schmuckvögel, Ampclis Po/upadora , welche die Indianer nach dem Tone ihrer heisern Stimme : «fVal/ababa« nannten, sassen B1UTISCH-GÜIANA. 91 auf den Ficus - Bäu inen , so dass wir schon in wenigen Minuten fünf Stück er- legt hatten. Wie häufig man auch in Guiana, namentlich am Dernerara die Am- pelis Cotinga (Lin.), coerulea (Tem.), cayana (Lin.) und Pompadora (Lin.), besonders in den Monaten November bis Mitte Januar, wo die Früchte und Saa- men verschiedener Ficus-, Brosimum- und Psidimn- Arten ihre Reife erhalten, findet, so sind sie doch vom März bis Ende October plötzlich aus den Wäl- dern verschwunden, wie sie mit dem Beginn des Novembers wieder erscheinen ; um so auffallender musste mir die hier eingetretene Anomalie erscheinen. Dass die erwähnten Ampelisarten in Britisch-Guiana nur als Zugvögel auftreten, scheint mir unter anderm daraus hervorzugehen, dass man bei ihrem Erscheinen wohl alle Uebergänge des Gefieders und Alters, niemals aber ganz junge Vögel findet, die wahrscheinlich in Folge der Schwäche ihrer Flugmuskeln die Reise noch nicht mit antreten können, oder während des ersten Jahres von einem Futter leben, das sie hier nicht finden. Ebenso wenig aber als ich während meines vierjährigen Aufenthaltes solche gesehen habe , sind ihre Nester den Indianern und Hinter- wäldlern (Backwoodsmen) bekannt, und doch sind letztere die vorzüglichsten empirischen Naturkundigen, die man irgend finden kann; ja ich muss erklären, dass ich keine meiner Beobachtungen und Erfahrungen über die Lebensweise der Thier- welt als stichhaltig angenommen und hier mitgelheilt habe, wenn sie nicht mit denen dieser Männer übereinstimmten. Den Berichten der Indianer ist bei weilen nicht so unbedingt zu vertrauen, als den Aussagen dieser ergrauten Hinterwäldler. Nach der übereinstimmenden Behauptung dieser und der Indianer, sollen sich die angeführten Ampelisarten nach Cayenne begeben , um dort ihr Brutgeschäft abzu- machen. Auffallend war es mir , dass ich in Bezug auf letzteres , eben so wenig etwas über die Gattungen Chasmarhynchus, Procnias und über die Species Ainpe- lis carnifex erfahren konnte , obschon letztrer das ganze Jahr hindurch hier bleibt. ln der Niederlassung des einäugigen Häuptlings , der mit dem grössten Thcil der männlichen Bewohner meinen Bruder begleitete, hatten die zurückgebliebenen Frauen die grösste Mühe, mich vor den wüthenden Hunden zu schützen. Nachdem endlich das wilde Heer durch Prügel theils zur Ruhe gebracht, theils in die Flucht geschlagen worden war, konnte ich in die grosse, geräumige und reinliche Hütte des Häuptlings treten, deren Wände statt aus Lehm, aus Baumrinde aufgeführt waren. Sowohl die Jagd- als Hausgeräthe waren mit einer Ordnungsliebe und Sorgfalt aufgehängt und aufgestellt , wie ich sie bisher unter den Indianern noch nie gefunden. Die ganze weibliche Bewohnerschaft war mit Baumwollespinnen beschäftigt; vergebens bemühte ich mich aber, sie zum Verkauf einiger der sauber gearbeiteten Waffen ihrer Männer zu verleiten. Nach kurzem Aufenthalt wandten wir uns zu einem andern Dorfe, dessen 12* 92 ItEISEN IN zwei neue, kuppellormige Hüllen uns schon aus der Ferne über die niedrigen Cu- ralella- und Bowdichia- Bäume freundlich enlgegemvinkten , wie uns auch das Lachen und Scherzen, in der grossem derselben, verrielh , dass wir zur glück- lichen Stunde gekommen waren. Die männlichen Bewohner sassen vergnügt um mehre grosse, irdene Gefüsse, gefüllt mit Paiwari , und Hessen im Verein mit den Trinkschalen zugleich mehrmals alle die Tauschartikel, vielleicht zum hundertsten Male, im Kr eise herumgehen, die sie am Tage vorher für ihre Provisionen erhalten hatten. Die Frauen waren eben damit beschäftigt, ihre Glasperlen an Schnüre auf- zureihen. Natürlich hatten sich meine Begleiter augenblicklich in dem Kreise ein- geordnet, und sprachen der Schale so wacker als möglich zu, während ich nur die Utensilien der Hütte betrachtete. Nach einstündiger Rast, während welcher man mich in Paiwari zu ertränken drohte, traten wir unsern Rückweg nach Maripa an, das wir noch vor Sonnenuntergang erreichten. Schon am Mittag des 7. Mai kehrte die Parthie von den Quellen des Takutu zurück , die mein Bruder unter 1° 5' Norderbreite , 19 geogr. Meilen westlich von Pirara getroffen halte. Von seinem Quellpunkt an fliesst der Takutu gegen N.O., nimmt unter 1° 55' einen Nebenfluss auf, der ziemlich dieselbe Grösse wie der Ilauptstrom hat und vom Vinda.ua herabkomml, schlägt sich dann gegenN.W., durchströmt einen ausgebreileten, hier und da mit Wald besetzten Savannengrund, bis ihm jenseits des Tuarutu- Gebirges und zAvar östlich, die Wasser des Waiuwau zufliessen. Von da an durchschneidet er die schon erwähnten sterilen Savannen- flächen, in denen seine Zuströme nur aus unbedeutenden Savannenflüsschen be- stehen, bis unter 3° 35' Norderbrcile und 24 Miles westlich von Pirara der Muhu auf ihn stösst, worauf sie beide vereint gegen Südwesten fliesscn, den Zuruma oder Colinga auf ihrem rechten Ufer aufnehmen , und sich dann unter 3° 1' 46" Norderbrcile, einige hundert Yards oberhalb des Forts Sau Joaquim , mit dem Rio Branco vereinigen. Sein ganzer Lauf mochte nach den Berechnungen meines Bruders etwa 200 Miles betragen. Während der letzten 50 Miles schlägt er förm- lich einen rückgängigen Laufein, indem er sich gegen den Rio Branco x onN. gegen S.W. wendet. Der Weg bis zur Quelle war für die Parthie mit den grössten Schwierigkeiten verknüpft gewesen, da er ununterbrochen durch pfadlosen Wald geführt. Alle Flussbetten, die sie durchkreuzt , halten sie ohne Wasser gefunden, bis sie nach einem vier und zwanzigstiindigen Marsch ihren Durst in dem Wasser des Takutu stillen konnten. Das Bell des Flusses halle hier noch eine Breite von 10 — 12Fuss und bestand aus einer Menge zusammenhängender Pfuhle mit einem fast schwarzen Wasser, welche Färbung seine Wellen erst dann verlieren, wenn sie die ocher- und Iclimhalligcn Savannen durehfliesscn. Nach der Färbung des Wassers nennen ßRITISCH-GUIANA. 93 ihu die IVapisianas auch Buti-vanuru oder «schwarzer Fluss«. Nachdem sie dein Ufer noch mehre Miles aufwärts gefolgt, sliessen sie in einem Dickicht von wildem Bambus und himmelhohen Bäumen auf die Quelle des Flusses selbst. Einer der Indianer der Parthie brachte einen getödteten Coaita- Affen (Ate- les Pariiscus , Gcoffr.) mit, den er in der Nähe von Maripa aus einer Heerde erlegt hatte. Es ist dies unstreitig einer der hässlichsten Affen , und als die Jäger ihn unmittelbar nach ihrer Ankunft absengten, um ihn als Abendbrod zu ver- zehren , kam mir seine Aehnlichkeit mit einem Negerkinde so überraschend vor, dass ich mich von dem Mahle abwenden musste, um nicht alle meine kaum niederge- kämpften Antipathien wieder in mir erwachen zu lassen. Die Behauptung der India- ner, dass diese Affen bei ihrer Verfolgung trockne Zweige und Früchte abbrechen, und sie nach ihren Verfolgern schleudern, wurde durch Hrn. Goodall bestätigt, der an der Jagd Theil genommen hatte. Der Ateles Paniscus ist nur auf gewisse Lo- kalitäten beschränkt. Man findet ihn meist in Gesellschaften von 16 — 20 Indivi- duen; oft auch in geringerer Zahl. Nie bemerkte ich sie auf der Erde, stets nur auf den höchsten Bäumen. Trifft sie ein Sonnenstrahl, so legen sie sich lang ausge- streckt auf die Aesle, um sich zu sonnen. Bei allen seinen Bewegungen braucht dieser eckelhafte Affe seinen Schweif. Wird er vei’folgt, so flieht er wohl mit bedeutender Schnelligkeit , springt aber weniger als die andern Affen. REISEN IN <>4 III. Vorbereitung zur Rückkehr nach Pirara. Geographische Lage Maripa’s. Theilung der Parthie. Aufbruch von Tuarutu auf dem alten Wege. Indianisches Feuerzeug. Dasypus gigan- tcus. Dasypus villosus. Dicotyles labiatus und seine Jagd. Gulo barbarus. Einschif- fung auf dem Takutu. Dicotyles torquatus. Ankunft in Tenette. Herr Fryer. Ein- trclfen der andern Parthie. Quelle des Rupununi. Pinghetle-Gebirge. Manette-Gebirge. Vorboten der Regenzeit. Aufbruch von Tenette. Calycophyllum Stanleyanum. Gebrauch der Saamen von Mimosa acacioides. Honigbiene. Rückkehr nach Pirara. Lebensmittel- transport aus Georgetown. Rückkehr Petri’s und der Boote dahin. Der Zweck unserer Expedition war erfüllt, unserer unmittelbaren Rückreise würde nichts mehr im Wege gestanden haben, wenn mein Bruder nicht noch die geographische Lage von Maripa hätte bestimmen wollen, die sich bald zu 1° 54' 37" N.li. und 51)° 45' W.L. herausstelltc. IIendrick’s Fuss war leider noch nicht soweit wieder hergestellt, dass er mit uns aufbrechen konnte, weshalb wir uns genöthigt sahen, ihn bis zu seiner völligen Genesung hier zurückzulassen. Damit er keinen Mangel leiden sollte, und sich später auch Führer zu seinem Rückweg nach Pirara dingen könnte, versahen wir ihn mit einer hinlänglichen Menge von Tauscharlikcln. Am Abend vor unserer Abreise brachte uns noch der rothmülzige, junge Indianer, der auf die Jaguarjagd ausgegangen war, ein liairuni (Dicoti/lcs labiatus), das uns unendlich lieber war, als der grösste Jaguar, da schon seil einigen Tagen unsere Kost in nichts als Vegc- tabilicn bestanden hatte. Die diesem Thierc eigenlhiimlichc Rückendrüsc, welche eine stark übelriechende Flüssigkeit absondert, hatte er, um das Fleisch essbar zu erhallen , unmittelbar nach dem Erlegen ausgeschnitten. Das Fleisch wich sowohl im Ansehen, als im Geschmack von dem unserer Schweine ab und war zähe. Die DRITISCH-GUIANA. 95 nach dem Abendessen bleibenden Reste Hessen wir während der Nacht räuchern. «Raii'» heisst bei den Macusis « übelriechend », daher auch der Name Kairuni. Der einäugige Häuptling, der uns, oder vielmehr unsere Tauschartikel ganz besonders in das Herz geschlossen hatte , so wie mehre seiner Unterthanen und Bewohner Maripds , boten sich uns zu Begleitern bis Tenelle an , was >vir um so lieber annahmen, als wir von Maripa und Tuarutu unsern Bedarf an Cassadabrod bis Pirara mitnehmen mussten, weil wir in Tenette nichts erwarten konnten. Unsere Parthie zählte beim Aufbruch 50 Individuen , die durch eine Meute von 25 Hunden begleitet wurde. In keiner Niederlassung hatte ich noch soviel und so schöne Hunde gefunden, als in Maripa. Der schönste von allen aber war Te- wanau , der von dem rolhmiitzigen Indianer für eine Flinte eingetauscht wurde. Der Hund halte eine Höhe von 1 Fuss 11 Zoll, und mass von der Nase bis zur Schwanzspitze 4 Fuss 3 Zoll, wovon allein 1 Fuss auf den Schwanz kam. Schade war es, dass das schöne Thier castrirt war, was die Tarumas eben so gewöhnlich, [wie die Brasilianer mit ihren Hunden zu tbun pliegen. Die kleine Tigerkatze wurde von einem der Indianer in einer Art Käfig getragen. Unter grossem Lärm und noch grösserem Hundegebell setzte sich endlich der Zug in Bewegung, wobei der dicke Häuptling Tuma-Tuma ruhig in seiner Hänge- matte liegen blieb und seine Cigarre rauchte. Um Mittag des zweiten Tages erreich- ten wir die Niederlassung Tuarutu wieder, und Niemand war glücklicher darüber als Hamlet, der sich abermals für verlassen und verloren gehalten hatte. Die Ein- wirkungen seiner Todesangst zeigten sich immer noch so deutlich auf dem früher so behaglichen Gesicht, dass ihn keiner seiner frühem Bekannten in diesem Zu- stande wieder erkannt haben würde. Die Bewohner von Tuarutu und seinen Umgebungen hatten Wort gehalten, und eine solche Quantität Brod gebacken, dass wir schon für den folgenden Tag, den 12. Mai unsere Weiterreise lestsetzcn konnten, die wir aber getrennt an treten mussten, da sich meine Fieberanfälle in der letzten Zeit täglich mit gleicher Heftig- keit wiederholten. Der nächste, d.h. unser alter Weg nach Tencltc war in diesem geschwächten Zustande der beste. Mein Bruder dagegen wollte den Takulu über- schreiten und mit Goodall auf dem östlichen Ufer dahin zurückkehren. Am Nach- mittag besuchte ich noch eine nahe Niederlassung, in der ich die Bewohner beim Mahle fand; sie verzehrten einen Kaimanschwanz , der aber meinen Appetit keinesweges rege zu machen vermochte. Unter den Schmausenden befand sich ein Taubstummer, ein kräftiger junger Mann von ungefähr 25 — 30 Jahren, der sich , als wir kaum ihrem Kreise näher getreten, schleunigst erhob, und in einer Ecke der Hütte mehre Waffen auf eine etwas ungeschickte Weise zu verbergen suchte, was wir uns nicht 96 REISEN IN eher erklären konnten, als bis uns Sororejng den gewünschten Aufschluss gab. Auf irgend eine Weise mochte er erfahren haben, dass wir diese Gegenstände gern ein- tauschten; um nun nicht in Versuchung zu kommen, seinen geliebten Waffen gegen ein angebotenes Messer oder dergl. untreu zu werden , hielt er es für gerathener, dieselben unsern Augen zu entziehen. Was er uns von dieser Seite unmöglich machte, suchte er durch einen grossen Vorrath von Tabak (Catvai) auszugleichen, den er uns zum Tausch anbot. Die Zubereitung des Tabaks besteht bei den Indianern ganz einfach darin, dass sie die grösseren Blätter sammeln, einige Tage einzeln im Schat- ten der Hütte aufhängen, und, wenn sie beginnen gelblich zu werden, in faustdicken Bündelchcn von der Länge der Blätter vereinigen, die sie fest mit Bast umwickeln. Den folgenden Morgen verliess ich mit Hamlet und mehren Indianern Tua- rutu, worauf auch die andere Parthie aufbrach. Hamlet, der von jetzt an beständig der zweite oder dritte in der Reihe blieb , erkannte augenblicklich die Stelle, wo er vom eigentlichen Wege abgekommen war, und zeigte sie uns unter den kläg- lichsten Mienen. Am 13. Mai erreichten wir den Felsen, auf dem wir die Jagdparthie aus Tua- rutu getroffen hatten, und ein heftiger Fieberanfall nöthigte mich , ihn zu unserm Bivouak zu wählen; —als es jedoch zum Feueranzünden kam, zeigte es sich, dass Hamlet auch das letzte der Feuerzeuge im gestrigen Bivouak hatte liegen lassen. Nur die Versicherung der Indianer, uns schnell aus der Verlegenheit zu helfen, konnte Hamlet vor mehr als einem bösen Gesicht bewahren , da dies nun schon das dritte bis vierte Feuerzeug war, das durch seine Nachlässigkeit stehen ge- blichen war. Ich halte zwar schon früher oft genug gehört, dass der Indianer auch ohne Stahl und Stein sein Feuer anzünden kann , bisher aber hatte die Ge- legenheit gefehlt, dies aus Erfahrung kennen zu lernen. Wie wir unsere Feuer- zeuge bei uns tragen , so führten unsere Begleiter zwei Stückchen Holz bei sich. Eins derselben war ungefähr einen Finger breit und einen halben Fuss lang. In die- sem befand sich etwa einen Zoll von dem einen Ende ein konisch durchgebohrles Loch , welches das Ende eines runden Stäbchens etwa um die Hälfte ausfüllte. Nachdem der Indianer unter das Loch etwas von dem Faserfilz gelegt, mit wel- chem mehre Ameisenarten ihre Höhlungen ausfüttern und den sie von einer Mc- lastomacce nehmen, hielt ein anderer Indianer das Stück Holz mit dem Loche auf dem Boden fest, indessen der andere das zweite Stück mit grosser Schnelligkeit zwischen beiden Händen in dem Loche herumdrehte; nach Verlauf einer halben .Minute fing der unlergelegte, sogenannte Ameisenzunder Feuer. Diese feine, filzige >1 asse führen die Indianer stets in einem verschlossenen Stück Bambusrohr bei sich. Obschon wir Europäer, wie auch die Farbigen und Neger es oft versuchten, auf diese \\ eise Feuer anzumachen, so blich dies doch ein vergebliches Bemühen, BRITISCTI-GUIANA. 07 mochten wir auch noch so quirlen. Die zwei Sliieke IIolz werden, wie ich später bemerkte, nur aus dem Holze der Apciba glabra ( Aub J.) geschnitten. *) Kaum loderte die Flamme unsers Feuers empor, als die Aufmerksamkeit un- serer Indianer durch ein Geräusch im nahen Gebüsche rege gemacht wurde. Augen- blicklich befanden sich Bogen und Pfeile in den Händen , und behutsam schlichen drei bis vier der Stelle zu. Eben so behutsam schleppte ich mich nach, doch bevor ich noch den Gegenstand herausfinden konnte, von dem das Geräusch in dem dich- ten Mimosengebüsche herrührte , hörte ich auch schon das Schnellen der Bogen- sehnen und das verdreifachte Geräusch des fliehenden Thieres. Die starke Bewe- gung in dem Gesträuch liess mich vermulhen , dass das Wild an meinem Standort hervorbrechen würde, was auch geschah. Es war ein riesiges Armadill, das, von zwei Pfeilen durchbohrt, seine letzten Kräfte anstrengte, sich durch das dichte Gebüsch zu drängen, woran aber die Pfeile es vielfach hinderten. Der Ruf der Jäger [brachte schnell die am Feuer zurückgebliebenen Indianer an unsere Seite, das geängsligte Thier wurde umringt , und bald war es unseren Keulenhieben er- legen. Es war der so seltene Dasjpus gigantcus (Desm.). Seine Länge betrug mit Einschluss des Schwanzes 5 Fass, seine Höhe 23/4 Fuss, und das Gewicht bestimmt 80 bis 100 Pfund. Der Knochenpanzer bestand aus unregelmässigen Schil- dern, der Haarwuchs des Leibes zeigte sich ungemein spärlich und dünn. Die Klauen waren sehr stark und lang. Die Macusis nannten es Maouraima, die fVa- pisianas dagegen Manura. Nach Verlauf einer Viertelstunde schmorte es schon in Stücke zerlegt an spitzigen Stäben über dem Feuer, das durch das herabträufelnde Fett in hellen Flammen aufloderte. Der Geschmack des Fleisches hat sehr viel Aehnlichkeit mit dem der jungen Spanferkel; leider hatte mir mein heftiger Fieber- anfall allen Appetit sosehr verdorben, dass ich von dem unverhofften, schmackhaf- ten Leckerbissen fast gar nichts gemessen konnte. Noch waren meine Begleiter mit der leckem Mahlzeit beschäftigt, als die scharfen Augen eines JVapisiana in der unter uns liegenden Savanne sich wieder etwas Lebendiges bewegen sahen ; eilend sprang er nach der Stelle und brachte bald darauf ein anderes , kleineres Armadill am Schwänze getragen. Es war Dasijpus villosus (Des///.). Nach der Aussage der Indianer soll diese Species, welche sich namentlich durch einen eigen- thümlichen Haarwuchs , der nicht nur den Leib , sondern auch die Rückenschilde deckt, auszeichnet, nur in der Savanne Vorkommen , und sich grösstentheils von Aas nähren, weshalb sie das Thier auch nicht essen; — eine Eigenthiimlichkeit, welche sie unter den sieben Species , die ich in Guiana getroffen, nur dieser zu- *) Nacli den Beobachtungen des De. Puii.ippi machen die Eingeburnen auf den Nikoba- ren, in der Bai von Bengalen, ihr Feuer auf dieselbe Weise an. II. Th eil. 13 98 REISEN IN schreiben. In einzelnen Feslgesängen der Wapisianas und Macusis spielt dieses Jassi , wie sie es nannten, eine Hauptrolle, indem jeder Refrain ungefähr mit den W orten endet: "Und wenn ich gestorben, leg mich in die Savanne, das Jassi wird kommen und mich begraben.» Ein ähnlicher Gesang ist nach von Martius auch am Bio Negro unter den Indianern gebräuchlich. Am dritten Tage erreichten wir, halb verdurstet, und ich völlig ermattet, unser alles Nachtquartier an dem Berge Aruatintiku (Tigerberg), wo wir wenig- stens noch soviel Wasser zu finden hofften , um damit unsern brennenden Durst, der durch die Fieberhitze hei mir zur wahren Tortur gesteigert war , löschen zu können, — doch selbst der letzte Tropfen war versiegt! Halb verzweifelt warf ich mich in meine Hängematte, während die übrigen davon eilten, um das ersehnte Element aufzusuchen. Nach einem zweistündigen, qualvollen Harren war auch der letzte zurückgekehrt, ohne Wasser gefunden zu haben; da erst führte mir die Noth und Qual den Gedanken zu, an der Stelle, wo früher solches gestanden, mit den Waldmessern einige Löcher graben zu lassen, in welchen sich auch nach und nach soviel von einer schmutzigen und morastigen Flüssigkeit sammelte, dass wir wenigstens den trocknen Mund, nachdem wir jene Masse durch ein Tuch geseihet, anfeuchten und den bittersten Durst löschen konnten. Als wir am folgenden Morgen eine der waldigen Oasen durchschritten, hörte ich in der Ferne ein eigenthümliches Getöse, das ganz dem Gelärm galoppirender Pferde zu vergleichen war und uns immer näher zu kommen schien. Mit dem Aus- ruf: Poinka ! spannten die Indianer ihre Flinten und Bogen , und erwarteten die Annäherung der Lärmmacher, die sich auch bald als eine unzählbare Heerde Kai- runis ( Dicohjles labiatus) erwies. Sobald diese uns erblickte, hielt sie einen Au- genblick in ihrer wilden Eile an , sliess dann ein dem Grunzen unserer Schweine ähnliches Geschrei aus und schickte sich nun zur Flucht an. Unter schrecklichem Zähneklappern und Knirschen stürzte sich das Heer an uns vorüber. Erstaunt und gefesselt durch dies merkwürdige Intermezzo unserer so lautlosen Reise halte ich im ersten Augenblick selbst unter sie zu schiessen vergossen, und wollte, da ich keinen Schuss von meinen Begleitern hatte fallen hören, eben das Versäumte nachholen, als mir der zunächst stehende Indianer das Gewehr wegzog, was mein Staunen nur noch vermehrte; bald aber sollte sich mir das Rälhscl lösen. Als das Gros der Heerde an uns vorüber war, und sich die Nachzügler näherten, wur- den die Gewehre und Bogen in Thäligkeit gesetzt, so dass wir 4 Stück in unsere Gewalt bekamen. Merkwürdigerweise verhielten sich unsere Hunde bei diesem Voriibermarsch eben so ruhig, wie wir, und hatten sich auf die Erde niedergelegt. Die Indianer erzählten mir jetzt, dass es meist mit der grössten Gefahr ver- bunden sei, in die Mitte einer solchen Heerde zu schiessen, indem sich die Thiere BRITISCH GU1ANA. 99 dann nach allen Richtungen hin zerstreuten und auf einer solchen Flucht jeden leben- digen Gegenstand, der ihnen in den Weg käme, niederrissen und mit ihren Hauern vernichteten. Hamlet, der unter dem Vorbeideliliren der erzürnten Menge zitternd und behend neben mir gestanden, bekräftigte diese Aussage durch die Versicherung, dass sein Vater auf diese Weise um’s Leben gekommen, da er an der Wunde, die er von einem Kairuni erhalten , nachdem er in die Mille einer solchen flüchtigen Heerde geschossen, habe sterben müssen. Wird unter die Nachzügler geschossen, so setzt die Hauptmasse ihren Lauf unbekümmert fort. Beim Zerlegen fanden wir zwei hochträchtige Bachen jede mit einem Jungen unter der Beule. Um das Fleisch wo möglich vor dem Verderben zu schützen, strengten wir alle unsere Kräfte an, die fVopisiana - Niederlassung am Fusse des Auuru-paru zu erreichen. Kurz vor unserm Eintritt in dieselbe störten unsere Hunde in einer kleinen Oase noch einen Vielfrass auf, den sie in die Savanne trieben, von welcher er sich aber so schnell als möglich wieder in die Oase und dort in einen hohlen Baum flüchtete , in dem er jedoch von den Hunden getödtet wurde. Es war Gulo barbarus , ein vollkommen ausgewachsenes Exemplar. Seine Länge betrug von der Spitze der Nase bis zur Schwanzwurzel 2% Fuss ; der Schwanz selbst mass 11 ’/2 Zoll. Der weissgraue Kopf, so wie die gelblich weissen Flecken der Brust stechen gewaltig gegen die glänzend schwarze Färbung seines übrigen Pelzes ab. W ie die Füchse besitzt auch er am After zwei Drüsen, die eine übelriechende Feuchtigkeit enthalten. Später fand ich gezähmte Vielfrasse bei den Indianern. Ihre gewöhnliche Nahrung sind Ratten, Mäuse, Vögel, Insekten, Früchte und Honig. Den ersteren lauern sie ganz so wie unsere Katzen auf. Sie sind ausge- zeichnete Kletterer und besteigen die höchsten Bäume, um die Nester der Vögel zu plündern oder den Honig der Bienen aufzusuchen. Abwärts klettern sie stets mit dem Kopfe voran. Am Tage gehen sie meist ihrem Raube nach und schlafen des Nachts in hohlen Bäumen. Werden sie verfolgt oder in Zorn versetzt, so richten sich die Haare ihres Schwanzes empor. Die Macusis nannten sie eben- falls Maikong , die Arawaaks aber Hacca. Sie sollen in hohlen Bäumen drei Junge werfen. Gegen 5 Uhr hatten wir die erwünschte Niederlassung erreicht, deren greise Bewohner wir abermals in den Hängematten fanden. Der alle mit der Wassersucht behaftete Mann lebte zwar noch, schien aber, nach den gebroche- nen Augen und den schweren Athemziigen zu schliessen, nur noch eine kurze Spanne vom Grabe entfernt zu sein. Seine Frau sass nahe der Hängematte am Boden und der blödsinnige Knabe am Feuer unter dem Sterbelager. So wie dieser mich beim Eintritt erblickte, floh er, einige unartikulirte Töne ausstossend, wieder in den dunkelsten Winkel der Hütte. Um die jüngern Bewohner, die ich nicht an- wesend fand, zurückzurufen, feuerte ich mein Gewehr ab, und führte dadurch 13* 100 REISEN IN eine treue Wiederholung der frühem Aufruhrscene herbei. Nach Verlauf einer \ ’ieiielstunde trafen die Gerufenen ein, während welcher Zeit meine Begleiter bereits die von unscrin frühem Aufenthalt her noch stehenden Räuchergerüste be- nutzt halten. Eben halten wir uns gegenseitig bewillkommt , als ein lauter Ruf die beiden jungen Männer und einige unserer Begleiter wieder in die waldige Sa- vanne zurüoklührte. Ich war zu ermattet , um ihnen folgen zu können, obschon mir das Wort « Poi/ika !■■ eine wiederholte Jagd auf Kainmis verhiess. Bald brach- ten die Jäger noch zwei Stück ein. Auch unter diesen befand sich eine mit einem ausgewachsenen Jungen trächtige Bache; ihre Wurfzeit scheint also in den Juni und Juli zu fallen. Die uns so unerwartet zu Theil gewordene Ueberfülle an Fleisch liess die Indianer natürlich weder an die Hängematte, noch an den Schlaf denken. Als wir am folgenden Morgen eben im Begriff waren , aufzubrechen, theillc mir der junge Indianer mit, dass, wenn ich auf dem Takulu nach Tenette fahren wolle , er mir dazu ein Corial borgen könne , in welchem nicht nur ich und zwei Ruderer, sondern auch ein Theil unseres Gepäckes vollkommen Platz hätten. Meine Ermattung liess mich gern in den Vorschlag einwilligen, während die übri- gen Begleiter dem Ufer entlang den Weg verfolgen sollten. Nach einem halbstündi- gen Marsche in nordöstlicher Richtung erreichten wir den Takulu. Das Bett des Flusses war hier förmlich mit Granitblöcken überfüllt, zwischendenen sich in 3 — 4 Fuss breiten Kanälen das Wasser hindurchdrängte, so dass man über diesen Fel- sendamm das jenseitige Ufer trocknen Fusses erreichen konnte. Wir fanden in dem verheissenen Corial ein so gebrechliches und durchlöchertes Fahrzeug, dass ich schon von meinem gefassten Entschluss absichen wollte; doch die rüstigen Hände hatten das eingedrungene Wasser bald ausgeschöpft, das fernere Eindringen durch das Flop feu der Oelfn ungen zu verhindern gesucht und das Gepäck hineingelegt. Nach- dem die Landpartie im Gebüsch des entgegengesetzten Ufers verschwunden war, machten wir unser Fahrzeug Hott. Obschon wir auf weiter keinen Cataract sliessen, bereute ich es doch bald genug, mich dem gebrechlichen Fahrzeuge anverlraut zu haben, denn das Wasser drang bald wieder in solcher Ueberfülle ein, dass ich, da die beiden Indianer vollkommen mit dem Rudern beschäftigt waren , dasselbe nicht schnell genug ausschöpfen konnte. Um mir meinen Entschluss noch mehr zu verbit- tern, schiillelle mich mein täglicher Fieberanfall während der ermüdenden Anstren- gung des Ausschöpfens so gewaltig, dass ich kaum meiner Sinne noch mächtig war, als wir endlich an der Mündung des Cursorari ankamen, wo wir die Landpartie bc- reils im Schallen gelagert und mit dem Zerlegen eines Tujussu (Dicoty/es lorqualus) beschäftigt fanden , den sie kurz vorher geschossen hatten. Diese Species lebt nie in grossem Heerde n zusammen, sondern kommt grösstenteils nur paarweise vor, BRITISCH- GUIANA. 101 so dass es auch zu den seltenen Fällen gehört, wenn man 6 — 8 auf einer Stelle vereint findet. Das eingedrungene Wasser hatte manche meiner Packete so durchnässt, dass wir ihren Inhalt erst an der Sonne trocknen mussten, bevor wir nach Tenette auf- brechen konnten. Bald war es geschehen, und von dem Ficberanfall erschöpft, wankte ich nun der ersehnten Niederlassung zu. Schon aus der Ferne zog ein Mann meine Aufmerksamkeit auf sich, der sich mit Bogenschiessen vergnügte und in dem ich bald Herrn Fryer erkannte, der uns freudig entgegen sprang und drei Schritt vo mir mit bestürzten Mienen stehen blieb , da er mich , ein vom Fie- ber abgemattetes und abgemagertes Skelett, kaum wieder erkannte. So verwundert Fryer über mein Aussehen war, eben so nicderschlagend wirkte das Nein auf mich, welches ich auf meine erste Frage : ob er Chinin bei sich habe, erhielt. Unser Freund war schon seit acht Tagen in Tenette , hatte Petri in Pirara ausser Gefahr verlassen, und da die Bewohner ihm unsere Marschroute nicht genau angeben konnten , hatte er sich entschlossen , uns hier zu erwarten , wohin wir, wiedas zurückgelassene Gepäck bekundete, zurückkehren mussten. Der Frage nach Chinin folgten natürlich eine Menge anderer nach unsern Freunden in Pi- rara , die schon bei seiner Abreise von dort täglich der Ankunft eines Trans- ports Lebensmittel aus der Colonie entgegengesehen hatten, und ich erhielt sie alle günstiger beantwortet, als die erste. Eine besondere Freude war mir noch aufbe- halten. Meine Fiisse waren, wie meine ganze Persönlichkeit, durch die 200 Miles, die ich auf Sandalen zurückgelegt, in einen solch verzweifelten Zustand gekommen, dass sie Fryer’s ganzes Mitleiden rege machten, und er mir gern und willig das Beservepaar seiner Schuhe anbot, das er mit von Pirara genommen. Damit wir bei unserer Ankunft in Pirara alles in einem comfortablen Zustand finden möchten, kehrte Fryer schon am folgenden Morgen dorthin zurück. Der nächste Tag brachte uns auch die andere Parthie. Sie hatten von Tuarutu aus ihren Weg durch waldige Savannen fortgesetzt, gegen Abend den Takutu erreicht, und sein etwa 80 Fuss breites Bett trocknen Fusses auf den grossen Granit- und Gneisblöcken überschritten, die dasselbe förmlich ausfüllten. Am folgenden Tag überschritten sie die höchste Erhebungsstelle zwischen dem Rupununi und dem Takutu , die sich ungefähr 150 Fuss über dem Spiegel beider erhob; der Rupununi lag 6 Miles, der Takutu 12 Miles von ihr entfernt. Am Nachmittag «rreichten sie in N. 56° O. Richtung die /Fap?5?«?za-Niederlassung Cau-urua unter 2° 28' 25" Norderbreite. Da das Bett des Rupununi nur 1 ]/2 Miles in ostnordöstlicher Richtung von hier entfernt lag, ging mein Bruder dorthin und fand den Fluss bereits als unbedeu- tenden Bach mit schwärzlich gefärbtem Wasser, dessen Quelle sich nach der Aus- 102 REISEN IN sage der Indianer etwa eine Tagereise von da auf einer Savanne zwischen einer Gruppe Mauritiapalmen befinden sollte. Nach den Erfahrungen , die wir eben so- wohl an dem Takutu, wie Rupununi, dem Demerara, wie Barima, in Bezug auf die Färbung ihrer Quellwasser gemacht haben, scheinen fast alle Gewässer Guiana’s diese auffallende Eigentümlichkeit zu besitzen , und es steht demnach wohl zu er- warten, dass sich diese auch bei denen des Orinoko heraussteilen wird. Alexander von Humboldt beschränkt diese merkwürdige Thatsache auf die Länderstrecke zwischen der fünften nördlichen und zweiten südlichen Breilenparallele , aber die Quellwasser des Barima sind , obschon sie viel nördlicher liegen , doch noch eben so schwarz, als die des Takutu und Rupununi. Nachdem sie am 14. das Flüsschen Cau-urua und eine pfadlose Savanne über- schritten, kreuzten sie den Fluss Canaru, der sein Wasser dem Rupununi zu- führt , und erreichten eine Niederlassung , die an dem Abhänge des Pinighette- Gebirges errichtet war. Der höchste, in einer Pyramide auslaufende Punkt des Gebirges erhob sich etwa 900 Fuss. Den nächsten Morgen folgten sie dem von dem Paiwu-yau bewässerten Thale, das sich zwischen dem Pinighelte- und Ma- w/e^e-Gcbirge hinzieht, und Hessen den etwa 2500 Fuss hohen Duruau etwa eine Mile gegen N. 15° O. liegen, von dem sich eine ganze Gruppe, nur durch schmale Pässe getrennter Iliigel in west bei nördlicher Richtung gegen das Cursato- Gebirge hinzog. Gleich ermattet, wie wir es gewesen, trafen sie endlich am 16. in Te- nette ein. Schon seit 14 Tagen hatte sich der Himmel periodisch bewölkt gezeigt, jetzt aber war das heitere Blau in ein gleichförmiges Grau umgeschlagen , ein sicheres Anzeichen der nahenden Regenzeit, welche dieses Jahr merkwürdig lange auf sich hatte warten lassen. Die Temperatur der Tage vom 16. bis 18. Mai zeigte um 6 Uhr Vormittags: 73° 25', um 9 Uhr: 78° 17% um 12 Uhr: 85°, um 3 Uhr Nachmittags: 88° 33' und um 6 Uhr 80° 33' Am 17. entlud sich unter einem starken Regen das erste Gewitter über Tenette. Der Takutu war während unserer Abwesenheit noch mehr versiegt, und wir mussten daher am 18. Mai unsern Weg nach Pirara zu Fuss antreten, wohin uns die Indianer aus Tuarutu , um die schwarzen Soldaten zu sehen , begleiteten. Nach einem anstrengenden Marsch unter den heiligsten Regengüssen , erreichten wif endlich die Ufer des Flusses Scabunk oder Cutu-auuru , wo wir in einer wal- digen Oase übernachteten , nachdem es uns erst nach vielfach vergeblichen Ver- suchen gelungen war, Feuer anzumachen, um unsere durchnässten Kleidungsstücke trocknen zu können. Schon ehe wir die Oase erreicht, halten eine Menge 50 — 60 Fuss hoher Bäume unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen , die vollkommen in BRITISCH- GUIANA. 103 eine dunkel Rosablütliendecke eingehüllt zu sein schienen; — jedoch nicht Blüthen, sondern Bracteen waren es, die dem Baume dies liebliche Aussehen verliehen. Am Rupununi fanden wir später denselben Baum auch in Bliithe; es war ein neues ('ahjcophyllum , das C. Stanley anwn (Schornb .) genannt wurde. Seine lieblich gefärbten Bracteen, unter deren Menge die grünen Blätter fast spurlos verschwin- den , machen den Baum zu einer der grössten Zierden einer tropischen Land- schaft. Eine gleich interessante botanische Erscheinung waren für mich eine grosse Anzahl Bäume der Mimosa acacioides (Benth.), Parten oder Paricarama der Indianer, deren Saamen die Indianer Britisch- Guiana’s zu denselben Zwecken wie die Otomaks und Guajibos am Orinoko die Bohnen der Acacia Niopo (Hamb. Bonp.), die asiatischen Völkerschaften das Opium benutzen. Sie stossen die Bohnen zu einem feinen Pulver, brennen dieses an und athmen den Rauch ein oder reiben sich dasselbe in die Augen und Ohren. Beides setzt sie bald in einen trunkenen und extatischen Zustand, der mehre Stunden anhält und in seinen höchsten Stadien an Verrücktheit grenzt, worauf eine starke Ermattung und Erschlaffung eintritt. Am folgenden Morgen setzten wir bei heiterm Himmel unsern Weg durch die pfadlose Savanne fort, wobei uns der Takutit ungefähr 2 Miles zur Linken liegen blieb. Unser Cours richtete sich nach dem westlichen Ausläufer des Canuku-Gehir- ges. Wir kreuzten am Nachmittag den Sawara-auuru , dessen Wasser in Folge des gestrigen Regens schon so bedeutend angeschwollen waren , dass wir unsern Uebergang erst nach Besiegung einer Menge Schwierigkeiten , die uns die vielen runden Quarz- und Granitblöcke in den Weg legten , bewerkstelligen konnten. Noch war der Tag nicht soweit vorgerückt, um unser Bivouak schon jetzt aufzu- schlagen , weshalb wir den Weg fortsetzten; freilich, um dies später sehr zu- bereuen , da wir uns , ungeachtet des gestrigen Regens , vergebens nach Wasser umsahen. Namentlich durch ein 1 */> bis 2 Fuss hohes, hellgrünes und bläuliches, von der Luft bewegtes Gras, das gewöhnlich an sumpfigen Stellen und in grossen Flächen vorkommt, welche ganz das Aussehen eines wogenden Wasserspiegels haben, wurden wir so oft getäuscht, dass wir schon an der Erfüllung unseres brennenden Wunsches verzweifelten, als unsere Ausdauer doch noch in einem Pfuhl mit einer fast zur Consistenz verdickten Flüssigkeit in der Nähe des Fusses des Cura- tawuibitri, des westlichen Ausläufers des Canitku - Gebirges , belohnt wurde.- — Freudig begriissten wir die dunkle Flüssigkeit und schlugen unser Lager unter einigen Curatella- und Bowdichia - Räumen auf. Wo das Wasser nur noch etwas Tiefe hatte, Avar es förmlich mit dem schmackhaften Fische Erithrynus unilae- niatus erfüllt, die so die leichte Beute unserer Begleiter wurden. Zu diesem uns sehr willkommenen Gericht gesellte sich bald ein zweiter Leckerbissen, nämlich eine grosse Menge Honig. Mehre herumsummende Bienen hatten die stets 104 REISEN IN achtsamen Indianer zu einer genauem Untersuchung der nahen Curalclla- und ßowdichia-TSiimne veranlasst, und bald verrielh uns ihr lauter Ruf, dass ihre Mühe nicht vergebens gewesen. Diese interessanten Honigbienen befestigen ihre oft 2 — 3 Fuss langen Nester, die ihrer Substanz und innern Construction nach ziemlich mit denen einer unserer Wespen übereinstimmen, an die Zweige der Bäume. Die Zellen innerhalb dieses Papierbaues bestehen ebenfalls aus sechsseitigen , papier- artigen Prismen und enthalten die Larven und den Honig. Dieser unterscheidet sich von dem säuerlichen der kleinen, stachellosen Biene, die ihre Nester in hohle Bäume baut, durch seine grosse Süssigkeit. Der Körper der etwra 4/, 0 Zoll langen Biene ist dunkelbraun und dicht behaart. Die Unterflügel sind schwarz mit rost- farbenem Rande. Ihr Stich ist äusserst schmerzhaft. Die Macusis nannten die Biene W ampang , di e, IVapisianas \ Camuiba. Unsere Begleiter banden Bündel trocknen Grases an eine Stange, zündeten diese an und hielten sie unter die Nester , so dass die gefährlichen Eigentümer von dem Rauche vertrieben wur- den. Die Larven waren den Indianern ein eben so grosser Leckerbissen, als uns der Honig. Im April und Mai scheinen die Zellen am meisten mit Honig gefüllt zu sein. Die schon erwähnte stachellose Biene baut ihre Nester in hohle Bäume und sammelt zugleich auch Wachs. Den oft y2 Fuss langen trichterförmigen Eingang in ihre Wohnung bildet sie aus einem Gemeng von Wachs und Lehm. Das schwarze Wachs , dessen Färbung sich durch keine Manipulation entfernen lässt, benutzen die Indianer zum Ueberziehen ihrer Jagdköcher ( 'Mujeh ) und zu Lichtern. Die Macusis nannten diese Species Mapn. Der folgende Morgen sollte uns wieder eine jener zauberhaften Tropenland- schaftcn bringen , auf denen das Auge des Nordländers anfangs mit so tiefer Ver- wunderung haftet, bis endlich das stumme Entzücken in dem Ausruf des Staunens Worte erhält. Mitten aus einer weiten Savanne erhob sich vor uns ein spärlich be- waldeter, isolirter Hügel von ungefähr 150 Fuss Höhe, durch dessen dunkel- und saftgrünen Teppich sich zahllose weisse Stellen hinzogen. Der Weg führte uns an seiner Basis vorüber. Riesige Granitblöcke umsäumten den Fuss, bedeckten die Abhänge und krönten den Gipfel , zwischen denen Hunderte von Agave vivipara mit ihren blüthengcschmücklcn, oft 40 bis 50 Fuss hohen, an der Basis meist 2Fuss starken candelaberartigen Bliithenstengeln hervorragten, und mit vereinzelten Wald- bäumen abwechseltcn. Wir hatten uns gelagert, um den Reiz dieses Zauberhügels in seiner ganzen Fülle zu gemessen, da schüttelte mich wieder mein Fieber und erlaubte uns erst nach einigen Stunden den Weg forlzusetzen. Nachdem wir den westlichen Ausläufer des dichlbewaldcten CVjwMÄw-Gcbirges umgangen, folgten wir dem nördlichen Abhange in einer Entfernung von lbis2Mi- les durch dichte Palmen-, Mttsacccn-, Zingiberacecn- und Canti acecn-Wi\ I d u nge n , BRITISCH-GUIAINA. 105 überschritten das Flüsschen Maripa-oute , das seinen Namen von der zahllosen Menge der Maximiliana regia hat, die seine Uferuinsäumung bildet , und deren Früchte die Macusis «Maripa » nennen, worauf wir eine kleine Savanne betraten, auf der wir mitten im üppigsten Leben , die düstern , feuergeschwärzten Ruinen einer zerstörten Niederlassung sahen , die laut klagend einen brasilianischen Skla- vengang verkündeten. Weit über die dunkle Vegetationsmasse erhoben sich zu unserer Rechten die steilen Felsenmassen des Ilamikipang , und riefen mir die glückliehen Augenblicke in die Erinnerung zurück, die ich dort genossen. Bald schloss uns wieder der dichte Wald ein, bis wir einer zweiten Niederlassung be- gegneten, in der mein Bruder im Jahre 1838 mehre Tage verweilt hatte, und welche seitdem die Brasilianer ziemlich der Erde gleich gemacht. Am Abend er- reichten wir Curatu-kiu , wo in der Zwischenzeit ebenfalls eine Veränderung vor- gefallen war. Vergebens suchte ich nach der Hütte des greisen Giftkoches ; eine frische Brandstelle und der darin aufgeworfene Hügel bezeugten , dass sie die Ge- beine des berühmtesten Giftbereiters der Macusis deckten ! An die Stelle der frü- hem Ordnung innerhalb seines gefürchteten Laboratoriums, war jetzt die grösste Verwirrung getreten; Trichter, Töpfe, Vorräthe von der Rinde der LrarZ-Pllanze, alles lug wild durcheinander, und mit dem Tode des Giftbereiters schien auch der Zauber aus dem Raume gewichen zu sein, denn ohne Furcht und Scheu ging jetzt Alt und Jung in das zu verschiedenen Zwecken benutzte Haus ein und aus, — ruhig hingen wir für die Nacht unsere Hängematten darin auf Mit dem Vorsatz, Pirara noch heute zu erreichen, brachen wir am folgenden Morgen schon vor Tagesanbruch auf, denn 28 Miles sind unter einer tropischen Sonne eine ungewöhnliche und äusserst anstrengende Fusstour! — Jenseit der ein- zelnen Hütte, in der ich auf meiner Reise nach dem Ilamikipang übernachtet, be- traten wir eiue gänzlich bäum- und gesträuchlose Savanne, in der an mehren Stel- len selbst jede Spur von Vegetation verschwunden war. Fast schien es, als wollte uns heute die Sonne und der Durst noch einmal alle die Qualen fühlen lassen, welche sie auf dieser Expedition so häufig über uns verhängt hatten. Gegen Mittag zeigte das Thermometer 124° Fahrenheit, die wir nur um so drückender empfan- den, als unser Weg für lange Zeit ununterbrochen über scharfe, spitze und er- hitzte Quarz- und Conglomeratfragmente hinführte, und wir vergebens unsere Blicke nach dem labenden Anblick von Wasser ausschickten. Die Indianer eilten nach jeder Vertiefung, die sich indem im Allgemeinen völlig gleichen Niveau der Savanne zeigte, kehrten aber jedesmal niedergeschlagen und langsam zurück ; selbst das Bett des Nappi zeigte uns nichts als zahllose leere Gehäuse der Ampullaria guianensis. Endlich trafen wir in einer Vertiefung in dem Bett des Qua /je eine von Vögeln und Thieren verunreinigte, schmutzige, dicke, grüne, schlammige II. Thal. 14 106 REISEN IN Masse, die zugleich der Lieblingsaufenthalt, einer Anzahl von Fröschen und Kröten zu sein schien, weshalb wir die Flüssigkeit erst durch ein Tuch seihen mussten; — aber auch dann war dieselbe wegen ihrer Bitterkeit nicht trinkbar, und wie wir selbst unsern Mund damit nicht anfeuchten mochten, so fuhren auch die Hunde, als sie ihren Durst stillen wollten, scheu davor zurück. Einige Hütten, die wir auf einem Hügel gegen Osten entdeckten, Hessen uns den Umweg von mehren Stunden und den Weg durch oft 6 — 8 Fuss hohes, schilfartiges Gras nicht achten, denn dort musste ja Wasser sein! Doch noch ehe wir dieselben erreicht, wurde unser bren- nender Durst gelöscht. An der Basis des Hügels, auf welcher die Niederlassung stand, fanden wir mehre tiefe, von den Bewohnern gegrabene Löcher, die, wenn auch nur spärlich , das ersehnte Element enthielten. Gierig schöpfte jeder den kühlenden Trunk ; die Hunde Hessen sich weder durch die Stimme ihrer Herren, noch durch Prügel von dem Wasser zurückhalten, und sprangen gerade zu in die Löcher hinein, um ihren Durst, noch eher als wir den unsern , zu löschen. In den Hütten fanden wir nur eine freundliche Hausfrau, die uns augenblick- lich frisches Cassadabrod und den mit dem schmackhaften Fleische des Hokkohuhns angefüllten PfelFerlopf vorselzte. Die Männer waren nach Pirara gegangen , um beim Transport des Gepäckes, das die Militairboote aus der Coloniestadt gebracht, behülflich zu sein. Alle Strapazen des Tages waren in dieser fröhlichen Kunde vergessen, warteten unserer doch jetzt Briefe aus derHeimath, kurz alles, wo- nach sich Seele und Leib sehnte ! — Schon nach einstündiger Rast waren wir wieder auf dem Wege, um in der Niederlassung Awarra zu übernachten; — denn unsere Füsse versagten uns den fernem Dienst! Wir hatten heute bei einer Hitze von 120° Fahrenheit einen Weg von 20Miles durch olfene Savannen zurückgelegt. Da mehre unserer Begleiter aus Awarra waren, so erregte unsere Ankunft die freudigste Aufregung, und Alt und Jung kam herbei, um die Angehörigen zu begrüssen ; mit freundlichen Gesichtern , die Trinkschale in der Hand, eilten die Frauen ihren langabwesenden Männern entgegen , ohne dass diese auch nur eine Miene verzogen hätten. Ruhig und gleichgültig nahmen sie ihnen die Trinkschale ab, tranken sie aus und gaben sie zurück, ohne ein Wort, noch einen Händedruck für sie zu haben ; eben so ruhig Hessen sie sich die Bürde abnehmen, aus der so- fort die Hängematte herausgewickelt und an der alten Stelle aufgehangen wurde, in die sich der gestrenge Herr Gemahl hineinwarl, mit gleichgültigen Blicken auf das freudestrahlende Gesicht der Frau, wie auf die jubelnden Kinder sehend , die in wilden Caprioien den heimgekehrten , jetzt ruhenden Vater umsprangen. — Trotz dieser äussern Gleichgültigkeit schlägt das Galten- und Vaterherz im Innern eben so warm, wie bei uns daheim, aber diese Gefühle in Gegenwart von Fremden laut werden zu lassen, dagegen sträubt sich der Stolz des Indianers, der sie unter- BRITISCH-GUIANA. 107 drückt, bis er sich unbeachtet ihnen so verschwenderisch hingeben kann, als dessen nur immer ein Europäer fähig ist. Wie oft war ich später noch unbeachteter Zeuge solcher Scenen ! So lange irgend einer von uns bei einer solchen Rückkehr in der Nähe der Hütte war, hatte der Mann weder ein Wort für die Frau, noch für die jauchzenden Kinder; — für letztere höchstens einen strafenden Blick , dass sie noch nicht Meister ihrer Gefühle waren. Schweigend traten die Männer in die Hütte, warfen sich in die Hängematte, nahmen der mit der Frage : "bist du ge- kommen?" sich nähernden Frau , höchstens mit der Antwort : »ich bin da,» die Trinkscbale ab, und erst, wenn wir uns entfernt und das Getränk seine Wirkung gethan, fingen sie an, ihre Reiseerlebnisse zu erzählen. Auch aus Awarra waren mehre Männer nach Pirara geeilt , um bei dem Transport des Proviantes nach der Station behülflich zu sein. Der 22. Mai war ein Sonntag, um daher noch vor dem Beginn des Gottes- dienstes in Pirara einzutreffen, fand uns die aufgehende Sonne schon auf der Hälfte des Weges. Gegen acht Uhr erreichten wir die grosse Oase, die sich südlich von Pirara hinzieht, und dasselbe noch unsern Blicken verbarg. Kaum hatten wir sie durchschritten und dem freundlichen Dorfe , so wie dem Fort unser herzliches und fröhliches »Willkommen» zugerufen, als uns 20 Kanonenschüsse die Erwiederung entgegenbrüllten. Sobald wir aus der Oase herausgetreten, hatte man uns von dort bemerkt, und uns die Freude über unsere Rückkehr durch diesen Salut zu erken- nen geben wollen. Der laute Gruss verwandelte das bis jetzt noch ruhige Pirara in einen aufgeregten Ameisenhaufen , und bald hiess uns Herr Youd und Fryer in dem in unsrer Abwesenheit ganz veränderten Dorfe willkommen. Die Zahl der Hütten, wie der Bewohner hatte sich in gleichem Masse vermehrt, und o Wunder! fast der ganze weibliche Theil derselben trat uns in einem reinlichen Anzug mit sauber gekämmten und geflochtenen Haaren entgegen. Der Unterricht, welchen die verstorbene Frau Youd früher den Indianerinnen im Nähen ertheilt, war nicht vergessen, der von Herrn Youd mitgebrachte Kattun war schnell in Kleider ver- wandelt worden , und der weite , faltenreiche Rock , der von den Hüften bis zum Knie reichte, erhöhte die natürlichen Reize der jungen, meist schönen Gestalten ungemein. Die Ruderer der aus der Colonie angekommenen Proviantboote trugen ausserdem noch viel zu der ungewöhnlichen Lebhaftigkeit bei. Mitten in dem Jubel der ersten Bewillkommnung trieb mich ein neuer Anfall des Fiebers zum Medizinkasten, um dasselbe durch eine Dosis von 18 Gran Chinin aus seiner bisher unbestrittenen Herrschaft zu vertreiben. Auch der arme Petri, den Arm in der Binde, kam, um uns seinen Gruss zu bringen; er sah noch jäm- merlich genug aus! Die Wunde war noch immer offen, vollkommene Heilung stand aber hier nicht zu erwarten, weshalb auch beschlossen wurde, dass er mit den Mi- 14» 108 REISEN IN litairboolcn nach Georgetown zurückkehren sollte, um im dortigen Hospital seine Genesung und Heilung abzuwarten. Wir waren gerade zwei Monate von Pirarn entfernt gewesen , und hatten über 500 Miles zurückgelegt, aber trotz der ungewöhnlichen Hitze und Anstren- gung war, ausser Petri und mir mit meinen 32 Fieberanfällen, Niemand ernstlich krank gewesen ; auch hatte, ausser einem Thermometer, keins der astronomischen Instrumente Schaden gelitten. Kaum halten wir unsere Wohnung in Besitz genommen , als das gesammle Offiziercorps, das sich durch die Ankunft eines jungen Arztes um eine Person ver- mehrt hatte, ankam, um uns nun mit herzlichem Händedruck zu bewillkommnen, und uns ein ganzes Packet Briefe aus der Heimalh und Zeitungen aus Georgetown zu überbringen. Unsere Fragen an Herrn Bolby , den neuen Arzt, über den und jenen in Georgetown konnte uns dieser freilich nicht beantworten, da er unmit- telbar nach seiner Ankunft die Colonicsladt schon wieder hatte verlassen müssen, um mit dem Proviantcommando nach Pirara zu gehen. Desto mehr Neuigkeiten hallen uns unsere Freunde vom Fort mitzutheilen , unter denen- sich aber nicht gerade viel Erfreuliches befand ; die grösste Hiobspost war die, dass sich die Bra- silianer ernstlich rüsteten, um die ihnen durch die Besitznahme Pirara’ s angethane Schmach abzuwaschen. Schon sei die Miliz des Rio Negro und Rio Rranco unter die Waffen gerufen , zwei Regimenter regulärer Truppen befänden sich von Para herauf dem Marsche, die Besatzung des Forts Saö Joaquim sei bereits mit der Mannschaft der nächsten Festungen des Rio Negro verstärkt, und obgleich der Kommandant von Saö Joaquim während unserer Abwesenheit seine freundlichen Gesinnungen durch öftern Besuch bewiesen, und seinerseits ungestört den gewinn- bringenden Handel mit Vieh, Proviant, ethnologischen Gegenständen, namentlich Federputz der Mundrucus , Guinaus und Pauixanas , die den Parirna und Rio Rranco bewohnen, fortgesetzt, so könne dies doch nicht mehr lange anhallen, da die ankommende Militairmacht seinem freundlichen Verkehr bald ein uinibcrsteig- liches Hinderniss in den Weg legen würde. Auch der Frater Jose dos Santos In- vocentes setzte nicht allein in eigener Person den verlockenden Handel mit dem Feinde fort, sondern liess derselben noch lebhafter durch seinen Amanuensis Aberisto betreiben; — und konnte man cs den Armen verdenken? — Capitain Antonio de Rarros Leu! halte, wie er den Offizieren klagte, seit 4 Jahren , die Besatzung im Fort seit 3 Jahren , und der arme Pater Jose sogar seit 10 Jahren keine Besoldung erhalten! Was Wunder daher, dass sic mit willigen Händen die Gelegenheit ergriffen , die vollen Taschen des Feindes zu leeren. Leider wurde der arme Kommandant bald darauf von einer neidischen Parlhei niederer Beamten in Para angeklagl, dem Feinde nicht nur Pferde und Kühe, sondern auch Lebens- BRITISCH-GUIANA. 109 mittel verkauft zu haben , was für ihn den Verlust der Connnandantenstelle nach sich zog. Bei alledem waren unsere schwarzen Helden vom besten Muthe beseelt, und nachdem ich später die Jammergestalten des brasilianischen Mililairs gesehen und kennen gelernt hatte , war ich auch fest überzeugt, dass jeder unserer Neger vier auf sich hätte nehmen können. Als uns die Offiziere wieder verlassen, fielen wir mit einem wahren Heiss- hunger über unsere Briefe her und genossen, indem wir sie lasen und wiederlasen, wahre Freuden- und Jubelstunden. Mit dem Lesen der Zeitungen mussten wir freilich sparsamer verfahren, denn die lange, einförmige Regenzeit von 3 Monaten stand vor der Thür , und eine haushälterische Vertheilung der bereits altbackenen Neuigkeiten war daher um so rathsamer. Den Morgen des 24. Mai, des Geburtstages der Königin Victoria, begrüssle das Fort mit einer Kanonensalve. Alle Flaggen desselben und Pirara’s wehten lustig im frischen Morgenwinde, und unsere kleinen Böller, so wie mehre Kanonen- schläge, die schon am gestrigen Tage zu diesem Zwecke verfertigt worden waren, erwiederten den lauten Gruss. Alles war in grosser Gala. Ein gemeinsames, heite- res Mittagsmahl, bei dem der eben angekommene Weinvorrath der Offiziere eine starke Lücke erhielt, eine doppelte Ration Rum an die Besatzung, eine einfache an die Bewohner Piraras vertheilt, machten den Tag, und ein am Abend abgebrann- tes Feuerwerk auch diesen zu einem der heitersten, die Pirara noch gesehen. Merkwürdigerweise wich diese fröhliche und ausgelassene Stimmung auch die näch_ sten Tage nicht von einem Tlieil der braunen Bevölkerung, die eben noch mit dem Transport der Rumfässer vom Landungsplatz des Pupununi nach dem Fort be- schäftigt war, und als wir selbst noch nach Beendigung dieses Transportes einzelne betrunkene Indianer bemerkten, unterlag es keinem Zweifel mehr, dass sie zu Dieben geworden waren. Indess konnten wir nicht eher strafend auftreten, als bis wir das gestohlne Gut, welches nach des Commissär Low Behauptung gar nicht aus den Fässern stammen sollte , da er diese alle voll und ohne Spur einer Oeff- nung gefunden , selbst bei ihnen entdeckt. Das nächtliche wilde Jauchzen in den Hütten verrieth uns wohl die Bachanalien, aber die um die Hütten als Wachen aus- gestellten Knaben, machten es uns unmöglich, sie ungewarnt dabei zu beschleichen und sie mit dem corpus delicti zu überraschen. Mehre Tage blieben alle Versuche vergebens ; — selbst die gemachten Versprech ungen blieben fruchtlos , bis endlich Ilr. Yood dem Betrüge auf die Spur kam. Leider war sein Amanuensis, Godfrev, ein junger, intelligenter Indianer, der in Bartika Grove erzogen und Herrn Youd nach Waraputu gefolgt war, wo er ihn beim Unterricht unterstützt hatte, der An- stifter des Diebstahls gewesen. Auf seine Anleitung hatten die Indianer mit eiser- nen Nägeln in jedes Fass unten und oben ein Loch gebohrt, um den Rum heraus- 110 REISEN IN laufen zu lassen, und damit eine Flasche nach der andern zu füllen; mit Wasser waren die decimirten Fässer wieder angefüllt und dann die Löcher so meisterhaft mit Wachs verklebt worden , dass dieselben sogar den scharfen Augen des Herrn Low entgangen waren. Der grösste Theil des Raubes war natürlich dem durch- triebenen Rädelsführer zu Theil geworden, der damit bis zur Stunde des reuigen Geständnisses einen gewinnbringenden Handel in den benachbarten Niederlassungen getrieben, in welchen sich in Folge des Lohnes für den Transport eine Menge Geld befand. Ein ansehnlicher Theil der Bewohner Pirara's und der übrigen nahen Nie- derlassungen halte von dem gestohlnen Lieblingsgetränk gekauft ; doch der Dieb- stahl war von dem Schlauen nur mit Zuziehung weniger Theilnehmer ausgeführt worden. Vierzehn Tage schwere Arbeit und schmale Kost auf dem Fort war die gerechte Strafe. Acht Tage nach unserer Rückkunft kehrten die Boote, und mit ihnen der arme Pctri nach Georgetown zurück, während sich mit jedem Tage die grauen, mono- tonen Monate näherten, und die Indianer eilten, die neu umgearbeiteten Provisions- felder noch vor Eintritt der vollen Regenzeit zu bepflanzen. Diese Pflanz- und Säezeit heisst bei den Macusis: Timong-pohti, die Trockenzeit dagegen: Awi-na. BRITISCH -GUIA1VA. 111 IV. Eintritt der Regenzeit. Züge und Einsammeln der Termes destructor, Atta cephalotes. Phanaeus Jasius und Mimas. Meteorologische Bemerkungen. Herrichtung der Hütte für die Regenzeit. Feuchtigkeit der Temperatur und des Bodens. Rückkehr Hamlets nach Georgetown. Ahsendung Hendricks und Reuters dahin. Aufzählung der lästigen und gefährlichen Thiere , die die Regenzeit in die Hütte treibt. Flora der Regenzeit um Pirara. Wintersaison in Pirara. Besuch von Brasilianern. Fehlgeschlagne Hoffnungen auf gebrochne Fasten. Einwirkung der Atmosphäre auf das Leben des Indianers. Zu- rückberufung Yoüd’s. Abreise desselben nach London. Sein Tod, Folgen desselben für Pirara. Behandlung des Schlangenbisses bei den Indianern. Meteorologische Beobach- tungen vom Mai bis August. Rückkehr Hendricks und Reuters von Georgetown. Ab- berufung des Militairs. Entlassung und Tod Reuters. Manatus americanus. Baru. Zer- störung des Forts New Guinea. Erneuerter Ausflug nach dem Canukugebirge. Coracina militaris. Die Vorboten der herannahenden Regenzeit ( Conno der Macusis ) wurden immer häufiger. Zu dem heftigen Wetterleuchten, das meist die ganze Nacht an- hielt und den ganzen Himmelsdom mit einem fast ununterbrochnen phosphoresciren- den Lichte überzog, gesellte sich bald das Erscheinen dreier geflügelten Ameisenar- ten, unter denen die Weibchen geröstet von denlndianern als die grösste Delicatesse betrachtet werden, weshalb ihr Einsammeln auch Jung und Alt auf die Beine brachte, w aren dieselben anfangs, wie bei uns die Schwalben, nur einzeln erschienen, so vermehrten sich die Schwärme des Termes destructor ( [Voodlouse der Colonisten) täglich in steigendem Verhältnis, und zogen endlich gleich dichtem Regengewölk durch die Luft, um, auf die Erde niedergefallen, die Beute der hässlichen Eidechse, Eephymoles torquatus , sowie zweier anderer Ameisenarten, mehrer Vögel und namentlich der Indianer zu werden. 112 REISEN IN Verlassen die geflügelten Insekten ihre Hügel in der Savanne, so begiebt sich an jedem Abend die gesammte Bevölkerung der Niederlassung unter Lärmen und Schreien an den Saum der nahen , waldigen Oasen und zündet hier grosse Feuer an , welche von den Ameisen in immer engern und engern Kreisen umschwärmt werden, bis sie mit versengten und verbrannten Flügeln in Trinkschalen oder kleinen Körben von der lärmenden Schaar gesammelt werden. Nie fehlte ich bei diesen Zügen ; sie hatten für mich einen eigenthümlichen Reiz , denn es war die täuschendste Verwirklichung der Brockenscene in Goethe’s Faust oder der Sage vom Harzgeist, wenn die nackten, braunen Gestalten, Jung und Alt, in wilden Sprüngen die gewaltigen Feuer umtanzten , und dabei Stimmen laut wurden , die meinem deutschen Ohr mehr wie das wilde Frohlocken einer Schaar unterirdischer Kobolde, als die von Mitbrüdern und Mitschwestern däuchten. Den grössten Leckerbissen liefern die geflügelten Männchen und Weibchen der Atta cephalotes. Lässt sich hier und da ein einzelnes dieser grossen Thiere in der Luft sehen , so schlägt der glückliche Beobachter sofort Allarm durch das ganze Dorf, alles was laufen kann, rennt mit Palmenwedeln oder anderem Gebüsch bewaffnet nach den wohlbekannten , hügelartigen Haufen im Walde , die nun von den Weibern umringt werden. Die scharfen, zangenartigen Mandibeln, mit denen Weibchen wie Männchen bewaffnet sind , würden jeden Europäer, nur nicht die Indianer in Furcht setzen. Ohne sich durch die zahllosen Wunden irre machen zu lassen, ergreifen sie mit den schon blutenden Händen jede geflügelte Ameise, so wie sie aus den Höhlungen hervorkriechen. Sollte ja ein Individuum entkom- men , so stehen die Knaben mit den Palmenwedeln oder einem Busche bereit, um es nicderzuschlagen. Den Ergriffenen wird beim Fang der Kopf abgerissen , und das mit einer Fetlmasse gefüllte Abdomen dann geröstet oder gekocht, und so zu- bereitet für noch leckerer, als die Larve der Calandra palmarum gehalten. Zu diesen Vorboten der Regenzeit aus der Ordnung der Hrjmenoptercn , ge- sellten sich auch zahllose Repräsentanten aus der der Coleopteren, namentlich aus der Familie der Scarabaeidcn , von der sich mit dem ersten Regen die Gattungen Phanacus und Copris in wahrer Unzahl einstellten. Phanaeus Mimas (Fab.) ist der untrüglichste Verkünder des Anbruchs der Regenzeit, ebenso der weniger schöne Phanaeus Jasius (Ol.). Unter den Copris- Arten, die ich bei dieser Gelegen- heit sammelte , fanden sich auch zwei neue Species : Copris coenosa (Erichson) und quadrata (Erichson). Die Geschwindigkeit, mit welcher sich Phanaeus Mi- mas und Jasius um ein lodtes Thier oder ein Stück Fleisch versammeln, ist eben so merkwürdig, wie die Schnelligkeit, mit welcher sie beides begraben. Der Kör- per des grössten Vogels, den ich nach dem Abbalgen hinwarf, war nach Verlauf einer Stunde versenkt , ungeachtet der Boden ziemlich hart war. Kaum ist ein BRITISCII-GUIANA. 113 Cadaver hingeworfen , so kommen sie wie die Aasgeier, aus allen Richtungen an- geflogen, lassen sich neben dem willkommenen Aase nieder, kriechen unter das- selbe, und fangen an zu miniren, bis nach Verlauf einer kurzen Zeit ein Häufchen lockerer Erde den Ort bezeichnet, wo der Tod die fruchtbare Quelle des Lebens wird. Den Phanaeus Mimas habe ich nur äusserst selten an der Küste bemerkt. Doch nicht allein dem Auge , sondern auch dem Ohr wird der Beginn der Regenzeit durch nie zuvor gehörte Töne verkündet. Vom Sonnenuntergang bis zu ihrem Wiedererscheinen Hessen zahllose Laub- und andere Frösche , Kröten und dergleichen, unterstützt von den Ziegenmelkern und Eulen der Savanne, ihre melancholischen , aber mehr als lauten Stimmen aus dem Amucu zu uns herauf schallen. Hatten wir auch bereits am Orinoko und Barima eine Regenzeit durchlebt, so war unser Gesichtskreis dort in Folge des uns umgebenden, dichten Urwaldes doch nur ein beschränkter; die freie, offene und weite Savanne Hess sie uns unbe- schränkt mit allen sie begleitenden Phänomenen beobachten. Der bisher vorherrschende Ostwind schlug in einen fast ununterbrochenen West oder Nordwest um, düstere, dunkle Wolken vor sich hintreibend, die sich theils entluden, theils auf das ferne Canuku- und Pacaraima- Gebirge gleich schwarzen Mauern lagerten. Ging auch die Sonne dann und wann am Morgen heiter auf, so hatte sich doch bald aus den kleinen Wölkchen , die sie mit sich brachte, eine düstere, grauschwarze Masse gebildet, die fast auf der Savanne ruhend, ihre Ueberfülle nach einem vorhergehenden, heftigem Sturme zur Erde er- giesst, welche schon übersättigt, diese Zugaben nicht mehr in sich aufnehmen kann. Die häufigen, heftigen Schauerregen gingen bereits Anfang Juni in die schrecklich- sten und wahrhaft grauenerregenden Gewitterstürme über; — oft thürmten sich zu gleicher Zeit mehre solche am Himmel empor, die sieb immer mehr näherten, bis sie ihre Vereinigung unter ununterbrochenem , wildem Donner verkündeten. Diese grausen Scenen begannen gewöhnlich am Nachmittag, wiederholten sich gegen Mitternacht und verkündeten den Anbruch des Tages ; die letztem waren immer die grauenhaftesten, bei denen sich unter den fürchterlichsten Donnerschlä- gen fast unglaubliche Wassermassen niederschlugen. Der an sich schon gerade nicht helle Tag wird dann gewöhnlich zur Nacht, die nur von den grellen, zuckenden Blitzen zerrissen wird. Da ein solches Wetter oft Stunden anhält, so betrug die Quantität des gefallenen Regens meist 3 — 4 Zoll; nie aber haben wir einender flammenden Blitze zünden sehen. In stärkerem oder schwächerem Grade wiederholte sich dieses schauerliche Schauspiel vom Anfang Juni an fast täglich; wie die Sonne, so bekamen wir auch II. Tlieil. 15 114 REISEN IN in dieser Zeit den Mond äussersl selten, und dann nur in einem düstern Schleier eingehüllt, zu sehen. Unsere beiden Hütten, von denen die eine mein Bruder bewohnte, die andere Herrn Goodall, Fryer und mir gehörte, hielten wenigstens für uns einem solchen W etter nicht Stand , und mussten daher nicht nur vielfach ausgebessert, sondern namentlich auch etwas bequemer eingerichtet werden, als es der indianische Com- fort von einem Hause verlangt. Zuerst wurden die Bedachungen beider erneuert, um dem Regen den Eingang zu versperren , dann einige Oeffnungen in die Lehm- wände geschlagen, um dem Lichte den Zutritt möglich zu machen. Die Bohlen, welche in der Kirche des Frater Jose als Sitze gedient hatten, und aus dem schönen Holze der Poa da rainka(Orrnosiahystiophyl/a Klotzsch.) bestanden, erleichterten uns ungemein das Zusammenzimmern unseres Mobiliars, das freilich in Bezug auf Eleganz nicht über weiland Robinson’s Arbeiten dieser Art stehen mochte ; und doch sah das Innere jetzt ziemlich wohnlich aus, es hatte sogar einengewissen gelehrten Anstrich bekommen, da die eine Seite der Wand von einer grossen Stel- lage eingenommen wurde, auf die ich meine gesammelten Schätze, um sie vor der unglaublichen Feuchtigkeit des Bodens zu schützen, aufgestapclt hatte, während sich an der zweiten Seite ebenfalls eine, wenn auch leichtere Stellage zum Trock- nen der Pflanzen und des Papiers hinzog, was mir viel Kummer und Sorge machte, da ich dies nur durch die Feuerwärme erzielen konnte. Herbarien in Europa anzu- legen ist eine leichte Sache; aber die, innerhalb der Wendekreise während der trocknen Jahreszeit angelegten , in der nassen zu erhalten , grenzt unmittelbar an die Arbeit des Sisyphus. Ungeachtet des Dammes , den wir um unsere Hütten aufgeworfen , und der Gräben, die wir gezogen halten, iiberflutheten die herabströmenden Wassermassen des Nachts unsre Wohnungen doch mehr als einmal, und machtenden erstem zu einem Wehre und unsere Hütte zu einem kleinen See, der dann und wann wohl auch noch einen Zufluss aus dem Dache erhielt. Während wir noch mit dem Ausbau unserer Winterhütle beschäftigt waren , wurden wir eines Abends durch die helle Stimme IIendrick’s aus dem Schlafe geweckt, der so eben in Begleitung einiger Indianer aus Maripa , vollkommen hergestellt, angelangt war. Du die Wasser des Takutu in Folge des anhaltenden Regens schon bedeutend gestiegen, hatte er von Tenette aus mit seinen Begleitern unsere Corials benutzen können und war auf diesen bis zur 3Iündung des Pirara herabgefahren. Sein Mund floss von dem Lobe der Bewohner Maripds über, die ihn bis zum letzten Augenblick mit der grössten Liebe und Aufmerksamkeit gepflegt, ja von denen ihn sogar einige bis Pirara begleitet hatten, um das meinem Bruder gegebene Versprechen genau zu erfüllen. Reich beschenkt, kehrten diese am folgenden Morgen nach ihrer Nieder- BRITISCH-GUIANA. 115 lassung zurück. Auch Hendrick’s Bleiben in Pirara war nur von kurzer Dauer. Unser Provisions- und Tauschartikelvorrath war fast erschöpft. Mit dem Beginn der trocknen Jahreszeit sollte aber die wichtigste unserer Expeditionen angetreten wer- den, was nur mit einem namhaften Vorrathe Leider Gegenstände möglich wurde. Hendrick und unser Bootsmann Reuter waren die einzigen von den Leuten, denen der Auftrag, nach der Colonie zu gehen, um von dort in dem grossen Boote, Victoria , in welchem die Ruderer zurückgekehrt waren, neue Provisionen und Tauschartikel heraufzuholen , übertragen werden konnte. Mit einer bedeutenden Sendung Orchideen und andern lebenden Pflanzen, die ich an Herrn Bach abgehen liess, damit dieser sie seinem freundlichen Versprechen gsmäss nach Berlin weiter befördern möchte, — wo sie leider gänzlich verdorben ankamen, — wurde auch Hamlet nach Georgetown befördert. Kurz nach unserer Rückkehr nach Pirara fehlte bald hier eine Parthie Perlen , bald waren dort andere Gegenstände, unter andern mir auch eine blecherne Büchse mit Pulver verschwunden, während sich Hamlets Vorrath an gesponnener Baumwolle sichtlich vermehrte. Anfänglich fiel der Verdacht auf die Indianer, bis endlich der schlaue Stöckle, der es sich zur Aufgabe gestellt , den Dieb ausfindig zu machen, die verrätherische Büchse unter Hamlets Suchen, so wie auch den Indianer entdeckte , der ihm für den Inhalt eine namhafte Quantität gesponnener Baumwolle gegeben. Hamlets Stunden unter uns waren von dem Augenblick an gezählt ; als Ausgestossener kehrte er mit IIendrick und Reuter nach Georgetown zurück. In Folge der anhaltenden Regengüsse sahen wir bald den alten mythenreichen See Parima sich vor uns ausbreiten , und über die hohen Binsen und Grasar- ten peitschte schnell der wüthende Sturm die aufgeregten und rollenden Wogen, bis sie sich an einer der waldigen Oasen brachen, die gleich fruchtbaren Eilanden aus der jetzt schon fast unabsehbaren Fläche auftauchten. Namentlich fallen zwei dieser Oasen in Folge ihrer Ausdehnung dem Beschauerin die Augen, ohne Zwei- fel die " Isias Ipomucenas « des Don Antonio Santos. Wie sich mit diesen Wasserflächen die äussern Umgebungen Piraras geän- dert, so war auch seit ihrem Beginn eine vollkommene Veränderung in der um- gebenden Thierwelt eingetreten. Eine gänzlich neue Schöpfung uns bisher unbe- kannter Insekten, namentlich blutsaugender Zweiflügler, so wie andere unheimliche Gäste, begannen unsere Behausung zum wahren Fegefeuer zu machen. Schaaren von Sandlliegen, die dem friedlichen Dorfe bisher fern geblieben waren , folterten uns am Tage, und Tausende von Mosquitos peinigten uns die Nacht; dazu gesellte sich zu unserm bittern Schmerz auch jene Mücke mit blauem Thorax und weissen Endgliedern der Tarsen , deren langer Säugrüssel selbst die dichteste Bekleidung durchdringt. Zu diesen weniger gefährlichen als quälenden Buhestörern kam aber 15* 110 REISEN IN noch eine Menge Klapperschlangen und anderer Ottern, welche die Kälte und Nässe aus der Savanne nach den höher gelegenen Punkten uud besonders in die Bedachungen der Iliillen trieb, um sich dort ein trocknes und wärmeres Plätzchen für die Regenzeit zu suchen. Während dieser Zeit tödteten wir allein in unserer Hütte, ausser einer grossen Zahl von Nattern, fünf Klapperschlangen und vier Grubcnoltern , ja, selbst die Gräben und Wälle des Forts konnten die Offiziere vor diesen gefährlichen Besuchern nicht schützen. Dr. Bolby, der eines Morgens einen Gegenstand von einem kleinen Gerüste herabnehmen will, ergreift etwas eis- kaltes, fährt erschrocken zurück nnd bemerkt nun, dass dort ein grosser Trigono- ceplialus atrox Platz genommen hat, der aber eben so erschrocken über die uner- wartete Störung zu sein scheint, als der l)octor, da er die eiligste Flucht in das nahe Dach zu ergreifen sucht, was ihm jedoch durch einen kräftigen Hieb unmög- lich gemacht wird. Wäre die Klapperschlange weniger träge, niemand würde bei ihrer grossen Anzahl die Savanne bewohnen können. Da die Schlange gewöhnlich zusammcngcrollt unter dem Grase liegt und der klappernde Ton , den sie bei der Bewegung hervorbringt, zu unbedeutend ist, um, wenn sie sich nicht gerade über einen von Gras und Gesträuch entblössten Boden windet, deutlich gehört zu wer- den, so halten wir bei unsern botanischen Excursioncn stets die äusserste Vorsicht anzuwenden. Noch ekelhafter aber war uns der zahlreiche Besuch der hässlichen und widri- gen Gehonen (fPoodslave der Colonisten) , die sich seit dem Beginn der Regen- zeit in wahrer Unzahl an den Wänden, Dachsparren und in dem Dache selbst an- häuflen. Namentlich war cs Hemidactylus Mabouin (Ct/v.) und Platydactylus Theconyx {Dum.). Der Indianer und Farbige scheut diese Thiere eben so, wie die Schlangen, da sie von ihnen allgemein für giftig gehalten werden.*) Wenn, so er- zählten sie uns, ein solches Thier von der Decke oder den Balken des Daches auf die blosse Haut eines Menschen fällt, so lösen sich die Zehenscheiben, welche das Gift enthalten (die klebrige Feuchtigkeit, welche sich zwischen diesen absonderl), ab und dringen in das Fleisch ein, wodurch eine Geschwulst hervorgerufen wird, die den schnellen Tod im Gefolge hat. Selbst unter den Colonisten ist dieser Glaube herrschend, und der fVoodslave gehört, wie die Schlangen und Skorpione, zu den gcfürehtclsten Thieren. Die Fertigkeit und Behendigkeit, mit welcher er an den Wänden, selbst an den glättesten Balken oder Dachsparren hinläuft, grenzt an das Fabelhafte. Eben so cigenthümlich sind seine nickenden Kopfbewegungen, die man besonders während des Stillsitzcns bemerkt. Kaum hallen wir am Abend unsere ‘) Der Glaube, dass der Biss der Gehörten giflig sei, herrscht nach v. Tschudi auch in Peru. Reiseskizzen aus den Jahren 1838 — 42 von Tscntoi. 15. I. |>. 32<». BRITISCH -GUIANA.. 117 düstere Lampe angezündet, so erschienen sie unter nicht seltenem Ausstossen ihrer unangenehmen lauten Töne, um die Jagd auf Mosquitos und andere Insekten zu beginnen. Die schauerlichen Erzählungen der Indianer hatten auch uns das wahr- scheinlich-unschädliche Thier verhasst gemacht, und fiel dann und wann bei unsern Abendversammlungen ein solcher Gast auf den Tisch, mitten unter uns herab, was bei ihrem unverträglichen Charakter eben nicht allzu selten geschah, indem sie sich fortwährend bissen und jagten , so gab es gewöhnlich eine augenblickliche Zer- sprengung der Gesellschaft; ja, der Eckel , den alle vor dem hässlichen Thiere hatten, liess uns nie ausgeklcidet in die Hängematte legen. Zu diesen widrigen Thieren fanden sich nun noch eine Menge Kröten ( Bufo Agua Vaud.) ein , die die Regenzeit wie durch Zauberei in der Hütte versammelt hatte. Hielten sie sich auch während des Tages in den dunkeln Winkeln der Hütte , deren es wegen der vielen Kisten und Kasten eine ziemliche Anzahl gab, und unter denen sie sich förm- liche Vertiefungen wühlten, so begannen sie doch mit Einbruch der Nacht ihre Streifereien nach Beute. Trat man dann unversehens eine derselben , so stiess die Gequetschte jedesmal einen Schmerzenston aus, der uns anfänglich gewaltige Luft- sprünge machen liess. Auffallend war es , dass diese unangenehmen Gäste beson- ders gern ihr Lager zwischen den Flaschen, Wasserkrügen und andern Wasser- gefässen aufschlugen, obschon sie die Feuchtigkeit der Savanne flohen. Rückten wir einmal eine Kiste, die vielleich nicht ganz fest auf dem Boden gestanden, fort, so wurden gewöhnlich ganze Nester von Kröten, Gekörten , Eidechsen, Skorpio- nen , Schlangen und Scolopcndern aus ihrer behaglichen Tagesruhe , der sie sich friedlich vereint hingegeben, aufgescheucht. Ein solcher Knäuel nackter, wimmeln- der, ekelhafter Thiere übergoss uns anfänglich mit einem wahrhaften Schauder, bis uns auch hierbei die Gewohnheit diese Schwäche verlernen , und uns einen tüchtigen Prügel als das beste Mittel gegen ungebetenen Besuch erscheinen liess. In den von den Indianern bewohnten Hütten bietet nur das Dach den besuchten Schlupfwinkel , weshalb die Eindringlinge auch viel leichter entdeckt und getödtet werden können. Wir dagegen konnten im wahren Sinne des Worts sagen, dass Avir unsere Wohnung mitKröten, Reptilen und anderm Ungeziefer theilten. Schuhe, Beinkleider, kurz jedes Kleidungsstück musste am Morgen erst einer genauen Durchsicht unterworfen werden, um beim Anziehen derselben nicht mit einem sol- chen Genossen in Collision zu kommen. Unter den Säugelhieren waren es be- sonders die Mäuse , und ausserdem unzählige Ameisenarten , die mir wegen ihrer Zerstörungswuth manche unruhige Stunde, und, um meine Sammlungen vor ihren sträflichen Talenten zu schützen, viel Kopfzerbrechens machten. Unter den Amei- sen zeichnete sich namentlich eine ganz kleine Spccics aus, die wir während der trocknen Jahreszeit niemals in der Hütte bemerkt hatten , die aber jetzt in form- 118 REISEN IN liehen Sebaaren angezogen kam , und es namentlich auf meine Insekten abgesehen zu haben schien. Zu dieser gesellte sich eine zweite noch kleinere Art, die beson- ders des Nachts eine unglückliche Thätigkeit entwickelte. Jeder Morgen lehrte uns von neuem, dass alle am vorigen Tage getroffenen Vorsichtsmassregeln noch nicht hinlänglich gewesen waren , um ihr frevelndes Streben zu paralysiren. Mochten wir unsere Kästchen mit Insekten auch an noch so stark mit Arsenikseife einge- schmierten Fäden aufhängen, mochten wir jeden frischen Vogelbalg, einzeln an einen solchen Faden befestigt, in die Luft herabhängen lassen, — alles war und blieb nur ein vergebliches Bemühen ; — ihr verderbliches Treiben zeigte am Mor- gen , dass sie doch den Weg zu ihnen gefunden! Nichts war vor ihnen gesichert, nur das Cassadabrod und die trockenen Bälge blieben unversehrt. Eine andere , rothe Ameise , grösser als die beiden angeführten , war unsern Sammlungen weniger nachtheilig, als uns persönlich lästig. Ehe jene noch erschie- nen, hatte sie sich schon an unserm Feuerplatze in der Erde angesiedelt, und wehe dem, der amAbend ihremNeste zu nahe kam, die schmerzhaftesten Bisse erinnerten ihn mit mehr als gewünschster Deutlichkeit an ihr : Noli me tangere. So unangenehm das Insekt auch für uns war, so halte es doch wenigstens eine gute Eigenschaft, nämlich dass es eine vorzügliche Reinlichkeitspolizei übte. Kein todtes Insekt oder Stückchen Fleisch, selbst das Kleinste entgeht ihnen. Kaum lag etwas Derartiges auf dem Boden, als auch eine Procession der mit den feinsten Geruchsnerven begabten Insekten aus dem Neste erschien und das Cadaver dahin schleppten. Nur einer dieser Mitbewohner , der sich zwar durch seinengrossen Stachel fortwährend in besonderem Respect zu erhalten wusste, ihn glücklicherweise aber nur dann in Thätigkeit setzte, wenn er beunruhigt wurde , machte mir während der trüben Tage, in welchen wir einzig auf den engen Raum der Hütte angewiesen waren, ungemein viel Vergnügen. Es war eine grosse Wespe (Sphex pensylva- tiicn). Gleich beim Beginn der Regenzeit erschien dieses geschäftige Insekt in un- serer Hütte, liess sich auf den Boden nieder und suchte emsig nach einer für sein Nest passenden Stelle. Halte es eine solche gefunden, so begann es unter Beihülfe der Fresszangen und Fiisse eine runde Höhle zu graben , die nach dem Häufchen Erde, das es hinter sich herausschob, ziemlich tief sein musste, was sich bei nähe- rer Untersuchung auch thatsächlich ergab. Kaum war die Minirarbeit beendet, so flog das geschäftige Thier zur Hütte hinaus und kehrte nach kurzer Zeit mit einer wenigstens fünfmal grossem Beute , die es mit den Fresszangen und den Füssen zugleich festhielt, einer Locusla aus der Gattung Conoccphnlus , zu seiner Woh- nung zurück , legte dieselbe hier nieder, verschwand in der Höhlung und erschien bald wieder, um die Beute unter Bekämpfung einer Menge Schwierigkeiten und Hindernisse in den Gang hincinzuziehcn. Kaum war dies Geschäft beendet, so (log BR1TISCH-GUIANA. 119 das nimmerrastende Thier auch schon wieder zur Thür hinaus , um neubeladen nach wenigen Minuten dieselbe mühevolle Arbeit zu beginnen. Am auffallendsten Mar mir, dass, obschon sich wenigstens acht dieser thätigen Thiere ihre Wochen- stube in unserer Hütte ausgehöhlt hatten, und jede täglich wohl achtmal mit Beute beladen zurückkehrte , sie doch ausser der erwähnten Species, die ich nur äusserst selten in der Savanne bemerkt hatte, kein anderes Insekt herbeischleppten. Nahm ich der sorgsamen Mutter die Beute , während sie in das Loch ge- krochen Mar, hinM’eg, so unterwarf sie nach ihrer Rückkehr die Hütte der emsig- sten Untersuchung und flog erst dann zu neuem Raubmord aus. War die Höhle mit Leichnamen gefüllt, so legte sie ihre Eier; die auskriechende Made fand Nah- rung, die fürsorgende Mutter Mrar verscliMunden und liess sich nie mehr sehen ! In dieser Gesellschaft sollten M’ir nun vier Monate verleben ! — Diese M'enig tröstende Aussicht wurde nur dann und wann durch einen hellen und freundlichen Tag erheitert, an dem wir aus der dunkeln, engen Hütte hinaus in die freie, uns jetzt fast fremd gewordene Natur eilten. Auch die Tropen haben ihren Frühling, haben ihre jungfräulichen Maientage. Wenn die Vegetation dort auch nicht unter einer erstarrenden Eis- und Schneedecke schläft, so hat der sengende Hauch der trocknen Jahreszeit doch eine gelbgraue Decke über sie hingeweht, die, namentlich auf den weiten Savannen , dem Auge ein viel düsteres Bild bieten , als die flam- mende und strahlende Schneedecke des Nordens. Aber, während hier die warmen Südwinde, die ersten lösenden Strahlen der Frühlingssonne diese nur erst nach und nach verschwinden lassen, und die keimenden Sprossen und schwellenden Blalt- knospen nur langsam und furchtsam in die ungewohnte Atmosphäre hineinlugen, ist unter den Tropen der erste Regenguss das mächtige Zauberwort, das M'ie mit einem Schlage die erstorbene Vegetation in’s Leben zurückruft. Alle die hohem Stellen der Savanne hüllte, ein saftiges Grün ein, das an Schönheit und Frische dem des Nordens nichts nachgab, und Pflanzen lachten mir jetzt in üppiger Fülle ent- gegen, deren Blüthen ich vorher vergebens gesucht. Dahin gehörten namentlich Clitoria , Marien, Hibiscus, mehre Melastoma, Phaseolus , die herrliche Ama- sonia erecta (Li/i.Jil.), Pavonia speciosa, Evohmlus sericeus (Sw.), glomeratus (TV. ab E ), das gleich liebliche Ncurocarpvm longifolium, deren reizende Blüthen eine angenehme Unterbrechung in dem grünen Savannenteppich bildeten, Mrozu die von Meissen Blüthen bedeckten kleinen Sträucher der My rlaceen , die rotli iiber- gossenen Bignonien , das cigenthümliche Amphilophium paniculutum und eine M'undcrvolle Alstroemeria, die sich als eine neue Species, Alstroemei'ia(Bomarca) fuscata (Klotzsch) herausstellte, ungemein viel beitrugen. Die Säume der waldi- gen Oasen dagegen umschloss ein weisser Gürtel des in seiner Bliithenform so merkwürdigen Jonidium Itoubou (Humb. Bonp.), dessen Existenz ich früher gar 120 REISEN IN nicht geahnet, da es während der Trockenzeit abstirbt, und dessen Wurzel die Brasilianer unter dem Namen Praya da proia oder Praya bianca als ein Mittel gegen Dvscnterie brauchen und zugleich als wahre Jpecacuanha verkaufen , da sie dieselbe Wirkung hervorbringt. Nach St. Hilaire brauchen die Bewohner von Rio Grande do Norle das Jonidium Iloubou als Heilmittel gegen Podagra und Gicht. Selbst in Pirara wucherte der von der Nässe zum Keimen gebrachte Saame in solcher fabelhaften Fülle , dass die sonst so sauber gehaltene Niederlassung zu einem förmlichen Weideplatz wurde; besonders vorherrschend war: Synedrella nodißora ( Gaertn .) und Porophyllum ellipticum (Cass.), die den Boden der Nie- derlassung wie mit einem Filz überzogen, über dem sich die Passißora foetida in langen Banken hinzog, während ihm das verschiedene Grün einer Menge Gras- arien, so wie der Cleoine guianensis (Aubl.), Cissampelos subcrenata (Klotz sch), mehrer Solanum, Mimosen und Cassien ein höchst mannichfaltges Colorit verlieh. Selbst die kleinen, bisher blattlosen Baumwollenpflanzungen um Pirara hatten ein frisches Kleid bekommen. Mit dem Aufsprossen dieser Pflanzen war aber auch ein neuer Leckerbissen für die Indianer, eine Raupe erschienen, die nach ihrer Zeichnung viel Aehnlich- kcit mit der unscrs Kohlweisslings (Tacliyplera brassicae) hatte. Eben so schnell, wie sie erschienen, verschwanden sie wieder, denn schon nach 8 — 12 Tagen hatten sie ihr Wachsthum beendet, und sich bereits verpuppt. Eben so emsig und eifrig, wric die geflügelten Ameisen wurden diese Raupen und Puppen von Alt und Jung gesammelt und verzehrt. Besonders thätig zeigten sich am ersteren Geschäft die Kinder, um dem Vater und derMutter ein Dessert bei der Mittagstafel auftischen zu können, Avobei diese Raupen mit einem Bissen Cassadabrod in solcher Menge in den Mund gesteckt wurden, dass die Ueberfülle des eckelhaften Saftes au den Mundwinkeln herablief. Gingen am Morgen die kleinen Knaben und Mädchen mit ihrem Stück Cassadabrod in Begleitung ihrer Affen auf das ergiebige Feld ihres Gaumenkitzels, so war in der Emsigkeit der erstem mit der der letztem so wenig Unterschied , als wenn sich die weiblichen Bcw'olmer der Hütten , eine hinter der andern sitzend das Wild der Haare absuchten, und jedes erhaschte Wildprct flugs hinter die Zähne brachten. Ländlich, sittlich! — Während so die feuchte und schwüle Atmosphäre in der vegetativen Natur wahre Wunder in's Leben rief, wirkte sie im entgegengesetzten Sinne höchst er- schlaffend auf Geist und Körper, und zwar in einem solchen Grade, dass wir uns oft selbst zur Last wurden. Einige Stunden anhaltender Arbeit machte uns ge- wöhnlich völlig untauglich zu jeder fernem Anstrengung. Der Tag wurde meist mit Niedcrsch reihen des Tagebuchs oder mit der Revision und Schutzmassregeln BRITISCH- GIJIANA. 121 für die Sammlungen verbracht; — aber die langen, langen Abende , an denen man nicht einmal schlafen konnte , da jeder Augenblick Ruhe durch das ununter- brochene Zwicken und Zwacken , Kneipen und Stechen , Beissen und Verwun- den unserer zahllosen Peiniger vertrieben wurde, und die Zeitungen bereits drei- , viermal durchgelesen waren! Die Offiziere des Forts , die von denselben Leiden geplagt wurden, suchten eben so vergeblich ein Mittel in unserer, als wir in ihrer Gesellschaft. Ja wahrlich, es ist ein einförmiges, langweiliges Ding ein solcher tropischer Winter, in welchem sich selbst der erfinderischste Geist bankerott erklären musste. Mit doppelter Kraft erwachte daher die Sehnsucht nach den freundlichen Wintertagen der Heimath mit ihrem hellen , blauen Himmel und ihrer weissen Schneedecke. Als wir eines Abends wieder so jammernd und klagend beisammen sassen, warf plötzlich Bingham verwundert die Frage auf, warum wir uns eigentlich diese trühen Abende nicht durch eine Parthie Whist zu verkürzen suchten? Mit Jubel wurde dieser Gedanke aufgefasst; aber woher Karten nehmen? Hr. Coodall wusste bald Rath zu schaffen. Seine Zeichenmappe enthielt noch eine Menge star- kes Bristolpapier — und bald gingen unter seiner geschickten Hand zwei Spiele Karten hervor, deren Figuren die Persönlichkeiten der Expedition und der uns be- freundeten und durch irgend eine Eigenthiimlichkeit ausgezeichneten Indianer dar- stellten. Acht Tage lang kamen die Offiziere des Forts zu uns nach Pirara , die folgenden acht gingen wir zu ihnen hinüber. Rembrandt hätte keinen würdigem Gegenstand für seinen Pinsel finden können, als das Innere einer unserer Hütten an einem solchen Spielabend. Das spärlich von Scliildkrötenfelt oder Palmenöl ge- nährte Lämpchen konnte mit seiner bläulichen Flamme kaum den rohen Tisch er- hellen , der ausser von den dem Naturzustände fast zurückgegebenen Spielern von einer Menge Indianer umgeben w urde , welche mit staunenden Blicken die ihnen unerklärlichen Bewegungen und die Procedur unserer Beschäftigung, das Werfen der bunten Papiere auf den Tisch und das Zusammennehmen derselben, anstarrten, und sich endlich kopfschüttelnd entfernten ; oder wenn plötzlich der Ausspieler die Karte mit verzweifelt verzerrtem Gesicht auf den Tisch warf und krampf- haft nach irgend einem Theile seines geplagten Körpers schlug, um dort die blut- saugenden Mosquitos zu tödten, die ihm Honneurs und Ueberstiche vergessen machten. Noch interessanter aber würde dem unbetheiligten Zuschauer der Mo- ment gewesen sein, in welchem sich der gefürchtete Ausruf: eine Schlange ! hören liess. AVie auf Commandowort stand dann plötzlich die ganze Gesellschaft auf dem Tisch, den Stühlen oder nahen Kisten und entwarf von hier aus den Schlachtplan zur Vernichtung des sich auf dem Boden hinwindenden Ungethiims; kurz, wir erlebten Scencn , avo die dureb irgend einen Eindringling erregte Confusion oder II. Theil. 16 REISEN IN 1 22 der momentan licrvorgerufene Schrecken nach ihrer Beseitigung unsere Hütten mit dem ausgelassensten Gelächter erfüllten. Schwerer als die Langeweile war aber bald der bei uns einkehrende Mangel zu vertreiben. Mit der Zunahme der Gewitterstürme und dem Steigen der Gewässer schwand das Wild auch immer mehr aus unserer Nähe, die Beute der ausgesand- ten Jäger wurde immer spärlicher und kümmerlicher, bis es ihnen oft kaum in drei bis vier Tagen gelang, eine Ente oder ein Aguti mit heimzubringen. Mit den Rehen und Enten waren auch die Rinderheerden verschwunden und die vier J^a- (j/teiros mussten die Hände in den Schooss legen. Alles hatte sich in die Gebirge zurückgezogen. Unser Vorralh von gesalzenem Fleisch war längst aufgezehrt, und die Mahlzeiten wurden immer einfacher. Anfangs halfen uns zwar treulich die Offiziere mit dem, was sie an Fleisch besassen, aus, doch auch ihre Vorräthe schwanden, und das von den Insekten verschont bleibende Cassadabrod und die dar- aus gekochten Suppen wurden unsere tägliche Schüssel, bis endlich einmal einer der Jäger wieder so glücklich gewesen und so viel erlegt hatte , dass acht hungrige Magen sich daran satt essen konnten. War dies bei uns der Fall, so rief ein Böl- lerschuss die freudige Botschaft den Offizieren des Forts zu, und von dem Flaggen- slock Halterte das ersehnte Signal: «Einladung zum Mittagsessen ! » wie auch wir in Tagen des Mangels alle Augenblicke unsere sehnenden Blicke nach dem freund- lichen Zeichen aussandten. Als wir uns so eines Morgens durch die Phantasie zu den gerösteten Mais- kolben ein saftiges Stück Wildbraten auflegen Hessen, stürzte einer unserer Jäger, der noch vor Tagesanbruch Pirara verlassen, um sein Glück für heute zu ver- suchen, mit dem Ausruf: •< Matli, - Matti , Caraiba , Caraiba , So/dato toukö (Freund, Freund , viele brasilianische Soldaten)!« in unsere Hütte und bannte da- mit den Bissen in unserem Munde fest. An den Schrecken, den das Wort « Ca- raibn « jederzeit in einer Indianer-Niederlassung hervorruft, waren wir schon gewöhnt, aber das fatale « Soldalo toukö-toukö versetzte doch auch uns in eine nichts weniger als gleichgültige Gcmüthsstimmung — die « Soldalo toukö-toukö mussten das brasilianische Heer sein, das, wie wir durch sichere Nachrichten wussten, bereits seit Wochen von Para aufgebrochen war, um die Rolhröcke von Pirara zu vertreiben. Nach der Aussage des vor Angst und Furcht halblodlen Indianers hatten sich die Soldalo toukö in zwei Abtheilungen getheilt, von denen eine in einem grossen Corial den Wasserweg eingeschlagen, die andre sich nach der grossen Oase, südlich von Pirara, gewandt hatte. Nachdem uns unser Unglücks- bote nochmals seine Aussage als wahr bestätigt, donnerten zwei Böllerschüsse zu dem Fort hinüber, und die Nationalflagge auf dem Flaggenslock verkündete der Besatzung die vcrhängnissvolle Neuigkeit. Jetzt stieg keck die Antwort an dem B1UTISCH-GUIANA. 12.°, Flaggenstock des Forts auf und alle Figuren, die wir kurz vorher noch ausserhalb der Wälle gesehen , waren nach wenigen Minuten dahinter verschwunden , um bald darauf, wie uns unser Fernrohr zeigte, bis unter die Zähne bewaffnet, wie- der zu erscheinen. Von unserer Seite war natürlich an keine Verteidigung zu denken, und resignirt mussten wir der Dinge warten, die da kommen würden, alles aufwendend, um wenigstens den Bewohnern Pirards durch unsern äusseren Gleichmut etwas Muth einzuflössen , den die sich wie ein Lauffeuer verbreitende Nachricht rein weggefegt zu haben schien. Mit ihren Bogen und Beulen bewaffnet, hatten sich die Männer sofort um uns versammelt, während sich die Frauen mit ihren Säuglingen auf den Armen, die andern Kinder an der Hand, nach unsern Hüt- ten drängten. In dieser Verlegenheit frug ich zufällig den Indianer, der die Hiobs- post gebracht, ob die Soldaten Flinten getragen, eine Frage, deren Beantwortung plötzlich alle Befürchtungen verscheuchte, denn sie lautete: « harte (nein)». Solda- ten ohne Waffen konnten keinen Ueberfall , noch weniger eine Belagerung beab- sichtigen. — Die lustig vom Morgenwind bewegte Nationalflagge verschwand vom Flaggenstock und das Signal "blinder Lärm« stieg an ihm empor. Herr Vorn und Sororeng , die uns schon früher aus unserer Bestürzung gerissen haben würden, waren beide nicht gegenwärtig, wir aber konnten uns immer noch nicht daran ge- wöhnen, dass bei dem Indianer alles, was die Zahl der Finger übersteigt, «viel" heisst. Indem wir uns gegenseitig noch über die homöopathische Dosis unseres Muthes lustig machten, und jeder behauptete, ihm sei es vollkommen gleichgültig gewesen, ■wenn sich die Kunde als wahr herausgestellt, erschien auf der spiegelglatten Fläche des ungeheuren See’s ein grosses Boot, das sich Pirara näherte, während fast in demselben Augenblick ein kleiner Trupp Brasilianer aus der Oase heraustrat. Es waren Capitain Leal’s Untergebene , ein Theil der Besatzung von Saö Joaquim, die aber in nichts weniger als kriegerischer Absicht erschienen. Capitain Leal brauchte wahrscheinlich eben so gut Geld, wie Pater Jose , denn beide hatten eine grosse Corialladung Lebensmittel zusammengebracht, die sie uns zum Verkauf an- bieten Hessen. Dass sich unsere Unruhe in solche Freude verwandeln würde, hätte wenige Minuten vorher keiner zu hoffen gewagt. Die Neugier über die Ursache des falschen Lärms trieb natürlich die gesummten Offiziere nach Pirara, deren Mittheilungen über die Wirkung des Kriegszeichens unsere heutige Heiterkeit um das Doppelte erhöhten. Sie selbst hatte der Aufruf zur Vertheidigung von einer Parthie Whist aufgeschreckt und zur Vertheilung der Waffen, Munition u. s. w. getrieben, die die schwarze Besatzung mit allen Zeichen des Muthes von Helden entgegengenommen. Die uns von unserm jetzigen Koch, Adams, zubereitelc grösste der Schildkröten , welche uns Capitain Leal in ziemlicher Anzahl zuge- 16* 124 REISEN IN schickt, verwischte natürlich auch die letzten Spuren der Aufregung ; noch höher aber stieg unsere Freude, als wir von den Brasilianern erfuhren, dass einer ihrer Landsleute vom Rio Branco mit einem noch grösserem Boote nach Pirara unter- wegs sei , um uns eine Ladung von Schildkröten , gesalzenem und getrocknetem Rindfleisch undFarinha anzubieten. Schon nach einigen Tagen war das Boot an der Landungsstelle des Pirara angekommen, und da der Eigner mit dem tief gehenden Fahrzeug noch nicht bis zum Dorfe gelangen konnte, liess er uns durch einen seiner Leute bitten, dorthin zu kommen. Mein Bruder und Lieutnant Wgiburg setzten sich augenblicklich zu Pferde und ritten zum Marktplatz , um sich die Waaren anzusehen, worauf sie bald mit dem Handelsmann zurückkehrten, von dem die ganze Ladung, die in 23 Riesenschildkröten (Emys arnazonica Mart.), und einer Menge gesalzenen und an der Sonne getrockneten Rindfleisches (Carnc secca) bestand, gekauft wurde. Für jede der Schildkröten bezahlte mein Bruder 2l/2 Dollar. Die Carne secca hatte sowmhl ihrem Ansehen, als auch ihrem Geschmack nach , unendlich viel Aehnlichkeit mit einem trocknen Stück Holz, was freilich in Folge der Zubereitung nicht anders zu erwarten ist. Das Fleisch wird in lange, dünne Streifen geschnitten, tüchtig mit Salz eingerieben und dann auf Leinen ge- hängt, um so lange von der Sonne gedörrt und ausgesogen zu werden, bis es knochenhart und vollkommen schwarz geworden ist. Stöckle und Tiedge mit mehren Indianern erhielten den Befehl, in einer der Buchten des Pirara eine Pallisadenverzäunung aufzuschlagen, in die dann unsere Schildkröten gebracht wurden und aus der sie, je nach Lust und Bedürfniss, einzeln zum Schlachten nach Pirara geholt werden sollten. Einzelne derselben waren so schwer, dass sie kaum von drei Mann getragen werden konnten. Nach Verlauf von acht Tagen erging an das gesammte Offiziercorps eine feier- liche Einladung: die erste der fetten Schildkröten sollte geschlachtet werden, und das konnte natürlich nicht ohne die Theilnahme unserer Freunde geschehen. Mil lachenden Mienen und der Versicherung, nicht gefrühstückt zu haben, um sich den Appetit zu der Suppe und den saftigen Schildkrölcnstcaks nicht zu verderben, kam die Gesellschaft an , worauf der Commissär Low vorsichtig einige Flaschen Rum in eine Ecke stellte, und etwas Zucker in einen Kasten legte, damit zu den Steaks auch ein Glas Punsch getrunken werden könnte, wmzu uns bisher die Bewohner von Nappi unausgesetzt mit Limonen versorgt hatten. Um unsern Appetit zu ver- gessen, setzten wir uns zu einer Parthie Whist nieder. Stöckle, Tjedge und vier Indianer waren schon vor mehren Stunden nach dem etwa drei viertel Stunden ent- fernten Schildkrötenzwinger abgegangen; Adams’ Wasscrlöpfe harrten schon längst des Fleisches, das sic uns essbar machen sollten; aber alle unsere Fragen, ob die Boten noch nicht zurückgekommen, wurden verneinend beantwortet , bis endlich BRITISCH -GUIANA. 125 Stöckle mit einem Armensündergesicht in die Hütte trat, und uns und unsere Hoff- nungen durch seine schreckliche Kunde in wahre Salzsäulen verwandelte. Mit stotternder und zagender Stimme presste er die fürchterlichen Worte aus, dass sich ausser einer todten Schildkröte keine Spur von diesen in dem Zwinger gefunden hätte; die Schildkröten hätten einige der nicht fest eingesteckten Pfähle umge- rissen und wären auf und davon. Die Angst uud Verlegenheit Stöckle’s und Tiedge’s, die sich wohl denken konnten, dass sie, die Erbauer des Zwingers, als Ursache dieses Verlustes betrachtet werden würden , grenzte an das Lächerliche, namentlich da sie sich durch Verwünschungen und Schimpfen auf die armen Thiere Luft zu machen suchten. Wir sahen uns sprachlos an , und blickten auf die Trüm- mer unserer Hoffnungen und Luftschlösser nieder, aus denen uns höhnisch die trockne und schwarze Carne secca entgegenstierte, bis das unmässige Lachen der Offiziere , die durch unsern Verlust nur um das heutige Lukullusmahl ge- prellt wraren , auch uns aus unserer Betäubung aufweckle und uns mit in dasselbe fortriss. Ich werde diese theils ärgerliche, theils aber auch höchst lächerliche Scene niemals vergessen ! Die Offiziere mussten ihren hungrigen Magen statt mit Schild- krötensuppe und Steaks, mit an der Sonne getrocknetem Rindfleisch füllen, das uns um so schwerer munden wollte , als es von unsern Freunden mit dem Salz uner- schöpflicher Witzeleien gewürzt wrurde, ohne dass wir uns merken lassen durften, dass sie uns ärgerten. Wir verbissen unsern Ingrimm so gut es gehen w ollte, und warteten der Zeit der Vergeltung. Niedergeschlagen sahen wir am nächsten Morgen den leeren Zwinger an und überzeugten uns leider zu spät, dass die Pallisaden für diese Riesentbiere viel zu schwach gewesen waren. Die 57 Dollars, die sie gekostet, wraren hinausgeworfen und Schmalhans blieb während der ganzen Regenzeit unser Speisemeister. Aber bald sollte uns alle ein noch herberer Verlust treffen. Ein Brief, den zwei Indianer aus Barlika-Grove brachten, enthielt von dem Präsidenten der Missionsgesellschaft in London für Herrn Youd die Weisung, Pirara zu verlassen, und sich nach Waraputa zurück zu begeben, da die Missionsgesellschaft ihre Wirksamkeit nicht eher auf Pirara ausdehnen dürfe , als bis es definitiv bestimmt sei , dass dasselbe wirklich zu britischem Grund und Boden gehöre. Dass er dem Befehle Gehorsam leisten musste, sah er so gut ein, wie wir, und dass es ihn im Innersten erschüt- terte , jetzt wro er eben den ausgestreuten Saamen den schönsten Früchten ent- gegenreifen sah, das Feld seiner edlen Aufopferung wieder dem wilden Unkraut zu überlassen, fühlten wir gleich tief, da wir mehr als überrascht die Fortschritte ge- sehen hatten, die die jetzt bereits so zahlreich um ihn Versammelten unter seiner tüchtigen Leitung gemacht. Den Vorschlag, der dem wackern Missionar von Lon- don aus gemacht wurde, die Bewohner Pirara' s und der Umgegend zu veranlassen, 126 REISEN IN mit ihm nach Warapula zu ziehen, konnte er, wenn er nicht das Leben der ihm allerdings unbedingt Vertrauenden zum Opfer bringen wollte , nicht in Ausführung bringen. So eigentümlich dies auch scheinen mag, so halte es doch die Erfahrung bereits bewiesen , dass der Indianer der Savanne den Einwirkungen der feuchten und dumpfen Atmosphäre des Urwaldes unterliegt, wie auch der Bewohner des Urwaldes und der Berge verkümmert und verwelkt, wenn er seine Geburtsstätte mit der freien, offenen und feuchten Savanne vertauscht. Tödtliche Lungenkrank- heiten sind hier wie dort die Folge eines solchen Wechsels. Als Herr Youd von den Brasilianern vertrieben wurde , folgten ihm mehre Familien nach W araputa, und nach kurzem Aufenthalt waren die Meisten diesem Wechsel unterlegen, so dass er die Uebrigen wieder in ihre Savannen zurückschickeu musste. Nach solchen Erfahrungen wäre es mehr als gewissenlos gehandelt gewesen , wenn er seine Pfleglinge hätte auflordern wollen, ihm zu folgen. Das niedliche Dorf mit seinen hübschen Häusern und seinen lernbegierigen Bewohnern, sah seinem Verfall wieder entgegen, wenn es nicht bei England blieb; — die grosse Hütte, die Herrn Youd’s rastlose Tliätigkeit in eine ungemein freundliche Kirche verwandelt hatte, in der sich täglich die Einwohner von Pirara am Morgen und Abend, — in Ermangelung einer Glocke durch die bellen Töne eine Trompete gerufen, — und Sonntags die aller nahe liegenden Niederlassungen zum Gottesdienst versammelten, wie sie auch zum Unterrichtszimmer für die Erwachsenen und Kinder diente, sollte bald wieder verödet da stehen ! Wenn man Augenzeuge der monotonen und ohrenzerreissenden Grab- und Festgclagsgesänge der Indianer gewesen war, so glaubte man sich in den sonntäglichen Versammlungen unter ganz andere Menschen versetzt, sobald man sie die englischen Hymnen singen hörte , solche Fortschritte hatten Männer wie Frauen im Gesänge gemacht! Besonders haben die Stimmen der Frauen un- endlich viel Metall , was wir nach unsern Erfahrungen am wenigsten bei ihnen vermuthet; zugleich besitzen sie eine wahrhaft bewundernswürdige Auffassungs- gabe selbst für die schwersten Melodien. Wird ihnen eine solche nur zwei- oder dreimal vorgesungen, so singen die Weiber und Mädchen sie fehlerlos nach, wäh- rend dieMänner sic auf ihren einfachen Flöten blasen, denen sie vorher nur die un- harmonischen und monotonen Töne ihrer Nationalgesänge zu entlocken vermochten. Die Erwachsenen, besonders die Frauen, bemühten sich auch lesen und schreiben zu lernen. Jeden Sonnabend Abend kamen, wie in Bartika- Grove, die in der Nähe wohnenden Indianer nach Pirara , unter ihnen sogar die Bewohner von Nappi, das über 20 Miles von Pirara lag, um dem sonntäglichen Gottesdienste, in tiefer Stille und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit beizuwohnen, und nur durch schwere Krankheit konnten sie davon abgchaltcn werden. Am Montag kehrten sie wieder nach ihren Dörfern zurück. Freilich halte cs Herrn Youd viel Mühe ge- mUTISCII-C.üIAiSA. 127 kostet, elie er seinen Pflegebefohlnen ihre alten Gewohnheiten vergessen gemacht. Als er seine Schule und Kirche in Pirara eröffnete, erschienen die Kinder durch- gängig von Kopf bis zum Fuss bemalt, als ginge es zu einem Trinkgelage, sie schwatzten und lachten unter einander, so oft es ihnen einfiel, und liefen auf und da- von, sobald nichts Neues ihre Aufmerksamkeit fesselte. Mil den Erwachsenen ging es bei dem Gottesdienst nicht besser. Mit Ungestüm und wüstem Lärm drängten sie sich, den Körper ebenfalls auf das fürchterlichste bemalt, bewaffnet mit Bogen, Pfeilen und Keulen in die Kirche , wie zu einem Kriegstanze oder einer Schlacht, während die Frauen mit ihren zahmen Affen oder mit ihren kleinen Kindern auf den Armen erschienen, die sich dann während des Gottesdienstes auf das hartnäckig- ste um die Brust der Mutter zankten, bis diese einen momentanen Waffenstillstand unter den kämpfenden Partheien herbeiführte, und, je nach Belieben, diesen oder je- nen in den Besitz der bestrittenen Nahrungsquelle setzte. Welche Veränderung seit- dem mit diesen Leuten vorgegangen, das haben meine Leser schon oben gesehen. Als Herr Youd seinen treuen Macusis den ihm gewordenen Befehl miltheille, erregte derselbe die tiefste Bestürzung und die bittersten Klagen , da sie wobl wussten, dass weder das Militair, noch wir für immer in Pirara bleiben würden. Sie hatten sich daher mit ganzer Hingebung an Herrn Youd angescblossen und beschworen ihn nun unter den rührendsten Bitten , sie nicht zu verlassen , und abermals den Brasilianern Preis zu geben. Solchen konnte die aufopfernde Liebe des Heri’n Youd nicht widerstehen; schnell war sein Entschluss gefasst, und schon nach einigen Tagen brach er nach Georgetown auf, um von da nach London zu eilen und die Bitte seiner Pflegebefohlenen dem Präsidenten der Missionsgesellschaft persönlich an's Herz zu legen. Bei seiner Ankunft in Georgetown war das gelbe Fieber von neuem ausgebrochen; — schnell schiffte er sich in ein eben nach Europa abgehendes Schiff ein, aber schon nach drei Tagen erlag er dem bleichen Würg- engel der Küste, der ihm auf das Schiff gefolgt war. Da sich das Schiff in der Nähe der Insel Barbados befand, wurde die Leiche des edelsten und tüchtigsten Missionars, den ich bis jetzt kennen gelernt habe, dort der Erde anvertraut. Fast schien es, als sei es Bestimmung, dass die Station in Pirara nicht zur vollen Blüthe gelangen sollte. Schon zweimal war der Saame des Christenthums hier mit den überraschendsten Erfolgen in die Herzen der Indianer ausgestreut werden, und zweimal wurde die Erndle vor der Reife wieder zerstört! Der gänz- liche Untergang der Mission stand jetzt bevor, da sich schwerlich ein Missionar finden möchte, der, selbst wenn Pirara zur englischen Besitzung gehören sollte, sich mit solcher Hingebung und aufopfernder Liebe in die Denk- und Handlungs- weise der Indianer würde hineinleben können, wie es Herrn \ oun eigentüm- lich war. 128 REISEN IN Kauin hatte dieser von seinem geliebten Dorfe Abschied genommen, als eine Familie nach der andern daraus verschwand, und so immer mehr und mehr Hütten verlassen und leer standen ; die melodischen und ergreifenden Gesänge der Kirche waren verstummt, und nur hier und da tönten uns am Abend oder Morgen aus den bewohnten Hütten von einzelnen Frauen gesungen oder von den Männern auf ihrer einfachen Flöte geblasen, kirchliche Hymnen entgegen. Innige Liebe zum Domini hatte dießew'ohner aus nahe und fern hierher geführt, mit seinem Verlust erwachte die Sehnsucht nach ihren alten Wohnorten wieder; — Pirara wurde bald nur noch von uns , unsern Leuten und den Indianern bewohnt , die uns nach dem Ro- raima begleiten wollten. Nur erst gegen das Ende der Regenzeit belebte sich das Dorf dann und wann für einige Tage wieder , wenn uns die alten Bewohner in grossen Zügen Provision zum Tausch brachten. Die allgemeine Ueberschwemmung , der fast noch täglich anhaltende Regen hatte die schwüle, drückende Atmosphäre jetzt so mit Feuchtigkeit geschwängert, dass die Kleidungsstücke, welche wir nicht brauchten, in den Koffern vermoderten, und um sie vor gänzlicher Vernichtung zu schützen, wir sie täglich am Feuer aus- trocknen mussten. Eiserne Werkzeuge, die nur wenige Tage am Boden gelegen hatten , waren vom Rost bis zur Unbrauchbarkeit zerfressen, das Silber oxydirte, meine Arsenikseife zersetzte sich gänzlich und alle die Hoffnungen, die ich auf meine reichen Sammlungen gebaut, schienen in der täglich weiter um sich greifen- den Vernichtung untergehen zu sollen. Den Schmerz , der jeden ergreifen muss, wenn er seine Kisten lüftet , auf die er seine Zukunft gebaut , und alle die Mühe, die er angewandt, alle die Hoffnungen, die er auf diese gesetzt, der Vernichtung entgegen gehen sicht, kann nur der ganz fühlen und würdigen, welcher ähnliche Erfahrungen gemacht hat! Und doch lag in dem ernsten Entschluss, durch unwan- delbare Ausdauer die feindlichen Mächte der Natur zu besiegen , eine ungemeine Befriedigung, wie zugleich jeder gelungene Versuch , diesen Dämonen auch nur eine Pflanze abzutrotzen, ein Gefühl des Stolzes und Vertrauens hervorrief, das wenigstens eine gänzliche Entmulhigung verhinderte. Wie wir, so lebten auch die Bewohner von Pirara fast nur von Pflanzenkost, da ihre Fleisch- und Fischvorräthe nur zu schnell aufgezehrt waren, und selbst die erstere Nahrung wurde bald mehr als spärlich, indem die seit Herrn Youd’s Ankunft angelegten neuen oder gereinigten alten Provisionsfelder, ausser den noch unreifen Maiskolben, noch keine Früchte lieferten. Die halbreifen Kolben wurden auf Kohlen geröstet, oder auch gekocht, und sowohl auf die eine wie die andere Art zubercitcl, boten sie ein ganz schmackhaftes Gericht. Die öligen Früchte der Maximüiajia , Mauritia und des Astrocaryum waren fast die einzige Nahrung der Indianer, und doch behielten sie vollkommen ihre körperliche Stärke, wozu wahr- BRITISCII-GUIANA. 120 scheinlich der reife Slickstoffgehalt dieser Palmenfrüchte das Meiste beitrug. Waren die eingetragenen \ orräthe verzehrt, so zogen sie gewöhnlich in ganzen Cara- vanen nach den entfernteren Wäldern aus, um nach einigen Tagen reich beladen mit den obigen oder den Früchten einer Eugenia, eines Psidiums, der Spondias, der Mimusops oder anderen schmackhaften Vegetabilien , die uns wegen Mangels von Blättern und Bliithen unbekannt blieben , wieder nach Pirara zurück zu kehren. Bald nach Herrn Youd's Abreise störte und beunruhigte uns abermals ein Un- glücksfall, der einen unserer Jäger, einen jungen, rüstigen Mann betraf. Wie kein irgend erträglicher Tag verstrich, an dem wir nicht mit einander zur Jagd ausgin- gen, so war dieser auch heute, ohne dass gerade das Wetter dazu eingeladen hätte, mit Tagesanbruch aufgebrochen, um auf einer der vom Wasser nicht erreichten Höhen vielleicht ein Wild aufzufinden. Die Sonne näherte sich schon dem Horizont und Essetamaipu war noch nicht zurückgekehrt, was uns nicht früher aufliel, als bis wir einen andern Indianer im schnellsten Laufe über die Anhöhe auf das Dorf zu- eilen sahen, das sicherste Zeichen einer wichtigen Neuigkeit oder einer Unglücks- botschaft, da sich der Indianer ausserdem nur in gemessenen Schritten auf ein Dorf zu bewegt. Unsere Vermuthung bestätigte sich. Er hatte Essetamaipu, von einer Schlange gebissen, besinnungslos in der Savanne, einige Miles von Pirara entfernt, liegen gefunden. Mit allen möglichen Hülfsmitleln versehen, eilten wir der Stelle zu, wo der Unglückliche liegen sollte, und fanden ihn auch ohne Bewusstsein dort vor. Eine mit dem Messer auf wahrhaft schauderhafte Weise scarifieirte und mit einem Streifen des Schaumschurzes überbundenc Wunde über dem Knöchel des rechten Fusses, zeigte uns die Stelle, wo der Arme gebissen worden war. Das ganze Bein war geschwollen, und die heftigsten Krämpfe durchzuckten den Körper des Besinnungslosen , den man fast nicht wieder erkannte , so sehr halten sich in Folge der Krämpfe die Gesichtszüge verändert. Als der arme Essetamaipu durch die Savanne gegangen war, hatte er auf eine Klapperschlange getreten, die er in jenem unmittelbaren und instinktartigen Rachegefühl zunächst getödtet, und dann erst die Wunde mit einer nur dem Indianer eigenthümlichen Gefühllosigkeit ausgeschnitten und Überbunden hatte. Da die Verwundung auf der hochgelegenen Savanne stattgefunden, hatte er sich noch mühsam bis in die Nähe des Pfades ge- schleppt, wo er eher gefunden zu werden hoffen durfte, und war hier besinnungs- los zusammengesunken. Als die Bewohner Pirara' s uns hatten forteilen sehen, war uns fast die halbe Be- völkerung gefolgt, die wahrscheinlich auch die Ursache unserer Eile erfahren hatte und nun, den Unglücklichen schweigsam ansehend, um ihn herumhockte, während die Frau und die Kinder desselben in ein herzbrechendes Jammern ausbrachen. Dem 17 II. Tlieil. 130 REISEN IN geronnenen Blute nach zu urlheilen , musste die Verwundung schon vor mehren Stunden slaatgefundcn haben ; ein Aussaugen oder Ausbrennen war daher nicht mehr anwendbar, weshalb wir die Wunde bloss mit Ammoniakspiritus auswuschen und solchen mit Wasser verdünnt dem immer noch Besinnungslosen einflössten. Dieses Mittel schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Die Besinnung kehrte ihm zu- rück , und über Schmerzen in der Brust und der Achselgegend , so wie über Zie- hen in den Gliedern und Rückenweh klagend, wurde er in seiner Hängematte nach Pirara getragen. Das Bein blieb mehre Tage bis zum Hüftgelenk zu einer unförm- lichen Masse angeschwollen und völlig unbeweglich ; dabei fühlte der Kranke bei der leisesten Erschütterung die unerträglichsten Schmerzen. Nach drei Wochen hatte ein warmer, erweichender Umschlag von Cassadabrod nicht nur die Ge- schwulst, sondern auch den leichenartigen Ausdruck des Gesichts und die Schmer- zen vertrieben; nach Verlauf von fünf Wochen schloss sich auch die Wunde und der Kranke konnte den Fuss wieder gebrauchen. Wird durch die schleunig angewandten Mittel auch den tödtlichen Wirkungen des Schlangenbisses vorgebeugt, so schleppt der Verwundete doch sein ganzes Leben hindurch die nachlheiligen Folgen mit sich herum, und unterliegt denselben oft noch nach mehren Jahren. Die Wunde bricht meist alle Jahre wieder auf, und das verwundete Glied bleibt ununterbrochen der schmerzhafteste Wetterprophet. Mehre Bewohner Pirara s waren dafür lebendige Zeugen , und ein früherer Be- gleiter meines Bruders, auf dessen erster Reise, Herr Vieth, der im Jahre 1834 von einer Labaria (Trigonocephalus atrox) am Fusse gebissen worden, war noch unmittelbar vor unserer Ankunft in der Colonie, also nach sieben Jahren, den Fol- gen des Bisses unterlegen. Er litt bei der geringsten Veränderung der Witterung die heftigsten Schmerzen, und die Wunde brach dann jedesmal von neuem auf, wobei sich stets eine höchst übelriechende Feuchtigkeit entleerte. Ausser den allgemein üblichen Mitteln : Ausschneiden und Aussaugen der Wunde, so wie frischer Saft vom Zuckerrohr, wenn sich solches in der Nähe findet, dessen Genuss nach der Aussage der Indianer auch ein sicheres Mittel bei Verwundungen mit dem Giftpfeil sein soll , besitzt fast jeder Stamm noch seine eigentümlichen Mittel, von denen man allerdings eine grosse Zahl den einge- bildeten zuzählcn muss. So dürfen bei einigen Stämmen weder der Verwundete noch seine Kinder, noch seine Ellern und Geschwister, sobald solche mit ihm eine und dieselbe Niederlassung bewohnen , die erste Zeit nach seiner Verwundung Wasser trinken, oder sich baden, oder nur in die Nähe des Wassers kommen; einzig seiner Frau ist dies gestattet. Ein dünner Kürbissbrei , der aber nur warm genossen werden darf, muss den Durst stillen. Geröstete Pisangfrüchtc sind die einzige Nahrung , die ihnen während dieser Zeit erlaubt ist. Hat der Gebissene niUTISCII GUIANA. 131 nach der Verwundung Zuekerrohrsaft genossen, so muss er später alles Süsse ver- meiden. Andere Stämme glauben in Frauenmilch ein wirksames Gegengift ent- deckt zu haben, die sie im Verein mit den erweichenden Umschlägen aus Cassada- hrod anwenden; dem letztem ist nach unsern Erfahrungen , die eigentliche enl- gegeuwirkende Kraft zuzuschreiben. Wieder andere wenden den ausgepressten Saft der Blattstengel und Wurzeln des Dracontiam dubium (Kunlh noo. spec.) an, wie ich schon früher zu erwähnen Gelegenheit halte. Die in fast ganz Südamerika, namentlich in Peru und Chili gebräuchliche Benutzung der Mikania Guaco (Hamb. Bonp.), welche die Eingebornen Errawareng nennen, war unter den Indianern Guiana's ganz unbekannt, obschon ich ausser dieser Species auch noch die Mikania racemulosa (Benlh.) , Ilookeriana (Dcc.) , denticulata (fVilltl.) , cotivolvulacea ( Dcc .), Parkeriana (Dcc.) und angularis (Huml>. Bonp.) fand , die fast durch- gängig jenes bittere Princip besitzen. Einen Absud der Mikania Guaco und angu- laris benutzen die Farbigen als kräftiges Mittel gegen Syphilis. Ziemlich allgemein verbreitet gegen denBiss der Klapperschlange ist ein Infusum der Bt/rsoni/na crassi- folia und Moureila (London), und ausser der schon erwähnten Aroidee, die der- selben Familie angehörende Quebitea guianensis (Alibi.). Die heilsame Wirkung aller dieser Mittel schien jedoch vielfach durch die Körperconstitution des Verwun- deten bedingt zu sein , da Frauen und schwächliche Männer nur höchst selten mit dem Leben davon kommen. Die von den Indianern und Farbigen am meisten gefürchteten Schlangen sind : die Labaria der Colonisten, Sororaima der Macusis ( Trigonocnpha/us alrox.), von der es einige Varietäten giebt, die sich namentlich durch eine etwas abweichende Färbung unterscheiden , und der allgemein geflohene Bushmaslcr, Runckuschi der Indianer (Crotalus mutus Lin. , Lachesis niuta Daud. , Lachesis rhonibeata Pr. Neuwied), dessen Grösse zwischen 4 — 8 Fuss wechselt und der die Stärke eines Menschenschenkels erreichen soll. Der herzförmige, durch die Giftdrüsen namhaft erweiterte Kopf der schön gezeichneten Schlange, der sich auffallend scharf gegen den Hals absetzt, wie die oft über einen Zoll langen Giftfänge verkünden schon von ferne die Gefährlichkeit des Thieres, und lebte sie nicht in den hohen Waldun- gen, in denen sie während des Tages auf der Erde zusammengerollt liegt, wäre sie häufiger, als sie es wirklich ist, so würde dem Wanderer auf jedem Tritt und Schritt der Tod entgegen lauern, da, nach der allgemeinen Aussage der Indianer, diese Schlange nicht wie die übrigen vor dem Menschen flieht, sondern in einer Spirale zusammengewunden den sich ihr Nähernden ruhig erwartet, und sich dann mit Pfeilesschnelle auf ihn stürzt. Bei meinem ersten Aufenthalt in Bartika-Grovc fand ich dort einen Farbigen, dessen Sohn einige Wochen vor meiner Ankunft von dem heimtückischen Bushmaslcr in die linke Backe gebissen worden war. 17* 132 REISEN IN Besinnungslos wird der Sohn von dem Vater gefunden, und die Wunde von dem letztem ausgesogen. Schon nach Verlauf einer Viertelstunde fühlt der Mann die unsäglichsten Schmerzen , der Kopf schwillt zu einer unförmlichen Grösse an und alle Symptome der Vergiftung treten ein, die, wie sich ergab, durch einen hohlen Zahn stattgefunden halte, in den das ausgesogene Gift eingedrungen sein musste. Der Knabe starb und der Vater schleppte sich noch bei meiner jüngsten Anwesen- heit in Barlika mit einem sichen Körper herum. Die Furcht vor den zwrei angeführten Schlangen übersteigt die vor der Ma- racca, wie mehre Stämme die Klapperschlange ( Crotalus horridus Dnud.) wegen ihrer Klapper nennen, bei weitem, da sich deren Biss nur in wenigen Fällen ab- solut tödllich zeigt. Oft hatte ich mich letzterer bis auf 6 oder 7 Fuss genähert und sie ruhig beobachtet; zwar behielt sic mich dabei fortwährend in den Augen, zeigte aber nicht die geringste Neigung, den gefahrdrohenden Sprung auszuführen; — doch die mindeste Anreizung, eine plötzliche Annäherung versetzt das Thier augen- blicklich in Wulh ; sich in eine Spirale windend , den Hals und Kopf in die Höhe hebend, den Rachen weit aufsperrend , und ein ganz eigenthümliches Zischen aus- slossend , schaut sie dann zornig umher , verfehlt nur selten ihr Ziel , und selbst die dichteste Bekleidung, die stärksten Stiefeln werden von ihren Giftzähnen durch- drungen. Die dabei zitternde Bewegung des Schwanzes verursacht allerdings ein Geräusch, das aber nicht laut genug ist, um weit gehört zu werden. Diese eigen- Ihümlichc Bewegung ist aber, wie man bisher geglaubt, durchaus der Klapper- schlange nicht allein eigen, bei der sie als Warnung, bevor sie beisst, angenommen worden ist, sondern ich habe dieselbe auch bei nicht giftigen Schlangen , besonders bei der so schön gezeichneten Coluber versabilis (Ruhl) häufig beobachtet , wenn ich in die Nähe dieses Thieres kam. Mit der dreimaligen Warnung der Klapper- schlange hat es dieselbe Bewandtniss, wie mit der Bezauberungskraft, die ihnen zugeschrieben worden ist. Brechen die Giftzähne durch den Biss in einem harten Gegenstand ab , so sind sie bald wieder durch neue ersetzt. Fben so wird die Parrot-snake (Cophias bilineatus Pr. Neuwied), wie sie wegen ihrer bläulich hellgrünen Färbung genannt wird, unter die giftigsten Schlan- gen gezählt und allgemein gefürchtet. Ihre grossen Giftfänge bekunden diese Ver- mulhung. Hier muss ich noch eine eben so allgemein gefürchtete Schlange er- wähnen, die mir zwar selbst nicht zu Gesicht gekommen ist, von der man aber viel erzählen hört und die mein Bruder auf seiner frühem Reise erlegte. Es ist die Iguana-Schlange, die ihren Namen von dem Beutel erhalten, den sic wie die Igu- fi/iu unter der Kehle hat. Ihre Grundfarbe soll gelblich sein, die von rautenförmi- gen schwarzen Flecken unterbrochen wird. Sie erreicht eine Länge von 5 — 7 BRITISCH* GUIANA. 133 Fuss. Auch au ihr soll man die zitternde Bewegung des Schwanzes vor dem Sprunge wahrnehnem. Die Indianer rechnen sic zu den gefurchte tsten Schlangen. Die Folgen der Schlangenbisse hatten mich anfänglich ziemlich furchtsam ge- macht. Wenn ich auf meinen botanischen Excursionen etwas im Grase rascheln hörte oder mich durch eine Liane aufgehalten fühlte, glaubte ich auch schon eine sprungfertige Schlange zu sehen; — doch auch hierbei wirkte die Zeit beruhigend ein. Namentlich nöthigten mich die Eidechsen bei meiner ersten Expedition nach dem Orinoko zu manchem Luftsprunge, bis ich das von ihnen hervorgerufene Ge- räusch von dem der Schlange unterscheiden lernte. Die ersteren laufen viel rascher und immer nur eine kleine Strecke , worauf sie einen Augenblick anhalten und dann wieder die Flucht fortsetzen, während die Schlange diese langsamer, gere- gelter und nicht slossweise anlritt; nur ihr tödtlicher Sprung giebt Kunde von ihrer wunderbaren Muskelkraft. Mit Schrecken denke ich noch immer des Augenblicks, wo ich in w irkliche Berührung mit einer Schlange kam. Während meines Aufent- haltes bei Hrn. Bach sah ich nämlich auf einem meiner Jagdausflüge eine 6 — 7 Fuss lange Schlange in langsamem, gewundenem Laufe mir entgegenkommen ; noch aber war die Entfernung von mir zu gross , um unterscheiden zu können, ob es eine giftige oder nichtgiftige sei. Beide Läufe meines Doppelgewehrs waren geladen, ruhig lege ich an , schiesse ab , und in krampfhaften Windungen dreht sich das Thier in Kreise herum ; — ein Flattern in den Zweigen des Baumes, unter dem ich stand , zieht meine Aufmerksamkeit dorthin , ■ — zwei schöne, mir unbekannte Papageien , die in dem Schatten derselben gesessen und durch den Schuss aufge- schreckt worden waren , setzen sich eben wieder auf die äusserste Spitze eines Zweiges nieder. Die Schlange schien mir tödtlich verwundet und der noch geladene Lauf brachte einen der beiden Vögel herab. Jetzt sehe ich, dass sich die Schlange mühsam nach einem dichten Gesträuch hinwindet, in dem sic während des Ladens verschwindet. Vergebens suche ich sie mit dem geladenen Gewehre in der Hand wieder auf, ich muss näher herantreten, als mir plötlich , gleich einem Pfeile, das verwundete Thier , das meine Annäherung bemerkt und sich zum Sprunge bereit gemacht hatte , gegen die Achsel springt und mich einen gewaltigen Sprung riiek- w ärts thun lässt. Noch starr vor Schrecken , ohne zu wissen , ob ich verwun- det war, sehe ich das Thier sich abermals zum Sprunge rüsten, dem aber noch zur rechten Zeit ein glücklicher Schuss zuvorkam. Bei näherer Besichtigung fand ich mich eben so wenig verwundet, wie in meinem wülhenden Feind eine jener giftigen Schlangen, sondern nur den schwärzlichen, unschädlichen Herpe- lodmjas edrinatus ( Schleg — Von den giftigen Schlangen habe ich nie wel- che auf Bäumen und Gebüsch gefunden , was auch die Ansicht des Prinzen von Neuwied, dass diese Schlangen nie auf Bäume zu steigen pflegen, zu bestätigen 134 REISEN IN scheint. Wie die dunkeln Schlupfwinkel, so lieben sie auch die heissesten Sonnen- strahlen und den fast glühenden Sand. Das Verhältnis der giftigen zu den nicht giftigen Schlangen möchte sich in Guiana wie 1: 8 heraussteilen. Die bannende Zauberkraft, die namentlich die Klapperschlange auf Vögel und kleinere Säuge- Ihiere ausühen soll, gehört zu den gangbar gewordenen Fabeln , da mir das wilde Geschrei und das Umherfliegen der erstem, womit sie nicht nur diesen, sondern überhaupt jeden argen Feind vertreiben zu wollen scheinen, im Gegentheil mehr als einmal die Nähe eines solchen Thieres verrathen hat. Mit Recht meint Prinz von Neuwied, dass diese Fabel in der Angst ihren Ursprung haben dürfte, in welche vielleicht ein Thier gerathen konnte , das einer giftigen Schlange plötzlich ganz nahe kam und nun von ihr angegriffen wurde; auch bemerkte wohl gar der Beobachter den Schwindel des geängstigten Thieres, nachdem dasselbe bereits von der Schlange einen Biss erhalten hatte , dem sie gewöhnlich mehre auf einander folgen lassen. Nach den in Georgetown von glaubwürdigen Personen angestellten Versuchen zieht der gegenseitige Biss giftiger Schlangen nur eine kurze Lethargie nach sich, die aber bald wieder verschwindet. Die Kunst, giftige Schlangen zu zähmen, scheinen die Afrikaner mit aus ihrem Vaterlande herübergebracht zu haben , da es bei diesen nichts Seltenes ist, dass sie selbst Klapperschlangen , ohne ihnen die Fänge auszureissen , so abzurichten verstehen , dass sie sich ihren Meistern ohne Gefahr ruhig um die Arme schlingen und mit ihnen auf dem freundschaftlichsten Fusse leben. Dass die grösseren Schlangen ihre Beute , wenn diese nicht die Grösse ihres Rachens überschreitet, noch einige Zeit lebendig im Magen mit sich herumtragen, erlebten wir wenige Tage nach dem Unglücksfall mit Essetamaipu. Schon seit eini- ger Zeit halte eine G — 8 Fuss lange Natter, die sich selbst bei dem leisesten Ge- räusch augenblicklich in ein undurchdringliches Dickicht zurückzog, unsere Auf- merksamkeit in Anspruch genommen, und unsre Geduld auf die Probe gestellt, bis Sie endlich doch von einem Indianer überlistet wurde, der sic mir mit triumphi- rendem Lachen brachte. Ihr etwas aufgeschwollcncr Bauch licss mich vermuthen, dass sie vor kurzem ein Thier verschlungen habe, und als ich diesen aufschnitt, fand ich zwei grosse Kröten in dem Magen , die mit einer gelblichen Schleim- hülle überzogen waren. Da ich sie für leblos hielt, warf ich sie neben mich hin, ohne sie weiter zu beachten, bis ich nach einigen Minuten zu meiner Verwun- derung bemerkte , dass sie anüngen , sich zu bewegen und immer deutlichere Lebenszeichen von sich zu geben ; nach 8 Minuten hatten sie sich soweit erholt, dass sie das Weite suchten. Der schnellen und mächtigen Verdauungskraft der Schlangen nach konnten sich die beiden Kröten allerdings noch nicht lange in dem BRITISCH-GUIANA. 135 engen Gefängniss befunden haben, obschon zwischen dem Verschlingen des Raubes und dem wirklichen Tode des Räubers eine Zeit von wenigstens G — 8 Minuten, vielleicht noch länger liegen musste. Sehr häufig kommen in der Savanne auch die unschädlichen Schlangen Coronella Cubclla (Lin.), Reginae (Lin.) und Mcrremii (Pr. Neuwied) vor. Nach diesem etwas längern Excurs über die Schlangen kehre ich zu unserem Leben in Pirnra zurück , das ich aber bis zur Mitte August unberührt lasse , da jeder Tag nur die traurige und einförmige Wiederholung des vorhergehenden war, und das Auge, ausser den inselgleichen Oasen, nur einen grau umflorten Himmel und eine fast unübersehbare Wasserfläche vor sicli sah, die sich in Norden bis zur Basis des Pacut'aima-Gebirges, in N.O. und N.W. bis in weite Ferne hinzog, wo ihr Spiegel mit dem Horizonte verschwamm. Erst in der zweiten Hälfte begann sich die Atmosphäre zu ändern, die Luft wurde klarer, die Gewitter seltener, und oft vergingen 4 — 5 Tage, ohne dass Regen eingetreten wären ; noch aber wehte der Wind aus Westen und Nordwesten, der den jetzt ziemlich regelmässig ein- tretenden Morgennebcl vertrieb. *) Die von Ende Mai bis Ende August angestellten , meteorologischen Beobach- tungen gaben folgende Resultate: Monat. Barometer in englischen Zollen und Decimalen. Thermometer nach Fahrenheit. Höchster Niedrig- ster Mittel Grösste Differenz Höchster Niedrig- ster Mittel Grösste Differenz Ende Mai 29"500 29"292 29"334 0" 208 91° 73° 5 81° 17° 5 Juni 29 496 29 310 29 429 0 186 90 73.5 81.07 16. 5 Juli 29 722 29 500 29 6211 0 222 86.5 74.8 80.69 11. 7 August 29 730 29 500 29 6178 0 230 88 76 82.16 12. Von unsern Nachbarn, den Brasilianern, liefen durch unsere Indianerund Spione immer noch allerhand bedenkliche Gerüchte ein, und sollte die Iiriegsthätig- keit wirklich beginnen, so war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem eine solche *) Herr Professor Ehrenberg entdeckte bei der Untersuchung des Schlammes und an den Blättern der Nymphaeacucn aus dem Pirara- Fluss folgende mikroskopische Formen: Poly gast rica: Arcella ecornis. Navicula affinis. A. areu/a/a. N. amphisphenia. 136 REISEN IN Operation am leichtesten unternommen werden konnte, da die gefüllten Strombet- ten die bequemsten Heerstrassen bildeten. Ruhig mussten wir unser Schicksal erwarten, denn alle die sehnsüchtigen Wünsche, unsere Boote aus Georgetown nicht allein mit Lebensmitteln u. s. w., sondern auch mit den Verhaltungsbefehlen für die Besatzung von Neiv Guinea zurückkehren zu sehen, waren bisher unerfüllt geblieben. In diesen Tagen des bangen Zweifels und der mit jedem Sonnenaufgang neu erwachten Hoffnung, traf eine Parthie Indianerbei unsein, die uns mehre ihrer mit Hieroglyphen bemalten Trommeln, Sampura, zum Tausch anboten. Die Trommel selbst besteht aus einem ly2Fuss langen Horizontaldurchschnitt der Mau- ritia ßexuosa , deren Mark sich leicht entfernen lässt, sobald das Stück einige Tage im Wasser gelegen hat, worauf die Cvlinder mit Affen- oder Rehfell überzogen werden, das man ganz wie dasFell unserer Trommeln spannt. Nie habe ich bei den Indianern zwei Trommelschlägel gesehen. Da schon Columbus die Trommel unter den Eingcbornen vorfand, so scheint sie eins jener Instrumente zu sein, von denen jede Nation der eigene Erfinder ist. Die Pfeile des Witzes, mit welchen uns seil jenem unglücklichen Schildkrö- tendiner unsere Freunde vom Fort fast jeden Tag überschütteten, waren im Ver- lauf der Tage eben so wenig abgestumpft worden, wie unser fester Vorsatz, uns zu rächen. Noch hatte sich uns bisher keine Gelegenheit geboten, bei der wir cs in einer Art und Weise gekonnt, die uns vollkommen befriedigt hätte. Jetzt war sic gekommen. Die vielfach sich erneuernden Kriegsgerüchte steigerten natürlich auch den Ilcldenmulh der Söhne Albion’s, und die Unterhaltungen bei unsern Zu- sammenkünften drehten sich meist um die zu pflückenden Lorbeerkränze, mit denen bereits jeder sein Haupt bedeckt zu sehen wähnte. Difßugid areolata. Eunolia Fonnica. E. Movodon. E. Pileus. Fragilaria glaber. Gallionella distans. Trachelomonas voluocina. Himantidium Arcus. II. zygodon. P hy Lithostcrsius tuberculatus. Lithodontium rostratum. L. furcatum. Lithostylidium Scrra. L. rude. L. spiriferum. Navicula fulva. N. lineolata. N. diaphema. N. dilatata. N. gibba. N. Schomburgkorum. Pinnularia direphala. P. macilenta. olitharia : Lithodontium clavatum. Lithostylidium Clcpsammidium. L. polyedrum. L. sceptrum. L. artinulatum. Spongolithis cenoccphala. BRITISCH -GUIANA. 137 Kaum hatte Tiedgg die Trommeln gesehen, als er dieses sein geliebtes Instru- ment, denn er hatte als Trommelschläger seine Militairzeit absolvirt, ergriff, und uns die kunstvollsten Wirbel vorschlug, wobei er von Stöckle auf das Trefflichste accompagnirt wurde, der sich in der Heimath aus Passion diesem Instrumente zu- gewandt hatte. Auf die Voraussetzung, dass die Offiziere keine Ahnung davon hät- ten, dass die Indianer die Trommel eben so gut besitzen, wie die Europäer, denn in Pirara war sie nicht heimisch, so wie auf die Fertigkeit unserer beiden Schwaben, wurde sogleich ein Racheplan angelegt. Der Zufall wollte es , dass bereits am fol- genden Morgen unsere Jäger ein Reh einbrachten, und das Signal: «Einladung zum Abendessen und zu einer Parthie Whist, » wehte lustig vom Flaggenstock. Unter Scherz und Jubel über die erfreuliche Rotschaft kamen unsere Freunde an, die der von Adams vortrefflich zubereitete Rraten nur noch heiterer stimmte. Letzterer ist verschwunden, und die von den Offizieren mitgebrachten Ingredienzien dampfen, eben zum Punsch gemischt, in einer grossen Schüssel auf unserem Tisch, die Gläser sind bereits gefüllt, da fällt ein Ton in den Jubel hinein , der gedankenschnell das dampfende Glas von der Lippe zurückschleudert, die lachenden Mienen in die des tiefsten Ernstes umwandelt, das lauschende Ohr zur äussersten Anspannung drängt. Horch ! — Horch ! ist das nicht Trommelschlag? — Ja! — die bis jetzt noch ver- einzelten Töne vereinen sich immer deutlicher zum kriegerischen Marsch — noch lauscht alles lautlos. — Die Hände aufgestützt, standen die Herren um den Tisch, während die versäumte Pflicht ihnen gleich der Alp den Athem raubt: «Das Fort ist überrumpelt, — die Brasilianer! — die Brasilianer!» — waren nach einigen lautlosen Minuten die ersten Worte, die sich aus der zusammengepressten Brust des Lieutenant’s Bingham lösten, und hinaus stürzten die geängstigten Offiziere, um in ihrem Blute die Schmach zu tilgen, die sie schon über sich hereingebrochen wähnten. Unser Racheplan war gelungen, und mit dem Ausruf: «Kennen Sie den Todtenmarsch der Schildkröte nicht?» — stürmten wir ihnen unter olympischem Gelächter nach, ohne jedoch ihre Eile hemmen zu können, der erst durch die bei- den wirbelnden Musikanten Einhalt gelhan wurde , die eben um die Ecke eines Hauses bogen. Verdutzt machten die Herren Halt , und unser ausgelassenes Ge- lächter nöthigte ihnen die Gewissheit auf: die Schildkröte war zu Grabe getragen! Triumphirend und frohlockend kehrten wir, ärgerlich über das Gelingen unsers Racheplans die Offiziere, zu den verlassenen Gläsern zurück , bald aber stimmten die Herren mit in unsern Jubel ein, da sie wohl fühlten, dass sie, wenn sie uns das Lachen allein überliesseu, noch in viel grösserem Nachtheil standen. Lieutenant Biingham meinte zwar, unsere Rache sei zu grausam gewesen, denn er könne Nie- mand den Gemüthszusland wünschen , den der erste deutlich hörbare Trommel- schlag in ihm hervorgerufen, da mit diesem zugleich das klagende Bewusstsein der II. Tlieil. 18 138 REISEN IN vernachlässigten Pflicht, indem sämmtliche Offiziere das Fort verlassen, vor seine Seele getreten wäre und Sühne verlangt hätte ; dennoch blieb es der heiterste Abend, den wir während der ganzen Regenzeit verlebt. Einige Tage nachher brachten uns mehre Bewohner von Haiowa die ersehnte Kunde, dass unsere Boote dort angekommen seien, wonach wir sie in 3 — 4 Tagen in Pirara erwarten konnten. So lange liess sich jedoch weder unsere, noch die Ungeduld und Sehnsucht der Offiziere zügeln, und bald eilten einige Indianer dem Rupununi zu , um von dort in einem leichten Corial den schwerbeladenen und langsamen Booten entgegen zu fahren , sich die Depeschen und Briefe geben zu lassen, und mit diesen so schnell als möglich zu uns zurückzukehren; ein Kanonen- schuss sollte den Bewmhnern des Fort’s die Rückkehr ankündigen. Die folgende Nacht um 1 Uhr rollte dieser durch die stille Nacht und rief die Offiziere an unsere Seite; aber unter all’ den vielen Briefen und Schreiben war kein einziges an sie gerichtet. Eben so gespannt wie mein Bruder hatte Lieutenant Bingham neuen In- structionen entgegengesehen. Mein Bruder erhielt den Befehl, die Grenzexpedition sobald als möglich fortzusetzen. Das Militaircommando schien zu unser aller Ver- wunderung vergessen zu sein, bis uns der Farbige, der unsere Boten nach Pirara begleitet hatte, das Räthsel durch die Nachricht löste , dass mit unsern Booten auch ein Polizeiboot angekommen, welches besondere Depeschen für die Besatzung von New Guinea überbrächte , deren Inhalt aber den Ueberbringern selbst unbe- kannt geblieben wäre; das Polizeiboot habe erst acht Tage nach ihrer Abreise Georgetown verlassen und sie jenseits der Fälle eingeholt. Die Nachrichten mussten wichtig sein, und an die Stelle der frühem Verwunderung über das Aus- bleiben, trat jetzt eine zahllose Menge von Vermuthungen über ihren Inhalt. Nach zwei Tagen traf der Gesandte ein; das Detachement wurde zurückgerufen. Die Freude, welche dieser Befehl unter den Offizieren und Gemeinen erregte, grenzte fast an Wahnwitz, und cs verging eine lange Zeit, bevor die ersteren den Inhalt der Depeschen uns in Ruhe und Vernunft mittheilen konnten. Die Depesche, die so- gleich nach unserer Ankunft in Georgetown im J. 1841 durch den Polizeiinspector Criciiton nach Pirara geschickt worden war, in welcher die Forderung gestellt wurde, dass die Brasilianer das Dorf augenblicklich räumen sollten, halte Capitain Leal zunächst an den Präsidenten von Para gesandt, von wo sic erst nach Rio Ja- neiro gelangt war. Schon im Januar 1842 war zwischen dem britischen Gesandten einerseits, und dem brasilianischen Minister des Auswärtigen andrerseits ein Trac- tat geschlossen, nach welchem Pirara, so lange die Grenzstreiligkeiten nicht defini- tiv geordnet wären, als neutraler Grund und Boden angesehen werden sollte, den weder Brasilien, noch England militairisch besetzen durfte. Indess sowohl erstcrem, als letzterem war cs gestattet, Missionare dahin zu senden. Bevor dieser Tractat URITISCH -GUI ANA. 139 Rechtskraft erhielt, musste er erst zur Ratification nach London abgeschickl werden, was gerade in die Zeit fiel, in welcher sich , auf die Weisung der frühem Instruc- tion Seitens Englands, das Militair zur Kriegsoperation nach Pirara auf dem Esse- quibo eingeschifft hatte. Im Monat Juni hatte die Ratification in London staltgc- funden; Ende Juli war sie in Demerara eingetrolfen, von wo der Gouverneur den Befehl zur Zurückrufung des Militairs einige Tage nach dem Abgänge unserer Proviant- und Tauschartikelboote nachgesandt hatte. Der Präsident von Para, den dieser Tractat ebenfalls erst Ende Juli erreicht, hatte bis dahin natürlich alle Mass- regeln getroffen, um unmittelbar nach Eintritt der trocknen Jahreszeit die Briten wieder aus Pirara zu vertreiben. Schon befanden sich ausser dem gesummten Mi- litair des Rio Negro noch zwei Linienregimenter aus Para auf dem Marsche, die bereits den Rio Branco erreicht, als sie von dort den Befehl zum Rückmarsch er- hielten. Dieser friedliche Ausgang war unserem Ofliziercorps um so erwünschter, da sie nur zu gut voraussahen, dass sie bei ihren geringen Streilkräften alles andere, nur keine Lorbeeren erringen konnten , und so kamen die Depeschen gerade noch zu glücklicher Zeit, ehe der Angriff von Seiten der wohl mehr als achtmal stärkern Macht Brasiliens versucht worden war. Nach den Mittheilungen , die ich später aus der sichersten Quelle erhielt, hatte dieser in seiner Fassung wohl nicht gehörig überlegte Plan, dem Gouvernement nicht weniger als 24,000 Dollars gekostet; mit dieser Summe aber hätte man den beabsichtigten Zweck weit sicherer, ja selbst billiger erreichen können, wenn man einfach die Mündung des Amazonenstromes blokirte. So sollten wir denn unsere Freunde verlieren und das Fort dazu , das nach einem ebenfalls mit angekommenen Befehl der Erde gleich zu machen war! Welche Sensation diese Neuigkeiten nicht allein unter uns, sondern auch unter der so zusammengeschmolzenen Einwohnerzahl Pirara s erregte , brauche ich kaum zu erwähnen. Hier eitel Jubel und Freude, dort Niedergeschlagenheit, kurz , die entgegengesetztesten Gemüthsbewegungen kreuzten sich in buntem Ge- menge. Die Boote, welche die Truppen und das Kriegsmaterial nach Georgetown zurückführen sollten, waren dem Boot mit den Depeschen unmittelbar gefolgt, und daher schon in der nächsten Zeit zu erwarten. Da die Offiziere jede Stunde, die sie nach deren Ankunft noch in Pirara verlebten, als Verlust an dem geselligen Leben in Georgetown ansahen, so begannen sie auch schon mit dem nächsten Tage das Einpacken der Militaireffeclen u. s. w. Der Awaricuru wurde bei dem eingelretenen hohen Wasserstand jetzt nur noch durch eine schmale Firste von dem See Amucu getrennt, wodurch unsere beiden Proviantboote auch bis an diese heranfahren, hier ausladen und dann über 18* 140 REISEN IN dieselbe hinweggezogen werden konnten, um auf dem Spiegel des See’s die er- sehnten Herrlichkeiten bis in die unmittelbare Nähe des Dorfes zu bringen, was den mühseligen Landtransport unnöthig machte. Leider hatte sowohl der Proviant, als die Tauschartikel durch den immer- währenden Regen , dem sie auf der Reise ausgesetzt gewesen , vielfach gelitten, und als wir die Kisten öffneten, in denen sich unser kleiner Vorrath von Wein, Rum u. s. w. befand, zeigte sich auch hierin eine arge Zerstörung, denn von je einem Dutzend Flaschen waren im Durchschnitt sechs Stück zerbrochen. Natürlich konnten wir diesen Verlust nur der Nachlässigkeit beim Einpacken zuschreiben, bis uns auch hier wieder die Reue oder die Rache, wegen geschmälerten Diebesan- theils, Aufschluss gab. Da der Cockswain Hendrick, wie unser Landsmann Reuter, die die Aufsicht über die Ruderer führen sollten, die Kisten kannten, in welchen sich die Spirituosen befanden, so hatten sie der Versuchung nicht widerstehen können und im Verein mit den Bootsleuten Nägel durch die Fugen der Kisten ge- trieben , auf solche Weise in jeder der Kisten einige Flaschen zertrümmert und den auslaufenden Inhalt in Trinkschalen aufgefangen und unter sich vertheilt. Hät- ten die Bootsleute diesen raflinirlen Diebstahl unter sich ausgeführt, er würde uns bei weitem nicht so aufgebracht haben, als da wir erfuhren, dass Hendrick und Reuter an der Spitze gestanden. Hendrick konnten wir leider nicht entbehren, doch Reuters Tage unter uns waren nun ebenfalls gezählt; — die rückkehrenden Nlili tairbootc nahmen ihn mit nach Georgetown zurück, das er freilich nicht wieder zu sehen bekam, da er in Bartika von jener Krankheit befallen wurde, die wir an der jungen Holländerin am Essequibo halten kennen lernen; am dritten Tage war ihr Reuter unterlegen. Da Lieutenant Bincham zugleich Depeschen an den Präsidenten von Para er- halten, die diesen mit dem Abzugsbefehl des englischen Militairs bekannt machten, so wurde Lieutenant Weiburg bereits am folgenden Tag damit nach Fort Sao Joaquim gesandt, um sie zur Weiterbeförderung an Capitain Leal zu übergeben. Eins der drei Boote, die wir zu der 7rt/«/£«-Reise benutzt, und die sich nach der Aussage einiger Indianer, welche vor wenigen Tagen die Mündung des Pirara be- sucht, noch dort hclindcn sollten, hot ihm das bequemste Mittel zur Reise, auf der ihn unser Landsmann Tiedge begleitete, um sich die uns vom Coinmandant Leal versprochenen Körbe mit Mandiucca oder Farinha auszubitten, die bei den Brasilia- nern die Stelle des Cassadabrodes vertritt. Auch sie wird aus dem Amylum der Cassadawurzel gewonnen und durch eine eigcnthiimliche Behandlung zu Körnern von der Grösse unserer Graupen geformt. Diese Körner wissen die Brasilianer sich beim Essen mit solcher Geschicklichkeit fingerspitzenweise in den Mund zu werfen, dass nur selten ein Korn seinen Bestimmungsort verfehlt. BRITISCH -GUIAIN .4. 141 Schon am sechsten Tage nach seiner Abreise war Herr Weiburg wieder an unsrer Seite und erregte namentlich durch eine Mittheilung, welche Tiedge bestä- tigte, mein ganz besonderes Interesse. Als sie den Takutu aufwärts gefahren , wa- ren sie durch mehre unförmliche Thiere, die sich von Zeit zu Zeit mit dem Kopf über die Oberfläche des Wassers erhoben hatten, anfänglich förmlich in Schrecken versetzt worden, da ihnen diese Geschöpfe ganz unbekannt gewesen, was sich auch später bestätigt, als sie in einer Fazenda, die sich in der Nähe der Mündung des Zuruma befindet, zwei dieser Ungeheuer gesehen, wrelche man mit Har- punen gefangen hatte. Nach der Beschreibung waren es Seekühe ( Manatus ame- i'iearnis Cuv .) gewesen. Da wir in 14 Tagen denselben Weg einschlugen und das Museum in Berlin keins dieser interessanten Thiere besass, so war mir diese Nach- richt natürlich um so erfreulicher. Zwrei Tage nach Herrn Weiburg's Abreise nach SaÖ Joaquim trafen die grossen Militairboote ein und alles beeilte sich , sie so schnell als möglich mit den bereits verpackten Effecten zu befrachten. Auch ich benutzte die Gelegenheit, um abermals einen Theil meiner Sammlungen unter der Aufsicht unserer Freunde an Herrn Bach zu senden, damit sie dieser weiter nach Berlin befördern möchte. Einige Tage vor der Rückkehr der Boote , kam die junge Indianerin Baku, die uns, wie sich der Leser erinnern wird mit ihrem zukünftigem Gemahl, dem Maeusi Aiyukante, auf der Reise nach dem Takutu begleitete, und schon da- mals eine fast unüberwindliche Abneigung gegen ihren Bräutigam gezeigt hatte, mit den sichtbarsten Zeichen der Angst und Aufregung in unsere Hütte, und bat uns unter den bittersten Thränen , sie vor den Verfolgungen des ihr verhassten Aivukante zu retten und ihr zu erlauben, dass sie mit unsern Booten bis JVaraputa fahren dürfe, wo sie sich unter Yold’s Schutz stellen wollte. Sie könne das Weib des Verhassten nicht w erden, dieser aber habe, als sie ihm ihren festen Entschluss mitgetheilt, ihr im Weigerungsfälle mit dem Tode gedroht, der ihrer ohne Rettung warte , sobald das Militair abgezogen und wir nach dem Roraima aufgebrochen sein würden. Baru war ohne Zweifel das schönste Macusimädchen in Pirara ; die Aufmerksamkeit, die ihr nicht allein von den Offizieren, sondern auch von uns geschenkt worden war, und das sichtbare Gefallen, welches ein Mitglied unserer Expedition vor ihren Augen gefunden, halte Aiyukante’s Eifersucht, w elche durch die Kälte und Abneigung des Mädchens zu überlegter Rache gesteigert wurde, die gewöhnliche Vorsicht \rergessen und seinen Entschluss auch andern mittheilen lassen. Mein Bruder war in Verlegenheit; — Baru war nach indianischen Begriffen Eigenthum Aiyukante’s, der sie schon als Kind gekauft, um sie nach Eintritt der Mannbarkeit zu seiner zweiten Frau zu nehmen , und es Yvar von seiner Rache alles zu fürchten. Dieses Bewusstsein vermochte auch meinen Bruder, soYvcit es 142 REISEN IN in seiner Macht stand, den sicher düstern Folgen vorzubeugen. Noch hatte Baru, wie sie uns unter Weinen und mit zitternder Stimme versicherte, Niemanden ihre Absicht, nach Waraputa zu fliehen , mitgetheilt, und in der höchsten Spannung wartete das arme Mädchen jetzt auf den Entschluss meines Bruders , der ihr zu ihrer unaussprechlichen Freude auch nach kurzer Ueberlegung die Bitte gewährte. Offen gegen Aiyukante au ('treten , hätte die Rachethat beschleunigen heissen, — nur List konnte sie abwenden. Aiyukante musste so lange von Pirara entfernt gebalten werden, bis Baru mit unseren Booten geflohen war. Schon seit längerer Zeit war Sororeng mit neidischen Augen von ihm angesehen worden , da dieser nicht nur unsere Begleiter nach dem Takutu in den entfernteren Niederlassungen ge- miethet, sondern auch jetzt wieder mit diesem Auftrag betraut worden war. Noch fehlten uns aber einige Männer , und so frug mein Bruder den folgenden Morgen Aiyukante, ob er uns diese wol verschaffen könnte. Mit Freuden sagte er dies zu und verliess schon am Nachmittag die Niederlassung , um sich sobald als möglich in den Besitz des ihm versprochenen Lohnes zu setzen. Als er zuriickkehrte, hatte Baru bereits seit zwei Tagen Pirara verlassen. Von allen Furien der entfesselten Leidenschaft gepeitscht, mehr einem wüthenden Thier, als einem Menschen gleich, stürzte er in unsere Hütte, um von uns seine geflohene Braut zurückzuverlangen, konnte aber nichts, als die ruhige und ernste Versicherung erhalten , dass, wenn er sich unterstände, die Geflohene zu verfolgen, wir ihn niederschiessen oder auf- hängen lassen würden. Diese Ruhe und zugleich die unerwartete Drohung, deren Ausführung er keinen Augenblick in Zweifel zog, da bisher von unserer Seite jedem Worte auch die That gefolgt war, Hessen ihn für den Augenblick seine Wuth im Herzen vergraben, und uns zugleich versprechen, die Geflüchtete aufzu- geben. Düster verliess er unsre Hütte und kehrte erst am Tage vor unserem Auf- bruch nach dem Rorairna wieder nach dem Dorfe zurück, um uns seine Begleitung anzubicten. Der Abend vor der Abreise der Offiziere führte uns noch einmal zur fröhlichen Abendtafel zusammen , bei der wir unter Scherzen und Lachen bis gegen Morgen vereint blieben, beim Aufbruch nicht ahnend , dass wir Dr. Bolby zum letztenmal die Hand gedrückt haben würden , der kurz nach seiner glücklichen Ankunft in Demerara zu einem Detachement des Westindischen Regiments nach St. Lude versetzt wurde und dem gelben Fieber zur Beute fiel. Bei unserer Rückkehr nach Georgetown erfuhren wir auch den Tod des Lieutenant Busu, der, als er im M ärz aus Pirara nach Georgetown zurückgekehrt und sich nach Europa eingc- schifft, auf der Seereise am Bord des Schiffes starh. So waren in der kurzen Zeit von neun Monaten vier von den noch im März in Pirara versammelten Europäern gestorben ! RRITISCII-GUIANA. 14.3 Der anbrechende Morgen zeigte uns das Fort in hellen Flammen, die auf- gehende Sonne beleuchtete magisch die dicht emporwirbelnden Rauchsäulen, und nach Verlauf einer Stunde starrte uns nur noch eine schwarze Brandstelle, aus der noch vereinzelte Rauchwolken emporsliegen, entgegen! Jubelnd zog das Militair ab, mit niedergeschlagenen traurigen Blicken schauten die wenigen Einwohner dem Schauspiel zu und den sich immer mehr und mehr entfernenden Soldaten nach, denn sie fühlten nur zu wohl, dass mit ihnen auch ihre bisherige Sicherheit schwand, dass ihnen Pirara nichts mehr bieten konnte! Die drei desertirten Va- queiros hatten sich aus derselben Ueberzeugung dem Militair angeschlossen ! — Reuter musste nothgedrungen folgen. Für die ersten Tage war die Heiterkeit aus unseren Hütten gewichen, und nur die angestrengte Thätigkeit, welche die Vorbe- reitungen zu unserer Abreise nöthig machten, milderte einigermassen den Schmerz, den der Abschied von unsern Freunden zurückgelassen. Der tropische Winter hatte sich ausgelobt, von neuem glänzte der heitere, wolkenlose Himmel Tag und Nacht auf uns nieder, während der beständige Ost Nord Ost die ausgedehnte Wasserfläche in leichte Weilchen kräuselte und die für die Gesundheit so schädlichen Dünste verwehte , welche sich nach der Regenzeit aus der angesammelten Wassermasse entwickeln und namentlich an der Küste tödl- liche Fieber erzeugen. Wo das Auge Iiinblickte, überall begegnete es einer neu erwachten, kräftigen Vegetation, — die ganze Natur war zum riesigen Treibhaus gew orden ! Nach den mit dem Pluviometer angestellten Beobachtungen betrug die Masse des vom Ende Mai bis Ende August gefallenen Regens 72 Zoll. An der Küste , wo allerdings zwei Regenzeiten herrschen, schwankte sie während dieser zwischen 80 und 100 Zoll. Ehe wir nach dem Roraima aufbrachen , zog mich eine interessante Ent- deckung noch einmal nach dem Canuku- Gebirge. Seit längerer Zeit war in Folge der gänzlich überflutheten Savanne unsere Communication mit den Bewohnern desselben unterbrochen worden, heute traf eine Parthie aus Nnppi ein, die uns, ausser Provisionen , auch mehre Vogelbälge brachte, unter denen der durch sein purpurnes Gefieder so ausgezeichnete Schmuckvogel ( Coracina rnilitaris ) mich in Erstaunen setzte. Nach der Aussage der Indianer erscheint der fV »rara-lnrika nur während der Regenzeit im 6V/7wAy/-Gebirge , obschon auch dann nicht alljähr- lich, da meinem Bruder auf seiner frühem, fünfjährigen Reise noch nie ein Exem- plar vorgekommen war. Ungeachtet des nach der Versicherung der Indianer sehr beschwerlichen Weges und der Kürze der Zeit, die mir noch übrig blieb, war mein Entschluss, die Indianer am folgenden Morgen nach Noppi zu begleiten, gefasst, so- bald ich die verführerischen, aber leider schlecht abgezogenen Bälge erblickt; denn ich durfte hoffen, dort noch manches über den Vogel zu erfahren, und wo möglich 144 REISEN IN auch noch einige Exemplare zu erlegen, was freilich in Abrede gestellt wurde. Die Hände waren in Pirara so in Anspruch genommen , dass mir nicht einmal Stöckle folgen konnte. Nachdem wir beim Antritt des Weges an vier Stunden lang durch das Wasser gewatet , das uns an manchen Stellen bis unter die Arme ging , wobei ich mich wohlweislich in die Mitte der Reihe poslirt hatte, indem die vorangehenden India- ner mit einem mir unbegreiflichen Scharfsinn jede Untiefe zu vermeiden wussten, erreichten wir Awan-a, wo wir übernachteten. Den folgenden Morgen schlugen meine Führer einen von dem frühem abweichenden Weg ein, gegen den aber die gestrige Wasscrparthie nur ein Vorspiel bildete. Nachdem wir über zwei Stunden den offenen Savannensee durchschritten, traten wir in den ebenfalls überschwemm- ten Wald, in den wir nun wacker watend eindrangen. Das kleine Waldflüsschen Quaye, dessen Bett ich bei meinem ersten Besuche des Canuku-Geh'wges trocknen Fusses überschritten , hatte sich in einen reissenden Strom verwandelt. Ein ge- fällter Baumstamm , den aber das Wasser wenigstens 3 Fuss hoch überflulhete, bildete das einzige Uebergangsmittel. Wie aber da hinüberkommen? Alles Zeigen und Versichern der Indianer, hier läge der Stamm, half meinen blöden Augen nichts, denn ausser einer kleinen Veränderung in der Färbung und Bewegung des \\ Hassers konnte ich mit dem bessten Willen nichts sehen ; — der unbedeutendste Fehltritt würde mich in der Tiefe begraben haben. Zwei Indianer nahmen mich endlich in ilire Mitte und trugen mich mehr hinüber, als dass ich ging. Mit dieser Art Wassertouren noch unbekannt, fiel mir der Marsch ungemein beschwerlich, der mir überdies durch die Wunden, welche mir die heimtückischen Wedel der Stechpalmen, die auf dem Boden herumlagen, und die ich wegen der Höhe des Wassers nicht sehen konnte, beibrachten, noch sehr vergällt wurde. Endlich hatte ich meine Führer zwischen den Bäumen aus den Augen verloren, so dass mir das trüb gemachte Wasser für lange Zeit der einzige Wegweiser blieb , und ich da- durch beunruhigt, schneller vorwärts zu kommen suchte, dabei aber alle Augcn- genblicke auf einer der zahllosen glatten Wurzeln ausglitt, und mir in dem Be- streben, mich aufrecht zu erhalten, an den Stämmen der Palmen oder dem dornigen Gesträuche die Hände förmlich mit Stacheln spickte. Es war ein fürchterlicher Weg! Nachdem mir noch der drei bis vier Fuss seine Ufer überfluthende Nappi gleiche Schwierigkeiten wie der Quaye entgcgenstellte, erreichte ich endlich durch- nässt, vor Frost zitternd und bebend, an Händen und Füssen blutend, und im wah- ren Sinne des Wortes todmüde, mit meinen Begleitern Nappi. Der freundliche Pl’Reka, einer meiner Führer , zündete mir, während mir seine junge Frau eine Suppe von Phylo/acca decatidra und den Endspitzen der Triebe der Manihot kochte, ein Feuer unter der Hängematte an , als sollte ich am Abend verzehrt BR1TISCH-GUIANA. 145 werden; — doch alle diese Vorsichtsmassregeln halfen nichts, während der Nacht überfiel mich wieder mein alter Feind, das Fieber, mit solcher Macht, wie kaum je zuvor. Am Morgen war es mir unmöglich die Hängematte zu verlassen , weshalb ich auch die Jäger zu mir rufen lassen musste, um von ihnen die gewünschte Auskunft über das, was mich hierher gebracht, zu erhalten. Das erste, was ich erfuhr, war, dass die Vögel schon seit Ende Juli fort seien, indem sie sich nur im Juni und Juli im Gebirge sehen Hessen ; möglich aber, dass noch einige Nachzügler aufgefunden würden. Am folgenden Morgen eilte alles in den Wald, um sich ein Messer, den Preis, den ich auf den Vogel gesetzt, zu verdienen. Erfolglos hinsichtlich des Haupt- zwecks, kehrten sie am Abend zurück, brachten aber eine Menge anderer Vögel mit, unter denen sich auch zwei Exemplare der Rupicola befanden, die, wie mir mitgetheilt wurde , in den angeführten Monaten ebenfalls häufig von ihren Felsen- zinnen nach den hier gereiften Früchten herabkämen. Von dem Rhamphastos vitel- linus hatten sie sogar 24 Stück geschossen. Auch diese gingen denselben Früchten wie die Rupicola, Coracina und andere Ampelidae nach. Leider konnte ich aus den Früchten, die gerade die schönsten der gefiederten Bewohner der Wälder zu- sammenlockten , den systematischen Namen des Baumes , der sie trägt, nicht er- kennen. Da das Fieber nicht weichen wollte und ich damit behaftet, die Rückkehr nicht antreten mochte, entschloss ich mich, zwei Indianer nach Pirara zu schicken, um mir das fehlende Chinin holen zu lassen. In Ermangelung von Tinte benutzte ich die rothe Farbe der Bignonia Chica, um meinen Wunsch auf ein Stückchen Papier zu schreiben , welches einer der Indianer in Pirara gefunden und als ein Ileiliglhum aufbewahrt hatte. Gegen 4 Uhr des Nachmittags verliessen mich die Boten und am folgenden Morgen um 9 Uhr standen sie mit dem ersehnten Heilmittel an meiner Hängematte. Sie hatten, ungeachtet der unsäglichen Schwierigkeiten des Weges, 10 deutsche Meilen in siebzehn Stunden zurückgelegt. Zwanzig Gran Chinin befreiten mich von meinem Störenfried. Der Piai hatte mir schon am Tage nach meiner Ankunft seine Hülle angebo- ten , da ich aber gerade nicht aufgelegt war , seinen Unsinn anzuhören, wiesich ihn ab. Als ich aber mein sicheres Heilmittel verschluckt, und in Folge der Ge- wissheit, das Fieber los zu werden, wieder heiterer gestimmt war, nahm ich seinen wiederholten Antrag um so lieber an, da ich so die Beschwörungsceremonien ge- nauer kennen lernen konnte. Kaum war die Nacht hereingebrochen , als der alte Mann, mit zwei Blätterbündeln in der Hand, in die Hütte trat, und damit die übrigen Bewohner hinaus trieb. Jetzt löschte er alle Feuer aus, setzte sich neben meiner II.Theil. 19 146 REISEN IN Hängematte auf den Boden, peitschte diesen mit den Blättern, und erhob ein mark- durchdringendes Geheul, von dem ich nur die Worte: « Heia , Heia » verstehen konnte; das Geheul wurde nur dann und wann von kurzen Pausen unterbrochen. Nachdem er dies eine Viertelstunde fortgesetzt hatte , vernahm ich plötzlich eine zweite Stimme an der Seite meiner Hängematte, mit der der Piai ein förmliches Zwiegespräch anknüpfte, an die er Fragen stellte und von der er Antworten er- hielt. Ungeachtet aller Anstrengung konnte ich der Dunkelheit wegen nicht unter- scheiden , ob jene Stimme von einem Helfershelfer , der sich unbemerkt einger schlichen, herrühre, oder ob der Piai ein Bauchredner sei, welches letztere ich besonders deswegen annehmen möchte, weil ich am folgenden Morgen in dem Staube der Hütte nur die Spuren des Piai, aber keines zweiten Menschen ent- decken konnte. Die Unterredungen mit dem bösen Geiste sind selbst den India- nern unverständlich ; erst am nächsten Morgen pflegt ihnen der Piai den Inhalt der- selben mitzutheilen. Nachdem das Zwiegespräch beendet war, stellte sich der Zau- berer an das Kopfende meiner Hängematte und hauchte mir unter fortwährendem Geheul die Stirne an, blies mir , nachdem er sich eine Cigarre angebrannt, starke Wolken Tabaksrauch in das Gesicht, die mich fast erstickten, und drückte mir die Blätterbündel, die ich aus dem Geruch als Tabaksblätter erkannte, auf die Stirn. Dies setzte er wohl eine halbe Stunde fort und brachte mich damit in einen förm- lichen Schweiss ; — endlich versagte ihm seine Stimme den fernem Dienst, und ruhig verliess er die Hütte, gerade zu einer Zeit, wo meine Geduld sich verlieren wollte. Die heilige Zauberklapper, die Maracca, hatte er diesmal nicht benutzt. Bei anbrechendem Morgen stand der alte Piai schon an meiner Hängematte, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen , und mir zugleich in einer langen Bede, die ich leider nur dem kleinsten Theile nach verstand, die Resultate seines Zwiegespräch mit dem bösen Geiste mitzutheilen. Das Chinin hatte gewirkt, und um dem alten Mann seine Illusion nicht zu stören, sprang ich, obsehon noch ge- schwächt vom Fieber und von der Entzauberung, doch anscheinend frisch und ge- sund aus der Hängematte auf. Die Wiederherstellung des Paranaghieri durch den Piai erregte allgemeine Sensation in der Niederlassung und wurde das Tagesge- spräch ; auch wich der alte Mann während meines fernem Aufenthalts in Nappi nicht von meiner Seite. Ein Spiegel und ein kleines Messer waren der Lohn seiner Iiur und machten ihn noch glücklicher. Ich bin überzeugt, der Piai glaubt eben so unerschütterlich an die Wirksamkeit seiner Zaubereien , als seine Schützlinge. Oft soll sich seine Extase so steigern, dass er erschöpft und bewusstlos zusammen- sinkt. Da mein Fieber wegblieb, war der Ruf des Piai für alle Zeit unerschütter- lich begründet. Ungeachtet aller Bemühungen gelang cs doch nur einem Indianer, noch ein BRITISCH-GUIANA. 147 Weibchen der prächtigen Coraci/m militaris aufzufinden und zu erlegen; alle übrigen hatten bereits ihre Reise wieder angetreten. Wie die Weibchen aller Am- pelidac, so steht auch das der Coracina in Rücksicht des Gefieders weil hinter dem des Männchens zurück. Die Flügel haben eine schwärzliche, der übrige Körper eine schmutzig braunrolhe Färbung. Der Magen enthielt dieselben Recren , die ich schon bei Ampelis carnifcx, Rupicola , Chasmarhynchus, Rhatnphaslos, Ptero- glossus und mehren Papageien gefunden. Die mir anberaumten acht Tage waren verflossen, und ich musste ernstlich an meine Rückkehr nach Pirnra denken, namentlich, da sich auch die Indianer dazu rüsteten, die von Sororeng gemiethet worden waren, uns nach dem Roraima zu begleiten, wozu sie, da alle ihre Redürfnisse durch den längern Umgang mit uns befriedigt waren , nur nach vielfach fehlgeschlagenen Ueberredungsversuchen ver- mocht werden konnten. Ein Hauptgrund ihrer Abneigung und Weigerung war ein Krieg, in den die Macusis mit den Arekuncis verwickelt seien, die jene Ge- gend bewohnten, weshalb diese nicht allein sie, sondern auch uns todtschlagen würden. Anfänglich bezweifelten wir die Wahrheit dieser Angabe, da der Indianer gar zu gern, um sich der Regleitung auf einer Reise zu entziehen, zu der er sich nicht aufgelegt fühlt, zu allerhand abenteuerlichen Geschichten von Kriegen, men- schenfressenden Stämmen, Geistern u.dgl., die diese Gegend bewohnen sollen, seine Zuflucht nimmt, wodurch er dem Reisenden Furcht einzuflössen und ihm die Reise zu verleiden hofft. Rei der Takutu-Pieise Hessen sie sich mit einigen Messern, Kämmen , Perlen für ihre Dienste entschädigen , hier trieb die Gefahr den Lohn auf eine Flinte. Dies war auch die Bedingung, unter deren Zusicherung es mir ge- lang, noch zwei Bewohner Nappfs zu dingen. So lange der Indianer noch Bedürf- nisse hat, ist er der gefälligste, dienstfertigste Mensch, den man irgend linden kann; sind diese befriedigt, so regt er weder Iland noch Fuss. Einer der von mir gedungenen Indianer hatte die frappanteste Aehnlicbkeit mit Napoleon, eine Aehnlichkeit , die selbst in Paris in dem Portrait anerkannt wurde, welches Herr Goodall von ihm nahm, und das mein Bruder bei seiner Anwesenheit dort vorlegte. Natürlich wurde er von uns augenblicklich "Napoleon" getauft, ein Name, der ihm bald allgemein beigelegt wurde. Er war erst seit kur zem aus der Lehre eines Piai entlassen worden , halte sich als solcher in Noppt, seinem Geburtsort niedergelassen, um hier zu practiciren, war aber auf ein höchst ungünstiges Feld gekommen, da der alte Piai in zu grossem Rufe stand. Seine kümmerliche Praxis Hess ihn gern mein Anerbieten ergreifen, w obei er sich aber ausdrücklich ausmachte, dass er nur mir behülflich zu sein brauche. Bald zeigte es sich, dass er nicht blos eine körperliche Aehnlichkeit mit Napoleon besass, sondern ebenfalls ein Genie war. Er war ein tüchtiger Astronom , konnte eine Menge 19* 148 REISEN IN Sterne mit Namen nennen , darunter auch das südliche Kreuz , und bewies sich später als einen noch tüchtigeren Geographen ; — vor allem aher war er ein unver- gleichlicher Esser, eine Eigenschaft, in der er alles übertraf, was ich bisher hatte kennen lernen , und die uns später manche heitere Stunde bereitete. In Gesellschaft der Leute, die uns nach dem Roraima folgen wollten , und ihrer Weiber, die sie bis Pirara begleiteten, trat ich die Rückreise dahin an. Das Wasser war noch um keinen Zoll gefallen, weshalb auch alle die Schwierigkeiten noch einmal zu überwinden waren, die ich bei meiner Herreise hatte kennen lernen. Bei unserer Ankunft fanden wir die grossen Boote bereits auf dem See Ainucu schwimmend und beladen, um unsere Sachen zunächst nach der Mündung des Pi- rara in den Mahu zu bringen , während wir alles, was nicht zur Expedition er- fordert wurde , in Pirara zurückliessen. Da voraus zu sehen war, dass selbst der Rest der Bewohner des Dorfes nach unserer Abreise verschwinden würde, so hiel- ten wir es der Brasilianer wegen doch für nöthig, jemand zur Aufsicht über unser Eigenthum zurückzulassen; denn die Erfahrung hatte uns hinlänglich belehrt, dass diese sich bei ihren Besuchen im Dorfe gerade keine Skrupel über das Mein und Dein machten. Zum beschaulichen Einsiedlerleben batte keiner unserer Landsleute Anlage, es musste daher das Loos entscheiden, — und Tiedge musste bleiben, der nun für diesen Zeitraum verproviantirt und ausserdem noch mit Tauschartikeln ver- sehen wurde. Der Hauptzweck unserer jetzigen Expedition ging dahin, die merkwürdige Verbindungsgruppe desPö/vwa-Gebirges, unter 5° 9' Norderbreite und 61° Wester- länge von Greenwich zu erreichen, wozu uns anfänglich der jetzt so günstige Wasserstand des Ta/eutu und Cotinga , soweit letzterer schiffbar sein würde , be- hülflich sein sollte, um dann erst die Landreise nach dem Roraima, dem Quellge- biet des Cotinga , fortzusetzen. Den natürlichen Grenzen nach musste der Zuruma bis zur Mündung des Cotinga , wie dieser Fluss in seinem ganzen Laufe, als west- liche Grenze gegen Brasilien und Venezuela angesehen werden, weshalb eine genaue Mappirung beider Flüsse durchaus nothwendig war. Vom Roraima aus wollte sich mein Bruder nochmals nach dem Stromgebiet des Cuyuni begeben, um wo möglich dessen Quellpunkt aufzulinden, seinen Lauf bis zu dem Punkt zu er- gänzen , an welchen er ihn bei seiner Reise vom Rarima her erreichte , und zugleich die westliche Grenze gegen Venezuela zu mappiren. Ein Abstecher nach Georgetown , um dort einen neuen Vorralh an Provisionen und Tauschartikeln für die vierte Expedition, nach der Quelle des Coren lyn, sollte sich daran schliessen, um dann in Pirara wieder mit uns zusammenzutrcfTcn. Bei der Abfahrt Herrn Frver’s mit den beiden grossem Booten nach der Mündung des Pirara , wohin wir ihm zwei Tage später in dem dritten Boote folgen wollten , hätte Herrn Goodall BRITISCH-GUIANA. 149 leicht dasselbe Geschick treffen können , dem Herr King am Barima verfiel. Um Fryer den Salut nachzuschiessen , waren unsere Böller schon einmal gelösst, und eben wollte sie Goodall wieder laden , als sich durch die Nachlässigkeit, mit wel- cher unser Neger More das Zündloch zuhielt, die eingeschüttete zweite Ladung an einem in der Pulverkammer zurückgebliebenen Funken entzündete, undGooDALL Augenbraunen , Augenlieder und das Haar des Vorderkopfes wegsengte , dem un- bedachten More aber beide Hände erheblich verbrannte. Als das dritte Boot beladen war, zeigte es sich, dass wir die Reise bis zur Mündung des Pirara, mit Ausnahme meines Bruders, der eins der Pferde, die sich Youd und die Offiziere vom Capitain Leal gekauft und in Pirara hatten zurück- lassen müssen, sammt dem einzigen in unserm Besitz befindlichen Sattel, benutzte, zu Fuss antreten mussten, denn den Ritt auf dem scharfen Rückgrat der kleinen, dürren Pferde zu versuchen, wäre mehr als tollkühn gewesen. Am Abend vor unserer Abreise erschien auch Aiyukante plötzlich wieder unter uns. Das aus Furcht vor ihm entsprungene Uebergewicht, welches er über die Indianer übte, Hess uns sein Anerbieten , uns zu begleiten , gern ergreifen , obschon uns sein äusseres, freundliches Wesen nicht einen Augenblick über seinen innern Gemüths- zustand in Zweifel setzen konnte. Von den Weibern durfte uns diesmal nur die Frau Sororeng’s und noch zwei andere; begleiten, was wir indess auch erst nach langen Bitten nachgaben, da beide erst seit kurzer Zeit verheiralhet waren , und noch in den Flitterwochen lebten. Kate und ihr Mann waren offenbar das schönste Paar unter den Bewohnern Pirara’s, und erstere wegen ihres muntern und aufge- Yveckten Wesens aller Liebling. Leider kehrte sie nicht wieder mit uns zurück ! 150 «EISEN IN V. Antritt der Reise nach dem Roraiina. Brutzeit der Mycteria americana. Mündung des Virua, Manucurapa der Karten. Ufer des Takutu. Fazenda des Frater Jose. Mündung des Zuruma oder Cotinga. Lager am westlichen Ufer des Zuruma. Schmetterlingszüge. Pimelodus Arakaima. Delphinus amazonicus (?) Taeniura motoro. Crotophaga major. Besuch der Noblesse des Forts Saö Joaquim im Lager am Zuruma. Abbruch des Lagers. Fortsetzung der Reise den Zuruma aufwärts. Fluss Warami. Niederlassung Warami. Jagd des Dicotylcs torquatus und labiatus. Mächtiges Infusorien -Lager. Tapirjagd. Beginn der Cataracten. Stromschnelle von Aratiari. Fluss Mawitzi. Felsen Maikang- Yepatori und Arawanna. Cnidoscolus Curcas. Vereinigung des Zuruma mit dem Cotinga. Lager an der Vereinigung. Stromlauf des Cotinga. Berge Piriwai und Maikangpati. Cataracten von Piriwai. Zweite Cataractenreihe des Cotinga. Stromschnellen von Pa- natsikaineri. Natürliche Fontäne. Fuss des Pacaraima-Gebirges. Piatzang. Landreise. Lager am Fusse des Morokai. Macusi-Niederlassung Torong-Yauwise. Feier des 15. Octobers. Canis cancrivorus. Der Morgen des 10. Septembers 1842 fand uns auf dein Wege nach der Mün- dung des Pivura , die wir jedoch wegen der allgemeinen Ueberschwemmung auf dem südlichen Ufer zu erreichen suchen mussten. Nachdem wir die Oase, welche sich südlich von Pirara hinzieht, durchschritten, wandten wir uns gegen W. bei S. über eine Savanne und gelangten bald zu einer buschigen Stelle , deren eigen- thümliche Vegetation deutlich verrieth , dass hier eine Niederlassung gestanden haben musste, was die vielen vom Feuer geschwärzten und halbverkohlten Pfosten auch hinlänglich bestätigten. So wie unsere Begleiter die Ruinen erreicht, blieben sie stehen und brachen in die bittersten Klagen und den Ausruf: «Caraiba \ Ca- raiba /-, aus. Eine ges^zlosc Bande Menschenjäger vom Rio Branco hatte vor drei Jahren die friedlichen Hütten in Brand gesteckt, und ihre Bewohner mit sich lorigeführt, um fern von der geliebten Hcimath in der Sklaverei zu sterben ! RRITISCH-GUIANA. 151 Der Weg hatte uns ermattet, wir rasteten daher zwischen diesen Ruinen, aus denen die schwarzgebrannten Pfosten trauernd in die heisse Luft eniporstarrten ; — nur an dem sie umgehenden grünen Gebüsch , den üppig wuchernden Bailmwollen- und Zfcrff-Sträuchern war die vernichtende Hand des Menschen spurlos vorüberge- gangen, und das vollsaftige, freundliche Grün bildete einen grellen Contrast gegen die düstern Mienen unserer Begleiter, die ihre Bürde niedergelegt , und theils auf den Fersen hockend, theils aufrecht stehend die schwarzen Pfosten und zerfallenden Lehmwände anstarrten. Eine tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich unserer Beglei- ter bemächtigt. Diese eigentümliche und in der That ergreifende Scene , erinnerte mich lebhaft an das schöne Gemälde Bendemann’s : die trauernden Juden auf den Trümmern Jerusalem’s. — Um die trübe Stimmung zu verscheuchen, setzten wir nach kurzer Rast unsere Reise fort. Um sobald als möglich die Mündung des Pirara zu erreichen, bog mein Bru- der hier von uns ab, und verschwand uns schnell aus den Augen. Der hohe Wel- lenboden, den wir bisher überschritten, verflachte sich und eine ermüdende Was- sertour begann. Nachdem wir etwa vier Stunden unsern Weg durch zwei, oft auch drei bis vier Fuss hoch überschwemmte Savannen fortgesetzt, erreichten wir die Einmündung des Nappi in den Pirara. Der Nappi war immer noch der reissende und bodenlose Gebirgsstrom und doch musste er überschritten werden. Mit den schweren , astronomischen Instrumenten darüber zu schwimmen , war bei der reissenden Strömung unmöglich, keiner der am Ufer stehenden Bäume aber war gross genug, dass seine Spitze, wenn wir ihn gefällt, das jenseitige Ufer erreicht haben würde; — das einzige Uebergangsmittel blieb daher ein Floss. Alle Hände geriethen in Bewegung, um mit den wenigen Handwerkszeugen , die wir gerade bei uns hatten, Bäume zu fällen und ein solches in Stand zu setzen. Nach vier- stündiger Arbeit war das Floss beendet. Mit Mühe brachten wir es in’s Wasser, um es im nächsten Augenblick vor unsern Augen versinken zu sehen ! — Das frische , harte Holz war zu schwer. Jetzt blieb uns kein anderer Ausweg übrig, als einen der Indianer über den Fluss schwimmen zu lassen und ihn nach der Mün- dung des Pirara zu schicken, damit uns mein Bruder, den wir bereits dort ver- mutheten, eins der Boote bis zu unserem Standpunkte den Pirara aufwärts schickte, das uns an das andere Ufer des Nappi brächte. Fünf Stunden hatten wir bereits hier zugebracht, schon neigte sich die Sonne dem Horizonte zu, und noch lag die Mündung des Pirara fünf Stunden vor uns. Die nichts weniger als tröstliche Aussicht, unseren Standort vor Mitternacht nicht verlassen zu können, wurde mit jeden Augenblicke gewisser. Eben als unser kräftig mit den Wellen kämpfender Bote das jenseitige Ufer erreicht, erweckten deutlich hörbare Ruderschläge in uns die freudigste Spannung, und bald setzte uns die Er- 152 REISEN IN scbeinuug des schon gestern von Pirara abgefahrenen Bootes , das eben langsam mit meinem Bruder den Pirara herabkam, in nicht geringere Verwunderung. So gut wie uns war dasselbe meinem Bruder als rettender Engel erschienen. Als er den Pirara erreicht, will er hindurch reiten, da sinkt beim ersten Schritt vorwärts das Pferd bis weit über die Knie in den Schlamm, überschlägt sich, als es sich her- ausarbeiten will, und wirft den Reiter ab, der, als er wieder festen Fuss gefasst, und Schlamm und Schmutz aus dem Gesicht gewischt , die Rosinante im vollen Galopp Pirara zusprengen sieht. Er befand sich in diesem Augenblicke in einer noch übleren Lage, als wir, — denn er war allein ! Da kam auch für ihn zur rechten Zeit das rettende Boot. Nachdem uns dieses über den Nappi gesetzt, und die Chronometer in demselben untergebracht waren, traten wir unsernWeg durch die zum See umgewandelte Sa- vanne von neuem an. Die Sonne war längst zur Ruhe gegangen und immer ging es noch in der vom Mond beleuchteten Nacht durch das Wasser vorwärts, da verkündete uns endlich ein waldiger Gürtel, dass wir uns dem Pirara wieder näherten, und bald erblickten wir zwar vor, aber tief unter uns mehre Feuer , die ihre Schlaglichter über die tosende Wasserfläche und zwischen die dunkelbelaubten Zweige des alten Maranenbaums warfen, und die nackten, braunen Gestalten der Indianer, welche sie in hockender Stellung umringten, grell beleuchteten. Wir standen auf dem 30 — 40 Fuss hohen Ufer, in der Nähe der Münduug des Pirara, und ein heller Hurrahruf setzte die Ruder drüben in schnelle Bewegung, um uns zu den wärmen- den Feuern zu bringen. Freilich war dies nicht so leicht geschehen, als wir wohl wünschten, denn ehe wir in das harrende Corial treten konnten, mussten wir erst das 40 Fuss hohe, steile Ufer hinabgleiten. Schon ruderten wir, die Weiber, Goodall und ich, der lockenden Wärme entgegen, als ein plötzlicher Angstruf und ein unmittelbar darauf folgender , schwerer Fall uns einhalten Hess. Es musste Jemand die steile Uferwand hinabgefallen sein; — die fast minutenlange Stille, die dem Fall folgte , Hess uns befürchten , dass der Unglückliche den jähen Tod ge- funden, — schon war das Corial zur Rückkehr gewendet, da gab uns die dumpfe, aber wüthende Stimme Aiyukante’s, mit der er zu den noch oben stehenden In- dianern sprach, sowohl über die Persönlichkeit, als auch darüber Gewissheit, dass er durch den Salto mortale keine schweren körperlichen Verletzungen er- litten haben konnte. Als der arme Teufel mit der nächsten Fracht an die Feuer gebracht wurde, bot er einen bejammernswerthen Anblick. Mehre Wedel der Sa- waripalme, auf die er gestürzt war, hatten ihre scharfen Stacheln lief in seine Brustmuskeln eingegraben , so dass er sich einer schmerzhaften Operation unter- werfen musste. Er behauptete steif und fest, dass er einen Stoss in den Rücken erhalten, und von einem der Indianer hinabgeslürzt worden sei. Dass der Sturz BRITISCH -GUIANA. 153 noch so glücklich abgelaufen , blieb uns allen ein Rälhsel , namentlich da er noch seine GO Pfund schwere Tragelasl auf dem Rücken hatte. Mein Bruder war kurz vor uns im Lager angelangt, und das erste tröstende Wort, welches Fryer, nach- dem sich die Aufregung über Aiyukante’s IJnglücksfall etwas gelegt, uns zurief, war : dass er und die Indianer von den Mosquilos beinahe schon zu Tode gequält worden seien , weshalb sich auch der grösste Thcil unserer Begleiter zwischen die Aeste des hohen Maranenbaums gebettet hätten, was das von dort herschallende : « Matti saponteng (Gute Nacht, Freunde !)» bestägtigte. Uns schien dieses luftige Nachtlager in der schaukelnden Hängematte doch zu gefährlich , und während sich die Weiber auf die Erde legten und mit Sand bedeckten, wickelten wir uns so dicht als möglich in die Hängematte ein. Fryer’s Versicherung war keineswegs über- trieben. Während wir bei unserem frühem, achttägigen Aufenthalt an dieser Stelle nicht einen dieser Quälgeister gefunden hatten, war jetzt ihre Zahl Legion, und die helle Mondnacht hatte sie nur noch blutdürstiger gemacht. Am Morgen fiel mein erster Blick auf den mit einem förmlichen Blüthenschnee überschütteten Maranenbaum, der von tausend und abertausend Hymenopteren, Dip- teren und Lepidopteren umschwärmt wurde, und auf die aus ihrem luftigen Nacht- quartier herabsteigenden Indianer. Wie in Pirnra , so hatte auch hier in der nahen Savanne die Regenzeit eine Menge mir bis dahin noch unbekannter Pflanzen in’s Leben gerufen , unter denen sich namentlich eine neue Malvacea, Fugosia guia- nensis (Hlotzsch) , so wie die Tephrosin toxicaria (Pers.) auszeichnete, die die Indianer Jarro-conalli nannten und zum Vergiften eines Fisches, des Jarro (I ly- postomn oder Doms ?) benutzen, der von dem milchigen Saft des Hniary ( Lon - chocarpus densißorus) nicht betäubt wird. In der waldigen Umsäumung des Pirara blühten zahllose Bäume der in ihren Formen so schönen Outea acaciaefolia (Bentfi.). mnltijnga ( Dec .) und mehre Caesnlpineen. Da unsere Fahrzeuge sich als zu schwer beladen zeigten, waren wir genölhigt, an diesem von den Mosquilos zur wahren Hölle gemachten Platze drei Tage zu verweilen, während welcher eins der Boote, das wir noch von der Takutu- Reise hier vorfanden , in fahrbaren Zustand gesetzt wurde , und freudig hiessen wir am Vormittag des dritten Tages die kaffeebraunen Fluthen des Mohn willkommen, von denen unsere kleine Flotte schnell seiner Mündung zugetragen wurde. Einen ganz interessanten Anblick boten uns sowohl die hohen Bäume am Ufer des Mahn, als auch die des Ta/cntu, auf denen sich die grossen Nester des Jabira (Mycterija americana) befanden. Es war Brütezeit. Fand ich diese Nester auch später oft in den waldigen Oasen und längs den baumreichen Ufern der Savannenflüsse wieder, so doch nie in einer solchen Anzahl, wie am Mahn und Takutu. Wie auf die Bäume, so baut dieser Rieäenvogel sein Nest auch auf Fclsenzinnen ; in beiden II. Theil . 20 154 REISEN IN Fällen aber sucht er sich jederzeit die unersleiglichen aus, ■weshalb mir nicht nur die Farbe, sondern auch die Grösse der Eier unbekannt geblieben ist. Die Con- struclion ihres Nestes, das sie jederzeit auf einem horizontalen Gabelzweig auf- scblagen, stimmte ganz mit der unserer Storchnester überein. Auch benutzen sie das alte Nest in jeder neuen Brutzeit, die in den August und September fällt, wie- der. Die Anzahl der Jungen , die das Nest erst im Januar oder Februar verlassen, beträgt durchschnittlich zwei, seltener drei. In dem Brutgeschäft wechseln Männ- chen und Weibchen regelmässig ab, und eins wie das andre kehrt, sobald es seinen Hunger gestillt, augenblicklich nach dem Baume zurück, um sich auf dem, dem Neste nächsten Zweige niederzulassen und dem Brütenden Gesellschaft zu leisten, oder ihn, bei herannahender Gefahr, die ihnen von Tigerkatzen und Affen häußg droht, verlheidigen zu können. Je scheuer wir den Vogel immer in der Savanne gefunden hatten, um so auffallender musste es uns sein, dass er diese Furcht jetzt ganz abgelegt hatte und ruhig unserem lärmenden Thun und Treiben unter dem Baume, auf welchem sich sein Nest befand, zusah. Die Liebe zu ihren Eiern und Jungen liess sie die ihnen drohende Gefahr nicht achten. Es ist ein herrliches Schauspiel, wenn Hunderte dieser Riesenvögel in der Savanne aufgescheucht wer- den, und dann in wilder Verwirrung auf und durcheinander in der Kreuz und Quer umherfliegen, bis sie in einer Höhe von 100 — 150 Fuss sich in eine lange Reihe ordnen, und nun in graciöscm Fluge in weitläufigen Spirallinien immer höher und höher steigen, bis sie dem Auge fast ganz verschwinden , und nur noch als dunkle Punkte im blauen Aether schweben. Unternehmen sie Reisen, so ordnen sie sich ebenfalls in langen Hakenreihen, in denen der Zugführer, ganz wie bei den Kra- nichen, nach einiger Zeit von dem nächstfolgenden abgelösst wird. Ungeachtet ihres unförmlichen , etwas nach oben gebogenen Schnabels , wissen sie doch das Mollusk der Arnpullaria guiancnsis und papyracea meisterlich aus dem Gehäuse herauszuziehen, ohne dasselbe sehr zu beschädigen. Die Macusis nannten den Vo- gel : Tnraramu , die fVarraus: JJoih , die Brasilianer: Juga, und die Arawuahs : Mora-coyasehi'e, Geist der Mora. Da der Mahu, lrcng der Macusis , eine Menge Krümmungen bildet, die bei dem hohen Wasserstande die Strömung namhaft steigerten , erreichten wir die Mündung bereits gegen 3 Uhr Nachmittags, und damit unser alles Lager von der Takutu-Reise her. Der Namenszug (Victoria Regina) leuchtete uns hell von dem glatten , aschgrauen Stamme der riesigen Mimose entgegen, die mächtigen Sandbänke an der Vereinigung aber waren verschwunden, ununterbrochen und ruhig wälzten sich dem Rio Branco die Fluthen der 300 Yards breiten vereinigten Ströme zu , von denen wir schnell den Takutu abwärts getrieben wurden. Die Mündung des Flüsschens Yaroai, auf dem südlichen, die des grösseren Virua, des BlilTISCH-CUIANA. 155 Manucuropa der Karten, auf dem nördlichen Ufer, der nach der Angabe der Indianer im Pacaraima- Gebirge entspringt, lag hinter uns, da erinnerte die scheidende Sonne, uns eine Lagerstelle zu wählen, und bald sprangen wir an dem schräg ablaufenden, hohen südlichen Ufer an's Land, auf dessen Höhe w ir eins der reizendsten Landschaftsbilder, das von der untergehenden Sonne magisch beleuch- tet wurde, vor uns ausgebreitet sahen. Von N.N.W. gegen N.N.O. zog sich in weiter Linie das Pacaraima- Gebirge, dem sich in sanften Wellenlinien der fVa- cuta , ein kleiner Hügelzug, vorlagerte, während sich der IVaiking-epping oder Rehberg mit seinem eigenthiimlich zugekuppten Gipfel in W.N.W. und der U/a- rami in W. bei S. gleich schützenden Warten erhoben. Gegen S.S.O. thiirmte sich das felsenreiche Ca/iuku- Gebirge mit dem llamikipang aus einer dunkeln Laubmasse auf, über welche die in W. verschwindende Sonne noch ihren flam- menden Scheidestrahl warf, eine Beleuchtung, die man nur in den Tropen fin- det. Ein Sonnenuntergang in der endlosen Savanne ist ebenso unbeschreiblich zauberhaft, wie der Augenblick, wo die Sonne in die Fluthen des Oceaus taucht. Kaum war die Tagesspenderin verschwunden, als sich auch der tausendfach be- säete Himmelsdom in seiner ganzen tropischen Pracht über uns ausspannte ! — Kein Windzug bewegte die Riesenwipfel der Bäume, die von unsern Feuern auf- wirbelnden Rauchsäulen, die Oberfläche der majestätisch rollenden Fluthen des Takutu, die sich gleich einem silbernen Riesenband durch die üppige Uferuinsäu- inung hiuwanden. Die feierlichste Stille hatte sich über die ganze Natur gelagert, die nur dann und wann von den fischenden Indianern, wenn sie ihre Beute jubelnd aus dem nassen Elemente zogen, oder von der traurig klagenden Stimme eines Ziegenmelkers unterbrochen wurde. Aber wir kamen zu keinem ruhigen Ge- nüsse dieser zauberischen Landschaft; denn die Mosquitos fanden sich in solch schreckenerregenden Schaaren ein , dass uns die reizende Mondnacht zur bittern Qual wrurde. Auch auf unsrer Weiterfahrt am folgenden Morgen strömte der Fluss noch ge- gen S.W. zwischen dicht bewaldeten Ufern hin. Heerden von Löffelgänsen, hin und wieder einige der schönen Orinocogänse (Anser jabata) , so wie zahllose Enten und andere Wasservögel belebten den breiten Flussspiegel und umkreisten uns, aufgescheucht durch unser Erscheinen, mit Geschrei, während auf- und nieder- tauchende Delphine spielend unsern Booten folgten; doch von den Thieren, denen ich mit dem gespanntesten Interesse entgegen harrte, von den Manatis liess sich keius blicken ! Nachdem wir eine scharfe Krümmung des aus verhärtetem Thon bestehenden 12 Fuss hohen Ufers umschifft , zeigten sich uns auf dem nördlichen Ufer einige Häuser, die Fazenda des Frater Jose, der hier bedeutende Rinderheer- den weiden hatte. Wir hielten an, wurden von den braunen und bärtigen Vaquciros 20 * REISEN IN 1 50 freundlich willkommen geheissen, und mit Milch und Käse bewirthet, welcher aber so hart war, dass wir uns fast die Zähne daran ausbissen. Obgleich die Caraibu- aule (brasilianischen Häuser), wie sie unsere In- dianer nannten, einen ganz europäischen Anstrich hatten, so sah es im Innern doch eben so ärmlich und leer aus, wie in den Hütten der Indianer. Einige Hängematten, mehre grosse, thönerne Geschirre, in denen sie die Milch aufbewahrten, eine Horde zum Trocknen der Käse , ein roh zusammengenagelter Tisch und einige grosse geflochtene Körbe , welche ihre bescheidene Garderobe enthielten, so wie etliche Trinkschalen und Töpfe, bildeten den ganzen Hausrath. Die Senhoras und Kinder liefen in einem ziemlich gleich ursprünglichen Zustande herum, wie die Indianer, und eine Meute grosser Hunde war eben so freundlich, wie ihre kurze Zigarren rau- chenden Herren und Herrinnen , und beleckten uns die Hände, als wären wir alle Bekannte. Nach der Angabe der Vaquciros lebte der Frater gegenwärtig nicht im Fort Saö Joaquim, sondern in einer Fazenda, eine Tagereise den Rio Branco aufwärts. Leider wurde mir hier zugleich die unangenehme Nachricht, dass sich die Poixe Boys, wie die Vaqueiros die Seekuh nannten, schon seit mehren Tagen, wo das Wasser bedeutend zu fallen begonnen , aus der Nähe der Fazenda entfernt hätten. Während des hohen Wasserstandes gingen sie gewöhnlich bis zur Mündung des Mahu hinauf, wie dieselben überhaupt in dieser liegcnpcriode in solcher Anzahl dagewesen, dass sie zehn Stück harpunirt hätten. Das Fleisch wird von den Brasilianern gern gegessen. Die herumliegendcn Knochen, welche die hungrigen Hunde nur wegen ihrer Härte nicht hatten verzehren können, bestätigten die Wahrheit der Angabe. So wie der Takutu nur um einige Fuss zu fallen be- ginnt, verschwinden die Manatis daraus und ziehen sich unterhalb der Fälle des Rio Branco zurück. Der Trieb nach reicherer Nahrung bringt sie wahrscheinlich nach dem Takutu , an dem ihre Lieblingsgräser, die Gattungen Panicum und Pas- paluin in üppiger Fülle wuchsen. Ich war zu spät gekommen, um meine Hoffnun- gen erfüllt zu sehen ! Nach kurzer Bast und nachdem uns die freundlichen Leute , als sie gehört, dass wir einige Tage an der Mündung des Zuruma in den Takutu verweilen würden, noch versprochen, uns täglich ihren Milchvorrath dahin zu bringen, setzten wir unsere Reise fort. Gegen 3 Uhr Nachmittags war die Mündung des Zuruma oder Colinga , der jenem von N.N.W. her zuströmt, erreicht. Der Cotinga ist der Christais der allen portugiesischen Karlen und wird allgemein für einen Nebenfluss des Zuruma gehalten. Dieser Ansicht entgegen, nennen die Ma- cusis und Arekunas den Fluss bis zur Mündung Colinga und behaupten , der Zu- ruma oder Zurung sei nur ein Nebenfluss des Colinga. An der Mündung hat er eine Breite von 290, während der Takutu eine Wasserfläche von 293 Yards he- BRITISCI1-GUIANA. 157 sitzt, worauf sie vereint einen Wasserspiegel von 378 Yards bilden. Die Vereini- gung liegt unter 3° 22' Norderbreile und (50° 12' westlich von Greenwich. Unser Lager schlugen wir unmittelbar an der Vereinigungsstclle und zwar auf dem west- lichen Ufer des Zuruma auf, an dem sich eine ausgedehnte Sandbank dem Fluss entlang zog. Den zweiten Tag nach unserer Ankunft ging mein Bruder in einem der Boote nach dem Fort SaÖ Joaquirn, um dort die geographische Lage der Mündung des Takutu in den Rio Branco astronomisch zu bestimmen. Im Lager selbst war man fröhlich und guter Dinge, denn in der Savanne hatten die Indianer viele Rehe ent- deckt, so dass bei dem ersten Jagdzug, nach Verlauf einer Stunde, bereits neun Stück eingebracht wurden. Alles, was Hände und Messer besass , kam jetzt in die rüh- rigste Bewegung, um die reiche Beute zu zerlegen, zu kochen, zu räuchern und vor allem zu verzehren. Auch unter diesen Rehen fanden wir beim Zerlegen hoch- trächtige Mütter, wodurch meine früher ausgesprochene Ansicht, dass sie entweder zweimal werfen, oder keine bestimmte Wurfzeil haben, nur noch bestärkt wurde. Unser Lager glich einer wahren Schlächterei, und doch häuften sich unsere Vor- räthe nicht gerade auf, denn die Indianer assen Tag und Nacht und Napoleon ent- faltete seine Virtuosität in einer erstaunenswerthen Weise. In Folge dieser un- unterbrochenen Schlächterei und angelockt durch den Geruch und die Abfälle, hat- ten sich nicht nur unzählige Pirais im Zuruma an der Stelle unseres Lagers ein- gefunden, sondern die uns umgebenden Bäume waren auch mit Aasgeiern bedeckt, die mit gierigen Blicken jedem Stück entgegenharrten, das die Indianer, als nicht geeignet für den Topf, ihnen zuwarfen. Auch der CY/r«c«-Adler hatte sich zu ihnen gesellt, und machte jenen jeden Bissen streitig; — der Kultur papa dagegen liess sich nicht blicken. Alle die übermüthigen Streiche, die bereits in Pirara ausgeführt worden waren , erneuerten sich auch hier wieder; ein an einem Angdhackcn be- festigtes Stück Fleisch, liess bald einen der gefrässigen Vögel an der Leine flattern, der dann, herausgepulzt mit Kronen, Halskrausen von weissem Papier oder bunten Lappen, als Schreckgespenst unter seine Genossen zurückflog, und nun wie ein Aussätziger von ihnen geflohen wurde. Schon bei unserer Abreise vo wPirara waren uns grosse Züge weisser Schmet- terlinge aufgefallcn , die regelmässig von S.O. nach N.W. flogen. Jetzt häuften sie sich immer mehr an. In der Färbung der Flügel glichen sie unserm Kohlweiss- ling, nur zeigten sie sich am Schultergelenk gelber, und ein schwarzer Rand be- grenzte die Färbung. In der Mittagsstunde und kurz vor Sonnenuntergang Hessen sie sich in unendlicher Zahl auf den Schlammanhäufungen des Ufers oder am Saume des Wassers auf der Sandbank nieder, um auszuruhen. Nach der Behauptung der 158 REISEN IN Indianer waren cs die entwickelten Insekten der Raupe und Puppe, die sie so gern gegessen. Die Vaqueiros der Fazenda des Frater Jose hielten treulich ihr Wort und brachten uns jeden Morgen grosse Gefässe mit Milch, die uns bei der sich täglich steigernden Hitze zum wahren Labsal wurde. Nach Ablieferung der Milch, fuhren sie meist auf die Fischjagd, um nach kurzer Zeit mit ganzen Kahnladungen AesSudis, Osteoglossum, Platystoma, Pimelodus und anderer Fische zurückzukehren. Unter den Pimelodus fanden sich zwei mir bisher noch unbekannte Species ; die eine, der Pimelodus Arakaima (Schomb.) oder Tigerfisch, wie ihn die Farbigen seiner dunkelschwarzen Flecken wegen nennen, Jantia der Vaqueiros , Arakaima der Macusis , daher auch der Speciesname , wurde erst durch meinen Bruder bekannt. Wie das Fleisch fast aller Siluroiden , so war auch das seine ungemein schmack- haft. An der Küste und unterhalb der Cataracte wird er nur äusserst selten gefun- den. Der Färbung seiner Haut nach gehört er zu den schönstgezeichneten Fischen. Die Grundfarbe des Rückens und der Seiten ist ein dunkles Rothbraun, auf dem sich eine Menge schwarzer Flecken absetzen. Der Bauch ist heller und die schwarzen Flecken sind weniger bemerkbar. Der zweite mir noch nicht vorgekommene Fisch war ein Platystoma , das dem Platysloma tigrinum ziemlich nahe kam, nur unter- schied es sich von diesem dadurch , dass die schwarzen Streifen nicht der Quere, sondern der Länge nach verliefen. Zu diesen Fischen gesellte sich auch noch eine Species des Slachelrochens, die nur einen sehr kurzen Schwanz , aber einen desto gefährlicheren, sägearligen Stachel besass; es war Taeniura motoro (Müll. Hen.). Leider verlor ich durch die Unredlichkeit unsers Spirituslieferanten nicht allein diese interessanten Fische, sondern auch alle andern, die ich noch auf dieser Reise in reichem Masse zu sammeln Gelegenheit fand ; ich war mit dem Spiritus betrogen , und als ich bei meiner Rückkehr nach Pirara meine Fässer öffnete, war fast der ganze Inhalt verdorben. So glücklich die Vaqueiros im Fischfang waren, so wenig Erfolg hatten sie im Hurpunircn der Delphine, die sich hier herumtummellen. Der spitzen Schnauze nach war diese Species wesentlich vom Delphinus phocaena (Lin.) unterschie- den, und entweder eine noch unbeschriebene Art, oder der von Martius beschrie- bene Delphinus amasonicus. Ich sah Exemplare , deren Länge wohl 7 — 8 Fuss betragen mochte. Die V aqueiros erzählen , dass sie von Früchten und kleinen Fischen lebten. Das Treiben auf der Sandbank und der verlockende Geruch des Fleisches batte auch einen grossen Kaiman herbeigezogen , der uns den ganzen Tag über, den halben Kopf aus dem Wasser steckend beobachtete, ein Gesellschafter, der uns nichts weniger als angenehm war, und den wir uns daher so schnell als möglich IIRITISCII-GUIANA. 159 von der Seite zu schaffen suchten. Als unsere Büchsenkugeln nichts helfen woll- ten , die jederzeit wirkungslos von dem harten Hirnschädel abprallten , worauf er ruhig und mit Verachtung aus ihrem Bereich schwamm , schlugen die Indianer den Weg der List ein. Nachdem sie ein einen Fuss langes Stück hartes Holz an beiden Enden scharf zugespitzt, befestigten sie es in der Mitte an eine Leine, umwickelten es mit Streifen Fleisch und banden es locker so daran, dass es mit ihr eine Linie bildete ; das andere Ende der Leine wurde an einen Baum befestigt und der Köder in das Wasser geworfen , damit der Kaiman ihn verschlingen sollte. Das Fädchen, welches den mit Fleisch umwickelten Stock mit der Leine bisher in einer Linie erhalten hatte, sollte sich dann im Magen lösen und der Stock sich der Quere nach vor die Oeffnung des Magens legen und diesen durchstehen. Ob die Praxis hierbei mit der Theorie Hand in Hand gegangen sein würde, habe ich nicht erfahren können, da die gefrässigen Pirais dem Kaiman den unheilbringenden Bis- sen nicht gönnten, sondern den Köder augenblicklich rein abschälten. Die Indianer behaupteten steif und fest, auf diese Art schon eine Menge Kaimans gefangen zu haben. Waren nach Verlauf weniger Tage die Rehe auch etwas scheuer geworden, so wurden doch immer noch täglich drei bis vier geschossen , jedoch überliessen wir diese Jagd gern den Indianern, seitdem wir eine grosse Menge Füchse in der Savanne entdeckt hatten. Aber Reinecke Fuchs ist unter den Tropen eben so klug und pfiffig, als seine Sippe in Europa; er wusste allen unsern Nachstellungen gar meisterhaft zu entgehen. Unter den Vögeln war nicht minder häufig wie der Cathartes die Crotophaga major, die das Gebüsch des jenseitigen Ufers belebte und ihr merkwürdiges knarren- des Geschrei aus diesem zu uns herüherschallen liess. Die Indianer behaupten, dass nur diese ein gemeinsames Nest bauen, während die Crotophaga rugiroslra (Sw.) und Cr. Atii diese Eigentümlichkeit nicht theilt, indem bei ihnen jedes Pärchen sein eigenes Nest besitzt. Es ist ein ganz interessantes V ölkchen , dessen ewig geschäftigem Treiben man stundenlang Zusehen kann. Behende umhüpfen sie die Rinderheerden oder schlüpfen durch das Gras, um Grillen und andere Insekten zu fangen; — geht es aber zur Flucht, dann hört ihre Schnelligkeit auf, da ihre Flügelmuskeln gerade nicht die stärksten sind, und ihnen bald den Dienst versagen. Die grossen, gemeinsamen Nester der Crotophaga major enthalten oft zwanzig bis dreissig weisse oder gräulich weisse Eier von 1 % — ly2 Zoll Länge, denen die Indianer eifrig nachstellen. Nach dem Inhalt des Magens zu schliessen , näh- ren sich beide Species nicht allein von Insekten, sondern auch vonSaamen; nament- lich scheinen sie die Beeren des Psidium pyriferum gern zu fressen , die ich zur Zeit der Reife gewöhnlich in grosser Menge bei ihnen fand. Der anfangs ungemein 160 REISEN IN >veite Oesophagus verengt sich bald sehr bedeutend und erweitert sich dann wieder zu einem Vormagen, der mit Längsfallen ausgekleidet ist, während der eigentliche und fast blos hautartige Magen ein drüsiges papilloses Innere hat. Am häufigsten fanden wir die Vögel an den waldigen Umsäumungen der Savannenflüsse, wo sie unter wildem Lärm von Strauch zu Strauch flogen; seltener in der offenen Sa- vanne und im Innern des Waldes. Merkwürdig ist es, dass sie das Pfeifen nicht vertragen kann, wenigstens fliegen sie augenblicklich davon, sobald man nur einen pfeifenden Ton ausstösst. Guiana besitzt die Crot. major , Ani und rugirostra, die sich nicht allein in Bezug auf den Schnabel , sondern auch in der Iris der Augen unterscheiden. Die erslere hat eine hellgrüne Iris, die von der Pupille durch einen schmalen, gelben Ring getrennt ist; bei den letzteren ist sie graubraun. YY Täre die abweichende Schnabelbildung das einzige unterscheidende Merkmal, so dürfte dieses nicht ganz stichhaltig sein , da der Schnabel des jungen Vogels viel- fachen Veränderungen unterworfen ist und man darnach eine ganze Reihe von Spccies aufstellen könnte. Besonders auffallend ist auch die ungemeine Lebens- zähigkeit des Vogels , denn wird er nicht in den Kopf oder das Herz geschossen, so kann der Jäger versichert sein, dass er ihn nicht in seine Gewalt bekommt. Mit fabelhafter Schnelligkeit läuft der Angeschossene durch das Gebüsch und Gras hin, und von zehn bis zwölf, die ich oft auf einen Schuss verwundete , fand ich meist kaum einen oder zwei, wenn ich an die Stelle kam, wo sie herabgefallen waren. Gleich den andern Tag nach unserer Ankunft am Zururna schoss ich einen mit der Kugel vom Baum herab. Die Kugel hatte ihm den ganzen Bauch aufgerissen , so dass die Eingeweide hcraushingen, und dennoch gelang es mir nicht den fliehenden und seine eigenen Gedärme hinter sich hersehleppendcn Vogel einzuholen, bis ihn endlich einer der Indianer weiter als 200 Schritt von der Stelle , wo er zur Erde gefallen war, die Eingeweide um das Gestrüpp gewickelt, was ihn an der weitern Flucht hinderte, auffand und mir brachte. Die Jungen verlassen das Nest bereits ehe sie noch flugfähig sind, und hüpfen in Gesellschaft der Allen mit gleicher Ge- wandtheit von Zweig zu Zweig. Sobald sich Gefahr naht, erheben sich die Allen mit wildem Geschrei, das jedoch nur in zwei Tönen besteht, und in raschen Sprün- gen eilen die Jungen vom Gebüsch oder den Bäumen herab, um , auf den Boden angekommen , in dem Grase zu verschwinden. Audi die Indianer unterscheiden nur zwei Spccies. Die Crotoph. rugiros. und Ani nennen die Arawaahs : Cu- nuba, die Macusis: Oivowi, die Wapisianas: Houwi, die Warraus: Ouih ; die Crotoph. maj. dagegen die Macusis : Woworima, die Warraus: Cosac. Jeden Morgen fanden wir die Sandbank von Maulwurfsgrillen ( Grijllotalpa oxydachjla Br.) durchfurcht, die sich in unzähliger Menge hier aufhallen mussten. Ich hatte diese Tliicrc noch nie so zahlreich , als auf den Sandbänken des Zururna bemerkt. BRITISCH- GUI ANA. 161 Der harte, feste, thonige Boden der Umgebung, mochte wohl Ursache sein, dass sich diese Thiere die lockeren Sandbänke aufgesucht hatten. Der Himmel war den Wünschen meines Bruders ziemlich günstig gewesen, denn schon nach drei Tagen kehrte er von Saö Joaquim zurück und brachte uns die Nachricht, dass er, um sich für die freundliche Aufnahme, die ihm geworden, abzußnden , für den nächst zweiten Tag die ganze Noblesse des Forts zu einem Mitlagsessen eingeladen, was auch angenommen worden sei. Schnell wurden die Vorbereitungen getroffen, denn nicht nur, dass wir das Mahl würdig vorzubereiten hatten , mussten wir auch für ein nächtliches Unter- kommen der Damen sorgen, indem die Gesellschaft erst den folgenden Tag wieder abzureisen gedachte. Mit Axt und Schaufel wurde schnell ein Platz in der schatti- gen Ufervegetation gereinigt, das grösste unserer Zelte für die Senhoras aufge- schlagen , und von aussen mit der englischen und preussischen Flagge geschmückt. Die Sitzbretter unserer Boote dienten zu Tischen und Bänken. Nachdem diese Vor- bereitungen getroffen, galt es auch das Diner so stattlich als möglich zu arrangiren. Unsere Gäste mit dem Wild der Savanne, den Fischen des Takutu zu bewirthen, dagegen sträubte sich unser Ehrgeiz ; — es galt, die Damen und Herren noch mona- telang von dem Diner sprechen zu lassen, und wir konnten dies möglich machen, denn mit dem letzten Provisionstransport hatten wir einige marinirte und einge- kochte Delikatessen in hermetisch verschlossenen Blechbüchsen erhalten , die wir unserem esprit d’honneur grösstentheils eben so zum Opfer brachten, wie den In- halt unsrer Weinkislen; — lieber selbst Paiwari trinken, als an diesem Tage nur im Entferntesten merken zu lassen, dass der hölzerne Weinkeller schwach besetzt sei ! Der wichtige Tag brach an. Adams hatte bereits mit der Morgensonne den Küchenzettel erhalten ; es gab : Hammelfleischsuppe , marinirten Salm , grüne Schooten und Mohrrüben mit Schinken und Schildkröten-Sleaks, so wie verschie- dene feine, englische Pickles ; Madeira, Portwein, Champagner und Rheinwein. Gegen Mittag brachten uns unsere ausgestellten Posten die Nachricht, dass die Caravane am jenseitigen Ufer angelangt, und eben von ihren muthigen Pferd- chen abgestiegen sei, um Toilette zu machen und die Reisekleider mit dem Fest- schmuck zu vertauschen. Mit brennender Lunte , ebenfalls in sauberer Wäsche, unsere Bootsleute gebügelt und gestriegelt, standen wir an den geladenen Böllern, um die Cavalkade mit dem Salut zu empfangen, so wie sie aus der Uferumsäumung heraustreten würde , und sie dann mit einem unserer Boote, das ebenfalls auf das Freundlichste ausgeschmückt war, überfahren zu lassen. Gleich den bunten Schmet- terlingen brachen jetzt die Gäste , Capitain Leal und Senhora Liberadina an der Spitze, durch die grüne Umsäumung, sprangen gewandt von ihren Rossen und II. Tbeil. 21 162 REISEN IN wurden unter Böllerdonner zu uns übergesetzt, während mehre Vaqueiros die Pferdchen in ihrer Obhut behielten. Auch liier zeichnete sich ein Creolneger, der zu der Noblesse des Forts ge- hörte, durch seine geckenhafte Kleidung aus. Das Prachtexemplar der ganzen Ge- sellschaft war aber Senhor Simony, dessen dunkle Hautfärbung gar trefflich gegen die schneeweisen Panlalons , die feuerrothe mit Gold gestickte Weste und die scharlachrothe Jacke abstach. Die äffische und narrenhafte Putzsucht muss im afri- kanischen Blute liegen. Mit der uns schon bekannten Senhora Liberadina konnten einige der jungen Damen kühnlich um den Preis der Schönheit streiten, bei denen man ebenfalls zweifelhaft wurde, ob man dem reizenden schlanken Wuchs, den zier- lichen Händchen und Füsschen, den glühenden Augen , der edelgeformten Nase, oder dem feinen Munde mit den schön gereihten Zähnen den Vorzug einräumen sollte; schade nur, dass sie diese dadurch verunstalten, dass sie die Schneide- zähne spitz zufeilen. Ihr Anzug war gleich geschmackvoll; blau war, wie ich wäh- rend meines späteren Aufenhalles in Fort Saö Joaquim zu bemerken Gelegenheit hatte, ihre Lieblingsfarbe, denn alle Frauen trugen solche Kleider, während ein künstliches Gewebe, das ganz unsern gemusterten Spitzen gleicht, und das jede Brasilianerin sich selbst häkelt, den Busen deckte. Das lange, schwarze Haar wurde in mehren Flechten durch einen grossen Schildpaltkamm zusammengehalten, während den blossen Nacken mehre geschmackvolle Ketten aus Saamen oder Ko- rallen umschlangen, an denen der Rosenkranz und verschiedene Reliquien hingen. Senhora Lireradina besass unter anderen sogar ein Stück des wahren Kreuzes Christi, das Frater Jose wahrscheinlich vom ersten besten Baume genommen hatte. Nach der Begrüssung setzten wir uns zu Tisch, wo wir freilich alles aufwem. den mussten, um nicht in ein lautes Lachen auszubrechen, denn ausser dem Com- mandanten waren allen übrigen Gästen die Gabeln eben so unbekannte Gegenstände, wie die Gerichte, welche vor ihnen standen, und guter Rath war theuer, wie sie gemessen , wiewol das Gelüste nicht fehlte, sie kennen zu lernen. In dem Vor- gänge Capitain Leal’s, so wie an uns, sahen sie zw'ar, wozu die vor ihnen liegen- den Instrumente zu benutzen, doch mit dem Willen uns nachzuahmen, ging die That leider nicht gleichen Schritt, so dass sie nur höchst selten den Bissen beim ersten- mal zuin Munde brachten. Die vielen vergeblichen Manoeuvcr und die offenbare Ungeschicklichkeit seiner Freunde schienen den Capitain Leal zu geniren. Die Verlegenheit der Senhoras steigerte sich immer mehr, dadurch aber auch ihre Un- geschicklichkeit, bis sich ihrer endlich mein Bruder annahm , und ihnen vorschlug, der Sitte des Landes gemäss zu essen, d. h. statt der Gabeln die Finger zu ge- brauchen. Jetzt ging es ganz vortrefflich! Ueberhaupt lernte ich heute manche An- gewohnheit kennen, die in Europa zu den grössten Verstösscn gegen die gute Sitte BRITISCH GUIANA. 163 gezählt werden würde ; — dahin gehörte namentlich das viele Spucken währenddes Essens, und das öftere Ausspülen des Mundes, worauf man das Wasser in einem langen, künstlichen Strahl, ohne sich von der Bank zu erheben, auf den Boden entleerte. Nach Tische griffen die Damen und Herren zu den leinen Papiercigarren und unter Gesang und Tanz, unter Begleitung der Guitarre, wurde der fröhliche Tag beschlossen. Am folgenden Morgen brach die heitere Gesellschaft unter Jubel und Böller- schüssen wieder auf, nachdem uns Capitain Leal noch das Versprechen abgenom- men, ihn bei unserer Bückkehr vom Rorairna zu besuchen und uns selbst die zwölf Körbe Farinha und Tapioca für das Doppelgewehr abzuholen , das er noch vor seiner Abreise für diesen Preis in Empfang nahm. Indess erhielt er nur das Ge- wehr, wir aber nicht die Farinha. Als die Sonntagskleider im jenseitigen Ge- büsch wieder abgelegt waren , verschwand die heitere Cavalkade unsern nach- schauenden Blicken. Schon seit acht Tagen hatte die Hitze wieder bedeutend zugenommen; die Thermometer zeigten durchschnittlich 90 — 96° Fahrenheit im Schatten. Der Bo- den der Sandbank war zur geheizten Tenne geworden , so dass das 14 Zoll tief eingegrabene Thermometer jeden Nachmittag 3 Uhr 110° angab und selbst die Indianer ihre abgehärteten Fusssohlen durch Sandalen schützen mussten. Eine Wärme von 50 — 60° erhielt sich in dieser Tiefe die ganze Nacht hindurch. Die Zwecke meines Bruders waren jetzt erfüllt, die Lage der Vereinigung des Takutu mit dem Rio Rrancu bestimmt, die Fortsetzung unserer Reise, den Zurum a aufwärts, war für den nächsten Morgen festgesetzt , und das Ziel dersel- ben , der Rorairna, der Gegenstand des Gespräches für den Rest des Tages. Da Napoleon schon einmal dort gewesen , so gab mir dies Gelegenheit, ein geogra- phisches Genie in ihm kennen zu lernen , denn er entwarf uns plötzlich auf der Sandbank eine ganz meisterhaft plastische Karte der Tour, die wir einzuschlagen, den Lauf der Flüsse, die wir zu durchkreuzen , die Lage der Gebirge und Höhen, die wir zu übersteigen hätten, die Niederlassungen, durch die wir kommen würden, und dies Alles mit einer solchen Genauigkeit , dass wir später darüber staunen mussten. Berge und Dörfer bezeichnete er je nach der Höhe und Grösse mit klei- nern oder grossem Häufchen feuchten Sandes, den Lauf der Flüsse durch schmälere oder breitere Vertiefungen. Besondere Mühe aber nahm er sich damit, uns die Conturen des Rorairna so treu als möglich darzustellen. Auch als Chirurg zeich- nete er sich heute noch höchst vortheilhaft aus, obschon ich meinen Körper nicht dazu hätte hergeben mögen. Einer unserer Indianer hatte schon lange, in Folge des Andranges des Blutes nach dem Kopfe, an den heftigsten Kopfschmerzen gelitten-; — 21 * 164 REISEN IN ein Aderlass schien das beste Gegenmittel. Napoleon übernahm die einfache, aber ohne Zweifel höchst schmerzhafte Operation. Nachdem er die Vene unmittelbar über dem Handgelenk mit den Fingern der linken Hand emporgehoben , durchstach er sie dreimal mit dem sägeartigen Stachel des Stachelrochens, wobei er natür- lich beim Herausziehen mit dem Widerhaken die Wunde namhaft vergrösserte, Hess den Vollblütigen einen ziemlichen Theil seines Ueberflusses an Blut verlieren und verband die Wunde dann fest mit Bast; der Patient verzog dabei nicht einmal das Gesicht. Den 22. September brachen wir unser Lager ab und fuhren den Zuruma auf- wärts , dessen Strömung unserm Vordringen allerdings vielfach Eintrag that. Die Ufervegetation stimmte ganz mit der des Takulu überein ; üppige Maranenbäume, übersäet mit ihrem weissen Blüthenschmuck , ragten über die dichte Blüthendecke einer strauchartigen Inga und Genipa americana, die die Atmosphäre mit ihrem Wohlgeruch erfüllten und von dem schönen Käfer, der Rutela laela , in zahlloser Menge umschwärmt w'urden. Am Nachmittag erreichten wir, auf dem südwestlichen Ufer, die Mündung des kleinen Flusses Warami, an dem auf einer unbedeutenden Erhöhung die il/«c?/A7-Niederlassung gleiches Namens lag. Einige schöne Corials und der üble Zustand unseres kleinsten Bootes, das wir an der Mündung des Pirara wenigstens schiffbar gemacht, waren Ursache, dass wir landeten , um von den Be- wohnern ein anderes einzutauschen , oder zu borgen. Die Niederlassung zählte drei Hütten und sehszehn Bew'ohner, die eben damit beschäftigt waren, grosse Massen Fleisch zu räuchern. Ein glücklicher Jagdzug hatte sie in den Besitz von 22 Gairunis (Dicotyles labialas) gebracht. Nach den grossen Haufen gebleichter Knochen und Schädel, so wie den zahlreichen Rehgewreihen, die ich in den Hütten fand , mussten die Bewohner leidenschaftliche Jäger sein. Der nimmer gestillte Appetit unserer Leute halte die grosse Quantität geräucherten Fleisches, die wir durch die Jagdbeute erhalten, ziemlich zusammenschmelzen lassen, weshalb uns der hier zufällig angelrolfene Ueherfluss ganz willkommen war. Einige Glasperlen und Messer füllten die Lücken wieder aus , und eine Axt vermochte den Besitzer eines der Corials, uns dieses nicht nur leihweise abzutrelen, sondern uns auch am nächsten Morgen zu begleiten , um uns mit dem Namen der Nebenflüsse, Berge u. s. w. bekannt zu machen. Obschon es erst Mittag wrar, licss sich unser Führer doch durch nichts bewegen, die gefüllten Fleischtöpfe schon heute aufzugeben, und nöthigte uns die Fortsetzung der Reise bis morgen zu verschieben. Die zwrei Specics Pachydermen , Dicolyles labialus und torquatus (Cuv.), scheinen über ganz Guiana und nach Azara sogar bis Paragtiai verbreitet zu sein, und da ihre Jagd unter allen jagdbaren Thieren am ergiebigsten ausfällt , so scheint diese auch am meisten betrieben zu werden. Die Hunde, welche man dazu benutzt, BRITISCH* GUIANA. 165 siud besonders darauf abgerichlet , was um so nothwendiger ist, als beide Species eine unauslöschliche Feindschaft gegen dieselben hegen, die selbst bei dem gezähm- ten Pekari nicht verwischt werden kann. Die Dressur der Hunde besteht darin, dass sie bei dem Zusammentreffen mit einer Heerde ein Stück von den Nachzüglern abzudrängen und so lange zu umstellen suchen müssen, bis der Jäger herankommt und es niederschiesst. So wie dies erlegt ist, eilen die Hunde der Heerde wieder nach und drängen ein zweites, drittes und viertes Stück ab. Begegnet der Jäger einer Heerde, ohne dass er die Hunde bei sich hat, so sucht er sich an diese an- zuschleichen, ersteigt dann einen Baum und ahmt das Gebell eines Hundes nach. Kaum haben die Thiere den Ton gehört, so stürzen sie mit aufgesträubten Bor- sten auf den Baum zu, von dem die Stimme ihres Erbfeindes erschallt, und umzin- geln ihn unter wildem Grunzen und Zähneknirschen. Ist der Jäger mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, so kann er mehre erlegen, bevor die Heerde die Flucht ergreift; hat er jedoch eine Flinte, so verscheucht schon der Knall des ersten Schusses die Heerde. Der Jäger springt dann schnell vom Baum und sucht den Flüchtigen zuvorzukommen , um das Manoeuvre von neuem zu beginnen. Noch wüthend von der Störung, stürzen sie abermals auf den Baum zu, indess freilich nur, um wieder eins aus ihrer Mitte zu verlieren. Dann und wann nimmt diese Strategie allerdings einen unglücklichen Ausgang, wenigstens war dies bei einem Arawaak der Fall gewesen, der ebenfalls einer Heerde ohne Hunde begegnet und durch Nachahmung des Hundegebelles die wüthenden Thiere unter den Baum ver- sammelt hatte. Als er eben sein Gewehr abschiessen will, bricht der Ast, auf dem er sitzt; beim Herabfallen ergreift er glücklicherweise noch einen der untersten Aeste , an dem er nun herabhängt , seine Füsse können aber von der wüthenden Schaar erreicht und zerfleischt werden. Die Schmerzen steigern die Kräfte des Unglücklichen , und es gelingt ihm , sich auf den Ast emporzuschwingen. Jetzt lässt das wilde Heer seine Wuth an dem herabgefallenen Gewehr aus, dessen Kol- ben es vollkommen zerbeisst, bis es endlich seinen Weg fortsetzt. Nach unsäg- lichen Schmerzen und Anstrengungen gelingt es dem unglücklichen Waidmann, seine Niederlassung kriechend zu erreichen. Sind die Hunde zu hitzig und dringen in die Mitte der Heerde ein, so wartet ihrer fast immer ein sicherer Tod, da sie meist mit aufgerissenem Bauche auf dem Schlachtfelde liegen bleiben. Ein gleiches Schicksal soll auch dem Pinna und Jaguar werden, wenn diese in die Heerde ein- brechen. Beide aber scheinen die Gefahr zu kennen, und folgen daher den Thieren gewöhnlich in der Ferne, um die Nachzügler zu überfallen. Einen grossen Jubel er- regt es jedesmal unter einer Jagdparthie, wenn es gelingt, eine Heerde des Dicoty- les ta/jwtus in einen Fluss zu treiben. Obschon das Pekari schwimmt, so bewegt es sich doch nur langsam und unbeholfen im Wasser, und wird somit eine leichte 166 REISEN IN Beute seiner Verfolger. Sobald die verfolgten Tbiere in das Wasser treten, sprin- gen ihnen die Indianer mit einem starken Prügel nach , und schlagen dieselben ein- zeln ein, höchstens zweimal auf den Rüssel; der zweite Schlag tödtet sie sicher. Ruhig lassen sie das getödtete Pekari schwimmen, das merkwürdigerweise nicht so leicht wie andere Thiere sinkt, und schwimmen den übrigen nach, um noch einigen den tödllichen Schlag beizubringen; erst wenn dies nicht mehr möglich, fischen sie die Todten auf. Der Dicotijles torquatus lässt sich viel schwerer zähmen, als der labiatus, der seinem Herrn bald wie ein Hund auf jedem Schritt und Tritt folgt, während er nach allem heisst , was seine Gunst verscherzt, oder sie nicht zu er- werben verstanden hat. Beide Species fressen Saamen und Palmenfrüchte, auch durchwühlen sie, gleich unsern Schweinen, den Boden nach Würmern und Insek- ten. Hann sich der Die. torquatus der Verfolgung nicht mehr entziehen, so flüch- tet er wo möglich in einen hohlen Baum. Den Die. torquatus nennen die Ara- waaks : Apuya , die Macusis : Paraka , die Paravilhanos : Pakira , die fVar- raus : Pakiti/e ; den Die. labiatus dagegen die ersteren: Kairuni , diezweiten: Poinka, und die letzteren : Ipure. Mehre trockne Maisslengel, von 18 — 20 Fuss Länge, die an den Hütten der Niederlassung lehnten, bekundeten deutlich genug die ungemeine Fruchtbarkeit des Bodens. Unser Lager hatten wir eine starke Viertelstunde von derselben an der Landungsslelle des Zuruma aufgeschlagen , wurden aber dennoch die ganze Nacht hindurch von dem Getrommel und Geheule des Piai gepeinigt , der sich eben be- mühte, den bösen Geist von zwei Fieberkranken zu verscheuchen, die wir in einer der Hütten gefunden. Merkwürdigerweise nahm der Zauberer seine Exorcismen nicht in der Hütte vor, sondern ging trommelnd und heulend um die Niederlassung herum; ein Glück, dass wir nicht die Nacht dort zubrachten! — Schon während der letzten Nächte unseres Aufenthaltes am Takutu halten wir das dumpfe Trom- meln gehört, das wir damals einem Feste in einer nahen Niederlassung zuschrieben, und uns sehr wunderten , ihre Bewohner nicht bei uns eintreflen zu sehen. Jetzt war dasRäthsel gelösst, — der Piai von W arami hatte sein Wesen schon seit vier Nächten getrieben, — die heilen Töne der Trommel waren durch die stille Nacht bis auf eine Entfernung von einer deutschen Meile zu uns getragen worden! Da wir das Umpacken des Corials unmittelbar nach Abschluss des Conlracts besorgt, setzten wir am folgenden Morgen unsere Reise in Begleitung unsers neu- geworbenen Indianers, den Zuruma aufwärts fort. Je weiter wir vordrangen, um so höher wurden seine Ufer. Schon traten hier und da vereinzelte Felsenblöcke eines quarzreichen Glimmerschiefers zu Tage, bis sich die Ufer zu beiden Seiten gleich weissen Mauern neben uns aufthürmten. Diese bestanden aus einem rolh BRITISCH "GUIANA. 1C7 und vveissen, infusorienhaltigen Thon*), mit dem sich unsere Indianer Haar und Ge- sicht einrieben, weil er die Haut glatt und geschmeidig machen soll. Mit dem Auf- treten dieses mächtigen Infusorienlagers hatte auch die Vegetation des Ufers unend- lich au Mannigfaltigkeit gewonnen. Eben bogen wir um eine der Krümmungen herum, als wir zu unserer grossen Freude, einen Tapir mit seinem Jungen auf einer der vielen Sandbänke im Wasser- saum herumwaten sahen; kaum aber war das Wort « Maipuri » den Lippen un- serer Indianer entflohen, als wir auch bereits von beiden Thieren bemerkt wurden, die die Flucht ergriffen und in der dichten Ufervegetation verschwanden. Eben so schnell, wie sie dorthin geeilt, waren wir dem Ufer zugerudert, so dass wir ziem- lich gleichzeitig an dieses sprangen , und ihnen mit Flinten , Pfeil und Bogen nach- eilten. Sowie wir die waldige Umsäumung durchbrachen, bemerkten wir, dass sich die beiden Flüchtlinge in den 6 — 7 Fuss hohen Schneidegräsern und Rohr, das eine unübersehbare Fläche bedeckte, zu verbergen suchten. Unsere Meute be- fand sich in dem etwas zurückgebliebenen dritten Boote, und verdutzt standen wir Europäer vor der gefährlichen Pallisade , vor der wir, von frühem Erfahrungen her, heiligen Respect bekommen hatten. Unser Indianer aber konnte sie nicht ab- halten, und wie die Schlangen verschwanden sie zwischen den gefährlichen Gräsern. Zwei kurz auf einander fallende Schüsse und das triumphirende Auljauchzen der Jäger verkündeten ihr Glück. Alles drängte jetzt der Richtung zu, wir erhielten da- durch einen weniger gefährlichen Weg, und bald fanden wir die beiden glücklichen Jäger, sich auf ihr Gewehr stützend, vor dem eben verendeten alten Tapir stehen. Pureka’s Kugel hatte, wie sich bei dem Zerlegen herausstelte, die Lunge des Thie- res durchbohrt. Es war ein Weibchen von ungewöhnlicher Grösse. Noch umstan- den wir in dichtem Kreise die willkommene Beute, als uns das wilde Durchbrechen des Grases und Rohrs die Ankunft der Hunde bekundete , die gierig den Schweiss des Tapirs auflecklen. Jetzt begann die Jagd auf das Junge, dessen Spur unsere trefflichen Hunde bald aufgefunden hatten. Sobald sich das geängstigte Thier ent- deckt sah, liess es einen durchdringenden, pfeifenden Ton hören, noch aber konn- ten wir nichts sehen, bis uns die pfeifenden, gellenden Töne verriethen, dass das Thier dem Saume des hohen Rohres, der offenen Savanne zugetrieben würde, wes- halb wir so schnell als möglich nach einer nahen Erhöhung eilten, um die Jagd an- *) In dem Tlion entdeckte Herr Professor Eiirenberg folgende mikroskopische Formen, aus der Gruppe der Phytolitharia: Lilhostylidium quadratum . Spongolilhis Jratulosn, Spongolilhis acicularis. S. obtusa. S. aspera. 168 REISEN IN Zusehen. Kuuui waren wir dort angekommen, als das Thier aus dem Rohr hervor- brach, hinter ihm die klaffende Meute und unsere dreissig Indianer, die im Laufen mit den Hunden gleichen Schritt hielten, und in deren Jauchzen und Jubeln das Hundegebell und Angstgeschrei des Thieres fast erstarb. Es war ein eigenthüm- liches Schauspiel, eine Jagd, wie ich sie noch nie gesehen ! Die Kräfte des gehetz- ten Thiers ermatteten sichtbar und bald hatte es unser trefflicher Jagdhund, Tewa- 7iau, gestellt, worauf es die Indianer nach einem harten, aber vergeblichen Wider- stand mit gebundenen Füssen unter betäubendem Jubel und noch wilderem Hunde- gebell nach dem Fahrzeug trugen. Es hatte die Grösse eines fast ausgewachsenen Schweins, ln der Färbung wich es auffallend von dem Alten ab; — dieses war dunkelgrau mit schwarzgrauer Mähne , von der dem Rücken entlang weisse Strei- fen verliefen; das Junge hatte eine hellgraue Grundfarbe, über die sich an den vier Füssen eine Menge weisser Flecke verbreitete; die Seiten durchzogen mehre gelblichweisse Längsstreifen. Obschon es noch ziemlich früh am Tage war, schlugen wir doch unser Lager auf der Sandbank auf, um unsere unerwartete Beute zu räuchern. Das Junge, das sich noch ungeberdig zeigte , beschlossen wir nach Warima zurückzusenden , es dort zähmen zu lassen und bei unserer Rückkehr mit nach Demerara und später nach Europa zu nehmen. Unter Stöckle’s Aufsicht ging es bereits nach einer hal- ben Stunde nach seinem zeitweiligen Bestimmungsort ab. Jetzt galt es, den allen Tapir nach der Sandbank zu bringen, was uns erst mit Aufwendung der Gesammtkräfte der Expedition gelang, indem wir dem Coloss ein langes Seil an die Hinterfüsse befestigten, und ihn so unter Jubel und Jauchzen dahinschleppten. Die Länge des Thieres betrug mit Einschluss des 3 Zoll langen Schwanzes 6 Fuss 10 Zoll, die Stärke seines Leibes 5 Fuss 10 Zoll, seine Höhe 4 Fuss 9 Zoll; die Vorderfüsse massen 2 Fuss 9 Zoll. Der Tapir, welcher sich an den Ufern der Savannenflüsse aufhält, weicht nicht nur in Hinsicht der Grösse, sondern auch in Bezug auf seine Färbung so wesentlich von dem der Küste und der Urwälder ab , dass ich behaupten möchte , es wären zwei specifisch verschiedene Arten. Beim Unter- und Aufgang der Sonne pflegen die ersteren die dichte Ufer- umsäumung zu verlassen und auf die Sandbänke zu treten , wo sie sich nach Art der Schweine im Wasser und Schlamm herumwälzen, oder die Blätter der Ge- sträuche abfressen. Unter ihren Sinnen scheint das Geruchsorgan am schärfsten ausgcbildet zu sein , da sie uns oft schon aus so namhafter Entfernung witterten, in welcher ihnen ein anderer Sinn keine Kunde von unserer Annäherung gebracht haben konnte. Ungeachtet ihrer unförmlichen Körpermasse laufen sie mit einer Schnelligkeit, die man ihnen nicht zutraut. Bald war das grosse Thier von den vielen rührigen Händen zerlegt; ein Theil BRITISCII-GUIANA. 1G9 des Fleisches wurde geräuchert , der andere gekocht. Das Fleisch landen wir un- gemein wohlschmeckend ; nicht allein in Bezug auf den Geschmack, sondern auch in seinem Aussehen hatte es viel Aelmlichkeit mit dem Rindfleisch. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich auch zum erstenmal, dass die Indianer eben so gut Wursl zu bereiten wissen, als wir, denn als wir das Thier ausweidelen, fingen sie sorg- fältig das Blut auf, mischten klein geschnittene Fleischstiicke darunter, füllten die Masse in die Därme, kochten die Würste aber nicht, sondern räucherten sic so- gleich. Ich kostete diese Wurst einmal — und nicht wieder! Da ich die mir ge- wordene Instruction, keine Felle grösserer Säugethiere nach Berlin einzusenden, nicht übertreten konnte, überliess ich das starke Fell den Indianern zu Sandalen; das Skelett präparirte ich für das anatomische Museum. Während wir noch mit dem Zerlegen beschäftigt waren, hatten sich schon ganze Schaaren Aasgeier um uns versammelt, die einzeln aus allen Windvierungen angezogen kamen, um von den nächsten Bäumen zu beobachten , ob etwas für sie abfallen würde. Auch die Pirais durchfurchten den Wassersaum, und schälten dem armen Pureka, der eben seine bluttriefenden Hände abwaschen wollte , zwei seiner Finger fast ganz rein ab, so dass der Unglückliche dieselben einen grossen Theil der Reise gar nicht gebrauchen konnte , und anfänglich bedeutende Schmer- zen litt. Im Verlauf der Nacht kehrte Stöckle von tVarima zurück und brachte uns die Nachricht mit, dass uns am Morgen Frater Jose nachkommen würde, um uns noch einmal zu sehen , was auch vor unserem Aufbruch geschah. Frater Jose be- dauerte herzlich, dass er wegen seiner Abwesenheit vom Fort nicht Theilnehmer an dem heitern Mahle am Zuruma habe sein können, da sich ihm wohl nie wieder eine so günstige Gelegenheit zu einem solchen darbieten möchte. Um ihn wenig- stens in etwas zu entschädigen, suchten wir den Rest unserer Delikatessen zusam- men, die er sich ganz trefflich schmecken liess. Einige Körbe Farinha, zwei Schildkröten, so wie eine Menge Federschmuck der Pauixnnas , Guinatis und Oe- wacus , nebst zw ei mit Federn verzierten Hängematten, die er sich freilich theuer genug bezahlen liess, waren uns dagegen sehr willkommen. Da er von dem Com- mandantcn gehört, dass mein Bruder vom Roraima nach der Coloniestadt gehen wollte, bat er diesen, ihm einige Ellen schwarzes Tuch zu einer Allarbekleidung und zwei Glasglocken für die ewigen Lampen seiner beiden Kirchen mitzubringen, die von dem starken Luftzuge alle Augenblicke ausgeblasen würden. Nachdem er diese Bestellungen gemacht, brachte er auch noch eine grosse Spieldose hervor, die, wie er versicherte, bisher die einzig richtigen Töne bei der Messe angegeben, da er seinen Indianern nun und nimmermehr die Responsorien habe beibringen können. Schon seit längerer Zeit hatte auch diese ihm den Dienst versagt, — er II. Theil. 22 170 REISEN IN hoffte, dass wir Tausendkünstler die Störrische wieder auf den rechten Weg bringen könnten, was aber zu den Unmöglichkeiten gehörte, da Walze und Feder sich so abgenutzt zeigten , dass an keine Restauration zu denken war. Mit fast feuchtem Auge nahm er diese traurige Kunde entgegen, und um ihn wenigstens wieder etwas aufzuheitern, schenkte ihm mein Bruder zwei Flaschen Wein, die auch die beab- sichtigte Wirkung vollständig herbeiführten. Nach einem Aufenthalt von mehren Stunden trat er seine Rückfahrt nach Saö Joaquim und wir die Fortsetzung unserer Reise den Zururna aufwärts an. Die Wendungen des Flusses wurden immer kürzer, bis er endlich durch den kleinen Berg Wanakara , der sich auf seinem westlichen Ufer erhebt, gezwungen war, seinen südlichen Lauf ziemlich genau unter einem rechten Winkel nach Osten zu wenden. Unmittelbar über dieser Krümmung ergiesst sich an dem westlichen Ufer der Fluss Murnwai in den Zuruma. Einen eigentümlichen und überraschenden Zauber er- hielten die immernoch 20 — 30 Fuss hohen, roth und weissen infusorienhaltigen Thonufer durch eine zahllose Menge kleiner krystallheller Cascaden , die etwa 3 — 4 Fuss über dem Wasserspiegel aus dem Ufer hervorsprudelten. Wahrschein- lich wurden diese aus den Wasserflächen der Savanne gespeist; sie verliehen dem Landschaftsbilde einen unendlichen Reiz. Bisher hatten wir nur mit der starken Strömung zu kämpfen gehabt, mit dem 28. September verkündeten uns eine Menge weisscr Schaumflocken, die uns in wildem Gewirr entgegen trieben , dass gesteigerte Arbeit unsrer warte , und bald lag die erste Stromschnelle, Aratiari, vor uns. Nach vielen Stunden unsäglicher Arbeit hatten wir die Barrieren glücklich hinter uns. Ihre Felsen bestanden gross tentheils aus Gneis , der wenig Quarz , aber viel Feldspath enthielt und mit mächtigen Blöcken eines ganz jungen Gesteins, eines braunen Sandsteins mit eingesprengten kleinen Jaspiskörnern abwechselle. Die Sandsteinblöcke zeigten wiederden eigenthümlichen glasigen Ueberzug, den wir so häufig auf den Felsen- blöcken im Essequibo bemerkt halten. Kaum verfolgten wir wieder das ruhige Wasser, als wir uns auch schon nach einem Lagerplatz umsehen mussten , da Hr. Ggodall von einem Fieberanfall ergriffen wurde. Gegen O.S. und W. schloss uns die unübersehbare Savanne ein , im N. dagegen thürmte sich das kahle Pacarai- 7/ia-Gebirge vor uns auf, dem wir uns immer mehr näherten. Das Gras halte eine Höhe von 4 — 0 Fuss erreicht, während die Ufer von einer Menge Acanthaceen eingefasst waren. Am folgenden Morgen fuhren wir an der Mündung des Mawilzi vorüber , der sich von N.O. in den Zuruma ergiesst und seine Quelle in dem Pacaraima- Ge- birge hat, wo er unter riesigen Fclsenblöcken als kleiner Bach hervorsprudelt und BRITISCH-GUIANA. 171 sogleich eine Menge Cascade» bilden soll, deren einige über 12 Fass senkrechte Höhe haben. Seil der Tapir-Jagd hatten sowohl die Flinten , als auch die Bogen geruht, heule sollten sie in um so regere Thätigkeit versetzt werden. Zwei Species blühen- der, baumartiger Ingas hatten eine zahllose Menge Insekten herbeigezogen , die wieder eine ungewöhnlich grosse Zahl Leguans (Iguana tuberculala Laut'.) her- angelockt hatten. Bei jedem Ruderschlag, den wir vorwärts thaten, stürzten sich drei bis vier dej grossen Thiere von den Bäumen in das Wasser herab, oder ver- schwanden mit Gedankenschnelligkeit, von Zweig zu Zweig schlüpfend, in der dich- ten Belaubung der Wipfel, ein Zufluchtsort, der sie jedoch nicht vor den Späher- augen der Indianer und ihren sicher treffenden Pfeilen schützen konnte. Alles war Leben und Bewegung geworden, denn es galt, einen der schönsten Leckerbissen für die heutige Mahlzeit so reichlich als möglich in die Töpfe zu bekommen. Mit den Gewehren war die Jagd nicht so erfolgriche, als mit den Pfeilen, da die mit dem Schrot angeschossenen Leguans, wenn dasselbe nicht unmittelbar tödtlich traf, sich augenblicklich in das Wasser stürzten, und nicht wieder zum Vorschein kamen, ein Manoeuvre, das der sechs Fuss lange Pfeil verhinderte. Unter der Beute befanden sichmehre, die5 — GFuss languud IFuss stark waren. Ungeachtet des abschrecken- den Aeusseren , gehört das Fleisch doch , wie schon erwähnt , zu dem Zartesten, was es geben kann ; gleich wohlschmeckend sind auch ihre Eier. Diese gesuchten Eigenschaften tragen natürlich, namentlich an der Küste, wo sich zu den Indianern auch noch die Europäer, Farbigen und Schwarzen als Verfolger gesellen, vielfach dazu bei, dass dort die Thiere immer seltener werden. Nachdem unser Blutbad alle vierfüssigen Bewohner von den Bäumen vertrie- ben und wir noch einige weniger bedeutende Stromschnellen glücklich überstiegen hatten, schlugen wir unser Lager auf und verzehrten unsere Jagdbeute. Im Magen der Leguans fand ich ausser Blättern der Inga, auch noch Insekten, doch war der erstere Inhalt der überwiegende. Am folgenden Morgen begann die anstrengende Arbeit von neuem, denn wir hatten eine förmliche Cataractenreihe zu übersteigen, in der die Cataracte tVoro- koi-Marari und Warara-Sararu uns wegen ihrer Höhe und wüthenden Strömung allein einen halben Tag raubten, bevor wir die leeren Boote über sie hinweggezogen hatten. Das Gepäck musste dem Ufer entlang getragen werden. Zwischen den Fel- sendämmen , die hier den Fluss durchsetzten und grösslentheils aus Gneis mit vie- lem Feldspalh und Quarz, aber sehr wenig Glimmer, oder aus Granit mit zweier- lei Feldspath und schwarzem Glimmer bestanden, lagen ganze Haufen eines rotlien, abgerundeten, nierenförmigen Jaspisgerölles. Um sich bei dem Hinüberschaflfen der Boote über die Felsendämme einen Zeitvertreib zu verschaffen , zündeten unsere 172 REISEN IN Indianer das Gras der Savanne an, auf der sich die mächtige Feuersäule in unge- heurer Ausdehnung verbreitete, da sic hier reiche Nahrung fand. Längs dem un- mittelbaren Ufersaum zogen sich oft ganze Flächen der schönen, krautartigen Cas- sia ( Chamaecrista) ßlipes (Betith.), der reizenden Pavonia angustifolia (Betith.) und des freundlichen Ahutilon Lucianum (Sweet.) hin. Auch während der beiden nächsten Tage konnten wir in Folge der fast un- unterbrochenen Cataracte nur 8 Miles zurücklegen , denn kaum hatten wir unsere Boote wieder beladen , so musste auch bereits von neuem das Ausladen begonnen werden. Schon am 29. September hatten wir vor uns in Norden eine kleine Gruppe nackter Felsen bemerkt; diesen näherten wir uns am 1. Oktober bis auf 2 Miles und hatten damit ein förmliches Netzwerk von Granitwällen und Dämmen erreicht, die aus feinkörnigem Gneis, einem grünen, quarzführenden Feldspathporphyr und dichtem Feldspalhgestein gebildet wurden, und das Flussbett in eine zahllose Menge Ströme tbeilten, von denen jeder sich mit betäubendem Getöse und riesiger Ge- walt einen Weg durch die wild über einander gethürmten Blöcke oder die zutage- sichenden Klippen zu bahnen suchte, daran aber wieder durch einen quer auf ihn stossenden Strom gehindert wurde, so dass die ganze Strecke nichts als einen kochenden Kessel wild aufschäumender, brausender Wogen bildete. Nur die Fälle der Aehra-mucra konnte dieser wildromantischen, wahrhaft dämonisch aufgereg- ten Flussparthie an die Seite gestellt w erden , auf die mit tiefem Ernste zu beiden Seiten des schäumenden Wassers die 400 Fuss hohen Felsenmassen des Maikang- Yepatori , auf dem östlichen Ufer, und des Arawanna, auf dem westlichen herab- blickten , an welchen letztem sich in unbedeutender Ferne der Sirihuanta anreiht. Sie liegen unter 3° 53' nördlicher Breite und 60° 19' w estlicher Länge. Der Mai- hang- Yepatori hat eine mehr langgestreckte, der Arawanna dagegen eine abge- rundete Form. Rüstig, aber auch schweisstriefend klimmten wir an dem Mai- kang- Yepatori empor und fanden uns in der imposanten und überraschenden Landschaft und Fernsicht tausendfach für unsre Mühe belohnt. Zu unsern Füssen schäumte und donnerte die wiithende, gegen sich und die Felsendämme ankämpfendc W assermasse und spritzte und schleuderte ihre Schaumwolken und Flocken, wie ein sich entleerender Krater die im Innern gelösten Gesteine, in die Luft, wo sie in ununterbrochenem Wechsel zahllose Regenbogen bildeten, die eben so schnell verschwanden, als sie entstanden waren, während sich fern in 0. gegen N.W. das Paearaitna- G c bi rgc in bläulich duftigen Massen übereinander aufthürmte, dessen weiter zurückgelegene kahle Ketten bisher in der Ebene unsern Augen entzogen gewesen waren. Rein gegen N.W. erhob sich hoch über die Kelle ein kegelförmi- ger Berg mit abgestumpftem Gipfel, der 'Anhang, den die uns folgenden Indianer BRITISCH -GUIANA. 173 mit dem Ausruf: ‘Makunaima-aute (Wohnung des grosses Geistes)» begriissten. Ein zweiter Maleunaima-aute, der Felsen Curapua , erhob sieh nordöstlich in der fernen Savanne. Jeder hohe, eigentümlich geformte Berg oder Felsen scheint für sie der Sitz des grossen Geistes zu sein. Einige Miles vor uns gegen N. bemerkten wir die von einem dichten Vege- tationssaum umschlossene Vereinigung des Zuruma und Cotinga, oberhalb welcher sich am östlichen Ufer der Maikangpati , am westlichen die isolirtcn Berge fVai- king-Epping und Piriwai erhoben. Das silberhelle Band des Cotinga, unsere neue Fahrstrasse, konnten wir bis zu der Stelle verfolgen, wo es sich an das Pacaraima- Gebirge anlegte. In S.S.O. und S.W. breitete sieb, soweit das Auge trug, eine unübersehbare Ebene , gleich einem grünen Meere aus , bis sich die nicht mehr sichtbare Grenze mit dem Horizonte vermählte, während sich der dichte Ufergürtel des Zuruma und seiner Nebenflüsse in ununterbrochener Schlangenwindung durch dasselbe hinzog und endlich ebenfalls mit dem Horizont verschwamm. Dunkel auf- steigende Rauchsäulen , die in weiten Kreisen den Berg Wanakara einschlossen, an dessen Basis wir vor mehren Tagen vorübergekommen waren , verkündeten, dass der von den Indianern entzündete Savannenbrand noch keine Schranken ge- funden, und weit, weit nach S. und S.O. vorgeschritten war. Nachdem wir das reizende Landschaftsbild in vollen Zügen in uns aufgenommen , und eine 60 Fuss hohe Stange, mit einer Flagge an ihrer Spitze , aufgerichtet, die zu den trigono- metrischen Messungen an der Vereinigung des Zuruma mit dem Cotinga dienen sollte, wie sie vielleicht noch in späten Jahren Kunde davon geben wird , dass der Maikang-Yepatori von Weissen besucht war, kletterten wir wieder abwärts. Eine Menge runder Höhlungen von unbedeutender Tiefe, die förmlich mit dem Meissei ausgearbeitet zu sein schienen, und über die ganze Seitenfläche desColosscs zerstreut waren, zogen unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich, ohne dass wir uns den Entstehungsgrund in dieser harten Gebirgsmasse. erklären konnten. Je kahler die Abhänge der Felsenmasse waren, an der nur in vereinzelten Ritzen und Vertiefungen, in denen sich etwas Humus angesammelt, einige Me/ocaclus und zwergartige Cassien ihr Leben kümmerlich fristeten , um so üppiger wucherte zwischen den an der Basis zerstreuten Blöcken die Vegetation, von der aber das zarte sonnenscheue Farrnkraut, die Pteris euchlora (Kze. sp. nov.), nach dem es kaum die Feuchtigkeit des tropischen Winters in’s Leben gerufen und bis zur Fructification entwickelt hatte, schon wieder durch die sengenden Strahlen der Sonne seinen Tod gefunden. Nur erst nach langem, vergeblichem Suchen gelang es mir, in den Spalten des Felsens und unter den übereinander gelagerten Blöcken noch einige frische Exemplare zu finden. Die Basis des westlichen Felsens, des Arawanna, den wir ebenfalls bcsteigenwolllen, bot uns eine ganz interessante 174 REISEN IN botanische Ausbeute, denn nicht nur fanden wir eine neue, strauchartige Cassia mit grossen, hochgelben Bliithen, Cassia Arawanna ( Schomb .), die ohne Zweifel einer der schönsten Repräsentanten dieser Gattung ist, sondern ich entdeckte auch zwischen den scharfen Gneis- und Granithlöcken eine, fast möchte ich sagen, baum- artige Pflanze, deren Fund mir länger als eine Woche in schmerzhaftem Andenken blieb. Die dicken, krautartigen Stengel, dünnbehaarten Blätter und weissen, un- scheinbaren Blüthchen kamen mir so fremd vor, dass ich mir mit der linken Hand schnell einen der Zweige herabbiegen wollte , um mich in Besitz der Bliithen zu setzen. Wenn mich eine Schlange gebissen , hätte ich nicht eiliger zurückfahren und den Strauch erschrockener anstarren können ! Die augenblicklich sich röthende und anschwellende Hand, durchzuckte brennender, als hätte ich glühendes Ei- sen ergriffen , ein heftiger Schmerz , der sich erst nach 6 Tagen legte , und mich auch dann noch zwang, die Hand gleich einem rohen Ei zu behandeln. Selbst durch die leinenen Beinkleider theiltc die furchtbar bewaffnete Pflanze , ihre Ver- wundungen aus, sobald man mit ihr in Berührung kam. Ein förmlicher Wund- lieberanfall, der bald darauf folgte , verbitterte mir den ganzen, an Naturgenüssen so reichen Tag. Es war C?iidoscolus Marcgravii (Pohl). Die lange Cataractenreihe, die sich auch jenseits der Felsen noch den Fluss entlang zog, wie die Ermattung, die auf die Ersteigung des Felsens gefolgt war, Hessen es uns für geralhener halten, zu dem schweren Werke der Uebersteigung dieser brausenden Wogenmasse den folgenden Tag abzuwarten. Auf einem mit dem Waldmesser in dem dichten Gewirr der Papilion aceen, Mimoseen, Cannaecen , Zingiberaceen und Piperaceen gesäuberten Platze, schlugen wir unsere Zelte auf. Der Zuruma lieferte der übrigen Gesellschaft einige Fische , mir selbst hatte der Schmerz den Hunger völlig vertrieben. Die aufgehende Sonne fand die Leute schon in vollster Thätigkeit, und nach Verlauf einiger Stunden war die Arbeit vollbracht, die Calaractenreihe lag glücklich hinter uns ! Da ich wegen meiner kranken Hand dabei nicht hatte behülflich sein können, war ich das Ufer entlang gegangen, wo ich unter iibersaftig wuchernden und blühenden Mimosen, Apeiba , Byrsonima und Lecythis, eine wundervolle, baumartige Papilionacea in üppig reichem Blüthen- schmuck fand, die, ausser dem Beiz ihrer Blüthe, noch einen ungemein angenehmen Geruch besass. Eine Menge leerer Schildkörtenschaalen , jede mit einem runden cingefressenen Loche, verriethen mir, dass der Schildkrötcntiger sich in nicht ge- ringer Anzahl hier aufhaltcn musste. Nachdem wir einige Milcs den ruhigen Flussspicgel des Zuruma durch- schnitten, erreichten wir die Vereinigung desselben mit dem Cotinga, der fast rein aus N. kam, während der Zuruma sich aus N.W. auf ihn zu wälzte. An der Vcreinigungsstcllc haben beide Flüsse gleiche Breite. Wie ich schon erwähnte, DRITISCH-GUIANA. 175 ist der Cotinga der Cristais der alten portugiesischen Karten und wird allgemein, wie mir aber scheint, fälschlich , für einen Nebenfluss des Zuruma gehalten, eine Ansicht, die auch die Indianer verwerfen, da sie den letztem als einen Nebenfluss des erstem betrachten und die Flussstrecke , die wir vom Takutu bis hierher zu- rückgelegt, ebenfalls Cotinga nennen. W ie ich schon vorher angab , sollten an der Vereinigungsstelle trigonometri- sche Messungen genommen werden ; ein neuer Fieberanfall des Herrn Goodall nöthigte uns zu einem Aufenthalt von mehren Tagen. Unser Lager schlugen wir am östlichen Ufersaum des Cotinga , in der Nähe einer ansehnlichen Sandbank auf. So wie wir uns den ersten Stromschnellen des Zuruma genähert, waren auch dieMosquitos verschwunden, was uns jedoch wenig oder gar keine Erleichterung verschaffte , da von demselben Augenblick an, eine gleiche Anzahl Sandfliegen ihre Stelle einnahmen und uns von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang peinigten. Dass noch eine Steigerung der Qual, wie wir sie bis- her hatten kennen lernen , möglich sei , hätten w ir für unmöglich gehalten , und doch w urde diese Unmöglichkeit in unserem Lager zur Wirklichkeit. Eine sitzende Beschäftigung war hier eine wahre Tortur, und wurde durch die sengenden und brennenden Strahlen der tropischen Sonne, das Thermometer zeigte in der Sonne 140° Fahrenheit, nur noch unerträglicher. Wollten w ir uns nicht ganz zerstechen lassen, so konnte das Lager am Tage unser Aufenthalt nicht bleiben ; die Savanne gewährte uns glücklicherweise einen Zufluchtsort, und eine Strecke vom Flusse landeinwärts w^aren unsre Peiniger ver- schwunden. Auf den Wasserflächen , welche die Savanne noch bedeckten, hatte sich eine an das fabelhafte grenzende Menge der kleinen Ente, Anas viduata , versammelt, un- ter denen die Indianer ein grasses Blutbad anrichteten. Doch gewann die Savanne nicht allein durch dieses angenehme Intermezzo für uns Interesse, sondern auch durch eine Anzahl 12 — 16 Fuss hoher Termitenhügel, aus dem weissen , infu- sorienhaltigen Thon des Bodens in konischer Form aufgeführt, welche zwischen den vereinzelten Curatellabäuinen, gleich einem freundlichen Militairlager , jede Erhe- bung des Bodens, die der Ucberschwemmung nicht ausgesetzt w ar, bedeckten und der im Allgemeinen so einförmigen Fläche ein ungemein belebtes Aussehen ver- liehen. Auf den von dem Wasser schon befreiten Stellen wucherten zahllose Gen- tiancen , als Lisyanthus uliginosus (Grieseb.), Coutoubea reßexa ( Benth wäh- rend andere Flächen wieder mit der herrlichen Schultesia brach yptera (Chamss.) bestanden waren, deren reizender ßlüthenteppich einen wirklich imposanten Anblick gewährte. Zwischen ihnen fand ich auch zwei neue Specics, Schultesia Bentha- miana ( Klotzsch ) und die nur 4 — C Zoll hohe Schultesia suberenata (Klotzsch). 176 REISEN IN Da ich mein Tapirskeletl bisher noch nicht von allem Fleisch hatte reinigen können , weshalb es auch einen peslilenzialischen Geruch verbreitete , glaubte ich keine thäligeren Gehülfen dazu in Anspruch nehmen zu können , als unsere ge- fürchteten Feinde, die Pirais. An eine starke Leine befestigt, liess ich es an dem grossenBoote angebunden in das Wasser, fand aber am folgenden Morgen die Leine durchbissen, und das Skelett verschwunden. Die Indianer tauchten in die Tiefe, un- tersuchten die Flusssohle, vergebens! mein mühsam zubereiteter Schatz war ver- schwunden! Wer aber war der freche Räuber? Ein starkes Plätschern während der Nacht hatte ich den Fischen zugeschrieben. Alles Suchen, alle Nachforschun- gen gaben keinen Aufschluss. Die trigonometrischen Messungen waren beendet, der Fieberanfall des Herrn Goodall vorüber, und mit dem folgenden Morgen wollten wir die Reise fortsetzen, welchem Augenblicke wir, Hände und Gesicht mit dichten Tüchern umwickelt, in der Hängematte liegend, sehnsüchtig entgensahen, während tausend und abertausend summende Plagegeister uns umschwärmten, um eine unbedeckte Stelle ausfindig zu machen: da trat unser Arekuna, Awacaipu, in das Zelt und verlangte die «kleine Flinte« wie sie die Büchse nannten. Auf unsere Frage: zu welchem Zwecke, erwiederte er : erhübe unter dem sich über das Wasser biegenden alten Baum- slamme, einige Schritte vom Lager, einen mächtigen Fisch bemerkt. Neugierig folgten wir in Begleitung mehrer Indianer Awacaipu dorthin, und bemerkten dort allerdings einen mächtigen Kopf, aus dein wir aber in Folge der starken Bewegung des Wasserspiegels, wodurch sich der Gegenstand oft vergrösserte, oft verkleinerte anfänglich nicht recht klug werden konnten, ob er einem uns unbekannten Reptil oder einem Fisch angehörte. Unser verwegener Hgindrick hatte sich schnell einen günstigen Punkt ausgewählt und feuerte von diesem aus nachdem zweifelhaften Un- gethüm, das unter wülhenden Schlägen seines Schwanzes und krampfhaften Körper- bewegungen auf den Boden des Flusses niedersank. Nachdem sich der Wasser- spiegel wieder ins Gleichgewicht gesetzt, konnte man die dunkle Körpermasse in dem nicht allzutiefcn Wasser liegen sehen, ohne dass aber unsere Ungewissheit, ob diese einem Fisch, oder einem Reptil angehöre, gelöst worden wäre. Jetzt galt es, das rätbselbaftc Thier an das Land zu bringen ; von den Indianern hallen wir keine Hülfe zu erwarten, obschon sie sich alle in einer gewissen Entfernung vom Ufer versammelt halten und unsern Bemühungen mit furchtsamem Staunen zusahen. Nach der Erzählung Awacaipu’s konnte das Unthier nur die Tunn-mama ( Wassermultcr ) , der Geist der Flüsse sein, der allgemein von ihnen gefürchtet wird. Als IIeadrick's Aufforderungen vergebens verhallten, griff er selbst zu einem Hebungsmiltcl. Nach mehrfachen Versuchen haftete ein starker, harpunenartiger Pfeil in dem Panzer des Thicrcs. Der schwere Coloss hob sich durch unsere ver- BRITISCII-GUIANA. 177 einte Kraftanstrengung, und die Klaue eines Kaiman’s erschien über der Oberfläche. Die heftigen Bewegungen des Fusses, so wie seine kräftigen Rucke und Zucke, zeigten deutlich genug, dass das Thier noch keinesweges den Lebensodem ausgebla- sen hatte. Eine neue Büchsenkugel , von Hendrick meisterhaft zwischen Hals und Schulter beigebracht, nöthigte uns zwar den Pfeil fahren zu lassen, da die Zuckun- gen zu gewaltig wurden , aber das Weisse des Bauches, das uns bald aus der Tiefe entgegenschimmerte, verrieth, dass die erwünschte Wirkung nicht verfehlt war. So wie sich die Indianer überzeugt, dass es nicht die Tuna-mama sei, die Hendrick’s verwegene Hand verwundet, waren sie allesammt behülflich ; ein Corial wurde herbeigeschafft bald war einer der Yorderfüsse an einem Seile befestigt, und das Ungethüm auf die Sandbank gezogen. Die Strahlen der Sonne schienen ihn» neues Leben zuzuführen, denn der todtgeglaubte Feind begann sich zu regen , ergriff so- gar bald eine furchtgebietende Defensive und trieb uns alle aus seiner unmittelbaren Nähe. Als die fliehende Colonne wieder Posto gefasst, w urde Kriegsrath gehalten, wie das Thier anzugreifen und zu bewältigen sei. Der Entschluss w'ar schneller gefasst, als ich geglaubt. Mehre Indianer eilten davon und brachten grosse dicke und lange Pfähle herbei; — der kühnste der Indianer eilte mit gefälltem Pfahl auf das Thier zu , das ihn mit aufgesperrtem Rachen erwartete, und stiess ihm die Spitze des Pfahles tief in den Schlund. Obschon der Kaiman seinen Rachen kräf- tig schloss und tief in den Pfahl einbiss , schien ihm , nach seinem tiefen Stöhnen zu urtheilen , das Manoeuvre doch nicht zu gefallen. Zwei andere herzhafte In- dianer hatten sich ihm unterdessen von hinten genähert und Hessen nun ihre Keulenhiebe auf die Schwanzspitze niederregnen. Bei jedem Schlage bäumte sich das Thier w ild schnaubend empor , und riss seinen grauenhaften Rachen auf, um schnell einen neuen Pfahl von dem kühnen Indianer eingestossen zu bekommen. Dass die Schwanzspitzc , die nach der Behauptung der Indianer der Sitz des Le- bens des Kaiman’s sein soll, einer der empfindlichsten Theile dieser Thiere ist, zeigte die Thatsache, dass es sich bei jedem Schlage auf dieselbe wüthend auf- bäumte, während die zahllosen Schläge, die auf seinen Kopf und Rücken fielen, ganz unbeachtet blieben. Nach langem und wiithendem Kampf war der Räuber meines Tapirskeletts endlich getödtet; — die Stärke seines Leibes betrug 4 Fuss 4 Zoll, seine Länge 11 Fuss 3 Zoll, die des Kopfes 1 Fuss 8 Zoll und der Umfang desselben über den Augen 3 Fuss G Zoll. Der Schwanz muss 5 Fuss 6 Zoll. Da mir die Kürze der Zeit das Abziehen des Panzers nicht erlaubte, Hess ich ihn in das Gebüsch ziehen, wo die Aasgeier die Mühe des Skeleltiren.« übernehmen soll- ten, die bei unserer Rückkehr w ohl beendet sein durfte. Die Menge frischer Jaguarspuren, die wir jeden Morgen auf der Sandbank fanden , zeigte uns nicht nur , dass diese ein Lieblingsaufenthalt derselben sein lI.TIieil. 23 178 REISEN IN musste, sondern dass sie sich auch weder durch unsere Gegenwart, noch durch die vielen Feuer von derselben vertreiben Hessen. Nach unsern Beobachtungen liegt die Vereinigung des Zuruma und des Co- ti/iga unter 3° 54' 37" Norderbreite und 60° 19' Westerlänge von Greenwich. Unmittelbar an der Verbindungslinie beider Gewässer, zeigte sich das Wasser des Zuruma um 1° kälter, als das des Cotiuga. Kaum halten wir jemals der Fortsetzung unserer Reise mit solcher Sehnsucht entgegen geharrt, als hier. Mit Freude wurde daher der Anbruch des 3. Octobers begrüsst; — heute sollten wir aus diesem Fegefeuer erlöst werden , und bald schwammen unsere Corials auf dem Cotinga , den wir jetzt verfolgten. Zahllose Klippen , die das Bett nach allen Richtungen durchsetzten , nöthigten uns zum un- unterbrochenen Kreuzen, so dass wir uns nur langsam den beiden Bergen, Piriwai und Maikangpati näherten , zwischen denen sich der Fluss seinen Durchgang er- kämpft. Gleich zwei ungeheuren Warten erhoben sich auf dem Gipfel des 400Fuss hohen Piriwai , dessen Abhänge mit massenhaften Granitblöcken übersäet waren, zwischen denen eine üppige, wenn auch nicht dichte Vegetation emporschoss, zwei colossale Granitsäulen, die mich lebhaft an die Comuti oder Taquiari- F e|sen des T w (i s in k i- G e bi rges am Essequibo erinnerten. Der isolirte IVaihing-Epping (Reh- berg) thürmle sich nordwestlich vom Piriwai aus der Savanne auf, während ein Felsenlager, das auf dem Piriwai zu Tage stieg, auch das Flussbett durchsetzte, und vor uns wieder eine schäumende und brausende Wasserfläche und eine der gefährlichsten und wildesten Cataractenreihen bildete, die wir bisher zu bekämpfen gehabt. Die Indianer nannten sic nach dem Berge die Stromschnellen von Piriwai. Ehe wir sie noch erreicht, wurde meine Aufmerksamkeit durch ein aus dem Wasser auftauchendes Thier erregt, in dem ich einen Delphin erkannte. Das Er- scheinen eines solchen oberhalb der bedeutenden Cataracten des Zuruma war für uns eben so unerwartet , wie für die Indianer. Sein häufiges Auftauchen schien uns deutlich genug zu verkünden, dass er sich in diesen Regionen selbst nicht heimisch fühle. Ungeachtet des förmlichen Rottenfeuers, das wir auf den momen- tan entblössten Rücken richteten, in dessen breite Fläche manche Kugel eindrang, gelang es uns doch nicht, ihn in unsere Gewalt zu bekommen. Die Boote mussten entladen und das Gepäck längs dem Ufer hingetragen wer- den. Zwischen den Spalten der Felsendämme bemerkten wir mehre todte Schildkrö- ten, die wahrscheinlich bei hohem Wasserstande der Kraft des Stromes nicht hallen widerstehen können , von dieser zwischen die Spalten getrieben und hier einge- klemmt worden, und dann verhungert waren. Während sich unsere Bootsmannshaft mit dein Ilerüberziehcn der Corials abmühte, eilte ich der Basis des Piriwai zu, um zu sehen, oh sie mir in botanischer Hinsicht etwas Neues böte, und kaum halte ich BR1TISCH-GUIANA. 179 den Ufersaum, der von der niedlichen Quamoclit coccinea(Moench.) iiberrankt und mit tausenden der schönen, glanzend purpurrothen Blüthen geschmückt war, durch- brochen und die angrenzende freie Savanne betreten, als mir auch sogleich die herr- lichen azurblauen Blüthen der schönen lpomea evolculoides (Morde.) und Jacque- montia hirsuta ( Chois .) entgegen leuchteten. Ihre zahllose Menge verlieh der aus- gedehnten Fläche einen unendlichen Reiz , noch mehr aber überraschten mich die wildromantischen Umgebungen der eigentlichen Basis des Piriwai. Ueber grossblät- trige Potlios und Tillandsien thürmten sich oft 50 — 00 Fuss hohe Blöcke eines grobkörnigen Granits empor, die wieder mit der schon oft erwähnten Felsenvegela- tion überzogen waren, zwischen der ich auch eine neue Species Strychnos, Strych- nos Schombitrgkii (Klotzsch) entdeckte. Die Binde dieses Strychnos fügen die Ma- cusis dem Urari-Gift, bei. Diesen schützenden Gürtel wild durch und aufeinander gethürmter Felscolosse zu übersteigen, um zu den beiden düstern Warten zu gelan- gen, hätte mehr Zeit erfordert, als mir gegönnt war; — ich konnte sie, um die eben ein vereinsamter Raubvogel kreiste, nur von unten anslaunen ! Als ich zu unserer Parthie zurückkehrte , fand ich das Hinderniss bekämpft und die Erschöpften mit dem Frühstück beschäftigt, das aus mehren grossen Silu- rus bestand , die man während meiner Abwesenheit gefangen hatte. Nachdem wir den Piriwai auf einem fortwährend von Felsenkuppen unterbrochenen Wasserspie- gel umfahren, sahen wir, dass der Berg den Fluss eine Strecke lang zu einem Laufe gegen Südost zwingt. Wie der Piriwai, so veranlasst auch der Maikongpati, der sich in einer kleinen Entfernung von ersterem auf dem östlichen Ufer erhebt, einige, wenn auch nur unbedeutende Stromschnellen. Unmittelbar an seinem nördlichen Fusse mündet sich der kleine Fluss Zunona in den Cofinga. Schon waren es beinah 14 Tage, dass wir die Niederlassung IVarami ver- lassen ; nach der Aussage der Indianer konnten wir die nächste Niederlasung kaum unter 0 Tagen erreichen. Der Vorrath an Cassadabrod und Farinha war bereits wesentlich zusammengeschmolzen, die Rationen mussten um die Hälfte vermindert werden , obschon sich unsere Anstrengungen fast mit jeder Stunde steigerten , da sich uns beinahe unühersteigliche Cataracten entgegenstellten, und doch stieg weder rechts noch links ein Berg auf, nur die flache Savanne zog sich beide Ufer entlang. Seit dem Tapir hatte sich kein Wild wieder blicken lassen ; jeden Abend trafen die Jäger, welche am Ufer in der Savanne entlang gingen, eben so leer bei uns ein, wie sie am Morgen von uns ausgegangen waren. Napoleon und einige, ziemlich eben so starke Esser fingen schon an zu murren, so wenig ihnen dies auch half. Der 3. und 4. Octoher gehörte unstreitig mit zu den anstrengendsten Tagen während unserer ganzen Cotingu- Reise. Ungeachtet der ununterbrochenen , fast übermässigen Arbeit hatten wir vom Morgen bis Abend des 4. Octobers doch erst 23 * 180 REISEN IN sechs Miles zurückgelegt. Am 3. mussten wir wegen der Steilheit der Fälle die Boote dreimal nusladen, und doch gelang es selbst nur dann erst nach den entkräf- tendstcn Mühen, diese leer über die Fälle emporzuziehen. Die Dämme bestanden durchgäng entweder aus einem feinkörnigen Granit, oder einem eben solchen Gneis. Als wir am Abend des 4. Octobers mit dem Uebersteigen der letzten Cata- ractcnreihe beschäftigt waren, denn jenseits lachte uns der glatte Flussspiegel ent- gegen, verricth uns eine aus der Uferumsäumung aufsteigende dünne Rauchsäule die Nähe von Menschen , die auch bald von den scharfen Augen unserer Begleiter unterschieden wurden. Alle Sehnen und Muskeln wurden jetzt doppelt angestrengt, dort gab es vielleicht etwas Fleisch und einen Zuschuss an Brod! Unsere Hoffnung auf Wild war vergeblich , denn wir fanden in den Leuten eine kleine Parthie 31a- cusis aus dem Pacaraima- Gebirge, die an der Vereinigung des kleinen Flusses Tuanu mit dem Colin ga mit Fischen beschäftigt war; wir waren nach Verlauf eini- ger Minuten im Besitz ihrer gesammten geräucherten und frischen Fische. Durch sie erfuhren wir, dass wir in drei Tagen ihre Niederlassung erreichen würden, was aber wegen der zahllosen Klippen , Stromschnellen und Cataracte auf dem Flusse zu den Unmöglichkeiten gehörte. Wir waren die ersten Weissen, die die Leute sahen , und daher, namentlich für die Jüngern, der Gegenstand des tiefsten Staunens. Das Lager war bald in der freien Savanne, die sich bis ziemlich zum Fluss heranzog und nur durch einen 2 Fuss breiten Vegetationssaum von diesem geschieden wurde, aufgeschlagen. Vor uns sahen und hörten wir nichts, als aber- mals eine wild aufgeregte Schaummassc und das dumpfe Brausen und Donnern des entfesselten Elements; — da hindurch lag am nächsten Morgen unser Weg! Das Pacaraima- Gebirge lag jetzt nur noch 5 — 6 Miles vor uns, und mit tiefem Entzücken ruhte das Auge auf der reizenden, romantischen Gebirgsscencrie, die es in seinen Abhängen darhol, wozu namentlich mehre ausgebreitete Provisions- feldcr, wahrscheinlich mit Mais oder Manihot bepflanzt, die sich an diese anlehn- ten, ungemein viel beitrugen, da ihr helles, saftiges Grün den lieblichsten Wech- sel in der dunklen Belaubung des Fusscs hervorrief. Als wir am folgenden Morgen aufbrcchen wollten, war Napoleon und ein zwei- ter Indianer, ebenfalls aus Nappi und ein eben so unersättlicher Esser, verschwun- den. Gleich einem schwarzen Gespenst mochten sich die schwindenden Vorräthe vor ihre Seele und die Wünsche ihrer Magen hingestellt und sie auf und davon ge- trieben haben, ohne die Bezahlung für ihre so angestrengte Thätigkcil zu fordern. Die trübe Aussicht auf die Tage des Hungers war hinreichend für sic, alles im Stiche zu lassen, was sic zu fordern berechtigt waren, um den winkenden Fleischtöpfen Nappi. s so schnell als möglich wieder zuzucilen. Die übrigen fanden bald dieFuss- stapfen der Flüchtlinge auf; diesen nach hallen die beiden ihren Weg über die BRITISCH- GUI ANA. 181 Savanne gegen das Gebirge hin eingeschlagen. Wie wir später erfuhren, waren sie nach der drei Tagereisen entfernten Niederlassung Turong-Yauwise geeilt / hatten sich dort eine Quantität ßrod backen lassen und ihren Rückweg, ehe wir noch selbst in dem Dorfe eintrafen, schon wieder angetreten. Die durch die Flucht ent- standene Lücke in unserer Bemannung wurde bereitwillig von zweien der ange- troffenen Indianer ausgefüllt. Mit dem anbrechenden Morgen begann die Mühe und Arbeit; die beiden bedeu- tenden Fälle, der Tuanu-Sararu und Nt/nca-Sararu (Sandfliegen-Cataract) folgten unmittelbar hintereinander. Sie wurden glücklich überstiegen, und schon glaubten wir die Arbeit überstanden zu haben, als sich vor uns, soweit das Auge reichte, abermals nur eine einzige schäumende und wildbrausende Wassermasse zeigte, die selbst das heldenmüthigste Herz in Schrecken versetzen konnte. — War es wirk- lich möglich, da hindurch einen Weg zu finden? — Die Indianer nannten diese Stromschnellen Panatsikameri. Unmittelbar an dem Saum dieser dämonisch auf- geregten Wassermasse zogen mehre dreikantige Säulen eines ungemein feinkörni- gen Gneises, die, dicht an einandergedrängt, einige Zoll über dem gegenwärtigen Wasserspiegel gleich riesigen Prismen hervorragten , unsere ganze Aufmerksam- keit auf sich. Die Indianer versicherten , als w'ir bei ihnen unsere Boote angelegt hatten, dass es unmöglich wäre, die Corials durch solch eine wild tosende Masse, in der sich der brüllende Strom an tausend Felsenriffen brach, hindurch zu bringen; so genau aber auch diese Versicherung mit unseren Befürchtungen übereinstimmte, mochten wir doch noch keineswegs, obschon wir wenigstens eine Mile vor uns auch nicht die geringste Veränderung in der Schaummasse entdecken konnten, die Hoffnung aufgegeben, wenigstens die leeren Corials hindurch zu lootsen. Das Gepäck musste das Ufer entlang getragen werden, doch schienen dabei die India- ner nicht übel Miene machen zu wollen, uns den Gehorsam aufzukündigen, so dass wir alle Strenge anzuwenden hatten, um den glimmenden Funken der Rebellion zu unterdrücken, obschon w ir im Innern das tiefste Mitleiden mit den Armen fühl- ten, da die schweren Kisten, welche wohl zum Wasser-, aber nicht zum Land- transport eingerichtet waren , fast eine halbe Stunde weit über ein unebenes und sumpfiges Terrain getragen werden mussten. Dieses Mitleid durften wTir aber natür- lich nicht sichtbar werden lassen , und keinen Zollbreit von unseren Forderungen nachgeben , wenn wir uns nicht zu Sklaven der Laune unserer Begleiter machen wollten. Gegen Abend war das auch uns Unmöglichscheinende möglich gemacht, und eine Ration Rum, so wie andere kleine Geschenke, brachten uns die auf der Flucht begriffene Liebe der wackern Macusis wieder zurück ; lachend und scher- zend setzten w ir unsere Reise auf einem ruhigen Flussspiegel bis zum Einbruch des Abends fort, wo uns ein günstiger Lagerplatz zur Ruhe für die Nacht einlud. 182 REISEN IN Die Strahlen der auftauchenden Sonne übergossen am Morgen das jetzt nur noch einige Miles entfernte Pacaraima- Gebirge mit einem wahrhaft magischen Purpurschein, dessen überraschende Wirkung uns lange Zeit in stummem Staunen gefesselt hielt, bis endlich die sengende Scheibe voll über dem Horizonte erschienen war, und wir unsere Reise auf dem auch jetzt noch glatten Wasserspiegel fort- setzlen, was uns um so überraschender war, als das zerklüftete Gebirge eben nur noch einige Miles vor uns lag. Mit jedem Ruderschlag vorwärts wurde das westliche Ufer steiler und hatte bald eine Höhe von 25 Fuss erreicht. Da tönte wieder das dumpfe Brausen herab- slürzenden Wassers in unser Ohr und liess uns neue Mühen ahnen ; doch dies- mal waren unsere Befürchtungen ohne Grund gewesen, denn vor uns sprang, etwa 15 Fuss über dem Wasserspiegel, ein 2 Fuss im Durchmesser haltender Wasser- strahl aus der steilen Felsenwand, und ergoss sich in einem Halbbogen in den Fluss. In kleinem Massstabe hatten wir diese eigenthümliche Erscheinung schon im untern Flussgebiete kennen gelernt. Der Eindruck, den dieses wirklich imposante Natur- spiel hervorrief, hatte sich selbst auf die Indianer verbreitet, denn als wir an dem Wasserbogen vorüberfuhren, schien sie ein heiliger Schauer ergriffen zu haben; — die früher lärmenden Stimmen waren verstummt, mit niedergeschlagenen, furch t- verrathenden Blicken setzten sie kräftig die Ruder ein , um die für sie so schauer- liche Stelle so schnell als möglich zu passiren. Der Erbfeind des Menschenge- schlechts, Kanaima, wurde, so lautet die indianische Sage, von einem mächtigen Geist verfolgt; der Verfolger war ihm nahe, die Rettung schien unmöglich, das steile Ufer hinderte die fernere Flucht auf der Oberfläche der Erde, nur in dieser selbst war jene noch möglich. Er wühlte sich in das Ufer ein und kam, nachdem er sich eine Strecke von 10 — 12 Miles unter der Erde fortgewühlt, an dem linken oder nördlichen Ufer des Zururna wieder hervor, um, gerettet vom Untergang, von neuem zur Qual der Menschen fortzuleben. An jenem Ufer des Zuruma soll sich auch in der That eine ähnliche OefFnung im steilen Ufer vorfinden , aus der sich ein gleicher Wasserstrahl ergiesst. Wenn wir in der angrenzenden, überschwemmten Savanne das reiche Reservoir für jene zahlreichen , kleinern Horizontalfontänen am untern Stromgebiet erkann- ten, so fehlte hier ein solcher Wasserbehälter gänzlich, da das Terrain des rechten und linken Ufers sich bereits seit einer längern Strecke zu heben begonnen hatte, und damit auch alle Sümpfe verschwunden waren. Die speisende Quelle dieses interessanten Wasserstrahls war daher wahrscheinlich das nahe liegende Pacarai- wrt-Gebirge, dessen Gebirgsschichten hier auslaufcn mochten. Einen besondern Reiz erhielt die unmittelbare Umgebung der natürlichen Wasserkunst durch einige blü- hende Slräuchcr der herrlichen Kielmcycra angvslifolia (Pohl), die in ihrer Blii- BRITISCH- GUIANA. 183 thenbildung und deren Färbung so lauschend dem Oleander ähnelt. Sie war ein Fremdling an dieser Stelle, den wahrscheinlich ein Vogel als Saame von der Sand- steinregion hierhergetragen, wo er alle Bedingung zu seiner üppigen Entwickelung gefunden. Kaum hatten wir die für die Indianer so gefürchtete und bedeutungsvolle Stelle passirt, als auch ihre alte Lebhaftigkeit in doppeltem Grade zurückkehrte; — hatte doch keiner von ihnen Schaden an Leib oder Seele erlitten! — Mit Ausnahme der lieblichen Sträucher der Kielmeyera anguslifolia war die Vegetation nur kümmerlich und arm; nicht minder sparsam zeigte sich die Thier- welt repräsentirt. Nur hier und da wurde die einförmige Stille durch das Aufflat- tern einer gescheuchten Ente oder eines vereinsamten Kranichs unterbrochen, oder unsere Blicke auf den sonderbaren Flug des scheuen Pfefferfressers (Rhamphas- ios Toco) gelenkt, der sich nie an der Küste findet, und sich nur die Savanne und ihre waldigen Oasen zum Aufenthalt zu wählen scheint. Er fliegt durchgängig in kurzen, abgebrochenen Stössen, wobei er den Kopf, wahrscheinlich in Folge der überwiegenden Grösse des Schnabels, niederbeugt. Ich fand sie häufig gezähmt bei den Indianern , nie aber habe ich bemerkt , dass sie , wie man allgemein von dieser Gattung behauptet, ihre Nahrung vorher in die Höhe werfen und sie dann auffangen müsse, um sie verschlingen zu können. Sein Futter vom Boden aufzu- hehen , macht dem sonderbar gestalteten Vogel allerdings einige Schwierigkeit, was er aber überhaupt nur in zahmem Zustande zu thun nöthig hat, da er in der Freiheit nur kleine Früchte und Beeren frisst, die er vom Baum oder Strauch ab- beisst. Hat er das Futter einmal erfasst, dann hebt er den Schnabel senkrecht in die Höhe, und verschluckt es, ohne es vorher emporgeworfen zu haben. Eine be- wundernswürdige Geschicklichkeit besitzt der Vogel dagegen im Auffangen der ihm zugeworfenen Nahrung. In der Färbung des Schnabels findet man die gesammten Farbennuancirungen des Gefieders und der nackten Haut um die Augen wieder; leider verschwindet diese schöne Färbung nach dem Tode des Vogels schon am dritten bis vierten Tage, sowohl von dem Schnabel, wie von der Haut um die Augen. Lustig tanzten die Ruder in dem glatten Wasserspiegel auf und nieder, rasch (logen die Kähne zwischen den hohen Ufern hin, die uns wegen der vielen Krüm- mungen die Aussicht auf das Gebirge benahmen, wiewohl es uns jetzt ziemlich nahe liegen musste, und eben hatten wir eine scharfe Krümmung umfahren, als sich mit jedem Ruderschlag weiter eine immer zauberhaftere Gebirgslandschaft vor uns aufrollte. In einem wahrhaften Labyrinth in einander geschobener , sich über einander aufthürmender Berge breitete sich plötzlich die malerische Bergkette vor uns aus, an deren Fusse sich der 200 — 300 Fuss hohe, fast von aller Vegetation entblösste Pialzang mit seinen zwei riesigen Granitwarten erhob , um die sich 184 REISEN IN wieder ein Steinwall von 50 — OOFuss Höhe, täuschend dem zerfallenden Gemäuer einer alten Ritterburg gleich, aufgebaut hatte. Mit dem ersten Blick auf diese merk- würdige Bildung tauchten auch hundert freundliche Erinnerungen an die Heimath, an Thüringens Sachsenburg mit ihren zwei alten Thürmen, an den engen Pass, den sich die Unstrut zum Eintritt in die goldene Aue erkämpft, in meinem Herzen auf, die fort und fort durch unsere veränderte Stellung gegen den merkwürdigen Berg neu angefacht und lebendig erhalten wurden, da sich die alten Granitwarten fast mit jedem Ruderschlag so verschoben, dass bald die angeführte Ruine , bald der zerfallende und gespaltene Thurm des Kyffhäusers , oder eine der alten Burgen des Rheines vor meinem entzückten Auge stand. Doch, wo waren die freundlichen Abhänge mit dem saftigen Grün der heimischen Buche und Eiche , der vaterländi- schen Rebe, wo die sausenden Dampfboote, die zahllosen Fluss- und Frachtschiffe, die langsam sich bewegenden Flösse mit ihren wandelnden Häuschen , die dem Rhein ein so reges und buntwechselndes Leben verleihen ! Hier war alles in tiefes Schweigen, tiefe Stille gehüllt, die nur momentan von den Ruderschlägen und den Stimmen unserer Indianer unterbrochen wurde. Als wir später den Piatzang bestiegen, fanden wir die Höhe der obern Säule 150, die der untern 120 Fuss. Die Basis der ersteren betrug 110 Fuss. Auf der Spitze der kleinern halte ein Jabiru sein Nest gebaut, und schaute verwundert auf das seltene Leben herab, das sich unter ihm entwickelt hatte. Nach der astronomischen Bestimmung liegt der Piatzang unter 4° 1 l' Norder- breite und ()0° 20' Weslerlänge. Auch ihre Piais nennen die Macusis Piatzang ; die eigentümliche Bildung der Granilwarte , oder sonst eine Aehnlichkeit dieser Granitsäulen mit den gefürchteten Personen mag jenen den Namen Piatzang ver- schafft haben. Eine neue Biegung des Flusses verdeckte uns die reizende Aussicht wieder; auf dem östlichen Ufer mündete sich der kleine Fluss Wirina in den Co- linga. Eine dritte Krümmung brachte uns an den eigentlichen Fuss des Gebirges. Auf beiden Ufern erhob sich ein Berg; der Morakai zu unserer Rechten, der Pa- taghe zu unserer Linken, und beide bildeten so das gigantische Portal der mächtigen Gebirgskette. Zahllose Felsenlrummer umsäumten die beiden Basen und kräuselten von neuem die Wellen des Colin ga. An den Morakai und Pataghe schliesst sich je eine lange Bergreihe an, die zwei sich mehr oder weniger nach West und Ost verlaufende Parallelkelten bilden. Als wir das riesige Portal durchfahren, kam uns der Fluss ausN.O. zwischen 10 — 1200 Fuss hohen, mit Granit-Fefsenmassen über- streuten, kahlen, nur an dem Fuss bewaldeten Gebirge entgegen, und die bisher nur erst leicht gekräuselten Wellen wurden wieder zur wild empörten Wogenmasse. — liier hatte unsere Flussfahrt ihr Ende erreicht, — der Colinga war zuin reissen- den Gebirgsstrom geworden, der selbst für die kleinsten Fahrzeuge unbefahrbar Piatzahg. BRITISCII-GUFANA. 185 wurde. Jelzl blieb uns nichts mehr übrig , als wenigstens einen guten Landungs- platz zu suchen, welcher sich auch eine kleine Strecke unterhalb der Mündung des ungefähr 61) Fuss breiten Flusses Waikuch, der sich von Ost gen Nord in den Cotinga ergiesst , fand. Die Niederlassung Torong-Yauwise (Vogelnase) sollte nördlich von unserem Lager liegen ; — dahin hatten wir demnach unser Gepäck schaffen zu lassen, um dort unsere Vorbereitungen zu der Gebirgsreise zu treffen. Nachdem wir die Boote entleert, befestigten Avir sie bis zu unserer Rückkehr an einige der am Ufer stehenden Bäume , überzeugt, dass sie sich hier eben so sicher als in einem der Londoner Docks befanden. Wohl mochten sich noch nie Corials von solcher Grösse auf den Wellen des obern Cotitiga geschaukelt haben! Als wir das Ausladen beendet, wurde unsere Aufmerksamkeit auf eine dicht- gedrängte Gruppe Indianer gelenkt, die eben eine der vielen gigantischen, zu Tage steigenden Felsenmassen, welche in wildem Wirrwarr das Thal durchstrichen, er- klommen haben mussten , und denen wahrscheinlich unsere Flüchtlinge , so wie jene Fischparthie, die wir getroffen , die Neuigkeit von dem Anzuge der Parana - ghieris nach der Niederlassung hinterbracht. Die Männer hatten sich aufgemacht, um uns hier zu erwarten, da ihnen ihre Kenntniss des Flussgebietes vorhergesagt, dass wir nur bis hierher den Flussspiegel würden behaupten können. Ungeachtet unseres Winkens und der gewöhnlichen Zeichen, dass wir in freundlicher Absicht kämen, wagte es doch keiner, die sichere Warte zu verlassen, Aveshalb wir uns genöthigt sahen, Sororeng mit den beiden neugew orbenen Bewohnern von Torong- Yauwise als Friedensboten an sie abzuschicken. Ruhig wurden diese von ihnen erwartet, und nach kurzem Gespräch sahen wir einen ältern Mann mit drei andern kräftigen Gestalten sich dem zurückkehrenden Sororeng anschliessen, während die übrigen in ihrer Stellung verharrten, und sich erst von dem Empfang der vier Be- gleiter unseres Gesandten überzeugen zu wollen schienen. Der ältere Mann war der Häuptling des Dorfes; — sein Empfang schien den Zurückgebliebenen Ver- trauen eingeflösst zu haben , denn bald darauf setzte sich der ganze Trupp gegen uns in Bew egung, den mehre alte hässliche Weiher, die wir vorher nicht bemerkt, beladen mit Körben, in denen sich Cassadabrod und Kürbissflaschen befanden , be- schlossen. Der alte Häuptling hatte ein ungemein w ürdiges Aeussere und zeigte sich bald als ein freundlicher und verständiger Mann , der uns alle mögliche Beihülfe versprach. Das Brod und die Kürhissflaschen, mit einem für unsern Gaumen höchst unangenehmen Getränk, Avelches das Ansehen von Kalkwasser hatte und das sie Kasiri nannten, übergab er uns als Geschenk , und beides wurde von unsern halb- verhungerten Indianern schnell verzehrt. Torong-Yauwise lag noch 5 — 6 Miles von unserm Landungsplatz ab, und wohl konnten noch mehre Tage vergehen , be- ll. Theil. 24 18G r.EISEN IN vor wir das Gepäck zum Landtransport eingerichtet und w ir selbst dahin aufbrechen konnten. Ein vom Fluss etw7as abgelegener, freier Platz an der Basis des 1270 •Puss holien, mit Felsenblöcken übersäeten Morakai, in der Nahe des kleinen Flüss- chens IVuikurh > bot uns eine günstige Lagerstelle. Indem wir die Anstalten zum Aufschlagen der Zelte trafen, verriethen uns eine Menge schwarzer Köpfe, welche verstohlen und vorsichtig über die im Thale zerstreuten Felsentrümmer hervorlug- ten und uns beobachteten , dass die Männer und alten Frauen doch nicht allein ge- kommen waren. Wenn wir es aber versuchten, uns den Verstecken zu nähern, waren augenblicklich die Köpfe verschwunden , um bald wieder hinter einer ent- fernter liegenden Schulzwand auf zu tauchen. Für die Frauen und Mädchen, wie überhaupt für die jüngere Generation schien unsere Gegenwart immer noch gefahrdrohend zu sein. Trunken haftete das Auge auf der unendlich reizenden Gebirgslandschaft, die von unserem Lager aus vor uns ansgebreitet lag. An den östlichen Abhang des Morakai schlossen sich unmittelbar die beiden gleich hohen Berge, der Curalakie und der w ild zerklüftete Aimutong (w'eisse Berg) an , dessen mächtige, zu Tage tretende Quarzfelscn die Sonnenstrahlen in hell glitzernde Goldrilfe verwandelten, von denen die hellsten Schlaglichter über das vor uns nach Norden sich hinzie- hende, von 1000 — 1200Fuss hohen Gebirgsrücken eingeschlossene Cotinga- Thal hingeworfen wurden. Ueppige, jetzt noch grüne Grasmatten bedeckten die Berg- abhänge bis zu den Gipfeln und Firsten, die hin und wieder mit dichten Gesträuch- gruppen oder kahlen Granitrilfen abwechselten , in deren Vertiefungen und Klüften sich eine niedere Waldung angesicdelt. Schweifte das Auge von den imposanten Höhen hinab in das liebliche Thal des Cotinga , so haftete es gleich im Vorder- gründe auf einem der mächtigen Cataracle, die sich fort und fort, so weit das Auge trug, erneuerten, begleitet zu beiden Seilen von wildromantischen Fel» senmassen und üppigen Gruppen der herrlichen Mauriliapalmc , die sich wreit über das vollsaftige Ufergebüsch erhoben , während mehre isolirtc Berge des öst- lichen Ufers von dem hochgelben ßlüthenteppich der baumartigen Cassia (Basvo- phyllum) po/yslachya (Benth.) eingehüllt wurden, und in weiter Ferne ein sich vorlagerndcr Bergrücken, wie mit einem blauen, duftigen Schleier überzogen, das liebliche Bild schloss. Es war unstreitig eins der reizendsten Landschaftsbilder, die ich unter den Tropen kennen gelernt habe, in dem sich der unendlichste Lieb- reiz mit wild imposanter Grösse paarte. Ueberall Leben, überall Fülle, die sich namentlich an den Ufern der wilden Sturzbäche, die das durchdringende Ge- schrei grosser Hccrden goldgelber Kcssi - Kcssi - Papageien (Psitlaeus solstitialis ), welche sich in ununterbrochenem Wechsel in den Waldungen des Thaies und der liefen Bergabhänge niedcrlicssen , um sich nach kurzer Zeit unter vcrdoppcl- Thal des Flusses Cotinga bei seiner Vereinigung mit dem Waikueh und dem Berge Pataghe. BKITISCH-GUIANA. 187 tem Gekreische wieder zu erheben, bis zum Wunderbaren steigerte. Fast der ganze felsige Abhang des Curatakie , über welchen sich ein kleiner Gebirgsstrom den mühevollen Weg gebahnt, und sich dann unter wildem Gedonner herabstürzte, wurde von der prachtvollen Kielmeyera angnstifolia eingehüllt, deren dunkelrosa- farbene Blüthen einen unbeschreiblichen Zauber verbreiteten , der , je mehr sich die Abhänge der Berge dem Ufer des Cotinga und fVaikueh näherten, immer mannigfaltiger wurde , da sich bald zu dem milden Roth dieser Blüthenfülle das Hochgelb der Cassia polystachya , der Farbenschmelz der Coutarea speciosa ( Aubl .), des Gnaphalium Schomburgkii ( C. H. Schultz Bip. sp. nov.), zahlloser Polygaleen, Gentianeen , Convolvulaceen, Malvaceen , Acanthaceen, Melastoma- ceen uaAMyrtaceen gesellten; Formen und Gestalten, die mir so unbekannt waren, wie sie unerwartet, nach der früher herrschenden Dürftigkeit der Vegetation , vor meinen staunenden Blicken auftraten. Die riesigen Felsenblöcke des Thals bedeck- ten Cereus , Melocaclus , Agaven, Orchideen und kleines Gesträuch von Clusien und Myrtaceen. Ungeachtet der drückenden Hitze von 106° Fahrenheit blieb uns doch unsere Umgebung ein zauberhaftes Paradies , um so mehr , als sich weder Mosquitos noch Sandfliegen hineinwagten. Am 9. October wurde der letzte Transport unseres Gepäckes nach Toro/ig- Yauwise abgeschickt, dem wir uns in Gesellschaft des alten Häuptlings anschlossen. Nachdem wir den fVaikueh gekreuzt, führte uns der Weg über isolirte Berge und Hügel, durch freundliche Thäler, bis wir, abermals auf dem Gipfel eines Hügels angelangt , in einer weiten Ebene einen Friedhof mit zahllosen Monumenten zu unsern Füssen ausgebreitet zu sehen, und als wir in die Ebene hinabstiegen, auf den Gräbern eines vorangegangenen Geschlechts zu wandeln glaubten ; doch statt der Leichensteine fanden wir nichts, als unter den sonderbarsten Formen mehr oder weniger hoch zu Tage tretende Granitnadeln und Granitplallen. Schade, dass Sokoreng uns vorausgeeilt war und uns nicht die Traditionen verdolmetschen konnte, die sich an diese eigenthümliche Felsenregion zu knüpfen schienen, und die uns der alte Häuptling in ununterbrochenem Redefluss, von dem wir aber leider nur einzelne Brocken verstanden , unaufgefordert mittheilte. Aus dieser Sagen- reichen und auflallend merkwürdigen Felsenregion erstiegen wir abermals eine be- waldete Hügelkette, an deren jenseitigen Abhängen sich die Provisionsfelder der Bewohner von Torong-Yauwisc hinzogen, die fast durchgängig mit Mais bepflanzt gewesen waren. Die Iiolben hatte man schon eingeerndtet. Die Manihotpflanzung war nur unbedeutend. Durch ein kleines Thal hindurch sahen wir auf einer sich quer vor lagernden Anhöhe die Niederlassung zwischen mehren vereinzelten Bäumen, die mit unge- 24* 188 REISEN IN wohnlich grossen, hochgelben Blüthen bedeckt zu sein schienen. Schon wurde die Hoffnung in mir rege , dass meiner hier eine neue botanische Entdeckung harre, als ich plötzlich bemerkte , dass sich die vermeinllichen Blüthen bewegten und ihren Standort veränderten; — es waren zahme Hessi-Kessi Papageien , die sich bei unserer Annäherung unter einem wahren Höllenlärm erhoben und nach einer der nahen Hütten flogen. Die Täuschung war überraschend! Torong-Yauwise be- stand aus vier Hütten, deren Bewohner, etwa 50 Seelen, in Gruppen zusammen- stehend , uns erwarteten. Die Männer kamen auf uns zu und schüttelten uns die Hände; scheu und furchtsam verharrten aber die Frauen und Kinder in der Ferne, ohne sich des Lachens über unsere ganze Erscheinung enthalten zu können. Schie- nen wir ihnen lächerlich, so mussten sie in unsern beiden Negern, werweiss welche bösen Geister zu sehen glauben, denn diese brauchten nur die Füsse vorzusetzen, so floh auch die ganze unerwachsene Bewohnerschaft, unter allen Zeichen einer panischen Furcht nach den nahen Felsenblöcken, um sich dahinter zu verstecken. Schon aus unsern Besuchern im Lager am Waikuoh hatten wir geschlossen, dass schöne Gestalten , intelligente und ansprechende Gesichtszüge in Torong- Yauwise nicht gerade häufig sein mochten; jetzt, wo wir die gesammte Bevölke- rung des Dorfes um uns gruppirt sahen, wurde diese Vermuthung zur Thatsache. Den alten Häuptling und einige jüngere Männer und Frauen ausgenommen, ge- hörten die Bewohner von Torong-Yauwise zu den hässlichsten Gesichtern , die ich noch getroffen ; eine auffallende Familienähnlichkeit trat in einem gewissen stupiden Ausdruck hervor, der durch das lange , schwarze, ungekämmt über die Schultern herabhängende Haar noch verstärkt w'urde. Die Krone aller Hässlichkeit war ein mittelbejahrter Mann , dessen Gesichtswinkel kaum 66 Grad betragen mochte; im Profil, glaubte ich jedesmal einen Affen vor mir zu haben. Das Ver- sprechen des Häuptlings, uns die grösste und dauerhafteste der Hütten einräumen zu lassen, fanden w'ir treulich erfüllt; Sororeng hatte darin schon unser Gepäck neben den gewaltigen Maisvorräthen sauber aufgestelll. Nach der Versicherung des Häuptlings sollte die Manihot in dem Gebirge nur äusserst sparsam gedeihen, weswegen seine Bew ohner auch hauptsächlich auf den Mais angewiesen sind, der um so üppiger w ächst. Ihr Brod backen sie aus einem Gemisch von Manihot und Maismehl; Yams, Bataten, viele Kürbisse und ganz vorzügliche Wassermelonen bildeten die übrigen Agriculturartikel. Als wir uns mit unserer nächsten Umgebung etwas vertrauter gemacht, und jeder Einzelne sich die Stelle für seine Hängematte ausgesucht, liessen wir unsere Augen auch in die Ferne schweifen, in der sich wieder eine derreizendsten Bergland- schaften zeigte. Wir befanden uns mitten in der Gebirgsregion ; — überall thürmte sich Berg über Berg auf, aus denen in N. gen W. der kuppelartige Zahang , der BRITISCH 'GUIANA. 189 Oly mp der Macusis , die Wohnung ihres grossen Geistes Malmnaima , auf den sie uns bei jeder Gelegenheit aufmerksam machten , über alle emporragte. Gegen N. und 0. verschmolzen die Conturen in bläulich duftiger Ferne mit dem Horizont, während das Auge im S. auf dem lieblichen Thale des Cotinga mit dem Morakai und Pataghe , zwischen denen man den Piatzang erblickte, haften blieb. Von diesem Standpunkte aus war die Aehnlichkeit des Piatzang mit dem heimischen Kyffhäuser so täuschend, dass selbst der junge Macusi , welcher uns nach Deutsch- land begleitete, als er den Kyffhäuser zum erstenmal sah , in den lebhaft bewegten Ausruf : " Piatzang ! Piatzang ! » ausbrach . Streng geographisch genommen, kann das Pacarai/na- Gebirge keineswegs als eigentliche Cordillere betrachtet werden, da es keinesweges aus einer zusammen- hängenden, ununterbrochen verlaufenden Gebirgskette besteht, sondern mehr aus einer unregelmässigen Gruppirung von meistentheils kahlen Bergen zusammensetzt ist, die durch Ebenen und Savannen von einander getrennt sind, und sich gleich- sam in -phantastischen Felsenbildungen, die sowohl an den Abhängen, wie auf den Gipfeln zu Tage treten, überbieten, worin sich in unsern Umgebungen namentlich der Yaringra und Warunglca-Yeng auszeichneten. An jedes dieser Riffe hat auch die ewig thätige Phantasie der Indianer eine Sage geknüpft. Ich will die von dem Murapa-Yeng (Fledermausberg) mittheilen. Vor langer, langer Zeit hauste eine riesige Fledermaus in dem Gebirge und verbreitete Furcht und Schrecken unter den Macusis. So wie die Sonne in Westen verschwunden war, verliess das ge- spenstige Ungeheuer seine unbekannte Wohnung, schwebte überden friedlichen Hütten, gleich dem Adler über dem Lager des jungen Rehes, um sich auf jeden, der sich ausserhalb der Hütte sehen liess, pfeilschnell herabzuslürzen, ihn mit sei- nen mächtigen Krallen zu packen , nach seinem unbekannten Schlupfwinkel zu tragen und dort zu verzehren. Furcht herrschte am Abend durch die Dörfer und in den Hütten, uud Klage erfüllte die Luft am Morgen, wo oft zwei , ja drei Per- sonen fehlten ; keine Nacht verging ohne Raub , der Stamm zählte täglich weni- ger Mitglieder , seine gänzliche Vernichtung schien nahe zu sein. Die Zauberer beschworen den Geist, — er kehrte wieder; die Männer zogen aus, um die Woh- nung des unheilvollen Würgers aufzusuchen, — sie fanden sie nicht, — Maku- nairna war nicht mit ihnen. Da trat, um die gänzliche Vernichtung des Stammes zu verhindern, — wer denkt dabei nicht an Marcus Curtius ! — eine alte Frau auf, und erklärte sich bereit, zum Wohl des Stammes ihr Leben zum Opfer zu bringen. Die Nacht brach an , mit einem verdeckten Feuerbrand stellte sie sich mitten in das Dorf, zagend und bebend lauschten die übrigen Bewohner in den Hüt- ten, das unheilvolle Schwirren der mächtigen Flügel liess sich hören, gepackt von den fürchterlichen Krallen wurde die Heldin emporgehoben und dem Todtenhause 11)0 REISEN IN zugeinigen. Jetzt entfernte die Frau die Hülle von dem Feuerbrande, und gleich der Sonne, die ihre Strahlen rückwärts wirft (der Komet), durchzieht ein langer Feu- erstreif die Luft und zeigt den harrenden Bewohnern die Richtung, in welcher die Beinkummer ihrer Brüder liegt. Die hohe Feuersäule des brennenden Nestes be- zeichnet die Stelle, der am folgenden Morgen unter Leitung der noch aufwirbeln- den Rauchsäule der ganze Stamm zuzieht, um das Unthier zu tödten, was auch gelingt. Das Nest befand sich auf dem Gipfel eines Berges, der bis auf heute Murapa-Yeng , Fledermausberg, heisst. Die Sage schweigt, ob die Frau ihre heldenmüthige That mit dem Leben bezahlen musste; noch jetzt aber soll man dort gewaltige Massen von gebleichten Menschenknochen finden. Leider war unsre Unkenntniss der Sprache ein wesentliches Hinderniss , alle die Sagen kennen zu lernen, die man uns unaufgefordert bei jeder auffallenden Naturbildung mittheille. Wie bei frühem Gelegenheiten , so hatte auch hier im Gebirge eine Nieder- lassung der andern schnell die Kunde zugetragen , dass Paranaghieris in Toro/ig- Ynuwise angekommen. Schon an den nächsten Tagen belebten sich die bisher stillen Thäler und Ebenen mit bunlgeschmückten Gestalten, die in langen Reihen auf das Dorf zugezogen kamen, während das Echo tausendfach die wilden Trommelschläge und die grellen Töne der sie begleitenden Pfeifen wiedergab. Jeder solche , schon aus weiter Ferne vernehmbare Zug lockte uns aus der Hütte , um denselben bei seiner Ankunft im Dorfe an uns vorüberdefiliren zu lassen, und uns an dem phan- tastischen Federschmuck, den Federbaretts, auf denen sich die langen, aufrecht gesteckten Schwanzfedern der Araras in der Luft wiegten, an den Kriegskeulen, Bogen und Pfeilen der Indianer zu ergötzen. Nach der Sitte jedes Stammes, denn es kamen Macusis, JVapisianas, Pauixanas und Arekunas , hatten sich Männer und Frauen, Greise und Kinder mit rother und schwarzer Farbe bemalt, erstiegen sie, den Häuptling an der Spitze, einzelne sogar mit Gewehren bewaffnet, die Anhöhe. Dem Häuptling unmittelbar folgten die auf ihren Trommeln und aus dem Femur der erschlagenen Feinde bereiteten Pfeifen lärmernden Musiker, denen sich die übrigen Männer, einer hinter dem andern, anschlossen, während die, unter der Last ihrer Säuglinge und der mit Tauscharlikcln gefüllten Körbe, keuchenden Frauen , Mädchen und ebenfalls mit kleinen Kriegskeulen und Bogen bewaffneten Knaben den Zug schlossen. So wie sie im Dorfe angekommen, hielt der Zug still, mit vorgeslreckter Hand trat der Häuptling auf uns zu und reichte uns diese unter dem Worte: «Matli!« worauf er seine Untergebenen bedeutete, dasselbe zu lliun, was aber von den Frauen , Mädchen und Knaben immer nur mit Angst, Zittern und Zagen geschah. Freilich wurde uns diese Ceremonic oft langweilig und es fiel mir, so gut wie den übrigen, schwer genug nicht zu lachen, wenn solch ein fast nackter Herrscher, mit den heterogensten allen Kleidungsstücken der civilisirlen BRITISCH GUIANA. 191 Welt angelhan , im stolzen Bewustsein des Besitzes auf uns zu trat. Doch sie muste standhaft, ohne dass wir eine Miene verziehen durften, durchgemacht wer- den. Ein kräftiger fV apisian «-Häuptling hatte die abgeschabte, rothe Uniform eines schmächtigen Colonialmiliz-Lieutenants auf seinen nackten, schweisstriefen- den Körper gepresst, die wahrscheinlich in Folge eines jahrelang fortgesetzten Tauschhandels, endlich eine Strecke von mehr als GOO Miles von Hand zu Hand durchwandert hatte. Ein zweiter stack in einem bis an die Knie abgeschnittenen Damenreitkleide, in dem, wer weiss welche schöne Bewohnerin Georgetown s, die Herzen der Dandys auf dem King entzündet haben mochte ; — ein stolzeres Herz aber hatte früher nicht unter ihm geschlagen, als dies jetzt der Fall war! Wieder Andere hatten sich mit Frauenkleidern , Segmenten von Hemden und Röcken behängen , ihren Kopf in alte Hüte , denen der Boden oder die Krämpen fehlten, oder in Mützen gesteckt , dielängst ihre ursprüngliche Farbe vergessen ; und doch halten alle die Geputzten nicht die entfernteste Ahnung, dass ihre Brü- der im bunten Federschmuck unendlich imponirender aussahen ! Da wir mit unsern Leuten schon zwei der Hütten eingenommen, so war in den beiden andern kaum noch Platz für die angekommenen Häuptlinge nebst ihren Frauen; daher wurden Pfähle auf den grossen freien Plätzen zwischen den Hütten eingeschlagen, um die Hängematten daran zu schlingen, und um am Tage Schutz vor den sengenden Strahlen der Sonne zu haben, holte man grosse Aesle und kleine, dichtbelaubte Bäume aus dem nicht allzufernen Wald, die dann dicht um die Hä n gemalte eingegraben wurden. Sobald ein neuer Zug angekommen und die Be- griissungsscene vorüber war, eilte jeder nach dem Walde, und kehrte mit solchen Bäumen und Aesten beladen nach dem Dorfe zurück; — es war die Wanderung des Birnam-Wülies nach Dunsinane , nur dass wir nicht mit Macbeth auszurufen brauchten : Arm, arm, and out! — ]f t/iis, u'hic/i he avouches, does o/>])ear, There is tior fhjing hence , nor tarnjing here. Des N acht.s verbreiteten die Hunderte von kleinen und grösseren Feuern , die theils zur Abwehr der Mosquitos, die sich wieder eingestellt hatten, theils zum Ko- chen des Essens angezündet waren, einen wahrhaft magischen Schein über das be- lebte und rege Lager; Hunderte von Gestalten sah man aus dem dunklen Schleier der Nacht aul'lauchen und ebenso schnell wieder verschwinden, während an andern Stellen wieder grosse Gruppen um die Feuer herumhockten und das Gemurmel der Sprechenden, wie der monotone Gesang anderer, gleich dem Murmeln eines nahen Baches in unsere Hütte drang, bis die gellenden Töne der Flöten oder das wilde Pauken der Trommel die zum Phantasiegebilde gewordene Wirklichkeit wieder in 192 REISEN IN ihre liechte einselzte. Schon nach wenigen Tagen war die Zahl der versammelten Fremden auf 400 gestiegen. Indianische Gastfreundschaft erforderte, dass der Häupt- ling von Torong-Yauwise liir die Ilauptheköstigung der Gäste während ihres Auf- enthaltes sorgte , und oft wusste unser alter, biederer Wirth nicht, wo ihm der Kopf stand, und auch wir nahmen mit Bedauern wahr, dass die in unserer Hütte aufgestappelten Maisvorräthe mit jedem Tage mehr und mehr zusammenschmolzen ; denn vom Morgen bis zur Nacht erlosch das lodernde Feuer unter den gewiss 40 — 50 Gallonen fassenden Töpfen nicht, in denen aus gestossenem Mais und ge- schnittenen Kürbissen ein Muss gekocht wurde , das früh und spät ihre Nahrung war. Drei oder vier alte Indianerinnen mit grossen Rührern in Ruderform, die sich gegenseitig ablösten, hielten die Masse beständig in Bewegung, damit sie nicht an- brannle, und begleiteten die Arbeit mit einem monotonen Murmeln und Brummen ; unterdessen schöpften Gross und Klein mit den Trinkschalen den wallenden Brei aus und entfernten sich mit der Beute, während sich andere damit begnügten , den runden Boden des Calabasches bloss in die Masse einzudriicken und das Daran- haftende, was schneller erkaltete, abzulecken. Gleich eckelhaft war die Beschäfti- gung einer andern Gruppe ältlicher AVeiber, die um mehre grosse Gefässe heruni- sassen, welche mit jener dünnen, gekochten Maisbrühe, deren Bekanntschaft wir schon am Cotinga gemacht, gefüllt waren. Aus dieser Brühe bemühten sich nun die Weiber, die noch nicht ganz zerkochten, auf dem Boden liegenden Maiskörner mit beiden Händen herauszufischen und dem Alundc zuzuführen, wo sie vollends zermalmt und wieder in das Gefäss zurück gespuckt wurden , worauf der Absud bereits nach wenigen Stunden in Gährung üherging ; che diese aber eintrat, wurde das Getränke schon ununterbrochen gekostet. Der dann in dem entleerten Gefässe auf dem Boden noch zurückbleibende Bodensatz, wurde durchgängig unter das Gassadamehl zum Brod gemischt, was uns den Appetit allerdings etwas verdarb; doch Nolh kennt kein Gebot, und wollten wir nicht hungern, so mussten wir schon zu dem Brode greifen. Ungeachtet hier fünf Stämme repräsenlirt waren, herrschte doch die unge- störteste Eintracht; weder Zank noch Streit unterbrach den allgemeinen Jubel, und wir sechs Europäer fühlten uns unter den 400 Naturmenschen, die dem grössten Tbcil nach noch nie weisse Leute gesehen hatten , so sicher, als befänden Mir uns in einer der Städte der Heimalh. AVcnn sich die Sonne dem Horizont näherte, und sich die heisse Luft etwas ab- kühllc, dann versammelten sich die jungen Männer und Knaben und ergötzten sich und uns mit ihren Spielen und A ergnügungen. Bälle, aus den Bälgen (Glurnae) des Mais, wurden in einem von denTheilnchmern geschlossenen Kreise in die Höhe ge- worfen und von dem, auf welchen einer derselben beim Herabfallen zullog, ehe er noch BRITISCH -GUIAIS'A. 19.3 den Boden erreicht, wieder mit einem Schlage der Hachen Hand in die Höhe ge- schleudert, so dass sich der Ball fortwährend in einer tanzenden Bewegung in der Luit erhielt. Wurde der Ball gefehlt und fiel er auf den Boden, so war ein allgemeines Hohngelächter der versammelten Menge die Strafe der Ungeschick- lichkeit. Wir befanden uns gewöhnlich in der Reihe der Spielenden , waren aber regelmässig die Gegenstände des allgemeinen Spottgelächters von Alt und Jung. War die Sonne hinter dem Horizont verschwunden , dann begannen die verschie- denen Tänze, und alles wurde Leben und Frohsinn. Die dem Alter der amerika- nischen Race so eigentümlichen , strengen und ernsten Züge glätteten sich wie durch einen Zauberschlag, und lächelnd, schwelgend in den Erinnerungen der Ver- gangenheit ruhten die Blicke der Alten auf den wunderbar schnellen Bewegungen der Jüngern , indessen das schöne Geschlecht, das nicht an den Spielen Theil neh- men durfte , den Ungeschickten bekrittelte , dem Gewandten sein verdientes Lob spendete. In dem Affentanz copirten sie die Caprioien und Sprünge einer Affen- heerde so meisterhaft, dass man in der That eine solche vor sich zu sehen glaubte, was uns in einem fast ununterbrochenen Gelächter erhielt. Bei dem Tigertanz führte der grösste und stärkste, junge Indianer die Colonnc der Thiere an, die nun von zwei andern Theilnehmern , welche Tiger vorstellten , mit List oder Gewalt während des Tanzes, indem jeder die Bewegungen des Thieres nachahmte, das er repräsentiren sollte, aus der Reihe geholt und nach einem bezeichneteu Orte ge- schleppt werden mussten. Der Tanz währte so lange , bis auch der letzte von den Tigern ergriffen war, der dann unter allgemeinem Zujauchzen als Sieger begrüsst w urde. Der gewöhnliche Tanz stimmte ganz mit dem der fV aikas überein ; ein mo- notoner Gesang regelte den Takt und hatte, w ie dort, etwas ungemein Wehmüthiges und Schauerliches, da er hier aus den Kehlen von mehren Hunderten ertönte. Meistentheils wurden darin die Wunder des Roraima , obschou dieser merkwürdige Felsen noch Hunderte von Miles entfernt lag, verherrlicht. “Roraima, der rothe Felsen, gehüllt in Wolken , die ewig fruchtbare Mutter der Ströme, ■> oder: "Ich singe vom Roraima dem rothen Felsen, auf dem bei Tage doch dunkle Nacht herrscht-, wrnren die Refrains der Gesänge, die wir noch oft, besonders unter den Arekunas in den Umgebungen des Gebirges zu hören bekamen. Eben so oft aber waren auch wir der Gegenstand der Ergüsse ihrer Poesie, in der sie unser Aeusse- res, unser Benehmen gegen sie oder überhaupt das besangen, was sie von unserem Reiseplan und Zweck wussten. Diese Art zu improvisiren scheint daher nicht allein auf ihre nördlichen Brüder beschränkt zu sein , sondern sich über ganz Amerika zu erstrecken. Mit unbedeutender Modulation der Stimme besingen sie alle ihre Thaten im Krieg und auf der Jagd, und überlassen sich dann zuw eilen einem fast unversiegbaren Erguss eines heissenden Humors und einer heissenden Satyre , zu II. Theil. 25 194 REISEN IN der sich der Indianer leidenschaftlich hinzuneigen scheint. Die Introduction und das Finale ihrer gemeinsamen Spiele und Tänze bildet jedesmal ein betäubender, all- gemeiner Aufschrei , dem Hundegebell gleich , mit dem die schadenfrohen Geister aus der Nähe verscheucht werden sollen. Obschon wir uns mehre Tage inmitten dieser fröhlichen Bergbewohner befanden, so wollte sich die Scheu der Frauen und Kinder doch immer noch nicht ganz legen ; doch schienen wir bereits mehr Gefallen vor ihren Augen gefunden zu haben, als unsere beiden Neger, wozu bei diesen ausser der schwarzen Ge- sichtsfarbe, ihr unangenehmer Geruch viel beitragen mochte. Kam einer derselben unversehens in die Nähe der Frauen oder Mädchen , dann hielten sich diese ge- wiss die Nase zu, und spieen, so wie er ihnen den Rücken gedreht, mehremal aus. Wie die Alten sungen, so zwitscherten auch die Jungen; — sahen die Kna- ben die schwarzen Gestalten nur aus der Ferne, so begann auch bei ihnen das Spucken. Die grösste Freude , die wir den Männern machen , und der grösste Schreck, den wir den Weibern bereiten konnten, bestand darin, wenn wir unsere kleinen Böller abbrannten, deren laute Stimme tausendfach von dem Echo der nahen Gebirge wiederholt wurde. Sahen die Frauen , dass wir dem Andringen der Män- ner nachgaben und die Böller luden , dann konnten wir auch versichert sein , dass sie mit zugehaltenen Ohren und dem Ausruf: « Okai Arakabusa ! okai Arakabusa (grosse Flinte) ! » auf und davon flohen und das ganze Lager in Aufruhr versetzten. Eine wahrhaft lächerliche Confusion aber gab es, wenn wir am Morgen, wo alle Weiber beschäftigt waren, ihren Männern und Söhnen die für die Tänze am Abend erforderliche Toilette an zu malen, diese Donnerstimmen in frohem Uebermuthe er- schallen Hessen. Es war ein charakteristisches und buntbewegtes Leben , in dem wir uns hier bewegten, dem sich täglich eine neue interessante Seite abgewin- nen ließs ; namentlich aber ergriff es mich jedesmal tief, wenn ein neuer Zug an- kam, und jetzt plötzlich der oder jener in einem der Paranaghieris, meinem Bru- der, einen alten Freund erkannte, dann auf diesen zucilte und seine ungeheuchelle Freude durch einen herzlichen Händedruck und durch die lebhaftesten Worte und Gestikulationen gegen seine Slammgenossen zu erkennen gab. Wie bei frühem ähnlichen Gelegenheiten , so sah ich auch hier Narben von Wunden, die das Herz erzittern machten; mochten sie diese nun im Kriege oder auf der Jagd, wo sie mit reissenden Thieren in unangenehme Berührung gekommen waren, erhalten haben. So fehlte einem fVapisia/ia-WÄw^lWn^, der meinem Bruder auf seiner frühem Reise eine Zeit lang als Begleiter diente, an dem rechten Beine die ganze Wade, wie der Fuss auch etwas schief stand. Der starke, kräftige Mann hatte vor kurzer Zeit im Zuruma gefischt, ein Kaiman ergreift ihn an dem Beine, ohne aber dadurch die Geistesgegenwart zu verlieren , schlägt der Gepackte so Bit ITI SCH -GUI ANA. 195 lange das Ungeheuer mit der Keule, die er in der Hand hat, auf Kopf und Schnauze, bis dieses ihn mit Verlast der Wade fahren lässt, nachdem es ihm noch den Knochen durchhissen. Die vorher im Schrecken geflüchteten Begleiter eilen jetzt herbei, um den Betäubten vom Ertrinken zu retten. Ohne alle gelehrte Hülfe war der Bruch und die Wunde wieder so weit geheilt, dass er die viertäge Reise nach Torong-Yauwise machen konnte, um die Paranaghieris ebenfalls zu sehen. Nach ihren Angaben zu schliessen , muss die Zahl der Indianer, die jährlich ihr Leben durch die Kaimans verlieren , ziemlich bedeutend sein, wie sie zugleich auch be- haupteten, dass, wenn der Kaiman einmal Menschenfleisch gekostet, er dann auch immer kühner und wilder würde. Der 15. October war nicht allein für mich und meinen Bruder ein Freudentag, sondern er wurde es auch für die Indianer, unter denen er gewiss noch lange Zeit unvergesslich bleiben wird. Es war der Geburtstag meines Königs, und unsere Dankbarkeit und Loyalität konnte denselben nicht vorübergehen lassen, ohne diesen Gefühlen Worte zu gehen. Der Tag musste für alle ein Freuden- und Jubeltag werden. Alle unsere Packete und Kisten wurden daher der genauesten Durchsicht unterworfen und endlich zu unserer Freude noch zwei Flaschen Rheinwein auf- gefunden. Die gefüllten Trinkschalen in der Hand und unter dem dreimaligen Ab- feuern unserer Böller brachte ich das Wohl meines Königs aus, ein Wohl, das das tausendfache Echo der Gebirge über Thal und Berge trug, und von den ver- sammelten Indianern, denen wir gesagt hatten, dass es dem grossen Häuptling der Paranaghieris gelte , hundertslimmig wiederholt wurde. Eine Signalrakete, von denen uns die Offiziere bei ihrer Rückkehr nach Georgetown mehre zurückge- lassen, um sie zum Jubel und Staunen der Indianer da, wo wir wollten, aufsteigen zu lassen, erölfnete das Feuerwerk, welches Herr Fryer, der einige pyrotechnische Kenntnisse besass , in einigen Feuerrädern und Schwärmern bereitet, und das, als die Sonne am Horizont verschwunden, zum unendlichen Staunen und unter dem allgemeinen Schrei der tiefsten Verwunderung der versammelten Naturkinder ab- gebrannt wurde. Die Wirkung desselben überraschte sie so sehr, dass selbst sie ihrem stets so meisterhaft bewahrten Stoicismus ungetreu wurden und in den oben- erwähnten Schrei des Staunens und der Verwunderung ausbrachen. Dass diese Nacht nicht an Schlaf zu denken war , stand zu erwarten ; das noch nie gesehene feurige Schauspiel hatte die Gemüther zu sehr aufgeregt. Häufig genug vernahm man in der lebhaften Conversation und unter dem Gemurmel der Fernerliegenden die zischenden Töne, in denen der oder jener sich abmühte, das Geräusch der auf- steigenden Rakete nachzuahmen. An dte Stelle der frühem Bitten um Abbrennen der Böller, traten jetzt die, nochmals den Feuerregen fallen zu lassen. Sobald wir die Bergregion betreten , waren auch fast alle Repräsentanten der 25* 196 REISEN IN hohem Thierklassen verschwunden ; kaum sah man noch dann und wann einen ein- samen Raubvogel in blauer Höhe kreisen. Nur mit einem Thiere machte mich diese Gegend bekannt , das mein Interesse in Anspruch nahm , mit dem Maikang der Macusis , Carasisi oder Savannenhund der Colonisten, Cants cancrivorus. In seiner äussern Erscheinung nähert sich der Maikang vielfach dem Fuchse Guiana’s, Canis Asarae , hat aber eine kürzere Ruthe und eine stumpfere Schnauze, in welch letzterer Rücksicht , wie zugleich auch in der Bildung des Kopfes und der Stellung der Augen, er mehr mit dem Hunde übereinstimmt, wonach ich ihn für ein Mittelglied zwischen Fuchs und Hund anseheu möchte. Bergreiche Gegenden mit da- zwischen gestreuten, waldigen Savannen, sowie die Umsäumungen der Savannen- nüsse scheinen der Lieblingsaufenthalt des schlauen und klugen Thieres zu sein, wo sie in ganzen Kuppeln leben und jagen. In der offenen Savanne scheinen sie ihre Jagdbeute mehr mit den Augen, als mit der Nase auszuspähen ; im Walde ist das Gegcnlheil der Fall. In diesem verfolgen sie dieselbe auch jedesmal unter lau- tem Gebell. Gelingt es einer Kuppel, eine Niederlassung zu beschleichen und unbemerkt in diese einzudringen, so entgehen ihr nur wenige der auf den Dächern und nahen Geslräucbern schlafenden Hühner und Papageien. Ein solcher Ueberfall des Federviehstandes, mit der ihn begleitenden Würgerei unter demselben, ge- schieht so »eräuschlos , dass die beraubten Besitzer ihren Verlust meist erst beim anbrechenden Morgen kennen lernen. Die Beute verzehren die Räuber niemals an dem Orte, wo sie dieselbe gewürgt, sondern immer erst im Walde oder in einem sonstigen Schlupfwinkel. Die Indianer versicherten uns , dass sie selbst Rehe und die Nachzügler der Pe/tö/’f-IIeerden jagen, um das endlich ermattete Thier nieder- zureissen. Für die Indianer hat der Maikang namentlich dadurch besondern Werth, dass aus der Kreuzung desselben mit ihren Hunden sehr gesuchte Jagdhunde her- vorgehen. Die Bastarde schlagen in ihrer Gestalt mehr nach dem Hunde, als nach dem Maikang, sind ungemein schlank, tragen die Ohren immer aufrecht und über- treten in Bezug auf Ausdauer, Fertigkeit und Gewandtheit im Aufsuchen und Jagen des Wildes jeden andern Hund. In der Colonie wird ein solcher Bastard, der zur Jagd auf Rehe, Pekari , Tapire abgerichtet ist , gewöhnlich mit 10 — 12 Lst. bezahlt. Der Besitz eines gezähmten Maikang gehört daher zu den besondern Reich- thümern der Indianer, doch muss er fortwährend am Stricke gehalten werden, da ihm keine Dressur sein Raubtalent abgewöhnen kann, das er schrankenlos unter dem Federvieh seines Herrn in Anwendung bringt, sobald ihm die Nach- lässigkeil des Besitzers den Strick nicht fest gebunden. Gekochtes Fleisch, Fische und Früchte, besonders reife Plantains sind das Futter, womit ihn der Indianer BRITISCH-GUIANA. 197 erhält.. Bauch und Brust haben eine schmutzig weissc Färbung, der übrige Theil des Körpers dagegen, mit Ausnahme der Ohren und Schnauze, die sich fast dem Schwarz nähern, ist dunkel büffelfarben. Wenn er auch in Bezug auf das Buschige und Volle und in der Länge der Ruthe, die am Ende schwärzlich ist, etwas vom Fuchs abweicht, so besitzt er dagegen die Schlauheit des letztem in reichem Masse. Auf unserer Rückkehr vom Roraima wurde einer gefangen, den ich längere Zeit besass. Von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel mass er 2 Fuss 2 Zoll, die Länge der Ruthe betrug 103/+ Zoll. Der von mir auf das Schiessen oder Einfangen eines Maikang gesetzte Preis trieb die versammelten Indianer fast täg- lich zu allgemeinen Treibjagden in die Niederungen und Thäler um Torong- Yauwise, bei denen jedesmal das Gras des Terrains, das abgejagt werden sollte, in Brand gesetzt wurde. Hatte dieses imposante Schauspiel auch schon seit längerer Zeit für uns den Reiz der Neuheit verloren, so wurde dieser hier doch immer wieder durch die wunderbare Beleuchtung erneuert, die es über die lieblichen und tief romantischen Thäler und Felsenschluchten warf, wenn die Feuersäule sich in ununterbrochenem Wechsel über Hügel und Berge, durch Thäler und Schluchten wälzte. Bei einer dieser Jagden, auf denen alle Oasen und Felsenblöcke durchsucht wurden, wurde von den Jägern eine Tigerkatze (Felis parda/ts) aus ihrem Schlupf- winkel aufgestört, und unter wildem , jubelnden Geschrei in die offenen Savanne getrieben , hier von den zahlreichen Jägern umzingelt und bald darauf von einem derselben so mit einem Pfeil getroffen , dass ihre weitere Flucht gehindert wurde, ohne dass sie tödllich verletzt worden wäre. Ungeachtet aller Versuche , die sich nahenden Angreifer abzuwehren, gelang es diesen doch, ihr die Füsse zu binden und sie unter Triumphgeschrei nach der Niederlassung zu bringen, wo man sie mit einem starken Stricke an einen Pfahl band und sie nun von dem für sie so verhäng- nissvollen Pfeil und den hemmenden Banden der Füsse befreite. Die Wuth des Thieres war grenzenlos, als es sich nun frei bewegen konnte und dennoch gefangen fühlte. Erst am Abend des zweiten Tages nahm sie die ihr vorgeworfene Nahrung zu sich, sobald sich ihr aber Jemand näherte, brach ihre unbändige Wuth von neuem aus und hielt alles in respectvoller Entfernung. Da wir sie in diesem Zu- stande nicht mit uns nach dem Roraima nehmen konnten, sollte sie bis zu unserer Rückkehr hier aufbewahrt bleiben. Unter den Vögeln waren es nur die Papageien und rothen Araras (Psitlacus Aracagna ), die dann und wann die reichen Maisfelder in grossen Schaaren heim- suchten. Die List, mit welcher sie die Plünderung eines solchen Feldes beginnen und ausführen, hätte ich am wenigsten diesem letzern Vogel zugetraut. Finden sie ein reifes Feld auf, so werden rund herum auf den nächsten Bäumen Wachen aus- gestellt ; das sonst immerwährende Gelärme und Gekreische der rauhen Stimmen 198 REISEN IN ist verstummt, nur hin und wieder hört man einen halbunterdriicklen knurrenden und murmelnden Ton. Nähert sich der plündernden Gesellschaft ein verdächtiger Gegenstand, so lässt augenblicklich die Wache, welche diesen zuerst bemerkt hat, einen leisen Warnungsruf erschallen, der von den Räubern, um jener anzuzeigen, dass er gehört worden ist, mit einem halbunterdrückten Krächzen beantwortet wird. Sowie die Gefahr dringender wird, fliegt die Wache unter lautem Auf- krächzen von ihrem Posten auf und mit ihr erhebt sich zugleich die ganze plün- dernde Heerde unter wildem Geschrei aus dem Maisfelde , um ihr Heil in der be- schleunigten Flucht zu suchen. Wie sie den Maisfeldern , so stellt ihnen der In- dianer nicht allein wegen ihres wohlschmeckenden Fleisches , sondern auch wegen ihres Federschmuckes eifrig nach. Das hier schmerzlich vermisste Wildprelt wurde uus wenigstens reichlich durch einen beschuppten Bewohner des Cotinga, durch den mit fürchterlichen Zähnen bewaffneten, grälenreicben Patha (Ihjdroljcus scomberoides Müll. Trosch.) ersetzt, den man uns in ziemlicher Anzahl und noch nie gesehener Grösse brachte. Ihre Fischerei kostete uns eine Menge Angelhaken, die von ihnen häufig durch- bissen wurden. Ihre ungemeine Anzahl in dem mit Felsen und Blöcken durch- setzten Cotinga, bewies, dass gerade ein solches Flussbett der Lieblingsaufenthalt des Fisches sein musste. Alle Vorbereitungen zum Antritt unserer Fussreise waren jetzt getroffen, und da unser Weg von nun an über steile Gebirge und durch unwegsame Gebirgsthäler führen sollte, auch die Traglasten in Packcte von 50 — 60 Pfund vertheilt, die frei- lich in Folge der vielen astronomischen und magnetischen Instrumente, so wie der .Menge von Proviant, als Mais, Yams u. s. w., eine Begleitung von wenigstens hundert Indianern verlangten. Dasselbe Hinderniss, das uns bei der Werbung unse- rer Begleiter aus den Umgebungen Pirara’s enlgcgengestellt wmrden war, erneuerte sich auch liier; die Bedürfnisse eines grossen Theils der um uns versammelten Be- sucher war durch die an uns verkauften Artikel befriedigt und so bei den Einge- bornen wenig Grund vorhanden , auf unsere Anträge einzugehen. Als wir ihnen am Abend den Preis für die Begleitung nach dem Roraima stellen Hessen, erhielten wir zur Antwort, dass sie uns dahin nicht folgen könnten, da der Weg durch eine Gegend führe, in der vor kurzem der schon erwähnte Krieg statlgefunden, und die Gctödteten noch nicht begraben wären , so dass der üble Geruch alles aus jenen Umgebungen vertrieben habe. Unser Plan ging dahin, von Torong- Yauwisc aus den allen Weg meines Bruders wieder aufzusuchen, um auf diesem den Roraima zu erreichen. Dagegen aber erhob sich selbst unter unsern alten Begleitern ein so allgemeiner Widerspruch , dass wrir endlich der indianischen Hartnäckigkeit nach- geben mussten, obschon wir auf diesem Wege eine 3Icnge ^re/wwrt-Niederlassun- DRITISCH-GUIANA. 199 geil angetroffen und nie an Lebensmitteln würden Mangel gelitten haben. Für mich lag in der Nachricht des ausgekämpften Krieges und der noch unbeerdigten Er- schlagenen namentlich deshalb eine besondere Lockung , als ich so hoffen konnte, in Besitz einer Sammlung von Schädeln und Skeletten zu kommen. Die Scheu und die abergläubische Furcht der Indianer, selbst vor der entfernten Berührung mit den Ueberresten ihrer Nebenmenschen, waren mächtiger als alle unsere verschwen- deten Gegenvorstellungen ; — ja , als wir am nächsten Morgen aus unserer Hütte traten , erkannten wir unsere Umgebungen fast nicht wieder , denn heimlich und geräuschlos hatten uns während der Nacht wenigstens drei Viertel der hier Ver- sammelten verlassen. Nach unendlicher Mühe und dem Versprechen, ganz ihrer Leitung zu folgen, möchten die zu bekämpfenden Schwierigkeiten auch noch so gross sein, gelang es uns endlich, die Zahl unserer Träger auf fünfzig zu bringen, was uns freilich nöthigte , das schon so knapp eingerichtete Gepäck abermals um die Hälfte zu vermindern, um den Rest vielleicht später nachholen zu lassen. Dieser Mangel an unterstützenden Kräften verhinderte uns auch , einen von unsern Leuten aus der Colonie zur Aufsicht des zurückbleihenden Gepäckes , das grösstentheils in Tauschartikeln bestand, was die Bewohner des Ortes wussten, in Torong-Yauwisc zurückzulassen; doch voll guten Zutrauens zu der makellosen Ehrlichkeit dieser noch unverdorbenen Naturmenschen, überliessen wir unsern Reichthum dem Schutze des in Torong-Yauwise bleibenden alten Häuptlings, in der festen Leberzeugung, dass wir alle unsere Sachen unberührt wiederfinden würden. Torong- Yauwise, in dem wir so fröhliche und interessante Tage verlebt hatten, liegt unter 4° 16' N.B. und 60° 18' W.L. 200 REISEN IN VI. Aufbruch von Torong-Yauwise. Berg Tamungkang. Tiial des Tapuring. Thal des Tukerc. Auftreten der Proteaceen und Ternströmiaceen. Thal des Muyang. Gebiet der Are- kunas. Niederlassung Yawangra. Humirida-Gebirge. Elisabetha regia. Uebersteigung des Ilumirida. Tafelland des Humirida und seine Vegetation. Stromgebiet des Orinoko. Bergtbal des Zuappi. Niederlassung Humeseta. Thal des Kukenam. Fall Mariamaru. Niederlassung Barapang. Rue-iineru. Zuaptipu-Gebirge. VVaramatipu und Eramaturu- Gebirge. Fluss Wararite. Nachdem wir schon einige Tage vorher zwei Indianer vorausgeschickt hatten, die die Bewohner der wenigen Niederlassungen, welche wir wahrscheinlich berüh- ren würden , mit unserer Ankunft bekannt machen und sie veranlassen sollten, soviel Brod als möglich zu backen, kurz, Provisionen herbeizuschaffen , und nach- dem wir noch am Abend vor der Abreise das Gepäck abgesondert, das vielleicht noch geholt werden könnte, verliess unsere Caravane, die mit Einschluss der Frauen und Kinder 79 Köpfe zählte , am 19. October mit Anbruch des Tages das Dorf, dessen alter Häuptling mit seinen Weibern uns ein zweitägiges Geleit gab. Der Weg führte uns anfänglich in nordwestlicher Richtung durch ein wellen- förmiges Thal, das nur dann und wann von kleinen Oasen mit einer krüppelhaften Vegetation unterbrochen wurde, aber vollkommen mit scharfen, eckigen Quarz- und Granitfragmenten übersäet war, die uns den Beginn der Reise um so beschwer- licher machten , als die scharfen Kanten der Quarzstücke sogar durch das Leder unserer Schube drangen. Eine grosse, thurmähnliche Hütte bezeichnete uns unser freundlicher Wirth von Torong-Yauwise als seine frühere Residenz. Eine dichtere Vegetation, etwa 1 y2 Stunde Weges von uns entfernt, liess uns das Bett eines Flusses vermulhen ; — es war das des Cotinga , der hier aus N. 0. kam. In BRITISCH "GUIANA. 201 Ermangelung eines Fahrzeuges musste der Durchgang zu Fasse erzwungen wer- den, der uns aber in Folge der Tiefe, der starken Strömung und des durch die runden, losen Kieselsteine unsichern Bodens, wobei uns das Wasser bis unter die Arme ging, erst nach vieler Mühe gelang. Die Indianer mussten das Gepäck auf den Kopf nehmen, die Indianerinnen ihre kleinen Kinder auf die Schultern setzen. Nachdem der letzte das jenseitige Ufer erreicht, setzten wir die Reise mit durch- nässten Kleidern in einer mehr nördlichen Richtung auf einem Pfade fort, der uns bald über einen 2 — 300 Fuss hohen Berg führte, der mit riesenhaften Granit- und Quarzblöcken bedeckt war. Beim Uebersteigen wurden unsere kaum getrockneten Kleider von neuem , diesmal aber von Schweiss durchnässt. Eine der reizendsten Aussichten, auf die sich nach allen Seilen emporthürmenden Berggipfel entschädigte uns reichlich für die überstandene Anstrengung. Das riesige Portal der Gebirgs- kette, der Pataghc und Morakai , ragte immer noch in S. über alle dasselbe um- gebenden Höhen empor, gegen W., 0. und N. aber verschlossen nackte, von aller Vegetation entblösste , schroffe Gebirgsmassen die weitere Fernsicht. Nur in den Thälern zogen sich an der Basis der Berge kleine Walddächen hin, die an einzel- nen Stellen wohl noch in den Einsattelungen der Berge bis zu einer unbedeutenden Höhe emporklimmten. Nachdem wir einsilbig eine Zeitlang auf dem Rücken des Gebirgsgürtels zwischen Steinen und Blöcken hingeschritten, kamen wir an dessen nördlichen Abhang und stiegen an demselben in ein freundliches Thal hinab, das von dem kleinen Fluss Airopa bewässert wurde, der sich zwischen dichten Grup- pen der Mauritiapalme nnd eines üppigen Curatella- Gebüsches hinwand. Die schroffen und phantastischen Felscngipfel der das Thal einschliessenden Berge, gaben der Phantasie wieder reiche Nahrung zu allerhand Vergleichungen, was namentlich bei dem sich in N.O. erhebenden Tarnungkang der Fall war. Ermattet und erschlafft von der anstrengenden und noch ungewohnten Fuss- tour , beschlossen wir in dem Thule unsere Zelte aufzuschlagen und hier zu über- nachten. In Folge des Mangels der erforderlichen Zeltstangen war der Entschluss aber leichter gefasst als ausgeführt. Kaum waren alle Schwierigkeiten beseitigt, als sich plötzlich, als hätte es nur die Beendigung unserer Arbeit abwarten wollen, ein grauenhaftes Gewitter über uns entlud. Unter einem fürchterlichen Sturmwind ver- wandelte sich der Tag zur finstern Nacht, die nur dann und wann von den zucken- den und flammenden Blitzen zerrissen wurde, während wir in den krachenden Donnerschlägen nichts anderes als das Zusammenstürzen der uns umgebenden Fel- senmassen zu hören glaubten. Dem peitschenden Regengüsse konnten unsere Zelle nur einen kurzen Widerstand entgegenstellen. Nachdem sich das Weiter ausgetobt, folgte eine heitere, sternhelle Nacht, die uns aber mit ihrer empfindlichen Tempe- raturverminderung schon vor Tagesanbruch zur Fortsetzung der Reise antrieb, die II. The». 2G 202 RESIEN IN wir das Thal entlang in nordwestlicher Richtung antraten. Im Laufe des Tages überschritten wir das Flüsschen Marico , das ein zweites Längenthal bewässerte und sich in den Tupuring ergiesst. Nächst der unzählbaren Menge der Mauritiapalme zogen besonders eine grosse Zahl ungewöhnlich hoher Termitenhügel am Ausgang des Thaies unsere Aufmerk- samkeit auf sich, von denen mehre 18 — 20 Fuss Höhe hatten, und in kurzen Spiralwindungen aufgebaut waren. Merkwürdigerweise war bei den Thieren, die sich sonst in nichts von den früher gefundenen unterschieden, jetzt erst, also vier Monate später als auf den Savannen bei Pirara , das Schwärmen der Jungen ein- getreten, die ihre Brutorte in solcher Menge verlassen hatten, dass, da die Flügel so locker aufsassen, dass sie bei der leisesten Berührung hängen blieben, wir ganz damit bedeckt wurden. Eine weitere Fernsicht das Thal entlang hatte uns bisher die vorgeschobene Basis eines Berges unmöglich gemacht; — diese war jetzt um- schrilten, und vor uns lag ein dichter üppiger Wald aus Mauritiapalmen , der das ganze Thal ausfüllte. Ein solcher Wald war um so überraschender, als wir den stolzen Baum mit seinen schuppigen , rothgefärbten Früchten bisher nur immer einzeln, höchstens in kleinen Gruppen, auf den sumpfigen Savannenfiächen gefunden und bewundert hatten ; — in dieser dichten Menge verlor die Palme unendlich viel von ihrem imposanten Aeussern, da die gedrängte Anzahl eigentlich nur ein dunkel- grünes Dach bildete. — Doch wo und wie wir sie auch anlrafen , überall ruhte das Auge mit Entzücken auf dem reizenden Baume. Wir bewunderten die Palme mit demselben Enthusiasmus auf dem mächtigen Delta des Orinoko und Essequibo , auf denen sie an mehren Stellen ihre fächerförmigen Wedel sogar über die sie um- gebenden Waldbäume ausbreitete, als da wir ihr auf der mehr als 14,000 □ Miles sich ausbreilenden Savanne begegneten , durch welche sich die Nebenströme der drei mächtigen Flüsse, des Amaxon , Orinoko und Essequibo ihren Weg bahnen, und die das classischc Terrain bildet, auf welcher Sir Walther Raleigii das El- Dorado vermulhete, und als wir sie am lioraima in einer absoluten Höhe von 4000 Fuss über dem Meere anlrafen, obschon von Maktius in seinem herrlichen Palmcn- werk angiebt, dass sie nur bis höchstens 800 Fuss über dem Meere vorkomme. An den sumpfigen Stellen in jener Höhe trat sie uns in derselben überraschenden Vollkommenheit entgegen, wie auf der Savanne des Rupununi und Rio Branco. Die ältesten, wie die jüngsten Reisenden in Südamerika, der Jesuit Cumillu in seinem « Orinoko 1/ustrado», Gili in seiner « Storia America na » , Hartsunk, Aublet und Alexander von Humboldt beschreiben mit gleichem Enthusiasmus und Entzücken diese herrlichste aller Palmen und zählen den vielfachen Vorlheil und Nutzen auf. welchen sie den Eingebornen gewährt. Neigten sich die Indianer B RI TI SCH -GUI AN A . 203 Guiuna's zur Anbetung- von Idolen , diese Palme , die ihnen fast alles bietet, was ihr Herz verlangt, würde ohne Zweifel der Gegenstand ihrer Anbetung sein. Der dichte Wald dieses Thaies , das ausserdem nur noch ein krüppelhaftes Curalellagebüsch nährte, enthielt Palmen von 100 — 120 Fuss Höhe. Kaum hatten wir ihn betreten , als auch eine Menge Aexte in Thätigkeit gesetzt wurden ; denn der eine unserer Begleiter brauchte neue Sandalen , jener lechzte nach dem Saft, der, wie ich schon bemerkt habe, bedeutend viel Zuckerstolf enthält. Die Ver- suche, die in der Colonie mit dem Safte angestellt worden sind , haben in Bezug auf die Qualität des gewonnenen Zuckers bedeutend günstigere Resultate , als die herausgestellt, welche man mit dem Safte des Acer Pseudoplatamis und saccha- rinum machte. Am wohlschmeckendsten ist jedenfalls der Saft des Bliilhenstaudes, aus dem man selbst ein Getränk bereitet, das man dem Champagner vergleichen kann. Das Gelüst nach diesem Saft konnten wir freilich nicht stillen, da die Palme eben nur Früchte trug, dafür aber füllten sich die in die gefällten Bäume gehaue- nen, runden Höhlungen um so schneller mit Saft, der theils mit den Trinkschalen ausgeschöpft, theils auch, indem wir davor niederknieten, unmittelbar ausgetrun- ken wurde. Das schnelle Ausfliessen des Saftes bewirkten die Indianer besonders dadurch, dass sie das obere Ende des Stammes auf eine etwa einen halben Fuss hohe Unterlage legten, und unter die ganze Länge desselben ein Feuer anzündeten. Nachdem wir uns hinlänglich gelabt, und die defecten Sandalen durch neue ersetzt waren , folgten wir dem Thal immer noch in einer mehr westlichen Richtung, bis wir gegen Abend am Abhang des Berges Yawaruima wieder eine thurmähnliche Hütte fanden, die wir zu unserem Nachtkiger erkoren. Sie war noch ziemlich neu , aber unbewohnt. Ihr bedeutender Umfang , die Sauberkeit in der Ausführung, so wie die Gründe, die den Bewohner bewrogen haben konnten, sich in dieser unfruchtbaren Bergeinöde anzubauen, erregten unsere Aufmerksam- keit und Bewunderung. Wir hatten den Bauherrn mitten unter uns; es war wie- derum unser Wirth aus Torong-Yauwise , der ausserdem noch einige solcher Hül- len im Gebirge sein nannte, ein mit derBauwutk behafteter Naturmensch, der mehr architektonische Kenntnisse besass , als ich bisher noch unter den Indianern gefun- den. Die für die Nacht erwartete Ruhe fanden wir leider nicht, da wir vom ersten Augenblick an, wo wir uns in die Hängematte legten, bis zu dem, wo w ir sie wie- der vcrliessen, auf das jämmerlichste von einem blutsaugenden Insect geplagt wur- den, dessen wir vergebens habhaft zu werden' 'versuchten. Namentlich schien das Blut der Kopfhaut ein ganz besonderer Leckerbissen für dasselbe zu sein. Die Peiniger lernten wir zwar nicht kennen , trugen aber dafür die Spuren ihrer Thätigkeit, erbsengrosse, hochrothe Flecke, tagelang mit uns herum. Mit Anbruch des Morgens verliess uns unser alter Häuptling und kehrte mit 26* 204 REISEN IN seinen Weibern nach Torong- Yauwise zurück, während wir unsern Weg immer nach Nordwest das Thal entlang fortsetzteu und bald den Fluss Tupuring über- schritten, der von N. gen W. kam, mit einem dichten Wald der Mauritia be- säumt war und dem Zuriuna zuslrömte. Vor uns schien das ganze Thal förmlich mit der herrlichen Palme ausgefüllt zu sein. Die freundlichen, genussreichen Stunden des Morgens,, in denen sich der Körper und Geist noch rüstig und frisch fühlte, wo Scherz und Laune noch die lange Reibe auf und abeilte, währten lei- der nur zu kurze Zeit. Die Sonne stieg, der Scherz schwieg nach und nach , die bisher noch ziemlich dichte Reihe lichtete sich immer mehr und mehr, und bald lag ein langer Zwischenraum zwischen dem Vordermann und seinem Hintermann. Verstummte die Unterhaltung, so liess man doch anfänglich noch die Gedanken lustig in der Gegend herumschweifen, die dann beladen mit dieser und jener Neuig- keit heimkehrten und allerhand Gespräche unter einander führten ; — doch ermat- tet und erschöpft legten auch sie sich nieder, wenn die Sonne ihre glühenden Strah- len auf unser Haupt herabschoss. Gedankenlos stiert man dann in die von Hitze glitzernde und zitternde Luft, die von den nackten Rergen zurückgeworfenen Son- nenstrahlen verwandeln die Thäler in wahre Racköfen , das Alhmen wird immer schwerer, der Geist für alles theilnahmslos. So ging es auch heute, denn noch war es nicht Mittag und schon zeigte das Thermometer 108° Fahrenheit im Schatten. Gegen Mittag verliessen wir die geisttödtende Luftschicht des Thaies und klimmten an einer von zahllosen Granittrümmern bedeckten Rerglchne von etwa C00 Fuss Höhe empor. In N.W. thürmte sicli der Znbang über unzählige Gebirgsgipfel empor, während sich im N. der lange Gebirgsgürtel Pawai-irang und Pakara- wnri hinzog und die eigentümliche Rildung des Murc/pa, so wie des etwas gegen 0. liegenden Anapuying unser in der weniger drückenden Hitze des Rergrückens wieder auflehendes Interesse anzog. Thcils durch zu Tage tretende Granit- und Quarzriffc und Nadeln , thcils durch aufeinander gehäufte Trümmerfragmente ver- folgten wir eine Zeillang den Rücken des Rcrges, und stiegen dann in das Thal des Tukere hinab, das ebenfalls gegen N.W. verlief. Der Tukere strömt dem Tupu- ring zu, und wird durch den eben überstiegenen Gürtel von diesem getrennt. Zwischen schlanken Mauriliapalmcn und blendend weissen Quarzmassen verfolgten wir den Lauf des krystallhellen Flusses, dessen Rett ebenfalls mit Quarztrümmern überlagert war, die hier freundlich aus dem klaren Wasser empor ragten, dort malerische Cascaden und Stromschnellen bildeten, bis wir ihn kreuzten und am westlichen Ufer vor einem maucrgleichcn Felsensenabsturz standen, dessen kühler Schatten uns unwiderstehlich zur Ruhe einlud. Nördlich, etwa GMiles von unserin Lager entfernt , thürmte sich die noch grandiosere, pyramidenförmige Fclsen- masse des Amboina auf. Der Ausruf: « Akui » (Schlange)! und eine eigenlhüm- BRITISCH -GUIA.NA. 205 liehe Bewegung des Wassers in dem Flusse , belehrte uns , dass dieses eben von einer Schlange durchschwommen werde, die, nach der Bewegung zu schliessen, unsern Lagerplatz zur Landungsstelle erwählen zu wollen schien. Doch das vor- eilige Geschrei der Indianer mochte dem klugen Thiere die ihm drohende Gefahr verrathen haben, denn es wandte sich um, und obschon mehre Indianer nachspran- gen, entkam es doch glücklich. Nach der Bewegung und dem Rücken zu schliessen, der mehrmals über das Wasser auftauchte, musste es eine Boa von ungewöhnlicher Grösse sein. Ausser einigen kleinern Vögeln, die dann und wann verdrossen durch das kümmerliche Curalella- Gebüsch hüpften, hierund da einem einsamen Raub- vogel, der sich hoch über uns von der Luft tragen liess, war dies das erste grössere Thier, das wir seit Torovg-Yauwise antrafen. Selbst nach neuen Pflanzen sah ich mich vergeblich um; die ausser den Mauritiapalmen so kümmerliche Vegetation beschränkte sich auf Arten , die ich ausserhalb der Gebirge in viel üppigerem Wüchse gefunden. Obschon bei der Fortsetzung unserer Tour die steilen Abfälle aller Ueberstei- gungsversuche zu spotten schienen, so musste nach Aussage unseres Führers der schroffabstürzende Gebirgsgrat doch überschritten werden. Nach langem, vergeb- lichem Suchen gelang es endlich, eine besteigbare Stelle aufzufinden, und den Rücken zu erklimmen, dem wir dann in nord gen westlicher Richtung folgten. Stellen und Striche wilder Trümmerverwirrung hatten wir seit wenigen Tagen schon hinlänglich kennen lernen, aber ein solch wildes Chaos, wie wir es hier fanden, war uns bisher doch noch nicht vorgekommen. Für jede eigentümlich gestaltete Felsenmasse, von denen viele mehre hundert Cubikfuss Inhalt hatten, wussten die Indianer auch einen besondern Namen , eine besondere Legende anzugeben. Merkwürdig war uns namentlich eine dieser Bildungen. Auf einer sich gegen ihr Ende hin abrun- denden 1() Fuss perpendikulär zu Tage tretenden Granitmasse, lag ein mehr ovaler Granitblock, den wieder ein etwas kleinerer, runder Felsen krönte. Hätten die Steine durch Menschenhände auf einander gethürmt werden können , wir hätten dies annehmen müssen. Das Ganze erhob sich etwas mehr als 20 Fuss über die eigentliche Gebirgsfirste. Wohin sich von dieser Höhe das Auge wrendete, überall begegnete es den sonderbarsten, groteskesten Felsengürteln, Felsenhöhen, Felsen- riffen. Ausser den schon bekannten und angeführten, waren es besonders in N.N. W. die beiden Gipfel des Pirocaima und Camana , die uns wieder in ganz abson- derlichen Formen entgegentraten. In fast jeder Einsattelung des Rückens eilte ein lustig tanzender Giessbach dem steilen Absturz zu, um sich in mächtigem Sprunge in den Hauptstrom zu begraben. An den L fern eines dieser Flüsschen , das wir während des Nachmittags überschritten , traten wieder Gesträuchgruppen an den steinigen Ufern auf, ein Anblick, der in der vegetationsarmen Gegend, durch die 20C KEISEN IN uns der Weg seit gestern führte , um so seltener geworden. Die Freude wurde ausserdem durch die das Gebüsch bedeckenden, noch nie gesehenen Blüthenformen erhöht. Sie gehörten der Familie der Proleaceen und Ternstroemiacecn an, und waren die ersten Repräsentanten der so interessanten Gattung Rhopala und Tern- strörnia. Fast betäubend war der vanillenartige Geruch der Rhopala complicata ( Humb . Bonp.), welcher, wie ich noch später Gelegenheit zu bemerken hatte, fast allen Species dieser interessanten Gattung eigen ist. Die Meereshöhe, in der ich diese Pllanzen fand, betrug 12 — 1600 Fuss. Obschon ich die Rhopala nitida (Radg-e) später auch in der Umgebung Piraras entdeckte , so fand ich jene doch nur immer auf steinigen, mit Conglomerat bedeckten Höhen und Abhängen des wellenförmigen Bodens der Savanne zwischen Curatella- Bäumen. Die beiden Spe- cies nitida und complicata treten nur in der Savanne isolirt, nie in den Oasen oder Ufersäumen auf. Die Ternstrümia ergab sich als eine neue Species: Ternströmia rubicunda ( Iilotzsch ). Kleine Bäume einer Humiriacee, und Gebüsch der eigen- thümlichen, wohlriechenden Antonia pilosa (Hook.) wechselten mit den erwähnten Pflanzen ab und bildeten einen herrlichen Saum das Ufer entlang. Eine waldige Oase, durch die eins dieser Gebirgsflüsschen seinen Lauf nahm, lud uns zum Nachtlager ein; — eine Einladung, der ich um so freudiger folgte, als sich mir unerwartet in seiner ausgedehnten Vegetalionsumsäumung mehre neue Formen zeigten. Dahin gehörte Hyplis membranacca (Benth.) mit ihren zarten, hellblauen Lippenblüthen und ihrem grünen Kelch, die, je nach dem die Lichtstrahlen auf sie fielen , von Grün durch Weiss in das Blassrothe wechselten. Die Blätter dieses herrlichen Baumes , dessen Höhe zwischen 30 und 40 Fuss wechselte, besassen einen stark aromatischen Geruch. Sein Holz ist ungemein hart, so auch die Rinde. Es ist ohne Zweifel die grösste baumartige Species unter der Familie der Labiatac, die in Guiana vorkommt. Herr Gardner , der bekannte englische botanische Rei- sende, fand diese Labiala innerhalb des Diamantendistricts in der Provinz Minas Gcracs, in der Nähe der Cidado do Serro als einen der gewöhnlichsten Bäume; er scheint daher über einen grossen Theil von Südamerika verbreitet zu sein, aber nur in einer gewissen Meereshöhe aufzutreten. Ausserdem entdeckte ich an dem Ufer noch eine neue Species Swartzia und Rhopala ; — erstcrc ist als Swartzia cap- paroides ( Klotzsch ), letztere, die jedoch nur als hoher, schlanker Baum am Ufer auftrat, dessen ßlüthen die Luft mit ihrem starken Vanillengcruch erfüllten, als Rhopala suavcolens ( lilotzsch ) beschrieben worden. Als ich nach dieser botanischen Revision zu unserm Lagerplatz zurückkehrte, wusste ich anfänglich gar nicht, was ich aus den niedergeschlagenen, traurigen Blicken unserer Begleiter machen sollte ; — die Vorräthe waren so gut wie geleert, die gestern schon um mehr als auf die Hälfte rcducirten Rationen hatten heule noch BRITISCH • GUIANA . 207 namhaft geschmälert werden müssen, damit für den morgenden Tag, an welchem wir eine ^eeA-ratf-Niederlassung antreffen sollten , wenigstens etwas bliebe. Die Nacht war ziemlich kühl, das Thermometer zeigte um 6 Uhr nur 77° Fahrenheit. Mit Sonnenaufgang setzten wir unsre Reise durch das kurze, vomThau durch- nässte, gelbliche Gras und zwischen Quarz- und Granitblöcken fort. Der Gipfel des Pirocaima lag jetzt 2 — 3 Miles nördlich vor uns. Eine kümmerliche Vegeta- tion zog sich bis ungefähr zu dem Viertel seiner Höhe empor; — von da an starrte uns nur der kahle Felsen entgegen. Die empfindliche Kälte hiess uns wacker zuschreiten; da wurden unsere Schritte am Abhange des Berggürtels durch den Blick auf ein breites Thal gefesselt, das sich zu unsern Füssen ausbreitete. War es Sinnentäuschung,- war es Zauberei, die in diese Steinöde ein reizendes Paradies versetzt hatte? Noch ruhte ein langsam und gleichmässig wogendes Nebelmeer auf der Thalsohle und hatte sich hin und wieder auf die üppigen Baumwipfel und die niedern Hügelgipfel in ringförmigen Schichten gelagert, während andere, schon be- freit von dem neidischen Schleier, gleich Inseln über der weissen, wolligen Fläche hervorragten. Jeder Blick liess uns neue Wunder anstaunen. Statt der bisherigen schroffen, spitzen, zerrissenen Gipfel und Pies erhob sich von N.O. gegen W. ein oben tafelförmig abgeflachter Gebirgsgürtel , auf dem eine 3 — 400 Fuss hoher, senkrechter Kamm oder Steinwall aufsass, welchen abermals eine mächtige, ebene Erdschicht deckte, weit über das Nebelmeer, und schien das Zauberthal zu schliessen; — es war das Sandsteingebirge Humirida. Sprachlos vor Entzücken schauten wir in das reizende, wellenförmige Thal hinab und über das Nebel- meer hin, das mit jedem Augenblick durchsichtiger wurde, aus dem immer lieb- lichere Vegetationsparthien in dem verschiedensten Colorit auftauchten. Grosse, saftige, grüne Flächen wurden sichtbar, zwischen denen sich wieder breite, gelbe Streifen hinzogen, die mich und meinen Bruder lebhaft an das Frühlingskleid der heimathlichen goldenen Aue erinnerten. Die blüthenreiche Cassin polystachya war hier zum üppigen Waldbaum geworden und hatte an einzelnen Stellen alle übrigen Bäume verdrängt. In W. und S.W. haftete das trunkene Auge auf den Bergen iVaranghciiong und Arawayang, bis der Horizont in blauer Ferne durch das Sarau-rrnyc/ig - Gebirge geschlossen wurde. Endlich war auch die letzte flor- artige Decke verschwunden , und gleich silbernen Bändern schlängelte sich der Muynng mit seinen Nebenflüsschen durch die üppige Fülle, um seine Wasser dem Zuruma zuzuführen. Noch einen Blick auf die Stätten des wilden Aufruhrs entfesselter Naturkräfte zurückwerfend, stiegen wir jetzt in das liebliche Thal hinab, das uns die vom Thau benässlen und dadurch glatten Quarz- und Granitblöcke erst nach mühsamem Kampfe erreichen Hessen , und in dem wir uns nicht mehr innerhalb der Gebirge, sondern 208 REISEN IN an den üppigsten Plätzen der Küste zu befinden wähnten. Wir wandten uns gegen W. Eine waldige Oase, die ein kleiner Nebenfluss des Muyang durchrieselte, und in die wir eintraten, wurde von riesigen Waldbäumen, stolzen Palmen, üppigen Heliconien und Farrn gebildet. Als wir sie durchschritten, wandten wir uns gegen S.W. und stiegen eine Wellenhöhe hinan, an welcher ein Erdsturz von etwa 20 Fuss Tiefe, in der die umgestiirzten Bäume in wilder Verwirrung über und durch- einander lagen , unsere Schritte hemmte. Wir umgingen die weile Strecke und erreichten darauf die Anhöhe , von der wir auf einem Ausläufer des Poaghopping mehre Indianer stehen sahen, die uns als Arckunas bezeichnet wurden. Sobald sie bemerkten, dass wir uns ihnen näherten, verliesseR sie die Höhe und eilten den Abhang in das Thal hinab. Nachdem wir uns mehr nach Norden gewendet, stiegei. wir in einer Schlucht des Poaghcpping wieder thalabwärts , und vor uns lag auf einer freundlichen lieblichen Ebene eine grosse Hütte, die ersehnte Arekuna-N\v- derlassung. Wir hatten unsern Fuss in das Gebiet der Arekunas gesetzt, eines Stammes, der, wie es scheint, früher das Flussgebiet des Uaupes bewohnte , und den Monteiro und Ribeiro als Cannibalen schildern. Jetzt hat er die Gebirge und Savannen der Quellen des Carotii , Cuyuni und Masaruni inne, und gehört zu den in ihrer Bevölkerung zahlreichsten Stämmen Guiana’s ; auf britischem Gebiete leben etwa 500 Seelen. Bevor wir die Hütte, vor der eine Menge rother Gestalten stan- den, erreichten, mussten wir erst noch einen Nebenfluss des Muyang durchwaten. Dass uns die Bewohner heute erwartet hatten, konnten wir sowohl aus den ausgestellten Wachen, als auch aus ihrer sorgfältigen Toilette schlicssen. Der ganze Körper, mit Einschluss der Haare , war mit Arnatto rolh gefärbt, das Gesicht da- gegen mit Caraveru , — so neunen fast alle Stämme Guiana’s die aus der Bignonia Chica gewonnene Farbe — in Strichen und Punkten bemalt. Von dem fast ganz erblindeten Häuptling wurden wir mit einer langen , salbungsreichen Rede , von der wir durch unsere Dolmetscher nur so viel erfuhren, dass wir weder Brod noch Fleisch, höchstens einige Pisangs, Yams und etwas Zuckerrohr bekommen könn- ten, freundlich und herzlich bcwillkommt. Der Gesichlsausdruck der Arckutins hatte etwas viel Kriegerischeres, als der der Macusis ; ihre Gestalt war kräftiger, robuster, wenn auch nicht grösser; die Hautfarbe die dunkelste, die ich noch gesehen. In dem durchbohrten Septum der Nase trugen sie vicrtelfusslange, mitMalerei und allerhand künstlichem Schnitzwerk verzierte Bambusstäbchen, eben so in den durchstochenen Ohrläppchen; mehre sogar auch noch in der durchbohrten Unterlippe. Bei einigen ersetzten in den Ohr- läppchen kleine Vogelköpfe die Stelle der Stäbchen. Der Hüftgürtel bestand aus Menschenhaaren; den Hals schmückten Ketten aus den Hauern der Pelcaris oder den Eckzähnen von Affen , an denen lange Schnüre mit Quasten von Vogelbälgen BRITISCH-GUIANA. 201) oder roh ausgestopfter Eichhörnchen den Rücken hinabhingen. Von den Frauen und Mädchen bekamen wir eigentlich wenig oder gar nichts zu sehen, da diese sich nicht aus ihren Verstecken hervorwagten , und uns aus respectvoller Entfernung anstaunlen. Auch sie hatten den ganzen Körper mit Arnatto bemalt. Ihre Hals- bänder bestanden aus den Nagezähnen des Aguti, der Laba, oder den Eckzähnen der Affen. Von den Mundwinkeln bis zu den Ohren waren sie stark tättowirt. Das lange , schwarze Haar trugen sie sorgfältig geflochten , im Nacken zu einem Knäuel vereinigt. Dies war die Toilette der sonst proportionalen weiblichen Ge- stalten. Die Niederlassung zählte 23 Köpfe , von denen der grösste Theil an bös- artigen Augenübeln litt; zwei der Bewohner waren ganz blind, und der Häuptling nicht weit davon. Die Blinden wollten uns wenigstens fühlen und Hessen sich da- her zu uns führen, um uns die Hand zu drücken; die Augen waren weniger ent- zündet, dagegen aber mit einem weissenFell überzogen Diese Krankheitssymptome überraschten uns um so mehr , als wir sie seit den War raus nie wieder so allge- mein herrschend gefunden hatten. Die Sprache der Arekmias scheint nur dialektisch von der der Macusis abzu- weichen. Beide Stämme verstanden sich gegenseitig vollkommen. Unsere beiden vorausgeeilten Indianer hatten die Hütte bereits am Morgen Avieder verlassen, und die Provisonen, die die Bewohner entbehren konnten, einige Bündel Pisangs , ein Paar Körbe mit Yams und etwas Zuckerrohr, vor die Hütte gelegt. Die Versicherung des alten Häuptlings, dass wir in allen Niederlassun- gen , die wir noch bis zum Roraima anträfen , eben so wenig linden würden, als bei ihnen, schlug uns mehr nieder, als die getäuschte Hoffnung auf ein heutiges, reichliches Mahl. In Folge des schon erwähnten Familienkriegs halte sich ein grosser Theil der Arekunas weiter westlich gezogen; die Provisionsfelder aber waren von den Siegern theils zerstört worden, theils wegen des Krieges unbebaut liegen geblieben. Wild hatten wir bisher in dem freundlichen Thale eben so wenig, wie auf den felsigen Höhen gesehen, und die fingerlangen Fischchen in den Flüssen, durchgängig der Gattung Hypostoma angehörig, hätten zu Tausenden gefangen werden müssen, wenn sich mehr als 70 hungrige Magen daran hätten sättigen sol- len. Vegetabilien blieben unser einziger Trost. Nach diesen traurigen Erfahrungen konnte unser Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein, und nachdem wir das Anerbieten zweier junger Männer, uns nach dem Roraima zu begleiten , bereitwillig angenommen , obschon wir dadurch zwei hun- grige Magen mehr zählten, auch ein paar alte Mütterchen sich ein Herz gefasst, und uns drei Cassadakuchen , einige geröstete Maiskörner und mehre Calabasche mit Rasin gebracht, welche letztere Avir gern unsern Indianern überliessen, verliessen Avir die Niederlassung Yawangra niedergeschlagener, als Avir auf sie zugcilt waren. It. Theil. 27 REISEN IN 210 Nach Verlauf einiger Stunden sollten wir wieder auf eine Niederlassung stossen, in der wir aber eben so wenig Nahrung finden würden. Dem westlichen Laufe des Muyang- Thaies folgend, in welchem der Fluss auch seine Quelle hat, betraten wir bald darauf eine dichte Oase, aus der wir wieder auf freie Savannenflächen kamen. Die Sandsteinkette des Humirida bildete in einer Entfernung ven 5 Miles die nördliche Begrenzung des Thaies. Die grünen Flächen, hin und wieder von hochgelben Strecken der blühenden Cussia poly- slacliya unterbrochen, zogen sich dicht bis zur Hälfte des Berges empor, wo sie in den Vertiefungen in schmalen Streifen bis zu dem perpendikulären Sandsteinwall verliefen. Eine der umfangreichsten Oasen, die wir durchschritten, bestand fast nur aus Palmen und Musaceen , welche letztere namentlich durch den Farben- schmelz ihrer grossen Bliithenscheiden , einen lieblichen Farbenwechsel durch die dunkelgrüne Belaubung streuten. Unter den ersteren zeichneten sich besonders durch ihre auffallende Ueppigkeit im Wuchs und Wedelbildung, die Iriartea exorrhiza und ventricosa, Martinezia caryotaefolia ( Hurnb . Bonp.) und mehre Species der niedlichen Geonoma aus. Auch Ravenala und Phenacospermum trat in einer Vollkommenheit auf, wie wir sie nur in den Thälern des Tuarutu- und Osso tsch w» f- G e b i rges gefunden. Farrnkräuter , namentlich den Gattungen Adiantum , Schizaea , Anehnia , Mertensia, Hymenopkyllum, Polypodium und Acrostichum angehörend , bedeckten den Boden und die alternden Stämme der Laubbäume. Der Boden zeigte dieselben Bestandtheile wie die Thäler des Tua- rutu- und O^o^c/t^/jf-Gebirges, einen steifen Lehm mit Sand vermischt. Nachdem wir in der üppigen Oase lange bergan gestiegen waren, führte uns der Pfad in eine tiefe Schlucht hinab, in der ein kleiner Fluss in wilden Sprüngen und unter dumpfem Getöse dem Muyang zu eilte. Nach langem Suchen fanden wir endlich eine seichte Stelle, wo wir den Strom kreuzen konnten, labten uns zuvor an seinem kühlen, klaren Wasser, das mit einem dichten Saume von Tricliomanes- Arten eingefasst war, und klimmten dann an der jenseitigen Höhe wieder empor, wo uns, nachdem wir noch eine Zeitlang im Walde fortgeschritten, eine freie, offene wellenförmige Savanne aufnahm, die unter sanfter Senkung abermals bergab führte. Westlich von uns lagen auf einer kleinen Anhöhe die uns verkündeten Hütten, nach denen wir unsere Schrille richteten. Südlich von der Niederlassung thürmte sich der Berg Arawayang aus dichten Waldungen auf. Kein menschliches Wesen lic.ss sich in der Nähe der Hütten sehen, und schon glaubten wir, sie seien unbe- wohnt, als wir bei unserem Eintritt in das Dorf vor einer der Hütten einen jungen Indianer stehen sahen, der uns mit einer langen, salbungsrcichen Anrede empfing, die mit den Worten: Hure Macusi (ich bin ein Macusi)« begann. Ein solches Kedncrtalent, ein solcher Redefluss war mir noch nie vorgekommen; selbst in den BRITISCH -GUIANA. 211 Versammlungen der Alten konnte ich ihm keinen zur Seite stellen, der ihm den Lor- beer der Beredsamkeit streitig gemacht hätte. In dem blühendsten Redeschmuck theilte er uns ungefähr mit, dass er das, Avas Avir Avünschten, Cassadabrod u. s. av. nicht besitze, dass ihm selbst Mais fehle und er sich mit seiner Familie Aron den Früchten des Waldes nähren müsse, und nur Wasser trinken könne, Avic die Thiere. Seine Hütte, in Avelche wir unsere Hängematte schlingen, der nahe Fluss Mtiyang, in dem Avir Wasser schöpfen könnten, wären Ein und Alles, was er zu bieten A’ermöge. So gern er dieses gäbe, eben so sehr Avünsche er auch, dass AA'ir auf unserer Reise nach dem Roraima, dass mein Bruder von da nach dem Cuyuni und Georgetown , soAvie die übrigen Paranaghieris , die nach Pirara zurückkehrten, keine Niederlassung mehr finden möchten, in der ihnen nicht mehr geboten werden könnte, als in seinen Kräften stände. Unsere vorausgesandten Indianer batten ihm unsere Pläne mitgetheilt und er wusste die erhaltene Kunde gar trefflich zu verarbeiten und zu benutzen. Nachdem er sich Avohl eine halbe Stunde in den bilderreichsten, kühnsten Bildern ergangen, schloss er seinen Ser- mon und schüttelte uns die Hand. Die Behauptung, dass die Indianer Südamerika^ die Gabe der Rede nicht besässen, habe ich Avenigstens bei den Stämmen Guiana’s keinesAvegs bestätigt gefunden, sondern in ihren Versammlungen vielmehr Reden gehört, die nicht allein in Bezug auf kühne, meist überraschende und schlagende Bilder, sondern auch in Rücksicht des gesunden Menschenverstandes, der den Kern derselben bildete, Aveit über der grössten Zahl unserer deutschen Stegreifredner standen; und doch wurde mir der Inhalt erst durch den Mund eines zweiten ver- mittelt. Durch die offene Thür der Hütte , vor welcher uns der Chrysoslomus empfangen, sahen wir die übrigen Bewohner des Dorfes versammelt, die nach Beendigung der Rede ebenfalls heraustraten und uns bewillkommten ; der grösste Theil der Männer befand sich auf Reisen. Ausser einigen Haufen Palmenfrüchten, war keine Spur eines andern Nahrungsmittels zu entdecken. Unseres Bleibens Avar daher hier eben so wenig, als in Yawangra , namentlich, da uns unser Wirlh im Laufe des Gesprächs versicherte, dass wir noch vor Sonnenuntergang eine Hütte erreichen könnten, deren Bewohner eine reichliche Maisernte gehabt hätten. Unaufgefordert schloss sich unser Chrysoslomus mit Weib und Kindern der Karavane an; sein Sclnvicgcrvater, ein Arzkuna , bei dem er sich niedergelassen, blieb zurück. So schwer unsern matten Füssen auch die Fortsetzung der Reise wurde, so mussten sie sich doch in ihr Schicksal ergeben; die Forderungen des Magens waren zu heftig. Schweigend und verdrossen ging cs gegen Nordwest über eine Menge Nebenflüsschcn desMuyang, durch waldige Oasen und über grüne Savannenflächcn. In der Oase belästigte unsere Nasen heute vielfach ein starker, zAvicbelarliger 212 REISEN IN Gerucli, der nach der Aussage der Indianer von einer Schlingpflanze herrühren sollte, die uns aber botanisch nicht bekannt wurde. Nach dem uns häufig tref- fenden Moschusgeruch, welchen die Indianer einer Schlange, die den Pfad gekreuzt, zuschrieben, musste diese Oase ziemlich schlangenreich sein. Unsere Reihe hatte sich lange nicht so durchbrochen gezeigt, wie heute. Gleich einem gesprengten Heerhaufen zogen wir unserem Sammelplätze zu. Da es Pflicht der Führer war, bei jedem Kreuzweg die falschen Pfade mit abgebroche- nen Zweigen zu verlegen, um die Nachzügler vor dem Abirren zu bewahren, zu denen wir Europäer, sowie die Bewohner Piraras und Toron'g-Yauwise's, die noch weit hinter uns zurück waren, heute sammt und sonders gehörten, so mussten wir uns um so mehr wundern, als wir bei dem ersten derartigen Doppelwege ankamen, und diese Vorsicht vernachlässigt fanden. Wo nun hin? Auf unser Rufen erhielten wir keine Antwort, all unser Suchen nach einem Zeichen half uns nichts; im guten Vertrauen, den richtigen Weg gefunden zu haben, schlichen wir vorwärts, um nach langer Zeit das Ende desselben in einem grossen, noch nicht zur Reife gediehenen Cassadafelde zu erreichen. Wir hatten unsere Füsse über eine Stunde vergebens angestrengt und mussten wieder umkehren. Noch ehe wir den allen Weg erreicht hatten, tönte auch schon der helle Ruf der nachlässigen Führer durch den Wald, die, nachdem sie aus diesem herausgetreten, und niemand von uns hatten folgen sehen, erst ihre Nachlässigkeit inne wurden und nun eben- falls zurückgeeilt waren, um uns aufzusuchen. Mit der scheidenden Sonne befanden wir uns in der Nähe des westlichen Ausläufers des Humirida- Gebirges , dessen von der Sonne vergoldeter Wall hier bedeutend an Höhe abgenommen halte, und hiessen die ersehnte Hütte herzlich willkommen. Unsere Blicke mussten unsere Wünsche ziemlich deutlich aus- sprechen, denn ehe wir diesen Worte gegeben, wurde uns auch schon versichert, dass wir ausser Mais und einigen Pisangs nichts Essbares bekommen könnten. Den ersteren hatten sie uns auch bereits geröstet; besonders reichlich aber war für Ifasiri gesorgt worden. Der heutige und der gestrige Marsch mit leerem Magen hatte uns so ange- griffen, dass uns ein Ruhetag nölhig, wozu wir auch den morgenden Sonntag bestimmten. Eine freundliche Stelle unmittelbar an der Rasis des Humirida und am Ufer eines malerischen Giessbaches, der von der geneigten Fläche des Gebirges hcrabslrömte, bot uns eine günstige Lagerstelle. Nach der astronomischen Beobach- tung, die des Nachts genommen werden konnte, lag unser Lager unter 4° 30' Nordcrbrcitc, wonach wir uns jetzt 106 Milcs von Pirara entfernt befanden. Seitdem wir Torong-Yauwi.se verlassen, hatten sich fast regelmässig gegen I nlcrgang der Sonne hin die Wolken unter einem wilden Gewillersturme entladen, BRITISCH -GUIANA. 213 worauf durchgängig eine klare, sternenhelle Nacht folgte. Auch heute trat dieses Phänomen ein und verwandelte unsern nachbarlichen Giessbach im Verlauf von kurzer Zeit zum reissenden , wildtobenden Strome , der seinen eigentümlichen Charakter aber eben so schnell wieder annahm, wie er ihn verloren hatte. Mit Tagesanbruch eilte alles bewaffnet mit Flinten, Pfeil und Bogen hinaus in die Oasen, nach der Savanne und auf die Berge, um wo möglich den Sonntagstisch mit etwas mehr als gerösteten Maiskörnern besetzen zu können. In Begleitung einiger Knaben aus der Niederlassung Torong- Yauwisc, die ich mir durch einige kleine Geschenke willig gemacht, denn einen Erwachsenen mochte ich nicht gern von dem Jagdzuge abhalten, erstieg ich den Bergabhang. Meine Hoffnungen auf eine reiche botanische Ausbeute wurden nicht getäuscht, die Schweisstropfen, die mir das Ueberklettern der zahllosen zu Tage tretenden Sandsteinmassen auspresste, reich- lich belohnt. Schon auf ihnen fand ich ein niedliches , mir bisher unbekanntes Epidendrum mit rosa und weissgefleckten Blüthen, riesige Tillandsien und Cacteen, und bald sollte mir eine noch grössere Freude zu Theil werden. — Ich mochte ungefähr 500 Fuss über der Savanne an dem Saume der Waldung, die sich bis zur Hälfte des Berges hinan zog, emporgestiegen sein, als ich aus ihr den riesig schlanken Stamm mit blülheniiberladener Krone der Elisabetha regia (Schomb.) emporragen sah, die mein Bruder auf seiner ersten Reise entdeckte. Der Baum gehört unbestritten zu den grössten Zierden der Tropen und bildet den lieblichsten Repräsentanten der Amherslieae, das Verbindungsglied zwischen der Brownea , der Rose Guiana’s und Desfontaines Heterostemon ; die zweite Species, Elisabetha coccinea , fand mein Bruder auf derselben Reise. Bald hatte ich mich mit meinen Begleitern durch das Gebüsch nach dem Stamme hin gedrängt, fand aber, dass derselbe für mich unersteiglich war, ja selbst der eine meiner kleinen kupferfarbenen Knaben, der in Folge seines Klettertalen les den Namen Matziki (Tigerkatze) führte, sah wechselweise mit begehrlichen Blicken das Messer, das ich ihm als Lohn für einige Blüthenzweige hinhielt, und mit klugüberschauenden Augen die Höhe des Stammes an, schüttelte dann aber doch niedergeschlagen den Kopf. Es war das erste und letztemal, dass ich diesen reizenden Baum traf. Neben seinem Stamme hüpfte plätschernd und murmelnd unter üppigen Farrn, besonders Trichomanes- unA Pol y podium- Arien und strotzen- den Moosen ein geschwätziger Bach der Ebene zu, an dessen Ufer ich mich in Besitz einer schöngezeichneten Kröte, wahrscheinlich einer Varietät von Dendro- balcs tinctorius (fFagl.) setzte. Die dunkelschwarze Grundfarbe des Kopfes, des Rückens und der Füsse, wurde von einer Menge unregelmässiger, gelber Streifen unterbrochen. Nach meiner Rückkehr in das Lager trafen auch die Jäger einer nach dem 214 REISEN IN andern missmüthig und mit leeren Händen wieder ein. Einige Pfefferfresser, die ich heim ersten Anblick für Ramphastos vitcllinus hielt, waren die einzige Ausbeute des Jagdzuges. Die eigenthühmliche Färbung des Schnabels, in der er dem Ram- phaslos crylhrorhynchos ziemlich ähnelte, stellte ihn als Ramphastos dicolorits (Lin. Jardin et Selby ) heraus. Den folgenden Morgen sollte die Sandsteinkette überstiegen werden ; der kühle Morgen mochte wohl die passende Zeit dazu sein. Da Sororeng’s Frau in der Kürze ihrer Niederkunft entgegen sehen musste, so vermochten wir ihn, sie bis zu unserer Rückkehr hier zurückzulassen, wozu er erst nach langem Zögern seine Zustimmung gab. Die ersten Strahlen der Morgensonne des 24. Octobers fanden unsere Colonne, die sich noch um mehre Köpfe aus der Niederlassung vermehrt hatte, bereits in raschem Marsche, das Thal immer noch gegen Westen verfolgend. Nachdem wir der Basis des Humirida entlang gegangen, und einen kleinen Zufluss des Muyang durchschritten, gelangten wir zu der Stelle, die uns als Uebergangspunkt über das Gebirge bezeichnet wurde. So unbegreiflich uns das Ersteigen des senkrechten Sandsteinwalles des Humi- rida auch erschien, so versicherten uns doch einige unserer Führer, die den Weg schon einigemal zuriikgelegt, dass dies, wenn auch etwas schwierig, doch möglich sei. Das von der Basis bis zum Gipfel von allen Bäumen leere, an sei- nem Abhange vielfach zerklüftete, und nur hier und da mit niederen Geslräuch- gruppen bedeckte Gebirge, zeigte mehr gegen Westen hin die üppigsten Waldungen, und stieg hier zu einer Höhe von mehr als 2000 Fuss über der Ebene auf. Das Wagestück wurde angetreten. Zwischen und über colossale Sandsteinfelsen ging es die Höhe hinan; nach Verlauf einer Stunde hatten wir noch nicht die Hälfte erreicht, wohl aber unsere Kräfte erschöpft; die keuchende Brust, die zitternden Knie ver- langten Minute um Minute wenigstens augenblickliche Ruhe, und die sengenden Strahlen der Sonne, denen wir ungeschützt ausgesetzl waren, sogen das Rcstchcn Kraft vollends aus. Es sah in der That erbärmlich mit uns aus, und doch halten wir Europäer weiter nichts als unsern Stock in der Hand, während die Indianer, vermittelst eines breiten Bandesmit der Stirn ihre Lasten tragend, mit einer Leichtig- keit und Gewandtheit über die Steinmassen klimmten, wiewohl der Schweiss in Strömen von ihrem Körper herabfloss, als wären diese ebener Boden und die sengende Sonne kühlender Sehalten. Gleich einer Schlange wand sich unsere lange Reihe den steilen Bergabhang empor, und der Auf- und Rückblick war so eigenthiimlichcr Art, dass er uns selbst in dem ermatteten Zustand bei unseren häufigen Ruhepunkten zu fesseln vermochte. Nach einem mehrstündigen Steigen war endlich der etwa 500 Fuss hohe Sundsteinwall erreicht. Seine Besteigung BRITISCII-GUIANA. 215 auf dem von den Indianern erzwungenen, gefährlichen Wege jetzt zu beginnen, hätte für uns zu den Unmöglichkeiten gehört ; die geflohenen Kräfte mussten zuvor mindestens theilweis wieder gesammelt werden. Eine Menge Moose und Flechten belebten das düstere Gestein wenigstens etwas, während seine Spalten und Klüfte von mehren Orchideen, namentlich Epidendrum , und einem kleinen, den Piperu- ceen ungehörigen Gesträuche gefüllt waren, deren Wurzeln den Felsen förmlich mit einem Netzwerk umgarnt hatten, mit dessen Hülfe wir in den eingeliauenen Vertiefungen an der Masse emporklimmen sollten. Die Möglichkeit des Ueber- steigens war durch dieses Wurzelnetz allerdings gegeben, und doch hing dieselbe einzig und allein von einem unerschrockenen Muthe, dem vollkommenen und freien Gebrauche der Hände, der genauen Untersuchung der Festigkeit der Wurzeln und des vorspringenden Gesteins in der verwitterten und morschen Sandsteinwand ab, bevor man beiden die Last des Körpers anvertrauen durfte. Ein Abrutschen derFiisse, bevor die Hand den Haltpunkt , den die Wurzeln oder jene Vertiefungen boten, ein Verlieren des Gleichgewichts, das Abreissen einer Wurzel, hätte nicht allein den grausenhaften Stui'z des einen Unglücklichen bedingt , sondern wahr- scheinlich eine grosse Zahl seiner Nachfolger mit in das Verderben hinabgezogen. Das Wagestück wurde begonnen. Wir Europäer schlossen uns unmittelbar den Führern an. Im Zickzack kletterte die Reihe, in bestimmten Zwischenräumen einer dem andern folgend, und sich von Absatz zu Aabsalz schwingend, an der Wand empor. Der erste Blick in die Tiefe machte mich schaudern; — wie die Ameisen klimmten die braunen Gestalten an dem Felsen auf, und der Gedanke, dass jetzt eins der Stirnbänder reissen, dass die Last von dem einzigen Haltepunkte, der Stirn, abgleiten und die Nachfolgenden mit hinabreissen könnte, schloss mir die Augen und liess mich den Rückblick nicht wieder wagen. Kein Laut unterbrach die liefe Stille, die nur dann und wann von dem Sturze abbröckelnden Gesteins unterbrochen wurde. Meine Vordermänner hatten die Firste erreicht, jetzt schwang auch ich mich lief aufatlnnend auf die sichere Fläche, wTarf noch einen Blick an der steilen Wand abwärts, um das Auge abermals zu schliessen und hinweg zu eilen, denn jeden Augenblick glaubte ich den Todesschrei eines Hinab- stiirzenden hören zu müssen! So wie einer der Aufklimmenden dis Firste erreicht, brach er, wie die hier schon Angekommenen, in ein helles Triumphgeschrei aus. Nach Verlauf von drei Stunden balle endlich auch der letzte den sichern Kamm erklimmt, und nun erst alhmete die geängstigte Brust frei auf und das Auge konnte in stummem Entzücken das reizende Panorama, welches sich unter und neben uns ausbreitete, in seiner ganzen, unendlich reichen Fülle in sich aufnehmen. Wir hatten bei unserem Eintritt in das Thal des Minjanp in der tiefsten Tiefe des He rzens über das wundervolle Landschaftsbild gejubelt; — hier trat uns dasselbe, 216 REISEN IN und doch wieder ein anderes entgegen ! Soll ich sagen ein reizenderes? — ich weiss es nicht; — Vergleichungen schloss die Zaubermacht des Augenblicks aus! In feierlicher Stille einer jungfräulichen Natur breitete sich zu unsern Füssen das von einer Menge üppiger Oasen überstreute Thal des Mwyang aus , vergebens aber suchte das Auge das Dach der Hütte, die wir vor einigen Stunden verlassen, die Fülle der Natur hatte das Werk der Menschen in sich begraben. Kein Zeichen eines regen Lebens , kein Lärmen schaffender Menschenhände störte den tiefen, ernsten Frieden, in welchem die Natur stolz zu uns heraufblickte, und in uns alle einzog. Nach S., 0. und W. verschmolzen unabsehbare Bergketten zu der Oberfläche eines grünen, wogenbewegten Meeres; nur in S.O. und im fernen W. ragten die düstern, kahlen Felsenmassen des Mairari und in S.W. der eigen- thümliche, thurmähnliche Mareppa-Emba , der letztere in einer Höhe von 3500 Fuss, über dieses Vegetationsmeer empor, über das sich, etwas weiter gegen W. der Erimilepu, in W. gen S. aber die Ucaraima- Kette erhob. Nach dem Höhen- barometer befanden wir uns 3090 Fuss über dem Meere. Die Felsenwand war noch keineswegs der Gipfel des Humirida, dieser war noch zu ersteigen, bevor wir den Blick auch frei gegen Norden schweifen lassen konnten. Schien cs doch, als wenn der uns kühlumwehende, reine Luftstrom neue Kräfte gebracht, so wunderbar schnell fühlten wir uns wieder zur Fortsetzung der Heise gestärkt. Zwischen den Ritzen der Sandsteinschichten sprossten mehre Orchideen, namentlich jene beiden Species Epidendrum und ein schönes Odon- toglossam hervor, zu denen sich auch eine kleine, mit schilfartigen Blättern ausge- stallcle Orchide gesellt halte, die sich aber leider nicht mehr in Blütbe befand. Ausser diesen Orchideen hatte sieh auch die mit rosa Blüthen bedeckte Mnrcetia taxifolia ( Dec .) die Ritzen und Spalten zum Standort erwählt, eine Pflanze, die ich hier zum erstenmal sah , und in der ich aus der Ferne schon eine Erica gefunden zu haben glaubte. Als wir den eigentlichen Gipfel erreicht, lag gegen N.W., N. und N.O. ein weites herrliches Hochland vor uns, das von unbedeu- tenden Hügeln, saftig grünen Wald- und Gesträuchgruppen unterbrochen wurde, bis den fernen Horizont wieder hohe Gebirgsketten begrenzten. Uebcr einen weichen , sammetariigen , noch vom Thau benässten Rasenteppich setzten wir unsern Weg rein gegen N. fort, bis mich eine dichte Gruppe baumartiger Gewächse von diesem ab und nach sich hingezogen. Es waren merkwürdige Formen ! Ihr nackter Stengel, von mehren Fuss Umfang, verzweigte sich bald dichotomisch, wobei diese Zweige an ihrer Spitze in lange, grasartig breite Blätter ausliefen. Der Mangel an Blüthen und Fruchten liess es unentschieden, ob die merkwür- digen Pflanzen den Vandancen oder Vellozieae zuzuzählen seien. Zwischen kleinem Sandsteingeröll , das von Eriocanlo/i und einem eigentümlich grau- BRITISCH- GUIANA. 217 schwarzem Grase überzogen war, ragten diese sonderbaren Formen sleif in die reine Luft empor. Schon bei der Ersteigung dieses Sandsteingebirges im Jahre 1838 hatte mein Bruder eine Gruppe dieser merkwürdigen Pflanzen entdeckt, sie aber damals auch ohne Biüthe und Frucht gefunden. Sein lebhafter Wunsch, diese eigenthümlichen Pflanzen mit der Biüthe kennen zu lernen, sollte bald erfüllt werden. Unter dem Austausch gegenseitiger Vermuthungen hatten wir den Abhang erreicht, wo uns von dem leichten Nordwind der köstlichste Wohlgeruch zuge- tragen wurde, und das Auge mit Verwunderung auf zahllosen, mit weiss, violet und purpurroth übersäeten Blüthenstengeln haften blieb, die hoch über das sie umge- bende Gebüsch emporragten. Es waren Gruppen der reizenden Sobralia, unter denen die Sobralia Elisabethae (Scho?nb.) alle andern an Höhe übertraf. Ich fand Blüthenstengel von 5 — 6 Fuss. Doch nicht allein die Sobralien, sondern auch das Gebüsch und die niedern Bäume, die in Folge des starken Thaues noch von Nässe trieften, waren mir unbekannt. Jeder Strauch , jede Staude , jeder Baum, war mir neu, wenn auch nicht der Familie, so doch der Species nach. Ich stand jetzt an der Grenze einer mir noch fremden Pflanzenzone, die, wie durch ein Zauberwort in neuen , wunderreichen Formen hervorgerufen, unerwartet vor mir lag. Dasselbe Staunen , dieselbe Ueberraschung , dieselben Gefühle stiegen in meiner Brust auf, die sich meiner bei dem Landen auf dem südamerikanischen Conlinent bemeistert hatten, nur dass ich mich nicht mehr auf ihn, sondern auf einen neuen Welttheil, zwischen die Proteaceen Afrika's und Neuhollands, die Melaleucas Ostindiens und Australiens versetzt glaubte. Die lederartigen, steifen Blätter, die vielfach gewundenen Zweige, die fremdartigen, noch nie gesehenen, grossen Blüthenformen, ihr grelles Colorit, alles, alles wich wesentlich von dem mir schon vertraut gewordenen Vegetationscharakter ab. Ich wusste nicht, wo ich mein Auge zuerst hinwenden, ob nach den wachsähnlichen, grell mit krystall- reinen Thautropfen behangenen Blüthen der Thibaudia, Bejaria und Archytaca, oder nach den grossen, camellienartigen , weissen Blüthen einer Bonnetia , ob ich es haften lassen sollte auf den mit tausend Blüthen besäeten Sträuchern der Me/a- sloma's, der Abolboda, Vochysia, Ternströmia, Andromeda, Clusia, Kielmcyera, oder auf den fremdartigen Blüthengebilden der Sobralien , Oncidien, Cattleya's Odonioglossen, Epidendrum' s , die die feuchten Sandsteinblöcke überzogen; — und wie unendlich viel waren schon verblüht, oder warteten noch ihrer Blüthenent- wickelung! Fast schien es, als habe Flora durch diese unendliche Blüthenfülle den auffallend drückenden Mangel alles animalen Lebens Ausgleichen wollen ; — alles war still, in liefe Feier gehüllt, selbst die neckenden Colibris und Nectarinen blieben verschwunden ; — der wunderbare Eindruck war daher um so mächtiger, um so überraschender! Noch mehr aber sollte sich meine Freude steigern, als ich II. Theil. 28 218 REISEN IN vor dem ersten Repräsentanten der Citichoneen stand, von denen ich nicht nur die Ladenbergia densijlorn ( Klotzsch ), Cosrnibuena tri/lora (Klotzsch) und Luden- bergia(Buena) Roraiwac(Klotzsch) fand, sondern auch eine neue Species : Laden- bergia (Cascarilla) Schomburgkii ( Klotzsch ) entdeckte. Jeder Schritt brachte etwas Neues. Zwischen lieblichem Gebüsch führte uns der Weg den Abhang zu einem Flüsschen hinab , bis wir in der Thalsohle den Fluss Zuappi überschritten, der nach N.O. hin dem Cotinga zufloss. Mit der neuen Pflanzenzone hatten wir zugleich auch ein neues Stromgebiet, das des Orinoko betreten, welches durch die Steilwand von dem des Amazonenstroms getrennt wird ; denn westlich von uns strömten alle Flüsse, so der Yawaira, nach Norden hin dem Orinoko zu. Mur- melnd rieselte der Zuappi durch die mächtigen Sandsteinblöke und das massige Geröll seines Bettes, während sich zu beiden Seiten die Sandsteinlager terrassenförmig übereinander aufbauten, die hier mit einer, einen halben oder ganzen Fuss hohen Erdschicht bedeckt waren, dort wieder kahl zu Tage traten, und dann mit den eigenlhümlichen weissen Flechten, der Cladonia rangiferina (Rieh.] JVilld.), cocci- nea(Hampe), cocomia (Kampe) und carnea (Ha/npe), mit ihren rothen Fruchlschüs- selchen (Scutellae) über zogen w aren ; dieFlechlen bildeten einen auffallenden Con- trast gegen das saftige Grün der erdbedeckten Terrassen, auf denen Echites angusti- folia (Benth.) Macairea mullinervia (Benth.) und parvifolia ( Benth .), eben so wie üppige Sträucher der Bonnetia sessilis (Benth.), Vaccinium puberu- lum (Klotzsch), Bejaria grandiflora (Humb. Bonp.) und niedliche Bäume der herrlichen Archytaea muttiftora (Benth.) wucherten. Wo die sengenden Strahlen der Sonne nicht den eingesogenen Thau ver- dampft hatten, zeigten sich die Flechten vollkommen schwammig und angeschw'ollen, während sie an andern, sonnenbeschienenen Stellen ganz steif waren und unter un- sern Füssen zerbröckelten. In der Nähe einer verlassenen Hütte verzehrten wir unser kärgliches Frühstück, labten uns an dem kühlen Wasser des Zuappi und sezten, nachdem ich meine botanischen Schätze eingelegt, unsern Weg durch den Zaubergarten fort, in welchem uns bald ein Wald aufnahm, dessen Saum von riesi- gen, 20 — 110 Fuss hohen Ctfeft/s-Säulen förmlich eingefasst war. ZahllosePalmen überragten mit ihren stolzen Wedelkroncn die gewaltigen Laubbäume, deren weit hinreichende Aeslc fast gänzlich mit herabhängenden Cereus und einem bunten Ge- wirrriesiger TiUandsien, Orchideen und Farm bedeckt waren, während unzählbare Schlinggewächse und Lianen, von der Stärke eines Armes bis zu der eines mensch- lichen Körpers, in bizarren und verwirrten Verschlingungen gleich Seilen an den Stämmen einporranktcn, sich vonAst zu Ast schlangen, hier schnurgerade , dort als Ringe oder Schleifen von ihnen herabhingen und den Wald zum Zauberhain machten. Je tiefer wir eindrangen, um so reizender, um so mannigfaltiger wurde BRITISCH -GUI ANA. 219 die Vegetation. Der nächste Augenblick verdrängte schon wieder den Eindruck des vorhergehenden; seinen Culminationspunkt erreichte mein entzücktes Staunen aber, als mir aus einem Gewirr von Gräsern mit baumartigen Halmen, Zingibe- rnceen und Musacecn, die ersten Gruppen baumartiger Farrnkräuter, der feenhaften Cyathea und Alsnphila , entgegentraten. Noch keine Pflanze hatte ein solch eigentümliches Gefühl, einen so liefen Enthusiasmus in mir erweckt; selbst der Anblick der ersten Palmen ,' selbst die heute so unerwartet vor mir auftretende Vegetation mit ihren abweichenden Blutenformen, ihrem unendlichen Farbenreiz nicht! Von dem 16— 18 Fuss hohen Stamm neigten sich die noch lüngern, zierlich fiederspaltig geschlitzten Wedel in gefälligen Bogen bis zur Erde herab und bilde- ten das reizendste Gewölbe; — ein Habitus, der besonders der Cyalhea eigen war, wobei das feenhafte Bogengewölbe von dem leisesten Luftzug in eine graziöse, wogende Bewegung gesetzt wurde. Die Alsophilen zeigten sich als neue Species : Alsophila oblonga (Klotzsch) und Alsnphila gibbosa (Klotzsch). Nachdem wir eine lange Zeit diesen Wald der Wunder auf ziemlich ebenem Terrain durchschritten, nahm plötzlich der Pfad einen entgegengesetzten Charakter an. In steile Schluchten hinab führte er, und von der Sohle aus wieder an solchen empor, wobei kriechende Baumwurzeln und fast undurchdringliche Wald- und Schlingpflanzenfülle uns jeden Schritt streitig machten. Jede Höhe, wenn wir sie erkämpft hatten, wurde von den Indianern mit einem allgemeinen Jubelschrei be- grüsst, wiewohl es zweifelhaft blieb, ob dieser Jubel nicht der Willkommen einer sich zu unsern Füssen neu eröffnenden Schlucht sein sollte. Unendlich tief ging es wieder hinab zu den kleinen Bergflüsschen , die mit ihren kryslallreinen Wellen über den sandigen Boden hineilten, um dann Mühe, Arbeit, Schweiss und das schwere Athmen der keuchenden Brust von neuem beginnen zu lassen. Eben hatten wir wieder die steile Anhöhe einer solchen Schlucht erklommen, da verkündeten uns das hellere Grün und einige verstohlen durch die dichte Belaubung des düstern Wal- des brechende Sonnenstrahlen, dass wir den entgegengesetzten Saum desselben er- reicht; — bevor wir aber aus diesem hcraustreten konnten, mussten wir uns noch durch eine dichte Masse von Farrnkräutern (Mertensia pubescens IVillJ.) brechen, durchschlungen und überzogen von zahllosen Schlingpflanzen , die zu unserer grossen Freude ein ausgebreitetes Cassadafeld umschlossen, das, hatten die Wur- zeln auch ihreReife noch nicht erreicht, uns doch dieNähe einer Niederlassung ver- kündete. Mit erleichtertem Herzen durchschritten wir das üppige Feld, traten auf eine steile Anhöhe hinaus, und lief unter uns im Tliale lagen die friedlichen und willkommenen Hütten der Niederlassung Humcseta. Vor uns inN.N.W. undN.O. thürmten sich wieder malerisch Berge auf; Berge, von denen uns in N. der Apa- mapa und Mnkuripa , westlich dagegen der Pa-Epping (Froschberg) und inN.W. 28* 220 ItEISEN IN der Camarazin und Carhnamparu namhaft gemacht wurden. Ich halte bisher noch nie und habe auch nie wieder ein so reizendes Naturbild gesehen, wie es heute an mir voriibergezogen , wie es sich selbst jetzt wieder vor meinen Augen entfaltete. Organische und anorganische Natur trugen beide gleich viel dazu bei. Den Abhang des Berges, auf dem wir noch standen, deckte der lieblichste Bläken- der. In buntem Gemisch, voll unendlich reizender Abwechselung schien Flora ihre buntesten Farben in Andromeda , Thibandia , Vochijda , Bonnetia, Ternströmia, Archytaea, Gomplna, Bejaria und Clethra in neckender Laune und wilder Ausge- lassenheit über die in horizontalen Lagern geschichteten, pittoresken Sandstein- massen ausgestreut zu haben, die hier freundliche Terrassen, dort mauergleiche Ab- stürze bildeten , welche letzteren wieder von jenem schon früher erwähnten Flech- ten (C/adonia) überzogen wurden. Zwischen tausend duftenden Sobralien und andern Orchideen, so wie dem 6 — 8Fuss hohen Bliithengesträuch ging es nun thalein, über einige kleine Flüsschen hinweg, den Hütten zu, die wir auch bald erreicht halten. Die Niederlassung Humesela zählte 5 Häuser, von denen aber zwei noch im Bau be- griffen waren, und 50rothbemalte Bewohner, die uns blasse Fremdlinge mit unserem wundersamen Gepäck neugierig und überrascht anslaunten. Ehe wir noch das Dorf erreicht, waren uns unsere beiden Indianer entgegengekommen und hatten uns die nichts weniger als frohe Kunde gebracht, dass wir auch hier nur so viel Proviant finden würden, als gerade nölhig sei, um uns vor dem Verhungern zu schützen. Der unselige Krieg, den, gleich dem trojanischen, ein Weib angefacht, hatte Man- gel und Nolli auch in dieses Thal getragen. Die Täuschung war yns durch ihre seit einigen Tagen ununterbrochene Wie- derkehr fast zur Gewohnheit geworden , leider aber wollten unsere murrenden und brummenden Magen sich nicht an den Hunger gewöhnen. Mit mitleidig spöttischem Lächeln blickten unsere Begleiter erst auf ihre abgemagerten Gestalten und die schlotternden Hautfalten, und dann auf das kaum handgrosse Stück Cassadabrod und die paar halbreifen Pisangfrüchte , die jedem von uns bei der Verkeilung des Pro- viants zuficlcn. Soviel aber auch der Magen murren mochte, der Mund schwieg; mit stoischem Gleichmuth halten unsere Begleiter dem stürmischen Andrängen eines mehrtägen Fastens bei mehr als gewöhnlichen Anstrengungen widerstanden ; sic wussten, es lag nicht an uns, und ruhig und willig erfüllten sie die übernommenen, jetzt doppelt schweren Pflichten. Was aber ihr Mund verschwieg, verkündete kla- gend ihre äussere Erscheinung. Würde mir jemand in Deutschland gesagt haben, der Hunger könne einen sonst gesunden, starken Menschen in drei bis vier Tagen zum Skelett machen, ich würde schnell mit einem : Nein ! zur Hand gewesen sein ; — bei dem Indianer Südamerika^ ist dies jedoch nicht nur möglich, sondern auch wirklich der Fall. Schon nach Verlauf des zweiten Tages, seil welchem die gewohnten Ratio- BRITISCH-GUIANA. 221 neu ausgefallen waren , traten an den sonst so fleischigen Körpern die Kippen und übrigen Knochen immer deutlicher hervor, der starke Leib fiel ein, und faltig wie ein fremdes Kleid schlotterte die sonst wohl ausgefüllte Haut des Bauches an ihnen herum. So unglaublich dies auch dünken mag: nachdem sie die ihnen zugefalle'ne Ration verzehrt, denn verzehrt muss alles mit einem Male werden, sollten sie auch die Gewissheit haben , für die nächsten 24 Stunden keinen Bissen mehr über den Mund bringen zu können, — wickelten sie die Hände in diese schlotternde Haut, um uns zu zeigen, wieviel sie noch bedürften, bevor der frühere, behäbige Zustand wieder hergestellt werden könnte! Indess eben so schnell, wie ihre Körperfülle verschwindet, ersetzt sie sich auch wieder. Da uns die beiden noch im Bau begriffenen Hütten nicht beherbergen konnten, schlugen wir unser Bivouak wenigstens in ihrer Nähe, zwischen malerischen Grup- pen baumartiger Farm auf, um die bald die ganze Bevölkerung versammelt war. Zwei unserer Begleiter, Bewohner aus Torong-Yauwise , hatten sich verpflichtet, uns bis hierher zu begleiten. Der überall angetroffene Mangel an Lebensmitteln liess sie zu allem, nur nicht zur weitern Begleitung bereit finden ; den folgenden Morgen wollten sie ihre Rückreise antreten. Die vielen jungen Männer, die wir unter den Bew ohnern von Humesela , so wie das freundliche und gefällige Ent- gegenkommen des Häuptlings liess uns, nachdem uns einige kleine Geschenke sein Herz zugewandt hatten, die Frage an ihn stellen : ob er nicht einige seiner jungen Unterthanen dahin vermögen könne, mit unsern zurückkehrenden Begleitern nach Torong-Yauwise zu gehen, um von dort aus das noch zurückgebliebene Reisege- päck zu holen, — und bald hatte sich die erforderliche Zahl Ti’äger gefunden. Von unsern Farbigen konnten wir keinen entbehren , es konnte sie daher auch keiner zur Wahrung unserer Reichthümer begleiten; ihre Ehrlichkeit aber war uns eine sicherere Garantie, als es irgend eine andere Schutzwache sein konnte. — Nachdem wir unsere Zelte aufgeschlagen, trieb mich die Neugier, mich etwas in den Hütten umzusehen, in denen Armuth und Unreinlichkeit ihre Wohnung aufgeschlagen hatte. Grosse Haufen abgenagter Palmenkerne , körnerloser Maiskolben deckten den Boden der ersten der drei Hütten , in die ich trat. Ausser dem Blaserohr, einigen Bogen und Pfeilen fehlte es selbst an den sonst allgemein gewöhnlichen Waffen fast jeder Indianerhütte; nur eine Menge Haargürtel ( Matupa ) und dichte Bündel noch ungeflochlener , langer, schwarzer Haare, der Lorbeer der Tapfer- keit des kaum beendeten Krieges, zeigten , dass die Bewohner nicht zu den Feigen gehörten; ausserdem fehlte alles, nur der grosse, mit zahlreichen Figuren bemalte Paiwaritrog nicht, der stolz die Mitte der leeren Hütte einnahm. Da alle Bewoh- ner draussen die blassen Gesichter und ihr Gepäck anstaunten , konnte ich ohne irgend welche Störung mich ruhig im Innern umsehen und ging eben um den Trog 222 REISEN IN herum, um mir auch die Figuren der andern Seite anzuschauen, als mich ein mark- durchdringendes Angstgeschrei , das aus einer Hängematte im dunklen Winkel der Hütte erschallte, so aufschreckte, dass ich unbeweglich stehen blieb, und nun in jener eine das innigste Mitleid erregende, ganz nackte, weibliche Gestalt liegen sah, die der Angst, welche mein fremdes Aeussere hervorgerufen, nicht mehr widerstehen konnte. So lange das blasse Gesicht ihr noch fern war, hatte sich die Kranke ruhig verhalten und alle meine Bewegungen beobachtet; als ich mich ihr aber immer mehr und mehr genähert, konnte sie den Hülferuf nicht länger unterdrücken. Unter wildem Aufkreischen suchte das Jammerbild aus der Hänge- matte aufzuspringen, was ihm jedoch seine Kraftlosigkeit wehrte. Der Anblick der Kranken erschreckte mich ebenso, wie der Ausbruch ihres Hülferufs , und mit schnellen Schritten verliess ich die Hütte. Das bisher jeden Abend eingetretene, schauerlich schöne Phänomen wiederholte sich heute in einem Grade, wie es die früheren Abende noch nie der Fall gewesen war. Das Brüllen des Donners , die zuckenden Blitze , die fast ununterbrochen die Ränder der von dem entfesselten Orkan gepeitschten, düsteren Wolkenmassen, so wie unsere ganzen Umgebungen grell erleuchteten, das krachende Gedröhne der vom wüsten Wirbelwinde in der nahen Waldung entwurzelten Riesenbäume , die um und neben sich alles nieder zu schmettern schieneu , während zu dem dumpfem Rauschen der wolkenbruchähnlich herabstürzenden Regenwasser , die Donner- schläge die obligate Begleitung lieferten, — kurz, alles vereinte sich, um uns mit wahrhaftem Entsetzen zu erfüllen. Einen solchen Aufruhr hatte ich noch nie crlebL ! Die Quantität der innerhalb einer Stunde herabgestürzten Wassermasse mochte gegen 4 Zoll betragen. Ungeachtet der zahllosen Blitze schien doch keiner eingeschlagen zu halten , was nach der Versicherung der Indianer auch nur höchst seilen der Fall sein soll. Sollten vielleicht die mit Eleklricilät erfüllten Wolken so hoch über die Oberfläche hinziehen, dass das entbundene Fluidum diese gar nicht erreicht? Freilich müsste man dann annehmen, dass die tiefem Wolkcn- schichten gar kein solches besitzen. Nach Verlauf einer bangen Stunde warf der reinste Sternenhimmel sein mattes Licht über die in tiefer Stille ruhende Umge- hung; nur die von den Zweigen und Blättern herabfallenden Regentropfen und das Krachen eines sich jetzt erst Bahn brechenden Baumes* verkündete, welche Winds- braut durch das enge Bergthal gefegt war. Am Morgen zeigte das Thermometer 63° Fahrenheit , ein Temperatursland , der uns die Zähne klappern machte , und uns zum raschen Vorschreiten aulforderte. Unser Weg lag in einem wellenförmigen Thal, jetzt rein gegen N. Nachdem wir den Fluss Cuino , der von N.W. her dem Zuappi zuströmt, überschritten, ging cs wieder bergan. Der Scheitel war erreicht und vor uns in N.O., in weiter, BRITISCH -GUIANA. 223 dunkelblauer Ferne, erhob sich, gleich einem schwarzen, scharfbegrenzten Riesen- wall, eine dunkle Felsenmasse , die die Indianer mit dem Ausruf : Roraima! Ro- rnima! begrüssten. Kaum aber war die Wiederholung des Grusses verklungen, als auch ein neidischer Wolkenschleier die schwarzen düstern Massen unseres Reise- zieles, ehe ich sie noch recht hatte betrachten können , wieder verbargen. Unser alter Rekannter, der kuppelförmige, mächtige Zabang , den wir während unserer ganzen Reise im Gebirge nur selten aus dem Gesichtskreis verloren hatten, thiirmte sich wieder in stolzer Majestät in Osten über die umlagernden Berge empor, und behauptete auch von dieser Seite sein wohl erworbenes Recht als Olymp. Die uns unmittelbar umgebenden Berge stiegen in mächtigen Terrassen auf, die von Men- schenhänden nicht künstlicher hätten angelegt werden können, und hier und da selbst in den regelmässigsten Bastionen aussprangen , bei deren geometrischer Genauig- keit in der Abdachung und den scharfen correspondirenden Winkeln man sich kaum der Ueberzeugung entschlagen konnte, hier müssten Winkelmass und Loth ange- legt worden sein. Jetzt ging es wieder bergab in ein mit tropischer Vegetationsfülle bestandenes Thal und durch einen dichten Oasenwald mit einzelnen, schönen Urwaldbäumen und noch schönem, baumartigen Farrn; an dessen jenseitigem Saume trafen wir auf eine einzelne Hütte , deren über uns blasse Leute erstaunte Bewohner uns etwas gerösteten Mais vorsetzten. Am Nachmittag führte uns unser Pfad wieder eine Strecke an dem 30 Fuss hohen, mit baumartigen Gräsern und Zingibcraceen be- deckten nördlichen oder linken Ufer des Cuino entlang, das, ungeachtet dieser Höbe, die unzweideutigsten Spuren zeigte, dass es überfluthet gewesen sein musste. An seinem südlichen Ufer erhoben sich die Berge Camarasin und Cari- mamparu. An der Basis des letzteren wand sich der Fluss in vielfachen Krüm- mungen hin. Durch ein Thal mit waldigen Oasen und abwechselnden Savannen, dem sich einige Miles östlich, von S.O. nach N.W., der Berg Apamapo hin zog, schritten wir rüstig bis gegen Abend vorwärts und wollten eben unser Lager an der Basis des Berges Mukuripa , der uns seit heute Morgen die Aussicht nach Norden verhindert, am Saum einer Oase aufschlagen, als wir einen grossen Ameisenbär, das erste Säugethier, das uns seit Torong-Yauwise begegnet war, bemerkten, der ganz harmlos und gemächlich aus dieser heraustrat, nicht ahnend, dass ihn der Tod so schnell ereilen würde. Mit Waldmessern bewaffnet, eilten zwei unserer tüchtig- sten Jäger dem stutzig gewordenen Thiere entgegen, um ihm sowohl den Rückuzg in jene Oase, aus welcher es eben getreten, als auch die Flucht in die vor ihm liegende abzuschneiden , was den leich tfüssigen Indianern, ungeachtet des einge- schlagenen Hundelrabes des Verfolgten, glücklich gelang. Als das geängstigte Thier die Unmöglichkeit der Flucht inne wurde, setzte es sich ruhig auf die Hinlerfüsse 224 REISEN IN nieder, und nahm eine respectable Vertheidigungspositur ein, indem es die ihm nahenden Jäger durch die kräftigen Hiebe des einen Vorderfusses, während es den andern fest auf den Boden stemmte, von sich abzuhalten suchte ; bald aber unterlag es der List der beiden Angreifer, denn indem es der eine vorne beschäftigte, schlich sich der andere im Rücken heran, und spaltete ihm mit einem Hiebe des Wald- messers den Kopf, ein Hieb, der in dem allgemeinen Triumphgeschrei von uns Zu- schauern seine Anerkennung fand. Es war ein Weibchen von seltener Grösse. Seine Länge betrug bei einem Umfang von 2 Fuss, 8 Zoll, mit Einschluss des Schwanzes, 6 Fuss 9 Zoll, dieser selbst aber mass 2 Fuss 7 Zoll; — die runde, spitze Zunge hatte 1 Fuss 4 Zoll Länge. Die Haut des Schwanzes kochten sich die Neger zu Gallerte, ein Gericht, das sie für einen ganz besondern Leckerbissen halten. Der anbrechende Morgen fand uns schon wieder auf dem Wege, und rollte eine ununterbrochene Kette von Mühseligkeiten und Anstrengungen vor uns auf. Nachdem wir den westlichen , terrassenförmigen Abhang des Mukuripa ungefähr 200 Fuss hoch erstiegen, ging es nach einer Stunde wieder in das Thal hinab. Je tiefer die Senkungen und Thäler, um so häufiger wurden auch die Moräste, die von einer Menge% kleiner Berggewässer gespeist wurden, die sich von den Steil- abhängen herabstürzten. Auf dem sumpfigen Boden wucherte Lisyanthus , Scliulte- sia , Rhexia , Spennera , Commelyna, Eriocaulon in üppiger Fülle. Wir über- schritten den Cuino in der Nähe seiner Quelle, die er an dem nördlichen Abhange des Putiparu haben soll, und ruhten eine Zeitlang an seinen Ufern, um neue Kräfte für das Uebersteigen des mächtigen, steilen und kahlen Putiparu zu schöpfen, der uns die Aussicht gegen Norden raubte. Das krystallreine Wasser des freund- lichen Flusses, der von einigen Ma urilia-Vi\\mzn umsäumt war , eilte geschwätzig und lärmend über Kiesel- und Quarzgeröll, zwischen dem sich eine Menge kleiner ab- gerundeter Stücke eines rölhlich-weiss gebänderten Thons befanden, seinem Haupl- fluss zu. So schwer es uns auch wurde, den freundlichen Ruheplatz zu verlassen, so musste das mühsame Klettern doch angetreten werden. Das Aufsteigen begann, aber die im Thal gesammelten Kräfte hatte der Steilabhang bald genug aufgezehrt, und erst nach kurzen Ruhepunkten, konnte der Weg wieder fortgesetzt werden. Bis zur Höhe von 2000 Fuss deckle hier und da noch ein isolirter Strauch einer 2 Fuss hohen, dicken und steifblä Urigen, fremdartigen Composila, die sich bei näherer Un- tersuchung als eine neue Gattung herausstcllte, und Pachydermatophyllurn Schom- burgkii (C. //. Schultz Bip.) benannt wurde, so wie ein graues, starres Gras den Abhang, von da an aber traten die Sandsteinmassen wieder in horizontalen Schichten zu Tage, wo sie sogleich senkrechte Felsenwände bildeten, an denen ich zu unsercrVcrwunderung eine ganze Reihe Bilderschriften entdeckte. Leider war britiscii-goiana. bereits ein grosser Tlieil in Folge der Einwirkung des Regens und der Atmosphäre verwittert. Es waren meistentheils rohe Darstellungen menschlicher Figuren, Kai- mans und Schlangen, wodurch sie wesentlich von den Hieroglyphen des Warapuln- Falles abwichen. Nach der Beschreibung, welche Alexander v. Humboldt, über die von ihm auf dem Granitfelsen des Caycara am Orinoko , und Culimacare am Casi- quiare entdeckten Bilderschriften giebl , mit der die des Hrn. von Martius über die am Flusse Yupura aufgefundenen übereinstimmt, gehörten auch die hier uns ent- gegentretenden Bilderzeichen derselben Zeit, demselben Volke an. Als die Indianer dieselben bemerkten, riefen sie mit gedämpfter Stimme : « Makunaima, Makunnima (Gott, Gott) ! " Die von Martius entdeckte Reihe befindet sich zwischen dem 75° und 7 6° westlicher Länge, einige Minuten südlich vom Aequator, Alexander von Hum- boldt fand die seinen zwischen dem 2° und 3°, 7 0 und 8° nördlicher Breite und dem 68° und 69° westlicher Länge von Paris; nach einer annäherungsweisen astronomi- schen Beobachtung meines Bruders liegen die unsern unter 4° 40' nördlicher Breite, und 61° 3' westlicher Länge von Greenwich. Verbinden wir die Entdeckun- gen der beiden genannten Herrn mit unsern Beobachtungen , so zeigt sich , dass sich diese Hieroglyphen und Sculpturen , soweit sie bis jetzt aufgefunden wor- den sind, über einen Flächenraum von mindestens 12,000 Quadratmeilen (15 Län- gemeilen auf einen Grad) und zwar über die Bassins des Corentyn, Essequibo, Orinoko und einen Theil des Arnazon verbreiten. Mein Bruder fand sie auf seiner ersten Untersuchungsreise des Corentyn an den Felsen Timer i unter 4° 37' N.B., und 57° 45' W.L. ; in der Nähe der grossen Cataracte unter 4° 21' 30" N.B. und 57° 45' 30" W.L. traten sie ihm wieder entgegen. Am Berbice unter 4° 56' N.B. und 58° 9' W.L. hatte er sie ebenfalls gefunden, dasselbe war auf seiner letzten Ex- pedition den Trombetas abwärts, unter 1° 27' N.B. und 56° 41' W.L. der Fall. Ebenso entdeckte er sie am Cuyuwini, der sich unter 2° 16' N.B. in den Es- sequibo ergiesst, und ausserdem auch unter 1° 40' N.B. am obern Essequibo selbst. Auf dem Putiparu treten sie wieder unter 4° 40' N.B. und 61° 3' W.L. und am Kukenam unter 5° N.B. 61° W.L. auf. Nach dieser Uebersicht erstreckt sich der Flächenraum, auf dem wir sie, theils mein Bruder allein, tlieils mit mir zusammen antrafen, von 1° 40' bis 5° 15' N.B. und 56° 41' bis 62° W.L. Verzichte ich auch vollkommen auf die Beurtheilung der vielfachen Hypothesen, die von den namhaftesten Reisenden und Archäologen über diese Ueberbleibsel einer unbekannten Vergangenheit und ihrer Bildungsstufe aufgestellt worden sind, so scheinen sie doch ziemlich laut einen sich seinem Wesen nach gleichen Cultur- zustand der frühem viel zahlreicheren Bevölkerung zu verkündigen. Der Gipfel des Berges befand sich noch mehre hundert Fuss über unserm Stand- ort. Um die Höhe des Putiparu kennen zu lernen, erstieg mein Bruder seinen II. Theil. 29 226 REISEN IN Gipfel und fand diese zu 4000 Fuss über dem Meere. Nachdem wir noch 80 Fuss höher gestiegen waren, zog sich vor uns gegen Norden , tief zu unsern Füssen, das Thal des Kukenam und mehrcr seiner Zuflüsse hin , die gleich silberfarbenen Bändern die lachende Niederung durchzogen, hin und wieder in den dunkeln, isolirten Waldungen verschwanden und an Stellen wieder heraustraten , wo man es am wenigsten erwartet hätte , um pich endlich mit dem Hauptstrom , dem Ku- kenam, zu vereinigen. Weit im N. thürmte sich wieder der düstere Roraima auf, von dem unsere Augen auf einem Steilabfall, in nicht allzu grosser Entfernung vor uns haften blieb , über den sich ein schäumender Strom herabstürzte und sich zwischen den Wipfeln der sich an der Basis ausbreitenden Waldung begrub. Der Ausruf der Indianer : « Rue-hneru , Rue-irneru!« sagte uns , dass es der Fall des Flusses Rue sei. Lange konnten wir uns nicht von dem reizenden Bilde, das sich in dem Tlnile des Kukenam tief unter uns entfaltete, trennen, und doch trieb uns auf der andern Seite wieder die Neugier, so schnell als möglich in die Nähe jenes so imposanten Wasserfalls zu kommen, der schon aus der Ferne so mächtig auf uns gewirkt. Die Eindrücke, welche das grossartige Thal mit seinen Schönheiten auf uns machte, waren mächtig genug, uns zeitweilig Ermüdung und Hunger vergessen zu machen. Soweit wir den Kukenam von unserem Standpunkte verfolgen konnten, kam er vonN.O. und floss dann gegen N.W. An der Seite eines kleinen Bergflüsschens, das seine Quellen auf dem nördlichen Abhange des Putiparu hatte, dem Kukenam zuslrömle , und mit einem dichten , in voller Blüthe stehenden CYws/e« -Gebüsch eingefasst war, ging cs thalein; wir traten in einen Wald voll himmelhoher Bäume und standen bald an den Ufern des Kukenam , dessen Breite und Tiefe uns ein ge- bieterisches «Halt» zuriefen. An ein Durchwaten war nicht zu denken, wie aber unser Gepäck trocken hinüberbringen? Schon war ein Floss in Vorschlag gebracht, als uns die Mittheilung eines der uns begleitenden Arekunas, dass die nicht allzu- ferne Niederlassung Barapang ein Corial besitze, das er mit noch einem der In- dianer holen wolle, von der Ausführung unseres Planes abhielt. Rüstig über- schwammen beide den Fluss und verschwanden im dichten Gebüsch des Waldes. Die übrigen Indianer vergnügten sicli mit Schwimmen, indessen wir ihnen zuschau- ten und unsere ermatteten Glieder durch Buhe in dem dunklen Schatten des Wal- des stärkten. Nach Verlauf einer Stunde waren die beiden kräftigen Ruderer mit dem kleinen Corial an unserer Seite, und nach drei Stunden konnten wir unsern Weg auf dem jenseitigen Ufer forlsetzen , der uns bald in die offene Savanne führte, worauf wir die Anhöhe bestiegen, von der sich der Rue in die Tiefe hinabstürzt. Sechs bis acht Miles gegen N.O. wälzt sich der Kukenam über denselben Steilab- hang hinab, und bildet den grossen Fall Mariam-aru. Auf dem Tafelland der ÜRITISCH-GUIANA. 227 Anhöhe lag die Niederlassung Barapang , die aus einer grossen Hütte bestand. Noch ehe wir diese erreichten, sah ich nah an unserem Pfade auf einem Felsen- blocke eine grosse schwärzliche Tigerkatze ( Felis Y aguarundi) sitzen. Kaum hundert Schritte von ihr entfernt, standen sämmtlichc Bewohner des Dorfes ver- sammelt, weshalb ich natürlich das seltene Thier für gezähmt und zur Niederlas- sung gehörig hielt und mich dadurch von dem tödtlichen Schüsse zurückhalten liess. Als ich mich dem mich klug anschauenden Thiere bis auf 50 Schritt genähert, ver- liess es seinen Standort, und eilte einem nahen Gebüsch zu. Meine Vermuthung war falsch ; die Hacca-arowa , wie die Arawaaks diese Katze nennen, gehörte nicht dem Dorfe, sondern dem Walde an. Alles spätere Suchen mit den Hunden blieb erfolglos. Die 21 Bewohnerder grossen, oblongen Hütte, deren hohes Dach auf starken Lehmwänden ruhte, liiessen uns freundlich willkommen. Nicht so die grosse Zahl Hunde, die uns unter wüthendem Bellen und Heulen empfingen, und nur mit der grössten Anstrengung der Weiber auf Augenblicke beschwichtigt wer- den konnten. Es ist merkwürdig, dass die Hunde gegen die Europäer eine so be- sondere Abneigung zeigen. In Folge dieser würde es von dem Reisenden ein ge- wagtes Unternehmen sein, sich einer Indianerhiilte zu nähern, die von Hunden bewacht wird. Mit unsern braunen Begleitern, die die Niederlassung wie wir zum erstenmal besuchten, befreundeten sie sich augenblicklich. Dieselbe Abneigung oder Furcht zeigen auch die übrigen zahmen Thiere einer indianischen Haushal- tung vor den Weissen. Einige Yams, unreife Bananen und das Versprechen, einen Boten nach der nächsten Niederlassung zu schicken, um die Bewohner der- selben zu vermögen, uns ebenfalls einen Theil ihres geringen Vorraths zu schicken, waren die ganze Ausbeute, die wir für unsere stürmischfordernden Magen erhal- ten konnten. So reizend sich auch zu unsern Füssen das Thal des Hukenam aus- breitete, mit dem sich etwa OMiles weiter westlich der IV airing verband, um dann vereint mit diesem gegen N.W. dem Yuruani zuzufliessen, worauf dieser den Na- men Caroni erhält und als solcher dem Orinoko zuströmt, so konnte doch dieses und das freundliche Bergpanorama den drängenden Mahner nicht zum Stillschwei- gen bringen. Zu dem Besuch des grossen Falles war es heule schon zu spät. Un- sere Begleiter suchten sich ihre Schlafstellen im Innern der Hütte, wir dagegen schlu- gen unsere kleinen Zelte ausserhalb derselben auf; doch fanden wir hier eben so wenig Ruhe, dader unter unsern Indianern befindliche Ff«? sich fast die ganze Nacht bemüh- te, den fieberkranken Häuptling der Niederlassung von seiner Krankheit zu befreien. Geschüttelt von fröstelndem Schauer wachten wir am Morgen auf und fanden, dass das Thermometer noch nicht ganz 00° Fahrenheit zeigte. Wir befanden uns 5230 Fuss über dem Meere. Das gespannte Interesse für das uns erwartende grossartige Schauspiel und der Frost trieben uns eilend zu dem Abhang hinab und 20* 228 REISEN IN dem Kessel des Naturwunders zu, dessen dumpfes Brausen uns schon aus dem Tliale entgegenschallte. Der Weg war zauberhaft schön, die Luft von den lieb- lichsten Wohlgerüchen erfüllt. Zwischen Thibaudia, Andromeda, Ternströmia, Bejaria , Vaccinium , herrlichen Sobra/ien, Cattleyas , Epidendrüm übersäet mit rosa Blüthen, vereinzelten Bäumen der Ladenbergia Roraimae und Ladcnbergia Schomburgkii erreichten wir einen sich an der Basis des Steilabfalls hinziehenden Wald. Mit jedem Schritt vorwärts stieg auch das wilde Getöse der zerschellenden Wassermasse, bis wir unerwartet auf das terrassenförmig abwärts steigende Lager eines dunkelrothen Jaspis traten, von dem wir durch das saftige Grün der Bäume und Gesträuche das entfesselte Element in Myriaden von Schaumflocken aufgelöst, ungefähr hundert Fuss unter uns hindurch schimmern sahen. Die Steilabfälle der Jaspisschichten lagen bald hinter uns, und vor uns öffnete sich eine Felsenschlucht, und die Basis eines der mächtigsten und pittoreskesten Wasserfälle Guina's war er- reicht. Leber eine 120 Fuss hohe, vollkommen perpendiculäre Jaspismauer stürzt sich die bereits in der Mitte ihrer Höhe halb in Schaum und Dunst aufgelöste Was- sermasse auf ein breites Jaspislager hinab , um nach diesem ersten gewaltigen Sturze noch 16 Cascaden von 4 — 40 Fuss perpendiculärer Höhe und 1 — 8 Fuss Breite zu bilden und sich dann unmittelbar an der Basis der letzten Cascade, nach* dem sie sich überhaupt eine Höhe von 220 Fuss nieder gestürzt, mit dem Kukenam zu vereinigen. Stumm vor Staunen, gefesselt von der schauerlich imposanten Na- lurscene schauten wir in das wilde Getriebe der sich einander bekämpfenden Wo- genmassen hinein, die in ihrem sinnbetäubenden, dumpfen Gedonner jeden andern Ton verschlangen. Nicht ohne Schwierigkeit brachen wir uns durch die maucr- gleiche und von dem Luftdruck in wilde Bewegung gesezte Vegetation, welche die auf ihr sich absetzenden Schaumflocken in gewaltigen Regenschauern auf unsuieder- fallenliess, nach der Basis des grossen Falles, von der wir zu der weissblauen Wo- genmasse hinauf und auf die zauberisch schöne Cascadenreihe hinabschauten, deren kryslallhelle Wassermasse, tingirt von den dunkelbraun, rolh und rosa gefärbten Jaspislagern in den verschiedensten Farbennuancen zwischen einer Vegetalionsfülle, wie sie nur ein tropisches Klima und eine ewig leuchte Atmosphäre entfallen kann, dem ruhigen Bette des Kukenam zuwälzte. Moose, Flechten, Farm deckten die gigantischen verwitternden Gneislriimmcr, die an der Basis herumlagen, überzogen Sandsleinschichten, welche hier und da zu Tage traten, mit einem grünen, schwel- lenden Polster, indessen sich rankende Aroidecn , Monstern carmaejo/ia (Schott), Anlhurium gracile (Lind/.) und andere Schlingpflanzen , gleich hingestreulcn Guirlanden über dasselbe hinzogen, und die schönsten baumartigen Farrn zwischen den mächtigen Blöcken aufschosscn , und der Schatten ihrer bewegten Wedel gleich Elfen und Feen über den grünen Teppich tanzte. Selbst die Spalten der Fall des Rue-imeru. UBITISCH-GUIANA. 900 1/ glatten Jaspismassen waren nicht ohne lebende Bekleidung. Kleine üppig wuchernde Farrn, Jungermannicn , welche letztere in mehr oder minder dichte Rasen an der rothen Wand anklebten, ein neues herrliches wohlriechendes Cypripedium , Cypripedium S eh o m b urgkia n um (Rlotszch et Reich/).) und die niedliche Ange- la nia suHcariaefolia (Hnmb. Bonp.) hatten in den Spalten ihren Standort genom- men. Die mauergleiche Vegetation, die sich an beiden Seiten erhob, bestand aus Qualea rosca (Alibi.), Kielmeyera angustifolia , Goinphia , Vochysia , weiss blühenden Psidium- und Laurus- Arten, über die sich stolze, schlanke, vom Luft- druck hin und her bewegte Euterpen erhoben. Auf dem Wege nach dem Scheitel fand ich im dichten Wald die Rapalea Frülerici Augusti (Schomb.). Durch riesige Cyperaceen, namentlich Diplasia karataejolia (Rieh.) und Cyperus ferax (Rieh.) mit seinen bromelienartigen, scharfen, 5 — C) Fuss langen Blättern, TU- landsia bromeliaefolia , die aus den Stämmen der Bäume hervorzusprossen schien, ging es jetzt diesem Standpunkt zu, von dem wir mit einem Blick das gran- diose Schauspiel überschauen konnten. Der Fluss Rue kommt aus Norden dem schauerlichen Absturz in einem 30 — 40 Fuss breiten Belte entgegen. Das Auge lange auf der schäumenden und strudelnden Wassermasse haften zu lassen, war mir wenigstens unmöglich, tausend und aber tausend siechende und hämisch lachende Augen tauchten aus den donnernden Wogen auf, die Bäume verliessen die Stelle, die sie gross gezogen, die Luft wurde zum wogenden Meere, aus dem zahllose Blitze mir entgegenflammten, noch einen Augenblick und der sinnbeläubende Schwin- del hätte mich in die entfesselte Masse hinabgezogen! Der Fall und die Verei- nigung des Rue mit dem Iiukenam liegt unter 4°43'4"N. B. und 61° 5' W.L. Entzückt von dem Gesehenen kehrten wir durch den herrlichen zauberhaften Blumengarten nach Bnrapang zurück, auf welchem Wege namentlich die Menge schöner Ladcnbergien unser Interesse auf sich zogen. Auf dem Humirida- Gebirge in einer Meereshöhe von 3090 Fuss war sie mir oft als Strauch begegnet, hier in einer Höhe von 3230 Fuss, trat mir die Ladenberg ia Schomburgkii und Rorairnae nur als Baum entgegen. Leber keine Pflanzenfamilie möchte wohl eine gleich reichhaltige Literatur exisliren, als über die der Cinc honen , und doch lässt dieKenntniss ihrer geographi- schen Verbreitung in Amerika noch vieles zu wünschen übrig, da jede neuere Reise immer auch neue Entdeckungen zu den früheren gefügt hat. So vielfach man auch versucht hat, die Entdeckung ihrer Wirkung diesem oder jenem zufälli- gen Zustand zuzuschreiben, so möchten die dafür angeführten Beweise doch alle in das Reich der Sagen zu stellen sein, die immer jede wichtige Entdeckung zu ihrem Geleite gehabt. Nach Gcoffroy soll ein mit dem Fieber behafteter Indianer aus einem Pfuhl getrunken haben , in den mehre Fieberrindenbäume hineingefallen 230 REISEIS IN waren, und dadurch von seiner Krankheit befreit worden sein; nach La Condamine, obschon er seihst an der Wahrheit der Behauptung zweifelt, waren es die Pumas , die den Menschen darauf hinwiesen, indem sie bei den jährlichen Fieberanfällen, denen diese Thiergattung ausgesetzt sei, sich durch das Fressen der Rinde von dieser Krankheit befreien sollten, und was dergleichen mehr. Aus all den sich wider- streitenden Angaben der ältesten Schriftsteller, von denen der eine behauptet, die Eingebornen hätten die heilsamen Wirkungen bereits vor Ankunft der Spanier ge- kannt und sie bei ihren Fieberkrankheiten angewandt, während der andere wieder dieses leugnet, ja La Cosndamune sowohl die letztere Behauptung vertheidigt , als auch die erstere bekräftigt, hat sich durch die Erfahrung neuerer Reisenden , na- mentlich durch Alexander von Humboldt*) soviel herausgestellt, dass wir die Ent- deckung dieses wirksamen Mittels den Europäern, nicht den Eingebornen Ameri- ka's zu danken haben. So unbekannt, wie unser grosser Reisender sie mit den Wirkungen der Rinde fand, so hatte auch mein Bruder die Eingebornen Guiana’s während seiner ersten Reise gefunden, eben so fanden wir jetzt noch die Architnas und Macusis , die mitten unter diesen Bäumen lebten und von den Fiebern eben- falls heimgesucht wurden. Ich habe diese wenigen Worte nur in der Absicht bei- gefügt, um zu dem schon Bewiesenen auch unsere gemachten Erfahrungen mit hinzuzufügen. Wir gaben fieberkranken Indianern Chinin, erwarben uns dadurch ihren unverlöschlichen Dank, während wenige Schritte von ihrem Krankenlager der Quell des Heilmittels in üppiger Fülle gedieh. Bei unserer Rückkehr nach Barapang fanden wir mehre Indianer aus den nächsten Niederlassungen, die uns in Folge des unseligen Krieges leider auch weiter nichts als wenige Pisang- und ßananenbüschel hatten bringen können, und unser heutiges Mittagsmahl bestand abermals aus einem gar spärlichen Gerichte ge- rösteten Pisangs. Das ruhige Ergeben in unser Schicksal sollte aber am Nachmit- tag seine Belohnung finden , wo uns ein neuer Trupp Fremder nicht nur einige frische Cassadakuchen , sondern auch zwei Hühner brachte, welche ersleren wir unter unsere täglich mehr und mehr zum Skelett herabgekommenen Begleiter ver- t heilten, während wir die letzteren, welche die Indiancrselbst in noch peinigendercr Hungersnoth nicht essen würden, für uns in Anspruch nahmen. Hatten bisher auch alle Hoffnungen, welche die sich seit Torong-Yauwisc anschliessenden Indianer in Bezug auf die nächsten Niederlassungen gehegt, getrogen, so folgten uns doch am andern Morgen mehre Indianer aus Barapang , ungeachtet sie recht gut wussten, dass wir am Roraima eben so wenig Nahrungsmittel finden würden. Die Neugier war aber stärker als dieses Bewusstsein. ) Vergl. Alexander von Humboldt: über die China-Wälder, licilincr Magazin |>ag. 5t). BRITISCII-GUIANA. 231 Unser Weg lag gegen Nord bei Ost, und wir erreichten, nach einem Marsch von einer Stunde den Fluss Rite der aus Nord bei West kam. Nachdem wir ihn mit Leichtigkeit durchkreuzt, und seine, mit einer reichen Vegetation besäumten Ufer, unter der besonders ein Baum Peridium ferrugineum (Schott.), in Folge seiner eigentümlichen Bliithenhüllen unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, wandten wir uns gegen den westlichen Abhang des Zuaptipu-Gebirges, das wir bald bestiegen. Auf und in den abwechselnden Erhebungen und Vertiefungen traten uns hier und da wieder einige kleine, vereinzelte Sträucher der Byrsonima und Melastomn ent- gegen. Die Höhen waren durchgehend mit Sandstein und Quarzfragmenten über- deckt, zwischen denen sich auch einzelne Fragmente eines hornsteinartigen Ge- steins, das vielleicht später veränderter Polirschiefer sein dürfte, und eigentüm- liche kieselige Thon-Concretionen befanden , die in ihrer Bildung ganz mit den sogenannten Blitzröhren übereinstimmten, und oft 6 — 8 Zoll Länge hatten. Am meisten aber fielen mir grosse Blöcke von körnigem Sandstein mit einem weissen Bindemittel auf, das ich für Kreide halten musste. Eine solche geognostisehe Mannigfaltigkeit auf einem so kleinen Baume war uns bisher noch nicht vorgekommen. Der Weg führte uns theils auf der Scheitel- höhe des östlichen Abhangs, theils an diesem selbst hin, wobei wir fortwährend die reizendste Aussicht über das sich von N. nach S. hinziehende Thal des Kukenam genossen, mit dem sieh aus N.O. her das Thal des Avaparu verband. Einige Niederlassungen, die aber nach Aussage unserer Indianer von ihren Bewohnern verlassen waren, lehnten sich friedlich an den dichten Vegetationsgürtel des Kuke- nam an, und bildeten eine malerische Unterbrechung in deriieblichen, aber einsamen Thalscenerie. Kein Mensch, kein Säugethier, kein Vogel unterbrach den tiefen Frieden, die öde Stille, die sich über das Thal ausgebreitet. Da wo sich der Fluss der Sohle der Kette näherte, verschwanden die schattigen Laubbäume, und ein dichtes Gewirr von wildem Bambus, baumartigen Gräsern und Zingiberacecn nahm ihre Stelle ein. Jetzt hatten wir den höchsten Punkt der Kette erreicht, und den uns bisher verdeckten Norden begrenzte wieder das nun immer näher tretende Roraima-Gebirge, dessen rölh liehe, düstere Färbung wir jetzt schon unterscheiden konnten. Ihm zur Seite erhob sich eine gleich mauerähnliche Gebirgsmasse, die mir die Indianer als den Berg Kukenam , den Quellpunkt des Flusses Kukcnam, be- zeichneten. Unser alter Begleiter, der Zabang, begrüsste uns ausS.O. über unzäh- lige Berggipfel herüber. Die neidischen Wolken erlaubten uns auch diesmal wieder nur einige Augenblicke die ungestörte Aussicht auf das imposante geologische Naturwunder, in dem ich von hieraus den Königsstein, in dem Kukenam aber den Lilienstein zu begrüssen glaubte. Indem wir in einer mehr westlichen Richtung der höchsten Erhebung des Gebirges folgten, kamen wir an einer einsamen Hütte 232 REISEN IN vorüber, in der wir vergebens nacli ihren Bewohnern suchten. Tief unten im Thal des nördlichen Abhangs, nahe dem westlichen Ufer des Kukenam , bemerkten wir abermals eine Hütte, vor welcher eine Menge Indianer versammelt standen, die uns schon bemerkt haben mussten, wie w ir aus dem unruhigen Treiben schliessen konnten, das sich plötzlich unter ihnen entwickelte. Um ihnen die aus unserem unerwarteten Erscheinen erwachte Furcht zu benehmen und sie von einer übereil- ten Flucht abzuhallen, sandten wir zwei Avekunas voraus, die sie mit unsern friedlichen Absichten bekannt machen sollten. In einer tiefen Schlucht, die bis zur Hälfte der Berghöhe mit dichten Bäumen bestanden war, erreichten wir die Ebene und vor uns lag die Hütte, vor welcher uns die beruhigten Bewohner und in der uns, o Jubel! eine Menge frischer Cassadakuchen, Töpfe gefüllt mit Pfeflerbrühe und Jacus ( Penelope ) erwarteten. Es lachte uns ein Mahl, wie ich noch keines gehal- ten. Erst nachdem unser schrecklicher Hunger gestillt war, sah ich mir auch die rolh gemalten Indianer an, die uns verwundert umstanden. Ausser den Stückchen bemalten Bambusrohr , welche sie in Nase, Ohren und Unterlippe trugen, hatten sich besonders die kleinen Knaben mit Stückchen eines fast goldgelben Felles ge- schmückt, das einer Affenart angehört zu haben schien, welche Vermuthung sich auch bestätigte. Auf unsere Frage, von welchem Thiere das Fell gewannen sei, wurde uns zur Antwort: von einem Affen, den sie Araula nannten. Mit dieser Bezeichnung war uns freilich noch wenig geholfen, da uns der Araula ebenso unbekannt war. Später ergab sich, dass er der Gattung Mycetes angehört, der sich aber durch seine goldgelbe Färbung wesentlich von dem Myceles seniculus, wie ich denselben an der Küste gefunden, unterscheidet. Als die Vorräthe aufgezehrt waren, fanden sich mehre der männlichen Be- wohner bewogen, mit ihren Blaseröhren nach dem nahen Wald zu eilen, um die Töpfe mit neuem Wildpret zu füllen, was ihnen auch glückte, wie sich bei ihrer Rückkehr zeigte. Unter den Arckunas scheint das ßlaserohr die allgemeine und besonders beliebte Waffe zu sein ; nur selten sah ich sie mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gehen. Da die Hütte nicht alle Indianer fassen konnte, eilten die Ausgeschlossenen nach dem nahen Walde, um hier ihre Hängematten zu schlingen, während wir un- sere Zeltdächer in der Nähe der Hülle aufschlagen Hessen. Eine kleine Strecke oberhalb unserer Zelle vereinigte sich der Araparu mit dem Iiukenam , dessen Ufer mit mehren mir noch unbekannten Pflanzenformen bestanden waren, unter denen sich besonders grosse Bäume der Clusia insignis mit ihren grossen, wachs- ähnlichen, weiss mit rosa tingirten Bliithen und eine neue Species Peridium , Peri- dium bicolor ( Klotz sch) auszeichnete. Die Nacht war ungemein kalt; am Morgen gegen G Uhr zeigte das Thermo- BRITISCH- GUIANA. 233 meter 6 2° Fahrenh., eine Temperatur, die uns und unsern Macusis ungemein em- pfindlich war. Hatte die Bewohner der früheren Niederlassungen der drückende Mangel und die Hoffnung auf seine Abhülfe bei den Stammverwandten anderer Dörfer bewogen, sich unserer Gesellschaft anzuschliessen , so fiel hier dieser Beweggrund weg, dessen ungeachtet aber folgten uns bei unserem 'Aufbruche sämmtliche Bewohner, nachdem sie die Hütte mit einer aus Palmenwedeln verfer- tigten Thür verschlossen hatten. Unsere Reihe verlängerte sich dadurch aber- mals wesentlich. Natürlich mussten sich diese Freiwilligen selbst verproviantiren. Durch waldige Oasen mit geschwätzigen Flüsschen, über Hügel, auf denen wieder grosse Massen des schon früher gefundenen Casealho-Conglomerates zu Tage tra- ten, wandten wir uns gegen W., wozu uns ein Berg zwang, dem wir,’ um ihn nicht übersteigen zu müssen, an seiner Basis folgten. Ausser den Cascalho-Con- glomeraten fanden wir zu unserer Verwundrung an den Abhängen auch wieder jene, von Eisenoxyd schwarz und rothbraun gefärbten, glänzenden Thon-Concretionen und Quarzstücke, die uns namentlich an den Ufern des Rupununi und Takutu in so ungeheuren Massen aufgestosseu waren. Dort betrug die absolute Höhe des Terrains, wo wir sie fanden, 3 — 400, hier dagegen 3200 Fuss über dem Meere. Als wir aus einer der Oasen herausgetreten, überraschte uns ein interessantes Landschaftsbild. Vor uns in W. erhob sich eine nur mit spärlicher Vegetation be- kleidete Bergkette von 600 — 800 Fuss Höhe, über die sich ein breites, silberfar- benes Band legte, dessen eines Ende in dem sich an der Basis hinziehenden Walde verschwand. Es war ein kleines Flüsschen, das sich in unzähligen Fällen und Casca- den den Abhang herabstürzte. Jetzt wandten wir uns wieder genN. und bald hatten wir von neuem dasThal des Kukenarn erreicht, mit dem sich hier ausser dem Warn- rite , noch mehre andere Zuströme vereinigten, die die Wasser aus der etwa 700 F uss nordwestlich sich über die Savanne erhebenden !V< iramatipn- und der mehr nörd- lichen Eramatnru-lieAlc ergossen. In der Nähe des IVarnrite trafen wir auf einejener thurmähnlichen Hütten mitstarken Lehmwänden, die besonders dem Stamme der Ma- e//s?seis;enthümlich sind. Der mit einer Thür aus Palmenwedeln versetzte Eiiman»- o O ö verkündete, dass auch ihre Bewohner abwesend waren. Nachdem wir seinem rechten oder westlichen Ufer einige Miles gefolgt und einen bequemen Uebergang gefunden, durchkreuzten wir den Fluss und betraten abermals eine dichte Wald- oase, in der die Guttiferen , namentlich die Gattung Clnsia , die vorherrschende Vegetationsform bildeten. Ich sammelte Clusiu insignis (Marl.), rosen (St. HU.), bicolor (Mart.), lepranthn (Marl.), macrocarpa ( Spr .), microcarpa (Spr.) und nemorosa(Mey.). Einige dieser Spec. traten selbst als Parasiten auf andern Bäumen auf; besonders häufig war dies bei der prächtigen CI. insignis der Fall. Noch mehr staunte ich über die un gemein glänzende Blüthenfülle der Dimorphandra rnacro- II. Th eil. 30 2.34 REISEN IN stachya (Benth .), die sich als majestätisch riesiger Baum über die Waldung erhob. Auf dem Rücken einer wellenförmigen Hügelkette ging es rasch gegen N.O. vor, bis wir uns wieder deniThal des Kukenam gcnäherjt, und unter uns an seinem westlichen Ufer zwei im Bau begriffene, domförmige Hütten und um diese eine Menge rolhge- färbter Indianer in festlichem Schmucke versammelt sahen, zu denen wir hinabstie- gen. Der Häuptling, ein alter, würdiger Mann, in einem vor Schmutz starrendem Hemde, den Kopf mit einem alten, verdrückten, aller Haare entblössten und da- durch rothgelb gewordenen Hute bedeckt, sass auf einem Sessel, umgeben von den Aeltesten der Niederlassung, ebenfalls mit Fragmenten von einst weiss gewesenen Hemden bekleidet, die nun als Fetzen über die rothgefärbten Glieder herabhingen, staunte uns eine Zeillang schweigend an und begann dann mit einer nicht enden wollenden Rede. Als der Redefluss endlich versiecht war, erhob er sich, um jeden von uns Europäern die Hand zu reichen , worin ihm seine Untergebenen vom ältesten Manne, der ältesten Frau, bis zum kleinsten Knaben und Mädchen unter dem Ausruf: » B'akong- baimong (guten Tag)" nachfolgten. Ein solch zuthulicher und herzlicher Willkommen war uns bisher noch nie von dem schönen Geschleehte geworden, und musste uns um so mehr auflallen, da auch sie noch keine Europäer gesehen. Männer und Frauen zeichneten sich nicht allein durch ihre schönen Kör- performen, sondern auch durch ihre regelmässige Gesichtsbildung, und viele unter ihnen durch wundervolles, langes, schwarzes Lockenhaar aus. Wie die übrigen Arekunas trugen auch hier die Männer Bambusstücken in dem Septum der Nase, den Lippen und Ohren, während das Gesicht der Frauen ungemein stark lältowirt war, was der angenehmen Gesichlsbildung viel Eintrag that. Nachdem die Bcgrüssungsceremonien beendet waren, beeilten sich die Mädchen und Frauen, uns frisch gebacknes Cassadabrod, Pfeflerbriihc, Paiwari, ja sogar ein unserem Grünkohl ähnliches Gemüse aus den Endsprossen der Manihot vorzu- setzen, dessen erstes Kosten uns aber alle fernere Zusprache verleidete, da wir in Folge des starken Zusatzes von Capsicum, nicht anders glaubten, als höllisches Feuer verschluckt zu haben. Ein Blick des Häuptlings schien uns Europäern seine Frau und Töchter zu dienstbaren Geistern bestimmt zu haben , da diese uns nicht von der Seite wichen, und alles Essbare vor uns niedersetzten, was die Hülle bol, worunter sich auch mehre kleinere, mit Haut und Haar geräucherte Säugclhicrc befanden, die aber wegen ihrer Aohnlichkcit mit Ratten uns von dem Versuche des Kostens abschreckten; sie nannten sie Atvh. Es war ein interessantes Bild, mehr als hundert ausgehungerte Menschen in einer Menge kleiner Gruppen um die nur für Augenblicke gefüllt bleibenden Schüsseln hocken, und das \ erlangen des Magens auf indianische Weise befriedigen zu sehen, ein Genuss, der lange Zeit versa"! gewesen war. n O BRITISCII-GUIANA. 235 VII. Our Villuge. Sitten und Gebräuche der Arekunas. Metereologische Beobachtungen. Flora und Fauna der Umgebungen. Gebirgsformation. Serekongs. Besteigung des Roraima. Wirkung des Bisses der Grubenotter. Quellen des Kukenam, Cotinga, Yuruani, Araparu; Cako, Cama, Apauwanga. Flora des Roraima-Gebirges. Leiothamnus Elisabetbae. En- cbolirium Augustae. Metereologische Beobachtungen. Rückkehr nach Our Village. Die Arekunas waren eben im Begriff, in der waldigen Oase , die sich an dem westlichen Ufer des Kukenam entlang zieht, ein grosses Manihot- Feld anzulegen, und die beiden domförmigen Hätten zu ihrer hier beabsichtigten Niederlassung auf- zurichten. Ihr eigentlicher Wohnort , Canaupang , lag an der Basis des Berges gleiches Namens , einige Miles weiter westlich von hier. Ein kleineres Provisions- feld , das sie schon früher urbar gemacht, und mit Manihot und Yams bepflanzt hatten , bewies zur Genüge , welch fruchtbaren Boden die Gewächse gefunden ; beide waren ihrer Reife nahe. Auch hier war der unselige Krieg Ursache der Verlegung der Niederlassung, indem eine Parthie Arekunas aus dem nahen Dorfe Arawayang , die Bewohner Canaupang' s bei Nacht Überfällen und mehre derselben getödtet hatte. Das freundliche Thal des Kukenam, so wie der herzliche Willkom- men, den wir unter den Leuten gefunden, liess uns schnell den Entschluss lassen, während unseres Aufenthaltes in der Nähe des Roraima, der nur noch einige Miles nordnordöstlich in seiner ganzen Grösse vor uns lag, unser Haupt- quartier hier aufzuschlagen , und uns zu diesem Zwecke einige Hütten zu bauen. Es war ein malerischer Punkt, den wir uns zum Aufenthalt gewählt. Am linken Ufer des Kukenam, der sich hier über und zwischen einer Menge von Jaspis- und Quarzblöcken hinwand, erhob sich, von allem Gebüsch und Bäumen enlblösst, der 30* 236 REISEN IN Berg Savannah, in N.N.O. die rothen, fast fortwährend in dichte Wolkenmassen eingehüllten Wälle des Roraima und Kukenam , in Westen der vereinzelte Era- maturu , in S. zog sich die wellenförmige Erhöhung hin, die wir am Morgen über- schritten. Bei Einbruch des Abends erneute sich das schon mehrfach erwähnte, schauerlich schöne Naturphänomen ; da aber das von dem Eramaturu herabrollende W asser seinen Weg gerade durch unser Zelt nahm, sahen wir uns veranlasst, unsern Bau schon am nächsten Morgen zu beginnen , wobei uns alle Hände die thätigste Hülfe leisteten. Der Grundriss zu unserm Palais war bald entworfen und auf dem Boden abgesteckt. Die nahe Oase lieferte uns hinlängliches Baumaterial, Pfeiler zum Gerüst, Sparren zum Dachsluhl , Palmenwedel zur Bedachung und Bekleidung der Wände, Lianen zum Zusammenbinden der einzelnen Balken und Sparren; — mehr war nicht nöthig, und am Abend standen die zwei Gerüste für die beiden grösseren Häuser schon auf dem geebneten Platze. Ohne Mitleid mussten am folgenden Mor- gen eine unzählige Menge der schönen Marlinezia caryotaefolia , Maximiliana regia und Acrocomia sclerocarpa , die gestern noch ihre stolzen Häupter hoch über die sie umgebenden Laubbäume erhoben hatten , unter den Axthieben der In- dianer fallen, um ihre Wedel zur Bedachung und zur Bekleidung der Seiten zu liefern. Der Sturz dieser Palmen ist stets von einem eigenthümlichen, pfeifenden Getöse begleitet, das von den Wedeln herrührt, sobald diese beim Fall mit Schnel- ligkeit die Luft durchschneidcn. Am drillen Tag konnten wir bereits mit der inne- ren Einrichtung und Ausstattung beginnen. Einige der Zinnkasten waren unsere Stühle, zwei derselben, die zusammengeschoben wurden, der Tisch, zwei stärkere Querbalken die Halter unserer Hängematten, eine erhöhte Balkenlage das Gestell, auf welchem wir unser Gepäck ordneten, damit es nicht von der Feuchtigkeit des Bodens angegriffen werden sollte. Eine Art Repositorium bildete den Zufluchtsort für meine botanischen und andern naturhistorischen Schätze sowohl gegen die Nässe, als auch vor den Angriffen und der Zerstörungswut!) der Insekten, besonders der ih- nen so gefährlichen Ameisen (Atta cephulolhes),&\e mir ihre Gegenwart schon wäh- rend der ersten Nacht schmerzlich genug zu erkennen gegeben hatten, indem ich am Morgen selbst die Pflanzen unter der Presse von ihnen vernichtet fand, und ein grosser Graben um beide Häuser den Abzugskanal für die Gewässer nach Gewiltcr- stiirmrn. So standen am Abend die beiden kleinen Häuser fertig vor uns, und mit ‘nnerm Stolz, mit dem Gefühl der Zufriedenheit und Behaglichkeit schauten wir auf das Werk unserer Hände, in welchem wir heule zum erstenmal unsere müden Glie- der durch den Schlaf stärken sollten. Es war das erste und allem Anschein nach auch letzte Haus, dessen Plan wir nicht allein entworfen, sondern das wir auch selbst thätig von Grund auf mit bauten! — Den vierten Tag begann der Bau einer drillen, vierten, fünften Hülle für unsere Begleiter aus der Colonie, unsere treuen Macu- BRITISCH -GUIANA. 237 s/s und einer sechsten als Küchenhütte, die wie Pilze unter den vielen geschickten Händen aus dem geebneten Boden aufstiegen. « Our Village (Unser Dorf)» , wie wir unsern kleinen Ort tauften, zählte nach fünf Tagen schon 6 Hütten. Nachdem wir den Bau vollendet, zahlten wir unsern ausgehungerten Beglei- tern ihren wohlverdienten Lohn aus , zu dem wir noch einige Geschenke als Zei- chen der Anerkennung ihrer tadellosen Pflichterfüllung fügten, und enlliessen sie in ihre Ileimath ; nur unsere , uns mit Leib und Seele ergebenen Macusis blieben bei uns. Der unausgesetzte Andrang nach den Vorräthen der Arekunas aus Canau- pang , hatte diese freilich bald genug verschwinden lassen ; wir beschlossen daher, dem alten freundlichen Häuptling Kaikurang , der es niemals unterliess , sobald er zu uns in unsere Hütte treten wollte, sein altes, schmutziges Hemde anzuziehen, und den schamroth gewordenen Hut aufzusetzen , den Vorschlag zu machen, ihm ein Stück Provisionsfeld mit reifer Manihot abzukaufen, aus der die Frauen, die uns aus Pirara gefolgt waren, unsern täglichen Brodbedarf bereiten sollten. Das Stück war Gemeindegut , eine zusammengerufene Volksversammlung musste ent- scheiden, und nach kurzer Berathung kehrte Kaikurang mit der einstimmigen Ein- willigung zu uns zurück. Zwei Aexte , ein Waldmesser, als Gemeingut, und einige kleine Geschenke für die Frau und Kinder des Häuptlings waren der Kauf- preis. Leider zeigten schon die folgenden Tage , dass unser Acker sehr bald er- schöpft sein würde, da die Frauen vom frühsten Morgen bis zum Einbruch der Nacht die ihnen übertragene Pflicht erfüllten. Von Canaupang w'ar nichts zu er- warten , da die dortigen Felder ebenfalls erschöpft waren, und es musste nach ent- legener Hülfe ausgeschaut werden, die sich nach der Versicherung Kaiklrangs auch bei den Serekongs, einem Stamme, der das Quellgebiet des Mazarunt bewohnt, finden sollte. Einer der Indianer erbot sich , als Gesandter mit dem Gesuche um Unterstützung dahin zu eilen, obschon die Entfernung so gross war, dass er erst, nachdem die Sonne eilfmal untergegangen, zurückkehren konnte. Einige kleine Geschenke, die wir ihm für den Häuptling der Serekongs mit gaben , sollten die- sen für die Erfüllung unserer Wünsche williger machen. Denselben Tag, wo uns der Bote verlassen, kehrten die Bewohner der grossen thurmähnlichen Hütte, die wir am Wararite getroffen , von ihrer Reise nach dem Mazaruni zurück. Mit dem sichtbarsten Erstaunen starrten sie die während ihrer Abwesenheit erstandenen Hütten und ihre Bewohner an, deren Erscheinen ihnen ganz unerklärlich zu sein schien. Unter den durchgehends mit phantastischen Federbaretls geschmückten, schönen, männlichen Gestalten , befand sich auch ein Mädchen, dessen überraschende Schönheit uns in noch grösseres Staunen versetzte; es war unbestritten die vollendetste weibliche Gestalt , die wir unter den India- 238 REISEN IN nern jemals gesellen. Ihre dunkeln, sprechenden Augen, ihr langes, in natür- lichen Locken über die wollige form teil Schultern herabfallendes, ebcnbolzschwarzes, glänzendes Haar , der bei den Indianern so seltene kleine Mund mit einer tadel- losen Reihe weisser Zähne , die cdelgebogene Nase , die zierlichen und edel- geformten Hände und Füsse machten sie zu einer Schönheit, an der trotz ihres kupferfarbenen Teints selbst der kritischste europäische Kunstrichter keinen Tadel gefunden haben würde. Dass sich aber auch der heirathsfähige Indianer willig vor einer solchen weiblichen Schönheit beugt, dass sich der Sohn des Waldes eben so aufopfernd wie der Europäer vor den Triumphwagen einer solchen Helena spannt, dass eine solche den ihr gezollten Tribut eben so gern entgegennimmt, wie eine Weisse, das bekundete der reiche Perlenschmuck, den Cummiyaure trug. Sie war förmlich mit Perlenschnüren überladen, das sicherste Zeichen, dass sie der stille, dadurch aber nicht minder feurige Wunsch manches Indianerherzens war. Um ihr auch unsere Anerkennung zu bethätigen, reichten wir ihr ebenfalls mehre niedliche Perlenschnürc, was ihr ungemein zu schmeicheln schien, wie wir aus dem freund- lichen, schelmisch dankbaren Lächeln schliessen durften , das uns dafür von ihr zu Thcil wurde, während die düstern Blicke, die uns ihr Vater, eine ebenso voll- endete männliche Gestalt, in der eine gewisse wilde Hoheit lag, die Aufmerksam- keit und Achtung gebot, und einige junge bildschöne Indianer, wahrscheinlich ihre schmachtenden Liebhaber, zuwarfen, deutlich genug verriethen, dass ihnen solche Aufmerksamkeit keineswegs behagte. Der Contrast zwischen den finstern Blicken der Männer und den freudestrahlenden Augen der braunen Grazie, die bald auf den Perlenschnüren, bald auf uns halten blieben, hätte dem geschickten Pinsel Goodall’s einen würdigen Vorwurl zu einem interessanten Charakterbilde geben können, wenn der feurige Maler nicht zu lebhaft mit dem Gegenstand selbst beschäftigt ge- wesen. Aber als er den Vater in iibcrsprudelnder Extase scherzhafter Weise bat, ihm seine Tochter zum Weibe zu geben, sah ihn dieser erst einige Augenblicke finster an , rief dann dem Mädchen einige unverständliche Worte zu, und wie ein gescheuchtes Reh verschwand sie für den ganzen Tag aus unserer Nähe. Den fol- genden Morgen gab ihr Vater, der Häuptling, das Zeichen zum Aufbruch, die schöne Cijmmivaure erschien wieder, lächelte uns freundlicher als die aufgehende Sonne an, nahm lächelnd noch einige Geschenke von uns an, reichtejedem von uns, trotz der finstern Blicke des Vaters, die niedliche kleine Hand zum Abschied, und nickte uns verstohlen noch aus der Ferne mit dem reizenden Lockenkopf ein herz- liches Lebewohl zu. Lange verfolgten wir die malerische Karavane mit unsern Blicken, bis sie endlich hinter der sich im S. erhebenden Anhöhe verschwand. Es war, als sei ein Märchen oder ein schöner Traum an uns vorübergegangen ! — Wir sollten der reizenden Cummiyaure später noch einmal begegnen. BRITISCH-GUIANA. 239 Das interessante Schauspiel, das uns bisher fast in jeder Niederlassung ge- worden, in der wir uns einige Tage aufgehalten, erneuerte sich auch hier: cs ver- ging beinah kein Tag, wo nicht Züge rothgemalter Arekunas über die Berge herab in unserer Colonie angekomnien wären, denen es so wohl bei uns zu gefallen schien, dass sie sich schnell eigene Hütten aufbauten. Nach Verlauf von zwölf Tagen zählte unsere Niederlassung schon sieben Hütten mehr, wodurch freilich fast alle Palmen aus der Oase verschwanden. Die Arekunas sind offenbar ein Bruderstamm der Macusis; Sprache, Sitten und Gewohnheiten stimmen bei beiden ziemlich mit einander überein. Die Ab- weichungen der ersteren sind bloss dialektisch, und in Bezug auf die lezteren fehlt ihnen namentlich ein Charakterzug, der uns die Macusis so lieb und werth ge- macht: die Reinlichkeit. Die üble Gewohnheit, ihren ganzen Körper zu bemalen, und den Tabak nicht allein zu rauchen, sondern auch in ziemlicher Quantität zu kauen, was uns bisher noch bei keinem Stamme vorgekommen war, waren in ihrer naiven Saloperie die beiden Hauptursachen, die ihnen fortwährend ein unge- waschenes Ansehen gaben. Zu letzterm Zwecke wurden die Tabakblätter nicht ge- trocknet, sondern noch in frischem Zustande ganz fein gehackt, und mit einer schwarzen, salpeterhaltigen Erde, die sie in der Savanne sammeln, zu einem Teige geknetet, aus dem sie kleine Kugeln drehen, welche sie dann in den Mund stecken. Der Ueberfluss des Saftes lagert sich fast immer als schmutzige, schwarze Sauce auf den Lippen und um den Mund ab. Die Frauen habe ich diese Masse nie kauen sehen. Ehe noch der Tag graut, verlassen sie die Hängematte, um sich in dem nahen Kukenam zu baden, wonach das Anmalen und Anstreichen des ganzen Kor- kers vorgenommen wird. Fast alle Männer trugen den Haargürtel ( Matupa ) um die Hüften, einige auch einen aus gesponnener Baumwolle verfertigten Gürtel, der viel Aehnlichkeit mit einer Wurst hatte; die Weiber einige Halsbänder aus den Zähnen kleiner Nagethiere. Das Blaserohr schien, wie ich schon erwähnte, ihre Hauptwalfe zu sein. Das Gift tauschen sie von den Macusis ein, denen sie dafür fer- tige Blaseröhre oder auch bloss die Halme der Arundinaria Schomburgkii geben, diesie wieder von den Maionglcongs erhalten. Auch hierreicht die Mutter dem Kinde die Brust bis in dessen drittes, viertes Jahr, und übergiebt, wenn sich unterdessen ein neuer Weltbürger einfinden sollte, den frühem Säugling der Grossmutter, die an dem Enkel die Pflichten der Mutter erfüllt; eine Fähigkeit, die ich oft noch bei den ältesten Indianerinnen wahrgenommen habe. Ihren Häuptlingen gestehen sie jeden- falls eine höhere Autorität und Macht zu, als die Macusis. Alle Befehle Kaiku- rang's erliess dieser in einem ernsten, ja strengen Tone ; ihre Erfüllung folgte augenblicklich nach. Kaikukang sprach jedesmal in der ersten Person des Plurals. Mit der Colonie stehen die Arekunas nur mittelbar in Verbindung, indem sie von REISEN IN 240 den AJcawais , welche die gefährliche Reise , den Cuyuni oder Maxannii hinauf nicht scheuen, um einige kleinere europäische Artikel gegen gesponnene Baumwolle, Hängematten, Hunde und Federschmuck einzutauschen. Da die Gegend arm an Säugethieren und Vögeln ist, und ihre Berggewässer nur kleine, fingerlange Fische aus der Familie der Siluri, namentlich aus der Gattung Hypostoma beherbergen, so sind sie fast nur auf vegetabilische Kost hingewiesen ; dessen ungeachtet hängen sie mit einer Liebe an ihrer Heimath, namentlich an dem Roraima, wie sie früher nur immer ein Schweizer zu seinen Alpen hegen konnte. Alle ihre festlichen Ge- sänge haben den Roraima zum Gegenstand , und wenn wir ihnen von den Schön- heiten Pirara's mit seinen weiten Savannen, den zahlreichen Rinderheerden, den Rehen, den mächtigen Fischen in den Flüssen, dem Ueberlluss an Nahrung er- zählten, dann war und blieb die Antwort: -dort kann es nicht schön sein, es ist kein Roraima da.» Jeden Morgen, jeden Abend, kam Alt und Jung, Kaiku- uang an der Spitze, nach unserm Hause, um uns mit - Rakong baimong (Guten Tag)- oder mit «Saponteng (Gute Nacht)” zu begrüssen, und von uns für kurze Zeit Abschied zu nehmen, wobei sie jedesma die Worte: « Matti Roraima-tau, Ro- raima-tau (da, siehe unsern Roraima)- hinzufiigteu, und das Wort tau sehr lang und feierlich gedehnt aussprachen. Auch unter diesen einfachen, gemiilhlichen Naturmenschen zeigte es sich mir wieder deutlich, dass es ganz auf die Europäer ankommt, was er aus ihnen machen will. Der grösste Theil von ihnen war noch nie, die wenigen Ausnahmen nur ge- legentlich mit Europäern zusammengetrolfen. Herz und Verstand standen noch vollkommen in kindlicher Harmonie. Begegne einem solchen Indianer freundlich, dass er aus deinem Entgegenkommen fühlt, er ist dasselbe Wesen, das er in dir ehrt und achtet, weiche nie einen Strohhalm breit von der Wahrheit ab, lass dir keine Schwächen, denen er sich unterworfen fühlt, zu Schulden kommen, sei con- sequent in allem, was du thust, slosse sein freundliches Entgegenkommen, so schwer cs dir auch in manchen Fällen werden mag, nicht durch Härte, oder falschen Stolz zurück , theile seine unschuldigen Freuden und zeige, dass du Gefühl für seine Schmerzen, seinen Kummer hast, und wahrlich, du wirst dich wohlcr unter ihnen fühlen, als in den äusserlich glcissenden Assemblee’s des gesitteten Europa’s ; denn Sittlichkeit und Tugend braucht ihnen nicht von dem civilisirten Europa ge- bracht zu werden, das Gefühl für diese ist bei ihnen zarterer Natur, als bei uns ! Wie uns eine der fremden Indianerparthicn die grösste weibliche Schönheit entgegen geführt, so brachte uns eine andre den schönsten Knaben. Tamanua war das vollendete Modell kindlicher Grazie , kindlichen Liebreizes. Der Vater desselben kam aus dem zwei Tagereisen entfernten Dorfe Carakilta und liess sich bei uns nieder; der Sohn wurde unser aller Liebling. Ungeachtet des etwas mäd- BRITISCH -fiUIANA. 241 cheuhaften Ausdrucks der milden Augen , der durch das lange , schöngelockte, schwarze Haar noch vermehrt wurde, war Tamanua doch bereits ein guter Schütze mit dem Blaserohr , der mir täglich eine Menge kleiner Vögel, als Euphorie, Tanagra , Nectarinia von sftinen Jagdzügen brachte , und forderte er mit seiner sanften und metallreinen Stimme auch einen noch so hohen Preis, keiner von uns konnte ihm diesen abschlagen. War der Sohn ein vollendetes Modell kindlicher Schönheit, so der Vater das einer männlichen. Wenn letzterer sein phantastisches Federbarett mit den vier aufrechtslehenden Schwanzfedern des Araras auf hatte, so glaubten wir jedesmal das lebende Bild eines kräftigen Bergschotten vor uns stehen zu sehen, weshalb er auch den Namen « Scotchman ■■ von uns erhielt. Der Wunsch meines Bruders, dass ihnTAMAiNUA nach Georgetown begleiten sollte, hatte Vater und Sohn während einer Nacht heimlich aus «Our Villa ge * vertrieben; denn als wir am Morgen nach ihnen frugen, hiess es, der Vater sei heimgekehrt, indem er gefürchtet, wir möchten Tamanua mit über das Salzwasser nach dem Lande der Paranaghieris nehmen. Das Klima und die atmosphärischen Verhältnisse in unserer Colonie, Avaren keineswegs der Art, dass sie unsern Beifall gefunden. « Our Village •• lag unter 4° 57' nördlicher Breite und 61° 1' westlicher Länge, etwa 3300 Fuss über dem Meere. Am Morgen zwischen vier und fünf Uhr erreichte das Thermometer nur einigemal 58°, Mittag im Schatten 87°, selten in der Sonne mehr als 100° Fahren- heit. Ausser diesem Unterschied in der Temperatur, herrschte hier auch ein fastun- unterbrochener Wechsel zwischen hell und finster, Nebel, Kegen und Sonnenschein. Vor Sonnenaufgang und bis ungefähr eine halbe Stunde nach diesem war der Him- mel, abgesehen von einigen leichten Wölkchen, vollkommen klar und rein, der ge- waltige Bergriese, der Roraima, stand dann wolkenlos vor uns, und sein geradlini- ger Umriss stach scharf gegen den blauen Himmel ab. Bald aber bildeten sich dichte Nebelschichten, die sich aus den Ebenen und Thälern schnell über die ganzen Um- gebungen verbreiteten und von einem aulspringenden Luftzug in die Höhe getrie- ben wurden, um als heftiger Niederschlag wieder zur Erde zurückzukehren. In raschem Wechsel folgten nun kurze Perioden des schönsten , klarsten Wetters. Die Sonne erwärmte die vom vorhergehenden Regen abgekühlte Atmosphäre, um im nächsten Augenblick wieder hinter den dunkeln W etterwolken zu verschwinden. Oft nahm der aufsteigende Nebel nur kleine Districte ein , der Roraima war in dichte Wolken gehüllt, während sich die Strahlen der Sonne auf den bronzefarbigen Felsen des nachbarlichen Rukenam brachen : oder der Gebirgsstock einer dieser mächtigen Sandsteinmassen lag in einem tiefen, düstern Nebelmeer begraben, wäh- rend seine steile, rothe Gipfelhöhe im grellsten Sonnenlicht glänzte. Gleich schroff traten auch die Wechsel in Rücksicht des Luftzuges auf. Eben lag noch die Natur II. Theil. 31 242 REISEN IN in liefern Frieden, kein Lüftchen regle siel), geschäftig benutzte ich diese hellen und ruhigen Momente, um mein feuchtes Pflanzenpapier zu trocknen, als ein hefti- ger Wirbelwind, auch die Neuigkeiten der « London-Times» , die ich mir als Maku- latur bereits in London zum Pflanzentrockenen aufgekauft, spiralförmig in die Höhe führte, um dann vom Winde zu meinem grössten Verdruss, dagegen aber zum grössten Jubel der Indianer, nach allen Richtungen hin, oft viele Meilen weit, forl- geführl zu werden. Wie oft haben wir auf unsern Excursionen die Entführten in namhafter Entfernung auf den Bäumen flattern sehen, oderauf der Erde wieder- gefunden ! Selbst bei der Besteigung des Roraima flatterten mir dieselben noch in einer Höhe von 4000 Fuss entgegen. Erfahrung macht klug, und der ein- schmeichelndste Sonnenblick, der heiterste Himmel konnte mich nicht mehr betrü- gen; jeder Bogen erhielt einen Beschwerer. Unter solch beständigem Wechsel kam 3 Uhr Nachmittags heran, und nun beschloss fasst täglich der wildeste Gewit- terslurm unter dem heftigsten Kegen den Tag. War dieses Finale bis fünf Uhr ausgeblieben, so trat es später nicht mehr ein. Unter fürchterlichem Donner ent- lud sich das Weiter; dann übergossen die scheidenden Strahlen der Sonne noch- mals die rothen Felsenwände des Rorai/na und des Rukenam mit einem magischen Feuer, in welchem die schäumenden, silberfarbenen, durch den vorhergegangenen Kegen angeschwollenen Caseaden und Wasserfälle, die sich von dem glatten Gipfel herabslürzlen , einen zauberhaften Conlrast bildeten. Ich habe schon früher be- merkt, dass die jährliche an den Küsten und in den grossen Savannen niederfallende Quantität Kegen gegen lüü Zoll beträgt, hier übersteigt sie dieses Mass um vieles, undmit Rcehtnennen die Indianer den Roraima ; -die fruchtbare Mutter derSlröme.» An der Küste herrschte jetzt die Trockenzeit. Zu genauem meteorologischen Vergleichungen füge ich die sorgfältig von der Expedition vom 29. October bis zum 16. November angeslelllen Beobach- tungen ein : 1842. Slun de. ßunlcn's Barometer. An ge- rügtes Tbermo- metcr. Freies Thermo- meter. Beleuch- tetes Thermo- meter. B e m e r k u n g e n . 29.ÜcL 3 Nach. 678. 30 21.3 70 66.5 Schön. 6 - 678. 51 21. 7 70.7 65.3 Schön. 30. - 6 Vorm. 678. 30 17. 1 63 60.5 Rornima bewölkt. Regcnmes. 7 - 678. 88 18. 6 66 62. 7 Schön. (0,38 Zoll. 8 - 679. 42 21.7 71.3 66. 5 Rornima bewölkt. 9 - 68 1 . 85 25 77.5 70.5 Rornima hell. 10 - 680. 20 27. 5 82 72.5 Theitweis bewölkt. 1 1 - 680. 45 29.8 85. 6 75.3 Rornima bewölkt. 12 - 680. 10 30. 2 86.5 73.7 - 1 Nach in. 679. 20 24. 5 75 67.7 Hegen. BRITISCH-GUIANA. 243 1842. Stunde. Bunten’s Barometer. Ange- fiigtes Thermo- meter. Freies Thermo- meter. Befeuch- tetes Thermo- meter. Bemerkungen. 2 Nach. 679. 00 1 23.7 74 67. 5 Sprühregen. 3 678. 20 22.8 73. 3 67. 1 Nebel über uns. Dorfe. Ror. hell. 4 678. 55 25 77. 5 70. 5 Gewitter. 1. Nov. 9 Vorm. 679. 71 23. 6 74. 3 67. 5 Wind N.O. 10 679. 90 25. 5 77. 5 69. 2 0. gen N. 11 679. 94 27. 2 80 70 0. - N. Ror. bewölkt. 12 680. 00 28. 2 83 71.5 0. gen S. Ror. bewölkt. 1 Nach. 679. 86 29. 2 83. 9 73. 5 - Ror. theilw. bew. 2 679. 30 28.7 83. 1 70. 5 - - - Roraima bewölkt 3 679. 28 28 81. 7 70 0. - N. Gewitter. 4 679. 05 25.7 78 69 0. in O.S.O. Gewitter. 5 679. 40 25.5 77. 4 69. 2 N.O. Gewitter in S.W. 2 6 Vorm. 678. 85 18. 1 64.5 61. 8 Schön. Roraima bewölkt. 7 679. 35 20 68.2 64. 5 - - - 8 679. 79 23.2 73.8 66. 3 Wind 0. 9 680. 10 25. 6 77.6 68 Windstösse a. O.N.O. Ror. bew. 10 680. 00 26.5 79.9 67. 6 Schön. Wind S.O. Ror. theilw. - 11 680. 20 27.6 81. 8 69. 5 Schön. WindS. 0. - 12 680. 46 28.7 83.0 70. 0 Wind S.S.O. 1 Nach. 680. 12 29.3 84.2 70. 3 S.S.O. Ror. dicht bew. 2 680. 12 28. 9 83.7 73. 0 - O.S.O. - - - 3 679. 80 28. 2 80. 7 70. 2 S.O. Regenschauer. 4 679. 34 24. 3 74.7 69. 3 - N.N.W. Wolken. /Jor.hell. 5 679. 20 25. 7 77. 5 68. 5 O.N.O. Gew. gegen S. S.W. 6 679. 45 25. 7 77. 3 68. 5 - W. hell. 7 679. 70 23. 3 73.2 67. 5 - W. hell. 8 679. 90 22. 5 72.5 66. 3 - 0. 9 679. 76 22 71 65. 3 - 0. 10 679. 66 21.8 70 65 - w. 1 1 680. 05 21. 5 69. 3 64. 6 - W. 12 679. 70 20. 7 68 64. 2 Hell. [3?] 1 Vorm. 679. 75 19. 5 66.5 63. 5 Hell. 2 679. 70 19 65.2 63 Hell. 3 679. 50 18 64 61.7 Hell. 4 679. 49 18.3 64. 3 61.5 Hell. 5 679. 45 17.5 63 60.3 Wolken. Roraima hell. 6 679. 36 16.8 62.4 59. 8 Wind N.O. 9 680. 00 22 72. 5 65. 5 S.S.O. Schön. Einzel. W. 12 680. 38 28.3 82. 3 69. 3 Schön. Einzelne Wolken. 3 Nach. 680. 93 29.9 85. 3 69. 3 Dichte Wolken gegen N.N.O. 6 679. 87 26.8 79.7 68 Schön. Hell 5 6 Vorm. 678. 85 14. 7 58 56. 3 - Roraima ebenfalls. 9 680. 00 22.7 72 65. 5 Schön. Leichter Wind aus N. 0. 12 680. 66 29.8 83 68.8 Leichter Wind aus S.O. 3 Nach. 680. 60 29.6 83.5 69. 7 Heftiger Wind. 6 679. 97 25.2 76. 5 66.3 0. ganz bewölkt. 6 6 Vorm. 679. 30 16. 3 61 59.6 Hell. Schön. Roraima hell, 9 680. 48 24 74 67 Schön. Wind N.W. 31 244 REISEN IN 1842. Stunde. Bunten’s Barometer. Ange- fügtes Thermo- meter. Freies Thermo- meter. Befeuch- tetes Thermo- meter. Bemerkungen. 6. 12 Vorm. 680. 70 29. 3 83. 4 69. 4 Leichter Wind. 3 Nach. 680. 55 29. 8 84. 3 72. Schön. Roraivia hell. 6 680. 24 26. 2 82. 7 67. 3 Starker Wind aus N.O. 8. 6 Vorm. 679. 30 18 63. 7 62. 2 Schön. Ruhig. ) Abwesend vom Be- 6 Nach. 680. 48 24.4 74. 3 69 Wind S.O. | obachtungsorle. 9. 6 Vorm. 680. 53 17.7 63. 5 61. 2 6 Nach. 679. 95 25. 3 75 66. 3 10. 6 Vorm. 679. 78 18 65 62 9 680. 57 26.2 77.5 67. 5 10 680. 92 27. 5 80 67. 7 4 Nach. 680. 30 27. 7 80. 3 70 5 680. 00 26 77. 5 69- 3 6 680. 00 25 75. 5 68 11. 6Vorm. 679. 70 19. 3 66 64- 3 Bew. Regenbogen bei Sonnenaufg. 7 879. 70 20. 2 67. 5 64- 2 12 681. 70 31. 2 82. 70 3 Nach. 680. 55 26. 8 78. 5 69- 2 Wind O.N.O. 5 680. 20 21. 5 69. 5 66 Sprühregen. 6 680. 50 21-2 69. 2 65- 5 Wind W. Bewölkt. 12. 6 Vorm. 680. 80 19. 8 66. 5 63- 7 Regenwetter. 0,05 Zoll. Bewölkt. 9 681. 15 22. 8 71. 6 67 13. 6 Vorm . 680. 42 19 65. 8 63- 5 9 681. 75 25. 8 77. 5 68- 5 12 681. 50 27. 7 80- 3 71- 6 3 Nach. 680. 50 29- 6 84 72 6 680. 56 21. 2 69 65- 3 14. 6 Vorm. 680. 68 19. 4 66 64 Regenwetter. 0,23 Zoll. Bewölkt 9 682. 30 21. 8 70. 5 67- 3 Ruhig. Bewölkt. 12 681. 62 24. 8 75. 5 69- 3 Wind N. 3 Nach. 680. 59 26. 77 69- 3 Wind 0. gen N. 15. 0 Vor in. 680. 60 18. 6 65 62. 5 Regenwetter. 0,02 Zoll. 9 681. 19 22. 7 72 67 Schön. Hell. 12 681. 34 23. 5 72. 8 69 Bewölkt. 3 Nach. 680. 34 22. 9 72 68- 2 - 6 680. 40 20. 8 69 65- 5 - 16. G Vorm. 680. 43 17 62 60 Heft. Regen Wind O.S.O. Begcnm 7 680. 67 18. 5 64. 5 62-4 Bew. Ruhig. (3, 35 Zoll. 8 681. 18 20- 5 68 64- 5 - 9 681. 28 21- 7 70 65- 7 - 10 681. 30 23-2 72. 5 67 Wind S.W. 11 681. 45 24- 5 75- 1 68 - N.O. Bewölkt. 12 681. 35 25- 2 76 68- 5 Ruhig. Bewölkt. | 1 Nach. ' 680. 88 26. 3 79- 3 69- 5 BRITISCH -GUIANA. 245 "Our V i llage.» Gesainintsumme. Zahl d. Beobachtungen. Mittel. Barometer 68691. 19 -f- 101 — 680. 10 Angefügtes Thermometer 2297. 3 101 ZZ 22. 7 Thermometer 7392. 7 -r- 101 zu 73. 1 Feuchtes Thermometer 6662. 6 -f- 101 ; 66. 06 So sehr es uns auch trieb, den Roraima zu besteigen, so mussten wir die Ausführung unseres Wunsches doch bis zur Rückkehr unseres Gesandten an die Serekongs verschieben , da es nach der Aussage der Indianer dort weder Thiere, noch Früchte geben würde, umunsern Hungerzu stillen. Mein Bruder begann wäh- rend dieser Zwischenzeit seine trigonometrischen Messungen, und ich streiftein den Umgebungen nach zoologischer und botanischer Ausbeute herum. Die erste war kärglich genug, die ganze Umgegend zeigte sich eben so arm an Säugethieren, und Vögeln , wie die schon passirten Gebirgsstriche. Desto reicher aber entschä- digte mich die hier herrschende Vegetationsfülle. Die Gebirgsabhänge, die Ufer der Ströme und Flüsse, die waldigen Oasen zeigten eine Mannigfaltigkeit der For- men, Gattungen und Arten, wie sie sich meinen Augen und Händen noch nie dar- geboten hatte. Bei dieser Fruchtbarkeit des Landes, musste uns die Armuth an Thieren um so auffallender sein. Hier und da ein vereinzeltes Aguti , noch selte- ner ein Lnba oder eine Heerde der schon erwähnten Mycetcs und einer noch nie gesehenen Art Cebus , dann jenes raitenähnliche Thier, das uns bald häufig leben- dig gebracht wurde, und in welchem wir die Cavia leucopygia zu erkennen glaub- ten, dann und wann ein Ameisenfresser (Myrmecophaga tetradactyla), oder ein Na- senthier (Nasua). Unter den Vögeln, Penelope , seltener Rhamphastos, häufiger dagegen Euphone , Tanagra, Pipra , Nectarinia , unter denen sich besonders die grün und schwarz gefleckte, niedliche Tanagra punctata (Lin.), die buntglänzende, sieben farbige Tanagra Tatao (Lin.), die rothköpfige Pipra cornuta (Spix.) und serena (Lin.) auszeichnete, die grosse Eule (Strix torquata Vaud.), und eine Ralle (Cr ex Schomburgkii Cab.), von der Grösse eines Sperlings, waren die einzigen Repräsentanten der höhern Thierklassen. Die letztere, eine neue Species, fand sich immer paarweise zusammen. Die Stirn ist rostroth, Flügel dunkelbraun, die Oberseite mit kleinen weissen Fleckchen, die am Hinlerkopf in ganz kleinen, ge- drängten Tüpfelchen beginnen, und dann, an Grösse zunehmend, sich über den ganzen Rücken und die Flügeldecken verbreiten. Die Kehle ist weiss, die Brust rostfarben, der Leib weisslich, dieFüsse dagegen haben eine gelbliche Färbung. Die niedlichen Thicrchen sind äussersl leicht zu greifen , da sie ihre Flugkraft nur eine kleine 246 REISEN IN Strecke trägt, und sie sich dann in das Gras zu verbergen suchen. Ein Männchen und ein Weibchen erhielten sich ziemlich lange im Käfig, bis mir ersteres entfloh und das letztere am nächsten Tage aus Gram starb. Die Menge beerentragender Bäume, besonders aus der Familie der Laurineae uud Sapindaceae , die sich hier fanden, mochten wohl auch die Gegenwart der Penelope bedingen. Die Penelope ist ein äusserst vorsichtiger und scheuer Vogel, bei dem man eigentlich nur während des Fressens zum Schuss kommen kann , wobei sich immer 6 — 10 Stück auf einem Baume versammeln. Gelingt es dem Jäger, sie dann zu beschleichen, so kann er 3 — 4 Stück mit dem Blaserohr herabschiessen, bevor es die übrigen be- merken und die Flucht ergreifen. Der von dem geräuschlosen Pfeilchen getroffene Vogel fällt vom Baume herab, ohne dass sich die übrigen in ihrem Geschäfte anders stören lassen, als dass sie dem Verswindenden mit langgestreckten Hälsen nachse- hen, und sich scheu nach der Ursache umschauen. Entdecken sie diese, so eilen sie mit ungemeiner Schnelligkeit von Ast zu Ast nach dem dichtbelaubten Wipfel des Baumes, um sich hier zu verbergen, oder von da von Baum zu Baum zu flie- gen. Das Nest bauen sie auf den Boden ; sobald die Jungen aber nur etwas Flug- kraft erlangt haben, führen sie dieselben von Busch zu Busch, bis sie die Aeste eines Baumes erreichen können. Ausser bei Anbruch des Morgens, hört man nie ihre höchst sonderbar schnarrende Stimme. Das Fleisch der ältern Vögel ist nur dann zermalmbar und zu gemessen, wenn sie mit dem Urari-G'dl geschossen wor- den sind, was das zähe Fleisch vollkommen zart und mürbe macht. Jener oben angeführte Cebus unterscheidet sich nicht nur durch seine Grösse, sondern auch durch seine längern Haare von Cebus capucinus und apella ; am nächsten möchte er noch dem capucinus stehen. Die obere Seile seines Körpers und der Extremitäten ist dunkelolivenfarben , mit Ausnahme der Schultern und Oberarme, die strohgelb aussehen ; auf dem Scheitel befindet sich ein schwarzer, dreieckiger Fleck, der nach vorn scharf begrenzt ist, und sich als schmaler Streifen bis zur Nasenwurzel fortsetzt, sich nach hinten aber in der dunkeln Färbung des Nackens verliert. Die einzelnen Haare der Oberseite sind nussfarben, gegen die Spitze blassgoldgelb, diese aber ist schwarz. Stirn, Backen und Kehle sind nuss- gelb, behaart, das Gesicht ist schwärzlich. Wie die obere Seite des Leibes, so ist auch die untere gefärbt, erscheint aber hier wegen der dünneren Behaarung etwas heller. Die Hände und Füsse, so wie die innere Seite der Unterarme und Unter- schenkel sind schwarz. Der Schwanz ist länger als der Kopf und Rumpf zusammen genommen , seine Oberseite stimmt mit der Färbung der Oberseite des Körpers überein, die untere Seite und die Spitze dagegen istschwarz. Rumpf und Kopf eines ausgewachsenen Weibchens mass 16, ihr Schwanz 18'/2, die Extremitäten 10 */2 pariser Zoll. Der Schwanz ist dicht und lang behaart. Das Männchen übertrifft BRITISCII-GUIANA. 247 das Weibchen nicht nur an Grösse, sondern auch die Behaarung des Schwanzes ist bedeutend länger als die des Weibchens. Keine Affen-Gattung zeigt in Bezug auf Grösse, Farbe und Haarwuchs mehr V arietäten , als die Gattung Cebus mit ihren Species, wodurch eine Menge neuer Species in’s Leben getreten sind, die weiter nichts als Varietäten waren, welche aus der V ermischung des C. capucinus mit C. apella entsprangen. Ich bin fast nie einer Heerde des C. capucinus begegnet, unter der sich nicht einige C. apella befunden hätten. Dieses fortwährende Zusammenleben beider Species scheint auch die Vermischung herbeigeführt zu haben, aus der eine solche 31enge von Verschie- denheiten in Bezug auf Behaarung und Färbung derselben entstanden, dass diese die Zoologen in Verlegenheit setzten. Ich entsinnemich nur im Canuku- Gebirge Affen- heerden begegnet zu sein , die bloss aus Cebus apella bestanden ; — überhaupt scheint der Aufenthalt des C. apella auf einzelne Lokalitäten beschränkt zu sein, da ich ihn, ausser im Canuku-Gehiv^e, nur an der Küste, und dann immer unter C. capucinus, welchem letzteren sich oft auch die kleine , niedliche Callithrix sciurea angeschlossen hatten, gesehen habe. Mycetes , Ateles , Pithecia und Hapale fand ich stets streng voneinander geschieden, ja bei der Pithecia leucoce- phala niemals ein Exemplar der Pithecia chiropotes. So leicht sich aber auch bei der Bestimmung eines Cebus der Irrthum ein- schleichen möge, eine blosse Varietät für eine neue Species zu nehmen, so scheint doch die Grösse, das lange Haar und der sehr beschränkte Aufenthaltsort, an dem ich nie dem gewöhnlichen Cebus capucinus und apella begegnet bin, wie auch die Unbekanntschaft der Macusis mit dem Thiere, die Behauptung zu rechtfertigen, dass ich in ihm eine neue Species gefunden habe, die wohl den Namen Cebus oli- vaceus ( Schomb .) verdienen möchte. Unter der absoluten Höhe von 3000 Fuss habe ich diese Species nie angetroffen. Die Cebus sind Lieblinge der Indianer, weshalb man sie auch am häufigsten bei denselben gezähmt findet, was mir Ge- legenheit gab, die grosse Zahl der Varietäten dieser Gattungen kennen zu ler- nen. Zu diesen Bemerkungen fügeich noch einige in Bezug auf die von mir hier gefundene neue Nasua, die in ihrer Bestimmung ein eigenes Schicksal gehabt hat. Die Färbung derselben war so auffallend und wich von den vielen Varietäten, die ich von Nasua socialis gesehen, so bedeutend ab, dass wir sogleich eine neue Species in ihr vermutheten. Leider besassen wir zu wenig naturhislorische Werke, um uns von der Wahrheit unserer Vermuthung zu überzeugen, und so ging das Thier noch unbeschrieben mit der nächsten Sendung nach Berlin ab. Um so mehr musste ich michwundern, als ich in i>o« Tschudi’s »Untersuchung über die Fauna Peruana» jene Nasua von ihm beschrieben fand, der er den Speciesnamen vittata gegeben. Das Exemplar wurde Herrn von Tschldi bei seiner Anwesenheit in Berlin gezeigt, 248 REISEN IN worauf er, es als eine neue Species erkennend, die nöthigen Notizen nahm und, ehe sie noch in Berlin beschrieben wurde, in seiner Fauna Peruana bekannt machte, obgleich sie in Peru nicht vorkommt. In ihrer Lebensweise weicht sie nicht von Nasua socialis ab, nährt sich von Früchten, Insekten, jungen Vögeln , geht bei Tage seiner Nahrung nach, wird aber nur einzeln angelroffen. Die Arekunas behaupten, dass das Thier überhaupt nur selten sei. Uusern Macusis war es ganz unbekannt; es scheint sich daher nur auf gewisse Lokalitäten zu beschränken. Herr von Tschudi giebt in der angeführten Fauna folgende Diagnose : Nasua vitlata Tschudi. Die Schnauze, der Kopf und Nacken sind ganz schwarz , von letzterem verläuft zwischen den Schultern eine breite schwarze Binde bis zur Milte des Kückens. Die Extremitäten sind schwarz, der Rücken ist gelbbraun, nach der Schwanzwurzel hin etwas dunkler, der Bauch ist röthlich braun. Der Schwanz ist bedeutend kürzer als der Körper und hat Querbinden , die nach der Spitze hin ganz verschwinden. Der gänzliche Mangel an reissenden Thieren innerhalb des so hoch gelegenen Gebietes der Arclcunas , ist wohl auch Ursache, dass dieser Stamm auf der Jagd sich nur des Blaserohrs bedient, mit dem er sein Ziel in einer Höhe von 150 — 180 Fuss meisterhaft zu treffen weiss. Dass der Indianer seinen Viehstand am liebsten durch junge, noch saugende Thiere zu vermehren sucht, an welchen die Frau Mut- terstelle vertritt, habe ich schon mitgetheilt. Hier wurde ich Zeuge, wie der Are- kuna auch einen alten störrigen Affen zu zähmen weiss. Wollen sie einen solchen lebend erhalten, so bestreichen sie das Pfeilchen mit geschwächtem Gift, das den Getroffenen bloss betäubt. Stürzt er in diesem Zustande vom Baume herab, so saugen sie augenblicklich die Wunde aus, vergraben ihn bis an den Hals in die Erde, und flössen ihm eine starke Auflösung jener salpeterhaltigen Erde, oder, in Ermangelung dieser, Zuckerrohrsaft ein. Ist der Patient wieder etwas zur Be- sinnung gekommen , so wird er aus seinem Grabe herausgenommen und fest mit Palmcnblättcrn, wie ein kleines Kind in der Wickelschnur umwunden ; jede Be- wegung ist ihm jetzt unmöglich gemacht. In dieser Zwangsjacke bleibt er einige Tage liegen ; Zuckersaft ist sein Trank, und in jenem Salpcterwasser gekochte, stark mit Capsicum gewürzte Speisen sind seine Nahrung. Will diese Parforeekur nicht anschlagen, so hängt man den Unbändigen bei jedem Ausbruch seines wilden Zornes einige Zeit in den Rauch. Bald legt sich seine ungezähnte Wutli, das vorher noch heimtückisch zornige Auge wird mild und fleht um Befreiung. Die Banden werden gelöst, die Erinnerung an die Vergangenheit mit all ihren Gewohn- heiten ist verschwunden, der ergrauteste, bissigste Affe ist so zahm geworden, als hätte er sich nie in den Wäldern herumgetummclt. Nach Professor Pöppig wen- BRITISCH -C.UIANA. 241) den die Indianer der Ufer des Huallaga dasselbe Verfahren an, wenn sie einen alten Affen zähmen wollen. Von der erwähnten Ferkelmaus (Cavia Icucopygia) wurden unsoft G — 8 lebende Exemplare gebracht, ohne dass es uns gelungen wäre, sie am Leben zu erhalten, wodurch die Behauptung der Indianer bestätigt wurde, dass sie sich auf keine Weise zähmen Hessen. Hatten wir oft auch zehn, zwölf zusammen, nach dein dritten Tage ihrer Gefangenschaft lebte keins mehr. Sie leben in Höhlen , aus denen sie mit Wasser ausgegossen und dann leicht gefangen werden. Ihr Fell hat eine dunkelgraue Färbung, der Bauch ist weisslich. Die Vorderfüsse sind kurz, 3 Zoll lang, die Hinterfüsse etwas länger. Das Weibchen besitzt nur zwei Zitzen in der Gegend der Weichen. Ihr seidenartiges Fell sitzt so zart in der Haut, dass schon die geringste Berührung mit der Hand dieses herauszieht und eine kahle Stelle zurücklässt. Dass die Flüsse sehr arm an Fischen waren, habe ich schon angeführt, desto mehr Schlangen aber beherbergten die Thäler und Ufer; es wurden mir Klapper- schlangen von 4 und 6 Fuss Länge gebracht. Bei einer botanischen Excursion kam ich selbst in Contact mit einer grossen Coulncnnara (Boa constricto r), der unangenehme Folgen für meine Persönlichkeit hätte haben können, wenn das scharfe Auge meines jungen Begleiters, des Macusi Misseyarai, das Thier nicht früher als ich es berührte, zwischen dem dichten Gehege von Farrnkräutern (Mertens/a) be- merkt hätte, das den Saum einer waldigen Oase, an der wir hingingen, einschloss. Das Geräusch unserer Schritte mochte sie auf uns aufmerksam gemacht haben, denn den Kopf über das Gehege empor gehoben, halte sie uns wahrcheinlich schon einige Minuten unbeweglich angestarrt, ehe sie Misseyarai wahrnahm und mich auf sie aufmerksam machte. Wäre mir der Gegenstand früher in die Augen gefallen, ich würde ihn für das Ende eines emporragenden dünnen Astes gehallen haben. Wir waren ohne alle Waffen, Our Ullage aber lag zu weit entfernt, um solche von dort noch vor Sonnenuntergang herbeiholen zu können. Ungeachtet der Vorstel- lungen und der Furcht Misseyarai’s, sowie des Widerwillens des uns begleitenden Hundes, war mein Entschluss schnell gefasst, wenigstens den Versuch zu machen, das Thier zu tödlen. Ein tüchtiger Prügel als Angriffswaffe war bald gefunden. Als Misseyarai sah, dass mich kein Bitten von meinem Unternehmen abbringen konnte, zog er sich vom wahrscheinlichen Kampfplatze zurück ; der Hund folgte ihm mit eingezogenem Schwänze nach, setzte sich neben ihn nieder, und beobachtete meine Bewegungen ebenso aufmerksam, wie die seines Freundes. Noch steckte die Schlange den Kopf unbeweglich über das Gehege empor, vorsichtig näherte ich mich demselben, um mit meiner Waffe diesen erreichen und den betäubenden Hieb ausführen zu können ; — in dem Moment aber, w o ich dies tlrun wollte , II. Theil. 32 war 250 REISEN IN das Thier linier der grünen Decke verschwunden, und die eigenthümliehe rasche Bewegung der Farrnwedel zeigte mir, dass es die Flucht ergriff. Das dicke Ge- hege verwehrte mir den Eintritt, die Bewegung verrieth mir aber die Richtung, welche die fliehende Schlange nahm, die sich bald wieder dem Saume näherte, den ich daher entlang eilte, um in gleicher Linie mit ihr zu bleiben. Plötzlich hörten die windenden Bewegungen der Farrnkräuter auf und der Kopf durchbrach das grüne Laubdach, wahrscheinlich, um sich nach dem Verfolger umzusehen. Ein glücklicher Schlag traf den Kopf so heftig, dass sie betäubt zurücksank; ehe aber die Lebensgeister zuriiekkchrlcn, waren dem kräftigen Hiebe noch mehre andere gefolgt. Wie der Raubvogel auf die Taube, so schoss ich jetzt auf meine Beute zu, kniete auf sie nieder und drückte ihr, mit beiden Händen den Hals umfassend , den Schlund zu. AIsMissevarai die eigentliche Gefahr vorüber sah, eilte er auf ineinRufen herbei, löste mir einen der Hosenträger ab, machte eine Schlinge, die ihr oberhalb meiner Hände um den Hals gelegt, und nun so fest als möglich zugezogen wurde. Das dicke Gehege verhinderte das kräftige Thier vielfach an seinen krampfhaften Windungen, und machte es uns daher leichter möglich, ihrer Herr zu werden. Als wir endlich das Thier in das Freie herausgezogen, sah ich erst, mit welch einem Ungclhüin ich mich in Kampf eingelassen. Die Schlange mass 12% Fuss und war von ungeheurer Stärke. Obschon ich die Boa murimi bis zu einer Länge von 2(5 Fuss getroffen, so habe ich sie doch nie in solcher Stärke gefunden, wie die Couhicanam von S — 10 Fuss. Unter der grössten Anstrengung und Vorsicht, um die Haut nicht zu beschädigen, schleppten Avir das schwere Thier nach dem Dorfe, in dein wir sehweisstriefend ankamen. Heute war es bereits zu spät, sie noch abzuziehen ; diese Arbeit sparte ich mir bis morgen auf. Die Erfahrungen, die ich früher über die Lebensfähigkeit der Schlangen gemacht, machten mich vor- sichtig. An die Stelle meines Hosenträgers trat eine stärkere Schlinge, die ich an den Pfosten der Hülle befestigte. Ein helles, unmiissiges Gelächter und lautes, sonderbares Zischen weckte mich am Morgen aus dem Schlafe. Eilend sprang ich aus der Hängematte und trat vor die Thür. Die Schlange hatte sich wirklich wieder erholt und strebte nun unter fürchterlicher Kraflanstrengung sich von ihrer Fessel zu befreien. Ein ganzer Kreis von Indianern balle sich um sie versammelt und suchte ihren Zorn und ihre Wuth durch Necken noch zu vermehren. Mit geöffnetem Rachen sliess sie ihre unheimlichen, dem Zischen der Gänse ähnlichen Töne aus, wobei die Augen sich vor Wuth aus ihren Höhlungen drängen zu wollen schienen; die Zunge war in un- unterbrochener Bewegung. Trat man ihr während des Zischens näher, so drang Einem ein bisamartiger Geruch entgegen. Um ihren Anstrengungen so schnell als BRITISCH - GIJ1AINA. 251 möglich ein Ende zu machen, schoss ich sie durch den Kopf. Leider ging mir ihre schöne Haut später verloren. Unter den Insekten waren es besonders eine unzählbare Menge Cicaden, die unser Interesse auf sich zogen, indem sie pünktlich jeden Tag um 12 Uhr des Mit- tags und um 6 Uhr des Abends ihr schrillendes Concert erschallen Hessen. Ein tausendstimmiger Chor tönte dann unter dem grünen Laube der Bäume und Büsche hervor, der aber dem Ohr nichts weniger als angenehm war. Gleichzeitig mit dem Abendconeert Hess auch jedesmal ein Vogel, den ich aber ungeachtet aller ange- wandten Mühe niemals zu sehen bekommen habe, einen schrillenden, pfeifenden Ton hören, der die grösste Aebnlichkeit mit dem Pfeifen einer Lokomotive hatte. Mit der Pünktlichkeit einer Uhr beginnen die Tliiere ihr Gelärme, der An- fang des Concertes variirt höchstens um 2 — 3 Minuten. Andere Tliiere Hessen wieder ihre Stimme zu andern bestimmten Stunden hören, so dass man selbst ohne Besitz einer Uhr, ohne dass die Sonne sichtbar zu sein brauchte, die Zeit des Tages bestimmen konnte. Eben so verkünden den Tagesanbruch und Sonnenuntergang die Papageien mit ihrem heisseren Geschrei, denn alle Morgen zu derselben Stunde ziehen sie aus den hohem Waldungen den liefern Stellen zu, bringen dort den Tag zu, und kehren eben so pünktlich und regelmässig kurz vor Sonnenuntergang nach ihren Ruheorten zurück. Linne brachte eine Blumenuhr in Vorschlag, die Tropen besitzen eine viel sichrere und genauere Thieruhr. Unter den Insecten kam auch häufig der merkwürdige Prionus corncornus und eine Menge schöner Btt- prrsten vor. Je kärglicher meine zoologischen Excursionen ausfielen, um so reicher ent- schädigte mich die Flora. Die Höhen der benachbarten Berge, die Flüsschen waren meist mit den reizendsten Pflanzen formen bedeckt.*) Die Gipfel und Abhänge der uns umgebenden Berge, die Ufer und Betten der Flüsse zeigten durchgängig einen bunten Sandstein von höchst mürber Beschaffenheit, der theils in horizontalen Schichten, theils mit einer Neigung von Süd oder Osten strich. In den Betten der Flüsse traten hier und da auch horizontale Schichten eines kiescligen, dichten, rothen Sandsteins auf, auf denen dann Jaspisgeröll in allen Grössen und Farben auflag; selbst der rothe Jaspis, den ich am Rue-imrru- Fall gesehen, fand sich dar- "') Ich erwähne nur; Rielmeycra angustifo/ia , Bonnelia scssi/is, Ternströin ia rnbicinid'i, punctata (Sw.), Clethra guianensix ( Rlotzsch sp. nov.), Iscrtia hypoleuca ( Bcnth .), Ocotca guianensis (Aubl. ), Gornphia dura, Qualea rosea, Vochyxia guianensix , tetraphylla, Schom- burgkiana (Rlotzsch sp. nov.), Rhopala suaveolens , Schomburgkii ( Rlotzsch sp. nov.), An- dripetalum sessih'fotia (Rlotzsch), Ca/ophyllum lucidum ( Benth .), Dimorphandra macrostuchya, C/nsia insignis, rosea, microcarpa , macropoda (R/olsrh sp. nov.), Caraipa laxiftora (Benth.), leiantha (Benth.). Gualteria e/ongata (Benth.), Culycophyl/um coccincum (Benth.), Bonde - letia capitata , Sabcicea veluiina (Benth ), Psycholria hyptoidvs (Benth.) etc. REISEN IN /V*J v unter. Ich zählte sieben verschiedene Farben , ausserdem aber noch eine schöne, buntgebandele Art, die in ihrer Färbung vollkommen mit dem sibirischen Jaspis übercinstimmt, und bei unserer Rückkehr für solchen angesehen wurde. Auf der Savanne lagen vereinzelte, faustgrosse Stücke eines grünen Jaspis herum, der von den Indianern als Flintenstein benutzt und von unsern Macusis emsig gesammelt wurde. Durch die Savanne selbst zogen sieh grosse Lager von Thon mit reichem Kieselerde-Gehalt, verwittertem Jaspis und Feldspath. Die reiche, zaubergleiche Vegetationsfülle, die wildromantischen Gebirgsmas- sen, bildeten oft Thäler, die mit einem Liebreiz überschüttet waren, der selbst die für Naturschönheiten weniger empfänglichen Indianer sprachlos gefesselt hielt. Die Entdeckung eines neuen Paradieses gehörte immer zu den genussreichsten Erho- lungsplätzen auf meinen botanischen Fxcursionen. Nie werde ich die zauberhafte Ueberraschung vergessen, die mir eines Tages wurde, als ich an dem bewaldeten Fusse des Erematurn botanisirte und unerwartet an dem Eingang einer tiefen Iiergschluchl stand, in der ein kleiner Sturzbach, hundert Cascaden bildend, dem Rukenam entgegeneilte. Sowohl im Bett des Flüsschens selbst, wie zn beiden Seilen der Thalwandungen, traten grosse Schichten eines tiefrothen Sandsteins zu Tage, bildeten hier senkrechte Abstürze, dort terrassenförmige Abstufungen, die von hohen Gräsern, üppigen Bambusgruppen, baumartigen Farru, über die wieder eine Menge schlanker Palmen ihre stolzen Häupter erhoben, oder diese über das lärmende Wasser neigten, angefüllt wurden. Die einzelnen Felsblöcke, welche den Flussspiegel überragten , waren dicht mit Moosen, kleinen zierlichen Farrn und Jungermannien überzogen, während von den Wandungen des Geklüftes baum- artige Farrn, Di/esom'a , Cyathea, Alsophila, in allen Winkeln über die Schlucht herüberhingen und das reizendste Laubdach bildeten, was ‘sich die Phantasie schaf- fen konnte. Durch das geheimnissvolle Dunkel, denn vergebens suchten die Son- nenstrahlen diese Vegctalionsfülle zu durchdringen und sich in dem kühlen Bache zn letzen , sprudelte, rauschte und plätscherte das kryslallreine Gewässer mit ver- lockender Stimme, bis es endlich im Thalc des Rukenam angekommen, still und sprachlos seiner Vernichtung entgegen ging. Riesige Bäume mit ihren geraden, glatten, stattlichen, säulenähnlichen Stämmen krönten den Scheitel der Schlucht. Gleich als sei ich in eines jener ausgedehnten und ehrwürdigen, gothischen Gebäude getreten, so ergriff mich die Erhabenheit und Ruhe, welche über dieses reizende Plätzchen ausgebreitet waren. Wenige Tage vor dem Aufbruch nach dem Roraima kamen auch die Indianer an, die wir nach Tovong- Yauteise gesandt, um unser Gepäck dort abzuholen und cs uns nach dem Roraima zu bringen. Reich belohnt für ihre Ehrlichkeit und den uns erwiesenen Dienst, kehrten sic am folgenden Morgen nach ihrer Niederlassung BRITISCH *GUIANA. 253 zurück. W ie uns diese Thatsache ein neuer Beweis für die tadellose Ehrlichkeit und Biederkeit des Indianers war, so sollten uns die nächsten Tage auch den Be- weis für das leicht zu verletzende Ehrgefühl dieser Naturmenschen liefern. Unter unsern Macusis befanden sich drei Bewohner JSappi's , die sich bei jeder verkom- menden Gelegenheit auf das schlaueste der Arbeit zu entziehen wussten, was ihnen schon mehrmals einen Yrerweis zugezogen. Auch heute waren , um die Arbeit schnell zu beseitigen, alle Hände der Indianer nöthig. Alles eilte herbei, griff rüstig an, nur unsere drei Faulenzer blieben ruhig in ihren Hängematten liegen. Mein Bruder schickte nach ihnen, alles blieb vergebens. Jetzt ging er selbst, um sie zur Unterstützung aufzufordern; doch auch dies rief keine andere Wirkung her- vor, als dass sie ihre Köpfe schüttelten und ruhig liegen blieben. Aufgebracht über dieses Betragen, und in der Erinnerung der guten Wirkung, die ein gleicher Hand- streich gegen die Faulheit seiner Begleiter auf seiner ersten Reise geäussert, ergriff mein Bruder sein Weidmesser und durschnitt bei allen dreien die Stricke der Hän- gematte, mit welchen diese an den Bäumen befestigt waren, wodurch die Säumigen natürlich schnell vom Boden auf die Beine gebracht wurden. Ruhig, meisterhaft ihrenGrimm verbergend, folgten sie jetzt seinerAufforderung, und thaten ohne Mur- ren ihre Schuldigkeit — waren aber am folgenden Morgen spurlos verschwunden. Ihr Ehrgefühl war auf das tiefste verletzt; — ohne Lebensmittel, ohne noch den geringsten Lohn für die uns geleisteten Dienste erhallen zu haben, hatten sie wäh- rend der Nacht ihre Rückreise nach Nappi angetreten ; lieber w ollten sie Hunger, Mühen und Entbehrungen ertragen, als mit dem länger zusammen leben, der sie lächerlich gemacht hatte. Am folgenden Tage trafen auch die langersehnten Serekongs bei uns ein. Ihren Häuptling, einen ehrw ürdigen Greis mit langem, schneeweissem Haar, an der Spitze, traten sie in unser Dorf ein. Trotz des hohen Alters, das sich namentlich in der abgemagerten Gestalt, weniger in derFarbe des Haares kund giebt, — denn dieses Zeichen hatte ich bisher erst an einem Individuum bemerkt; — eine Platte ist mir sogar selbst bei den ältesten Indianern nie vorgekommen, — und der faltenreichen Haut, hatte den greisen Herrscher doch die Neugierde getrieben, die weite und be- schwerliche Reise mit zu unternehmen, um die Paranaghieris Zusehen. Die Männer hatten ihr langes Haar sauber rückwärts gekämmt, und hier in einen langen Zopf geflochten, was ihnen ein völlig chinesisches Ansehen verlieh. Mit Ausnahme dieser Haartour und mehrer eigenthümlicher Charaktere, mit denen ihr Körper bemalt w ar, stimmten sie in der Bildung des letztem mit den Macusis und Areku- nas überein, was auch bei den Weibern der Fall war, von denen mehre ihre kran- ken Kinder mitgebracht hatten, die sie bald nach ihrer Ankunft zu uns brachten, damit wir ihnen Gesicht und Körper anhauchen und ihnen dadurch die Gesund- 254 REISEN IN heil zürückgeben möchten. Merkwürdig genug, dass auch bei ihnen, wie bei den Orientalen, der Hauch als ein Ausfluss der innersten Seelen- und Geisteskräfte an- gesehen wird! Unsere Personen, Instrumente und Gerätschaften waren natürlich auch für sie Gegenstände des höchsten Staunens, der grössten Verwunderung, — vor allen wurde diese den Gabeln zu Theil. Als sie uns damit essen sahen, brachen sie in ein lautes, spöttisches Gelächter aus, schüttelten sarkastisch den Kopf und zeigten uns ihre Finger, die sie für die unübertrefflichsten Gabeln zu hallen schie- nen. So grosse Hoffnungen wir auch auf die von ihnen zu erwartenden Vorräte gesetzt, so fanden wir uns doch sehr getäuscht; wir mussten daher so schleunig als möglich nach dem Roraima aufbrechen. In Begleitung von einigen zwanzig Indianern traten wir am 17. November bei anbrechendem Morgen unter Scherz und Laune, in gespannter Erwartung dessen, was uns die nächsten Tage bringen würden, nicht ahnend, dass uns schon der erste Tag so bitter getrübt werden sollte , unsere Reise an. Anfänglich durchschritten wir die sich am westlichen Ufer des Kukenam hinziehende Oase mit ihren herr- lichen Bäumen, der Clvsia , dem Styrax und Laurus, worauf wir eine freie, wel- lenförmige Ebene betraten, auf der wir immer noch dem rechtcnUfer des Kukenam folgten, der hier einen grossen, malerischen Wasserfall von mehren Cascaden, mit donnerähnlichem Getöse , bildete. Vor uns in Norden ragten über eine sich vor- schiehende Erhöhung, die den eigentlichen Gebirgslock des Roraima deckte, die rie- sigen Wälle dieses und des Kukenam empor, die heute ohne alle Nebelbildung in der hellen Morgensonne erglänzten, während sich aus N.W. her der Murre über eine mächtige Sandsteinwand in den Kukenam stürzte, über die sich eine reizende Legurninose in voller Bliithe herüberneigle. Ehe wir noch den Murre kreuzten, machten uns die Indianer auf einen grossen Sandsteinblock mit Bilderschrift auf- merksam, auf dessen Oberfläche wir mehre curvenlormige Linien bemerkten, die etwa ‘/a Zoll tief waren, und ganz das Ansehen hatten, als sei jemand mit beiden Händen in einer Curvenlinic über den Stein bingefahren, und habe den Eindruck davon auf diesem zurückgelassen. "Als Makinaima noch auf der Erde gewandelt, kam er an diesem Orte vorüber und liess den naebkommenden Geschlechtern dieses Zeichen seiner Gegenwart zurück.» Als ich einen unserer Begleiter aus Pirara frug, wer denn eigentlich Makunaima sei, antwortete er mir ohne Zögern : »Jesus Christus.» Nachdem wir den Murre durchschritten, wandten w ir uns weiter nordwest- lich über eine wellenförmige Savanne, wo uns bald ein anderes Flüsschen von etwa 10 Fuss B reite entgegen trat, das ebenfalls dem Kukenam zueille und unsern Pfad kreuzte. In der Milte des Bettes lag ein grosser Sandsteinblock, der den Vorderen in der Indianerreihe bereits als Uebcrgangsbrücke gedient, indem sie von dem diessei- BRITISCH -GUIANA. 255 tigen Ufer auf ihn, und von da auf das jenseitige Ufer gesprungen waren, ein Manöuvre, welches alle folgenden dem ersten nachmachlen. Ich war der sech- zehnte in der Reihe, mir unmittelbar folgte die junge Indianerin Kate, die, wie ich schon erwähnte, kurz vor ihrer Abreise von Pirara ihrem Manne angelraut worden war, und die wegen ihrer Heiterkeit, ihres freundlichen, neckischen We- sens, Eigenschaften, die man bei dem schönen Geschlecht Guiana’s nur höchst sel- ten findet, die Erlaubniss erhalten hatte, ihrem Manne folgen zu dürfen. Sie war der Liebling der ganzen Gesellschaft! Als ich an dem Flüsschen angekommen, fes- selten einige Schullesien, die das Ufer besäumten , meine Aufmerksamkeit, und um mich erst zu überzeugen, ob ich sie bereits gesammelt, blieb ich einen Augen- blick stehen, bis ich den Sprung that, wozu mich Kate ungeduldig und lachend mit der Bemerkung aulforderte: ich möchte doch nicht wegen jeder kleinen Blume stehen bleiben, und dadurch alle mir nachfolgenden aufhalten. Lachend nahm ich einen Ansatz und sprang auf den Stein. Eben wollte ich den zweiten Sprung thun, als mich ein markdurchdringender Schrei Kate’s fcslbannt, und der ihr unmittel- bar folgende Indianer, Awacaipu, den ganzen Fluss mit dem Schreckensruf : « Akuy , Akuy (giftige Schlange)!" überspringt. Dies war in dem Moment meines Herum- drehens nach Kate geschehen, die todlenbleich neben mir auf dem Block stand, und nach dem eben verlassenen Ufer mit demselben Ausruf : «Akuy\» zeigte. Als ich bestürzt frug, ob sie gebissen sei, fing sie bitterlich an zu weinen, und in dem- selben Augenblick bemerkte ich auch an ihrem rechten Beine in der Gegend des Knie's mehre Blutstropfen. Nur eine giftige Schlange konnte solche Wunden bei- gebracht haben, nur die schleunigste Hülfe das Leben unscrs Lieblings retten. Das Unglück wollte, dass Herr Fkyer mit meinem Bruder die letzten und der Indianer mit dem Medizinkasten, in dem sich auch die Lanzetten befanden, einer der ersten in der langen Reihe waren. In Ermangelung jeder andern Bandage schnallte ich ohne Zögerung meinen Hosenträger ab, überband die Wunden so fest als möglich und liess sie augenblicklich von den Indianern aussaugen. Ich glaube, die arme Frau wusste im ersten Augenblick gar nicht, dass sie gebissen war, obschon die Schlange zweimal nach ihr gefahren war, und sie einmal über den handbreiten Per- lenschnüren, mit denen sie das Bein unter dem Knie umbunden , das anderemal unter denselben gebissen hatte. Das Laufen und Rennen halle die uns nachfolgen- den und unter diesen auch den Mann Kate’s aufmerksam gemacht, weshalb sie eilend herbeikamen. So tief ihn auch der Anblick seines geliebten Weibes erschüt- terte, so musste er doch seine Gemülhsbewegung in sein Inneres verschliessen. Todlenbleich stürzte er sich neben ihr nieder und sog das Blut aus. Unter diesen Bemühungen war auch mein Rrudcr, Herr Fryer und der Indianer mit dem Medi- zinkasten angekommen. Herr Frier scarificirte die Wunden, und auf ihren Fersen 256 REISEN IN hockend, schauten die übrigen Indianer äusserlieh theilnahmslos zu und lössten sich im Aussaugen des Blutes ab. Der Kreis dieser scheinbar gleichgültigen Gesichter mit den blutigen Lippen hatte etwas Schauerliches! Obschon wir augenblicklich äusserlieh und innerlich Ammoniakspiritus anwandlen, so war all unser Be- mühen doch vergeblich; — nach Verlauf von drei Minuten stellten sich die natür- lichen Zeichen der Vergiftung ein : — heftiges Zittern ergriff den ganzen Körper, das Gesicht wurde immer bleicher und leichenähnlicher, bald wurde der Körper mit kaltem Schweisse bedeckt, wobei die arme Frau über heftige Schmerzen der ganzen Seite des gelähmten Fusses, in der Gegend des Herzen und im Rücken, weniger an der verwundeten Stelle klagte. Die freie Bewegung des Fusses war gelähmt, krampfhaftes Erbrechen stellte sich ein, das schnell in Blutbrechen über- ging; die Augen unterliefen ebenfalls mit Blut, das bald auch aus Nase und Obren drang; der Puls gab in der Minute wohl 120 — 130 Schläge. Nach 8 Minuten war in der Leidensgestalt unser Liebling nicht mehr zu erkennen, die Sprache hatte die Arme schon bei Eintritt des Blutbrechens verloren. Während dieser Zeit war die Schlange von den Indianern, die dieselbe einige Zoll vom Wege liegend ge- funden, getödtet worden. Wahrscheinlich hatte ich das Thier, als ich vom Ufer nach dem Stein sprang, berührt, und sie war nun nach der mir folgenden Kate ge- fahren, wenn diese sie nicht selbst gestört halte. Als sie die Indianer aufgefunden, hatte sie sich bereits wieder in eine Spirale zusammcngerollt, und den Kopf lauernd emporgerichtet, um so zum erneuten Sprunge gerüstet zu sein, was genügend gegen die Behauptung spricht, dass sie nach jedem Bisse die Flucht ergriffen. Es war der so giftige Trigonocephalus alt'ox, der sich eben gehäutet, während welcher Zeit alle Giftschlangen für viel gefährlicher als sonst gehalten werden. Die Indianer nannten sie Sororairna. Vierzehn Indianer und Herr Goodall waren schon an ihr vorübergegangen, ohne sie zu bemerken, ohne auf sie zu treten. Kate wurde das Opfer. Die Unglückliche wurde in ihrer Hängematte, bereits in bewustlosem Zu- stande, nach unserm Dorfe zurückgelragen, das sie so fröhlich und heiter verlassen. Begleitet von Herrn Fryer und ihrem Manne, der auch jetzt noch alle Seelenstärke anwendete , um seinen Schmerz vor uns zu verbergen, bewegte sich der Zug auf -Our Villa ge " zu. Der Blick, den wir noch auf die Bewustlose hatten fallen lassen, war der letzte; — dies wusste jeder von uns nur zu wohl ! In welcher Stimmung wir, besonders ich, da ich der Gefahr so naive gewesen, ja da ich mich immer noch als die unschuldige Ursache dieses Unglücksfalles ankla- gen musste, die Reise fortsetzten, lässt sich mehr fühlen, als sagen. Eine lange Zeit verging, bevor in unserer schweigsamen Colonne ein Laut hörbar wurde, denn selbst in dem Innern der Indianer liess das eben Erlebte andern Gedanken noch keinen Baum. BRITISCH-GMANA. 257 Nach einem halbstündigen Marsch standen wir abermals am Ufer des Ruke- nam, den wir durchschreiten mussten. Das Wasser ging uns bis an die Brust, und wir hatten alle Kräfte anzuwenden, um nicht von der reissenden Strömung forlgerissen zu werden, der selbst die Hunde beim Ueberschwimmen nicht wider- stehen konnten. Die Quelle lag etwa noch 5 Miles vor uns, und schon hatte der Fluss eine Breite von 50 — 60 Fuss. Als der Durchgang erzwungen war, folgten wir eine Zeitlang dem östlichen Ufer, das hier und da mit niedlichen Gesträuch- gruppen der Ternströmia, einer neuen Species Tovomita , Tovomita (Micranthera) ligulata (Klotzsch), Gomphia und der alles überragenden, stattlichen Dirnor- phandra, selbst mit der schlanken Mauritia und einer Menge anderer mir bisher unbekannter Pflanzen bestanden war. Wir befanden uns in einer Höhe von 3600 Fuss über dem Meere , die herrliche Palme zeigte aber noch dieselbe Kraft und Ueppigkeit, wie in den Savannen des Rupununi und Takutu. Nach einiger Zeit verliessen wir das östliche Ufer, wandten uns gegen N., ei’Stiegen eine kleine Hochebene, und vor uns lag das merkwürdige Gebirge in seiner ganzen imposanten Majestät, ohne dass die Basis, wie bisher, von sich vorschiebenden Höhen verdeckt worden wäre. In einzelnen breiteren oder schmäleren Streifen zogen sich von dem Fusse dunkle Grasflächen den Gebirgsstock empor, auf denen schroffe Felsenriffe zu Tage traten, die bis zu drei Viertel seiner Höhe mit bewaldeten Stellen abwechsel- ten, die sich besonders die Schluchten und Vertiefungen, so wie die Ufer der an ihm herab strömenden Flüsse zum Standort gewählt hatten. Dichte Buschwal- dung schloss den senkrecht aufsteigenden Wall ein, so dass dieser aus der dunkeln Belaubung herausgewachsen zu sein schien. Lange staunte ich diese imposanten Felsenmassen an, die man aus einer solchen Entfernung eher für Basalt, als für Sand- stein hält. Mit dem Roraima lag die Wasserscheide der drei grossen Flussgebiete Guiana’s, des Amazonenstromes, des Orinoko und des Essequibo vor mir. Mein Bruder hatte das Gebirge schon einmal betreten und untersucht; ich füge deshaibauch seine Erfahrungen im Auszug hier bei: « Die Parimakette trennt die Ebenen des un- tern Orinoko von denen d es Rio Negro und des mächtigen Amazons und breitet sich nach Alexander von Humboldt, dem ersten, der uns mit dieser Oberflächenbildung Guiana’s bekannt machte, zwischen der3. und 8. nördlichen Breitenparallele und dem 60. und 67. westlichen Längengrade aus. Der Gebirgszug erstreckt sich von N. 85 Grad, nach W. bis zu den Ufern des Rio Negro und Rio Rranco über einen Flächenraum von 225,000 □ Miles. Betrachten wir diese Oberflächenbildung in streng geographischem Sinne, so kann man dem Gebirgszug keineswegs den Namen einer Cordil/ere beilegen, da er weniger eine ununterbrochene Kette, als vielmehr eine regelmässige Gruppe von einzelnen Bergen bildet, die durch Ebenen und Savannen von einander getrennt sind, eine Granitgruppe, wie sich in dieser Aus- II.Theil. 33 258 REISEN IN dehnung wolil nur wenige auf der Erde finden möchten. Die reichen Gneislager, die Menge der metamorphischen Gesteine künden laut und deutlich, dass der ganze Zug dem Feuer seine Entstehung verdankt. Wie dies bereits an vielen andern grossem Gebirgsmassen bemerkt worden ist, so befinden sich auch hier die höch- sten Erhebungspunkte nicht in dem Centrum , sondern an den Ausläufern , und zwar in den südlichsten und nördlichsten Gebirgen ; dort ist es der Marawaca und Duida, in der Nähe des Orinoko, hier der Roraima. Der Marawaca erhebt sich 8/219*), der Roraima 8000 Fuss über das Meer. Eng mit der Parimakette sind die vereinzelten, in sich abgerissenen Kelten des Pacaraima oder Pacarinha unserer neuern Karten verbunden. Ich bin dieser wildromantischen Gebirgskette ihrer ganzen Länge von den Ufern des Corentyn bis zu denen des Orinoko, also mehr als neun Längengrade gefolgt, und obschon sie grösstentheils durch eine Menge von Ebenen und Thälern durchbrochen wird , so bildet sie doch vom 59. Längengrade bis zu jener merkwürdigen Gabellheilung des Orinoko eine ununter- brochene Granitmasse. Während ihr östlicher Theil, die Parima- Kette (collecliv genommen), von dem Corentyn und Essequibo durchbrochen wird, bildet gegen W. hin der Zug des Pacaraima die Wasserscheide der drei grossen Wasserbecken des nördlichen Theiles von Südamerika, des Amazons, Orinoko und Essequibo. Das charakteristischste dieses ganzen Gebirgszuges sind ohne Zweifel jene Sandsteinwälle, die wir zuerst an den Ufern des Cuyuni unter 6° 45' Norderbreite und 61° Westerlänge antrafen, die dann wieder am Masaruni zu Tage traten und in dem Roraima unter 5° 9' Norderbreite und 61° Westerlänge ihren östlichen Culminationspunkt erreichen. Während ich die Pacaraima- Kette auf meiner ersten Heise überschritt, traf ich unter der 4. und 5. Breitenparallele, zwischen dem 64. und 66. Meridian dieselbe Gcbirgsmasse und überzeugte mich endlich, dass nicht allein der Marawaca , sondern auch der Duida derselben Formation angehörte. Die Richtung ihrer grossen Achse verläuft demnach für die ersten zwei Gradparal- lelen mit dem Meridian und wendet sich dann während 350 Miles W.S.W. Es ist eine interessante Thatsachc, dass diese merkwürdigen Berge, welche gegen ihren Gipfel hin aus mauergleichen Abstürzen von 1400 — 1500 Fuss Höhe bestehen, *) Mein Bruder kam auf seinen Reisen nicht in die unmittelbare Nähe des Mara- waca , konnte daher auch keine genaue Messung anstellen. In seinen Berichten an die geographische Gesellschaft zu London sagt er: »Das Mittel von 7 Beobachtungen gab mir die Lage meines Aufenthaltsortes zu 3° 47' N.Br. an, und demnach muss der Berg Mara- wara , der höchste dieser Gruppe, unter 3° 40', der vereinzelte Kurianiheri mit seiner pyra- midalen Spitze, 3° 38' N.Br. liegen. Die gebirgige Gegend und die dichten Waldungen verhinderten mich, die Höhe des Marawaca nach einer Grundlinie zu bestimmen. Der Berg erhob sich aber sicher 10,000 — 1 1,000 Fuss über das Meer.» Da ine nes Bruders Angabe sieh nicht auf wirkliche Messung gründet, habe ich Codazzi’s Höhenangabe acceptirt. BRITISCH-GÜIANA. 259 gerade die Wasserscheide zwischen deri Flüssen bilden, die gegen N. dem Ori- noko, gegen S. dem Amazon und gegen Oslen dem Essequibo zufliessen. Dies ist der Fall bei dem Roraima, den Bergen des Pacaraima , dem Merewari , Tapira- peru ; selbst der Vindaua , in der Nähe des Culminationspunktes der kleinen Ge- birgskette, welche den ersten und zweiten Parallel durchschneidet, besteht aus Sandstein und bildet die Wasserscheide des Takutu , der zuletzt dem Amazon zu- strömt, und den westlichen Zuflüssen des Essequibo. Der Vindaua ist, so weit die Erfahrung reicht, der südlichste diesermauergleichen Sondsteinberge. In ihren Um- gebungen finden sich metamorphische Gesteine, Jaspis , der ganz mit dem sibirischen übereinstimmt, und Bergkrystalle.'« Ich hielt es für nöthig, diese kurzen, geognostischen Bemerkungen vorangehen zu lassen, bevor ich zu der Beschreibung der eigenthümlichsten Glieder dieser Kette, des Roraima und der übrigen übergehe. Das Gebirge wird, wie oben angegeben ist, von einer riesigen Sandsteinkette gebildet, die weniger in sich enggeschlossen zusammenhängt, als vielmehr in ein- zelnen hohen, getrennten Punkten verläuft. Der Roraima, Kukenam , Ayang-catsibang und Marirna bilden beinah ein Viereck, von dem der Roraima, die östliche Seite, nicht allein der höchste, sondern zugleich auch der interessanteste Berg der Gruppe ist, deren grösste Längenaus- dehnung, vom Roraima bis zur westlichen Spitze des Irutipu, 25 Miles beträgt. Der östliche Punkt des Roraima , unter 5° 9' 40" nördlicher Breite und 60° 57' westlicher Länge von Greenwich , erhebt sich 5100 Fuss über das Tafelland und 8000 Fuss über das Meer. Die obere Gipfelhöhe besteht aus einer nackten, an einigen Stellen 1500 Fuss hohen, ziemlich senkrechten Sandsteinmasse , welcher Formation auch die Basis angehört , und ich kann dem Leser kein sprechenderes Bild von diesen wunderbaren Formen entwerfen, als wenn ich auf ihre Wieder- holung en miniature in dem Königstein und Lilienstein der sächsischen Schweiz verweise. Nordwestlich vom Roraima erhebt sich der Kukenam mit gleicher, wallförmig auslaufender Gipfelhöhe, sowie der Ayang-catsibang ; nördlich der Marirna. Diese vier Berge nehmen von S.O. nach N.W. einen Flächeninhalt von 10 geo- graphischen Meilen ein. Das östliche Ende des Roraima hat täuschende Aehnlich- keit mit einem riesigen Portal. Der nordwestliche Theil von Ayang-catsibang liegt unter 5° 18' Norderbreite. Zwei Miles nordwestlich von ihm steigt eine andere Sandsteinhöhe, der Irwarkarima bis zu einer Höhe von 3000 Fuss über das Tafelland. Auf seinem östlichen Absturz liegt ein mächtiger Sandsteinblock von 466' Höhe mit einer Basis von 381 Fuss im Umfange, auf einem Piedestal von 33 * 260 REISEN IN 3135 Fuss Höhe auf, der ziemlich täuschend eine riesige Urne darstellt. Ihm schliesst sich der Wayaca-piapa, der »gefällte Baum» an, den, nach der Tradition der Indianer, der gute Geist Makunaima auf seiner Reise über die Erde umhieb und in Stein verwandelte, um ihn zur Erinnerung an seine Wanderung den Men- schen zurückzulassen. Wayaca-piapa hat viel Aehnlichkeit mit einem Obelisk. Die Berge Yaruaraino, Irutipu, Carauringtipu , von denen sich der letztere 4943 Fuss über das Tafelland erhebt, schliessen diese merkwürdige Gruppe. Zahllose Wasserfälle stürzen sich von den flachen Gipfeln herab, und die feu- rigste Beschreibung wird immer nur ein Schatten gegen die wahrhaft imposante, unendlich grosse Wirklichkeit mit den donnernden und schäumenden Cataracten, mit der wunderbaren, zauberhaften Tropenvegetation der Basis bleiben. Von dem östlichen Ende des Roraima stürzt sich der Cotinga herab und führt seine Wasser vermittelst des Ta/ei/tu, Rio Branco und Rio Negro, dem grössten Strome, dem Amazon zu. Etwas nördlicher von der Wogenrinne des Cotinga hat sich der Cuya , ein Nebenfluss des Mazaruni und dadurch des Essequibo , sein Belt in den Sandsteinabsturz ausgewaschen. Einige Ströme der südwestlichen Seite eilen dem Fluss Kukenam zu, unter denen der Kamaiba der bedeutendste ist. Der Fluss Kukenam selbst entströmt dem Nachbarfelsen des Roraima , dem Küken am , und bildet, nach der Vereinigung mit dem Yuruani, den Caroni, einen Nebenfluss des Orinoko. Der Yvruani aber, den die Indianer für den Hauptstrom des Caroni halten , ergiesst sich in unzähligen Strömen von der nördlichen Seite des Kukenam herab und nimmt auf dem westlichen Thalufer eine Menge anderer, kleiner Flüsschen auf, die sich von dem Ayang-catsibang , Zaranglipu und Iricar- karirna , kleinern Höhen der Gruppe, herabwälzen. Den mauergleichen Wall des Marirna überstürzt der Araparu in vielen kleineren Strömen, während der Cako , einer der grössten Nebenflüsse des obern Mazaruni, der an der östlichen Seile des Irutipu entspringt, und der Cama von seiner westlichen Seite herabstürzt und dem Apauwanga , einem Nebenfluss des Caroni zufliesst. Welch unendliche Wassermassen sich unter einem betäubenden Gedonner von diesen jähen Steilhöhen herabslürzen , kann man nach der Menge der Flüsse beur- theilen, die auf den Plattformen ihren Ursprung haben, weshalb die Gebirgsgruppe mit Recht von den Indianern »die ewig fruchtbare Mutter der Ströme» genannt wird. Ein gleich interessantes geognostisches Phänomen möchte sich kaum noch einmal wiederfinden. Mit stiller Bewunderung staunte ich die vor meinen Augen sich ausbreitenden Gebirgsmasscn, mit ihren schäumenden Wasserbändern an, bis sie mir plötzlich wieder durch einen neidischen Nebelschleier verhüllt wurden. Die dichten Wal- dungen, welche sich von ihrer nördlichen Spitze bis zu der Rüste des atlantischen Roraima und Kukenam. RRITISCII-GUIAINA. 261 Oceans hinziehen, denen sich südlich von dem Gebirge die unabsehbaren Savannen vorlegen , mögen ohne Zweifel die Hauptursache dieser fortwährenden Nebelbil- dungen, so wie ihres Niederschlags und der fast tagtäglichen Gewitterstürme sein. Mit schnellen Schritten eilten wir nun über den noch vor uns liegenden Wel- lengrund, der von einer Menge Nebenflüsschen des Kukenam durchschnitten wurde, die mit einer mir ganz fremdartigen Vegetation umsäumt waren. In ihrer Nähe zeigte die letztere ihre gewöhnliche Ueppigkeit und Kraft der Tropen ; entfernt von ihnen dagegen waren die Gesträuchgruppen auffallend kümmerlich. Die Augen waren fortwährend auf d en Roraima gerichtet, und alles andere neben und vor uns weniger achtend, erreichten wir endlich den Gebirgsstock desselben und begannen diesen auf einer der von Waldung enlblössten Flächen, zwischen kolossalen Sand- steinblöcken in den phantastischsten Formen, zu besteigen. Je höher wir stie- gen, um so schöner und überraschender ward die Vegetation des Bodens und der uns umgebenden Sandsteinblöcke, welche letzteren sich, wo sich irgend etwas Erde in den Spalten gesammelt, namentlich eine eigenthümliche Pflanzenform, mit star- ken, lederartigen Blättern zum Standort gewählt; es waren Clusien, Mimosen, Myrica, Gaultheria, Thibaudia, indessen zwischen den Felsenspalten die kleine niedliche Meisneria cordifolia (Benth.) wucherten. Die von aller Erde entblöss- ten Seiten deckten Agaven, Cactus, Gesnerien, Moose und Flechten. Noch hatten wir nicht die Hälfte der Basis des Steinwalles erreicht, als sich plötzlich jene dich- ten Nebelmassen, die bisher nur den Gipfel umlagert hielten, immer tiefer und tiefer senkten, und uns bald selbst umschlossen, so dass wir kaum 6 — 8 Schritt vor uns sehen konnten. Der Nebel verwandelte sich schnell in einen wolkenbruch ähn- lichen Niederschlag, bei dem die im Verlauf von lJ/2 Stunde herabstürzende Was- serraasse mehre Zoll betrug. An eine Fortsetzung des Aufwärtssteigens war nicht mehr zu denken. Zitternd vor Kälte, preisgegeben dem heftigen Regenguss, such- ten wir so schnell als möglich unsere Zeltdächer aufzuschlagen, um dann unser dringendes Verlangen nach Wärme durch Feuer zu befriedigen, das aber erst nach vielen vergeblichen Versuchen gelang, da der Regen alles Holz, was wir fanden, durchnässt hatte. Endlich war es gelungen und trotz des heissenden Rauches, der dem zischenden nassen Holz entstieg, hockten wir uns doch zähneklappernd um die spärliche Flamme herum. Der Regen und Nebel währte bis zum Einbruch der Nacht. Das Thermometer zeigte 58° Fahrenheit. Die armen nackten Indianer, die keinen Platz unter dem Zeltdach fanden, eilten einer dichthewaldeten Schlucht zu, um in dieser die kalte Nacht zuzubringen, die auch uns mehrmals aus dem Schlafe aufschüttelte; — eine Empfindung, die uns eben so fremd geworden, wie sie empfindlicher war, als in Norden eine Kälte von 10° Reaumur nur irgend sein kann. 262 REISEN IN Der mit Sehnsucht herbeigewünschte Morgen brachte uns endlich die erwär- menden Strahlen der Sonne, die unser Zähneklappern schnell vertrieben. Er- wärmt schritten wir zwischen dem herrlichen, üppigen Gesträuch, das im Schmelz von Millionen Thau- und Regentropfen erglänzte, bergauf, der vom jungen Sonnen- strahl in magischer Beleuchtung erglühenden Felsenmasse entgegen. War unser Aufsteigen auf dem durch den heftigen Regenguss schlüpfrig ge- wordenen Pfade gegen gestern auch doppelt schwieriger, so achtete doch keiner von uns diese Anstrengung, denn mit jedem Schritt wurde die Vegetation inter- essanter; jeder Schritt aufwärts brachte mir eine neue, noch nie gesehene Pflanze entgegen, ja in den Zwischenräumen von je hundert Schritt wechselten sogar die verschiedensten Pflanzenzonen. Ladenbergia, Cosmibuena , als 2 — 3 Fuss hohe Sträucher, die reizendsten Orchideen sprossten aus allen Spalten und Ritzen mäch- tiger Sandsteinschichten hervor, unter denen ich nur die kleine schilfartige Spe- cies, die ich schon bei Besteigung des Humirida gefunden, so wie die herrliche Callleya , Oncidium , Odontoglossum und Maxillaria erwähne. Etwa hundert Fuss über diesen trat die reizende Sobralia Elisabethac in all’ ihren Varietäten mit 6 — 8 Fuss hohen Blüthenstengeln in solcher Menge auf, dass wir uns den Weg durch sie mit unsern Waldmessern bahnen mussten. Auf jedem Felsblock, die mit dem niedlichen Moose , Octoblepharum albidum , und Flechten , Usnea australis (Fl.), Cladoniu rangiferma, cocornia, enrnea überzogen waren, zeigte sich eine Mannigfaltigkeit der Pflanzenformen, wie ich sie noch nirgends gefunden. Gespannt auf den nächsten Augenblick überklimmten wir die scharfen, spitzen und kantigen Felsenblöcke, vorwärts ging es, bis ein Ausruf des Staunens, den ein neuer Fund hervorrief, die Emsigen eine kurze Zeit zum Stillstand brachte, und ich muss gestehen, ich kam während der ersten Stunden in diesem botanischen Paradiese eigentlich zu keiner rechten Besinnung, zu keinem rechten Nachdenken. Einigemal führte uns der Weg dem Scheitel tiefer Schluchten entlang, in denen schäumende Bäche zwischen förmlichen Farrnkrautwäldern, die jede andere Pflanze verdrängt hatten, der Thalsohle zustürzlen. Erreichten auch die Bäume nicht die Höhe ihrer Brüder im Thalc, so prangten ihre Wipfel doch in einem Blülhenflor, wie er jenen fast unbekannt war. Unter dem prahlenden Hochgelb der Gomphia , Vochysia , dem blendenden Weiss der Qua/ca, konnte man kaum die weisslich gelben, einfachen Blüthen der Ladcnbcrgicn herausfinden, aus denen der grösste Thcil der Waldung bestand. Bald führte uns der Weg an einer Waldung hin, deren Saum nur aus blühenden Sträuchcrn in all’ nur denkbaren Nuancen bestand. Dazu trugen ebenso Vochysia tclraphylla, Gomphia dura (Klotszch), die glän- zenden Blüthen der Befaria , Gaultheria , Archylaea , Tibouchina , IHrtclla und Bhynchanlhcra bei. Vereinzelte Bäume der in ihrem Habitus so zier- BRITISCH- GUIANA. 263 liehen Weinmannia ovalis (Pav .), deren zarte hellgrüne Blätter von dem weissen Blüthenflor bedeckt wurden, leuchteten uns in der Nähe und aus der Ferne entge- gen. Unter dieser lieblichen und reizenden Abwechselung hatten wir beinah die Zone der niedern Waldung, die den Berg dann bis zum senkrechten Walle umgiebt, er- reicht, als sich eine kleine, sumpfige Ebene vor uns ausdehnte, auf der Flora ihre zartesten, ihre schönsten Kinder vereint, auf der der Blüthenzauber seinen Culmi- nationspunkt erreichte. Die ganze Fläche war mit dem Dunkelblau der Utricularia Humboldtii ( Schomb .), der schönsten Species dieser Gattung mit 3 — 4 Fuss hohen, röthlichen , zarten Blüthenstengeln, an denen oft 3 — 4 grosse gesättigt blaue Blüthen hängen, überzogen. Während das staunende Auge über diesen Zauberteppich hingleitete, hafteten sie unerwartet auf der gleich interessanten He- liamphora nutans mit ihren eigentümlichen, schlauchartigen, hellgrün und roth- gerippten Blättern, zwischen denen sich der ebenfalls zarte Blüthenstengel mit seinen weissen , oft auch rothtingirten Blüthen erhob. Hoch über diese zarteren Gewächse aber erhoben sich die Blüthen des herrlichen Cypripedium Lindleyanum (Schomb.), der reizenden Kleistes, die gelben Blüthen einiger Rapateae, unter denen ich nur die schöne Saxo-Frülericia Regalis, (Schomb.) und aus der eben- falls neuen Gattung, Stegilepis (Klotzsch) , die Stegilepis guianensis erwähne. Mitten unter diesem Gewirr mir fremdartiger Pflanzen, glaubte ich eine Cycas ste- hen zu sehen; einige Sprünge durch den sumpfigen Boden brachten mich zu der geträumten Entdeckung, in der ich jedoch nur ein Farrnkraul mit grossen, auf- wärtsstehenden Wedeln fand, die nur wenig von den Blättern der Cycas abwichen. Es gehörte der Gattung Lomaria an und war neu ; die geträumte Cycas wurde zur Lomaria Schomburgkii (Klotzsch) ! Meine Augen waren geblendet von dem Glanz des frischen Grüns, von der Farbenfülle der Blüthen, der auf dieser Ebene vorherrschend krautartigen Pflanzen, meine Sinne betäubt von den lieb- lichen Düften, mit welchen sie die Luft erfüllten ; ich glaubte mich in einen Zau- bergarten versetzt ; denn solcher Farbenschmelz , eine solche Mannigfaltigkeit auf einem so kleinen Raum vereint, war mir bis heute fremd geblieben ! Der Saum der niedrigen Waldung, der dieses botanische El Dorado umschloss, bestand aus der herrlichen Thibaudia nutans (Klotzsch), e, iner neuen reizenden Species, deren junge, rosenrothe Blätter, mit ihren halb roth halb weissen Blüthen, den gelben wohlrie- chenden Blüthen des Wurzelparasiten Loranthus Tagua(H. B. K.) den prachtvoll- sten Melastomen, sowie zierlichen, mitgrossen Blüthen bedeckten Bäumen der Tabe- bouia triphylla (Dec.) und baumartigen Farrn einen Kranz bildeten, um den sich wieder eine Menge Schlingpflanzen in phantastischem Gewirr schlangen, oder sich zu einem dichten Gehege vereinigten. Blickteich dann empor zu dem hoch über mir aufsleigenden, riesigen Sandsteinwall von 1500 Fuss Höhe, hin auf die vielen Was- 264 REISEN IN scrfälle, die sich über seine Plattform die jähe Höhe herabstiirzten, so wollte das Herz auljauchzen, und doch fühlte es sich wieder so klein und armselig, diesen imposanten Massen gegenüber, deren Schilderung ich gar nicht zu beginnen wage, da meine Feder sich dem nicht gewachsen fühlt, jenen Eindruck, jene Gefühle wie- der zu geben, wie sie in mir lebendig geworden. Es waren der Gegenstände zu viel, die sich so unerwartet meinen Augen darboten, — ich sah zuletzt nichts mehr, und es wäre mir unmöglich gewesen, jetzt einer und derselben Pflanze nur eine minutenlange Aufmerksamkeit zu schenken; ja ich konnte endlich selbst den aufgeregten Gefühlen keine Worte mehr geben, aber das Herz jubelte vor Ent- zücken und Wonne, alle bisher erduldeten Mühen der Vergangenheit , selbst die Zukunft mit ihren Befürchtungen gingen in der überglücklichen Gegenwart auf! Ohne eine Pflanze pflücken zu können, eilte ich zu den übrigen zurück, die eben damit beschäftigt waren, in der Nähe dieses kleinen El Dorado, zwischen zackigen, spitzen, von Flechten, Moos und Farrn überzogenen Felsen unsere Zeltdächer auf- zuspannen, um hier so lange zu verweilen, bis die trigonometrischen Messungen beendet und die Pflanzenfülle so viel als möglich ausgebeutet sein würde. Wir befanden uns 6000 Fuss über dem Meere, unter 5° 9' Norderbreite und 60° 57' Westerlänge ; die Höhe bis zum Gipfel des Roraima , vom Lager aus, betrug einer trigonometrischen Messung nach noch 2000 Fuss. Die me- teorologischen Instrumente, zu den heute schon zu beginnenden Beobachtungen, waren bald aufgestellt, und ausser der etwas unangenehmnn Kälte fühlten wir weder Beklemmungen der Brust, noch eine Behinderung im Athmen, und dazu waren die stechenden Inseclen des Thaies vollkommen verschwunden. Die Aussicht in das Thal waruns nochversagt, da ein dichtes Nebelmeer dasselbe schon deckte, ehe Avir noch diese Höhe erreicht. Nachdem wir unsere Zeltdächer aufgeschlagen und alles übrige arrangirt, bauten sich die nackten bebenden Indianer ihre kleinen Hütten zwischen den Felsblöcken auf und zündeten grosse Feuer an, um die sie sich hockend herum setzten, oder, in der Hängematte sitzend , ihre Füsse diesen so viel als möglich näherten. Gegen sichen Uhr verwandelte sich der Nebel in einen in Strömen herabfallen- den Regen, der von einem heftigen Sturmwind begleitet war. Es war ein grausi- ger Aufruhr, bei dem der wüste Sturm den Regen mit fürchterlicher Gewalt durch unser Zelt jagte, uns vollkommen durchnässte und unsere Zähne aufs neue klappern machte. Das Thermometer stand auf 58° Fahrenheit. Das Feuer konnte die Wirkung des schneidenden Windes nicht mildern. Nachdem dieser Aufruhr eine Stunde angehalten, legte sich der wilde Sturm, die Wolken zerlheillen sich und der Himmel wurde wieder hell und klar, der Mond und die Sterne des blauen Domes beleuchteten ein Schauspiel , dessen erschöpfende Beschreibung selbst die BRITISCII-GülälNA. 265 feurigste Phantasie vergeblich versuchen würde. Uebergossen von dem magischen Silberlicht des Mondes, unter dem schauerlichen Getöse eines dumpfen Donners, stürzten sich die zu Strömen angeschwollenen Wassermassen von der Scheitelfläche herab. Herab von dem Roraima tobte es, als seien Hunderte von Dampfmaschinen im Gange, herüber brüllte es vom Kukenam , als habe das Meer seine alten Ufer durchbrochen und wälze sich nun, alles hinter sich begrabend, über die Feste hin! In friedlicher Stille warfen der Mond und die Sterne ihr silberbleiches Licht auf die entfesselten und in weissen Schaum aufgelösten W'ogenmassen , die wie zer- schellende Wellen über die niedere Waldung aufbrausten, aufden dunkeln Coloss in unserer Nähe und die tiefe, schwarze Schlucht , welche den Roraimn von dem Kukenam trennt, die sie aber nicht zu erhellen vermochten. Der am Nachmittag nichts weniger als breite Kamaiba stürmte jetzt als 20 — 30 Fuss breiter Strom hernieder ; — doch unser Entzücken sollte sich noch mehr steigern, als sich plötz- lich der schönste Mondregenbogen vor uns aufbaute, den ich noch gesehen ! Zitternd vor Kälte wachte ich am Morgen des 20. Novembers zwischen 4 und 5 Uhr auf. Das Thermometer zeigte 52° Fahrenheit. An Schlaf war bei diesem Schütteln des Frostes nicht zu denken, und wir dankten Gott, als wir mit dem an- brechenden Morgen unsere erstarrten Glieder durch Bewegung wieder erwärmen konnten, was das Feuer nicht vermochte. Das am gestrigen Abend unser Gemiilh so aufregende Getöse hatte nachgelassen, die Wasserfälle hatten ihre frühere Grösse wieder angenommen — das Gesehene und Gehörte kam uns wie ein Traum vor! Nach den Traditionen der Indianer breiten sich auf den Plattformen grosse Seen aus, die mit allerlei Fischen, besonders aber mitDelphinen, gefülltsind, undun- unterbrochen von riesigen, weissen Adlern, als ewigen Wächtern umkreist werden. Der anbrechende Tag entfaltete einen neuen Zauber vor unsern staunenden Augen. Der Roraima und Kukenam, so wie die übrigen höhern Punkte waren vollkommen wolkenlos und glänzten im friedlichen Strahl der erwärmenden Sonne, tief unter uns aber überzog ein dichter, weissen Nebel die ganzen Umgebungen wie mit einem grossen Schneetuch, das in dem merkwürdigsten Lichtwechsel und unter der ver- schiedensten Strahlenbrechung von der aufgegangenen Sonne beleuchtet wurde. Wir hatten den Süden in den Höhen, und den Norden in der Tiefe. Der Contrasl zwischen der üppigen Vegetation um und über uns, zwischen dem riesigen Sand- steineoloss mit seinen flimmernden Wasserfällen, seinen düstern , rothen Wällen war überraschend. Alexander von Humroldt sagt, dass man in den Alpen verge- bens nach einem 1600 Fuss hohen perpendiculären Felsen sucht. Vor uns stürzte sich auf der südlichen Seite der Kamaiba 1500 Fuss herab. Der berühmte Staub- bach in den Schweizeralpen wälzt sich über eine 900 Fuss hohe Felswand, und die noch berühmtere Cascade de Garantie, der höchste bis dahin bekannte Wasserfall, II. Tlieil. 34 REISEN IN 266 hat ebenfalls nur eine Höhe von 126G Fass. An den steilen Felsen hatte sich hin und wieder eine strauchartige Vegetation festgeklammert, die von unserm Stand- punkte aus als eine ineinanderfliessende, grüne Masse erschien und ebenfalls grell gegen die röthlichen Felsenmassen abstach. Die obere Fläche des Rovaima musste sich in der Mitte etwas erheben, denn wir konnten auch dort einige Gesträuchstel- Ien wahrnehmen. Nachdem der Rarnaiba den grauenhaften Sprung von 1500 Fuss gethan, und in dem frischen Grün der die Basis umgebenden Gesträuche verschwun- den war, tauchte er plötzlich einige 100 Fuss vom Felsen auf einer von aller Vegeta- tion entblössten Stelle wieder auf, und stürzte sich dann nochmals eine 120 Fuss hohe steile Felsenwand hinab, um von da abermals in der grünen Belaubung zu verschwinden. Dieses zauberhafte Schauspiel sollte uns jedoch nicht lange bleiben. Der Nebel fing an, sich zu heben , stieg als langgestreckte Wolke aus der Tiefe auf, die schnell von dem Winde über den grössten Theil der Umgegend hingetrie- ben wurde, und uns und die hohen Felsen bald wieder in jenen neidischen, für die Augen undurchdringlichen, feuchten und kalten Schleier einhüllte. Nachdem wir unsere aus Yams und Wasser bestehende 3!orgensuppe verzehrt, durchstreifte ich die Abdachung des Gebirges nach allen Seiten hin und entdeckte fast mit jedemSchrilt neue Schätze, wie jeder solcher den kaum verstummten Ausruf der Freudevon neuem ins Leben rief. Die herrlichste und eigenthümlichste Flora boten mir jedenfalls die riesigen Sandsteinblöcke, die den Abhang in wilder Verwirrung bedeckten. Auf ihnen hatte sich ein förmliches Chaos von Clusien , Thibaudien, Mimosen, Myrcia , Tcrnströmia , Bonnelia, Bef aria, Vaccinium, Gnvltheria, Gomphia und Stegilepis guianensis heimisch gemacht, während die zackigen, gi- gantischen Nadeln, die zwischen ihnen zu Tage traten, und aus einem kieseligen, dichten, weiss und rotlicn Sandstein bestanden, von Flechten, wie: Cladonia, Ever- nia, Usne.a und Moosen, wie: Sphagnum , Octoblepharum Ca/ymperes und Hyp- num , zwischen denen das niedliche Gnaphaliurn arncricanum wucherte, bedeckt waren . Wo die Augen auch hinblicken mochten, überall begegneten sie den reizend- sten Orchideen, wie S'elis ophiop lossoides (Su>.), Diothonea imbricala (Lind!.), Zt/gopctalum Machai (Hook.), Masdevaflia guianensis (Lind!.), C/cistcs rosea (Lind/.), Oncidium pulcheUiim, Cattlcya pumila (Hoo/e.) und Mossiae (Hook.), Odonloglossen , MaxiHaricn , einer zahlreichen Menge Epidcndren. Der lieb- lichste Schmuck aber blieben die Sobralien, die in dieser Höhe in einer Ueppigkeit wucherten, die dem nordischen Gärtner fabelhaft Vorkommen möchte. Wo sich in den Spalten und Vertiefungen der Blöcke etwas Humus angesammelt, oder wo die Sandsleinschichten nur mit etwas leichter, vegetabilischer Pfianzenerde bedeckt waren, da schossen sie in Trieben von 8 — 10 Fuss Höhe, mit Blüthen von der 13RITISCII-GUIANA. 267 Grösse unserer Gartenlilie empor und bildeten dann förmliche Verhaue, durch die man sich mit dem Waldmesser Bahn brechen musste. Der Grund, warum die So- bralicn so selten in unsern Orchideen-Häusern blühen, mag wohl darin liegen, dass man ihnen gewöhnlich eine viel zu warme Temperatur giebt. 69° Fahrenheit war in der Höhe, die sie in solch wunderbarer Fülle gedeihen liess, der höchste, 52° Fahrenheit der niedrigste Standpunkt des Thermometers. Die Temperatur des W assers der Sturzbäche zeigte 55 — 58°. Die Tabellen der meteorologischen Beobachtungen während unseres Aufenthaltes auf dem Boraima zeigen, in wel- cher Temperatur nicht allein die Orchideen, sondern überhaupt alle die eigentümli- chen Pflanzenformen in einer Ueppigkeit wucherten, wie ich sie auf tiefem Standpunkten fast nirgends gefunden. Nach diesen Erfahrungen scheint mir, dass, bevor nicht unsere Orchideencultur genauer und bestimmter der den Pflanzen eigen- tümlichen Temperaturzone genähert wird, wir auch fortwährend die Klage über ihr spärliches Blühen hören werden. Treten wir jetzt in ein Orchideenhaus, so finden wir in einer und derselben Temperatur alle die Formen, die der Eigentü- mer besitzt; die Höhe der Temperatur ist dieselbe, ihr Feuchtigkeitsgrad ebenfalls. Möchte man diese hingeworfenen Winke mehr beachten, und ich bin überzeugt, die reizende Sobnilia würde bald auch bei uns ihre zauberhaften Blüten ent- wickeln. Der Vegelationssaum, der sich an den Bächen und Gewässern, die in tanzenden und geschwätzigen Sprüngen der Ebene zueilten, hinzog, bestand fast durchgängig aus den schon erwähnten Pflanzenformen, zu denen sich noch unter jenen Melasto- macecn, Bhynchanteren, Microlicien eine neue h^rrWch^Melastomacea gesellt hatte. Der schöne, oft 20 — 30 Fuss hohe Baum, mit seinem gefälligen Habitus, der meist in ganzen Gruppen seinen Standort an dem Saume der niedrigen Waldung halte, bildete ohne Zweifel den lieblichsten Schmuck dieses Zaubergartens. Seine grossen, weissen, zwei Zoll im Durchmesser haltenden Blüten besitzen die Eigen- tümlichkeit, dass sie bei ihrem Aufblühen mit dem zartesten Bosenrolh lingirt sind, das mit dem Vorrücken des Tages jedoch immer mehr und mehr erblasst, bis es am Abend in das reinste Weiss übergegangen ist; eine Eigenthümlickeit, die die Victoria regia in umgekehrtem V erhältniss besitzt. Die prachtvolle Erdor- chidea: Cleistcs rosea (Lind/.), mit ihrer grossen, rothen Bliilhe, zwischen Ulri- cu/aria, Heliatnphora, Cypripedium, Stegilepis und dem schöne Farrn : Lomaria Schomburgkii, erhöhte den Reiz dieses zauberhaften Blumenbeets vielfach. Doch wo sollte ich die Worte herfinden, wenn ich den Eindruck der zahllosen blühenden Pflan- zen, die sich bis zur Basis des Felsens in ununterbrochener Fülle aneinander reih- ten, hier beschreiben wollte! Der Rorairnu repräsenlirt alles, was Afrika und Neu- holland, was Europa’s Süden nur bieten kann! Unter dieser grossen Anzahl zicr- 34* 268 «EISEN IN lieber und mannigfacher Pflanzen, welche den Abhang des Roraima deckten, ist es die Gattung Rcfaria , die durch die prächtige Farbe ihrer Blüthen sich besonders bemerkbar macht. Es ist unstreitig eine der schönsten Repräsentantinnen der Sand- steinregion. Sie tritt erst in einer absoluten Höhe von 3000 Fuss auf, und geht bis zu 6000 Fuss, wo der prächtige Strauch aber schon nicht mehr die Ueppigkeit uud Grösse, wie in der Höhe von 3 — 4000 Fuss zeigt. Auf dem /fwwfnVZw-Gebirge, wo diese interessante Gattung mir zuerst entgegen trat, schien sie ihre grösste Voll- kommenheit zu erreichen. Die Sträucher hatten hier eine Höhe von 8—10 Fuss, indessen sie am Abhange des Roraima nur 4 — 6 Fuss erreichten. Ihr Lieblings- standort scheinen sonnige, sandige Bergabhänge zu sein. Durch Herrn Doctor Karsten ist diese schöne Gattung jetzt aus Columbien eingefiihrt und wird später gewiss eine der grössten Zierden unserer Gewächshäuser werden.*) Ich wollte in die niedere Waldung hineindringen, mein Versuch misslang, ein solch zusammen- gewachsenes Chaos von Farrnkräutern, Scitamineen, verschlungen mit den Bäu- men, deren Aesle sich in dieser Höhe schon unmittelbar über dem Boden vom Stamme abzweigten , konnte ein menschlicher Körper nicht durchdringen. Die Stämme standen dicht gedrängt neben einander. Gleich arm, wie das Thal, war auch die Höhe in Bezug auf die Fauna. Nur einige kleine Vögel aus der Gattung Fringilla und Trochilus (Tr. Anais Less.) *) Ich führe die blühenden Hauptrepräsentanlen des Roraima hier kurz an: Rondeletia ra/)itala (Benth.), Chioeocca nitida ( Benth .), Per amu humilis ( Benth .), Echites angustifotia (Benth.), subcarnosa (Benth.), IFaltheria viscosissima (St. Bit .), Vernonia dichocarpha {Lass.), ehrclifolia (Benth.), tricholepis (Der.), Enpatorium scabrnm (Lin. fil.), Lipochaeta scaberrima (Benth.), Spilanthes Poeppigii (Der.), Calca divaricala (Benth.), Achyroclinc f/uccida (Benth.), Gnaphalium amerieanum (MUL), Leria nutans (Den.), Hyptis membrana- caa (Benth.), simplex (St. IUI.), Marsypianthes hyptoid.es (Mart.), Ormosia coccinea (Jack.), Dhnorphandra macrostachya (Benth.), Hirtella soabrn (Benth.), Chaetogastra gracilis (Dec.), hyperlcoides (Dec.), divaricala (Der..), glomerata (Mart.), Macairca rigida (Benth.), parvi- fulia (Benth.) , Microlicia myrtoidea (Chamss.), taxifotia (Benth.), Iihynchanthera mono- dynama (Dec.), Diplochita Fnthergilla (Den.), parriflbra (Benth.), Tocona cristata (Benth.), Roraimac (Benth.), Ilenriettea succosa (Dec.), Clidemia capitata (Benth.), spioata (Dec.), pustulala (Dec.), rariflora (Benth.), radutaejulia (Benth.), desmantha (Benth.), Miconia alala (Dec.), nitens (Benth.), revoluta (Benth.), Myreia subenrdata (Dec.),ferruginea (Dec.), Utricu- l aria llumboldtii (Schomb.), Heliamphora nutans (Benth.), Cypripedium Lindleyanum (Schomb.), Leint hamnus Elisabet hae (Schomb. sp. nov.), Encholirium Augustae (Schomb. sp. nov.), Go mp hin dura ( (lilotzsch sp. nov.), l'ernströmia rubicunda (lilotzsch sp. nov.), punctata (Sw.), /Fein mann ia ovalis (Pav.), guianensis (lilotzsch sp. nov.), Vaccinium puberulum (lilotzsch sp. nov.), Gaultheria cordifulia (llumb. Bonp. Kth.), Thibaudia nutans (lilotzsch sp. nov.), Isert ia hypoleuea (Benth.), Clusia cuciillula (lilotzsch sp. nov.), alba (Lin.), ma- rropoda (lilotzsch sp. nov.), Ithopa/a SchnmLurgkii (lilotzsch sp. nov.), Befaria Schom- burghiana (lilotzsch sp. nov.), grundiflnra (llumb. Bonp. U/h.), guianensis (lilotzsch sp. nur.), Bonnet ia sessi/is (Benth.), Arrhylea multijlora (Benth.), Stegilepis guianensis (L/olzsch gen. nov.) und Snxo Eridcriciu llegalis (Schomb. gen nov.). BRITISCH-GlJIANA. 269 uud eine neue Speeies der Gattung Diglossa , Diglossa major (Cab.) und Arreinon personatus (Cab. sp.fiov.), die mit ungemeiner Schnelligkeit durch das niedrige Ge- büsch schlüpften und eifrig jedes Blatt nach den wenigen Insekten untersuchten, die sich hier aufhielten , waren die Repräsentanten , die ich fand ; sonst war alles still, und ausser dem dumpfen Gedonner der Wasserfälle unterbrach keinLaut die tiefe Ruhe. Die Menge Pflanzen, die ich in kurzer Zeit mit meinem Begleiter gesammelt, nölhigten mich, nach dem Lager zurückzukehren, um diese erst unter die Presse zu bringen, was leiderleichter beschlossen, als ausgeführt werden konnte, da das Papier, so wie es vom Feuer weggenommen wurde, von der feuchten Luft auch unmittelbar so durchnässt wurde, dass ich an ein Trocknen nicht denken konnte, mochte ich die Bo- gen auch mehrmals des Tages wechseln lassen. Die Feuchtigkeit in dieser Höhe war so gross, dass Herr Goodall sich mit seinen erstarrten Händen vergeblich bemühte, den Roraima auf das nasse Zeichenpapier überzutragen. Trotz der sorgfältigsten Verwahrung der astronomischen Instrumente wurden diese doch von Rost überzo- gen ; ein geladenes Gewehr, das einige Stunden gestanden, ging schon nicht mehr los, da sich dann das Pulver bereits in eine schmierige Masse verwandelt hatte 5 es war zum verzweifeln! Kurze Zeit nach meiner Rückkehr von der Excursion traf auch Herr Fryer mit der Nachricht ein, dass die arme Kate am Morgen um 4 Uhr, also 63 Stunden nach ihrer Verwundung gestorben sei. Das Bluterbrechen hatte sieh immer mehr gesteigert und bis zu ihrem Tode angehalten. Der Fuss war noch an demselben Tage zu einer unförmlichen Masse angeschwollen, wie sie auch nicht wieder zur Besinnung gekommen war. Der eintretende Brand hatte ihrem Jammer ein Ende gemacht. Nach den heftigsten Krämpfen und Convulsionen musste die Kranke fürchterlich gelitten haben ; — aber kein Seufzer, kein Laut kam über ihre Lippen. Sogleich nach ihrem Tode hatten sich alle Weiber des Dorfes in der Hütte versammelt und der Leiche unverständliche Worte in die Ohrengeschrien, indess sich Herr Fryer, während der Vorbereitungen zur Beerdigung, unverzüglich auf den Weg nach dem Roraima gemacht, um uns hier wo möglich noch einzuholen. Die Nachricht von dem Tode unseres Lieblings, obschon sic uns nichts weniger als unerwartet kam, verbreitete doch eine trübe Stimmung in unserm kleinen Zirkel. Während uns Herr Fr\er noch die nähern Umstände des Todes millheilte, liel mein Auge auf eine todte Klapperschlange, die vor dem Zelt lag. Unter seinen trigonometrischen Messungen wäre mein Bruder oder Hendrick bald das Opfer ihrer Wulh geworden, beide hatten sich durch einen kühnen Sprung diesem Schicksal entzogen. Je sicherer wir uns in dieser Höhe vor diesen Thieren ge- glaubt hatten, um so unangenehmer wurde uns nun die Gewissheit, dass sie sich selbst in dieser rauhen und feuchten Atmosphäre aufhielten. Ich empfand jedes- mal eine gewisse Genuglhuung, wenn ich eins dieser giftigen Thiere tödletc, da 270 REISEN IN mir slcls dabei der Gedanke aufstieg : mit dem Tode desselben hast du das Leben eines deiner Mitmenschen gerettet. Mit Sehnsucht sahen wir heule Abend der Rückkehr unserer Jäger entgegen, die am Morgen mit den Hunden thaleinwärts gegangen waren, um die gestern auf- gefundene frische Spur eines Tapirs zu verfolgen ; spät am Abend kehrten sie end- lich heim, leider aber so leer, wie sie ausgegangen; der Tapir hatte sich nicht auffinden lassen. Auch sic erzählten uns, dass zwei der Jäger sich nur durch einen Sprung vor dem Riss einer Klapperschlange gerettet, von denen ihnen während ihrer Tour mehre aufgestossen waren. Die frühere Sorglosigkeit musste daher abge- legt werden. Schon gestern hatten wir vier unserer Indianer vorausgeschickt, um uns wenigstens einen gangbaren Weg durch das Gesträuch bis zur Basis des Walles zu bahnen. Dies war geschehen, und am folgenden Morgen trat ich in Begleitung zweier Indianer den schwierigen Weg an. ln einer förmlichen Dämmerung ging es zwischen zwei Vegetationswänden bergauf; eines solchen Gewirrs von Gesträuch, Bäumen, Farm und Schlingpflanzen konnte ich mich kaum erinnern. Baum stand an Baum, die Aeste eng in einander verschränkt; Moose, Lichenen, Jungermaunien und Farrn überzogen die Stämme der Bäume, die Sträucher und zackigen Felsen- massen, die hier zu Tage traten, oder als abgerissene Colosse zerstreut herum- lagen; — alles triefte von Nässe, als hätten sich eben die Wolken in einem Platzregen ergossen. Der mühsam errungene Pfad führte uns über das Grab un- zählbarer Pflanzen; Feuchtigkeit hatte alles in Moder verwandelt, in den wir oft bis an die Knie einsanken; jetzt ging es über kleine Strecken vom Sturmwind um- gerissener Bäume, deren modernde Stämme von Lichenen, Moosen, so schlüpfrig waren, dass ich fast jeden Schritt ausglill, dann bis unter die Arme zw ischen die Aeste und Stämme hinein fiel und von meinen Begleitern erst wieder zu Tage gefördert werden musste, jetzt wieder über zackige und sich zersetzende Felsen, dann über die oft Fuss tiefen, schon zersetzten und sich noch zersetzenden Lauh- und Gcsträuchmassen, die von Pilzen und Farrn überzogen waren. Wo in Folge einer jener Waldbrüche die Lichtstrahlen die ungeheuren schwarzen, dunkelgrü- nen, schlüpfrigen Slcinblöcke erwärmen konnten, und sich auf ihrer Oberfläche nur etwas Humus angesammcll hatte, da machten sich Ar um, Anlheriurn , Bromelia , Heliconien, Pepcromien und baumartige Farrn den Standort streitig. Schon eine Stunde waren wir dem ermüdenden, eigenthümlichen Wege gefolgt, hallen uns mittels herabhängender Wurzeln und Schlingpflanzen an Fclsenmassen hinaufgcschwungen, und an ihnen wieder in liefe Stcilahhänge hinabgclassen, noch aber hatte ich bis jetzt den riesigen Slcincoloss nicht sehen können, und wusste da- her nicht, wie weil wir uns ihm genähert. Da leuchtete mir mitten in diesem Laby- BRITISCII-GUIANA. 271 rinth eine grosse carmoisinrothe Blütlie entgegen. Freudig erstaunt eile ich auf sie zu, um sie in der Nähe zu bewundern. Ein Halbstrauch mit blassgrünen Aostcn und gegeniiberstehenden, langgestielten, mallgrünen, glatten, an beiden Enden ver- dünnten, ganzrandigen Blättern trägt die herrliche Blütlie. Die Blüthen waren ohne Geruch, dafür aber von ungemeiner Schönheit, mit carmoisinrother, präsen- lirtellerförmiger Blumenkrone, im Centrum milchweiss, welche weisse Färbung vom Centrum aus nach dem Rande der Blumenkrone hin strahlenförmig aus- lief. Es war eine neue Gentiaiiee und zwar eine neue Spccies der seltenen Gat- tung Leiothamnus, die man mit vollem Recht die Königin dieser Familie nennen kann. Ihre Majestät die Königin gestattete mir huldvollst, diese reizende Spccies Leiothamnus EHsabcthae nennen zu dürfen.*) Ich mochte seit dieser botanischen Entdeckung wohl wieder hundert Fuss höher gestiegen sein, als das walddunkle Labyrinth etwas lichter wurde, die bisher enggedrängten Bäume, meistentheilsCinchonen und Melastomaceen, erhielten schon Zwischenräume zwischen sich , die von einem dichten Unterholz eingenommen wurden, aus dem mir eine zweite unbekannte reizende Blüthe entgegenleuchtete; es war eine Bromeliacee, und zwar eine neue Spccies der Gattung Encholirium. Ihr kurzer, walzenförmiger Schaft wurde von halbumfassenden, lanzettförmigen, oben pfriemenförmig verdünnten, 6 — 9 Zoll langen, hellgrünen Blättern umfasst. Der Schaft ist eine Verlängerung des Stammes, verdünnt sich an der Spitze bis zur Stärke eines Rabenkiels und ist dicht mit umfassenden Bracteen bekleidet. Die die obersten Blüthen tragenden Bracteen sind braun. Die Blüthen selbst stehen paarweis oder zu dreien in den Winkeln der zu einer dichten zapfenförmigen Aehre zusammengedrängten, scheidenartigen Bracteen. Die drei äussern Blüthenhülltheile sind einförmig, auf dem Rücken gekielt, braun, an der Spitze etwas ausgerandet, die innern Blumen blattartig, braun, violett, bis zur Basis frei. Ihre Königliche Hoheit, die Frau Prinzess von Preussen gestattete mir huldvollst, dies reizende Encholirium , Encholirium Augustae nennen zu dürfen.**) Die Umgebungen *) Leiothamnus Elisabethae {Rieh. Schomb.). Suffruticosa. Folüs oblongis , acuminatis, basi attenuatis, opacis, subtus glaucescenti — viridibus ; ßoribus pedici/latis, terminalibus, solitariis, magnis , calycibus quinquepartitis : laciniis lanceolalis, acuminatis, in argine mem- bianaceis integerrimis , corollis hypocraterimorphis amoene-coccinis, fauce lad eo, limbo plano, dilalato , a/bido-slriato. **) Encholirium Augustae {Rieh. Schomb.). Foliis sessilibus , semiamplnxicaulibus , elongafo-lanceolatis, attenuatis, invo/utis, laete-viridibus , apice eveu Hat o-contr actis, inferne spirwso-dentatis ; bracteis foliis conformibus minoribusque subdistantibus , apice confer tis, strobihformibus ; ßoribus in superiorum bractearum axillis geminis aut ternis , brevi-pedi- cella/is ; perigonii laciniis exterioribus sparsim hirsutis, lade fuscis, interioribus rnem- branaceis, fusco-violaceis, obovatis , duplo brevioribus ; staminibus-inclusis, tribus exterio- ribus epipetalis ; stigmatibus sty/oque, inclusis, rufescentibus ; germine pyramidalo, sub- semiinfero ; columna ccntrali basi apiccquc stcrili. 272 REISEN IN hatten wieder jenen zauberhaften Charakter angenommen, der den baumartigen Farrn so eigenthiimlich ist, und jede einzelne Pflanze konnte ihre leichten, graziö- sen Wedel entfallen, ohne von der Nachbarin gehindert zu werden. Farrn und nur Farrn bildeten das niedere Gesträuch , so viel wundersame und liebliche Formen halte ich noch nie auf einem Raume vereint gefunden.*) Unter ihnen entdeckte ich auch eine herrliche Utricularia, die zwischen dem Moos der Baumstämme gar lustig gedieh. Das ganze Pflänzchen war vielleicht lJ/2 Zoll hoch, die zarten ova- len Blättchen halten eine hellgrüne, die im Verhältniss zur Pflanze ungemein grosse Blülhe eine hochrothe Färbung. Leider ist diese niedliche Species noch unbe- schrieben geblieben, da mich bei meiner Rückkehr nach dem Lager ein heftiges Fieber befiel, an welchem schon seit gestern der grösste Theil unserer Begleiter darnieder lag, und der Indianerknabe, der meine mitgebrachten Schätze einlegen sollte, das niedliche Pflänzchen verworfen hatte, was ich freilich erst bemerkte, als es zu spät war, den Verlust zu ersetzen. Die immer mehr anwachsenden, massenhaften Felsenblöcke, zwischen denen wir uns durchwinden mussten, Hessen vermuthen, dass ich mich der Felsenmauer näherte. Die bisher freundliche und lichte Umgebung verschwand, ich befand mich wieder in grüner Nacht. Je höher wir stiegen, je näher wir nach der Felsenwand vorzudringen suchten, um so dichter war die Vegetation. Wir mussten an Felsen- blöckcn empor, in Abgründe hinab steigen, bei denen es mir jedesmal wundersam deuchte, sobald ich den Blick zurückwarf, wie das Emporklimmen uns hatte gelingen können. So halten wir eben wieder eine wilde Felsenmasse erklimmt, als sich die dichte Vegetation öffnete, und der 1500 Fuss hohe Sandstcincoloss vor mir sich erhob. Die Gipfelhöhe erhebt sich nach einer trigonometrischen Messung 5000 Fuss *) Ich führe nur einige Farrnkräutcr des Itorairna hier auf: Aneimia humilis {Sw.), Schisaea dichotoma {Sw.), Jlymenosfachys cleguns (Presl.), Trichomancs brachypns (Iizc.), Ankcrsii {Hook.), cellulosum (Iilotzsh sp. nov.), rigidum {Sw.), Prieurii {Kzc.), Ifymeno- phyllum clavatum {Sw.), Mcrtensia longipinnatu {Ilooh.), pubcsccns (I Vit Id ), Cyathca hir- tula {Mart.), pungens ( Kaulf .), marginalis {lilolzsli sp. nov.), Lindsaya putnila (Klotzsch sp. nov.), dubia {Sprang.), rigcsccns {Willd.), tannis ( Klotzsch sp. nov.), filiformis {Hook.), Adiantum triangnlatnm (Kaulf.), glavccsrens {Klotzsch sp. nov.), tomentosum {Klotzsch sp. nov.), hirtum {Klotzsch sp. nov.), Lomaria Schornbnrgkii {Klotzsch sp. nov.) Phnnieri {Dasv.), Xiphopteris serrulala {Kaulf.), Aspidium cicutarium{Sw.), coriaceurn {Sw.), mcxica- vum {Presl.), Polypodium cullratum. {IV il/d.), cuchlorum {Kzc.) , apiculatum {Kzc.), nervo- sum {Klotzsch sp. nov.), brevipes (Äse.), llichardii {Klotzsch sp. nov.), lepidopteris {Kzc.), Pavonianum {Klotzsch sp. nov.), areolatum {Hamb. lionp.), Pleris litobrochioides {Klotzsch sp. nov.) dcßexa {Link.), bifornis {Splitg.), Sa/piglacna volubilis (l. Sm.), Aspleniurn Scrra. (Langd.), integerrimum {Spreng.), auritum {Sw.), alloeopleron (Kzc. sp. nov.), Schomburg- Itianum {Klotzsch sp. nov,), cuneatum (Lam.). Von den Lycopodineae sammelte ich: Lycopo- dium robust um {Klotzsch), carolinianum {Lin.), Jussiaei ( Desv .), linifolium (Lin.), Selagi- nella Breynii ( Spr .) und puberula (Klotzsch). BRITISCH -GUIANA. 273 über das Tafelland. Neue Bewunderung ergriff mich, als ich an der gigantischen Wand, deren Scheitel etwas überhängt, emporblickte; — befangen von einem eigentümlich beklemmenden fast möchte ich sagen, schmerzlichen Gefühle fing mein Herz so heftig an zu schlagen, als drohe mir hier Gefahr, gegen die meine Myrmidonenkräfte in ein Nichts versänken. Wild und grausig kam mir die Masse vor, wenn ich an ihrer schwindelnden Höhe empor sah ; — um mich herum aber lagen in dämonischer Ver- wirrung riesige Blöcke, die sich vom Scheitel oder den Abhängen losgerissen haben mochten, zwischen denen nun zersplitterte und zerschmetterte Trümmer früherer Bäume emporstarrten. Das Grossartige, das Erhabene, was in der gigantischen Masse dieses Naturwunders lag, das Gefühl der eigenen Unbedeutsamkeit, dann der immer von neuem aufsteigende Gedanke : jetzt stürzt der überhängende Scheitel auf dich herab und begräbt dich unter seiner zermalmenden Kraft, alles dieses vereint mochte jenes mir sonst ganz fremde Gefühl hervorrufen. Eine Menge blühender Orchideen, Bromeliaceen, mit grossen, scharlachrothenBlüthen, Farrnkräuter, deren zarte Wedel anmuthig von dem Winde bewegt wurden, kleine Sträucher mit gel- ben und weissenBlüthen, Schlingpflanzen in vollem Blüthenschmuck wucherten aus der durchnässten Felsenwand hervor, flatterten in zierlichen Schwingungen hin und her, lachten und winkten mir neckend von der steilen Felsenwand entgegen, schaukelten sich, als seien sie sich ihrer Sicherheit vor meiner tödtenden Hand be- wusst, und täuschten bei jeder Schwingung, die in mir lebendig gewordene Hoffnung, diese oder jene, von dem Winde abgerissen, mir zu Füssen fällen Zusehen. Welche botanischen Schätze mochte diese steile Wand enthalten, wie viel die Oberfläche des Felsenwalfs bergen! Doch sie wurden von der Unmög- lichkeit des kühnen Aufwärtsdringens sicherer bewahrt, als das Innere der Erde selbst. Der Felsen bestand aus einem festen, feinkörnigen, röthlichen Sandstein mit weissen Glimmerblätlchen. An seiner Basis wucherte eineSpec. Rubus , dessen süsse Beeren uns zum wahren Labsal wurden, wahrscheinlich die einzige Species der Tropen, indessen in den Spalten des steilen Felsens, sowie in den Vertiefungen oder Vorsprüngen, wo sich etwas Humus gesammelt hatte, eine kleine niedliche Me~ lastomncee mit schwefelgelben Blüthen sprosste, die sich bei näherer Untersuchung als eine neue Species Cambessedesia ergab, der ich wohl keinen charakteristischem Speciesnamen als : Roraimae geben konnte, indem ich diese eigentümliche Pflanze nirgends anders als am Roraima-Felsen gefunden hatte. Leider erlaubten mir die bis zu der Basis herantretende Waldung, wie das wilde Gehege der Farrnkräuter, nur einzelne verstohlene Blicke über die sich zu meinen Füssen ausbreitende Landschaft. Meine Beklommenheit verlor sich erst, als ich meine Schritte wieder bergab richtete; — frei aber athmete die Brust erst dann auf, als ich mich ausserhalb des Bereiches der Steilwand befand. Unser Ab- II. Th eil. 35 274 REISEN IN wärtssteigen war mit unendlich mehr Schwierigkeiten verknüpft, als das Aufstei- gen. Hätte ich ein Schlammbad genommen, ich hätte nicht schmutziger im Lager ankommen können, als es eben der Fall war. Unmittelbar nach meiner Rückkunft trat mein Bruder und Herr Frykr den eben von mir zurückgeleglen Weg an, während mich einer der heftigsten Fieber- ausbrüche in die Hängematte warf. Die Jäger hatten sich die Hoffnung, den Tapir aufzufinden, durch das gestrige Missglücken nicht rauben lassen, waren am Morgen wieder frohen Muthes ausgezogen und kehrten sieggekrönt am Abend zurück. Seit zehn Tagen war kein Bissen Fleisch über unsere Lippen gekommen, mit einem wahren Heisshunger fiel daher männiglich über die wohlschmeckende Mahlzeit her, während mir das unselige Fieber meinen sonst ganz guten Appetit vollkommen ver- dorben hatte. Am folgenden Morgen , am 22. November, wollten wir den geologisch und botanisch so interessanten Punkt verlassen. Mein Bruder war wegen seiner Mappirung genöthigt, his an den Quellpunkt des Cotinga, der vom östlichen Steil- absturz des Roi'aima herabfällt, vorzudringen, während mich die Sorge für meine Schätze so schleunig als möglich nach « Our Village » zurücktrieb, um diese vor dem Vermodern zu schützen, sie trocknen zu können, ehe dieser gefährliche Zeit- punkt wirklich eintrat; hier gehörte dies zu den Unmöglichkeiten. Während dieses doch nur kurzen Aufenthaltes hatte ich über 100 Species Phanerogamen und 83 Species Farrnkräuter, unter denen sich ein grosser Theil als neu erwies, gesammelt, und doch waren wir in demselben Monat in diesem uner- schöpflichen, botanischen El Dorado eingetroffen, in welchem es mein Bruder im Jahre 1838 betreten. Welche unzählbare Menge Pflanzen waren bereits verblüht, wie viele dem Aufblühen nah oder sahen demselben noch entgegen ! Ich habe nie und nirgends wieder auch nur annäherungsweise eine ähnliche, so reizende Vegeta- tionsfülle, wie sie mir in dieser Sandsteinkelle entgegen trat, gesehen, in der man eigentlich zweifelhaft wurde, ob man die unendliche Mannigfaltigkeit, oder die zau- berhafte Blüthenbildung mehr bewundern sollte. Die unbedeutendste Veränderung in den Bodenverhältnissen, die verschiedene Höhe und Ablagerung der Schichten, mochten beide auch noch so gering sein, der abweichende Feuchtigkeilsgrad, jedes einzelne dieser Verhältnisse, oder eins mit dem andern verbunden, rief eine Ab- wechselung in der Vegetation hervor, die man auf so kleinem Raume vergebens auf den fast horizontalen Gebieten des Esscquibo, Orinoko und Amazonen- Stromes suchen möchte. Ich hatte nur einen Wunsch, den, ein ganzes Jahr hier bleiben zu können ; ich bin fest überzeugt, jede Woche, jeder Monat hätte ein unendlich weites, unerschöpflich reiches Feld für meine botanische Thäligkcit eröffnet. Meine BRITISCH-GUIANA 275 zugemessenen Mittel riefen mir ein gebieterisches "Weiter!» zu ; ich musste für immer von diesem botanischen El Dorado Abschied nehmen. Ich füge hier noch die vielleicht für manchen Orchideen-Cultivaleur wichtigen, stündlichen, meteorologischen Beobachtungen bei, da sie ihm doch manchen inter- essanten Wink über die gedeihliche Cultur seiner fremden Schützlinge geben könnten. Meteorologische Beobachtungen in unserem Lager am Roraima. 1842. Stunde. Bunten’s Barometer. Ange- fügtes Thermo- meter. t reies Thermo- meter. lefeuch- tetes Thermo- meter. Bemerkungen. 18.Nov. 9 Vorm. 619. 55 17. 5 62.3 61 Bewölkt. 10 619. 65 17. 2 63 62 Bewölkt. Sonnenschein an d. Ba- 11 620. 00 17. 5 63.3 61. 5 Regenschauer, (sis d. Gebirges. 12 618. 91 19. 8 67.2 66 Wolken. 1 Nach. 618. 24 20. 3 67. 5 64.5 Rorai. u. Küken, theilw. hell. 2 617. 70 19 67 63.5 Roraima theilw. hell ; Kukenam 3 617. 48 19 65.7 63 (bewölkt. 4 617. 20 17 61. 5 61. 5 5 617. 23 16. 4 60. 5 60. 5 6 617. 38 15. 7 59. 5 60 Rorai. theilw. bew. ; Kukenam 7 617. 95 15. 5 58. 7 58 Heftiger Regen. (dicht bew. 8 618. 02 15. 3 57. 7 57. 5 Theilweis hell. Windstösse. 9 618. 20 14. 5 56. 3 56. 3 Weisse Nebel. 10 618. 33 14. 5 56 65. 5 Mondhof. Ror. und Kak. hell. 11 618. 33 14 55. 6 55. 6 Hell gegen O. 12 618. 43 13.8 55. 5 55. 5 19. 1 Vorm. 618. 10 13. 5 55.5 54. 5 Hell. 2 618. 00 14 56. 5 55 Hell. 3 617. 70 13. 7 55. 7 55 Hell. 4 617. 10 13 54. 5 54 Hell. 5 617. 48 12. 5 52. 5 53 6 617. 15 12. 1 53 53 7 617. 44 13. 1 54. 5 54 8 617. 46 18. 5 63. 3 61. 5 Schön u. hell. Regenni. 0, 1 5 Zoll 9 618. 60 19. 7 64. 7 63. 5 Einige leichte Wolken am Rorai 12 618. 66 21 67 66 Bewölkt. 3 Nach. 618. 12 22 71 67 6 617. 40 16.3 60. 7 59. 5 Bewölkt. 20. 6 Vorm. 617. 10 12.6 53. 5 54.4 Roraima u. Kukenam in Wolken 7 617. 28 15 58 59. 5 8 617. 65 16.7 61 61 Bewölkt. 9 618. 40 18.5 64. 9 64. 5 10 618. 40 19.3 65 64. Die nördliche Seite des Ror. ü 11 618. 60 21 67 66. 5 Ebenso. (dichten Wolken '12 l 618. 40 1 20.5 66. 5 1 66.5 Ebenso. 35 276 REISEN IN 1842. Stunde. Bunten’s Barometer. Ange- fügtes Thermo- meter. Freies Thermo- meter. Befeuch- tetes Thermo- meter. Bemerkungen. 20.Nov. 1 Nach. 618. 20 20. 7 68 69 Ebenso. 2 618. 05 21. 3 68 69. 5 Sonnenschein. 3 617.90 23. 2 70 67. 5 Sonnenschein. 4 617.40 20 66.7 64 Nordseite des Roraima unbew. 5 617.20 20.5 67. 7 66 * 6 617. 00 16.7 61 60. 6 21. 6 Vorm. 617. 00 13. 8 55. 5 59. 5 Nebel. Regenmesser 0,60 Zoll. 7 617. 24 15. 1 58. 5 59.5 8 617.49 16. 5 60.8 61. 5 Nebel. 9 617.70 19 65. 5 65 10 617. 70 20. 5 67.4 66 11 618.20 20 66. 5 65.2 Nordseite des Roraima bewölkt. 12 618.40 22 71 67 Ebenso. 1 Nach. 618.20 21. 2 68. 2 65 Ebenso. 2 617. 80 20. 5 66.7 64 Ebenso. 3 617.80 21 69 65.5 Abwechselnder Sonnenschein. 4 617. 25 20 66. 5 64 Bewölkt. 5 617. 25 18. 5 63.7 62. 5 Ebenso. 6 617.30 16.2 60.5 59. 5 Ebenso. 1842. Stunde. Freies Wasser. Thermometer in der Sonne. 20. Nov. 9 Vorm. 69 80 10 74. 5 75. 7 11 72. 7 78 12 72 81 1 Nachm. 66 78. 7 2 68 82. 7 3 82 79 4 71. 5 74 5 68. 5 77. 5 6 65 67 Mittel der meteorologischen Beobachtungen. Gesammtsumme. Zahl d. Beobachtungen. Mittel. Barometer 33346. 72 -f- 54 617. 53 Angefiigtcs Thermometer 816. 4 47 — 17. 30 Thermometer 2907. 3 -f- 47 — 61. 80 Feuchtes Thermometer 2874. 6 -j- 47 zz: 61. 10 BRITISCH -GUIANA. 277 Mit Freuden vernahmen die Indianer am Morgen des 22. November den Be- fehl zum Aufbruch. Hatten sie sich doch nie in ihrem Leben so unglücklich gefühlt, wie in dieser feuchten , rauhen Temperatur ! Meine reichhaltige Sammlung leben- der Orchideen halte ich schon gestern nach dem Fieberanfall vorsichtig in Körbe verpackt, und eben wollten wir aufbrechen, als sich unerwartet alle Wolken über uns zerstreuten, und der Roraimn in der blendenden Morgensonne gebadet, sich über uns mit dem Zuruf erhob: schaut mich noch einmal in meiner imposanten Ma- jestät, ehe ihr auf Nimmerwiedersehn von mir scheidet! Stumm, mit vollem Her- zen schaute ich zu ihm empor, um das erhabene Naturwunder meiner Erinnerung für meine ganze Zukunft einzuprägen. Das Thal wurde wdeder mit einem zauber- haften, weissen Winterschleier überdeckt. Mit einem tiefen, wehmülhigen «Lebe- wohl « nahm ich von dem Berge Abschied ! In den erw ärmenden Strahlen der Morgensonne , zwischen thaubenetzten Pflanzen, Gebüsch und Bäumen stiegen wir den Gebirgsstock abwärts. Am Fusse wandte sich die andere Parthie gegen Osten, ich mit einigen Indianern, die meine Schätze trugen, wanderte nach « Our Village», das ich mit Sonnenuntergang, er- schöpft von einem neuen Fieberanfall, erreichte, und aus dem mir schon in der Entfernung ein lustiges Treiben entgegentönte ; denn neue Bewrohner hatten sich während unserer Abwesenheit zu den alten gesellt; die Zahl der Hütten hatte sich um vier vermehrt. Der arme Ehemann der Kate kam mir schon hundert Schritte vor dem Dorfe entgegen, den ganzen Körper mit Roucu bemalt, das Zeichen der Trauer unter den Macusis er ergriff mich bei der Hand und führte mich zum Grabe seines geliebten Weibes, das sich in der Nähe des Dorfes unter einigen Curatella- Bäumen befand. Die Hütte, in der sie gestorben wrar, hatten die Bewohner ver- lassen. Den folgenden Morgen erhielt « Our Village » einen neuen Zuwachs an Bewoh- nern. Ein alter iHrtcwsf-Häuptling , dessen Niederlassung am Fusse des Zabang lag, brachte mit seinen Untergebenen eine grosse Quantität Tabak zum Verkauf herbei. Erst wenn die mitgebrachten Provisionen verzehrt waren, kehrten die Parthieen nach ihren Dörfern zurück, um bald durch neue ersetzt zu werden, die eben so wenig hier fanden. So war die Bevölkerung unserer Colonie einem be- ständigen Wechsel unterworfen. Am Abend des 24. Novembers kehrte auch die andere Parthie von dem Falle des Cotinga zurück, zu dem sie nur nach Beseitigung unsäglicher Schwierigkeiten hatte gelangen können. Der von den Serckongs gebrachte Proviant und das Fleisch des Tapirs w ar aufgezehrl, auch unser gekauftes Manihot-Fe\& längst seiner Erndte beraubt ; der fühlbar gewordene Mangel an Lebensmitteln trieb uns, die Vorbereitung zu unserer 278 REISEN IN Rückkehr so schnell als möglich zu beginnen ; ehe wir diese aber selbst antralen, mussten wir uns auf irgend eine Weise noch einen kleinen Brodvorrath zu ver- schaffen suchen, da wir während der ersten Tagereisen nach allgemeiner Aussage nichts antreffen würden. Unsere Noth jammerte selbst den alte Kaikurang , und in Begleitung mehrer seiner Untergebenen brach er nach Canaupang auf, um nach- zusehen , ob die dortigen Felder noch einige , wenn auch nur halbreife Manihot- wurzeln liefern würden. Unter fünf Tagen konnte er freilich nicht zurückkehren, und einige Yams, zu Suppe gekocht, blieben unsere einzige Nahrung, bis sich end- lich das alte Sprichwort: «Hunger thutweh und ist der beste Küchenmeister », auch an uns bewährte, und wir uns die Affen trefflich schmecken Hessen. Das Fleisch des grossen Heulaffen war sogar äusserst schmackhaft, das der kleinen Callithrix aber behielt auch gekocht den unangenehmen Geruch bei, den das Thier lebend hat. Auch der Indianer erlaubt sich allerhand kleine Täuschungen, wenn es darauf ankommt, einen Wunsch zu erfüllen oder eine Absicht zu erreichen. Mehre unserer Tauschartikel lagen ihnen gar sehr am Herzen, und doch gab es unter der Thier- welt nichts mehr, was ich nicht schon besessen. Alle Vogelbälge, die sie mir zum Tausch gegen einen Kamm oder ein Messer anboten, musste ich ihnen wieder zu- rückgeben, denn ich hatte sie schon in grösserer Zahl, als es nöthig war. Da wur- den mir endlich Vögel in dem schönsten Farbenwechsel gebracht, die die Jäger in einem entfernten Gebirgsthale geschossen haben wollten. Die wunderbar schönen Thiere gehörten ebenfalls der Gattung Tanagra oder Pipra an. Diesmal erhielten sie sogar mehr, als sie verlangten, denn ich glaubte schon, einige neue Species zu besitzen ; — bei einer Tanagra war es mir bereits zur Gewissheit geworden, als mir plötzlich bei genauerer Vergleichung die Federn ein merkwürdig bekanntes Aeussere zu haben schienen, und ich nun sah, dass ich statt einer neuen Species weiter nichts , als ein mit auffallender Geschicklichkeit zusammengesetztes Mon- strum besass , dessen sich selbst die Chinesen nicht zu schämen gehabt haben würden. Die Tanagra war mit allen hier vorkommenden Pipra- und Euphone- Arten zugestutzt und in die wunderbar schöne Species verwandelt worden. Eben so hatten sie es mit einigen Pipra- und Fringillabälgen gemacht. Wir verziehen den Handelslustigen den meisterhaft ausgeführten Betrug gern, da sie geglaubt hat- ten, dass die von ihren Händen zugestutzten Bälge für uns denselben Werth haben müssten, w ie die übrigen. Nach der Menge von Bergkrystallen, die sie uns brach- ten, mussten diese an ihrem Fundorte, einem unbewaldeten Berge, in grosser Masse Vorkommen. Kaikurang kehrte an dem bestimmten Tage von Canaupang zurück und brachte mehr Brod mit, als wir erwartet hatten, versicherte aber, dass dies das letzte sei, BRITISCH-GUIANA. 279 was seine Felder entbehren könnten. Unsere Abreise wurde auf den 4., die mei- nes Bruders auf den 5. December festgesetzt ; denn hier sollten wir uns für mehre Monate trennen. Wie ich schon früher andeutete, wollte mein Bruder mit einem Theile der Expedition von hier aus gegen das Quellgebiet des Cuyuni Vordringen, diesen abwärts gehen, um sich in der Coloniestadt neue Befehle und Provisionen für die Expedition nach dem Quellgebiete des Corentyn zu holen, und dann zu uns nach Pirara zurückkehren, das wir wahrscheinlich früher erreicht haben würden als er, weshalb wir bis zu seiner Rückkehr dort warten sollten. Hendrick, Adams, zwei andere Farbige und Sororeng mit einigen Indianern folgten meinem Bruder, die übrigen Macusis, Stöckle, der Neger More, Fryer, Goodall und ich, wollten mit einer ziemlichen Anzahl Arekunas , als Träger meiner ziemlich bedeutenden botanischen Schätze, den Weg nach Pirara einschlagen. 280 REISEN IN VIII. Aufbruch von Our Village. Berg Waranak. Fluss Yawaira. Niederlassung Carakitta. Berg Kinotaima. Wanderameise. Myiothera Tetema und Colma, Phytys leucops. Fluss Wa- rung-kaiti. Thal des Haiowe. Niederlassung Ewaboes. Rückkehr nach Torong-Yauwise. Ucberfahren der Fälle und Stromschnellen. Takutu. Fluss Mona. Fluss Ororopi. Fort Sao Joaquim. Acanthicus histrix. Rückkehr nach Pirara. Mcsembryanthemum guianense. Bittere Erfahrungen in Bezug auf meine reichen Sammlungen. Ankunft einer brasilianischen Grenzcommission in Sao Joaquim. Ausgraben der Indianerskelette. Aufsteigen des Cometen von 1843 am Horizont der südlichen Hemisphäre. Den 4. December trennten wir uns nach einem Aufenthalt von 5 Wochen, die uns unter den vielen und ansprechenden Arbeiten eben so schnell, wie gleich viel Tage vergangen waren, von unserm freundlichen, aber vollkommen ausgehunger- ten «Our Village ». Unsere Hütten, der Flaggenstock, alles sollte stehen bleiben, damit sie, im Fall die Indianer nicht die zerstörende Hand anlegten, späteren Rei- senden verkündeten, dass hier schon Europäer gelebt. Als wir die letzte Anhöhe erreicht, von der wir noch einmal in das friedliche Thal hinabsehen konnten, wand- ten wir uns nochmals um, und riefen ihm und den vor den Hütten versammelten Bewohnern mit unsern wehenden Tüchern den letzten Scheidegruss zu. Nach einigen Stunden hatten wir die am Ufer des JV ararite gelegene Hütte erreicht, deren Bewohner jetzt anwesend waren, in denen wir zu unserer Ueberraschung die Familie der schönen Cummiyaure erkannten , diese selbst aber mit dem Reiben der Manihot- Wurzeln beschäftigt fanden. Wir hatten keine Ahnung gehabt, dass diese Schönheit in unserer unmittelbaren Nachbarschaft lebte. Der Vater, der uns oft in «Our Village» besucht, hatte jedesmal auf die Frage nach seiner Tochter geantwortet : sie sei weit, weit fortgezogen. Die Menge Geschenke, die sie bei BRITISCH -GUIANA. 281 dem ersten Zusammentreffen von uns erhielt, die Aufmerksamkeit, welche ihr von den Paranaghieris zu Theil wurde, mochte ihrer Eitelkeit geschmeichelt haben, der Befehl des Vaters daher auch um so bestimmter gewesen sein, sich nie aus der unmittelbaren Nähe der Hütte zu entfernen. Vater und Tochter bildeten jetzt die merkwürdigsten Contraste ; jenem sah man es an den Augen an, wie unerwartet und unangenehm wir ihm kamen, diese dagegen verrieth es noch deutlicher, wie angenehm ihr der Besuch ihrer Bewunderer war. Ihre Augen, ihre ganze Hal- tung war der treueste Spiegel der naivsten und unschuldigsten Koketterie, der das Herz einer harmlosen Tochter der Natur nur irgend fähig ist. Dass wir auch hier wieder offene Hände für sie hatten, brauche ich nicht zu versichern. Bei unserem Abschiede begleitete uns der reizende Lockenkopf bis vor die Thür, gab hier jedem von uns Europäern ein Stück frisches Cassadabrod, und empfing dagegen eben soviel Küsse, als sie Stücken Brod ausgetheilt, wobei sie uns schelmisch verwundert ansah, und uns so lange noch nachwinkte, bis der dichte Wald uns umschloss. Es war die zarteste Erscheinung, die mir während der ganzen Reise entgegen getreten ist. Am Abend erreichten wir jene einzelne Hütte am Kukenam , brachten in ihr die Nacht zu und setzten am folgenden Morgen mit Sonnenaufgang die Reise fort, so dass wir schon 11 Uhr Vormittag in der Niederlassung Barapang eintrafen. Un- geachtet eines heftigen Fieberausbruchs, zog es mich doch mit Allgewalt nach dem Rue-imeru hin. Stundenlang fühlte ich mich mit unsichtbaren Banden an die Stelle gefesselt; das Scheiden von der imposant majestätischen Scenerie, die doch wieder so unendlich viel Liebliches und Zartes hatte, wurde mir so schwer, dass ich bei meiner zögernden Trennung immer wieder stehen blieb, um noch einen letzten Blick auf sie zu werfen, bis mich endlich die sinkende Sonne mit Ernst an die Rückkehr nach Barapang mahnte. Da nach der übereinstimmenden Aussage unserer Begleiter das Herabsteigen der steilen Felsenwand des Humirida mit unendlich mehr Schwierigkeiten und Gefahren verknüpft sein sollte, als ihr Uebersteigen, so stimmten wir gern in ihren Vorschlag, uns mehr gegen S.W., nach dem grossen Arekuna- Dorfe Carakitta zu wenden, wo wir auch eine Menge Brod und Früchte finden sollten. Ehe wir am Morgen aufbrachen, brachte man mir noch ein junges, zahmes Wasserschwein zum Tausch; ich kaufte es für einen Kamm, und liess es von einem der Knaben während der Reise tragen. Bei meiner gestrigen Rückkehr vom Rue-imeru hatte man uns ein getödtetes gebracht, dessen Fleisch ganz schmackhaft war ; den grössten Theil überliess ich aber als Lohn für das Reinigen des Skeletts den Indianern. Nachdem wir Barapang verlassen, stiegen wir w ieder in das Thal des Ku- kenam hinab, dem wir längere Zeit folgten, bis wir eine einzelne Hütte erreichten, II. Theil. 36 282 REISEN IN unter deren Bewohnern besonders ein junger Mann wegen seiner vollendeten Ge- stalt, seines tadellosen Wuchses und seines sonderbaren Schmuckes unsere Auf- merksamkeit auf sich zog. Unmittelbar über den Knöcheln hatte er die Beine un- gefähr zwei Hände breit mit Schnüren aus Menschenhaaren umwickelt,- derselbe Schmuck umschlang auch die Arme über dem Handgelenk und die Ellenbogen; die Matupo , ebenfalls aus Menschenhaaren , war breiter und dicker, als ich sie noch bei irgend einem Indianer gesehen. Diesen äussern Zeichen nach musste der sonst düstere, junge Mann, in dessen Blick ausserdem ein tief melancholischer Zug lag, zu den Helden des Stammes gehören. Wir schlugen ihm vor, uns zu begleiten, erhielten aber abschlägliche Antwort. — Auch unter den Naturmenschen giebt es Sonderlinge! — Ausser der weit über 20 Fuss langen, während der Häutung ab- geslreiften Haut einer Boa constrictor, die man im nahen Wald gefunden, ohne das Thier jemals selbst gesehen zu haben, und einigen verdorbenen Fellen des Ce- bus, brachte man uns auch mehre frische Cassadakuchen, die wir mit grossem Dank annahmen. Jetzt nahm uns ein grosser, schattiger Wald mit himmelhohen Bäumen auf, und bald standen wir wieder am Ufer des Kukenam. Jenes Corial, das uns früher weiter oberhalb übergesetzt, brachte uns auch jetzt wieder an das jenseitige Ufer, an dem wir noch eine Zeitlang durch den düslern Wald hinschritten, bis der Weg auf einer lieblichen Ebene heraustrat, die in 0. und S. von dem fVaranak einge- schlossen wurde. Stolze Gruppen der herrlichen Maurüia verliehen der üppigen Ebene einen unendlichen Reiz : Cypc.racecn, in den verschiedensten Abstufungen des Grüns, bildeten den herrlichen Teppich, Rhynchanthrra, Clidomia , Miconid, ) Polygala und Hibiscus überstreuten ihn mit weissen, rothen und violetten Blülhen, der glänzende, sonnige Morgen aber, mit seiner durchsichtigen Atmosphäre, stei- gerte den innern Jubel über die lachenden, reizenden Umgebungen. Der AVeg war fortan eine ewig wechselnde Reihe von grünen Savannen, üppigen Waldoasen, von deren riesigen Bäumen die phantastischen Schlingpflanzen gleich dem Tauwerk des Schilfes herabhingen. Der helle Angstschrei einer jungen Indianerin, die sich an der Spitze der schweigsamen Reihe befand, schreckte uns aus unsern Träu- mereien auf, und trieb uns schleunig zu der Hülferufenden hin. Sprachlos zeigte die Erschrockene auf das Gras, in dem eine Klapperschlange, deren tödllieher Biss sie wie durch ein Wunder entgangen war, verschwunden war; ihr dorthin zu folgen, wagten wir eben so wenig, wie die Indianer; — das angezündete Gras lüdlele sie sicherer. Nachdem wir die lachende Ebene durchschritten und an einer unbewohnten .Niederlassung vorübergekommen, überstiegen wir den westlichen Ausläufer des // ’ ara/ink, von dessen Scheitel wir eine überraschend schöne Aussicht auf unser heu- BRITISCH -GUIANA. 283 liges Reiseziel, die Niederlassung Carakitta hatten , die im Thale des Yawnira vor uns auf einem Hügel lag. Auf der Scheitelhöhe selbst hatte sich wieder jene reizende Vegetation der strauchartigen Ternslrörnien, Bef arten, Bonnetien , Thibau- dien , zahlloser Sobralicn angesiedelt, zu denen sich auch noch mehre Anonacecn gesellten, von denen ich nur die aromatisch riechende Xy/opia salicijolia (ff. B. ti.) und frutescens ( Aitbl .) erwähne, welche im Thale ganz verschwunden war. Zwischen diesem herrlichen Gesträuch ging es, mehr rutschend, als gehend, in langer Indianerreihe den steilen Abhang hinab. Im Thal angekommen, überschrit- ten wir den Quairna, der sich einige Miles weiter westlich in den Yawaira mün- det. Nach einem fast zweistündigen Marsche durch das pittoreske Thal erreichten wir den Yawaira selbst, der nach Norden fliesst und ein Nebenfluss des Caroni ist, der sich später in den Orinoko ergiesst. Der Yawaira , den wir kreuzten, kann als der südöstlichste Zufluss des Orinoko angesehen werden. Herrn Fryer plagte der Hunger eben so wie mich, die Erfahrung aber hatte uns gelehrt, dass sich derselbe selten vollkommen befriedigen liess, wenn man mit der ganzen Parthie zugleich in das Dorf einzog, weil dann zuviel verlangende Hände nach dem Vorgesetzten «Essen» griffen. Unser Plan, das Dorf wo möglich früher zu erreichen , als die übrigen, war eben so schnell, als heimlich gefasst. Die Niederlassung lag vor uns, der Weg war nicht zu verfehlen; wir schritten rüstig voran. Ausser dem Neger More, der unseni Plan ahnen mochte und uns gefolgt war, hatten wir die übrigen bald aus dem Gesicht verloren, freuten uns schon der gefüllten Pfeffertöpfe und aller Delikatessen, die unserer in Carakitta warten könnten, als wir plötzlich ein moorartiges, von Ocher stark geschwänger- tes Terrain erreichten. Das freundliche Dorf lag jenseits des Sumpfes, und winkle uns verführerisch von der Anhöhe herab; der wenn auch falsche Plad, den wir in unserem Eifer eingeschlagen, hatte bis zu dieser Sumpfstelle geführt, und musste demnach aller Wahrscheinlichkeit nach auch hindurch führen. In diesem Ver- trauen setzten w ir unsernWeg fort, bis wir endlich in dem ocherhaltigen Schlamm bis über die Hüften einsanken. Nach langem und mühevollem Abquälen und er- matttender Anstrengung gelang es Herrn Fkyer zuerst, sich mit Verlust der Schuhe aus den Polypenarmen des Schlammes und der Binsenarten zu winden und wieder festen Boden zu erreichen ; bald folgte ich ihm nach, nur More quälte sich noch unter tiefem Stöhnen. Von Schweiss und Schmutz triefend, sahen wir uns lange sprachlos an , bis wir endlich in ein helles Lachen über unsere vereitelte List und unsern blinden Eifer ausbrachen. Beschämt und niedergeschlagen, stiegen w ir die sandigeAnhöhe, auf der das Dorf lag , hinan, in welchem wir wider Erwarten die Uebri- gen noch nicht angekommen fanden. Stall des bittern Spottes Coodall's, empfinge« uns die lachenden Bewohner, die uns in unserer Noth zugesehen hatten, mit ge- 30 * 284 REISEN IN füllten Trinkschalen und den noch willkommneren Pfeffertöpfen, deren Inhalt so lockend aussah , dass wir uns geschäftig, ohne vorher an die Reinigung unserer Garderobe zu denken, um den grössten derselben herumsetzten, und wacker, nach Indianersitte mit den Fingern zulangten, ohne vorher zu untersuchen, ob AvirFisch oder Vierfüssler assen. Als wir unsern Hunger gestillt, erwachte auch die Neu- gier zu wissen, was wir gegessen 5 da fanden wir freilich, dass wir denselben an einer wahren olla polrida befriedigt, die aus mehren Affen , einem Ameisenbär und dem Schwanz eines Kaimans zusammengesetzt war; geschmeckt aber hatte es uns ganz vortrefflich, und schmeckte der nachkommenden Caravane ebenso. Die Bewohner Carakitta's waren fast durchgehends Bekannte, die uns in " Our Villa ge« besucht hatten. Die Niederlassung zählte fünf schöne, grosse, thurmähnliche Hütten , von denen uns eine eingeräumt wurde. Diese Bauart scheint nur den Macusis und Arekvnas eigentümlich zu sein, da wir sie ausser- dem bei keinem andern Stamme getroffen. Von dem Dorfe aus hatten wir die herrlichste Aussicht über die freundlichen Savannen, die noch nach allen Seiten hin von romantischen Wellenbergen eingeschlossen wurden, über die sich in S. bei 0. der hohe Pa-Epping aufthürmte. Ueppig gedeihende Provisionsfelder mit Manihot, Bananen, Yams, Bataten und Zuckerrohr bepflanzt, zogen sich längs den Ufern des kleinen Flusses Corabo, eines Nebenflusses des Yaivaira hin, an die sich ein dich- tes Gehege des Pfeilrohrs (Gynerium saccharoides Hamb. Bonp.) anschloss. Das herrliche Laub der die südlichen Hügel bedeckenden Bäume, die üppige Grasfläche derselben, die zahlreichen, krvstallhellen Flüsschen und Bäche, welche sich durch die saftige Grasfülle hindurchwanden, — alles erinnerte mich lebhaft an die Thäler des Harzes, während mir eine riesige Siphonia elaslica (Pers.) mit ihren sich weithin verbreitenden Aesten zurief, dass ich mich viele tausend Meilen vom hei- vermischen Gebirge befand. Kaum traute ich meinen Augen, als mir bald nach meiner Ankunft ein freund- licher Knabe mit verschämten Blicken, ein Biindelchen Tabaksblätter in der Hand, entgegentrat, und ich in ihm nach langem Besinnen endlich den schönen Tamanua erkannte, dem der Vater aber, um ihn vor unserer Entführung zu sichern, seinen schönsten Schmuck, das reizende Lockenhaar abgeschnitten hatte, worüber ich dem verdutzten Vater die bittersten Vorwürfe machte. In den reichen Provisionsfeldern fanden wir alle unsere Hoffnungen, in dem bereitwilligen Eingehen des Häuptlings, uns mit Vorräthen zu versehen, alle unsere Wünsche erfüllt. Schon am andern Morgen begann daher das Schaben und Reiben der Wurzeln, das Backen des Brodes, denn der alte Häuptling halte uns zugleich mitgetheilt, dass er uns mit einigen seiner Untergebenen nach Pirara und Nappi begleiten wolle, um sich dort Urari- Gift einzulauschen ; cs waren daher doppelte BRITISCH -GUIANA. 285 Rationen nöthig. Auch liier fiel uns wieder ein junger Mann von 18 — 20 Jahren wegen seines tadellosen Wuchses und seiner schönen Gesichtsbildung auf, der aber in seinem ganzen W esen , in allen seinen Geberden und Stellungen etwas so AfFectirtes und Stutzerhaftes zeigte , dass er uns dadurch in einem beständigen Lachen erhielt. Hat ein civilisirter Narr schon mehr als zu viel lächerliche Seilen, so schlagen diese bei einem Naturmenschen völlig in das Burleske um. Es ist wahr, hatte der eitle Geck endlich seine sorgfältige Malerei, die zehnmal ausge- wischt und von neuem angelegt wrerden musste, bevor sie anerkannt wurde, been- det, hatte er das lange Stück blauen Zeuges (Salempores), das er wahrscheinlich durch Tausch erhalten, nach vielfach vergeblichen Versuchen unter dem gehörigen Faltenwurf um die Lenden gegürtet, und die Enden über die Schulter geworfen, wie einst der stolze Römer seine Toga trug, und lehnte er sich dann auf die Schultern seines zweiten Ich’s, eines andern jungen Indianers, die eine seiner Flöten unter dem Arm, die andere an dem Munde : er würde dem kritischsten Künstler zum Modell eines Apoll haben dienen können ! Dessenungeachtet blieb sein aflectirtes und unnatürliches Wesen für uns eine unversiegbare Quelle der Lachlust. Die beiden Freunde schienen förmlich in einander aufzugehen, — der eine war immer der Schatten des andern. Beide fühlten, wie vortheilhaft sie sich vor ihren Mit- bewohnern auszeichneten , denn die Oberlippe des letzteren zierte ein dünner Schnauzbart. Die Eitelkeit schien bei den Bewmhnern Carakitta’ s in gleich schlechtem Credit wie bei uns zu stehen, denn Kastor und Pollux, wie wir die bei- den Dandy’s nannten , wurden von allen mit offenbarer Geringschätzung behandelt. Die zuvorkommende Freundlichkeit unserer Gastfreunde hatte schnell den ungezwungensten Verkehr zwischen uns hergestellt; unter Heiterkeit und Scherz durchlebten wir die wenigen Tage unseres Aufenthaltes mit ihnen, und als sie uns alle ihre Tänze vorgetanzt, und ihre Spiele vorgespielt, baten sie uns, dass nun auch w ir ihnen die Tänze der Parana ghieris zeigen möchten. Walzer und Galop- pade mussten ihnen eigenthümlieh Vorkommen, denn alle wollten sich vor Lachen ausschütten, und als wir sie nach ihrem Uriheil frugen , lautete dasselbe einfach : das seien unsinnige und ermüdende Tänze. Die Quadrille dagegen fand den allge- meinsten Beifall, und je schulgerechter die Pas gemacht wurden, um so mehr stei- gerte sich die Acclamation. Am Morgen des 8. Decembers verliessen wir unter einer Salve aller vorhan- denen Gewehre das freundliche Carakitta , begleitet von dem alten Häuptling, und seiner schönen Tochter, da ihm seine Frau wiegen Kränklichkeit nicht folgen konnte, so wie einer Menge anderer Bewohner, überschritten den Carabo, an dessen dicht- umsäumlen Ufer ich eine neue, baumartige Inga in Bliilhe fand, und erstiegen den Rinotahna , dessen Abhang wieder mit herrlichen Thibaadien , Ternströmienu. s.wr. 2SC REISEN IN bedeckt war. Nachdem wir dem Scheitel mehre Stunden über eine Hochebene, die nur hier und da durch unbedeutende Hügel unterbrochen, aber mit den üppig- sten Waldoasen bestanden war, in denen sich zu den oben angeführten Pflanzengal- tungen noch verschiedene Species^/io/ü« und mir bisher unbekannt gebliebene Me- lastomaceen gesellten, gefolgt waren, näherten wir uns dem südöstlichen Abhang des Kinotaima , und vor uns in N.O. tauchte die Sandsteinkette des Humirida mit ihren wallförmigen Abhange auf, zu unsern Füssen aber lag das liebliche Thal des Muyang. Der Scheitel des Kinotaima erhebt sich ungefähr 2000 Fuss über das Thal des Muyang und 3000 Fuss über das Meer. Noch einmal wandte ich den Blick zurück, noch einmal liess ich das Auge auf der reizenden Belaubung jener Pflanzenfamilien haften, um dann dem stolzen Erimitepu , dem Mareppa-Emba in Westen, dem Ucaraima in Süd west mein Lebewohl zuzurufen, und dann die sicii vor mir im fernen S.O. erhebende kahle Granitmasse des Mairari mit schwerem Herzen zu begrüssen. Auch die Stelle der steilen Bergwand des Humirida, die wir überstiegen, fand das Auge bald heraus ; wir hatten sie bereits umgangen , denn schon lag sie mehre Miles nordöstlich von uns. Zwischen riesigen Sandstein- und Quarzblöcken stiegen wir den Abhang in das Thal des Muyang hinab, und bald traf der rückwärts gewandte Blick nichts mehr als die wild übereinander gestürzten und durcheinander gewürfelten Felsen- blöcke, bis uns endlich der dichte, üppige Wald, der sich am Abhang des Kino- taima emporzieht, aulnahm. Der Wald hatte einen andern Charakter angenom- men ; — die Thibaudien, Ternströmien , Andromeda , Clethra , Sobralien und ihre Genossen waren verschwunden, bekanntere Formen von riesiger Höhe brei- teten wieder ihre schattigen Aeste über unsern Weg aus. Erschöpft erreichten wir gegen Abend, nachdem wir mehre Nebenflüsschen des Muyang überschritten, die einsame Niederlassung Yawangra amFusse des Humirida, in der wir die Frau Sororeng’s zurückgelassen, die aber, obschon ihre Niederkunft noch nicht einge- treten, doch mit unsern drei, am Roraima in ihrem Ehrgefühl beleidigten Flücht- lingen nach Pirara zurückgekehrt war. Als wir am Morgen aufbrachen , und ich das am Abend an einen Baum be- festigte Skelett des Hydrochoerus wieder einpacken wollte, war es verschwunden; — die hungrigen Hunde halten es während der Nacht fortgeschleppt. In der Niederlassung Yawangra , die wir am Morgen des 10. Dccember erreichten, fanden wir diesmal nicht nur an Augeniibcln leidende Indianer, sondern auch einen kleinen Brodvorrath und erhielten zugleich den Rath, uns mehr gegen Süden zu wenden, da wir in dieser Richtung ein stärker bevölkertes Dorf anlrcf- fen würden; ein Rath, dem wir um so lieber folgten, als uns die vielen Hungerlage noch in ziemlich Irischem Andenken waren. Der üppige Urwald, der uns aufnahm, BRITISCH* GUfANA. 287 zeigte wieder riesige Bäume des Bombax und der Carolinea, die denen am Talmin nichts an Grösse nachgaben. Gleich einem Hagelwetter prasselten die reifen Samen, nachdem die Kapsel unter einem lauten Knall zerplatzt war, auf die mächtigen Blätter der üppigen Phenacosperrnen, die hier eine Höhe von 40 — 50 Fuss erreichten, und auf unsere Köpfe herab. Passifloren mit glänzendrothen, Coffeaccen , wie Psyco- iria , mit orangenfarbigen und Cepliaelis mit blauen Bliithen, schlangen sich an den schlanken Riesensäulen empor, durchrankten die Kronen der himmelanstrebenden Giganten, oder hingen in phantastischen, leichten Festous von den weit hinaus- greifenden Aesten herab. Der Boden bestand aus einem fetten Lehm mit Sand vermischt, wie ich ihn fast durchgehends in den Oasen der Savanne gefunden. Unsere in gleichem Schritte fortschreitende Reihe musste an der Spitze ein unerwartetes Hinderniss gefunden haben, — die Bewegung stockte. Voll Befürch- tungen eilte ich dorthin; — die ersten des Zuges standen vor einem braunen, 12 — 16 Fuss breiten , beweglichen Bande, denn so und nicht anders sah der dichtge- drängte Heerzug der Wanderameise aus, der eben unsern Pfad kreuzte. Zu war- ten, bis dieser vorüber war, hätte uns zu lange aufgehalten; der Durchbruch durch dieses Heer musste in raschem Laufe, unter gewaltigen Sprüngen erzwungen werden. Bis an die Knie mit den wüthend gewordenen Insekten bedeckt, durch- brachen wir die dichte Colonne, ohne uns jedoch, trotz dem dass wir sie mit den Händen zerquetschten und den Füssen zerstampften, ganz vor den schmerzhaften Bissen der gereizten Thiere retten zu können. Waren wir Europäer mit einem blauen Auge davon gekommen, so fühlten die armen Sansculotten, die Indianer, die Folgen des gewagten Unternehmens in seiner ganzen Schwere, da die wiithen- den Insekten ungehindert an den nackten Füssen ihr Rächeramt ausüben konnten. Ich habe selten etwas Burleskeres gesehen, als die Gestikulationen und Bemühungen der gepeinigten Indianer, die heissenden und zwickenden Thiere von dem nackten Körper abzustreifen. Greift ein solches Heer, von dem niemand weiss, woher es kommt, noch wo- hin es zieht, auch alles an, was sich ihm auf seinem Weg entgegenstellt, so hat es doch auch seine Feinde, namentlich unter den Vögeln in der Gattung Myiolhera , aus der es mehre Species in grosser Anzahl begleiten. Myiolhera Tetema (Vieill.) und Colina ( Lath .) fehlen nie; ihr grösster Feind aber ist Pylhys lrucops(Vieill.). Letzterer erscheint und verschwindet mit diesen Heerzügen, — ich wenigstens habe ihn nie anders getroffen ; dasselbe versicherten mich die Indianer, denen auch das Nest und die Eier des Vogels vollkommen unbekannt waren. Während die zuerst angeführten Vögel den Zug, auf dem Boden hindiegend, verfolgen, und dieerhaschte Beute ebenfalls auf dem Boden verzehren, fliegt der letztere neben dem Heere von Strauch zu Strauch, die Flanken auf und nieder, slösst auf den Zug herab, ergreift 288 REISEN IN eine Ameise und verzehrt sie dann auf dem Strauche. So scheu auch der Vogel sonst ist ; so kann man ihn doch während des Fressens leicht schiesseu , schwe- rer aber fällt es, den Geschossenen aus dem wandernden Heere herauszuholen, ohne von hundert rächenden Insekten gebissen zu werden. Der kleine , zarte, weisse Federbusch des Kopfes, den er nach Belieben emporrichlen kann, und der gleichfarbige Schopf an der Kehle , geben dem Vogel ein ganz interessantes Aussehen. Nachdem wir im Walde noch einige Zuflüsse des Muyang durchkreuzt, und eine ansehnliche Waldhöhe überschritten, erreichten wir den Waldsaum, der von kahlen Bergen begrenzt wurde, die wir in östlicher Richtung zwischen Quarz- und Granitblöcken überstiegen. Der Sandstein war ebenfalls verschwunden. Der Con- trast zwischen der Landschaft, die hinter uns, und der, die vor uns lag, hatte etwas wahrhaft Peinigendes. Die Scheitel und Abhänge , ja selbst die Thäler, die wir durchschritten, waren nur mit niedern Gräsern bedeckt; die üppigen Gebüsche und Waldstrecken blieben verschwunden, nur hier und da erhoben an den Ufern der Flüsschen oder an sumpfigen Stellen einige Mauritiapalmen ihre stolzen Häup- ter ; — um sie herum war alles düster und öde ! An den Ufern des Warungkaiti , dessen milchiges Wasser von Gruppen der Mauritia beschattet wurde , schlugen wir unser Nachtlager auf, um mit Sonnenaufgang unsern Weg gegen Osten fort- zusetzen. Ueber kahle Höhen mit Quarz- und Granitblöken schritten wir am folgenden Morgen in das Thal des Haiowe herab, der von Nordwest einem Nebenstrom des Zuruma , dein Davora, zufloss. Das Thal wurde wieder malerischer, da nicht blos isolirtes Gebüsch überall die Höhen bedeckte , sondern auch wilde Felsenpar- thien, wallförmige Wände und Schluchlen mit einander abwechselten. An den Ab- hängen, wie im Tliale stiegen nach allen Richtungen hin theils riesige Nadeln eines milchweissen Quarzes zu Tage, theils überzogen sie in Fragmenten jeglicher Grösse die Lehnen und die Sohle. Nachdem wir den Fluss durchschritten, und das Thal in südöstlicher Richtung durchkreuzt, ging cs wieder bergan. Auf dem Scheitel verkündete uns ein betretener Indianerpfad die Nähe des ersehnten Dorfes. Umgeben von kahlen, mit Felsensäumen und Zinnen gekrönten Bergen, unter denen sich namentlich in N.O. der uns schon bekannte Amboina , in S.W. der Mairari auszeichncle, folgten wir dem öden Scheitel und sahen den Spielen zahl- reicher Eidechsen zu, die sich auf den erwärmten Granit- und Quarzblöcken sonn- ten, ohne dass es uns aber gelungen wäre , auch nur eine ergreifen zu können. Endlich, nachdem wir einige Stunden dem Pfade gefolgt, erhoben sich an den Ufern eines kleinen Bergwassers wieder einige kümmerliche Sträucher, aus denen plötz- Zwei Wapisiana Indianer und em Mädchen von 11 Jahren, jenen eine Trinkschale mit Paiwar; reichend. BRITISCH- GUIANA. 289 lieh zwei Indianer hervorstiirzten und mit der Schnelligkeit der Rehe dem Abhange des Berges zueilten. Gegen 12 Uhr hatten auch wir die in einem Thale liegende Niederlassung Ewaboes erreicht, die grösste, welche ich auf dieser Expedition angetroffen. Die verschiedene Bauart der Hütten verrieth bereits aus der Ferne, dass die Bewohner nicht einem und demselben Stamme angehören konnten, was sich auch bald bestä- tigte. Es waren Macusis und fVapisianas. Jeder Stamm hatte seinen besondern Häuptling. Die fVapisianas , die früher den Takutu bewohnt, waren so häufig von den Sklavengängen der Brasilianer beunruhigt worden, dass sie sich nach den sichern Gebirgen zurückgezogen, und sich mit den Bewohnern von Ewaboes ver- einigt hatten. Wie das Dorf das grösste und bevölkertste war, das ich auf der Reise nach dem Roraima getroffen, so war auch ein solches Zusammenleben zweier Stämme das erste Beispiel dieser Art. Unter den beinahe zweihundert Bewohnern traten uns eine Menge bekannter Personen entgegen , Besucher aus Torong- Yauwise. Das uns reichlich Vorgesetzte Cassadabrod , die Menge geräucherter Fische, die man uns brachte, wurden herzlich willkommen geheissen, noch willkommner aber war uns Europäern die starke Hühnerzucht, welche uns eins der kräftigsten Diners lieferte, wie wir es uns schon lange Zeit einmal gewünscht hatten. Mit dem grössten Interesse beobachtete ich während des Essens ein junges Reh, das erst vor einigen Tagen in der Savanne gefangen und einer jungen Indianerin zum Aufziehen übergeben worden war. Das niedliche Thier hatte sich schon vollkom- men an die neue Mutter gewöhnt; diese brauchte nur niederzuknien und zu rufen, so kam augenblicklich der vierfüssige Säugling herangesprungen , nahm die Brust an und saugte unter denselben stossenden Bewegungen , die allen Wiederkäuern eigenthümlich sind. So viel Zutraulichkeit das Thier aber gegen die braunen Ge- stalten besass, so viel Furcht hegte es gegen uns Europäer. Der Antrag der beiden Häuptlinge, uns nicht nur mit einem Vorralh von Cas- sadabrod und geräucherten Fischen zu versehen, sondern uns auch einen solchen nach Torong-Yauwise zu bringen, wurde mit doppeltem Danke angenommen, da wir uns dort einige Tage aufhalten wollten, und doch keine Provision zu erwarten hatten. Nach der Aussage unserer beiden Häuptlinge war der Cotinga in Folge des hohen Wasserslandes nicht zu durchwaten ; um daher in die Nähe unserer Boote zu kommen, mussten wir einen bedeutenden Umweg einschlagen, der für die Trä- ger dadurch abgekürzt werden sollte, dass zwei Indianer schon heute mit dem Auf- träge vorauseilten, uns mit einem unserer Boote bis an die ihnen bekannte Stelle entgegen zu kommen, an welcher wir auf den Cotinga stossen würden. Die aufgehende 3Iorgensonue fand uns bereits jenseits des Flusses Davor» , auf II. Theil. 37 290 REISEN IN einem der beschwerlichsten und ermüdendsten Wege, die wir noch kennen gelernt hatten. Bergauf, bergab ging es über weiter nichts als Quarz- und Granitblöcke, auf denen wir ununterbrochen von einem zu dem andern springen mussten , — eine Bewegung, die uns bei den sengenden Sonnenstrahlen sehr bald bis zum Tod ermat- tete. Endlich, nachdem wir stundenlang in südlicher oder südöstlicher Richtung Schluchten, Gebüsch, Berghöhen und Bergabhänge, wobei oft Bergflüsschen zwischen unsern Schrittsteinen hinschäumten , durch- und übersprungen, erreichten wir die Scheitelhöhe einer Bergkette, an deren Fusse sich zu unserer unendlichen Freude in S., S.O. und S.W. die mit dem Horizont verschwimmende Savanne ausbrei- tete, auf der sich hier und da eine Baumgruppe, eine Oase, wie ein Schiff auf grünlicher See erhob. Den schlängelnden Lauf des Cotinga und seiner Neben- flüsse, sowie den des Zuruma bezeichneten die grünen Waldstreifen. In W. glaubte man in dem zerklüfteten Granitkamm des Mairari die Ruinen alter Burgen und Schlösser zu sehen. Alle Mühen der letzten öden Reisetage waren vergessen! — In der Savanne angekommen, wandten wir uns gegen Osten und folgten dem Fusse der Gebirgskette. Mit dem Ausruf: « Piatzang /„ machten uns die Indianer auf unsern alten Bekannten aufmerksam, der sich in Osten noch in weiter bläu- licher Ferne hinter dem waldigen Saume des Cotinga erhob. Bei Untergang der Sonne hatten wir endlich, bis zum Tode ermattet, den Co- tinga erreicht, ungefähr 2 Miles unterhalb des Piatzang und 6 Miles von der Stelle, an welcher wir unsere Boote zurückgelassen ; hier wollten wir diese er- warten. Spät am Abend sollten wir noch Zeugen einer jener grausamen Scenen sein, in denen der Indianer alle ihm eigenthümlichen besseren Gefühle verleugnet. Ein Kaiman halte sich tollkühn zwei fischenden Indianern genähert, und zwei glücklich nach ihm abgefeuerte Kugeln schienen ihn gelödtet zu haben. Als aber d;is Thier an das Ufer gezogen wurde, erholte es sich wieder und verlheidigte sich mit aller Energie, die ihm noch zu Gebote stand. Da erneuerte sich das ganze grausame Schauspiel, das wir schon am Zuruma erlebt hatten, trotz all unserer Gegenvorstellungen: grosse, spitze Pfähle, deren Spitzen die Indianer in dasFeuer gelegt und angebrannt hatten , wurden dem Thicre in den geöffneten Rachen ge- stossen, bis es unter den schrecklichsten Qualen und dem wilden Jauchzen der Pei- niger sein Leben aushauchte. Auf all unsere Befehle und Ermahnungen, von der rohen Grausamkeit abzustehen, erwiederten sie uns unter Lachen weiter nichts, als: «Fallen wir in seinen Rachen, so zerreisst er uns ebenfalls.» Der unangenehme Eindruck, den dieses grausame Schauspiel in uns zurück- gelassen, wurde durch die sich nahenden Ruderschläge unseres Bootes, aus dem uns eine Menge bekannter Stimmen ihr fröhliches «Multi, Multi!« zuriefen, we- nigstens etwas verwischt. Die zwei Indianer aus Ewaboes hatten den Umwe»; BRITISCH-GUIANA 291 nicht gescheut, zuvor nach Torong- Yauwise zu eilen , und den Bewohnern unsere Rückkehr anzuzeigen, von denen sich augenblicklich mehre den beiden Männern angeschlossen, um uns an der Ueherfahrtsstelle zu begriissen. Die Fragen nach un- seren Sachen wurden uns zu unserer vollen Zufriedenheit beantwortet. Unser alter Häuptling aus Carnkitta hatte sich am Morgen hei dem Springen von Block zu Block den Fuss verstaucht, dies aber wenig geachtet, bis sich am Abend zeigte, dass er die Reise nach Nappi nicht fortsetzen konnte. Dieser Zufall wurde von allen Macusis und Arekunns als böses Omen angesehen, und trieb alle unsere Be- gleiter, die nicht durch Vertrag an uns gebunden waren, am folgenden Morgen nach ihrer Niederlassung zurück; ja selbst bis Torong-Yauwise wollten sie uns nicht folgen. Nachdem wir von unserem braven, aber abergläubischen Häuptling am Morgen Abschied genommen, und an das östliche Ufer des Cotinga übergesetzt waren, ver- trauten wir das Gepäck dem Coräal und seinen Leitern bis zur alten Landestelle an und wandten uns gegen den Piatzang, dessen interessante Granitmasse wir nun ganz in der Nähe bewundern konnten, überschritten dann den JVaikueh an der Stelle unseres alten Lagers, und erreichten wieder Torong-Yauwise , dessen Bewohner uns freundlich bewillkommten. Das unbedingte Vertrauen, welches wir in die Ehrlichkeit unserer Freunde gesetzt, war nicht getäuscht worden, unberührt fanden wir unsere Sachen vor, ob- schon die Hütte, in welcher unser Gepäck stand, während unserer Abwesenheit von der Familie wieder bewohnt worden war, der sie gehörte. Jedes Kind der Niederlassung wusste, dass die Kistchen und Kasten Tauschartikel enthielten, Ge- genstände, für Avelche sie uns als Lastträger gefolgt waren, für welche sie jede Mühe unternahmen, uns gern ihre Waffen, ihre Schmucksachen, an denen sie monatelang gearbeitet, hingaben. Aus Versehen war unser Fässchen mit Salz, dem höchsten Luxusartikel, den der Indianer kennt, den er nur körnerweise geniesst, offen stehen geblieben, doch auch dieses war so heilig gehalten worden, dass eine Schicht Staub auf demselben lag. Auch hier hatten sich unsere drei Flüchtlinge mehre Tage mit der Frau Sokoreng's aufgehalten, und da diese die Reise zu Fuss nicht weiter fortsetzen konnte, das Boot, welches wir in Warami geliehen, ge- nommen, um damit den Cotinga herabzufahren. Um unsere Reise nach Pirara so schnell als möglich fortsetzen zu können, trafen wir schon am nächsten Morgen alle Anstalten zum Transport unseres Ge- päcks nach der Landestelle am Cotinga , wobei uns die Bewohner von Toi'ong- Yauwise allen nöthigen Beistand leisteten ; unsere bisherigen Begleiter erhielten ihren wohlverdienten Lohn, und kehrten nach ihren Gebirgslbälern zurück. Den vierten Tag nach unserer Ankunft in Torong-Yauwise belief sich die Zahl 37 * 292 REISEN IN der uns besuchenden Fremden bereits wieder über 400, die theils der Wunsch, uns zu sehen, theils die Speculalion des Tauschhandels hierhergeführt. Unter der Menge bekannter und unbekannter Indianer befand sich auch ein Zwergzwillings- paar, Bruder und Schwester. Beide hatten gleiche Grösse, 3 Fuss 6 Zoll, beide waren gleich plump und von abschreckender Gesichtsbildung, die durch die langen, unendlich struppigen Haare noch abschreckender wurde, beides willkommene Gegen- stände für Herrn Goodall’s Skizzenbuch. Merkwürdigerweise zeigte aber das rei- zende Paar die grösste Aversion und Angst gegen die Sitzung , und es kostete manches Geschenk, bevor sich der ungestaltete Indianer dazu bewegen liess. Un- sere Hoffnung, dass sich die Schwester nun eben so bereitwillig dazu finden lassen würde, trog uns, denn als Goodall auch sie durch den Pinsel verewigen wollte, war die kleine Schöne spurlos verschwunden. Sie halte, aus Furcht vor der ihr drohen- den, eingebildeten Gefahr, während der Nacht die Rückkehr nach ihrer weit ent- fernten Heimath allein angetreten. Die lärmenden Scenen, die Spiele und Tänze, welche für uns immer noch ihr Interesse behielten , wiederholten sich natürlich jeden Abend. Da die Leute bei meinem ersten Aufenthalt in der Niederlassung gesehen, mit welchem Eifer ich Säugethiere, Vögel, Waffen und Schmuck gesammelt, dass ich ihnen gern Messer und dergleichen dafür gab , so halten sie während meiner Ab- wesenheit alles geschossen , dessen sie habhaft werden konnten ; leider aber in einer Art und Weise abgebalgt, dass ich die für mich bestimmten Schätze nicht gebrauchen konnte. Am meisten bedauerte ich dies bei den Fellen einiger Savan- nenhunde und dem seidenartigen Fellchen der Myrmecopha ga didactyla. Auch lebende Tliiere wurden zu Markte geführt, die ich um so lieber kaufte, als ich meine ganze zurückgelassene Menagerie ausgestorben fand. Die grossen Bergkrystalle, die sie mir zum Tausch anboten, waren stark mit Manganoxyd gefärbt; nach der Aussage der Indianer hätten die Portugiesen die klaren, durchsichtigen bereits fort- gelragen. In Pirara hatten wir wenig oder keine Provisionen zu erwarten, wir benutz- ten daher die günstige Gelegenheit, die sich uns durch diese zahlreiche Versamm- lung durbot, alles Ess- und Geniessbare, namentlich eine ansehnliche Quantität Mais einzutauschen. Glücklich hatten wir den Cotinga aufwärts überwunden ; was uns das doppelt gefahrvolle Hinabfahren desselben bringen würde, stand noch zu erwarten. Auf jeden Fall mussten die werlhvollcn astronomischen Instrumente vor allen Zufällig- keiten geschützt werden, weshalb diese auch bis an die Mündung des Mawilzi, an der die gefährlichsten Stromschnellendes Cotinga endeten, getragen werden sollten. Die dazu nöthige Zahl Indianer halte sich bald gefunden, und schon am IG. Deccm- BRITISCII-GUIANA. 293 ber brach Herr Goodall mit ihnen dorthin auf. Die Lücke , welche durch die Theilung der Gesellschaft in der Reihe unserer Ruderer entstanden war, wurde schnell durch Bewohner von Torong-Yauwise ausgefüllt, und begleitet von den Besuchern und den Bewohnern der Niederlassung, eilten wir am Morgen des 17. nach dem Ufer des Cotingn. Die reissende Strömung des Flusses brachte uns be- reits gegen Mittag in die Nähe der ersten Stromschnellen, deren Brausen und To- ben wir schon in ziemlicher Entfernung vernahmen. Manche Stromschnelle war ich schon aufwärts gestiegen, keine aber hatte ich stromabwärts überfahren. Am Fusse fast jeden Falles, jeder Stromschnelle befinden sich eine Menge Klippen, von denen die wild herab brausende Wogenmasse zurückschellt und wilde Wirbel bildet. So wie die geneigte Fläche des Flussbettes sichtbar wird, stellt sich einer der Indianer vorn in den Bug des Corials, um an der gekräuselten Oberfläche des Wassers zu sehen, ob sich irgend eine von diesem verborgene Klippe in der Linie des gefährlichen Sprunges vorfindet, und den Steuermann zur rechten Zeit durch ein Zeichen davon zu benachrichtigen. Todtenstille herrscht im Boote, nur die Blicke sprechen ; — fest halten die Ruderer die Ruder , um sie plötzlich in der Nähe des Scheitels mit aller Kraft einzusetzen, und so die schon durch das Herab- schiessen gesteigerte Schnelligkeit noch zu erhöhen, damit das Boot die Wirbel durchschneide und nicht von der Gewalt derselben ergriffen und in die Tiefe hinab- gedreht werde. Ist dem Bowtnan einer der versteckten Felsen entgangen, und fährt das Corial hinabschiessend gegen diesen an, so ist meistentheils dessen Unter- gang die unausbleibliche Folge. Ruhig, selbst ohne den Bord des Kahnes anfassen zu dürfen, müssen die übrigen Passagiere im Boote sitzen bleiben, damit nicht etwa durch einen unvorsichtigen Ruck das Gleichgewicht gestört wird. Mit rasender Schnelligkeit eilten wir der geneigten Fläche entgegen, das wilde Brausen kam näher, — das von der gewaltigen Spannung aufgeregte Blut, wollte das Herz sprengen, — eine gedankenschnelle Bewegung, dann ein Auf- und Niederschwanken des gebrechlichen Fahrzeuges, ein lauter Freudenschrei der Ruderer, — und der gefährliche Sprung war glücklich gelhan! — Auf diese Weise mussten die Fälle des Esscquibo überfahren werden ; — schon der Gedanke machte das Herz schla- gen! Weniger glücklich waren wir beim Hinabschiessen der zweiten Cataracten- rcihe. Dem Bowman war eine der heimtückischen Klippen entgangen ; das Boot streifte an diese an und, ein gewaltiger Stoss, der den Späher in den wilden Strom schleuderte, aus dem er sich nur durch seine vollendete Fertigkeit im Schwimmen rettete, liess uns im ersten Augenblick für Mannschaft und Fahrzeug fürchten; glücklicherweise hatte das Corial den Felsen nur leicht gestreift, die Geistesgegen- wart des Steuermanns rettete es. Demselben Schicksal verfiel am nächsten Morgen mein Boot, wodurch ich, bis auf einen Papagei, meine ganze Menagerie verlor, 294 REISEN IN denn bevor wir die durch den mächtigen Stoss in den Fluss geworfenen Käfige auffischen konnten, waren ihre Bewohner ertrunken. Unbegreiflich war und blieb es uns, dass das Boot nicht in tausend Splitter zerschellte oder umschlug, da es wohl eine Minute hin und herschwankte. Am Abend des 18. hatten wir bereits unsere Folterkammer an der Verei- nigung des Cotinga und Zuruma erreicht, wo sich auch das Kaimanskelett auf das trefflichste präparirt vorfand. Leider fehlte aber ein Stück des Rückgrates, das wahrscheinlich ein Jaguar fortgeschleppt hatte. Im Pfeilfluge fuhren wir am folgenden Morgen den Fluss hinab, begrüssten die colossalen Granitmassen des Maikang-Yeputori und Arawanna, wie wir von der wehenden Flagge auf der ersten, die uns lustig im Abendwind entgegen flatterte, begrüsst wurden , passirten ohne weitere Unglücksfälle die übrigen Cataractenrei- hen und riefen an der Mündung des Mawitzi Herrn Goodall unser "Hailoh« zu, der diese bereits am vorigen Abend erreicht hatte. Viele Freude machte uns ein Fuchs (IParere der Macusis), den ein Indianer von Goodall’s Parthie angeschos- scn und gefangen hatte. Man hatte ihn an einen Strick gelegt. Näherte sich ihm jemand, so wurde er förmlich wüthend. Mehre Bienennester, die sich auf den Curatei/a-Bäumen der Savanne befanden, lieferten uns einen trefflichen Lecker- bissen für den Abend. Am Morgen des 20. Decembers zahlten wir den Indianern, die Herrn Goodall hierhergcfolgt, ihren Lohn aus, und setzten, nachdem die astronomischen Instru- mente in den Corials ihren Platz gefunden, unsere Reise fort, hätten aber in Folge der Unachtsamkeit des Steuermanns an der Stromschnelle Aratiari , der letzten, die wir zu passiren hatten, beinah einen jähen Tod gefunden. Gegen zwei Uhr erreichten wir die Niederlassung fVarami , trafen aber un- sern jungen Tapir nicht mehr an, der nach Aussage der Bewohner gestorben sein sollte, was uns jedoch weniger wahrscheinlich deuchte, als dass sie der Ver- suchung nach dem schmackhaften Fleisch nicht hatten widerstehen können. Unsere Flüchtlinge hatten auch hier übernachtet, und das Corial mit dem Versprechen, es sobald als möglich zurückzuschicken, woran der Eigenthümer nicht im entfernte- sten zweifelte, noch weiter mitgenommen. Am Abend lag der Takutu wieder vor uns. Auf der in Folge des niedern Wasserstandes des Takutu bedeutend vcrgrösserlen Sandbank schlugen wir aber- mals unser Lager auf. Die Reise, welche uns stromaufwärts 12 Tage weggenom- rnen, hatten wir stromabwärts in etwas mehr als dreien zurückgelegt. Während Herr Goodall am andern Morgen mit den übrigen Booten den Weg nach Pirara anlrat, fuhr ich mit Fhyer den Takutu abwärts, um Capitain Leal in Fort Saö Fort Sao Joaquim am Rio Branco. _ ■ BRITISCH'GUIANA. 295 Joaquim unsern versprochenen Besuch abzustatten , und uns zugleich die schon bezahlte Farinha abzuholen. In Folge der um viele Fuss gefallenen Wassermasse traten in dem Taltulu eine Menge Sandbänke zu Tage. Die Ufer zeigten denselben schmalen Vegeta- tionssaum, wie oberhalb der Mündung des Zuruma und Cotinga , wobei die Sa- vanne oft bis zum Ufer herantrat. Westlich von uns bildeten die Berge Maruki und Durura die einzige Unterbrechung in der weiten, monotonen Ebene. An- fänglich verfolgte der Takutu seinen Lauf ununterbrochen gegen S.W., bis er sich nach einigen Stunden plötzlich nach S.O. wendete. Einige Miles von dieser merk- würdigen Krümmung verband sich der Mona von 0. her mit ihm. Sechs Miles oberhalb der ersten Krümmung schlägt der Strom plötzlich wieder seine alte Rich- tung gegen S.W. ein und drei Miles weiter verbinden sich die blauen Wellen des ansehnlichen Ororopi, ebenfalls von 0. her, mit ihm. Unmittelbar an die Mün- dung schliesst sich die Nordoslspilze einer grossen Insel an, der einige Miles ab- wärts eine zweite folgt. Mit diesen Inseln waren wir in der unmittebaren Nähe des Forts angekommen, das nur noch durch eine kleine Krümmung verdeckt wurde. Wollten wir daher nicht in unordentlicher Kleidung vor unserem Freunde und den uns bekannt ge- wordenen Honoratioren erscheinen, so war es jetzt Zeit, Toilette zu machen. Zwei Böllerschüsse sollten unsere Annäherung anmelden. So wie wir die Biegung umfahren, lag das kleine Fort Sao Joaquim auf dem hohen, östlichen Ufer des Takutu , unmittelbar an seiner Mündung in den Rio Branco , Parima oder Urari- quera , vor uns. Ein militairischer Posten rief uns mit gebieterischer Stimme vom Walle herab sein : »Halt » zu, dem wir pflichtschuldigst gehorchten, bis uns nach einiger Zeit eine andere Stimme die Erlaubniss zum Landen erlheilte. Als wir das Ufer er- stiegen, sahen wir einen Offizier aus dem Ausgangsthore treten und uns entgegenkom- men. Vergebens hofftenwirin deruns entgegenkommenden Figur unsern Freund Leal zu begrüssen, — eine fremde Persönlichkeit kündigte sich uns als Major Coeliio von der Artillerie, jetzigen Corhmandando do Forte de Sao Joaquim an, hiess uns aber freundlich willkommmen. Auf die besorgte Frage nach Capitain Leal wurde uns die Antwort, dass dieser in Para angeklagt worden, in allzufreundlichem Verkehr mit dem Feinde der Nation gestanden zu haben, seiner Stelle als Commandanl ent- setzt sei, nur noch die Administration der Meiereien unter sich habe und sicli ge- genwärtig auf einer von diesen befände. Auch Frater Jose war nicht anwesend. Diese Hiobspost that uns schon um des armen Leal willen leid , noch härter traf uns aber die zweite : dass Leal, wahrscheinlich in der Verwirrung über die ihn getroffene Ungnade, vergessen habe, die bezahlte Farinha im Fort für uns zurückzulassen. 290 REISEN IN Das kleine Fori liegt unter 3° 1' 46" Norderbreite und wurde auf Veranlas- sung des Einfalls einer Ablhcilung Spanier, die im Jahre 1775 von Neu-Guiana den Caroni, Uraricapara herauf bis zum Rio Branco drangen, und sich in der Nähe des Yurume verschanzten, errichtet. Seine Wälle sind aus rothem, fein- körnigem Sandstein, wahrscheinlich Old-red , der in der Nähe gefunden wird, auf- gebaut. Die vierzehn Schiessscharten sind mit acht Neunpfiindern besetzt. Die Lafetten waren fast durchgängig verfault, die Röhre lagen meist auf der blossen Erde und friedliches Gras sprosste an ihren Wandungen empor. Die östliche Seile des Forts bildete eine bombenfeste Casematte, die der Commandant bewohnt; unter ihr ist der Schlafraum der Soldaten. Sechzig Mann der Provinzialmiliz, in weissen, baumwollenen Pantalons und Jacken mit schwarzen Aufschlägen, einige Sergeanten der activen Truppen und Major Coeliio bildeten die Besatzung. Die alten , ausrangirten, englischen Musketen, aus den Regierungsjahren eines der George, hatten wohl die kräftigen Engländer, Schottländer und Irländer mit Leich- tigkeit handhaben können , nicht aber diese schwächlichen Jünger des Mars, die sich sclnveisstriefend abquälten , mit diesen Donnerbüchsen die Honneurs zu machen. Die Menge Fahrzeuge*) in der Nähe des Forts, aus denen eben ganze Berge von Baumaterial ausgeladen wurden, zeigten, dass man ernstlich darauf bedacht zu sein schien, die Festung in einen chrfurchlgebietenderen Vertheidigungszustand zu setzen, als der war, in welchem sie sich jetzt befand, denn den Engländern war selbst von dieser Seite ber, die man bisher für die sicherste gehalten, nicht mehr zu trauen ! Ungeachtet der Erfahrungen, die Major Coeliio in dem Schick- sal Capitain Leal’s gemacht, war der kleine Mann doch voller Freundlichkeit und Zuvorkommenheit gegen uns, (heilte uns mit, dass er täglich noch mehr Ingenieur- offiziere erwarte, die den Bau leiten sollten, und zeigte uns das Modell zu einer von ihm erfundenen neuen Lafette , das aber Herrn Fryer und mir eben so un- zweckmässig erschien, wie die halbvcrfaullcn, auf denen noch einige Röhre lagen. Das Ausladen des Baumaterials und der Transport desselben nach den Wällen der Festung wurde von Indianern besorgt, deren Sprache weder die ftlacusis , noch die Arekunas verstanden. Sie gehörten verschiedenen Stämmen des Rio Negro an. Es lag etwas tief Ergreifendes, unendlich Rührendes in dem stummen Ge- behrdenspiel der armen Unglücklichen, mit dem sie unsere freien Begleiter bewill- kommneten und betrachteten , während diese jetzt einen mitleidigen Blick auf die ') Igarile ula brachten; dort traf er, wie wir später erfuhren, mit mei- nem Bruder und Herrn Bernau zusammen, und letzterer nahm ihn mit nach Bartika Grove. Hätte der närrische Kauz noch einige Wochen gewartet, so würde er un- entgeltlich mit den nach der Colonie zurück kehrenden Booten meines Bruders haben fahren können ; — doch jede Stunde, die er länger als nothig war, bei uns zurückblieb, fürchtete er, möchte ihn in seinem Entschlüsse wankend machen. Die traurigen Reste meiner reichhaltigen Sammlungen von Fischen aus den Gcbirgswässern des Roraima und Humirida , von den beschuppten und nackten Amphibien und Insekten, mit besonderer Aufmerksamkeit hatte ich all die verschie- denen Mücken, Fliegen, Ameisen u. s. w. gesammelt, waren bald geordnet. Es waren traurige, niederschlagende Tage, als ich meine Fässchen zu dem angegebe- nen Zwecke aufschlug, denn fast alles, was ich mit unendlicher Mühe gesammelt, worauf ich stolz war, da ich sicher annehmen konnte, dass wenigstens zwei Drittel neu sei, war verfault, verdorben ; alle Hoffnungen, die ich auf diesen werthvollen Schatz, auf die Zeugen meines redlichen Willens gesetzt, waren vernichtet! In ihnen glaubte ich alle Verluste ersetzen, die der Transport von der Küste nach Eu- ropa herbeigeführt, die Missstimmung ausgleichen zu können, die sich darüber in Berlin bereits ausgesprochen, und jetzt war abermals, ohne meine Schuld, der grösste Theil der seltenen Schätze verdorben ! Auch die trocknen Pflanzen hatten in Folge jener feuchten Temperatur in den Umgebungen des Roraima viel gelitten, viele waren ganz unbrauchbar geworden. Nur die lebenden Orchideen hatten sich leid- lich erhalten und gediehen an dem schattigen Orte, an den ich sie bis zu unserer REISEN IN 304 Abreise gepflanzt, ganz wacker. Das sind die Erfahrungen, das der Lohn, das die Leiden und Freuden eines Sammlers ! Langsam und träge verstrichen uns die einförmigen Tage. Die Umgebungen Pirara's halte ich botanisch und zoologisch ausgebeutet, mein Tagebuch ausgear- beitet, und nur der Besuch einzelner Indianerparthien brachte dann und wann etwas Abwechselung in die erschlaffende Einförmigkeit. Um so mehr hiessen wir die fremden Stimmen willkommen, die ich eines Morgens vor meiner Hülle vernahm. Neugierig sprang ich aus der Hängematte, und trat vor die Thür, wo mir vier junge Männer, jeder mit einem Packet auf dem Rücken , zwei mit Musketen be- waffnet, entgegentralen, und sich als Deserteure aus Sao Joaquim zu erkennen ga- ben, mit der Bitte, dass wir ihnen zu ihrer Flucht nach IVaraputa behülflich sein möchten. Nach ihrer Angabe hatten sie das Fort vor fünf Tagen verlassen, wäh- rend der Nacht ihre Flucht fortgesetzt und sich am Tage in den Oasen verborgen. Thcils um für sich das nölhige Wild zu erlegen, theils aber auch, um in dem Falle, dass sie den Beistand der Indianer bedürfen sollten, diese damit zu bezahlen, hatten sie ausser ihren Uniformen auch noch die beiden Flinten mitgenommen. Die ver- hungerten Gestalten, die ihre bittern Klagen über ihre Noth vor uns ausschütteten, bewogen uns, ihnen die erbetene Hülfe zu gewähren, und unser braver Häuptling Basiko, der sich eben mit einer Parlhie seiner Leute bei uns befand, liess sich auch gegen das Versprechen, eine der Flinten zu erhallen, bald von uns bewegen, die Leute so schnell als möglich nach Mari zu bringen, da es wohl zu vermuthen stand, dass man sie zunächst in Pirara suchen möchte. Am zweiten Tage kehrte Basiko triumphirend mit der Muskete und der Nachricht zurück, dass sich in Mari ebenfalls einige Indianer gegen Versprechen des zweiten Gewehrs gefunden, welche die vier Deserteure nach IVaraputa gebracht. Unsere Vermuthungen trafen wirklich ein, denn schon den Tag nach Basiho’s Rückkehr traf Major Coelho in Begleitung des Capitain Leal und einigen Soldaten bei uns ein, um hier die Deser- teure zu suchen. Wir h alten keinen Grund, dem erzürnten Offizier zu verschweigen, dass die vier Flüchtlinge hier gewesen, verlegten aber, um ihn von der ferneren Verfolgung abzuhalten, ihre Anwesenheit um zwei Tage weiter zurück. Es war gut, dass wir offen zu Werke gegangen, da in entgegengeseztem Falle unser freundschaft- liches Verhältnis jedenfalls einen wesentlichen Stoss erlitten haben würde, denn noch waren wir mit den beiden Offizieren im Gespräch über die Sache verknüpft, als einer der Soldaten, in der einen Hand die Muskete, in der andern unsern Freund Basiko, in die Hütte trat. Basiko hatte jene als rechtmässig erworbenes Eigenthum betrachtet, und offen in der Hütte hingestellt, wo sie augenblicklich von dem eintretenden Soldaten erkannt worden war. Major Coelho und Capitain Leal, BRITISCH-GUIANA. 305 die jetzt einen Gegenstand gefunden hatten , an welchem sie ihren Missniuth über die missglückte Expedition auslassen konnten, geriethen in einen solchen Zorn, dass sie den alten, braven Häuptling aufzuknüpfen drohten. Natürlich legten wir ern- sten Protest dagegen ein, da Basiko durchaus ohne sein Wissen gegen die Gesetze gehandelt und weiter nichts gethan, als vier Leute, die ihn gebeten, sie nach Mari zu bringen, dahin gebracht hätte, ohne sie zu fragen, oh sie auch das Recht besässen, dahin zu gehen, für seine Mühe aber habe er eine Flinte erhalten. Die Muskete wurde ihm natürlich genommen , und bald hatte sich auch der Zorn der Offiziere gelegt. Obschon sich Capitain Leal wegen der nicht gelieferten Farinha entschul- digte, und die Ablieferung derselben für die nächsten Tage in Aussicht stellte, so erfolgte diese doch niemals. Von den Herren erfuhren wir auch, dass sie mit jedem Tag die Ankunft einer Grenzcommission, einen Colonel de Matoz an der Spitze, in Saö Joaquim erwarte- ten, die hier die Mappirung der Grenze nach brasilianischen Ansprüchen beginnen sollte. Mit dem Versprechen einer baldigen Wiederholung ihres Besuches ver- liessen uns beide am folgenden Morgen, während wir alle Anstalten trafen, unsere drei grossen Corials, die sich noch an der Mündung des Pirara befanden, über Land nach dem Ruputiuni zu bringen, der sich in gerader Entfernung 23 Miles von jener befand. Nach drei Wochen voller Mühe und Arbeit war es uns endlich unter dem thä- tigen Beistand Basiko’s und seiner Untergebenen gelungen. Vierzig an der Zahl, rück- ten wir täglich oft kaum J/2 Mile mit unseren Fahrzeugen vermittelst untergelegter Rollen vorwärts, wobei uns die einzelnen Savannenhöhen meist zu grossen Umwe- gen nöthigten. Nach Verlauf von drei Wochen, war der beschwerliche Landtrans- port vollendet und die Wasser des Awaricura erreicht, dem wir unsere, freilich vielfach beschädigten Corials anverlrauten. Die Ausbesserung derselben wurde bis zur Ankunft des geschickten Hemdrick verschoben. Als der Transport beendet war , verschwand die bisher so zahlreiche Bevöl- kerung auch wieder aus Pirara ; nur einige wenige blieben noch bei uns zurück. Dieses Stillwerden gab mir die Hoffnung, mich in Besitz einiger Skelette und Schä- del setzen zu können, was mir bisher in Folge der heiligen Scheu, die die Indianer gegen ihre Todten hegen, noch nicht hatte gelingen wollen. Die Entdeckung eines solchen Schädels unter meinen Sammlungen, oder gar das Betreffen bei dem Aus- graben würde uns die uns so treu ergebenen Menschen für immer verfeindet, ja so- gar rachedürstige Verfolgung nach sich gezogen haben. Die kleine Zahl der Be- wohner, wie auch der strenge Befehl des Herrn Youd, ihre Todten ausserhalb des Dorfes zu begraben, versprachen mir einen günstigen Erfolg meinesTodtengräberge- schäftes, bei welchem mir Herr Fryek behülflich zu sein versprach. Ausser den Gräbern auf dem kleinen Gottesacker kannte, ich noch zwei, in II. Theil. 39 30G REISEN IN denen ein fVarrau und ein Maiong-kong lagen. Der erste war ein Begleiter meines Bruders , während dessen Reisen in den Jahren 1835 — 39 gewesen, und in Pirara auf eine abschreckende Weise gestorben. Wie alle seine Slammgenos- sen, war auch er dem Trunk in hohem Grade ergeben ; um sich einmal recht satt in Branntwein zu trinken, schleicht er sich eines Sonntags verstohlen aus der Kirche, in der sich eben die ganze Gesellschaft befand, öffnete das für die Präparate be- stimmte Spiritusfass und beginnt nach Herzenslust zu trinken. Als mein Bruder aus der Kirche zurückkehrt, findet er den Indianer bewusstlos neben dem ausge- laufenen Fasse liegen. Ungeachtet aller angewandten Mittel war der Unsinnige nach Verlauf einiger Stunden gestorben, und in der Nähe des Dorfes begraben worden. Auf sein Skelett wurde der erste Anschlag gemacht. Ich muss gestehen, je näher der bestimmte Abend heranrückte, um so eigen- thümlichcr wurde mir zu Muthe, und am Tage der Ausführung lag es mir, wie ein schwerer Stein auf dem Herzen. Herrn Fryer ging es nicht anders. Ein-, zwei- mal blieben wir auf dem Wege nach dem Grabe stehen, und schon waren w ir ent- schlossen, wieder umzukehren, als mich der Gedanke, dass ich hier die einzige Gelegenheit unbenutzt vorübergehen Hesse, die sich mir für meine Wünsche bieten möchte, vorwärts trieb. Herr Fryer folgte. Bald hatten wir ein Loch bis zu dem Todlen hinab gegraben, und das Skelett war in unserm Besitz. Die Länge der Zeit halte die Knochen etwas geschwärzt. Es befindet sich jetzt auf dem anato- mischen Museum zu Berlin. Nach einigen Tagen fassten wir uns abermals ein Herz und eilten mit Hacke und Spaten zum Grabe des Maiongkong , der ebenfalls bei meines Bruders frühe- rer Anwesenheit in Pirara in einer Nacht plötzlich gestorben , und neben dem kVarrau begraben worden war. Leider fänden wir den Schädel vollkommen zer- schmettert. Der rächende Schlag der Kriegskeule eines Feindes war Ursache seines Todes gewesen. Da bis jetzt alles glücklich ohne Entdeckung abgegangen wrar, so schlichen wir nach dem kleinen Todtenackcr, auf dem jener Macusi, der kurz vor unserer Ab- reise nach dem Ta/eulu, und ein zweiter lag, der während unserer letzten Ab- wesenheit gestorben. Ungeachtet der bedeutenden Strecke, die der Platz vom Dorfe entfernt lag, hatte doch ein Indianer, der zufällig vor die Hütte getreten war, das Geräusch unserer Thätigkeit vernommen, und war zu Herrn Goodall geeilt, um diesem anzuzeigen, dass sich dem Dorfe Brasilianer nähern müssten, denn er höre Pferdegestampfe. Obschon Herr Goodall alles mögliche anwandte, um ihn von dieser Ansicht abzubringen, und ihm versicherte, dass wir es wären, da wir vor kurzer Zeit in seine Hütte gekommen und ihm milgetheilt, dass sich eben ein Jaguar gezeigf. den wir verfolgen wollten, so Hess sich der vorsichtige Indianer, BRITISCH-GUIA1NA. 307 dem die Töne zu sonderbar vorkamen, doch nicht abhalten, die wenigen Bewohner in Alarm zu setzen. Ruhig hatten wir unterdessen unsere Arbeit beendet, die uns viel leichter geworden, als wir erwartet, da der letzte Macusi erst vor vier Mona- ten begraben worden war, und eilten nun froh über das Gelingen mit unserer Beute dem Dorfe zu, um diese eben so unbemerkt, wie die frühere, noch in der Nacht zu verpacken. Der vor unserer Ta ku tu -Heise begrabene Macusi , der ungefähr 12 Monat in der Erde lag, zeigte sich schon als ganz trockenes Skelett, und selbst der nur erst vor 4 Monaten begrabene, war bereits von allem Fleische entblösst. Ich brauche den Schreck nicht zu schildern, der uns beide ergriff, als wir in der Nähe des Dorfes ankamen, und die gesummten Bewohner vor diesem versammelt fanden. Ohne uns weiter zu besinnen, denn einzelne laute Worte des Herrn Goooall hat- ten uns schon verkündet, dass wir bemerkt worden wären, und dass er gesagt, wir hätten einen Jaguar verfolgt, warfen wir Hacke, Spaten und Skelette in das Gebüsch, und traten mit der Versicherung auf die harrende Gruppe zu , dass wir den verfolgten Jaguar nicht entdeckt. Es war gut, dass eben eine dicke Wolke vor den Mond getreten, sonst würden unsere erschrockenen Mienen ihnen jedenfalls verrathen haben, dass wir Böses im Schilde geführt. Um Mitternacht suchten wir die Gebeine wieder im Gebüsch zusammen ; indess war ich froh , als endlich die böse Arbeit glücklich beendet worden war, und mit einer wahren Herzenserleich- terung trat ich am nächsten Tage meinen Ausflug nach dem Camiku-Ge birge an, um dort von allen vorkommenden Palmen kleine Sämlinge oder Früchte zum Aus- säen zu sammeln, indem die von mir vor der Abreise nach dem Roraima in zusam- mengeschlagene Kästen gelegten Früchte der Maximiliana , Mauritia und des Astrocaryurn Tucuma ganz herrlich aufgegangen waren und lustig heranwuchsen. Reich beladen kehrte ich nach acht Tagen zurück, schlug mir neue Kasten zusammen, und pflanzte meine Sammlung aus, die auch bald anwuchs, und mich für den Verlust mancher andern lebenden Pflanze entschädigte. Unter solchen Beschäftigungen war der März herangekommen, wo uns Major Coelho, der meinen Bruder bereits von Georgetown zurückgekehrt glaubte , mit einem neuen Besuche überraschte. Es war der vierte März, als wir, nachdem wir in Gesellschaft des Majors unser frugales Abendbrod verzehrt, nach Sonnenunter- gang in lebhaftem Gespräche vor die Thür der Hütte traten. Auf die Aufforderung des Herrn Fryek, gegen W.S.W. zu sehen, bemerkten wir dort einen breiten, weissen, nebelartigen Streifen , der sich gegen den Horizont neigte , und bis zu einer Höhe von 45° aufstieg. Mehre Tage war der Himmel mit Wolken überzo- gen gewesen, die die Sterne bedeckt hatten. Einzelnes Gewölk, das bald darauf in Osten aufstieg und gegen Westen hintrieb, überzog nach einiger Zeit theilweise den weissen Streifen, der aber fortwährend durch das zerrissene Gewölk sichtbar 39* ,‘108 REISEN IN blieb, was uns den klarsten Beweis lieferte, dass er eine höhere Luftschicht ein- nehmen musste, als die Wolken, die ihn uns dann und wann verbargen. Heute waren die Ansichten über das gesehene Meteor noch getheilt. Den folgenden Abend aber sahen wir deutlich, dass wir einen der grössten Kometen, welcher die Welt noch in Furcht und Schreken gesetzt, zu bewundern hatten. Den Kern des- selben bemerkten wir etwa 12° oberhalb des Horizonts, während sich der Stern bis zum Stern v des Eridanus hiuzog, der sich in einer ungefähren Höhe von 15° zeigte. Der breiteste Theil des Kernes mochte 1° 10" betragen, und verlor sich in dem Sternbild des Eridanus. Weder Herr Goodall noch Herr Fryer und Tiedge erinnerten sich , je einen Kometen von solcher Grösse gesehen zu haben. Während wir die grossartige Lichterscheinung mit tiefem Staunen betrachteten, verbreitete sich unter den Indianern ein wahrhaft panischer Schrecken. Auch sie sehen, wie ein grosser Theil der Europäer, stets in einem Kometen den Verkünder und Vorläufer von Seuchen, Hungersnoth und Unheil, was uns nicht wenig in Erstaunen setzte. Diese abergläubische Furcht sprach sich namentlich einige Tage nach seinem Aufsteigen ungemein lebhaft aus , wo mehre Parthien Fremder uns Erzeugnisse ihrer Proviantfelder brachten und das Dorf wieder einmal ein rege- res Leben entwickelte, als es gewöhnlich der Fall war. So wie die Nacht herein- brach, und der Komet sichtbar wurde, trat alles vor die Hütte; Mann, Frau und Kinder streckten ihre Arme unter dem Ausdruck des Bittens und Flehens gegen ihn aus, um den Gefürchteten zu bewegen , das Himmelszelt zu verlassen, damit sie nicht unter seinen Wirkungen zu Grunde gingen. Die Malcusis nannten den Ko- met: Ca-po-escima (Feuerwolke) oder Wae-inopsa (Sonne, die ihre Strahlen hinter sich wirft) ; die Arekunas dagegen : W a-taima, und die Wapisianas : Capischi. (beides : Gespenst der Sterne). Die offene Savanne, in der wir uns be- funden, war ein ungemein günstiger Standpunkt zu seiner Beobachtung. Waren wir am Abend vor die Hütte getreten, um das herrliche Phänomen anzustaunen, dann versammelten sich auch jedesmal die zeitweiligen Bewohner Pirara's um uns, und frugen ängstlich, was die Paranaghieris von der Wae-inopsa glaubten, und mit welchem Namen sie die Feuerwolke belegten? Bis zum 20. März strahlte der Komet in seiner ganzen Pracht, von da ab aber verlor er immer mehr an Ausdeh- nung und wurde immer matter und dunstförmiger. Während dieser Tage der allgemeinen Furcht und Aufregung unter den India-- nern, bot sich uns eine Gelegenheit, abermals die fast an das Unglaubliche grenzende Selbstbeherrschung der Indianer und zwar an einem Knaben von höch- stens zwölf Jahren zu bewundern. Es war einer jener heissen Tage der Trocken- zeit, wo man vergebens an dem Himmelsdom nach einem grauen Wölkchen sucht, wo sich die niedern Luftschichten in einer ununterbrochenen Oscillation befinden, BRITISCH -GUIANA. 309 und alle nur irgend entferntem Gegenstände dieselbe Bewegung angenommen haben, da sahen wir einige Indianer auf das Dorf zueilen, die einen Knaben in ihrer Mitte führten. Als sie die Niederlassung betraten, eilten sie auf unsere Iliitte zu, und baten um Hülfe für denselben, dessen ganzer Körper auf eine wahrhaft furchtbare W eise von entzündetem Pulver zerrissen und zerfleischt war. Der Körper, das Gesicht, kurz alles war mit einer geronnenen und theilweis schon vertrockneten Blutmasse bedeckt. Wo die Augen gewesen, das konnte man nur an einer kleinen Vertiefung des geschwollenen Gesichts sehen. Der Anblick des armen Opfers der Unvorsichtigkeit war in der That herzzerreissend. Die Leute hatten uns erst vor wenigen Tagen besucht, und für die uns gebrachten Provisionen ein Pfund Pulver gefordert und erhalten. Am Morgen wollen sie zur Jagd gehen, stellen die Blech- büchse mit dem Pulver in die Nähe des Feuers, an welchem eben das Frühstück bereitet wird, und hocken um dasselbe herum ; ein Funke entzündet das offenstehende Pulver, und versetzt explodirend den Knaben in diesen erbarmungswerthen Zustand. Obschon die Niederlassung Umata acht Miles von Pirara entfernt war, hatten sich der Vater und einige Freunde doch unmittelbar nach dem Unglücksfall in der sengenden Sonnenhitze mit dem verunglückten Sohne aufgemacht, um uns diesen durch die offene Savanne zuzuführen und von uns Hülfe zu erbitten. Rechnet man zu den Schmerzen des wunden Körpers schon an und für sich, noch die Qualen der Einwirkung der brennenden Sonnenstrahlen , so mag es allerdings wunderbar genug klingen, wenn ich versichere, dass dem Munde des Gequälten nicht einmal ein Seufzer entfloh. Ruhig und gelassen, ohne irgend welches Zeichen des Schmer- zes, stand der jetzt noch blinde Knabe vor uns. Das einzige Mittel, was wir ihm bieten konnten, war, dass wir ihn förmlich mit Oel einsalbten, welches wir glück- licher Weise noch in hinlänglicher Menge besassen. Am folgenden Morgen kehrte der Vater wieder nach Umata zurück und überliess uns den Knaben zur weitern Kur, die wir auch mit dein Oele fortsetzten. Zehn Tage lag der arme Bursche vollkommen blind in der für ihn geschlungenen Hängematte ; am Morgen des zweiten Tages, nach welchem er sein Augenlicht wieder erhalten, war er ver- schwunden, und nach seiner Heimath zurückgekehrt, ohne uns ein Lebewohl oder einen Dank gesagt zu haben. 310 REISEN IN IX. Sillen , Gebräuche und Sprache der Macusis , so wie anderer Stamme, van Hedvel über das El Dorado und den See Parima. Die Amazonen. Krankheiten der Macusis. Me- dizinische Eigenschaften einzelner Pflanzen und ihre Anwendung. Verunglückte Specu- lation eines Kaufmannes. Meines Bruders Rückkehr nach Pirara. Tiedge’s Rückkehr nach Georgetown. Ergebnisse und Verlauf der Reise meines Bruders von Our Village nach dem Cuyuni. Vereinigung des Kukenam und Yuruani. Caroni. Flussgebiet des Cama. Berg Irutipu. Fluss Cako. Stromgebiet des Mazaruni. Fluss Annawai. Quellen des Carimang. Cutzi. Musa paradisiaca in wildem Zustande. Felsen Kapoi-tipu und YVariina-tipu. Fluss Paruima. Bergkette Kauru-tipu. Stromgebiet des Cuyuni. Felsen Cara-utta. Vereinigung des Carapu mit dem Wenamu. Sandsteinmauer des Poinka- watui. Caiaract Iramapara. Gebiet der Akawais. Vereinigung des Wenamu mit dem Cuyuni. Mündung des Ekruyeku. Ekrekuberge. Fischzüge der Indianer. Unser langer Aufenthalt in dem Gebiete der Macusis, unser fast ununter- brochener Umgang mit ihnen hatte uns natürlich nicht allein mit ihren Sitten , Ge- bräuchen und ihrer Sprache genauer bekannt , sondern auch mit ihrem Charakter vertrauter gemacht, was hei den übrigen Stämmen nicht der Fall sein konnte, da wir meistens bloss Tage, selten länger als einige Wochen unter ihnen weilten, ihre Sprache uns fast ganz unverständlich blieb, und wir daher meist auch nur das von ihrem Gesammtleben kennen lernten, was uns gerade erfahrungsmässig entgegen- trat; obschon sich bereits aus diesem Wenigen das als unzweifelhafte Thatsache herausstellte, dass, wie die Bewohner Süd-Amerika’s in ihrer Körperbildung nur wenig von einander abweichen, so auch ihre geistigen Fähigkeiten, ihr Charakter, den Hauptziigen nach, ziemlich mit einander iibereinstimmen. Ich halte es daher nicht am Unrechten Orte, hier meine gemachten Erfahrungen, in Bezug auf gesell- BRITISCII-GUIANA. 311 schaftliches, sittliches und geistiges Leben der Macusis, in ein Ganzes zusammen- zufassen und an dieses zugleich die Abweichungen anzureihen, die uns bei andern Stämmen aufgefallen sind. Dass die Macusis jetzt noch zu den zahlreichsten und mächtigsten Stämmen von Bri tisch- Guiana gehören, dass sie die Savannen zwischen dem Rupununi, Parima, längs dem Pacaraiina und CW^A’^-Gebirge, in einer Anzahl von etwa 1500 Seelen bewohnen, während der Gesammtstamm ungefähr 3000 Individuen betragen mag, habe ich bereits erwähnt, eben so, dass sich der Stamm durch seinen friedliebenden, gefälligen, milden und freundlichen Charakter, besonders aber durch die so seltene Eigenschaft der Ordnungsliebe und Reinlichkeit auszeichnet. Buffon entwirft folgende Charakteristik der Bewohner Süd-Amerika's : "Ob- schon der Wilde Amerika’s seinen natürlichen Anlagen nach mit dem Menschen der civilisirten Welt übereinslimmt, so entkräftet dieses doch nicht den Einwurf gegen die allgemeine Verkümmerung des thierischen Organismus in jenem Erdtheile. Bei den Wilden sind die Zeugungsorgane klein und schwach ; ihm fehlt der Bart und die leidenschaftliche Liebe gegen das Weib. Durch das Umherstreifen gewandter als der Europäer, ist dieser doch stärker und kräftiger. Eben so sind alle seine Empfindungen minder lebendig, nur die der Furcht und Feigheit ist stärker. Er besitzt keine Lebhaftigkeit, nicht jene Begsamkeit der geistigen Kräfte. Seine ganze Thätigkeit entspringt nicht aus dem innern Drange nach Beschäftigung, son- dern wird einzig durch das Bedürfniss und den Mangel abgezwungen. Man ver- nichte den Trieb nach Befriedigung des Hungers und Durstes, und seine Thätigkeit wird ihre Motive verloren haben. Sitzend oder in seiner Hängematte liegend ver- harrt er tagelang in träger, dumpfer Ruhe. Der Grund des zerstreuten Lebens, ihre Scheu vor Vereinigung ist schnell herauszufinden. Der schönste Funke des Feuers der Natur ist ihnen nicht zu Theil geworden; sie fühlen keine leidenschaft- liche Liebe zum Weibe, und daher auch keine Liebe zum Menschen in sich. Un- bekannt mit der schönsten und zartesten der Neigungen, bleiben alle ihre Empfin- dungen dieser Art kalt und matt; ihre Kinder- und Elternliebe ist schwach. Alle Bande der Familie sind locker; keine Familie fühlt sich mit der andern verbunden. Daher kann sich auch nie eine Gemeinschaft, eine Republik, ein gesellschaftlicher Staat aus ihnen herausbilden. Nur die physische Liebe ist Schöpferin der Morali- tät ihrer Sitten. Die Frauen sind die Sklavinnen, die Lastthiere der Männer, die sieohne Mitleid mit der Beute der Jagd beladen, sie ohneErbarmen zur Arbeit zwin- gen, die die Kräfte derselben oft weit übersteigt. Um die wenigen Kinder, die sie besitzen, bekümmern sie sich gleich wenig. Alles dieses muss jenem Grunde zu- geschrieben werden; sie sind gleichgültig, weil sie schwach sind, und diese Gleich- gültigkeit gegen das Weib ist der angeborne Makel, welcher die Natur schändet, 312 REISEN IN die Spannung derselben unmöglich macht, und so, weil sie zugleich die Lebenskeime vernichtet, die Basis der Gesellschaft untergräbt; daher erhebt sich auch der Mensch nicht über das, was vorher behauptet worden ist. Die Natur versagte ihm die Fä- higkeit der Liebe, und misshandelte und beeinträchtigte ihn dadurch mehr, als das Thier." Diese ganze Charakteristik beruht auf Theorien, ihr fehlt die Erfahrung; — meine Schilderung, die aller Theoreme und philosophischer Schlüsse baar sein soll, wird diese meine Behauptung beweisen und die einzelnen Anklagen des grossen Naturforschers widerlegen. Wenn bei fast allen übrigen Stämmen Guiana's die Polygamie heimisch ist, so findet man diese nur äusserst selten bei den Macusis, und es war mir daher auf- fallend, unter ihnen nicht allein fast durchgehends kinderarme, sondern auch viele kinderlose Ehen anzutrelfen, so dass ich die Ansicht, die Frauen suchten in vielen Fällen das Vorschreiten der Schwangerschaft durch künstliche Mittel zu hinter- treiben, fast als wahr annehmen muss. Wenn Buffon aber den Mangel an Kin- dern, in dem Mangel an leidenschaftlicher und zärtlicher Liebe des Ehepaares zu finden glaubt, so irrt er sich. Der Mann liebt die Frau und diese den Mann eben so innig, als dies unter civilisirlen Völkern der Fall sein kann, nur hält es der erstere für unanständig, für unmännlich, dies in Gegenwart anderer zu zeigen, weshalb er auch mit Verachtung auf die Parana ghieris herabblickt, die diese Ge- fühle vor andern nicht bezähmen können, ln Gegenwart von Fremden , nament- lich von Europäern, wird der Indianer eine fast eisige Gleichgültigkeit gegen Frau und Kinder heucheln, wie er überhaupt alle seine Gefühle auf das meisterhafteste zu beherrschen wciss. Glaubt sich aber das Ehepaar unbeachtet, so üherscluittet es seine Angehörigen mit allen jenen Liebkosungen, deren ein Europäer nur irgend fähig ist. Ich kann mich nur eines Falles entsinnen, wo dieses äussere Decorum nicht beachtet wurde: Ein Ehepaar, das schon über ein Jahr verheiralhet war, und uns auf der Ta/iUtu-Rcise begleitete, liess seinen Gefühlen der Zärtlichkeit selbst in unserer Gegenwart freien Lauf. Wollte ich aber auch jenen Grund der Verhinderung der Schwangerschaft als unwahr verwerfen, so liegen doch noch eine Menge anderer Verhältnisse vor, die die allerdings auffallende Kinderarmulh eher aus diesen, als aus einer Gleichgültig- keit und einem Unvermögen, welche beide nicht existiren, erklärlich machen. Die schwere Arbeit des Feldes und des Hauses, die rastlose Wanderlust des Mannes, wobei ihm die Frau als Trägerin der Utensilien, Tauschartikel und Provi- sionen folgen muss, der oft herrschende Mangel , die entkräftenden Anstrengungen sind ohne Zweifel die Ilauplursache der Unfruchtbarkeit, was sich mir auch da- durch bestätigte, dass Indianerinnen, die einen Europäer gcheiralhet, wie dieses BRITISCII-GÜIANA. 313 an der Küste sehr häufig der Fall ist, wo sie dann weder jenen Anstrengungen, noch jenen Entbehrungen unterworfen sind, Mütter von einer zahlreichen Familie waren. So ungern ich auch die gegen mich ausgesprochene Behauptung, dass die Schwangerschaft oft künstlich verhindert werde, annehmen möchte, so scheint mir in der der Frau aufgebürdeten Last der Arbeit, wie auch in der dem weiblichen Ge- schlecht so allgemein eigenthümlichen Eitelkeit doch ein denkbarer Grund dieser ab- scheulichen Sitte zu liegen, indem der Frau durch das neugeborne Kind nicht allein die Arbeiten und Mühen noch vermehrt, sondern durch das wiederholte Wochen- bett auch die Spuren ihrer frühem Schönheit, welche ihr das erste gelassen, vollends verwischt werden. Die Aeusserungen : «Du hast schöne, sanfte Au- gen, bist von schöner Stirne» oder «welch schöner Raum der Augen !» rufen die- selben Wirkungen bei der Indianerin hervor, wie die Schmeichelworle in dem Herzen einer deutschen Kokette. Zwillingsgehurten sind äusserst selten, und ich kann mich während meines ganzen Aufenthaltes unter den Ureingebornen Guiana’s nur zweier Zwillingspaare, bei den Macusis und den IV aikas, erinnern, die zugleich die zweite Behauptung widerlegen, dass bei vorkommenden Zwillingsgeburten im- mer eins der Kinder von der Mutter getödtet werde, um sich bei ihrem Manne nicht dem Verdachte der Untreue, bei den übrigen Frauen aber nicht dem Gespülte aus- zusetzen. Diese Sitte herrschte also bei den Macusis und fVaikas nicht, der auch der sanfte und milde Charakter der Macusis widersprechen würde. Als wir den Frauen sagten, dass bei den Paranaghieris die Zwillingsgebur- ten nichts weniger als selten seien, ja dass es selbst Fälle gäbe, wo die Frau auf einmal Mutter von drei Kindern würde, zogen sie spöttisch den Mund und erwie- derten jedesmal, «wir sind keine Hündinnen, die einen ganzen Haufen Junge wer- fen.« Ihre Begriffe von weiblicher Keuschheit sind freilich himmelweit von den unsern verschieden. Jedes Mädchen kann, ohne dadurch im mindesten an ihrer Ehre zu leiden, eine Menge von Liebhabern begünstigen ; sobald sie aber verhei- rathet ist, wird, wie ich schon früher erwähnte, die unverbrüchlichste Beobachtung ehelicher Treue von ihr verlangt. In der oben angeführten Freiheit, frei über ihren Körper schalten und walten zu können, stimmen die Ureinwohner Guiana’s , Avie aus Cook's, Forster’s und Diefenrach's Reisewerken hervorgeht, ganz mit den Bewohnern Neuseelands überein. Die Ausschweifungen aber, die sich das weib- liche Geschlecht dort bei der Ankunft der Europäer gegen die Matrosen zu Schul- den kommen liess, sind den Indianerinnen Guiana,s vollkommen fremd. So wie die Mutter den Moment der Geburt herannahen fühlt, begiebt sic sich in den nahen Wald, in das Provisionsfeld oder eine unbewohnte Hütte und gebiert dort ohne alle Beihülfe. Der Nabelstrang wird von der Mutter oder der Schwester der Gebührenden abgeschnitten ; ist das neugeborne Kind ein Knabe, so geschieht II. Tlieil. 40 314 KEISEiN LN dies mit einem scharfgeschnittenem Bambusrohr; ist es ein Mädchen, mit einem Stück Pfeilrohr ( Gijnerium saccharoidcs), worauf er mit einem baumwollenen Fa- den unterbunden wird. Mil der innigsten, aufopferndsten Liebe hängt die Mutter von dessen erstem Athemzugean dem jungen Erdenbürger; der Mord eines wirklich gebor- nen Kindes durch die Mutter ist eine unbekannte Thal, und die Tödtung eines Enkels durch den Grossvater, die kurz vor unserer Ankunft in Pirara stattgefunden, halte den allgemeinsten Abscheu hervorgerufen. Der früher erwähnte Brasilianer Ab- risto halte in Pirara in Polygamie gelebt und eins der schönsten Mädchen der Niederlassung, Tokuipa ( Tokui nennen die Marusis die verschiedenen Sp. Gal- bula ), verführt. Dieses kommt mit einem kränklichen Knaben nieder. Tokuipa be- wohnt ihres Vaters Hütte, der ihr Vergehen, sich mit einem •< Caraiba » abgegeben zu haben, noch nicht verziehen, und durch das ununterbrochene Weinen des Kin- des immer von neuem an den Fehltritt der Tochter erinnert wird. Eines Abends, wo das Kind wieder auf keine Weise von der geängstigten Mutter beruhigt werden kann, springt der erzürnte Grossvater aus der Hängematte, ergreift sein Waldmes- ser und spaltet mit einem Streiche den Kopf des Enkels. Abristo begrub die Leiche seines Kindes unter das grosse Kreuz vor der Kirche. Oft theiltc uns Tokuipa die Mutige That ihres Vaters mit. Nach der Geburt bängt der Vater seine Hängematte neben der seiner Frau auf, um mit ihr die Wochen zu halten, die so lange währen, bis dein Kinde die Nabelschnur abfällt. Während dieser Zeit wird die Mutter als unrein betrachtet, und der Mann muss, wenn er keine besondere Hütte liir die beiderseitigen Wochen besitzt, ehe er die seinigen an tritt, die Lager durch eine Wand aus Palmenblättern absondern. Während dieser Zeit darf weder der Vater, noch dieMutter eine Arbeit verrichten, der Vater die Hütte des Abends nur auf Augenblicke verlassen. Das gewohnte Bad ist ihm untersagt, ebenso darf er seine Waffen nicht angreifen. Ihren Durst dürfen beide nur mit lauwarmem Wasser, ihren Hunger nur mit Brei aus Cassadabrod stillen, der von einer der Verwandten bereitet wird. Noch son- derbarer ist aber das Verbot, sich mit den Nägeln der Hand den Körper oder Kopf zu kratzen, wozu jederzeit ein Stück aus der Bluttrippe der Cucurit-Pi\\mc neben dem Lager hängt. Das Leberschreiten eines dieser Gebote und Verbote würde den Tod oder die lebenslängliche Kränklichkeit des Säuglings bedingen. Auch bei ihnen wird die Abstammung des Kindes, wie bei den übrigen Stämmen Guiana's, von der Mutier hergeleitet. Ist diese eine Macusi, der Vater aber ein IV apisiatia, Arckuna u. s. w., so sind die Kinder doch Macusis. Bevor das Ehepaar das Wochenbett besteigt, wird das Kind von den Ver- wandten angeblasen, worauf ihm nach Beendigung der Wochen die Grossmutter oder der Grossvater, wenn diese noch am Leben sind , einen in der Familie ge- «RITISCII-GUIANA. 315 bräuchlichen Namen geben. Lebt keines der beiden mehr, so kommt diese Pflicht dem Vater zu, wie er ihm auch schon in der frühesten Jugend die Ohrläppchen, Unterlippe und das Septum der Nase durchsticht. Vom Augenblick der Geburt, bis zu dem Zeitpunkt, wo das Kind sich seinen eigenen Füssen anvertrauen kann, sieht man die Mutter selten ohne dieses; es ist bis dahin ein integrirender Theil ihres Ichs. Ungeachtet der zärtlichsten Liebe, sieht man die Mutter das Kind nie küssen, hört man fast nie, dass sie ihnen jene Liebkosungsnamen gäbe, die bei uns die Mütter stets im Munde führen. Ihre Liebe scheint ernster zu sein, sich in wesentlicheren Dingen zu bekunden. Ungeachtet der offenbaren Liebe des Vaters zu seinen Kindern, ist dieser doch im Stande, dieselben, ungeachtet der bittersten Thränen der Mutier, an andere, vielleicht kinderlose Ehepaare zu verkaufen. Mit unveränderten Mienen steht der Knabe oder das Mädchen neben dem Vater, hört den Handel ruhig an und folgt ohne Widerstreben den neuen Eltern. Der Preis eines Kindes ist derselbe, den der Indianer für seinen Hund fordert: ein Gewehr, eine Axt oder dergleichen, wozu aber der Käufer den Verwandten, die sich in ziem- licher Anzahl hei dem neuem Vater melden, noch Kleinigkeiten, als Perlen u. s. w. geben muss. Die Erziehung des Knaben beschränkt sich auf die Anweisung im Schwimmen, Fischen, Jagen, der Verfertigung der Waffen und anderer Bedürfnisse. Die Mädchen werden von der Mutter in den Geschäften des Haushaltes unterrichtet. Strafen, wie überhaupt Züchtigungen , kennt der Indianer nicht; denn nur der Hund, nicht der Macusi bedarf der Schläge. Die Mutter reicht dem Kinde so lange ihre Brust, als es diesem gefällt. Sollte sieh die Familie vermehren, so übernimmt die Grossmuttcr die Pflichten der Mutter gegen den Enkel, und ich sah oft ganz kräftige Knaben neben der Mutter oder Grossmutier säugend stehen. Letztem fällt meistenliieils auch die Pflicht anheim, ilie von dem Manne oder Sohn aufgefundenen jungen Säugelhiere aufzuziehen. Als ich meine Verwunderung über diese auffallende Erscheinung gegen Sororeng zu erkennen gab, erwiederte er mir, dass die Frauen ein Mittel anwendeten, das ihnen die Milch bis in das höchste Alter erhalte. Hat der Knabe das Alter der Pubertät erreicht, so bekümmert sich die Mutter nicht weiter um ihn; er ist für sie zum Fremdling geworden. Bei dem ersten Zeichen, dass das Mädchen aus der Kindheit in das reife Alter tritt, wird dasselbe von allem Umgang mit den Bewohnern der Hütte abgesondert; es ist während dieser Uebergangsperiode unrein. Die Hängematte der angehenden Jungfrau wird aus der bisherigen Reihe herausgenommen und in die äusserstc Kup- pclspitze der Hütte gehängt, wo die Aermstc dem ganzen Rauche, der jetzt wo möglich noch vermehrt wird, ausgeselzt ist. In den ersten Tagen darf sie während 40* 316 REISEN KN des Tages die Hängematte nicht verlassen ; nur während der Nacht muss sie aus dieser herunterkommen, sich an ein selbst angezündetes Feuer setzen und die Nacht an diesem zubringen, sonst bekommt sie eine Menge schlimmer Geschwüre am Halse, einen Kropf u. s. w. So lange die heftigsten und auffallendsten Symptome des physischen Uebergangs anhalten, bleibt sie dem strengsten Fasten unterworfen. Haben diese nachgelassen, so darf sie aus der Höhe herabsteigen und einen kleinen Verschlag beziehen, der unterdessen in dem dunkelsten Winkel der Hütte gemacht Worden ist. Am Morgen kann sie sich in einem eigenen Topfe, an einem besondern Feuer ihren Cassadamehlbrei kochen, der während der ganzen Absonderung ihre einzige Nahrung bildet, bis etwa nach zehn Tagen der Piai erscheint, sie und alles, womit sie in Berührung gekommen, entzaubert, indem er das Mädchen und die werthvolleren Sachen unter Murmeln anbläst. Töpfe, Trinkschalen, die dasselbe gebraucht, werden zertrümmert, die Scherben vergraben. Noch aber wartet der- selben eine schmerzhafte Probe. Nach der Rückkehr aus dem ersten Bade, muss es sich während der Nachtauf einen Stuhl oder Stein stellen, wo es von der Mutter mit dünnen Ruthen gegeisselt wird, ohne eine Schmerzensklage ausstossen zu dürfen, welches die schlafenden Bewohner der Hütteaufwecken könnte, ein Ereigniss, das nur Gefahr für ihr künftiges Wohl im Gefolge haben würde. Bei der zweiten Periode der Menstruation findet diese Geisselung wieder statt, später aber nicht mehr. Das Mädchen kann wieder unter den Bewohnern erscheinen, es ist rein, und wenn es bereits versprochen sein sollte, so erscheint der Bräutigam am folgenden Tage in der Hütte und führt die junge Frau heim, was bei keinem der Stämme vor Eintritt der Mannbarkeit geschieht. Auch später wird die Frau und das Mädchen während der Zeit dieses physi- schen Processes für unrein gehalten. Sie dürfen sich während dem nicht baden, noch in den Wald gehen , da sie sich dann den verliebten Angriffen der Schlangen uussetzen würden ! Anfänglich, wo ich noch unbekannt mit den Sitten und Gebräuchen dieser Na- turmenschen war, musste mir der Aufenthalt eines Mädchens oder einer Frau in einem Verschlag oder unter dem Dache natürlich auffallen, weshalb ich sic auch thcilnchmcnd frug, was ihr fehle. « Hurc-puryia-pui'awanna-yenepe-pitpei toanna (ich bin krank, ich habe Kopfschmerzen), oder: H vre-puriy a-pura wart na yen epe vye warum (ich bin krank , ich habe Zahnschmerzen), » war die gewöhnliche Antwort. Ebenso wenig wie bei den W arraus und Waikas werden auch bei den Ma- cusis die Verhciralh ungen durch irgend welche religiöse Ccremonien cingeweiht, und meist schon in der frühesten Jugend von den Eltern beschlossen, in welchem Falle der junge Mann verbunden ist, den Eltern seines Weibes bis zu ihref Reife BRITISCII-GUIANA. 317 zu dienen. Diese Art Verlobung ist jedoch keineswegs bindend, da bei eingelrete- ner Reife sich die Verlobten erklären, trennen und eine andere Wahl treffen kön- nen. In dieser Brautzeit erzeigt der junge Mann seiner jugendlichen Braut jede Aufmerksamkeit, beschenkt sie mit Perlen und bringt ihr das beste, was er auf der Jagd erlangen kann. Ist sie sein Weib geworden, dann führt er sie dorthin, wo er sich niederlassen will, und sein Wille ist fortan der ihre. Bevor aber der junge Mann sein Weib heimführen darf, muss er sich zuvor noch einigen Proben unter- werfen, um zu beweisen, ob er auch den Namen «Mann» führen darf. Zu diesen Proben, die sich nicht immer gleich bleiben, gehören unter andern auch die, dass er in einer bestimmten Zeit ein ihm zugemessenes Stück Land von allen Bäumen zu reinigen hat, welches ihm später als Provisionsfeld dient, oder er muss in einer bestimmten Frist einen grossen Baum fällen u. s. w. Geht er siegreich aus der Prüfung hervor, so besitzt er die Eigenschaften eines Mannes ; — er kann in der Versammlung der Männer erscheinen und an ihren Berathungen Tlieil nehmen. Be- steht er die Proben nicht, so muss er sich später nochmals denselben unterwerfen. Findet eine gegenseitige Vorherbestimmung von Seiten der Eltern nicht statt, dann folgen die jungen Männer und Mädchen ihrer eigenen , unbeschränkten Nei- gung. Nachdem ein junger Mann hinlängliche Beweise seines Mutlies, seiner Ge- schicklichkeit im Jagen, Fischen und Fällen der stärksten Bäume abgelegt hat, geht er zum Vater der Auserwählten, und hält mit unterdrückter leiser Stimme um die Tochter an; einige vorher gemachte Geschenke bilden die Vorläufer für die offene Erklärung; die Zustimmung des Vaters und der Tochter sind ihm gewiss, sobald der Bewerber als tapferer Krieger, guter Jäger und Fischer bekannt ist. Nur höchst selten wird ein junger Mann seine Gefühle gegen die Auserkorne verrathen, bevor er sich nicht schon einen gewissen Namen in der Jägerei und Fischerei, oder durch andere körperliche Fertigkeiten erworben hat, da er früher nicht nur von den ältern Frauen , sondern auch von den Mädchen verspottet und verlacht werden würde. Stolzen Schrittes , mit leuchtenden Augen betritt er das Dorf, wenn er reichbeladen von der Jagd zurückkehrt; weiss er doch, dass alle Mädchen auf ihn sehen, und sich in Lobeserhebungen über seineu Mulh gegenseitig zu überbieten suchen. Selbst die Frauen, die sich noch in der Hütte befinden, werden herausge- rufen, um den kühnen Jäger mit seiner Beute zu bewundern. Fällt der Jagdzug unglücklich aus, dann schleicht er, um dem spöttischen und höhnischen Gezischei zu entgehen , wie ein Dieb erst bei eingebrochener Nacht nach seiner Hütte. Olt genug machten wir oder die Offiziere uns den Spass und äusserten gegen die Schön- heiten Piraras, dass wir sie zu unseren Weibern nehmen wollten ; ein spöttisches Lachen und die Worte : «Was sollen wir mit euch machen, die ihr in vier Wochen kaum ein Reh oder eine Ente schiessen, keinen Fisch fangen könnt! Ihr Paranag- REISEN IN 318 hieris lliul den ganzen Tag weiter nichts, als dass ihr das Papier anseht! » war die jedesmalige Antwort auf unsern Vorschlag. Hat der junge Mann das Jawort erhal- ten, so zieht er noch an demselben Tage mit all seinen Habseligkeiten in die Hütte des Schwiegervaters ein und leiht diesem all seine Kräfte; für ihn geht er zur Jagd, zum Fischfang, für ihn lallt er die Bäume des Provisionsfeldes. Nur die ihm frei bleibenden Stunden darf er seinen Eltern widmen. Wollte er über allzugrosse Anstrengung klagen, oder scheint dem Schwiegervater der Schwiegersohn nicht lliätig genug, so sind die Worte: "Zum Danke dafür, dass ich dir meine Tochter versprach u. s. w. das Zeichen, dass das gegenseitige Versprechen aufgelöst ist. Ebenso steht auch später noch dem Ehemann frei, seine Frau zu entlassen, ja sie sogar zu verkaufen, was aber nur in seltenen Fällen einen ungünstigen Einfluss auf das Schicksal der Verstossenen äussert, da diese oft schon am Abend einen an- dern Ehemann gefunden hat. Besitzt ein Ehepaar erst Kinder, dann gehört eine solche Trennung zu den seltensten Fällen und kann nur durcli Treubruch bedingt werden. Der Onkel väterlicher Seite darf niemals die Nichte heirathen, da dies als der den Geschwistern nächste Verwandtschaftsgrad angesehen wird, weshalb dieser auch wie der Vater: •Papa» genannt wird. Dagegen ist jedem erlaubt, sich mit der Tochter seiner Schwester, der Frau seines verstorbenen Bruders, seiner Stiefmut- ter, wenn der Vater gestorben, zu verbinden. Unter den wenigen Fällen von Polygamie, die ich bei den Macusis traf, befand sich auch der, dass ein Indianer drei Schwestern zu Frauen halte. Der Cercmonicn bei einem Todesfall und bei der Beerdigung habe ich schon mehrmals Erwähnung gethan und füge hier nur noch hinzu, dass der Witlwer — II Monat um seine Frau trauern muss, d. h. so lange, bis das bei ihrem Tode gepflanzte Cassadaleld und die Wurzel zu dem zu veranstaltenden Piawari-Pesi, das vor der zweiten Heirat h stattlindel, benutzt werden kann. Ungeachtet des an und für sich so milden und sanften Charakters schnitt mir doch auch unter ihnen die Nachlässigkeit und lieblose Behandlung gegen ihre Kranken lief in das Herz, und ich kann mir diese unter den Ureinwohnern Südamerika^ so allgemein herrschende Sille nur aus der religiösen Ueberzeugung erklären, nach welcher die Seelen der Verstorbenen zu einem Orte eilen, wo sie alles, was sie bedürfen, wo sie alle vor- angegangenen Freunde finden werden. Uebrigens weisen sie Guten undBöscn einen und denselben Aufenthaltsort an. Sagte ich ihnen, dass dies nicht gut möglich sei, so erhielt ich jederzeit die Antwort: wir wissen es nicht anders, von unsern Vor- fahren haben wir es gehört, dass alle Seelen dorthin kommen. Einige Stämme des Orinoko bestimmen denen, welche im Leben gut waren*), einen angenehmeren Ort, ’) Siclie: I*. Salvafoii Gili, Saggio di Storia naturale, civile e sacra de.; lluma 1782. ISRITISCII-GUIANA. .319 olme diesen aber näher zu beschreiben; die Bösen kommen in einen Baum, in dem ein beständiges Feuer brennt. Singen sie aber, sagen die Zauberer, gewisse ihrem höchsten Wesen angenehme Lieder, so (liegen ihre Seelen ohne Gefahr über diesen Baum weg. Die Ottornachier behaupten, die Seelen aller eilten nach Westen, hier sei ein Ort, wo sie ohne Mühe und Arbeit in Ruhe lebten; vorher aber begegnete ihnen ein grosser Vogel, der Tighitigh heisst, ein Feind der Menschen, der diesen das westliche Paradies missgönnt, daher die Todten angreift und sie verschlingt, sobald sie sich nicht tapfer wehren. Die masslosen Lamentationen der Hinterblie- benen bei dem Eintritt des Todes stehen in merkwürdigem Contrast gegen die vor- hergehende gänzliche Vernachlässigung der Erkrankten. Ihre übrigen religiösen Vorstellungen, ihr Verhältnis zum höchsten Wesen, seine Stellung zu den Menschen , wie überhaupt zur ganzen Schöpfung habe ich theilweise schon im Verlauf meiner Mittheilungen erwähnt. Auch bei ihnen heisst, wie bei den Caraiben und Arawaaks das höchste Wesen, der Schöpfer des Himmels und der Erde: Makunaima (einer der in der Nacht arbeitet), das ihm entgegen- gesetzte Wesen: Epel , wie auch ihreKosmogonie fast ganz mit der der Uarraas, Caraiben und anderer zusammenfällt. Nachdem der grosse und gute Geist, Ma- kunaima, die Erde mit den Pflanzen und Bäumen geschaffen, kam er aus der Höhe herab und stieg auf einen hohen Baum, hieb mit seiner mächtigen Steinaxt Stücken Rinde von diesem Baume ab, die er in den unter ihm hinslrömenden Fluss warf, und damit zu allerlei Thieren verwandelte. Erst als diese alle in das Leben gerufen, erschuf er den Mann. Dieser verfiel in einen tiefen Schlaf und als er er- wachte, fand er ein Weib an seiner Seite stehen. Der böse Geist erhielt die Ober- hand auf der Erde, und Makunaima schickte grosse Wasser; nur ein Mann ent- floh ihnen in einem Corial, von welchem er eine Ratte aussendete, um zu sehen, ob die Wasser gefallen, und sie kehrte mit einem Maiskolben zurück. Die Arawaaks weichen in ihren kosmogonischcn Mythen wesentlich von diesen Ilauplzügen ab. Nach ihnen sind Mann und Frau von zwei verschiedenen höher» Wesen erschaffen worden. Den Schöpfer des Mannes nennen sie Kururumany , den der Weiber Kulimina. Kururumany ist ihr gutes Wesen, von dem nur Gutes kommt. Als Kururumany einst auf die Erde kam, um zu sehen, was die Menschen machten, waren diese so böse geworden, dass sie ihn umbringen wollten, weswegen er ihnen das fortdauernde Leben nahm und es den Thieren, die sich häuten, z. B. den Schlangen, Eidechsen und auch den Blatten (Schaben) verlieb. Leber Kururu- many, dem Schulzgotte der Arawaaks, steht Atuberi, das höchste Wesen , der sich aber nicht um die Menschen kümmert. JVurckaddo und Emisiwaddo sind die Weiber Kururumany s. Das erste Wort bedeutet ebenfalls: "jemand, der im Dunkeln arbeitet», das zweite ist der Name der Cushi- Ameise und bezeichnet: »je- 320 REISEN IN inand, der die Erde durchwühlt». Eine ähnliche Mythe findet sich unter den Ta- inanachiern, einem Stamme, der die Ufer des Orinoko bewohnt.*) Ihr höchstes W esen, von dem alle Dinge abhiingen, heisst Amalivaca. Dieses hat einen Bru- der Vocci\ beide vereint schufen die Welt. Als sie den Orinoko machten, hielten sie eine lange Beratschlagung, wie es einzurichlen, dass man diesen immer mit dem Strome auf- und abfahren könne, damit die Ruderer weniger ermüdeten (Wir- kung der Fluth). Amalivaca aber hatte eine Tochter, die gern spazieren ging, welcher der Vater, um sie daran zu hindern, die Beine zerbrach. Nachdem Ama- livaca lange bei den Tamanachiern gewohnt, nahm er sich ein Corial, um darin nach der andern Seite des Salzwassers, von wo er gekommen , zu gehen. Als er eben scheiden wollte, rief er ihnen mit veränderter Stimme zu : «Ihr werdet die Haut verändern!» d. h. ihr werdet euch ewig verjüngen, wie die Schlangen, Blat- ten u. s. w. Ein altes Weib aber rief zweifelnd aus: » Oh! » was Amalivaca so verdross, dass er nun sagte: »Ihr sollt sterben. » Die Maiparis , ein anderer Stamm des Orinoko , nennen ihr höchstes Wesen : Purrun am in ari ; es erschuf die Menschen. Sein Weib heisst: Taparimarru, sein Sohn : Sisiri. Tapanimarru war eine schöne Jungfrau. Purranaminari verliebte sich in sie, und seine Begierde, ohne dass er sie berührt hatte, machte sie zur Mut- ter des Sisiri. Die übrigenTraditionen, die Gili von andern Stämmen mittheilt, tragen wie die zu- letzt angeführten, ziemlich deutlich christliche Beimischungen an sich, weshalb ich sie auch nicht weiter anführe. Dahin möchte ich auch die Traditionen der IVarraus zählen, nach welchen eine Frau, die durch die Luft flog, ohne Zulhun eines Mannes in der Nähe des Orinoko den ersten IVarrau gebar, von welchem alle übrigen Stämme kommen. Auch die Maiparis , und nach Alexander von IIumuoldt ebenfalls die Tama- naquen, sagen : In früher Zeit sei die ganze Erde mitWasser überschwemmt wor- den. Nur zwei Personen, ein Mann und eine Frau retteten sich auf dem Gipfel des hohen Berges Tamanaku. Als sie in liefern Kummer über den Verlust ihrer Freunde auf dem Berge herumgingen, hörten sie eine Stimme, die ihnen befahl, die Früchte der MaurUia über ihre Schultern hinter sich zu werfen, und als sie dies thalcn, wurden aus den Früchten, die der Mann warf, Männer, und aus denen, die die Frau warf, Frauen. Nach der Mythe der Macusis, warf der einzige Mensch, der die allgemeine Fluth überlebte, Steine hinter sich und bevölkerte dadurch die Erde von neuem. Die alten Frauen vertreten bei fast allen Stämmen, die wir kennen lernten, die Stelle der allen Barden und pflanzen diese Traditionen von einer Generation auf die andere fort. *) Siehe : I’. Salvator Gili, Saggio di Storia naturale , ciui/e e sacra etc.; Roma 1782. BfUTISCII-GlJIANA. 321 Nirgends habe ich auch nur die leiseste Spur eines Götzendienstes oder einer Felischanbetung gefunden. Alle Naturkriilte sind Ausfluss des guten Geistes, so- bald sie die Ruhe des Indianers, sein Behagen nicht stören, Wirkungen der bösen Geister, sobald sie dies tliun. Den Einfluss und die Macht, welche der Piai über diese Dämonen besitzt, habe ich schon näher auseinandergesetzt. Fehlt all' diesen religiösen Ueberzeugungen auch der innere Zusammenhang, fehlen ihnen alle jene Ceremonien, jene äussern Formen, in welchen der Glaube Gestalt gewinnt, so möchte ich doch behaupten, dass die Indianer dem Christenthum in ihrer einfachen Religion viel näher stehen, als alle jene asiatischen Völker- schaften mit ihren gekünstelten und phantastisch ausgeschmiickten Religionssyslemcn und dass, wenn in der Gegenwart jenes noch so wenig Wurzel unter ihnen ge- fasst hat, seine Bekenner und Verbreiter den grössten Theil der Schuld tragen. W ie bei den übrigen Stämmen, so steht auch bei den Macitsis jeder Nieder- lassung ein Häuptling vor, dessen Machtbefugniss meinen Lesern schon bekannt ist. Er hat die Tage der allgemeinen Lustbarkeiten, des Tanzes u. s. w. festzu- selzen, giebt die Befehle, dass den Gästen Speise und Trank vorgesetzt werde, und ruft die Bewohner der Niederlassung zu den Berathungen zusammen, sobald das Allgemeinwohl oder Allgemeininteresse eine solche Berathung erheischt. Seine Anordnungen giebt er nie in gebieterischer Weise , sondern stellt sie jederzeit gleichsam dem freien Entschluss seiner Untergebenen anheim, er fragt sic: ob man nicht vielleicht dieses oder jenes thun sollte, u. s w. Im Kriege ist er aber unum- schränkter Herrscher. Jeder Indianer überschickt ihm, sobald er von der Jagd oder dem Fischfang heimgekehrt ist, einen Theil der Beute zum Geschenk. In Friedenszeiten möchte der Häuptling auch nur wenig zu entscheiden haben. Das Eigenthum jedes Einzelnen, mag dies nun in einer Hütte, in den wenigen Gc- räthschaften, oder in dem Proviantfelde bestehen, ist heilig; eine Verletzung des- selben, ausser im Kriege, ist last nicht möglich, und Streitigkeiten über dasMein und Dein sind daher höchst selten. Sollten sie jedoch Vorkommen, so entscheidet das Palaver (Berathung der Männer), das der Häuptling zusammenruft, und die streiten- den Partheien unterwerfen sich dem Ausspruch. Jede Kränkung an der Ehre, an Frau und Kind wäscht der Manu meist durch blutige Rache ab, ohne sie vor die Entscheidung der Volksversammlung zu bringen. Dem Ausbruch der Feindseligkeiten geht keine Kriegserklärung vorher; sondern, sobald in dem Palaver der Krieg beschlossen ist, sucht die die Offen- sive ergreifende Parthei sich bei Nacht der Niederlassung des Feindes soviel als möglich zu nähern , um diese mit Tagesanbruch zu überfallen. Oft sind aber die wachsamen Hunde die Verrälher eines solchen Unternehmens, wo dann die angreifende Parthei von den Angegriffenen wohlbewaffnet und vorbe- ll. Theil. 41 322 IM'ISKN IN reitet empfangen wird. Külilcn diese sich zu schwach, so ergreifen sie, ohne noch den Kampf zu beginnen, mit Hinterlassung ihrer Kranken die Flucht, an denen dann der getäuschte Feind seine Hache kühlt und das Dorf zerstört. Kci den Küstenslämmcn, wo die der Ebbe und Flulh ausgesetzten Flussbetten die Heer- strassen bilden, wird der Angriff auch durch diese bedingt. Muss die angreifende Parlhei den Fluss aufsteigen, so geschieht dies nur während der Fluth, wo sie dann ihre Corialsganz der Strömung überlassen, da sie das Geräusch des Iiuderns leicht ver- rathen könnte. Ebenso wird der Kriegszug nur bei Ebbe unternommen, wenn die Allgreifenden den Fluss abwärts fahren müssen. Tritt während dieses Auf- oder Ab- wärts fahrens die Ebbe oder Fluth ein, oder bricht der Tag an, bevor sie noch ihr Ziel erreicht haben, so werden die Corials schnell in das Wasser versenkt, um bei Einbruch der Nacht wieder herausgezogen zu werden und auf ihnen den Zug forl- zusetzen. Die Krieger selbst verbergen sich in den Wald und vermeiden sorgfältig- alles, was sie verratheil könnte. Begegnen sich die streitenden Partheien auf offenem Felde, so beginnt die Aclion mit einem Kriegstanze, bei welcher der Feind den Gegner durch eine Menge Verrenkungen und Gcsliculalioncn herausfordert und sie sich überhaupt durch Spott- und Hohngesängc gegenseitig zum Mullic zu entflammen suchen. Das Gefecht beginnt nur aus der Ferne mit den vergifteten Pfeilen, von denen jeder Krieger sieben mit in den Kampf nimmt. Sind diese verschossen, so folgt der Kampf mit der Kriegskeule und zwar Mann gegen Mann. Zieht sich eine Parlhci zurück, so sucht sie vor allem ihrcTodten, damit diese nicht in die Hände des Fein- des lallen, zu reiten, ein Geschäft, welches den Weibern obliegt, die den Männern als Packlhiere folgen und den Train bilden. Wie dein Häuptling in Kriegszeiten unbedingter Gehorsam geleistet wird, so zeichnet er sich in diesen auch durch einen irlänzenderen Federschmuck, durch schönere Waffen und eine besondere Malerei seines Körpers aus. Auch die übrigen Krieger sind in solchen Zeilen anders be- malt als im Frieden Das Haar wird stark mit Roucou überzogen und mit Federn beklebt, und noch jetzt erinnern sich die Bewohner Georgetown s des eigeiilhiim- licli grausigen Schauspiels, das sich ihnen in der letzten Negerrevolution darbol, als die nackten, schauerlich bemalten und phantastisch geschmückten IV nrraus, Garaiben , Akawais und Arawaalts auf dem Paradeplatze in Georgeiwon von dem Angriff auf die Neger aufgeslcllt waren, während die Frauen, beladen wie die Last- lliiere, mit Waffen und Lebensmitteln das Hintertreffen bildeten. Dies ist der Indianer in seii ein Leben zum Allgemeinen, es fragt sich jetzt, wie er sich als Einzelwesen zeigt, und auch hierin kann ich die Charakteristik Brri'o\"s keineswegs als getroffen ansehen. Gern gestehe ich zu, dass auch mich die Erfahrung den Indianer anders hat kennen lehren , als ich mir ihn nach den ßRITISCH-GUIANA. 323 Schilderungen hochpoetiseher Gemüther zu denken gewolinl war; aber jenes trage, unempfindliche, indifferente, feige, stumpfsinnige Wesen, wie Buffoin ihn schildert, ist er ebenfalls nicht. Ein gewisser Hang zur Trägheit beherrscht ihn allerdings in einem höhern Grade, als den Europäer, als den Indianer Nordamerika^ ; aber die Scholle der Heimath, nicht der Mangel an Seelenkräften ist die Hauptursache, w ie alle, dem Urzustände noch näher stehende Völker, sind auch sic leidenschaft- lich in der Liebe, leidenschaftlich im Hass; nie aber trägt der Einzelne das Herz in der Hand; beide Gefühle hält er vor den Augen seiner Nebenmenschen verbor- gen, am tiefsten aber gegen die Europäer. Der Mensch, welcher so hassen kann, wie der Indianer, dass sich der Sättigung dieses Gefühls nichts hindernd und ab- lenkend entgegen stellen kann, dass er, um sich zu rächen, Gebirge überklimmt, fast undurchdringliche Wälder durchbricht, alle Beschwerden, die sich ihm entgegenstel- len könnten, wie Hunger und Durst, mit Freudigkeit erduldet, muss auch gleich stark in der Liebe sein; es wäre ausserdem eine psychologische Anomalie. Es ist wahr, der Indianer ist schweigsam, aber nur schweigsam in Gegenwart von Frem- den, namentlich von Europäern, weil er stolz ist. Der Europäer sieht keincThränc in den Augen eines Indianers, sein Stolz weiss den äussern Ausdruck dieser Ge- fühle zu beherrschen. Ist der Indianer allein mit seinen Stammgenossen, hat er den Europäer erst achten lernen, dann wird er zum Franzosen an Lebendigkeit. Die Hälfte ihres Tages bringen sie mit dem Besprechen ihrer Abenteuer auf der Jagd und andern Gegenständen hin. Ein dumpfes, stumpfsinniges Wesen ist nie ein Mimiker, nie ein Humorist. Beide Talente sind aber Eigenthum fast jedes In- dianers. Erscheint ein Fremder unter ihnen, so treibt die Neugier, diesen Zusehen, um ihn mit sich zu vergleichen, den Indianer in seine Nähe. Mil scharfem und siche- rem Auge beobachtet er dessen Mienen, dessen Bewegungen, lauscht er den Wor- ten desselben und wirft dann und wann einen sprechenden Seitenblick auf die ihn um- stehenden Freunde, nichts entgeht ihm, nichts aber verräth auch den Triumph, den er schon im Innern feiert. Er kehrt nach seiner Hülle zurück, seine Freunde mit ihm, und in übersprudelnder Komik und heissender Satyre wird das Uriheil über den Fremden gesprochen. Sein Portrait wird entworfen* Seine Nase war so lang wie die eines Maipuri, er halte einen Mund wie ein Kaiman und verschlang seine Speisen wie ein Tiger. Seine Beine waren so dürr und hässlich wie die eines Ta- raramu (Mycteria) und sein Bauch war so zusammengeschrumpft wie der eines Affen. Noch hatten wir erst wenige Wochen unter den Macusis gelebt, als auch jeder von uns einen Spitznamen erhalten, mit welchem sic uns unter einander be- zeichneten. Herr Fryek hicss wegen seiner Grösse und seiner langen Füssc: Tu- raramu , Herr Goodall, der oft die Gebete beim Gottesdienst las, Domini, Stöckle, in Folge seiner blonden Haare, die ihnen besonders lächerlich vorkamen : Arauta 41* 324 REISEN IN ('IlcuIafPe) , Tiedc.e wegen seiner langen Nase: iteung y aneng , Langnase oder Maipuri, mich aber nannten sie nur Yariko-jmpa (Blumenvater), weil ich mich immer mit Blumen herumtrug. Wie der Fremde augenblicklich einen Beinamen er- hält, so auch jeder von ihnen, die jederzeit von einem Körpergebrechen oder Kör- pervorzug hergeleitet werden: der Langhaarige, Langköpfige, der Spitznasige, Dickhalsige , der Krummbeinige. Zeichnet sich jemand im Klettern aus, so kennt jedermann die « Tigerkatze « ; ist er ein rascher Läufer : das «Reh", der «Pfeil« oder der «Blitz« u. s. w. ist allgemein bekannt. Wie bei den Männern, so auch bei den Frauen : die Dünnbeinige oder Dickbeinige, die Hinkende, Dickbäuchige, die Rothlippige, die Schielende, Schönäugige, die Langhaarige, die Lockige sind einige von den Namen, die ich kennen lernte. Doch dies nur beispielsweise. Gleich rege sind alle ihre Verstandeskräfte, noch bewundernswürdiger aber ihr Gedächtuiss und die Leichtigkeit, mit welcher sie fremde Sprachen sich zu eigen machen. Man hat dem Indianer vorgeworfen, und auch mir schien es anfänglich so, er sei undankbar. Allerdings besitzt ihre Sprache kein Wort für dieses Gefühl; mit unveränderter Miene nimmt er meist das Geschenk entgegen ; aber er vergisst es eben so wenig, wie die Beleidigung, die man ihm zugefügt; für beides kommt nach Jahren die Stunde nicht zu spät, um dies zu beweisen. Was ihr Auge sieht, getraut sich auch ihre Hand zu machen, behält ihr Verstand für die ganze Lebens- dauer; nie aber gehen ihre Seelenkräfte über das den äussern Sinnen Wahrnchmr bare hinaus ; — alles Transcendentale bleibt ihnen fern ; sie sind die eigentlichen Jünger der Erfahrungswissenschaften. Der Indianer ist eitel, ist stolz, ist ehrgeizig. Freilich sind diese Leidenschaf- ten auf den kleinen Ideenkreis beschränkt, in dem er sich bewegt; man gebe ihm aber einen erweiterten Wirkungskreis, und ihr Ehrgeiz wird sich auch in diesem bewähren. Sein Stolz findet jetzt Befriedigung in den Eigenschaften und Geschick- lichkeiten, die er seinen Verhältnissen nach erlangen kann, er wird jenen in Höhe- rem suchen, sobald sein Ideenkreis sich erweitert, sobald er sich seiner Anlagen bewusst geworden, und die Verehrung und Achtung, ja fast möchte ich sagen, die heilige Scheu, welche sie gegen den Europäer hegen, ist nichts anderes, als die W irkung des noch unbewussten Gefühls der geistigen Uebcrlegenheil jenes über sic. Sie erheben sich über diesen, sobald sich derselbe Schwächen zu Schulden kommen lässt, denen sie selbst unterworfen sind. Wende ich mich nun zu ihren Sprachen, so treten mir freilich zwei Hinder- nisse in den Weg, die, um vielleicht auch für diesen noch so dunklen Punkt durch meine Beise etwas gclhan zu haben, zu beseitigen nicht in meiner Macht standen ; es isi der kurze Aufenthalt unter diesen Stämmen, deren Sprachen so vielfach von einander abweichen , und der Mangel an all dem wissenschaftlichen Apparat von BRITISCH-GUIANA. 325 meiner Seite, der zu solchen Forschungen erforderlich ist, wenn sie gesunde Frucht bringen und nicht den Wirrwarr noch vermehren sollen, welcher über diesen Punkt schon herrscht. Die Sitten und Gebräuche der Stämme Guiana' s zeigen eine aul- fallende Analogie mit vielen Völkerschaften Asiens , weniger oder bist gar keine mit den abendländischen. Ebenso ihre Sprachen, Bei einem Volke, das nur dürf- tige Spuren einer Tradition und Mythe besitzt, das noch keine Geschichte gehabt und keine geschichtlichen Dokumente bewahrt, muss es selbst dem Sprachforscher schwer werden, den rothen Faden aufzufinden, der sich durch die Vergangenheit bis zur Gegenwart fortzieht. Was ich hiermit biete, sind nur aus dem Umgang mit den Eingebornen aufgelesene Körner der Erfahrung, kaum ein schwacher Bei- trag für die Zukunft, vielleicht aber eine Anregung für einen wissenschaftlich aus- gerüsteten Mann , diese bisher vernachlässigten und zerstreuten Steine zu einem Gebäude zusammenzutragen , das das bisherige öde Feld belebt. Zu den eben an- geführten Schwierigkeiten gesellt sich auch noch die, dass es fast unmöglich wird, die Sprache durch Abfragen zu erlernen, da man den Indianer nur auf kurze Zeit zur Beantwortung auf die Fragen, die man in Bezug auf die Sprache an ihn rich- tet, bereitwillig findet. Alle Fragen, die auf den Bau der Sprache, auf die Flexion, auf die Conjugation u. s. w. hinzielen, bleiben ihnen dunkel; sie führen ihn auf ein unbebautes Feld, er sieht den Fragenden einige Minuten stumm an, schüt- telt den Kopf, ruft sein «hm» und geht fort, um nur gezwungen auf Augenblicke wieder Rede zu stehen. Das was ich über ihre Sprache sammeln konnte, sind daher nur eine Zahl Wörter, die ich im Anhänge neben einander stellen werde, und einige ganz allgemeine grammatische Regeln. Ich habe schon früher mehrfach erwähnt, dass es mir fast schien, als ob Guiana eben so viele Sprachen besässe, als es Stämme zählt, von denen nur wenige als Dialekte einer und derselben Stammsprache betrachtet werden könnten; ein ent- schiedenes Urtheil kann ich mir aus den eben angegebenen Gründen nicht erlauben. Die Wurzelwörter zeigen sich bei einigen Stämmen allerdings nicht nur gleichlautend, sondern auch gleichbedeutend, während sie bei andern wieder ganz von einander ab- weichcn, so dass sie sich auch untereinander nicht verstehen, sondern die Pantomimen, wie bei dem Umgang mit dem Europäer, das einzige Mittel der gegenseitigen Ver- ständigung bleiben. Je ähnlicher sich die Ureinwohner Guiana's an Gestalt, Gesichts- bildung , an Neigungen, Gewohnheiten und Sitten sind, um so auffallender muss diese wenigstens für das Ohr auftretende Sprachenabweichung sein. Wahrschein- lich dürfte es sein , dass alle Sprachen der Stämme Guiana s sich auf die der Caraiben, Arawaahs, fVarraus und fV apisianas zurückführen lassen werden. Gleich beschränkt, wie ihr Ideenkreis, ist auch ihr Sprachreiehlhum, er begreift eigentlich nur das, was sie umgiebt, was ihnen durch ihre Sinne, ihr Gefühl wahr- 326 HEISEIN IN nchmbur ist. Alles was der Abstractiou anheim lallt, bleibt ihnen fremd, dafür be- sitzen sie nur eine iiussersl geringe Anzahl Wörter; die Wortbezeichnung für ab- stracto Begriffe ist aus ihrem Sprachschatz ausgeschlossen. Alles, was ihnen erst durch die Europäer, namentlich die Spanier bekannt geworden, hat auch die Be- zeichnung des Volkes beibehalten, das sie den Gegenstand kennen lehrte ; Bezeich- nungen, die dann mit einzelnen, unwesentlichen Aenderungen der Buchstaben oder Sylbcnzusätzen allen Stämmen eigenthiimlich sind, da ihre Verbreitung mit ihrem Namen mcistentheils von dem Stamme ausging, der mit jenem zuerst in Berührung kam. So nennen alle Stämme Guiana’s das Geld Brala oder Blnta , das Papier Carita (wahrscheinlich von Brief), das Hemde, die Leinwand, den Kattun Camisa , den Hut Sombrero , die Schuhe Zopato , die Flinte Arakabusa, das Pulver Cru- bora , auch Po/rora, das Schroot Piroio , auch Bala, das Pferd Cavari, das Bind- vieh V accn oder Bacca, die Ziege Cabrita, das Schwein Puenka (von Puerka ), das Huhn Cariicina. Ihre Pronomia sind sehr einfach. Die Pronomina personalia sind bei den Macnsis : «hure (das h wird gelispell) ich , hamore da, missere er, hana wir, hanamore ihr, incamore sie». So spricht der Macusi: ich hin ein Ma- cusi » hure Macusi» ; ich bin krank »hurepuriya puriwanna ; ich habe Zahnschmer- zen, hure yenepe uyewanna«; du hast Kopfschmerzen, hamore yenepe pupei- wanna. Die Abkürzung in den Sprachen trat uns besonders darin am deutlich- sten hervor, dass unsere Dolmetscher höchstens mit zwanzig Worten das ausdrück- ten, was wir diesen in oft mehr als hundert mitgetheilt. Die jedesmalige richtige Antwort auf unsere Frage oder die genaue Ausführung unseres Wunsches zeigte, dass diese ihnen eine erschöpfende Ueberselzung geliefert hatten. Ihre Buchstaben sind : a, b, c , e, g, h, i, k, m, n, o, p, r , s, t, u, w, y, von denen aber das r nur schwer vom / zu unterscheiden ist. Die Subslanliva besitzen keine Declination durch den Casus , wie im Griechi- schen und Lateinischen. Der Genitiv hat viel Aehnlichkeit mit dem englischen und deutschen, z. B. Meines Bruders Haus: Moyeh yewuh ; deines Bruders Haus: Huyakong yemuh ;■ meiner Mutter Haus: Mama yemuh. Der Dativ wird durch ein Präfix ausgedrückt. Ich gehe zu ihm : ipa (zu ihm) ute (ich gehe). Er bekommt auch ein Suf/i.rum .. Er geht zu ihm : misere ute ipa. Er sagt zu ihm: misere ipa tapomong. Accusativ: Ich sehe ihn an: mokre yeramoya. Ich fürchte den Kanaima: Hanoi ma po sinn nnpowai. Ablativ oder Localcasus ; Im Hause: aute lamang ; ich komme vom Berge herab: wui pai yepu-pure. In Bezug auf das Geschlecht unterscheiden sie männliches und weibliches, indem sie Mann, fVo- rayo oder Weib, whori davor setzen, fVaiking das Reh, worayo Waiking ein männliches, whori fVaiking ein weibliches Reh. Ein Halm worayo Cariwina , eine Heime whori Cariwina. Doch giebt es auchi einige Ausnahmen von dieser DRITISCH-GUIANA. .327 Regel: Avimaragha der Hund, Inapui die Hündin. Zu diesen Ausnahmen ge- hören besonders Wörter, die sieh auf eine Verwandtschaft beziehen. Ihre Adjectiva sind meist Ableitungen von Verben und eigentliche Parlieipia. Hie Zahlwörter reichen bei vielen Stämmen nur bis zwanzig, wobei sie die Finger und Zellen zu Grunde legen und mit den Fingern anfangen. Jede höhere Zahl heisst bei ihnen: «viel.» Nur einzelne Stämme, namentlich die Arawaaks, zählen bis hundert. Ich führe hier nur die Zahlwörter der Macusis an : 12 . Sakene pu pona timolei. 13. Eserewa pu pona limotei. 14. Asakrepanna pu pona limotei. 13. Pu eteukeng. 16. Tiwing pu ratoi pona limotei. 17. Sakene pu ratoi pona limotei. 18. Eserewa pu ratoi pona timotei. 19. Asakrepanna pu ratoi pona timotei. 20. Pu tamenaura. 21. Tiwing pemongkong (ein Mensch). 1. Tiwing. 2. Sakene. 3. Eserewa. 4. Asakrepanna. 5. Mia eteukeng. 6. Tiwing mia pona timotei. 7. Sakene mia pona limotei. 8. Eserewa mia pona timotei. 9. Asakrepanna mia pona limotei. 10. Mia tamenaure . 11. Tiwing pu pona timolei. Die Erklärung, wie überhaupt die innere Oekonomie der Zählweise ist ziem- lich schwierig und dunkel. Die Finger der einen Hand sind die eigentliche Grund- zahl, die Basis des ganzen Zahlsyslcms in den Einern. Pona heisst hier: darüber, darauf; eteukeng (eu sehr tief ausgesprochen), die eine Hand als Grundzahl, timo- tei bedeutet : anlängen, z. R. beim Lesen eines Ruches auf der andern Seite, nach- dem die erste vollendet war; 5 Mia eteukeng , die eine Hand als Grundzahl. 6 Ti- wing mia pona limotei : die Grundzahl einmal und einen Finger darauf. 10 beide Hände, wo sie dann aber nicht mehr Grundzahl sind, indem die Fiisse von da ab diese Function übernehmen und die Zahl der Finger nur die Stelle der Einer ver- tritt. Die Füsse werden die Zehner, die Finger die Einer. Die Worte, welche die Zahl II ausdrücken, bedeuten: beide Füsse (als Grundzahl) und einen Finger, die Grundzahl der Einer. 15, beide Füsse und die eine Hand; 16, beide Füsse und einen Finger der andern Hälfte der Grundzahl der Einer darauf, denn ratoi heisst die andere Hälfte. 20, die Füsse und alle Einer. Von 20 an wird dieses nun Grundzahl und mit dem Worte pemongkong bezeichnet. 21, Tiwing pe- mongkong, bedeutet daher die Grundzahl pemongkong und eins darauf. Die Verba werden wirklich conjugirt und die Subsfantiva und Pronomina sind ihnen dann ein- verleiht. Hierzu füge ich noch einige Angaben über ihre Zciteinlheilung. Der Zwischen- REISEN IN 328 raum vom Beginn der Regenzeit bis zur nächsten Regenzeit, oder vom Beginn der trockenen Jahreszeit bis zur nächsten, ist ein Jahr; Ti/nong nennen die Mncusis die Regenzeit, demnach Tiwing Ti/nong, auch Tiwing Conno ein Jahr; Awina die trockne Jahreszeit, Tiwing Awina ein Jahr. Das Jahr selbst zerfällt in Mon- desmonate, die mit dem Neumond beginnen und enden. Kapoi der Mond, Tiwing Kapoi ein Monat. Kapoi-pacca der Neumond, inm pe Kapoi wanne der Voll- mond. Der Tag heisst Deke, ein Tag Tiwing Deke. Jeder Tag zerfällt in ver- schiedene Abschnitte. Um sechs Uhr Morgens sagen sie: « Enma-pui » um Son- nenaufgang, dann folgt neun Uhr: «wenn die Sonne hochsteht"; Mittag: Nekata paira woe wanne "die Sonne gerade über uns»; drei Uhr Nachmittags: «das Uin- kehren der Sonne, und sechs Uhr Abends IV ae he womrne. Das Niedergehen der Sonne : » Ewarum parnu , auch Akomanune. Hanoina Mitternacht Eremapui winiilci am Sonnenaufgang, Akapita crimapui das Morgenrot!). Die Zwischenzeiten bestimmen sie dadurch, dass sie auf eine gewisse Stelle des Himmels zeigen und dazu sagen: als die Sonne da stand, oder wenn die Sonne da steht. Die Nacht wird in drei Abschnitte gelheilt. Der erste begreift das, was wir Abend nennen; den zweiten bezeichnen sie mit den Worten: «wenn sie alle schlafen»; dieser ist der längste. Der dritte heisst die Zeit des Hahnengeschreies, so nennt der India- wenigstens jetzt, wo die Hühner allgemein geworden sind, die Stunde vor Aufgang der Sonne. Unter den Himmelskörpern und Sternbildern haben nur wenige einen besondern Namen. Die Sonne fVae, der Mond Kapoi, die Sterne Sirike, der Skorpion Marile (so heisst auch das Insect), das Siebengestirn Ta-mukang , die Milchstrassc Parana ( Parana auch das Meer; daher Paranaghicri , Leute, die über das Meer gekommen sind), der Abendstern Kai-wono (Frau des Mondes, da die Vcjius nicht allein unter allen Sternen nächst dem Monde am meisten strahlt, und selbst einen Schallen wirft, sondern auch immer in der Nähe desselben gefunden wird), die Sternschnuppen IV ai-lairna. Sonne, Mond und Sterne sind ihnen lebende Ge- schöpfe, daher der Tliau « Sirike ilaku , der Urin oder Speicnel der Sterne.» Wol- len sie die Entfernung eines Ortes von einem andern bezeichnen, so drücken sie dies durch die Angabe der Nächte, die sie bis dahin unterwegs bleiben, aus. Ist der Ort fünf Tagereisen entfernt, so beisst es: «ich werde viermal während der Reise schlafen und dann am Orte ankommen. » Fasst die Entfernung keinen vollen Tag in sich, so sprechen sie das Wort hop-pah auf eine eigentümliche Weise aus, indem sie die erste Sylbc lang dehnen, dabei mit der Hand den Lauf der Sonne bis zum Zenilh beschreiben und dann mit der Sylbc pah die Hand bis dahin bewegen, wo die Sonne stehen wird, wenn man ankommt. So wie das Wort ganz ausge- sprochen ist, schlagen sie sich an die Brust. Eine besondere Sitte bei den Macusis ist auch die, dass, sowie der Neumond sichtbar wird, sich alle 3Iänner vor die ÜRITISCII-CUIANA. 329 Thür der Hütte stellen, und ihre Arme in kurzen Intervallen naeli ihm ausstrecken und zurückziehen. Diese werden dadurch für die Jagd gestärkt, Das sind die kümmerlichen Brocken, die ich über die Sprachen der einzelnen Stämme im Allgemeinen habe sammeln können, das im Anhang beigefügte Vocabu- larium wird die gegebenen Notizen wenigstens etwas vervollständigen. Ich halte es hier keineswegs am Unrechten Orte, einige Anmerkungen über die fabelhaften Mannfrauen, die Amazonen, und die so berühmt gewordenen Amazo- nensteine beizufügen, obschon auch das, was wir durch unsere Nachforschungen erfuhren, keineswegs neue Daten liefert, und nur die Wiederholung jener ganzen Mythenreihe enthält, die sicli aus dem classischen Alterlhum bis in die Gegenwart erstreckt, und, gleich der geographischen Lage des El Dorado , fast alle Himmels- striche durchlaufen hat. Alexander von Humboldt sagt mit Recht : * sie gehört zu jenem einförmigen und ächten Kreise von Träumereien und Ideen, in welchem die dichterische und religiöse Einbildungskraft sämmtlicher Menschenracen und aller Zeitalter sich fast instinktmässig umherbewegt. Kaum hatte Christoph Columbus die kleinen Antillen am Schlüsse seiner ersten Reise entdeckt, als er sich schon in der Nähe einer Insel wähnte (Matinino [Ä. Lucia]), die nur von Frauen bewohnt wäre ( Navarrete , Tom.l. p. 134, 138), von denen er gern einige aufgefangen und mitgenommen hätte, um sie der Königin Isabella vorzustellen."*) Um so wunder- barer musste in der neuesten Zeit ein Buch erscheinen, das unter dem Titel: «El Dorado « in New- York herausgekommen ist, in welchem ein gewisser van Heuvel nicht allein die ganze Grösse des fabelhaften See’s Parirna zu retten sucht, obschon er aufs genaueste mit Alexander von IIumboldt’s WTerken bekannt ist, sondern in welchem auch nach der beigefügten Karte noch heute aus dem See Parirna der Rio Branco , dem Takutu , Rio Negro und Amazonenstrom , der Cuyuni dem Si- paruni , Mazarvni und Esscquibo , und endlich der Paragua dem Orinoko Zuströ- men. Van Heuvel ist nie in das Innere von Guiana gekommen, sondern hat einzig und allein mit gierigen Händen alles gesammelt, was er sowohl für die geographi- schen Verhältnisse Guiana s , als auch über das El Dorado und die Amazonen sammeln konnte, ohne dann das Zusammengeraffte einer kritischen Sichtung zu un- terwerfen. Er wollte die historische Wahrheit jener dichterischen Träumereien retten, und bewies sie, ohne sich um das zu bekümmern, was vor ihm bewiesen war. Van Heuvel giebt dem See Parirna noch eine Länge von 250 Miles. Wie dieser Wundersee für ihn noch in seiner ganzen mythischen Herrlichkeit besieht, so existirt für seine durch die phantastischen Sagen und Berichte, welche er von *) Siehe: Alex, von IIumboi.dt: Examen critique de l’histoire de la geographie etc, nach der Uebcrsetzun"' Band 1, S. 275. II. Theil. 42 330 REISEN IN Mahanarwa , dein letzten Kaziken der Caraiben erhalten haben will, aufgeregte Einbildungskraft auch die Republik der Mannweiber noch. Nach den von Maha- harwa erhaltenen Angaben bewohnen sie einen Ort am Flusse IVara, der ganz von Felsen eingeschlossen ist, zu welchem nur ein einziger Eingang, eine einzige Oefl- nung führt. Ja er bezeichnet nach diesen Angaben auch den Stamm, welchen die Amazonen jährlich besuchen, cs sind die Teyrous oder Tatras in Cayenne , ein Zweigstamm der Caraiben. Der Fluss Ouassa ist ein Arm des Oyapokc, von dem Condamine erzählt , dass dort die Indianer mit den « langen Ohren » lebten, was auch Harc.ourt durch seine Reise im Jahre 1008 bestätigt fand. Die Bewoh- ner desselben sind Caraiben, von welcher «langohrigen •> Nation auch ein Theil den Marawitii bewohnt. •• Unter den Macusis und Arawaaks fanden wir die Sage von den Amazonen am allgemeinsten verbreitet, und wir hatten uns keineswegs über spärliche Miltheilungen zu beklagen, da uns von allen die bereitwilligste Aus- kunft crlheilt wurde, die aber durchgängig nur Wiederholungen des schon Bekann- ten waren. Jeder Stamm versetzte den Aufenthaltsort nach einer verschiedenen Gegend, gewöhnlich nach einer solchen, die von ihnen bisher noch nicht besucht worden, und ihnen daher auch unbekannt war. Ein Arawaak- Häuptling erzählte mir, dass sein Bruder, der an dem obern Mazaruni lebte, sie einigemal besucht und von den fVirisamoca , wie er die Amazonen nannte, auch einen jener grünen Steine zum Geschenk erhalten habe. Sie bearbeiteten ihre Felder ohne alle männ- liche Beihülfe, führten Bogen und Blaserohr und erlaubten den Besuch der Männer alljährlich nur einmal; seinem Bruder sei aber von den Wirisarnocas aufgetragen worden, seine Stammgenossen einzuladen, sie zu besuchen, die Zahl der Besuchenden dürfe jedoch 20 nicht überschreiten. Die männlichen Kinder würden gelödtet. Das hatte der alte Häuptling von seinem Bruder vernommen ; keiner der Indianer aber, von denen ich Mitlheilungen über diese fabelhaften Frauen erhielt, hatte sie selbst gesehen, immer war dies Glück seinem Grossvater, Vater oder irgend wel- chem Verwandten zu Theil geworden, der aber niemals noch am Leben oder gegen- wärtig war. Auch in dem Quellgebiete des Corentyn, dem letzten Zufluchtsort, nach welchem sie versetzt wurden, da dieses bisher noch vollkommen unbekannt war, fand mein Bruder weder bestimmtere Nachrichten, noch die Amazonen selbst. Meinem Urthcile nach scheint die Entstehung der Mythe offenbar ihren Grund in dem kriegerischen Charakter der Frauen einzelner Stämme, namentlich der Caraibinnen zu haben. Schon Columbus führt in seiner zweiten Reise Proben desMuthes der Bewohnerinnen von Guadalupe an, von denen er am Landen gehin- dert wurde, und Peter MARTVRd’AiNGiiiERi sagt über die Bewohner dieser Insel, dass beide Geschlechter grosse Stärke und Gewandtheit in dem Führen des Bogens und anderer Waffen besässen. "Sind die Männer von ihren Hütten abwesend, so ver- DlilTISCII-GUIANA. 331 theidigen sieh die Frauen hei Ueberfällen eben so wacker, wie die Männer. » Das- selbe gilt von den Caraibinneu des Festlandes. Hierzu fügt Peter Martvr noch : In dem blutigen Widerstande gegen die Spanier vertheidiglen sich die Weiber nach dem Tode ihrer Männer mit solch einem kühnen und verzweifelten Muthe, dass sie für Amazonen gehalten wurden (Herrera Dec. /.). Dass die Caraibinneu auch jetzt noch ihre Männer in den Krieg begleiten und thätigen Antheil an dem Kampfe nehmen, hat sich in der Negerrevolution von 1823 bethätigt. Columbus hatte schon auf der ersten Reise kämpfende Frauen gefunden und in ihnen Amazonen gesehen. Was die alte Welt von diesen erzählt, glaubte er in der neuen wieder- zufinden, ein Suchen von 354 Jahren hat sie jedoch nicht auffinden können.*) Eine höchst interessante Erscheinung sind jedenfalls die grünen Amazonen- steine ( Lapis nephriticus), die Piedras hijadas der Spanier, über die alle Angaben der Indianer darin Übereinkommen, dass sie von den Amazonen herriihren. Alexan- der von Humboldt fand diese Steine unter den Indianern des Rio Negro , wo sie als Amulette gegen Fieber und den Biss giftiger Schlangen um den Hals getragen wurden;*'“') von Martius***) traf sie am Rio Negro bei den Bewohnern von Sylves und ich in Demerara. Durch die Caraiben wurden sie längs der Küste von Guiana und in Demerara eingeführt, wo sie unter den Namen Macuaba- oder Calicot- Steine bekannt sind. Am Orinoko führen sie den Namen Macagua , offenbar dasselbe Wort, wie jenes. Früher sollen sie von den Caraiben sehr häufig nach Demerara gebracht worden sein, jetzt werden sie es äusserst selten. Ich hatte nur ein einziges Mal Gelegen- heit, einen dieser Steine, der im Besitz eines dortigen Kaufmanns war, zu sehen. Der Stein stimmte nicht allein in der Form, sondern auch in der Farbe noch genau mit der Beschreibung überein, die Alexander von Humboldt von ihnen giebt. Wie man mir mittheilte, waren sie früher auch nach Demerara oft in Form von Fischen und andern Thieren, so wie mit auf den Flächen eingeschnittenen Figuren gebracht worden. Nach Barrere wurden sie von den Caraiben selbst höher als Gold geschätzt. Ein solcher Stein war der Preis für einen Sklaven. Sir Walther Raleigh sah sie am Orinoko und bemerkt darüber, dass jeder Kazike einen solchen Stein besessen, der gewöhnlich von seinen Weibern getragen worden wäre. Sie schätzten sie *) S. Alex. v. Humboldt: Poyage aux regions equinoxiales etc. Tom. VIII. livre VIII. Cbap. XXIII, pag. 10 etc. ’*) S. Poyage aux reg. Tom. VIII. livre VIII. Cliap. XXIII. u. XXIV. p. 207. ***) S. v. Martius: Heise in Brasilien etc. Bd. III. Seite 1087 u. 1099. 42* 332 REISEN IN mehr als Gold*). Lawrence Keymis sagt von den Caraiben und andern Stämmen, die den Arnwari , unterhalb des Oyapoke , bewohnen : Ihr Geld sind weisse und grüne Steine. Auch am Corentyn fand er dieselben. In Bezug auf den Fundort dieser Amazonensteine weichen die Angaben eben so vielfach von einander ab, wie über den Aufenthalt der Amazonen selbst. Barrere wurde versichert, dass die Steine im Lande der Tapouye s, am obern Amazonen- slrome, die ihnen auch die Form gäben, gefunden würden. Chevalier Marchais berichtet in seiner Reise in Cayenne ebenfalls, dass der grösste Reichthum der Ca- raiben in Halsbändern von grünen Steinen bestände, die sie von dem obern Ama- zonenstrome bekämen, wo sie in jeder beliebigen Form aus einem zähen Schlamme geformt und an der Luft gehärtet würden. Charlevoix spricht von einem grünen Steine, mit welchem die Haytians ihre Canoes aushöhlen, und bemerkt, dass diese Steine niemals auf der Insel oder in ihrer Nähe gefunden würden, dass sie aber nach der allgemeinen Annahme von dem obern Amazonenstrome kämen , wo sie aus dem Schlamme des Flusses geformt würden. Wahrscheinlich meint Charlevoix mit seinen Amazonensteinen dieselben, die auch wir häufig unter den Caraiben und Macusis als Steinmesser, Aexte und in den Kriegskeulen fanden, die einem serpen- tinarligcn Gestein anzugehören schienen, keineswegs aber wirkliche Amazonen- steine waren. In San Carlos, wie überhaupt am Rio Negro , wurden Alexander von Humboldt die Quellen des Orinoko als Fundort dieser Steine bezeichnet, in der Mission am Caroni und in An gosturu aber die Quellen des Caroni. Alexander von Humboldt bemerkt ferner, dass spanische Soldaten diese Steine in dem Felsen- damme, der den Orinoko kreuzt und den Strudel des Guaharibos bildet, gefunden haben wollten. Da aber weder er, noch der Chirurg Hortsmann, welcher 1739 den Essequibo herauf nach dem Rio Rranco ging, noch Don Antonio Santos auf seiner Reise von Angostura nach Grand Para (1775) diese Steine fanden, so nimmt er die angegebenen Fundorte ebenfalls als mythisch traditionelle an. Mein Bruder fand sie auf seiner Reise im Jahre 1837 ebensowenig an diesen Orten. Nach Clavigero stimmen die in Guiana unter den Indianern gefundenen grünen Steine ganz mit denen überein, die der Mönch Bernhard de Sahagun bei der Er- oberung von Mexico unter den Anahuacs entdeckte. Die Mexicaner nannten die Steine : Quetzalitzli, nach von Martils : Xouxonquc lecpatL Sie bildeten aus dem Gestein allerhand künstliche Figuren, da sie nicht allein das Steinschneiden und Steinfassen , sondern auch das Schneiden der Diamanten verstanden. Nach den zahlreichen mexicanischen Nephriten , die man in verschiedenen Sammlungen findet, sind diese vollkommen identisch mit den Amazonensleinen , wie sio in Guiana noch hier und da gefunden werden. Obschon es bisher noch keinem Itci- *) Siehe: Caylby's Life of Ualeigh Vol. II pag. UOU. BRITISCH- GUIANA. 333 senden und Ethnologen gelungen ist, die Bewohner Guiana's mit den Mexicanern in Verbindung zu bringen, wie dies nach Garcillaso bei den Bewohnern von Peru und Neu-Granada der Fall ist, indem jene nach Herrera mittelst des Isthmus von Danen hier einwanderten, so dürfte die Behauptung, dass bei jener Wanderung sich ein Zweig abgetrennt und in Guiana niedergelassen, auf welchem Wege dann auch diese Steine hierher gekommen, keineswegs zu den gewagten Hypothesen ge- hören. Die von uns so zahlreich aufgefundenen Hieroglyphen und Bilderschriften in den Felsen der grösseren Ströme und auf hohen Gebirgsketten möchten eine Abstammung von den hochcivilisirten Anahuacs nur noch wahrscheinlicher machen, ungeachtet diese frühere Culturstufe den jetzigen Bewohnern selbst in der Tradition fremd und unbekannt ist. Da sowohl die Mythe über die Amazonen, wie die Traditionen über die Ama- zonensteine von den namhaftesten Männern der Gegenwart wie der Vergangenheit vielfachen Untersuchungen unterworfen worden sind, ohne dass sie zum Schluss hätten geführt werden können, so glaubte ich auch das nicht unberührt lassen zu dürfen, was ich auf meiner Reise darüber von den Indianern erfuhr. Ehe ich wieder zur Fortsetzung meiner Erlebnisse in Pirara gehe, möchte ich noch einige Bemerkungen über die Krankheiten, die ich unter den Macusis be- sonders heimisch fand und über die Mittel beifügen, deren sie sich hauptsächlich ausser den Bannsprüchen der Zauberer bedienen, wozu ich zugleich ein Verzeich- niss aller der Pflanzen fügen will, die in medizinischer Hinsicht nicht allein von den Indianern, sondern auch von den Farbigen und Negern in verschiedenen Krank- heiten benutzt werden. Mit Ausnahme der schon angeführten endemischen Hautkrankheiten, die ein Erbtheil der gesammten südamerikanischen Stämme zu sein scheinen, fand ich unter den Macusis nur Fieber, Dysenterie, Ruhr, Wassersucht, Entzündungen der Un- terleibsorgane, am häufigsten aber Leberkrankheiten, unter den Kindern Wurm- krankheiten vorherrschend. Die grösste Zahl der Indianer zeigt in der monströsen Aufschwellung des Unterleibes, die selbst bei Kindern nicht ungewöhnlich ist, wie allgemein die Leberleiden verbreitet sind. Ich werde zuerst die allgemeinen, fast bei allen Krankheiten angewandten Mittel anführen. Fühlt sich der Indianer uiw wohl, so legt er sich in seine Hängematte, lässt sich ein kleines Feuer unter dieser anzünden, und bringt erst einige Tage ruhig in derselben zu. Steigern sich die Sym- ptome, so lässt er den Piai rufen, der nun seinen Zauber verrichtet, und dann zu den allgemeinen Mitteln greift. Die Dampfbäder und kalten Flussbäder nehmen die erste Stelle ein. Die Krankheit habe welchen Charakter sie wolle, das Bad steht, wie ich schon früher anführte, oben an. In der Hitze des Fiebers wird der Kranke, wenn ihn seine Kräfte nicht mehr bis zum Fluss tragen, eben so gut mit kaltem 334 REISEN IN Wasser begossen, wie er durch glühend gemachte Quarz- oder Kieselsteine, die unter die Hängematte gelegt und mit Wasser begossen werden, in Dämpfe einge- hüllt wird. Diesen Universalmitteln stehen am nächsten die Aderlässe, die eben- falls fast in allen Krankheiten, selbst bei jedem unbedeutenden Unwohlsein, Rheu- matismus, starker Erhitzung angewendet werden. Gewöhnlich machen sie da, wo sie die Schmerzen fühlen, mit einem scharfen Knochen, dem Stachel der Raja oder einem Messer eine oder mehre Oeffnungen in die zunächst liegende Vene , oder schneiden lange, perpendiculäre Schnitte in die Haut und reiben dann, wenn die Wun- den lange genug geblutet, den adstringirenden und heissenden Saft der Frucht einer Passiflora hinein. Ich habe keinen Eingebornen, mochte es nun ein bejahrter Mann, oder eine bejahrte Frau, ein Knabe oder ein Mädchen sein, gesehen, der nicht die Narben von solchen barbarischen Aderlässen an sich getragen. Das dritte allge- meine Heilmittel ist ein strenges Fasten , während dessen der Kranke nichts, als ein aus Cassadamehl gekochtes Getränk geniesst. So wenig glücklich sie in der Kur innerer Krankheiten sind, um so mehr zeichnen sie sich durch die einfache und glückliche Behandlung von Wunden aus. Bei kleinern Wunden werden diese sauber ausgewaschen, dann eine zeitlang über das Feuer gehalten und nun erst verbunden. Bei grösseren Verletzungen oder Verstümmelungen wird der Verwundete auf ein Gerüst über ein schwaches Feuer gelegt, die Wunde sorgfältig gereinigt, und die Heilung schreitet schnell vor. Dass ihnen selbst der grässlichste Schmerz keine Klage abzupressen vermag, habe ich schon bei verschiedenen Gelegenheiten erwähnt. Die sowohl von den Indianern, als auch von den Farbigen und Negern ange- wandten Pflanzenmittel sind : Gegen Fieber : Eine Infusion der Binde von Eryngium foetidum (Lin.), Byrsonima crassi- J'oiia; ferner ein Dccoct der Rinde und ßlüthe von Diospyros Paralca (Steud.), Scoparia dulcis (Lin.), Lisyanlhus purpurascens (Aubl.) , Myrmecia scandens (IV Md.), Strychnos Pseudo-Quina (St. Hil.), Quassin amara, Uvaria febrifuga (Hamb. Ron]>.) und Ncctandra Rodiei (Schomb .) . Das letztere Mittel ist ohne Zwei- fel das wirksamste. Die Wirkungen dieses Decocts der Rinde oder Früchte des Bau- mes, der zugleich das vorzüglichste Bauholz liefert, welches in England eingeführl wird, sind schon seit einiger Zeit bekannt. Dr. Rome, der am Dcrnarara ein Holzetablissement besitzt, und sich viel dort aufhielt, sah, dass sowohl dielndianer, wie die Neger bei ihren Fieberanfälleu die Binde, die Früchte, selbst das Holz zer- quetschten, in eine Quantität Wasser legten, dieses dann besonders des Morgens tranken, und bald von den Fiebern befreit waren. Er suchte daher das Alkaloid rein darzustcllen, was ihm auch bei einem Versuche, aber später nie wieder gelang. Bancroft beschrieb den Baum bereits 1779 in seiner: Natural History of Guiana liRITISCII-GUIANA. 335 unter dem Namen Grünherz, unter welchem er auch allgemein in der Colonic be- kannt ist. Botanisch blieb er bis kurz vor unserer Abreise unbekannt, wo mein Bruder erst Blüthen erhielt, aus denen sich ergab, dass der Baum eine Nectandra ist, der er den specifischen Namen, Rodiei , dem europäischen Entdecker seiner liebervertreibenden Eigenschaften zu Ehren, gab. Fast alle Küstenlliisse besitzen den Baum in grosser Menge, namentlich der Demerara , und sollte Peru die Aus- fuhr der wahren Cinchona einschränken, so wird das Greenheart die Binde jener reichlich ersetzen. Gegen intermittirende Fieber benutzen die Neger besonders die geröstete Wurzel der Maranta nrundinacea (Lin.). Purgir- und Vomirmittel: Als Abführungsmittel zeigt sich besonders eine kleine Dosis des Jonidium ltoubou wirksam. Eine Drachme dient schon als Brechmittel (die Brasilianer be- nutzen die Wurzel als Mittel gegen Dysenterie). Eine Dosis von 6 — 8 Gran des harzigen Saftes der Vismia sessilifolia (Pers .), wirkt ebenfalls purgirend. Der Saft der Rinde von Guarea Aubletii (dass.) und trichilioidcs (Lin.) dient als kräftiges Brech- und Purgirmitlel zugleich. Auch der Same von Hura crepi- tans wirkt purgirend, muss aber mit der grössten Vorsicht angewendet werden, da seine Wirkungen fast zu drastisch sind; die Wurzel der Cephaelis Ipecachuanha (Rieh.) liefert die kräftigste Ipecachuanha. Purgirend wirken ferner: Adenor- opiiim gossypifolium (Pohl), Lisyanthus alatus (Aubl.), Boerhaeia hirsuta (Lin.), Allamanda Aubletii (Pohl), Asclepias curassavica. Mittel gegen Diarrhoe und Ruhr : Eine Infusion der Rinde von Byrsonima crassifolia , JVitlu ghbeia acida (IV il/d.) , Stachytarpheta jamaicensis und Acrodiclidium Camara ( Schornb .). Auch dieser Baum war schon in seinen Wirkungen von Bankroft und Hartsink beschrieben und der verstorbene Dr. Hancock hielt diese Infusion für eins der wirk- samsten Mittel gegen Diarrhoe, Dysenterie und Kolik. Bankroft und Hartsink beschrieben ihn unter dem Namen Akawai-nutmeg , unter welchem Namen die Frucht in jeder Hausapotheke gefunden wird. Wissenschaftlich aber war der Baum noch nicht beschrieben ; die Blüthen zeigten meinem Bruder, dass es eine neue Species Acrodiclidium war, der er den indianischen Namen Camara bei- legte. Der Standort scheint auf die Strecke zwischen der fünften und sechsten nördlichen Breitenparallele, namentlich auf das Sandsteingebirge des Roraima be- schränkt zu sein, da wir den Baum sonst fast nirgends gefunden. Als schweiss treibend wird ein Decoct der Rinde von Erythrina inermis (Barm.), und Swartzia tomenlosa angewandt. Adslringircnd wirken Psidium aromalicum (Aubl.), Inga Burgoni (Dec.), 336 REISEN IN Machaerium fcrrugineutn, die Früchte des Anacardium Rkinocarpus (Dec.), der Psycho tria glabrata (Suk), Virecta pratensis {Vahl.). Bei syphilitischen Krankheiten, die jedoch nur unter den Europäern, den Stäm- men, die in fortwährender Berührung mit den Europäern stehen, am häutigsten alter bei den Farbigen und namentlich hei den Negern Vorkommen, ohne jedoch jenen schaudererregenden Charakter, wie in Europa anzunehmen, wird besonders ein Decoct der Blätter von Tetracera Tigarea (Dec.), Guilandina Bonduc {Lin.), verschiedener Species Spermacoce, Potalia arnara ( Aubl .) angewandt, von wel- cher lelzeren die Indianer auch eine starke Dosis als kräftiges Gegemittel gegen die Wirkungen des Saftes der bittern Cassada (Manihot vtilissima) benutzen. Der Saft und das Decoct der Zweige von Costos spicatus (Sw.) wirkt ebenfalls anti- syphilitisch , so auch die Phytolaeca decandra , Helicteres Sarcarolhn ( Juss .), fValtheria Douradinha (St. Hill.), Mikania Guaco. Für syphilitische Blennorrhoe wenden sie nicht den Balsam Copaiva, ein Mit- tel, das den Negern und Farbigen vollkommen unbekannt ist, sondern Phyllanthas lathyroides(Humb.Bonp.) und Euphorhia hypericifolia (Lin. an; das wirksamste Mittel aber ist eine zweite Euphorhia, die sich bei näherer Untersuchung als neuher- ausslellle und in allen Zuckerfeldern wächst, die Euphorhia erythrocarpa(Rlotzsch). Sei es nun, dass in demwarmen Klima die syphilitische Blennorrhoe nicht den bösar- tigen Charakter besitzt, den sie oft in kälteren Himmelsstrichen annimmt , oder ist eben diese Euphorhia ein wirkliches Specificum, — die schnelle und radicale Wirkung ist jedenfalls auffallend. Der Patient trinkt desMorgens 1 — 2 Tassen eines Absuds dieser Pflanze, und in 4 — 6 Tagen ist er vollkommen gesund. Während der Krankheit enthalten sich die Neger und Farbigen nicht einmal des Rums oder Branntweins. Ich brachte eine ziemliche Quantität der Pflanze mit mir, um auch hier Versuche damit anstellen zu lassen, leider aber hatte das Packet durch Ein- dringen von Wasser gelitten. Gegen Harnfluss und andere Krankheiten der Blase wird durchgängig ein De- coct der Rinde der Rhizophora gymnorrhiza (Lin.), des Phyllanthus Urinaria (L in.), der Ab uta rujescens (Aubl.), Rucllia tuberosa, verschiedene Species Smilax, Rcmirea maritima benutzt. Mittel gegen Geschwüre und Hautausschläge. Der Saft der Myristica sebifera (Sw.), Decoct der Rinde vo n Anona Ambolay (Aubl.), der Miconia alala (Dec.), Visma sessilifolia ( Pcrs .), Virecta pra- tensis (Vahl.), Heliotropium scorpioides (Humb. Bonp.), Ornphalca diandra. Von letzterer benutzt man das Decoct auch zum Reinigen der Wunden. Als Wurmmittel bedient sich der Indianer ebenfalls des Chcnopodiu/n ambro- sioides (Lin.). BHITISCH* GUIANA. 337 Dies sind nur einige der gebräuchlichsten und wirksamsten Arzneimittel ; — wie viele medizinische Schätze mögen über die Wälder enthalten, deren Heilkräfte weder von den Colonisten, noch von den Indianern gekannt sind, so dass sic gleich vergrabenen Schätzen niemand Vortheil bringen. Welches unendlich reiche Feld der Untersuchung bietet sich dem Arzt nur allein in den zahllosen Species der Eu- phorbiaceen dar, vom höchsten Baum an, bis zur kriechenden Pflanze herab, von denen gewiss keine ohne medizinische Eigenschaften ist! Von gleicher Bedeutung ist jedenfalls auch die Familie der Laurineen, nicht allein wegen ihrer aromatischen Eigenschaften, sondern auch in Folge des flüchtigen Oels, das von den Indianern bei rheumatischen Leiden und als äusseres Zertheilungsmittel, so wie als urin- und schweisstreibend angewandt wird. Unter den Cinchoneac befinden sich gewiss noch eine Menge ungekannter Species, da ich, wie schon erwähnt, allein in der Nähe des Roraima , 4000 Fuss über dem Meere, zwei Species, die Ladenbergia Roraimae (Wotzsch) und Ladenbergia Schomburg/eii ( Klotzsch ) fand , deren Eigenschaften aber den Eingebornen gänzlich unbekannt waren. Bekannt sind da- gegen die diuretischen und erweichenden Kräfte der Smilax , von der Guiana mehre Species besitzt, obschon Smilax Sarsaparilla und syphilitica nicht vorkommt. Un- ter den Caesalpinieae weise ich auf mehre Species der Copuijera , auf die Hyme- naca Courbaril hin; unter den Amyrideae auf die Amyris Carana ( Humb .) , die eine Substanz liefert, welche dem Gummi denn gleicht; Amyris hetero- phylla ( fVilld .) giebt den Acouchi-Hiihum, Amyris ambrosiaca (Lin.) das wohl- riechende Conima- Harz. Unter den Humiriacecn ist das Humirium (Myrioden- dron ) ßoribundum wegen des £/W/’z- Balsams bekannt. Verschiedene Species der Clusia liefern ebenfalls Harze, unter den Hypericeen die Vismia guia- nensis ( Pers .), das Gummi gultae. Unter den Sophoreae fanden wir unter 2° 32" Norderbreite einen ganzen Wald von Myroxylon toluifera (Humb. Bonp.). Den wohlriechenden Samen hatten dieEingebornen zu Halsbändern anein- ander gereiht. Von den Bäumen, die vegetabilische Oele besitzen, führe ich nur die Cnrapa guianensis (Alibi.), Lecythis Zabucajo (Aubl.) und die Calinga moschata (Alibi.) an. Das Oel der Samenkapseln der letzteren hat einen ungemein starken Moschus- geruch. Die Samen der Myristica sebifera geben, wenn sie in kochendes Was- ser geworfen werden, einen vegetabilischen Talg, der in der Colonie zu Lichtern benutzt wird. Die Farbehölzer und Gerbestofle von Guiana will ich übergehen, da ihre Aufführung zu w eit führen würde. Unter Fasten und Hoffen auf bessere Zeilen w ar Ende März herangekommen, und mit jedem neuen Tage erwarteten wir, dass uns die Nachricht treffen würde, II. Theil. 43 3 .‘58 REISEN IN mein Bruder sei in der Bucht fVai-ipukari angekommen. Schon glaubten wir unsern Wunsch erfüllt, als wir einige Indianer in kattunenen Hemden von dort auf Pirara zukommen sahen, freudig eilten wir ihnen entgegen und erfuhren, dass ein Farbiger, Mr. Levingston, in der Bucht mit zwei grossen Fahrzeugen ein- getroflen, um nicht allein mit den Brasilianern am Rio Branco , sondern auch mit den Indianern von Pirara , bei denen er noch einen grossen Theil des Geldes ver- muthete, das durch das Mililair hierher gebracht worden war, in Tauschhandel zu treten. Die Speculation war kühn und unternehmend und setzte uns in Er- staunen. Ein Brief des Herrn Levingston, den uns die Indianer brachten, stellte die Bitte an uns, ihm ein Pferd zu schicken, da er von Natur lahm sei und die Strecke nicht zuFuss gehen könnte. Nach einigen Tagen langte der unternehmende Kaufherr mit seinen Indianern und Farbigen, seinen Kisten und Kasten bei uns an, und, brachte mir ausser Nachrichten von meinem Bruder, der Herrn Levingston in einigen Tagen folgen wollte, eine Menge Briefe aus dem Vaterlande. llr. Levingston wunderte sich nicht wenig, statt in Pirara ein belebtes und bewegtes, ein leeres Indianerdorf zu finden, und auch seine kühn aufgebauten Luft- schlösser fingen an, wankend zu werden; ja schon nach einigen Tagen wurde es ihm zur Gewissheit, dass seine Speculation zu den verunglückten gehörte. Wenn auch seine Ankunft wieder eine Menge Indianer nach Pirara lockte, so konnten ihm doch nur noch wenige baares Geld für seine Herrlichkeiten bieten, und um nicht mit dem, was er aus Georgetown heraufgebracht, dahin zurückkehren zu müssen tauschte er von den Kauflustigen Hängematten, Baumwolle, Hierogly- phenholz, wohlriechende Harze, Hunde, Papageien u. s. w. ein; denn auch ein zweiter Plan , mit seinen Handclsgegcnständen nach dem Rio Branco zu gehen, wurde ihm dadurch unmöglich gemacht, dass er keinen Pass von dem Präsidenten \ on Para besass, ohne welchen der Commandant von Fort Sab Joaquim keinen Fremden das Foit passiren lassen durfte. Erschienen Capitain Leal und der Pater Jose auch bereits nach einigen Tagen als Käufer in Pirara , so hatten Herrn Levingston unsere Wi irnungcn doch so misstrauisch gemacht, dass er den Vor- schlag der beiden Herren, ihnen das Ganze ohne weitere Caution zum Ver- kaufe zu überlassen , wofür sie ihm dann bedeutende Quantitäten Sarsaparille, Gopaivabalsam , Tapioca etc. hierher senden wollten, ablehnte. Dieser Schlinge enlirinir er aber nur, um in eine andere zu fallen: denn bald nach unserer Abreise gerielh er in die Hände des Grenzcommissars Matoz , dieser kaufte ihm alles, was er besass, ab, und versprach, sowie er nach Para zurückgekehrt, eine Anwei- sung auf die Golonialbank in Georgetown an ihn zu senden. Diese Anweisung BRITISCH- GUIANA. 339 war aber bei meiner Abreise nach Europa noch nicht eingetroffen, wie uns Capitain Leal auch noch die sieben Körbe Farinha schuldet. Die Gelegenheit, die sich hier durch die Rückkehr des einen Corials so uner- wartet darbot, benutzte unser bisheriger Koch More, um der geliebten Küste mit ihrerRuhe wieder zuzueilen. Sein Contract war abgelaufen, er aber hatte die Be- schwerden, Mühen und Entbehrungen längst satt, und die 225 Dollars, die er sich in den 15 Monaten verdient, schienen ihm eine hinlängliche Summe, um fortan ein gemächliches Leben führen zu können. Tiedge war jetzt noch der einzige, der uns geblieben , und auch dieser wollte uns nicht weiter folgen , sondern , nach der Ankunft meines Rruders, ebenfalls Georgetown aufsuchen, um mit dem, was er sich verdient, dort noch mehr zu verdienen. Mit der Ueberzeugung , reiche Leute zu sein, verliessen sie uns, um mir bei meiner Rückkehr nach Georgetown mit dem beschämenden Geständniss entgegenzutreten, dass sie wieder eben so arm seien, als sie gewesen. Die Deutschen hatten Deutsche um ihren sauer verdienten Lohn betrogen, die Farbigen den ihren vergeudet, nur More hatte das seinige brav angewandt und sich am Demerara ein Stück Land dafür gekauft, das ihn reichlich nährte. Wenige Tage nach der Abreise More’s brachten uns zwei Rootsleule meines Bruders, die er von Haiowa in einem leichten Corial vorausgeschickt, die Nachricht, dass er dort angekommen, und eilig brachen wir nach der Bucht Wai- ipukari auf, um ihn da willkommen zu heissen. Am 24. März landete er mit seinen drei grossen Corials und seinen von der Dysenterie geschwächten Arekunas , die ihm vom Roraima aus gefolgt waren. Das Gepäck wurde grösstenthcils in der Hütte eines bekannten Indianers, der sich hier niedergelassen, aufgestellt und nur das Nothdürftigste mit nach Pirara genom- men, da die Aufnahme der östlichen Grenze sobald als möglich beginnen sollte. Mit den Farbigen, die meinem Bruder als Steuerleute gedient, kehrte auch Tiedge nach Georgetown zurück. Da uns unsere Reise auf dem Cotinga hinlänglich bewiesen, dass die Indianer die grossen Fahrzeuge bei weitem nicht so gut zu handhaben wussten, und die Sa- vannenbewohner keineswegs so gute Bootsleute , wie die Küstenstämme waren, so wurde den Heimkehrenden zugleich der Antrag, sich mit Anfang des Juni wie- der in Pirara einzufinden. In Georgetown war meinem Bruder der Befehl zuge- gangen, jetzt noch die östliche Grenze von Britisch-Guiana, d. h. die gegen Suri- nam zu mappiren. Der Corenlyn war schon früher als Grenze stipulirt worden, das obere Fluss- und Quellgebiet desselben aber noch volkommen unbekannt. Bis dahin, wo die beschwerliche Gcbirgsreisc begann, wollten Herr Fryer und ich die Expedition begleiten , um dann nach Pirara zurückzukehren und die zurück- gelassenen Sammlungen abzuholen, die ich, nach den gemachten Erfahrungen, um 43* 340 REISEN IN keinen Preis wieder fremden Händen anvertrauen mochte ; sie aber über den Ge- birgskamm zu transportiren, hätte mit dem Gepäck der Expedition und dem Pro- viant wenigstens 60 — 80 Indianer erfordert. Ob wir eine solche Anzahl zum Transport finden würden, blieb mindestens höchst zweifelhaft. Die ersten Tage in Pirara vergingen uns natürlich in dem gegenseitigen Austausch dessen, was wir während unserer Trennung erlebt, ziemlich schnell. Mein Bruder hatte, wie ich schon angab, <- Our V illage » am Morgen des 5. December verlas- sen. Gleich vom Anfang an hatte sie ihr Weg bergauf geführt, wo ihnen ebenfalls überall jene Conglomeratmassen eines eisenhaltigen Thons begegnet waren , mit denen die Savannen des Takutu und Rupununi bedeckt sind. Am Nachmittag stiegen sie wieder bergab und kreuzten bald den Pfad, auf welchem mein Bruder 1838 den Rorairna erreichte. Die kleine Niederlassung Waramatipu , in der er sich damals aufgehalten, war verschwunden ; nur einige Stellen mit etwas niederer Vegetation zeigten, dass hier einst Häuser gestanden hatten, ausserdem w ar nichts von dem damals so freundlichen Dörfchen zu entdecken gewesen. Gegen Abend erreichten sie erschöpft das Dorf unseres freundlichen Häuptlings Kaikurang, Ca- naupang, wo sich einige der Bewohner, da sie sahen, dass auch Kaikurang meinen Bruder folgte, bereit erklärten, ihn zu begleiten, weshalb er zwei Tage hier ver- weilen musste, um ihnen Zeit zu lassen, sich mit Proviant zu versehen. Auf sei- nen kleinen Excursionen fand er an dem Ufer des Mapauri auch ein Wäldchen, das ganz von den Bäumen der Akawai-nutmeg oder Carnara gebildet wurde, und diese stand in Blüthe , so dass er den Baum als Acrodiclidium Carnara bestim- men konnte. Am 8. December verlicss er das Dorf, erstieg den Berg, welcher diesem den Namen gegeben, und wandte sich auf dem Gipfel mit Sororeng auf einem Seiten- pfade der Gegend des Dorfes Arawayang zu, in welchem jener oft erwähnte Krieg ausgebrochen war, und dessen Opfer noch unbegraben auf dem Schlachtfelde liegen sollten, um sich in den Besitz einiger Skelette zu setzen. Leider kam er einige Tage zu spät, da, mehren Anzeichen nach, die Verwandten der Gefallenen das Schlachtfeld mit den gesammelten Knochen nur erst verlassen hatten, um diese nach ihrer jetzigen Niederlassung zu bringen. Am Nachmittag erreichten sic den Yuruani , der hier bereits eine Breite von 500 Fuss hatte, obschon sein Ursprung kaum 10 Miles hinter ihnen liegen konnte; seine Tiefe wechselte, zwischen 6 und 13 Fuss. Erst am folgenden Morgen war es ihnen gelungen, das Gepäck in einem kleinen Borkkahn, den sie glücklicher Weise vorgefunden, an das jenseitige Ufer zu bringen. Dort ging cs wieder auf terrassenförmigen Sandslein- abstufungen, mit zahlreichen, abgerundeten Quarzfragmenten durchsetzt, bergauf. Durch das Auswaschen herabstürzender Regenbäche über die horizontalen Schichten, BRITISCII-GUIANA. 341 hatten diese an einzelnen Stellen ein förmlich säulenförmiges Ansehen angenommen. Ein ganz interessantes und merkwürdiges Aeussere hatte ein tiefer Erdsturz durch zwei säulenartige, verhärtete Thonmassen erhalten , die sich von dem Boden der kesselförmigen Versenkung bis zu einer Höhe von 20 Fuss erhoben. Gegen zwei Uhr erreichte die Parthie in südwestlicher Richtung die Vereini- gung des Kulcenam und Yuruani, von wo an beide Flösse nun den Namen Caroni erhalten, der unterhalb Angostura in den Orinoko fällt. Auf der Höhe, die sie einnahmen, lag das ganze Roraima-Gebi rge vom Carauringtipu bis zum Ostende des Roraima vor ihnen. Auf einer sumpfigen Bergsavanne übernachteten sie. Die üppige Vegetation bestand hauptsächlich aus Melanthaceen, Erocauloneen , Xyri- deen und Commelynaceen. Viele dieser Pflanzen waren meinem Bruder ganz neu ; dahin gehörten auch zwei Rapateae ; die Rapatea Friderici Augusli und die neue Gattung Saxo Fridericia Regalis mit ihren glänzenden Blättern und schönen gelben Blüthen.*) Nachdem sie während der Nacht durch einen wilden Sturm aufge- schreckt worden waren, setzten sie am Morgen ihren Weg fort, der sie nach einer *) Rapatea Friderici August i S ch om b. Fuliis rectis, linear ibus, versus api - ccm attenuatis; scapo brevissimo compresso deorsum attenuato ; spathae valvis majoribus brevioribusque e liasi cordata , acutis, carnoso-subcoriaceis, subaeqailongis. Saxo Friderici ae. Spat ha submembranacea, s a c c a t a , clausa, p er- sistens, floribus seriatim ortis p erf o rata. Receptaculum c oni cum. Fl o res s e s s iles. Saxo Fridericia Schomb. Perigonium exterius hypocraterimorphum , rnullibrac- tvatum, tubo membranaceo, sublnjalino, lirnbo tripartito , glumaceo, patente, bracteis tubo calycis arcte oppressis, sfrictis, apice in spinain producl is, interius infundibu! /forme, co- lorulum, lirnbo tripartito , magis dilatato, patente. S t am in a sex, linearia , perigonii interioris tubo inserta, inclusa ; fl/amenfa brevia ; antherae ercctae, telragonae, biloculares, longitudinaliter dehiscentes , loculi oppositi, laterales paralleli bilocellati, locello postico apice productiove. Ovarium cylindricum , triloculare, apice pulvinato subappendicula- tum. — Ovula in loctilorum angulo centraii horizonta/ia, plurima , anatropa, adscendentia. Stylus terininalis , articu/atus, cylindricus; stigma erectum , subulatum integerrimum. Capsula pyramidata , trilocularis , po/yspernia , triva’vis: valuis g l uma ceo-c a r t i l a g i- n eis, medio septiferis. Scmina coinpresso-avgulata, rugulosa adscendentia. Herba facie Ru- pateae in paludibus montosis Guianae perennans. Folia radicalia longissitna linearia , apice recurvata, basi vaginanlia scapo compresso enodi breviora ; Jloribus capitato-congestis in receptacu/o conico sessilibus, seriatim ortis bracteis glumaceis apice spinosis dense circum- danlibus e spatha submembranacea saccata, clausa persistente erumpentibus. Saxo Fridericia Regalis Schomb. Foliis linearibus, acuminatis , recurvis, basi vaginantibus, supra basin altenuatis, glabris, scapo compresso deorsum attenuato, versus apicem dilatato, glabro brevioribus ; perigonii exterioris lirnbo tripartito, magno, luleo, e spatha saccifera rufescenti-arida erumpente. Rhizoma crassum repens, squamis foliaceis fuscis aridis vestitum. Folia longissima, linearia, acuminata recurvata, disticha, basi vaginantia, supra vaginain angustata, 7 — 8 pedalia, 1 — l*/2 pollicem lata, undique glabra, supra laete, subtus glaucescenti-viridia ; costd in vagina superiori prominula. Scapus simplex foliis longior, rectus, firmus, com« pressus, glaber, apicem versus sensim incrassatus. 342 REISEN IN Strecke von 4 jVliles zum Gipfel des Gebirges brachte, von dein alle Gewässer nörd- lich nach dem Apauwangn , einem Zufluss des Caroni , strömten ; der Apauwanga schien einen S.S.W. Lauf zu haben. Der Abhang des Berges neigte sich gegen N. und um 11 Uhr standen sie an einem schroffen Absturz, an dessen Basis sich der Cama hinschlängelte. In der Nähe des Absturzes entdeckte endlich mein Bruder eine jener Pflanzen in Blüthe, die bereits 1838 sein Interesse auf sich gezogen und die es auf dem Humirida in uns beiden von neuem erregt hatten; es war eine neue Barbacenia, die er der Kaiserin von Russland zu Ehren Barbacenia Alexandrinern nannte.*) Während sich die Indianer, die das Thal und das neue Flussgebiet zum ersten- mal sahen, die Augen mit pulverisirtem Caijenne- Pfeffer einrieben, um den mächti- gen Geist Barang zu besänftigen, diente Kaikuuang, der sich dieser Devotion nicht zu unterwerfen brauchte, meinemBruder als trefflicher Führer in der reizenden Ge- gend. Weit in blauer Ferne zog sich die Gebirgskette hin, die er auf seiner Reise nach dem Cuyuni noch zu übersteigen hatte, zwischen ihr und seinem Standpunkt breiteten sich Savannen aus, durchfurcht von Strömen, und inN.bei 0. lagerten sich von O.S.O. gen W.N.W. ein zweiter Gebirgszug, dem entlang der Masaruvi. fliessen sollte. Seinen Conturen nach musste er sich gleich steil wie der Roraima erheben, was meinem Bruder auch seinTelescop, sobald sich die Sonne einen Weg durch die zerrissenen Wolken bahnen und ihre Strahlen auf die Abhänge werfen konnte, bestätigte. Der rothen Färbung der Steilabhänge nach gehörte der Ge- birgszug derselben Formation, wie der Roraima an. Mein Bruder glaubte in ihm *) Barbacenia Alexandrinae Scho mb. Caudice frutesccnte ; foliis en- siformibus, subula/o-acuminatis, in tegevrim is , sericeis ; scapo foliis breviore apicc glan- dnlis subsessilibus verrucoso ; p erigonii tubo (5 — 6 poll.) ovario longiorc, glatululoso- hirto ; staminibus 18 in phalanges sex disposilis. Caudcx 10 — 12 ped. allus, dichotomus. Rami basibus foliorum membranaccis , piloso-sericeis, imbricatis obtecti. Fol ia 1 — 1 pedalia, basi 6 lin. lata, uninervia, marginibus in sicco revolutis, undique pube brevi sericca fasciculato-sublepidota, obtecla , pilis marginalibus longioribus, praesertim versus basin folii. S c np i 3 — 5 pollicarcs, basi laeves. Perigonium album : tubus 3 poll. longus, cylindricus, basi ovario adnalus, ibidem paullo ampliatus mox obtuso-lrigonus et densissime tubcrculis glandulosis obscssus, supra ovaritim tubcrculis rarioribus hirtus ; laciniae 2/4 poll. longae, medio 6 lin.lalac , aevminatae basi anguslatae, cxlerioves dorso scabro-punctalae , marginibus latiuscu/e-laevibus, interiorcs paullo latiores fere omnino lacves, omnes acquilongae. Stamina in phalanges sc. r disposita, laciniis perigonii opposita ;filamenla in tubo profunde adnato-decurrcntia , prope basin laciniarum breviler l ibera ; antherae lineares, fi lin. longac. Stylus peri- gouio paullo brevior, Iruncatus; stigma ( seu styli apex) capitato-dilatatum, subumbracu- tiforme, supra undique papillosum ,■ lobis 3 brevibus, obtusis, crectis , marginibus undulalo, rccurvis. Ovar iu m Irilocularc, placentis carnosis lunalis, ad unguium centralem affixis multe-ovulalis. Capsula Irilocularis, apicc truncala, loculicido triva/vis. Semina numerosa, cuncalo trigona apicc truncata. KRITISCH 'GUIANA. .343 jene Kelle zu erkennen, welclic Herr IIilliiouse auf seiner Reise, den Mazaruni aufwärts, die Berge des St. George nennt, die er für Quarzfelsen Kielt, obschon sie ohne weitern Zweifel der Sandsteinformation angehören. — Zu ihren Füssen floss der Cama , der auf dem Irulipu seine Quelle hat und sich in den Apuuwanga ergiesst. Von N. aus hat der Irutipu ganz das Ansehen eines riesigen Obelisken. Etwas östlich vom Cama , an der nördlichen Seite des Irutipu, zog sich der Fluss Cupara hin, derdemjwestlichen Cako zueilt, welcher letztere sich in den Mazaruni mündet. Der Cako entspringt an der eigentlichen Basis jenes merkwürdigen Ber- ges, den die Indianer « IVaiaka piapa » (gefällter fCaiaka-Bmni) nannten. Am Nachmittag erreichten sic zwei Hütten am Ufer des Cama , ungefähr unter 5° 12' Norderbreite; der bewölkte Himmel erlaubte keine astronomische Beobachtung, als sie übernachteten. Das Thermometer halte bis jetzt gewöhnlich am Morgen 6 Uhr 67y2°, am Mittag 79y2° und Abends G8y>° Fahrenheit gezeigt, was als Mittel der Beobachtungen 72° 7 Fahrenheit ergab. Da mein Bruder ausser dem früher angegebenen Zweck auch noch den ver- folgte , die Ausbreitung des Flussgebietes des Mazaruni kennen zu lernen , so wandte er sich jetzt westlich, um die Quellen des Carimang oder Carimani , eines südwestlichen Zuflusses des Mazaruni , aufzusuchen. Nachdem sie am 12. ein kleines Wäldchen durchschritten, standen sie unerwartet an dem reizenden Was- serfall des Cama , dessen dumpfes Gedonner sie schon während der Nacht gehört hatten. Der Fluss stürzte sich zu ihren Füssen eine Tiefe von 130 Fuss hinab. Eine nahe Anhöhe wurde jetzt überstiegen, worauf sie wieder einige Miles terras- senförmigen Abhängen folgten, eine ansehnlichen Strom durchkreulzten, und dann einen zweiten Bergrücken , die Wasserscheide des Mazaruni erklimmten, welche sich rein westlich vom Irulipu hinzog. Der Annawai war der erste Strom von Bedeutung, welchen sie, seitdem sie das Flussgebiet des Mazaruni betreten, an- trafen. Er floss von 0. dem Carimang zu. Nach einem Marsche von 18 Miles erreichten sie ermattet ein Dörfchen, in dessen Nähe sich die Quellen des Cari- mang befanden. Obschon die Akawais allgemein als der wanderlustigte Stamm bekannt sind, so war mein Bruder doch überrascht, eine Niederlassung derselben so weit west- lich unter den Arekunas zu finden. Das Dörfchen zählte 22 Bewohner. Die Quelle des Carimang lag etwas nordwestlich von dem Dörfchen, am Ab- hang eines bewaldeten Hügelzugs, von dessen entgegengesetzter Seile die Bäche dem Apauwanga zuflossen. Den folgenden Tag führte sie der Weg über sumpfige Savannen, und der Pro- viant war am Abend so zusammengeschmolzen, dass der 14. December als Fast- tag begrüsst wurde. Sie wandten sich jetzt von 0. nach N. Erst nach vielen 344 REISEN IN Schwierigkeiten gelang es ihnen, den Cuts/, einen reissenden ßcrgstrom von 110 Fuss Breite, zu durchkreuzen. Einige der Indianer, die wegen seiner Tiefe ihre Lasten auf dem Kopfe tragen mussten, wurden sogar von der Strömung mit fort- gerissen, wodurch das Gepäck verloren ging. Der Regen fiel in Strömen. Am jenseitigen Ufer hatten sie wiederBerge von 12 — 1500 Fuss Höhe zu übersteigen. Am Nachmittag erreichten sie eine ^/reAvma-Niederlassung, mit deren Aufbau man noch beschäftigt war. Die grosse Hütte war noch nicht beendet; mehre kleine interimistische Hütten umgaben dieselbe ; zum Schutze gegen feindliche, nächtliche Ueberfälle und Jaguare waren die sämmtlichen Gebäude mit Pallisaden umzogen. Die männlichen Bewohner waren alle zu einem Trinkfest geeilt, von dem man sie erst nach drei Tagen zurückerwartete. Eine der Frauen machte sich jedoch, da sie in Abwesenheit ihrer Männer eine grössere Quantität Lebensmittel nicht verkau- fendurften, und sie selbst nur durch den verführerischen Anblick einiger Glasperlen verlockt werden konnten, ihnen soviel zu geben, um den heissen Hunger zu stillen, bald nach ihrer Ankunft auf den Weg, die Männer von der Anwesenheit Fremder zu benachrichtigen. Der Carimang , welcher den Fuss des Hügels bewässerte, auf dem die Nie- derlassung lag, hatte hier eine Breite von 60 Fuss. Eine Mile vom Dorfe entfernt bildete er einen grossen Catarakt, dessen wildes Tosen sie ungeachtet des herab- slürzenden Regens, deutlich hören konnten. Die Schwester des Häuptlings, eine junge, schlanke Indianerin und Wittwe, führte während der Abwesenheit ihres Bruders den Oberbefehl. Ihr Mann war in jener erwähnten Fehde gefallen und ihre ganze Liebe ruhte jetzt auf ihrem Kinde, einem hübschen Knaben. Die abgesendete Frau kehrte am Morgen zurück und brachte die Nachricht, dass sie die Männer in tiefem Rausche gefunden; — da aber das Getränk der Neige nahe gewesen, so würden sie ihr wohl bald nachfolgen. Am Abend hörte mein Bruder auch den Schall der Trommel, den Ton der Pfeife, und sah bald fünf Männer ankommen, die aber von den Folgen des bacchanalischcn Festes noch so beherrscht wurden, dass es unmöglich blieb, ein vernünftiges Wort mit ihnen zu reden. Erst der folgende Morgen erlaubte dies. Da Kaikurang von hier nach Canaupang zurückkehren wollte, so übergab er die Parthie dem Häupt- ling von Carimang , der sie bis zur ersten ^//.'««^-Niederlassung bringen sollte. Das Dorf lag unter 5° 44' Norderbreile. Der Unterschied zwischen dem trocknen und feuchten Thermometer betrug selten mehr als 2 Grad, sein höchster Stand 81°; sein niedrigster 66*2 Fahrenheit; die Höhe 1830 Fuss über dem Meere. Am Morgen des 19. Deccmber verlicss die Parthie dass Dörfchen und folgte einige Zeit dem Ufer des Carimang. Nach einem zweistündigen Marsch erreich- ten sic den isolirten Felsen Kapoi-tipu (Mondfelsen), der sich gegen 400 Fuss BIUTISCH-GUIANA. 345 erhebt, und seinen Namen von einer in den Sandstein eingebetteten , gelblichen, Halbmond förmigen Quarzmasse erhalten hat. In Carimang brachte man meinem Bruder Früchte der Musa paradisiaca und sapientum, die in der Umgebung wild wachsen sollten. In der Nähe des Kapoi- tipu fand er auch die ersten zwischen Heliconia und Ravenala, von wo an sie sich weiter als eine halbe Tagereise dem Ufer des kleinen Flüsschens Paruima entlang zogen. Der Boden bestand aus einem gelben , eisenhaltigen Thon mit Sand und Quarzfragmeuten vermischt. Einige der Pflanzen halten eine Höhe von50Fuss und ihr Schafteine Dicke von 4Fuss erreicht, wobei sie ein so dichtes Gehege bilde - ten, dass sich dieParthie einen Pfad hindurchhauen musste. Mein Bruder fand keine Saamenkörner in den Früchten, wie diese zugleich auch in ihrer Gestalt wesentlich von denen der cultivirten Pflanze abweichen, indem sie nicht nur bedeutend grösser, sondern auch nicht so scharf dreieckig waren. «Nicht Menschen, sondern Maku- naima , als er noch auf der Erde lebte, brachte die Pflanze hierher.« So sehr auch die Behauptung, dass die Musa nicht allein den Tropen der alten Welt, sondern auch denen der neuen Welt eigenthümlich sei, allen bisherigen Erfahrungen wider- streiten möchte, so ist doch ein so üppiges Vorkommen auf einem Flächenraum von mehr als 50 DMiles immer höchst merkwürdig; der Mangel der Saamenkörner in den Früchten widersteitct freilich der Annahme, dass sie hier heimisch sei. Die Indianer bezeichneten uns schon früher mehre Orte, an welchen sie wild wachsen sollte, dahin gehört der Berg Vivi am Rupununi u. s. w. Am Fussc des Berges kV arima-lipu , eine dem Rapoi-tipu ganz ähnliche Sandsteinklippe, die aber auf der einen Seite besteigbar war, schlugen sie ihr Lager auf. Von dem fast ganz mit Sobralien überwachsenen Gipfel sahen sie den gigan- tischen, obeliskengleichen lrutipu in S. bei 0. Die Sobra/ia Elisabethae hatte einzelne Stengel von 18Fuss Höhe, während ein e. Maxillaria, mit röthlich brauner Blüthe, ganze Strecken ausschliesslich einnahm. Eine Papilionacee war die ein- zige baumartige Form, sonst deckten nur Orchideen , eine strauchartige Clusin und mehre ebenfalls strauchartige Species der Andromeda die Oberfläche. Nachdem sie dem Paruima (ein Zufluss des Carimang) einige Zeit aufwärts gefolgt waren, überfuhren sie diesen auf einem Borkkahn und stiegen am jenseiti- tigen Ufer wieder bergan. Auf dem Gipfel bemerkte der Bruder gegen W. eine steile, etwa 2000 Fuss hohe Bergkette, welche die Indianer Eauru-tipu nannten. Auch sie schien der Sandsteinformation anzugehören. Den 21. December betraten sie das Flussgebiet des Cuyuni. Der Con war der erste Fluss, welcher sich nordwärts dem Wenamu zuwandte. Sie befanden sich etwa 2700 Fuss über dem Meere. Die Wasserscheide zog sich nicht auf der höchsten Firste, sondern mehr dem nördlichen Abhang entlang, indem die Zuflüsse II. Tbeil. 44 REISEN IN 34 G des Masantni , die an demselben nördlichen Abhang ihre Quellen haben, sich an- fänglich östlich, und später erst gegen S. M enden, um dem Paruima zuzueilen. Auch am Morgen des 22. December ging es wieder bergan. Die breiten Berg- rücken Maren mit niederem Gesträuch, Moos und weissen Licheen ( Cladonia rangifcrina ) bedeckt. Anim und andere den Aroideen angehörige Genera, Farrnkräuter , besonders Polt/podiaceen bildeten die Hauptvegetation. Unter den Orchideen , die zerstreut zwischen jenen wuchsen, zeichnete sich namentlich eine ihm unbekannte, mit mächtigem BHithenstengel, an dem wenigstens 40 — 50 Blü- then sassen, aus. Auch die herrliche Mauritia aculeata trat in dieser Höhe von mehr als 3000 Fuss über dem Meere in kräftigem Wüchse auf. Je höher sie anstiegen, um so felsiger wurden die Abhänge, um so spärlicher die Vegetation, die auf den massigen Sandsteinplateaus fast einen alpinen Charak- ter annahm. In den Sandsteinmassen waren eine Menge abgerundete Quarzslücke eingebettet, wie mein Bruder auch mehre sechsseitige Kiyslalle fand. Als sie die höchste Firste zwischen mächtigen Sandsteinblöcken erreicht, winkle der Häupt- ling meinem Bruder, ihm zu folgen, und führte ihn zu einem riesigen Felsenstiick, M’elches auf seiner obern Fläche eine ziemliche Plattform besass, die sie, gefolgt von allen Indianern, erklimmten und nun das reizendste Panorama zu ihren Füssen ausgebreitet sahen. Selbst die Indianer, welche diese Stelle zum erstenmal betra- ten, brachen in einen lauten Schrei des Staunens aus. Gegen N. erhoben sich die steilen Gebirge, unter denen sich besonders der Pakarampo auszeichnete und an deren Fuss sich der fVenamu hinschlängelte, bis er von dem Cuyvni aufgenommen wird; einer jener mauerartigen Felsenberge wurde als Mündungsstelle bezeichnet, (»egen W. zog sich die Gebirgskette hin, auf der sie standen, nach S. hin über- sahen sie die steilen Gebirgsmasscn, die sie schon gestern wahrgenommen, welche die Indianer Kauru-tipu nannten, und in weiter, weilerFerne, umhüllt von dichten Wolkenmassen, erhob sich der Irutipu. In 0. begrenzten die hohen Gebirge des Mazaruni den Horizont, zu ihren Füssen öffnete sich ein jäher Abgrund, jenseits dieses dagegen wogte ein grüner Ocean, die VN ipfel der dichten Bäume, auf die sie hinabsahen. Um meinen Bruder herum, auf der Plattform des Cara-utta , hatte sich unterdessen ein eigenthümliches Bild entwickelt. Die Indianer, welche den Ort noch nie zuvor besucht, übcrliesscn sich den Mildesten Orgien. Mehre Cala- basclic mit Paiwari standen auf den Felsen, vor denen zwei alte Arc/cunas, das Gesicht gegen N. gewendet, hockten, und unverständliche Worte murmelten, w ährend der gleich alle Piai jedem der Novizen pulverisirtes Capsicum in die Augen rieb. Waren die ersten Schmerzen vorüber, so brachen sie von dem nächsten Gesträuch Zweige ab, und gcissellen sich gegenseitig die Beine und Füsse so lange damit, bis das Blut von diesen herabrieselte. Das Heulen der kleinen BRITISCH-GUIAINA. 347 Kinder, das Gebrüll der Männer, deren Geisselvvuth sicli immer mehr steigerte, das laute Murmeln der beiden Greise, welche damit den bösen Geist besänftigen wollten, — dazu der enge, kaum 60 Quadratfuss haltende Raum, für die vierzig in Extase gerathenen Indianer — und jener, wenigstens 400 Fuss liefe Abgrund; alles dies vereint, bildete eine Scene, die meinen Bruder selbst in Sorge setzte, so dass er den Felsen verliess und die Indianer auf dem allen Wege erwartete. Er- schöpft kamen auch sie endlich dort an, und warfen sich neben ihre Lasten, die sie hier zurückgelassen, nieder. Am Nachmittag wurde der Weg plötzlich durch einen terrassenförmigen, jähen Abgrund unterbrochen. Wie wir an der steilen Mauer des Hurnirida empor- geklimmt, so musste die Parthie diese Sandsteinterrassen, an denen eine rohe Art von Leitern befestigt waren, hinabsteigen, Nur auf diese Weise war die Commu- nieation der Indianer dies- und jenseits des Absturzes möglich; ohne diese Leitern die einzelnen Terrassen erklimmen zu wollen, würde eben so gut zu den Unmög- lichkeiten gehört haben, wie das Plateau des Roraimu ohne Flügel zu erreichen. Da die Indianer nicht wussten, wie lange Zeit vergangen, seitdem die Leitern zum letztenmal benutzt, so unternahm es der Kühnste von ihnen, sich von der Haltbar- keit derselben zu überzeugen, wobei er vorsichtig jede Speiche mit Lianen be- festigte, die er für nicht sicher genug hielt. Nach einigen Stunden hatte glücklich auch der letzte den verhältnissmässig ebenen Boden erreicht, während die zuerst Angekommenen bereits das Lager aufgeschlagen. Am Morgen des 23. Decembers erreichten sie eine ^reAwrtß-Niederlassung. Ungefähr 3 Miles östlich vom Dorfe zog sich von N.W. nach S.O. eine Gebirgs- wand, welche die Indianer Arwarhnalla nannten, wie sie zugleich ein gesuchter Brutort der Rupie o/a auraniia war. Jeden Morgen hörten sie auch dort die herr- liche Stimme des Flageoletvogels, wie ihn die Colonisten nennen. Den ersten Weihnachlsfeiertag stiessen sic auf die Vereinigung des Carapu mit dem Wenamu. Der Carapu vereinigt sich mit dem Wenamu gegen dessen Strömung. Am jenseitigen Ufer des Carapu , auf das sie ein gebrechlicher Kahn brachte, mussten sie sich einen Pfad mit dem Waldmesser und dem Beil bahnen. Gegen Abend nahm sie eine mit Pallisaden umgebene Niederlassung auf, in der sie aber nur eine Frau und ihr Kind fanden, da die übrigen Bewohner der Hunger nach andern Niederlassungen getrieben hatte. Zwanzig Miles gegen S. bei 0. erhob sich der Berg twiauri-ke. Der Morgen des 26. Decembers brachte die Parlhie an das jenseitige Ufer des 250 Fuss breiten Wenamu. In N.O. lag die Sandsteinmauer des Poinka-watu (Pe/iff/V-Rüssel). Stromschnellen folgten jetzt Cataracten , und Calaracte Strom- schnellen, so dass der ganze Flussspigel eine aufgeregte Wogenmasse bildete. 44* REISEN IN 348 In nord gegen westlicher Richtung überstiegen sie die bis zum Ufer herantretende, 1500 Fuss hohe Gebirgskette, und erreichten am andern Morgen den Wasserfall Jmmapara. Hier verweilten sie einige Tage, um sich zu ihrer Flussreise erst die milbigen Borkkähne zu verfertigen. In Folge der fast ununterbrochenen Regengüsse war der Wenamn dem Ueberfliessen nahe. Während der Zeit von 4 Uhr Nach- mittags des 28. bis zum Morgen des 29. Decembers betrug die gefallene Regenmasse 4, 28 engl. Zoll. Der höchste Stand des Thermometers betrug 75°, der niedrigste 09° Fahrenheit. Schnell fuhren sie auf ihren gebrechlichen Fahrzeugen den steilen Sandsteinwänden, wie auch dem Berge Pakararnpo entlang, die sich von N. nach 5. zogen, und an deren Basis der Wen amu hinrollte. In der Nähe des Berges Auran-tipu vereinigte sich der dunkelgefärbte 1 \J ara- war mit dem Wenamu. Etwas entfernt von der Vereinigungsstelle lag die Nieder- lassung Arikanang mit 4 Häusern und 50 Bewohnern ; sie hatten das Gebiet der Akawais erreicht. Das Dorflagunter 6° 26' Norderbreite und 61 °17/ Westerlänge. Den 2. Januar setzten sie ihre Reise den Wenamu abwärts fort, dessen Lauf S. nach N. gerichtet war. Die hohen, aber isolirten Sandsteinberge setzten sich am rechten oder östlichen Ufer in einer Richtung von W.N.W. nach O.S.O. fort. Am Morgen des 3. Januar waren mehre Stromsehnelien zupassiren. Der Borkkahn, in welchem sich das Küchengeschirr, das Salz u. s. w. befand, stiess in Folge der Unvorsichtigkeit des Steuermanns an einen Felsen und sank, und kaum gelang es, die Leute, besonders den langen Koch Adams zu retten, der mehr um seinen Ranzen, in dem sich sein gespartes Geld befand, als um sein Leben besorgt war. Bis zur Rückkehr nach der Colonie mussten daher Calabasche die Stelle der Teller, die Finger die der Gabeln vertreten. Salz kam von jetzt an nicht mehr an die Speisen. Bald nach Mittag war die Vereinigung des Wenamu mit dem Cuyuni erreicht. In der derselben nahen ^/«7w«/-NiederIassung verweilten sie bis zum 7. Januar. Die Vereinigung liegt unter 6° 44' Norderbreite und 6l° 15' Westerlänge. Einige Ta- gereisen weiter aufwärts vereinigt sich der Yuruani mit dem Cuyuni. Vermittelst einer kurzen Portage findet auf jenem ein lebhafter Verkehr mit den Indianern des Caruni statt. Die Parthie folgte nun dem Laufe des Cuyuni ; gegen 0. nach S. zogen sich massige Sandsteingebirge hin. Die häufigen Stromschncllen und Cataracte machten die Reise, da sie nur Borkkähne bcsassen. ungemein gefährlich. Am Abend trafen sie die Caraibcnniedcrlassung, bis zu welcher Herr IIillhouse den Strom aufwärts gestiegen war. Nach seinen Entfernungen, wie er diese im Journal der londoner geographischen Gesellschaft giebt, müsste das Dorf weit jenseits des Caroni liegen. Den folgenden Mittag trafen sie auf die Mündung des Ekruyeku , der ziemlich die Breite des Wenamu und ganz das kaffeebraune Wasserdcs Rio Negro hat. In BRITISCH -GUIANA. 349 der Nähe der Mündung erheben sich die sleilen, in ihrer Conlur vielfach ausge- zackten und ausgeschweiften Felsenmauern der E/creku- Berge, die ohne Zweifel die nördlichsten Ausläufer der Roraima- Kette bilden. Gegen Abend schlugen sie ihr Lager an der Mündung des Curuma auf, der die Savannen durchströmt, welche sich nördlich vom Caroni hinziehen, auf denen zahlreiche Viehheerden weiden. Der Mündung des Curuma gegenüber erhob sich früher der spanische Posten Cadiva. Der Berg Maurucaru , ebenfalls der Sandsteinformation angehörig, lag gegen S.O. Einen dem Maurucaru ähnlichen Berg nannten die Indianer Yapong. Am 10. Januar des Nachmittags hatten sie die Mündung des Acarabisi er- reicht und befanden sich nun wieder auf bekanntem Fahrwasser. Den 17. trafen sie in Cartabo-poiut, den 18. bei unserem gemeinsamen Freunde Bernau in Bartika- Grove ein , von wo mein Bruder nach Georgetown ging und dann nach Pirara zurückkehrte. Ungeachtet wir alles anwandten, um unsere neue Expedition so schnell als möglich anzutreten, verstrichen doch ziemlich 8 Wochen, bevor dies geschehen konnte, eine Verzögerung, die namentlich ihren Grund in dem niedern Wasser- stand des Rupununi hatte, dem wir soweit als irgend möglich aufwärts fahren woll- ten — Der Eintritt der Begenzeit musste daher abgewartet werden. — Diese Zwischenzeit benutzte ich zu vielfachen botanischen und zoologischen Excursionen. Auch jene interessanten Fischzüge wurden wieder mit ganzen Caravanen India- nern, die sich fast täglich einfanden, nach den jetzt ziemlich zusammengelrockneten Sümpfen und Seen der Savanne unternommen. Da die reiche Beute dieser Ver- giftungszüge in Pirara geräuchert wurde, so kehrte damit auch wieder auf kurze Zeit reges Leben in dem Dorfe ein , wie ich durch sie zugleich auch noch in Be- sitz manches interessanten Fisches kam. Unter den vielen lächerlich ernsten Sce- nen, die meistentheils mit diesen Zügen verbunden waren, ist mir besonders eine noch im Gedächtniss geblieben. In Gesellschaft einer zahlreichen Parthie Indianer eilte ich eines Tages auch nach einem jener grossen Sümpfe, mehre Miles von Pirara , dessen Wasserfläche ganz vonNymphaeen bedeckt war. Rüstig wurde die Wurzel des Lonchocarpus densiflorus zerschlagen und in dem Wasser ausgewaschen, und bald zeigten sich die Wirkungen des Giftes. Alt und Jung, alles war beschäf- tigt, die Beute zu sammeln, und dem Ufer zuzutragen, als plötzlich ein Knabe, der sich einer dichten Nymphaeendecke genähert, laut aufschrie, und die eigenthüm- liehe Bewegung des flachen Wassers in seiner Nähe die Gegenwart eines Kaimans verrieth. Der Angriff, den das Thier auf den Knaben gemacht, war glücklicher Weise misslungen; mit aufgesperrtem Rachen und gekrümmtem Schwänze, beides über das Wasser erhoben, kam jetzt das Ungethiim auf uns zugesehwommen. Alles suchte so schnell als möglich das Land zu erreichen , was aber bei dem tiefen 350 REISEN IN Schlamm kcinesweges so leicht war. Die daraus enstehende Confusion, würde für den Unbetheiligten ungemein viel Lächerliches gehabt haben. Wer irgend mit einer Last beschwert war, warf diese davon; Bogen, Pfeile, Fischeblieben zurück, die ganze Gesellschaft kannte nur ein Ziel, das Land, welches wir glücklicherweise auch alle erreichten; das Ungethüm hatte uns nicht weiter verfolgt, aber seine drohende Stellung in der Milte des Wassers behauptet. Der Pfeilhagel, der ihm vom Ufer zugeschickt wurde , belästigte dasselbe so wenig, dass es ganz ruhig in seiner Stellung blieb ; ein Gewehr war nicht vorhanden und so die ganze Parthie ge- scheitert, denn niemand wagte sich in das Wasser zurück. Als ich am folgenden Morgen, bewaffnet mit der Büchse, begleitet von einigen Indianern, dem Sumpfe entlang ging, fielen mir mehre Häufender Gehäuse der Ampullaria guianensis und papyracea auf, die entweder unter einem der Bäume oder wenigstens in der Nähe eines Strauches aufgeschichtet lagen. Aus einigen der Gehäuse konnte das Mol- lusk erst vor kurzer Zeit herausgeholt worden, die grosse Masse dagegen musste schon jahrelang dem Wetter ausgesetzt gewesen sein. Nach der Aussage der In- dianer war ein schwärzlicher Ibis , von dem sie mir auch mehre im Sumpf herum- watend zeigten, der eifrige Sammler. Diese Eigenthümlichkeit, seinen Raub an einer bestimmten Stelle zu verzehren, hatte ich bisher noch an keinem Vogel ken- nen gelernt, und es that mir um so mehr leid, dass die Vorsicht und Scheu dieser Vögel alle unsere Versuche, einen in unsere Gewalt zu bekommen, vereitelten. Ich fand acht solcher Haufen, von denen jeder 4 Fuss Höhe hatte. Wahrscheinlich besass jeder Vogel seine eigene Stelle. Wenige Tage vor meiner Abreise aus Pirara sollte ich noch einen Theil des- selben in Flammen aufgehen sehen. Wir waren ehen aus unserer Hütte heraus- getreten, um uns nach dem Sec zum Fischen zu begeben, als uns aus der Hütte, welche die alte Frau, die so treu bei uns ausgehallen , bewohnte, eine breite Flamme entgegenschlug. Alles eilte zu Hülfe, um die übrigen Hütten zu wahren, doch vergebens, die von der trockenen Jahreszeit bis zu Zunder gedörrten Pal- menwedel fingen in jedem daraullällenden Funken Feuer. Das Haus unseres verstor- benen Freundes , das Herr Goodall bezogen hatte, ging zunächst in Flammen auf, und nur mit Mühe gelang es uns, die Zeichnungen und dessen übrige Sachen zu retten. Diesem folgte die katholische Kirche. An ein Löschen war bei dem Mangel an Wasser, das von den Indianern in Calabaschen vom entfernten Pirara geholt werden musste, so gut wie gar nicht zu denken, und nur dem günstigen Winde hatten wir es zu danken, dass nicht auch unsere Hütten sammt den Sammlungen ein Raub der Flammen wurden. Ein kleiner Knabe hatte in jener Hülle mit einem Feuerbrand gespielt und war dem leicht zündbaren Dache zu nahe gekommen. BRITISCH-GÜIANA. 351 Nur mit der äussersten Anstrengung und Gefahr konnte mein Bruder die alte Frau aus der brennenden Hütte retten, die aus dieser noch die Sachen ihres En- kels, der eben auf der Jagd war, und unter denen sich auch mehre Pfund Pulver, der Erwerb für seine Begleitung nach dem Roraima, befanden, herausholen wollte. Mit klopfendem Herzen warteten wir auf den Moment der Explosion, die glück- licherweise die nahestehnden Hütten weiter nicht gefährdete, da das Haus bereits niedergebrannt war. In der Nacht trat der erste Regen ein und löschte die noch glimmenden Brände aus. 352 KRISEN IN X. Mein Aufbruch von Pirara. Erlebnisse an der Bucht Wai-ipukari. Bemerkungen über den Kaiman. Antritt der Expedition den Rupununi aufwärts. Mündung des Maurukiamu. Niederlassung Curua. Attalea speciosa. Niederlassung Aripai. Cassicus persicns und haemorrhus. Harpyia destructor. Pik Burukutuau-yari. Niederlassung Kuiaraton. Pockenkranke. Fälle Curuaayari. Uuru-ruru, Tremital und Trekutara-tepau. Matzicn- daua-Berge. Mündung des Catu-auuru. Porlage Paruauku. Fryers Cataract. Fall Cula-tarua, Corona der Portugiesen. Fall Sarata. Quellgebiet des Rupununi. Lan- dungsplatz von Watu-Ticaba. Waruau. Niederlassung Watu-Ticaba. Myroxjlon Toluifera. Die Letzte des Stammes der Amaripas. Aussterben der Atorais, Daurais Tarumas. Die YVoyawais. Trennung der Expedition. Meine Rückkehr nach Pirara. Colonel Matoz und seine Grenzbestimmungen. Abschied von Pirara. Das Abwärtsfahren der Cataracten des Esscquibo. Waraputa. Mr. Poliert. Bartika Grove. Das neue Penal Settlement. Rückkehr nach Georgetown. Mit der uns zukommenden Kunde, dass der Rupununi zu steigen beginne, brach ich in Begleitung des Herrn Goodall und mehrer der Ruderer nach der Bucht Wai-ipukari auf, um dort das Gepäck in Empfang zu nehmen, und seine Ver- packung in die unterdess von Hendiiick wieder hergestellten Corials zu leiten. Die Zwischenzeit verbrachten wir mit der Jagd auf Kaimans, die sich, wie ich schon früher erwähnte, nicht allein in der Ausbuchtung und da wo die Strömung des Ru- pununi weniger reissend ist, sondern namentlich auch in dem Awaricuru in grosser Anzahl aufhicllcn, und so raubgierig waren, dass sie mir sogar eines Abends mei- nen zahmen Jabiru , der in der Nähe des Ufers schlief, in das Wasser zogen. Sic ergreifen auf diese Weise auch des Abends die zum Saufen sich dem Ufer nähernden Hunde. Doch kennen diese die ihnen drohende Gefahr so gut, dass sie, sobald sie den lauernden Feind bemerken, in ein heftiges Bellen ausbrechcn, und BR(TISCII-GUIANA. 353 dieses so lange fortsetzen, bis der Kaiman seinen Standort verlässt. Es sind un- streitig die raubgierigsten und gefrässigsten Thiere; sie verschlucken sogar Steine und Holzslücken, die sie in ihrer Gier für geniessbar halten. Ich fand häufig bei der Section, selbst bei den kleinern Arten, solche Gegenstände im Magen. Um zu sehen, wie sie ihre Beute ergriffen, band ich oft Vögel oder grössere Fische auf ein Stück Holz und liess dies dann schwimmen. Kaum war der Köder von einem der Thiere bemerkt worden , als dieses auch langsam , ohne dass sich die Oberfläche des Wassers bewegte, auf die Beute zuschwamm. Hatte es sich derselben ziemlich genähert, so beugte es seinen Körper zu einer halbzirkel- förmigen Krümmung und schleuderte nun mit seinem Schwänze, dessen Spitze es bis zum Rachen biegen kann , alle innerhalb des Halbkreises sich befindenden Ge- genstände dem geöffneten Rachen zu, worauf es diesen schliesst und mit der Beute unter die Oberfläche des Wassers verschwindet, um nach einigen Minuten damit wieder in der Nähe des Ufers zum Vorschein zu kommen, und den Raub liier oder auf einer Sandbank zu verzehren. War dieser nicht allzugross, so erhoben sie sich nur bis an die Schultern über das Wasser, und würgten ihn in dieser Stellung hinab. Fische sind ihre gewöhnliche Nahrung, sie tödten dieselben meist mit dem Schlage des Schwanzes und schleudern sie zugleich über das Wasser, um sie mit dem Rachen aufzufangen. Das Zusammenklappen der Kinnladen und das Schlagen des Schwanzes ruft ein lautes Geräusch hervor, das man namentlich während der stillen Nacht weithin hören kann. Auffallend war es mir, dass die Weibchen noch eine lange Zeit die regste Liebe gegen ihre Jungen hegen, sie fortwährend bewa- chen, und mit der grössten Wulh vertheidigen, was ich aus eigener Erfahrung ken- nen lernte. In Begleitung eines Indianers ging ich eines Tages der seeähnlichen Ausbuchtung des Awaricuru entlang, um Fische mit Pfeil und Bogen zu schiessen. Aufmerksam gemacht durch ein eigenthümliches Geschrei, das viel Aehnlichkeit mit dem der jungen Katzen halte, glaubte ich mich schon in der Nähe des Lagers einer Tigerkatze zu befinden, als mein Begleiter nach dem Wasser wies, und "Junge Kaimans!" ausrief. Die Töne kamen unter dem Zweige eines Baumes hervor, der sich in Folge des Unterwaschens seines Standortes in horizontaler Richtung über das Wasser geneigt hatte, und mit den Zweigen dasselbe berührte Vorsich- tig rutschten wir dem Stamm bis zur Krone entlang, wo ich unter mir die ly2 Fuss lange junge Brut im Schatten versammelt sah. Da wir uns nur etwa 3 Fuss über dem Wasserspiegel befanden, so war es dem Indianer ein leichtes, eins der jungen Thiere mit dem Pfeil zu erlegen , und es an diesem zappelnd und kreischend aus dem Wasser zu ziehen. In demselben Augenblicke tauchte ein grosser Kaiman, die Mutter, unter unsern Füssen zwischen den Zweigen empor, die, ohne dass wir sie bemerkt, uns wohl schon lange heobachtet haben mochte, um ihr Junges zu ver- II. Tlieil. 45 354 REISEN IN llieidigen, wobei sie zugleich ein schauerliches Gebrüll aussliess. Ich weiss eigent- lich nicht, womit ich diese furchtbare Stimme vergleichen soll. Es war nicht das Brüllen des Ochsen oder des Jaguars, wie überhaupt eines andern mir bekannten Geschöpfes, sondern mehr ein Gemisch von diesem und jenem, was Einem Mark und Bein durchschiitterte. Bald hatte das Gebrüll noch andere Kaimans unter uns versammelt, die der wüthenden Mutter getreulich beistanden, wobei sich diese oft bis weil über die Schultern über das Wasser erhob, um uns von unserm Standort herabzureissen. Durch des Vorhalten des am Pfeile zappelnden Jungen, steigerte mein Begleiter die Wuth der rasenden Mutter nur noch höher. Wurde sie von einem unserer Pfeile verwundet, dann zog sie sich momentan unter das Wasser zurück, tauchte aber schnell wieder auf und erneuerte ihre Angriffe mit doppelter Furie. Der bisher ruhige Wasserspiegel war zur aufgeregten Wogenmasse ge- worden, da er ununterbrochen von dem gekrümmten Schwänze gepeitscht wurde, und ich muss gestehen, die mir bisher unglaubliche Kühnheit der Thiere machte mir das Uerz in doppelter Schnelligkeit schlagen, namentlich, da sich auch ausser- dem in unserer unmittelbaren Nähe ein grosses Ameisennest befand , dessen Be- wohner die Störung nichts weniger als geduldig hinnahmen, und uns Hände und Fiisse in ewiger Bewegung erhielten. Ein einziger Fehltritt oder Fehlgriff würde jeden unmittelbar dem geöffneten Bachen des Tbieres zugeführt haben. Nachdem wir den Vorrath unserer Pfeile erschöpft, hielt ich es doch für das geratenste, uns so vorsichtig als möglich zurückzuziehen. Halsstarrig folgte uns die Mutter bis zum Ufer, wo sie aber zurückblieb. Am Lande sind sie zu furchtsam, um gefähr- lich zu sein, und das Thier scheint selbst die Wehrlosigkeit, in der es sich auf festem Boden befindet, zu kennen, da es auf dem Lande jedesmal die schleunigste Flucht ergreift, um in das Element zu springen, in welchem es der gefährlichste Bewohner ist. Die Schuppen des Jungen waren ganz weich und biegsam; es konnte erst vor wenigen Tagen ausgeschlüpft sein, schon aber verbreitete es einen starken Moschusgeruch. Nicht weil von der Stelle entdeckten wir einen breiten Pfad am Ufer, der uns zu dein frühem Lager der Eier führte, das etwa 30 Fuss von jenem entfernt war. Es bestand aus einer Vertiefung im Boden, die mit Gestrüpp, Laub und Gras ausgefüttert war. Nach den leeren Eierschalen zu schliesscn, musste cs 30 — 40 Eier enthalten haben, die schichtweise übereinander gelegen hatten. Jede Schicht war von der nächstfolgenden durch Blätter und Schlamm getrennt; auch über der obern Schicht schien eine solche Schlammdecke gelegen zu haben. Die Kaimans haben ihre Legezeit mit den Schildkröten zugleich, damit die Jungen noch vor dem Eintritt der Regenzeit auskriechen und nicht von den steigenden Gewässern zer- stört werden. Auf ihrer Reise nach dem Wasser stellen ihnen aber nicht nur die grösseren Raubvögel und die Jnbirus , sondern auch die Männchen der Kaimans 355 BRIT1SCH-GÜIANA. nach, die die Brat besonders gern za fressen scheinen. W ürde dadurch nicht der grösste Theil derBrut vernichtet, so müssten sie sich auf eine furchtbare Weise ver- mehren. Auf Sandbänken sollen die Weibchen die Eier nie verscharren. Uen folgenden Morgen begab ich mich in Begleitung mehrer Indianer mit Büchse und Kugel wieder zur Stelle unseres gestrigen Abenteuers. Die Mütter war mit ihren Jungen verschwunden. Ungeachtet der zahllosen Köpfe, die über dem Wasser emporragten, und der Versuche mit grossen Angelhaken gelang es uns doch nicht, eins der Ungelhüme in unsere Gewalt zu bekommen. Bei unserer Rückkehr nach dem Lager bat mich der M actis i Naripo (Kaimantödter), der sich an der Bucht angesiedelt, ihm die Büchse zurückzulassen, da er gewiss noch im Laufe des Tages ein Thier schiessen würde. Gegen Abend kam er auch bei uns mit der Nachricht an, dass er sein Wort gehalten. Das Thier lug noch im Wasser, und war mit einer starken Liane um den Hals an einen der Bäume gebunden, an der wir dieBeute nun an das Land zogen. Seine ganze Länge betrug 14 Fuss 3 Zoll ; der Kopf war 18 Zoll lang, der Umfang desselben über den Augen 20 Zoll, der Umfang des Körpers dagegen mass4Fuss 5 Zoll. Eine grosse Wunde am Schwänze, die aber schon vernarbt war, mochte es wohl in den wülhenden Kämpfen, welche während der Paarungszeit zwischen den Männchen ausbrechen, erhallen haben. Die Begattung findet am Lande oder an seichten Stellen des Ufers statt. Von den 18 Zehen fehlten ihm 6, wie auch der eine Vorderfuss ganz verstümmelt war. Nach der Behauptung der Indianer rührten diese Verstümmelungen von den ge- hässigen Pirais her. Es scheint dies das einzige Thier zu sein, welches den aus- gewachsenen Kaiman belästigt. Naripo hatte mit seinem Sohne Danappe das Un- gethüm erst nach der siebenten Kugel erlegt, die durch das Auge in das Gehirn gedrungen war und die Hirnschale zerschmettert hatte. Ein betäubender Moschus- geruch entströmte dem Cadaver, namentlich aus der Gegend der Geschlechtsteile. Der getrocknete Peuis wird von den Brasilianern als sicheres und allgemein ange- wandtes Fiebermittel benutzt, indem sie ihn zu diesem Zwecke auf der reibeisen- artigen Zunge des Sudis g/'gas zu Pulver reiben und mit Wasser einnehmen. Die Kaimans, die wir in dem obern Essequibo, w'ie überhaupt in den Savanneuflüssen antrafen, weichen nicht nur in Bezug auf die Grösse, sondern auch in der Zeichnung vielfach von denen der Küste ab. Die letzteren nennen die Colonistcn und Farbigen Alligatoren ( Champsa sclerops Natt.) Sie erreichen selten eine Länge von 6 — 7 Fuss und haben eine mehr grünliche Färbung. Die im Innern vorkommende Species erreicht eine Länge von 12 — 10 Fuss, ist viel schwärzer und zeigt hin und wieder gelbe Flecke. Ihre Schnauze ist kürzer und gedrunge- ner ; die Fiisse sind ebenfalls kürzer und kräftiger als bei Ch. sclerops. Sic stim- men ganz mit dem von Marths am Amazonenstrom gefundenen, schwarzen Kai- 45* 35G REISEN IN man Champsa nigra Natt, überein. Diese nennen die Farbigen und Colonislen Kaiman. Unter den Fischen, die ich liier meinen Sammlungen noch beifügen konnte, führe ich nur den interessanten Doras niger (V al.) und carinatus (Val.), die Lo- ricaria platyura(Miill. Trosch.) und einen kleinen, zweiFuss langen Sudis gigas an, wodurch ich von diesem interessanten Fisch demMuseum eineHaut, ein Skelett und ein Exemplar in Spiritus einsenden konnte; dazu gesellte sich noch eine neue Species Exodon, Exodon paradoxus (Müll. Trosch.). Unser Lagerplatz an der Bucht IV ai-ipukari bot wrenige Tage vor unserer Abreise wieder ganz jenes bunte und belebte Lagerbild, das sich schon so oft vor uns entfaltet hatte. Alle Bewohner der Umgegend, Weib und Kind der uns beglei- tenden Indianer hatten sich um uns versammelt, um von meinem Bruder und Herrn Goodall, von denen sie wussten, dass sie nicht wieder zurückkehren würden, Ab- schied zu nehmen. Da sich die Vorläufer der Regenzeit schon seit mehren Tagen eingestellt hat- ten, und der Regen auch bereits die letzten zwei Tage in Strömen herabgefallen war, so sprangen wir am 3. Mai, nach herzlichem Händedruck aller Versammelten, eine Sitte, die die Macusis von uns angenommen, und unter dem Ausruf: «Tom- bawai, Tornbawai (lebe wohl)», in unsere drei Corials, und fuhren den schon an- geschwollenen Rupununi aufwärts. Bald hatten wir die Mündung des Awarici/ru hinter uns. Das westliche Ufer des Rupununi war stellenweis mit dichtem Wald bestanden, das östliche bildete die Grenze der Savanne, auf welcher das Gras in der Nähe des Ufers eine Höhe von G Fuss erreicht hatte. In weiter Ferne wurde die Savanne von kleinen Hügeln und dichten Waldflächen begrenzt. Mehr gegen Süden erhebt sich das dunkelbelaubte Canuku- Gebirge. Unsere rasch angelretene Reise erhielt bald eine Unterbrechung, die gefährlich werden konnte; das grösste Boot rannte gegen einen vom Wasser bedeckten Baumstamm an, und bekam dadurch ein so bedeutendes Leck, dass es den Ruderern nur mitaller Iiraflanslrengung gelang, cs noch vordem Sinken an das Ufer zu bringen. Während der Ausbesserung bemerkten wir ganze Züge des schmackhaften Mylctcs Pacu den Fluss stromaufwärts schwimmen, wodurch sich uns die Behauptung der Indianer und Farbigen des untern Essequibo, dass sich der Fisch während der Re- genzeit, wo alle Flüsse austreten, nach dem obern Flussgebiete begäbe, um in dem ruhigen Wasser der überflutheten Savanne zu laichen, zu bestätigen schien. Diese Zi/ge waren das willkommene Ziel unserer Pfeile. Nach einer Stunde war der Schaden reparirl, und ohne weitern Aufenthalt konnten wir unsere Reise bis zum Abend fortsetzen, wo wir unsere Zeltdächer BRITISCII-GUIANA. 357 unter den riesigen Bäumen des westlichen Ufers aufschlugen. Kaum war diese Arbeit beendet, als ein fürchterlicher Gewittersturm, der stärkste, den ich unter den Tropen erlebt, sich entlud. Es schien, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet, um ihren Inhalt mit einmal zu entleeren. Das Heulen des Windes, das Rollen des Donners, alles erstarb unter dem Getöse der fallenden Wassermasse. Unsere Leute, denen keiner der gigantischen Bäume mehr Schulz bot, flüchteten sich unter unsere Zeltdächer, die ihnen aber eben so wenig Schutz gewährten, da diese einem solchen Regen nicht widerstehen konnten. Alle Feuer waren verlöscht, und die dichte Finsterniss wurde nur dann und wann von den flammenden und zuckenden Blitzen zerrissen. Um unsere Corials vor dem Sinken zu schützen, durften wir keinen Augenblick mit dem Ausschöpfen des Regenwassers aussetzen. Aiyukante, der sich auch diesmal wieder unter unsern Begleitern befand, und in dem Unwetter wieder eine gute Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, uns von seiner Macht über die Elemente zu überzeugen, mühte sich vergeblich ab, den Sturm zu beschwören. Fuhr einer der flammenden Blitze durch die grauenhafte Finsterniss, dann konnte man auch den blasenden und schreienden Beschwörer sehen, wie er unter Schwingen der Arme und allerhand Verrenkungen sich abmühte, das Wetter zu verjagen. Endlich schien er selbst einzusehen, dass er am übelsten dabei wegkam ; mürrisch und brummend verkroch er sich wieder in unser Zelt. Nach einigen Stunden liess der Regen etwas nach , um später wieder mit dop- pelter Macht über uns auszubrechen. Die Quantität des in dieser Nacht gefallenen Niederschlags betrug gewiss 5 — 6 Zoll. Das Thermometer zeigte bei Anbruch des 31orgens 65° Fahrenh. und die benetzte Kugel 64° 7. Nachdem wir zitternd und bebend vor Frost, das Gepäck untersucht , setzten wir unsere Reise weiter fort. Hier und da waren die Ufer förmlich mit der schönen Maximiliuna regia bedeckt. Im Verlauf des Morgens fuhren wir an der Mündung des Maurukiamu vorüber, dessen Ufer von Macusis bewohnt werden. Seine Quelle hat er nach der Aussage der Indianer an den östlichen Ausläufern des Canuku- Gebirges , worauf er sich durch Savannen dem Rupiinuni zuwendet. Indem ich mit meinem Corial dem west- lichen Ufer entlang fuhr, sah ich den Kopf eines Kaimans über die Oberfläche des Wassers hervorragen, den ich anfänglich für ein Stück Holz hielt, bis mich einer der Indianer eines andern belehrte. Jeder Lauf meines Doppelgewehrs wurde mit zwei Kugeln geladen, und in den Kopf getroffen peitschte das Thier unter fürch- terlichen Krümmungen des Schwanzes die Wellen, und wälzte sich in diesen herum, kam dabei aber unserm Corial so nahe, dass wir fürchten mussten, es möchte von dem mit dem Tode ringenden Thiere umgeworfen werden. Endlich schwamm die- ses dem Ufer zu, wo es sank. Die Seichtigkeit des Wassers in der Nähe desselben, wie die ununterbrochen aufsteigenden Luftblasen zeigten uns die Stelle , wo das 358 REISEN IN sterbende Thier lag. Wir landeten ; eine neue Ladung in den Kopf konnte es noch nicht tüdlen, denn von neuem begannen jene wiithenden Bewegungen. Endlich . Hessen diese nach und mit Mühe schleppte es sich dem Ufer noch näher, um den Hopf auf das Land zu legen. Unter einem heftigen Klappen mit den Kinnladen und starken Schlägen mit dem Schwänze schien es zu verenden. Eben waren wir damit beschäftigt, ihm ein Seil um den Leib zu schlingen, als wir hinter uns ein starkes Geräusch hörten, und ein zweiter Kaiman mit etw as schräg aufstehendem Schwänze hervor- und an uns vorübergelaufen kam, und sich in das Wasser stürzte. Als wir uns von unserm Schreck wieder erholt, trafen wir Anstalten, die erlegte Beute, der der letzte Lebensfunke unterdess entflohen zu sein schien, nach dem Corial zu ziehen ; doch wir hatten uns getäuscht, — denn plötzlich kehrten die nur betäubten Lebenskräfte wieder zurück, mit einem einzigen Schlage lagen wir sechs Menschen, die wir am Seile zogen, glatt auf der Erde, um das Thier augen- blicklich im Flusse verschwinden zu sehen, aus dem es jedoch bald darauf wieder mit dem Kopfe an einer andern Stelle auftauchte. Eine doppelte Schrootladung, die in beide Augen drang, schien es endlich getödtet zu haben, und ruhig zogen wir es an das Land. Seine Länge betrug 14 Fuss 6 Zoll, seine Stärke 4 Fuss 3 Zoll. Da wir bis zum Abend noch die Niederlassung Quinta erreichen wollten , so be- schloss ich die unter so vielfachen Anstrengungen erlangte Beute bis dahin mit zu nehmen und sie dort zu skelettiren. Wir befestigten sie daher an das Hintcrtheil des Corials, aber die reissende Strömung und die neue Last von wenigstens 300 Pfund war für unsere Kräfte zuviel, denn ungeachtet aller Anstrengung brachten wir das Corial doch nicht vorwärts. Um die Last mehr auf einen Punkt zu con- ccntriren, wurde der anscheinend todte Kaiman in das Boot gezogen, und schon freuten wir uns unseres Gelingens, als sich plötzlich Spuren des rückkehrenden Lebens zeigten. Der bluttriefende Rachen begann sich zu öffnen, der Schwanz fing wieder an sich zu krümmen, und unter wildem Geschrei sprangen die Indianer über Bord, um dem Ufer zuzuschwimmen. Des Schwimmens unkundig, war ich gezwungen, im Corial in der Nähe desThieres zu bleiben. Schnell wurde dasFahr- zeug nun den Strom abwärts getrieben, bis es mir endlich gelang, cs dem Ufer zu- zulenken. Ehe ich diese; erreichte, halte sich der Kaiman auch wieder in den Fluss gestürzt, ohne aber von dem Seile befreit zu sein, an dem wir ihn abermals an das Land zogen. Diese Jagd halte uns schon mehre Stunden geraubt, die beiden übri- gen Corials waren uns schon längst aus den Augen verschwunden, und die ernsten Mali nungrn der Indianer, zu eilen, wenn wir vor der Nacht die Niederlassung noch erreichen wollten, Hessen mich meinen Plan aufgeben; den Kopf aber wollte ich mir weniglens erhallen. Obschon sich das Unthier am Lande wieder so wrcil erholt, dass es sich abermals auf die Vorderfüssc gerichtet hatte, und nach allem schnappte, BRITISCH-GÜIANA. 359 was siel) ihm näherte, erlag es doch endlich den Keulenhieben der Indianer insoweit, dass ich ihm den Kopf abzuschneiden begann, wobei es, als ich das Gelenk des Ge- nicks durehschnitt, aber noch einmal mit einer solchen Gewalt um sich schlug, dass es zwei Indianer, die sorglos in der Nahe des Schwanzes standen, zu Boden schleu- derte. Es vergingen ziemlich acht Tage, bevor meine Hände den unangenehmen Moschusgeruch verloren. Diesen Geruch besitzen die Kaimans am intensivesten während der Paarungszeit. In dieser Periode riecht man das Thier selbst wenn es im Wasser liegt. Als der Kaiman noch im Wasser lag, sah ich, dass sich an die Wunden, aus denen das Blut floss, mehre kleine, fingerlange, schuppenlose, aalförmige Fische von dunkler Hautfarbe, mit abgestutztem und breitem Kopf und kleinen, unter der Haut liegenden, kaum durchscheinenden Augen setzten. Kaum hatten die Indianer diese bemerkt, und sahen, dass ich dieselben ergreifen wollte, als sie meine Arme zurüekzogen , und mich flehentlich baten, die Fische nicht anzuriihren , da sie äusserst giftig wären. Die sprechenden Zeichen der Furcht und Scheu der Indianer hatten mich so angesleckt, dass ich wirklich meine Versuche aufgab, da sie mir nur unter diesem Versprechen die Arme loslassen wollten. Leider hatten wir kein Netz im Corial. Der Beschreibung nach, die von Martius von einem Fische giebt, der in der Nähe von Para vorkommt, und dort ebenfalls allgemein gefürchtet wird, scheint der von mir gesehene ganz mit jenem übereinzustimmen und eben- falls ein Cetopsis gewesen zu sein. Als es zu spät war, schämte ich mich meiner Furcht. Einige Stunden später überfuhren wir glücklich die ersten Slromschnellcn des Rupununi , und eine Stunde oberhalb derselben langten wir in der Nähe der Mündung des Cutoka am östlichen Ufer an der Landungsslelle der früher blühenden Mission Curua an, die ihren Namen von der herrlichen Palme Attalca spcciosa (Mart.) führt, welche die Macusis Curua nennen, und die ich hier zum erstenmal sah. Es ist unstreitig die schönste Species dieser interessanten Gattung. Ihre riesigen Wedel, die sie aufrecht stehend trägt, hatten eine Länge von 30 — 40Fuss. Sie scheint in Britisch Guiana nur an dem Rupununi aufzutreten, am zahlreichsten in der unmittelbaren Umgebung der Niederlassung Curua. Vereinzelte Fxemplare begleiten von da nur das rechte Ufer des Rupununi durch das Cffl/wA'W-Gebirge. Das Lager fanden wir schon aufgeschlagen, und vermochten auch mehre Indianer mit dem entleerten Corial zurückzukehren, und den Körper unseres erschla- genen Kaimans nachzuholen, den ich dann am Morgen weit vom Ufer abwärts legte, und förmlich umzäunte, damit mir die Aasgeier die Knochen nicht forttragen konnten. Ich habe schon erwähnt, dass sich Herr Yold, als er von den Brasilianern aus Pirara vertrieben wurde, hierher zurückgezogen, ebenso, dass er sich auch 3C>0 REISEN IN hier seines Werkes nicht lange erfreuen konnte, da diese ihn auch bald von Curua vertrieben, und die frische junge Saat vernichteten. Wie die geistige Saat spur- los verschwunden war, so hatten auch zahllose Mimosen, Solaneon. und junge Trompetenbäume ( Cecropia palmata IV i/ld.) wieder die frühem, cultivirten Flächen bedeckt. Das Bethaus, so wie die andern Hütten lagen in Ruinen zwischen der üppig wuchernden Vegetation. Christen hallen dies an Christen in eonfessionellem Hasse gethan ! Die Mtisa paradisiaca und sapientum, die wegen ihres schnellen Wachslhums der allgemeinen Vernichtung entgangen waren , hatten in dem rothen, fetten Lehm eine Höhe von 40 — 50 Fuss erreicht, und wechselten mit den Gruppen der maje- stätischen A/talea speciosa ab. Das Auftreten der Palme ist dem Indianer der sicherste Verkündiger des fruchtbarsten Bodens. In der einen Hütte , die noch etwas bewohnbar war, obschon auch in ihr ein grosser Wasserpfuhl stand, hatte mein Bruder einen Mann und zwei Frauen gefunden, die sich noch nicht von ihrer liebgewordenen Niederlassung trennen konnten. Nachdem ich schon vor Tagesanbruch meine Umzäunung beendet, verliessen wir die zerstörte Missionsstation. Etwas oberhalb derselben, durchsetzten mäch- tige, graue Gneisblöcke das Strombett, und bildeten den Cataract Curuatoka , den wir ohne Unfall überfuhren. Das Gestein gehörte dem dem Cattuku- Gebirge eigen- thümlichen, grobkörnigen, dunkelgrauen Gneis an. Etwa eine Mile oberhalb des Cataracts zweigte sich einer jener natürlichen Canäle ab, die wir an der Küste in so grosser Menge, noch nie aber im Innern gefunden hatten, durch den der Raptt- nuni nochmals mit dem Awaricuru , etwa 11 Miles von der eigentlichen Mündung, verbunden wird, und drei Miles weiter aufwärts führte, an dem westlichen Ufer, ein schmaler Canal nach einer seeähnlichen Wasserfläche, die die Indianer JVata- warai nannten. Je weiter wir vordrangen, jemehr wir uns damit dem Canuku-Geh'wgc näher- ten, um so mehr Krümmungen bildete der Fluss, um so üppiger wurde die Vege- tation beider Ufer. Von neuem begrüsslc ich die Mora cxcclsa, das unförmliche Born- bax globosum und das wegen seines köstlichen Holzes so gesuchte Brosimum Anb- letii, Petra der Macusis. Die Petra ist in Britisch-Guiananur dem Canuku- Gebirge eigen Herrliche Palmengruppcn unterbrachen das dunkle Grün der Laubbäume, und voll lieblichen Farbenschmelzes mischte die reizende Pctrea volubilis und nta- crostachtja ihre oft fusslangcn ßlüthenlrauben, die glänzende Lundia Schornbt/rg- kii (/ilolzsch) und Allamanda Aublctii (Pohl) ihren Blüthcnschmuck unter das dunkle Laub, die wieder von der blendend rothen ßliilhe des Cacoucia coccinca und einer lieblichen Passiflora, die P. alata am meisten ähnelte, überrankt wur- den. Gegen drei Uhr nöthigle uns ein hereinbrechender Gewittersturm , unsere BRITISCH-CUIANA. 30 1 Zelte aufzuschlagen. Vor uns lag das Canaku- Gebirge, dessen Gipfel sich in mas- senhaften, dunklen Wolken verbargen. Der Regen hielt die ganze Nacht hin- durch an. Je unangenehmer die Nacht gewesen, um so reizender war der anbrechende Morgen. Die aufgehende Sonne war von jenem, der Regenzeit so eigentümlichen, weissen, durchsichtigen Wolkenfliess überzogen, und warf hin und wieder ihre Strahlen auf die Millionen, noch an den Rlättern hängenden, diamantenglänzenden Regentropfen, deren Rrüder der ganzen Vegetation eine zauberhafte Frische ver- liehen hatten. Nachdem wir am westlichen Ufer an der Mündung des Camarapa vorüberge- fahren, der seine Quelle ebenfalls im Canaku- Gebirge hat, hatte uns dieses selbst in sich aufgenommen. Rei der Fortsetzung der Pieise bemerkten wir auf dem Was- serspiegel vor uns einen Gegenstand, der sich auf diesem hin und her bewegte, bald wieder auftauchte nnd sich dann sogar mehre Fuss perpendiculär über ihn erhob. Die Indianer erkannten bald, dass es der Bart eines Pfeiles sei, der in dem Rücken eines Fisches stecke. Nach der Schnelligkeit der Rewegung musste es sogar ein Fisch von namhafter Grösse sein. Die auf die angeschossene Beute unternommene Jagd blieb lange ohne Erfolg,- sie noch länger fortzusetzen, hielten wir für unnütze Zeitverschwendung. Am rechten oder östlichen Ufer fuhren wir an der Mündung des Mapare vorüber; oberhalb dieser zeigten sich an beiden Ufern mehre zu Tage tretende Granitfelsen , die die Indianer Maipure nannten, ln Folge der heftigen Regengüsse stieg der Strom fast jede Stunde, was nicht nur die Strömung, sondern auch unsere Anstrengungen in hohem Masse steigerte, bis jene uns endlich, nament- lich in den zahllosen Krümmungen, nöthigte , unsere Ruder einzuziehen und die Corials vermittelst der Zweige der in den Fluss gestürzten Bäume durch die mit Schaumflocken bedeckten, rollenden Wogen fortzuziehen. Diese Arbeit hatte uns bald so erschöpft, dass wir an der Mündung des kleinen Flusses Aripai , der von Osten her dem Rupnnuni zufliesst, unser Lager aufschla- gen mussten, obschon es noch früh am Tage war. Nachdem wir uns etwas erholt, gingen wir nach der kleinen JV r7/«s/fl72rt-Niederlassung Aripai , die sich etwas landeinwärts von der Mündung, am Ufer dieses kleinenNebenflusses befinden sollte. Die Bewohner fanden wir alle in einer der Hütten versammelt, vor welcher uns der greise Häuptling in portugiesischer Sprache willkommen hiess, worauf uns auch die übrigen Bewohner, fast alles junge Leute, die Hand reichten. Dass der Häuptling und seine Frau, eine wenn auch schon bejahrte, doch immer noch schöne, imposante Gestalt, längere Zeit unter den Portugiesen gelebt haben mussten, be- wies nicht nur die Kenntniss der portugiesischen Sprache, sondern auch die Be- grüssungsart, in welcher die Frau meinen Bruder bewillkommnete ; denn ehe dieser II. Tlieil. 4Ü 362 REISEN IN cs verhindern konnte, halte sie seine Hand ergriffen und geküsst. Jcli muss ge- stehen, dieses Ceremoniell nahm mich von vornherein gegen die Frau ein, und war mir unangenehmer als überraschend. Ueberraseht wurde ich aber, als wir in die Hiilte traten und mein Bruder dort von einem jungen Frauenzimmer bei seinem Namen angeredet wurde, in dem er endlich einen Dienstboten einer 5ew/• vernichtet worden sind, nach denen wir uns vergeblich von seiner Mündung bis zu der angegebenen Stelle umsahen.*) In der Nähe der Porlage ziehen sich einige kleine Hügel gegen den Rupununi hin, die die IVapisianas « Mawunna-rncketsiba » nannten, was etwa soviel als •'Augenhügel' bedeuten möchte. Den Grund zu dieser Benennung konnten sie uns nicht angeben. An sie schliesst sich unmittelbar die etwas grössere Höhe JVaralli an. Um 1 Uhr befanden wir uns dem südlichen Punkt des Canuku- Gebirges gegen- über, den die Indianer Tarucapurv nannten, der sich am östlichen Ufer erhebt. An seiner nördlichen Basis mündet sich der kleine Fluss IVitzapai in den Rupu- nuni, oberhalb welcher uns abermals eine Stromschnelle manchen Tropfen Schweiss auspresste. An der südlichen Basis des Tarucaparu fanden wir die Mündung des Araquai. Jenseits derselben lachte uns eine dichte Baumgruppe mit ihrem kühlen- den Schatten so einladend entgegen, dass wir schon nach 3 Uhr in ihr unser Lager aufschlugen. Der Abend hüllte uns wieder in einen jener schrecklichen Gewiller- slürme ein, die uns nun schon so oft das Herz kloplen gemacht. Es war ein Glück, dass wir die Baumgruppe zu unserm Nachtlager gewählt hatten, denn ohne den Schutz ihrer dichten Wipfel würde uns in der offenen Savanne der wüthende Sturm ohne Zweifel die Zelte auf und davon geführt haben. Selbst die Corials waren in diesem Aufruhr in Gefahr zu sinken. Das Thermometer zeigte beim Anbruch ) S. A. v. Humboi.dt: lroyagc avx regions equinox. elc. Liv. VIII Cliap. XXIV p. 238. REISEN IN .37 i des Morgens 70° Fahrenh. ; dos benetzte nur eine Differenz von einem halben Grad. Der Fluss war wieder um vier Fuss gestiegen. Mit jedem Ruderschlag vorwärts steigerten sieh auch die Schwierigkeiten, bis wir endlich die Ruder ganz einziehen mussten, da wir mit ihnen der reissenden Strömung nicht mehr widerstehen konnten, ja sogar mehrmals zurückgerissen und nur durch herabgestürzte Bäume vom Untergang gerettet wurden. Diese und das wieder am Uler sich hinziehende Gesträuch blieben das einzige Mittel, vermittelst welches wir vorwärts kommen konnten. Der Rvpummi oder Camoyepaugh (Son- nenfluss), wie ihn die Indianer auch nennen, halte bis jetzt nur wenig von seiner Breite verloren, da diese immer noch zwischen 250 — 300 Fuss variirte. Das schöne CaUjcophyllum wurde von der reizenden Elisabetha coveinea ersetzt, deren scharlachrothe Blülhen und scharlachrothen , sammetarligen Saamenschoten der Landschaft ein glänzendes Colorit verliehen. Hatte unser Auge diesen schönen Baum w illkommen geheissen, so jubelten unsere Begleiter der mit ihren grossen, w ohlschmeckenden Früchten überladenen Go.nipa Caruto (Hinnb. Bor/p.), Ruku der Indianer, unter dein Ausruf: « Ru/eu, Ruku ! •> noch lauter entgegen, und sprangen mit Gedankenschnelle in den Fluss, um den Baum zu erklettern und sich in den Besitz seiner Früchte zu setzen. Diese erreichen die Grösse eines mitllern Apfels. Ein dritter interessanter Baum war die Swartz/a tomentosa (Dec.), lron- wood der Colonislen und Polo santo der Portugiesen. Die Rinde enthält ein rolhes, balsamisches Princip, das von den Eingebornen als schweisstreibendes Mittel ge- braucht wird. Nach dem Fällen besitzt das Holz eine rolhbraune Färbung, die aber später in ein dunkles Schwarz übergeht. Ausser der Gcnipa Carulo bot uns auch die I/iga einen herrlichen Lecker- bissen, da fast auf jedem Zweige eine Iguana sass, nach denen sich augenblicklich alle Pleilspilzcn richteten. Die meisten der Weibchen hallen 18 — 24 Eier in den Ovarien. Als wir eben wieder einen gefährlichen Fall überstiegen, bemerkte einer der Indianer einen grossen Ameisenfresser, der zur Tränke an den Fluss getreten war. Das Corial war schnell dahin gelenkt, und die Jagd begann. Als das Thier die drohende Gefahr inne wurde, erklimmte es das Ufer und eilte der Savanne zu. Rasch ging es hinterdrein, wobei wir aber in der übertriebenen Eile sowohl das Gewehr, w ie jede andere Walle in dem Corial zurückgelassen halten. Bald war der Flüchtling von den schnellfüssigen Indianern ereilt, die ihn in Ermangelung jeder andern Waire mit Steinwürfen zu tödten suchten. Alle die Manöver, die ich schon bei frühem Gelegenheiten hatte kennen lernen, wurden auch hier von den ge- ängstiglen Thicre unter eigentümlich jammernden Tönen wiederholt, bis es end- lich von einem Steine tödtlich getroffen, zitternd einige Schritte vorwankte und todl BMTISCII-GUIANA. 375 zusanimenstürzte. Es war wieder ei» Weibchen, was mich von neuem in der Mei- nung bestärkte, dass diese Edentaten dem Aussterben nabe sind. Während unserer Jagd hatte mein Bruder an der Mündung des Camai-kariba oder Mntjcar , der sich auf dem westlichen Ufer mit dem Rapununi vereinigt, um hier zu übernachten, angehalten, da das dritte Corial, in dem sich Herr Finni und Goodall befanden, noch zurück war. Eben erschien es auf dem Scheitel der schon hinter uns liegen- den Stromschnelle, als es auch gedankenschnell wieder den Fall abwärts gerissen wurde und vor uns verschwand. In dem Augenblick, wo cs von der Strömung zurückgerissen wurde, sahen wir auch die Bemannung in den Strom springen und das Corial seinem unvermeidlichen Schicksal überlassen. Wir glaubten auch Fkyrr und Goodall demselben verfallen; — es war ein fürchterlicher Augenblick ! — bis uns der Anblick des unverletzten, ruhig schaukelnden Corials unserer Angst entriss. Die Geistesgegenwart Sorokeing’s und zweier anderer Indianer, die ihren Posten nicht verlassen, halten unsern Begleitern das Leben, und uns das Corial mit seinem Ge- päck gerettet. Noch deckte eine wahre Tod lenblässe die Gesichter unserer Freunde, als sie bei uns ankamen; sie hatten aber auch dem Tode näher als je gestanden. — Als sie den Scheitel des Falls erreicht, und den Strom kreuzen wollten, waren die Kräfte der Ruderer zu schwach, das Boot war einige Sekunden nicht von derSlelle zu bewegen gewesen, und als die Sehnen der Ruderer gänzlich erschlafft, von dem Strom wieder hinabgerissen worden. Der verderbenbringende Cataract, für den die Indianer keinen Namen hatten, wurde deshalb Fryeh’s Cataract getauft und unter diesen Namen in die Karte verzeichnet. Während der Nacht setzte der strömende Regen keinen Augenblick aus, und die steigende Fluth hatte am Morgen unser Lager ziemlich erreicht. Gegen acht Uhr des Morgens liess er etwas nach, und rasch brachen wir unser Lager ab, um unsere Reise forlzusetzen. Während dieser Zwischenzeit hatte mein Bruder eine kleine Erhöhung in der Nähe des Bivouaks erstiegen, von der wir ihn eilig zurück- kommensahen, denn hinter der Anhöhe halle er das Wasser sich gleich einer Mauer über die Savanne gegen uns heranwälzen sehen. In wilder Eile rissen wir daher die Zelte nieder, und warfen Gepäck und Leinwand wild untereinander in die Corials, noch ehe die lobende Fluth uns erreicht hatte. Es ist ein eigentüm- licher Anblick eine solche Wassermauer, die alles vor sich hinwälzt, was auf ihren vernichtenden Wegen ihrer Riesenkraft nicht widerstehen kann! Ein wildes Brausen und Toben, welches bereits während der Nacht das Ge- töse des fallenden Regens übertönt hatte, verkündete uns die Nähe des grössten Calaraets des Rupununi , des Cuta-tarua oder Triton der iVapisianns^ des Corta- tan oder der Corona der Portugiesen. Bald hatten wir den mächtigen Fall erreicht. Ein ungeheurer Granitwall durchsetzt das Flussbett in ostnordöstlicher Richtung, REISEN IN ;}/(> über den jetzt die wild empörte Wassermasse unter sinubeläubendem Getöse herab- stiirzte. Hatte die Höbe des Wasserstandes die Gefahr des Uebersteigens auch vielfach gemindert, so nöthigte uns die wilde Fluth doch die Corials auszuladen, das Gepäck dem Ufer entlang zu tragen und die Fahrzeuge an Seilen hinüberzu- ziehen. In der Nähe des östlichen Ufers traten eine Menge isolirte Granitmassen zu Tage, die sich durch eine Anzahl von zirkelförmigen Löchern, die die Oberfläche und Seiten derselben bedeckte, auszeichneten. Der Regen halte schon früher etwas nachgelassen, und bald fanden die Strahlen der Sonne ihren Weg durch die zerris- senen Wolken, die ich um so willkommner hiess, als ich schon seit mehren Tagen meine Sammlungen nicht halte ausbreilen können. Auch heute war dies eine Ar- beit, die ich mit blutendem Herzen verrichtete. Die Feuchtigkeit halle seit Aripai ihr Zerstörungswerk wieder in grossem Massstabe fortgesetzt. Namentlich waren ihm meine entomologischen und botanischen Sammlungen verfallen. Ein gleiches Loos hatten auch die Kisten mit den Tauschartikeln, als Kattun, Hemden, Mes- ser, Scheeren , Pulver u. dergl. gehabt. Alle Eisen- und Stahlwaaren waren mit einem dicken Rost überzogen. Alles wurde nun , um es vor dem gänzlichen Verderben zu schützen, auf den Felsen ausgebreitet und den Sonnenstrahlen preis- gegeben. Da mir diese Arbeit keine Zeit zum Skeletliren des Ameisenbären, den ich zu diesem Zwecke bis hierher mitgenommen hatte, übrig liess, so war ich leider genölhigt, dieses Geschäft den Aasgeiern auf einem der höchsten Felsenriffe zu überlassen. Ein grosser Baumstamm, der auf einem dieser höchsten Punkte des Ca- taraclendammes lag, zeigte, dass der jetzige Wasserstand noch keineswegs die Höhe erreicht, die er wohl dann nnd wann erreichen muss, da der Zwischenraum zwi- schen. dem jetzigen Flussspiegel und der Lagerslelle des Baumcolosses immer noch 15 Fuss betrug. Eine Schlange, die eben damit beschäftigt war, in der Nähe des Ufers einen für ihre Grösse doch etwas zu grossen Fisch hinunterzuwürgen, wurde mir dadurch zur leichten Beule. Es war Homalopsis angulatn (Schleg.). Die In- dianer halten sie für giftig, eine Eigenschaft, die sie oft selbst den unschuldigsten beilegen, weshalb man ihnen in dieser Hinsicht nur wenig Zutrauen schenken darf. Ich fing später noch mehre Exemplare dieser schönen Wasserschlange, deren glän- zend rölhliche Färbung, die die bräunlichen Flecken einschliessl, im Spiritus leider gänzlich verbleicht. Jenseits desCataracls fuhren wir an der Mündung des Purunaru vorüber, der sich von S.S.W. in den Rupununi ergiesst. Im Jahre 1838 hatte ihn mein Bruder als kleines Flüsschen kennen gelernt, jetzt halle er, in Folge des hohen Wasser- slandes, dieselbe Grösse, wie der Rupununi. Unmittelbar seiner Mündung gegen- über, ergoss sich auf dem östlichen Ufer der IVaipopo in seinen Ilauplslrom. Gegen f) Uhr erreichten wir den Fall Sarata. Auch hier zogen sich auf dem BRITISCH -GUIANA. 377 östlichen Ufer mächtige, oft 60 Fass hohe, zu Tage tretende Granitmassen landein- wärts, an deren Basis wir unser Lager aufschlugen. Von ihrem Scheitel hatten wir den herrlichen, während der Regenzeit so seltenen Anblick eines Sonnenunter- ganges. Die Sonne, begleitet von golden umsäumten Wolken, verschwand glühend hinter dem CV/\?«/o-Gebirge, dessen Abhänge bereits in einen grauen Nebelschleier eingehüllt lagen, während die scheidenden Strahlen noch lange seine Gipfel küssten. Es war ein reizendes Bild, reizender als es uns seil langer Zeit geworden war. Weit über das graue Nebelmeer erhob sich der östliche Gipfel des Saeraeri-Gtbiv- ges, und stolz schaute der düstere Dochlapan auf die Nebeldäche herab. In N. säumten noch dunkle Wolkenmassen den Horizont, die durch die eben in 0. aufsteigende, Mondscheibe nur noch schwärzer und dunkler erschienen. Hier herrschte Frieden, dort in N. w üthete noch der Regensturm , der schon über uns hingezogen war. In S.O. wurde die ungeheure Savannenfläche von dem Carawai- /«/-Gebirge begrenzt, das sich von N.O. gegen S.W. erstreckt. Nach der Be- hauptung der Indianer soll der Rupununi in diesem seinen Quellpunkt haben, während Herr Youd uns versicherte, dieser befände sich in einer ausgedehnten Sa- vanne, etwa 23 Miles südwestlich von IVatu-Ticaba. Das Carawaimi- Gebirge ist unstreitig die Sierra Tumucunaque unserer Karten. Von seiner Quelle schlägt der Rupununi anfänglich eine nordwestliche Richtung ein, bis ihn der Palighetika , der sich auf seinem westlichen Ufer erhebt, diese aufzugeben zwingt. Wenige Miles darauf bahnt er sich einen Weg durch wild aufeinander geschichtete Granitmassen, verzweigt sich dadurch in eine Menge Canäle, vereinigt sich dann wieder zu einem Strom, und stürzt sich nun als mächtiger Wasserfall über den eben erwähnten Granitgürtel von Cutatarua , der ungefähr 160 geographische Meilen von der Mün- dung entfernt liegt. Der ganze Lauf des Flusses beträgt ungefähr 220 geographi- sche Meilen. Die Quellen müssen unter 1° 50' Norderbreite liegen. Da er in seinem Verlauf beinahe einen Halbkreis beschreibt, so liegt seine Mündung mit der Quelle fast unter einem und demselben Meridian. Den geschlängelten Lauf des Flusses konnten wir von unserem Standpunkte aus weit durch die ungeheure Fläche hin verfolgen. Mit hungrigem Magen und der regen Hoffnung, dass die am Morgen uns vor- ausgeeilten Jäger beulebeladen im Lager eingetroffen sein würden, kehrten wir von diesem geistigen Genuss nach unserm Lager zurück. Unsere Hoffnung wurde heute erfüllt. Die Jäger hatten zwei stattliche Rehe heimgebracht. Eben so willkommen, wie wir diese Ausbeute hiesseu, hallen sie auch unsere Indianer geheissen, da be- i'eits am Morgen der letzte Rest unserer Provision ausgetheilt worden war. Ihr Hunger war so gross, dass sie das Fleisch gar nicht kochten, sondern auf Hölzer aufspiesslen und über dem Feuer rösteten , wobei uns zahllose Jnsecten und Am- II. Tlieil. 48 378 REISEN IN phibien ein tausendstimmiges Concert aufführlen, wie wir es ebenfalls lange Zeit nicht gehört hatten. So reizend aber auch der Abend gewesen, um so peinigender wurde uns die Nacht durch die schmerzhaften Stiche einer kleinen, fast möchte ich sagen unsichtbaren, schwarzen Simuiia. Alles Ginhüllen in unsere Hängematten blieb ein vergebliches Bemühen, den brennenden und schmerzlichen Stichen dieser Peiniger zu entgehen, da sie doch den gesuchten Weg zur Haut fanden. Die Haare konnten die Quälgeister ebensowenig von der Kopfhaut zurückhalten, auf der ihre Stiche fast unerträgliche Schmerzen hervorriefen. Dieses uns bisher unbekannt gebliebene, kleine Insect quälte uns bis zu Sonnenaufgang, und die Erinnerung an die qualvolle Nacht blieb uns noch mehre Tage in den dunkelrothen Hautdecken. Der angebrochene Morgen zeigte uns Himmel und Erde bedeckt; jenen mit düstern Wolken, diese mit dem Erzeugniss derselben. Der Fluss hatte sein Ufer gänzlich iiberfluthet und die Savanne in das Becken eines grossen Sees verwandelt, auf dem wir mit ungleich weniger Anstrengung unsere Reise forlsclzen konnten. Riesige Bäume, die der Strom des Beltes umgerissen, Säugelhiere, welche von der Ueber- schwemmung überrascht, Schlangen, Eidechsen, die der Fluth nicht hatten entflie- hen können, Freunde und Feinde des Thierreichs trieben an uns vorüber, und auf den Wipfeln der Laubbäume, der stattlichen Mauritia , sassen weisse Kraniche, Störche und andere Wasservögel und schauten auf das geliebte Element hinab, wäh- rend auf den Anhöhen, deren Höhe noch nicht von dem Wasser erreicht war, einige Rehe standen, oder in dem üppigen Grase lagerten , die sich vor dem Was- serlod hierher geflüchtet. Näherten wir uns einem solchen Zufluchtsort, dann sprang die scheue Versammlung auf, suchte die Flucht zu ergreifen, bis sie der W assersaum daran hinderte und sie unter beständigem Stampfen mit den Vorder- füssen, geängsligt nach uns zurückblickten, oder wohl auch einen Versuch mach- ten, in die Fluth zu springen, aus der sie jedoch schnell wieder nach dem trockenen Boden zurückkehrlen. Diese günstige Gelegenheit durften wir nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Zwei unserer Indianer schwammen mit Flinten bewaffnet, die sie miteiner Hundii her das W asser hielten, der einen Insel zu. Kaum aber hatten sie das Ufer erreicht, als die Rehe auch in wilder Hast in die Fluth sprangen und davon schwammen. Nur eins hatte sich in das hohe Gras gelegt, dem sich die beiden Jäger gleich der Katze ihrer Beule zu nähern suchten. Nach einiger Zeit erhob sich das geängsligte Thier wieder, schaute sich vorsichtig überall um, und da cs die Verfolger nicht bemerkte, fing es von neuem an zu grasen. Ein Schuss und ein verzweifelter Sprung des Thicrcs in die Luft sagte uns, dass die Jäger ihren Zweck erreicht. Unter Lachen wurden die zurückkehrenden Sieger willkommen geheissen und die Beute in das Uorial aufgenommen. BRITISCII-CUIANA. 379 Wurde an einzelnen Stellen der Savanne das Wasser für unsere Boote zu flach, so waren wir freilich genölhigl, nach dem Flusse zuriickzukehren, was je- doch immer mit einer Menge Schwierigkeiten verbunden war, da wir uns erst mit Axt und Waldmesser einen Pfad durch die dichte Uferumsäumung bahnen mussten. Tausende von Ameisen, die sich vor dem Wassertod auf die Bäume und grossem Sträucher geflüchtet, machten uns die Arbeit keineswegs zu einer angenehmen, da sie bei jedem Hiebe auch zuTausenden auf uns und in dieCorials fielen. Ungeachtet der Gewissheit, dieses Gehege abermals durchbrechen zu müssen, kehrten wir doch augenblicklich wieder nach der überfluthelcn Savanne zurück, sobald es die Tiefe des Wassers nur irgend erlaubte. Die auch hier sich noch über das Wasser erhe- benden Granitmassen waren mit zahlreichen Exemplaren der Gesneria Schoi/i- burgkii bedeckt, während die Ge/iipa Caruto an einzelnen Stellen die Felsen um- standen. Auf einem der Felsen schlugen wir unsere Frühstückstafel auf, wie wir zugleich unsere Böller lösten, um den an der Landungsstelle von IV atu- Ticaba, in deren Nähe wir uns nach der Aussage der Indianer jetzt befanden, wahrschein- lich versammelten Indianern unsere Ankunft zu verkünden. Am Nachmittag hatten wir uns dem JVaruwau oder Awarra , der sich aus N.O. her, einige Miles oberhalb des Flusses Tiviruau in den Rvpununi ergiesst, soweit genähert, dass wir auf einer kleinen Erhöhung, die sich nicht weit vom Ufer erhob, deutlich zwei Schutzdächer und mehre Indianer unterscheiden konnten. Unsere ganze Aufmerksamkeit aber zog eine Figur auf sich, die sechs bis acht Schritte von den übrigen entfernd stand, weiss gekleidet war, und, wie wir durch unser Perspectiv wahrnehmen konnten, mit einer rothen Mütze bedeckt war, wäh- rend sie in der rechten Hand einen grossen, aufgespannten Regenschirm hoch über ihren Kopf hielt, obschon eben so wenig Regen zu erwarten stand, wie die Sonne schien. Die sonderbarsten Vermuthungen drängten sich uns über die Persönlich- keit dieser sonderbar ausstatfirten Figur auf. Je mehr wir uns ihr näherten, um so genauer konnten wir auch den Anzug des statuengleichen Mannes mustern, an dem wir jetzt noch einen langen Stichdegen ohne Scheide entdeckten, der in einem breiten Leibgurt stak. So wie wir landeten, schloss die merkwürdige Person ihren Regenschirm, stieg die Anhöhe herab uns entgegen , wobei ihr die übrigen Indianer in respccl- voller Entfernung folgten. Alle unsere Vermuthungen, in dem Manne irgend wel- chen abenteuerlichen Europäer , oder sonst welche interessante Persönlichkeit zu finden, verschwanden, als wir in ihre unmittelbare Nähe kamen, und einen Indianer in ihr fanden, der sich uns als den Häuptling von fVutu-Ticaba zu erkennen gab. Jetzt konnten wir uns eines lauten Lachens über die sonderbare Metamorphose, die der eitle Indianer mit sich vorgenommen, nicht mehr enthalten, denn der alle 48 * 380 REISEN IN Mann sali zu lächerlich aus. Die langen Extremitäten der grossen, hagern Figur staken in einem Paar vor langer Zeit weiss gewesenen Matrosenhosen , die aber kaum die Waden bedeckten ; um die Lenden schlang sich, gleich einer Schärpe, ein grosses Stück blaues Zeug, durch welches der lange Stichdegen ohne Scheide gesteckt war, den Kopf mit seiner grossen Adlernase und seinem nicht minder grossen Munde, deckte eine rothe, wollene Mütze mit langer, gelber Quaste, und die rechte Hand hielt in stolzem Selbstgefühl den blauen Regenschirm. In dem Stichdegen begrüsste mein Bruder einen alten Bekannten, den er im Jahre 1837 auf seiner Reise nach der Quelle des Essequibo bei dem Häuptling Siruai, der ihn dahin begleitet, hatte kennen lernen. Siruai war gestorben, der scheidelose Degen dem ihm folgenden Häuptling Wayapari als Reichserbe anheim- gefallen, der dieses nun mit demselben Stolze, wie sein Vorgänger trug. Den Re- genschirm hatte sich Wayapari von einer Reise nach dem untern Corentyn , den er vermittelst der Portage Vrimrose zu Wasser erreicht hatte, mitgebracht, wo er ihn bei einem Holzhändler gefunden und von diesem erhandelt, da er sein gan- zes Herz gewonnen hatte. Den ursprünglichen Griff, den er vor einiger Zeit ab- gebrochen, hatte er durch den Gabelzweig eines Astes ersetzt ; da aber weder er, noch seine Untergebenen den Zweck des Instrumentes kannten , so stieg der auf seinen Besitz unendlich stolze Herrscher bei jeder feierlichen Gelegenheit, voraus- gesetzt, dass es nicht regnete, damit herum. Seine Begleiter waren schöne, robuste, männliche Gestalten, wie ich sie schon häufig unter den IVapisianas gefunden, mit regelmässigen Gesichtszügen, und kühn gebogener Adlernase. In der durchbohrten Unterlippe trugen sie eine Art Zapfen, von Holz oder Knochen ; in den Ohrläppchen y2 Fuss lange, gerundete Stäbchen, die an dem einen Ende mit Federbüscheln verziert waren. Den durch unsere Bolen ausgesprochenen Wunsch, uns Lebensmittel nach der Landungsstelle an der Mündung AcsIVaruwau zu bringen, hatten sie in überreichem Masse erfüllt, da wir nicht nur eine bedeutende Quantität Cassadabrod , sondern auch eine Menge Yams , Bananen und Ananas vorfanden, die wir ohne Verzug unter unsere hungrigen Begleiter vertheillen. Nachdem uns Wayapari diesen Vorrath übergeben, zog er sich unter eins der Schutzdächer zurück, entledigte sich seines Staates, wickelte diesen sorgfältig summt dem Schirm und dem Stichdegen ein , und kehrte dann in seinem natür- lichen Coslüm zu uns zurück. Da die Bewohner fyatu-Ticabas noch nie solch grosse Fahrzeuge gesehen, so erregten die unsern ihre volle Verwunderung, noch mehr aber nahmen diese unsere Böller in Anspruch, die wir zu ihrem unendlichen Jubel mehrmals abfeuer- ten. Unsere Zelle waren schnell auf der kleinen Erhöhung aufceschlugen , und BRITISCH* GUIANA. 381 eben so schnell loderten eine Menge Feuer empor, um die sich die braunen Gestal- tenlagerten und sich ihre Pisangfriichte rösteten. Der Abend war eben so reizend, wie der v orhergehende. Nach Sonnenuntergang war der ganze Himmel mit einer tiefen Bläue überzogen, die gegen den westlichen Horizont hin in ein noch tieferes Purpurrolh überging. In naher und ferner Umgebung stimmten wieder sichtbare und unsichtbare Amphibien und Insecten ihr tausendstimmiges Abcndconcert an, und Millionen phosphorescirendelnsecten erhoben sich von der feuchten, aber noch nicht von der Fluth erreichten Sav anne, und durchfurchten in zuckenden Blitzen oder phan- tastisch verschlungenen Windungen und Kreisen die blaue Luft. In solcher Anzahl hatte ich diese Thierchen noch nie gesehen ; die Jahreszeit und die sumpfige Fläche mochten einen namhaften Einfluss auf die Entwicklung derselben ausüben ; aber auch die peinigenden , quälenden Angriffe der kleinen schwarzen Simulia nahmen hier so überhand, dass uns die Peiniger aus den Hängematten trieben, und uns bis zum Morgen zu einem ununterbrochenen Umherlaufen nöthigten. Wahrlich, Worte reichen kaum hin, die Qualen zu beschreiben, die wir von diesem bösartigen Ge- schöpfe zu erdulden hatten ! Ihre Zahl war so gross, dass sie selbst eine astrono- mische Beobachtung unmöglich machten. Trübe und düster brach der heiss ersehnte Morgen an, wo wir in dem Bade wenigstens etwas Linderung gegen die brennenden und juckenden Wunden lan- den. Gegen acht Uhr arbeitete sich doch auf Augenblicke die Sonne durch die dunkeln Wolkenschichten, und warf dann ihre zauberhaften Schlaglichter auf die üppigen Umgebungen unseres Lagers. Grosse Heerden Aasgeier kreisten in stol- zem Fluge hoch in der Luft, um in dem Augenblicke, wo wir unser Lager verlas- sen haben würden, auf dieses niederzustürzen. Die meteorologischen Beobachtungen an der Mündung des fVaruwau , 432 Fuss über dem Meere, ergaben folgende Besultate: Thermometer. Datura. Stunde. Barometer. Bemerkungen. Angefügtes. Freies. Angefeucht. 14. Mai. P. M. Zoll 0 0 P Schönes VVet- 4. 30 29. 575 86 86. 4 79 ter. Der Him- mel theihveise 5 29. 570 86. 90 87. 6 80 bewölkt. Sechs Uhr ein kleiner 6 29. 571 77 77 75 Regenschauer. G. 30 29. 590 77 77 75 7. 15 29. 602 76. 82 77 75. 2 3S2 REISEN IN Zwei Miles oberhalb der Mündung des Waruwau mündet sieh, ebenfalls am östlichen Ufer, der Bakurun in den Rupununi , der eine zweite Wasserstrasse nach )Vatu-Ticuba geben würde, aber wegen seiner häufigen Cataraete unbefahrbar ist. Da wir uns auf dem fVaruwau oder Awarra IValu- Ticaba um mehre Miles nä- hern konnten, so begannen wir diesen, ungeachtet der zahllosen Schwierigkeiten, die sich uns entgegenstellten, aufwärts zu fahren. Nur mit Hülfe der Axt war es möglich, den Booten eine kümmerliche Fahrstrasse zu klären. Brüderlich ver- schlangen dieBäume der beiden Ufer ihre Arme in einander, und verwehrten in die- sem dichten Gewebe von Zweigen und Wipfeln selbst dem neugierigsten Sonnen- strahl den Weg. Schlingpflanzen, Orchideen und Farrn bedeckten in seltener Ucp- pigkeil die alten Stämme mit einem tropfenden Filz, während die jungen, zarten, rosenrothen Blätter der Elisabetha coecinea die dunkle Belaubung freundlich unterbrach. Die reifen Früchte einer Eugenia, die nach Grösse und Geschmack viel Aehnlichkeit mit unserer schwarzen Süsskirsche hatten, boten uns Europäern ein seltenes Labsal. Die Indianer sammelten dieFrüehle der Maurilia flexuosa , die überall, wo die Savanne bis an das Ufer heranlrat, diese in malerischen Gruppen be- deckte. Bald gehörte cs zu den Unmöglichkeiten, mit den Booten weiter vorzu- dringen ; ein unübersteiglicher Cataract rief uns schon aus der Ferne sein donnern- des: «Bis hierher und nicht weiter!» zu. An der Stelle, wo sich der Landweg nach dem Dorle abzweigte, landeten wir, und fanden hier den Häuptling, der mit seinen Leuten schon mit Tagesanbruch den Weg über die Savanne angetreten, auf uns warten. Zahllose, oft 80 — 100 Fuss hohe Granitfelsen, die in den bizarrsten und wunderlichsten Formen aufeinander gelhürmt waren, umkränzt von Clusien , Ges- nerien, Orchideen, Tillandsien , Cactus und Melocactus, durchkreuzten den Fluss und die Savanne nach allen Richtungen hin. So sehr mich dieses pittoreske, wun- derbar schöne Landschaftsbild anzog, so durchrieselte doch ein förmlicher Schauer meinen ganzen Körper, als ich unter der üppigen Vegelationsfülle auch jene gefähr- liche brennende Pflanze, Cnidoscolus Marcgravii, bemerkte, die mir am Zuruma so schmerzhafte Stunden verursacht hatte. Hier schienen ihre gefährlichen Eigen- schaften selbst jede andere Pflanze aus ihrer Nähe vertrieben zu haben, da sie das Terrain, auf welchem sie auftrat, allein einnahm. Nachdem wir unsere Boote aus- geladen und das nölhige Gepäck zum Landtransport eingerichtet, war auch die Nacht, und mit ihr wieder ein heiliger Regen hereingebrochen, der bis elf Uhr des folgenden Morgens anhielt. Der Tagesanbruch brachte uns noch mehre Bewohner von fVatu- Ticaba, die uns heim Transport unseres Gepäcks behülflich sein wollten. Da ich von hier wieder nach der Colonicsladl zurückkehrtc , so halten wir auch gestern schon ein sicheres Schutzdach errichtet, unter dem ich meine Samm- BlilTlSCII-CUIANA. .383 Jungen und andere Gegenstände, die wir während des Aufenthaltes in dem Dorle nicht brauchten, zurückliessen. Gegen den Hegen war gesorgt, vor Diebeshänden wussten wir sie eben so sicher, wenn nicht sicherer, als in dem festesten Lager- haus. Gegen elf Uhr traten wir den Weg nach dem Dorfe in hellem Sonnenschein an. Die gigantischen Granitmassen wurden jetzt zu mächtigen Meilern, denn kaum halte die Sonne ihre sengenden Strahlen auf die durchnässten Steinmassen ge- worfen, so stiegen auch dichte Dampfwolken von ihnen auf, die den ganzen Um- gebungen einen höchst eigentümlichen Charakter gaben. Dieses interessante Phä- nomen halte ich auch früher schon mehrmals nach starken Thaunäehten beobachtet. Als sieh unser Zug in Bewegung gesetzt, erschien der Häuptling Wayapaiii in vollem Galaanzug aus dem nahen Gebüsch, und führte die lange Reihe an. Kaum aber hatten wir eine Stunde Weges zurückgelegl, als sich wieder ein heftiger Re- genguss einslcllte, und Wayapari jetzt nichts eiliger zu thun hatte, als seine Klei- der auszuziehen und summt dem Regenschirm sorgfältig einzupacken. Der Weg führte uns bald darauf durch Mauriliasümpfe, in denen uns der Morast oft bis unter die Arme reichte, dann über Anhöhen, die mit kleinen, scharfkantigen Quarz- und Granitstücken bedeckt waren und von Bergfliisschen durchfurcht wurden, die der anhaltende Regen freilich zu reissenden Bergslrömen umgewandelt halte, weshalb ihr Durchkreuzen noch schwieriger, als das Durchwaten der Moräste war. Hier und da stürzten sie sich über die schroffen zu Tage tretenden, rölhlichen Granil- massen und bildeten malerische Cascaden. Hätten wir in dem allen Häuptling nicht einen zu guten und sicheren Führer gehabt, der heutige Tag würde manch ernst- lichen Unglücksfall in seinem Geleite gehabt haben, und dessen ungeachtet hätten wir doch bald den Tod eines unserer Träger zu beklagen gehabt. Eben durchkreuzten wir wieder einen der zahlreichen Slurzbäche, als wir vor uns einen Knaben, der einen Korb auf dem Rücken trug, von der Strömung umwerfeu, und dem nahen Cataract zureissen sahen. Alle seine Bemühungen, sich der schweren Last , die jede Bewegung hinderte, zu entledigen und über dem Wasssr zu bleiben, waren vergeblich — er sank! In diesem Augenblicke stürzte sich aber auch sein Bruder, der bereits das jenseitige Ufer erreicht hatte, in den Strom, tauchte unter, fand den seinem unvermeidlichen Tode enlgegengerissenen Bruder auch nur noch wenige Fusse vor dem Scheitel des Falles auf, und brachte ihn mit unendlicher Mühe nach dem Ufer. Unser Marsch war heule eben so ermüdend als gefährlich, und schon näherte sich die Sonne dem Horizonte, noch aber war nichts von ff' atu-Ttcaba zu sehen. Seit den letzten sechs Stunden waren wir ohne zu rasten und zu ruhen, rasch lort- geschritten; die wildromantischen Umgebungen, die anmulhigen Fernsiehleu hatten uns unsere Ermattung vielfach vergessen lassen. Südlich von uns erhob sich der 384 HEISEN IN Berg Tambaro, der wieder von dem Carawnhni- Gebirge überragt wurde, indessen uns der Pfad an der südlichen Basis des Berges Havghetika vorüberführle. Unter dem lieblichen Flor der Savanne fand ich auch eine neue Species Mcisneria , die Meisn. glabra (Klotsscb ) : auf den Felsen, die in der Savanne zu Tage traten, das Cyrtopodium Andersonn in einer Höhe von 5 — 6 Fuss. Freie Savanne wech- selte mit niederem Gebüsch, waldigen Oasen und Gruppen üppiger Mauriliapalmen. Als wir eben einen bewaldeten Hügel emporstiegen, trat unser aller Häuptling in ein nahes Gebüsch, aus dem er in vollem Costüin, den Degen an der Seite, den ange- spannten Regenschirm in der Hand , wieder heraustrat und seinen Platz an der Spitze der Reihe einnahm. Sein Sohn, der dem Vater unmittelbar folgte, be- gann eine eigene Melodie auf seiner Knochenpfeife zu blasen, das sicherste Zeichen, dass wir uns der Niederlassung näherten. Noch hatten wir die Höhe nicht erreicht, als eine lange, geisterhaft hagere , schwarze Gestalt mit schneeweissem , kurzem Wolllmar über dieselbe auf'uns zugeschritlen kam, den Häuptling, ohne uns eines Blickes zu würdigen, begrüsste und dann seinen Platz unmittelbar hinter Wayapari einnahm. Von dem Scheitel der Anhöhe sahen wir die Niederlassung sich längs dem Saum einer grossen Oase zwischen pittoresken Granitmassen hinziehen. Re- ges Leben entwickelte sich zwischen den Felsenmassen und Hütten, als man uns von dort bemerkte. Mit aufgespannlem Regenschirm schritt Wayapari an den versammelten Grup- pen vorüber, auf eine grosse Hülle, das Fremdenhaus, zu, wo er sich auf einen Sessel niedcrliess, und uns, während der ergraute Neger kerzengerade, bewegungs- los hinter ihm stand, in einer langen Rede willkommen hiess. So wie er geendet, begannen die ältesten Männer der Niederlassung ihre Beredsamkeit zu entwickeln. Die Frauen standen, wie gewöhnlich, in Gruppen entfernt von dem Fremdenhause, Da ich von diesen endlosen Reden soviel wie gar nichts verstand, sie aber des- senungeachtet ruhig mit anhören musste, so vertrieb ich mir die Langeweile damit, dass ich meine Augen im Kreise umherwandern liess. Die unendlich hagere Ge- stalt des Negers, die um so geisterhafter erschien, als sie nur mit einem Lenden- schurz bekleidet war, das kurze, schnceweisse Haar, die grossen, übermässig ab- stehende Ohren, dies alles zusammen gab mir hinlänglichen Stoff zu dem lebhafte- sten Gedankenspiel, bis ich bei dem endlichen Schluss der ceremoniellen Rede darin mit mir übereingekommen war, der alte Bursche gleiche mehr einem mythischen Satyr, als einem Sohne der heissen Küste Afrika’s. Die Niederlassung fVatu-Ticuba zählte 5 grosse, kuppelförmige Hütten und 58 Bewohner. Das Fremdenhaus, das geräumigste, dasich bisher noch gesehen, war auf das sorgfältigste gereinigt, und mit einer unzählbaren Menge Alfen-, Schweine-, Reh- und grossen Schildkrötenschädeln nebst Fängen grosser Baubvögel BRITISCH-GUIANA. 385 u. dergl. ausgesehmückt. Unser Gepäck, das elwas früher, als wir angekommen war, fanden wir in dieser bereits auf einer Art Stellage aufgestellt. Wie mein Bruder in dem Häuptling einen neuen Beherrscher gefunden, so fand er in dem Dorfe auch das früher besuchte nicht wieder. Nach dem Tode sei- nes alten Bekannten war das Dorf niedergebrannt, und etwas weiter gegen S.O. ein neues aufgebaut worden. So wie die Eliquette es dem alten Neger erlaubte, seinen Platz zu verlassen, war er auch an unserer Seite, um uns in gebrochenem Portugiesisch zu bewill- kommnen, und uns zugleich seinen Lebenslauf mitzulheilen. Vor ungefähr 40 Jahren war er der Sklaverei am Rio Negro entsprungen, hatte sich unter den IV a- pisianas niedergelassen , später eine Indianerin geheiralhet und mit dieser einen Sohn gezeugt, der in einer der nahen Niederlassungen lebte und sich ebenfalls eine fVnpisiana zur Frau genommen. In dem Sohn, den wir am andern Tag sahen, war der Negertypus noch vorherrschend, nur dass seine Haut eine hellere Färbung hatte, die Stirn sich weniger zurückgedrängt zeigte, und die Lippen beiweitem nicht so wulstig waren; die Haare kräuselten sich erst nach den Spitzen hin. Bei seinen beiden Kindern, Knaben von 8 und 4 Jahren, die er mit sich brachte, war die Bildung ihres Grossvaters selbst in den geringfügigsten Kleinigkeiten nicht mehr herauszufinden; sie waren ganz Indianer. Wie lebhaft die Erinnerung des alten Negers an die einst genossenen geistigen Getränke sein musste, verrieth der blosse Anblick eines Glases Rum, der ihn in eine solche körperliche Aufregung versetzte, dass er kaum das Drittel desselben unverschüttet an die Lippen brachte. Seine Hände zitterten wie Espenlaub, als w ir es ihm reichten, und als er den zurückge- bliebenen Rest getrunken, rieb er die mit dem verschütteten Inhalt genässten Hände im ganzen Gesicht herum. IVatu-Tieaba liegt unter 2° 32' 2" Norderbreite, umgeben von lieblichen An- höhen, zwischen massenhaften Granitfelsen, die oft zu einer Höhe von 100 und 150 Fuss in den sonderbarsten Formen zuTage treten, und welche fast durchgängig von einer dichten, üppigen Vegetalionsfülle umkränzt wurden. Herrliche Orchideen , namentlich Cyrtop odium , Schomburgkia , Cnttleya , Stnnhopea , Epidendrum , Bromclien, Agaven und Gesnerien deckten die Spalten und Vertiefungen , in denen sich etwas Erde gesammelt. Riesige, candelaberartige Cactus, überfüllt mit ihren schönen, rolhen, lachenden Früchten, umringten meistentheils die Basis dieser Colosse. Die furchtbaren Widerhaken der Bromclien verwehrten uns sogar bei vielen der Felsen das Besteigen. Unter den Waldbäumen zeichneten sich vor allen die mächtige Lecythis mit ihrem sternförmig ausgebreiteten Wurzelhalse, und ihrem wahrhaft colossalen Stamme aus. Ihre Zweige waren bis zum Brechen mit den grossen Deckelkapseln überladen, und hielten durch die Befürchtung, dass eine der- II. Theil. 40 REISEN IN .'{.SG selben dem sorglos darunter Hingehenden auf den Kopf fallen möchte, jeden in respeetvoller Entfernung. Ausser diesen war noch eine Menge Bäume aus der Fa- milie der A nona c von vorherrschend. W avapari versprach uns mit soviel Proviant als wir nur irgend brauchten, aus den reichen und ausgebreiteten Provisionsfeldern zu versorgen, und ebenfalls auch die Indianer des westlichen Ufers des Rvpununi mit unsern Wünschen bekannt zu machen, von denen sie durch dieUeherschwemmung vollkommen abgeschnitten wa- ren. Unter den üppigen Erzeugnissen der Provisionsfelder erregten besonders die Ananas unser volles Erstaunen, da wir hier Früchte von 14 — 16 Pfund Schwere fanden, die, trotz dieser Grösse, doch nichts von ihrem Aroma verloren hatten. Die ganze weibliche Bevölkerung war jetzt inThätigkeit, um unsere Wünsche und die Befehle des Häuptlings auszuführen; selbst die kleinsten Mädchen mussten bei dem Waschen, Reinigen und Reiben der Cassadawurzeln mit behülflich sein. Wie ich schon früher erwähnte, stehen unter den JVapisianas die Männer in Be- zug auf Körperschönheit weit über den Frauen; Mayori Eppong aber war schön wie ein junger Maimorgen , und nie habe ich eine zierlichere, ebenmässigere Figur gesehen ! Bei einer Grösse von 41/.- Fuss betrug die Breite ihres Fusses 28/10 Zoll. Mayori Eppong war kaum 13 Jahre und doch schonMutter eines niedlichen Mädchens von einigen Jahren. Wie früh die JVapisianas heiralhen, bewies eine andere India- nerin, welche schon zwei Kinder besass, und ebenfalls kaum 13 Jahre alt sein konnte. Einen charakteristischen Ausdruck erhielt das weibliche Geschlecht der JVapisianas durch mehre elliptische Linien, die um denMund herum lältowirt waren, wie ich dies auch wohl schon hin und wieder bei andern Stämmen, bei keinem aber noch so.Jlge- mein, wie bei den JVapisianas gefunden halte. Unter ihren Schmucksachen zogen besonders grosse Halsketten aus Saumen mein Interesse auf sich, die den angenehm- slen Geruch um ihre Trägerinnen verbreiteten. Es waren die Saamen einer Logu- minose , des Myroxylon Toluifera. Auf meine Fragen nach dem Standort des Bau- mes wurde mir zur Antwort, dass er zwei Tagereisen von hier in grosser Menge wachse. Leider konnte ich mich nicht selbst davon überzeugen, da aber die Saamen noch ganz frisch waren, so konnte ich um so weniger Zweifel in die Angabe setzen. Es wäre dies daher ein zweiter Standort dieses so interessanten Baumes, der bis jetzt nur in Neu-Granada gefunden worden ist. Die Indianer beschrieben ihn mir als einen ganz ansehnlichen Waldbaum. Die Nachricht, dass Paranaghirris angekommen, hatte sich auch hier schnell verbreitet, und schon am Tage nach unserer Ankunft versammelten sich eine Menge Indianer aus andern Niederlassungen um uns. Mil diesen kam auch ein zweiter Npirer mit seinen beiden Töchtern, der sich ebenfalls durch die Flucht der Sklaverei BIUTISCH-GU1ANA. 387 entzogen hatte und von den Wapisianas aufgenommen worden war ; eine auffallende Abweichung von dem Hasse , den ich sonst unter allen übrigen Indianerstämmen gegen die Neger verbreitet fand. Unser Besuch war ein höchst intelligenter und tüchtiger Mann, der ungeachtet seines jahrelangen Umgangs mit den Indianern doch das Portugiesische noch vollkommen geläufig sprach, und zugleich ein alter Bekannter meines Bruders, den er mit seiner ältesten Tochter, einem damals blü- henden Mädchen , die diesem jetzt als eine sieche, hinwelkende Gestalt entgegen- trat, in Pirara besucht halte. Als mein Bruder den Vater nach dem Grunde dieser Veränderung frug, theilte dieser uns mit, die Rache eines Macusi sei daran schuld. Seine Tochter habe bei ihrem damaligen Besuch in Pirara einen reichen Perlen- schmuck besessen, der den Neid und das Verlangen eines Macusi erregt. Der Macusi habe das Mädchen gebeten, ihm den Halsschmuck zu schenken, oder gegen etwas anderes zu vertauschen; beides sei von seiner Tochter ausgeschlagen wor- den, und bald habe das Mädchen gefühlt, dass sich jener bitter gerächt, dass er ihr ein langsam wirkendes Gift beigebracht. Seit jener Zeit sei sie mehr und mehr abgefallen, und ihre Krankheit habe sich mit jedem Tage gesteigert. Die IV api- sianas halten die Macusis für die gefährlichsten Giftmischer und Kanaiinas. Jede Krankheit, ja selbst jedes Unwohlsein wird von ihnen der Bosheit der Macusis zu- geschrieben. Ausser dem Neger und seiner Tochter zog unter den sich um uns versammelnden Indianern besonders eine greise Frau unser ganzes Interesse auf sich, denn sie war «die letzte ihres Stammes«, ein ergreifendes Bild menschlicher Schwäche und Hinfälligkeit. Miaha grüsste keinen ihrer Stammverwandten am Morgen, konnte den lauschenden Enkeln nicht die Grossthaten ihrer Väter erzäh- len, denn Enkel und Väter waren vor ihr in’s Grab hinabgestiegen; schon längst weidete das Beh auf den Grabhügeln der Amaripas , und die zitternde Stimme Mia- ha’s, der schwankende Schritt ihrer Füsse verrieth, dass man bald von diesem einst so mächtigen Stamme sagen würde: er war! Je weiter dieser Stamm von der Küste entfernt lebte, je weniger er mit den Europäern in Berührung kam, um so aulfallender musste uns sein Aussterben erschei- nen, und fast möchte man behaupten, dass all diese Stämme, als Bace, von der Vorsehung nur für einen beschränkten Zeitraum auf der Erde zu leben bestimmt seien. Die Erfüllung ihrer Zeit scheint sich im Norden und Süden des mächtigen Erdtheils mit raschen Schritten zu nahen; in wenigen Jahrhundei len werden ihn Weisse und Neger, die in ihm ein neues Vaterland fanden, unbestritten allein be- wohnen ; — die schauerliche Geissei, die Pocken, wird diese Zeit noch um vieles abkürzen ! M iaii a schien ungefähr 60 Jahre zu zählen. Weder der Kummer um ihre vorangegangeuen Stammgenossen, noch die Reihe der Jahre, die an ihr vorüber- 49* 388 REISEN IN gegangen, halte ihr langes Haar bleichen können; — in derselben Fülle deckte es noch, wie in ihrer Jugend, den jetzt hageren Nacken, die fleischlosen Schultern und verlieh dem greisen, ehrwürdigen Gesicht mit der kühn gebogenen Adlernase einen eigentümlichen Ausdruck. Die Amaripas waren ein Bruderstamm der Wapisianas und Atoi'ais, was die ganze Gesichts- und Schädelbildung, wie der jüdische Typus deutlich verkündete, und sie bewohnten das TWra/w-Geblrge, wo der Fuss desselben von dem Fluss Wampuna bewässert wird. Miaha erinnerte sich noch ganz wohl der weissen Leute, die vor vielen Jahren von der Küste zu ihnen gekommen (im Jahre 1811 sandte der damalige Gouverneur von Georgetown eine Commission nach dem Innern, wozu der berüchtigte Mahanarwa die Veranlassung gegeben hatte). Damals habe der Stamm so viel streitbare Männer gezählt, als zwei Menschen Finger und Zehen besässen. Wie die Amaripas , so haben auch die Alorais oder Atoryas und Daurais den Abend ihres Lehens als Volk erreicht. Kaum waren sechs Jahre vergangen, dass mein Bruder diese beiden Stämme auf seiner Reise nach der Quelle des Esscquibo besucht, und schon waren ihreNiedcr- lassungen verschwunden. Von den ersteren lebten nur noch sieben Individuen, die vereint eine Hütte bewohnten; von den letztem nur noch zwei erwachsene Perso- nen und einige Kinder. 1837 hatten die beiden Stämme noch 200 Stammgenossen gezählt! Die Alorais sind der einzige Stamm in Britisch-Guiana, der seine Todten verbrennt und die Asche begräbt. Demselben Schicksal sind die Tarumas verfallen. Sie bewohnten den obern Esscquibo mit seinen Zuflüssen , den Cuyuwini und Yuawauri. Nach einzelnen dunklen Sagen scheinen diese früher den Rio Negro bewohnt zu haben. Ein Theil derselben wurde dort von den portugiesischen Missionen bekehrt, während der an- dere sich dadurch bewogen liihlle, seine allen Wohnsitze aufzugeben, die Ufer der Flüsse aufw ärts zu steigen, die in der Sierra Acarai entspringen, und sich in dem Quellgebiete des Esscquibo niederzulassen. Unter den Bekehrten , die am Rio Negro zurückblieben, wüthete der Tod mit solcher Gewalt, dass sie bald ausslar- ben, weshalb Herr v. Marti us, dem diese Theilung des Stammes unbekannt blieb, die Tarumas schon zu den ausgestorbenen Stämmen zählt. Die erste Nachricht, dass sich in dem Quellgebiete des Esscquibo und an den Ufern des Cuyuwini ein fremder Indianerstamm niedergelassen, wurde durch den berüchtigten Kaziken der Caruiben, Mahanarwa, nach der Colonie gebracht. Seine Berichte über diese bis- her unbekannten Indianer waren so fabelhaft und sonderbar, dass sie das allge- meinste Interesse erregten. Nach ihnen mussten die Tarumas mehr Amphibien, als Menschen sein, denn sic lebten in Höhlen unter dem Wasser und flohen die Nähe jedes Menschen. Mein Bruder war im Jahre 1837 der erste Europäer, der diesen Stamm besuchte, und die Niederlassungen desselben aufländ, bei dem sich besonders BRITISCH-GUIANA. 389 die Weiber durch ihre Hässlichkeit und ihren unbeschreiblichen Schmutz auszeichne- ten. Ausser einem kleinern Kopf, stimmen sie in ihrem Körperbau ganz mit den übri- gen Indianern überein, um so mehr aber weicht nicht nur ihre Sprache selbst, sondern auch die Aussprache der Worte von der der andern ab. Die Tururnas stehen we- gen der guten Dressur ihrer Jagdhunde in allgemeinem Ruf unter den Slämmen des Innern. Auch ihre Schamschürzen, ihre Reibebreter (Simari) sind berühmt. Ein dritter Nachbarstamm der IVapisianas sind die IVoijawais , der sich bis zu den Nebenflüssen des Amazonen- Stroms verzweigt. Dieser Stamm stellt na- mentlich der Harpyia destructor wegen der strausartigen Federn nach, und soll, da sie als geschickte Jäger bekannt sind, am meisten zur Verminderung dieses herr- lichen V ogels beigetragen haben, der sich früher in grosser Anzahl in dem Quell- gebiet des Essequibo aufhielt. Den dritten Tag nach unserer Ankunft wurde die Bevölkerung IV atu- Ticaba' s um einen jungen Weltbürger vermehrt. Einige Minuten vorher war die Mutter, mit ihrem Erstgebornen auf dem Arme, noch in unserer Hütte gewesen, und kaum eine halbe Stunde darauf erschien sie mit ihrem neuen Säugling, den sie in dem nahen Gebüsch ohne alle Beihülfe geboren, in ihrer Hütte, die unmittelbar an das Fremdenhaus grenzte. Hier setzte sie sich auf die Erde, legte ihren Säugling auf den Schoss, und harrte, bis ihr Mann einen kleinen Verschlag aus Palmenblättern über sie aufgebaut. Der übrige weibliche Theil der Bevölkerung hielt sich, nach- dem ihr zwei Weiber ein Feuer angezündet, und einige Trinkschalen mit Wasser in ihre Nähe gestellt, so fern als möglich von ihr, denn sie wurde für einige Tage als unrein betrachtet. Als der Verschlag beendet, hing der Ehemann sowohl seine Häng ematte, als auch die der Frau darin auf, und beide Ehegatten legten sich nie- der, um die Wochen, wie die Macusis zu halten. Das Kind war klein, aber eben so weiss, wie ein neugeborner Europäer, der Kopf bereits mit dichtem Haar be- deckt; die Nasenlöcher waren ungemein dick, die Nägel wohl geformt. Noch bei keinem Stamme war der Widerwille gegen das Fleisch europäischer Schweine so scharf hervorgetreten, wie bei den IVapisianas. Der gewissenhafteste Jude kann keinen grossem Horror dagegen hegen , wie dieser Stamm. Ein alter IVapisiana , dessen beide Knaben uns von Torong-Yavwisc nach dem Rorawta begleiteten, erlaubte dies nur unter dem festen Versprechen, dass wir diesen nie Schweinefleisch, wie überhaupt keine von unserm Koch bereiteten Speisen reichen wollten, da in einem der Töpfe jenes unreine Fleisch gekocht worden sein könnte, und in fVatu-Ticaba w'urde das Unwohlsein eines kleinen Mädchens, das unserm Koch Adams behülflich durch Herbeitragen von Wasser und Holz zur Hand ging, nur der Verniuthung schuld gegeben, dieser habe dem Kinde Schweinepökelfleisch zu essen gegeben. 390 REISEN IN Besonders viel Vergnügen machte mir unter den zahlreichen, zahmen Thieren, die ich in IVatu-Ticaba fand, einPfefferfresser (Rhamphastos erythrorhynchus ), der sich zum unbeschränkten Herrscher nicht allein des gesummten Geflügels, sondern selbst der grösseren Vierfüssler emporgeschwungen hatte, unter dessen eisernem Scepter sich willig gross und klein beugte. Wollte sich Streit unter den zahmen Trompetenvögeln, Hokko -Hühnern, Jacus und andern Hühnern entspinnen, ohne Zögern eilte alles auseinander, so wie sich der kräftige Tyrann nur sehen Hess ; war er in der Hitze des Zankes nicht bemerkt worden, einige schmerzhafte Bisse mit seinem unförmlichen Schnabel belehrten die Erhitzten, dass ihr Herrscher kei- nen Streit unter seinem Volke dulde. Warfen wir Brod oder Knochen unter den dichtesten Haufen, keiner der zwei- und vierfüssigen Unterthanen wagte auch nur das kleinste Stück aufzuheben, bevor sich jener nicht so viel ausgesucht, als er für nöthig hielt. Ja, seine Herrschsucht und Tyrannei ging so weit, dass er alles Völ- kerrecht aus den Augen setzte, und jeden fremden Hund, der vielleicht mit den aus der Nachbarschaft herbeieilenden Indianern ankam, unbarmherzig fühlen Hess, was in seinem Reiche Rechtens sei, indem er diesen biss und in dem ganzen Dorfe her- umjagte. Die gequälten Unterthanen sollten noch am Tage vor meiner Abreise von diesem Tyrannen befreit werden. Ein grosser Hund, der am Morgen mit sei- nem Herrn angekommen, und zu mehren Knochen, die Adams vor die Hütte warf, eben soviel Recht, wie derhab- und herrschsüchtige Pfeffer fresser zu haben glaubte, setzte sich ruhig in Besitz derselben ohne erst abzuwarten, ob sie dem in der Nähe sitzenden Vogel gefällig sein könnten. Kaum war dies aber von diesem be- merkt, als er auch zornig auf den Frechen sprang und den Hund einigemal in den Kopf biss. Der Gezüchtigte fing an zu knurren, der Vogel liess sich dadurch nicht abschrecken und ohne Erbarmen hackte er mit seinem ungeschickten Schnabel auf den Frevler los, bis dieser sich plötzlich herumwandle, nach dem erzürnten Vogel schnappte und ihn so in den Kopf biss, dass er nach kurzer Zeit starb. Das Thier dauerte uns ungemein, da es wirklich mehr als lächerlich aussah, wenn er sich selbst vor dem grössten Hund nicht fürchtete, oder einen andern kleinern ungehorsamen Unterthan nachdrücklich zur Ruhe verwies. Zu der letzten Klasse dieser gehörte namentlich ein Nasenthier(7Vdr.v«ß socialis), das so zahm war, dass es seiner Herrin wie ein Hund auf jedem Tritt und Schritt folgte. Die Indianer nannten es Quasi oder Kibihi. Sic leben in kleinen Gesellschaften und verlheidigen sich wacker gegen jeglichen Angriff. Laufen sie, so tragen sie den Schwanz aufrecht. Bei dem Er- klettern der Bäume nach Vogelnestern, Larven u. s. w. brauchen sie nur dieVorder- füsse; steigen sic den Baum abwärts, was immer mit dem Kopfe voran geschieht, nur die Hinlerfüsse. Beim Fressen gleicht cs ganz dem Eichhörnchen. Die Nase ist in fortwährender Beweglichkeit. Jeder ihm vorgeworfene Gegenstand wird erst BRITISCH -GUIANA. .391 mit derselben berührt. Bei dem Aufwühlen der Erde nach Larven u. s. w. braucht es diese und die Vorderfüsse zugleich. Hat es nichts mit der Befriedigung des Ma- gens zu thun, so vertreibt es sich die Langeweile meist damit, dass es den Schwanz zwischen die Vorderfüsse nimmt, und diesen reibt und kratzt. Es ist eins der an- genehmsten Tbiere, das aber leider sein unangenehmer Geruch zu einem gleich un- angenehmen Stubengenossen macht. Unsere Macusis erzählten mir, dass es am Mazaruni auch eine ganz schwarze und grössere Species gäbe, deren Schwanz weiss geringelt wäre. Die geographische Verbreitung des Nasua scheint sich über ganz Guiana und einen namhaften Theil Südamerika’s zu erstrecken. Da ich meine Sammlungen, die ich nach den bittern Erfahrungen, welche ich hatte machen müssen, nicht wieder fremden Händen übergeben wollte, auch nicht verlassen mochte, der gänzliche Mangel an Mitteln mir es zugleich aber auch un- möglich machte, diese durch Indianer über ein Terrain tragen zu lassen, das aller Wahrscheinlichkeit nach aus fast ununterbrochenen Gebirgszügen bestand, so sah ich mich abermals genöthigt, mich von meinem Bruder zu trennen, und diesen die Reise nach demQuellgebietdes Corentyn mit Herrn Goodall allein anlreten zu lassen. Herr Fkyer und ich mussten nach Pirara zurückkehren, um die dort noch zurück- gelassenen, lebenden Pflanzen, namentlich eine reichhaltige Sammlung Palmen und Orchideen, wie auch die meteorologischen und astronomischen Instrumente zu holen, welche mein Bruder ebenfalls nicht halte mit sich nehmen können. Unserer Rechnung nach mussten jetzt dieFarbigen, welche wir bei ihrer jüng- sten Anwesenheit in Pirara mit dem Beginn des Juni wieder dahin beordert halten, um uns den gefährlichen Esscjuibo hinabzubringen, ebenfalls in der Bucht fV ai- ipukari angekommen sein. So schmerzlich mir auch diesmal die Trennung wurde, da ein noch ganz unbekanntes Terrain vor mir lag, die Nothwendigkcit und die Sorge um das Errungene erforderte sie. Der 21. Mai war zum Tage unseres Auf- bruchs bestimmt, mein Bruder konnte das Dorf in Folge des immer noch hohen Wasserstandes erst den 2. Juni verlassen. Die meteorologischen Beobachtungen, die bis zu diesem Tage forlgefiihrt wurden, ergaben folgende Resultate: Zeit. Instrumente. Vorm ittag-. Mittag. Nachmittag. 6 Uhr. 9 Uhr. 3 Uhr. 0 Uhr. Vom 17. Barometer 29.369 z. 29.416 z. 29.417 z. 29.364 z. 29.358 z. Mai bis 2. Juni. Angefügtes Thcrm. 74° 64 77° 49 83° 47 84° 06 79» 43 Freies Thermometer 74° 80 77» 36 82° 69 83° 55 79° 08 Befeuchtetes Therm. 73° 41 75° 54 79° 41 78° 94 76» 40 .392 REISEN IN Der höchste Stand des Thermometers betrug im Schatten 85° 1, der niedrigste 72°. Die geschwärzte Kugel, der Sonne ausgesetzt, stieg am 21. Mai um 11 '/.Uhr bis auf 125°, die nicht geschwärzte 113°, die benetzte 93°. Die Verdunstung des Wassers, welche in Pirara von 1000 Gran 320 Gran ergab, betrug hier nur 278 Gran. Vom 18. Mai bis zum 27. Mai wehte der Wind beständig aus N., und ging dann in einen 0. bei N. und N. bei 0. über. Die Lage von fVatu-Ticaba bestimmte mein Bruder nach 30 Meridianhöhen, des a und y des grossen Bären und a des Kreuzes zu 2° 32' 2" nördlicher Breite, und die westliche Länge zu 58° 59/ 8" von Greenwich. Den 21 . Mai verliess Herr Fryer, ich und ein Theil der Macusis , die übrigen folgten der Expedition meines Bruders, das freundliche Watu-Ticaba nach einem bangen Abschied; ihrer warteten gleich grosse Gefahren, wie uns, — er konnte leicht zu einem Abschied für das Leben werden! Unter einem heftigen Regen, leg- ten wir den beschwerlichen Weg nach der Landungsstelle am Awarra zurück, an der wir die Boote, wie die zurückgelassenen Sachen, ganz in demselben Zustande vorfanden, in dem wir sie verlassen. Das Wasserwar unterdessen bedeutend gefal- len, und rasch führte uns die starke Strömung in den Rupununi zurück und diesen abwärts, der ebenfalls wieder von seinen Ufern begrenzt wurde. Glücklich passir- ten wir den Fall Cuta-tarua, auf dessen höchster Felsenklippe wir vergeblich jenen mächtigen Baumstamm suchten. Die Flulh hatte ihn erreicht und mit sich fortge- rissen. In welcher Ausdehnung mussten zu dieser Zeit die Savannen überschwemmt gewesen sein ! Meinen Ameisenbär fand ich als sauber präparirtes Skelett wieder, dem aber leider einige Knochcnstückchen fehlten, die ein unersättlicher Aasgeier mit sich fortgetragen haben mochte. Den 23. Mai hatten wir schon die Niederlassung Kuiaraton erreicht, und da ich bei meiner frühem Anwesenheit einen schönen zahmen Affen dort bemerkt, so besuchte ich sie nochmals, um mir diesen zu kaufen. Die Hütte, in der wir den Pockenkranken gefunden, war verschlossen, der Eingang mit Palmenwedeln ver- legt. Der Kranke war der Seuche unterlegen, die Bewohner hatten bis auf einige, die wir mit der Bereitung der Caravcru- Farbe beschsäftigt fanden , das Dorf ver- lassen. Unter den Eingebornen Guiana’s sind es ausschliesslich die JVapismias , Tarumas und Macusis, die sich mit der Bereitung dieser Farbe aus den Blät- tern der Iiignonia Chica beschäftigen. Schon hat diese ihren Weg nach Nord- amerika gefunden , wo sie zum Roth- und Gelbfärben der Baumwolle, wohl auch zum Verfälschen der Cochenille benutzt wird. Die Blätter der schönen Schling- pflanze werden zuvor etwas im Schatten getrocknet, dann in einen grossen Trog oder Topf mit Wasser geworfen, in dem sie schon am zweiten oder dritten Tage in vollkommene Gährung übergehen, wobei sich zugleich der rolhe Färbestoff als fei- BRITISCH-GUIANA. 393 nes Pulver niederschlägt. Ist dieser Process vorüber, so wird das Pulver so lange ausgewaschen, bis alle übrigen Theile entfernt sind. Der Niederschlag wird der Sonne zum Trocknen ausgesetzt, und dann in kleine Kästchen von Palmenblät- tern verpackt. Der Indianer benutzt diese feinere Farbe nur zum Bemalen des Gesichts, zu welchem Zwecke er sie mit wohlriechenden Harzen versetzt. Um den Affen konnten wir nicht Handels eins werden , da der Eigentümer eine Flinte dafür verlangte. Als ich ihm meine Verwunderung über diesen enor- men Preis zu erkennen gab, meinte er: "die ganze Niederlassung brauche eine Flinte, da die einzige, welche sie besässen, sich nicht mehr in schussfähigem Zu- stande belinde ». Hätten ihnen zufällig ein Paar Angelhaken gefehlt, so würde ich den Gegenstand meiner Wünsche für diese bekommen haben. Am Mittag des 24. erreichten wir die Niederlassung Aripai , wo uns die Be- wohner eine solche Menge Ananas brachten, dass wir ein ganzes Corial damit hät- ten befrachten können, wie uns die junge Portugiesin zugleich bat, sie bis IVara- puta mitzunehmen. Da dort bereits mehre Portugiesen aus Fort Sau Joaquim lebten, so wollte auch sie sich unter ihnen niederlassen, denn in Aripai fühlte sie sich nichts weniger als sicher. Gern erfüllten wir ihren Wunsch, und bald war sie mit ihren Habseligkeiten, zwei abgetragenen blauen Kleidern, in unserem Corial. Da ich bei meinem Aufsteigen in Curua mehre junge Sämlinge der herrlichen Attalea speciosa bemerkt hatte, landete ich hier, um mir diese in Kästen zu pflan- zen, und sie mit nach Berlin zu nehmen. Mit meinem in der Nähe von Curua zu- rückgelassenen Kaiman ging es mir wie mit dem Ameisenbär ; ich fand ein gutpräpa- rirtes Skelett, dem aber einige Wirbelknochen fehlten. Den folgenden Morgen fuh- ren wir bereits in die Mündung des Awaricuru ein, der in Folge des hohen Wasser- slandes und in Verbindung mit dem Quatata eine herrliche Wasserstrasse bis in die Nähe Piraras darbot. Pfeilschnell waren wir zwischen den Ufern des Rupununi abwärts geflogen, wodurch wir die Reise, zu der wir stromaufwärts zehn Tage gebraucht, in vier Tagen zurückgelegt hatten. In Pirara, in dem wir gegen Abend eintrafen, fanden wir alles im allen Zu- stande. Hr. LEviiNGSTON war gleichfalls noch dort, und suchte auf rechtliche und widerrechtliche AVeise alle Geldstücke, die sich noch unter den Indianern befanden, an sich zu bringen, um wenigstens noch etwas aus dem Schiffbruch seiner speeula- tiven Hoffnungen mit nach Georgetown zurückzubringen. Ja, der saubere Han- delsmann hatte sich sogar nicht geschämt, den kleinen Mädchen die Halsbänder, an denen noch Geldstücke hingen, gegen grosse metallene Knöpfe abzulocken, welche diesen vermöge ihres Glanzes mehr als die viertel und halben Dollarstücke in die Augen stachen, ohne dass sie nur im entferntesten ahneten, dass sie für ein einzi- ges ihrer Silberstücke in der Colonie statt eines Knopfes, 12 — 10 dergleichen II. Theil. 50 394 REISEN IN erhielten. Diese schmutzige Gewinnsucht brachte uns so auf, dass wir es nicht unterlassen konnten, ihm nicht nur die heftigsten Vorwürfe, sondern auch die Indianer auf seine Betrügereien aufmerksam zu machen. Der arme, verunglückte Speculanl war allerdings zu bedauern, dies gab ihm aber kein Recht, die unwissen- den Indianer zu betrügen. Fast schien es aber auch, als wenn alle unglücklichen Gestirne bei seiner Abfahrt über ihm geleuchtet, denn selbst ein letzter Specu- lationsversuch war ihm bei unserer Rückkehr misslungen. Als mein Bruder aus Georgetown nach Pirarn zurückkehrte, brachte er die Nachricht mit, dass sowohl dort, als am untern Esscquibo eine fürchterliche Seuche unter den Hunden grassire, der bereits der grösste Theil derselben unterlegen wäre, so dass ein Hund zu den Seltenheiten gehöre, und für sie ein ungeheurer Preis bezahlt werde. Diese Nach- richt erweckte neue Hoffnungen in Ilrn. Levingston, der nichts eiliger zu thun hatte, als alle Hunde der Umgegend aufzukaufen, um sie mit nach der Coloniestadt zu neh- men. Die Hunde, welche meinem Bruder mit nach Georgetown gefolgt, waren dort der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung geworden, und für den treuen Tcwnnau wurden ihm sogar 80 Dollars geboten ; mein Bruder konnte sich jedoch nicht enlschliessen, das schöne Thier zu verkaufen. Ohne das geringste Zeichen, dass sie von der Seuche angesteckt seien, brachte er sie wieder mit nach Pirarn zurück. Le-VIlncston begann mit allem, einem spekulativen Kaufmann eigenlhüm- liehcn Eifer seinen Hundeeinkauf, und wir freuten uns schon, dass die unsrigen, von denen ich mehre mit nach Europa zurücknehmen wollte, der tödtlichen Seuche ent- flohen, als diese zu unserm Bedauern auch bei diesen mit einem heftigen Husten ausbrach. Kaibra unterlag ihr zuerst; ihm folgte Tewanau und die Meute des Hrn. Levingston, die bei unserer Rückkehr nach Pirara bis auf einige jämmerliche Ucbcrresle zusammengeschmolzen war. Bei der Section fanden wir, dass die Seuche in einer Lungenkrankheit bestand. Beide Lungenflügel zeigten sich stark aufgeschwollen und in vollkommener Zersetzung, alle Lungengefässe ohne Blut. Einige Tage nach unserer Rückkehr wurde uns die Nachricht gebracht, dass die brasilianische Grenzcommission in der Mündung des Pirara angekommen, und dort ihr Lager aufgeschlagen, um die Mappirung der wahrscheinlichen brasiliani- schen Grenze zu beginnen. Dieser Kunde folgte bald der Besuch des das Unter- nehmen leitenden Colonel s de Matoz vom Genie-Corps. Colonel Matoz war ein bereits hochbejahrlerMann mit weissemllaar, der offenbar die für ein solch schwie- riges Unternehmen erforderlichen Kräfte nicht mehr besass. Schon hei seinem ersten Besuche wandte er alles an, um von uns die geographische Lage der Punkte zu erfahren, an denen mein Bruder die Zeichen der von England beanspruchten Grenzlinie vermerkt hatte. Suchte er diesen Wunsch, der ihm freilich die Aus- führung des wichtigsten und zugleich schwierigsten Theils seines Auftrags erspart BRITISCH -GUIANA. 395 haben würde, auch den ersten Tag so viel als möglich zu verbergen, so trat er bei den folgenden Besuchen, mit denen er uns fast jeden Tag beehrte, ganz offen damit heraus. Wie er unsere Angaben benutzt hat, weiss ich nicht; die richtigen hat er freilich nicht erhalten, und hat er auf unsere diplomatische Verrätherei seine Mappirung basirt, so mag eine merkwürdige Grenzlinie aufgezeichnet worden sein. Colonel de M.vroz konnte für jetzt die. Mappirung noch nicht beginnen, da er noch einen Ingenieuroflizier erwartete ; wie dieselbe aber von den Herren ausgeführt werden sollte , blieb Herrn Fryer und mir ein dunkles Räthsel, da diese weder astronomische Instrumente, ja nicht einmal einen Sextanten dazu für nöthig ge- halten, und daher auch keinen mitgebracht hatten. Unsere Angaben sind daher die einzige Basis dieser Grenzbestimmungen geblieben! Als wir in unsern Gesprächen auch auf die Tauscharlikei zu sprechen kamen, mit denen der Beistand der Indianer jederzeit vergütigt werden muss, wenn man dessen bedarf, versicherte uns der Colonel, dass er diese gar nicht nöthig und daher auch nicht mitgebracht habe, da die Indianer ihm die erforderliche Hülfe ohne alle Belohnung leisten müssten, eine Aeusserung, die mir deutlich genug bewies, dass ich das Verhältniss, in welchem die Eingebornen auf brasilianischem Gebiete zu der Re- gierung stehen, eben sowenig, wie Colonel deMA-roz das der freien oder unter eng- lischer Herrschaft stehenden Indianer kannte. Das ganze Unternehmen hatte die grösste Aehnlichkeit mit einer Don Quixoltiade. Während die Anwesenheit des Grenzcommissärs die Quelle mancher heitern Stunde wurde, war sie für unsere flüchtige, portugiesische Begleiterin die Ursache des tiefsten Schreckens, da diese fort und fort für. hten musste, von den herumstreifenden Begleitern des Colonel's entdeckt zu werden. Glücklicherweise entging sie diesem gefürchteten Zusammen- treffen dadurch, dass sie sich bei Tage in den dichtesten Stellen der waldigen Oasen verbarg, und erst nach Einbruch der Nacht nach dem Dorfe zurückkehrte. Eine zweite Quelle der Heiterkeit waren uns die vergeblichen Bemühungen desColonel's, uns den alten, braven, einäugigen Häuptling Basiijo mit seinen Untergebenen ab- trünnig zu machen. Mochte er diesen, sammt den Aeltesten des Dorfes Umata, der Residenz Basiko’s, auch noch so oft in sein Lager einladen, sie dort auch noch so splendid bewirthen, dem letzteren jedesmal die schöne, mit Gold und Silber gestickte Uniform, das blanke Schwert zeigen, das er für ihn mitgebracht, ihm dieses als Lohn versprechen, wenn er mit seinen Untergebenen die brasilianische Oberherr- schaft anerkenne, auf Basiko konnte dieses von dem Brasilianer so oft mit Erfolg angewandte Lockmittel nicht wirken, die vielfachen Greuclscenen, von denen er Zeuge gewesen, die harten Bedrückungen, die sein Stamm von den Brasilianern er- fahren, und die Drohungen des Major Coeliio und Leal, ihn wie einen Hund auf- hängen zu lassen, hatten sich seiner Erinnerung tief eingeprägt, das gleissende Gold, 50* 396 REISEN IN das bunte Kleid konnte sie ihm nicht vergessen machen. Basiko blieb treu, und Colonel de Matoz musste bei unserer Abreise von Pirara zu seinem Verdruss sehen, dass er uns mit freudestrahlendem Gesicht nach derColonie folgte, um dort als Lohn sei- ner vielfachen Verdienste aus den Händen des Gouverneurs, wenn auch nicht eine mit Gold und Silber gezierte Uniform, doch den schön verzierten Häuptlingsstab und das grosse gedruckte Häuptlingspatent, auf das die Indianer ungemein viel Werth legen, zu empfangen. Die erwarteten farbigen Steuerleute hallen wir bei unserer Rückkehr nach Pirnra noch nicht gefunden, am 7. Juni trafen sie ein, und rüstig gingen wir an’s Werk, um das Gepäck nach der jetzt nur 3000 Fuss entfernten Landungsstelle des Quatat.a zu bringen. Am 18. war der Transport beendet und die unter Basiko ste- llenden Indianer, die uns als Ruderer bis Georgetown begleiten sollten, standen zum Aufbruch bereit. Aus den Resten unserer Vorratskammer hatte sich noch ein splendides Abschiedsmahl für Colonel de Matoz herstellen lassen, das durch einige Flaschen Wein noch einen ziemlich heitern Charakter annahm, da dieser den Ver- druss jenes über seine missglückten Versuche bald verwischte, und unter der Ver- sicherung seiner nie verlöschenden Freundschaft halfen wir ihm spät in der Nacht auf eins der Pferde unseres Freundes Youd, die sich immer noch herrenlos in der Nähe des Dorfes herumtrieben. Es waren die einzigen lebenden Geschöpfe, die Pirara nicht verlassen, für die dasselbe immer noch Anziehungspunkte zu haben schien. Leider erfuhren wir noch vor unserer Abreise am andern Morgen, dass sich der Colonel nicht auf dem Pferde hatte erhalten können, sondern herabgefallen war und sich den Arm verstaucht halte. Gegen Mittag des 11. Juni trat ich zum letztenmal aus meiner Hütte, um nie wieder unter das einfache Palmendach zurückzukehren, unter dem ich so einförmige, so bittere Tage, aber auch so manche fröhliche und glückliche Stunde verlebt, die mich und meine Sammlungen, meinen einzigen Reichthum , monatelang vor den fürchterlichen Regengüssen eines tropischen Winters geschützt, und mir alle Be- quemlichkeiten gewährt, die sich ein zufriedenes Gemüth nur irgend wünschen kann. Es war mir, als schiede ich von einem alten, treuen Freunde ! Andere Ge- fühle hemcistcrlcn sich aber meiner, als ich an den geschwärzten Ruinen des Mis- sionshauses vorüberschritt. Wie oft hatte ich in diesen geschwärzten Mauern dem Unterricht unseres eifrigen, nun modernden Freundes zugehört, wie oft hatte hier seine unendliche Geduld, seine edle Selbstaufopferung meine Bewunderung erregt! Der Sämann war abgerufen, die Saat noch vor der Erndle niedergetreten und zer- stört worden, und das Haus, in dem er den Saamen ausgestreut, eine düstere Ruine, deren Stätte man nach wenigen Monaten vergeblich suchen möchte. Diese weh- mülbigen Gefühle wurden durch den Anblick des öden, stillen, seinem gänzlichen BRITISCH-GUIANA. 397 Verfall mit raschen Schrillen entgegeneilenden Dorfes zu schmerzlichen ! Von allen Bewohnern verlassen, ein grosser Theil der Iliillcn bereits zusammengeslürzt, die noch stehenden von Unkraut und Gebüsch umwuchert, die breiten Gassen des Dor- fes schon wieder der vollen Herrschaft einer üppigen Vegetation zurückgegeben, ging mit uns die letzte Spur des Lebens aus dem früher so lebhaften Orte , aus einem Orte, der vor einem Jahre noch so schöne Hoffnungen in uns allen rege gemacht, dessen gänzlicher Verfall durch den Tod eines Menschen ausgesprochen war, wie sein Aufblühen »durch die Wirksamkeit desselben Mannes in’s Leben gerufen wurde! Das grosse, hölzerne Kreuz, welches die Brasilianer bei ihrer Besitznahme von Pirara aufgerichtel hatten, stand noch vor den Ruinen der nieder- gebrannten Kirche, und wurde mir zum Symbol der Hoffnung, der Hoffnung, dass vielleicht bald ein freundlicherer Tag für die sich und der Natur überlassenen India- nerstämme anbrechen werde ! Auf der letzten Anhöhe, von der wir Pirara übersehen konnten, blichen wir nochmals stehen; — der Abschied wurde mir schwer, — es war der letzte Blick, den ich von hier aus auf die düstern Ruinen warf, die zwischen der üppigen Vegetation, zwischen den tausend und abertausend lachenden Kindern der ununter- brochen schaffenden Natur noch düsterer mir entgegenschauten — dann eilte ich dem Quatala , auf dem unsere Fahrzeuge lagen, zu, um vermittelst des Awaricuru nach der Bucht Wai-ipukari zu fahren, an der die regelmässige Verpackung unse- res Gepäckes vorgenommen werden sollte. Unsere Flotille bestand aus 8 Booten mit 50 Indianern. Ausser dem Corial, auf dem unsere Farbigen den Essequibo aufwärts gefahren waren, war des vielen Gepäckes wegen, auch noch ein grosses brasilianisches Boot ( Igarite ) vom Capitain Lgal gekauft worden, das von einer Handelsreise nach der Coloniestadl, noch in der Bucht IV ai-ipukari lag; ihm ver- traute ich meine Kasten mit den Palmen, von denen schon mehre eine ansehnliche Grösse erreicht hatten, so wie die mit den Orchideen an. Nach zwei Tagen war die Verpackung vollendet, und ein neuer, schmerzlicher Abschied stand mir bevor. Alle unsere bekannten Indianer aus der Nähe und Ferne hatten sich mit Frau und Kind noch einmal um uns versammelt, um uns noch einmal zu sehen, und ihr » Tombawai \ « zuzurufen. Ich schäme mich nicht, zu gestehen, dass es mich lief ergriff, ja, dass ich kaum die Thränen zurückpressen konnte, nls sich alt und jung, Greise und Knaben an mich herandrängten, um mir noch einmal die Hand zu drücken, als mir die Mütter ihre Säuglinge mit den kleinen Händchen entgegenhiel- ten, und mich baten, bei ihnen zu bleiben. Dieses ungeschminkte Zeichen der Liebe reiner Naturkinder war mir reicher Lohn für so manche Mühen und Entbehrungen, für so manche Verkennung, und ist es mir noch jetzt in der Erinnerung für so manche Täuschung. Die Civilisation besitzt unendlich höhere Güter als sie diese REISEN IN 398 Naturkinder besitzen, ihr fehlt aber jene reine Moralität, wie sie die noch nicht mit dem Europäer in Berührung gekommenen und dadurch noch nicht mit seinen Lastern befleckten Indianer durchgängig besitzen. Ich sah unter ihnen Friede, Glück und Ruhe heimisch, heimisch die einfache Liehe des Mannes zur Frau, der Eltern zu den Kindern, der Kinder zu den Eltern und fand ungeschminkte Freund- schaft, unbegrenztes Dankgefühl, das sich zwar nicht in verhallenden Worten aus- sprach, aber in einem treuen Herzen bewahrt wurde. Sittlichkeit und Tugend braucht sie die civilisirte Welt nicht erst kennen zu lehren; sie sprechen nicht von ihr, aber sieleben in ihr. Ihr Wort istThat, ihre Versprechungen sind Handlungen! Schon hatte unsere Flotille eine Biegung des Rnpununi umfahren, die uns die Gestalten mit den ausgestreckten Armen verbarg, da traf unser Ohr immer noch das laute <- Tmboawai » der dort Versammelten. Die starke Strömung brachte uns beieits am Abend gegen 8 Uhr nach der bei unserer Auffahrt so blühenden und bevölkerten iHacwsz-Niederlassung Haiowa ; auch sie fand ich verlassen und verwildert wieder. Der plötzliche Tod des Häupt- lings und seiner Frau, sowie mehre Opfer, welche die Pocken weggerafft, hatten die Bewohner vertrieben. Zwei Caraibenfamilien hatten die öden Hütten in Besitz genommen. In demselben verlassenen und verwilderten Zustand fanden wir am folgendenTage die beiden Niederlassungen in der Nähe der Mündung des Rnpununi, und herzlich hiess ich die breite Wasserfläche des Essequibo willkommen, die uns am dritten Tage wieder aufnahm. Bei unserem Aufsteigen hatten wir acht Tage zum Zurücklegen dieser Wasserstrasse gebraucht. Wir besuchten am linken Ufer des Essequibo, einige Miles von der Vereini- gung mit seinem Nebenfluss, und in der Nähe des grossen Rirahag’s Cumdkiya , die Stelle eines früher bis hierher vorgeschobenen holländischen Postens. Nur das etwas niedere Gebüsch und einzelne Cecropia- Bäume bekundeten jetzt noch die Stelle. Dieser Posten wurde von den Holländern aus dem Grunde so weit südlich vorgeschoben, um den Sklavenhandel der Caraiben, die früher dieses Terrain am Essequibo und Rnpununi stark bevölkerten, und ihre Streifzüge meistentheils gegen d'm Macusis und tVapisianas richteten, daran zu verhindern. Nach Alexander von HtMnoLDT, erwähnt schon Don Antonio Santos in seinem Reisebericht vom Jahre 1775 diesen holländischen Posten am obern Essequibo .*) Diese Station erfüllte *) Meinem Bruder wurde bei seiner ersten Reise den Essequibo aufwärts von den India- nern versichert, dass ihre Väter von diesen Posten erzählt, wobei sie zugleich als Beweis an- riihrten, dass des grossen Caziken Maiianakva’s Bruder die zwei Kanonen des Postens weg- gcnoinmcn, und sie nach seiner Niederlassung weiter gegen Süden gebracht habe. Wie mei- nem Bruder von Maiianakva’s Nclfen, Iiiai-i, der sich unter seinen Begleitern befand, mitge- tlicilt w urde, befindet sich noch jetzt eine der Kanonen dort, indessen die zweite versunken ist. Vergl. R. Scuombcrcr Reisen in Guiana und am Orinoko, pag. 121. RRITISCH-CUIANA. .391) aber ihren Zweck nur eine kurze Zeit, da die Caraiben später Gelegenheit fanden, denselben zu umgehen ; indem sie dazu längs der Bucht Primoss einen Weg nach dem Corentyn wählten. Die Holländer Hessen daher den Posten eingehen. Auffallend sind am Essequibo in der Nähe der Mündung des Rupununi die vielen ausgebreite- ten liirahags. Ausser der schon erwähnten Bucht Cumakiya befindet sich unge- fähr 12 Miles oberhalb dieser, an demselben Ufer, die Bucht Mosaeta-y ourou und dann weitere 4 Miles aufwärts, die sich am rechten Ufer des Essequibo einschneidende Bucht Primoss. Von hier führte früher, als dieses Terrain stark von Caraiben bevöl- kert war, der viel besuchte Pfad nach dem Corenlyn. Mein Bruder, der auf seiner ersten Reise den Esseqiribo aufwärts diese Gegend besuchte, fand dieses bethätigt, wenigstens bekundeten an beiden Ufern des Essequibo die häufigen mit Cccropia bewachsenen, lichteren Stellen der Ufervegetation, dass einst sich Niederlassungen hier befanden. Er fand selbst an solchen Orten Cacao- und Limonen- Bäume, die deutlich genug bewiesen, dass die frühem Bewohner sie hierher verpflanzt hatten. Fast erkannte ich den Essequibo nicht wieder. Inseln, Felsenblöcke, alles war von einer sich wild fortwälzenden Wogenmasse bedeckt, über die nur hier und da dichtbelaubte Bäume, hin und her schwankendes Gebüsch hervorragten, und die Lage der frühem Inseln verriethen. Bald hatten wir die grosse Bucht Aman oder Tokutu , am linken Ufer, und mit ihr die Mündung des Rappu und die Cata- racten von Rappu erreicht, die ebenfalls ziemlich von den Wellen bedeckt waren, und doch drohte schon hier einem unserer Corials, das die werthvollsten astro- nomischen Instrumente enthielt, der Untergang. Ein von schäumenden Wogen verdeckter Felsen war den scharfen Augen des Steuermanns entgangen; das Co- rial streifte diesen, fing an sich zu drehen, und dass es nicht der Breite nach den Fall hinabschoss, ist mir heute noch ein Rälhsel. 3Iit den Fällen von Rappu waren die Tage der Gefahren angebrochen, in denen uns fast jede Stunde ein jäher Tod drohte, denn die ganze Cataractenreihe, die wir mit so vielen Gefahren überstiegen, lag jetzt wieder stromabwärts vor uns, und musste von uns überfahren werden, wie wir mit ihnen zugleich wieder in jenes Labyrinth von Inseln eingetreten waren, die dem Essequibo, überhaupt den grossem Flüssen von Britisch-Guiana so charakteristisch sind. Glücklicher, wie bei den Fällen von Rappu waren wir bei denen der Ae.hra- mucra , obschon sich die Wogenmassen durch diese Granitbarriere mit einer solchen Gewalt und Schnelligkeit ihre Bahn brachen, dass wir gleich dem von der Sehne ge- schnellten Pfeil durch die aufgeregten Wirbel am Fusse desFalles flogen. Auch die Fälle von Curutolca oder Orotoko , eben so die von Ouropocari passirten wir, obschon auch sie dem Auge nichts als eine schäumende, weisse Masse darboten, ohne Unfall. Das grösste Boot, in welchem sich IIcitFrver und ich befanden, bildete 400 REISEN IN immer die Spitze der kleine» Flotille und schoss daher auch die Falle zuerst hinab, um bei eintretenden Unglücksfällen gleich mit Hülfe bereit sein zu können, wie ich dadurch auch jedesmal die nachfolgenden Boote hinabschiessen sehen konnte. Frei- lich waren dies Augenblicke, die ich mit stockendem Albern, mit zusammengepresster Brust durchlebte. Mit Gedankenschnelle erscheint das Boot auf dem Scheitel des Falles oder der Stromschnelle, der nächste Augenblick hat es bereits in dem schäu- menden Kessel verborgen, den die dämonisch aufgeregten, wild entfesselten Wogen vor der Basis des Falles bilden. Plötzlich wird es mit Federleichtigkeit wieder von diesen emporgeworfen, und gleitet dann, noch zitternd in seinen Fugen, ruhig durch die Wellen, ausserhalb des Bereiches der schäumenden Massen, hin. Hat es glück- lich das ruhige Wasser erreicht, dann müssen allerdings alle Hände rührig sein, um das aufgenommene Wasser wieder auszuschöpfen und das Fahrzeug vor dem Sinken zu wahren. Ich muss gestehen, dieses Schauspiel hatte etwas viel Beäng- stigenderes und Peinigcnderes für mich, als das Hinabschiessen im eigenen Fahrzeuge selbst, da dieses so schnell vor sich geht, dass eigentlich gar keine Zeit da ist, die gähnende Gefahr zum Bewusstsein kommen zu lassen. Der peinigendste Moment M ar mir jedesmal der, wo das Boot in mit jedem Augenblick steigender Schnellig- keit dem Scheitel zugerissen wird, wo man die Hände ruhig in den Schooss legen, mit ihnen weder den Bord des Corials, noch einen Gegenstand in demselben angrei- fen darf und seinen Willen vollkommen unter die Macht einer unwiderstehlichen Kraft beugen muss. Der leiseste Ruck mit der Hand könnte das Boot aus seinem Gleichgewicht bringen , und alle , die sich in ihm befinden , dem sicheren Tode weihen. Hat es erst den Scheitel erreicht, dann hat ein Augenblick über Leben und Tod entschieden. Die nässenden Wogen am Fusse des Falles rufen den unter- drückten Alhem zurück, und sagen, dass der gefährliche Sprung gelungen, die ge- presste Brust athmet im Bewusstsein des erhaltenen Lebens aus ihrer Erstar- rung auf! Viele der grösseren und kleineren Slromschnellen, die uns bei unserem Auf- steigen so grosse Mühe und so vielen ScliMciss gekostet, waren jetzt gar nicht bemerkbar und ohne alle Gefahr zu passiren, und der ununterbrochen herabslürzende Regen machte auch mehre der noch sichtbaren viel weniger gefährlich , als ich erwartet, da er den Wasserstand des Essequibo fast mit jeder Stunde erhöhte. Nachdem wir an der Insel Tambicabo und der Mündung des Siparuni oder rotlien Flusses vorübergefahren, hatte, inFolgc der Wellen desselben, der Esscquibn auch eine mehr röthliche Färbung angenommen. Nach der Färbung der Wasser seiner Hauptnebenflüsse zwischen dem Rupuriuni und der Mündung des Esscqiribo in den Ocean, wechselten die Wellen des Hauptstromes auf dieser Strecke ihre Farbe nicht weniger als viermal, obschon dies während der Regenzeit wegen des BRITISCH-CUIANA. 401 vielen Detritus, den alle Flüsse mit sich führen, nicht so deutlich, als während der trocknen Jahreszeit hervortritt. Der liup ununi giebt den bis dahin mehr grünlich- blauen Wogen eine weissgelbliehe Färbung, die durch die Wasser des Sipo r uni in eine röthliche übergeht, welche unterhalb der Mündung des Potaro oder schwarzen Flusses in ein schmutziges Braun verwandelt wird, bis sie durch den Mazaruni wieder ihre ursprüngliche Färbung zurückerhalten. Mit Blitzesschnelle hatten wir, nachdem wir die Mündung des Ortuahar und die Curibiru- und Cui/ariwaka-C. a ta rac le passirt, das Twusinki- Gebirge mit seinen beiden merkwürdigen Granitsäulen erreicht, das gleich schnell hinter uns lag; vor uns aber brausten und schäumten die gefährlichen Fälle von Ilababo , Akaiwanna , Itarnine und der gefährlichste der ganzen Reise , der grosse Fall Yucurit oder Cuiiiacka~toto, den wir glücklicherweise auf einem .schmalen Nebenkanal vermeiden konnten, auf dem wir aber selbst noch die Boote an Seilen hinablassen mussten. Bei den grausenhaften Twasinki-FäWen drohte unserm grossen portugiesischen Fahr- zeuge, das meine Sammlung lebender Pflanzen enthielt, selbst am Fusse derselben noch der Untergang, da es während des Hinabschiessens einen bedeutenden Leck bekommen hatte; nur durch die ungeheure Strömung wurde es vor dem Sinken bewahrt, die es an eine kleine, noch sichtbare Insel anlrieb. Das Ausladen der Pllan- zenkisten und das Ausbessern des Kahnes nöthigte uns , die Nacht auf der Insel zuzubringen. Der Mylrtes Pacn hatte sich in grosser Anzahl zwischen den an der Basis des Falles befindlichen Granitblöcken versammelt und lieferte uns ein schmack- haftes Abendessen. Am nächsten Morgen hatten wir den gefährlichsten Fall der ganzen Reihe, den von Haiowa zu passiren, dessen perpendiculäre Höhe, ungeachtet des so ungemein hohen Wasserstandes, immer noch iiher zehnFuss betrug. Ich muss gestehen, dass wir uns alle mit. einem gewissen beängstigenden und beklemmenden Gefühle dieser unheildrohenden Stelle näherten, die uns schon aus ziemlicher Entfernung ihr dum- pfes, zornentbranntes Gebrüll entgegendonnerte, das mit jeder Sekunde lauter und lauter w urde. Vor uns sahen wir das Wasser hinabstürzen und jenseits des Schei- tels in Schaumwolken aufspritzen — schon war das Corial von der unwidersteh- lichen Gewalt ergriffen, der Alhem stockte, und tief in den entfesselten Wogen des Kessels begraben, erhob sich der Schnabel wie ein kühner Taucher aus den brau- senden Wogen, — das Wagstück war gelungen! Gleich glücklich wie wir durch- furchten auch die übrigen Boote den Strudel. Jenseits desselben entleerten wir mit leichter Brust die Boote von dem wider Willen aufgenommenen Wasserinhalt. Die folgenden, kleinen Stromschnelleu wurden ebenfalls ohne weitern Unfall über- fahren. Unter dieser fast ununterbrochenen geistigen Aufregung waren wir jetzt in der II. Theil. 51 402 REISEN IN Nähe der Mission IVnrapula angekornmen. Von den Farbigen hatten wir erfah- ren, dass die kleine vervvaisete Gemeinde in einem Hrn. Pollert einen neuen Hir- ten erhalten, der mit seiner Frau und Schwägerin vor ungefähr sechs Wochen in tVarnpuUi angekommen sei. Unser fast 19 Monate langer Umgang mit den unci- vilisirten Indianern hatte uns doch nicht so weit verwildern lassen , um nicht zu fühlen, dass wir in einer solchen Garderobe, wie sie jetzt unsere sterblichen Glie- der deckte, nicht vor Damen erscheinen konnten, welche die feine Coloniestadt eben erst verlassen, und sich noch keinesweges an den zwanglosen Zustand einer in vollkommener Auflösung begriffenen Garderobe gewöhnt haben konnten. Um diese letztere daher mit den traurigen Ueberreslen des früher wohl versehenen Inhalts der Koffer zu completircn, legten wir an einer kleinen Insel an, und began- nen die schwierige Metamorphose, in der ich aber durch den Zuruf eines Indianers unterbrochen und aus meinen Verschönerungsversuchen aufgeschreckt wurde, denn unmittelbar über meinem Kopfe halte dieser auf einem der Zw eige des niedrigen Baumes, unter dem ich stand, eine grosse, zusammengerollle Schlange bemerkt, die meine Bewegungen mit ihren glänzenden Augen scharf beobachtete. Ein Schuss aus meiner Flinte brachte sie bald zu meinen Füssen. Ich sah die Schlange zum erstenmal, und an ihrem bre'ten, fast herzförmigen, beschuppten Kopfe, an dem dünnen, scharf von dem Kopfe abgesetzten Halse, glaubte ich mit Sicherheit eine der giftigsten Schlangen zu erkennen, was auch die Angaben der Indianer bestätigten. Auffallend war cs mir, dass sie ihre Fänge nicht in dem Oberkiefer, sondern im Unterkiefer hatte, die aber, wie eine spätere Untersuchung in Berlin ergab, nicht hohl' sind; es war Xiphosomn horlulanum (1 V nannten. Bei dieser Gelegenheit erzählten mir die Indianer auch viel von einem Thiere, das sie Anaka-pataima , Schlange mit zwei Händen nann- ten ; es sollte drei bis vierFuss lang, von brauner Farbe sein, in Sümpfen leben und nur des Nachts seiner Nahrung, die in Fröschen und Insecten bestände, nachgehen. Ferner sollte sich in dem Walde bei Kuamuta ein äusserst giftiges und sonderbares Thier aufhalten, das sie mir nicht schrecklich genug beschreiben konnten. Eines Tages brachte man mir vorsichtig, zwischen zwei Stücken Holz gequetscht, dieses fürchterliche Geschöpf, das weiter nichts, als der unschuldige Laternenträger ( Ful - gora Latcrnaria) war. Nach einem viertägigen Aufenthalt hatte ich mich wieder so weit erholt, dass ich meine Reise fortselzen konnte. Ich verliess daher Kuamuta und das Gebiet der 5G II. Theil. 442 REISEN IN Caraiben wieder. Der Strom brachte uns bald nach der Mündung des Arapiacro , wo ich aber meinen Freund Blackburn nicht mehr fand; — er hatte die Leitung der Plantage Caledonia am untern Pomeroon übernommen. Da ich auf jeden Fall wieder hierher zurückkehren musste, liess ich mir von dem alten Neger, der die Aufsicht über das unbewohnte Gebäude führte, die Schlüssel zu demselben geben, und breitete in den obern Zimmern meine Sammlungen aus. Den folgenden Morgen fuhr ich weiter stromabwärts. Die Ufervegetation wurde nach und nach immer einförmiger, und nur selten entdeckte das Auge etwas Neues; unter diesem Wenigen befand sich aber eine neueSpecies Siphonia , Sipho- nia Schomburgkii (KL). Der Baum besass das Gummi in einer wahren Ueber- fiille, und HerrDoctor Klotzsch versicherte, dass er dieses noch bei keiner Species in solcher Menge vorgefunden. Sollte das Mehr oder Weniger der Absonderung vielleicht von den Entwickelungsperioden des Baumes abhängig sein? Der Baum befand sich nicht allein im vollen Triebe, sondern war auch mit Bliithen bedeckt. Gegen Untergang der Sonne erreichten wir die aufgegebene Plantage Caledo- nia , die von Herrn Blackburn nur noch wegen einer ausgedehnten Pisangfläche übernommen worden war. Der wilde Zustand, in der ich sie schon vor zwei Jah- ren fand , hatte sich während dieser Zeit natürlich noch vielfach gesteigert. Die Mosquitos lehrten uns diese Nacht ziemlich handgreiflich, dass wir uns wieder in der Nähe der Küste befanden. An dem früher so bebauten Pomeroon befanden sich nur noch drei Plantagen: Dumbartoti Castle, Caledonia und Land of Promise , die ebenfalls eingehen werden, um wahrscheinlich einer Ncgercolonie Platz zu machen. Etwa 25 Miles von derMündung hatte das Wasser bereits wieder einen salzi- gen Beigeschmack angenommen, wie die bisher klaren Wellen auch in einethonige, schmutzige Milchfarbe übergegangen waren, die der Ocean, in Folge des thonigen und schlammigen Strandes, mehre Miles seeeinwärts besitzt. Mit dem Geschmack und der Farbe des Flusses hatte sich auch die Ufervegetation wie mit einem Zauberschlag verändert, und aus den schattigen Rhizophora- und Curida-Ü iischer hörte man, als wir dem Ufer entlang fuhren, das schauerliche Gesumme der Mos« quitoschwärme. Wir erreichten die Mündung des fValrapau, der während dei Regenzeit vermittelst eines Itabbos eine Wasserslrasse nach dem Manwariny und Morocco bildet. Der Wasscrsland war jetzt zu niedrig, um diese zu verfol- gen. Herr Ma C lindock und seine Gemahlin hiessen mich auf das herzlichste will- kommen. Nach einem Brief des Herrn Fryer, den ich hier vorfand, war mein Bruder noch nicht in Georgetown angekommen, und ich konnte daher meine Reise weiter fortsetzen, um die in meinen Sendungen lebender Orchideen entstandenen Lücken wenigsten in etwas auszufüllen. BRITISCH-GUIANA. 443 Eia interessantes Bild gewährte das rege Leben, dass sich während des Krab- benfanges in der unmittelbaren Nähe der Küste entwickelt. August und Septem- bersind die Monate, in welchen die Landkrabben (Gecarcinus ruricola und i7 cauna) aus den Morästen dem Meere zueilen, um ihre Eier abzulegen. Hunderte von Co- rials, gefüllt mit Indianern, zeigen sich dann bis tief aus dem Innern an derKüste, um die unzähligen Thiere in grossen, runden, aus Palmenwedeln geflochtenen Körben zu sammeln, und mit diesem, ihrem Lieblingsessen nach ihren entfernten Niederlassun- gen zurückzukehren, wo sie dieTliiere noch eine Zeillang in süssem Wasser lebend erhalten können. Im Februar sieht man die Krabben ebenfalls aus ihren Löchern kommen, und dieses scheint die Zeit ihrer Befruchtung zu sein. Die Männchen fangen an, ihre schöne Farbe und ihren Wohlgeschmack zu verlieren, werden mager, und eine unangenehme, bittere, flüssige Materie füllt den ganzen Körper, die sich nach der Begattungszeit wieder verliert, von wo sie dann wieder nach und nach fetter werden. Gegen Ende Juli nehmen die Krabben wieder zu, und bereiten sich zur Ablegung ihrer Schale vor. Zu dem Ende füllen sie ihre Löcher mit Grashalmen und Blättern, begeben sich dann hinein, verstopfen den Zugang und bleiben ohne Bewegung, bis die alte Schale durch eine neue ersetzt worden ist. Wie lange, dieser Zustand währt, lässt sich nicht genau bestimmen. Nach dieser Periode ist die Krabbe am schmackhaftesten. Wie die Indianer, so zieht der August und September auch mehre Vierfüssler unmittelbar nach derKüste, na- mentlich den Waschbär (Procyon cancrivorus), Crabdog der Colonislen , Oghia der W arraus , der die Krabben eben so schmackhaft findet, wie die Indianer. Er kommt nur in der Küstenregion vor; die Macnsis kannten ihn gar nicht. Sowie er eine Krabbe gefangen, beisst er ihr zuvörderst die Scheeren ab, um die Beute ruhig verzehren zu können. Wenn man behauptet, dass der Procyon cancrivon/s seinen Frass nicht in das Wasser tauche, so ist dies ein Irrthum, da ich keinen der vielen zahmen Waschbären, die ich in fast jeder Niederlassung derKüste fand, etwas verzehren sah, das er nicht vorher in Wasser getaucht hätte. Es sind geschickte Klet- terer, die zugleich mit Leichtigkeit von Ast zu Ast springen. Auf dem Boden be- steht ihr schneller Lauf meist in weiten Sätzen, die sie. aber immer in schiefer Rich- tung ausführen. An der Küste soll noch eine zweite Spccies Vorkommen, die in der Zeichnung wesentlich von dem Pr. cancrivorus abweicht; doch weder mein Bruder, noch ich habe ein Exemplar zu Gesicht bekommen; dem Federvieh der Plantagen sind sie keineswegs die friedlichsten Nachbarn. Auffallend ist an der Küste zwischen dem IVaini und Demerara die verschie- dene Höhe der Fluth. Während diese an dem Demerara 10 Fuss beträgt, steigt sie am Pomeroon nur 8, am Waini sogar nur 4 Fuss. Diese geringe Flulhhöhe wird allgemein der Mündung des Orinoko zugeschrieben, die ihre Wogen mit sol- 56* 444 REISEN IN eher Gewalt dem Ocean zuführt, dass durch sie die Steigung der Fluth in ihrer Nähe zurückgehalten wird. Da mir noch Zeit blieb, so fasste ich den Entschluss, auf dem Movocco und dem Itabbo nach dem fVaini zu gehen, diesen bis zur Mündung des Barama zu verfolgen und auf dem Ba rama bis zu der Stelle aufwärts zu steigen, wo ihn mein Bruder bei seiner Reise nach dem Cinjuni berührte, um dann nach der Mündung des IVaini zurückzukehren, und noch einmal bis zum Ori- noko vorzudringen. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft bei Herrn Ma Clundock verliess ich in seiner Begleitung die Station, um die Mündung des Morocco, die etwa 7 Miles westlich von der des Porneroon liegt, zu erreichen. Eine heftige Böe mit Gewitter- regen, die uns auf der offenen See überraschte , der wir wegen der wilden Bran- dung hatten zusteuern müssen, hätte uns bald in das tiefe Meer begraben. Nachdem wir 11 Miles zwischen den sumpfigen Ufern des Morocco aufwärts gefahren, erreichten wir auf dem östlichen oder rechten Ufer die Mündung des Manwariny , von wo sich der Lauf des Hauptfiusses mehr gegen W. bei N. wendet. Etwas weiter aufwärts vereinigtsich an demselben Ufer vonS.W. herder Haimura-cabara mit ihm. Jenseits der Mündung des Para wendet sich auch der Morocco plötzlich gegen N. und beschreibt in seinem Laufe ziemlich einen Halbkreis. Mehre Miles aufwärts mündet sich am linken Ufer der fVaracabara. Jenseits der Mündung erheben sich in unregelmässigen Zwischenräumen und verschiedenen Höhen jene schon früher erwähnten, von spanischen Indianern bewohnten Hügel. HerrCoLLiiss hatte nicht nur eine neue grosse Kirche, sondern auch selbst eine neue Wohnung erhalten, in der er uns mit der an ihm gewohnten Herzlichkeit und Jovialität empfing. Da mich der geistliche Herr durchaus mehre Tage bei sich zurückhielt, so untersuchte ich zugleich die Hügel, so weit es mir möglich war. Sie bestanden durchgängig aus Sand, Lehm, Konglomeraten von Kieseln und Gneis und grossen Massen gebrannten Lehmes mit Eisenerz versetzt, den unzweifelhaf- ten Erzeugnissen der ungeheuren Waldbrände, von denen die Küste zwischen dem Porneroon, Mahaiconic , Abary und Morocco so oft heimgesucht worden ist. Die Brände entstehen meist in Folge der Aufhäufung der ungeheuren Massen vegetabilischer Ueberrcstc , die bei anhaltender Dürrung bald die Endzündbarkeit des Zunders annehmen. Diese fürchterlichen Brände vernichten die Fruchtbarkeit des Bodens meist auf mehre Jahre. Auf einem dieser Hügel wurden mir auch die Ruinen der Wohnung des Herrn IIilliiouse gezeigt, der mehre Jahre unter den Indianern gelebt, und nächst Dr. Hancock England die ersten geographischen Be- richte über Brilisch-Guiana gegeben hat, wodurch er die mittelbare Veranlassung zu den Reisen meines Bruders wurde. Da Herr Ma Clindock mir die Ruderer, die uns hierher gebracht, nicht über- BRITISCH -GUIANA. 445 lassen konnte, mir aberauch keiner der Bewohner Moroccos folgen wollte, so setzte ich mit Stöckle und meinem Farbigen, nach einem viertägigem Aufenthalt, die Reise den Fluss aufwärts allein fort, um mir in der ersten IV «mzw-Niederlassung einige Leute zu miethen. Beide Ufer waren fast ausschliesslich mit der schönen, weiss- bliihenden Calyptranthes obtusa ( Benth .) bestanden. An einzelnen Stellen trat der baumartige Strauch wirklich auch als Baum von 30 Fuss Höhe auf. Das Holz besitzt eine ungemeine Härte und ist in Guiana unter dem Namen Cowaco bekannt. Als wir den Itabbo erreicht, erkannte ich ihn fast nicht wieder, da seine Um- gebungen ein ganz anderes Kleid angezogen hatten. Die grosse Wasserfläche, aus der sich bei meinem ersten Besuche hier und da Gesträuchgruppen, grössere und kleinere Oasen, sowie M auritia -Palmen erhoben, war ebenso, wie die reizenden Bliithen der Crinums verschwunden , nur Schneidegräser und Farrn , nament- lich Blechnum angustijolium , Aspidium gongy/odes , und die weissblühende Rhynchanthera dichotoma deckten die dürre Fläche, ein dichter Filz von Nym- phäen- Blättern den spärlichen Wasserspiegel des Itabbo , so dass wir nur unter der äussersten Anstrengung eine Bahn durch denselben brechen konnten. Das Thermometer zeigte dabei 89° im Schatten. Triefend von Schweiss und ermattet erreichten wir jene romantisch gelegene, mit herrlichen Fruchtbäumen umgebene Niederlassung, die ich auf meiner Rückkehr vom Orinoko für die Missionsstation Morocco hielt. Alles war öde und still im Dorfe, kein lebender Bewohner in ihm zu finden, sonst aber alles noch in demselben Zustande, wie ich es damals verlassen ; — die Teller, Flaschen, Gläser u. s. w. in der Hütte des verstorbenen Häuptlings nur mit einem noch dickeren Staubüberzug bedeckt, obschon wir deutliche Spuren vorfanden, dass das Dorf noch bewohnt wurde. Schon wollten wir unsere Hänge- matten aufhängen, als wir unsere Füsse und Beinkleider mit Tausenden von Sand- flöhen bedeckt sahen, die uns die eiligste Flucht ergreifen hiessen. An der Mündung des kleinen Waldflusses Kuamuta , der sich in den Itabbo ergoss, fanden wir einen Indianer, der uns mittheilte, dass sich in dem Walde an dem Ufer des Creeks mehre /Ffl/vw-Niederlassungen befänden. Die zahllosen Baumstämme , die über und in das Flüsschen gefallen waren, machten es bald un- möglich , mit unserem grossen Corial den Kuamuta weiter aufwärts zu fahren, weshalb der Indianer nach dem Dorfe gleiches Namens vorauseilte, und bald sahen wir den Häuptling des Dorfes mit mehren Corials bei uns ankommen. Der Häupt- ling Henry ist bei allen Colonisten des Porncroon bekannt. Als ich ihm meine Ab- sicht mittheilte, mir einige Ruderer unter seinen Unterthanen zu miethen, war er damit ganz zufrieden, meinte aber, unter vier Tagen sei dies nicht möglich, da eben ein Bewohner des Dorfes gestorben und mir keiner seiner Leute vor dem, nach dem Begräbniss stattfindenden Trinkfest folgen würde. Notbgedrungen musste ich mich 446 REISEN IN in das Unvermeidliche fügen. Meine Sachen wurden in die Meinen Corials gela- den und bald hatten wir zwischen einem wahren Labyrinthe über und durcheinan- der gestürzter Bäume das Dorf erreicht, welches ebenfalls von grossen Bambus- sträuchen umstanden war. Die Warraus wie die Caraiben nennenden Bambus Hua- mula, wovon sowohl das Dorf, als der Fluss den Namen führte. Das Dorf zählte 16 Hütten und gegen 100 Einwohner. Das wilde Klagegeheul, welches mir aus einer der Hütten entgegenschallte, gab mir diese als Trauerhaus zu erkennen. Mehre In- dianer gruben eben das Grab. Noch lag der Todte in seiner Hängematte. Als das Grab beendet, wurde der Leichnam in diese eingewickelt, und in sitzender Stellung in dasselbe gebracht, alle seine Habseligkeiten und Waffen, so wie Brod , Früchte und getrocknete Fische, um die Leiche herumgeschichtet, sein treuer Jagdhund er- schlagen und neben ihn gelegt, worauf man die Grube zuschüttete. Als dies bis zur Hälfte geschehen, sprang die Wittwe und die Schwestern des Verstorbenen in das- selbe hinab und stampften die neu hinzugeworfene Erde unter ununterbrochenem Wehgeheul fest. Auf dem kleinen Hügel wurde ein Feuer angezündet, das mehre Tage unterhalten wurde, und um das sich die Wittwe und die Verwandlinnen setz- ten. Während ihres ergreifenden Klagegeheuls sah ich sie keine Thräne vergiessen. Dass auch die Warraus von der Unsterblichkeit der Seele überzeugt sind, habe ich schon früher angegeben. Kurz nach der Beerdigung begaben sich alle übrigen Weiber nach dem Pro- visionsfelde und kehrten mit grossen Lasten Cassadawurzeln und Bataten zurück, die nun auf das schleunigste in Brod verwandelt und zum Paiwari vorbereitet wur- den. Ein grosses Corial , das ausser dem gewöhnlichen Paiwari- Trog noch als Behälter des unsauberen Getränkes diente , fasste mit letzterem wenigstens 600 Gallonen. Weder die Wittwe noch die Verwandten nahmen an diesen Vorbe- reitungen Theil, sondern sassen im Kreise um das Grab und brachen immer von neuem in ihre Klagegesänge aus, die ungefähr folgenden Inhalt hatten : Warum hast du dein Weib, deine Kinder, deine Freunde verlassen, die dich alle so herzlich geliebt? Warum bist du von deinem Hause, deinem Felde gegangen, auf dem die Yams , Cassadu so reichlich gediehen? Wer soll mir jetzt Agvli und Aßen jagen, wer mir Fische, wer mir Schildkröten fangen? Die letzte Strophe wurde mit herzzerschneidender Stimme, die folgenden in einem mehr klagenden und flehenden Tone gesungen : 0 Jawahu , du hast ihn mit Gewalt von uns genommen, er wäre sonst nimmer von seinem Felde, von den Seinen gegangen ! Bringe ihn zu seinen Freunden, die du uns vor ihm geraubt, damit er Aguti und Affen kann jagen, damit er Yams, Cassada auch findet. BRITISCII-GUIANA. 447 Wer soll mir Aguti, wer Alfen jagen, wer mir Fische, wrer mir Schildkrö- ten fangen? Den zweiten Tag nach dem Begräbniss verliess der Häuptling mit den ältesten Leuten festlich geschmückt das Dorf, um die Nachbarn zum Feste einzuladen, während der Hoho-hit schon unter einem wahrhaft sinnbeläubenden Lärm mit sei- nen Schülern die Musikstücke einübte. Unter den Instrumenten lernte ich auch ein neues kennen, das aus gebranntem Thon bestand, hohl war, und eine eigenthüm- liche Form hatte, die einer 8 ähnelte; beide Enden waren offen, und an dem einen befand sich eine Art Mundstück. Der Ton hatte die grösste Aehnlichkeil mit den Feuerhörnern unserer Nachtwächter. In festlichem Schmuck kamen am folgenden Morgen die theilweis mit einem kattunenen Hemde bekleideten Indianer an, und alle die Scenen , die ich schon so oft erlebt, erneuten sich wieder vor meinen Augen. Da die IVarraus ihre Trink- feste bereits am Vormittag beginnen, so verlor ich wenigsten dadurch meinen Schlaf nicht. Um so greller contrastirte gegen diese wilde Lust das Klagegeheul der Wittwe und der Verwandten. Schon am Nachmittag brachen unter den trunkenen Weibern die beissesten Kämpfe aus, bei denen die Nägel und Zähne zu blutigen Waffen wurden. So lange die Männer noch in dem Besitz ihres Verstandes waren, brachten sie die betrunkenen Furien dadurch auseinander, dass sie sie fest in ihre Hängematten schnürten, und sie dann ihre Wuth in Schimpfen und Schreien aus- toben Hessen. Ein eigenthümlicher Gebrauch unter den IVarraus ist, dass die hinterlassene Wittwe und Kinder das Eigenlhum des Bruders oder nächsten Verwandten werden. Verwirft die Wittwe diese, so rächen sich die aufgebrachten Blutsverwandten da- durch, dass sie in die Hütte der Frau dringen und sie auf das Härteste durchprügeln, wodurch sie die Freiheit erhält, mit dem zu leben, den sie sich auserwählt hat. Unter den vielen gezähmten Thieren, als Affen, Papageien und hühnerartigen Vögeln, war mir ein gezähmter Vielfrass ( Gulo viltatus) das in eressanteste. Um das junge Federvieh vor seiner Mordlust zu schützen, hatte man ihn angelegt. Seine Nahrung bestand in Fleisch, Fischen, rohen Früchten und gekochten Yams. Der Gulo Allamanda hält sich ebenfalls an der Küste auf und weicht nur in der Färbung von dem viüatus ab. Der Pelz des Kückens ist dunkelschwarz, welche Farbe durch die weissen Endspitzen der Haare eine mehr gemischte Färbung erhält. Die Schnautze, Unterkinnlade, Kehle und ein Theil des Leibes dagegen sind glän- zend schwarz. Ein weisslicher Streif zieht sich zwischen den Augen bis über die Ohren und die Seiten des Halses hin. In gezähmtem Zustande sollen sie eine förm- liche Aversion gegen das Wasser zeigen. In Begleitung von drei IVarraus , von denen einer leidlich englisch sprach, 448 REISEN IN verliess ich Kuamuta den 7. October und setzte meine Reise auf dem Itabbo fort. Der Wasserstand war soseicht geworden, dass wir das Boot meislentheils fortschie- ben mussten, was bei einer Hitze von 88°Fahrenb. im Schatten mehr als ermüdete. Ca/yptranthes obtusa umsäumte auch ihier noch die Oasen. Endlich hatten wir den Ramwata und bald darauf den Barabara erreicht, der zwischen einem grünen Waldesdunkel hinfloss , das nur an einzelnen Stellen von den Strahlen der Sonne durchbrochen werden konnte. Ich war in das Bereich der Orchideen getreten, denn bald lachten mir von Stämmen und Aesten der riesigen Bäume die phantastischen Blüthen der Maxillarien, Oncidien , Plcurothallis , des Zypopetalum u. s. w. ent- gegen, unter denen weder das niedliche, weissblühende Ornithidiurn albam (Hook.), noch der schöne Coryanthes fehlte. Unter dieser wechselnden Blüthenfülle fuhren wir in den Beara ein , an dessen linkem Ufer wir mehre Reisehütten fanden, die wir herzlich willkommen hiessen , da wir aus der Erfahrung wussten, wie schwer es hielt, hier eine trockene Stelle zum Uebernachten zu finden. Die Hütten waren auf einer Plattform, mehre Fuss über dem Boden erbaut. Als wir mit den Vorrich- tungen zu unserm Nachtquartier beschäftigt waren , zog eine zahllose Heerde des Cassicus viridis (Vieill.) durch die Bäume in geschwätzigem und lärmendem Trei- ben über uns hin. Auch nach der Brütezeit halten diese Vögel zusammen und durch- ziehen die Wälder, nach Früchten suchend. Aus dem festen Schlaf erweckten mich die zauberhaften Töne des Cyphorhinus cantans , die in allen Büschen ihren Wi- derhall fanden. Es war, als wollten sie einander zurufen, dass jetzt der junge Tag erwache, und dass jetzt auch ihrTagewerk beginne. Bei Anbruch des Tages fanden wir uns zu unserm Erstaunen völlig von Wasser umgeben, das den Boden unserer Hütte erreicht hatte ; so mächtig wirkte die Fluth selbst noch in einer geraden Entfernung von 15 geographischen Meilen von der Mündung des Waini. Die ein- trelende Ebbe führte uns zwischen dem majestätischen Palmenwalde schnell den Beara hinab, dem Barimani und fVaitii zu. Die Wellen des IVaini waren bei der Vereinigung mit dem Barimani noch so mit Seewasser versetzt, dass wir es nicht geniessen konnten, und Mangroven und Curida- Gebüsche bildeten daher auch die Ufervegetation. Als wir uns bei Sonnenuntergang an dem stromaufwärts verfolgten JVaini im- mer noch vergeblich nach einem trockenen Plätzchen zum Nachtlager umgesehen, fuhren wir endlich am rechten Ufer in einen der vielen kleinen Creeks ein, auf des- sen erhöhten Ufern wir nach einiger Zeit auch eine passende und trockene Stelle fanden. Die Nacht war eine der qualvollsten, die ich in Guiana durchlebt, da die dichten Schwärme Mosquitos meine Begleiter und mich bis zur Verzweiflung pei- nigten. An ein Nicdcrlegen war gar nicht zu denken, ja selbst der Rauch, in den wir uns durch Auflegen von grünem Holze auf das Feuer einhüllten, konnte die BRITISCH "GUIANA. 449 blutdürstigen Peiniger nicht zurückscheuchen. Unser ganzer Körper war am Mor- gen zerstochen und geschwollen. Die Ufer des IVaini behielten auch heute ihren monotonen Charakter bei. Im Y7erlauf des Y7ormittags fuhren wir an der Mündung des Moribo vorüber, der, wie bekannt, eine treffliche Verbindungsstrasse mit dem Barima bildet. Etwa vier Miles weiter aufwärts vereinigte sich auf dem östlichen Ufer der Canyaballi und zwei Miles weiter, auf demselben Ufer, der grosse Canyaballi mit dem fVaini, wäh- rend der Bnrama diesem von YV. her zuströmt, den wir nun verfolgten. Die Breite der Mündung des Bnrama betrug 150 Fuss. Während seines Laufes llieilt der Ba- rama den Isthmus zwischen dem Barima und IV aini in zwei fast gleiche Theilc. Das Wasser hatte jetzt seinen salzigen Beigeschmack verloren, das C7//vV/«-Gebüsch ver- schwand nach und nach und machte wieder einer wechselnden Vegetation Raum, die sich auch längs den Ufern des sich vonS.W.her in den Bararna ergiessenden Waiwa hinzog. Der W aini wird von JVarraus , der IVaiwa von Akawais bewohnt. Die Ufer des Bararna erreichten bald eine Höhe von G Fuss. An den Sandbänken, die der Bararna gewöhnlich in seinen vielen Krümmungen bildete, hatten immer eine Menge der interessanten Triplaris americana (Lin.), deren Gefährlichkeit ich bald schmerzhaft kennen lernen sollte, ihren Standort genommen. In mancher Hinsicht ähnelt der Baum vielfach der Cecropia peltata, und erreicht oft eine Höhe von GO — 80 Fuss. Der Baum hat bisher immer noch keine erschöpfende Beschreibung gefunden, da weder Aublet noch Jacquin seine interessanten Bracteen erwähnen. Der Kelch der männlichen Blülhe ist sechstheilig, nicht aber wie jene Botaniker angeben, dreiseitig, wonach ich schliessen muss , dass beide die männliche Blülhe nicht sahen, und ohne Zögern nach der weiblichen Blülhe beschrieben. Merkwür- digerweise erwähnen sie eben so wenig die starke Pubeseenz innerhalb des Kelches beider Geschlechter.*) Die männlichen Blüthen vertrocknen schon am zweiten Tage, dasselbe ist mit denPetalis der weiblichen Bliithe der Fall, während die Seg- mente des Kelches fortwachsen und in ihrem Wachslhum aus dem Grün in das Rothübergehen. Die Früchte, welche der röhrenförmige Kelch beschützt, über- ragen sie wenigstens um das Y7ierfache ihrer Grösse, und geben ihnen dadurch ganz die Gestalt eines Federballs. Als ich den Baum zum erstenmal sah, glaubte ich ihn mit weissen, grünen und rotlien Blüthen bedeckt, zwischen denen die grünen Blät- ter des Baumes kaum bemerkbar waren. Die eigenthiimliche innere Struktur des Stammes und der Aeste macht den Baum zu einem der gefährlichsten. Diese sind vollkommen hohl, und werden nur von gleich weit von einander entfernten, ’) Vergleiche Robert Schombürgk: On the Ant Trec of Gtiiana ( Triplaris americana). Annals of Natural History Vol. I Pag. 264. II. Theil. 57 450 REISEN IN horizontalen Scheidewänden durchgesetzt , worin er der Cecropia peltata eben- falls ähnelt. Diese Zwischenräume hat sich eine der bösartigsten Ameisen (Cryp- tocerus ) von gelbbrauner Färbung und langgestrecktem Wüchse zur Wohnung gewählt, die die schmerzhaftesten Stiche beibringt Die Antennen befinden sich in der Mitte des hervorstehenden Theils des Kopfes, die Mandibeln sind dreieckig; wie die ganze Gattung der Cryptoceren braucht sie diese nur zum Festhalten der Gegenstände, die sie dann mit dem dem behaarten After eigenen Stachel ver- wundet. Unbekannt mit der innern Struktur des Baumes und seinen gefährlichen Bewohnern, war ich , ungeachtet der warnenden Gestikulationen meiner War- 7 aus bemüht, einen der Aeste desselben abzubrechen, als Tausende dieser Insec- ten aus den kleinen, runden Oeffnungen, die sie immer zwischen je zwei der Schei- dewände einfressen, hervorstürzten , mich förmlich bedeckten, in der äussersten Erbitterung mit ihren Zangen meine Haut packten, dabei eine weisse Flüssigkeit ausbrachen, und ihre gefährliche Waffe in meine Muskeln eingruben. Doch nicht allein die Zahl, welche in dem abgebrochenen Zweige hauste, hatten wir jetzt in unserem Corial, sondern Tausende stürzten noch aus der Oeffnung des abgebroche- nen Zweiges in dieses herab, da die Erschütterung des Baumes die ganze Colonie in Aufregung versetzt halte. Mit einigen kräftigen Ruderschlägen befand sich das Boot ausserhalb des Bereiches des Baumes, und im nächsten Augenblick die ganze Bemannung im Wasser, da wir uns nur so vor den wüthenden Angriffen retten konnten. Selbst einige zahme Affen und Papageien blieben von ihnen nicht ver- schont. Die ersleren rissen sich unter wilden Sprüngen von ihren Banden los, und sprangen uns in den Fluss nach , obschon sie zu den wasserscheuesten Thieren gehören. Nächst dem Stich der Ponera clavala gehört der dieser gelbbraunen Spe- cies zu den schmerzhaftesten. Die Geschwulst, die Entzündung und der Schmerz blieben noch mehre Tage sichtbar und fühlbar. Die Warraui nennen den Baum Ipvuhari , was soviel als Ameisenbaum bedeutet. Bei den Arawaaks heisst er Jacitna, die Ameise selbst Jucuna sau ; bei den Cai'aiben , hasst , während ihm die Kolonisten, wegen seines schlanken Wuchses, den Namen »lang John« biegelegt haben. Nachdem wir mit vieler Mühe und unter manchem schmerzhaften Stich das Boot gereinigt, setzten wir unsere Fahrt fort. Ich muss gestehen, es überlief mich allemal ein heimlicher Schauer , sobald wir einem solchen Baume begegneten. Je weiter wir den Fluss aufwärts verfolgten, um so höher wurden auch die Ufer, um so mehr steigerte sich die Strömung, um so üppiger zeigte sich die Vegetation. Nach den durch die Uferstürze freigelegten Stellen bestanden die Ufer aus einer 3 — 4 Fuss hohen Schicht Dammerde, die auf einem rölhlichen Thon lagerte, wel- cher nach und nach in eine rein weisse und grünliche Färbung überging, und dem BRITISCH-GUIANA. 451 dann bis zum Wasserspiegel ein mächtiges Sandlager folgte. Die riesigen Mora- Bäume waren förmlich mitOrchideen, Tillandsien, Farrn, üppigen Aroideen deren Wurzeln gleich Schilfstauen in schnurgerader Richtung bis zum Wasser herab- hingen, bedeckt. Viele dieser Wurzeln hatten eine Länge von 50 — 60 Fuss. Zu ihnen gesellten sich noch Bignonien , Passifloren , Aristolochien , indessen am Ufersaum die Cuphea Melvif/a ( Lind/ .) mit ihren grossen, schöngefärbten Blüthen geschmückt, in noch nie gesehener Ueppigkeit wucherte. Ein herrlicher Strychnos m»t grossen lederartigen, glänzenden Blättern und wohlriechenden Blüthen, fesselte meine Aufmerksamkeit. Er war neu und ich nannte ihn dem berühmten Chemiker Mitscherlich zu Ehren, Strychnos Mitscherlichii.*) Die Cassia latifo/ia (IV. Meyer), deren grosse Blüthen grösstentheils wie bei Theobroma unmittel- bar aus der Rinde des Stammes und der Zweige hervorbrachen, zog mein Inter- esse in gleichem Masse auf sich. Die so zierlich geformten, weissen , aroma- tischen Blüthen des Mimusops Sichert ( Dec .) durchdufteten die Luft. Die süss- lichen Früchte dieser Sapotacen , die über ganz Brilisch-Guiana verbreitet zu sein scheint, werden leidenschaftlich gern von den Indianern gegessen. Während der Reife scheuen sie Entfernungen von 2 — 3 Tagereisen nicht, um sich in Besitz dieser Lieblingsfrucht zu setzen. Leider werden die oft unersteigbaren Bäume bei der Erndte umgehauen, was sie sehr vermindern muss. Eine eben so interessante botanische Entdeckung wurde mir durch eine Caesalpiniea und zwar durch zwei neue Species der so interessanten Gattung Cyntmetra , Cynometra Schomhurg- kiana ( Klotzsch ) und C. gnianensis (Klotzsch). Die Belaubung der niedlichen Bäume wurde förmlich unter der weissen, wohlriechenden Blüthen fülle begraben. DieUfer des sich unter beständigen Schlangcnkrümmungen hinziehenden Fluss- bettes halten bald eine Höhe von 20 Fuss erreicht, die aber in Folge der Unler- waschungen an vielen Stellen zusammengestürzt waren und ihre ganze Vegetation in den Fluss geschleudert hatten. An einzelnen Punkten drohte diese Catastrophe mit jedem Augenblick hereinzubrechen. Mit dieser Höhe der Ufer traten in dem Belle auch grosse Sandsleinmassen auf, die das Wasser schwammartig ausge- spült hatte. So war der 15. Oclober herangekommen, der 11. Tag, seitdem wir Kuamuta *) Strychnos Mitscherlichii Rieh. Schomb. Flures terni sessiles brac/cis suffulti. Calycis laciniis ovatis brevibus subobtusis margine ciliatis. Corollae tuho brevi extus graniiloso-puberulo 5 fido , laciniis crassis aestivatione valvalis basi paululum albt'du- barbalis , tubus intus sparsim niceo-villosus. Antherae albidae bilocularcs sessiles, oblon- gae, apiculatae inclusae infra lim bum insertae. Ovcrium biloculare : localis multiovulatis. Pericarpium crassttni. 57* 452 REISEN IN verlassen , seitdem wir weder eine menschliche Wohnung angetroffen, noch ein menschliches Wesen gesehen hatten. Unsere Provisionen waren verzehrt, und doch wollte ich heute einenFesttag feiern, den ich voriges Jahr in Torong-Yauwise unter einer so zahlreichen Indianergesellschaft begangen, an dem ich das Wohl meines Königs noch in vaterländischem Weine hatte ausbringen können. Heute konnte ich es nur in den klaren Quellen des Barama trinken. Spät am Abend be- gegneten uns noch drei Borkkähne mit Akawais , die eine Reise nach dem fVaini unternahmen, und vondenen ich mir, um den heutigen Tag doch in etwas zu verherr- lichen, zwei Landschildkröten eintauschte, die in unserm Bivouak zubereitet wer- den sollten. Von den Akawais hörte ich, dass wir erst nach vier Tagen eine Nie- derlassung erreichen würden. Die Nacht verbrachten wir in einer jener Reisehütten. Ich hatte meine beiden zahmen Affen auf dem Dache derselben befestigt und sass eben im Innern mit dem Einlegen der heute gesammelten Pflanzen beschäftigt, als jene draussen ein gar jäm- merliches Angstgeschrei erhoben. Beim Heraustreten bemerkte ich sogleich den Grund der Noth. Eine jener furchtbaren Labarischlangen (Trigonocephalus atrox) war eben aus der Palmenbedachung hervorgekrochen, und starrte die Affen unbeweglich an. Die geängstigten Tliiere kannten und fühlten die Gefahr vollkom- men, die ihnen drohte. Selbst als ich ihnen die Schlange als Leiche entgegenhielt, zeigten die armen Tliiere noch die äusserste Furcht. Mit Einbruch der Nacht und während derselben hörten wir im Barama sehr häufig die ebenfalls höchst eigentümliche Stimme eines andern Laubfrosches (Hyla palmata Baut /.), der nach dieser von den Colonisten, Farbigen und Indianern « thc paddlcr« (der Ruderer) genannt wird. Die Stimme, die der Frosch in taclmässi- gen, kurzen Intervallen erschallen lässt, ist dem Geräusch, das durch das Einsetzen der Ruder liervorgerufcn wird, so ähnlich, dass wir häufig genug getäuscht wurden. Die Ruderer berühren bei jedem Ruderschlag zugleich mit dem Stiele des Ruders den Rand des Corials, wodurch ein eigentümlicher , hohler Ton hervorgebracht wird, und mag nun dasCorialß — 8 oder lORuderer besitzen, so hört man doch nur immer einen sich schnell wiederholenden, tactmässigen Schlag. An diesem Geräusch, erkennt man , besonders während der Nacht, schon in weiter Ferne die Ankunft eines Fahrzeuges. Der Licblingsaufenlhalt dieses Frosches ist das unmittelbar über der Oberfläche des Flussspiegels hinhängende Gebüsch. Wird er verfolgt, so springt er in das Wasser, verlässt dasselbe aber sogleich wieder, und klettert von neuem an dem Ufer oder den Zweigen, die das Wasser berühren, empor. Am nächsten Morgen kam der Fluss aus einer mehr nordöstlichen Richtung, wobei sich auf seinem rechten Ufer mehre isolirle, dichlbewaldele Hügel erhoben. Die fVarraus nannten sie Lalempo . Eine Tagereise weiter, und wir hatten die BRITISCH-GUIANA. 453 die erste .^raW-Niederlassung , Pirisana mit ungefähr 30 Bewohnern erreicht. Die Männer befanden sich grösstentheils auf Handelsreisen abwesend. Etwa eine halbe Mile weiter aufwärts lag, auf dem entgegengesetzten Ufer, die Caraiben- Niederlassung Cariacu , der Punkt, wo mein Bruder auf seiner Fussreise von Ma- nari aus den Barama erreichte. Wir hielten uns nur so lange in Pirisana auf, um unsern Hunger mit frischem Cassadabrod zu stillen, und fuhren dann nach Ca- riacu. Das linke Ufer, auf welchem das Dorf stand , war so steil, dass wir nur auf einer rohen Leiter zu jenem gelangen konnten. Auch hier fand ich nur den Häuptling und die weibliche Bevölkerung anwesend. Der erste war ein verständi- ger und intelligenter Mann, der mir freundlich entgegen kam, und mir die grösste der Hiitlen zu meiner Wohnung anwies. Der Barama hatte immer noch eine Breite von 60 Yards, dessen ungeachtet behauptete mein Wirth, dass ich wegen der vielen umgesliirzten Bäume und Stromschnellen mit meinem Boote nicht weiter würde Vordringen können, da er von jetzt an nur mit Borkkähnen zu befahren sei, die wegen ihrer Leichtigkeit ohne viele Mühe über diese Hindernisse hinwegzu- schaffen seien. Die reizende Brownea wucherte hier in einer Fülle, wie wir sie nur irgend an den Ufern des Barima getroffen. Unter den Bewohnern des nahen Waldes , stiess mir besonders zahlreich die grosse Eidechse, Podinema Teguixin (fCagl)., der Salompenter der Colonisten auf, deren Fleisch viel Aehnlichkeit mit dem der Jguana hat. Es ist ein äusserst schüchternes und flüchtiges Thier. Sitzt es still, so hebt es gewöhnlich den Kopf in die Höhe, wobei die Zunge in ununter- brochen züngelnder Bewegung bleibt, setzt sich aber, sobald die Flucht zur sichern Wohnung nicht mehr möglich ist, zur tapfern Gegenwehr, wobei es beisst und mit dem 2 — 2V2 Fuss langen Schwänze wacker um sich schlägt. An der Küste findet man den Salompenter viel häufiger, als im Innern, wo er in der Nähe der Hühner- höfe keinesweges gern gesehen wird, da er nicht nur den Eiern, sondern auch dem jungen Federvieh eifrig nachstellt. Die eigenen Eier, welche die Grösse der der Iguana besitzen, fand ich häufig in den grossen,. kugelförmigen Nestern einer Ter- mite, welche diese nicht nur in den Wäldern, sondern auch an den Stumpfen ab- gehauener Bäume in den Plantagen 2 — 3 Fuss vom Erdboden anbaut. Der Sa- lompenler höhlt diese Termitennester aus , verzehrt dabei den eigentlichen Er- bauer, und legt dann seine Eier, 50 — 60 an Zahl , hinein. Den runden Ein- gang bricht er jedesmal in der Nähe des Stammes durch, so dass er, wenn er an dem Baumstumpf emporkriecht, bequem in dasselbe einschlüpfen kann. Die Nachricht von meiner Ankunft zog eine Menge Akawais nach Cariacu, die den obern Barama und seine Umgebungen bewohnten, und mir Proviant, namentlich viel Hühner brachten. Die Akawais unterscheiden sich durch ihren robusten und gedrungenen Körperbau , wie durch ihre tiefröthere Hautfarbe 454 REISEN IN wesentlich von den übrigen Indianern, und sind jedenfalls ein Bruderstamm der Cnraiben , was nicht nur ihre Sprache , sondern auch ihr kriegerischer und unter- nehmender Charakter bekundet. Dass sie der eigentliche Handelsstand Guiana’s sind, habe ich schon erwähnt. Da jeder sich selbst als Herr ansieht, so hat bei ihnen der Häuptling eigentlich nur eine nominelle Macht, und nur ein eminenter Charakter kann seinen Befehlen Anerkennung und Gehorsam erzwingen. Strei- tigkeiten innerhalb der Stammgenossenschaft gehören zu den grössten Seltenheiten, wohl aber waren sie vor der Emancipation wegen ihres Sklavenhandels, nächst den Cnraiben , der gefürchletste Stamm. Gleich wie durch ihren Mulh und ihre Tapfer- keit sind sie auch wegen ihrer Gastfreundschaft gegen alle Fremde bekannt und ihre Provisionsfelder daher auch noch zweimal so gross, als die der andern Stämme. Während der Regenzeit werden diese bepflanzt, und bei Beginn der Trockenzeit begeben sie sich in grossen Caravanen auf ihre Handelsreisen nach der Colonie, wo sie mit dem für Hängematten, Hunde, Papageien und dergleichen gelösten Gelde Messer, Aexte, Pulver u. s. w. einkaufen, und diese wieder bei den Stämmen des Innern für Hängematten u. dergl. eintauschen. Gewöhnlich setzen sie zwei Tage hintereinander die Reise fort, und ruhen den dritten, den sie zugleich zum Fisch- fang und zur Jagd für die nächsten zwei Tage benutzen. Zur Kühlung ihres Rache- durstes wenden siemeistentheils das IVassi an, das sie ebenfalls von den Serekongs eintauschen. Ausser an dem Barama und Barima findet man die Niederlassungen der Akawais , IVnkawnis und fVaikas auch noch an dem Demerara , Masaruni und Potnro. Der ganze Stamm mag ungefähr 700 Individuen zählen. In ihren religiösen Ueberzeugungen stimmen sie ganz mit den Caraiben überein. Da der alte Cß/’fl/Äcw-Häuplling nothwendig ein grosses Messer brauchte, so gelang es mir, seine Zauberklapper gegen ein solches einzutauschen, ein Tausch, der aber mit gros- ser Heimlichkeit abgeschlossen werden musste. Profane Augen dürfen diese Klap- per nicht einmal anschcn, weshalb sie der Piai auch immer in etwas einwickelt. Die Vorläufer der kleinen Regenzeit hatten sich jetzt eingestellt, und wollte ich noch bis zur Mündung des Orinoko Vordringen, um mich hier wieder in den Besitz der auf der Reise nach Berlin verloren gegangenen Seefische zu setzen, so halte ich keine Zeit mehr zu verlieren. Die reissendc Strömung brachte uns bereits am vierten Tage nach der Mün- dung des Bnrimani zurück. Noch ehe wir diese erreichten, begegnete uns ein unge- heurer Zug kleiner Vögel, grösstcntheils Ncctarinien, Tanngridcn und Fringillen, die geschäftig längs dem Ufer nach einer und derselben Richtung von Baumgipfel zu Baumgipfel flogen, und nach Inscctcn suchten. Der Zug war mehre Miles lang. An dem östlichen Ufer des JVaini erreichten wir die Mündung des kleinen Wald- fiiisschcn Timiti , und verfolgten dieses eine Strecke, um eine fVarrau- Niederlas- BRITISCII-GUfANA. \ 55 sung zu besuchen, die etwas vom Ufer entfernt lag. Das Dorf zählte 12 Häuser, in denen mehr Reinlichkeit herrschte , als ich bei den Warraus kennen gelernt halte. Eine interessante Erscheinung war ein zahmes Wickellhicr (Cerco/eptes caitdivolvulus lll. ), das aber seiner Raubgierde wegen an einem Reine angelegt war. Die IV arraus nannten es Uuari. Die T.igeszeit verschläft der Cerco/ep- tes; seine Thätigkeit beginnt erst am Abend. Das Tageslicht scheint über- haupt seinen Augen schmerzhaft zu sein. Wurde es von den mulhwilligen Knaben, die seine Schwäche kannten, aus seinem Schlummer geweckt und vor die Hotte in die Sonne getragen, so blieben seine Augenlieder in einem fortwährenden Blin- zeln, und seine Bewegungen waren langsam und unbeholfen. Gerade das Gegen- theil aber zeigte sich, so wie es nach der etwas dunkleren Hütte zurückgetragen war, obschon auch diese Lebhaftigkeit nur eine kurze Zeit anhielt, da es sich bald wieder zum Schlafen zurecht legte. Das ihm Vorgesetzte Futter, welches nur in süssen Früchten bestand, verzehrte es nach Einbruch der Dunkelheit , wo es dasselbe, wie die Nasua, mit den Vorderfüssen zur Schnauze führte. Als grosse Liebhaber von Süssigkeiten stellen sie häufig den Bienenneslern nach, wobei sie ihr dichter Pelz vor den Stichen der Bienen schützt. Ausser den Früchten fressen sie auch kleine Säugethiere, Vögel und Insectrn. An der Küste wird es viel häu- figer als im Innern gefunden. Die Ufer des fVaini hatten von jetzt ab ganz den Charakter eines Kiisten- flusses angenommen, und mit innerm Schauer sahen wir uns wieder zwischen Man- groven und Curidabüschen eingeschlossen, und hörten das dumpfe Summen zahlloser Mosquitos. Im Verlauf des Nachmittags fuhren wir an der Mündung des Luri vorüber, der von 0. her dem fVaini zufiiesst, und da wir an den sumpfigen Ufern keinen trockenen Platz zum Landen fanden, mussten wir die Fahrt auch während der Nacht fortsetzen. Die Stille wurde nur von unsern Seufzern über die blutdür- stigen Peiniger, durch das Gebrüll der Heulafl'en und wandernden Heerden der Cnl- lithrix sciurea oder durch das Geräusch aufgescheuchler Wasservögcl unterbrochen. Während der Nacht waren wir an der Mündung des Buruwaiwini vorüberge- fahren , der sich etwa 6 Miles vom Luri, ebenfalls auf demselben Ufer, in den fVaini mündet. Etwas unterhalb der Mündung breitet sich plötzlich das Bett des fVaini zu drei grossen Lagunen aus und verengt sich dann eben so plötzlich wie- der zu seiner frühem Breite. Die dritte dieser Lagunen, die sich etwa 2 Miles von seiner Mündung befindet, bietet einen Wasserspiegel von gewiss 2000 Fuss im Durchmesser. Gegen Mittag erreichten wir die Mündung des IHaint, und vor uns lag wieder die bekannte Muschelbank. Das regste Leben hatte sich hier ent- wickelt, eine Menge Corials kreuzten in der Mündung hin und her, Hütten erho- ben sich auf der sterilen Fläche, über die der herrliche rolhe Ibis und die weisse 456 REISEN IN Egrctta hinflogen. Kaum aber erkannte ich unsern alten Lagerplatz wieder, so hatte sich dieser in seiner ganzen Configuration geändert! Da, wo unsere Zelte gestanden, wälzten sich jetzt hohe Wogen hin, und wo wir unsere Fische gefan- gen, stolzirten allerhand Wasservögel auf feuchtem Boden auf und nieder. Die ganze Bank war umgewandelt, und wo wir früher kaum ein 2 — 3 Fass hohes Mangrovengebüsch bemerkt, trat uns jetzt ein 1.6 — 20 Fuss hoher Wald entge- gen. Noch veränderter aber, als die äussere Gestaltung der Bank war das Leben, das wir jetztauf ihr vorfanden, indem sich wenigstens 200 Indianer auf ihr versam- melt, und Corials an ihr landeten und von ihr absliessen, um die in Menge getrock- neten und geräucherten Fische, so wie ganze Körbe mit Krabben einzunehmen und fortzufahren. Selbst ganze Familien Farbiger hatten sich eingefunden, um die dem Fischfang so günstige Zeit hier zuzubringen, und die Beute zu trocknen und zu räuchern. Unter den Indianern erkannte ich bald manch alten Bekannten vom Bu- rma und Arulca. Ungeachtet des starken Seewindes war die Luft doch förmlich von den weg- geworfenen und verwesenden Fischtheilen verpestet. Angel und Netz waren in beständiger Thätigkeit. An ersterer wurde namentlich ein grosser IVels ( Kill - bagre der Colonistenj gefangen, in letzterem der schmackhafte Querri/nan ( Mugil liza). Der Wels soll nach der Behauptung glaubwürdiger Männer ebenfallsseine junge Brut, die fortwährend um den Kopf derMutter herumschwimmt, bei drohen- der Gefahr, wie der Lau-lau , in den Schlund als Zufluchtsstätte aufnehmen. So erzählt Dr. Hancock, dass ein grosser Killbagre , als er gefangen und an das Land gebracht war, drei bis vierhundert seiner Jungen ausgespien habe. Ausser meh- ren andern interessanten Fischen kam ich auch in Besitz des Chelichthyspsittacus , den die Indianer JVurwurima nannten, und von dem sie behaupteten, dass sein Biss den Tod herbeiführe. Nach der Aussage der JVarraus bereiteten die Akawais eins ihrer lödtlichen Gifte aus dem Fische, indem sie ihn trockneten und fein pul- verisirten. Wie wenig oder viel auf die Aussage der Indianer über das Giftig oder Nichtgiftig von Thieren zu geben, habe ich schon mehrfach erwähnt. Besonders häufig wurde auch der eigenthümlichc Aspredo tibicen ( Tem .) , Bagrus pronps, (Val.), me.sops (Val.) und Passung (Val.), Galeichthys Gronovii (Val.) an der Angel gefangen. Das heisere Geschrei der unzählbaren Wasservögel, als : Ibis, Plalalca, Ar - dun, Charadrius, Numenius , Scolopax, Larus und Bhynchops , tönte fast Tag und Nacht lang durch die Luft. Ileerden kleiner Strandläufer liefen mit der grössten Eile nach einer Dichtung unmittelbar am Strande hin , und wurden, wegen ihrer mit dem nassen Sande übereinstimmenden Färbung, nur dadurch wahr- nehmbar, dass sie die heranrollenden Wogen nöthigten, ihren Cours zu ändern oder BRITISCH-GUIANA. 457 aufzufliegen, — kurz jenes mit jedem Augenblick wechselnde, belebte Küstenbild, entfaltete sich wieder in seiner ganzen Fülle vor mir. Mit Anbruch des Abends zogen regelmässig hunderte der herrlichen Frcgattenvögel ( Tachypetes Aquila Vieill.) an der Sandbank, aber immer ausser Schussweite vorüber. Es ist ein reizender Anblick, diese grossen Vögel, mit ihrem zierlichen Gabelschwanz in leich- tem, schnellem, graziösem Fluge, mit dem sic gewandt und leicht gegen den grössten Sturm kämpfen, oft minutenlang in der Luft stehen zu sehen, bis sie sich dann plötzlich unter der Geschwindigkeit eines Pfeiles aus der Luft auf das Wasser nach einem Fisch herabslürzen. Da diese Vögel allabendlich an der Sandbank vor- überzogen, so zweifle ich nicht, dass sie in Ermanglung aller Felsen und felsigen Inseln in Britisch-Guiana , die Nacht in der nahen Waldung auf den Bäumen zu- bringen. Nisten sollen sie in Guiana nicht. Die kleine Regenzeit war jetzt eingetreten und der erneute Ausbruch eines heftigen Fiebers nölhigte mich zur Umkehr, ohne dass ich den Orinoko noch- mals zu sehen bekommen hätte. Nach einem achttägigen Aufenthalt fuhr ich, eich mit Ausbeute beladen, den fVaini wieder aufwärts. Mit Freuden hiessen wir die Mündung des Barimani willkommen , da sie uns nach zwei langen Tagen und Nächten wieder die erste trockene Stelle bot, an der wir landen, unsere ge- krümmten Glieder wieder ausstrecken und übernachten konnten. Den folgenden Morgen erreichten wir den Beara und bald darauf den Asecota, in den ich einfahren musste, da mich mein Fieber mit solcher Gewalt und Unbarm- herzigkeit schüttelte, dass ich mich genöthigt sah, die^ram««^-Niederlassung^e- cota auf zusuchen. Wir waren so glücklich, hier einen der schönen, grossen Wehr- vögel ( Palamedea cornuta Lin.) am Ufer zu schiessen. Obgleich dieser Vogel über ganz Guiana vei'breitet zu sein scheint, so war dieses Exemplar doch das erste, was ich sah, so oft ich auch bereits seine eigenthümliche, laute Stimme im Walde gehört hatte. Die Indianer essen, ich weiss nicht aus welcher Ursache, sein Fleisch nicht, und benutzen blos seine grossen Schwanzfedern zu ihren Pfeilbärten. Er soll nach der Aussage der Indianer, in sumpfigen Waldungen auf der Erde nisten. Ein zweites Exemplar sah ich später in Georgetown , das merkwürdigerweise dort im Garten des Seamanshospital geschossen worden war, und sich wohl verflogen haben musste, da di ePafamedea zu den scheuesten Vögeln Guiana's gehört, und be- wohnte Gegenden flieht. Sein Stirnhorn, so wrie der am vorderen Flügelgelenk befindliche grössere und kleinere, etwas gekrümmte Dorn geben dem grossen Vogel ein eigenthümliches Ansehen. Mein alter Freund Caberalli war abwesend. Ich hatte diesen kurzen Aufent- halt von einigen Tagen nicht zu beklagen, da ich dadurch Zeuge, wenn auch einer scheusslichen, doch höchst merkwürdigen Todtenceremonic wurde, die auch unter II. Theil. 58 458 REISEN IN den Muntrucus gebräuchlich sein soll. Es war ein blutiger Todtenlanz, den sieJ/«- nannten, nach den aus den Fibern der Bromelia Karatas geflochtenen Knuten, die dabei benutzt werden. Nach jedem Todesfall wird dieser Todlentanz von der Familie des Verstorbenen, entweder nach Verlauf von mehren Monaten, oder einem Jahre gefeiert. Der Todte wird unter dem gewöhnlichen Klagegeheul in einen aus- gehöhlten Baumstamm oder ein kleines Corial gelegt, und in der Hiitle begraben. Von dem Todestage an darf das Cassadafcld des Verstorbenen nicht mehr benutzt werden, da das Fest bei eingetretener Reife der Wurzel gefeiert, und aus dieser das dazu nöthige Paiwnri bereitet werden soll. Die Bekannten und Freunde in der Nachbarschaft werden durch umhergesandte Knolenkalender für den festgesetz- ten Tag eingeladen. So wie der Tag anbricht, stellen sich alle Männer des Dorfes in zwei Reihen, bewaffnet mit jenen Peitschen, vor der Hiitle auf, und peitschen jeden Ankommenden aus allen Kräften auf die Waden; kein Hieb darf über, keiner unter diese fallen. Der angekommene Gast sucht diesen Hieben keineswegs zu ent- fliehen , sondern stellt unter herausfordernder Geberdc ruhig ein Bein um das an- dere hin. Die so ßewillkommneten reihen sich nun den Geisslern an und thun den später kommenden Gästen ein Gleiches, bis sich diese alle versammelt. Unter- dess ruht der gefüllte Calabasch keinen Augenblick. Jetzt beginnt eine allgemeine Geisselung unter einander. Es war ein abschreckender Anblick, denn bald strömte das Blut an den aufgeschwollenen Waden herunter und ganze Streifen von Haut und Muskeln hingen von den zerfetzten Beinen herab, Wunden, an denen sie oft wochenlang in der Hängematte liegen müssen, bevor sie wieder geheilt sind. Nachdem das Peitschen eine Zeitlang gewährt, stellten sich die Streitenden in Procession auf, der drei Figuren , einen Kranich und zwei Menschengestalten verstellend , vorausgelragen wurden, und umgingen unter Absingen eines langen, in seinen Modulationen monotonen Gesanges die Hülle, in welcher der Todte be- graben lag. Der Gesang war beendet, und plötzlich stürzten sich drei Männer mit Messern bewaffnet zwischen die frühem Geissler und suchten ihnen mit Gewalt die bluttriefenden Peitschen aus den Händen zu ringen, worauf diese augenblicklich zerschnitten wurden. Unterdessen war ausserhalb der Hütte eine Grube gegraben, in die nach beendigtem Ringkampf die zerschnittenen Peitschen, die drei Figuren, so wie alle Utensilien und Waffen des Verstorbenen, die noch vorhanden waren, gelegt wurden. Mil dem nun folgenden Zuwerfen der Grube ist auch die Erin- nerung an den Verstorbenen erloschen. Bei Besitzern von ausgebreiteten Cassada- feldern sollen diese blutigen Todlenfeste mehrmals wiederholt werden, da die Ma- nihot Verstorbener nur zu Pahvari bei diesen verbraucht werden darf. Bei solchen Wiederholungen werden die zerschnittenen Peitschen sorgfältig aufbewahrt, die bei jedem darauf folgenden Fest benutzten dazugelegt, und die Ceremonie des Be- BRITISCH-GUIANA. 459 grabens findet erst an dem letzten statt. Wer bei dem Fest nicht activ war, hat auch keinen Anspruch, von dem Paiwari zu trinken. Als ich mich bei den Leuten nach dem Zweck und der Veranlassung dieser Todtenfeier erkundigte, wusste mir diese keiner anzugeben. Ihre Voreltern hätten ihre Todten so begraben und sic begrüben die ihrigen noch auf dieselbe Weise. Alle meine Bemühungen, einige dieser blutgetränkten Peitschen, wie auch eine der Figuren zu bekommen, blieben fruchtlos; kaum gelang es mir, einige noch nicht benutzte Knuten einzutauschen. Ich habe schon früher erwähnt, dass die Arawaaks in ihren Sitten und Ge- bräuchen vielfach von den übrigen Stämmen abweichen. Am abweichendsten ist ihre Stammeintheilung, indem der ganze Stamm, wie bei den Arabern, in Familien zerfällt. Nach Hu.lhouse, der längere Zeit unter ihnen lebte, und selbst eine Arawaak zur Frau nahm, besteht der ganze Stamm aus folgenden Familien: Maratakayu , Wunesido , Korobahady , Ebcsuana , Qucyuninto , Dr.maridi, fVurallikady , Daknmokaddy , Aravu/kungu , Ncbebitady, Karuafuddi Baboana, Siwedey , Bakurukaddy, Iianahea , Irobalina, Euboquaddi, Maikoweyu , Hadua- dntunha , Wakuyaddi Karabanury , Beorybelody, Ehbcnsclio , Warirobaquadi, Aramkritu , Kariwhiti, Eubotaddi. Die Kaste oder Genealogie wird durch die Mutter und zwar mit der äusser- sten Sorgfalt erhalten. Keinem Mitglied irgend einer Familie ist es erlaubt, sich mit einem andern derselben Kaste zu verheirathen. Die Kinder des Vaters, der zur Familie der Wurallikadys gehört, sind nach den eben angeführten Gesetzen nicht Wurallikadys , sondern stammt die Mutter aus der Familie der Dakavio- kaddy , Dakamokaddys , und können als solche wohl in die JVurallikaddys, nicht aber in die Dakamokaddys heirathen. In Rücksicht der Wochencerenionien stimmen sie ganz mit denen der übrigen Stämme überein; — der Mann hält diese mit der Frau zugleich. In Bezug auf die Ileirathsceremonien weichen sie nur wenig von den übrigen ab. Will der junge Arawaak einen eigenen Hausstand gründen, hat er unter den Töchtern seines eigenen Stammes gewählt, so unterhandelt er unter der Hand mit den Verwandten des Mädchens, und sichert sich im Voraus, dass er keinen Korb zu erwarten. Weiss er dies, dann macht er einen Besuch in der Hütte der Eltern, theilt diesen mit, wie arm er sei, da er keine Frau habe u. dergl., worauf der Vater unter einer Menge schöner Redensarten dieses bestätigt. Setzt nach Beendigung dieser Präliminarien die Braut dem verlangenden jungen Manne Essen vor, so ist damit die Einwilligung ausgesprochen , der Bewerber isst das 4 orge- setzle und die Heirath ist geschlossen. Am Abend wird die Hängematte des jungen Mädchens von der Mutter neben der des Gemahls aufgeschlungen. AYill ein \ ater für seine Tochter gern eine bestimmte Persönlichkeit zum Manne, so lässt er diesem 58* 460 REISEN IN durch die Tochter bei einem Besuche Essen vorsetzen, isst er davon , so ist die Heirath geschlossen, lässt er es unberührt stehen, so weiss der Vater, dass ihre beiderseitigen Wünsche nicht übereinstimmen. Ist das Mädchen noch zu jung, so dass der Bräutigam noch einige Jahre warten muss, so wird ihm grösstenheils vom Schwiegervater eine Wittwe oder ein älteres, unverheirathetes Mädchen aus der Familie gegeben, die dann nach der Verheiralhung mit der eigentlichen Braut in das Verhältniss einer Magd zurücktritt. Dass den Frauen nach dem Tode der Männer das Haar abgeschnitten wird, habe ich schon früher erwähnt, wie auch, dass sie sich nicht eher verheiralhen dür- fen, als bis dieses wieder eine bestimmte Länge erhalten. Ist dieser Zeitpunkt ein- getreten, so besitzt der nächste Verwandte des Mannes das erste Anrecht auf die Wittwe. Will sie ein anderer besitzen, so muss er sie diesem mit einer Flinte, einem Corial oder mit irgend einem andern Gegenstände abkaufen. Heirathet sie jemand ohne des rechtsbefugten Erben Einwilligung, so ist dies meist der Grund zu blutigen Feindseligkeiten. Dass Polygamie unter ihnen fast allgemein heimisch ist, geht aus dem Angeführten hervor. Der Häuptling kann die Dienste der Familie seiner Frauen, sobald es die Um- stände fordern, in Anspruch nehmen, wofür er aber auch gebunden ist, sie in all ihren Streitigkeiten zu vertreten , die ihnen zugel'ügten Beleidigungen zu rächen, und sie bei eintretendem Mangel u. dergl. in seiner Hütte zu beköstigen. Oft trifft es sich in solchen Fällen, dass das Eigenthum des Häuptlings vollkommen aufge- zehrt wird, und er sich genölhigt sieht, mit seiner unmittelbaren Familie zu ent- fernter wohnenden Verwandten oder Freunden zu gehen, wo er auf deren Kosten so lange bleibt, bis die Cassadal'elder wieder nachgewachsen sind. Die Blutrache wird von den Arawaaks bis in ihre äussersten Consequenzen verfolgt. I n Asacota lernte ich auch eins der interessantesten Thiere Guiana’s, den Nachtalfen ( Ni/clipithecus trivirgatus Spioc), Durukuli der Indianer, als gezähm- tes Hausthier kennen. Es war das erste Exemplar, das ich überhaupt während meines Aufenthaltes sah. Ein zweites fand ich bei meiner Rückkehr nach Denie- rnra bei unserm Freund Stutchbury , welcher es von fremden Indianern gekauft halte. Es ist ein niedliches, eigenlhümliches und eben so lichtscheues Thier, wie die Eule und Fledermaus. Sein kleiner, runder Kopf, die gewaltig grossen, gelben Augen, die kleinen, kurzen Ohren geben ihm ein merkwürdig possierliches Aeussere. Machte der Cercolrptes schon eine eigentümlich verdrossene Miene, wenn er während des Tages aus seinem Schlafe gestört und an dasTageslichtgezogen wurde, so erregten die ängstlichen, hülflosen Bewegungen des Durukuli förmliches Mitleid. Am Tage ist der Durukuli fast vollkommen blind, taumelt wie ein Blinder umher, klammert sich an den ersten besten , dunkeln Gegenstand an, gegen den er auch BRITISCH-GUIANA. 461 das Gesicht drückt, um den schmerzhaften Einwirkungen des Lichts zu entgehen. Der dunkelste Winkel der Hütte, der mächtige Paiwnri- Trog, war sein lieb- ster Aufenthalt, unter dem er während des Tages in einer förmlichen Asphyxie lag, aus der ihn nur mehre Schläge erwecken konnten. Kaum aber war die Nacht hereingebrochen, als der feste Schläfer auch aus seinem Schlupfwinkel hervorkam, und nun gab es kein muthwilligeres, lustigeres Thier. Von Hängematte ging es zu Hän geinatte , wobei er gewöhnlich den darinliegenden Schläfern, Hände und Gesicht beleckte; — vom Boden ging es bis zum äussersten Balken, und was nicht fest genug stand, lag gewöhnlich am Morgen auf der Erde herum. Vermöge der Länge der Hinterfiisse gegen die der Vorderfüsse, gehört der Durukuli zu den ausgezeichnetsten Springern. Die Manöuvres, die ich an dem Exemplare in Asa- cota kennen lernte , wiederholten sich genau bei dem des Herrn Stutchbury. Merkwürdig war es, wenn das Thier Abends bei Tische seinen Tummelplatz unter diesem aufgeschlagen, dann an uns empor gekrochen kam, und, wie von einer Ta- rantel gestochen, zurückprallte, sobald es von den Lichtstrahlen der auf dem Tische stehenden Kerzen getroffen wurde. Im Dunkeln leuchten die Augen viel stärker, als die des Katzengeschlechts. Obschon der Durukuli, wie die Affen, mit allem vorlieb nimmt, so scheinen kleinere Vögel doch sein Lieblingsfrass zu sein, was er auch bei Herrn Stutchbury bewies, wo er schon in der dritten Nacht einen Vogel aus dem Käfig holte. Meinem Bruder war auf seiner frühem Reise nur ein ein- ziges Exemplar aufgestossen, das ein Indianer in einem hohlen Baume gefunden. Sein lichtscheues Leben, wie die tiefen Verstecke, in denen es den Tag zubringt, scheinen mir die Hauptursache , dass das Thier so äusserst selten gesehen wird. Der Pelz ist viel dichter als der der übrigen Affen, auch etwas wollig. Seine geographische Verbreitung scheint sich über einen grossen Theil Südamerika’s zu erstrecken. Obschon ich den Arawaaks einen ansehnlichen Preis für das Thier bot, wollten sie ihren Liebling doch nicht von sich lassen. Sie hatten das niedliche Thier von Akawnis eingetauscht, zu denen es von den Mucusis gebracht wor- den war. Der Tag nach dem Mari quarr i- Feste, wo die Theilnehmer noch krank und berauscht in den Hängematten lagen, verliess ich Asncota und setzte meine Reise den Bamham aufwärts fort. Das erste Ziel meiner Flinte war eine grosse La- Äani-Schlange. Als ich den aufgeschwollenen Leib aufschnitt, wimmelten mir eine Menge 3 — 4 Zoll lange Junge entgegen, die alle noch den Dottersack besussen, was der Angabe widerspricht, dass die Jungen erst im Augenblick des Gebärens aus den Eiern schlüpfen ; wenigstens ist dies bei dem Trigonocephalus atrox nicht der Fall. Nachdem uns am Nachmittag zwei Bote mit Venczuelanern vom Orinoko REISEN IN 462 eingeholt, die nach Georgetown wollten, erreichten wir gegen Abend die Mündung des kleinen Waldflüsschens Kunmuta , und schon wollten wir in diese einlenken, um in der Niederlassung Kunmuta zu übernachten, als wir in dem nicht weit von der Mündung entfernt liegenden, mit Fruchtbäumen umgebenen Dorfe , aus dem uns vor 6 Wochen die Sandflöhe vertrieben, Indianer bemerkten; ich änderte daher meinen Plan und landete dort. So wie ich an das Ufer sprang, fiel mir vor allen eine rothe Uniform in die Augen, die über einen Stuhl ausgebreitet, der vor dem Dorfe stand , so dass sie von jedem, der auf dem llabbo vorüberfuhr, gesehen wer- den konnte. Henry, der Häuptling über di e Warraus am Kunmuta und seinen Um- gebungen, kam mir vor dem Dorfe entgegen, hiess mich willkommen, und führte mich in seine zeitweilige Residenz ein. Seit seiner Erhebung zum Häuptling über alle War raus dieser Gegend von Seiten des Gouverneurs, schlug er sein Hof- lager bald hier, bald dort auf, und hatte eben jetzt die romantisch gelegene Nieder- lassung gewählt. Kaum hatte ich die grosse Hütte mit den verstaubten Glaswaaren u. s. av. betreten, als er auch aus einem wohlverschlosseuen Kasten ein vielfach eingeAvickeltes Packet hervorholte , und aus den vielen Umhüllungen von Papier, Stücken Kattun , trocknen Pisangblättern das vom Gouverneur ausgestellte Di- plom herausbrachte, und es mir mit stolz triumphirenden Blicken hinhielt. Die Uni- form haiteer ebenfalls von diesem erhallen , und damit jeder Vorübergehende er- führe, wer jetzt hier residire, lag sie, sobald er sie nicht angezogen, auf jenem Stuhl ausgebreitet, wie man wohl Flaggen auf den Palais auszustecken pflegt, wenn diese von den fürstlichen Besitzern bewohnt werden. Ueberhaupt war mit Henry eine merkwürdige Veränderung vorgegangen, da er sich mit der Uniform zugleich einen förmlichen Hofstaat angeschafft, denn er hielt es jetzt unter seiner Würde, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen Er hatte seine Jäger, Fischer u. s. av., die er allmonatlich mit Tauschartikeln besoldete. Obschon er seiner jungen, hübschen Frau und seiner niedlichen Tochter eine vollkommen europäische Kleidung gekauft, musste diese doch nach wie vor alle Arbeiten verrichten. Einen ähnlichen Hofstaat bemerkte ich Avährend meiner ganzen Reise nur noch bei dem Häuptling Caberalli , der aber freilich ebenfalls ein Diplom und eine Uniform besass. Zu meiner grossen Freude erfuhr ich durch Henry, der kurz vorher mit Hrn. Ma Clindocr zusammengetrofTcn Avar, dass mein Bruder vor wenigen Wochen glücklich in Georgetown angekommen sei. Als ich schon längst in meiner Hängematte lag, wurde ich noch spät durch laute Stimmen und gewaltigen Lärm aus meinem ersten, festen Schlaf aufgeweckt, in den ich aber bald Avicdcr zurückfiel, ohne mir eigentlich klar bewusst gcAvordcn zu sein, BRITISCH- GUIANA. 463 was der Lärm bedeutete. Es konnte 4UhrMorgcns sein, als ich abermals durch das laute Sprechen einer einzelnen Stimme erwachte. Diese Stimme musste ich schon oft gehört haben, und doch konnte ich im ersten Augenblick nicht mit mir einig werden, wem sie angehörte. Jetzt endlich hatte ich auch die Person gefunden, ohne dass ich sie wegen der noch herrschenden Dunkelheit sehen konnte , — es musste der unermüdliche Schwätzer Clementi aus Wai'ina am Barima sein. Ich riefseinen Namen, und sein: «Matti, Mutti» sagte mir, dass ich mich nicht ge- täuscht. Ihn zum Schweigen zu bringen, hätte jetzt vollends zu den Unmöglich- keiten gehört. Nach Anbruch des Tages setzten wir unsern Weg fort, und erreichten ohne weitere Schwierigkeiten die Mission Morocco , wo ich zwar Herrn Colluns nicht anwesend traf, dafür aber die Schlüssel zu seiner Vorrathskammer vorfand, die der freundliche Missionar in der Voraussicht, dass ich bald eintrelfen müsse, zu meiner Disposition zurückgelassen hatte. In Morocco war noch alles von dem Angriff einer Riesenschlange auf zwei Bewohner der Mission bestürzt. Ein Indianer aus dieser war vor wenigen Tagen mit seiner Frau nach Federwild den Fluss aufwärts gefah- ren. Eine aufgescheuchte Ente hatte der Schuss erreicht und war an das Ufer niedergefallen. Als der Jäger seiner Beute zucilt, wird er plötzlich von einer grossen CWw&'-Schlange ( Boa muri na ) ergriffen. In Ermangelung jeder Vertei- digungswaffe, das Gewehr hatte er im Corial zurückgelassen, ruft er seiner Frau zu, ihm sein grosses Messer zr bringen. Kaum ist die Frau an seiner Seite, so wird auch sie von dem Unthier ergriffen und umschlungen, was demlndianer glücklicher- weise so viel Raum lässt, dass er den einen Arm frei bekommt, und er der Schlange mehre Wunden beibringen kann. Durch diese Wunden geschwächt, lässt sie end- lich vom Angriff ab und ergreift die Flucht. Es war dies der einzige Fall, der zu meiner Kenntniss kam, dass die Boa murina Menschen angegriffen. Da mich meine Warraus nicht weiter begleiten wollten, indem sie fürchteten, an der Arabienküste keine Gelegenheit zur Rückkehr nach Kuamula zu finden, sah ich mich genöthigt, den folgenden Morgen mit Stöckle und meinem Farbigen allein abzufahren. An der Mündung des Pomeroon begegnete ich meinem Freund Ma Clindock, von dem ich bestimmte Nachricht über die glückliche Rückkehr meines Bruders erhielt. Er kehrte mit mir wieder nach seiner Station zurück, und glücklich legten wir die Küstenstrecke vom Morocco bis zur Mündung des Pomeroon zurück, eben so glücklich erreichten wir das Stationshaus. Ohne die Nacht von Mosquitos beun- ruhigt worden zu sein, brach ich am nächsten Morgen auf, erreichte Pomeaco, wo ich meine zurückgelassenen Sachen einnahm und den folgenden Tag in der ß 464 REISEN IN Plantage Anna Regina ankam. Nach einem dreitägigen Erholungsaufenthalt bei meinem Freund Hughs, fuhr ich mit dem Plantagenschooner nach Georgetown , wo ich nach einer Abwesenheit von vier Monaten , reich mit Ausbeute beladen, wieder eintraf, und die Nachricht über die Ankunft der Expedition vollkommen bestä- tigt fand. Ich füge die für Ethnographie und Geographie gewonnenen Resultate dieser so wichtigen Reise meines Bruders in kurzer Uebersicht im folgenden Capitel bei. BRITISCH -GUIANA. 465 XII. Rückkehr meines Bruders von dem Quellgebiet des Corentyn. Resultale dieser Expedition Taruma-Niederlassungen. Barokoto-Indianer. Maopityans oder Froschindianer. Was- serfall des Onoro. Stromgebiet des Amazonas. Caphiwuin. Niederlassung der letzten der Maopityans. Berg Karainuzin. Cataraclenreilie des Caphiwuin. Zurumata-Indianer. Verbindung des Wanamu mit dem Caphiwuin. Kapliu. Flussgebiet des Wanainu. In- dianische Hieroglyphen. Cataracteoreihe des Wanamu. Wasserscheide zwischen dem Amazonas und Corentyn. Pianogholtos. Vereinigung des Curuni mit dem Cutari. Ca- taraclenreihe des Corentyn. Wasserfall Friedrich Wilhelms IV. Pfad des Don Fran- cisco Jose Rodriguez Barata zwischen dem Corentyn und dem Essei|uibo. Rückkehr nach Georgetown. Excursion den Demerara aufwärts. Fluthende Grasflächen. Dona, cobius vociferans. Nectandra Rodiei. Die Kelle der Sandbills. Fauna und Flora der- selben. Goldenhill. Krümmungen des Demerara. Kashwima-IIügel. Vultur papa. Nebenflüsse des Demerara. Granitmassen. Stromschnellen. Ororu Malalli oder grosser Fall. Topogi aphisch statistische Bemerkungen über ßrilisch-Guiana. Rückkehr nach Europa. Am Morgen des 3. Juni war mein Bruder mit seinerParlhie von fV utu-Ticabu aufgebrochen, batte aber einen grossen Theil seiner Provisionen liier zurücklassen müssen, da mehre der Indianer, die ihn zu begleiten versprochen, ausblieben. Den folgenden Tag betraten sie den Urwald und kreuzten bald darauf ein kleines Flüsschen , das dem Quidam zuströmte. Das Terrain bestand aus Wellengrund, der hier und da mit Quarz- und Granitblöeken bedeckt war. Gegen Mittag er- reichten sie die letzte Niederlassung der Aloruis. Sie bestand aus einer massig grossen, runden Hütte, in der nicht weniger als sechs Hängematten aufgeschlungen und alle besetzt waren. Dichtes Gebüsch der Bioca Orellana und schlanke Pal- men (wahrscheinlich eine Euterpe), die bei einer Stärke von 19 Zoll an der Basis des Stammes 100 Fuss Höhe erreicht halten, umgaben die Hütte. Nach meh- ren Circummeridianhöhen des y im grossen Bär und « des Kreuzes , lag die Hütte II. Theil. 59 466 REISEN IN unter 2° 18' 24" Norderbreite. Die Meridianentfernung von Pirarn betrug 21 Miles östlich. Am folgenden Morgen setzten sie ihre Reise fort, durchschnitten den Fluss Dohte, einen der grösseren Nebenflüsse des obern Guidaru , und stiessen bald wieder auf zahllose Granitblöcke , die sich , gleich den eben erwähnten , von N. nach S. erstreckten. Das etwa 1000 Fuss hohe Carawaimi- Gebirge war erreicht, dessen höchster Gipfel, ungefähr 2000 Fuss hoch, östlich von ihnen lag. Anhaltender Regen nölhigte sie, ihre Zelte schon am Nachmittag aufzuschlagen. Nachdem sie am 6. Juni mehre Dickichte von Bambus durchschrilten, standen sie am Ufer des Guidaru , der hier erst eine Breite von 20 Fuss halte. Am jen- seitigen Ufer mussten sie zahlreiche Sümpfe durchwaten, die dicht mit einer Spe- cies Cacao ( Theobroma bieolor?) bestanden waren. Die Bäume hatten meist eine Höhe von 50 Fuss, und ihre Samen lieferten ihnen mehre Tage hindurch den köst- lichsten Morgenlrank. Die grossen Früchte bergen gewöhnlich 00 — 70 Samen, die zwar grösser als die des cultivirlen Baumes, doch nicht so dick waren. Bald nach Mittag erreichten sie eine ßrtw/w-Niederlassung, die mein Bruder schon auf seiner Reise nach den Quellen des Esscquibo im Jahre 1837 auf 38 besucht hatte. W aren seitdem auch kaum 0 Jahre verflossen, wo er in der Niederlassung ein Dorf von 40 Bewohnern getroffen, so mussten sie sich doch bereits den Weg zu den verfallenen Hütten mit der Axt erkämpfen! Die Einwohner waren bis auf zwei Erwachsene und einige Kinder gestorben ; diese letzten Ueberreste eines sonst ausgebreiteten Stammes halten aber den unheilvollen Ort verlassen. Dasselbe war mit einer TV/z*«w«-Niederlassung der Fall, die sie am 8. zu erreichen hofften. Der Cuyuwini lag vor ihnen, die Hütten aber waren verschwunden, die die Bewohner am jenseitigen Ufer von neuem errichtet hatten ; die Tarurnas schienen sich viel mit der Cultur des Zuckerrohrs abzugeben, da sie meinem Bruder ansehnliche Quantitäten zum Tausch anboten. Der Mangel an Trägern nölhigte die Parthie hier länger zu verweilen, als es in ihrer Absicht lag, da die fehlende Zahl erst aus- gefüllt werden musste. Während der Tage vom 13. bis 15. Juni erreichte das Thermometer in der Sonne eine Höhe von 132°, im Schalten zeigte es um 1 Uhr 01° 2. Nach 28 Circummeridianhöhcn nördlicher und südlicher Sterne lag das Dorf unter 2° 4' 30" Norderbreile und 58° 40' 4" Westerlänge von Greenwich. SechsundfünfzigThermomcter- und Barometerbeobachtungen, die sie während ihres Aufenthaltes angeslellt, gaben folgende Resultate : BRITISCH-GUIANA. 467 Instrumente. Mittel. Höchster Stand. Niedrigster Stand. Bemerkungen. Barometer. Zoll. 29. 270 12. J. 11 U. 30Min. Vorm. 29. 316 14. Juni 6 Uhr Morg. 29. 191 Der grösste Unterschied wäh- rend eines und Angefügtes Therm. 79° 68 13. J. 11 U. 30 Min. Vorm. 90° 8 10. Juni 10 Uhr Morg. 70° 3 desselben Tages betrug 190 3 für das Thermometer Freies Thermom. 79° 92 91° 2 70° 5 und 0. 118 Zoll für das Barome- Feuchtes Therm. 76° 92 83o 7 69° 6 ter. Die Verdunstung des Wassers betrug am 12. Juni von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends von 1000 Gran, 252 Gran. Das Resultat von 100 Schwingungen bei 88y2°, ergab am 13. Juni 2 m. 535, 08 p. L. a. und 3 m. 425 bei 90° p. L. b. Das Dorf war ganz von Waldungen umgeben, die nächste Savanne etwa 30 Miles nördlich. Nach Bunten’s Barometer lag es 745 Fuss über dem Meere. Den 18. Juni traten sie in zwei kleinen Corials und sechs kleinen Borkkäh- nen ihre Weiterreise zu Wasser an; die ganze Parthie zählte 23 Personen. Ob- schon der Fluss bis zum Ueberfliessen voll war, war seine Strömung doch höchst unbedeutend. Palmen , unter ihnen namentlich Astrocaryum und Euterpe, einige Waldbäume, deren Stämme mit Brassavola Martiana (Lin dl.) , Zygopelalum ro- stratuni , Epidendrum variegaturn. , hier und da mit einer Brussia bedeckt, bilde- ten die IJfervegetation. Die beiden folgenden Tage mussten sie fast unter ununterbrochenem Regen die Reise fortselzen, bis sie am 21. Morgens den Essequibo erreichten, dessen Bett ebenfalls bis zum Ueberlliessen voll war, wodurch sich seine Strömung bis auf 3 Miles die Mile gesteigert hatte, so dass sie ihn auch nur unter den grössten An- strengungen aufwärts fahren konnten. Nachdem sie am 23. von 0 Uhr des Mor- gens bis Abends 6 Uhr ohne Unterbrechung gerudert halten, wobei sie den ganzen Tag fasten mussten, erreichten sie die ersehnte Tffrwwff-Niederlassung, deren Be- wohner aber leider grösstentheils auf einem Fischzug abw esend w aren. Die Nie- derlassung bestand aus zwei Hütten. Fische, die ihnen die zurückgebliebenen Indianer fingen, und die feinsten Ananas stillten den nagenden Hunger. Auch Zu- ckerrohrwurde ihnen in grosser Menge angeboten, unter welchem der grösste Theil eine Stärke von 8 Zoll Umfang hatte, während die Knoten durchgängig 7 — 8 Zoll von einander entfernt waren. Den 25. setzten sie ihre Reise wieder fort, konnten aber wegen der starken Strömung nur langsam vorrücken. Der Abend wäre leicht für meinen Bruder ver- derbenbringend geworden; denn als er mit Herrn Goodall um diese Zeit unter dem 59* 468 REISEN IN Zelte sass, fühlte er etwas kaltes an seinen Füssen herumkriechen, und ehe er sich noch Gewissheit über den unberufenen Gast verschaffen konnte, sprang Herr Goodall auch schon unter dem Ausruf : eine Klapperschlange ! von seinem Sitz auf. Die leiseste Bewegung mit einem der Füsse würde meinen Bruder dem Grabe nahe gebracht haben. Den 27. Juni erreichten sie eine zweite Törw/ßß-Niederlassung nxaEssequibo , die mein Bruder ebenfalls bereits 1837 besucht hatte, in der sie mit doppeltem Jubel empfangen wurden, da die Bewohner eben ein Paiwari-Fesl feierten. Das Boot, welches als Bowle diente, war 22 Fuss lang und 3y2 Fuss weit; neben diesem stand ein grosser Trog von 15 Fuss Länge, 2*/2 Fuss Weite und 1V2 Fuss Tiefe. Hier traf mein Bruder auch einen zweiten alten Bekannten von seinen frühem Reisen, den RffroÄoito-Häuptling Yarimoko. Die beiden frühem Frauen desselben waren gestorben und zwei andere an ihre Stelle getreten, von denen die jüngere kaum 14 Jahre zählen konnte. Der Tanz, welcher nach Sonnenuntergang folgte, unterschied sich wenig oder gar nicht von dem der übrigen Stämme. Die Berichte, die sie hier über den Corentyn erhielten, zeigten sich äusserst widersprechend, und Yarimoko schmückte diese ausserdem noch mit allerhand Mit- theilungen über bösartige Wassergeister und monströse Ungeheuer aus. Als er aber sah , dass dies keinen Einfluss auf die Parthie ausübte, stellte er ihnen grau- same, indianische Zauberer, Stämme feindlichen Charakters und den äussersten Mangel an Nahrungsmitteln in Aussicht. Wie einst Columbus, gelang es auch meinem Bruder, durch die Vorherverkündigung einer partialen Sonnenfinsterniss sich Yarimoko so geneigt zu machen, dass dieser versprach, ihn bis zu den Maopi- tyans oder Froschindianern zu begleiten, wo er weitere Nachrichten über den Co- rentyn, den er Curitani nannte, einziehen könnte. Um in seinem Dorfe die nölhi- gen Provisionen vorbereiten zu lassen, eilte er bald darauf dahin voraus. Der Stamm der Tarumas zählt ungefähr noch 150 Individuen , die sich mit jedem Jahre mehr und mehr vermindern. Ihr Abscheu, sich mit andern Stämmen zu vermischen, denn die Verbeirathung des Barokoto Yarimoko mit zwei Taruma- Indianerinnen , war eine der höchst seltenen Ausnahmen, und das ungleiche Zah- lenverhältniss der Frauen gegen das der Männer, wodurch ersteren meist noch vor ihrer Reife Pflichten auferlegt werden, die eine zahlreiche und kräftige Nach- kommenschaft (äst unmöglich machen, indem die Kinder in Folge der selbst noch un- entwickelten Mutter meist kaum einige Tage leben, oder ihr ganzes Leben hindurch schwächlich und siech bleiben , müssen ihr gänzliches Aussterben eben so sicher herbeiführen, wie es bei andern Stämmen die Pocken und andere Krankheiten be- reits gelhan. Auffallend erschien es meinem Bruder, dass die Tarumas eine Mondfinster- BRITISCH -GUIANA. 469 niss puoa-toto nannten, was ein Compositum aus /nwa derMond und toto die Erde ist. Sollte dies Zufall sein, oder sollten sie wissen, dass die Erde die Ursache der ^ erlinsterung der Mondscheibe ist? Wie auf unseren früheren Reisen, so suchte sich mein Bruder auch hier auf alle mögliche Weise in Besitz einiger Schädel zu setzen, und war nicht wenig erstaunt, als 4 arimoko bereitwillig auf den Vorschlag einging, ihm die Schädel seiner beiden Frauen, seines Kindes und seiner Schwie- germutter zu überlassen. Um Verdacht bei den Tarumas zu vermeiden, drang er aber darauf, dass mein Bruder Zurückbleiben und nur Herr Goodall ihn begleiten sollte. Dem Schädel der jüngern Frau nach konnte diese kaum 10 Jahre alt ge- wesen sein. Ihre Gebeine lagen in einem Borkkahn , in dem sich zugleich auch eine Flasche mit Wasser befand, damit sie auf dem Wege zur andern Welt keinen Durst zu leiden habe. Neben ihrem Grube befand sich das ihres Kindes, ihrer Mutter und ihrer Mitgemahlin. Als Herr Goodall den Barokoto bat, ihm auch das Grab eines Taruma- Indianers zu zeigen, verweigerte er dies, indem er an diesen nicht das Recht be- sitze, welches er an denen habe, die mit ihm durch Verheirathung verbunden ge- wesen wären. Noch von keinem Indianerstamme war mein Bruder mit solcher aufopfernder Gastfreundschaft aufgenommen worden, als von den Tarumas. Nach vierzig Circummeridianhöhen des ct und ß des Centaurs und y des gros- sen Bär lag das Dorf unter 1° 43' 58" Norderbreite, und nach den Chronometer- angaben unter 58° 20' 51" Westerlänge. Die absoluteHöhe des Dorfes betrug 767 Fuss. 81 meteorologische Beobachtungen, die während der Tage vom 27. Juni bis 8. Juli angestellt wurden, ergaben folgende Resultate: Datum. Instrumente. Mittel. Höchster Niedrigster Berner- Stand. Stand. kungen. 1843 vom Zull. 29. Juni 9 Vorm. 6 Juli 6 Abends Das Wetter 27. Juni bis 6. Juli. Barometer. 29. 248 29. 341 29. 166 war veränder- lich; häufige Ge- 30. Juni 1 Nach. 28. Juni 6 Vorm. witter und star- Angefügtes Therm. 75° 11 80° 60 67° 28 ke Nebel am Morgen. Leich- Freies Thermom. 75“ 22 80° 60 67° 00 ter Wind aus O. bei S. und 0. bei N. Feuchtes Thermom. 73° 92 77° 20 66° 00 Die grösste Differenz während eines und desselben Tages betrug 12° 8. Am 8. Juli brachen sie, nachdem schon einige Tage ein Boot an die Mao- pityans abgeschickt worden war, ebenfalls auf, um in Yarimoko's Dorfe die vorbe- 470 REISEN IN reitelen Lebensmitlel einzunehmen , worauf sich der Häuptling ihnen mit seinem ganzen Haushalt: Männern, Frauen, Kindern, Hunden, Papageien etc. anschloss. Im Laufe des Tages befiel ein eigenthiimlicher Krankheitsfall einen der jiingern Begleiter. Seine Zunge und sein Zahnfleisch begannen so stark zu bluten, ohne dass eine äussere Veranlassung dazu vorhanden war, dass er schon nach kurzer Zeit ohnmächtig wurde. Am heftigsten strömte das Blut aus einer Stelle, wo ihm vor mehren Jahren ein Backzahn ausgezogen war. Erst später gelang es mit Hülfe warmen Essigs die Blutung zu stillen. Den folgenden Tag war der Patient so er- schöpft, dass er sich kaum bewegen konnte. Den nächsten Tag erreichten sie die Mündung des Urana , wo sie ihre Bork- kähne verliessen, um die Landreise anzutreten. Da sie die erwarteten Maopityans hier nicht vorfanden , waren sie genölhigt, einen Theil des Gepäckes zurückzulas- sen. Ein starkes Hundegebell verrieth ihnen am andern Tage die Annäherung von Fremden, und bald standen ihre Boten und 14 Maopityans vor ihnen. Diese unter- schieden sich sowohl in ihrer Körperbildung , wie im Anzug wesentlich von allen Indianern, die mein Bruder auf seinen Reisen kennen gelernt hatte. Obgleich ihre Grösse ganz mit der der übrigen Indianer übereinslimmte, war ihre Statur, wenn auch schmächtiger, doch jedenfalls knochiger, als die der Tarumas. Ihr Kopf war seitlich comprimirt und ihr Gesichtsausdruck, in Folge der glänzenden Augen, viel lebhafter. Das Haar trugen sie zu einem langen Zopf zusammengebunden, der in einer 10 — 12 Zoll langen Röhre aus Palmenblättern lag, die mit einer Menge Fäden, mit den buntesten Federn, behängen war. Unter ihnen befanden sich auch vier Frauen. Sie trugen in jedem Ohr ein rundes Knochenstück, von denen ebenfalls an Schnuren befestigte Federn herabhingen. Die Männer hatten zu dem- selben Zwecke 2 Zoll lange Bambusstäbchen in den Ohrläppchen stecken, und auch die Wangen waren hinter den Mundwinkeln ebenfalls von kleinen mit Federn ge- schmückten Stäbchen durchbohrt. Nach der ersten ßewillkommungsceremonie eilten die angekommenen Indianer bereitwillig nach der Mündung des Urana , um das dort zurückgelassene Gepäck abzuholen. Während des 11. und 12. Juli lag ihrWeg rein gegen O.S.O. Er führte sie über Hügelketten von 100 — 150 Fuss Höhe, die mit sumpfigen Thälern abwech- selten. Die Thäler waren mit der Mauritia aculeata , Oenocarpus Butaua und Bacaba , Astrocaryum Murumura , Iriartea exorrhiza, Euterpe und zahllosen Scitamincen bestanden. Am nächsten Morgen durchschnitten sie den kleinen Fluss Onoro , der in den Essecjuibo fällt , dessen Thal sie dann folgten, bis sie an dem Fusse eines Berges ihr Lager aufschlugen. Das ferne Getöse fallenden Wassers, verrieth ihnen die Gegcwart eines Cataracts, den mein Bruder in Begleitung Good- BRITISCH-GlIIANA. 471 all's und einiger Maopityans noch am Abend besuchte. Der Onoro stürzte sicli über einen Steilabsturz von 100 Fuss Höhe in das Thal herab, dem sie bisher ge- folgt waren. Am folgenden Morgen überstiegen sie den Berg Zibingaatzacko , kreuzten nochmals den Onoro, und setzten von da an die Preise in ununterbrochenem Auf- und Abwärtssteigen von Bergen und Höhen fort. Mauritia Jlexuosa bedeckte die Thäler. Viele der Stämme erreichten eine Höhe von mehr als 100 Fuss, bevor sich ihre reizenden Wedel ausbreiteten, was meinen Bruder um so mehr wunderte, als sowohl er, wie ich ausser in der Umgebung des Roraima die Palme bisher nur auf den Savannen gefunden und die absolute Höhe hier bereits wieder 1200Fuss betrug. Auch die meisten Exemplare der Mauritia aculeata hatten 50 — 00 Fuss Höhe. Nachdem sie die Berge Honicuri , Yiatzo und Kabai-okitza überstiegen, stiessen sie in einem kleinen Längenthale auf den ersten Fluss, der dem Amazonen- strome zueilte. Die absolute Höhe des Thaies betrug 1130 Fuss ; die eigentliche Wasserscheide zwischen dem Stromgebiete des Esscquibo und des Amazoncn- Stroms lag noch 120 Fuss höher. Der kleine Fluss war der Caphiwuin oder Apiniau, der den IVanamu aufnimmt und dann vereint mit ihm den Kaphn , den Trombetas der Portugiesen bildet. Wie am Morgen, so folgte auch jetzt noch Berg auf Thal, bis sie den Kenu- kawai überschritten und das Thal des Darum , des ersten bedeutenden Neben- stroms des Caphiwuin , erreicht hatten. Nach 5 Miles unausgesetzten Marsches betraten sie das Provisionsfeld der Niederlassung der Maopityans , die aus zwei riesigen, kuppelförmigen Hütten bestand, über die sich ein zweites kleineres, kup- pelförmiges Dach, mit mehren flachen Stücken Holz, in allerlei Figuren ausgeschnit- ten , behängen, welche vom Wind hin und her bewegt wurden, erhob. Nur unter Zittern und Zagen wagten die Frauen den Ankommenden die Hand zur Bewillkommung zu reichen. Die beiden Hütten beherbergten den letzten Ueberrest des einst mächtigen Stammes der Maopityans oder Froschindianer. Die grössere Hütte hatte bei einer Höhe von 100 Fuss 86 Fuss im Durchmesser. In der Mitte erhob sich ein starker Träger , welchen sie Aiyukuba nannten; er war mit einer Menge indianischer Figuren und Hieroglyphen bedeckt. In Folge der seitlichen Compression des Kopfes , die aber keineswegs durch Kunst hervorgebracht wird , wie sich mein Bruder bei einem neugebornen Kinde überzeugen konnte, sind ihre Gesichter ungemein lang, dabei auch zugleich der ganze Kopf von geringerem Umfang, als bei den übrigen Indianern. Der Hinter- kopf zeigte sich bei den Männern und nach oben fast perpendikulär ; das Stirnbein war nur schmal , die Backenknochen dagegen scharf und hervorstehend ; besonders auffallend aber war der grosse Abstand von Ohr zu Ohr. 472 REISEN IN Eisen schien bei ihnen noch ganz unbekannt zu sein ; Knochen vertraten seine Stelle. Auch sie besassen eine Art Pfeilgift, das sich aber beiweitem nicht so wirk- sam als das der Macusis bewährte. Zu ihrem Festschmuck gehören ausser jenen Zopfkapseln, auch noch eine Art Armbänder aus Palmenblättern, ebenfalls mit Hie- roglyphen bemalt, die an den Oberarm geschoben werden. Unter dieses Armband stecken sie die Schwanzfedern des blauen Araras mit der Fahne nach oben, so dass die Spitzen derselben den Kopf noch um 5 — 6 Zoll überragen , was dem so her- ausgeputzten Indianer ein mehr als phantastisches Ansehen giebt, wozu der schnur- rengleiche Putz in den Wangen einen grossen Theil beiträgt. Baumwolle schienen sie nur wenig zu ziehen , da bloss ihr Schamschurz aus baumwollenen Fäden, die Hängematten dagegen aus den Fibern der jungen Maurilia-W edel geflochten waren. Die Gesammtzahl der noch lebenden Maopityans betrug 39, die zugleich mit einigen zwanzig Tarawas, aus denen sie auch ihren Häuptling gewählt, die beiden Hütten bewohnten. Sie selbst nannten sich Mawakwas , die W apisianas aber Maopilyans , von Mao der Frosch und pityan das Volk oder der Stamm. Auf seine Fragen nach dem Corentyn erfuhr mein Bruder nur, dass sie, um nach den Fluss Curuni zu gelangen, den Caphiwuin bis zu der Mündung des fVa- namu , der vonN. herkäme, hinab, den letztem dann aber aufwärts fahren müssten, bis sie zu den Niederlassungen der Pianogholtos und Drios kämen, die in der Nähe des Curuni wohnten. Da die Flotte der Maopityans nur aus Borkkähnen be- stand, die sich noch dazu in einem erbärmlichen Zustande befanden, musste die Parthie sich zuvor selbst solche bauen. Aus der Rinde eines einzigen Mara?ien- Baumes (Copaifera) konnten sie sich allein zwei Borkkähne verfertigen, von denen jedes 35 Fuss Länge und 4 Fuss 5 Zoll Weite hatte. Als der Baum umge- hauen war, lief der Balsam in solcher Menge heraus, dass man leicht mehre Gallo- nen damit hätte füllen können. Er war vollkommen weiss und durchsichtig. Die Maopityans salben ihren Körper damit; die medizinischen Eigenschaften desselben aber waren ihnen ganz unbekannt. Einer der Bäume in der Nähe des Lagers muss von der Basis bis zur Wipfelspitze 125 Fuss. Die Mawakwas nannten ihn Yaru-yaru. Um die Pianogholtos von der Ankunft der Fremden zu benachrichten, waren schon am Tage nach dem Eintreffen der Expedition zwei Mawakwas an diese ab- gesandt worden. Das Dorf lag unter 1° 25' 18" nördlicher Breite und 58° 6' 14" westlicher Länge von Greenwich. Am 18. Juli waren die ßorkkähne fertig, wie die Frauen auch so viel Cassadamehl bereitet hatten als ihnen die ungünstige Erndte ihrer Felder er- laubte, und in Begleitung von sechs Mawakwas brach mein Bruder nach dem Ge- biete der Pianogholtos auf. Da das Bett des Caphiwuin , hier kaum 45 Fuss breit, BRITISCH -GHANA. 47.3 lag voller Granitblöcke und umgestiirzter Bäume, weshalb sie sich an vielen Stel- len ihr Fahrwasser auch erst mit der Axt erkämpfen mussten. Am 20. Juli fuhren sie an der Basis des etwa 1500Fuss hohen Yucawaria vorüber. Die Gebirgsrücken verliefen meist in nord und östlicher oder in nord und westlicher Richtung. Die üppigste Vegetation umsäumle die Ufer des Caphiwuin. Isertin , Pein a , Posoque- ria , Carapa guianensis, Tachigalia paniculata , Clusia insignis , Eperun , Ber- thollelia excelsa , Theobroma und zahllose Palmen vereinigten sich zu dem rei- zendsten Landschaftsbilde, dessen Hintergrund durch jene, ebenfalls dichtbewalde- ten Gebirgsrücken geschlossen wurde, zu denen sich bald eine lange Reihe mächtiger Wasserfälle gesellte. Am Abend des 20. Juli hatten sie den Scheitel des Uwiga, des ersten bedeutenden dieser Fälle, erreicht. Den 21. passirten sie den 2850 Fuss über das Ufer sich erhebenden Berg Karamuzin und schlugen am Abend ibr Lager in der Nähe des Scheitels eines neuen Wasserfalls auf, der durch einen perpendikulären Grünsteindamm gebildet wurde. Von besonderem Interesse waren mehre 8 Zoll im Durchmesser und 2 Zoll Tiefe haltende Höhlungen in diesem Felsen. Der Fall lag unter 1° 23' 23" Norderbreite. Den folgenden Tag verloren sic bereits zwei Fahrzeuge ihrer klei- nen Flotte, die gegen einen Felsen anrannten. Den 23. Juli nöthigte sie der Fall Wamaru Serrika , ihre Boote auszuladen und diese sammt dem Gepäck an dem Ufer hinzutragen, eine Arbeit, die erst am Abend beendet war. Die Höhe des Falles betrug 45 Fuss. Kaum waren sie am Morgen des 24. Juli eine Mile gefahren, als ein neuer Cataract, dem bald mehre, wenn auch nicht so bedeutende, schnell aufeinander folgten, sie zwang, die mühselige Arbeit von gestern von neuem zu beginnen. Am Nach- mittag des 26. Juli erreichten sie den Fall Karamutahura, der sich besonders da- durch auszeichnete, dass der grösste Theil des Wassers in einem 450 Fuss langen, natürlichen Granitaquäducl in südöstlicher bei östlicher Richtung abdoss. Er erhob sich 20 Fuss über den übrigen Theil der Wassermasse, die sich schon bei seinem Beginn in diese Tiefe hinabgeslürzt hatte, und längs der Basis des Aquäductes hin- (loss, um sich dann am Ende desselben wieder mit dem herabbrausenden Wasser des Cataracts zu vereinigen. Die Boote mussten hier an Seilen herabgelassen werden. Kaum lag dieser Fall eine halbe Mile hinter ihnen, als sie auch wieder den Scheitel eines neuen Cataracts erreicht hatten. Das Wasser wälzte sich über eine scharf ge- neigte Granitmasse von 1500 Fuss Länge und stürzte sich dann einen mächtigen Steilabslurz hinab. Die Boote mussten daher abermals ausgeladen werden. Der schwarze Pacu war hier so häufig, dass sie in kurzer Zeit theils mit Pfeilen, theils mit ihren Waldmessern 21 Stück erlegen konnten. Nach der Barometermessung lag das Flussbett jetzt 222 Fuss tiefer als in der II. Theil. 60 474 ItEISEN IN Umgebung der Niederlassung der Maopityatis , so dass auf die Mile 4, 4 Fuss Fall kamen. Der eben angeführte merkwürdige Cataract lag unter 1° 20' 50" nördlicher Breite und 57° 10' 50" westlicher Länge von Greenwich. Nach den vielen Spuren, die sie am andern Morgen indem Sande fanden, mussten die Jaguars hier ziemlich häufig sein. Gegen Mittag fuhren sie an der Mündung des Camu (Sonncnfluss) vorüber, der sich von N.N.O. in den Caphi - wuin ergoss. Am 28. trafen sie endlich wieder einmal auf eine jener Fischerhülten, wie sie die Indianer an fischreichen Stellen zu errichten pflegen. Seit Uwiya war dies die erste, wie die Umgebung derselben überhaupt die « ultima Thule » der Maopityans zu sein schien. Ein kleiner Fall, der der Fahrt aber manche Schwierigkeiten ent- jrejrensetzle, veranlassle meinen Bruder an seinem Scheitel zu übernachten. Kaum hatten sie die Zelte aufgeschlagen, als ihnen in einiger Entfernung aufsteigender Bauch die Nähe von Menschen verrieth. Einer der Borkkähne wurde den Cata- ract hinabgelassen und der Rauchsäule zugerudert, wo sie eine Familie der Zuru- matas , eines Zweigstammes der Pianoghollos , fanden, die aus einem Mann, einer jungen Frau, einem Mädchen und einem Knaben bestand; letztere gingen vollkom- men nackt. Seiner Körperbildung nach stimmte der Mann ganz mit den Maopityans überein, ohne dass er aber, wie diese, einen Zopf getragen. Der Queyu der Frau war aus Saamenkörnern zusammengesetzt. Sie waren eben auf der Rückreise nach ihrer Heimath, die noch fünf Tagereisen von hier entfernt sein sollte. Am 29. Juli erreichten sie die Verbindung des Wanamu mit dem Caphiwuin . Der erste kommt aus N. bei 0., während der Lauf des Caphiumin kurz vor der Vereinigung rein 81° 0. ist; als vereinigter Strom fliessen sie 0. bei N., und die Maopityans und Pianoghotlos nennen ihn nun Hop hu oder Kajfu. Die Vereinigung beider Ströme liegt unter 1° 21/>/ Norderbreite und 56° 48' 43" Westerlänge von Greenwich , während die Baroineterbeohachtungen eine Höhe von 540 Fuss über dem Meere angaben. Nach den Berichten, die mein Bruder später erhielt, scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, dass der Kaphu der Trombetas , Oriximina oder d 'Acuna's Cunuriz ist, der unter 1° 57' Siiderbreite , in der Nähe von Obydos, in den Amazonenstrom fällt. Die Vereinigung liegt nach Martius 451 Pariser Fuss über dem Meere, eine Höhe, die nach meines Bruders Ueberzeugung jedenfalls zu hoch angegeben ist, was auch bei der Barra do Rio Negro der Fall ist, welche Martius zu 522 Pariser Fuss lestgestellt, obschon selbst Fort Sab Jonquim , das von da noch beinah 300 Miles den cataraclenreichcn Rio Branco aufwärts liegt, diese Höhe nicht erreicht. Wie ich schon früher bemerkte, waren die Ufer des obern Trombetas in Folge der neuern Entdekungen den Amazo- nen als W ohnung angewiesen, nachdem sic aus allen frühem ihnen zugeschrie- IiRITISCII-GMANA. 475 benen Gebietstheilen vertrieben worden ; — doch auch hier halte sie mein Bruder vergebens gesucht, ja den Bewohnern dieser Gegend war sogar die Tradition über ihre Existenz fremd. Der W i an amu , den sie jetzt aufwärts fuhren, und den die Indianer in seinem obern Laufe Yau-uh nannten, hatte, gleich dem Caphiwuin, trübes, gelbes Wasser. Seine Strömung betrug ungefähr lJ/2 Knoten in der Stunde, wobei sein Belt von mächtigen Grauitfelsen durchbrochen wurde. Die Berge, an deren Fuss sich der Fluss hinwand, erreichten nur an einzelnen Stellen eine Höhe von 3(J0 Fuss; desto höher aber stieg jeden Mittag die Hitze, da das Thermometer dann gewöhnlich 128° in der Sonne zeigte, obschon es am Morgen selten höher als 08° stand. Unter 1° IG" Norderbreite vereinigte sich der Curiau mit dem IVanamu. Er kam von N.W. und war etwa 200 Fuss breit. Fünf Miles weiter aufwärts fand mein Bruder wie- der die ersten indianischen Hieroglyphen, seitdem er den Essrquiho verlassen. Vergebens hatte er solche an der Vereinigung des Caphiwuin gesucht; sollte ein späterer Reisender dort solche finden, so waren sie jetzt in Folge des hohen Was- serstandes von den Wellen bedeckt. Am 3. August traf die Expedition unter 1° 30' N. die Mündung eines Flus- ses, der die Grösse des Curiau hatte, und da der etwas stupide Führer auf die Frage meines Bruders nach dem Namen desselben nur mit einem gleich stupiden ■■ Ila ! « antwortete, verzeiehnete er ihn unter diesem Namen in seine Karte; einige Miles weiter aufwärts standen sie abermals vor dem Anfang einer ganzen Reihe wild- brausender Cataracten. Kleine Hügel aufeinandergethürmter Granitblöcke wa- ren zu beiden Seiten der empörten Wassermasse mit einer üppigen Vegetalions- fülle bedeckt und zugleich die Urheber der Wasserfälle. An mehren derselben mussten sie die Borkkähne ausladen , und an dem letzten verloren sie noch eins ihrer Fahrzeuge , was ihnen um so schmerzlicher war, als es den letzten Korb mit Cassadamehl enthielt. Der grösste der Fälle lag unter 1° 33' 30" N. und 8K Miles östlich von der Niederlassung der Maopityans. Den 5. August halten sie abermals den Verlust eines der Kähne zu beklagen. Achtzehn Tage waren jetzt verflossen, seit sie die Maopityans verlassen, der Hunger war schon seit einiger Zeit ihr Begleiter gewesen, und die ersehnten Pia- «og’Äo^o-Niederlassungen wollten sich noch nicht zeigen, bis sie heute, als eben der Kahn meines Bruders um eine Krümmung des Flussbettes bog, ein Corial mit zwei Indianern den Fluss herabkommen sahen. Kaum aber wurden sic von diesen wahr- genommen, als dieselben auch das Fahrzeug drehten und eiligst flohen. MeinBruder konnte sie nicht einholen. Dasselbe war mit zwei andern Indianern in einem Co- rial der Fall. Mehre andere Corials in einer kleinen Bucht verriethen ihnen die Landungsstellc einer Niederlassung, die sic aber von allen ihren Bewohnern ver- 60* 476 REISEN IN lassen fanden. Die Furcht war offenbar durch die vier Männer herbeigeführt wor- den , die durch ihre Kunde von der Annäherung fremder Leute Angst und Schrecken verbreitet halten , da die Bewohner ihre ganze Habe, selbst die Hänge- matten, hinter sich gelassen. Obschon mein Bruder den Flüchtigen augenblicklich zwei Maopityans nach- schickte, um sie womöglich von den friedlichen Absichten der Angekommnen zu überzeugen , wie er zugleich die ernstesten Befehle erliess , nichts von den Sachen der Bewohner anzurühren, die nach den 8 — 10 Waldmessern, mehren neuen Aexten, Messern und Scheren, alles holländisches Fabrikat, entweder mit den Indianern Surinams oder den il/ff/v/^-Negern in lebhaftem Verkehr stehen muss- ten , so kehrten die Boten doch unverrichteter Sache zurück , — sie hatten die Flüchtlinge nicht gefunden. Bei Einbruch der Nacht brachte meinem Bruder ein fVajrisiana die Nachricht, dass die Maopityans den Plan geschmiedet, während der Nacht die Niederlassung mit dem Eigenthum der Bewohner zu verlassen und die Expedition ihrem Schick- sal preiszugeben. Ohne Zögern wurden alle Gewehre geladen, die rebellischen Froschindianer in eine der Hütten eingesperrt, und ihnen deutlich gemacht, dass jeder, welcher die Flucht versuchen sollte, niedergeschossen werden würde. Un- geachtet der strengsten Wachsamkeit waren während der Nacht doch drei der Ge- fangenen entsprungen. Bei Tagesanbruch zeigte es sich , dass sie im Verlauf des vorigen Abends bereits alles Tragbare entfernt hatten. Diese Sachen mussten wieder herbeigeschafft werden. Der Häuptling und der Führer wurden als Geissein zurück- behalten, der drille aber unter der Drohung entlassen, dass, wenn das gestohlene Gut am Abend nicht zurückgeliefert, diese beiden Männer erschossen werden sollten, überhaupt aber so lange Gefangene bleiben würden, bis es ihm und den in derNacht Geflohenen gelungen, die geflüchteten Pianoghottos zur Rückkehr zu bewegen. Nach Verlauf einer Stunde waren die gestohlenen Sachen wieder in der Nie- derlassung, und die drei entflohenen Maopityans auf dem Wege, die Pianoghottos zurückzubringen. In den nächsten Tagen verrietheu zwar mehre Zeichen , dass während der Nacht das Dorf von Beobachtern umschlichen worden war, alles Suchen nach ihnen blieb aber vergeblich. Endlich am 13. August kehrte eine der suchenden Slreifparlhien mit der Nachricht zurück, dass sie am Flusse I riau mehre Pianoghottos getroffen, und dass diese mit den Maopityans den Fluss aufwärts kä- men. Es war jene Zuramata- Familie, die der Expedition bereits an der Mündung des fV anarnu begegnet war. Sic hallen sich von dort nach einigen Niederlassungen der Pianoghottos gewendet, in denen auch bald darauf die flüchtigen Bewohner des Dorfes mit der Nachricht angekommen, dass die gefürchteten Tschi/ciana- Indiancr den Fluss heraufgekommen wären. Der Zuramata, überzeugt, dass man BIUTISCII-GUIANA. 477 die weissen Männer für solche gehalten, hatte sich bereit erklärt , zu diesen zu gehen, worauf ihm auch acht Pianogholtos gefolgt, die am folgenden Tag ankom- men würden. Vergebens aber sahen sie diesen den 16. August entgegen, und da mein Bruder jetzt wusste, wo sie zu finden, entschloss er sich selbst dorthin aufzubrechen. Nach 84 Circummeridianhöhen südlicher und nördlicher Sterne , lag die Niederlassung unter 1° 40' 5" Norderbreite und 56° 30' 19" Westerlänge von Greenwich. Das Dorf lag 753 Fuss über dem Meere. Das Mittel der meteorologischen Beobach- tungen gab folgendes Besultat : Zeit der Beobachtun- gen. Instrumente- Mittel. Höchster Stand. Niedrigster Stand. 7. August Zoll. 7. August 10 Uhr Vorm. 8. August 6 Uhr Nachm. bis Barometer. 29. 258 29. 341 29. 216 15. August. Angefügtes Therm . 81° 39 8. August 2 Uhr Nachm. 91° 56 14. August 6 Uhr Vorm. 66° 92 Freies Therm. 81° 47 92° 0 © o Feuchtes Therm. 77° 05 82° 9 66° 5 Als dieParthie am Nachmittag des 16. August aufbrechen wollte, waren nicht nur fünf der Maopityans , sondern auch die Zururnatas verschwunden. Der Zu- rückgebliebene zeigte sich bereit zu folgen. Nachdem sie den fVanamu wieder 10 Miles abwärts gefahren, wandten sie sich in den Iriau , dessen Wasserspiegel durch eine Menge angetriebener Bäume und Stromschnellen unterbrochen wurde. Am 18. August stiessen sie wieder auf die Maopityans , die ihnen zu Lande gefolgt waren. Auch während des 19. August verliessen sie abermals drei der Maopi- tyans heimlich , so dass sich mein Bruder genöthigt sah , sein Gepäck ausser den Instrumenten und einigen andern unentbehrlichen Gegenständen hier zurückzulas- sen, da die Landreise hier begann und die treuen Macusis und fV apisianas nicht mehr zu tragen im Stande waren. Dort liegen jetzt noch die werthvollen Samm- lungen, die mein Bruder auf der Reise von Watu-Ticaba an gemacht! — Nachdem sie auf das linke Ufer des Iriau übergesetzt, führte sie der Pfad über Berge und durch Sümpfe, die dicht mit Euterpe und Oenocarpus bestanden waren. Den 21. August stiessen sie auf den ersten Fluss, der gegen N.N.W. floss; sie hatten damit das Bassin des Amazonenstroms verlassen. Die Hügel , welche die Wasserscheide bildeten, waren kaum 150 Fuss hoch. Nach einigen Minuten stan- den sie vor einer verlassenen Hütte, die nach den genommenen Beobachtungen 478 REISEN IN unter 1° 49' Norderbreite lag; sie hatten demnach die Wasserscheide unter 1° 48' 30" Norderbreite und 56° 30' westlich von Greenwich überschritten. Ihre absolute Höhe betrug 794 Fuss. Aus mehren Zeichen ging hervor, dass die Hütte noch vor kurzer Zeit bewohnt gewesen sein musste. Nachdem sie den 23. August den Aramatau gekreuzt und ihren Weg durch Sumpf und über Hügel fortgesetzt, stiessen sie auf eine Lagerstelle, die kaum vor einer Stunde verlassen sein konnte; eine halbe Stunde später hatten sie ein Piano- ghotto-Dori erreicht, wo sie von den athletischen und wohlgebildeten Bewohnern erwartet und bewillkommet wurden. In ihrem Anzug glichen diese ganz den Maopitgans , ja , auf den Haarzopf war so viel Sorgfalt verwandt, dass dieser dem ersten pariser Coiffeur Ehre gemacht haben würde. Der Körper war nicht mit Li- nien bemalt, sondern mit Ausschluss des Gesichts vom Kinn bis zur Zehe roth ange- strichen. Die Männer trugen eine Fülle von Glasperlen um die Lenden und Schul- tern und, wie die Zui'i/matas, baumwollene Schnüre unter den Knieen, von denen eine Menge Quasten herabhingen. Um den Nacken hing jedem Mann ein sauber gearbeiteter Kamm auf die Brust herab. Die Bogen und Pfeile waren ungemein lang; Kriegskeulcn besassen sie nicht. Die Weiber waren beiweitem stiefmütter- licher von der Natur bedacht worden als die Männer und trugen das Haar ganz kurzgeschoren. Das Dorf bestand aus drei Hütten, von denen die eine in der Bauart genau mit denen der Maopitgans übereinstimmte; die beiden übrigen waren offene Schutzdächer. Nach den Berichten, die mein Bruder über die Gegend einziehen konnte, un- terlag es keinem Zweifel, dass der Curuni oder Curuwuini der Pianoghottos, der Curitani der Maopitgans war. Im 0. waren die Cocoipitgans oder Harpyia- Adlerindianer ; fünf Tagereisen weiter die Mehurus oder Marun-Ncger Surinams ihre nächsten Nachbarn. Mit letztem stehen sie in lebhaftem Tauschhandel. Den 25. August wandcrlen die gesammten Einwohner des Dorfes aus, um die zurückgelassenen Sachen der Expedition nachzuholen, wie zugleich auch die drei Maopitgans , nachdem sie ihren Lohn empfangen, mit ihnen gingen; der Lohn für einen vierten, der in Folge eines bösen Fusses nicht hatte folgen können, wurde den Abgehenden ebenfalls ausgezahlt. Unter sieben Tagen konnten die Pianoghot- tos nicht zurückkehren; diese Zwischenzeit wurde dazu angewandt, neue Bork- kähne zu verfertigen und Cassadabrod zu backen, da mein Bruder die Reise den Cu- tari abwärts fortsetzen wollte. Einige Tage nach der Abreise der Bewohner, besuchten die Expedition mehre Pianoghottos aus der Nachbarschaft, von denen mein Bruder zugleich manche geographische und ethnographische Notiz einziehen konnte. Oesllich von dem Dorfe sollten auch die Orokoganna oder Papageiindianer wohnen ; gegen S.S.O., BltlTISCH-GUIANA. 4 79 an den Ufern des Kaphu, die Tsckikianas, die Furcht und der Schrecken der fried- liebenden Nachbarn; in der Nähe der Quelle des JVanamu, etwa fünf Tagereisen von hier die Drios , ein Bruderstamm der Piano gho tto s weiter gegen S.O. die gleichfalls gefürchteten Maipurischiannas oder Tapirindianer, die die Schädel ihrer erschlagenen Feinde als Trinkgefässe benutzen. Gegen S.W. liegt das Gebiet der Tunayannas (Wasserindianer), und weiter westlich das der Carawayannas, der Barakutyos oder Barokotos. Der reine Westen schien unbewohnt. Als mein Bruder die Namen der Arawaaks und Warraus nannte, zeigten sie gegen N. Den 1. September war wenigstens ein Theil des Gepäcks nach dem Dorfe ge- bracht und mein Bruder entschloss sich, ohne weitern Verzug aufzubrechen, ob- schon das Salz , die Zeltbedachung und der grösste Theil der Sammlungen noch fehlte. Die während des neuntägigen Aufenthaltes gemachten meteorologischen Beobach- tungen ergaben folgende Resultate : Zeit der Benbachtun- gen. Instrumente. Mittel. Höchster Stand. Niedrigster Stand. 21. August bis 1. Sep- Barometer. Zoll. 29. 074 30. August Mitlag. 29. 139 29. 028 tember 100 Beobach- Angefügtes Therm. OO o © OO 29. Aug. 2 U. 30 Min. V. 90° 44 65° 12 lungen. Freies Therm. 80° 96 o o o 65° 60 Feuchtes Therm. 76° 42 83° 65° 1 Der Ort lag unter 2° 3' 36" Norderbreite und 36° 34' 3" Westerlänge. Das nächste Ziel der Reise, an dem sie sich auch einschiffen wollten, war eine Niederlassung der Drios am Cutari. Ausser dass sich die Drios gleich den Süd- seeinsulanern den ganzen Körper tattowiren, stimmen sie in Anzug und Körperbil- dung mit den Pianogholtos überein. Die Niederlassung lag unter 2° 3' 30' nörd- licher Breite und 56° 34' 39" westlicher Länge. Am Mittag des 6. September waren die fünf ßorkkähne beladen , und obschon sich die Mannschaft bereits seil zwei Tagen abgemüht, eine Fahrstrasse durch die wild übereinander aufgestauten Bäume zu hauen, so kamen sie doch nur langsam vorwärts. Jeden Morgen mussten sie die Hälfte der Leute vorausschicken, um den Wasserweg wenigstens etwas zu klären. Am 11. August erreichten sie die Mün- dung des Aramatau , den sie am 22. August durchkreuzt hatten. Die vereinigten Ströme, etwa 500 Fuss breit, schlugen jetzt einen nordnordwesllichen Lauf ein. 480 REISEN IN Etwa zwei Miles von der Verbindung begann die Reihe der Cataracten und Strom- schnellen, die sich in nordnordöstlicher Richtung hinziehen, worauf der Fluss wieder gegen Nordnordwesl fliesst, und bald darauf den Curuni aulnimmt, der über einen bedeutenden Steilabsturz in den Cutari hinabbraust, um unmittelbar darauf nochmals mit dem letztem vereint über einen mächtigen Granitdamm hinabzustürzen. Der Curuni war ebenfalls ungemein reich an Stromschnellen und kam aus O.S.O. Die Vereinigung beider Flüsse lag unter 2° 20 50" N.B., 612 Fuss über dem Meere. In fast ununterbrochener Reihe setzten sich jetzt die Cataracte und Strom- schnellen fort, unter denen mein Bruder den einen Sir Walther Raleigh’s Calaract nannte, da sich ein mächtiger Giimmerfelsen in der Nähe der Basis mitten aus den schäumenden Wogen erhob, auf dem die Sonnenstrahlen eben das Bild, welches Raleigh der Königin Elisabeth von Guiana entwarf, zu verwirklichen schienen. Am Nachmittag erreichte die Hitze eine Höhe von 142° in der Sonne, der sie un- beschützt ausgesetzt waren, da sie in Folge der Kleinheit ihrer Kähne kein Schutz- dach über diese errichten konnten. Die Vegetation des Flusses zeigte sich unge- mein einförmig; Orchideen fehlten gänzlich. Den 14. September passirten sie die Mündung des Sipariwuini. Das Thermometer stieg wieder auf 135%°. Gewaltige Gewitterstürme, die schon seit einigen Tagen fast jeden Abend eingetreten waren, hatten jetzt den Wasserstand des Curuni bedeutend erhöht. Vom 18. September an schlug der Fluss einen mehr westlichen, oft auch einen südlichen Lauf ein, wo- bei das Bett von einer Menge Inseln durchbrochen wurde, bis sie am Abend wieder vor einer Reihe gefährlicher Cataracte standen, die durch eine Menge Granit- dämmegebildet wurden, welche den Fluss in nordwestlicher und nordöstlicher Rich- tung durchsetzten. Ungeachtet die Borke der Kähne bei keinem dicker als einen halben Zoll war, hatte sie bisher doch noch kein Unfall betroffen; — hier jedoch mussten sie eins der Kähne zurücklassen , das beim Herabfahren einer Strom- schnelle einen Leck bekommen. Unterhalb der Cataractenreihe breitete sich der mit zahllosen Inseln besetzte Fluss bis auf 8 Miles aus. Fast jeder Kanal zwischen je zwei dieser Inseln war ein schäumender Wasserfall; mein Bruder nannte daher diesen Theil des Flusses, «die Fälle und Stromschnellen der tausend Inseln. » Die Flora der Inseln zeigte wenig Abwechselung. Elisabetha coccinea , Jacaranda , Laurus surinamensis , Clitoria arborea , ein baumgleiches Solanum , waren ihre Hauptrepräsentanten. Orchideen fehlten auch hier noch. Den 19. September übernachteten sie unter 3° 21' 30" N.B. Schon hatte ihr Proviant inFolge der gänzlichen Abwesenheit von Säugethiercn und Vögeln, ja selbst die Fische wurden wegen des hohen Wasser- BMTISCH-GUIANA. 481 Standes angemein selten, so abgenommen, dass die täglichen Rationen anf 4 Unzen Farinha herabgesetzt werden mussten. Am 20. September erreichten sie den Scheitel mehrer Fälle, von denen der eine 52 Fass perpendiculüre Höhe hatte. Die Kähne mussten ausgeladen und das Ge- päck sammt jenen weiter als eine Mile über Hügel von 150 Fuss Höhe getragen werden, indem der Fluss, in Folge der ununterbrochenen Fälle und Stromschnellen, so weit rein unbefahrbar war. Mein Bruder nannte jenen bedeutenden Fall nach Sr. Majestät dem König von Preussen : Friedrich Wilhelm’s IV Cataract. Er liegt 57° 29' 54" westlicher Länge und wahrscheinlich 3n 20' nördlicher Breite. Der be- wölkte Himmel versagte jede astronomische Beobachtung. Am 22. September war das Gepäck am Fusse des untersten der Fälle wieder eingeladen, so dass die Reise fortgesetzt werden konnte. Der Fluss hatte in Folge der zahlreichen Inseln abermals an Breite gewonnen. Gneisdämme durchsetzten ihn unter 3° 38' 38" Norderbreite von N.N.O. nach S.S.W., von denen einer dem andern, wie die Furchen in einem geackerten Felde, folgte. Die Reise bis zum 24. September war nur eine Wiederholung der frühem Tage. Am Mittag hatten sie abermals den Scheitel eines Falles erreicht, an dem sie die Kähne ausladen mussten, wo sie an dem Fusse einige verfallene Hütten, zwei Corials und zugleich den Pfad fanden, der vom Corcntyn nach dem Essequibo führt. Es waren dies die Corials einer Parthie Caraiben , die wir im März am Rupununi gefunden , wohin sie vom Marowini gekommen , um ihre Stammver- wandten zu besuchen. Dieser Pfad musste für meinen Brnder von besonderem Interesse sein, da er offenbar schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt war, wie cs zugleich auch derselbe ist, den Don Francisco Jose Bodriguez Barata zweimal einschlug. Der Lord STANLEy’s-Cataract liegt unter 3° 59' 16" Norderbreite. Die eben erwähnten Caraiben hatten meinem Bruder die Erlaubniss gegeben, wenn er auf seinem Wege ihre Corials finden sollte, diese bis zum Caraiben-Dorfe Tomatai benutzen zu können, wo er sie dem Häuptling William übergeben sollte. Nach den Barometermessungen befanden sie sich jetzt noch 230 Fuss über der Meeres- fläche, und mancher Cataract mochte daher noch vor ihnen liegen! — Nach einigen Stunden war das längste der Corials, welches 40 Fuss mass, beladen, um es bereits am 26. September wegen eines bedeutenden Cataracts wieder zu entladen. Der Hunger zeigte seine Wirkung immer sichtbarer an den Gestalten der gesammlen Gesellschaft. Den 28. September hatten sie ihre Fahrzeuge sogar zweimal auszu- laden und über Land zu schaffen, und schon waren die täglichen Rationen auf 3 Un- zen Farinha herabgesetzt. Neue Hoffnung aber belebte die Mannschaft, als sie am Abend an der Stelle ankamen , bis zu welcher mein Bruder im Jahre 1836 vorgedrungen war. Mit acht Pfund Farinha , die noch vier Tage reichen II. Tbeil. 61 482 REISEN IN musste, da sie nicht früher die Cöra^ew-Niederlassung erreichen konnten, verliess die von Hunger und Fieber geschwächte Gesellschaft den letzten grossen Cataract. Am 29. September wurde der Rest der Farinha in 15 Portionen getheilt und an die 15 Mitglieder der Expedition vertheilt. Den 1. October erreichten sie, nachdem sie 26 Tage, ohne einem Menschen begegnet zu sein, unter Beschwerden und Gefahren den Corcntyn berabgefahren waren, das Caraiben- Dorf Tomntai, wo meinen Bruder sein alter Freund William, der unterdessen Häuptling geworden war , augenblicklich wieder erkannte und willkommen hiess. Bald stand der dampfende Pfeffertopf vor den ausgehungerten Reisenden. Den 9. October erreich- ten sie Neu- Amsterdam, den 12. Georgetown. Unsere grossem Expeditionen waren jetzt beendet, noch aber konnte mein Bruder und demnach auch ich nicht, an die Rückreise denken. Ein eben nach Lon- don abgehendes Schilf nahm meine getrockneten Pflanzen, kurz alles, was kein Leben besass, mit sich, ich aber ging nochmals nach der Plantage Anna Regina zurück, um an der palmenreichen Küste meine Sammlung lebender Palmen zu ver- grösscrn. Durch die hülfreiche Hand und freundliche Vorsorge meines Freundes Huchs wurden schon nach einigen Wochen 40 verschiedene Species in Kasten ein- gepflanzt, die ganz gedeihlich heranwuchsen. Bei dieser Gelegenheit machte ich die Erfahrung, dass keine Pflanze so empfindlich gegen das Entblössen ihrer Wur- zeln ist, als die Palme ; denn nahm ich die kleinen, oft kaum fingerlangen Sämlinge nicht mit der grössten Vorsicht und mit starken Erdbällen heraus, so wuchsen sie auch nicht weiter. Nur die Euterpcn und die Guilielma speciosa machten eine Ausnahme davon. Unter Aufsuchen von Palmensämlingen und andern botanischen Beschäftigun- gen waren mir schnell mehreWochen vergangen, und wollte ich meinen Plan, den Demerara bis zum grossen Cataract aufwärts zu steigen und seine orchideenreichen Ufer auszubeuten, noch ausführen, so musste ich nun nach Georgetown zurück- kehren. Meine eingcpflanzten Palmen überliess ich bis zu unserer Abfahrt nach Europa der Pflege meines Freundes Hughs. Da Stöckle gleich nach der Rückkehr vom Pomeroon wieder zu seinem Ge- schäft und seiner harrenden Frau nach Bartika-Grove zurückgekehrt war und ein Amt als Constable in dem Penal-settlement angenommen hatte, konnte er mich auf meiner Excursion, was ich so sehr gewünscht, nicht begleiten. Mil meinem Farbigen verliess ich Georgetown den 1. April und fuhr den be- lebten Demerara aufwärts. Was jedem Fremdling augenblicklich auf dem Fluss auffallen muss, sind die grossen fiulhenden Grasinseln , die ein Spiel der Ebbe und Fluth, ununterbrochen auf- uud abwärts getrieben werden. Dieses cigenthümliche, schilfartige Gras, das BRITISCH-GVIIANA. 483 erst seit einigen Jahren vom Orinoko auf dem Fluss heimisch geworden, wurde mit dem Rindvieh, mit welchem die Umgebungen des Orinoko Georgetown versehen, hierhergebracht, indem das Vieh auf der Transportreise zu Wasser damit gefüttert wird. Nach dem Verkauf des Viehes wirft man das überflüssige Futter gewöhn- lich in den Fluss. Die Fluth hatte dieses den Fluss aufwärts getrieben, mancher Halm mochte noch seine Wurzeln besessen und einen festen Punkt zum An wur- zeln gefunden haben, wo er sich ungemein schnell vermehrte und bald ganze Flächen des Flussspiegels bedeckte. Diese festen Ruhepunkte sind aber nur von kurzer Dauer; — je mehr die Flächen an Ausdehnung gewinnen, um so leichter werden sie auch wieder von der Strömung abgerissen und dem Spiel der Wellen unterwor- fen. Als fluthende Inseln leben sie dann entweder eine längere Zeit fort, oder finden abermals einen festen Ruhepunkt, an dem sie sich wieder zeitweilig befesti- gen. Nur wenige derselben erreichen bei der Ebbe die offene See, da sie die ein- tretende Fluth bald wieder in die Mündung zurücktreibt. Mit der Grenze der Einwirkung der Ebbe und Fluth sind auch diese, dem Flussspiegel ein wunderbares Aeussere verleihenden Wanderinseln verschwunden. In der Mündung des Esse- quiho hat sich das Gras zwar auch schon eingefunden, keineswegs aber bis jetzt in dem Grade, wie im Demerara . Es scheint ein Panicum zu sein. Leiderfand ich es nie in Rlüthe, um die Species bestimmen zu können.*) Nachdem wir an Canal I. und II. vorübergefahren, erreichten wir das im Entstehen begriffene Negerdorf Stanley s-town^ welches zwischen Musn und Cocus- Palmen sich ausbreitet. Einige Miles oberhalb mündet sich der kleine Fluss Hu - babu, der sich auf dem westlichen IJfer in den Demerara ergiesst. An den Ufern des Hubabu befand sich das Etablissement eines Holzhändlers, bei dem ich mich einige Tage aufhalten wollte, um zu versuchen, ob es mir nicht gelingen sollte, einen der interessantesten Bäume der Küste, das Grecnheart der Colonisten, in Blüthe zu finden. An den Ufern der Mündung hatten sich mehre Neger angesie- delt. Nachdem wir den dichten Wald durchfahren, kamen wir auf eine offene, ’) Bei der Untersuchung des an der Mündung des Demerara gesammelten Schlammes fand Professor Ehrunberg folgende Infusorienformen: Polygastrica. Actinoptychus senarius. Bacillaria vulgaris. Biddulphia pulchella. Coscinodiscus eccentricus. C. subtilis. Difflugia areolafa. Lithostersius tuberculatus. Diploneis didyma. Ga/lioncl/a sulcata. Gloeonema sigmoides. Navieuta sigma. N. Demerarae. Pinnularia striatula. Phytolithari a. Spongolithis aspera. Sp. ßstulosa. 61 484 REISEN IN sumpfige Savanne, die viel Aehnlichkeit mit der bei Morocco hatte. Das mit ho- hem, schilfartigem Gras durchwachsene Gesträuch der kleinen Oasen wurde von mehren Donacobius vocifcrans ( Swain .) belebt. Es ist dies ein ganz eigentüm- licher Vogel. Sobald er ein menschliches Wesen erblickt, erhebt er ein lautes, schnarrendes Geschrei, das dem unserer Rohrsperlinge ähnelt, worauf schnell alle in der Umgebung weilenden Genossen herbeigeflogen kommen und unter fortwäh- rendem Auf- und Abfliegen in dem Gebüsch in den Lärm mit einstimmen. So wie ihnen die Person aus den Augen ist, zerstreuen sich die Versammelten wieder ruhig nach allen Gegenden hin. Sein Nest baut der Vogel zwischen Rohr und Gebüsch. Im Innern bin ich ihm nie begegnet. Welche Vernichtung ein Waldbrand auf diesen holzreichen Flächen anrichten kann, trat mir hier mit jedem Ruderschlag überzeugender entgegen. Die mächtigen Riesenbäume ragten jetzt mit ihren schwarzen, halbverkohlten Stämmen und ihren kahlen Aesten über das neu empor- geschossene dichte Unterholz empor, und machten einen düstern Eindruck auf mein nur an die üppigste Vegetation gewöhntes Auge. Das nachschiessende Gebüsch wich hiervielfach von dem um Morocco ab, da es nur aus Vismia, Psycho triff, Pi- peraceae , Melastornaceae und andern kleinen, zwergartigen Sträuchern bestand, die aber ein fast undurchdringliches Dickicht bildeten, das von einer Menge Schling- gewächse übersponnen war. Obschon der Waldbrand vor mehr als zwanzig Jahren stattgefunden, so hatten sich seitdem doch keine Vierfüssler wieder hier eingefunden; eine auffallende Erscheinung, die sich, wie mir versichert wurde, überall da wieder- holt, wo jene eine solche Feuersbrunst einmal vertrieben hat; dafür waren die leblo- sen Bäume, diegrösslcntheils in Caryocar lomentosnm bestanden, derTummelplatz zahlloser Spechte geworden , deren Hämmern die ganze Fläche durchtönte. Am häufigsten war der rothköpfige Viens cornalus (III.), lineatus(Lin.) und der kleine, schwarze Picus hirvndinnccus ( Gm.); letztere jagten sich unter beständigem Ge- schrei von Baum zu Baum. Lanius caynnus (Lin.) scheint sich die von jenen gemachten Höhlungen zum Brulort zu wählen, da ich sie emsig in dieselben mit dem zu ihrem Neste erforderlichen Baumaterial hineinfliegen sah. Gegen Abend erreichten wir das Etablissement, wo ich mit der bekannten westindischen Gastfreundschaft von dem Eigenlhümer aufgenommen wurde, und schon am nächsten Morgen sah ich meinen Wunsch erfüllt: das Greenheart war in Blülhe ; ich fand, dass der Baum zum Genus Ncctnndra gehörte. Es war eine neue Species, die dem Entdecker der medizinischen Eigenschaften seiner Rinde, Dr. Rodie zu Ehren, Nectondra Rodici (Schomb.) genannt wurde. Dr. Rodie machte seine Entdeckung im Jahre 1834 bekannt. Dr. Douglas Mac Lagan in Edinburgh der von einem Freunde, dem Dr. Watt, aus Dem crom eine Parlhic Rinde zur genaueren Untersuchung erhielt, veröffentlichte die Resultate seiner Ana- BRITISCH -GUIANA. 485 lyse in den Transactions of the Royal Society of Edinburgh . Vol. XV. Part. III. Dr. Mac Lagan gelang es, aus dem Alkaloid der Rinde ein Schwefel sau res Salz dar- zustellen, das nicht nur in England, sondern auch in Guiana ganz die Eigenschaf- ten des Chinin bewährte. Leider kann nach der Berechnung des l)r. Mac Lagan die Lnze nicht unter 6 Schilling hergeslellt werden, einPreis, der von dem jetzigen des Chinins nur um 1 Schilling überstiegen wird. Da aber keine Medizin in ihrem Preise dem Wechsel so wie letzteres unterworfen ist , so bleibt die Entdeckung immer wichtig genug, um sie bei eintretenden Fällen zu benutzen. Ein zweiter Versuch wurde mit einer Quantität Rinde, die ich zu diesem ßehufe mit mir nahm, in Berlin vom Herrn Dr. Sachs, Staabsarzt in der Königl. Charite gemacht. Von der bereits 3 Jahr alten Binde wurde ein Infusum bereitet, und dieses bei 6 Fieber- kranken mit so gutem Erfolge angewendet, dass vier der Patienten von der Krank- heit ganz befreit wurden ; nur bei zweien kehrten die Anfälle zurück. Der meist 60 — 80 Fuss hohe Baum gehört nach den glänzendgrünen, leder- artigen Blättern mit zu den schönsten Zierden der Küstenwälder , und es freut mich um so mehr, dass von den vielen Samen , die ich mit mir nahm, in dem Treib- hause des Hofbuchdruckers, Herrn Decker, in Berlin einer derselben zum Keimen gekommen ist, der jetzt unter der trefflichen Pflege des Gärtners, Herrn Reinecke, als niedliches Bäumchen ganz wacker gedeiht. Wie sehr das schwere Holz in Eng- land zum Schiffsbau gesucht ist, habe ich schon erwähnt. Nach einem achttägigen Aufenthalt bei meinem freundlichen Wirthe, kehrte ich nach dem Dcmerara zurück, dessen Ufer auch jenseits der Mündung des Ha- bahu noch ein ungemein belebtes und reizendes Landschaftsbild vor mir entfalteten. Besonders freundlich liegt am linken Ufer das Negerdorf Mocha. Die freund- lichen, kleinen Häuser sind von üppigen Cocos- und Kohlpalmen umgeben und be- schattet. Die Wohngebäude und Siedehäuser der Plantagen , die sich dem Dorfe anschliessen, liegen unmittelbar an dem Ufer des Dcmerara. Dampfende Zucker- mühlen, üppige, grüne Kaflfeeplantagen , mit ihren oft drei Stock hohen Trocken- häusern, zahlreiche den Fluss durchfurchende Boote, eine chaussirte Strasse längs den Ufern, mit einer Menge Abzweigungen landeinwärts, verkünden überall den schaffenden Geist und die thätige Hand des Menschen. Der dunkelgrüne Saum der Rhizophora, Avicennia und Laguncutaria, der die Ufer begleitet, und nur an den Werften und Landungsstellcn der verschiedenen Plantagen unterbrochen wird, er- laubt auch an solchen Stellen nur einen Blick über die üppig wuchernde Cultur- fläche mit ihren wogenden Feldern zu werfen. Der Fluss bleibt 70 — 80 Miles aufwärts selbst für grössere, beladene Schiffe fahrbar, und läuft hier ziemlich parallel mit dem Essequibo. Am rechten oder öst- lichen Ufer zweigt sich der Canal Nro. III ab. 486 REISEN IN Einige Miles oberhalb dieses erreichten wir die Insel Chantilly , der bald noch zwei andere folgen. Auf der ersteren werden die in Georgetown gerichteten Ver- brecher begraben, die dadurch nach ihrem Tode noch eine bedeutende Reise machen müssen. Nur eine dieser Insel, Borselen , befindet sich im Culturzustande und ist mit Pisangs bepflanzt. Hier befand sich früher der Sitz des Gouvernements , so wie die Courts of Poliey und Civiljustice , die jedoch im Jahre 1774 nach der östlichen Spitze der Mündung des Flusses verlegt wurden , wo die neue Anlage den Namen Stabroefc erhielt, das jetzt Georgetown heisst.*) Jenseits der Inseln sind in der Gegenwart die Plantagen verschwunden, und es beginnen nun die kleinen Niederlassungen der Farbigen und Neger, von welchen letzteren sich nach der Emancipatiou eine Menge vereinigten , zusammen eine der aufgegebenen Planta- gen oder eine Fläche Kronland kauften, diese parcellirten, und dadurch eine förm- liche Negercolonie in’s Leben riefen. Da der Neger nur immer so viel Land urbar macht, oder in cultivirtem Zustande erhält, als er und seine Familie gerade zum Unterhalt bedarf, so tritt hier bereits der mauergleiche Wald dem Ufer ziemlich nahe, auf dem die kleinen, weissangestrichenen Wohnhäuser, beschattet von üppi- gen Cocos-Palmen und Pisangs, ganz freundlich abstechen. Ihren üppigsten Wuchs entfaltet die Uocos-Palme nur so weit das Seewasser durch die Fluth den Strom aufwärts getrieben wird. Jenseits der Grenze dieses verliert die schöne Palme auch ihre Fülle, und bekommt ein krankes Ansehen, das immer sichtbarer hervortritt, je weiter ihr Standort von der Küste entfernt ist. Am Demerara zeigte sich mir diese Thatsache am augenscheinlichsten ; — mag der Grund ihres üppigen Ge- deihens nun in der Verdunstung des Seewassers, oder in dem der Küste eigenthüm- lichen Boden liegen, der fast durchgängig in einem bläulichen Thon, vermischt mit verwitterten vegetabilischen Stoffen , und reich mit Salzwasser getränkt, besteht. Wie sehr sie von Boden und Localität abhängig ist, zeigen unsere Palmenhäuser, in denen man sie nur äusserst selten, und wo dies der Fall ist, nur in einem kränk- lichen Zustande findet. Nachdem wir an der Mündung des Madetvini vorübergefahren , der sich auf dem östlichen Ufer in den Demerara ergiesst, erhob sich ein grosses, dem gänz- lichen Verfall entgegensehendes Haus vor uns. Es war das letzte Eigenthum eines ') Der von diesen Inseln gesammelte Schlamm enthielt folgende Infusorienformen : Cotcinodiscus eccentricus. Lithos tylidium rüde. Spongolithis acicu/aris. Sp. amphicephala. Phyto litharia. Spongolithis aspera. Sp. ßstulosa. Sp. obtusa. Polygas trica. Dipioneis didyma. BRITISCH -GUIANA. 487 früher unermesslich reichen Planlagenbesitzers, Mr. Brandes. Seine Jagdpassion und Verschwendung hatte ihn aus einer Plantage nach der andern getrieben, bis ihm nichts mehr übrig blieb als dieses Haus ! — Vor kurzem hatte er die Tochter eines Arnwaak geheirathet, und war in die Hütte seines Schwiegervaters am obern Madcwini gezogen. Eine Menge seiner Jagdabenteuer sind in der Colonie im Umlauf; häufig genug soll er einen, auch zwei Sklaven gegen einen guten Jagd- hund vertauscht haben. Zwei Miles oberhalb der Mündung des Madcwini ergiesst sich auf dem westlichen Ufer der fVaritilla, einer der grössten Nebenflüsse des Demerara , in seinen Hauptstrom. In seinem Lauf nimmt er den Carnmoni auf, in welchen sich der Mibiro mündet. Hie Ufer werden von einigen Arawaaks be- wohnt. An dem fVaritilla befinden sich mehre bedeutende Holzetablissements, an seiner Mündung aber erheben sich die Gebäude der letzten Zuckerplantage am De - merara , die der Plantage Glasgow ; — doch auch Glasgow ist seinem Verfall nahe. Eine Mile oberhalb der Mündung des fVaritilla, am östlichen Ufer, mündet sieh der Hawerorini in den Demerara, der in seinem Laufe den Timiti , Marinaje und Kororoni aufuimmt. Bisher hatte der Fluss seinen Lauf durch eine flache, angeschwemmte Ebene genommen; keine Erhöhung hätte den Blick gehindert, über eine 20 Miles breite Fläche hinzuschweifen, wenn dies die dichte Waldung nicht unmöglich gemacht. Jetzt erst, als wir eben um eine scharfe Krümmung bogen, erhob sich auf dem west- lichen Ufer, unmittelbar vom Wassersaum aus, ein 70 Fuss hoher Hügel, und somit hatten wir jene Hügelkette, die von den Colonisten den Namen « the Sandhil/s » er- hallen hat, erreicht, welche sich von der Arabien- Küste bis zum Corentyn in süd- östlicher bei südlicher, und dann in rein südlicher Richtung längs der ganzen Küste unter der verschiedensten Entfernung vom Meeressaum hinzieht ; denn während sie sich an der Arabien- Küste dem atlantischen Ocean bis auf 2 Miles nähert, zieht sie sich am Berbice und Corentyn bis auf 40 Miles zurück. Eben so verschieden, wie ihre Lage gegen den Küstensaum, ist auch an einzelnen Stellen ihre Höhe, die zwischen 50 und 120Fuss wechselt ; den Essequibo kreuzt parallel mitdiesen Sundhü- geln bei Osterbecke point, unter 6° 15', den Demerara bei Arobaya unter6°5', den Berbice aber unter 5° Norderbreite eine zweite Gruppe vereinzelter Hügel. Der blen- dend weisse Sand konnte den Abhang des Hügels gegen den Fluss hin wie mit Schnee be- deckt erscheinen lassen. Der Gipfel war mit einer üppigen Waldung bestanden. Der Besitzer dieses Hügels, wie überhaupt des ganzen sich landeinwärts er- streckenden Terrains ist ein Herr Brotherson, der früher ein ausgebreitetes Holz- geschäft trieb. Herzlich wurde ich von dem mir schon bekannten Eigenthümer in dem kleinen freundlichen Hause aufgenommen , das den Gipfel ziert, und gern nahm ich die Einladung an, einige Tage bei ihm zu verweilen, da mich die so ah- 488 REISEN IN weichenden Bodenverhältnisse vermuthen liessen , dass ich auf ihnen auch eine ab- weichende Flora auszubeuten haben würde. Dieser Theil der Sandhills ist zugleich der besuchteste Ausflugsort der Be- wohner Georgetowns, und mit Ausschluss der hohen Aristokratie führt das Dampf- schiff fast jeden Sonnabend ganze Schaaren Vergnügungslustiger hierher, die sich ihre Speisen und Getränke mitbringen, sich während der Nacht und des Morgens an Spiel und Tanz vergnügen, um am Sonntag nach der Coloniestadt zurückzukeh- ren. Es ist ein buntes Quodlibet, eine solche Parthie, zusammengesetztaus Eu- ropäern , Farbigen , Negern , Kaufleulen , Handwerkern , Offizieren und Tage- löhnern, das aber meist durch ernste Prügeleien auseinander gesprengt wird, denn es befinden sich Neger darunter, und ohne Prügeleien kann der Neger nicht leben, am wenigsten sich ohne eine solche vergnügen ! Ich war in der That nicht wenig überrascht, als ich bei meiner ersten Exeur- sion auf diesen Sandhügeln die Flechten des Roraima- und Humirida- Gebirges wiederfand : Cladonia rangiferina, coccinea, cocomia und carnea hatten die un- bewaldeten Flächen des Höhenzuges förmlich überzogen. Die üppige Waldung, die den Hügel deckte, bestand grösstenlheils -aus Laurus, Ficus, Anona , Eperua, Parivoa und einzelnen Bäumen der herrlichen Alexandra hnperatrieis (Schomb.),*) welche mein Bruder zwischen dem fünften und sechsten Breitengrade, an den Zuflüssen des Cuyuni, hauptsächlich aber an den Ufern des ') Alexandra Schomb. Gen. nov. C/iaract. Gen. Calyx campannlatus, car- nosus, amplns, breviter et latissime 5 dentatus : dentibus superioribns majoribvs. Discus fere ad medium calycis adnatus. Petala aestivatione papilionacea , crassa, subaequi- longa. Vexillum bilobum, apice revolutum. Alae et petala carinalia consimilia, aequalia , oblonga, basi parum angustata. Stamina 10, vix inaequilonga, omnia fer- tilia , libera, petalis aequantia ; ßlamentis crassis ; antheris linearibus, versatilibus. 0 v a- rittm longiuscule-slipitatum. Ovula plurima. Stylus incurvus, acutus , summo apice minutissimo depresso sligmatosvs. Legumen elongatum, compressum, lignosum , bivalve, intus uniloculare. Semina crassa, compressa suborbicularia. Embryo rectus. Coty- ledones crasso-carnosae, lateraliter compressae. P lumula inconspicua. Radicula brevissima. Alexandra Imperatricis Schomb. Arbor 90 pedalis, cortice cinereo laevi. Folia alterna, impari-pinnata; foliola 5 — 8 altcrna, oblonga vel ovali-elliptica, breviter acuminato-acuta, basi rotundata et breviter petiolulata , tenuiter coriacea, integerrima, glabra, 4 — 6 poll. longa, 2 — 3 poll. lata. Racemi in axillis foliorum delapsorum ra- meales, 4 — 6 pollicares , penduli, sub anthesin ebracleati. Rhachis et pedicelli cras- siusculi, colorati. P e die e l!i pollicares vel paullo longiores, incurvi adscendentes , uni- ßori, sub calyce incrassati. Calyx pollicaris, basi crasso-carnosus , kcrmesino-coloratus ; dentibus 1 — 2 Rn. longis, superioribus 6 Rn. lalis. Petala calyce vix duplo-superantia, aurantiaca, glabra. Vexillum adscendens , demum ad medium ßssum, superne valde revolutum. Petala 4, inferior a cum genitalibus basi ■ declinata , dein incurvo-adscen- dentia. Genitalia petalis vix longiora, Ovarii stipes glaber, 4 lin. longus. Ova- rium ipsum tomentcllurn , 6 lin. longum. Stylus glaber , 5 — 6 lin. longus. Legumen BRITISCH -GUIANA. 489 Wanamu entdeckte, und der Kaiserin von Russland zu Ehren benannte. Der Baum zeichnet sich nicht nur durch seinen herrlichen Habitus, sondern auch durch seine reizenden Bliithentrauben aus. Obgleich die Blülhenzeit schon vorüber war, so verliehen ihm seine meist 18 — 20 Zoll langen, braunen, an ihrer äussern Seite sammelartigen Schoten einen ebenfalls herrlichen Schmuck. Die Blüthen brechen, wie bei Theobroma und Crescentia , unmittelbar aus der Rinde der Aeste hervor. Die Bäume, die ich auf den Sandhills fand , hatten durchgehends eine Höhe von 100 — 110 Euss. Für den Botaniker erhöht sich das Interesse für den Baum besonders auch noch dadurch, dass er ein Glied der Kette bildet, welches die zwei grossen Abtheilungen der Leguminosen, die PapiUonaceen mit den Caesalpineen verbindet.* *) Ungefähr 3 Miles landeinwärts von dem Ufer des Demerara zieht sich eine Sandfläche von wechselnder Breite hin, die nur mit einem lichten, niedern Gebüsch, zwischen dem hin und wieder isolirte Bäume auftreten, bedeckt ist. Sie verläuft ziem- lich parallel mit den Sandhügeln und hat von den Colonisten denNamen «Savanne» erhalten, obschon sie nichts weniger als Aehnlichkeit mit einer Savanne hat. Die Ve- getation dieser Sandsteppe ist eine vollkommen abweichende, w ie zugleich viele Ge- nera und Species der in Brilisch-Guiana vorkommenden Orchideen hier auftreten.**) Die Oberfläche des ganzen Terrains ist mit einem wreissen, lockeren Sand bedeckt, so dass auf den ersten Blick die gesammte Fläche ein eben so unfruchtbares Aeus- sere zu besitzen scheint, wie der eigentliche Dünenstrich der Küste, und die, wenn auch weniger üppige, aber doch kräftige Vegetation jedem um so wunderbarer erschei- nen muss. — Dringt man aber in die Sandfläche ein, so begegnet man in einer gew issen 18 — 20 poll. longum, 2‘/i poll. latum, extus fuscescens brevissime subvelutinum, lineis obscuris obliquis subvariegatum, intus tenuiler spongiosum albo-ßavidum non septatum. Semina castanea 1 ■/. poll. longa, ly4 poll. lata, crassitie semipollicari. Genus e tribu Sophorearum , Diplotropodi et Dibrachio quodam-modo affine , sed abunde distinctum : floribus amplis, staminibus subaequalibus , ovario longe-slipitato legu- mine, et inflorescenlia. Haec subsimilis est Swartziis nonnullis. *) Vergleiche: Die Barbacenia Alexandrinae und Alexandra Impcratricis, entdeckt und beschrieben von Rob. H. Schomborgk etc. Braunschweig. Vieweg und Sohn. ") Aus dem Genus Maxillaria fand ich besonders : Max. Batemanni, chlorantha, por- recta, pumila, unciata, sinuosa und Stcelii; aus dem Genus Epidendrum: E. smaragdininn {Bot. Reg.), longicollc ( Lindl .), minimum ( Aubl .), pictum [Bot. Reg.), chloroleucum (Hook.), und coriaceum (Park.) ; dann Pleurothallis picta (Lindl.), ciliata (Knowl.) und die herr- liche, seltene Burlinglonia candida (Lindl.), die mir sonst noch nirgends aufgestossen war. Hier fand sie sich in grosser Menge an den Zweigen der Sträucher hängend. Ihre oft ei- nen halben Fuss langen, weissen , wohlriechenden Bliithentrauben sind die grösste Zierde dieser eigenthiimlichen Flora. Ausserdem traten in grosser Zahl noch die Genera: Oncidium, Peristeria, Rodriguezia , Bifrenaria, Fernandezia, Zygopefalttm, Dichaea und mehre schöne Erdorchideen auf. Der reizende, blühende Co/nmianJ /ms Schornburgkii (Benth.) trat mir hier ebenfalls entgegen. II. Theil. 62 490 REISEN IN Tiefe einer Sandschicht, die mit reicher, vegetabilischer Erde vermischt ist und die eigentliche Ernährerin der Vegetation bildet. Dieses Sandterrain besitzt eine ihm aus- schliesslich eigenthümliche Flora, die sich besonders durch den Wohlgeruch ihrer Blüthen und ihre lederartige Belaubung auszeichnet. Die Indianer nennen solche Striche •< Moro »; sie bilden den Uebergang vom Walde zu der offenen Savanne, welche sich zwischen dem Demerarn und dem Corentyn ausbreitet. Gleich reich wie ihre Flora war auch die Fauna der Sandhills, aus der ich nur die interessantesten Repräsentanten anführen will. Während der Monate Decem- ber, Januar, und eines Theils des Februar ziehen die vielen Ficus- und Brosimum- Arten durch ihre reifen Früchte die glänzendsten Species des gefiederten Völkchens an sich. Auf den Sandhügeln fand ich die Bartvögel ( Bucco tenebrosus Sw.) beson- ders häufig. Still und unbeweglich sitzen meist mehre derselben auf den trocknen Zweigen des Gipfels eines Baumes, von wo sie die ganze Gegend übersehen kön- nen, und erheben sich von Zeit zu Zeit, oft gerade in die Höhe, um das Insect zu ergreifen, welches sich ihnen genähert, um unmittelbar darauf wieder nach ihrem alten Standort zurückzukehreu. Der Vogel scheint gern hoch zu sitzen ; sein Flug ist wellenförmig. Er soll in Uferhöhlungen nisten. Sie leben nur von Insecten. Im Innern des Waldes kommt derß. tenebrosus selten vor; am häufigsten, wo der Urwald mit lichten Stellen wechselt. Interessant war mir auch der kleine muntere Manakin (Pipra Manacus Lin.). Die bartgleichen, weissen Federn am Halse geben dem Vogel ein eigenthümliches Ansehen ; das Naturell der ganzen Gattung ist dem unserer Meisen ähnlich. Von der Gattung Trogon (Nageschnabel) er- wähneich Tr.mclanopterus(Sw.), melanurus (Gould), caligatus (Gould) ; Tanagra und Ncctarinia waren gleich zahlreich vertreten, eben so die Kolibris , von denen ich, besonders an den kleinen Waldbächen, den Trochilus pe/la und auritus (Gm.) fand. Letzterer kam auch hier nur inmitten der Waldungen vor. Noch häufiger waren die niedlichen Tauben (Columba passcrina und Ta/pacoti Temm.) auf den waldlosen Abhängen. Des Morgens und nach Sonnenuntergang hört man nach allen Gegenden hin den eigenthümlichen, traurigen, einförmigen Lockton des Männchens und Weibchens erschallen. Diese niedlichen Vögel sind weniger schüchtern. Beide Species kommen nur in offenen Gegenden vor. Während der Brutzeit halten sie sich paarweis zusammen ; später trifft man sie gewöhnlich in kleinen Heerden an. Ihr Nest fand ich an den Sandhills häufig zwischen C7w«• gegeben ha- ben. Wie die gefährliche Ponera clavala kommen auch sie nur immer einzeln vor. Nach einem achttägigen Aufenthalt bei Herrn Brotherson setzten wir unsere Reise den Demerara aufwärts fort. Seine Breite hatte sich schon um vieles ver- ') Nach den Untersuchungen Professor Ehrenberg’s enthielt der Thon derselben : Artinocyclus biseptenarius. Actinoptychus bilernarius. Cuscinodiscus svbtilis. C. (listiger. Coccuneis Scutellum . Lithostersius radiatus. Spongolithis aspera. Sp. Caput serpentis. Sp. cenocephala Sp. ßslulosa. Polygastrica. Dictyopyxis cruciata Gallionella crenulata. G. sulcata. Pinnularia Schomburgkii. Phytolitharia. Spongolithis Fustis. Sp. obtusa. Sp. inflexa. Sp. foraminosa. 494 REISEN IN mindert, und obsclion das Wasser seinen salzigen Beigeschmack verloren, war die Einwirkung der Ebbe und Flulh doch noch so bedeutend, dass das Fallen und Stei- gen des Stromes immer noch 12 — 16 Fuss betrug.*) Den Sandhills gegenüber liegt die aufgegebene Plantage Sanssouci , von der aber alle Spuren früherer Cultur bereits verschwunden sind ; ein dichtes Unterholz deckt jetzt die Felder, auf denen vor nicht langen Jahren üppiges Zuckerrohr wucherte. Am linken Ufer mündet sich der kleine Creek Turahano, ihm gegenüber, am rechten Ufer, der Kutiserabo in den Demerara-, — unmittelbar oberhalb der Mündung des Turahano erhebt sich das Terrain am Ufer gegen 60 Fuss hoch. Hier, wie etwas weiter aufwärts, auf den verlassenen Plantagen Berlin und the Loo, haben sich einige Farbige und Ne- ger niedergelassen. An dem dichten Caladium des Ufers wucherte in zahlloser Menge und üppi- ger Fülle die zierliche Orchide , Jonopsis teres (Lindl.) , deren herrliche, hell- violette Blüthen zwischen den grossen Blättern des Caladiums prangten. Ich hatte sie noch nie so häufig als hier gefunden. Eine eben so eigenthümliche botanische Erscheinung ist an dem Demerara das Auftreten des Monachanthus longifolius (Lindl.). Er findet sich nur, wie die Vanilla palmarum, an den Stämmen der /fß-Palme (Mauritia ßexuosa). Seine schmalen , abwärtshängenden Blätter er- reichen oft eine Länge von 6 — 7 Fuss. Ich fand ihn nur am Demerara -, — mein Bruder auch am Berbice. Oberhalb der aufgegebenen Plantagen Berlin und thc Loo wurden die Woh- nungen der Neger und Farbigen immer seltener; dichter Urwald begrenzt beide Ufer, und nur hier und da stiess man auf wenige Acker vom Urwald gereinigten Bodens, die für die nur noch vereinzelt wohnenden Neger, Farbigen und Holz- händler zum Weideplatz ihres Viehes, und zum Ziehen der im Haushalt nölhigen Vegetabilien dienten. Am westlichen Ufer zogen sich, mit flachen Stellen vielfach abwechselnde, bewaldete Hügel von 80 — 200 Fuss Höhe hin, die von Arawaaks bewohnt wurden. Eine Hauplklage der Colonisten ist das sogenannte «Squatten« , d. h. das eigenmächtige Niederlassen der Neger auf unangebauten Privat- oder Kronlände- reien. Ungeachtet der vielen Strafgesetze hat dasselbe doch nicht unterdrückt wer- *) Der oberhalb der Grenzscheide des salzigen Wassers am Ufer des Demerara ge- sammelte Schlamm enthielt nach der Untersuchung des Herrn Professor Ehrenbbrc : Polyga strica. Dipioneis didyma. Gallionella crenu/ata Phylolitliaria. Lithosfylidium rüde. Spongolithis acicularis. Sp. amphicephala. Spongolithis aspera. Sp. ßstulosa. Sp. obtusa. BRITISCH -GUIANA. 495 den können, ja hatte sogar in der neuern Zeit noch vielfach zugenommen, wodurch der Zweck der freien Einwanderung für die Plantagenbesitzer gänzlich vereitelt worden ist. In Britisch Guiana ist der Demerara der Hauptsitz der »Squatters* , die hier sogar einen ausgedehnten Holzhandel treiben. Die gegen «Vagrancy und Squattmg » erlassenen Gesetze haben weder das eine, noch dasandere unterdrücken können. Das Einzige, was man vielleicht damit wird erreichen können, ist, dass man die Neger zur Abtragung einer Bodenrente zwingt. Die von den Squatters gefällten Bäume werden schon im Walde zu Bauholz zugehauen. Während mei- nes Aufenthaltes in Demerara wurde einem Neger für mehre hundert Dollars solch auf unerlaubte Weise gefälltes Bauholz confiscirt. Am Demerara befinden sich jeden- falls die meisten Holzetablissements, die Georgetown nicht allein mit dem erforder- lichen Bauholz, sondern auch mit dem in den Küchen gebrauchten Brennholz ver- sehen. Letzteres bildet ebenfalls, da die unmittelbaren Umgebungen der Colonie- stadt keine Waldungen besitzen, und eine Communication für Fuhrwerke dorthin nicht möglich ist, einen bedeutenden Handelsgegenstand, der ausschliesslich von den Negern betrieben wird. Ihrer Schwere wegen können die Hölzer nicht in Flössen, sondern müssen in grossen Punts den Fluss herabgebracht werden. Der Besitzer eines Holzetablissements, bei welchem wir die Nacht zubrachlen, besass einen zahmen, ziemlich ausgewachsenen Tapir, der frei herumlief, sich am Tage in dem Walde aufhielt und bei Einbruch der Nacht zu seinem Herrn zu- rückkehrte. Den folgenden Morgen fanden wir bei der Fortsetzung unserer Reise zwei Farbige vor ihrer Hütte damit beschäftigt, einem, während der Nacht in der Nähe der Hütte erlegten Puma das Fell abzuziehen. Es war das grösste Exemplar, das ich noch gesehen. Leider hatten sie ihm, um sich in den Besitz der Reisszähne zu setzen, den ganzen Kopf beschädigt. Bei Einbruch der Nacht landeten wir an einem früher ausgebreiteteten Holz- etablissement mit einer Sägemühle, die sow'ohl durch Dampf, wie durch Wasser ge- trieben werden konnte, dessen jetziger Besitzer, ein Neger, uns freundlich aufnahm. In Folge des geringen Betriehscapitals wrar die Mühle ganz in Verfall gerathen und stand unbenutzt. Auch hier betrug das durch die Einwirkung der Ebbe und Fluth hervorgerufene Steigen und Fallen des Wassers noch 8 — 10 Fuss. Im Verlauf des Tages waren wir an den Mündungen einer Menge Creeks , so an dem linken Ufer an der des Yaruni, Tenbou , am rechten, der des Caieruni und Oritaja vor- über gefahren. Obschon der Fluss von jetzt ab immer mehr von seiner bisherigen Breite ver- lor, wurden seine Ufer doch mit jedem Ruderschlage interessanter, wozu d>e Hügel- 496 REISEN IN reihe an seinem westlichen Ufer viel beitrug, indem sie an einzelnen Stellen an dieses herantrat, an andern sich wieder sanft gegen dasselbe abdachte. Die frühere Plantage Amsterdam , am linken oder westlichen Ufer, jetzt eine kleine Negerniederlassung , schaute freundlich mit ihren Häusern aus der üppigen Belaubung hervor. Das Terrain erhob sich wieder bis zu 200 Fuss. Einige Miles oberhalb dieser, unmittelbar am Ufer, erhebt sich am linken Ufer ein kleiner Hügel von 80 Fuss Höhe, der den Namen « Goldenhill » führt, dessen Gipfel wieder eine ^rßWffßÄ-Niederlassung krönte. An seiner Basis mündet sich ein kleines Wald- flüsschen in den Demerara. Wir waren im Verlauf des Tages an dem linken Ufer an den Mündungen der kleinen Creeks-. Camequear und Arobega vorübergefahren. Die Lage der Niederlassung hatte etwas so Einladendes , dass ich hier einige Tage zu verweilen beschloss, und meinem Wunsche gemäss auch freundlich von den Bewohnern aufgenommen wurde. Dass die Nähe der Colonie nicht ohne Ein- fluss auf die Bewohner geblieben war, gab sich mir sogleich beim Eintritt kund, denn sowohl Männer wie Frauen trugen Kleider, ja die kleinen Kinder, wenigstens die Mädchen, Mülzchen. Ungeachtet dieser sprechenden Zeugen der Civilisation trieh der Piai des Ortes doch während der Nacht sein Unwesen mit einer kranken Frau, was mir aber Gelegenheit gab, noch manches über diese gefährliche Persönlichkeit und ihre Macht zu erfahren , was man mir bisher absichtlich oder unabsichtlich ver- schwiegen,— vielleicht auch, dass dieses nur bei den Arawaaks Glaubenssatz ist. Stirbt einer seiner Patienten, so weiss nur der Piai, ob der Kranke in Folge des Einflusses eines bösen Geistes , oder durch Vergiftung eines andern Indianers starb. Je nach der Entscheidung dieser Frage, wird auch über das Leben und den Tod eines andern Indianers entschieden. War ein böser Geist der Grund des To- des, so wird die Leiche unter dem schon bekannten Ceremoniel begraben ; — fällt der Urtheilsspruch dahin aus, dass er als Opfer irgend einer Beleidigung u. s. w. gefallen, so wird der Leichnam genau untersucht, und sollte sich auch nur ein blauer Fleck oder sonst etwas Ungewöhnliches an diesem vorfinden , so bezeichnet der Piai dieses als die Stelle, wo der Verstorbene durch den unsichtbaren, gifti- gen Pfeil verwundet worden ist. Um den Mörder, oft das Opfer der persönlichen Bache des Piai, kennen zu lernen, schreitet dieser nun zu jenem Gebrauche, wovon ich in IVaraputa Zeuge war, nur mit dem Unterschiede , dass er, statt der abge- schnittenen Glieder des Verstorbenen, Blätter von einem gewissen Baume in das kochende Wasser wirft; und an der Seite, wo durch das wallende Wasser das erste Blatt über den Rand geworfen wird, lebt der Mörder, der nun von dem Piai näher bezeichnet wird. Hat sich jemand, sei es ein Mann, eine Frau oder ein Kind, den Hass dieses Mächtigen zugezogen, oder fühlt dieser vielleicht ein Verlangen nach BRITISCH* GUIANA. 497 der Frau irgend eines Indianers, dann war auch dieser oder jener die Ursache des Todesfalles. Ein Mitglied aus der Trauerfamilie tritt nun als Kanairna auf. Gelingt es diesem, den bezeichneten Indianer irgend an einem abgelegenen Orte allein zu treffen, so sucht er ihn mit einem giftigen Pfeil in den Rücken zu schiessen ; tödtet er ihn auf der Stelle, so verscharrt er das Opfer augenblicklich oberflächlich an dem Ort, wo es gefallen. In der dritten Nacht geht der Kanairna wieder nach dem Grabe, sticht mit einem spitzen Stabe in das Grab und den Körper Jes Erschlagenen. Findet sich beim Herauszielm des Stabes an demselben Blut, so leckt er dieses ab, und alle für ihn gefahrbringenden Folgen sind paralysirt, — fröhlich kehrt er nach seiner Niederlassung zurück. War die Verwundung nicht unmittelbar tödtlich, besitzt das Opfer noch so viel Kraft, um seine Hütte zu erreichen, so bittet der Verwundete seine Angehörigen, ihn nach seinem Tode heimlich an eine Stelle zu begraben, wo sein Grab von Nie- mand gefunden werden kann , indem der Arawaak fest überzeugt ist, dass, wenn der Kanairna den dritten Tag kein Blut von seinem Opfer lecken kann, dieser wahnsinnig wird und in Wahnsinn sterben muss. Giebt der Piai eine Frau oder ein Kind als Mörder an, so wendet der Kanairna keinen Giftpfeil, sondern die be- reits erwähnten Giftfänge der Schlangen an. Er wirft sein Opfer zu Boden, und durchsticht ihm mit jenen die Zunge, die, noch ehe das Opfer seine Wohnung er- reicht, so geschwollen ist, dass es bereits die Sprache verloren hat und den Mörder nicht nennen kann. Hier muss ich auch noch eine eigenthümliche Ansicht über den Aufenthalt der verstorbenen Männer erwähnen. Zeigt sich ein Arawaak bei irgend einer Hand- lung feige oder zaghaft, oder kommt es vor, dass er als starker Trinker doch dann und wann der Wirkung des Getränkes unterliegt, so wird er « Magguburugua , ein Mann ohne Sinn « genannt ; zeigt er dagegen einen 'tadellosen Muth , ist ihm jene Schwäche fremd geblieben , so ist er « Gagguburugua , ein braver Mann.» Stirbt ein solcher Magguburugua , so irrt seine Seele ewig in einer unbewohnten, verlassenen und unfruchtbaren Gegend umher; die Seele eines Gagguburugua aber bewohnt die Luft über ihrer frühem Niederlassung und ihrer Hütte. Interessant war mir die Wahrnehmung, dass sich die Aratvaaks aus der Weyra (verschiedene Species der Podostemeae ) ein Salz bereiten. Sie kochen diese Wasserpflanzen in Wasser, wodurch sich ein krystallinischer, salziger, brau- ner Niederschlag absetzt, den sie als Surrogat für wirkliches Salz benutzen. Auch hier zog sich etwa 1 Mile von der Niederlassung eine sandige Fläche, mit niedrigem, isolirtem Gebüsch zwischen dem mächtigen Urwald hin. Die Flora stimmte ganz mit jener der « Sandhills •< überein, auf der die herrliche Burhngloma II. Thail. (33 498 REISEN IN candida , an den kleinen Creeks in der Umgebung um Goldenhill aber, die sosehönc Huntleya sessili/lora ( Batem .) in grosser Menge auftrat. Auf einer meiner Ex- cursionen verfolgte ich mit meinem Begleiter, einem Indianer, im Walde eben einen der schmalen Indianerpfade, als diesen plötzlich, unmittelbar vor uns, ein Beutel- lliier ( Didclphys ), Yawari der Arnwaaks , in wilder Flucht kreuzte, dem eine grosse Schlange auf den Fersen folgte, in der ich augenblicklich den fürchterlichen Bushmaster (Lachesis rhombeata) erkannte. Das Ganze überraschte mich so, dass ich auf die 8 — 10 Fuss lange Schlange mein Gewehr abzuschiessen vergass. Da der Wald von allem Unterholz frei war, konnten wir der Jagd ungehindert mit den Augen folgen. Ermattet erklimmte bald darauf das bis zum Tode geängstigte und vielleicht auch schon lange verfolgte Beutelthier einen alten Baumstumpf, auf wel- chem es wie festgebannt sifeen blieb und seinem Feind mit starren Blicken entgegen sah, der den Baumstumpf ebenfalls erreicht hatte, in eine Spirale zusammengerollt, den Kopf aus dieser immer höher und höher emporrichtete , und , gleichsam als wüsste die Schlange, dass ihre Beute nicht mehr entfliehen könnte, sich langsam zum tödtlichen Sprung vorbereitete. Hätte ich beide Thiere in dieser Stellung an- gelroflen, ich würde den fabelhaften Zauber, den die giftigen Schlangen auf ihre Opfer ausüben sollen, für Wahrheit gehalten haben. Das arme Beutellhier hatte mein ganzes Mitleid gewonnen , und ungeachtet der Billen und der Warnung des Indianers, der, als er mich meinen Versuch ausführen sah, die Flucht ergriff, schlich ich mich beiden Thieren bis auf 20 Schritt an, und drückte dann beide Läufe meines Gewehrs auf die Schlange ab. So wie sich der Rauch zertheilt, suchten meine Augen das Yawari vergeblich, der Baumstumpf war leer, die Schlange aber wand sich in kurzen Krümmungen zwischen dem abgefallenen Laub so krampfhaft herum , dass dieses und kleinere Stücken Holz hoch in die Höhe flogen, schickte sich dann aber, da sie nicht tödtlich getroffen war, zur Flucht an. Als ich mein Gewehr wieder laden wrollte, fiel mir erst ein, dass der geflüchtete Indianer die Jagdtasche mit der Munition trug. Nach langen Rufen antwortete er mir endlich aus weiter Ferne, und so verging eine geraume Zeit, bevor er wieder an meiner Seite stand. Das verwundete Thier, jetzt wo seine Spur verloren war, mit mir aufzusuchen, dazu konnte ich ihn nicht bewegen, allein aber war es auch mir zu gefährlich, so gern ich dieses ungewöhnlich grosse Exemplar für meine Sammlung gehabt hätte. Die Umgebung von Goldenhill war überhaupt ziemlich reich an Schlangen; von der Gattung Dipsas fand ich allein drei Species : Dipsas leucocephala (Schl.), die man für besonders giftig hält, Dipsas IVcigclii (Fitz.) und Dipsas pavo- nina (Cuv.). Enter den Säugcthicren zeigte sich mir die eigenlhümliche Stachelratte (Echi- BRITISCH -GUIANA. 499 nomys hispidus Geoffr .) am häufigsten , besonders in der Nähe der kleinen Wald- bäche. Sie scheint sich nur auf den Bäumen aufzuhalten ; wenigstens ist sie mir nie auf dem Erdboden vorgekommen. Im Klettern und Springen von einem Ast zum andern kann sie mit dem gewandtesten Eichhörnchen wetteifern. Das Weib- chen wirft in einem hohlen Baumast 4 Junge, die der Mutter sehr bald auf Tritt und Schritt folgen; für die Indianer ist sie ein besonderer Leckerbissen. Sie scheint über ganz Brilisch-Guiana verbreitet zu sein, da ich sie wenigstens überall gefunden, während die Verbreitung des Loncheres chrysurus (Licht.) nur auf bestimmte Lo- calitäten beschränkt ist. Am häufigsten soll dieser in dem Quellgebiete des Coren- tyn sein. Ein zahmer Greifschwanz (Cercolabes prehensilis) , den einer der Bewohner besass, und den ich eintauschte, machte mir viel Freude ; leider behielt ich ihn nicht lange, da er bald entlief. Die Stacheln dieses eigenlhümlichenThieres, das ebenfalls nur auf Bäumen lebt, benutzen die Indianer zu Halsketten und ande- rem Schmuck. Eine zweite Art, der Cujy (C. insidiosa), soll ebenfalls hier Vor- kommen. In der Umgebung von Goldenhill hatten die Bewohner ganz eigentümliche Fallen zum Fangen kleinerer Säugetiere , wie Coelogenys , Dasyprocta , Dasy- pus u. s. w. aufgestellt. Der Urwald, welcher in der Umgebung der Niederlas- sung ganz von Unterholz frei war, war mit einem 2 — 3 Fuss hohen, geflochtenen Zaun in weiter Strecke durchzogen. In ihm befanden sich von 50 zu 50 Schritten OefFnungen , in denen vermittelst eines Stellbretchens starke Baumstämme etwas über dem Boden gehalten wurden. So wie eins jener angegebenen Thiere durch den Zaun in seinem Laufe gehemmt wird, eilt es diesem entlang, findet eine der Oeffnungen, stösst, indem es hindurch kriechen will, an das Slellbretchen, der Baumstamm fällt nieder und tödtet es. In Folge dieser Fallen sollen jene Thiere in den Umgebungen von Goldenhill schon ziemlich selten geworden sein. Es waren dies die ersten Fallen für Säugetiere, die ich bei Indianern bemerkte, und ich zweifle daher nicht, dass sie dieselben den Negern abgesehen, die in dieser Hin- sicht viel Genie besitzen. Prinz von Neuwied erwähnt in seiner brasilianischen Reise ähnliche Fallen, die er Schlagfallen nennt. Auch meine ichthyologische Sammlung vermehrte sich um zwei neue Exem- plare, von denen der Rhamphichthys rostratus (Müll. Trosch.) besonders zwischen den Wurzeln des Caladiums vorkam; der Anodus cyprinoides (Müll. Trosch.) wird häufig an der Angel gefangen. *) Nach einem Aufenthalt von 8 Tagen setzte ich meine Reise, in Begleitung von drei Mrawaa/c-livlinnern, den Dernerara auf- *) In dem Sande der kleinen Waldflüsschen fanden sieh nach der Untersuchung Prof. Ehrenbeug folgende Infusorienformen : 63 * des 500 REISEN IN wärls fort. Der Fluss kam immer noch aus Süd. Zwischen der dichten und üppi- gen Bewaldung der Ufer schaute auch hier, dann und wann eine von Musa und Orangenbäumen beschattete Wohnung eines Holzhändlers, eines Farbigen oder Negers versteckt unter der lieblichen Belaubung hervor. Nachdem wir auf dem rechten Ufer an den Mündungen der kleinen Flüsschen Arragua und IVatuka vorübergefahren , erreichten wir am linken Ufer das bedeutendste und'ausgebrei- tetste Holzetablissement am Demerara , Christianburg , die Besitzung eines Kauf- manns, Herrn Pattersom. Die bedeutenden Sägemiihlen werden nicht allein durch Wasser-, da sie unmittelbar an einem kleinen Creek liegen, sondern auch durch Dampfkraft getrieben. Ungefähr zweiMiles oberhalb Christianburg ändert sich der bisher aus Süden kommende Lauf des Demerara. Er kommt jetzt aus S.O. , ein Lauf, den er un- gefähr zwei Miles beibehält, worauf er aus S.W., später aus N.W., bis er plötz- lich wieder aus Süden kommt, so dass er hier die bedeutendste Krümmung wäh- rend seines ganzen bisherigen Laufes bildete. In dieser letzteren erheben sich auf dem rechten Ufer die 250 Fuss hohen, dichtbewaldelen Kashwima-Hügel. Meine Aufmerksamkeit wurde hier durch hunderte von Aasgeiern, die auf den Uferbäu- men vereint sassen , rege gemacht. Ein unangenehmer Geruch traf auch bald un- sere Geruchsnerven, und der Grund dieser zahlreichen Versammlung war erklärt. Die Aeusserung der Indianer, dass wahrscheinlich IV ovraerepos (Vultur papa) ihren Hunger stillten, auf deren Sättigung die Cathartes warteten, veranlasste mich zu landen, um, vielleicht zum letztenmal, diese eigenthümliche Erscheinung zu beobachten. *) Polygastrica. Achnanthes brevipes. Himantidium Papilio. Desmogonium guianense. II. Zygodon. Eunotia Formiea. P hy tolithari a. Lithoslersius tubercutatus. ’) Ich muss hier einen öffentlichen Angriff des Herrn von Tscnuni in seiner Fauna Peruana gegen meine Beobachtungstreue eben so öffentlich zurückweisen. Herr von Tscuudi sagt (Lieferung 7 pag. 70) : »Es ist eine allgemein verbreitete Meinung, die von vielen Reisenden, auch in neuster Zeit von ScnoMBUitGi: unterstützt wurde, dass in den Gegenden , wo sich Gallinazos ( Cathartes foelens nnd aura) und der Sarcoramphus papa aufhalten, erstere sich nie auf ein Aas niederlassen, ehe letzterer sich daran sattgefressen habe. Wir haben dies nie beobachtet, im Gegentheil gesehen, wie sich der König der Gal- linazos zu den schon versammelten Cathartes niedcrliess und mit ihnen die Beute theilte. Die Beobachtungen des Leibarztes Dr. Stephan stimmen mit den unsrigen vollkommen über- ein. Mögen sie dienen, unrichtige Angaben zu widerlegen, damit nicht aus einem Zufall, eine Regel gemacht werde.» So weit Herr von Tscuudi. Wo ich die Lebensart eines Thicres beobachtet habe, ist mir später bei der Bestimmung dersel- BRITISCH -GUIANA. 501 Der unangenehme Geruch leitete uns bald nach der Gegend, wo das Aas lag, dem wir nun behutsam zuschlichen. Sechs dieser schönen Vögel, drei Männchen und drei Weibchen sassen eben beim leckeren Mahle. Als sie unsere Gegenwart be- merkten, flogen sie mit jenem eigentümlichen Geräusch , das sie heim Aullliegen hervorrufen , auf und setzten sich aul einen der nächsten Bäume nieder, wo es Len nicht ein vereinzelter Fall, ein Zufall, das Massgebende gewesen, sondern das, was ich zu jeder Zeit beobachtete. Wo ich nicht selbst der Beobachter war, wird Herr von Tschodi jedesmal ein «soll», oder -wie die Indianer sagenn. s. w.< finden, im Fall er überhaupt meine Arbeit in die Hand nehmen sollte; — das einleitende Vorwort zum ersten Baude, wird ihm dann auch die mich leitenden Grundsätze gerade in Bezug auf diesen Theil meiner gemachten Erfahrungen angeben! — Nun zurück zu dem specicllen Fall. Ich habe den Sarcoramphus papa n i e mit dem Cathartes foetens und aura zusammen sich sättigen gesehen, sondern stets in der Art, wie ich es beschrieben, so oft jenes auch an der Küste, am Reinerara , in Pirara u. s. w. der Fall war. — Da mir und allen unsern Beglei- tern das Gegentheil durchaus fremd blieb, konnte von mir die allgemeine Erscheinung auch nicht als »Zufall» angesehen werden. Ich würde gegen meine Erfahrung gesprochen, daher eine Lüge mitgetheilt haben, wenn ich etwas anderes niedergeschrieben, als was ich niederschrieb. — Was würde Herr von Tschudi sagen, wenn ich mich in Bezug auf seine Anga- ben über denN. papa, und mir stünde, wie Herrn von Tschudi, vollkommen dasselbe Recht zu, dahin ausspräche: » Mögen meine Beobachtungen dienen, u n ri ch t i g e Angaben zu wider- legen, damit nicht aus einem Zufalle eine Regel gemacht werde, und diese in einem Werke ungerügt bliebe, wie die Fauna Peruana ist. » Ich zeihe Herrn von Tschudi aber keines sol- chen Leichtsinns, sondern sage nur: die Beobachtungen dieses Herrn und die des Dr. Stephan weichen von denen meines Bruders, denen aller unserer Begleiter und den meinen ab ; — Herr von Tschudi hat mir keine Veranlassung gegeben, Zweifel in seine Aussagen zu setzen, und so lange dies nicht der Fall, bin ich auch zu keiner andern Annahme berechtigt. Wenn Herr von Tschudi in Bezug auf die Gattung Pitheeia (2. Lieferung Seite 51) sagt: «Die Pitheeia sind Dämmerallen ; wie bei den Callithrix entwickelt sich ihre grösste Thätigkeit bei Sonnenauf- und Untergang. Während des Tages schlafen sie und sind des- halb sehr schwer zu jagen, da sie sich durchaus durch kein Geräusch verrathen und gerade dann am lebhaftesten sind, wenn der Jäger am unsichersten zielen kann», so widerspricht dies durchaus meinen Erfahrungen, ohne dass ich mich deshalb zu der Behauptung berechtigt glaubte: Mögen meine Beobachtungen dazu dienen, die unrichtigen Anga- ben des Herrn von Tschudi zu widerlegen, damit nicht aus einem Zufall eine Regel gemacht werde. Was das Leben der Alfen im Allgemeinen anlangt, so ist dies am Morgen und Abend bei allen Gattungen reger, als während des Tages. Herr von Tschudi hat blos eine Spe- cies Pitheeia zu beobachten Gelegenheit gehabt, ich drei: P. chiropotes , P. leucocepha/a, P. satanas ; alle drei sind mir aber am Mittag gleich oft in eben so lärmenden Gesellschaften begegnet, als am Morgen und Abend; ihr Lärmen im Walde, mitten am Tage, war uns nicht allein am Rupununi , sondern auch auf dem Canuku Gebirge u. s. w. der Verkünder ihrer Gegenwart. Gehört die Gattung Pitheeia den Dämmeralfen an, dann muss auch die Gattung Cebus dahin gestellt werden , da ich in ihrer Thätigkeit am Tage auch nicht die entfern- teste Abweichung gefunden habe. Das sind meiue Erfahrungen , die ich von dem ersten Augenblick an, wo mir eine Pitheeia zu Gesicht kam, bis zu dem, wo ich die letzte sab, eingesammelt. Wenn Herr von Tschudi die Gattung Callithrix am Tage schlafend gefunden, so mag dies sein ; was ich an Pitheeia beobachtet, hat sich genau bei Callithrix wiederholt. In Bezug meiner Beobachtungen fühle ich mich Herrn v. Tschudi vollkommen ebenbürtig. 502 REISEN IN mir gelang, ein Männchen, nicht tödtlich verwundet, herabzuschiessen. Das Cada- ver, welches die gefrässigen Vögel hier zusammengelockt hatte, gehörte einer Tigerkatze an, die durch irgend einen Unfall, meine Indianer behaupteten, durch einen Schlangenbiss, ihren Tod gefunden. Glücklicherweise musste der verwundete Vogel eben erst zur Mahlzeit gekommen sein ; sein Kropf war ganz leer und ich konnte ihn deswegen auch lebend in das Boot nehmen, was ich, wäre der Kropf mit dem Frasse gefüllt gewesen, wohl hätte unterbleiben lassen müssen; der Vogel roch stark nach Moschus. Ich hatte dadurch zugleich Gelegenheit, die herrlich gefärbte Kopf- und Nackenhaut, so wie die schönen Augen des Vogels ganz in der Nähe zu bewundern. Kaum war er zum Abziehen getödtet, kaum fing der Kör- per an zu erkalten , als auch allmälig die prachtvollen Farben zu verbleichen be- gannen, von denen dann am folgenden Tage keine Spur mehr vorhanden war. Der Schuss hatte auch die unzähligen Cathartes aufgescheucht, die jetzt die Stelle vereint mit den Geierkönigen im Kreise umschwebten und sich immer höher und höher in die Luft erhoben. Die Mahlzeit war aber zu verlockend, als dass sie diese Stelle hätten verlassen sollen, denn plötzlich stürzten sich mehre mit ein- gezogenen Flügeln und der Schnelligkeit eines fallenden Steines senkrecht aus ihrer Höhe herab. Durch das schnelle, senkrechte Durchschneiden der Luft wurde ein eigentümliches Getöse hervorgerufen, dass fast wie das Pfeifen einer abge- schossenen Büchsenkugel klang, wodurch ich auch auf das eigentümliche Manöuvre aufmerksam gemacht wurde. Als die Vögel ziemlich die Gipfel der Bäume erreicht, änderten sie plötzlich ihren senkrechten Flug in einen schrägen und setzten sich auf die Bäume in der Nähe des Cadavers nieder. Die Muskelstärke der Flügel dieser Vögel ist wirklich bewundernswürdig. Die fünf Vultur machten dieses eigentümliche, höchst interessante Manöuvre zugleich , das auch von einigen Ca- thartes nachgeahmt wurde. Würde ein Stein aus einer solchen Höhe herabgewor- fen, es früge sich, ob dieser oder jene früher auf der Erde ankämen. Ein zweites, früher sehr ausgebreiletes , jetzt aber fast aufgegebenes Holz- etablissement, Lucky-spot , befindet sich da, wo der Fluss wieder aus einer süd- lichen Richtung kommt, am linken Ufer, ungefähr 75 Miles, die Windungen des Flusses mitgerechnet, von Georgetown. Es hat namentlich dadurch Interesse, dass im Jahre 1809 hier eine Brigg von 108 Tons , Bauholz ladete; ein Beweis, dass der Fluss selbst bis hierher noch für grössere Fahrzeuge schiffbar ist. Oberhalb Lucky-spot mündet sich am linken Ufer der kleine Creek Coreta in den Demerara. Einige Miles weiter wiederholt der Fluss beinah wieder ganz die frühem eigen- tümlichen Krümmungen; seine Tiefe wechselt hier von 7 — 10 Fuss. Am linken Ufer erhebt sich das Terrain ziemlich bis 180 Fuss, und ist mit der üppigsten Ve- getation bedeckt; die grösste Zierde des Waldes bildet unstreitig das herrliche BRITISCH -GUIANA. 503 Grcenkeart , das mit andern Laurus- Arten , aus denen ein grosser Theil der die Hügel bedeckenden Waldung besteht, die ganze Atmosphäre mildem herrlichen, aromatischen Dufte ihrer Bliithen erfüllten. Die Temperatur war heule fast uner- träglich ; unser Bivouak schlugen wir an der Mündung des sich am rechtenUfer in den Demerara ergiessendeu Wainibisi auf. Als die Indianer mit dem Reinigen eines Platzes zum Aufhängen der Hängematten beschäftigt waren, und mit dem Waldmesser das im Wege stehende Gebüsch und die Lianen niederhieben, traf meine Geruchsnerven jener, schon früher erwähnte zwiebelartige Geruch in einem solchen Masse, als wären die Leute in einem Zwiebelfelde beschäftigt; — bei der Untersuchung fand ich, dass dieser Geruch dem Stamme und den Blättern einer Liane eigentümlich war. Leider besass diese jetzt weder Früchte, noch Bliithen. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass nicht allein die /ToMo-Hühner selbst, sondern auch ihr Fleisch zu bestimmten Jahreszeiten einen eigentümlichen, zwiebelartigen Geruch und Geschmack besitzen. Ohne Zweifel fressen sie dann die Früchte, Samen oder Blüten dieser Liane. In der darauf folgenden Nacht zog ein grünlichblau phosphorescirendes Licht meine Aufmerksamkeit auf sich, das, wie ich am Morgen fand, von einer Menge kleiner Pilze ausströmte, die auf mo- dernden Blättern und vertrocknetem Holze wuchsen. Leider sind mir meine ge- sammelten Exemplare verloren gegangen, bevor sie bestimmt werden konnten. Gardner erwähnt in seiner brasilianischen Reise ebenfalls einen stark phosphores- cirenden Pilz ( Agaricus Gardneri Ber/c.)", möglich, dass beide identisch sind. Ein starkes Gewitter mit heftigem Regen weckte mich aus meinen Träumen, und ich verbrachte, da wir alles Schutzes gegen den Regen entbehrten, eine höchst un- angenehme Nacht. Kaum war der Morgen angebrochen, als wir auch unsere Reise fortsetzten und, am linken Ufer, an der Mündung des Hibbeba vorüberfuhren. Hin und wieder wurde auch einer der grossen, schönen, scheuen Reiher ( Ar - den Cocoi Lin.) aufgescheucht, der vereinsamt an den Ufern oder auf einem Baume mit eingezogenem Halse sass, den er, so wie er uns in der Ferne bemerkte, immer länger und länger ausstreckle, bis erendlich bei unserer Annäherung unter dem Aus- stossen eigenthümlicher, schnarrender Töne die Flucht ergriff. Nach der Aussage der Indianer soll dieser schöne Vogel, der über ganz Guiana verbreitet ist, auf hohen Bäumen nisten. Häufiger und weniger scheu war ein schöner, dunkelgrün glänzender Ibis ( Ibisnudifrons ), der sich nicht selten an den Ufern des Demerara fand. Man sieht diese schönen Vögel immer paarweis, wo sie entweder auf den über den Flussspiegel ragenden, entlaubten Aeslen der in den Fluss gefallenen Bäume sitzen, oder an den Ufern ihrer Nahrung, die wohl aus Insecten und A\ assor- tieren bestehen mag, suchen. Bei Einbruch der Dunkelheit erheben sie sich in die Luft und ziehen dann unter ihrem eigenthümlichen , schnarrenden Geschrei über 504 REISEN IN den Wald hin , wahrscheinlich ihrem Ruheort zu. Prinz von Neuwied erwähnt diese Eigentümlichkeit auch von den Ibis sylvntica (Vieill.). Unsere Aufmerksamkeit wurde, ungefähr 200 Schritt vor uns, auf ein grosses Thier gelenkt, das eben den Fluss überschwamm. Trotz der grossen Entfernung, in der wir uns noch davon befanden , erkannten die Indianer sogleich an dem über die Wasserfläche emporragenden gekrümmten Schwanz einen Jaguar in ihm. So sehr wir auch unser Rudern beschleunigten, erreichte dieser doch das Ufer, noch ehe wir in Schussweite gelangten. Der Flüchtige erklimmte am Ufer einen alten, in das Wasser gefallenen Raumstamm, blieb dort stehen und schüttelte sich erst das Wasser vom Felle, setzte sich wie ein Hund auf die Hinterfüsse und sah unserer Annäherung ruhig entgegen, erhob sich dann und schritt langsam dem Baumstamm entlang und verschwand in dem dichten Walde. Nachdem wir die Mündung des Morttnvre am rechten Ufer passirt, traten oberhalb dieser, ungefähr 70 Miles von der Küste , in gerader Richtung, die ersten Felsenblöcke im Flussbett des Dernerara auf, die aber den Wasserspiegel noch nicht überragen. Hier ändert sich auch der Lauf des Flusses. Dieser kommt jetzt 2 Miles aus einer rein westlichen Richtung und wechselt diese dann wieder mit der südlichen, so dass er ziemlich einen rechten Winkel bildet. Am rechten Ufer erreichten wir die frühere, erst vor kurzem aufgegebene Poststation Scba (in der Arawaak- Sprache : Stein). Hier tritt, ungefähr 74 Miles in gerader Richtung von Georgetown , am rechten Ufer das erste Massengestein, ein Granit mit reicher Hornblende, zu Tage. Das felsige Terrain erhebt sich unge- fähr 60 — 80Fuss über den Wasserspiegel des Dernerara. Eine Menge niedlicher Flechten, besonders Usneaceae und Lecidineae belebten das todte Gestein, in des- sen Spalten auch noch kleine Piperaceen und Orchideen wuchsen. Von Seba zweigte sich eine Hügelreihe, die ebenfalls den Namen Sandhills führt, nach S.O. ab ; sie kreuzt später, wie schon erwähnt, den Berbice unter 5° N.B. , und zieht sich in dieser Richtung bis zum Corentyn fort. Ihre durchschnittliche Höhe beträgt 50 — 60 Fuss. Von Scba führt ein Pfad nach dem Berbice , den man, auf einem seiner Neben- flüsse, den Wieroni erreicht. Der Pfad führt vonSei« bis zu einer Bucht des Wie- roni, die den Namen Catucabura führt, wo man sich auf jenem einschifft; und ihn abwärts fährt. Die Entfernung von Seba bis zur Bucht Catucabura beträgt, die Krümmungen des Pfades eingerechnet , ungefähr 50 Miles. Mein Bruder legte, bei seiner Reise auf dem Berbice , im Jahr 1836, diesen Weg vom Berbice nach dem Dernerara zurück. *) ') Vcrgl. R. II. Scno.MBURCK: Reisen in Guiana und am Orinoko, pag. 279. BRITISCII-GUIANA. 505 Ungefähr 4 Miles oberhalb Seba mündet sich, am rechten Ufer, der Alissaro in den Demernra ; der Fluss besitzt ein weissliches Wasser. Unsere Richtung war immer noch eine südliche. Das landschaftliche Bild unserer Umgebung gewann namentlich viel durch die wechselnden, üppig bewaldeten Hügel, die oft bis an die Ufer herantraten, sich sanft gegen dasselbe abdachten, oder sich amphilheatralisch über einander erhoben, und durch die grosse Mannigfaltigkeit des Grüns der dichten Belaubung und den Wechsel der zahllosen Blüthen, Früchte und Beeren, immer überraschender wurden. Am linken Ufer führte ein solcher Hügel den Namen Tigerhill. Tausende von kleinern Vögeln aus den Gattungen der Fringillen, Ta- nagrinen und Euphorien belebten die Bäume am Ufer, flogen zwitschernd, nach Nahrung suchend, von Zweig zu Zweig, von Baum zu Baum, bis meine Aufmerk- samkeit wieder durch eine Heerde der kleinen niedlichen iH/ good Massa , good Massa lang Life to you » tönte, als die Ruder schon längst in Bewegung gesetzt waren, noch lange in meine Ohren. Ein Amphitheater von dicht- bewaldeten Hügeln, die jetzt an beiden Ufern eine Höhe von 300 Fuss erreichten, schliesst den Demerara ein und zwingt ihn zugleich zu vielfachen Windungen. Auf vielen dieser Hügel und an ihren Abhängen sah man noch die Spuren und Ueberbleibsel ehemaliger Indianerniederlassungen, deren Bewohner verschwunden sind. Die einst cultivirt gewesenen Strecken markirten sich scharfund deutlich in dem hohen Urwald, und bieten, besonders in derFerne, einen eigenthümlichen An- blick dar. Die einst, besonders von Arawaaks so zahlreich bewohnten Ufer des Demerara , haben ihre rothbraune Bevölkerung fast ganz verloren , indem diese theils ausgestorben ist, theils habeii die Bewohner auch ihren Wohnort mit andern Localitäten gewechselt. Goldenhill war die letzte ^/yzwffffA-Niederlassung , die sich an den unmittelbaren Ufern des Demerara befand. Eine Schaar von Papa- geien, die in der Timt unzählbar war, zog unter einem Geschrei, das auf eine Vier- telstunde Entfernung schon zu hören war, über den Fluss; sie flogen ziemlich nied- rig und Hessen sich auf die Bäume des rechten Ufers nieder, die sie förmlich be- deckten. Mehre Hügel verursachen, dass der Fluss einige Miles wieder aus einer westli- chen Richtung kommt, aus der erglcich plötzlich aus der südlichen umspringt, wodurch sein Lauf auch hier wieder fast einen rechten Winkel bildet. In dieser Biegung traten eine Menge Slromschnellen auf. Jenseits dieser führte der schon erwähnte Pfad nach dem Essequibo. Zwei Miles oberhalb dieses Pfades erreichte ich das Ziel meiner Reise, den Ororu-Malalii oder «great Fall » der Colonistcn. Er liegt unter 5° 19' N.B. und 58° 35' W.L., machte aber keineswegs den mächtigen Ein- BRITISCH-GUIANA. 507 druck auf mich, den ich, nachdem, was mir von seiner Grösse erzählt worden war, erwartete; ich hatte bereits viel imposantere Wasserfälle gesehen. Die Höhe des Falles mag ungefähr 12 Fuss betragen. — Von hier ab hört alle fernere Flussfahrt auf, da das Bett oberhalb des Falles nur noch für kleinere Corials fahrbar ist. Der obere Lauf des Demerara ist nur den Indianern bekannt. Nach ihren Aussagen hat er seine Quellen in der kleinen Gebirgsgruppe Maccari , die sich dem Essequibo unter 4° 28' N.B. nähert. Sein Bett verläuft fast durchgehends ziemlich parallel mit dem Essequibo und Berbice. Obschon er eine Menge Neben- flüsse in sich aufnimmt, ist doch keiner derselben von Bedeutung. Mit reicher Aus- beute, namentlich von lebenden Orchideen , kehrte ich anfangs Mai nach George- town zurück. Da sich meine Abreise nach Europa noch bis Anfang Juni verzögerte, so un- ternahm ich noch manchen kleinen Ausflug nach der West- und Ostküste, über die ich noch einige topographisch-statistische Bemerkungen beifügen will. In der Nähe der Mündung des Essequibo , an Aev Mrabien-Käsie, liegen die beiden Negerdörfer Qucenstown und, nicht weit davon entfernt, Catharinensburgh ; letzteres hat eine Kapelle. Auf der Insel fVakenaam befindet sich das Dorf Frederiksburgh. Der Theil der Küste zwischen dem Essequibo und Demerara , die « West- küste», zeigt, wie ich schon angab, eine Reihenfolge der fruchtbarsten Zuckerplan- tagen, die nur von dem kleinen Dorfe Williamstown unterbrochen wird. Es besitzt eine grosse, geräumige Kirche, eine Apotheke und mehre Kaufläden. Die Bewoh- ner sind meistentheils Handwerker aller Farben, vom Neger bis zum Europäer. Oestlich von Georgetown erstreckt sich dann bis zur Mündung des Mahaica , der sich in den atlantischen Ocean ergiesst, 25 Miles weit die «Ostküste» , unbe- zweifelt der fruchtbarste Distrikt des ganzen Küstenlandes. Ungefähr 20 Miles aufwärts mündet sich, am westlichen Ufer, der Fluss Lamaha in den Mahaica. Um die Stadt Georgetown wenigstens in etwas mit süssem Wasser zu versorgen, ist von dem Lamaha , in der Nähe seiner Quelle , unter ungeheuren Kosten ein Kanal nach der Stadl geführt worden, der sich in das Meer mündet ; vermittelst Schleussen wird bei der Fluth das Aufsteigen des Salzwassers verhindert. Ist das Wasser des Lamaha- Kanals auch nicht für Menschen trinkbar, so dient es doch für das Vieh und zum Waschen. An der Ostküste, zwischen dem Demerara und Mahaica, liegen noch die zwei Dörfer Buxton , und einige Miles von diesen Victoria. Sie sind noch im Entstehen begriffen. Das Dorf Victoria erhielt dadurch seine Entstehung, dass 63 emanci- pirte Neger die verlassene Plantage Northbrok für 10,000 Dollars kauften , die Ländereien parcellirten und das Dorf gründeten, dem sie den Namen der Königin von England gaben. 64* 508 REISEN IN Am westlichen Ufer des Mahaica liegt das sich schnell erweiternde Dorf Ma - hnica, jetzt Jonestown , mit etwa 150 Häusern und 800 Einwohnern. In den letz- ten Jahren erhoben sich auch bereits auf dem östlichen Ufer mehre Häuser. Auf derselben Seite, an der Mündung des Mahaica , befindet sich ein Militairposten. Von Mahaica bis Mahaiconi, ebenfalls eine Strecke von 25 Miles, zieht sich ge- genwärtig, wie ich schon früher anführte , eine lange Reihe aufgegebenerund in Weideland umgeschaffener Baumwollenplantagen. Am Mahaiconi und Abari, zwei unbedeutenden sich in das Meer mündenden Flüssen, liegen die beiden Dör- fer Mahaiconi und das im Entstehen begriffene Abari-, das erstere zählte da- mals 50 Häuser, da aber die grosse Strasse von Georgetown nach Neuarnsterdain durch beide Orte führt, so steht zu erwarten, dass Mahaiconi und Abari sich schon jetzt namhaft vergrössert haben werden. An dem Berbice, der sich 57 Miles östlich vom Demerara in den atlantischen Ocean ergiesst, liegt die zweite grosse Stadt der Colonie, Berbice oüer Neuam- sterdam. Die erste Niederlassung der Holländer am Berbice , Zeelandia , befand sich 50 Miles den Strom aufwärts. Diese für den Handel weniger günstige Lage veranlasste 1796 die Colonialregierung, den Grundstein für die neue Stadt etwas oberhalb der Mündung des kleinen Flusses Cnnje zu legen , wo schon im Jahre 1720 ein Fort errichtet worden war. Die Stadt dehnt sich gegen IV. Mile längs dem Ufer des Berbice aus und wird von einer Menge Kanäle durchschnitten. Für jedes Haus erhielt der Bauherr einen Viertel Acker Land , den er nach Belieben benutzen konnte, und den er mit einem Kanal umgab, der, durch die Ebbe und Fluth entleert und bewässert, die Anhäufung von Schmutz verhindert. Welch günstigen Einfluss diese Kanalisation auf den Gesundheitszustand der Stadt ausübt, geht dar- aus hervor, dass Berbice nur äusserst selten vom gelben Fieber heimgesucht wird, und ist dies ja der Fall, dann doch nie in solcher Ausdehnung wie Georgetown. Von der Seeseite gewährt die Stadt einen herrlichen Anblick. Die Insel Crab, wegen der ungeheuren Menge Krabben, die sich hier aufhalten « Crab-Island » ge- nannt , legt sich fast unmittelbar der Mündung des Berbice vor. Sie ist niedrig, mit Gebüsch bedeckt und hat ungefähr 1 Mile im Umfang. Von ihrer nördlichen und südlichen Spitze läuft eine schmale Düne aus, welche das Flussbett in zwei schiffbare Kanäle theilt. Leider vergrössert sich diese Düne gegen das öst- liche Ufer in solchem Masse, dass dieses Anwachsen die gänzliche Versandung des tiefern Kanals befürchten lässt. Auf dem östlichen Ufer, der Crabinsel gegenüber, erheben sich die Ruinen des alten Fort’s St. Andrew mit vier Bastionen und einem breiten Graben umgeben. Die Cascrncn des Militairs, die Wohnungen der Inge- nieure und der Artillerie sind an der Vereinigung des Canje mit dem Berbice in BRITISCH-GUIANA. 509 einem \ iereek , umgeben von hohen Palisaden , errichtel , wie sie auch von einer Batterie vertheidigt werden. Nach dem Census von 1841 zählte Neuamsterdam 3460 Einwohner, unter denen sich jedoch nur 180 Europäer befanden ; die übrige Bevölkerung besteht aus farbigen und Negern. Inter den religiösen Gebäuden möchten die drei Kirchen der Episcopalen, Schotten und Lutheraner zu erwähnen sein. Die Wesleyaner und Katholiken besassen hier bereits Kapellen, als die Stadt noch aller Gotteshäuser entbehrte. Ausser der Freischule, die durch freiwillige Beiträge und die bedeuten- den Unterstützungen des Colonialgouvernements erhalten wird, existiren noch acht Privatschulen in der Stadt. Der commercielle Theil der Stadt mit seinen ausge- zeichneten Waarenhäusern und auf Pfeilern erbauten Werften, zieht sich unmittel- bar dem Fluss entlang. Ausser der Landpost, die die Communicalion zwischen den beiden Hauptstädten vermittelt, fährt auch noch ein Dampfboot wöchentlich zwei- mal zwischen beiden Städten hin und zurück. Die Ufer des Flusses sind ungefähr 40 Miles stromaufwärts bewohnt, jenseits welcher Grenze das Gebiet der Eingebornen beginnt. Die Quelle muss sich in der Nähe des dritten nördlichen Breitengrades befinden. Unter 3° 55' Norderbreite nähert er sich dem Essequibo bis auf 9 Miles, und schlägt dann einen nordwest- lichen Lauf ein, worauf sich sein Bett bald verengt, bald seeähnliche Ausbreitungen bildet. Seine Ufer sind ebenfalls niedrig und sumpfig. Unter 4° 19' Norderbreite beginnen seine Cataracte und Stromschnellen. Bis 4° 50' ist er schiffbar. Unter dem fünften Breitengrad wendet er sich gegen Nordost, welche Richtung er auch bis zu seiner Mündung beibehält. Der Küstenstrich zwischen der Mündung des Berbice und Corentyn besitzt nur einzelne Meiereien und Zuckerplantagen, die sich gleich sparsam und vereinzelt dem westlichen Ufer des Corentyn einige Miles stromaufwärts erstrecken. Der Fluss ergiesst sich in eine beträchtliche Meeres- bucht voller Schlamm- und Sandbänke, zwischen denen sich mehre schiffbare Ka- näle befinden. Die Breite dieser Einbuchtung beträgt zwischen den Plantagen Mary’s Hope und Nickeri , welche Stelle für die eigentliche Mündung des Flusses angesehen wird , in nordwestlicher gegen südöstlicher Richtung , 10 Miles. Die Entfernung der beiden Ufer der Bucht von Gordon’s Point bis zur Plantage Alness beträgt 18 geographische Meilen. An dem östlichen Ufer seiner Mündung nimmt er den Fluss Nickeri auf, an welchem das holländische Fort Nicken mit einer Batterie und 120 Mann Besatzung liegt. Die ganze Colonie zerfällt in 11 Kirchspiele, nämlich in das von St. Mary , St. Paul , St. George und St. Andrew , St. Matthew , Mark , Swithin , Luke, James , John und Trinity. Den 18. Mai traten die Herren der Grenzexpedition und mein Bruder ihre 510 REISEN IN Rückreise in dem Dampfschiff Trent nach Europa an. Meine reichen botanischen, zoologischen, geologischen und ethnographischen Sammlungen, besonders aber meine überreiche Sammlung lebender Palmen, Orchideen und Thiere nöthigten mich, mich und diese einem Kauffarteischiff anzuvertrauen. Bei meiner Rückkehr von Pirara nach Georgetown fand ich in den Briefen, die aus der Heimath auf mich warteten, auch die Nachricht, dass sich zu den wis- senschaftlichen Instituten Berlins ein neues, ein zoologischer Garten, gesellt. Ich glaubte daher die günstige Gelegenheit, auch dieses durch meine Reise zu be- reichern, nicht vorübergehen lassen zu dürfen, und schon während meines Ausflu- ges den Pomeroon aufwärts, suchte ich mich auf jede Weise in Besitz lebender Thiere zu setzen , so dass ich jetzt förmlich eine kleine Menagerie, theils durch Tausch, theils durch Einkauf zusammengebracht hatte. Mein Stolz war einer jener mächtigen Adler Südamerika^ , eine Harpyia destructor (Temrn.). Die- ser selbst in Guiana so seltene Vogel war durch Indianer des Innern nach der Co- loniesladt gebracht worden und in die Hände des Gouverneurs gekommen, der uns bei unserer Abreise ein Geschenk damit machte. Er war noch ziemlich jung und besass ein vollkommen weisses Gefieder. Da selbst der zoologische Garten in Regent-par/c in London diesen seltenen Vogel nicht besitzt, so fühlte ich mich dem freundlichen Geber um so mehr verpflichtet. Ausser einer Menge Affen und anderer Säugethiere und Vögel, wie Crax, Penelope , Psophia , Papageien u. s. w., hatte ich auch noch vier grössere Schlangen, und zwar eine 11 Fuss lange Boa constrictor, zwei 8 Fuss lange Boa murina und einen 6 Fuss langen Coluber poeci- lostoma (Pr. Nemo.), eine Iguana tuberculata, mehre Gymnolus electricus u. s. w. zusammengebracht. Die Natter besass ich schon längere Zeit. Auffallend war es mir, dass diese sehr häufig und dabei grosse Quantitäten Wasser trank, was keine der übrigen that. Die electrischen Aale hatte ich in grossen Gefässen, von denen eins mit eisernen Reifen umgeben war, was aber die electrische Kraft des Thieres vielfach schwächen musste , da ich die Abnahme derselben bei diesem Exemplar am frühesten wahrnam. Kleine lebende Fische waren ihre Lieblingsspeise, die sie ungemein schnell verdauen. Sobald wir diese in die Gefässe warfen, wurden sie auch durch den electrischen Schlag bald getödtet und dann erst verzehrt. Des Tages waren die Aale immer still, wurden aber bei Eintritt der Nacht um so unruhiger. Neckten wir sie anhaltend , so dass sie ihre electrische Kraft verlo- ren, dann ging ihre Farbe in das Violette über, wie auch deutlich mehre zer- streute schwarze Flecke auf dem Körper sichtbar wurden. Die electrischen Schläge fühlte man mit gleicher Stärke durch das Gcfäss , so dass die Matrosen diese , als sie dieselben nach dem Schiffe tragen wollten , zweimal fallen las- sen mussten. Mein Bruder brachte eins der grössten Exemplare glücklich nach BRITISCH-GÜIAINA. 511 Southampton , wo dasGefass beim Heraustragen aus dem Schiffe in Folge eines star- ken Schlages von den Matrosen fallen gelassen wurde und der Fisch dabei seinen Tod fand. Obschon ich eine Menge von Regenwürmern zur Fütterung und eine Quanti- tät süsses Wasser zum täglichen Wechsel mit mir nahm, gelang es mir doch nicht, meinen lebhaften Wunsch erfüllt zu sehen : die beiden letzten lebenden Exemplare starben mir noch im Kanal. Da ich auf dem Meere bald fand, dass eins der Exem- plare sich in Folge des Schaukelns des Schilfes auf dem hölzernen Boden den Bauch aufgerieben, an welcher Wunde es wahrscheinlich auch starb, so fütterte ich die übrigen Gefässe mit weichem Flanell aus; den Verwundungen wurde zwar da- durch vollkommen vorgebeugt, der Tod aber doch nicht verhindert. Ein Ableiter der electrischen Kraft sollen die Blätter des Caladium arboreum sein , wes- halb sich auch die Farbigen dieser allgemein bedienen, wenn sie den Fisch fangen wollen. Das gute Schiff David Luckie , das Anfang Juni Demerara verlassen wollte, sollte mich und meine Sammlungen nach Europa zurückbringen. Mit der grössten Sorgfalt richtete ich für mein Palmen- und Orchideensammlung in dem Longboat eine Stellage ein, die ich, um sie vor dem Seewasser zu schützen, mit einer grossen ölgetränkten Plane umschloss und überzog. Für die zarteren Orchideen liess ich mir noch zwei Wardt’sche Kasten machen; eine grössere Zahl erlaubten mir meine Mittel nicht. Am 4. Juni verliessen wir die Mündung des Demerara. Kaum hatten wir das Land aus dem Gesicht verloren , als sich auch wieder das Schreckgespenst, die Seekrankheit bei mir einstellte, die mich fünf Tage an das Bett fesselte. Der erste Gang aus der Cajüte war der zu meinen Pfleglingen : obschon diese kein Tropfen Seewasser getroffen, so war doch bereits ein grosser Theil derselben von der scharfen Seeluft zerstört ; und auch viele meiner, noch vor wenigen Tagen so kräftigen Palmen hingen ihre Wedel so erstorben herab, als wären sie mit kochen- dem Wasser übergossen worden ! — Um das noch Erhaltene vor gänzlichem Tode zu retten, liess ich augenblicklich alle Kasten in die Kajüte hinabbringen, wo- durch ich sie zwar vor den schädlichen Einwirkungen der Seeluft, nicht aber vor denen der Zähne einer Menge von Ratten und Mäusen schützen konnte. So willkommen mir diese Milpassagiere für meine Menagerie waren , so sehr musste ich sie in Bezug auf meine lebenden Planzen verwünschen. A on zweihundert Palmen brachte ich leider nur einige sechzig, von meiner überreichen Orchi- deensammlung etwa siebzig Species in dreihundert Exemplaren glücklich nach Berlin. Ein wirklich ergiebiger Palmentransport kann nur mit Hülfe von \\ ardt- schen Kasten bewirkt werden. Wo aber hätte ich die Mittel hernehmen sollen, mir diese in Georgetown machen zu lassen? 512 REISEN IN BRITISCH -GUIANA. Nach achtwöchentlicher, etwas langweiliger Fahrt, denn ich war der einzige Passagier des Schiffes, auf der ich in der letzten Zeit fast jeden Tag den Tod eines meiner Menageriestiicke zu beklagen hatte , durch deren Cadaver ich aber zugleich die andern erhielt, landeten wir in England und ich stand wieder am Ufer des gros- sen Stroms und schaute in die Vergangenheit zurück, wie ich vor länger als drei Jahren an dem entgegengesetzten Ufer stand und mit vollem , hoffendem Herzen in die Zukunft schaute ! — Viele dieser Hoffnungen wurden mir zur schönen Wirklich- keit, viele vernichtete das rauhe Klima des heimischen Bodens ; eine warme Zone hatte ihren Keim entwickelt, durfte ich ihr Leben unter einer rauhern erwarten? — ANHANG SPÄRLICHE VOC ABÜLARIEN UND AUFGELESENE SPRACHLICHE NOTIZEN. II. Theil. 65 y.nrisabarote Tarausi cabie Makunaima Wiimiri BRITISCH-GU1ANA 515 ' r-n 3 3 u u © ® -4) 41 3 - a* ^3 • — * ^ ^ g 3 3 .. a -3 3 « 3 T C-äHCL, « o 3 .2 ® © ri cs et o >-» c« CD =3 a © o Oh _ . o 3 ,4j S 2 'S g- g. © g g © © g 3 c g ^ H © © ’C ® ^ »S o a S «3 Sj « g cs cs .5" = ® •- .r-^. CD H M ^5 CI ^ ^ £ >- I'« ttÄ 3 i S 3 3 3 O © >H >H K^ -3 3 3 g g g © 3 3 .2 3 "o 3 IxflS^Z S-§ ® s £ & Q Q ci ^3 rÄ ci 2= O .- © — Z h di S p cs cs cs cs ci Ui^QQQQ — CS - — — i — 5 . — ^3 ’-“ ,Sz © w cs 5 © Q '32 s». © © $5 S 2$ *'■« ^ © £ * ^ ^ <2> © © © © © .© . 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B ■ -g B "g £.3 2. =• 95 r« S' 0 äs - 2. S 0 » CD rs SS er n B ► »r p < p 55 g g CD C ?r P 3- ft' H Ö p p ft> ^ 3. — co ü td o: N n 0 © ft ° p p “ p g. B ^ 3 S ST §- £ b- o ft 5 3 p p - o p BRITISCH -GUIANA. 519 Deutsch. Macusi. Arckuna. Arawaak. Atorai. Ananas Kaiwara Kaiwara Zuckerrohr Kaiwaraquima Kaiwaraqui- Yams Krisa Krisa [raa Früchte der Carica Papaya Mapaya Mapaya Jahr Tiraong' Wijua ein Regenzeit Conno [Jahr Säezeit Timongpohti Kälte Comuye Flasche Bottura, wahr sch. v. d. [engl. Worte boltle Axt Waka Asche Hurunapa Strick Currauya Biene Wang Käficht Yeng Trinkschale Pitscha Messing oder Gold Karukuri Cigarre Kuika Kette Karena Sklave Suari Geburt Essempo Brücke Muyfe der Zweig eines Baumes Bantarakte die Sehne eines Bogens Hurapa yuwä der Grund eines Flusses Yamu die Quelle eines Flusses Yamu der Tod einer Person asamanda die Farbe Iraenu weiss aimatong poatta schwarz rikotong potteo roth tschuyai wuirau grün rora blau tamanuampo tosau gelb scharameng kopario kochen ■pflanzen yerinda ipuima abukun abbunin schneiden yate kansin lieben wakü wachsen atopamang appüdün blasen ipuma beissen yeka ardin vergessen wamureenapo ahaikassiän essen yane oder entumakan akuttun aufmachen yetarapke ahannuban kommen yena and in sterben samontau kaikan haben waneppö kamünnin bringen yenepu ! 520 REISEN IN Deutsch. Macusi. Arawaafe. zerbrechen hekatubä bauen brennen yamu ipote kaufen yena schlafen wedong reinigen illona liegen essoaru befehlen yaibonde anfangen ipate laufen kanape rennen hekatuna attin trinken yenuri -plaudern seropang wechseln inyakama tragen yare verrathen ikaramickü versichern ewe bluten murekamo gehen asere binden yauruma spielen sitzen enureimuna erauta abaltin weinen erauta lachen sisi sprechen esorema rufen asike begraben aruwei niesen esunasika beladen ( einen Kahn yarate blasen ( ein Instrument yenumpa din wie bowanna alles tamaneure tumoqua hier seni jaha was ? he oder hewanna hamma ich bewundere wakripokrü ich ziele yapotanipuya ich vollende ikonekauya vollenden yarituka ich liege sewarö ich lache usissi ich spreche essirama ich singe uyerimou ich rufe yannoya ich esse yanuya kalt komi oder komükke warm baneh gut wakui BRITISCH-GUIANA. 521 Deutsch. Macusi. Deutsch. Macusi. sehr gut wakui pökru krank seit langer Zeit paomoko schlecht öripü ich habe Kopfschmer- yenepe pupeiwanna sehr schlecht öripö pökru {zen klein simirikö ich habe Zahnschmer- yenepe uyewanna gross okai der Husten {zen Aidong viel toukö das Fieber Parang wenig maranne kaltes Fieber Ekuiraa bereits asirewai Abend akomarame, cs wird stets ekonoro auchfigürlich ge- aber tüzeh braucht, dass ein unter toko Tag vorüber ist unten {sich auf die Hö- nompo heute sererope {he beziehend gestern komompra zwischen yumang vorgestern uminikomompra windstill tiinawansa o. tun- morgen ewanue (ang übermorgen ewanoerong oder kaltes Wetter komükewanna (ewaneire helle kakka lange her penna kindisch raure uraipong ich weiss nicht ine pa in der Mitte yarakita es ist da muretnony abwesend ipatapoi es ist nicht da buremong sich rächen epuikateng die Baumwolle Kotoka sich anzichen , putzen semaneteng Ein Knaul feingespon- Wennemang sich beklagen yekarameku {nener Baumwolle sich brechen atorakang dito grobe Yaraong ein Blinder enkurunang ich hure blind enkuru du hamore jenseits seairemang er misere bitter mei wir hana reinlich erunapu ihr hanamorc krank mupei sie inkamore gesund puriyawanna nein kani ungesund, kränklich puriya purawanna ja üna krank seit kurzer Zeit yenepawanna II. Theil. 66 522 REISEN IN Deutsch. Arawaak Deutsch. Arawaak. ein Stuhl Abaltikoana trunken sein sommolen eine Flamme Eheludun süss sein semen ein Sklave Haijaru trocken sein sakkan eine Hängematte Hammaka lange dauern oän Medizin Ibbehü alle namqua Thräne Ikirahü müde sein mihiten Frucht Iwihü bleiben, still seih majauquan Gras ( Savanne ) Karau keine Frau haben märeun Vogel Kuddibiu keinen Mann haben märetin Nagel Puttuputtulli aber kan Eisen Siparalli haben kamünnin Husten , Schnupfen Tunnuli unzufrieden ) „ . Floh Llbaijahü feindlich > Kaiiuau Leben, Seele, Herz Ulluahü gross sein ippirun Schlange Wuri hungrig sein hamussiän die Erde, TV eit Wunabu hell sein harunnalian schlecht, garstig sein wakaiän etwas hammatalü bald wahadja was ? hamma lang sein wadin schwitzen hadubuttin hurtig sein wabudin gebären emeudun helle sein iissaukan neu sein ‘ emeliän gut sein üssan wie din von uria gleich danukebe weil udutnma du bokkia alles tumoqua und, auch badia tief sein tullan Vater, ein Liebkosungs- awawa jucken tetten ( wort der Kinder heiss sein leien ein andermal abbahün hart sein tatlan niemals abbahiin luirrn schläfrig sein Iabussi<:in mehr abbassabün Vergleiche: Qdandt, Nachricht von Surinam und seine Einwohner. BRITISCH-GUIANA 523 524 REISEN IN Der Bau der Sprache der Arawaaks, nach dem Missionar Quandt. *) Mit den abendländischen Sprachen hat die Sprache der Arawaaks keine Aehn- lichkeit , desto mehr aber mit den morgenländischen. Sie hat keine schwer auszu- sprechenden Buchstaben, und deren nur 19: a, b, d, e, g, h, i, k, 1, m, n, o, p, q, r, t, u, w. Das f kommt bei ihnen nur in einigen von den Spaniern und Holländern ange- nommenen Wörtern, und das r und 1 ist manchmal schwer zu unterscheiden, welches aber auch bei andern Stämmen der Fall ist , indem auch sie diese beiden Buchstaben undeutlich aussprechen oder verwechseln. Die Nomina sprechen sie sehr selten ohne Beifügung des Pronominis pos^essivi aus, daher man sie erst in ihren Zusammensetzungen mit andern Worten suchen muss, doch giebt es einige, z. B. Bahü ein Haus , Hiäru eine Frau u. s. w. , die ohne Verbindung mit einem Pronomen Vorkommen. Sie haben nur zwei Genera , Männlich und Weiblich, zu letzteren gehört auch alles , was nicht männlich ist ; auch nur den Singular und Plural. Ihre Pronomina poss. und personalia, welche einerlei sind, werden den Nominibus vorn , den Verbis aber vorn und am Ende des Wortes angehängt. Ihre Pronom. poss. und personalia, die sie vorsetzen , sind folgende: Dai oder Dakia, ich oder mein, davon das D. Biii, Bokkia, du, dein, Likia, er, sein, Turreha, sie, es VVai, Wakia, wir, unser, Hui, Hükia, ihr euer, Nai, Nakia, sie, ihr davon das B. davon das L. davon das T. davon das W. davon das H. davon das N. *) Vergl. Quandt : Nachricht von Surinam und seinen Einwohnern u. s. w. Görlitz 1807. Pa dieses interessante Biichelcbcn nur wenig bekannt sein dürfte, füge ich hier um so lieber die sprachlichen Untersuchungen eines Mannes Lei, der längere Zeit in Surinam lebte, und dessen einfache Mitlheilnngen durchaus den Charakter der Treue an sich tragen, ich also eine doppelte Veranlassung finde, diese vielleicht schon lange vergessene Arbeit dem Sprachforscher in das Gedächtnis« zurück zu rufeD. BRITISCH -GUIANA. 525 Die Pronom. pers., die sie am Ende anhängen , sind folgende: de oder da ich , bu oder ba du, dich, i oder la er, ihn, n oder ta sie, es. Plur. u oder wa wir, uns, hü oder ha ihr, euch, je oder na sie, z. D. Ittihü der Vater datti mein Vater butti dein Vater Ujiihu die Vielheit oder Mutter daiju meine Mutter buju deine Mutier aburikin schlagen daburika ich schlage buburika du schlägst buburikade du schlägst mich naburikai sie schlagen ihn hallikebbede ich freue mich hallikebbeje sie freuen sich Die Pronomina sind gen. omnis, ausgenommen likia, welches nur gen. masc. und turreha, welches fern, und neutr. ist. Ihre Dec/inationen sind sehr leicht, nur leidet mehrentheils ein Wort, wenn es mit einem Pronomen verbunden wird, einige Veränderung, z. D. üssiquahü ein Haus, dassiqua mein Haus; und die Pronom. verändern gern, wenn das Wort, dem sie vor- gesetzt werden, mit einem Vocal anfängt, denselben in einen ihnen eigenen ersten Vocal, z. B. illikinnihü das Vieh oder Hausthier, dallikin mein Vieh, biillikin dein Vieh, Der Dativ wird mit umün , der Abi. mit uria oder uwuria angezeigt und der Plur. behält die im Nom. bekommene Veränderung auch durch alle übrigen Casus. Ein Beispiel einer Declination ist folgendes Ubukittihü eines Mannes älterer Bruder Sing. N. Dabukiti mein älterer Bruder G. Dabukiti meines älteren Bruders D. Dabukiti umün meinem älteren Bruder A. Dabukiti meinen älter n Bruder V. Dabukiti o mein älterer Bruder A. Dabukiti uria von meinem älteren Bruder Plur. N. Wabukenuti unsere älteren Brüder G. Wabukenuti unserer älteren Brüder D. Wabukenuti umün unseren älteren Brüdern A. Wabukenuti unsere älteren Brüder Y. Wabukenuti o meine älteren Brüder A. Wabukenuti uria von meinen älteren Brüdern So auch Bubukiti dein älterer Bruder Lubukili sein älterer Bruder. Wird aber das Pron. Plur. mit einem Nomen im Sing, verbunden, dann leidet es noch eine besondere Veränderung, z. B. nicht Wabukiti, sondern Wabueinti unser älterer Bruder. Wattinuli unsere Väter ; hingegen heisst unser Vater Wattinati oder Wattinti. 526 REISEN IN Ihre Adjectiva kommen von den Verbis her und sind eigentlich Participia z. B. Kamonaikati ein armer Mann, Kamonaikatu eine arme Frau von kamonaikan, arm sein. Im PIu. haben diese nur die eine Endung ti, welche gen. omnis ist, Die Adjectiva in issia oder üffia, die sich im Plur. auf iffiannu endigen, sind unter der einzigen Endigung gen. omnis; z. B. kanssissia ein geliebter, eine geliebte, ein geliebtes. kanssissiannu geliebte Männer, Frauen, Sachen. Bei den Verbis haben sie die Bequemlichkeit , durch’ s Vorsetzen des a oder k und Anhängen einer bei den Verbis gewöhnlichen Endung ein Verbum zu machen, z. B. lana eine schwarze Farbe, daran alanatin schwarz machen oder färben, amiin bei, daran kamünnin bei sein oder haben, davon damünnika ich habe u. s. w. Ihre Verba endigen sich auf in, ün, un, an, en, und unnua; letztere Endung haben die Neutra und Passiva. Die Pronom. werden bei den Verbis eben so, wie bei den Nominibus gebraucht, und vorn oder hinten, oder beides zugleich angehängt z. B. Daijahadda ich wandle Hamussiade ich bin hungrig Alle ihre Verba können so gebraucht werden, dass sie die Conjugat. Hiphil. bekommen ; z. B. assimakin rufen assimakittin machen, dass jemand rufe, oder rufen lassen. Ihre Verba werden gewöhnlich auf die Weise von einander her geleitet : Activ. assukussun waschen Passiv, simpl. assukussahün gewaschen werden Reciproc. assukussunnua sich selbst waschen Activ. assukussukuttun waschen machen, oder lassen. Passiv, assukussukuttunua machen, dass man gewaschen wird. Wird aber auch oft als ein blosses Passivum gebraucht. Die Verba sind theils regularia, theils irregularia; erstere können füglich unter 5 Klassen oder Conjugationen gebracht werden. 1. Die sich auf in, ün, un endigen z. B. aijahaddin wandeln dattubadda ich tauche unter daijahadda ich wandele assonnukun ausschütten attubaddün untertauchen dassonnuka ich schütte aus. 1. Die sich auf an endigen z. B. aijukan jagen, nehmen oft das Hü/fswort ka, bin, am Ende an daijukaka ich jage. 3. Die sich auf unnua enden, bei welchen die Endung des Priis. oa ist z. B. aijuhudunnua hängen daijubudoa ich hänge. 4 . Die sich auf ön endigen z. B. hallikebbßn sich freuen hallikcbbedc ich freue mich. BRITISCH- GUIANA. 527 5. Die wie die 2. das Hü/fswort ka annehmen , sonst aber regulär gehen und meist das Pronom. hinten ansetzen z. B. hadabattin schwitzen kakün leben hadabuttikade ich schwitze käkükade ich lebe Ihre Verba haben 1 Praesens, 3 Praeterita, 1 Futurum incl. 4 Modus: Indicati- vus, Optativus, der zugleich der Gonjunct. ist, Imperativus und Infinitivus. Der Infin. ist Radix. Die Endung des InGn. i in a verwandelt , hat man das Praesens statt n Infin. bi gesetzt hat man das Praet. ] statt n Infin. buna gesetzt hat man das Praet. 2 an das Praesens kuba angehängt hat man das Praet. 3. statt n Infin. pa gesetzt hat man das Futur. Ein Exempel der ersten Conjugation kann zur Erläuterung dienen : Aijahaddin gehen , wandeln. Praes. Indic. Sing, daijahadda ich wandle lüjahadda er wandelt büjahadda du wandelst tijahadda sie, es wandelt. Plur. waijahadda wir wandeln hiijahadda ihr wandelt naijahadda sie wandeln Optat. Praes. Sing, daijabaddama ich möchte bujahaddama du möchtest oder auch daijahaddinnika Praet. I. Sing, daijahaddibi ich habe heute gewandelt lüjahaddibi er hat heute gewandelt büjahaddibi du hast heute gewandelt tüjahaddibi sie, es hat gewandelt. Plur. waijahaddibi wir haben heute gewandelt hüjahaddibi ihr habt heute gewandelt naijahaddibi sie haben heute gewandelt. Optat. Praet. I. Sing, daijahaddinni käbima ich hätte heute gewandelt u. s. w. Praet. II. Sing, daijahaddibüna ich habe gestern gewandelt u. s. w. Optat. Praet II. Sing, daijaddinbiinama ich hätte gestern gewandelt u. s. w. Praet. III. daijahaddakuba ich habe vorlängst gewandelt. Optat. Praet. III. daijahaddinnikubama ich hätte vorlängst gewandelt u. s. w. Futur. Sing, daijahaddipa ich werde wandeln Plur. waijahaddipa wir werden wandeln u. s. w. 528 REISEN IN Imperativ. büjahaddate oder bujaddälte wandle du hujahaddäte wandelt ihr naijahaddalte sie sollen wandeln waijaddali lasst uns wandeln. Infinitiv. Praes. aijahaddin wandeln Praet. 1 . aijahaddinnibi heute gewandelt haben 2. aijahaddinnibüna gestern gewandelt haben 3. aijahadinnikuba vorlängst gewandelt haben. Futur. aijahadinipa wandeln werden Gerund. aijahaddinte oder aijahaddiunibia um zu wandeln Particip. Praes. m. aijahadditi ein Wandelnder f. aijahadditu eine Wandelnde. Plur. aijahadditi mehre Wandelnde. Praet. 1. Sing. m. aijahadditibi f. aijadditubi ^ 2. aijahadditibüna 3. aijahadditikuba. Futur, aijahadditipa. Hierher gehört auch noch das Participium der transitivorum in issia z. B. von abulitin schreiben oder bunt machen dabulitissia was ich schreibe dabulilissiabi was ich heute schreibe u. s. w. dabulilissiabuna dabulilissiakuba dabulilissiapa. Die Verba der dritten Klasse in unnua, deren Endung im Präsens oa ist, behal- ten in den übrigen vom Infinit, gemachten Temporibus das u vor der Endung bei z. B. aijuhudunnuo hängen. Praes. daijuhudoa ich hänge Praet. 1 . daijuhudubi ich habe heute gehangen 2. daijuhudubuna ich habe gestern gehangen 3. daijuhudoakuba ich habe vor längst gehangen. Futur, daijuhudupa ich werde gehangen haben. Als Probe einer Uebersetzung kann das «Vater unser« dienen, dem die wörtliche deutsche Uebersetzung, so gut sich dies thun lässt, beigefügt ist. Jehova, wadaijahün wattinati aijumiinti bokkia aditti- Gott unser Herr , unser Vater , der du in der Höhe bist, du mögest bekannt kittunnuabia namaqua umün, bükkürkiattini biaje bansissiä gemacht werden allen , damit sic zu deiner Familie gehören mögen ; dein Wille BRITISCH- GUIANA. 529 anihünnibia wunabu ubannamän, nanin aijumün din; wakballe bussika soll geschehen auf der ganzen Welt, wie sie’s thun in der Höhe, unser Brod gieh wamün danuhu ; tumaqua aboatu wannissia bahaikassiapa buurua wa- du uns heute, alles Böse, das wir gethan haben , wollest du vergessen, von dir uns mün, wakia badia ahaikassiän abbanu amissia waijalukku waurua nannin dm ; zu gut, wie wir auch vergessen das andere gethan, wieder uns von uns ihnen zu gute. bammakurru oboatu taltani bia wallinua kau bupussidatc tumaqua oboalu uriau. Nichts Böses lass uns überwältigen, sondern mache uns los von allen Bösen ; Bokkia adaijahün namaqua odin tattan ukunna namaqua adiu kamünin badia tumaqua denn du bist Herr über alle, bist stark über alle, hast auch alles üssakoana immehuabu uduma Amen. Wohlsein immerdar Amen. Uebersetzung des «Vater unsers« und des Ev. Lucas XV. II in die Arawaak- spracbe von dem Missionar Herrn Bernau.*) Watchinatchi ayunumkundi; büssadalite bui iri ; bui adayabiu-gaana Unser Vater wohnend im Himmel; geheiliget {sei) dein Name dein Reich andiabute ; bansissia banikitan harare Iake ayumbanan din ; busika wamiun wa- sei kommend dein Wille sei gethan auf Erde im Himmel wie dann gieb uns unser kale kassaka buhuman ; kan wawa kaiya bubalikitau, wai din, abalikiten Brod Tag jeden und unser schlechtes Thun vergieb uns so wir vergeben nai wakaiyatchi ukunnanium ; kan tetegeden ulukun massikinniba-u, tumarrua Menschen schlechtes gegen uns und in das Verderben führe nicht uns sondern buburatepba-u wakayahoe oria ; adayabiu-gaana buiyan ettata okanna, galimettu birruisa hilf uns Uebet vom Reich deine Macht gross scheinend um dich. Kiduahein. Wahrheit . Lucas XV. II. Ikka Jesus adiaka namün hiddaba, abbaWaditi kamunika biamanu laditti: laddikitti adiaka litti umün, bussikati damün dattidannikuwa damün, biattu ke-Ia-kiabano, nattinatt akullebetta namiinninu nannikuwa. Oa kurru laddikitti laditti ahurrudukutta tumaqua lan-lakunatabbu waikillemumiru; jumün lui arrada tumaqua lamüntu akuttakuttadahü atta- tadahü muttu abba. Gidiatanibena harrakeben tumaqua lau Iunria manswattu hamassiahü anda kia hurruru bannamamutti ukunamün lihi badja aussa kamonaikakaben, lan uduma akunun abba jumünti kabbujälti ibiti, lamünibiai: lirraha imekuda lugkubanimüni likiltan- *) Vergl. Missionary Labours in Britisch-Guiana by the Rcv. I. H. Beraaü. London IS47. II. Theil. 07 530 REISEN IN BRITISCH “GUIANA. ibian porku. Ikka luhurrussidakiltika ballin porku ä kissia abbu, kan abbä kuru assikka lumüninu — Ikkare ! kakuburugkuakoahiddabai , ladiaka lamünikoawa ; juhulli kabbu- junnualti kemekabba halininu kamünikahüabai datti, kan dai ahudama haniussiahü udum- ajaha ; anssiin kidappa dai akujunnua datti ibiti ba ahakan lumün ; datti , daikewai am»s- sikandoare. Adavahil üme, bui äme ku mayumuntina bumün hiddade , dadittibanibia damün kiakanna kemckebutli bia bumunrubuün bussikipade - — dappa lumün — La luku- burugkuamonnua — Gidigki lui anssa , landalitti libiti hiddaban gahawai koalanika litti uria, litti addika hiddai amainallidan lugkuburugkuamonnua lamün addallidün lirabuddigki lannikaka luma lussunla badja lullerugku — Lumorrua ladilti adiaka lumün ; datti dai amassikandoaka Adayahü äme, bui äme badja ne mayumuntina kiahan bumünde daditti- banibia damün — La litti umünkan litti adiaka lüssannanutti umün handate tumaqua aditu üssan äkehü abba kia assikinhuppa lukuna assissan ükabbukunduhubigkabba ukuna, sap- patu badja lukultiukuna : handate hikkihitu bakka ussa abba ba hupparrüpan akultun- rewali labbu hallikebbe ! — kan iramonna ba. Abndutlikuba lihi, dadiltin ballin, kanlükakiltoaba abulledutikoba badjai kihia dautika hiddabailan , naussa kiahana halli- kebben luduma — Lumorrua lubukitikil anda kabbüyaria, baliüibite kan lanika lakannaba nayintunua naiikiltan ladja lan uduma assimakaabba lüssanti libitiwa, hiddia ma lumün, hamahükebe turraha? La ahadakuttuni Lüsanti adiaka lumün, buhukitli anda ba : bulti apparrukiltan bikkibitu baka üssa luutikini laditti makarrihüa uduma — la ussantihii adian — lkkalui aümaltoa Iumonua makudunuabitlin bahü lugkumün nibili-kaihana litti apaltikida akugabani — Lumorrua lui aonabaka litti adian lahakaka lumün baddika kiamamultu juhun wyua ukunama dakuba ikiltanibu-kcmekebbün diärrumamassikan bäme, kihia mirrikinkoabakuba damün abba kabara dayuhunu urna ballikebbenibrade-kan lirraha baditti arradiltikuban lanikuwa wurahü abba andinbcnna bibitiba bussikibi lu- münnin hikkihitu baka kebe üssa-la adiankan litti adiaka lumünba ; damunivvakouhüaba : daditti, tumaqua dai anihuiani kcvvai badjc : kiahana hallihibbekubpppa bumonua ahuduti diamutti kuba liralia buhukitli ballin, kan lukakittoal abulleduttikuba bai, kan antika- hussia bidd il ai lui — la lumün la da din Jesus. BERICHTIGUNGEN. Seite Band I. 4 Zeile 11 v. o. Münden st. Minden. 10 - 7 v. u. Wimbledon st. Wimpelton. 26 - 13 v. o. Quassia st. Quasia. 44 - 17 v. u. Cleome pentaphylla st. pentephijlla. 44 - 14 v. u. Areca Oreodoxa st. Oreodoxa Areca. 55 - 6 v. o. Pompeimuss st. Pompeinuss. ' 67 3 v. u. Barbadoes-leg st. BarbadocsAey. 73 - 3 u. 17 v. o. Qu'est-ce-que-dit st. Qu' -est-ce-que-dit. 94 - 6 v. o. Rücken hatten st. Rücke hattenn. 96 - 15 v. o. wirken zu können st. wirken können. 107 - 5 v. u. Fusus st. Fusius. 113 - 18 v. o. Alcedo st. Aloedo. 128 - 4 v. o. ochropygos, nigerrima st. ochropt/tros nieerrima. 128 - 7 u. 8 v. o. Ill st. IV. 137 - 7 v. u. grossen st. grosssen. 147 - 2 v. o. Aubl. st. Auhl, sowie nach incarnata ein Komma. 147 - 20 v. o. Oncidium st. Oncideum. 147 - 21 v. o. ( Humb . Kth.) st. ( Humb .) Kthe. 147 - 10 v. u. arborescens sl. arboreum. 186 - 19 v. o. 24' st. 43'. 190 - 20 v. o. Aubl. st. Lin. 192 - 6 v. o. fastuosa Willd. — angustifolia Lin. 196 - 10 v. o. Rodiei st. Rodieaei. 199 - 8 v. u. muss es heissen: die sich fast niemals zeigt. 200 - 12 v. o. leverianus st. teverianus. 201 - 13 v. o. Crex st. Crax. 202 - 17 v. u. Dupuytrin st. Dupytrin. 209 - 17 v. o. 59° 38' st. 60° 0' 36". 234 - 15 v. u. gongylodes Schicuhr st. gongyloides Skuhr. 234 - 16 v. u. Aspidium gongylodes st. Nephrodium gongyloides . 236 - 10 v. u. einen st. einem. 241 - 18 v. o. dem st. den. 249 - 16 v. u. Plantagen st. Plantagen. 252 - 5 v. o. L'Heureuse st. L'Hereuse. 288 - 13 v. u. 36' 25" st. 36" 25". 303 - 9 v. u. tuberculata st. tuberculosa. 309 - 2 v. u. Lisianthus st. Lysianthus. 317 - 10 v. o. den st. dem. 348 - 3 v. o. fehlt nach toxicaria ein Komma. 352 - 5 v. o. chiropotes st. chiropodes. 383 - 3 v. o. Pacaraima- Gebirge st. Pacarima- Gebiarge. 403 - 12 crythrorhynchus st. erythrorhynchos. 407 - 6 v. o. Fis-si-si-Enten st. V iWs-sf-E n te n . 441 - 10 v. u. fehlt nach Wuralie, in Komma. 443 - 14 v. u. Tillandsien st. Tillandsieen. Band II. Seite 25 in der meteorologischen Tabelle ist st. 4 Uhr Nachm. 6 Uhr zu lesen. 31 Zeile 5 v. o. für st. fii. 31 - 6 v. o. Ilokko st. Hocko. 35 - 12 v. o. Entenschrot st. Entensbcrot. 42 9 v. o. ist zu lesen Racenentwicklung. 42 - 15 v. o. zu st. uz. 91 9 v. o. Strichvögel st. Zugvögel. 156 - 3 v. o. brasilianische st. brasilianischen. 173 - 1 v. o. grossen st. grosses. 198 - 12 v. o. Wildpret st. Wildprett. 215 - 14 v. o. fehlt hinter Haltpunkt — erfasst. 215 - 8 v. u. die für dis. 217 - 1 v. o. schwarzen st. schwarzem. 217 - 9 v. u. Melastomas st. Melastoma's. 218 - 19 v. o. fehlt vor macairea ein Komma. 220 - 11 v. o. jenen st. jenem. 225 - 21 v. o. den Felsen st. dem Felsen. 226 - 1 v. o. muss es heissen : Nachdem wir — von unsern Standpunkt aus etc. - 226 - 228 - 234 - 235 - 240 - 246 - 257 - 266 - 270 - 280 - 284 - 287 - 287 - 336 - 336 - 336 - 371 - 380 - 440 - 504 9 v. o. bleiben st. blieb. 9 v. u. tropisches st. tropisehes 12 v. o. versiegt st. versiecht. 10 v. o. meteorologische st. metereologische. 19 v. u. den st. die. 12 v. o. Verschwindenden st. Verswindendenden. 2 v. u. unregelmässige st. regelmässige. 13 v. u. fehlt hinter Octoblepharum ein Komma. 7 v. u. Anthurium st. Antherium. 2 v. o. Phitys st. Phytsys 13 v u. mischen st. vermischen. 5 v. o. Psychotria st. Psycotria. 7 v. u. Pithys st. Pythys. 13 v. o. St. Hil. st. St. Hill. 16 v. o. fehlt hinter Lin. die Klammer. 5 v. u. Vismia st. Visma. 21 v. o. Blüthenstengel st. Blüthenstengeln. 14 v. o. Primoss st. Primrose. 5 v. o. fehlt vor Homatium ein Komma. 2 v. o. dem st. den. äir^T^. ,\T\^ » ws «% f\ « PI Bin OA '^kV yy • f 'iS >j fc / ÄjK IftlÄ ,','T r /'// W*'