er) BEUTE) HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. Ay we Hagım Khan en N RL, NEE v Aa ANNE, BE Lr MERSR: FUN fl KIISEN. . IN DER REGENTSCHAFT ALGIER IN DEN JAHREN 1836, 1837 UND 1838 VON D. MORITZ WAGNER. NEBST EINEM NATURHISTORISCHEN ANHANG UND EINEM KUPFERATLAS. ERSTER BAND. LEIPZIG, VERLAG VON LEOPOLD VOSS, BUCHHÄNDLER D. K. ACADEMIE D. WISSENSCHAFTEN ZU ST. PETERSBURG. 1841. ‚dr naht nenaearın 6 Ihe 1% SEINER KÖNIGLICHEN HOHEIT FERDINAND PHILIPP LUDWIG, HERZOG VON ORLEANS ETC, ETC. ETC. Eure Königliche Hoheit haben die Widmung dieses Werkes über ein Land, wo nach den von Eurer Königlichen Hoheit kürzlich ausgesprochenen Wor- ten „‚Erankreich ein grosses Reich gründen wird“, aller- huldvollst anzunehmen geruht. Ein schönerer Lohn für die der Reise und der Bearbeitung dieses Buches geopferte Zeit konnte mir wahrlich nicht werden. Bei der Gründung europäischer Niederlassungen in Nord- afrıka ist auch mein Vaterland vielfach betheiligt. Deutsche Krieger kämpfen dort unter der Fahne Frank- reichs und deutsche Ansiedler helfen an der Seite französischer Colonisten den verwilderten Boden urbar machen, während Deutschlands gelehrte Welt die wissenschaftlichen Arbeiten in dem neu zugänglich gewordenen Lande mit dem lebhaftesten Interesse ver- folst. Eure Königliche Hoheit erkennen die innige Theilnahme, welche unsere Nation Algier schenkt, selbst an durch die mir huldvollst ertheilte Versiche- rung: es mache Eurer Königlichen Hoheit Vergnügen, zu sehen, dass deutsche Korscher mit den französischen sich vereinigten, um über jenen Theil von Afrıka immer mehr Licht zu abi: ' Ueberzeugt, dass die Vor- sehung dem hochherzigen Prinzen, welcher selbst die Gefahren und Mühen des Feldlebens und den Sieges- ruhm der: französischen Heere in Afrika theilte,, die Ausführung der grossen, glorreichen Aufgabe, den einst blühenden Boden Numidiens der Cultur wieder zu ge- winnen und Kuropas Civilisation und Freiheit nach dem Welttheil der Barbarei zu verpflanzen, vorbehal- ten hat, wünsche ich aus tielster Seele, dass der Himmel Eurer Königlichen Hoheit langes glückliches Leben schenken, dass sein reichster Segen auf dem Hause Orleans ruhen möge. In tiefster Ehrfurcht beharrt Eurer Königlichen Hoheit Augsburg, im September 1840. unterthänigster Dr. Moritz Wagner Vorrede. Seitdem Nordafrika im 7ten Jahrhundert von den moham- medanischen Arabern erobert worden, ist die Berberei für die europäischen Völker eine der unzugänglichsten Zonen des Erdkreises. Obwohl nur durch ein schmales Meer von dem ländergierigen Europa geschieden, zogen dessen mächtige Marinestaaten doch vor, im fernen Südasien, in Amerika und Australien durch Waffengewalt oder Politik neue Reiche zu erobern, statt den Barbaren das nahe gelegene fruchtbare afrikanische Küstenland zu entreissen, wo die Römer sechs _ Jahrhunderte lang ihre Herrschaft behauptet und die blühend- sten Colonien der Welt besessen hatten. Die Barbaren Nord- afrikas führten gegen das christliche Europa unaufhörlichen Krieg, bedeckten das Mittelmeer mit ihren Piratenflotten, lähmten den Handel, verheerten die Küstenstaaten und schlepp- ten deren Bevölkerung in die Sklaverei. Europa ertrug diese Uebel mit unbegreiflicher Langmuth, und wenn auch zuweilen X ein hochherziger Fürst, wie der heilige Ludwig oder Carl V., in einer Anwandlung ritterlichen Zorns oder christlicher Be- geisterung einen Zug gegen die Piratenländer unternahm, so wurden solche kriegerische Operationen doch nicht durch die nöthige Beharrlichkeit unterstützt und nahmen einen kläglichen Ausgang. Mit einzelnen europäischen Staaten schlossen die Barbaresken in der Folge Separatfrieden und liessen ihre Handelsfahrzeuge in einige ihrer Häfen zu, aber mit dem innern Lande war bis auf die neueste Zeit jeder Verkehr unmöglich. Namentlich waren die Staaten Algier und Ma- rokko, von einer wilden, fanatischen, raub- und mordgierigen Bevölkerung bewohnt, für alle Christen bis zum 18ten Jahr- hundert völlig verschlossene Länder, und nur als Sklaven, beschimpft durch Misshandlung, gebeugt unter dem Druck der Kette, sahen einzelne Europäer, die ins Innere geschleppt worden, die Riesenskelete der alten Städte wieder, welche ihre Altvordern dort als Eroberer und Herrscher gegründet hatten. Im Angesicht jener mächtigen Menumente, der Triumphpforten, Tempel und Granitsäulen, deren verwitterte Inschriften die Römersiege priesen, wurde der Europäer an den Pflug gespannt, und da mochten in ihm bittere Empfin- dungen wach werden über den Wechsel der Zeiten — in der That, ein kläglicheres Wiedersehen der Alneusräle lässt sich nicht denken! = xI Als die politischen Verhältnisse zwischen Nordafrika und Europa eine regelmässigere Gestalt aunahmen und die mei- sten christlichen Staaten durch Entrichtung eines Tributs mit den Barbaresken schmachvollen Frieden erkauften, gelang es einigen Reisenden durch die Unterstützung der bei den Raub- staaten beglaubigten Consuln, einige Strecken der Küste und des Innern der Berberei zu durchziehen. In Tunis waren dergleichen Reisen weniger schwierig, als in den westlichen Theilen. Peyssonel, Shaw, Bruce und Desfontaines durch- wanderten im 18ten Jahrhunderte die Regentschaft Tunis bis an den Rand der Sahara. Dieselben unermüdlichen wissen - schaftlichen Forscher bereisten auch einige Punkte von Algier, kamen aber nicht über den 35° N. B. hinaus und keiner von ihnen drang bis auf die letzten südlichen Abhänge des Atlas- gebirges vor. Seit Anfang unsers Jahrhunderts bis 1830 _ wurden solche Reisen nicht mehr versucht. Inmitten der Kriege zwischen den europäischen Mächten hatten die Raub- staaten ihr altes Handwerk wieder begonnen und die nord- afrikanische Küste war dem Seefahrer wieder so gefahrvoll wie früher geworden. Das Bombardement Algiers im Jahre 1816 durch die Engländer unter Lord Exmouth schüchterte zwar die Barbaren auf einige Jahre ein, aber erst nach der Landung der Franzosen, welche im Jahre 1830 die verjährte Schande Europas so glänzend rächten, nahmen die dortigen xu | Verhältnisse eine völlig andere Gestalt an. Alle wichtigen Punkte auf einer Küstenstrecke von mehr als achtzig Meilen Länge wurden von den Franzosen besetzt und an demselben Gestade, welches der Seefahrer bisher als sein Gefängniss und Grab gemieden, sah man jetzt die Flaggen aller Solaris del treibenden Nationen Europas in emsigem Verkehr, wäh- rend Armeen in das Innere eindrangen und das berühmte At- lasgebirge überschritten, auf welchem seit mehr als einem Jahrtausend kein europäisches Banner geweht hatte. Im Jahre 1834 bereiste ich das südliche Frankreich und machte von dort einen ganz kurzen Ausflug nach der afrika- nischen Küste, von wo Privatverhältnisse mich bald nach Europa zurückriefen. Aber die Schönheit des numidischen Küstenlandes, der Anblick des alten Atlas, dessen geheim- nissvolles Innere der Räthsel noch so viele birgt, das bunte afrikanische Leben, das Gewühl von Völkern des verschie- densten Stammes, die sich durch Verkehr zu mischen began- nen mit den eben so heterogenen Elementen europäischer Aus- wanderer von Nord und Süd — all’ diese Erinnerungen blie- ben mir in voller Frische und ich konnte des mächtigen Ein- drucks nicht mehr los werden. Derselbe ward nicht wenig erhöht durch die mündlichen Mittheilungen der Militairs- und Kaufleute, welche die afrikanischen Feldzüge mitgemacht oder wenigstens im Gefolge der französischen Armee sich herum- XI getrieben hatten. Die Aussagen dieser Leute von wenig Bil- dung waren zwar zum Theil sehr verworren und angefüllt mit langweiligen Einzelnheiten über Alles, was sie in Afrika erlebt und erduldet, zugleich aber entschlüpften ihnen doch häufig interessante Mittheilungen über die Wildnisse, die sie durchzogen, über die Städte des Innern, die sie betreten, und die fremden Völker, mit denen sie bald durch Handel, bald mit den Waffen in der Hand, Verkehr gehabt hatten. Mein Entschluss stand bald fest, mich vorzubereiten zu einer grössern Reise nach dem neu zugänglich gewordenen Lande, um dort naturwissenschaftliche Sammlungen zu veranstalten und die politischen und gesellschaftlichen Zustände Nordafrikas kennen zu lernen. Die Vorgänge in Algerien waren damals zu einer sol- chen Reise sehr lockend. Der unternehmende Marschall Ciau- zel rüstete sich zu den Zügen nach Maskara und Tlemsan und verkündete ziemlich offen seinen Plan, die Regentschaft, nachdem man fünf Jahre lang sich auf den Besitz der Küste ‚beschränkt hatte, im Grossen zu occupiren. Meine Reisevor- bereitungen waren zu jener Zeit leider noch nicht beendigt. Mit Freude las ich von den Erfolgen der Franzosen, aber es that mir doch zugleich wehe, dass ich nicht mit unter den Ersten seyn konnte, die in jene Gegenden eindrangen, und ich wünschte insgeheim, dass alle weiteren Feldzüge unterbleiben XIV möchten, bis ich selbst in Algier seyn würde. Die wenigen kargen Mittheilungen, welche die Journale aus Briefen von Militairs entnahmen, genügten mir nicht. Ich ärgerte mich über deren Dürftigkeit und unbeschreiblich sehnte ich mich, die Heerzüge selbst zu begleiten und das fremde Land und die Scenen des Beduinenkrieges nach eigener An- schauung zu schildern. Nicht ohne Mühe gewann ich es über mich, diese heisse Ungeduld niederzukämpfen und nichts zu übereilen. Nachdem ich in Deutschland meine Vorbereitungen beendigt hatte, be- gab ich mich im September 1836 nach Paris und erhielt dort durch die Güte des Kriegsministers Bernard, der Professoren des naturhistorischen Museums, der Generale Dejean und Feist- hamel Empfehlungsbriefe an die französischen Behörden und die bedeutendsten Militairs in Algier. Dieser Aufenthalt in Paris war Schuld, dass ich die erste Expedition nach Con- stantine versäumte. Es that mir dies damals nicht wenig leid. Als ich aber bald nach meiner Ankunft in Algier den unglücklichen Ausgang hörte, konnte ich die Verlängerung meines Pariser Aufenthalts nur segnen. Die Aufnahme, die ich in Algier fand, übertraf meine Hoffnungen, denn nicht nur gewährten mir die Behörden, die Generale, die Lagercommandanten allen Schutz, alle Erleich- terungen, die ich für meine Ausflüge verlangen konnte, son- xXV dern ich lernte auch so manche durch ihre politische Stellung wie durch Geist und Charakter hervorragende Männer ken- nen, die mir bereitwillig über alle mich interessirenden Ge- genstände Auskunft ertheilten und deren Umgangs ich mit wahrer Liebe und Freude gedenke. Marschall Clauzel ver- weilte zu kurze Zeit, um mir nützlich seyn zu können; dafür fand ich an seinem Secretair, Herrn Adrian Berbrugger, - den unschätzbarsten Führer. Mit diesem eifrigen Alterthums- forscher machte ich die interessantesten Ausflüge nach den Ruinen von Rusgonia, nach Ghelma u.s.w. Nicht minder nütz- lich waren mir der Obristlieutenant Levaillant, damals noch Capitän der Zuaven (ein warmer Freund der Jagd und Zoo- logie, wie sein Vater, der berühmte Reisende), der Doctor Trubelle, der Commandant Saint-Fargeau, der Stabs- arzt Roussel, der Capitäin Magagnos, welche, sämmtlich eifrige Sammler zoologischer und ne: Gegenstände, auf meinen Ausflügen mich häufig begleiteten. Wollte ich all’ die übrigen Personen nennen, die mir Freundliches erwie- sen und mein Unternehmen nach Kräften förderten, so gäbe dies eine lange Liste; doch halte ich es für meine Pflicht, wenigstens die folgenden Namen dankbar anzuführen: den Capitäin Daumas, ehemaligen Consul in.Maskara, der in der Hauptstadt Abd-el-Kader’s seine beschränkte Wohnung mit mir. theilte, den geistreichen Commandanten Pellissier, die xXVI Civilintendanten Bresson und Sol, den Stabsarzt Guyon, die Generale Rapatel, Trezel und Bro, namentlich den Letztern, einen der trefflichsten Charaktere, die mir in mei- nem Leben vorgekommen. Dass ich je Gelegenheit finden werde, die edle Gastfreundschaft jener Männer zu vergelten, unter deren Zelt im Lager ich immer ein Ruheplätzchen fand, wenn ich müde von meinen Excursionen heimkehrte, die im- mer willig und herzlich die ihnen selbst spärlich zugemessene Lagerkost mit mir theilten — dass ich ihnen je mit der That meine tiefe Dankbarkeit zu beweisen vermögen werde, kann ich kaum hoffen, aber gewiss, ich werde die Erinnerung ihres edlen Benehmens in meinem Herzen bewahren, so lange die- ses nicht erkaltet ist. Meine Reisen fielen in eine sehr günstige Zeit. Ich begleitete die kriegerischen Züge nach Constantine, Belida, Reghaia. Nach dem Friedensschlusse an der Tafna benutzte ich die Ruhe des Landes, bereiste unter dem Schutze der Häuptlinge Abd-el-Kader’s das Innere der Provinz Oran und besuchte mehrere interessante Gegenden, wie die Ebene Eggh- res, Hammam-Sidi-Hanefiah, wohin die Franzosen noch nie gekommen sind. Mehrere der merkwürdigsten Punkte, welche ich in den Jahren 1837 und 1838 noch ohne grosse Gefahr besuchen konnte, sind jetzt unzugänglich. Nach Hamman- Meskhutin darf man sich ohne starke Bedeckung nicht mehr xva wagen, das Innere der Provinz Oran ist den Reisenden ganz verschlossen und selbst in der Umgegend Algiers, welche ich sechs Monate lang in allen Richtungen durchstreifte, kann man sich jetzt ohne augenscheinliche Lebensgefahr nicht von den Lagern entfernen. Auf den Ruinen von Rusgonia, in deren Mitte ich 1837 mit meinem Freunde Berbrugger meh- rere Tage ruhig campirte, lagern gegenwärtig die Räuber- banden Ben-Salem’s und der Altherthumsforscher kann dort nicht mehr unter den Trümmern umhersuchen. Von den älteren Werken über die Berberei sind die Reisebeschreibungen von Shaw und Peyssonel sehr schätzbare Quellen. Beide ann gründliche und gewissenhafte Beob- achter; leider aber sind ihre in wissenschaftlicher Hinsicht so brauchbaren Werke zugleich sehr einseitig und trocken. Die Verfasser besassen tüchtige archäologische Kenntnisse, aber in ihrem Eifer, die alten Steine zu beschauen und ihre In- schriften zu entziffern, vergassen sie andere wichtigere Ge- genstände, vergassen sie die Menschen, welche, nach Göthe’s Wort, dem Menschen überall das Interessanteste bleiben, aber nirgends ein aufmerksameres Studium verdienen als in der Berberei, wo die Weltereignisse so viele Völker verschiede- ner Abstammung und Zunge zusammendrängten, deren Ver- gangenheit tiefes Dunkel deckt und deren gegenwärtige Zu- stände wir noch lange nicht gründlich genug kennen. Morıtz WaAßsner’s Algier. I. en xvin Sehr auffallend ist, dass seit 1830 so wenig gute Werke über Algier geschrieben worden sind. Die zwanzig oder dreissig Schriften, welche erschienen, behandeln fast sämmt- lich nur die politische Frage oder die Colonisation. Ein sehr tüchtiges Buch darunter sind die Annales Algeriennes von Pellissier. Beschreibende Werke über das Land kenne ich nur drei; was an wissenschaftlichen Forschungen geschah, findet sich in gelehrten Journalen zerstreut. Die beschrei- benden Reisebücher sind: Campbell’s Briefe, Pückler- Muskau’s Semilasso in Afrika und Rozet’s Reise. Campbell war als Dichter ohne Zweifel glücklicher, denn als Reisebeschreiber. In seinen Briefen findet man wenig mehr, als die gewöhnlichen Touristeneindrücke. Auch war sein Aufenthalt nur sehr kurz und an den wichtigsten Punk- ten strich er flüchtig vorüber. So verweilte Campbell in Mas- kara, wie mir der Intendant Sol erzählte, eine Stunde und kehrte dann eiligst wieder nach Oran zurück, froh, dass er seinen englischen Lesern sagen konnte, er habe die Haupt- stadt Abd-el-Kader’s gesehen. Semilasso ist noch oberflächlicher als Campbell’s Briefe. Der Fürst Pückler- Muskau gilt für einen geistreichen Mann und die ‚Briefe eines Verstorbenen“ zeugen in der That von feiner Beobachtungsgabe, Witz und Weltmannsgewandtheit. Aber in den späteren Schriften des Fürsten will man eine XIX merkliche Abnahme seines Talents bemerkt haben. Vielleicht lag die Schuld mehr an der Wahl des neuen Stoffes, der seinem innersten Wesen nicht anpasst. Fürst Pückler ist mehr ein Mann der Salons, als der Wüste, geeigneter im Cirkel vornehmer mit Stern und Ordensband geschmückter Welt durch Geist, Witz, pikante Einfälle zu glänzen und mit dem Scharfblick des Kenners, mit der Ueberlegenheit eines Mannes, der seines Stoffes Meister ist, jene Elemente von Hoheit, Flitterschimmer, Intriguen und Fäulniss einer aristo- kratischen Welt uns zu enthüllen, als unter numidischen Rui- hei sein Quartier aufzuschlagen und das einfach Grossartige der Wildnisse und des Araberlebens natürlich aufzufassen und zu beschreiben. Im Vergleiche mit den beiden genannten Schriften ist die Reise Rozet’s sehr gut und gründlich. Diesem gewissen- haften und tüchtigen Beobachter fehlt nur Eines: er hat gleich Campbell und Pückler zu kurze Zeit im Lande sich aufgehal- ten und zu wenig gesehen. Er beschreibt nur die vier Städte Algier, Belida, Medeah und Oran. Die Provinz Constantine und das Innere der Provinz Oran hat er gar nicht bereist. Ausserdem haben auch zwei Deutsche, Wilhelm Schimper und Miltiz, über Algier Broschüren veröffentlicht, welche gut und anspruchlos geschrieben sind, aber blos eine Schilderung der Stadt Algier enthalten. KH 3 xx In meiner gegenwärtigen Reisebeschreibung bemühte ich mich, die verschiedenen Bestandtheile so viel als möglich zu sondern. Der Iste Band enthält den geographischen Theil des Werkes und Alles, was in dieses Gebiet einschlägt, die- statistischen Notizen, die Beschreibungen der Ruinen etc. Ich habe mich bei dieser Schilderung der Reise bemüht, alles mich persönlich Betreffende wegzulassen, so weit dies thun- lich war. Vielleicht that ich Unrecht, nicht nach dem Bei- spiele anderer Reisender das Trockne der Beschreibungen zu mildern durch eine 'farbenreiche Erzählung aller Erlebnisse unter den Wilden der Berberei, der Jagden, der Kriegssce- nen u.s.w. Meine Reise war an dergleichen Abenteuern nicht ärmer, als die vieler Andern, denn ich habe drei Expeditio- nen begleitet und war später in Abd-el-Kader’s Hauptstadt täglicher Augenzeuge der Scenen eines rein afrikanischen Lebens. Da aber meine Absicht keineswegs ist, dem Leser eine blos amusante Lecture zu bieten, da ich einfach nur wünsche, dem Reisenden, welcher Algerien durchwandern, dem Ansiedler, der sich dort für immer niederlassen will, durch dieses Buch ein getreuer Führer zu seyn, und Denen, welche der Länder- und Völkerkunde ernstliches Interesse widmen, ein rich- tiges Bild von jenem Lande, von seinen Bewohnern, seiner Geschichte, seinen heutigen Zuständen zu geben, so vermied ich möglichst alle Episoden und überflüssigen Schmuck. XXI Man wird diesem geographischen und descriptiven Theile wenigstens nicht den Vorwurf der Unvollständigkeit machen, lenn ich bereiste alle Punkte der Regentschaft Algier, wel- che bis zum Juni 1838, wo ich das Land verliess, von den Franzosen occupirt oder überhaupt damals zugänglich waren. Es boten sich mir während meines zweijährigen Aufenthalts sehr schöne Reisegelegenheiten nach Tunis und Marokko, die ich aber nicht benutzte, weil ich in diesem Falle die ent- legenen Punkte Algeriens, wie Mostaganem, La Calle, Ma- sagran u.s. w., wohin nur sehr selten Schiffe abgehen, nicht hätte besuchen können. Ueber jene Städte des Innern, welche zu berühren keine Möglichkeit war, sammelte ich Notizen bei den Eingeborenen und besonders bei den Renegaten in Mas- kara. Interessante Aufschlüsse über die der Sahara angren- zenden Gegenden, namentlich über das Land der Mosabiten, verdanke ich dem Renegaten Baudouin, einem merkwürdi- gen Menschen, der, ganz zum Araber geworden, die ver- schiedenen Idiome mit der Reinheit eines Marabuts sprach. Den Umriss der Geschichte der Regentschaft Algier im 2ten Bande bis zum Sturze der Türkenherrschaft entwarf ich nach einem sorgfältigen Studium aller alten und neueren Quellen. Bei der neuesten Geschichte von 1830 an benutzte ich Pellissier’s Annales Algeriennes. Wichtige Beiträge schöpfte ich aus der mündlichen Unterhaltung mit den bedeu- XXI tendsten Männern, welche dort seit Jahren Augenzeugen der Begebenheiten waren und selbst den thätigsten Theil daran genommen hatten. Meinem Freunde, dem Schweizerhauptmann Muralt, in neapolitanischen Diensten, verdanke ich die Schil- derung von Bugeaud’s Zug an die Tafna; endlich habe ich selbst einigen bedeutenden Ereignissen beigewohnt. Eine ausführliche Skizze sämmtlicher eingeborenen Völ- ker geht diesem historischen Theile voran. Es giebt Reise- beschreiber, welche bei Schilderung fremder Völkersitten hauptsächlich deren äussere Seite ins Auge fassen und in eine Menge winziger Details eingehen über Tracht, Wohn- ort, religiöse Ceremonien. Sehr weitschweifig schildern sie alle seltsamen Geberden, wissen genau, welches Knie beim Gebet zuerst den Boden berührt, welche Bewegung Hand und Kopf zum Grusse machen, und da in diesen Gebräuchen manch- mal etwas Pikantes vorkommt, so nimmt eine gewisse Classe von Lesern Gefallen an solcher Beschreibungsart. Ich habe bei der Schilderung der Algierer Völker diese äusserlichen Dinge zwar keineswegs übergangen, ihnen aber nur geringen Raum gestattet, da ich glaube, dass es zu einer Kenntniss der Völker ungleich wichtiger ist, jene Züge zu erfahren, welche über Charakter, geistige Richtung, sittliche Zustände aufklären, als die Bestandtheile ihrer Kleider oder ihre Gri- massen beim Gebet zu kennen. xx Die Bearbeitung des 3ten, naturhistorischen Bandes war mir nur möglich durch die freundliche Unterstützung meiner gelehrten Mitarbeiter und durch die Opfer des Verlegers. Mein Bruder, Professor Dr. Rudelph Wagner, übernahm die Eintheilung der Beiträge. Nordafrika gewinnt unbestreitbar eine mit jedem Tage steigende Bedeutung und die Ereignisse im Osten sind mit den Vorgängen in Algier vielleicht in weniger fernem Zu- sammenhange, als man glauben möchte. Eine ungeheure Um- gestaltung steht überall der mohammedanischen Welt bevor. Während das grosse osmanische Reich im Osten, des Islams mächtigste Stütze, zusammenbricht und der alte impotente Fa- natismus vor den unaufhaltsam einbrechenden Ideen europäi- scher Bildung, der Toleranz und Freiheit, in seine dumpfen Höhlen sich verkriecht, während die Hoffnung immer näher rückt, dass jenes unermessliche fruchtbare Territorium nicht lange mehr brach liegen wird unter dem ertödtenden Druck einer dummen Tyrannei und als Wohnsitz von Wilden und Sklaven, während Russland und England, von Osten her ge- waliig um sich greifend, die Völker Asiens unter ihren mäch- tigen Schirm reissen, ist Frankreich im Westen die Aufgabe . zugefallen, in den unzugänglichsten, streitbarsten Theil des alten Khalifenreiches einzudringen und die in uralter Barbarei verhärteten Völker Nordafrikas zu lehren, dass des Men- XXIV schen Bestimmung eine edlere sey, als mit dem Schakal in der Wildniss zu leben, in brudermörderischen Kämpfen sich zu zerfleischen und eine schöne Erde durch Faulheit veröden zu lassen. Die Eingeborenen Nordafrikas, obwohl wie wir der edlen kaukasischen Rasse angehörend, haben ihre Gei- steskräfte schlafen lassen und zu dem Gebäude der mensch-- lichen Kenntnisse nicht einen Stein hinzugefügt, ja sie sind dem befruchtenden Verkehr vielmehr überall hemmend in den Weg getreten durch Piraterie und Eroberungskriege. Unsere von einem Titanenfieber der Umgestaltung, der Reformirung, der Freiheitverbreitung bewegte Zeit duldet dies nicht län- ger mehr. Auch für Numidiens und Mauritaniens wilde Völ- ker ist der Tag nicht mehr sehr fern‘, wo sie Europas Ge- setzen sich fügen oder im Kampfe für ihre Barbarei unter- gehen müssen. Augsburg, im September 1840. Der Verfasser. inhalt. Seite 1. Dampfschifffahrt.— Die balearischen Inseln. Minorka. Auf- enthalt in Mahon. Majorka. Cabrera.— Ankunft in Algier. Der Anblick der Stadt von der Seeseite. — Der Hafen. — Biskris und Neger. — Gasthöfe. — Der erste Eindruck der Stadt Algier auf den Europäer . . 2 2 2.2 2... 1 IL. Beschreibung der Stadt Algier. — Statistisches. — Strassen und Bauart der Häuser. — Merkwürdige Gebäude. — Die Kasbah. Der alte Deypalast. — Das Wohngebäude des Gou- verneurs. — Hötel Latour du Pin. — Die Bibliothek. — Moscheen. — Das Grab Heyraddin Barbarossa’s.. — Die katholische Kirche. — Der protestantische Gebetsaal. — - Schulen der Eingebornen Synagogen . 2 2 2 2 2.2 ..86 III. Fortsetzung der Beschreibung der Stadt Algier. Gerichte, Tribunal superieur. Kriegsgerichte. Der Process. Moncel’s. Das Gericht des Kadi’s. Bazars. Maurische und französische Kafleehäusers tn enge elle oh elle. Seal 297 IV. Leben und Sitten in Algier. Der Ramadan und Beiram. Mo- hammedanischer Nachtgottesdienst. Das maurische Volksthea- ter Gharaguss. Die Belustigungen des Beiram. Maurische Hochzeiten. Eine Beschneidung. Eine Hinrichtung. Begräb- nisse. Kirchhöfe. Jüdische Sitten. Leben der Europäer. Deutsche Belustigungen. Spanische Bälle . . ». 2.2... 74 V. Ausflüge in Algiers Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. — Der Fhos oder die Banlieue Algiers. — XXVI “Seite Der Sahel. — Cap Caxines. — Budscharea. — Das Co- lonistendorf Deli-Ibrahim. — Die militairische Niederlassung Mustapha-Pascha. — Das Lager und Colonistendorf Kuba. — Maison carree. — Lager Byr-Kadem. — Hausch Hussein- Pascha oder ferme modele. — Die Lager Duera und Mahelma _ VL. Ausflüge in Algiers Umgegend. Die Ebene Metidscha. Der, Markt/von) Buffariky 2... 2. 00 ee VU. Ausflüge in Algiers Umgegend. Rassota, die Pflanzung des Fürsten Mir. — Reghaia, das Landgut des Herrn Mereier. — Dierhuinen von/Ruseomaı . . . 0... VII. Reise in das Innere der Provinz Algier. — Die Südseite der Metidscha. — Die Ringmauern von Neu-Belida. — Stadt Belida, — Orangengärten, — Der Uad-Sidi-el-Kebir. — Hausch Mussaia. — Die Kabylen des Gebirgs. — Der Eng- pass Teniah. — Coleah. — Umgegend. — Das Land der Hadschuten.— Kubbar-el-Rummiah ‚‚das Grab der Christen * IX. Reise von Algier nach Budschia. — Seefahrt. — Das Kü- stengebirge. — Der Dschurschura. — ‘Dellys. — Budschia, Stadt. Gegend. — Kabylenstämme der Landschaft X, Reise von Budschia nach Bona. — Dschischelli. — Collo. — Stora. — Philippeville. — Bona. Die Rhede. Ansicht der Stadt. Die Kasbah. Bevölkerung. Die Malteser . . XI. Ausflüge in Bonas Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. Die Ebene bei Bona. Die Gebirge. Fort Ge- nois. Marmorbruch. Ruinen von Hippo Regius. Die Flüsse Budschimah, Seybuss und Mafragg. Die grosse Ebene des Seybuss. Blockhäuser. Oasen. Duars der Kharesas, Beni- Urschin und Merdass. La Calle, die Niederlassung der Ko- rallenfischer. Lager Drean. Ausflug nach dem See Fezzara XI. Reise in das Innere der Provinz Constantine. — Die wis- senschaftliche Commission. — Neschmeia.. — Hammam- Berda. Lager. 'Thermalquellen. Ruinen. — Das grosse Thal des Seybuss. — Ghelma. Die Ruinen von Calama. — Medschez-Ammar, — Hammam-Meskhutin oder die verfluch- ten Quellen. Die arabische Sage . . 2 2 2 2.2. 121 144 161 185 206 244 256 XXVI > Seite XII. Reise in das Innere der Provinz Constantine. — -Der Ras- el-Akba. Besteigung des höchsten Gipfels. — Die Ruinen „Anunah.‘“ — Sidi-Tamtam. Gräber. — Oede Hochebe- nen, Ruinen. — Summah, ein antikes Monument. — Fern- anblick der Umgebungen von Constantine. — Das Plateau El-Mansura. — Anblick der Stadt Cönstantine von El-Man- sur. — Der Rummel. — Kudiat-Ati. — Kirchhöfe, — Das Innere der Stadt Constantine. Strassen. Buden. Kaf- feehäuser., Moscheen. Der Palast Achmet’s. Das Wohnhaus Ben-Aissa’s. Die Kasbah. Ruinenreste. Die Römerbrücke über den Rummel. Aquaeduct. — Ausflug in die nächsten Umgebungen von Constantine. Das herrliche Thal des Rum- mel im Nordwesten. Anblick Constantines von Westen. Die Thermalquellen von Sidi-Mimum. Der Sturz des Rummel . 317 XIV. Reise von Algier nach Oran. — Scherschell. — Tenez, — Der Hafen Mers-el-Kebir. — Die Felsenstrasse von Mers- el-Kebir nach Oran. — Die Stadt Oran und ihre Bewohner. — Die Ebene bei Oran. — Dschibel-Sahar oder das „‚Löwen- gebirge.‘“ — Das Lager des Feigenbaumes. — Der kleine See. — Messerghin. — Der grosse Salzsee, EI-Salgha . 355 XV. Reise in das Innere der Provinz Oran. — Die Ebene Tlelat. — Die Wohnsitze der Garrabas. — Der Wald von Muley Ismael. — Die Ebene des Sig oder Habrah. — Der Sig. — Atlasgebirge. — Blühende Thäler. — Maskara. — Beschreibung der Stadt. — Die Wohnung des französischen Consuls. — Der zerstörte Palast Abd-el-Kader’s — Som- merpalastruine der Beys. — Einwohner von Maskara, — Die Goldsticker. — Der arabische Markt. — Ausflüge in die Umgegend. — Besteigung des Schruab-el-Rähah. Weite Aussicht über das Atlasgebirge und seine Thäler. — Die Ebene Egshres. Die Ghetna von Sidi-Mahiddin, Abd-el- Kader’s Geburtsort. — Kaschruh, der Kirchhof der Mahid- dins. — Ausflug nach den heissen Quellen von Hammam- Sidi-Hanefiah. Kediat-Meskhutin, der verfluchte Berg. — Das Marabutgrab Sidi-Hanefiah. — Die Thermalquellen. — XXVI Seite Muthmassliche Ruinen von Victoria. — Arabische Gräber. — HerrlichesGebirgsgegend’ “ui. d eh anssletnslle na 371 XVI. Reise von Oran nach Mostaganem. — Neu-Arzew. Die Rhede. Umgegend.— Alt-Arzew. Ruinen von Arsenaria. — Die Makta. — Salinens — Massagran. Beschreibung der Stadt und Umgegend. Das Schloss der Störche. Matmaros. Die Bewohner von Mostaganem. — Der Schelif . © 2. 439 Anhang. Geographische Bemerkungen über die Regentschaft AlSTenal se ar] Wash A Senke Any 3 Hi Dh Baal Ne N Mar KeBINE RN B EN ag RR 29 NEED ‚ns F = Bi Ei \ RN ln Ei B. . Dampfschifffahrt. — Die balearischen Inseln. Minorka. Aufent- halt in Mahon, Majorka. Cabrera. — Ankunft in Algier. Der Anblick der Stadt von der Seeseite. — Der Hafen. — Bis- kris und Neger. — Gasthöfe. — Der erste Eindruck der Stadt Al- gier auf den Europäer. i Eu Scheiden von der Heimath „Europa‘‘ bleibt immer ein schwerer Schritt, mag man nun dem wunderbar bewegten Welttheil blos für ein paar Wanderjahre das Lebewohl auf heiteres Wiedersehen zuwinken oder für immer sein Schicksal und seine Hoffnungen auf eine fremde Erde verpflanzen wol- len. Ich habe Auswanderer gekannt, die der Vaterstadt und allen Schauplätzen der Kinderspiele ohne sonderliche Rührung den Rücken kehrten. Aber als sie in dem Seehafen ange- kommen, als sie mit ihren Habseligkeiten das schwimmende Wohnhaus bestiegen, um über ‚das grosse Reich der Fische“ neuen Welten zuzusteuern, da gestanden sie, dass ihnen plötz- lich recht herzweh zu Muth geworden. Es war nicht etwa die Furcht vor dem feindseligen Element oder eine geistige Betäubung bei dem Gefühl ihrer nun schrankenlosen irrenden Freiheit — ihr Seufzer, der mit dem letzten Blick auf die Küste Europas noch nicht ausgeklagt hat, galt der ganzen grossen Heimath der Civilisation, zu der sie trotz aller Vor- sätze, nie wiederzukehren, doch oft genug ihre Träume zurückführen werden. Es ist so bitter schmerzlich, dem An- Morıtz Waener’s Algier. I, 1 2 spruch auf den Bürgerruhm des civilisirtesten Welttheils ent- sagen zu müssen, sich nicht mehr als einen Ring der Magier- kette, die durch ihre vereinigte Kraft die mächtigen Wunder der Bildung schafft, betrachten zu können; es ist so demü- thigend, statt dieser gerechten Eitelkeit zum Adoptivsohn einer halb wilden, Zone herabzusinken, die im besten Falle noch ein paar Jahrhunderte braucht, um zu blühen wie das verlas- - sene Vaterland! Selbst der Reisende, der Europa nicht für immer zu verlassen gedenkt und mit innigster Wanderlust nach der tropischen Zone zieht, hat beim Abschied doch wohl die trübe Vorahnung jener Stunden, wo er die tausend Be- quemlichkeiten, die Freuden und Genüsse des civilisirten Le- bens entbehren muss, wo er nach dem leckern Tisch, der geselligen Unterhaltung, dem Umgang mit Frauen, dem Kunst- leben, der Oper, den Zeitungen, dem Buchladen oder, wenn er gleichgültig gegen dies alles ist, doch nach dem Klang der Muttersprache sich lebhaft zurücksehnen mag. Ich kannte in Algier einen begüterten Kaufmann, der dort ein grosses Vermögen gewonnen und der mir öfters seufzend gestand, der Gedanke, in diesem Lande sein Leben zu schliessen, vergälle ihm jegliche Freude über seine sonst glänzende Existenz, und wenn ihm nicht ein Grab in Europa vergönnt seyn sollte, so fluche er seinem Schicksal und seinem erworbenen Reichthum. Ein Umstand, der gleichwohl bei mir und meinen Reise- gefährten zu einer Milderung unsers Abschiedsschmerzes bei- trug, war unser einmüthiger Abscheu gegen Toulon und den traurigen Aufenthalt in der Provence. Das Land der Trou- badours, das weiland idyllisch -ritterliche Reich des Königs Rene und seiner Liebeshöfe mystificirt den Fremden so bit- ter, dass er auf dem Wege nach Afrika sich wenigstens trö- sten darf: viel ärger kann es nicht kommen. Ich spreche über 3 die Provence nicht etwa in oberflächlichen Touristeneindrücken. Ich habe Jahre lang in diesem traurigsten Theil Frankreichs gelebt und fand dort nie einen Franzosen aus anderen De- partements oder irgend einen Ausländer, der nicht in meinen Abscheu über Land und Volk eingestimmt hätte Die Pro- vence ist im Allgemeinen weder schön noch seine Bevölke- rung interessant. Ein von Natur wenig gesegneter Felsenbo- den zeigt überall seine nackten Rippen durch das matte, freu- . denlose Grün des Olivenbaumes. Die Aeste dieses häufigsten Baumes der Provence senken sich öfters trauerweidenartig, haben aber dabei nicht den lieben schwermüthigen Schatten der nordischen Thränenbäume und zeigen nur die verdorrten Knochen eines Baumskelets. Orangenbäume. sucht man, aus-' ser in der Ebene von Hyeres, wo sie aber häufig erfrieren und nur kleine, saure Früchte tragen, in der Provence ver- geblich, ja selbst der Weinstock bleibt armselig und seine Trauben liefern einen Wein, den ich nie schlechter getrun- ken habe. Die Bevölkerung dieser südfranzösischen Provinz steht gewiss in jeder Beziehung tief unter den Franzosen al- ler übrigen: Departements. Ungeselligkeit, Ignoranz, Bigo- terie, Grobheit, Habsucht und Wollust sind dieses Volkes hervorstechendste Eigenschaften. Als gute Züge habe ich nur eine gewisse Frugalität in Essen und Trinken und bei den Weibern grosses Mitgefühl für augenfällige Leiden be- merkt: In Toulon wird der Aufenthalt, wenn man einmal seine Neugierde durch Besichtigung des Arsenals befriedigt hat, so unerträglich als möglich. Schlechte Gasthäuser, Prellereien, Strassen voll Schmuz und Gestank, das gänzli- liche Fehlen aller gemüthlichen Fröhlichkeit bei diesem Volk, die unfreundlichen Mienen der Leute, endlich der fürchterli- che Anblick des rothen Sträflingheeres, deren Kettengerassel 1 ® 4 den ganzen Tag durch die Strassen klirrt, sind so widrige Bilder, dass man, wie gesagt, der Barbarei Afrikas nicht so völlig trostlos entgegengeht. Erst als das Dampfschiff seine grauen Wolken speiend und mit den mächtigen Rudern die stille Fluth aufwühlend nach Süden steuerte, und die Thürme wie die Linienschiffe der alten Seestadt im schönsten Morgensonnengold recht rie- senmajestätisch auf unser scheidendes Schiftlein heruntersahen, da schnürte wieder jener wehevolle Gedanke unsere Brust zu. Nie boten uns Toulons gewaltiges Arsenal, die bunte, von Kriegsschiffen jeden Ranges bevölkerte Rhede, das Fort Napoleon, wo zuerst das Gestirn des grossen Kriegers auf- gegangen, und die übrigen Citadellen, Forts, Redouten, die alle Klippen und Hügel krönen, ein so prächtig imposantes Schauspiel, als in dem Augenblick, wo wir diese zauber- schöne Umgebung mit dem monotonen Anblick einer Wasser- wüste vertauschen sollten — wir fühlten da wieder den gan- zen Schmerz des Abschieds von Europa. ; Das Krokodil, auf dem ich mich am 23. October 1836 nach Afrika einschiffte, ist ein dreimastiges Dampfschiff der königlichen Marine und wie alle Fahrz&&ge dieser Art auf dem Kriegsfuss ausgerüstet. Es führt zwei blankgeputzte achtzehnpfündige Kanonen, die aber in Friedenszeiten nicht einmal zum Exerciren gebraucht werden. Zu Signalschüssen bedient man sich auf den Dampfschiffen ganz kleiner Mes- singkanonen. An Grösse kommt das Krokodil einer Corvette ersten Ranges gleich. Die französische Marine besitzt zur Ver- bindung zwischen Toulon und den verschiedenen Häfen der Algierer Küste achtzehn solcher Dampfschiffe, von denen funfzehn mit dem Krokodil einerlei Grösse haben. Nur der Brazier ist ein ganz kleiner Zweimaster von dem Rang einer > Goelette, während die zwei neuesten Dampfschiffe, Tartar und Aetna, die 1537 gebaut worden sind, die übrigen an Grösse übertreffen und einer Fregatte zweiten Ranges gleichkommen. Für die Passagiere ist auf diesen Dampfschiffen nicht immer gleich gut gesorgt. So hat das Krokodil nur wenige, ziem- lich unreinliche Schlafstellen für die Officiere und die Civil- passagiere, während andere, wie der Cerbere, das schmuckeste Dampfschiff der französischen Flotte, für die Passagiere auf dem Verdecke ein elegantes Gemach und bequeme Schlafstel- len hat, obwohl es an Grösse das Krokodil nicht übertrifft. Alle Dampfschiffe, die seit 1832 gebaut worden, übertreffen die älteren an Eleganz, Bequemlichkeit der Bauart und an Kraft der Maschinen. Man fing nämlich erst seit 1831 an, sie als Transportfahrzeuge nach Afrika zu benutzen, und ihre ganze Einrichtung erhielt daher in der Folge wesentliche Verbesserungen. Das Krokodil wurde 1828 vom Stapek ge- lassen; nach achtjährigem Gebrauch war nun seine Maschine schon so sehr abgenutzt, dass man die volle Kraft vonhundertund funfzig Pferden nicht mehr anwenden und den Kessel aus Vorsicht nur bis zu einer Stärke von hundert Pferden heizen durfte. Die Officiere des Krokodil versicherten mir, dass, ehe weitere acht Jahre vergehen, die Maschine völlig un- brauchbar werden dürfte. So sind einige alte Dampfschiffe, wie der Castor, bereits ausser Dienst. Andere haben nach acht bis zehn Fahrten immer wieder eine Reparatur nothwen- dig. Ueberhaupt sind die Kosten dieser zauberschnellen Schifffahrt ungeheuer und die Schiffe. verbrennen in der schlechten Jahreszeit auf einer Fahrt nach Algier öfters eine Steinkohlenmasse im Werthe von 10,000 Franken. Die Einnahme der Post durch Passagiere und Briefe deckt kaum den dritten Theil dieser Ausgabe. Die Passagiertaxe auf 6 dem ersten Platz, wo man ein Bett erhält, ist 105 Franken; für den zweiten Platz 65 Franken. Sehr selten aber schiffen sich über zwanzig zahlende Personen ein, da die meisten ärmeren Auswanderer die Ueberfahrt auf den weit billigeren Kauffarteischiffen machen, wo der gewöhnliche Passagierpreis nur 40 Franken beträgt. In Marseille und Toulon findet man fast täglich dergleichen segelfertige Schiffe; das Dampfboot der königlichen Marine dagegen geht nur einmal jede Woche, gewöhnlich Sonntags, ab. Ich glaubte, diese Bemerkungen für den Reisenden, den auf seiner südeuropäischen Wanderung vielleicht die Lust eines Besuches der Küste der Berberei anwandeln sollte, nicht ganz überflüssig. Durch die freundliche Gesinnung des Kriegsministers Bernard hatte ich auf dem Krokodil meinen Platz & Za table d’ etat-major und theilte mit den französischen Officieren die Annehmlichkeit einer ausgesuchtern Küche. und bessern Schlafstelle. Für die Civilpassagiere ist ein eigener Restau- rant am Bord, den aber alle Reisenden theuer und schlecht ( fanden. Das Hintertheil des Schiffes ist den Officieren und Passagieren des ersten Platzes eingeräumt. In der Mitte und auf dem Vordertheil, wo das Schwanken des Schiffes stärker gefühlt wird und die Wellen bei bewegter See häufig über die Brüstung des Schiffes hereinschlagen, waren die Unterofficiere und Soldaten einquartirt, welche ungefähr 150 Mann an Zahl nach Algier abgingen, um dort in die verschie- denen Corps der afrikanischen Armee vertheilt zu wer- den. Es befanden sich darunter Krieger aller Waffen- gattungen, Chasseurs d’ Afrique in ihrer geschmackvol- len Uniform polnischen Schnittes, französische Spahis in türkischem Costume, die schon früher in Afrika gewesen und 7 vom Urlaub zurückkamen; Kanoniere, Soldaten der Fremden- legion u. s. w. Dieses Gemische von buntscheckigen Röcken auf einem engem Raume zusammengepresst, zeigte eine merk- würdige Scene, besonders in Stunden, wo die See hoch aut- schäumte und die seekranken, leichenblassen Krieger zum un- freiwilligen Hüpfen brachte — ein Carnevaltanz, zu welchem Winde und Wogen während der ganzen Reise schauerlich musicirten. Ein grosser Theil dieser Militairs war für die Bataillons d’ Afrique oder die Disciplincompagnie bestimmt und wegen Insubordinationsvergehen oder Verkauf der Effecten oder an- derer, nicht allzu schwerer Vergehen nach Algier geschickt, um dort ihre Diensteszeit zu endigen. Alle trugen noch die Uniform der Regimenter, von denen sie ausgestossen waren; reinliche, glänzende Costume wechselten mit den zerlumpte- sten Anzügen. Eben so befanden sich sehr schöne, kraft- volle Männer neben schwächlichen, abschreckenden Gestalten und mancher gigantische Kürassier musste hier missvergnügt mit einem kleinen Tambour aus der nämlichen Schüssel essen. Das Betragen dieser Soldaten, unter denen sich ohne Zweifel mehr als ein mawvaes sıujet befand, war auf mei- ner ganzen Reise vortrefflich. Sie litten sehr durch Regen und kalte Nächte, schliefen auf dem Verdecke ohne Schutz gegen den Frost und bekamen besonders gegen das Eude der Reise, wo die frischen Lebensmittel fast aufgezehrt waren, eine erbärmliche Kost. Aber Alles ertrugen sie ohne Klage und ihre natürliche Fröhlichkeit, die nie zur Rohheit wurde, verleugnete sich keinen Augenblick. Nur so Jange die Küste noch sichtbar war, ruhten ihre Augen recht schmerzvoll, wie es schien, auf dem im Nebel verschwindenden Vaterland. ie) „Adiew belle France!‘ riefen einige französische Krieger, mit einer Stimme, die wie ein Seufzer klang. Ein gellender Schrei wurde zugleich krampfhaft ausgestossen und ein jun- ger Kanonier stürzte zu Boden mit den fürchterlichen Sym- ptomen der Epilepsie. War es die Scheidestunde, das ungewisse Schicksal, das ihn schwarz wie das Grab angähnte, oder blos die Wirkung der ungewohnten See, welche die Rück- kehr einer schrecklichen Krankheit in solchem Augenblick herbeirief? Seine Cameraden sprangen ihm zu Hülfe. Nur die Soldaten der Fremdenlegion, meistens Deutsche und Hol- länder, sahen dem Allem fühllos zu und mit den gleichgül- tigsten Gefühlen schienen sie einem unbekannten Land und dem bejammernswerthesten Schicksal unter Afrikas heisser Sonne entgegen zu gehen. Wir hatten gleich in der ersten Nacht‘ das ungestümste Wetter, so, dass der Capitän Savary sich genöthigt sah, wieder umzukehren, und bei den hyerischen Inseln einen Tag lang vor Anker zu bleiben. Am 23. October setzte das Krokodil seine Fahrt fort, aber sein Marsch war so äusserst langsam, dass wir bis zur Insel Minorka drei Tage brauchten. Bei ruhiger See fährt man von Toulon in vier und zwanzig Stunden hin. Ueberhaupt gewähren die Dampf- boote nur bei Windstille den Vortheil einer erstaunlichen Schnelligkeit. Das glatte Meer, die Verzweiflung der Kauf- farteifahrer, ist für jene die allergünstigste Witterung. Bei heftigen Stürmen marschiren die Dampfboote kaum besser, als jedes andere Segelschiff, da, wegen des beständigen Schaukelns, ihre Räder die Fluth nicht leicht fassen können. Bei aller wunderbaren Erfindung hat der Mensch doch noch lange hin, ein so ganz unbestrittener Elementebändiger zu seyn, wie er sich so gern rühmen möchte. Das Meer ver- 9 schlingt noch immer eine hübsche Zahl von Menschen und Schiffen und jene Augenblicke des Naturgrimms trotzen wohl auch den kecksten Seeleuten das Geständniss ihrer Ohnmacht ab. Am 26. October früh Morgens ankerte das Krokodil auf der Rhede von Mahon, der Hauptstadt Minorkas. Da der Orkan mit fortwährender Stärke grollte, so verweilte Capitän Savary zwei Tage vor diesem spanischen Eilaud, welches seit der Eroberung Algiers ein Punkt von grosser Wichtigkeit geworden, von welchem Frankreich seine hab- süchtigen Augen nicht mehr wegwendet. Minorka ist eine zwölf Quadratmeilen grosse Insel, von etwa 25,000 Men- schen bewohnt. Ihre Ufer sind durchaus felsigt mit karger Vegetation in sparsamen Büscheln bedeckt. Mahon ist ein liebliches, in ächt spanischer Weise ge- bautes Städtcken. Ein Theil seiner Häuser erhebt sich in jener amphitheatralischen Form, welche für den Bewohner keineswegs sehr bequem, desto willkommner aber dem Maler ist. Im Jahre 1830 hatte Mahon mit seiner Vorstadt Vil- la Carlos noch 8000 Einwohner. Ueber die Hälfte ist aber seitdem nach Algier ausgewandert, wo sie als ein in- dustriöser und genügsamer Menschenschlag der neuen Colo- nie eine Wohlthat sind und auf einer unendlich fruchtbaren Erde sich schon jetzt eine bei weitem gesegnetere Existenz, als auf ihrem undankbaren Eiland gegründet haben. Die männliche Bevölkerung Minorkas ist weder durch kräftigen Wuchs, noch durch schöne Züge ausgezeichnet. Sie sind fast immer mager und farblos, dabei aber knochenfest, und der bleiche Teint scheint keineswegs auf Kränklichkeit zu deuten. Der Schnitt des Gesichts ist bei jungen Mahonesern nicht unedel; die sehr fein geformte, etwas spitzige Nase, das südliche, Leidenschaft sprühende, mandelförmig geschnit- 10 tene Auge; das Haar, welches rabenschwarz, sehr füllreich, meist aber unordentlich eine schöne weisse Stirne bedeckt, leihet der Physiognomie dieser jungen‘ Spanier einen sinnig interessanten, manchmal edlen Anflug, aber mit der Mann- heit und dem Barte schwindet dieser südliche Jugendduft wie- der von den Zügen, das rauhe Geschäft des Bauern oder Fischers, die Luft und Sonne, machen ihre Haut bald welk. Das Fröhnen der Leidenschaften drückt ihren verzehrenden Stempel auf ihre Gesichter, ein schwarzbärtiger Mahoneser von dreissig Jahren hat noch die wilde Schönheit eines Ban- diten, mit vierzig Jahren verliert er auch diesen letzten ro- mantischen Reiz, er wird runzelig, alt und uninteressant und schleicht, wenn er arm ist und die Kräfte zur Arbeit ihn verlassen, in Mahon oder Algier als schmuziger Lazarone umher. Die wunderbare Schönheit der Mahoneserinnen, die Mariazüge mit dem seelenvollsten Auge, die feinen Formen in Haltung, Gang und Bewegung, welche Nordländerinnen kaum je eigen, stellt die weibliche Bevölkerung Minorkas hoch über die männliche. Auch die Kleidung trägt seltsamer- weise zu dem Contrast bei. Die Männer in ihrer rothen hängenden Zipfelmütze tragen Kleider fast wie die Fischer Italiens und der Provence; aber von fast noch gröberen dunk- leren Stoffen. Das Einzige, etwas Vortheilhafte ihres Costu- mes ist die bunte Binde, die sie nach Art der Orientalen mehrfach um den Leib geschlungen tragen. Die Frauen hin- gegen kleiden sich ganz wie die Castilianerinnen, in die schwarze Mantilla, welche ihr Haupt bedeckt hält, zugleich schleierförmig bis über die Hüften herabfällt und die zarte- sten Körperformen umflattert. Die Stoffe der weiblichen Kleider sind immer sauber, oft reich, und wenn man diese geputzten Insulanerinnen in der hehren, ihrer Schönheit be- 11 wussten Haltung und an ihrer Seite die gemeinen Gestalten ihrer Männer nach der Kirche oder zum Tanze ziehen sieht, so wähnt man, eine Fürstin des Orients, von ihrem Sklaven gefolgt, zu sehen. Mau bemerkt namentlich unter den Frauen oft ganz maurische Physiognomien. Gewiss hat unter den Bewohnern der balearischen Inseln eine starke Ver- mischung mit maurischem Blute statigefunden. Die Sprache auf Minorka ist eine angenehm klingende spanische Mundart, die gleichwohl mit der castilianischen an Wohllaut nicht zu vergleichen ist. Sie nähert sich jedoch dieser mehr, als dem halb provengalischen Patois der Catalonier. Ueber den Cha- rakter der Bevölkerung Minorkas würde ich mir, da bei un- serm kurzen Aufenthalt der Eindruck, so viel wir auch Be- merkenswerthes sahen und hörten, ‚doch immer nur ein sehr unvollkommener seyn musste, kein Urtheil erlauben, wenn ich später nicht Gelegenheit gehabt hätte, mit den vielen Auswanderern Minorkas in Algier Jahrelang zu verkehren und bei den verschiedensten Gelegenheiten mit ihrer Sinnes- art und Lebensweise vertraut zu werden. Die Balearenbe- wohner sind viel rühriger und industriöser als die Spanier vom Festland, dabei ungemein friedliebend, einfach, weniger ritterlich und gravitätisch stolz, als der Castilianer, aber ge- wiss eben so warm religiösen Sinnes, eben so feurige Freunde des Fandango und der Liebe, doch glücklicherweise nicht so eifersüchtig, wie die übrigen Spanier. Einen tiefen religiö- sen Sinn ohne Fanatismus, eine meist uninteressirte Gutmü- thigkeit und ihre aufopfernde Treue als Diener haben sie vor ihren spanischen Brüdern voraus, denen sie freilich an that- kräftiger Energie, an Liebe zum Geburtsland und Bildung weit nachstehen. Diese sehr merkwürdige Charakterverschie- denheit der. Spanier, der Balearen und ihrer Brüder vom 12 Festland ist die natürliche Folge ihres insularischen Woh- nens. Da wo man keine ketzerischen Nachbarn vor den Thoren des Landes hatte, wo es auch keinem Feind in den Sinn kam, auf die Eroberung einiger armen Felseneilande auszugehen, da brauchten die Priester. weder religiöse In- toleranz, noch Nationalhass zu predigen, weil beides für sie zu unnütze Waffen waren. In früheren Zeiten streiften die Algierer Korsaren zuweilen an die balearischen Küsten, um einige Schiffe zu kapern oder auch auf dem Lande zu plün- dern. Es war aber nicht mehr der alte Glaubenskrieg zwi- schen Spanien und Mauritanien. Die Algierer kümmerten sich so wenig, dem Halbmond Proselyten zu gewinnen, dass ihre Sklaven selbst für die Erlaubniss, Renegaten zu wer- den, Geld bezahlen mussten; eben so wenig dachten sie an eine Ansiedlung auf den balearischen Eilanden. Raubsucht war der einzige Zweck ihrer kecken Ueberfälle und die Be- wohner Majorkas und Minorkas hatten jene wohl als See- räuber, nie aber wie früher als Andersgläubige und National- feinde zu fürchten gehabt. Die Meinungsstreite und Waffen- stürme, die Europa seit so manchen Jahrhunderten zerrütten, gingen an den stillen Eilanden friedlich vorüber und die Kriegstrommel störte keinen Augenblick das harmlose Leben der Balearenbewohner. Zu den Erfolgen des spanischen Be- freiungskampfes gegen Napoleon wirkten diese wohl, ausser durch Wünsche und Gebete, wenig mit. Zu arm, um zu den Kriegslasten beizusteuern, und zu sehr ihrem unbekümmerten Leben hold, um ihr Blut für eine Sache zu vergeuden, die sie doch nur ziemlich entfernt anging, da ihr Herd, ihre Felder und Kirchen nicht bedroht waren und die insularische Lage ihres Ländchens sie gegen alle Anfälle schützte, zog Spanien im Befreiungskampfe fast keinen Nutzen aus den Ba- 13 learen. Es ist daher gar nicht zu verwundern, wenn jene spanischen Leidenschaften, wie der glühende Patriotismus und der tapfere, ritterliche Sinn, Eigenschaften, die fast im- mer nur in unglücklichen Zeiten sich stählen und bewähren, den Bewohnern Minorkas unbekannt sind. Nur wenige Schiffe landen dort, denen überdies mehr daran liegt, ihre Waaren gut zu verkaufen, als den Insulanern zu erzählen, was auf dem Continent vorgeht. Warum sollte man es nun diesem Völkchen verargen, dass es sich seinerseits um die Welt nicht viel kümmert und weder dem Kriegslärm, noch den Künsten und Wissenschaften Europas, die ihm wenig nützen würden, sonderliche Theilnahme schenkt? Wären die Mahoneser etwas weniger arm, ich würde sie bei ihrer Ge- nügsamkeit, ihrem Gefallen an den heitern Freuden der Er- de und ihrem festen Glauben an die künftigen Freuden im Himmel, für eines der glücklichsten Völker der Welt halten. Am Tage unserer Ankunft war Ball in Mahon wegen des Namensfestes der Königin Christine. Er war sehr zahl- reich besucht, hatte aber durchaus keine politische Farbe; es wurde keine Sylbe über den Zustand Spaniens gesprochen und die düsteren Gerüchte, die ein am Tage zuvor eingelau- fenes Schiff von Barcellona verbreitet hatte, störten keinen Augenblick das heitere Feuer der liebebrausenden spanischen Tänze, des Fandango, Bolero, Cachucha u. s. w. Beson- ders wohl gefiel uns allen der Mahonesertanz durch seine Einfachheit. Das Tänzerpaar ermüdet sich da nicht wie im Fandango durch zierliche Sprünge und anmuthige verliebte, aber sehr strapaziöse Windungen und Bewegungen. Tänzer und Tänzerin bleiben, die Arme erhebend und mit den Castagnetten klappernd, einander gegenüber stehen und wiegen den Körper in kokett-graziöser aber anständiger Stellung, 14 mit den Füssen nur leichthin hüpfend und ohne den Platz zu verlassen. Nicht das geflügelte Füssespiel überrascht hier, wie bei dem Fandango und Bolero, aber der unnennbare Reiz in der zierlichen Bewegung und Haltung der Mädchen, in der Sprache der Augen und dem ausdrucksvollen Spiel der feinen Züge machte uns fremde Zuschauer alle recht enthu- siastisch. Alle meine französischen Reisegefährten waren von Ma- hon und seiner freundlichen Bevölkernng auf das Günstigste eingenommen. Jeder wollte die Tage fröhlicher als der An- dere verlebt haben und diese Episode unserer Seereise erhei- terte uns die weitere Fahrt durch Erinnerung und Erzählung. Die Franzosen sind auf dieser Insel sehr beliebt und der Wunsch, unter französische Herrschaft zu kommen, scheint unter den Mahonesern ziemlich vorherrschend, ja er wurde so oft und mit solcher Wärme ausgesprochen, dass wir uns alle überzeugten, Frankreich würde, wenn es früher oder später sich einer der balearischen Inseln bemächtigen wollte, bei den Einwohnern gewiss wenig Opposition finden. Dass der Besitz Minorkas bei der steigenden Wichtigkeit der fran- zösischen Besitzungen in Afrika und dem immer lebhaftern Verkehr zwischen Algier und Südfrankreich für die Franzo- sen äusserst wünschenswerth, ja vielleicht bald zur Nothwen- digkeit wird, ist eben so gewiss, als dass diese Insel für Spanien, das keine Marine mehr besitzt, ziemlich nutzlos ist. Mabon hat einen vortrefflichen Hafen, der sehr tief und’ gegen alle Winde geschützt, den grössten Kriegsschiffen ei- nen völlig sichern Zufluchtsort biete. Nur für zahlreiche Flotten wäre dieser Hafen nicht geräumig genug, ‚auch ist die Einfahrt etwas zu schmal, indessen sind in der Umgegend von Mahon noch mehrere Ankerplätze, so bei Villa Carlos, e 15 und im Nothfalle hätten allzu starke Flotten auf der nahen Rhede von Palma einen Zufluchtsort. Die Eifersucht der Mächte steht allein der französischen Occupation Minorkas im Wege, denn Spanien selbst würde bei seiner Geldklemme, die wohl so bald kein Ende nehmen dürfte, zum Verkaufe eines so armen Eilandes leicht zu bewegen seyn. Minorka kostet Spanien fast mehr, als es einträgt, und vermag bei sei- ner Productenarmuth die darnieder liegende spanische Schiff- fahrt nicht zu beleben. Ich habe schon erwähnt, dass ein sehr grosser Theil der Bewohner Minorkas sich nach Algier übersiedelte. Fast der dritte Theil der Häuser Mahons steht leer und Wohnungen sind dort beinahe umsonst zu haben. Diese Auswanderungen nehmen fast alle Jahre zu und es vergeht fast keine Woche, wo nicht ein Schiffehen mit Ma- honeser Familien und ihren Habseligkeiten dem südlichen Welttheile zufährt. Da fast die ganze Bevölkerung Minor- kas aus Pflanzern besteht, so ist deren Bereitwilligkeit, den undankbaren Boden ihrer Heimath mit Afrikas gesegneter Erde zu vertauschen, wohl sehr begreiflich. Daher wird Minorka, wenn Frankreich sich dessen nicht bald bemächtigt, ehe zehn Jahre vergehen, ein ganz verlassenes Eiland seyn und deren sämmtliche Bewohner ihre Industrie und ihre Sitten nach dem alten Korsarenlande hinüberverpflanzt haben. Mahon ist jetzt die gewöhnliche Station der nordamerikani- schen Seemacht im Mittelmeer. Die Vereinigten Staaten scheinen nach dem Besitz Minorkas grosse Lüsternheit zu spüren. Eine prachtvolle Corvette dieser Nation lag vor Ma- hon geankert. Ihre Mannschaft, die, wie auf allen amerika- nischen Kriegsschiffen, aus tüchtigen Seemännern, zugleich aber aus dem rohesten Gesindel bestand, war am Lande und vertrieb sich, da sie eben ihre Löhnung bezogen, ihre Zeit 16 auf die verschiedenste Weise. Ein grosser Theil füllte die Kaffeehäuser, wo Matrosen und Officiere an einem Tische sassen und aus einem Glase tranken, andere trieben sich mit öffentlichen Dirnen herum, wieder andere galoppirten auf schlechten Pferden ohne Sattel, die Schnapsflasche in der Hand, auf das Wüthendste durch die Strassen und die Um- gegend. Die Mehrzahl brüllte, gleichfalls mit Branntwein- flaschen bewaffnet, vor den Häusern rohe Gesänge, manche lagen wie todt in den Pfützen der Länge nach; alle waren viehisch berauscht und zu Raufhändeln aufgelegt. Die ruhi- ge, würdige Haltung der französischen Seeleute und Solda- ten contrastirte auffallend gegen die fürchterliche Zügellosig- keit der amerikanischen Matrosen und imponirte den letztern doch so, dass die Zeit unsers Aufenthaltes, einige einzelne Rencontres, wobei die Franzosen nicht eben den Kürzern zogen, abgerechnet, ziemlich friedlich vorüberging. Dies ist übrigens immer einer der seltneren Fälle, denn in der Regel geht ein Begegnen dieser Seeleute in Mahon nicht ohne Schläge und Blut ab. Im Kirchhof von Mahon liest man auf einem Denkstein die Namen von fünf französischen Matrosen, die vor einigen Jahren von den Amerikanern bei einer Rauferei erstochen wurden. Uebrigens waren von den Seeleuten dieser Corvette nur wenige in den Vereinigten Staaten geboren, es befanden sich darunter Engländer, Hol- länder, Dänen, sogar Griechen; und deutsche Flüche schall- ten in einem oft Alles übertäubenden Bärenbass aus dem Stimmenchaos dieser fürchterlichen Meersänge heraus. Da die Amerikaner in Mahon viel Geld verzehren, so erträgt man dort ihre Rohheiten mit Geduld. Die Franzosen aber werden für ihr gutes Betragen mit desto grösserer Vorliebe behandelt. 17 Ich machte einige Ausflüge in die Umgegend von Ma- hon auf der Nord-Östseite; der Boden ist dort sehr sparsam mit Grün bewachsen, meistens ragen nackte Kalksteinklippen hervor, andere Stellen sind mit Meersand oder Kieselgerölle bedeckt. Am Gestade wuchsen einige Euphorbia-Arten, auf den Felsen sprosste das Daphne Gnidium mit kleinen weissen Blütben. Ich fand bei ganz flüchtigem Suchen sehr viele In- secten und Arachniden, was mir bei der späten Jahreszeit sehr auffie. Einen prachtvollen blauen Käfer, 'Timarcha balearica, fand ich in ungeheurer Menge; er bedeckte fast alle baufälligen Gartenmauern. Aus den Flügeln des wunder- schönen Insects machen die Mahoneserinnen künstliche Blu- men. Unter den Steinen fand ich den europäischen Skorpion, der in Algier nicht mehr vorkommt. Mahons Umgegend scheint sehr reich an Landconchylien; ich fand eine neue Helix - Art mit schmuzig grauer, gefurchter Schale. Gewiss bieten die balearischen Inseln an wirbellosen Thieren noch so manches Seltene und Neue. Von der Intelligenz und dem freundlichen Sinn der Eingebornen erhielt ich auf diesen Spaziergängen neue Proben, denn kaum war ich einige Mi- nuten auf meiner Insectenjagd begriffen, als schon einige spanische Jungen sich zu mir gesellten, meine Beschäftigung aufmerksam belauschten, und als sie merkten, was ich eigent- lich suche, halfen sie mir mit erstaunlichem Eifer, so dass bald alle meine Schachteln mit Insecten und Muscheln ange- füllt waren. Die Zahl meiner kleinen Jäger nahm immer mehr zu und als ich am Abend nach der Stadt zurück- kehrte, war ich von zwölf schwarzlockigen Burschen begleitet, die für ein ganz kleines Geschenk mir in ihrem süsstönenden Patois eine Menge Segenswünsche nach- Morıtz WaAcener’s Algier. 1. 18 riefen und unter den dankbarsten Geberden von mir Ab- schied nahmen. Die Dampfschiffe machen Abschiedsscenen kurz. Viele unserer freundlichen insularischen Bekanntschaften kamen auf Gondeln dicht an das Schiff gerudert. Jeder von uns hatte einen Pack Aufträge an Algierer Verwandtschaften mitbe- kommen und eben waren unsere guten Mahoneser noch recht im Redefluss, uns mündliche Grüsse an Brüder und Vettern in Afrika mit unendlichem Wortschwalle wiederholend, als die Räder in ungestümer Gewalt das Meer zu peitschen be- gannen und in ein paar Secunden uns so weit von den Gon- deln entführt hatten, dass die hübschen Töne der Spanierin- nen unverständlich im Rauschen des Meeres zerrannen und sie uns nur durch das Wehen der Tücher den letzten Gruss zuwinken konnten. In wenigen Stunden war Minorka in Nebel und Rauch verschwunden und das Krokodil ein Spiel der Wogen. Die sichere Bucht von Mahon hatte unsern Schiffscommandanten übrigens getäusch. Der Wind hatte sich nicht völlig gelegt und kaum auf hoher See angekom- men wurde das Meer wieder so ungestüm, wie am Tage unserer Abreise von Toulon. Der Capitän Savary liess da- her südwestlich steuern, um nöthigenfalls, wenn der Aufruhr der Fluthen zunähme, auf der Rhede von Palma Schutz zu finden. Die Gebirge der Insel Majorka wurden noch vor Abend sichtbar; ihr Anblick ist schon von ferne recht ma- lerisch; einige ausgezackte Berge ragen bis zu einer ziemlich bedeutenden Höhe empor. Als wir den Utfern’näher kamen, wo auch die See ruhiger wurde, entrollten sich die Umrisse immer deutlicher. Im Vordergrunde der Gebirge ruhte eine flache blühende Landschaft; Citronenwälder leuchteten duftig grün und goldgelb vom Glanz des Laubes und der Früchte 19 aus der Ebene, welche im Norden steile Felsen umschlossen, im Süden ein tobendes Meer mit Schaum bespritzte. Major- kas Ufer verschwanden bald wieder in dem Dämmerdunkel eines trüben Mondhimmels. Der Capitän Savary, der eine Strandung befürchtete, hielt sich wieder in bedeutender Ent- fernung von der Küste. Eine sehr stürmische Nacht brach abermals herein, riesenhafte schwarze Schatten scheuchte der Mondstrahl unter der Mondscheibe hinweg, so dass die Wogen bald im hellsten Silber leuchtend, wie gewaltige beschwingte Seemöven aus dem Meere tauchten, bald in schwarzer Fin- sterniss stöhnend Unthieren vom tiefen Meergrunde glichen. Die Wolkenfiguren und die Mondlichtmetamorphosen am Himmel, in Luft und Meer waren gespensterhaft zwar, aber doch so anziehend, dass man trotz aller Schrecknisse des Wetters an den Anblick gefesselt blieb. Das Verdeck wur- de auch von freiwilligen und gezwungenen Zuschauern nie leer. Auf dem Vordertheile des Verdeckes kauerten die ar- men Soldaten, welche im untern Schiffsraume keinen Platz finden konnten und denen Himmel und Meer mit Süss- und Salzwasser gleich unbarmherzig zusetzten. Aber mitten im ärgsten Elementetoben und als sie am meisten litten, erfasste einen Theil dieser Krieger ein seltsamer Muth. Sie nahmen einander bei den Händen, bildeten einen Kreis um die Dampf- röhre und umtanzten dieselbe. In tollen Sprüngen und wilde Gesänge in das Toben des Sturmes brüllend, schien es, als wollten sie alle Schrecknisse des Orkans herausfordern. Selbst die ältesten Matrosen, die gegen alle Unwetter abge- stumpft sind, aber doch ein andächtiges Schweigen beobach- ten, wenn der Himmel grollt, schauten oft von der Höhe des Takelwerks mit mehr Grausen als Bewunderung auf den . Dämonenreigen jener Krieger herab. Oft warf das schwan- 2 3 20 kende Schiff die Tänzer über den Haufen, aber sie erhoben sich unter Lachen wieder und traten von Neuem in den ent- setzlich lustigen Kreis. Am Hintertheile standen einige Pas- sagiere, die, ohne Zweifel dem Romantismus und pittoresken Scenen hold, statt unten im bequemen Bett zu ruhen, an der Brüstung sich anklammerten und nicht müde warden, das schwarze Schiff mit seinen unheimlichen. Gästen im Nacht- kampfe mit dem Sturme zu schauen. Gegen Tagesanbruch schlug der Wind nach Nordost um. Wir waren auf der Rhede von Palma, der Hauptstadt Major- kas angekommen, die im Hintergrund einer geräumigen Bucht liegt. Die Stadt schien mir etwa noch einmal so gross wie Mahon, eben so hübsch und viel regelmässiger gebaut. In ihrer Mitte erhebt sich die Kathedrale, ein kolossales Ge- bäude in gothischem Styl, hoch über die übrigen Häuser und wird wieder von den Bergen im Hintergrund überragt. Ein glänzend grüner Ring von Orangengärten bilden Palmas Festungswerke, die Bucht ist ausserdem mit einer Menge von Windmühlen umsäumt, welche eine bedeutende Strecke der Küste entlang fortdauern. Der Commandant des Dampf- bootes hatte anfangs Lust, vor Palma zu ankern, und wir freuten uns alle sehr darauf, das Innere der Hauptstadt der Balearen zu besehen; aber der Wind drehte sich wieder ge- gen Südosten, wo die Rhede offen und unsicher ist. Capi- tän Savary zog daher vor, nach dem Felsen Cabrera zu steuern, einer dritten balearischen Insel, welche in geringer Entfernung südlich von Palma liegt und von Algier noch 42 Lieues entfernt ist. Cabrera hat einen trefflichen von Felsen umgürteten,, natürlichen Hafen, der durch- aus tief und sicher einer der besten Ankerplätze des Mittel- meeres ist. Die Einfahrt ist nicht sehr breit, aber an Ge- 21 fahr ist nicht zu denken. Das Schiff konnte die senkrecht aus dem Meere steigenden Felsen fast berühren, ohne ein Scheitern zu befürchten, denn das Meer ist neben den Klip- pen so tief, dass selbst Linienschiffe hier nicht auf den Grund festsitzen würden. Der Hafen ist von fast ganz run- der Form und geräumig genug, eine ansehnliche Escadre aufzunehmen. Am Eingange desselben ist auf der Nordost- seite ein kleines Fort auf einer Felsenspitze erbaut, welches sowohl zur Vertheidigung dieses kleinen Eilandes als zum Gefängnisse dient. Südlich von diesem Fort stehen im Thale drei bis vier ärmliche Fischerwohnungen und in deren Um- gebung einige Kornfelder, obwohl die Dammerde dort nur sehr dürftig den Steinboden an wenigen Stellen deckt. Ca- brera hat nicht über eine deutsche Meile im Umfang; es ist ein Basaltfelsen, fast ganz ohne Vegetation ‚und vom traurig- sten Aussehen. Seine Bevölkerung besteht aus einigen blut- armen Fischern, etwa zwanzig halb invaliden Soldaten, die das Fort bewachen, und den Gefangenen, also sämmtlich aus armen, unglücklichen Geschöpfen. Eine traurige Berühmt- heit hat dieser Felsen durch die Leiden der französischen Ge- fangenen im Napoleonischen Feldzuge erhalten. Ohne Dach und fast ohne Nahrung liess man sie auf Cahrera hinschmach- ten. Von zwölftausend Gefangenen, die auf die Unglücks- insel versetzt wurden, überlebten kaum zweitausend ihre Lei- den. Da Cabrera mir fast gar kein naturwissenschaftliches Interesse bot, so unterhielt ich mich, die vielen Namen und französischen Verse zu lesen, welche auf allen Klippen und Gesteinen umher eingekritzelt stehen. Das Meiste ist aber unleserlich geworden, da die Wetterstürme die Buchstaben wie die 'Thränen der schmachvoll misshandelten Unglückli- chen längst von den Steinen gewaschen. Obwohl häufig mit 22 den Namen auch Kreuze in die Felsen eingehauen waren, so sah man doch keine Spur von Gräbern, die bei der kärgli- chen Dammerde auf keinen Fall über einen Fuss tief seyn konnten. Auf der ganzen Insel wächst nicht so viel Holz, um einen einzigen Sarg davon zu zimmern. Der Bauch der grossen Raubfische war wohl die Ruhestätte der meisten Ge- fangenen und das Aechzen der Seevögel ihr Todtenlied. Meine Reisegefährten schenkten anfangs den wenigen Spuren, die an den Aufenthaltsort ihrer lange verwesten Lands- leute erinnerten, grosse Aufmerksamkeit, aber es ist dem französischen Charakter nicht angemessen, sich traurigen Er- innerungen lange hinzugeben. Während ich noch beschäftigt war, einige halb verwischte Buchstaben zu entziffern, waren meine Begleiter nach einem andern Theil der Insel auf das Mövenschiessen und den Fischfang gegangen. Ihre Beute war ansehnlich und sie kehrten mit der heitersten Laune auf das Schiff zurück. Nach einem zwölfstündigen Aufenthalt hatte sich der Sturm gelegt. Gleichwohl gingen einige Stunden lang die Wellen noch bedeutend hoch. Es ist dieses auf hoher See eine gewöhnliche Erscheinung. Derselbe Wind, der die Flu- then aufrührt, drückt die Wellen zugleich bei einer gewissen Höhe wieder nieder, wogegen kurz nach dem Orkan die Be- wegung der Wogen viel freier wird und diese, da sie kei- nen Widerstand in der Luft finden, auch weit höher aufstei- gen. Das Krokodil verliess die Insel Cabrera erst bei völ- lig beruhigter See und setzte seine Fahrt nach Algier ohne weiteres Ungemach fort. Die 42 Lieues von Üa- brera nach Algier wurden in 19 Stunden zurückgelegt. Unser Dampfschiff hatte jetzt alle Vortheile für sich, ein beruhigtes Meer und einen leichten günstigen Nordwind. 23 Es hedeckte nun seine drei Masten mit Segeln, die mit der Maschine das Schift aus allen Kräften schoben. Dennoch marschirte ein Segelschiff, das schon seit frihem Morgen in gleicher Parallele westlich von uns sichtbar war und ebenfalls nach Algier steuerte, mit uns völlig gleich und kam sogar ein paar Stunden früher an seinem Ziel an. Es ist eine auf- fallende Thatsache, dass bei ganz günstigem Wind die gut gebauten Segelschiffe stets rascher, als die besten Dampfboo- te mit Rädern und Segeln fahren. Das Krokodil fährt bei bestem Wetter nie über 8 noeuds per Minute, oder 2?/, Lieues per Stunde, die neugebauten bessern Dampfboote nur 9'/, noeuds per Minute, oder 3!/, französische Lieues per Stunde. Dagegen fahren gute französische Corvetten oder Fregatten bis zu 12 noeuds per Minute, also 4 Lieues per Stunde, sogar das Linienschiff Suffren legte die- se Strecke zurück. Die grosse Ueberlegenheit, welche die Dampfboote über jene haben, besteht daher hauptsächlich nur in ihrem Weiterkommen bei völliger Windstille, wo die Segelschiffe sich nicht vom Flecke rühren, eben so, dass sie auch wider den heltigsten Gegenwind zwar langsam, aber doch sicher vorwärts kommen. Gegen Abend tauchten bei dem reinsten Himmel die Um- risse der Küste Afrikas vom südlichen Meereshintergrund auf. Es war ein Theil der Hügelkette von Mustapha Pa- scha, der Berg Budscharea und die hinter dieser Anhöhe liegende erste Gebirgskette des Atlas. Obgleich diese ver- schiedenen. Höhen durch bedeutende Strecken von einander getrennt waren, schienen sie doch wie undeutliche Schatten vermengt und ihre einzelnen Umrisse waren durchaus nicht von einander zu unterscheiden. Da wir bereits zehn Tage unterwegs waren und durch Stürme gelitten hatten, so wirkte 24 der Anblick des festen Landes, unsers Zieles, gleich erhei- ternd auf alle die verschiedenen Passagierclassen, ja selbst auf die Soldaten der afrikanischen Strafbatailloens und der Fremdenlegion, welche jubelten und jauchzten, dass sie nun bald die Erde Afrikas betreten sollten. Da die Bewegung des Schiffes jetzt äusserst sanft war, so fanden sich sämmt- liche Passagiere, sogar einige recht zarte junge Damen, Frauen und Töchter von Officieren, die bisher an der See- krankheit arg gelitten hatten, auf dem Verdecke ein. Der Anblick Algiers hatte alle geheilt. Jene Lebenslust, die den Franzosen so wohl ansteht, herrschte in ihrer ganzen liebens- würdigen Ausgelassenheit. Der eine tanzte oder trillerte ein Lied, der andere freute sich auf die gute Table d’ höte und das bequeme Bett des Gasthofes; der überstandenen Lei- den ward mit keinem Wörtchen gedacht. Selbst als am Abend die Küste wieder verschwand, blieben noch viele Rei- sende an der Brustwehr des Schiffes gelehnt und die unbe- weglichen Augen starrten durch die Finsterniss nach Süden. Die schönste Nacht war hereingebrochen. Nachdem wir meh- rere Nächte lang die ganze schauervolle Grösse des Meeror- kans gesehen, ward uns nun auch noch der wohlthuende An- blick einer stillen, mondbeglänzten See vergönnt. Wunder- bar ist der Eindruck des Bildes namentlich in dem Augen- blick, wo die Silberkugel des Erdtrabanten, schräg über der See stehend, eine lange flimmernde Milchstrasse darauf hin- malt. Je höher der Mond dann heraufsteigt, desto mehr nimmt die Wirkung seines Lichtreflexes ab. Sobald seine Strahlen senkrecht auf die Fluth herabfallen, ist die See- milchstrasse verschwunden und nur das hüpfende Gewimmel ganz winziger Wogen färbt sich noch in dem Glanze ab. Das Schiff scheint von einer Heerde leuchtender Schwäne 23 umtanzt, deren Geistersang der Wind in eigenthümlich wei- nenden Tönen über ungeheure Räume trägt. Ich glaube kaum, dass irgend einer meiner Reisegefähr- ten — ich nehme einige bejahrte Leute und zarte junge Da- men aus — diese Nacht von unserer Fahrt wegwünschte, wie gross auch das Verlangen nach dem Lande seyn mochte. Eben so wenig sehnte sich irgend einer nach der warmen Couchette. Wem zuletzt der gestirnte Himmel und das be- leuchtete Meer nicht mehr gefielen, der ging nach dem Vor- dertheile des Schiffes und sah der Unterhaltung der Soldaten zu. Gar ergötzlich war die Scene ihrer abendlichen Mahl- zeit, welcher der provencalische Wein die erheiternde Würze gab. Dann, als jeder den Mund sich gewischt, sah man die sich bildenden Gruppen der Spieler, der Erzähler und der Nichtsthuer, endlich in tiefer Nacht die Versammlung aller dieser Krieger um die Dampfröhre, wo bald Solosänger in recht gefühlvoller Weise Lieder über Napoleon vortrugen, denen der wilde Haufe in sprachloser Spannung lauschte, bald allgemeine Rundgesänge .‚des Basses Grundgewalt“ den Meerbewohnern hören liess. Die von Luft und Rauch ge- schwärzten Gesichter, die zehn Tage lang unter keinem Da- che waren und während dieser Zeit weder gewaschen noch rasirt worden, ihre zerfetzten Uniformen und muskulösen Ge- stalten stellten ziemlich treffend eine Rotte von Freibeutern vor. So fehlte auch dieses Bild der frühern Zeit in der Nähe des berühmten Piratenstrandes nicht. Am zweiten November gegen drei Uhr Morgens feuerte das Krokodil einen Kanonenschuss auf der Rhede von Algier ab; es ankerte zwischen zwei Dampfschiffen etwa einen Büchsenschuss ausserhalb des Hafens. Wir hatten fast eilf Tage zur Ueberfahrt gebraucht. Der Weg von Toulon nach 26 Algier beträgt 148 Lieues. Die schnellste und günstigste aller Ueberfahrten wurde von dem besten Dampfschiffe in 49 Stunden zurückgelegt. Sonst beträgt bei günsti- ger Jahreszeit, nämlich vom Mai bis October , die ge- wöhnliche Ueberfahrtszeit 60 bis 70 Stunden. Dagegen kamen in den Wintermonaten, namentlich im Januar und Februar, schon Beispiele vor, dass die Dampfboote über drei Wochen auf der See herumgetrieben wurden, ihren ganzen Steinkohlenvorrath aufzehrten und zuletzt blos noch mit Hülfe ihrer Segel Algier erreichen konn- ten. Die Stadt Algier liegt in amphitheatralischer Stellung an dem‘ Abhang eines Hügels von 372 Fuss Höhe. Ihre Häuser sind sämmtlich weiss angestrichen, statt der Dä- cher bilden Terrassen die Häusergipfel, äussere Fenster sieht man nur an den neu aufgeführten oder französisch umgemodelten Häusern. Die ganze Stadt hat etwas Gei- sterhaftes, aber trotz ihrer pittoresken Lage, ihrer ori- ginellen Bauart und der grünen Landschaft, die sie um- giebt, überrascht sie nur und gefällt nicht. Wir alle hatten uns so sehr auf Algier gefreut und nun standen wir im ban- gen Schauen verloren, kaum wagend eine leise Bemerkung zu wechseln. Die alten Geschichten von armen Christenskla- ven, die hier in Ketten am Strand zur Heimath hinüberklag- ten und vor Sehnsucht und Schmerz nach einem christlichen Gotteshaus vergingen — wie es wenigstens in den vielen ro- mantischen Geschichten der Spanier heisst — war mir mehr gegenwärtig als alle neuern Grossthaten der brittischen Flot- te: unter Exmouth und der französischen Armee unter Bour- mont, welche letztere Europas Langmuth und verjährte Schande so glänzend gerächt hat. Fast alle ältern und 27 neueren Reisenden haben den Anblick Algiers in der Dämme- rung ganz richtig mit einem Steinkalkbruch , einem Kreide- felsen oder einem Gletscher verglichen. In der That, bei dem einförmigen Weiss, der fast gleichen Grösse, den blanken Terrassen und der Lage auf einem steilen Abhang verschwin- det Alles unter einander ohne deutliche Unterscheidung. Mit Ausnahme der Kasbah auf dem Gipfel des Hügels und des Hauses des Hrn. Latour du Pin auf dem grossen Platze ragt kein Gebäude über das andere heraus. Die prachtvolle Land- schaft im Osten und Westen, die Lager, die Citadellen, das Kaiserfort , die wunderherrlichen maurischen Gärten mit ihren Granat- und Orangebaumgruppen, einzelne gekrümmte Dat- telpalmen und Cactusbäume, endlich die kleinen Marabuttem- pel und Marmorgräber milderten, als Alles recht helle ge- worden, den ersten unangenehmen Eindruck sehr. Die Eu- ropäer gewöhnen sich überhaupt sehr schnell in Algier ein. Wenn man, wie ich, den nordischen Boden erst noch vor wenigen Wochen im weissen Wintergewand verlas- sen und man sieht sich auf einmal wieder in ein grünes Land versetzt, wo im November die Mandelbäume blühen und gold- gelbe Orangen noch an den Zweigen hängen, da müsste man hartnäckig und thöricht sein, wäre man nicht bald mit dem Welttheile der Wilden ausgesöhnt. Der Hafen Algiers ist klein und unbequem; er fasst kaum dreissig Schiffe. Seine Tiefe dagegen ist für Kriegsschiffe mittlerer Grösse hinreichend. Linienschiffe müssen eine be- deutende Strecke ausserhalb des Hafens ankern. Ein Damm oder Möle von etwa 300 Fuss Länge, der sich von Westen nach Osten zieht, schützt die Schiffe gegen die Brandung les Meeres. Ueberhaupt sind die Kauffarteifahrer im Innern ‚dieses Hafens vor allen Stürmen in Sicherheit. Da aber der 28 Raum desselben für die Bedürnisse nicht hinreicht und ge- wöhnlich zweimal so viel Schiffe, als der Hafen fassen kann, vor Algier liegen, so sind viele Fahrzeuge gezwungen, eine Strecke ausserhalb desselben zu ankern. Diese sind dann den Winden von Nordwest und Nordost und einer Brandung ausgesetzt, die zu Zeiten, namentlich vom Januar bis März, eine Höhe und Gewalt- erreicht, wie man in den eu- ropäischen Häfen der Mittelmeerküste keine Idee hat. Mit Grauen erinnert man sich in Algier des Orkans im Januar 1835, wo über dreissig Schiffe, manche am Hafendamm, ei- nige sogar im Hafen selbst dicht an dem Kai durch den Zu- sammenstoss der übrigen zu Grunde gingen. Der Wellenschlag hatte mit unbegreiflicher Gewalt die dicksten Taue und Ketten zerrissen, Hafen und Bucht waren mit Trümmern von Schif- fen und Waaren angefüllt. Das traurige Ereigniss hatte da- mals unter den Kaufleuten und Schiffscapitäns und Armadeurs, ja namentlich auch unter den Anhängern der Colonisation die grösste Bestürzung hervorgebracht. Da fast der ganze künf- tige Wohlstand und die ganze Bedeutung von Algier auf dem Seehandel beruhte, da die Mehrzahl der in Algier niederge- lassenen Europäer davon lebte, so fürchtete man nun auf ein- mal mit diesem alle Hoffnungen vernichtet. Alle Ansiedler dachten, morgen könne wieder eine ähnliche Katastrophe her- einbrechen, das Eigenthum werde nie gesichert seyn, und eine Zeitlang mieden wirklich die Schiffe von Marseille den tückischen Meereswinkel ganz und gar. Aber für Geldgewinn schlägt der Kaufmann sein Ver- mögen und der Seefahrer sein Leben in die Schanze. Da die Waarenpreise in Algier schnell stiegen, so war dies für die Kaufleute in Europa eine lockende Speculation. Ein paar Mo- nate später war Hafen und Bucht dichter, als je zuvor be- 29 setzt und seitdem ist Algier, zum Glück für die französische Niederlassung, von keinem ähnlichen Unfall mehr heimge-. sucht worden. Weit mehr als der materielle Verlust wäre bei einer Wiederholung die Entmuthigung” der Kaufleute und der Ueberdruss der Franzosen an der kostspieligen Colonie, wie er bei dieser Nation dem Enthusiasmns nur allzu häufig folgt, zu fürchten gewesen. So kam man mit einem Verlust von einer Million und dem Schrecken noch ziemlich leicht davon. Da seit der Occupation der Sturm im Januar 1835 der einzige war, welcher die Schiffe an ihrem Ankerplatz scheitern machte, so betrachtet man jetzt diesen Unfall als etwas Zufälliges, als eine jener ausserordentlichen Katastro- phen, die nur alle hundert Jahre einmal kommen. Nach den Aussagen der Eingebornen aber waren dergleichen Schiffbrü- che nichts so ganz Ungewöhnliches und erneuern sich aller vier bis fünf Jahre zwischen Februar und März, so oft die Schiffe wegen Ueberfüllung des Hafens ausserhalb des Möle ankern mussten. Die Ursache, warum die Brandung heuti- ges Tages nur selten mehr eine so gefährliche Gewalt er- reicht, liegt in der grossen Thätigkeit der französischen Re- gierung, die das Unternehmen. einer Fortsetzung des Möle- baues, ungeachtet einer Tiefe von funfzig bis sechzig Fuss, ziemlich eifrig betreibt. Man verwendet blos Militairsträf- linge zu der mühseligen Arbeit. Ungeheure Steine werden an dem westlichen Ende des Möle fortwährend in das Meer gesenkt. Die auf dem Grunde aufgethürmte Masse hat nun schon eine solche Höhe erreicht, dass die Gewalt des Wel- lenschlags ziemlich gebrochen ist. Im Jahre 1838 hat die Regierung bekanntlich noch bedeutende Fonds zur Fortsetzung der Hafenarbeiten bewilligt. Gelingt es nun, den Möle noch ein paar hundert Fuss östlich in der Richtung von Mustapha 30 Pascha fortzusetzen, so dürfte Algier in einigen Jahrzehnden einer der wichtigsten Seeplätze der Mittelmeeres werden. Noch vor Aufgang der Sonne war unser Schiff von vie- len Gondeln umringt. Die Gondeliers waren Biskris, Neger und Mauren, ein schmuziges halbnacktes Gesindel, dessen kräftige entblösste Glieder gleichwohl manchmal zum Modell eines Simson dienen könnten. Es giebt auch sehr viele spa- nische Gondelführer im Hafen. Da es aber zwischen ihnen und den Eingebornen bei der Ankunft der Dampfschiffe oft blutige Köpfe setzte, weil immer jeder sich zuerst das Trink- geld der ausschiffenden Passagiere verdienen wollte, dürfen sie nie mehr mit den Eingebornen zugleich arbeiten und die beiden Nationen wechseln daher mit einander. So kommen also das eine Mal nur Europäer, das andere Mal nur Afri- kaner, und zwar der abschreckendste Theil derselben, den neuen Ankömmlingen entgegen. Für diese armen Leute ist die Ankunft eines Dampfschiffes das erfreulichste Ereigniss der ganzen Woche; sie verdienen sich da in einer Minute oft das Brod für einige Tage, denn es giebt solche Biskris, die täglich nicht über vier Sous verzehren. An den Kais steht zur weitern Bedienung des Reisenden fast eine Armee von ähnlichen Individuen, alle mit hohen dicken Tragstangen bewaffnet. Im ersten Augenblick mag wohl mancher Reisende nicht ohne einige Angst sich allein in der Mitte einer Bande sehen, deren schmuzgelbe ge- bräunte und völlig schwarze Gesichter einen durchaus wilden, durch rohe Lebensart oder niedrige Sinnenlust verzerrten, hässlichen und bösen Ausdruck haben; dies gilt namentlich von den Schwarzen, die aus dem westlichen Sudan kommen, wo die Negervölker am affenartigsten sind. Indessen ist die Lehre von der Physiognomik dort so trügerisch, wie überall. 3 In Algier sind gerade diese halbnackten Taglöhner mit den Faungesichtern die ehrlichste Menschenclasse. Nie habe ich während meines ziemlich langen Aufenthalts von einem Dieb- stahl durch diese Biskris gehört, die im Gegentheil von den Kaufleuten einen kleinen Sold für die Bewachung ihrer Ma- gazine bei Nachtzeit erhalten. In Algier stösst der ankom- mende Fremdling auf dasselbe ergötzlich ärgerliche Schau- spiel, wie in Neapel. Man wird sogleich von einer Bande dieses dienstzudringlichen Gesindels bestürmt. Jeder voll Ei- fer ein paar Sous zu gewinnen, drängt sich dicht an den Fremden, ruft ihm auf arabisch, in der kngua franca oder auch in schlechtem Französisch Grüsse und Complimente zu, wobei er nicht unterlässt, sich selbst als den Simson der Bis- kris, seine Stärke als Lastträger empfehlend, herauszurühmen. Um meine Hutschachtel balgten sich drei Mann und um mei- nen Koffer ein halbes Dutzend; denn die gute Gelegenheit ist nicht häufig, das Dampfboot kommt nur einmal in der Woche und mit dem Gewinn der Ueberfahrt des ganzen Pas- ‚sagiergepäckes leben zehn Biskris eine ganze Woche, Ue- brigens sind Lumpen in Algier nicht immer das Ordenskleid der Armuth, so wenig als rohe Kost die Folge von Noth und Elend. Mancher dieser Biskris — ich kann dies als ge- naue Thatsache versichern — trägt seine funfzig spanische Piaster in den Taschen seiner Lumpen yerborgen und hält diese fest, wie seine Eingeweide. Aller Duft französischer Re- staurants und Confiseurläden vermag so wenig, als der Anblick der vor den Buden symmetrisch aufgestellten Flaschen, ihm je eine Liard aus der Tasche zu locken. Er begnügt sich mit einem schlechten Stück ungesäuerten Brodes, würzt das- selbe mit ein paar Cactusfeigen oder Liebesäpfeln und ver- zehrt sein Mahl in seinem Speisesaal unter den schönen Ster- 32 nen, der zugleich auch sein Audienzzimmer und Schlafge- mach ist. War auch der erste Anblick der mir noch völlig neuen afrikanischen Völker, unter denen ich nun mehrere Jahre verleben wollte, keineswegs wohlthuend, so reizte er doch mächtig meine Neugierde. Ich hatte hier Völkerstämme von fast allen Breitengraden Afrikas vor mir: Mauren vom schönsten weissen Teint, gebräunte Biskris und Neger aus dem Sudan, aus Tombuktu und Bornu, von tief dunkler oder bräunlicher Schwärze. Einige der letztern hatten kurze weisse Bärte, die auf der schwarzen Haut sich höchst sonderbar, etwa wie aufgeklebte T’heaterbärte, ausnahmen. So sehr er- götzte mich das neue Schauspiel, dass ich die Zudringlichkeit dieser Lastträger einige Zeit lang geduldig ertrug und gar nicht satt wurde, diese seltsamen Figuren zu betrachten, die sich in derben Stössen um mein Gepäcke schlugen und dabei in einer Sprache schrieen, die neben widrigen Zischlauten auch sehr helle Töne hören liess; sie schnitten dazu die hässlichsten Grimassen und fletschten Zähne, so weiss und stark, wie die des Schakals. Ich wählte endlich aus dem Haufen zwei starke Bursche, die mir die unverschämtesten schienen, einen breitbrüstigen Neger und einen riesigen Biskri. Kaum hatte ich nun meine Träger bezeichnet, so trat zu meinem Erstau- nen der übrige Haufe, der nun sah, dass ihm das Schreien nichts mehr half, ziemlich ehrerbietig zurück und liess mir und meinen Begleitern die Passage frei. Wir traten durch die Porte de la marine. Eine lange fast ganz europäisch gebaute Strasse, an deren Häuservorsprung sämmtlich schöne Arkaden sich wölben, sehr hübsche Kaufläden und französi- sche Kaffeehäuser überraschten uns, obwohl diese Reformen der maurischen Gebäude mir nicht ganz behagteun und ein rein 33 _ afrikanischer Anblick mir gleich im Anfang lieber gewesen wäre. In der Stadt Algier ist die Mischung der Bauart, der Bevölkerung und des Lebens von Europa und Afrika das Merkwürdigste. Ich nahm mein Absteigequartier im Zötel du nord, einem schönen neugebauten Gasthof in der Ze de Za marine. Man findet dort eine treffliche Pariser Küche, Speisesäle, der eine im europäischen Geschmack mit Spiegel- wänden, der andre im maurischen Styl mit Säulengalerien ; end- lich französische Aufwärter und andre Diener in afrikanischer Tracht. Die französischen Gasthöfe in Algier übertreffen, was die Pracht der Ausstattung und die Güte des Speisetisches betrifft, die Touloner Hötels bei Weitem und stehen selbst denen der grossen Seestadt Marseille kaum nach. Nur die Wohnzim- mer bieten vielleicht noch nicht alle Bequemlichkeit der euro- päischen Einrichtung, doch geschieht auch hierin durch die zahlreichen Speculanten immer mehr und in der letzten Zeit meines Aufenthaltes kamen Schiffe, beladen mit schönen Mö- bels und Spiegelwänden aus Frankreich. Ich zweifle gar nicht, dass Algier in wenigen Jahren den ersten Städten Eu- ropas kaum in irgend einem Punkte des Wohllebens nachste- hen wird. Gute Gasthöfe sind ausser dem angeführten: ZZötel de la colonie ; Hötel de Lyon; Hötel du Danemark u.s.w. Schon auf dem Dampfschiffe drangen uns die Lohnbedienten dieser Häuser Adresskarten auf. Man ist daher durchaus nicht mehr, wie bei Wilhelm Schimper’s Besuch, um ein Un- terkommen verlegen oder gar in Gefahr, die Nächte mit. Ratten und Mäusen im Kriege zuzubringen. Ausser den eigentlichen Gasthöfen giebt es im Algier Aötels garnis, die blos möblirte Zimmer, keinen Restaurant haben. Die Miethe ist etwas theuer. Man bekommt ein gewöhnliches Zimmer kaum unter vierzig bis funfzig Franken für den Monat, hin- Morıtz WAGNner’s Algier. 1. 3 34 gegen ist der Speisetisch auffallend billig. Im Zotel du nord, dem ersten Gausthaus, bezahlt man nur sechzig Franken für den Monattisch, wobei man keine schlechtere Küche hat, als in den Restaurants des Palais royal. Das Leben ist für die gewöhnlichen Bedürfnisse in Algier keineswegs übermässig theuer und die bedeutende Concurrenz bei den Bauunterneh- mungen wird auch die Preise der Wohnungen immer mehr herunterdrücken. Ich. hatte kaum mein Gepäcke untergebracht, als ich den Gasthof verliess, um herumzulaufen und die mir neuen Gegenstände, die Strassenscenen und die wunderlichen Be- wohner, die dort in den buntesten Trachten sich herumtrei- ben, recht behaglich anzuschauen. Vom ZZötel du nord bis zur grossen Place du gouvernement waren es nur einige Schritte. Dort war der Markt noch versammelt. Einige hundert Europäer der verschiedensten Nationen hielten ihre Waaren feil, die Gärtner waren Spanier, die Fischer zum Theil Malteser, die Quincailleriewaarenhändler Franzosen; Mauren verkauften Orangen, Araber boten Wild und Geflügel feil, kleine afrikanische Juden trugen Backwerk umher und sprangen mit leeren Körben dienstfertig herbei, den Leuten die gekauften Sachen heimzutragen ; alle Sprachen schnatter- ten durch einander und doch verstand man sich beim Handeln ganz gut, die Zahlwörter werden in der Zngua franca, mehr dem Spanischen als dem Italienischen ähnlich, ausgesprochen. Eine Menge vermummter Weiber in ganz weisse Mousselins ge- hüllt, Jüdinnen mit einem seltsamen Kopfputz von zwei Fuss Hö- he, halb nackte Negerinnen, schmuzige und zerlumpte, wie reich gekleidete in Gold und Seide schimmernde Gestalten dräng- ten sich durch einander. Daneben sah man fremdartige Thier- gestalten, beladene Dromedare, dann Stachelschweine, Scha- 39 kale und Ichneumone, die zum Verkauf ausgestellt waren. Man denke sich darüber das weisse Amphitheater der Stadt, den Hafen, der mit seinem Mastenwalde und bunten Wim- peln in der Tiefe liegt, das Meer, die grüne Landschaft von Mustapha Pascha und weiter östlich im Hintergrunde das Atlasgebirge — nicht leicht zeigt ein Marktplatz ein anzie- henderes Gemälde. Dennoch war der erste Eindruck des so phantastisch Bunten und Fremdartigen mehr verwirrend, als erfreuend. Ich kam in einer Art Betäubung wieder nach Hause und träumte in der ersten Nacht so buntes Zeug, als je ein Märchenschreiber von Bagdad. 3* 36 12. Beschreibung der Stadt Algier. — Statistisches. — Strassen und Bauart der Häuser. — Merkwürdige Gebäude. — Die Kasbah. Der alte Deypalast. — Das Wohngebäude des Gouverneurs, — Hötel Latour du Pin. — Die Bibliothek. — Moscheen. — Das Grab Heyraddin Barbarossa’s. — Die katholische Kirche. — Der protestantisshe Gebetsaal. — Schulen der Eingebornen, — Synagogen. Alsier ist unter den Völkern Nordafrikas unter dem arabischen Namen El-Dschesair, „die Kriegerische, “ be- kannt. So wird sie auch von den Kabylen und Negern des innern Afrikas geheissen; der Name deutet sowohl auf Tha- ten, als auf grosse Macht. So oft man jetzt die Eingebor- nen fragt, warum nennt ihr diese Stadt die Kriegerische? antworten sie immer: „weil sie die Christen gedemüthigt hat.‘ Der Name ist ihr auch noch heutiges Tages geblieben, ob- wohl die Christen seitdem ihre Revanche genommen. Algier liegt unter dem 36° 47° 25 nördl. Breite und 0° 42 25” der Länge, nach dem Meridian von Paris gerechnet. Die Stadt hat die Form eines Dreiecks und liegt auf dem Ab- hang eines Hügels, der sich 372 Fuss über dem Meere er- hebt. Die Einwohnerzahl belief sich in der Mitte des Jah- res 1839 auf 28,000, ohne das französische Militair. Dar- unter rechnete man 9000 Mauren, 6000 Juden, 5000 ein- geborne Individuen der afrikanischen Corporationen von verschiedener Abstammung und 8000 Europäer. Die Civil- intendanz giebt bestimmtere Ziffern an, die aber viel- 37 leicht desto unrichtiger sind, da es, ausgenommen bei den Corporationen, von denen jedes Individuum eine Blechnummer trägt, keine Mittel giebt, über den Zuwachs der Bevöl- kerung eine genaue Controle zu führen. Viele maurische Familien-wandern noch immer nach Tunis oder der Levante aus und die Geburtslisten werden bei ihnen nicht regelmässig geführt. Noch schwerer ist es, die Zahl der da wohnenden Eu- ropäer genau zu schätzen. Viele Arbeiter treiben sich ohne Pässe herum und Ansiedler von besserem Stande, na- mentlich die zahlreichen Handelsleute, unterlassen, Aufenthalts- karten zu lösen, um dem unangenehmen Milizdienst zu ent- gehen. Die Zahl dieser in Incognito lebenden Europäer be- trägt wenigstens ein Dritttheil der ganzen europäischen Be- völkerung. Die älteren Reisenden, Shaw, Pananti, Shaler, geben die Algierer Bevölkerung gewiss alle zu hoch an. Shaw schätzt sie auf 100,000, Panantı auf 60,000. Der- gleichen Schätzungen waren übrigens nur aufs Gerathe- wohl hin gegeben und auf keinen Grund gestützt, da unter den Papieren der gestürzten Regierung sich keine Register vorfanden. Man schätzt die Zahl der ausgewan- derten Mahomedaner auf höchstens 15,000, ven denen fast die Hälfte durch neue Ansiedler aus Europa ersetzt wurden. Es ist daher durchaus nicht wahrscheinlich, dass die Bevölkerung vor 1830 35,000 Köpfe überstiegen habe. Die Stadt Algier zerfällt in zwei grosse Quartiere. Der untere Stadttheil beginnt am Hafen und endigt bei dem ehe- maligen Deypalast, der fast im Centrum der Stadt liegt. Hier wohnen grösstentheils Europäer in hübschen neugebaufen Häusern. Die drei Hauptstrassen in diesem Quartier sind: 38 die Strasse der Marine, welche vom Hafen nach dem grossen Platze führt; die Strasse Bab-a-Zun, die von da aus nach dem Thore gleichen Namens und der östlichen Landschaft Algiers, den Lagern Mustaphas und Kuba führt, die Strasse Bab -el- Uad, die gleichfalls von dem grossen Platz aus nach dem Thor Bab-el-Uad in westlicher Richtung führt. Es sind diese drei Strassen die einzigen, die befahren werden können. Sie sind nach dem neuen Bauplan gerade breit genug, dass zwei Wagen sich ausweichen können. Fast alle ihre Häuser sind neu oder im Bau begriffen, ihr Vorsprung besteht aus ge- wölbten Arkaden, die, sobald einmal alle Bauten vollendet sind, eine fortlaufende Reihe von saubern Trottoirs in der Art, wie das Marineministerium in Paris, bilden werden und den Spaziergäuger gegen Sonne und Regen schützen. Eine Unzahl dunkler Gässchen, gerade nur breit genug, dass zwei Personen sich ausweichen können, durchschneiden jene drei Hauptstrassen fast nach allen Richtungen; der grösste Theil hat französische Namen. Der obere Stadttheil ist über alle Vorstellung: finster, winklig und unregelmässig. Die engen Gassen gehen so steil aufwärts, dass man bei jedem Besuche dort vortreffliche Uebung im Bergsteigen hat; für alte Personen aber ist die Anstrengung zu schwer. Bei Regenwetter ist man nicht im Stande die Kasbahstrasse, welche dieses obere Stadtquartier durchschneidet, ohne häufiges Glitschen oder auch Fallen her- abzusteigen. Ein Besuch in jener hohen Region, wo fast nur Eingeborne wohnen, gehört dann zu den ausserordentlichsten Strapazen. Mit der Enge der Strassen, die selten über vier Fuss Breite haben, söhnt man sich, sobald man mit Algiers Klima Bekanntschaft gemacht, vollkommen aus. Im Sommer, wo die Strahlen so glühend von dem Gestein prallen, und im 39 Winter, wo dichte Regenfluthen das Pflaster waschen, geht man immer kühl und trocken vor Sonne und Nässe, durch die oben vorspringenden Häuser geschützt, durch die Stadt; bei allen Häusern ist der obere Stock von aussen breiter, als der untere. Dies verursacht nun jene beständige Dunkelheit; schützt aber gegen die genannten beiden Uebel und ist na- mentlich eine Wohlthat für alle Personen, welche Neigung zu dem Wechselfieber haben. “Alle älteren Häuser sind in dem bekannten maurischen Styl erbaut, der hier nicht gran- dios, wie au einigen alten maurischen Monumenten Südspa- niens, dafür aber eine gefällige, anmuthige Form zeigt. Von aussen sind diese Häuser freilich sämmtlich grundhässlich, da sie bei der Enge der Strassen nie eine stattliche Fagade bil- den und statt der Fenster nur kleine vergitterte Löcher nach der Strassenseite haben; das Innere dagegen überrascht durch seine eben so prächtige blendende, als bequeme und liebliche Architektur. Eine Vorhalle von Säulen gestützt führt zu einer Treppe, deren Wände mit bunter Fayenza oder un- ächtem Porzellan ausgelegt sind. Man gelangt von dort in die innere Halle, die in Quadratform, gewöhnlich mit Mar- mor gepflastert und mit Säulengalerien eingeschlossen, ihr Licht von oben empfängt. Eine andere Treppe führt nach dem oberen Säulengang, der, gleich dem unteren, rings um . die Halle herum in vier Gemächer führt. Jede Fronte des Quadrathofes nimmt den Raum eines solchen Gemaches ein. In der Mitte der Halle befindet sich in den reichen Häusern gewöhnlich ein Zwischenraum oder ein Bad oder Orangen- bäume. Das Licht fällt, wie schon erwähnt, in diese Säu- lenhalle von oben. Bei den Mauren war die Decke frei, der Regen drang daher ungehindert in die Halle, was wohl zu der grossen Feuchtigkeit der Gemächer beitrug. Viele Fran- 40 zosen haben über die Decke ein Glasdach anbringen lassen, was jenen Uebelstand beseitigt, dagegen der Halle ihre luf- tige Frische nimmt. So ist die innere Bauart aller Häuser in Algier ohne Ausnahme. Das Haus des Vornehmen unter- scheidet sich von dem des Armen nur durch Grösse und durch Reichthum der innern Ausstattung. Der Fussboden und die Säulen sind bei dem Reichen in der Regel von weissem Marmor, grosse Platten glänzend bunter Fayenza bedecken alle Wände und Gänge und tragen sowohl zum Schmuck, als zur Kühle der Gebäude bei. Im Uebrigen haben die Wohn- häuser der Vornehmen 'ganz dieselbe Einrichtung, dieselben Mängel, gewöhnlich auch dieselbe Einfachheit der Geräth- schaften. Einige Teppiche oder aus Palmblättern geflochtene Decken, ein paar hübsch geschnitzte bunt bemalte und vergol- dete Schränke, ein Spiegel und Tisch, öfters auch Vasen mit Rosenwasser, dies ist fast das ganze Meublement eines mau- rischen Zimmers. Stühle sind den Einwohnern unbekannt, immer nehmen sie mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Decke des Fussbodens Platz. Bigentliche Küchen befin- den sich nie im Hause; die Speisen werden auf einem be- weglichen eisernen Herd im Hofe gewärmt. Eine Vorraths- kammer enthält das seltsame irdene Kochgeschirr, die rie- senmässigen thönernen Buttertöpfe u. s.w. In der Regel sind die Häuser reinlich gehalten, nur die ganz drückende Armuth hat, wie überall, den Schmuz noch zur Zugabe ihres Elen- des. Ein Haus besteht stets nur aus zwei Stockwerken, welche ganz gleich eingetheilt sind; das Dach ist flach und mit einer Brustwehr umgeben. Auf den luftigen Terrassen wandeln die Hausbewohner gewöhnlich nach Sonnenuntergang; auch die Maurinnen zeigen sich da in ihrem glänzenden Haus- putze gewöhnlich ohne Schaul, nur spähen sie sorgsam, ob 41 auf der benachbarten Terrasse keine Männerblicke sie be- lauschen. Sie tragen daher immer bei diesen abendlichen Spaziergängen ein Mousselintuch in der Hand, um ihr Anlitz augenblicklich wieder zu verhüllen, wenn sich irgend ein Neugieriger zeigt. Doch beobachten sie diese züchtige und peinliche Ziererei, welche die althergebrachte Landessitte hei- ligt, gegen Europäer etwas weniger strenge, als gegen die Eingebornen. Nicht als ob sie für uns eine besondere Vor- liebe hegten, sondern weil sie wissen, dass die christlichen Frauen ihr Gesicht den Männeraugen zeigen dürfen, ohne dadurch gegen die Sitte zu verstossen ‘oder in der Achtung zu verlieren. Auch wäre es für eine Maurin schwer, sich, ohne auf den Terrassenspaziergang zu verzichten, ganz den Blicken der Neugierigen zu entziehen, da manche Europäer mitten in dem maurischen Stadtquartier wohnen und an den milden Abenden hartnäckig ausharren, um die Mysterien der Nachbarhäuser zu belauschen. Man könnte diese detaillirte Beschreibung der algierischen Bauart noch mehr detailliren, würde aber dem Leser, der nie Abbildungen maurischer Ge- bäude gesehen, keine deutliche Idee beibringen. Ich wieder- hole nur, dass bei allen Mängeln derselben der Totalein- druck zwar nicht imposant, wie der ehrwürdige gothische oder der classisch griechische Styl in den grossen Denkmä- lern Europas, doch etwas das Auge Erfreuendes hat, fast in der Art, wie das malerische Kleid der Mauren selbst. Der angenehme Eindruck wird bei dem Reisenden noch vermehrt, weil er in der Exkorsarenstadt viel weniger suchte. Das In- nere einiger Algierer Gebäude, z. B. des Wohnhauses des Gouverneurs, der Mairie, des Justizgebäudes, würden auch in europäischen Hauptstädten die nach Sehenswürdigkeiten lü- sternen Leute in Menge anlocken. Bei Tage, wenn ein 42 blauer, goldduftiger Himmel über diese Säulenhalle sich wölbt, wenn die Adern des Marmors, die verwundene Far- benzeichnung der Fayenzawände, die seltsam gestalteten Colonnaden, die gewölbten Bögen, das fremdartige Schnitz- werk der 'Thüren, von der flüssigen Helle oben beleuchtet sind, da hat der Anblick eines maurischen Hauses die bunte Zierlichkeit wie ein farbengeputzter Vogel des Tropenlandes. Das Fremdartige der Form kommt so wenig unheimlich vor, als ein freundliches Feenmärchen den kleinen Kindern. Es ist nichts Mysteriöses in den ungewohnten Gestalten, weil der Tagesstrahl sie verklär. Man gefällt sich, durch die Gale- rien zu wandeln in der feierlichen Haltung des Orientalen, bald mit Hand und Wange die glattkühle Porzellanwand zu streicheln; bald dem Murmeln der Fontaine zuzuhören. Ge- gen Abend wechselt das Bild bei dämmernder ‚Beleuchtung. Die freundliche Magie der Halle verschwindet, es sieht recht spukhaft in den weiten Galerien aus, und wandelt man durch die stillen Gänge, wo jeder feste Schritt dem Wandler nach- hallt, und schaut empor nach dem hohen Gemach, wo die Säulen wie versteinerte Riesen oder Grabwächter lagern, da hat man eine Ahnung von den Gefühlen Champollion’s, als er in dem alten Königsmausoleum der thebaischen Todten- ebene sein einsames Quartier aufschlug. Der Schauer des Gebäudes mildert sich aber wieder, wenn die Nacht völlig hereingebrochen und jene „‚tausend Schafe silberweiss‘“ aus ferner Heimath heruntertrösten. Unter den merkwürdigen Gebäuden nenne ich vor allen die Kasbah oder Citadelle, die Residenz des letzten Deys, welche, das höchste Gebäude auf dem Hügel, über dessen Rücken die Stadt gebaut ist, ganz Algier dominirt. Es ist ein sehr weitläufiges festes Schloss mit vielen Gemächern, 43 Höfen und bombenfesten Kellern. Durch Schönheit und Ele- ganz zeichnet sich aber weder die Kasbah noch der ehema- lige Palast der Deys, wo die Algierer Fürsten bis 1818 ihre Residenz hatten, vor den übrigen Gebäuden aus. Beide sind noch viel grösser, während sie den ehemaligen Jani- tscharenkasernen und selbst mehreren maurischen Privatge- bäuden an Reichthum nicht gleichkommen. Freilich mögen die Kasbah und der Deyspalast, welche jetzt in französische Kasernen verwandelt sind, seit der Eroberung viel gelitten haben; allenthalben sieht man die Spuren der Zerstörung an den abgerissenen Fayenzawänden. Von Weitem zeigt die Kasbah eine weisse unregelmäs- sige Masse, die man erst dann für eine Citadelle erkennt, wenn man die ungeheuren Kanonen, die durch schlechtgebau- te Schiessscharten ihre Mündungen strecken, unterscheiden kann. Die Franzosen haben die Kasbah durch Erbauung ei- nes Seitenthors mit der Landschaft in Verbindung gebracht; ehedem existirte nur eine einzige Pforte, die nach der Kas- bahstrasse führte. Letztere Pforte ist hoch genug, dass man zu Pferde eintreten kann. Sie ist von weissem Marmor. Eine arabische Inschrift befindet sich über der Wölbung, wie in allen übrigen dem Dey gehörigen Häusern. Vor dem Eintritt $ewahrte man in früherer Zeit einen grossen hölzer- nen Vogelbehälter mit weissen Tauben bevölkert, rechts von dem Thore eine Menge auffallender Zierrathen und über dem Thor den roth bemalten Rachen einer ungeheuern Kanone, die dorthin gestellt worden, um auf die Strasse im Falle ei- nes Aufruhrs zu schiessen. Ist man durch die Pforte getre- ten, so steht man vor einem dunkeln, gewölbten Gang, un- ter welchem ein Springbrunnen in ein weisses Marmorbassin fällt. Hat man den Gang hinter sich, so gewahrt man eine 44 Allee, welche zur ehemaligen Wohnung Hussein-Deys und zu mehreren Batterien führt. Eine zweite Allee zur Linken führt zum Pulvermagazin und zu den Batterien, die nach der Stadtseite gerichtet sind. Folgt man der Galerie, die an den gewölbten Gang stösst, so kommt man nach einem läng- lichen Vorhof, der die grosse viereckige Säulenhalle berührt, welche von sämmtlichen Gemächern der Deywohnung umge- ben ist. Inmitten dieser Halle standen früher, wie im Bey- palast zu Constantine, prachtvolle Citronenbäume und ein grosser Springbrunnen, dessen Wasser in zwei grosse, weiss- marmorne Becken fiel. Die Galerie auf der Südseite der Halle ist doppelt so breit, als die übrigen und besteht aus zwei Säulenreihen; es war Hussein-Deys Audienzsaal, wo er täglich seine Beamten empfing und öffentlich Gericht hielt. Längs der Mauer waren Bänke mit goldgestickten Sammt- kissen angebracht, auf welchen der Dey und die Mitglieder des Divan Platz nahmen. Die Wände dieser Galerie be- deckten einst Fayenzaplatten mit zum Theil sehr hübschen Zeichnungen. Sie sind jetzt grösstentheils herabgerissen oder beschädigt, eben so sind die übrigen Verzierungen, die schö- nen altmodischen Spiegel mit vergoldeten Rahmen, die engli- schen Pendeluhren u. s. w. völlig verschwunden. Dicht hin- ter dieser Galerie befanden sich die Gemächer des Khasena- dschi oder ersten Ministers und die Gewölbe des Staatsscha- tzes, wo 1830 die schlauen Schatzgräber vom Seinestrand wühlten, die es gar wohl verstanden uralte spanische Piaster und türkische Goldmünzen aus hundertjähriger Grabesruhe zu erlösen. Der Schatz, der an baarem Geld nahe an funfzig Millionen Franken betrug, war in grossen eisernen Kisten verschlossen. Von den übrigen Kostbarkeiten, den Juwelen, goldenen und silbernen Vasen und reichen Waffen wurde ein 45 grosser Theil entwendet; man beschuldigt-deshalb in Algier fast allgemein die nächste Umgebung des Generals Bourmont, doch wäre es schwer, hierüber einen genügenden Beweis zu führen. Hinter den unteren Galerien der Halle befinden sich meist kleine Gemächer, welche von den Hausbeamten Hus- sein-Deys bewohnt waren. Dieser Fürst nahm die zweite Etage ein, zu welcher eine Marmortreppe hinaufführte. Vor den Deygemächern liegt eine offene Galerie, welche eine Aussicht über Landschaft und Meer hat. Hussein-Dey hatte den östlichen Theil dieser Etage inne; er bewohnte vier Zimmer, von denen zwei sehr geräumig, nach orientalischem Geschmack decorirt waren, übrigens nichts Bemerkenswerthes zeigten. Auf derselben Seite der Kasbah befinden sich noch drei andere Säle, von denen zwei bei der Besitznahme dieses Schlosses durch die Franzosen mit prächtigen Waffen und Kleidungen angefüllt waren; im dritten war die Münzwerk- stätte. Den Zimmern des Deys gegenüber befanden sich die Gemächer seiner Frauen. Ueber der zweiten Etage stehen nur Terrassen und kleine Zimmer. Man hat von dort eine weite Aussicht über Stadt, Land und Meer. Oft spazierte hier oben der Dey, welcher die Kasbah nie zu verlassen wagte, und sah auf die Stadt hinunter, um zu belauschen, was dort vorgehe. Er sah von derselben Stelle die französi- sche Flotte, die seiner Herrschaft ein Ende machen sollte, der Küste sich nähern. Gegenwärtig besteht die Kasbah nur aus Kasernen und Magazinen. Die alte Pracht, welche meist in beweglichen Gegenständen bestand, ist jetzt aus dieser Deyresidenz gröss- tentheils verschwunden, auch das Bauwerk mannichfach be- schädigt worden. Man fand 1830 funfzig Kanonen von sehr 46 schwerem Kaliber. Sie waren von aussen grün angestrichen, die Mündung war roth bemalt; die Laffetten waren sehr mas- siv und ihre Räder unbeweglich. Der grösste Theil dieser Geschütze existirt noch, einige wurden nach Frankreich ge- schafft und in den Invalidenhötels aufgestellt. Vor 1818 bewohnten die Deys das grosse Gebäude, welches die südliche Facade des Marktplatzes bildet. Es ist das höchste und nach der Kasbalı das umfangreichste Gebäu- de der Stadt, aber aller frühere Luxus ist eben so ver- schwunden. Es sind jetzt Kasernen und Cantinen darin und das Innere enthält gar nichts Merkwürdiges mehr. Das sogenannte Kaiserfort ist ausserhalb der Stadt auf einem Hügel, 630 Fuss über der Meeresfläche , wie‘ alle Algierer Häuser aus Backsteinen gebaut. Den Na- men Kaiserfort erhielt es, weil Kaiser Carl der Fünfte 1541 auf diesem Hügel sein Hauptquartier hielt und dort mehrere Festungswerke errichtete. Bei dem An- griff der Franzosen gegen Algier im Juni 1830 flog das Kaiserfort grösstentheils in die Luft. Doch blieben die äus- sern Mauern stehen, und die innern Kasernen, wie die Ma- gazine sind wiederhergestellt worden. Im Kaiserfort befin- den sich zwei grosse Gewölbe zur Aufbewahrung des Pul- vers und funfzig türkische Kanonen in sehr schlechtem Zu- stand, wie überhaupt die Befestigungswerke der Stadt sehr vernachlässigt sind; denn an einen Angriff zur Seeseite, der nur von den Engländern gemacht werden könnte, ist wohl so bald nicht zu denken und noch viel weniger fürchtet man einen Angriff der Araber von der Landseite, denn nie ist es ihnen gelungen, auch nur ein Blockhaus einzunehmen. Die geringste, auch nur von wenigen Kanonen vertheidigte Schan- ze war für sie stets ein unübersteigliches Hinderniss. 47 Die Seeseite der Stadt Algier ist bedeutend befestigt. Im Jahre 1816 konnte der kühne Lord Exmouth noch wa- gen, in den Hafen selbst einzudringen und sein Schiff so dicht an den Kai anzulegen, dass sein Bugspriet fast die Häuser berührte. Jetzt würde selbst die stärkste Flotte eine solche Kühnheit theuer bezahlen, denn seit 1816 wurden rings um den Hafen sehr massive, mit Feuerschlünden wohl versehene Fortificationen errichtet. Im Westen steht das von den Franzosen neugetaufte Fort des vingt-quatre heures ; im Osten das Fort Bab-a-Zun. Andere Forts ziehen sich um den ganzen Golf vom Cap Caxines bis zum Cap Matifu oder Ras Temandfus fort. Beim Cap Caxines stehen die „Zorts de la pointe Pescade.‘“ Zwei Stunden östlich von Algier steht auf einem hohen Berg das Lager Kuba, dessen Ge- schütze weit in den Golf hineinreichen. Dann das befestigte „Maison carree.““ Weiter gegen Osten folgt dann das Fort de T’eau, dessen Bewachung den Ariben anvertraut ist. Endlich das Fort Matifu, das jetzt ganz verlassen steht. Unter den europäischen Bauwerken Algiers verdient nur ein einziges Erwähnung. Es ist das Wohnhaus des Herrn “Latour du Pin, eines reichen jungen Officiers vom Gene- ralstab, welches die westliche Fronte des grossen Platzes bildet. Der Bau desselben kostet beiläufig eine Million Fran- ken; es würde in einer jeden Hauptstadt Europas eine Zierde seyn. In der Strasse Bab-a-Zun ist ein neues Gebäude in halb maurischem, halb europäischem Styl. Es vereinigt das College, die Bibliothek und: den protestantischen Gebetsaal und verdankt seine Existenz dem trefflichen Civilintendanten Bresson, einem erleuchteten Mann von edlem Charakter, wel- chen trotz der zahllosen Widerwärtigkeiten seiner Stellung die innige Begeisterung für die Aufgabe, in Afrika eine 48 neue Welt der Bildung zu wecken, einige Jahre in Algier verweilen liess, obwohl er in Frankreich bei seiner Geschäfts- tüchtigkeit und bei seinem Rednertalent eine viel glänzendere Carriere erwarten durfte. Das Gebäude ist von aussen et- was buntscheckig und nichts weniger als geschmackvoll, wo- gegen im Innern für die schöne Ausstattung und Bequem- lichkeit nichts gespart worden. Das College hat für jede der verschiedenen Schülerclassen eigene Säle; es wird arabisch und französisch dort gelehrt und Kinder der verschiedensten Nationen, Deutsche, Spanier, sogar Neger versuchten sich ‘mit kleinen Parisern in französischen Stylübungen. Die Bi- bliothek fasst zwei grosse Säle mit Marmorsäulen ausgestattet und steht unter der Leitung des Herrn Adrian Berbrugger. Im Jahre 1839 belief sich die Bändezahl auf etwa 600, worunter das bekannte grosse Werk über Aegypten und einige schätzbare arabische Manuscripte, welche im Hause des Ben - Aissa und in verschiedenen Moscheen Constantines erbeutet worden. Das Museum in demselben Gebäude war bei meiner Abreise von Algier noch in der ersten Gründung begriffen. Vor der französischen Eroberung hatte Algier zehn grosse und funfzig kleinere Moscheen. Jetzt sind diese auf die Hälfte reducirt. Viele wurden niedergerissen, um die Strassen zu erweitern, oder andere Gebäude an ihre Stelle zu bauen. Dieses Schicksal hatte Algiers prachtvollste Moschee, die früher auf dem Marktplatze stand. Ihr innerer bewegli- cher Schmuck, namentlich die weissen Marmorsäulen, wurden theilweise aufbewahrt und zur Verschönerung der grossen Moschee in der #lue de la marine verwendet. Andere Algierer Moscheen erhielten eine von ihrem frühern Charak- ter völlig verschiedene Bestimmung. So ist eine Moschee 49 jetzt ein "Theater, eine andere ein Heumagazin, eine dritte eine Kaserne. Man hat nicht mit Unrecht der französischen Regierung diese rücksichtslose Entweihung der mahomedani- schen Gebethäuser vorgeworfen und gewiss war dies eine je- ner Massregeln, welche die Eingebornen der neuen Herr- schaft am wenigsten vergeben und vergessen konnten. Auf der andern Seite war die Zahl der Moscheen im Verhältniss zur Bevölkerung aber viel zu gross. Die Türken, wie auch viele Mauren wanderten nach dem Orient oder andern Gegen- den der Berberei aus, was also die Andächtigen in den Mo- scheen immer mehr verringerte. Dabei war das Bedürfniss der Armee und der ersten Ansiedler, die alle unter Dach ge- bracht seyn wollten, natürlicher Weise bedeutend; man musste Magazine, Kasernen, Spitäler einrichten und wollte doch nicht Privatleute aus ihren Wohnhäusern werfen. So findet also die Regierung bei ihrem so hart angegriffenen Verfahren gewiss gerechte Entschuldigungen genug, wie schmerzlich man auch immer bedauern muss, dass durch diese Verletzung des religiösen Gefühls so viele Eingeborne den neuen Herren des Landes entfremdet wurden. Der schönste Bau, welchen die französische Regierung unternommen, war die Wiederherstellung einer grossen Mo- schee in der Marinestrasse, zu welcher der Herzog von Ne- mours 1836 den Grundstein gelegt hat. Alle Säulen und marmornen Zierrathen, die von dem Abbruche anderer Mo- scheen übrig blieben, wurden an diesen Bau verschwendet, der eine lange Facade weisser Marmorsäulen zeigt. Das Innere dieser Moschee ist nicht grossartig. Eine lange Säulenhalle von fast viereckiger Form, nicht über 25 Fuss hoch, schliesst mehrere Höfe ein, wo kolossale Orangenbäume und Cypressen mit ihren unverwelklich grü- Morıtz Wasner’s Algier, 1. 50 nen Laubfächern eine Marmorfontaine, aus der das heilige Wasser sprudelt, gegen die Sonnenstrahlen schützen. An die- sem Brunnen waschen die andächtigen Muselmänner Hände, Füsse und Gesicht sehr sorgfältig beim Ein- und Austritte. Der Boden der Moschee ist mit Sammtteppichen von verschie- denen Farben belegt, am reichsten sind dieselben in der Nähe des Allerheiligsten, das aus einer bogenförmigen Wandvertie- fung besteht, in welcher der Mufti, der Imam oder Mara- but während des Gottesdienstes die Gebete spricht. Ueber den Gottesdienst der Muselmänner in Algier werde ich in ei- nem andern Abschnitte ausführlicher sprechen. Der Eintritt in die Moschee ist, seitdem Algier in die Gewalt der Chri- sten gefallen, nicht mehr untersagt, nur müssen sie ihre Fuss- bedeckung wie die Muselmänner vor der Pforte ausziehen; die geheiligten Teppiche dürfen nur mit blossen Füssen be- treten werden. Vor 1830 wurde jeder Christ, den man in einem solchen Tempel traf, mit dem Tode bestraft; der Fussboden wurde alsdann sorgfältig wieder gewaschen und die Wände neu angestrichen. Jetzt haben sich die Maho- medaner in den Küstenstädten der Regentschaft daran ge- wöhnt, Franzosen in ihren Moscheen zu sehen. Nähere Be- kanntschaft mit den Ungläubigen unter ganz andern Verhält- nissen hat sie mit diesen ziemlich ausgesöhnt und sie halten, wie es scheint, ihre Gotteshäuser nicht mehr durch deren Gegenwart entweiht. Die Ruhe, wie die Kühle in den wei- ten Säulengewölben der grossen Moschee machen das Verwei- len darin, namentlich in den heissen Monaten, recht wohl- thuend, Seele und Körper labend. Ich blieb darin oft stun- denlang an eine Säule mich lehnend und beobachtete die ein- zelnen Beter zur Tageszeit, oder ihre grössern Gruppen während des Abendgebetes. Es gab darunter sehr interes- al sante Figuren; mancher alte, schwermüthige, silberbärtige Maure, mit dem müden Auge sehnsüchtig nach den verheis- senen Freuden hinaufstarrend, sass seinem Enkel, einem hüb- schen rosenwangigen Buben zur Seite, in dessen Herzen, nach den sorglos heitern Zügen zu schliessen, der Fanatis- mus sich noch nicht eingenistet hatte. Dann war es wieder so wohlthuend, in den innern Höfen unter den Orangenbäu- men sich zu ergehen und bei dem Fontainegeplätscher nach- zudenken, zu träumen oder zu beten. Jede Moschee hat ei- nen Minaret (Thurm), oder Summo von den Arabern ge- nannt, meistens in länglich viereckiger Form, dessen höchste Spitze ein Halbmond schmückt. Oben umgiebt den Thurm ein Altan, auf den der Messuin sich stellt, wenn er die Gläubigen zum Gebet ruft, und über welchen eine hölzerne Stange emporragt, an der mit der Gebetmahnung zugleich eine weisse Flagge aufgezogen wird. Eine andere ziemlich schöne Moschee liegt am Eingange der Marinestrasse auf dem grossen Platz. Sie ist glänzend weiss angestrichen, viel schmucker, saubrer, als irgend eines der andern Gebäu- de, eine Kuppel wölbt sich über der Terrasse und wird wie- der von dem hohen Minaret überragt. Letzterer ist theilweise mit Fayenzaplatten in auffallender Form und Figuren beklei- det. Eine dritte merkwürdige Moschee ist in der Zlue de la porte neuve. Sie zeichnet sich keineswegs durch Grös- se, dagegen durch eine Pracht und Eleganz im Innern aus, ‘wie man sie in den übrigen nicht findet. Ihre Form ist fast rund. Eine kunstvoll gearbeitete Säule stützt die Kup- pel, deren Wölbung mit goldenen Zierrathen und Fayenza- platten decorirt ist. Neben der Wandnische und dem Aller- heiligsten, dem Platz des betenden Imam, steht eine Kanzel aus weissem Marmor. Das Geländer der agisen und K 32 der marmorme Thronhimmel über dem Prediger sind von wirklich vorzüglicher Arbeit, stammen aber wahrscheinlich aus Italien. Dicht an dem Thore Bab-a-Zun steht eine ganz kleine Moschee, welche nur selten geöffnet wird, aber durch ein vergittertes Mauerloch übersieht man ihr mit grossem Luxus ausgestattetes Innere. In den meisten Moscheen ist nur an marmornen Fussdecken ziemliche Verschwendung, im Uebri- gen sind die Wände weiss und kahl und ihr Anblick über- haupt sehr einfach. In jener kleinen Moschee hingegen sind Wände, Decken und Boden mit Sammt und golddurchwirk- ter Seide reich decorirt. Ueber einer Wandnische sind in verschlungenen Buchstaben Verse des Korans geschrieben. In der Nische selbst steht eine Art Altar von Marmor fast in der Form eines Sarges. Eine Menge von Fahnen, schwer von funkelnden Stickereien und barocken Formen bedecken denselben oder hängen schlaff und trauernd an ihrem Stabe, mit gesenktem Halbmond auf den Sarkophag herab. Dort ruht die Asche eines der berühmtesten Fürsten dieser See- räuberrepublik, Hayraddin Barbarossa, gegen welchen Carl’s des Fünften furchtbare Expedition im Jahre 1541 scheiterte. Die katholische Kirche, jetzt die Kathedrale Algiers, war ehemals eine Moschee. Sie liegt im obern Staditheile gegen das Ende der Divansstrasse, und obwohl nicht grösser als die beiden Moscheen in der Marinestrasse ist sie doch ein viel reinerer impesanterer Bau. Die schönste der Mo- scheen hat nur ganz niedere Säulenhallen, wogegen sich die Kathedrale in kühner Domform in die Lüfte wölbt. Säulen von funfzig Fuss Höhe stützen die Kuppel, die ihr Licht von oben durch gemalte Fensterscheiben erhält. Auf der Nord- seite steht der Altar, über ihm ein Muttergottesbild, welches 93 der Papst der Algierer Kirche geschenkt hat, und über dem Muttergottesbilde sieht man in verschlungenen arabischen Schriftzügen Sprüche aus dem Koran zum Preise Allahs. Dass man diese letztern Sprüche, die eine gar hübsche Ara- beskenverzierung bilden, in einem christlichen Tempel ge- lassen, fällt ein wenig auf, und mancher fromme Christ mag darüber der französischen Regierung einen Vorwurf machen. Ich selbst weiss kaum, ob ich diese französische Toleranz verdammen oder vertheidigen soll. Wenn es indessen über- raschen muss, bei dem Eintritte in ein christliches Gebethaus, statt der Bibelfragmente, statt. des Preises Gottes in einer christlichen Sprache, diese morgenländischen Charaktere zu schauen, welche Sinnsprüche einer religiösen Schrift wieder- geben, die von den Priestern Jesu als ein Werk des Satans, als ein Buch der Lüge, als die Irrlehre eines falschen Pro- pheten verdammt worden, so söhnt man sich doch bald mit jenen arabischen Glaubensmottos aus, sobald man ihren In- halt entziffert. Es ist der Ruhm des einzigen, wahren Got- tes, den sie enthalten, desselben Gottes, der nach dem Glau- ben der Mahomedaner auch die Rummis (Christen) erschaffen hat und seine Sonne über alle Länder scheinen lässt. Sprü- che der Demuth und Frömmigkeit aber beflecken nie ein Got- teshaus, in welcher Sprache sie auch geschrieben und wel- chem Buche sie auch entnommen seyn mögen. Viel befremdender als diese innere Ausschmückung der Kirche scheint mir der Gottesdienst und die aus den seltsam- sten Elementen zusammengewürfelte Versammlung. Die Mes- se ist fast rein militairisch; die Soldaten studiren dafür ein eigenes Exercitium ein. Muntere kriegerische Musik rauscht durch das Gebäude, während der Priester seine lateinischen Formeln murmelt, Der Schlag von zwanzig Trommeln don- >4 nert durch die Hallen, sobald der Sakristan mit der Glocke klingelt. Die Soldaten, welche im Vierecke vor dem Altare aufgestellt sind, präsentiren in demselben Augenblick auf das Commandowort ihres Officiers das Gewehr, beugen zugleich das rechte Knie und neigen das Haupt zur Erde, während der donnernde Trommelmarsch so lange fortdauert, bis das Vaterunser gebetet ist. Dann fallen die Musikchöre der Re- gimenter wieder ein, Opernfragmente von Auber und Meyer- beer spielend, der Priester trägt das Allerheiligste hinaus und die bunte Menge, die theils betete, theils den Musikchö- ren lauschte, theils nach den andächtigen jungen Spanierin- nen hinüberäugelte, strömt wieder plaudernd in den weiten Hallen, wie auf einem Promenadeplatze durch einander. Der protestantische Gebetsaal ist in dem neuen Biblio- thekgebäude, ein einfaches Gemach, wo ein Katheder die Kanzel und ein Tisch den Altar vertritt. Jeden Sonntag Abend ist dort der gewöhnliche Gottesdienst nach dem Cal- vinistischen Ritus, Gesang ohne Orgel, Predigt und alle Mo- nat einmal Communion. Zur Zeit meines Aufenthaltes wa- ren zwei protestantische Pastoren dort, die zugleich Seel- sorger für die Landbewohner, namentlich die Deutschen im Dorfe Ibrahim waren, wo viele Würtemberger wohnen. Trotz der allgemeinen religiösen Gleichgültigkeit in Algier war der protestantische Gottesdienst immer zahlreich besucht und unter seinem Auditorium, welches theilweise aus Katho- liken bestand, bemerkte ich immer Andacht und ernste Stille. Die acht Synagogen, in Algier Dschenovas genannt, stehen sämmtlich in dem untern Stadttheil.. Ihre Bauart kommt den Moscheen ziemlich nahe, mit Ausnahme der Mi- narets und der innern Brunnenhöfe, welche den Dschenovas fehlen. Durch eine oft sehr geräumige Vorhalle tritt man in 3) einen Saal von viereckiger oder länglicher Form, mit Tep- pichen oder häufiger mit palmgeflochtenen Decken belegt; die Wände sind mit Fayenza bekleidet. In der Mitte steht eine mit verschiedenen Farben bemalte, zuweilen auch mit Schnitzwerk verzierte Kanzel, welche der Rabbiner einnimmt. In kostbar verzierten Seitenbänken ist.in jener Synagoge der auf gerolltem Pergament geschriebene Text des alten Te- staments aufbewahrt. Während des abendlichen Gottesdien- stes werden Kronleuchter angezündet. Muselmännische Schulen zählte man vor der Ankunft der Franzosen gegen hundert, jetzt bestehet noch etwa die Hälfte. Man lehrt den Knaben den Koran lesen, schreiben und ein wenig rechnen; hierauf beschränkt sich die ganze muselmän- nische Erziehung in Algier. Die meisten Schulen stehen im obern Stadttheil, in der Kasbahstrasse; es sind sehr kleine Locale, die während der Dauer. des Unterrichts offen stehen, so dass man von der Strasse aus Alles sieht und hört, was im Innern vorgeht. Der Boden ist mit Palmdecken überlegt, auf denen die Zöglinge barfuss, einen Halbkreis bildend, mit gekreuzten Beinen sitzen. Der Schullehrer steht in der Mitte mit dem Stock in der Hand. Die Zöglinge schreiben mit Federn aus Rohr geschnitzt auf hölzernen Tafeln von der Linken zur Rechten die Stellen des Korans, welche der Lehrer ihnen vorsagt. Einer rutscht nach dem andern auf den Knieen zum Lehrer und zeigt ihm das Geschriebene; dann lesen es alle zusammen. Es geht ziemlich lärmend in diesen Schulen zu, aber der Lehrer verliert nicht einen Au- genblick seine Geduld und ruhige Haltung und schlägt nur sehr selten mit dem Stock. Im Ganzen zeigen die Schüler sehr viel Aufmerksamkeit und Eifer, ihr eigener Lärmen bei dem Hersagen oder Singen der auswendig gelernten Stellen 96 stört sie keinen Augenblick und durch die Vorgänge auf den Strassen oder das Verweilen eines Zuhörers lassen sie sich eben so wenig irre machen. Zwischen Lehrer und Schüler herrscht ein freundliches Verhältniss und wechselseitiges Ver- trauen. Nur äusserst selten zeigt der Lehrer Strenge und dann ist der Zögling gewöhnlich sehr empfindlich, so dass der Lehrer ihn wieder durch gute Worte besänftigen muss. Selten sind in einer Schule mehr als zwölf Zöglinge. Die Schulmeister werden sehr schlecht bezahlt. Der gewöhnliche Preis für jeden Schüler ist vier Rabbia-Budschus (40 Kreuzer) per Monat. Gewöhnlich verlassen die jungen Mauren die Schule im vierzehnten Jahre. Das freundliche Verhältniss zwischen dem Lehrer und dem ehemaligen Zögling dauert aber bis in die späteste Zeit fort und selten darf bei des grossgewordenen Schülers Hochzeitfeier der alte Präceptor fehlen. 97 HI. Fortsetzung der Beschreibung der Stadt Algier. Ge- richte. Tribunal superieur. Kriegsgerichte. Der Process Mon- cel’s. Das Gericht des Kadi’s. Bazars. Maurische und fran- zösische Kaffeehäuser. Die verschiedenen Religionsbekenner haben in Algier ihre besondern Gerichte. Das Tribunal superieur bestand zur Zeit meines Aufenthalts aus fünf Richtern (worunter ein Jude und ein Mahomedaner) und einem Präsidenten. Nach einer neuern Ordonnanz ist dieselbe auf zwei Richter und ei- nen Präsidenten, der selbst mit Stimme hat, reducirt. Das Tribunal superieur entscheidet in allen Civilklagen und Processen, insofern diese nicht blosse Handelsangelegen- dheiten betreffen, welche letztere vor das 7redunal du commerce kommen. Jede Klage zwischen einem Christen und einem Andersglaubenden richtet jenes Obertribunal. Klei- nere Vergehen von Mahomedanern verübt oder Klagen zwi- schen Individnen dieser Religion kommen vor den Kadi, Streitigkeiten zwischen den Juden vor den Chef der jüdi- schen Nation. Capitalverbrechen richtet immer das Obertri- bunal. Um die Einrichtung des Algierer Gerichtswesens hat sich der Deputirte Laurence sehr verdient gemacht. Er prüf- te die verwickelten Verhältnisse mit Geduld und Gründlich- keit und erkannte, wie schwer und unpassend die Einführung schneller, durchgreifender Reformen in der Gesetzgebung der 98 Eingeborenen sey, bei denen so viele religiöse Vorurtheile und oft bizarre, lächerliche, aber tief eingewurzelte und durch ihr Alter fast heilig gewordene Sitten zu schonen waren. Herr Laurence wohnte dann selbst der Einführung des neuen Systems bei und leitete dieses, welches fast ganz nach sei- nem Gutachten entworfen worden war, mit grosser Umsicht, so dass dasselbe, hauptsächlich wegen der klugen Schonung altherkömnilicher Institutionen und Sitten, unterallen Classen, wie unter den verschiedensten Religionsbekennern Anerkennung fand. Das Gerichtsgebäude liegt in dem obern Stadttheile, der Jtue de Üetat major. Die Sitzungen werden im innern Säulenhof gehalten. Zu keinem andern Zweck zeigt sich die maurische Häusereinrichtung vortheilhafter und man dürfte dieselbe Bauart für alle Gerichtshäuser Europas empfehlen. Die Zuschauer finden in den Galerien unter den Hallen ge- räumigen Platz, das innere Viereck der Halle ist von den Richtern, Advocaten, Zeugen, Huissiers, Dragomans u. s. w. oceupirt. Die Höhe der Halle, ihre schöne Ausschmückung mit Fayenza und Marmor und die magische Erleuchtung von oben tragen mächtig bei, das Feierliche der öffentlichen Ge-s richtsversammlung zu erhöhen. Es kamen während meines Aufenthaltes sehr viele interessante Processe vor, die auch öfters von drolligen Scenen wimmelten, denn unter den Klä- gern und Zeugen waren Männer der verschiedensten Natio- nen Europas und Afrikas, aus deren Aussagen und Antwor- ten bei mangelhafter Uebersetzung oft das tollste verwor- renste Zeug hervorkam. Bei wichtigen Processen dauern die Gerichtssitzungen oft bis in die tiefe Nacht; dabei sind die Galerien von Europäern und Eingebornen dann dicht bela- gert und in der Vorhalle oder vor der Thüre des Gerichts- hofes sieht man viele vermummte maurische Frauen, deren 39 schwarze Augen durch die Mousselinbinden funkeln, und die sehr neugierig auf den Ausgang der Processe spannen. Das Kriegsgericht ‚hält seine Sitzungen in einem kleinen Seitengässchen unweit des Thores Bab-a-Zun. Es ist fast permanent versammelt, da bei dem verworfenen Geist mehrerer Corps der afrikanischen Armee die schweren Vergehungen kein Ende nehmen. Die Fremdenlegion, die Disciplinar- compagnien und vor allen die Bataillons d’ Afrique, wel- che sämmtlich aus Individuen bestehen, die zur Strafe unter die afrikanischen Corps gesteckt worden, liefern auf die Ga- leeren Toulons zahlreiche Recruten. Das Kriegsgericht be- steht aus sieben Officieren, denen im Jahre 1837 der alte Obrist Schauenburg, ein Elsasser, präsidirte. Derselbe stand im Rufe eines tapfern, früher durchaus tüchtigen Officiers, war aber durch Alter und Wunden gebeugt und zu den mühseli- gen Expeditionen ins Innere nicht mehr recht zu brauchen. Er präsidirte mit vieler Würde, war übrigens von eiserner Strenge und stimmte stets für die härtesten Strafen. Das häufigste Verbrechen, das bei den Soldaten der französisch- afrikanischen Armee mit entehrender Strafe geahndet wird, ist der Verkauf der militairischen Effecten. Die Versuchung, sich mit Wein dergestalt zu betäuben, dass das Ungemach des Lagerlebens auf ein paar Stunden in Vergessenheit kommt, ist für viele so stark, so unbezwinglich, dass sie selbst auf die Gewissheit hin, noch viel elender zu werden, und die kurze Lust durch eine Jahrelang entehrende Zwangsarbeit bezahlen zu müssen, sich nicht abhalten lassen, ihre Effecten, oft sogar ihre Munition und Waffen an die Colonisten oder die Juden der Stadt zu verhandeln. Fast jeden Sonntag sieht man in Algier auf dem grossen Platz, wie Soldaten in Gegenwart der ausgerückten Garnison degra- 60 dirt und dann in grauem Sträflingshabit zur Zwangsarbeit ab- geführt werden. Selbst Hinrichtungen sind nicht selten und zu den Zeiten des strengen Herzogs von Rovigo gab es de- ren fast jede Woche. Ein merkwürdiger Process des Algie- rer Kriegsgerichtes, dessen Verhandlungen ich beiwohnte, war der des Deserteurs Moncel, eines Menschen von gewal- tiger Charakterenergie, dessen Schicksal Interesse erregte und verdiente. Er diente 1836 unter den Spahis als gemei- ner Reiter, nachdem er seines unbändigen Charakters wegen seinen Unterofficiersgrad verloren und wegen Insubordination öfters die Corps gewechselt hatte. Eines Tages hatte er mit seinem Lieutenant einen Wortwechsel, wobei letzterer ihn mit einem Fussstoss aus dem Zimmer warf. Moncel schwur, sich zu rächen. Er flüchtete sich in Begleitung ei- nes eingebornen Spahis, welcher der Disciplin eben so über- drüssig war, zu den Hadschuten und fand dort gute Auf- nahme. Das unstäte Leben sagte seinem abenteuerlichen Geiste zu und ihrerseits hatten die Araber in ihm einen ke- cken unternehmenden Führer bei allen räuberischen Ueber- fällen in der Nähe Algiers gewonnen. Moncel nahm ein Weib, wurde Scheikh eines Duars und stand in hoher Gunst bei Abd-el-Kader, für den er sich bei mehreren Gelegenhei- ten tapfer geschlagen hat. Der Emir sandte ihn sogar in ei- ner Mission an den Sultan von Marokko, von dem damals noch eine reichliche Unterstützung nach Maskara floss. Spä- ter lebte Moncel wieder bei den Hadschuten, seinem Adoptiv- stamm, an dem er mit besonderer Vorliebe hing. Im Novem- ber 1836 machte dieselbe Escadron Spahis, in welcher der Renegat gedient hatte, eine Excursion nach der Schiffa. Eine grosse Zahl Hadschuten erwartete sie dort in einem Hinterhalt; Moncel’s Herz pochte bei der ersehnten Rachege- 61 legenheit. Die Spahis sahen sich plötzlich von einem drei- fach überlegenen Feind überfallen und in dem Handgemenge traf Moncel mit demselben Officier zusammen, der ihn frü- her so schnöde behandelt hatte. Lieutenant Goert fiel von ei- nem Yataghanstiche durchbohrt vom Pferde, zwanzig Spahis wurden niedergehauen, die übrigen entrannen. Während nun die Hadschuten die Leichen entkleideten und nach ihrer Gewohnheit abscheulich verstümmelten, schnitt jener Deser- teur auf den nackten Körper seines Officiers mit dem Dolch: „Moncel 1836“ Die verstümmelten Leichen wurden in der Folge von den Franzosen aufgefunden und entflammten sie zur Rache, aber alle Bemühungen, Moncel durch bestochene Araber in irgend eine Falle zu locken, misslangen. Erst ein Jahr später wurde er auf dem Markt El-Arba, im Ge- biete des Stammes Beni-Mussa von einem Officier des Bureau Arabe, der sich mit einer Anzahl Spahis als gemeiner Araber verkleidet auf den Markt geschlichen hatte, gefangen genom- men. Sein Process erregte das ausserordentlichste Aufsehen. In dem engen Seitengässchen von Bab-a-Zun waren alle Zu- gänge von Franzosen und Eingebornen gesperrt , die letztern nahmen fast noch lebhaftern Antheil an dem Process, da Mon- cel ihr Glaubensgenosse geworden war. Dieser Mensch hatte viel Talent, war auch gut erzogen worden und besass eine natürliche eindringende Beredtsamkeit. Schon früher, als er noch in der Infanterie diente, stand er im Rufe eines famö- sen „Blageur,“ er vertrieb seinen Cameraden die Zeit an den Lagerfeuern mit allerlei abenteuerlichen Erzählungen, die er bald aus seinem eigenen Leben, bald aus seiner Phanta- sie schöpfte. Sein Aufenthalt unter den Arabern, wo er die so energische und farbenreiche Sprache des Landes sich an- gewöhnt, hatte seine merkwürdige angeborne Rednergabe 62 noch gestärkt. Er stand vor dem Kriegsgericht in arabischer Kleidung mehr in der Haltung eines Marabut, als in der ei- nes angeklagten Verbrechers. Seine Sprache, als er die schnöde Behandlung seines Vorgesetzten schilderte, hatte eine Stärke und Würde, dass unter den Zuhörern, wo er erst nur harten, rachesüchtigen Blicken begegnete, bald das tief- ste Mitgefühl für den Angeklagten laut wurde. Der erschla- gene Goert war vergessen und man hörte nur noch den Ruf: gräce, gräce pour Moncel! Jedes andere Gericht hätte vielleicht mildernde Umstände zugegeben. Moncel’s Richter aber waren sämmtlich ergraute Militairs, die, obgleich selbst vielleicht im Innern erschüttert, dieses Gefühl niederzukäm- pfen wussten. Obrist Schauenburg leitete die Debatten in seiner ranhen kräftigen Weise und der Rapporteur stellte den Richtern vor, wie nothwendig es sei, allen „mauwvaises zetes‘“ der Armee ein warnendes Beispiel zu geben. Diese Gründe überwogen, Moncel wurde zum Tode verurtheilt und vor dem Thor Bab-el-Uad erschossen. Sein Tod hatte un- ter den Eingebornen sowohl, als unter einem Theil der Sol- daten seines Corps, denen er noch mit gebundenen Händen auf den Knieen liegend zurief, sich nie eine Misshandlung gefallen zu lassen, grosse Bewegung hervorgebracht und die Hadschuten, seine Freunde, schwuren energisch, seinen Tod, wie den eines Marabut, zu rächen. Sie hielten diesen Schwur treulich und alle jene Mordthaten, die der Friede an der Tafna eine Zeit lang gehemmt, die gegen Ende 1837 aber mit erneuten Schrecken wieder begannen, wurden auf Rech- nung des erschossenen Renegaten geschrieben, dessen Tod die Araber dem General Damremont so wenig verzeihen wollten, als früher die Hinrichtung des El -Arbi-ben- Mussa unter der Regierung des Herzogs von Rovigo. 63 In einem Seitengässchen der Strasse Bab-el-Uad ist der mahomedanische Gerichtshof, eben so öffentlich, wie das fran- zösische Obertribunal und diesem an würdiger Haltung nicht nachstehend. Der Kadi-Maleki ist in Algier der mächtigste und angesehenste weltliche Beamte der Mahomedaner , sowie der Mufti-el-Hanephi der wichtigste unter den Geistlichen ist. Zur Zeit meines Aufenthaltes bekleidete diese Würde Sidi-Hamet-ben-Dschadun, ein mild ernster Greis, der jenen orientalischen Anstand, jene Prophetenmajestät, die bei schö- ner Männlichkeit und malerischem Costume so wohl steht, in hohem Grade besass. Der Kadi-Maleki hält seine Gerichts- sitzung in einem einfachen, blos mit Teeppichen gezierten Gemach. Er unterscheidet sich von den übrigen Mauren durch seinen hohen bauschigen in viele regelmässige Falten gelegten Turban, den ausser ihm auch die Khodschas, seine Unterrichter oder Schreiber, tragen und der zugleich das At- tribut der mahomedanischen Geistlichen aller Art, Imams, Ulemas, Thalebs, Marabuts in den Städten ist. Der Kadı nimmt am Ende eines länglich runden Tisches einen erhöh- ten Sitz ein. Vor ihm ist ein in Gold gebundener Koran aufgeschlagen. An demselben Tische sitzen zu seiner Linken und Rechten die Khodschas, welche alle Gerichtsfälle ad acta nehmen, die bei Verkäufen oder andern Contracten nöthigen Documente ausfertigen und bei schwierigen Streitfragen dem Kadi auch wohl einen Rath zuflüstern. Es sind zwölf solcher Khodschas in Algier, die aber an gewissen Tagen in ihren sehr lucrativen Functionen sich ablösen. Die meisten sind schöne Männer mit prächtigen Bärten, die einen eisgrau und gefurchten Antlitzes, andere tragen schöne, milde fleischig frische Männerzüge mit kraftblitzenden Augen und pechschwar- zen, Bärten. Kläger und Angeklagte treten, von den 64 Schiauschs oder Gerichtsdienern geführt, dem Kadi gegenüber an das entgegengesetzte Ende der Tafel. Sind unter den Klä- gern Frauen, so werden sie nicht in den Gerichtssaal einge- lassen, sondern tragen dem Kadı ihre Angelegenheit vom Hofe aus durch ein vergittertes Fenster vor. Oft sind diese Processe selbst für die, welche nur eine mangelhafte oder auch gar keine Kenntniss der arabischen Sprache ha- ben, ungemein unterhaltend, besonders wenn Frauen als Klä- gerinnen auftreten. Ihre durch lebhafte Gesticulation unter- stützte Zungenfertigkeit, der unerschütterlichen Ruhe des Kadi gegenüber, welcher Klägerinnen und Verklagte durcheinander schreien lässt, ohne durch irgend eine Bewegung oder Miene seine Ungeduld zu zeigen, ist ein unvergleichlicher Contrast. Kein Skandal vermag den Kadi aus seiner würdevollen Hal- tung zu bringen. Mit gesenktem Haupte ruhig nachdenkend 'horcht er den kreischenden Stimmen zu, stellt dann zuweilen eine Frage, vernimmt die Zeugen, wenn es deren giebt, und fällt zuletzt sein Urtheil in demselben berechneten wohl abge- messenen Anstand. Immer wird sein Ausspruch ohne Appel- lation in demüthiger Ergebung angenommen und die Par- teien küssen ihm stets vor und nach dem Urtheilsspruch die Hände. Das Urtheil wird gewöhnlich auf der Stelle vollzo- gen. Die Bastonade auf die Fusssohlen ist die häufigste Strafe gegen Uebelthäter und wird von diesen dem Gefängniss vor- gezogen. Es gereicht der französischen Regierung zur Ehre, dass sie Versuche gemacht, diese barbarische Strafe abzu- schaffen, aber sie fand dafür seltsamer Weise bei den Ein- gebornen keinen Anklang, keinen Dank, keine Unterstützung. Sie konnte natürlich diese humane Reform nur mit Beistim- mung der Eingebornen einführen und es fehlte von ihrer Seite nicht an vernünftigen Vorstellungen, die aber harte Ohren 65 trafen, deren menschenfreundlicher Zweck nicht begriffen wurde. Die Franzosen, bei denen unter allen Völkern Eu- ropas das Gefühl der Menschenwürde am tiefsten wurzelt, am kräftigsten sich regt, fühlen sich schon bei dem Gedan- ken einer körperlichen Misshandlung auf das Tiefste empört; es spricht dieses Gefühl gewiss immer für die hohe Bildung eines Volks. Barbaren sehen in dieser Strafart durchaus nur den physischen Schmerz, und ist dieser überstanden, so bleibt ihr Geist nicht niedergedrückt, nicht entehrt für die Zukunft. Jeder gefallene Beamte, auch der Minister, konnte zu den Zeiten der Deys mit Schlägen bedacht werden; er trat dann ruhig wieder in das Privatleben, liess sich das Essen schmecken und fand seine Freunde nach wie vor, da keine Schande an ihm haften blieb. Vor Gefängnissstrafe hingegen schaudert der Araber, weil er seiner Familie entrissen wird, für diese nicht sorgen, nicht wachen, in der Moschee nicht beten kann, weil er überhaupt an diese Strafart nicht ge- wöhnt ist. Geldstrafen sind bei dem bis ans Unglaubliche grenzenden Geiz der Eingeborenen vielleicht noch entsetzlicher für sie, und es wäre kaum durch unwürdige Zwangsmittel etwas von ihnen zu bekommen, denn Manche liessen sich eher das Fleisch vom Leibe: schneiden, als dass sie ihre Duros und Sultanes opferten. Daher wurden auch alle von Hrn. Laurence in sehr lobenswerther Absicht vorgelegten Re- formen mit wahrem Entsetzen abgelehnt. Nicht Eine Stimme unter ihnen gab diesem menschenfreundlichen Plane Beifall, und so that die französische Regierung wohl und weise, dass sie ihren mahomedanischen Unterthanen die alte Gesetzgebung, deren Druck sie so wenig fühlten, als die Schnecke die Last ihres Hauses, gelassen hat, der Zeit und dem Contacte mit einem aufgeklärten Volke sie überlassend, ihnen selbst ein- Morıtz WAGNeERr’s Algier. I, 5) 66 mal den Wunsch der Aenderung ihres Strafsystemes abzu- dringen. Es giebt in Algier einige grosse Bazars, wo die frem- den Kaufleute ihre Waaren ausstellen. Man denke sich hier aber nicht jene prächtigen alten Bazars von Bagdad oder Te- heran, voll von den schimmernden Erzeugnissen des Orients, wie sie einst nach den Erzählungen arabischer Schriftsteller existirt haben sollen. Selbst neben den Bazars von Smyrna oder Constantinopel, die auch noch weit entfernt sind einen hohen Begriff von asiatischem Luxus zu geben, würden die Algierer Bazars sich ziemlich armselig ausnehmen. Es sind weitläufige Häuser, wie die übrigen maurischen gebaut, nur mit dem Unterschied, dass auf jeder Seite der Säulengalerie mehrere von einander getrennte Gemächer stehen. Jeder Bazar hat zwei bis drei Stockwerke und enthält so viele Zim- mer, als man nur anbringen konnte. So oft früher ein frem- der Kaufmann, ein Muselmann oder Jude die Erlaubniss er- halten hatte, in Algier sein Quartier aufzuschlagen, miethete er im Bazar eines oder mehrere Zimmer, wo er seine Waa- ren an den Thüren ausstellte. Es fehlte ihm da nie an zahl- reichen Besuchen, die freilich meist nur Beschauer, selten Ab- nehmer waren, denn der Handelstand war hier so wenig, als in den übrigen Hauptstädten der Barbareskenstaaten je in be- sonderer Blüthe. In diesen Ländern, wo-reich zu gelten fast einem Todesurtheil gleich kam, war der Umsatz des Geldes immer nur sehr gering. Es gab einst Algierer Bazars, die über vierzig Gemä- cher hatten. Der grössere Theil derselben, ja die schönsten und merkwürdigsten sind- demolirt worden und es erhoben sich an ihrer Stelle grösstentheils Magazine und Kaufläden europäischer Manufacturwaarenhändler, welche den Pariser 67 Geschmack zum Vorbild wählten. Es giebt jetzt so schöne Kaufläden dort, als in den europäischen Seestädten zweiten Ravuges, wie Toulon und Nizza. Die Buden der eigentlichen eingebornen Händler, die keine Bazars bilden, sind klein und unansehnlich, aber nicht ohne Interesse für den Euro- päer durch die fremdartigen Formen, wenn auch nicht durch die Mannichfaltigkeit der aufgeschichteten Waaren. Es sind diese Buden wenig besser, als viereckige Löcher, die man durch einen plumpen hölzernen Vorhang zur Nachtzeit schliesst. Nur in der Divanstrasse finden sich einige reichere Buden, wo die Waaren mit Geschmack, Sauberkeit und Symmetrie ausgestellt sind; die meisten ihrer Besitzer sind Kuruglis*). Ihre Artikel bestehen grösstentheils aus Goldstickereien, wie Pantoffeln, Brieftaschen, Waffengehänge u. s. w., meist von ro- them oder grünem Sammt und alle mit schwerer Goldbroderie be- deckt, welche in der Regel mehr durch eine bizarre fremdar- tige Pracht als durch ihre Schönheit das Auge besticht. Die übrigen Waaren bestehen grossentheils aus wohlriechenden Essenzen von Rosen und Jasmin, einheimischen Seidenzeugen, die mit vielem Fleiss gewebt sind, aber natürlicher Weise als Handgewebe mit unsern Seitenfabrikaten weder hinsicht- lich der Schönheit, noch des Preises rivalisiren können. Viele aus Aloefaden gewebte Gegenstände, wie Jagdtaschen, Da- menstrickbeutel, Kinderschuhe u. s. w., sind mehr des seltenen Stoffes, als der Pracht wegen bemerkenswerth., Die Kuru- glis und Mauren, Besitzer dieser Buden, sind zum Theil ‚sehr reiche Leute, die. diese von Goldstickern unb maurischen Frauen verfertigten Gegenstände aufkaufen. Der Absatz ihrer Ar- tikel ist auch nach Europa nicht unbedeutend, denn niemals schifft ®) Kuruglis heissen die Söhne von Türken und Maurinnen. 15) % 68 sich ein französischer Militair oder sonstiger Reisender nach Tou- lon ein, ohne für seine vaterländischen Freunde allerlei Gegen- stände, welche an Afrika erinnern und durch ihre wunderlichen Formen oder Farben bei uns werth gehalten sind, einzukaufen. Zu den Orten, deren Besuch ich den Reisenden in Al- gier besonders empfehle, gehören die maurischen Kaffeehäu- ser, deren es im oberen Stadttheil allein über sechzig giebt. Ich brachte fast jedenAbend eine Stunde in einem derselben zu und es reuete mich selten dieser Besuch, denn wer Interesse für Volk und Sprache hat, der lernt und unterrichtet sich dort gleich gut. Es sind dies also jedenfalls keine un- nütz vergeudeten Stündchen. Zur Erlernung des arabischen Idioms ist kein Ort günstiger. Wenn auch selten viel ge- sprochen wird, so findet man doch immer die Mauren zum Gespräche aufgeräumter,, als an andern Orten, als zu irgend einer andern Tageszeit. Ueberdies ist es ein gar interessan- tes Physiognomienstudium, die langen Reihen der verschiede- nen mit kreuzweis übereinandergeschlagenen Beinen sitzenden Gäste zu mustern. Neben den unbeweglich ruhigen Mauren oder Kuruglis in bunter Türkentracht sitzt ein pechschwarzer Neger in demselben Schnitt des Gewandes, wiewohl meist in gelben schmuzigen Stoffen gekleidet. An diesen reiht sich ein hochgewachsener prächtiger Araber mit sonnenverbrann- tem Gesicht, die eisenfesten Glieder von langen weissen Ge- wändern umhüllt, das Haupt mit dem wollenen Haökh und einem Strick von Kameelhaaren umwunden; dann wieder ein Kabyle von kleinem Wuchs, zerlumpt, wild, stechenden Blicks, ein Mosabite aus der Sahara, ein Biskri von dem Blad-el-Dscherid und mitten unter ihnen wieder ein Fran- zose in Uniform oder nach der Mode von Paris gekleidet, an jede Gesellschaft sich gewöhnend und an alle Orte von seiner 69 muntern Laune begleitet. Das schönste maurische Kaffeehaus stand früher in der Marinestrasse unweit der grossen Mo- schee. Es hatte einen Saal, der in mehrere von Säulen ge- stützte Galerien getheilt war und einige hundert Menschen fasste. Ein anderes Kaffeehaus in demselben Styl gebaut, wiewchl nicht so geräumig, sah ich noch zu Ende 1836 in der Strasse Lalahum. Beide sind aber jetzt verschwunden. Europäische Speculanten haben diese Häuser gekauft und an ihre Stelle stattliche Neubauten, Hötels, Waarenmagazine er- richtet, welche Algier zwar um einige gute französische Häuser bereicherten, es dafür aber an einem Schmuck seiner afrikanischen Eigenthümlichkeit ärmer machten, denn unter allen heute noch existirenden maurischen Kaffeehäusern ist kein einziges, welches mit jenen den Vergleich aushielte. Die jetzigen sind finstere und unheimliche länglich gebaute Ge- wölbe ohne Marmorsäulen, blos mit zwei Reihen steinerner Bänke versehen, welche Matten aus Palmblättern geflochten decken. Auf diesen nehmen die Gäste in der bekannten Sitz- weise der Orientalen Platz. Die Küche, ein kleiner räuche- riger Winkel, befindet sich im aussenstehenden Hintergrund des Gewölbes in einer Vertiefung. Der Kaffee wird in klei- nen Porzellantassen,, die auf Blechgestellen ruhen, präsentirt. Er ist mit Farinezucker geschwängert, ziemlich stark und von angenehmen Geschmack. Fast die Hälfte der Tasse füllt immer der Kaffeesatz aus. Man erhält dazu eine roththönerne Pfeife mit langem Rohr und trefflichem Tabak; das Ganze kostet 1 Sou. Einen wohlfeilern Genuss kann man sich kaum denken. Der Besitzer eines grössern Kaffeehauses beküm- mert sich meist nicht viel um seine Wirthschaft, sondern sitzt in ernster Gravität am Eingang, sagt dem fränkischen Gast sein: „sbah el Krir ja Sidi“ (Guten Abend Herr), oder zu sei- 70 nen Glaubensgenossen das herzlichere: „salem - alaikum“ (ich grüsse Dich), und ruft nach dem Hintergrund mit donnernder Stimme: „tschib-Kaua — tschib Sibsi‘“ (bringe Kaffee, bringe Pfeife). Der Koch ist in der Regel ein Neger, die Aufwär- ter bilden hübsche maurische Knaben mit milchweissen und rosigem Gesichte, die statt des Turbans eine rothe Mütze auf dem glatt geschornen Kopfe tragen. In den besuchtesten Kaffeehäusern sind diese Knaben sauber, manchmal fast reich gekleidet, ihre Züge sind bis ins sechzehnte Jahr, wo der Bart wächst, mädchenhaft, fein und zart; manchmal trifft man un- ter ihnen auch bleiche verwelkte Gesichter, auf denen ein scheussliches Handwerk seinen verzehrenden Stempel gedrückt. Jedes grössere Kaffeehaus hat regelmässig alle Abende seine | Musik. Gewöhnlich ist das Orchester in der Nähe der Kü- che placirt, wo die Musici mit den dampfenden Kesseln liebäugeln und Begeisterung aus ihnen schlürfen. Die Instru- mente dieser afrikanischen Tonkünstler sind gewöhnlich eine dreisaitige Geige, Rebebb genannt, dann mehrere Arten Pfeifen und Guitarren und ein eigenihümliches T’amburineinstrument, Tarr genannt, welch letzteres aber selten im Kaffeehaus und viel häufiger bei lärmenden Festen unter freiem Himmel ge- spielt wird. Eben so ist die maurische Trommel und die Klappenmusik, die während des Beiramfestes und bei Hoch- zeiten nie fehlen dürfen, aus den Kaffeehäusern verbannt. Dort liebt man die Ruhe und eine sanfte, eintönige, sinne- schmeichelnde Musik, die zu den wollüstigträgen Träumen der Versammlung passt, sie nicht stört in ihrem Hinbrüten und die süssen, verworrenen Bilder ihrer üppigen Phantasie ihnen nicht wegscheucht durch irgend einen energischen Klang, der diese entnervten Mauren an Waffengeräusche und die rit- terlichen Thaten ihrer Altvordern mahnte. y 7ı Das besuchteste maurische Kaffeehaus ist jetzt in der Divanstrasse unweit der katholischen Kirche. Dort trifft man fast immer auch eine gute Zahl Europäer, da der Kaffee vortre{flich, die Gesellschaft interessant und das Orchester am besten besetzt ist. Ein uralter Maure ist dort Musikdirector. Er handhabt sein Instrument, die Geige, mit besonderer Ori- ginalität, sein Mienenspiel, das Wiegen seines Kopfes, die gravitätischen monotonen Geberden, haben etwas unausprech- lich Komisches,. Er war einer der Leibmusiker des letzten Deys und seit sechzig Jahren spielte er bei allen Algierer Festen. Daher ist er auch sehr angesehen, ein lieber Haus- freund in allen Familien. Er lieh ihnen bei Freud und Leid seine tröstenden Töne, spielte an ihrem Beschneidungstage, gab bei ihrer Hochzeit den Tact der Tänzerschritte an und entlockte an ihrem Grabe seinen Saiten denselben wehmüthig monotonen Klang, dessen Melodie zu Trauer und stiller Lust gleich gut zu passen scheint. Zuweilen sieht man in jenem Kaffeehaus der Divanstrasse auch öffentliche Mädchen, die zu dem Tact des Instrumentes tanzen oder singen. Der Be- sitzer dieses Kaffeehauses ist der Bruder des Braham - Schi- auch oder Algierer Scharfrichters und , wie dieser, eine äus- serst stattliche Gestalt, dabei sehr reich und unter den Mau- ren in sehr hohem Ansehen stehend. In einigen Kaffeehäu- sern des obersten Staditheiles sind die Scenen origineller und toller, so namentlich in der Nähe der Kasbah. Dort ist das griechische Kaffeehaus, dessen Eigenthümer, ein Spezziote, sein Publicum durch Scenen der niedrigsten Gemeinheiten an- zulocken sucht. Das frechste niedrigste Gesindel der Einge- bornen, häufig von liederlichen Europäern untermischt, tum- melt sich dort ohne Unterschied des Stammes und der Reli- sion, Muselmänner, Christen und Juden, Europäer und Afri- 72 kaner in den rohesten Orgien. Besoffne Weiber mischen ihre Stimme in das wüste Gesumme unharmonischer Instrumente und rauher Kehlen und tauschen und erwiedern unanständige Liebeleien mit, einer Rotte der abschreckendsten Gäste. Ein französischer Skizzenmaler zeichete und lithographirte diese fürchterliche Lasterhöhle, die zu den bizarrsten, aber abstos- sendsten Bildern des Algierer Lebens gehört. An glänzenden französischen Kaffeehäusern ist Algier im Verhältniss fast so reich, als an dumpfigen maurischen Kaf- feekellern. Im Hause Latour du Pin ist ein Etablissement dieser Art eingerichtet, welches den ausserlesensten der fran- zösischen Hauptstadt an die Seite gesetzt werden kann. An Spiegeln und sonstigen Luxusverzierungen wurde im grossen Prachtsaale allein für nahe an 25,000 Franken verschwendet. Ausserdem kommen noch manche andere Kaffeehäuser den Parisern an Schönheit nahe oder gleich. Es ist dies auch sehr begreiflich. Eine übermässige Zahl von Speculanten hat sich in Algier niedergelassen, da sie dort, wie in jedem neuen Land, wo Alles zu gründen ist, sehr lucrative Geschäfte machen. Da es nun kaum ein leichteres, angenehmeres Handwerk giebt, als das des Wirths und Kaffeeschenken, so wählten die meisten dieses Geschäft. Allein die Concurrenz zwang sie bald, auf alle Lockmittel bedacht zu seyn, um den Gästeschwarm anzuziehen, und so überbot bald ein Speculant den andern an neuen Bauten und neuer Pracht der Ausstat- tung ihrer Kaffeehäuser. Ueberdies ist in Algier die Zahl der Consumenten aller Art sehr bedeutend. Es ist ein jun- ger, lebensfroher und leichtsinniger Menschenschlag, der dort aus Europa eingebürgert ist. Die Handwerker, die viel ver- dienen, verzehren Alles; die Hauptconsumtion aber sichert immer das zahlreiche Militair, unter welchem eine Menge 73 reicher Officiere, Söhne von Generalen und hohen Beamten . der Kaiserzeit, aus Frankreich reichliche Renten beziehen und in Algier ein höchst verschwenderisches Leben führen. Ausser dem grosseen Kaffeehaus im Palast des Herrn Latour du Pin nenne ich das Cafe d’ Apollon, Cafe de U’ Eitocdle und das Dessaue’sche Kaffeehaus, wo die schönste Dame Al- giers, eine Deutsche, das Comptoir präsidirt. Der berühmte Yussuf hat mit ihr einen eben so abenteuerlichen Roman ge- spielt, als weiland mit der schönen Kabourea des Beys von Tunis, von welcher Fürst Pückler-Muskau mit möglichster orientalischer Ausschmückung seineu Lesern erzählt. 74 IV. Leben und Sitten in Algier. Der Ramadan und Beiram. Mahomedanischer Nachtgottesdienst. Das maurische Volks- theater Gharaguss. Die Belustigungen des Beiram. Maurische Hochzeiten. Eine Beschneidung. Eine Hinrichtung. Begräb- nisse. Kirchhöfe. Jüdische Sitten. Leben der Europäer. Deut- sche Belustigungen. Spanische Bälle, Wenige Stadtbevölkerungen der Welt bestehen aus so heterogenen Elementen, wie die Einwohner der Stadt Algier. Es leben hier Mauren, welche die stärkste Zahl bilden, Tür- ken, Kuruglis, Neger, Kabylen, Mosabiten, Biskris und Ju- den; von europäischen Nationen giebt es, nächst den Fran- zosen, besonders viele Spanier, Malteser, Italiener und Deut- sche. Mauren, Türken und Kuruglis tragen fast gleiche Tracht in dem bekannten orientalischen Schnitt, bunte Tur- bans, gestickte Westen, farbige Leibbinden und weite Pan- talons, die bis an die Kniee reichen. Die Neger gehören einer der hässlichsten schwarzen Racen aus dem west- lichen Sadan und Guinea an und kleiden sich wie die Mau- ren. Die in Algier lebenden Kabylen sind nur Tagelöhner der ärmsten Classe, welche nie über ein paar Jahre dort zu- bringen und mit ihrem ersparten &eld dann nach ihren Ber- gen zurückkehren. Sie tragen blos eine schmuzige Woll- tunica, ihre Beine sind nackt; die meisten sind in elende Lumpen gekleidet. Mosabiten oder Beni-Mzab heisst ein in- 75 teressantes Völkchen, welches drei Oasen der Sahara bewohnt und von dem einige hundert Individuen in Algier seit drei Jahrhunderten im Besitz des Monopols der Bäder und Müh- len sind. Sie tragen eine saubere arabische Tracht, sprechen ihre eigene Sprache, sind industriös, einfach, genügsam, gut- müthig. Die Biskris sind Bewohner der Stadt Biskara im Süden der Provinz Constantine, welche gleich den Kabylen in Algier Taglöhnerdienste verrichten und, wenn sie ein Sümmchen sich erspart haben, in ihr Vaterland zurückkehren. Sie sprechen einen arabischen Dialekt und kleiden sich im maurischen Schnitt, tragen aber armselige und zerlumpte Ge- wänder. Die Juden haben gleichfalls die orientalische Tracht, sind aber sehr leicht durch die schwarze oder doch dunkle Farbe ihrer Kleider bemerkbar. So viel einstweilen über die Bevölkerung Algiers; eine ausführliche Skizze der verschie- denen Nationen folgt im zweiten Bande. Aus dem Leben und den Sitten dieser Völker sind vor allem die religiösen Gebräuche erwähnenswerth. Den Beginn des mahomedanischen Ramadans verkündi- gen in Algier 101 Kanonenschüsse, die aus einem grossen Sechsunddreissigpfünder“ in der Nähe des Hafens abgefeuert werden. Die mahomedanische Bevölkerung muss für einen jeden Schuss einen Duro (5 Fr. 20 Cent.) an die städtische Behör- ‘ de zahlen, so dass diese Ehrensignale von Seite der Fran- zosen eben keine Gefälligkeit sind. Gleich nach dem Schuss werden auf dem Altan der Moscheenthürme eine Menge Lam- pen angezündet, welche den Halbmond, der die Minaretspitze krönt, mit einem strahlenden Feuerkranz verklären. In die- sem Liampenkreise steht ein Priester, der Messuin, in seinem Feiergewand, welcher die weisse Fahne emporzieht, das Lob Gottes nach den vier Weltgegenden hinaus und zum Himmel - 76 hinaufschreit und die Gläubigen zum Gebete ruf. Kaum dürfte in Algier ein Mahomedaner über die Kinderjahre hin- aus seyn, der dieser Gebetmahnung nicht Folge leistete. Nicht Alter, nicht Reichthum hält die maurischen Graubärte ab, ihre müden Glieder nach der Moschee zu schleppen. Die 39 Moscheen, die bei meiner Anwesenheit noch existirten, waren zur Zeit des Ramadans mit Andächtigen immer dicht gefüllt. Ich fand mich, obwohl kein Renegat, bei diesem Gottesdienst ziemlich regelmässig ein. Neugierde und jene uns Deutschen so eigenthümliche Lust an mysteriösem schauer- lichem Spectakel zog mich, so oft ich die Stimme des Mes- suin hörte, nach der Moschee, wo ich auch einigermassen die vage Andacht der Versammlung theilte. Der Besuch der Moscheen ist den Christen in Algier unverwehrt, nur müssen diese sich der allgemeinen Sitte fügen und die Fussbedeckung vor dem Eintritt ausziehen, denn die heiligen Teppiche dür- fen nur mit blossen Füssen berührt werden. Das grosse in- nere Säulengewölbe der Hauptmoschee in der Marinestrasse ist während des Ramadans durch viele Lampen erleuchtet. In der Wandnische des Allerheiligsten steht der Mufti-el- Hanephi oder Scheikh - el-Islam, den Koran vor sich, in welchem er mit gesenktem Haupt erst lange leise murmelnd liest. bis die Versammlung zahlreich geworden. Die Beter bilden, das Gesicht dem Allerheiligsten zugewendet, mehrere lange Reihen. Sie stehen oder sitzen mit gekreuzten Beinen regungslos und stumm, es scheint ein Gottesdienst von Sta- tuen. Plötzlich aber erschallt die Stimme des Priesters, der durch einen einzigen kreischenden Ton diese starren Gestal- ten elektrisirt. Der Inhalt des Priestergebetes ist wenig in- teressant. Es ist ein beständiges Gotteslob, ein Aufzählen aller möglichen Adjectiva zum Preise Allah’s, dann liest er 77 wieder Suraten des Koran vor und oft bricht er in ein un- verständlich schneidend wimmerndes Geschrei aus, welches wie das Wehgeheul eines Gefolterten klingt. Es liegt darin etwas äusserst kläglich Demüthiges.. Der bezeichnendste Charakter des Ramadangebetes ist ein Wurmkrümmen vor der Majestät einer grossen ernsten Gottheit. Uebrigens ist die Melodie des betenden Mufti nicht immer ganz unangenehm grell, sie gleicht manchmal einem wehmüthigen Gesang und lässt ihre Laute lange verhallen, wie die Stimme gewisser Waldvögel. Bei jedem Siuken oder Steigen der Priester- stimme fallen die Beter in die seltsamsten Zuckungen, stür- zen sich häuptlings auf den Teppich, knieen, beugen sich, richten sich convulsivisch auf und krümmen sich wie Gewür- me, aber alles regel- und gleichmässig, jede Bewegung dem Tact des Gebetes angemessen. Ein merkwürdiger Anblick, den stolzen Muselmann vor seinem Allah sich beugen zu sehen mit der zitternden Demuth eines sündigen Sklaven! Diese Andächtigen stehen unter einander ohne irgend eine Rang- ordnung, wie ohne Unterschied eines Stammes. Ich erblickte darunter Mauren, Türken, Kuruglis, Araber, Kabylen, Bis- kris und Neger; fast jedes Volk der Berberei hatte seinen Repräsentanten geschickt. Der Türke in bunter prächtiger Kleidung kauerte nieder an der Seite des schmuzigen halb- nackten Biskri; der meist bleiche Maure mit edelgeformten Zügen neben der missgestalteten Orangutanglarve des Sudan- negers, alle mit denselben Gefühlen frommer Andacht jenem Wesen zugewendet, von dem die Räthsel der Farben und Gestalten ausgegangen. Die Muselmänner halten während des Gebets stets einen Rosenkranz um ihre Hände geschlungen. Bekanntlich ist der Gebrauch desselben von den Mahomedanern auf die Christen 78 verpflanzt worden. In Algier bestehen diese Rosenkränze aus den aneinander gereihten runden Körnern der Zwerg- palmfrüchte (Chamaerops humilis), welche künstlich gedrech- selt mit ihren vielen seltsam gewundenen Hieroglyphen ähnelnden Adern ihrer mysteriösen Bestimmung entsprechen. Die Priester aller Classen, so auch die grosse Zahl der ara- bischen Marabuts, auch viele bejahrte Beduinen tragen diesen Rosenkranz um den Hals gewunden. Einige der berühmtesten Heiligen dieses Landes, worunter auch Abd-el-Kader, legen denselben fast nie aus der Hand. Hat der Muselmann sich müde gebetet, so bleibt er eine Minute lang unbeweglich, neigt das Haupt auf die Brust, rüttelt zum letztenmal an seinem Rosenkranz und murmelt dem heiligen Ort die Abschiedsphrasen. In einem der Höfe, wo, wie ich bereits erwähnt, Marmorfontainen und Südfrucht- bäume stehen, wäscht er sich sehr sorgfältig Hände und Füsse mit dem geweihten Wasser, zieht dann seine Sandalen wieder an und verlässt die Moschee mit der gewöhnlichen ravität. Jedes Individuum der verschiedenen Völker kehrt von diesem Vereinigungspunkt, wo der Unterschied der Stän- de aufhört, zu seinem gewöhnlichen Leben und Treiben zu- rück; der Maure in sein steinernes Haus, wo im der Säulen- halle die Gattin ihn mit Liebkosungen empfängt, der Araber in seine Wildniss, der Kabyle auf seine Berge. Auf ihrem Heimwege machen sich diese andächtigen Beter keinen Skru- pel daraus, das Eigenthum ihrer Glaubensbrüder zu plündern, oder dem ersten Christen, den sie in der Einsamkeit ertap- pen, die Kehle abzuschneiden. Während der dreissig Tage des Ramadan fasten die Maho- medaner von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, dagegen halten sie sich während der Nächte für diese Entbehrung 79 reichlich entschädigt. Da schmausen sie um so mehr und besser und vergnügen sich auch in anderer Art durch Musik, Tänze, theatralische Vorstellungen und verschiedene Possen, die an unsere Carnevallust so ganz und gar erinnern, dass man sich fragen möchte, ob nicht auch diese uralte Sitte der Islambekenner von diesen auf die Christen, wie so man- cher andere Gebrauch vererbt worden ist? Das Fasten am Tage wird mit lächerlicher Strenge gehalten und erst, wenn die Sonne unter den Bergen versunken ist und der Kanonen- schuss gedonnert hat, fallen die Mauren mit Begierde über ihre Speisen her, die schon lange bereit standen, die aber Niemand vor diesem Signale zu berühren wagte, Ich habe ein sonderbares Beispiel von dieser Gewissenhaftigkeit in der Befolgung der religiösen Ceremonien erlebt. Auf meinen Ausflügen in das innere Land hatte ich einmal einen Biskri auf einige Tage in meine Dienste genommen. Durch einen unglücklichen Zufall verloren wir unsere Lebensmittel und brachten in den östlichen Gegenden der Ebene Metidscha 24 Stunden ohne die geringste Nahrung zu. Als wir Algier wieder erreichten, war es früh Morgens; ich bezahlte meinen Biskri und eilte zu Tische. Eine Stunde später sah ich ihn wieder in eine Ecke des Hafens gekauert. Ich fragte ihn, ob er gegessen; er schüttelte ernst den Kopf, mit dem Aus- rufe: „Allah amehr sahm!“ d. h.: „Gott befiehlt mir noch zu fasten.“ Er harrte mit dem leeren Magen und dem Bro- de in der Kapuze bis zum Abend aus. Der Hunger quälte ihn ohne Zweifel arg, dies drückten seine blassen, magern Züge deutlich aus, aber er hätte um keinen Preis gegessen. Als der Kanonenschuss krachte, riss er das Brod aus der Kapuze und verschlang die Bissen gierig wie ein Wahn- Sinniger. 50 Die Nächte hindurch wird der beste Kuskusu mit ge- trockneten Weinbeeren, dazu Hammelsbraten und Früchte verzehrt. Die erwähnten, unserm Fasching entsprechenden Belustigungen bestehen in obscönen Maskeraden, die man an den Abenden in den meisten grösseren maurischen Kaffee- häusern trifft. Es sind darunter allerlei Thier- und Men- schengestalten in geschmacklos grotesken Aufzügen. Ihre Geberden und Bewegungen ahmen so anstössige Scenen nach, dass ich die Beschreibung dieser Lustbarkeit hier ganz über-- gehen muss. Ein anderer Ort, der während des Ramadans zahlreichen Besuch von Eingebornen und Europäern er- hält, ist das maurische Volkstheater Gharaguss. Dasselbe befindet sich in einem der schmuzigsten Winkel der Stadt. In einem finstern Gewölbe sieht man dort eine Menge von Eingebornen, namentlich Biskris und maurische Knaben, auf der Erde gekauert sitzen. Die Blicke Aller sind dem Hin- tergrunde zugewendet, wo, ganz ähnlich unsern chinesischen Schattenspielen, auf einer erleuchteten, ölgetränkten Papier- platte die schwarzen, redenden Figürchen erscheinen. Unter diesen zeichnet sich denn Gharaguss, der maurische Hans- wurst, durch seine riesenhafte Grösse, seine drollige Figur und seine derben Spässe aus. Es geht hier gerade zu wie auf den deutschen Marionettentheatern und bei den Polichinells des südlichen Europa. Man prügelt sich von Anfang bis zu Ende, und Gharaguss, ein echter Beduine, ist der Held, welcher die meisten Schläge bekommt und austheilt. Es wird bald arabisch, bald französisch gesprochen, denn der Theater- director ist ein angestellter Dolmetscher, welcher, um die anwesenden Europäer nicht zu langweilen, auch französische Phrasen einmischt und französische Soldaten auftreten lässt, welche mit Gharaguss sich zanken und herumbalgen. Um s durch das ewige Einerlei der Prügelscenen die Zuschauer nicht zu ermüden, mischen die Schauspieler eine Reihe von obscönen Episoden ein, die so scheusslicher, unnatürlicher Art sind, dass jeder Mensch, der nicht unter die Classe der verworfensten Wüstlinge gehört, hier das Auge bald mit Ekel abwenden muss. Wahrlich, die Mauren können: ihre Kinder in keine fürchterlichere Lasterschule schicken, als in dieses beliebte Volkstheater. Wundert man sich da noch, dass dieses Volk so tief in Entartung, Feigheit und Knecht- schaft gesunken ist, wenn man seine Jugend das schmuzig- ste Gift einsaugen sieht, welches alle Energie und Geistes- freiheit zerstört? Die französische Regierung sieht solchem Skandal mit wohlgefälliger Toleranz zu und sie hat nichts gethan, diese und ähnliche Orte der schreiendsten Immorali- tät zu schliessen. Letztere befinden sich im Gegentheile seit der Anwesenheit der Franzosen besser als je, sie bezahlen keine Auflagen mehr, wie früher zu den Zeiten des Dey, und daher mehren sich dieselben noch beträchtlich. Frank- reich hingegen lieferte dazu ein Heer von Mädchen, deren Anzahl die der Colonisten gewiss um das Dreifache übersteigt. Der dreissigtägigen Feier des Ramadan folgt der Bei- ram, ein Fest der Freude und Versöhnung, wo der Musel- mann auch während der Sonnenhelle einer lauten Freude sich hingiebt. Schon am frühesten Morgen wird man durch eine tobende Musik aus dem Schlummer geweckt. Es sind freie Neger, die in ihren besten Kleidern mit Trommeln und ei- sernen Klappen durch die Strassen ziehen. Ihre Musik ist ganz tactfest und nicht ohne eine gewisse wilde Harmonie, dabei aber höchst einförmig. Die Melodie der Klappen klingt ganz ähnlich dem Getöse unserer Dreschflegel in einem Wald- dorf. Um die Originalität dieser afrikanischen Musik zu Morırtz WAGNeER’s Algier. TI, 6 82 würdigen, muss man die “Haltung, die Bewegung und vor Allem das Mienenspiel dieser schwarzen Tonkünstler mit in Anschlag bringen, es’interessirt dieses weit mehr, als ihre dämonenhaften Töne. An dem ungeheuer beweglichen Kör- per regen sich alle Gliedmassen,, zu jedem Ton nickt Kopf und Aug, Mund und Ohr, Fuss und Finger, während der ganze Körper wieder in unabhängiger Bewegung hievon sich hin und herwiegt. Der Ausdruck des abscheulichen Gesichts — die Sudanneger aus Tombuktu und Bornu mögen wohl der hässlichsten Abart des äthiopischen Stammes angehören — ist indessen das Merkwürdigste. Es liegt ein schwer zu beschreibender Zug komischer Laune darin, so dass man sie kaum ohne lautes Lachen ansehen kann. Sie lassen dem Europäer aber diese Lustigkeit entgelten, umstellen ihn rings und machen dicht an seinem Ohre ein solches Getöse, schnei- den so entsetzliche Gesichter dabei, dass der Eingeschlossene sich am Ende gern durch das Geschenk einiger Kupfermün- zen aus dem schwarzen Polterkoboldkreis loskauft. Diese Negermusiken während des Beiramfestes sind ein uralter Brauch. Dieselben Virtuosen weckten den Dey aus dem Schlummer, trieben im Hofe der Kasbah, wie anderswo ihr Unwesen und empfingen dafür Geschenke; dasselbe thaten sie damals und thun sie noch heute vor den Häusern aller rei- chen Mauren und Kuruglis in Algier. Die ganze muselmännische Stadtbevölkerung ist während der drei Beiramtage auf das Festlichste geputzt, so nament- lich die Kinder. In den gold- und silbergestickten bunten Jacken und den weiten Hosen von Mousselin oder Seide zei- gen sich die maurischen Knaben, deren natürliche zarte - Schönheit durch die Tracht gehoben wird, als wünderhübsche morgenländische Stutzer. Die Weiber und Mädchen sind 83 zwar an diesem Fest vermummt wie immer, tummeln sich jedoch in fast eben so grosser Zahl, wie das männliche Ge- schlecht, auf den Strassen und Plätzen, um wenigstens das Gedränge und die Spiele mit anzusehen. Alle Männer fallen sich, so oft sie Bekannten begegnen, auf offener Strasse um den Hals und küssen sich gegenseitig auf die rechte Schul- ter. Die Europäer werden von den maurischen Knaben zum Gruss mit Rosenwasser bespritzt. Vor dem Thore Bab-el- Ual ist ein grosser sonniger Platz, dort belustigt die Jugend sich mit allerlei Kindischen Unterhaltungen. Ein alter Türke dirigirt ein grosses Schaukelrad, das mit kleinen Muselmän- nern bedeckt ist. Vornehmere Kinder werden in grossen be- malten Schubkarren von Negern und Biskris gefahren. Doch lieben diese Kleinen weit mehr noch das Fahren in europäi- schen Wagen, vor 1830, wo man von gebahnten Landstras- sen nichts wusste, ein ganz ungekanntes Vergnügen. Die eleganten französischen Spazierwagen machen während des Beirams vortreffliche Geschäfte, Sie sind stets von geputzten Mauren voll, welche sich für einen Sou eine Strecke von etwa 300 Schritten in Galopp fahren lassen, und das Rasseln des Wagens durch ihr Jauchzen übertäuben. Gewiss hat die politische Umwälzung in Algier und die Herrschaft eines fremden Volks dem Beiramfest von seiner fröhlichen Munter- keit nichts genommen, wenn es auch an Geräusche und Ori- ginalität gegen früher verloren hat. Die Consuln oder ihr Gefolge, welche zu den Zeiten der Deyherrschaft die einzi- gen in Algier lebenden Europäer waren, wagten kaum, sich während des Beiram ausser dem Hause sehen zu lassen, eben so wenig die Juden der Stadt. Des Volkes hatte sich da immer eine wilde fanatische Fröhlichkeit bemächtigt, welche es leicht zu Ausschweifungen und Misshandlungen gegen An- 54 dersgläubige verleitete. Jetzt hat der Beiram einen durchaus heitern Charakter; auch die Eingebornen geben sich mit sorg- loser Behaglichkeit einem Fest hin, welches ihnen weder Sklavenzittern, noch Todesgedanken mehr vergällen. Sie mögen trotz ihres unausrottbaren Fanatismus doch auch den Unterschied mit der damaligen Zeit in der Stille fühlen und anerkennen. Der verständigere Theil wenigstens dürfte ge- wiss nicht an die Stelle der rothhosigen Schildwachen Frank- reichs die Schiauchs des Dey zurückwünschen, bei deren Anblick alle jene bebten, welche für reich oder ehrgeizig galten oder gelten konnten. Jetzt sehen die maurischen Vä- ter dem Vergnügen ihrer Kleinen in bester Laune zu, strei- chen sich zufrieden die Bärte und lassen sich durch keinen marternden Gedanken mehr in der Vaterwonne stören. Die maurischen Frauen nehmen an den Beirambelustigungen zwar noch keinen directen Theil, schanen jedoch unverwehrt dem lustigen Spectakel zu. Ihre Gesichter sind verhüllt, nur die schwarzen Augen sehen unbedeckt zwischen der Mousselin- hülle hervor und leuchten in heller Freude bei dem Anblick ihrer spielenden Kleinen. Zu den Zeiten der Deys war ihnen auch diese unschuldige Freude nicht vergönnt; die verhüllten Weiber, die man damals auf den Strassen schwärmen sah, waren sämmtlich öffentliche Dirnen. Die Familienfeste der Mauren sind gleichfalls lärmender Art. Ich hatte in Algier zweimal Gelegenheit, maurischen Hochzeiten beizuwohnen, später war ich in Bona zu der Hochzeit eines Türken, in Mostaganem zu der eines rei- chen Kuruglis eingeladen. Die Feier war überall ganz die- selbe. Nachdem die männlichen Verwandten bei dem Mufti in der Moschee gebetet, ziehen sie, sobald die Sonne unterge- gangen, mit Musik und grossen Laternen nach dem Hause 85 der Braut. Diese folgt ihnen prächtig gekleidet, aber wie gewöhnlich mit der weissen Mousselindecke umhüllt, nach der Wohrung des Bräutigams, begleitet von ihren weiblichen Verwandten. Vornehme Bräute legen den Weg auf Maul- thieren in einer Art von Käfig zurück, der ihre ganze Ge- stalt den Männerblicken verbirgt. Im Hause des Bräutigams wird sie dann in ein beleuchtetes Zimmer geführt, wo sie mit sämmtlichen Frauen isst, tanzt und sich spielend vergnügt. Die Männer versammeln sich in der Säulenhalle, und feiern dort unter Musik und dem häufigen Jubelruf juh! juh! den Hoch- zeitsschmauss. Die Häuser der Neuvermählten sind bei sol- chem Feste stets von einer Volksmasse umlagert und ausser den geladenen Gästen drängen sich auch viele ungebetene in den Hof, die abzuweisen nicht immer möglich ist. So ist dieser Säulenhof stets von Menschen dicht gefüllt, die mit gekreuzten Beinen auf dem Marmorboden sitzend rauchen und Kaffee trinken. Dann wird eine ungeheure Schüssel dampfen- den Kuskusus gebracht, welche sämmtliche Gäste umringen, um mit hölzernen Löffeln herauszufassen. Der Kuskusus, das Lieblingsgericht aller Eingebornen, ist eine Mehlspeise, die aus winzigen gedrehten Kügelchen von Wäaizenteig be- steht. Sie wird auf eigenthümliche Art durch Dampf berei- tet, mit Milch oder Fleischbrühe übergossen und — wenn man einem Gast die höchste Ehre erzeigen will — mit Ro- sinen und Weinbeeren untermengt. In der Mitte der Kus- Kususschüssel liegt ein Stück Butter in Viereckform , welche man mit den Mehlkügelchen zugleich mit dem Löffel verzehrt. Bei ganz vornehmen Hochzeiten werden Fleischspeisen, ge- wöhnlich gebratene Hühner, in Stücke geschnitten mit auf den Kuskusus gelegt oder unter diesen gemengt und von den Gä- sten alsdann mit Begierde herausgefisch. Diesem ersten 86 Hauptgerichte folgt ein gebratenes Lamm, welches vor den Augen der Gesellschaft in Stücke zertheilt und herumgereicht wird. Man verzehrt dasselbe mit Fingern aus hölzernen Tellern. Endlich kommen eingemachte und rohe Früchte al- ler Art, worunter vorzüglich Melonen, Datteln und Orangen, deren es in Algier fast das ganze Jahr hindurch giebt, und die von ausserordentlicher Güte sind. Nach dem Essen wird Kaffee herumgereicht und dies dauert bis früh Morgens fort. Inzwischen werden zur Unterhaltung der Kaffee schlürfenden Gäste mancherlei Scenen aufgeführt. Erst kommen Musiker und Sänger, wobei der alte Leibmusiker des Deys Ali-el- Kiatri mit gewöhnlicher Gravität dirigirt, die Hauptrolle spielt und mit seinem eigenthümlichen halb redenden, halb leiernden Gurgelgesang den Gästen Liebesromanzen erzählt. Die Tänzerinnen sind öffentliche Mädchen der gemeinsten Sorte, öfters sehr reich gekleidet und manchmal nicht ohne körperliche Reize, wenigstens nach dem Geschmack der Ein- gebornen. Der Tanz dieser Dirnen ist einförmig, ohne An- muth und in hohem Grad obscön. Sie schwenken in der Luft einen langen Schleier von Gaze oder ein seidnes durch- sichtiges Tuch, aus dem sie durch künstliche Schwingungen allerlei Figuren zu machen wissen. Sie bewegen sich wenig vom Platz, sondern wiegen den Körper unaufhörlich in wol- lüstigen Geberden, wobei Kopf, Busen, Arme und Schenkel dieser halb wiegenden, halb drehenden Bewegung folgen. Die Mauren scheinen an dieser üppigen Gliederbewegung grosses Vergnügen zu nehmen, wogegen sie jeden verständi- gen Europäer zuerst-lachen macht, dann langweilt und zuletzt anekelt. In diesen Pantomimen liegen keine Geheimnisse. Es sind treu copirte Bilder obscöner Lust, ohne Zugabe ir- gend einer feinen Liebespoesie, ohne das Sprödethun, die 87 anmuthige Neckerei, das eifersüchtige verliebte Schmollen, welches dem Fandango der Spanier einen so hübschen Zau- ber verleiht und wobei Schönheit, Putz und Schalkhaftigkeit der Tänzerin das Interesse des Zuschauers an den Pantomi- men erhöht. Das Handwerk einer Hochzeittänzerin ist sehr lucrativ. Nach jedem Tanz nähert sie sich dem sitzenden Zuschauer, beugt das Haupt auf ihn herab und die Galanterie will dann, dass man ihr irgend eine Münze mit Rosenwasser oder auch Speichel auf das Gesicht klebt. Wenn dieses dann vollgepflastert ist, schüttelt sie das Haupt über ihrem seid- nen Tuch und lässt die Münzen hineinfallen. Man versicherte mir, dass sie diese Einnahme stets mit dem Bräutigam thei- len müsse, was also einem Hochzeittribut von Seite der Gäste gleichkommt. Die Frauen vergnügen sich im obern Stockwerk auf ei- ne wenigstens eben so muntere Weise. Man hört öfters ihr Jubelgeschrei, welches in einem gellenden, unnachahmlichen, langverhallenden Triller besteht. Derselbe Triller ist der Ausdruck jedes Gemüthsaffects, fröhlicher und wehmüthiger, liebender und feindseliger Art. Ich vernahm ihn bei Hoch- zeiten, Beschneidungsfesten und Leichenbegängnissen, und als 1837 der Vortrab der französischen Armee im Angesicht der Stadt Constantine am Rande des felsigen Abgrundes von EI- Mansura stand, da bewillkommte ihn derselbe unheimliche Weibergruss zugleich mit dem Pfeifen der Kugeln. Am En- de wird die Neuvermählte, die sich mit den Frauen satt ass und trank, nach dem Brautgemach geführt, dort entklei- det und von den Matronen unterrichtet, wie sie sich in ih- rem neuen Stand zu verhalten habe. Der Bräutigam wird von seinen väterlichen Verwandten bis zur Schwelle des Ge- maches begleitet und dort herzlich umarmt. Er betritt das “ 88 Zimmer allein und sieht da seine Neuvermählte zum ersten Male ohne Schleier. Einige Minuten später dröhnt der Tril- ler der Weiber im allgemeinen, unbändigen Chorus. Alle Instrumente der Musiker in der Halle fallen jubelnd ein und ein Jauchzen des juh! juh! wird von den Gästen im Hofe und von dem Volk auf der Strasse wiederholt — dieser wil- de Lärmen verkündigt die vollzogene Ehe. Hier noch einige Worte üher die Art, wie in Algier Hei- rathen geschlossen werden. Die maurischen Jünglinge sind mit dreizehn oder vierzehn Jahren mannbar. Vermögende Leute heirathen gewöhnlich vor dem achtzehnten Jahre, an- dere erst, sobald sie durch irgend ein Brodgewerbe in den Stand gesetzt sind eine Frau zu ernähren. Hat ein junger Mann von einem hübschen Mädchen sprechen gehört und wünscht er eine Verwandtschaft mit ihren Angehörigen, so sucht er irgend eine alte Frau auf, die Zutritt in deren elter- lichem Hause hat. Bejahrte Frauen sind der strengen For- men, die sonst beide Geschlechter scheiden, entbunden. Wenn sie das Antlitz noch immer verhüllt tragen, so ge- schieht dies aus alter Gewohnheit; denn Niemand würde es ihnen übel nehmen, wenn sie diese Etikette unterliessen. Matronen leben in Algier fast in männlicher Freiheit, Nie- mand kümmert sich um ihr Treiben. Der heirathslustige junge Maure wählt also eine solche alte Dame zu seinem Liebesboten, schenkt ihr eine Kleinigkeit und verspricht ihr mehr, wenn sie ihm treue Auskunft geben wird, ob das Mädchen schön und liebenswürdig ist. Natürlich geht ‘die Duegna in das Anerbieten gern ein, und wenn der Jüng- ling vermögend und von gutem Ruf ist, so vertraut sie auch gleich den Eltern des Mädchens das Geheimniss an. Ist die- sen die Verbindung erwünscht, so beschenken sie die Alte, 89 damit sie jedenfalls die Schönheit der Tochter rühme. Hier- auf erfolgt durch dieselbe Zwischenträgerin das förmliche An- halten um die Jungfrau. Die Väter des Bräutigams und der Braut kommen dann zusammen und suchen über die Summe sich zu verständigen, die der junge Mann für die Braut zu bezahlen hat. Sind sie einig geworden, so gehen sie zum Kadi, wo ein förmlicher Ehecontract ausgefertigt und der Tag der Hochzeit festgesetzt wird. Der Kadi, der ebenfalls seine guten Gebühren dafür erhält, lässt dann Zuckerwasser bringen und trinkt dieses mit den Vätern. Hierauf werfen sie sich nieder und sagen ein für diese Gelegenheit eigenes Gebet, „Fnala“ genannt, worin sie für die Heirath den Segen Gottes erflehen. Hierauf folgt die Hochzeit, wie ich sie beschrieben. Bekanntlich darf jeder Muselmann nur vier solche legitime Heirathen eingehen; die übrigen Weiber , die er hält, sind blosse Beischläferinnen. In Algier aber hat Niemand ein eigentliches Harem und wenige Mauren haben mehr als eine Frau. Bei den Geburten und Beschneidungen feiern die Musel- männer Algiers ganz ähnliche Feste. Man bringt die Neu- gebornen nicht in die Moschee. Die Knaben werden erst im vierten Jahre beschnitten. Der Mann, der diese Operation vollzieht, heisst Bascharah und ist kein Priester. Von rei- chen Leuten erhält der Bascharah ein Geschenk von höch- stens acht Budschus, bei Armen ist er genöthigt es unent- geltlich zu thun. Die Araber lassen ihre Kinder durch die Marabuts beschneiden, bei ihnen ist es ein mehr religiöses Fest. Die Mauren hingegen schmausen und wiederholen die- selbe Unterhaltung, wie bei der Hochzeit. In der Stadt Bona hatte ich einmal Gelegenheit ‚ der Frauenunterhaltung bei einem Geburtsfest durch einen ziemlich sonderbaren Zu- 9% fall beizuwohnen. Ich wohnte in einem französischen Kaffee- haus unweit der Porte Damremont und konnte von meinem Zimmer aus eine Reihe kleiner Nachbarhäuser übersehen. Einst wurde ich durch den erwähnten Triller der Weiber, der sich oft wiederholte, an das Fenster gezogen. Zugleich hörte ich den Schlag der Tamburine, es war ein Fest in ei- nem der Nachbarhäuser. Meine Neugierde war angeregt, und da ich in diesem Lande nie eine Gelegenheit versäumte, von den Volkssitten etwas zu erlauschen, selbst auf die Ge- fahr hin, unangenehme Abenteuer zu erleben, stieg ich auf die nächste Terrasse und von dieser auf die zweite, bis ich an den Rand eines Hofes gelangte, wo ich ein sonderbares Schauspiel sah. In dem Hof waren über vierzig Frauen ver- sammelt, sämmtlich in ihrer kostbarsten Haustracht, darunter jugendlich blühende, äusserst reizende Gestalten. Einen fei- nern frischern Teint, als die jungen Maurinnen, kann mau sich kaum denken. Es ist der lieblichste Scharlachduft neben dem Weiss der Lilie, die Haare sind schwarz und füllreich, die eben so dunkeln Augen voll südlichen Glanzes — präch- tige orientalische Gesichter. Der Putz ist überreich, bunte Seide, Goldstickereien, Ringe um Arme und Beine. Den- noch steht die fremdartige Kleidung nicht vortheilhaft, da sie zu weit, zu flatternd ist, zu wenig die Formen des Körpers verräth, also keineswegs auf die Lust der Augen speculirt. In demselben Hofe waren auch alte Weiber, welche die Tamburine schlugen. Auffallend war die Anwesenheit zweier maurischen Knaben von etwa zehn Jahren; sonst ist diesen selbst in so zartem Alter nicht erlaubt, Frauen mit Ausnahme ihrer Mütter und Geschwister unverschleiert zu sehen. Noch auffallender war es, dass auch meine Gegenwart die Frauen nicht im Mindesten störte. Ich setzte mich auf den Rand 91 der Terrasse und schaute über eine Stunde lang in den Hof hinab dem Treiben der Versammlung zu. Man würdigte mich kaum eines Blickes, musicirte, tanzte und schrie wie zuvor. Einige sehr schöne junge Weiber machten in der Mitte des Hofes dieselben wiegenden, tanzenden, wollüstigen Bewegungen, wie die öffentlichen Dirnen vor den Männern, Es waren dies übrigens auswendig gelernte anmuthlose Au- tomatenbewegungen. Der Ausdruck der schönen Gesichter war so nichtssagend, so ganz indolent, dass ich trotz der Fremdartigkeit der Scene des Anblicks bald müde wurde und mich herzlich nach den Tänzerinnen der Insel Minorka zurücksehnte. Die Feste der Geburt, Beschneidung, Hochzeit haben die Muselmänner, nur unter anderer Form, mit uns gemein; es ist der gleiche Fall auch mit dem Leichenpompe, doch bevor ich diesen zu beschreiben suche, erst einige Worte über ihre Art zu sterben. Kaum glaube ich, dass es einem Christen in Algier vergönnt war, irgend einen Muselmann in seinem Hause sterben zu sehen. Das Haus des Musel- mannes ist jedem Gast, welcher nicht zu seiner Familie ge- hört, verschlossen. Weder Arzt noch Priester wird an das Lager des Sterbenden gelassen. Der Maure verschmäht in der Regel die Arznei, in der Ueberzeugung, dass nichts den Lauf der Natur oder den Willen Gottes ändern kann, er glaubt des Priestergebetes bei seiner Scheidestunde nicht zu bedürfen, da er auch ohndies sicher in das Paradies zu kommen hoff. Wahrscheinlich ist der Grund dieses einsa- men Sterbens die Eifersucht, denn der Maure fürchtet selbst von Arzt und Priester für seine Weiber Gefahr. Giebt es auch Einzelne, die auf die ärztliche Kunst wahrhaft vertrauen, so schleppen sie ihren siechen Körper lieber nach der Woh- 92 nung des Dubib (Arztes), und holen sich dort ihre Arzueien. Liegt ein Maure dem Tode nahe, so lassen ihn seine Ange- hörigen, die Ohnmacht menschlicher Hülfe einsehend, in Frieden verscheiden. Ich habe, wie gesagt, eben so wenig, wie andere Europäer, Mauren im Schoosse ihrer Familien sterben gesehen, dagegen sah ich dies im Hospital, auf dem Schlachtfeld und auf dem Schaffot. Am letztern Ort erprobt sich wohl die muthige Ergebung in den Tod am stärksten. Ein abgehärmter Kranker auf dem Spitalbett stirbt immer stumpf und seine Agonie ist meistens von der Art seiner Krankheit bedingt. Auf dem Kampfplatz hilft ihm die Be- geisterung. Auf dem Schaffot hingegen erfordert das Ster- ben gewiss immer den höchsten Muth. Unter den verschiede- nen Delinquenten, ‘welche ich richten sah, waren mehrere Algierer Mauren. Der Hinrichtungsplatz ist vor dem Thore Bab-a-Zun, wo ein kleiner arabischer Markt gehalten wird und am Morgen immer einige hnndert Beduinen sich einfin- den. Man wählte diesen Platz, um unter den vielen Augen- zeugen einen wohlthätigen Schrecken hervorzubringen. Am 20. Januar 1837 wurde ein Maure wegen Pulverhandels mit den Arabern und Widerstands gegen die bewaffnete Macht zum Tode verurtheilt und der Spruch drei Tage darauf voll- zogen. Das Schaffot bestand aus einem in Eile zusammen- genagelten Gerüst und wurde mit einer Leiter bestiegen. Der Verurtheilte, ein junger verheiratheter Maure, betrat das Schaffot in nicht weniger kecker Haltung, als ein Pascha den Thron. Keine Spur von Furcht verrieth sein fester Tritt, sein unbewegliches Gesicht, auch nicht das leiseste Zittern oder Erbleichen war sichtbar, als der Henker mit dem schnei- denden Yatagan sich näherte. Der Verbrecher schaute ihm mit grossem Auge ins Antlitz und wandte sich dann ruhig 95 wieder nach der Seite, wo der Dragoman das Urtheil ver- las. Als dieser geendigt hatte, protestirte er mit fester Stim- me gegen die Gültigkeit des Urtheils und betheuerte seine Unschuld, dann wandte er gefasst sein Gesicht gegen Osten, kniete nieder und bückte das Haupt. . . . . Braham-Schiauch, der Scharfrichter von Algier, ist eine schöne Gestalt- von breitem muskulösem Gliederbau. Das Köpfen geschieht nach der Sitte der Eingebornen mit drei Streichen. Indessen folgt schon auf den ersten Hieb gewöhnlich der Tod, da der Hals- wirbel zerschnitten wird. Das Haupt aber fällt erst auf den dritten Hieb — so will es die hergebrachte Landessitte, wel- che die Gouverneure bis jetzt in ihrer Barbarei bestehen lies- sen. Die Friedhöfe der verschiedenen Glaubensbekenner liegen auf der Westseite Algiers, unweit des Budschareaberges in einer stillen und schönen Gegend, welche der östlichen Land- schaft bei Mustapha Pascha und Kuba an Mannichfaltigkeit und Grösse der Scenerie zwar weit nachsteht, dagegen durch ihre Einsamkeit mehr anzieht. Die Gräber der Muselmänner sind auf einem ziemlich weiten Terrain zerstreut. Sie be- ginnen vor dem Thhore Pab-el-Uad und ziehen sich von dort auf die nöchsten Hügel bis zur Höhe der Kasbah hinauf, un- regelmässige Gruppen bildend. Darunter sind viele kleinere Familiengräber mit einer Mauer- umgeben, deren Zutritt durch vergitterte Thhore verschlossen ist. Sämmtliche muselmänni- sche Gräber, die ich in Algier und in andern Städten der Regentschaft sah, bestehen — mit Ausnahme der Gräber der Marabuts und der Fürsten — aus vier aufrecht stehenden Steinplatten in Form eines länglichen Vierecks. Auf den bei- den Extremitäten sind diese Steinplatten höher, als an den Seiten. Auf den Gräbern reicher Leute sind die Platten sorg- 94 fällig eingemauert und bestehen meist aus weissem Marmor, in welchen allerlei Zierrathen, Blumen, zuweilen auch arabi- sche Inschriften in sehr hübschen Formen eingehauen sind. Von vorzüglicher Pracht waren einst die Gräber von fünf er- mordeten Deys, welche von der türkischen Miliz während der Wahl innerhalb 24 Stunden erdrosselt wurden. Es ereignete sich dies im Jahre 1779. Die türkische Miliz war in zwei gleich starke Parteien gespalten. So oft die eine derselben ihren Candidaten mit dem Kaftan bekleidet hatte, ermordeten ihn die Verschwornen der Gegenpartei augenblicklich. Auf beiden Seiten schwankte fünfmal der Sieg, bis endlich ge- gen das Ende des Tages, wo Todesschrecken in dem Raub- nest herrschte, die Parteien des Blutvergiessens müde, eine sonderbare Uebereinkunft trafen. Ihre Officiere sollten zu- sammen nach der grossen Moschee gehen und der erste Musel- mann, der dort zur T'hüre herausträte, sollte Dey werden. Das Loos traf einen armen Schuster, der, dasselbe Ende wie die andern Deys fürchtend, sich hartnäckig weigerte, die höchste Würde anzunehmen und seine Unwissenheit vorschützte. Aber trotz dieser Protestation wurde er nach dem Palast ge- führt, mit dem Kaftan umhüllt und auf die rothen Sammt- kissen gesetzt, während die Messuins von den Moscheenthür- men seine 'T'hronbesteigung proclamirten. Seltsamer Weise erweckte die neue Würde in dem armen Schuster, ähnlich wie die Statthalterschaft bei Don Quixote’s Schildknappen, Fähigkeiten, die ihm bis dahin fremd gewesen. Er regierte gerecht und weise und war einer der besten Deys, die Al- gier je gehabt. Die fünf ermordeten Deys wurden neben einander begraben und über ihre blutige Ruhestätte zur Ver- söhnung fünf Monumente erbaut, bestehend in länglich vier- eckigen minaretähnlichen Thürmen , . deren innere Wände 95 früher mit Fayenza überzogen und mit weissen Marmorzier- rathen geschmückt waren. Jetzt sind sie halb zerfallen und von Soldatenhänden verwüstet. « Die Mauren haben die Gewohnheit, die Wohnorte der Todten dicht neben denen der Lebendigen, ja oft mit- ten unter diese zu versetzen. In festen Plätzen, wie Algier, Constantine, Mostaganem, war dieses weniger der Fall, wogegen man in offnen Städten, wie Maskara, Tlem- sen, Tunis, inmitten des afrikanischen Lebens und Gewüh- les fast bei jedem Schritt auf Gräber stösst. Es sind dies streng geheiligte Orte. Auf ihre Verletzung steht da, wo mahomedanische Gesetze gelten, der Tod. Die Franzosen konnten die Eingebornen nicht empfindlicher kränken, als durch die Verhöhnung dieser Achtung vor den Toodten, durch die Entweihung ihrer Ahnenreste. Während der Belagerung von Constantine sah ich französische Soldaten Gräber öffnen, ‚um an die Stelle der Leichen sich in ein trocknes Nacht- quartier zu betten; es war dies bei dem Unwetter und den Leiden der Armee zu entschuldigen. Vor Algier aber wühl- ten die Soldaten die Gebeine auf, um vergrabnem Geld nach- zuspüren, und die französischen Generale scheinen sich nicht sehr ernstlich bekümmert zu haben, diese Profanation zu hindern. Der Herzog von Rovigo wollte eine Landstrasse vom Thore Bab-el-Uad zur Kasbah hinauf anlegen und auf der- selben Seite verschiedene öffentliche Gebäude aufführen. Die Familienkirchhöfe der Eingebornen standen im Wege. Sa- vary war unter allen Franzosen gewiss der letzte, der sich die geringste Skrupel gemacht hätte, jenes religiöse Gefühl der Muselmänner mit Füssen zu treten. Die schönen Grab- steine wurden auch in der That umbarmherzig umgestürzt, Schaufeln und Hacke durchwühlten und vernichteten die ge- 96 mauerte Gruft, schleuderten die Gebeine heraus, zerstreuten die Asche in die Winde. Mit der ungeheuren Masse von Kaochen soll sogar — so sagt das Gerücht — ein schmachvoller Handel getrieben, sollen Schiffe nach Frankreich befrachtet und die Ladungen an Knochenmehlfabrikanten verkauft worden seyn. Dies wird gleichwohl von vielen unparteiischen Män- nern geleugnet und es ist vielleicht wirklich nichts Wahres daran, obschon das Gerücht noch heutiges Tages in Algier unter Franzosen und Eingebornen geht und von Vielen ge- glaubt wird. Dass die allzugrosse Nähe der Kirchhöfe bei der Stadt viele Nachtheile hatte, ist nicht zu leugnen. Auch dürfen wohl um der Todten willen die Lebenden nicht in ihrer freien Circulation gehindert oder um luftige Wohnung und eine gesunde Atmosphäre gebracht werden. War also der Uebelstand einer so unbequemen Nähe der Begräbnissplätze allzugross und eine Versetzung derselben durchaus nothwendig, so hätte jede verständige Verwaltung, wenn nicht aus religiö- sen, doch wenigstens aus politischen Rücksichten, eine solche, die Eingebornen empörende Massregel mit Schonung vollzo- gen, hätte die Gebeine sorgfältig sammeln, nach einem an- dern entferntern Ort versetzen und die Grabstätten dort wie- der herstellen lassen. Es schien aber, als habe der harte Ro- vigo eine wahre Lust daran, in den religiösen Eingeweiden der muselmännischen Bevölkerung zu wühlen. Er verwendete zu diesen Arbeiten sogar einen Theil der eingebornen Tag- löhner, Biskris und Kabylen, welche mit helfen mussten, die Grüfte zu öffnen, die Gerippe ihrer Glaubensgenossen, oft ihrer eignen Väter und Brüder mit der Schaufel zu zerschla- gen. Mit finstern Stirnen und gesenkten Häuptern waren die Mauren Zeugen dieser Scenen. Der Schrecken, durch die täglichen Hinrichtungen vermehrt, lähmte damals ihre Hände 97 und Zungen und sie wagten nicht einmal gegen die Zerstö- rung ihrer Familienheiligthümer zu protestiren, noch weniger an den Zerstörern sich zu rächen. Viele sammelten aber sorgfältig die Knochen und verscharrten sie wieder an irgend einem entlegnen einsamen Ort. Wie wenig derglei- chen Acte geeignet waren, den Fanatismus der Eingebornen zu mindern, Versöhnung und Friede zu predigen bei einem Volke, das so tief empfindet und so schwer vergisst, kann man sich denken. Die meisten Schriftsteller, welche über Algier Flug- schriften veröffentlicht, haben über diese Entweihung der Gräber energische Klage geführt und den Männern, die sol- che Skandale befohlen oder zugelassen, bittere Vorwürfe ge- macht. Es war dies der Ausbruch eines sehr ehrenwerthen Unwillens. Wie es in allen neuen Colonien geht, so athmet auch in Algier die ungeheure Mehrzahl der Ansiedler gegen die besiegten Eingebornen nur Härte und Ungerechtigkeit, ja gäbe es in Frankreich nicht eine freie Presse, in welcher der Unterdrückte immer ein Organ finden kann, seine Klagen vor die französische Nation zu bringen, fürchteten die Ge- walthaber aus diesem Grunde nicht jede Massregel, welche ihnen die philanthropische Larve der Civilisirer, hinter der nur zu oft der schmählichste Egoismus sich birgt, abreissen würde, so wäre wohl mancher General versucht das Beispiel eines Pizarro und Cortez nachzuahmen. Glücklicher Weise ist in solcher Nähe von Europa die öftere Wiederholung sol- cher brutaler Tyranneien kaum mehr möglich, weil dem Un- terdrücker am Ende ein unabhängiger Anwalt nicht fehlen würde, seine Sache -zu führen. Der jüdische Friedhof lag zum guten Glück um ein paar hundert Schritte ausserhalb dem Bereiche der neuen Bauten Morıtz WaAsnepr’s Algier, 1. 98 und blieb daher verschont. Man hätte sonst mit seinen schö- nen weissen Marmorgräbern eben so wenig Umstände ge- macht. Die Juden haben keine gesonderten Familienbegräb- nissplätze, sondern einen allgemeinen Kirchhof, der in einer Niederung zwischen den maurischen Kirchhöfen und dem Meere gelegen ist. Die Grabsteine sind sämmtlich 1, Fuss hoch, °/, Fuss breit und haben die Form eines Bogens. Alle sind von schönem geschliffenen, weissen Marmor und mit he- bräischen Sprüchen, eingehauenen Blumen u. s. w. bedeckt, sämmtlich sehr sauber und glänzend, es ist, den Monumenten nach, der reichste Kirchhof, die Gräber sind viel prächtiger als die muselmännischen und christlichen. Doch sind die For- men der Monumente zu klein, zu gleichmässig, um im Ge- ringsten zu imponiren; von der Höhe des Berges Budscha- rea nehmen die jüdischen Gräber sich wie eine Heerde wei- dender Schafe im grünen Thalgrund aus. Der ältere christliche Kirchhof liegt südlich von dem jüdischen, vielleicht auf der hübschesten Stelle des ganzen Algierer Hügellandes. Die Gräber bedecken den Rücken ei- nes überaus pflanzenreichen Hügels, der von Osten nach We- sten sich ziemlich steil senkt; die andern kleinen Höhen um- her bilden einen Kessel, eben so grün und duftig, das schön- ste Ruhethal. Gewaltige hundertjährige Silberpappeln am Fusse des Hügels in ziemlich regelmässigen Gruppen ge- pflanzt, Riesenagave, Cactus, Granatbäume, Palmen mit ihren “aromatischen Kronen beschatten die Leichenmonumente. Ein Gebirgsbach, der auf dem Budscharea entspringt, dann in kleinen Wasserfällen stäubend, brausend über eine hochbe- laubte Schlucht dem Meere sich zuwendet, rauscht am Fusse des Friedhofes in wilder Klagemusik. An seinen Ufern bietet eine reiche niedere Vegetation den Gräbern den freiwilligen 99 Schmuck einer immer thätigen Natur. Selbst der Pere La Chaise mit seinen stolzen Marmorgräbern, seinen kunstvoll gepflanzten Cypressen steht an pittoresker Schönheit hinter dem einsamen Friedhof Algiers weit zurück. Die Leichen- steine, welche keine Ringmauer einschliesst, sind von ver- schiednen Formen, man sieht Kreuze, Obelisken, Säulen, im Allgemeinen wie in Europa. Bei dem Lesen der Inschriften kann der Besucher selten einer tiefen Bewegung Meister werden. Die meisten Verstorbenen waren junge Männer, die in vollster Lebenskraft in den an Hoffnungen reichsten Jah- ren dem finstersten Räthsel der Natur erlagen. Viele junge Krieger, worunter Freiwillige aus Frankreichs besten Fami- lien, die der Waftenklang in Afrika aus ihrer glücklichen Heimath weglockte, weil der bewegte Geist nach Ruhm und 'Thaten lechzte, büssten im Beduinenland oft wenige Wochen nach ihrer Ankunft ihre Illusionen durch einen ruhmlosen Tod im Hospital. Der Beispiele sind nur zu viele, die Täuschungen oft schrecklich. D’Ansonville, ein sehr reicher Legitimist, wollte in der neuen Colonie sich einen Namen und seiner Nachkommenschaft ein grosses Creolenhaus grün- den. Den Kopf voll kolossaler Colonisationspläine kam er nach Algier. Dort starb nach wenigen Monaten sein einziger Sohn und der Schmerz tödtete ihn selbst zwei Tage später, noch ehe die Erde auf den Sarg seines letzten Namenserben geworfen war. Eine interessante junge reiche deutsche Dame von ungemeiner Schönheit, Madame D..,.e, begrub dort ihren Gatten und ihre sämmtlichen Kinder, von denen eins ermordet worden. Die verschiedenen christlichen Confessionen haben keine abgesonderten Begräbnissorte. Baldsieht man einen weissgekleideten Priester mit dem Weihrauchfass, bald einen ‘schwarzverhüllten Pastor mit der Bibel, den Trauerwagen nach 7 % 100 demselben Plätzchen geleiten. Die Todten aller Secten, aller Zungen vertragen sich ganz friedlich in der unterirdischen Nachbarschaft. Auch einige Saint-Simonianer liegen neben andern Secten eingescharrt. Einer von ihnen liess auf seinen Grabstein schreiben , dass er der Lehre Saint - Simon’s treu gestorben und dass die Ruhe ihm deshalb nicht minder schmecken werde. Ein anderer wiederholte ein Motto Saint- Simon’s: „Zw dtais avant de naitre et tu seras apres la mort.“ Dieser Friedhof wurde leider seit 1837 verlas- sen, man führt die Leichen jetzt nach einem etwas entfern- tern Begräbnissplatz, der zwischen dem Cap Caxines und dem Deygarten auf_ebnem Grund ganz nahe am Meer liegt und mit dem ältern in keiner Hinsicht den Vergleich aus- hält. Auf den beiden christlichen Kirchhöfen werden Civilisten und Militairs begraben, doch von letztern nur Officiere und Unterofficiere, welche hinreichend Vermögen haben, einen Sarg zu bezahlen. Das Begräbniss der Soldaten hat etwas Schauerliches. Unweit des grossen Hospitals im ehemaligen Deygarten ist ein grosses Loch gegraben. So oft ein Sol- dat im Spital verschieden, wird er nackt ausgezogen, auf eine Bahre gelegt und nach dem Leichenschlund getragen. Ein Leintuch verhüllt das Cadaver nur so lange, bis es an dem Ort seiner Bestimmung angelangt ist, wo man sorglich das Tuch wieder nimmt, die Leiche nackt ohne priesterliche Ceremonien hinunterstürzt und ungelöschten Kalk darauf wirft. Dieses ungeheure Kalkloch mag seit der französischen Nie- derlassung, mit Einschluss der fürchterlichen Epidemie im Jahre 1832 und der Cholera im Sommer 1835, gegen 10,000 Soldatenleichen verschlungen haben; vielleicht eher mehr , als weniger. Viele Cadaver werden zuvor in der Anatomie zer- 101 schnitten, um jungen Aerzten zum Studium zu dienen. Die Krankenwärter treiben mit den Zähnen, die sie dem Toodten, kaum hat er die Augen geschlossen, ausreissen, einen ziem- lich lucrativen Handel. So kommt in Afrika der arme fran- zösische Soldat, nachdem er auf mühseligen Märschen sich das Fieber oder auf dem Kampfplatze die Todeswunde ge- holt, nach einer leidenvollen Existenz, in der die lustigen Stunden seltene Episoden sind, nackt, zerschnitten und zahn- los, ohne Priestersegen, ohne kriegerischen Pomp, ohne den Donnergruss der Musketen, mit dem sonst in allen Landen der Krieger Abschied von der Sonne nimmt — so kommt der Soldat in Algier zur Ruhe! Es ist ein Glück für den Fran- zosen, dass er ein Mensch des Augenblicks ist, dass er um die Vergangenheit sich wenig, um -die Zukunft sich gar nichts kümmert. Es müsste dem Soldaten sonst der Gedan- ke ans Sterben schwer am Herzen nagen. Mag er an ein Fortleben der Seele nach dem Tode glauben oder ein verhär- teter Atheist seyn, oder, wie die Meisten, als Zweifler un- bekümmert um seine Seele hinsterben, man liebt doch ge- wöhnlich seinen Leib zu sehr, um an eine so fürchterliche Profanation menschlicher Gebeine ohne Schaudern denken zu können. Bleibt der Körper des Soldaten auf dem Kampffeld in den Händen der Araber, so wird er aus Fanatismus ver- stümmelt und der Hyäne zum Frasse überlassen; stirbt er im Hospital, so verstimmelt man ihn aus wissenschaftlichem Eifer und mercantilischem Interesse und lässt ihn in der Grube von ungelöschtem Kalk so aufzehren, dass nicht ein- mal ein Stäubchen von dem Wesen übrig bleibt, dem Gott die Herrschaft der Erde gegeben. Wem sollte nicht. grauen vor solchem Grabe? Unter den europäischen Ansiedlern haben seit 1830 nus 102 zweimal verderbliche Seuchen gewüthet. Das erste Mal im Sommer 1832, wo besondere klimatische Einflüsse herrsch- ten, die auch auf die Eingebornen nicht ohne Wirkung blie- ben. Die Hitze und Trockenheit war damals selbst für Afri- ka aussergewöhnlich; Wechselfieber und Ruhr wütheten gleich mörderisch, doch weit weniger in der Stadt, als in den Sumpf- gegenden der Ebene Metidscha und an einigen Stellen des Algierer Hügellandes.. Die Gemeinde des Colonistendörf- chens Kuba starb damals völlig aus. Die zweite Seuche war die Cholera, ein in Algier völlig unbekannter Gast, der seine Opfer unter den Eingebornen mehr noch, als unter den Europäern holte. In der übrigen Zeit war der Gesundheits- zustand unter den Ansiedlern im Allgemeinen ziemlich befrie- digend. Der französischen Regierung gereicht es zur Ehre, dass eine ihrer ersten angelegentlichsten Sorgen die Gründung grosser Krankenpflegeanstalten war. Es bestehen drei Ho- spitäler in Algier, eins für die Civilisten, zwei für die Mili- airs. Der Herzog von Rovigo, der übrigens ein so blutiges Andenken in diesem Lande hinterlassen , hat sich gleichwohl um die Armee sehr verdient gemacht durch seine Bemühun- gen, das Loos des Soldaten durch ein gesundes Obdach zu verbessern und ihm in leidendem Zustand alle Pflege ange- deihen zu lassen. Die französische Regierung hatte dem Her- zog den schönen Sommerpalast der Deys, welchen vor 1830 Ibrahim, der Eidam Hussein-Dey’s, bewohnte, zu seinem Land- aufenthalt angewiesen. Der Herzog von Rovigo, der, was seine Geldangelegenheiten betraf, ein durchaus uneigennützi- ger unbestechlicher Mann war, überliess dieses Geschenk der Armee und errichtete dort ein Hospital, welches einige Tau- send Kranke fasst und bei seiner schönen gesunden, luftigen Lage dem Zweck auf das Beste entspricht, auch wohl man- 103 chem armen Krieger das Leben erhalten oder sein Ende ihm versüsst hat. In dem innern Hofe sieht man eine Fon- taine von rothem Marmor, die Gänge des Hauses sind theil- weise mit Fayenza überzogen, und die Galerien mit Marmor- säulen geziert. Von dem geräumigen Garten, der sich ter- rassenförmig über dem Meere erhebt, ist der oberste von den Krankenbaraken durch eine Mauer getrennte Theil noch sehr ‘gut erhalten und mit Blumen, verschiedenen Gemüsearten und Fruchtbäumen bepflanzt. Die Gemüse, die hier trefflich ge- deihen, werden zu Krankenspeisen gekocht und die zahllos wachsenden Limonen und Citronen unter die Tisane, das gewöhnliche Getränk der Patienten, gemischt. Die Officiere haben ein Krankenzimmer in dem Hause selbst, und ergehen sich als Convalescenten in einem kleinen umzäunten Blumen- garten, den ausser ihnen Niemand betreten darf. Die Unter- officiere und Soldaten liegen etwas tiefer in langen, hölzer- nen Baraken, deren hier neun stehen, jede mehr als hundert Betten enthaltend. Das Innere derselben ist im höchsten Grade reinlich. Der Boden ist mit Quadersteinen belegt und die Bettstellen sind von Eisen. Einige Dutzend Orangen- und Granatbäume stehen noch zwischen den Baraken, die meisten dieser edlen Gewächse aber wurden schonungslos umgehauen, weil es für die Holzgebäude an Raum gebrach. Die schönen Blumen, die früher den Boden bedeckt haben mögen, sind hier zertreten und ausgerissen worden, und an ihrer Stelle wuchert jetzt zahlloses Unkraut, das im Früh- linge mehrere Fuss hoch aufschiesst und dann durch die Ju- liussonne wieder versengt wird. Zwei schöne Laubbogen- gänge von Weinstöcken ziehen sich an der Gartenmauer hin, Die Dicke ihrer Stämme erregt Staunen und noch mehr ihre Riesentrauben, von denen oft eine einzige fünf bis sechs 104 Pfund wiegt: Die Weinbeeren haben gewöhnlich eine ovale Form. Man lässt sie aber nicht zur völligen Reife kommen, sondern schneidet sie noch grün ab und macht Essig daraus, da die gemeinen Soldaten, denen nur sehr schmale Kost ge- reicht wird, vom Hunger getrieben, leicht in Versuchung kommen würden, die erst halb reifen Trauben zu verzehren. Das Heilverfahren, welches die französischen Aerzte ge- gen die beiden herrschendsten Krankheiten, Ruhr und Fie- ber, am meisten anwenden, besteht in einer exemplarisch strengen Hungercur. Man giebt den Kranken, die an hart- näckiger Diarrhöe leiden, oft zwölf bis zwanzig Tage nicht das Geringste zu essen und blos Reisswasser zu trinken. Ein junger deutscher Unterarzt versicherte mich, dass viele Ster- bende noch in den letzten Augenblicken nach Essen schrieen, und dass an den Folgen der durch allzu strenge Diät hervor- gebrachten Schwäche bei weitem mehr, als an der eigentli- chen Ruhr sterben. Den Fieberkranken verordnen die Aerzte sehr viel China, die zwar allerdings sich als das wirksamste Mittel gegen das afrikanische Fieber bewährt, zugleich aber auch häufig bei zu starken Gaben eine Geschwulst der Beine erzeugt. In den Monaten Julius, August und Septem- ber herrschen die Fieber am furchtbarsten, und das Hospital des Deygartens ist um diese Zeit so sehr mit Kranken über- füllt, dass man noch den anstossenden Garten der Salpetriere öffnen muss, wo die kühlen, unterirdischen Gewölbe des grossen ehemaligen Pulvermagazins des Deys ebenfalls in ein Lazareth verwandelt wurden. Doch raffen die Fieber bei weitem keine so grosse Zahl von Opfern hin, als die gefähr- liche Blutdiarrhöe, die im März und April am heftigsten wü- thet. Ausser diesen beiden herrschenden Epidemien giebt es aber in Algier fast gar keine Krankheit, und das Klima scheint be- 105 sonders für Brustleidende eine sehr gute Wirkung zu haben. Wenigstens kennt man Lungenkrankheiten unter den Einge- bornen kaum dem Namen nach, und Europäer, die früher an häufigem Schnupfen und Katarrh litten, finden sich seit ihrem Aufenthalte in Afrika von diesen Uebeln befreit. Das Hospital des Deygartens steht unter der Oberauf- sicht der drei Principalärzte der französisch-afrikanischen Ar- mee. Bekanntlich ist dies militairärztliche Corps, die „Offi- ciers de Sante,“ in die Classen: Chirurgen, Mediciner und Pharmaceuten getheilt, die in Rang und Bezahlung einander gleichstehen. Chirurgien - sous - aude- major oder Phar- macien - sous - atde- major ist der niederste Grad und hat Lieutenantsrang, dann folgt C’h. aedde- major, was etwa unsern Bataillonsärzten entspricht und mit dem Oberlieute- nantsgrad parallel steht. Der Cherurgien-major (Regiments- arzt) steht einem Capitän erster Classe an Rang und Bezah- lung gleich. Der Cherurgien-principal hat Obristenrang und die Bezahlung eines Generals. Die drei Principalärzte der Armee waren zur Zeit meines Aufenthaltes: Guyon für die Chirurgie, Antonini für die Medicin, Roussel für die Phar- macie. Mit den Herren Guyon und Roussel war ich in Al- gier persönlich befreundet, erhielt durch sie Zutritt in alle Spitäler und zugleich vielerlei Aufschlüsse über die Organisa- tion aller Krankeninstitute Herr Guyon war früher Regi- mentsarzt der Insel Martinique, wo er bei einer Gelben-Fie- berseuche grossen Muth bewies und über deren Contagiosität verschiedene Versuche an sich selbst anstellte. Antonini, Corse von Geburt, steht im Rufe eines tüchtigen Arztes. Roussel ist ein Gelehrter von grossem Ruf, der bedeutende botanische und geologische Kenntnisse besitzt und früher zweiter Pro- fessor am Höpital de Val de gräce in Paris war, welchen 106 Posten er sehr ungern verliess. Er ist einer der geistreich- sten und interessantesten Männer, die ich je kennen gelernt habe. Dennoch war dieser ausgezeichnete Gelehrte für die ärztlichen Angelegenheiten der Armee vielleicht keine sehr vortheilhafte Acquisition, denn er versah sein Amt, zu dem er nicht die geringste Neigung spürte, mit Widerwillen, war, obwohl Militair, ein Todfeind der Uniformen und fühlte sich in seinem Wirkungskreise und Aufenthalt, in einem Lande, das er verabscheute, recht unglücklich. Ich verdanke ihm viele interessante Bemerkungen über die Algierer Flora und war sein Begleiter auf so manchen entomologischen Sammel- ausfligen. Die am Hospital des Deygartens verwendeten Re- gimentsärzte sind:' Fleschhut, ein bejahrter einfacher Mann von alter Schule, Zeraldi, ein geschickter Operateur, Laporte, ein guter Chemiker, der die Pharmacie leitete. Gründliche wissenschaftliche Bildung trifft man unter den Algierer Mili- tairärzten, besonders unter den Subalternen eben nicht häufig. Selbst an geschickten Operateurs ist Mangel und während der Feldzüge nach dem Innern musste man einige Pariser Chi- rurgen zur Leitung der Ambulancen kommen lassen, welche über die Ignoranz der Unterärzte bittere Klagen führten. Die Oberflächlichkeit der Meisten rührt vom gänzlichen Mangel an wissenschaftlichen Vorkenntnissen her, denn in den ersten Jahren der Occupation nahm man ohne Examen jedes sich als Arzt meldende Individuum in die Armee auf, da grosser Mangel war. Uebrigens ersetzten diese Unterärzte ihre Kenntnisslosigkeit durch grossen Eifer und Muth, der sich namentlich bei den Expeditionen nie verleugnete. Am Ho- spital des Deygartens werden beständig gegen vierzig Unter- ärzte verwendet. Das Civilkrankenhaus steht unter der Leitung eines 107 Engländers, des Dr. Bowring, welcher Algier 'schon lange vor 1830 bewohnte und mit Sprache und Sitten des Landes vertraut ist. Für die Pflege waren bis 1837 noch /nfir- miers, männliche Krankenwärter, angestellt. Erst gegen Ende 1837 machte man den Versuch, die wohlthätigste, men- schenfreundlichste, herrlichste Institution Frankreichs auch nach Afrika zu verpflanzen. Barmherzige Schwestern über- nahmen jene fromme Pflicht, eine für sie gewiss sehr schwe- re Prüfung in einem Lande des Fanatismus und der Barba- rei, bei tief gesunkenen wilden Menschen, welche solcher Wohlthaten ungewohnt, einer Dankbarkeit kaum fähig sind, die niemals gelernt haben, Frauen zu ehren und das zarte, Verhältniss jener Nonnen zu ihren Pfleglingen nicht begrei- fen können. Die Vorläuferinnen dieser religiösen Schwestern machten in Algier die soeurs de Za charite, vou denen der Marschall Clauzel 1835 eine Anzahl nach Algier kommen liess. Sie hatten dieselbe Bestimmung, wie in Frankreich, arme Mädchen zu unterrichten, Hauskranke oder überhaupt nothleidende Familien zu pflegen, zu unterstützen, zu trösten, überall ihren milden Einfluss zu verbreiten, das Elend aufzu- suchen und Thränen zu trocknen. Auch nach den kleineren Städten der Küste wanderten diese edlen Frauen — ich sah deren in Bona und Oran. Die soeurs de la charite in Afrika kleiden sich wie die Schwesterorden im Burgundi- schen, schwarz und weiss, die passendste Feiertracht ihres Standes. Auf ihrer Brust ruht ein hölzernes Kreuz mit dem ‚Erlöser, Haar und Stirne sind nicht wie bei den Nonnen in Europa unter der schwarzen Mantilla der Welt ewig verhüllt. Statt deren tragen sie einen weissen Damenhut von ziemlich eleganter Form, zum Schutz gegen die Sonne, welcher ihnen vortrefllich steht. Es fehlt unter diesen Jungfrauen nicht an 108 schönen anmuthigen Gestalten, es sind Töchter von den edel- sten Familien des südlichen Frankreichs, welche ihrer frei- willig erkorenen peinlichen Pflicht mit der sittigen Würde und jenem Heldenmuth sich unterziehen, die nur strenge Seelenreinheit und inbrünstiger Glaube giebt. Oft sieht man diese Nonnen allein in die eutlegensten Stadttheile wandern, in die schmuzigsten verrufensten Häuser dringen, hier einen Hungernden speisen, dort für einen Sterbenden Gebete spre- chen. In dieser frivolen Stadt scheusslicher Laster, des Arg- wohns, der Eifersucht, wo der Muselmann sein Weib fast wie eine Gefangene bewahrt, weil er keinen Glauben hat an weibliche Tugend, tritt gleichwohl bei dem Begegnen einer dieser religiösen Frauen Alles in scheuer Ehrfurcht auf die Seite. Der hochfahrende Muselmann hält sich sonst fast für erniedrigt, ein Weib zu grüssen, und gleichwohl sah ich so manchen, in Fanatismus grau gewordenen Mauren bei dem Anblicke einer Nonne die Hand aufs Herz legend und das Haupt ehrerbietig beugend den Gruss hinmurmelnd, wie bei dem Begegnen seines Marabut. Es hat diese Art von Wohlthun, diese Entsagung eines heitern Lebens für einen geahneten fernen Lohn, die ganze mysteriöse, ernstliebliche Erscheinung jener geistlichen Frauen ein Etwas, was die Phantasie des Mahomedaners anspricht. Zu sündhaft, um ein solches Leben nachzuahmen, zu indolent, um auch nur zu versuchen, je nur in ähnlicher Weise das Wohlthun unter seinem Volke einzuführen, zu fanatisch, um es auch nur zu wünschen, da diese Wohlthat von Christen stammt, huldigt der Mahomedaner gleichwohl der Schönheit der Gesinnung und gewiss ist die Mission der barmherzigen Schwestern nach Algier eine jener Massregeln gewesen, die am ersten geeignet waren, die muselmännische Bevölkerung, namentlich 109 die jüngere Generation mit dem Christenthum und ihrer frem- den Beherrschung auszusöhnen. Der Wirkungskreis der soeurs de la charite in Al- gier ist sehr ausgedehnt, zugleich weit mühsamer aber auch belohnender, als in Europa. Sie haben vor Allem für die Töchter armer Colonisten zu sorgen, dass diese in Verwahr- losung nicht zu Grunde gehen. Sie lehren den jungen Mäd- chen Lesen, Schreiben und weibliche Arbeiten, unterrichten sie in der Religion, führen sie nach der Kirche zur Fir- mung, wachen über sie im jungfräulichen Alter, so viel’ es sich thun lässt, und stehen ihnen mit ihrem milden Rath bei in allen späteren ernsteren Liebensverhältnissen. Mit diesen Kindern armer Ansiedler ist ihre Verbindung von der herz- lichsten Art. Sie sind ihnen mehr als Eltern, da sie fast allein ihre ganze geistige und religiöse Erziehung leiten, werden dafür auch durch deren innigste Anhänglichkeit be- lohnt. Ihre mütterliche Erziehung erstreckt sich auch auf viele arme Jüdinnen, meist vaterlose Waisen, welche die wahren Mütter ihnen gern überlassen, da das Vertrauen auf die barmherzigen Schwestern unter allen Glaubensbekennern grenzenlos ist. Ihr Verhältniss den Männern gegenüber ist natürlich viel schüchterner, viel zarterer Natur. Unter den Eingebornen sind es gerade die rohesten, wildesten Menschen, die Corporation der Taglöhner, die Kabylen, Neger, Biskris, welche in ihre Domaine verfallen. Diese Leute, die meist nur temporär in Algier ihren Sitz aufschlagen, haben selten ein Obdach und schlafen auf der Strasse. Wird ein solcher Taglöhner krank, so sind es die barmherzigen Schwestern, die ihn aufsuchen, und nach dem Spitale tragen lassen. Je- ne, die das Spital verlassen und doch noch zu schwach sind, ihr Brod zu verdienen, erhalten so lange Speise, bis sie zur 110 Arbeit wieder kräftig geworden. Es bedarf einer grossen Seelenstärke, des vollsten Bewusstseins weiblicher Tugend, und hoher Begeisterung für den religiösen Beruf, um mit so wilden, abschreckenden, halb nackten, sinnlichen Men- schen umzugehen. Gewiss ist dies die schwerste Bürde der Mission jener Frauen. Unter den europäischen Ansiedlern sind die Franzosen als die zahlreichsten, als die Eroberer und Herrscher des Landes, begreiflicher Weise das erste tonangebende Volk. Sitten, Leben und Einrichtungen haben im Ganzen den fran- zösischen Schnitt. Die neuen Gast- und Kaffeehäuser, Kauf- läden, Lesecabinete u. s. w. sind ganz wie in den französi- schen Seestädten. Fast alle Gesellschaften, die meisten Bälle und öffentlichen Unterhaltungen sind nach demselben Ge- schmacke geordnet. Da die neue Bevölkerung meist aus jüngeren, lebensfröhlichen Personen besteht und das zahlreiche Militair, die vielen reichen jungen Officiere der geselligen Unterhaltung grossen Schwung geben, so ist das Leben in der Stadt gar ergötzlich, ein lebenslustiges, buntes bewegtes Treiben herrscht dort durch alle Jahreszeiten. In den glän- zenden Kaffeehäusern findet sich immer zahlreiche Gesell- „schaft. An dem einen Tisch wird lebhaft conversirt, an dem andern hört man das Klappern der Dominosteine oder das Klingeln der Fünffrankenthaler bei den Wetten des Billard. Kaum dürfte in irgend einer andern Stadt der Welt nach dem Verhältniss der Bevölkerung mehr Geld verzehrt und verjubelt werden. Alles lebt dort in Saus und Braus, die meisten Officiere verlassen Afrika mit Schulden, so man- che Beamte mit Kassedefecten, viele Speculationswüthende und verschwenderische Civilisten endigen mit dem Bankerbott. Die Vergnügungssucht hat ihren Grund, wie schon erwähnt, 111 in der Jugend und in der Zusammensetzung der Bevölkerung, unter welcher es unruhige abenteuerliche Köpfe in Hülle und Fülle giebt. Die Militairs, welche ihre meiste Zeit in den Lagern zubringen und dort eine monotone langweilige Exi- stenz fortschleppen, halten sich reichlich schadlos, so oft sie in die Stadt auf Besuch kommen. Da es also an Consu- menten nicht fehlt, so kann man sich denken, wie viele ge- winnsüchtige Leute auf diese Genusssucht der Andern specu- liren. Ausser dem Theater wurden kleinere Komödienspiele in den Kaffeehäusern errichtet und in den Gasthäusern hüb- sche junge Guitarrespielerinnen, Sängerinnen engagirt, um die Leute anzulocken. Grössere Gesellschaften und Bälle geben die Generale und höhern Beamten im Winter fast täglich. Es herrscht in diesen Salons ein ungezwungener heiterer Ton, nur dominiren die Uniformen etwas zu sehr, was freilich die artigen Manieren, welche die höhern französischen Officiere gewiss mehr, als die irgend einer andern Nation zeigen, ei- nigermassen vergessen machen. Der Marschall Clauzel, wel- chen ich zu Ende 1836 noch als Gouverneur traf, gab selten grössere Gesellschaften und lebte sehr zurückgezogen, woge- gen bei seinem Nachfolger Damremont in der erleuchteten Säulenhalle des Gouvernementsgebäudes jede Woche musicirt, getanzt, gespielt wurde. Es nahmen auch Eingeborne, Mu- selmänner und Juden, an diesen Abendunterhaltungen Theil, darunter Notabilitäten, wie Ben-Omar, Exbey von Medeah, Mustapha Pascha, der berüchtigte Ben-Durand, Algiers Roth- schild, sogar arabische Scheikhs, die in ihrem imposanten Costume mit aller orientalischen Gravität unter dem Gedränge der Uniformen promenirten. General Damremont zeichnete die Eingebornen immer aus, und lud deren sogar häufig zur Tafel, wo sie mit vollkom- 112 menstem Anstand sich benahmen und die Gesellschaft gut un- terhielten. Selır hübsche Abendcirkel fanden im Winter 1837 bei dem Intendanten Melcion d’Arc statt, wo es häufig Mu- sik oder ästhetische Vorlesungen gab. Die Gemahlin dieses hohen Militairbeamten ist eine Deutsche, seine Familie ver- einigt mit seltner Bildung hohe Liebenswürdigkeit. Eben so. interessant waren die Salons bei dem Civilintendanten Herrn Bresson und dem alten würdigen General Bro, einem der edelsten Männer, die ich kennen gelernt. Unbestreitbar ist bei den Franzosen der Geschmack für geselliges Leben am ausgebildetsten und kein Volk dürfte es besser verstehen, dem Leben einen so immerwährenden Reiz abzugewinnen. Sehr richtig ist die bekannte Bemerkung, dass der Franzose sich, so lange er Gesellschaft hat, niemals, auch in keiner Lage, ganz unglücklich fühlen wird. Zur Zeit der Revolu- tion von 1793 waren in den Kerkern von Sainte-Pelagie eine Menge der Guillotine verfallene Schlachtopfer einge- sperrt, Männer und Frauen aus allen Ständen und von allen politischen Meinungen. Man wollte, so wenige Stunden vor einem ewigen Scheiden, in vollen Zügen noch die letzten Freuden des Beisammenseyns geniessen. Scherzend und schäkernd führte man ein Theatertableau, die Scene der Hinrichtung, auf. Aus den hölzernen Sitzen fertigte man eine Guillotine, einer der Gefangenen spielte den Henker, ein anderer das Opfer, unter Lachen gab man die schreck- liche Fastnachtsscene und eine Stunde später vielleicht wurde die Komödie zur fürchterlichen Wirklichkeit. Ich weiss nicht, ob der Schriftsteller, der diesen merkwürdigen Zug mit- theilt, sich an strenge Wahrheit-gehalten, aber jedenfalls ist der Charakter des Franzosen treffend genug damit bezeichnet. In der Regel würde er den Tod in Gesellschaft einem völlig 113 einsamen Leben vorziehen. Ich habe die französischen Sol- daten vor Constantine in einem furchtbaren Zustande, todtmü- de, hungernd, in eisige Fluth gebettet, umschwärmt und ge- neckt von einem unerbittlichen Feind und dennoch nicht ganz verlassen von ihrem heitern Muth, gesehen, welcher ihnen nie näher steht, als in den Zeiten der Gefahr; der Pariser Blagueur machte seine Witze, der Gascogner seine Gascona- den und so lachten sie sich das Fieber vom Leibe. Die grösseren gesellschaftlichen Zusammenkünfte charakterisirt die Mischung der anwesenden Civilstände mehr als in einer Stadt Frankreichs, Nirgends behauptet das Geld mehr seine Macht, als in den Colonien, wohin man durch dieses Zaubermittel alle Wunder der europäischen Industrie so leicht und rasch verpflanzt. Unter den Civilisten giebt es durchaus nur gewer- betreibende, gewinnlustige Stände, keinen Adel, wenig Be- amte , keine Gelehrten, keinen zahlreichen Klerus, welche der Geldaristokratie das Gleichgewicht halten könnten. Zu den begütertsten Ansiedlern gehören in Algier Handwerker so gut wie Kaufleute, Colonisten, Wirthe, Speculanten alier Art, fast sämmtlich nagelneue Glücksemporkömmlinge,, denn man hat dort wie bei andern Niederlassungen ähnlicher Art die Erfahrung gemacht, dass reiche Leute ihr Geld verloren und mittellose Speculanten die lucrativsten Geschäfte machten. So oft nun grössere Salonscirkel und Bälle gegeben werden, findet sich die ganze bunte Classe der Begüterten ein. Wein- händler, der reichste Stand, Capitalisten, die ihr Geld nicht unter 25 Procent Zins ausleihen, Caffetiers, Regenschirm- fabrikanten, Kleiderhändler, Pflanzer bilden in bunter Menge die vornehmsten Gäste nach dem Militair. Aber jener An- stand, jene Haltung und Zuversicht, welche die Franzosen aller Stände besitzen, stellt unter diesen, dem Anscheine Morıtz WAsner’s Algier. 1. 8 114 nach so unverträglichen Elementen eine vollkommene Gleich- heit her und es wäre dem Fremden, selbst dem besten Beob- achter schwer, die heterogenen Bestandttheile zu analysiren oder, würde er es versuchen, so dürfte er wohl auf wunder- liche Missgriffe stossen; er würde leicht einen stattlichen Pariser Modewaarenhändler für den Polizeidirector und die- sen vielleicht für einen Epicier nehmen. Nach amtlicher Zählung betrug im Juni 1839 die Zahl der angesiedelten Franzosen 8031. Den französisch- afrikanischen Salons fehlt leider jenes anmuthige Element, ohne welches das gesellige Leben bei allem fröhlichen Sinn seiner Jünger doch immer nur verkrüp- pelt und reizlos bleibt. Bringt man die Militairbevölkerung mit in Anschlag, so ist dort das Verhältniss der Frauen zu den Männern wie 1 zu 20; nur unter den höhern Clas- sen dürfte sich dieses Verhältniss etwas niedriger stellen. Daher dominiren in den Salons gewöhnlich nur Männerunter- haltungen, das Hazardspiel und das Punschglas; auf Bällen ist es ein seltnes Glück, eine Tänzerin zu erhaschen, die nicht für alle Touren des Abends versagt wäre. Die franzö- sischen Frauen kommen den deutschen an gelehrter Bildung und häuslichem Sinn, den Engländerinnen an Schönheit und Sittsamkeit vielleicht nicht gleich, sie übertreffen beide aber an Lebhaftigkeit des Geistes, an feiner Beobachtungsgabe, an Redetalent, an bewunderungswürdigem Tact des Beneh- mens und überhaupt an Anmuth, welche, wie Göthe sagt, al- lein die Frauen unwiderstehlich macht. Nach den Franzosen sind die Spanier der zahlreichste und nationalste Theil der europäischen Ansiedler. Ihre Zahl betrug im Jahre 1839 nach der Liste der Civilintendanz 6687, es sind grösstentheils Auswanderer der Insel Minorka 115 und werden von den Franzosen immer unter dem Namen Mahoneser bezeichnet. Spanier der Halbinsel haben sich in grösserer Zahl blos in Oran angesiedelt. Ich habe bereits bei Anlass meines Aufenthaltes in Mahon von dem Charakter und Leben der Balearenspanier gesprochen. Sie haben ihre Nationalität ganz unversehrt verpflanzt, was ihnen bei einer gleichzeitigen Auswanderung in Masse und bei der Nähe ih- rer Heimath weit leichter, als den Franzosen und Deutschen geworden. Die Spanier zeichnen sich in Algier durch einen harmlosen, ruhigen, religiösen Sinn, durch eine sehr mässige, frugale Lebensart und durch ihre Gewerbthätigkeit aus. Sie sind der Colonie besonders nützlich, weil sie in den Gewer- ben Lücken füllen, welche ohne ihre Anwesenheit gewiss sehr fühlbar wären. Sie sind fleissige Gemüsegärtner, Fi- scher, Gondeliers, Krämer und Marketender, eigentliche Handwerker giebt es wenig unter ihnen, blos zur Schuhma- cherei lieferten sie einen beträchtlichen Contingent. Ihre In- dustrie steht übrigens auf keiner hohen Stufe, aber für die schwierigern Gewerbe, kostspieligern Etablissements haben sich französische und deutsche Unternehmer genug gefunden, so dass die Spanier in ihrer niedern Sphäre gerade der noth- wendigste Theil der Bevölkerung waren. Fehlt ihnen auch zu den Handwerken das nöthige Geschick, so sind sie dage- gen fleissige Pflanzer und viele haben sich durch das Anle- gen von Olivenbaumgärten eine schöne Zukunft gegründet. In zwanzig Jahren dürfte Algier, wenn man dort Sicherheit einführen könnte, mit den meisten Oliven pflanzenden Staaten des Mittelmeeres rivalisiren können. Die Spanier versehen fast allein den Markt mit Gemüse und verkaufen vielleicht bereits eben so viel edle Früchte als die Mauren, obwohl diese noch alleinige Besitzer der grossen prächtigen Gärten # 116 von Belida sind. Die Fischer und Gondeliers bilden den ärmsten Stand unter den Mahonesern, es giebt deren in gros- ser Zahl, da es eine leichte kunstlose Beschäftigung ist und ihnen immer auch Zeit lässt, sich dem „‚süssen Nichtsthun “ hinzugeben. Lucrativ ist die Fischerei an den Küsten der Berberei keineswegs. Da die Küste bei Algier meist ganz flach ist, so müssen die Fischerboote eine bedeutende Strecke in das Meer hinausfahren; andere Fischer ziehen die Netze dann mit Stricken an das Land. Gewöhnlich vergeht wäh- rend eines einzigen Zugs eine halbe Stunde, und ist das Netz am Land; so sieht man sich durch einen magern Fang oft recht bitterlich getäuscht. Dafür leben diese Spanier aber auch so frugal, dass sie selbst in den schlechtesten Zeiten des Meerfischfanges, da wo die Stürme brausen und die See- bewohner in die Tiefe fliehen, immerhin genug fangen, um mit ihrer Familie sich satt zu essen. Freilich müssen dann manchmal sogar getrocknete Haifische zum Mahle herhalten, - deren Fleisch nicht viel besser als Holz schmeckt. Die Leidenschaft der Spanier für den Tanz ist weltbe- kannt. Graf Custine erzählt vom Baskenland, dass auf den äussersten Vorposten der carlistischen Lager sich oft Tänzer- gruppen bildeten, die sich durchaus nicht stören liessen, wenn auch zuweilen christinische Kanonenkugeln mitten durch die Reihen des Bolero schlugen. ‘ Die friedlichen Mahoneser ha- ben zwar ihre Tanzlust nie in ähnlicher Weise: zu erproben gehabt, doch halte ich sie solcher Kraftbeweise ihrer Tanz- leidenschaft nicht für unfähig. In einem maurischen Gebäude der Strasse Bab-el-Uad werden an jedem Donnerstage spa- nische Bälle gegeben, welche von Zuschauern aller Nationen besucht werden. Franzosen versuchen dort manchmal an den Tänzen Theil zu nehmen, vermögen aber bei all ihrer Leicht- 117 füssigkeit weder die Energie der spanischen Beine beim Bo- lero, noch die schöne Haltung der tanzenden Gruppen beim Cachucha und Mahonesertanz nachzuahmen. Als industriöse, fromme und heitere Menschen sind die Mahoneser jedenfalls ein Segen für die neue Colonie, wenn sie gleich den übri- gen Europäern, besonders den Franzosen und Deutschen an Kenntnissen weit nachstehen. Die Zahl der Deutschen in den verschiedenen Städten der Regentschaft betrug nach den Registern der Intendanz zwar nur 835 Köpfe, doch dürfte der wirkliche Effectiv we- nigstens doppelt so stark seyn, da jedermann weiss, wie über die Hälfte der dort eingewanderten Deutschen, theils um dem Milizdienst zu entgehen, theils aus blosser Nachlässigkeit ver- säumt hat, sich auf dem Stadtregister eintragen zu lassen. Dies gilt namentlich von der Taglöhnerclasse, welche durch die verabschiedeten deutschen Soldaten der Fremdenlegion einen starken Zuwachs erhält und: meist auf dem Land bei grössern Gutsbesitzern zerstreut ist. Die eigentlichen deut- schen Colonisten, nämlich die Grundbesitzer in den Dörtern Deli-Ibrahim, Kuba, Duera und Buffarik, sind ‚durch die Seuchen 1832 sehr zusämmengeschmolzen und leben meist in gedrückten Umständen, die sie grossentheils selbst verschul- det haben. Unter den deutschen Taglöhnern ist das Elend gross. Da man unter den Eingebornen zu Handlangerarbei- ten bei den Bauten willige Leute genug, namentlich arıne Kabylen, Biskris und Neger findet, so ist der Taglohn sehr gedrückt und steigt nicht über 25 Sous, mit denen es für den Europäer , der nicht wie die Biskris auf der Strasse logirt und an bessere Nahrung gewöhnt ist als an ungesalznes Brod und gebrannten Mais, in Algier eine Kunst ist zu le- ben. Auf den grösseren Landgütern, wie zu Reghaia oder 118 zu Hausch-Hussein-Pascha, leben die Arbeiter zwar besser, da sie dort gut verköstigt werden und ziemlich bequeme Wohnungen, ausserdem auch einen Lohn von mindestens 15—20 Franken monatlich bekommen; aber diese neuen Pflanzungen liegen sämmtlich in zwar fruchtbaren, aber feuch- ten und ungesunden Gegenden, deren Miasmen erst aufhören werden, wenn sie völlig angebaut sind. Die meisten Taglöh- ner werden in jenen Pflanzungen krank und beziehen dann das Algierer Spital. Die Wiedergenesung von dem Wechselfieber, welches in der Stadt sehr selten, in der Umgegend aber de- sto häufiger vorkommt, ist sehr langsam und die Nachwehen, Schwäche des Kopfs und der Glieder, dauern oft Jahre lang. Wilhelm Schimper, welcher schwer davon befallen wurde, hat in seiner Schrift den Gang und Charakter dieser Krank- heit ausführlich beschrieben. Sie griff bei ihm das Gehirn so heftig an, dass er beim Austritt aus dem Hospital sein Gedächtniss völlig verloren hatte und um seiner Genesung willen nach Europa zurückkehren musste. Man sieht in den Strassen Algiers fast täglich arme deutsche Taglöhner, wel- che vom Hospital kommen, leichenfärbig, mit trübem Auge durch die Strasse wandern und die Leute um ein Almosen ansprechen. Viel glücklicher sind die eigentlichen Handwerker, wel- che hübsch in der Stadt in schönen schattigen Häusern woh- nen, Abends während des Spazierganges am Meere eine rei- ne würzige Luft trinken oder im deutschen Bierhäuschen nach vaterländischer Weise sich vergnügen können. Besonders einträgliche Metiers sind Büchsenmacher, Schneider, Maurer, Schreiner, Schlosser u. s. w. An Schuhmachern wimmelt es bereits; es ist dieses das verbreitetste Handwerk, wird von vielen Südländern, namentlich Maltesern getrieben, und bringt 119 wenig Gewinn. Die Mehrzahl der Schuhmacher bewohnt elende Löcher von Werkstätten, viele arbeiten unter freiem Himmel und verdienen mühsam ihr täglich Brod. Friseurs sind gleichfalls in Unzahl dort mit mühseligem Erwerb. Da- gegen machten einige der seltneren, wenn auch kunstlosen Professionen Glück. So kenne ich einen deutschen T’hüran- streicher, welcher als der einzige seines Handwerks fast ein reicher Mann geworden ist. Einige deutsche Brauner, die sich erst vor wenigen Jahren etablirten, haben, da bei dem warmen Klima der Durst doppelt gross ist, sehr gute Ge- schäfte gemacht. Es giebt bereits deutsche Wirths- und Gast- häuser in Algier, wo Alles möglichst deutsch zugeht. Der angesehenste und glücklichste "Theil der deutschen Ansiedler sind natürlich die Kaufleute. Krieg macht selten reich, bei dem Gewerbe und Ackerbau geht es langsam und die Piaster werden da nur im Schweisse des Angesichts ge- wonnen; der Handel hingegen ist das schnellste und ange- nehmste Mittel, Schätze zu gewinnen in allen Gegenden un- ter der Sonne. Dies haben in Algier viele unternehmende, rastlos thätige deutsche Männer, die durch das Ungemach der ersten Jahre der Occupation nicht zurückgeschreckt wur- den, zu ihrer Freude erfahren. Männer, wie Gugenheim, Hirche, Schwab, Hermann, Escher, Jost u. A. haben erst im allerkleiusten Massstab angefangen und ihre Quincaillerie- waaren auf dem Markt unter freiem Himmel oder ihren Wein unter dem Zelt des Cantiniers verkauft. Sie specu- lirten dann auf Bauten, kauften um Spottpreise maurische Häuser und wandelten sie in grosse Gebäude um, wo sie ge- genwärtig als reiche Leute, von stattlichen Waarenlagern umgeben, bequem wohnen, blos nur noch die Oberleitung ih- rer Geschäfte führend, welche Commis und Diener auf alle % 120 : Weise erleichtern. Diese Männer haben sich in Algier ganz eingelebt und sind mit ihrem Schicksale zufrieden. Wenn. sie auch der Heimath noch zuweilen sehnsüchtige Erinnerun- gen schenken und von dem Plan gern sprechen, das _Ende ihres Lebens als Rentiers in ihrem Vaterland zu beschliessen, so bin ich doch überzeugt, dass sie nie zur Ausführung dieses Projectes kommen. Wenn auch keine eigentliche Bodenliebe sie an Afrika fesselt, so bleiben sie doch dort schon aus Lust am Gewinn, an den reichlichen Zinsen, die Afrika den Capitalisten trägt. Und wäre auch dies nicht der Fall, so würde die Neugierde zu erfahren, wie sich das Land noch gestalten wird, die Gewohnheit an den Anblick des Men- schengewühles und der immer neuen Scenen des afrikanischen Lebens, ihre Abreise kaum zulassen. Wären sie aber auch wirklich lieber in der Heimath, so würde ihnen doch die Erinnerung an das Land, wo das Glück ihnen so wunderbar gelacht, an das halb morgenländische, halb europäische ge- nusssüchtige, lockende Leben, das liebliche Klima, wo Ofen und Pelzmantel entbehrlich sind, und ein Spaziergang in der Januarsonne den greisen Gliedern so wohlthut, die gehoffte Ruhe in der Heimath nicht mehr gönnen. Die deutschen Kaufleute, meist noch junge unverheirathete Männer, leben in sehr angenehmen Cirkeln. Zwar mischen sie sich nicht un- gern unter die Franzosen und meiden deren Unterhaltung keineswegs, dennoch findet das germanische Blut sich fast wie unwillkürlich in den Kaffeehäusern auf einem Fleck zu- sammen, und erfordert nicht etwa die Anwesenheit eines fran- zösischen Freundes,. aus Höflichkeit französisch zu conversiren, so hört man unsere kräftige Mutterspracht immer vorzugsweise, Mancher wackerer Landsleute dort gedenke ich mit inniger Liebe und wünsche der Colonie Glück zu solchen Bürgern. 121 1% Ausflüge in Algiers Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. — Der Fhos oder die Banlieue Algiers. — Der Sahel. — Cap Caxines. — Budscharea. — Das Colonisten- dorf Deli-Ibrahim. — Die militairische Niederlassung Mustapha- Pascha. — Das Lager und Colonistendorf Kuba. — Maison carree. — Lager Byr-Kadem. — Hausch Hussein-Pascha oder ferme modele. — Die Lager Duera und Mahelma. Wenn man im Monat April vom Hügel des Kaiserforts auf die umgebende Landschaft schaut, so entrollt sich eines der herrlichsten Panoramas der Welt. Das Auge dominirt eine Runde von mehr als dreissig Meilen, Hügel, Ebene und Gebirge im Schmuck eines afrikanischen Frühlings, das blaue wogenlose Meer, auf dem sich zahlreiche Fischerbarken und Kauffahrteischiffe mit schwellenden Segeln schaukeln. April und Mai sind Algiers schönste Monate, wo die Vege- tation am kräftigsten sprosst. Neben dem nie alternden Grün der gekrönten Dattelpalme, des bald einzeln, bald gruppen- weis stehenden Citronen - und Johannisbrodbaumes, steht die Silberpappel und der Weinstock in frischem, zartgrünen Ge- triebe. Die Schlingpflanzen um die uralten Stämme gewun- den und mit ihren farbigen Blumenkelchen die rauhmoosige Rinde streichelnd; der Boden von einem dichten Blumen - und Halmenwuchs von 1!/, Fuss Höhe bedeckt, die Schnabel- schläge der Vögel gegen den morschen Ast des Olivenbau- mes, ihr Morgengesang, das muthwillige Flattern im Blätter- 122 netz, das Zirpen und Summen zahlloser geflügelter schillern- der Insecten erhöht da unstreitig den Zauber einer hochherr- lichen Gegend. Zunächst übersieht man von dem Kaiserfort oder überhaupt von der ganzen Hügelkette, vom Budscharea bis zum Lager Kuba, das blühende Meergestade zwischen Cap Caxines bis Maison carree, eine überaus gesegnete Landschaft, besäet mit weissen maurischen Gartenhäusern ; dann den Sahel und dessen Fortsetzung im Osten bis zum Cap Matifu, eine noch wilde uncultivirte Gegend, bedeckt mit dichten Büschen und Strauchwerk, im Süden und Osten des Sahel die Ebene Metidscha mit ihren arabischen Duars - und ihren Baumoasen, endlich die schöne nördliche Kette des Atlasgebirges, welche im Osten der Dschurschura, ein maje- stätischer Schneeberg mit sieben Gipfeln überragt: Die vier genau von einander gesonderten Terrains: das flache Gestade, dann das Hügelland oder der Sahel, welches dicht hinter dem Gestade sich aufthürmt, die Ebene Metidscha, welche im Süden des Sahel beginnt, und das Atlasgebirge im aller- äussersten Hintergrund, haben sämmtlich die Form von Bö- gen, deren halbrunden Bauch immer eines jener Terrains wieder ausfüllt. Der Atlas als die südlichste dieser Terrain- abtheilungen bildet, alle andern umfassend, natürlich den grössten Theil dieser Bögen. Die Brandung des Meeres wälzte auf dem flachen Ge- stade einen Sanddamm auf, der an wenigen Stellen über 200 Fuss breit ist. Dann beginnt eine hellschwarze, ziemlich fette fruchtbare Vegetalerde, welche die kleine schmale Flä- che zwischen dem Meer und dem Hügelland, sowie auch den Abhang dieses letztern grösstentheils bedeckt. Auf dem trock- nen Sande am Gestade wachsen im Frühjahre vielerlei Pflan- zen, wie Iris alata, Euphorbia paralias et helioscopia, Ce- 123 rinthe major, Smilax mauritanica u.a. In der kleinen Ebene und auf dem besonders fruchtbaren Abhang der Hügelkette wächst der Cactus opuntia in einer Ueppigkeit, die wohl nur in dem cactusreichen Mexico und Brasilien übertroffen wird. Seine ungeheuren mit langen Stacheln und kleinen stachlich- ten Warzen besetzten Blätter werden oft zwei Zoll dick und erreichen die Grösse eines Pferdekopfes. Gewaltige Mauern, Schanzen, Wälle in den verschiedensten bizarrsten Formen bauen sich aus seiner Blättermasse. Der Cactus wird oft um den Rand der Gärten gepflanzt und bildet eine undurchdring- liche Umzäunung. Die riesenhafte Agave americana, gleich- falls äusserst häufig in dieser Landschaft, steht dem Feigen- cactus an Pracht des Wuchses wenig nach und gewährt be- sonders im August mit ihrem zwanzig Fuss hohen Blumen- stengel, dessen gelbe Blüthen in Kronleuchterform sich oben vertheilen, einen prachtvollen Anblick. Dattelpalmen kom- men nur dicht bei der Stadt einzeln vor. Sonst bedecken in eultivirtem Zustand Orangen-, Citronen-, Bananen-, Granat- und Mandelbäume diese Dammerde, wild wächst der Oliven- baum in einer Höhe und Schönheit, die ein Bewohner der Provence kaum für möglich halten würde; der Maulbeerbaum kommt selten vor, ist aber von ungemeiner Grösse; Johan- nisbrodbäume wachsen sowohl in wildem als cultivirtem Zu- stand. Als Gebüsch sprosst die Philyreastaude, als niedere Pflauzen die Malvenarten am häufigsten. An Quellen und Bächen ist kein Mangel dort, daher die Fruchtbarkeit, die nur in den drei heissesten Monaten Juli, August und Septem- ber schwindet, wo der Boden dürre ist und die niedere Vegetation völlig vom Gluthstrahl versengt. Die aus der Vegetalerde hie und da nackt hervortretenden Felsen beste- hen meist aus tertiärem Kalkstein, welcher auf talkartigem 124 Glimmerschiefer ruht. Letzterer bildet eigentlich die Haupt- grundmasse dieser Hügel und tritt auf vielen Stellen, nament- lich auf dem Gipfel des Budscharea, die tertiären Schichten durchbrechend, nackt hervor. Die ganze Masse ist mit Adern von weissem Quarz durchdrungen. An mehreren Stellen, so namentlich bei dem Kaiserfort, geht dieser Schiefer in Feld- spath und Gneis über. Das Eisen trifft man in diesen Fel- sen unter den verschiedensten Formen, wiewohl nicht in hin- reichender Quantität, um ausgebeutet zu werden. Der Bu- dscharea, der höchste Gipfel dieses Hügelterrains, kaum eine halbe Stunde von Algier entfernt, erhebt sich 1230 Pariser Fuss über die Meeresfläche. Die Fortsetzung dieser Hügelkette nach Süden, der Massif oder Sahel, welcher eigentlich ein unregelmässiges Plateau mit Höhen und Thälern bildet, ist mit einer dichten wilden Buschvegetation bedeckt, aber wenig angebaut. Die Zwergpalme ( Chamaerops humilis) , eine kaum ausrottbare Pflanze, verdrängt mit ihren Wucherwurzeln und fächerförmi- gen Blättern fast alle übrigen Sträucher. Nur manche Stel- len hat der Pistaciastrauch und der Stachelginster schon so sehr occupirt, dass kein Verdrängen mehr möglich ist. Die stärkste Breite des Sahel in gerader Richtung südlich beträgt etwa sechs französische Lieues. An allen übrigen Punkten ist er weniger breit. Seine Länge von den Ufern der Aradsch bis Sidi Ferruch beträgt etwa acht Lieues. Der Sa- hel hat ein einziges ganz unbedeutendes Flüsschen, den Uad- el-Kerma (Feigenfluss), der mit der Aradsch sich vereinigt. An den Extremitäten im Osten und Westen wird der Sahel schmaler und flacher und versinkt fast ganz in die Ebene Metidscha. Nur ganz schwache Erhebungen treten zwischen der Aradsch und dem Cap Matifu wieder hervor. Uebrigens 125 dauert dieselbe wilde Buschvegetation dem Meer entlang bis zu dem Cap Matifu und noch weiter nach Osten fort. Im | Süden des Sahels dehnt sich die Ebene Metidscha aus, wel- che das Hügelland in einem bogenförmigen Halbkreis um- fasst und an den Extremitäten, wie schon erwähnt, sich fast mit ihm verschmilzt. Die Ebene Metidscha ist ein grünes, ziemlich kahles Gefilde von etwa 25 Stunden Länge; ihre grösste Breite in der Mitte beträgt etwas über fünf Stunden. Sie ist mit einer ziemlich fruchtbaren fetten Dammerde be- deckt und auf das Reichlichste bewässert. Sehr viele kleine Flüsse und Bäche, die aus dem Süden vom Gebirge kommen, durchströmen sie. Ihr ganzer nördlicher Rand ist sehr sum- pfig und äusserst ungesund, wogegen der Südrand üppigen Graswuchs, schöne Felder und auch Holzgewächse in Ueber- fluss besitz. Es liegen in der Metidscha viele schöne Hauschs oder Landgüter mit Mauern und Gärten umgeben, viele arabische Zeltdörfer und mehrere französische Lager, aber dies alles verschwindet in dem ungeheuern flachen Raum, so dass die Metidscha ziemlich kahl scheint. Unter den vielen Blumen, welche diese Ebene im Sommer und Frühling schmücken, bemerkt man vor allen die Scilla mari- tima, ein gewaltiges Zwiebelgewächs mit schöner weisser Blüthe, dann viele Iris- und Orchisarten. Däe Ufer sämmt- licher Flüsse und Bäche sind mit ungeheuern Oleandersträu- chen bedeckt, welche im März ihre Scharlachblüthen öffnen. Die erste Kette des Atlas, welche südlich von der Ebe- ne Metidscha sich erhebt, hat eine mittlere Höhe von 3200 — 3900 Fuss über der nahen Meeresfläche. Der höchste Punkt, Ras-el-Hammal, erhebt sich 4900 Fuss über dem Meere. Versteinerte Mollusken finden sich dort, wiewohl nicht in be- deutender Menge. Von Metallen fand man bei den wenigen Ex- 126 cursionen, die dorthin unternommen wurden, viel Kupfer und einiges Eisen. Der nördliche Abhang dieser Kette ist sehr fruchtbar und von den Kabylen ziemlich gut cultivirt. Der wilde Olivenbaum wächst dort zwar nicht sehr hoch, aber im Ueberfluss, auch wird viel Oel davon, zwar von schlech- tester Qualität, aber zu äusserst billigen Preisen, nach Al- gier ausgeführt. In kleinen Wäldern bedeckt die immergrü- ne Eiche und die Korkeiche den Gebirgsrücken. Dort wim- melt es von Raubthieren, namentlich Schakals, Hyänen, Pan- thern, welche bei Tag im Buschwald oder in Felsenhöhlen sich verbergen, in der Dunkelheit aber in die Ebene steigen, und ihre grimmigen Stimmen zu einem graulichen Nachtcon- certe vermählend, aus den Heerden der Araber sich ihre Beute holen. Bis auf eine Entfernung von zwei bis drei Stunden von der Stadt kann man mit ziemlicher Sicherheit nach allen Richtungen sich wagen, doch nur so lange die Sonne am Himmel steht. Zur Nachtzeit ist jeder Spaziergänger gefähr- det, wollte er sich auch nur eine Viertelstunde über die Tho- re hinaus entfernen. Ein gut bewaffneter, gewandter Mann mit scharfem Auge, der das Land und den Charakter der Araber kennt, kann über den ganzen Sahel: streifen, ohne für sein Leben&zittern zu dürfen. Er findet bei Verfolgung in dem Dickicht Schutz, wird dort seinen Feinden unsichtbar oder kann sich nöthigenfalls mit Vortheil vertheidigen. Nie wurde seit den neun Jahren der Occupation ein auch nur et- was erfahrner Jäger ermordet, obgleich deren hunderte den Sahel durchstreifen und sich noch viel weiter bis an das Cap Matifu und an die Ufer des Massafran wagen. Immer waren die unglücklichen Opfer, die unter dem Yatagan der Ha- dschuten fielen, unbedachtsame Soldaten, Fuhrleute oder Colo- 127 nisten, welche allein und unbewaffnet von einem Lager zum andern gingen, ohne von den so oft wiederkehrenden Un- glücksfällen sich schrecken zu lassen. Die weiten Ausflüge nach den Lagern in der Ebene Metidscha und am Fusse des Gebirges sind einzeln, selbst wenn man gut bewaffnet ist, nie rathsam, denn im Falle des Angriffs einer arabischen Bande findet man dort nirgends ein Versteck. Dagegen kann ein Dutzend mit guten Flinten bewaffneter Männer sich wohl nach jedem Punkt innerhalb des französischen Gebietes wa- ‚gen. Die Araber, welche auf dem unbedeckten Terrain sich nicht in den Hinterhalt legen können, greifen selten an, wenn sie nicht fünf gegen einen sind. Ueberdies sieht man zahl- reiche Banden immer schon in sehr weiter Ferne, und dann ist es rathsam, ihnen aus dem Wege zu reiten und sich stets auf einer gewissen Entfernung von ihnen zu halten. An ih- ren Bewegungen erkennt man leicht, ob sie feindliche Ab- sichten hegen, und in diesem Falle rettet den Reisenden ein rascher Ritt nach dem nächsten Lager oder Blockhaus. In kritischen Zeiten, wo man mit den Häuptlingen des Innern im Kriege ist und die Einbrüche der räuberischen Stämme, wie der Hadschuten oder der Anrauhas, sich öfters wieder- holen, ist es klug, sich stets den militairischen Escorten an- zuschliessen, welche zweimal täglich von einem Lager zum andern ziehen. Die Ausflüge in die nächste Umgebung bis auf zwei oder drei Stunden von der Stadt machte ich immer zu Fuss mit einer guten Doppelflinte. Gefährliche Wanderungen, wie nach den Ruinen von Rusgonia, oder nach dem Kubar-el-Rummiah (Grab der Christen), sowie nach allen entfernteren Lagern legte ich immer zu Pferde in einen Beduinenbernuss geklei- det zurück. Letzteres ist sehr rathsam, da die europäische 128 Tracht von weitem schon die Aufmerksamkeit der Araber er- regt und ihre Raublust wecken würde. Das Reisen zu Pfer- de ist etwas sehr Nothwendiges und auch nicht ohne An- nehmlichkeit, da die arabischen Pferde sehr lenksame, uner- müdliche, genügsame und sichere Thiere sind, auf denen man über alle Terrains, über Büsche, Sümpfe und steile Berge wegsetzen kann. Während der’ vielen Ausflüge und grösseren Reisen in das Innere der Berberei, wo ich Pferde vom verschiedensten Werth und Alter ritt, ist mir nicht ein einziges Mal begegnet, dass ein Pferd unter mir gestürzt wäre, ungeachtet diese T'hiere nach entsetzlicher Ermüdung und tagelangem Hungern oft über die abschüssigsten Wege im Trabe laufen mussten. Dromedarreisen sind in dem Lan- de, so weit der cultivirbare Boden geht, nicht gebräuchlich, da man bei dem ungeheuern Ueberfluss an Pferden nie um ein solches verlegen ist. Der Ritt auf dem Dromedare ist wegen des unsanften Trittes dieser Thiere viel ermüdender und unangenehmer, man gebraucht sie fast nur als Lastthiere. Blos für die Wüstenreisen ist das Kameel, wie weltbekannt, unentbehrlich, daher auch die Zahl der Kameele unter den südlichen Stämmen weit grösser ist, als unter den Stämmen am Küstenland. Einige der Hauptstrecken kann man jetzt von Algier aus im Wagen der Diligence zurücklegen. Jeden Morgen fahren mehrere dreispännige Kutschen, die etwa zehn Personen fassen, über Deli-Ibrahim und Duera nach Buffarik. Die acht Stunden lange Strasse ward von dem französischen Militair gebahnt und ist den besseren der Vicinalstrassen Frankreichs an die Seite zu stellen. An einigen Punkten, wo das Terrain weniger Hindernisse entgegensetzt, wie in der Ebene Metidscha, ist die Landstrasse eine wahre Zoute royale, wo drei Wägen neben einander fahren können. 129 Jene Landstrasse ist bis Belida am Fusse des Atlas gebahnt, wird jedoch noch nicht so weit befahren, denn den Civilisten ist der Eintritt in Belida verboten. Sobald der Marschall Valee dieses Verbot aufhebt, fahren dieselben Diligencewa- gen vom Meere bis an den Atlas. Mit dergleichen Unterneh- men sind die Franzosen überhaupt sehr flink bei der Hand, leider aber stehen die Fortschritte des Ackerbaues damit in keinem Verhältniss. Fast in allen Lagern finden sich Luxus- etablissements, wie Billardsäle, Zarns francazs u. s. w., wäh- rend die Umgebungen meist noch Wildnisse sind. In den grösseren dieser „Camps“ kommt man auch nie mit der Woh- nung in Verlegenheit und findet stets entweder mittelmässig gute Betten oder wenigstens reinliche Strohlager, dagegen hält dies weit schwerer in den neuerrichteten Lagern, wie Fonduk oder Kara-Mustapha, und die Bekanntschaft franzö- sischer Officiere, die in allen übrigen Militairniederlassungen überhaupt so nützlich ist, wird dort eine Nothwendigkeit. Meine Ausflüge erleichterten daher gar sehr die Empfehlungs- schreiben des Marschalls Clauzel und des Kriegsministers. Ueberdies traf ich in vielen Lagern mir persönlich befreun- dete Männer, deren Bekanntschaft ich auf andern Wegen gemacht hatte. So nenne ich vor Allen den würdigen Gene- ral Brö, den ich bei dem Baron Faisthammel in Paris gese- hen hatte, den Obrist Lamoriciere, der die Bresche von Con- stantine zuerst erstieg, den Commandanten Levaillant, Al- giers kühnsten Jäger und Sohn des berühmten Reisenden, welchen ich öfters auf seinen Jagden begleitete, wogegen er mir auf meinen Sammelexcursionen folgte; ich sollte noch so manche andere Namen dankend nennen, werde aber wohl Anlass haben, dieselben später im Laufe dieses Werkes an- zuführen. Stets fand ich, wenn ich hungrig und erschöpft Morıtz Wasner’s Algier. 1. 9 130 vom langen Wandern in ein Lager kam, bei diesen wackern Männern einen herzlichen Willkomm, einen Platz an ihrem Tisch unter der Holzbarake und ein Feldbett unter ihrem Zelt. Die weitesten und gefährlichsten Ausflüge machte ich in Begleitung meines Freundes Adrian Berbrugger, Bi- bliothekars in Algier, vormaligen Secretärs des Marschalls Clauzel und Redacteur des Moniteur Algerien. Dieser äus- serst thätige, unternehmende, geistvolle Alterthumsforscher durchwanderte das Land, so weit es ihm möglich war, um alle noch vorhandenen Ruinen sorgfältig zu untersuchen und Nachgrabungen zu veranstalten. Berbrugger ist, ungeachtet seines deutsch klingenden Namens, ein echter Franzose, voll der rastlosen Beweglichkeit und Liebenswürdigkeit, die die- sem Volke eigen, dabei aber ist er gründlicher als die grosse Anzahl seiner Landsleute, und liebt das Studium. Seit sieben Jahren sammelt er sich archäologische und geographi- sche Materialien zur Herausgabe eines Werkes über die Re- gentschaft Algier. Mit ihm besuchte ich zweimal die Ruinen von Rusgonia, den Markt an der Hamiss, Reghaia u. s. w. Die nächste Umgebung Algiers bis zur Entfernung von drei Stunden über die Mauern der Stadt führt den arabischen Namen Fhos oder Fhas, was so viel als Weichbild der Stadt bedeutet und denjenigen District in sich schliesst, über wel- chen früher die Gerichtsbarkeit des Kadi-Maleki sich er- streckte. Der Fhos oder die Banlieue, wie die Franzosen ihn nennen, ist der nördliche Theil des Algierer Massifs, zwischen der Ebene Metidscha und dem Meere, ein köstliches Land voll mannichfaltiger malerischer Ansichten. Die Natur hat an diesem Paradiese ihre reizendsten Launen erschöpft; die unbeschreibliche Schönheit derselben ist in Europa bei wei- tem noch nicht hinlänglich bekannt und gewürdigt. Der 131 Fhos ist ein Hügellaud, von breiten, tiefen Schluchten zer- rissen, deren kräftige Südvegetation die gesegnetsten Ge- genden Spaniens und Italiens hinter sich lässt. Es ist dieses das Geständniss aller Südeuropäer selbst, was viel sagen will, denn gewöhnlich glaubt man in der Fremde sein Vaterland schöner. Die herrlichsten Gegenden, welche ich selbst in Europa und in den übrigen Theilen Nordafrikas gesehen, hal- ten keinen Vergleich aus mit der Algierer Landschaft. Be- lida, am Fusse des Atlas, ist fruchtbarer, aber das Panora- ma seiner Umgebung bei weitem nicht so mannichfaltig. Ich habe italienische Maler gesprochen, welche im Maimonat, der auch in Afrika der schönste ist, von dem Hügel des Kaiser- forts über die weite Gegend unter ihnen blickend, unaufhör- lich ausriefen: ‚202 v’E ziente di piu bello nel mondo!“ Diese Maler hatten Neapel und Sicilien bewohnt. Eine Ordonnanz des Grafen Drouet d’Erlon vom April 1835 theilte den Fhos in neun Gemeinden. Dieselben sind: 1) Pointe Pescade im Westen Algiers, das ebene an- gebaute Meerufer bis zum Cap Caxines (von den Franzosen pointe Pescade genannt) in sich begreifend. Das grosse Ho- spital des Deygartens, das sogenannte „Fort der Engländer“ und der Marabut (Grabmal) Sidi-Yussuf liegen in seinem Gebiete. 2) Budscharea fasst die westliche Hügelkette in sich, und hat seinen Namen von dem höchsten dieser Hügel. Die Kirchhöfe der Christen, Mahomedaner und Juden befinden sich in dieser Gemeinde. 3) Deli-Ibrahim ist das bekannte deutsche Colonisten- dorf und schliesst überdies noch den alten Canton Beni-Mes- sus ein. 4) Mustapha begreift die östliche Hügelkette und die zwischen letzterer und dem Meere gelegene kleine Ebene. Es 9 x 132 ist der schönste Theil der Ländschaft, bedeckt mit Orangen- gärten und prächtigen weissen Ländhäusern im maurischen Style. Da maurische Kaffeehaus Hamma, von den Franzo- sen das Platanen-Kaffeehaus genannt, der jardın des essais und ein Quartier der leichten Cavalerie liegen in seinem Ge- biete. 5) El-Biar ist das Terrain zwischen dem Kaiserfort, Deli-Ibrahim und Byr - Madreis. 6) Byr-Madreis beginnt östlich von El-Biar und endigt im Südwesten eine Stunde vor dem Lager Byr-Kadem. 7) Byr-Kadem ist die bevölkertste Gemeinde des Fhos. Im Centrum seines Terrains befindet sich das Lager Byr- Kadem und an seiner Gränze das Lager Tixeraim. Beide Punkte sind jetzt von geringer Wichtigkeit, da in dieser Ge- gend längst alle Feindseligkeiten aufgehört haben. 8) Kadus. Das Terrain gränzt an Deli-Ibrahim, und ist weniger fruchtbar, als das der übrigen Gemeinden. 9) Kuba zwischen Byr-Kadem und dem Flusse Aradsch, krönt alle Höhen, welche in Südosten von Mustapha -Pascha sich befinden. Das Terrain dieser Gemeinde ist im hohen Grade fruchtbar, leider aber auch zugleich das ungesundeste. der Umgegend. Das feste Lager Kuba, auf dem höchsten Meereshügel, das Colonistendorf desselben Namens und das | prächtige Landgut Hausch-Hussein -Pascha, jetzt Ferme mo- dele genannt, liegen auf dem Gebiete der Gemeinde Kuba. Die Bevölkerung dieser neun Gemeinden des Fhos be- trägt nahe an 3000 Einwohner, worunter ungefähr die Hälfte Europäer sind. Am 23. Mai errichtete der Graf Drouet d’Erlon fünf neue Gemeiden: Hussein -Dey, Byr - Tuta, Deschina, Duera und Massafran. Aber diese existiren ei- gentlich nur dem Namen nach. Ihre europäische Bevölkerung 133 ist mit Ausnahme der des Dörfchens Duera, welche fast blos aus Soldatenwirthen besteht, gar nicht der Erwähnung werth und die wenigen dort existirenden Colonisten bewohnen Ein- siedeleien. In jeder der Landgemeinden ist ein französischer Maire eingesetzt, welcher zwei Adjuncte, einen Eingebornen und einen Europäer, an seiner Seite hat. Die Maires halten in ihrem Gebiete die Staatsregister, führen die ländliche Poli- zei, und üben fast alle jene kleinen Functionen, wie ungefähr in Frankreich, aus. Diese Organisation lässt den Eingebor- nen nicht hinlängliche Garantie. Ihr Adjunct, der nur eine berathende Stimme hat, kann den Maire nicht von einer un- gerechten Massregel abhalten. Die Interessen der neuen An- siedler aber sind natürlicher Weise denen der alten Besitzer zu sehr entgegen, als dass nicht häufiger Streit zwischen Eu- ropäern und Mauren die Folge wäre. Häufig wurden ge- gen letztere schreiende Gewaltthätigkeiten geübt. Mehr als Eine maurische Familie kam durch die Wegnahme ihres Häus- chens und Gartens zum Staatsbedürfnisse um Obdach und Brod, und war genöthigt, sich bettelnd in das Innere zurück- zuziehen. Die Colonisten Europas in dem Fhos sympathisi- ren leider mit den maurischen Nachbarn wenig, und gegen- seitige Diebstähle und Plackereien fallen nur allzu häufig vor. Es existirt zu Algier ein Kaid-el-fhos, der eine Art von Gendarmerieofficier ist, und die Feldwächter oder maurischen Landgendarmen unter seinem Commando hat. Jede Gemein- de hat einen solchen Feldwächter, dem die Eingebornen den Titel Scheikh geben. Ihr Amt ist, zu verschiedenen Tages- stunden die Runde in der Gemeinde zu machen. Sie erhal- ten nur neunzig Centimes täglich, aber ungeachtet dieses kärglichen Soldes giebt es für diese Aemter immer eine 134 Masse von Candidaten, arme Teufel, die zu stolz, zu schwach oder zu träge zur Tagelöhnerarbeit sind, und deren geringes Eigenthum nicht mehr, wie zur wohlfeilen Zeit der Deyherr- schaft, hinreicht, eine Familie von den Einkünften zu er- nähren. Der Fhos ist eben so vollkommen unterworfen , wie die Stadt selbst. Man kann dort auch ohne Waffen mit aller Sicherheit spazieren gehen, obwohl man in den einsamen Schluchten oft in weiter Runde kein menschliches Wesen sieht. Die maurischen Bewohner des Fhos bilden einen fried- lichen, sanften, liebenswürdigen Menschenschlag, thun Nie- manden das geringste Leid, und sind froh, wenn.man sie in Ruhe lässt. Der Jäger, der ihre Felder zertritt, der dur- stige Spaziergänger, der in ihren Gärten Granatäpfel oder Me- lonen pflückt, hört von dem Eigenthümer nie einen Vorwurf. Im Gegentheil wurde ich, wenn ich während meiner Streif- partien nach den entlegenen Landgütern mich verirrte, von dem maurischen Pflanzer öfters freundlich angerufen, „‚ich möge doch bei ihm einkehren, und Feigen oder Melonen es- sen.“ Ein uralter, ehrwürdiger Maure in der Gemeinde Kuba begegnete mir häufig auf den einsamen Fusswegen die- ser Gemeinde. Immer ‘hielt er, sobald er mich gewahr wur- de, sein Eselein still, und reichte mir mit freundlichstem Grusse seine Tabaksdose. Ich habe diese sanften patriarcha- lischen Mauren, deren edle Züge die Milde und Ruhe einer schönen Seele ausdrücken, während meines Aufenthaltes in der Berberei sehr lieb gewonnen. Sie sind den maurischen Städtebewohnern bei weitem vorzuziehen. Leztere, welche grösstentheils Handel treiben,‘ sind verdorbener und verschmitz- ter Natur. Die maurischen Pflanzer verstehen sich besonders auf die Zucht der edlen Fruchtbäume, ihre Orangen, Gra- 139 natäpfel und Melonen suchen vielleicht ihres Gleichen in der Welt. Sie ziehen auch den Weinstock mit grosser Kunst und lieben den Genuss der Traube. Man sieht in diesem Lande Weinstöcke, deren Stamm den Eichen an Dicke we- nig nachsteht, und die oft Trauben von fünf bis sechs Pfund tragen. Vor Allem aber ist der Orangenbaum die den Ein- gebornen theuerste Pflanze. Die Mauren behaupten, sie be- sässen in der Zucht derselben Geheimnisse, welche der Euro- päer nicht kenne, und in der That bemerkt man in den Gär- ten dieser letztern, dass die Orangenbäume von Jahr zu Jahr schlechtere Erndten geben. In der Pflege des Oelbaumes hin- gegen sind die Franzosen den Eingebornen überlegen; das Oel dieser letztern ist von schlechtester Qualität. Die europäische Bevölkerung des Fhos besteht aus Fran- zosen, Spaniern und Deutschen. Die Franzosen haben ihre Grundstücke hauptsächlich in den Gemeinden Mustapha und Budscharea, welche der Städt zunächst liegen. Viele hohe Militairs und Beamte haben gleich in dem ersten Jahre der Eroberung die schönsten Gärten um Spottpreise gekauft. Die herrlichsten Landhäuser, an Grösse und Schönheit Palästen . gleich, wurden von den ausgetriebenen Türken und Mauren dem ersten Speculanten zugeschlagen. Mancher jener Unglück- lichen hat nie einen Liard für sein verkauftes Besitzthum be- kommen, welches dem heutigen Eigenthümer vielleicht tau- send Franken Renten trägt. Einige dieser prächtigen Land- güter sind durch ein Dutzend Hände gegangen, ein Besitzer verkaufte es wieder einem andern, immer um einen höhern Preis, und stets fanden sich neue Kaufliebhaber, die, in der Meinung, endlich sey der Zeitpunkt einer Einwanderung aus Europa in Masse ganz nahe, die Preise der nächstgelegenen Grundstücke auf eine übertriebene Höhe steigerten. Andere 136 ergaben sich dem Vandalismus aus_Speculation, liessen alles Holz, Eisenwerk, Porzellan und die Marmorsäulen von dem Gebäude ausbrechen, verkauften es im Einzelnen und boten dann die halbzertrümmerten Häuser den europäi- schen Colonisten zum Kauf an. Letztere aber, welche den übertriebenen Forderungen der Speculanten nicht Ge- nüge leisten konnten, zogen vor, in den entferntern Gegen- den des Fhos sich anzusiedeln, und wenn sie kein Haus zum Kaufe fanden. sich selbst eine Strohütte zu bauen. Eine Menge der schönsten Landhäuser auf Budscharea und Musta- pha steht jetzt verlassen und halb in Ruinen, während die einst so herrlichen Gärten eine Wildniss von hohem Unkraut und Gestrüpp geworden sind. Dennoch wollen die hartnäcki- gen Speculanten ihre Preise nicht mässigen und ziehen vor, ihr Besitzthum völlig verwildern zu lassen, immer mit der habgierigen Wucheridee im Kopfe, dass doch endlich einmal der Moment einer grossen Colonisation und mit ihr eine Stei- gerung der Preise kommen müsse. Diese Thoren begreifen durchaus nicht, dass gerade sie das Hinderniss der Colonisa- tion sind. Die aus Europa eingewanderten Bauern sind arme Teufel, welche den Gelddurst jener Blutegel nicht befriedigen können, und die Capitalisten hüten sich, Culturversuche an- zustellen, da, wo die Theuerung der Grundstücke ihnen kei- nen Gewinn für ihre Unternehmungen verspricht. _ Diesem Uebel wäre nur vorzubeugen, wenn die Regierung auf alle unbebauten Ländereien eine mässige Steuer legen würde. Dann wären jene wuchernden Eigenthümer, die nicht coloni- siren, sondern durch den Ruin der Bauern sich bereichern wollen, doch am Ende zum Verkauf gezwungen. Andere hohe Armeeofficiere und Beamte lassen ihre Gärten durch Kabylen oder auch durch europäische Taglöhner in ziemlich gutem 137 Stand erhalten. Die Generale und Obristen finden ein wohl- feiles Mittel durch Benutzung ihrer Soldaten. Vorzüglich schön sind die Landhäuser sämmtlicher Consuln der auswär- tigen Mächte, von denen die meisten seit langen Jahren schon prächtige Landhäuser besassen. Die Landgüter des englischen und des dänischen Consuls zeichnen sich vor allen andern durch die blühende Schönheit ihrer Anlagen und den orientalischen Geschmack ihrer Gartenhäuser aus. Der däni- sche Consul ist mit einer Maurin verheirathet. Sein Land- gebäude, welches den höchsten Hügel der Gemeinde Musta- pha krönt, wimmelt von schwarzen Sklaven und Sklavinnen. Seine Gärtner und Hirten sind Kabylen. Das Quartier von Budscharea, obwohl eben so nahe an der Stadt, als Mustapha, ist viel stiller und einsamer, und seine Landhäuser, hinter grünen Bergschluchten versteckt, zeigen bei weitem kein so zauberisches Gemälde. Das Geroll der Wagen wird da noch nicht gehört, dafür singen aber die Vögel noch ungestört auf den Palmen und Cypressen. Es führt durch Budscharea keine Fahrstrasse, sondern enge Wege, die nur von Lastthieren und Fussgängern betreten werden können. Hätte ich unter allen Gemeinden des Fhos meinen Aufenthalt zu wählen, ich würde am liebsten Budscharea bewohnen. Seine Vegetation steht an kräftiger Schönheit keiner der übrigen nach. Hohe schattige Bäume, Bergbäche, Wiesen voll Blumenschimmer, Quellengemurmel und Vogeltriller unter dem schönsten Him- melsblau machen diese Landschaft zum wahren Eden. Die Mauren müssen den Reiz des traulichen Friedens jener grü- nen Schluchten wohl empfunden haben, weil sie dorthin ihre Familiengräber versetzten. Sie wollten sich demnach diesen schönsten "Theil der Landschaft als ihre künftige ewige Re- sidenz vorbehalten; darum siedelten sich dort so wenig Le- 138 bende an. Die meisten dortigen Landhäuser sind verlassen und der nächtliche Wohnort des Schakals, welcher, traurig winselud, auf den Gräbern scharrt. Budscharea ist die Ge- meinde der Todten. Deli - Ibrahim mit seinem deutschen Colonistendorfe gränzt an die grosse Landstrasse zwischen Algier und Buf- farik. Sein Terrain, obwohl ebenfalls fruchtbar, ist keines der vorzüglichsten des Landes. Denn nur da, wo es Bäche und Quellen im Ueberfluss giebt, erreicht die Vegetation in der Berberei jene grüne Ueppigkeit, jene zauberische Blüthen- pracht, von welcher man in Europa sich keine Vorstellung macht. Das Dorf Deli-Ibrahim leidet im Sommer grossen Mangel an Wasser. Die Bewohner müssen es eine Stunde vom Orte holen, und vergebens baten sie seit vier Jahren um die Bohrung eines artesischen Brunnens, oder um Wasserlei- tungen. Man wollte für dieses Culturetablissement eine mili- tairiısche Position wählen, und dieser Rücksicht wurden alle übrigen geopfert. Dicht an dem Dorfe erhebt sich ein iso- lirter Hügel, auf welchem eine feste Caserne erbaut ist. Die Besatzung besteht aus Zuaven. Seitdem aber die Vorposten bis weit in die Ebene Metidscha vorgeschoben worden, seit- dem zu Buffarik, Duera und Mahelma Lager errichtet sind, ist die militairische Position von Ibrahim völlig unnöthig ge- worden. Vergebens aber bereut man es jetzt, das erste Co- lonistendorf auf den unfruchtbarsten Fleck der Landschaft er- baut zu haben. Bei meiner ersten Reise nach Algier im Jahre 1834 traf ich zu Ibrahim nur Hütten von Holz und Stroh, jetzt ist ein grosser Theil der Häuschen von Stein, und fast alle diese deutschen Auswanderer sind ziemlich be- quem logirt, unendlich besser, als die Kabylen und Araber in ihren Duars, und wenigstens eben so gut, als die Bauern 159 auf dem baierischen Donaumoos. Freilich darf man, wenn man Ibrahim zum erstenmale sieht, die schönen Dörfer in den gesegnetsten Gegenden Frankreichs und Deutschlands nicht zum Vergleich sich denken. Wie sollte auch in fünf Jahren schon ein glänzender Zustand für jene Auswanderer in einem Lande möglich seyn, wo Alles zu erschaffen ist, und wo der Krieg noch keine Woche aufgehört hat! Einige neuere deut- sche Reisebeschreiber haben dieses durchaus nicht berücksich- tiget, sondern schrieben, dem ersten oberflächlichen Eindruck gehorchend, über die Lage der deutschen Colonisten in Al- _ gier die absurdesten Dinge in die Welt hinaus. Die Gemeinde Kuba, auf deren Gebiete ebenfalls ein Colonistendörfchen liegt, ist bewässert, fruchtbar und voll malerischer Punkte, ihr Klima aber leider äusserst ungesund. Von den Bewohnern des Dörfchens starb die Hälfte und die meisten übrigen flüchteten nach anderen Distrieten. Nur zwei kleine Häuser sind dort noch bewohnt. In der Nähe des verödeten Dorfes liegt der weisse Grabtempel von Sidi-Kuba, ein berühmtes Marabutgrab, mit hohen Silberpappeln um- pflanzt. Die Thäler südlich von dem Dörfchen sind sumpfig und von Wasservögeln in grosser Anzahl bevölkert. Diese Ferme modele bildet die südliche Gränze des Districtes Kuba. Dieser prächtige Pachthof war Privateigenthum desDeys. Er be- steht aus mehreren festen Gebäuden, an welche eine hohe Mauer angebaut ist, die ein Terrain von einigen Hektaren Landes umgiebt. Für grosse Heerden und Stutereien ist folglich dort die grösste Sicherheit. Im Jahre 1832 griffen die Araber die Ferme modele ohne Erfolg an. Mit funfzig muthigen Ver- theidigern kann dieselbe einigen tausend Beduinen trotzen. Ein Orangengarten ist dicht an dem Pachthofe angepflanzt und die Umgegend gegen Norden mit Kornfeldern bedeckt. Im Sü- 140 den, wo die Ebene Metidscha beginnt, liegen Moräste, deren Ausdünstung den Bewohnern dieses schönen Landgutes im Sommer Krankheiten bringt. Ich sah dort selbst Araber am Wechselfieber leidend. Die Ferme modele wurde im Jahre 1830 unter den Auspicien des Marschalls Clauzel von einer Gesellschaft Actionnäre in Besitz genommen. Dort sollten die ersten Culturversuche beginnen und eine Mustercolonie aus dieser Pflanzung gemacht werden. Aber der Erfolg entsprach keineswegs den Hoffnungen. Das äusserst ungesunde Klima ist dort allein ein Hinderniss alles Gedeihens.. Die Franzo- sen in Algier sagen von diesem Etablissement scherzhaft: ‚a Jerme modele n’est pas le modele des fermes.“ In der That entspricht der heutige Zustand von Hausch - Hussein- Pascha, wie der Pachthof ehedem hiess, keineswegs seiner französischen Benennung. Der Tod des Herrn d’Arsonville, dieses reichen und enthusiastischen Colonisten, der im April 1837 starb, hemmte dessen neue Pläne mit jenem Pachthofe. Herr d’Arsonville wollte kolossale Opfer bringen, um aus der Ferme modele eine wirkliche Musterpflanzung zu machen. Der heutige Besitzer ist Herr Godoi, Capitalist, über dessen Mittel aber die Meinungen verschieden sind. Die europäische Bevölkerung der entfernten Gemeinden El-Bine, Byr-Madreis, Byr-Kadem, Kadus und Kuba be- steht grösstentheils aus Spaniern von den balearischen Inseln und aus einigen Provencalen. Die Zahl der Auswanderer von der Insel Minorka beträgt allein über 4000 Individuen beiderlei Geschlechts, von denen aber die Mehrzahl die Städte Algier und Oran selbst bewohnt; etwa ein Dritttheil hat sich auf dem Lande angesiedelt. Noch fast in jedem Monat bringt ein Schiffehen von Mahon neue Ansiedler nach Algier. Zwanzig bis dreissig Familien sind gewöhnlich mit ihren 141 Habseligkeiten in dem engen Schiffsraum eingekerkert. So- . bald das Fahrzeug Anker geworfen, wird es von zahllosen Gondeln umringt. Alle Mahoner der Stadt Algier kommen, ihre Landsleute zu begrüssen, ihre Bekannten zu umarmen, ‚und schnell sind die neuen Ankömmlinge immer durch die liebende Sorge ihrer Freunde unter Dach gebracht, und ha- ben auch in wenig Wochen eine Beschäftigung gefunden, welche sie ernährt. Sehr viele dieser Spanier sind Bauern, folglich eine Wohlthat der Colonie. Sie verstehen sich ziem- lich gut auf die Pflanzung der Küchengewächse, und ihre Gartenproducte sind bereits für die Stadt hinreichend. Der künftige Reichthum dieser Spanier besteht in den Olivenbäu- men, deren Zucht sie vortrefflich verstehen und von denen ihre Gärten voll sind. In weit geringerer Anzahl als die Mahoner sind die Auswanderer der Provence in dem Fhos angesiedelt. Sie speculiren ebenfalls auf die künftige Oel- erndte. Die Bevölkerung des Fhos ist in raschem Zunehmen begriffen. Unter den 3000 Bewohnern desselben sind un- gefähr 800. waffenfähige Männer. Der Sahel ist in vier Cantons getheilt: Ulad Fayad, Ma- helma, Duera und Ben-Chaua. Der erstgenannte Canton be- rührt an der äussersten Westseite, wo der Massif allmälich in die Ebene Metidscha versinkt, das Meer. Auf seinem Territorium liegt Sidi - Ferruch, der Landungsplatz der fran- zösischen Armee im Januar 1830. Sein Centrum bildet das Thal oder die kleine Ebene von Staueli, berühmt durch das Treffen des 10. Junius 1830, wo die Armee des Dey auf das Haupt geschlagen wurde. Dieser ganze Canton ist voll historischer Erinnerungen jener Epoche. Mahelma, der bevölkertste Canton des Sahel, ist zwi- schen Uad-Fayad und der Ebene Metidscha gelegen. Sein 142 Terrain ist sehr gebirgig und von breiten, tiefen Schluchten durchschnitten. Das im Jahre 1835 erbaute Lager krönt den höchsten Punkt und beherrscht den ganzen Algierer Massif. Dasselbe wurde gegen die Hadschuten errichtet, deren Ein- fälle in den Sahel zwar behutsamer geworden sind, aber erst seit dem Frieden mit Abd-el-Kader fast aufgehört haben. Wie alle übrigen Lager ist Mahelma mit Gräben und Erd- schanzen umgeben. Seine Kasernen sind noch vor ganz kur- zer Zeit vollendet worden, denn im Frühjahr 1836 traf ich die Soldaten noch unter den Zelten. Die Besatzung besteht aus vier Compagnien Zuaven. Eine kleine Stunde westlich von diesem Lager fliesst der Massafran, ein ziemlich bedeu- tender Fluss, dessen Ufer sehr holzreich sind. Namentlich liegt bei der Furth vor Mokta Kera ein sehr schöner Wald, Kherasa genannt, voll hoher Tannen (Pinus silvestris und maritima), Korkeichen, Tamarisken und Myrtenbäumen. Es ist dieses der einzige, bis jetzt in diesem Lande entdeckte Wald, welcher Bauholz enthält. Ich sah dort Bäume von sechzig Fuss, manche vielleicht von noch bedeutenderer Höhe. Derselbe wimmelt von wilden Thieren aller Art. Eber, Scha- ‘ bals und Hyänen haben dort ihre Wohnung aufgeschlagen, aber die Jagd ist gefährlich wegen der Nähe der Hadschu- ten. Diese suchen gewöhnlich in dem Walde bei Mokta Kera ein Asyl, wenn sie von den französischen Truppen zu hart gedrängt werden. Duera, im Osten von Mahelma, ist der kleinste Canton von Sahel. In seinem Centrum liegt das bekannte Lager, das bedeutendste von allen, welche in Algiers. Umgegend er- richtet worden sind. Die Bestimmung desselben war anfangs, die Städte Belida und Coleah zugleich zu bedrohen. Daher wollte man dasselbe in einen grossen Waffenplatz für 40,000 143 Mann verwandeln. Inzwischen hat Duera seine Wichtigkeit verloren, seitdem man nach Buffarik vorgerückt ist. Das Dörf- chen Duera ist von Schenkwirthen, Krämern und einigen we- nigen Bauern bewohnt, es sind darunter mehrere deutsche Familien. Die Umgebung zeigt einige Cultur. Ben - Chaua, der vierte Canton, liegt östlich von Duera und begreift ausser dem Hügellande auch einen Theil der Ebene in sich. Das Olivengehölz Byr - Tuta liegt auf dem Gebiete dieses Cantons. Seine Bevölkerung bilden drei arabi- sche Duars: Beni- Chaua, Ulad-Soliman und Ulad-Hadschi. Europäer giebt es keine dort. Die ganze Bevölkerung des Sahel wird auf 900 Familien geschätzt. Es existirt in dem Sahel eine merkwürdige isolirte Ruine von bedeutendem Umfang, deren Ueberreste keineswegs einen römischen Ursprung verrathen. Unter den Arabern besteht die Sage, es sey diese Ruine das Schloss einer christlichen Prinzessin gewesen, Metidscha genannt, welche der grossen Ebene ihren Namen gegeben. Diese Prinzessin, heisst es, habe einen sehr ausschweifenden Wandel geführt. Sollte es die berüchtigte Cava gewesen seyn, welche, nach Marmol, in dortiger Gegend begraben wurde? 144 vT Ausflüge in Algiers Umgegend. Die Ebene von Metidscha. Der Markt von Buffarik. Di. Staa Algier ist durch ihr Hügelland von der Ebene geschieden, und in gerader, südlicher Linie ungefähr sechs Stunden von letzterer entfernt. Das Lager Buffarik liegt in dem Centrum der Ebene Metidscha. Von dort aus hat man den schönsten Ueberblick über die grüne, halbmondartige Fläche. Die arabischen Duars, Hauschs und Dschemas , ob- wohl sich ihre Zahl auf einige hundert beläuft, verschwinden fast in dem ungeheuren Raume und treten nur als einzelne schwarze Pünktchen aus der Steppenlandschaft hervor. Die erste Empfindung des Europäers bei dem Anblick der Meti- dscha ist das Gefühl der Leerheit. Man erstaunt über die sparsame Bevölkerung und rechnet nach, wie viele Waizen- felder in dem leeren Raume Platz hätten. Es liegen in die- ser Ebene einige hunderttausend Hektaren uncultivirten Lan- des. Ihre arabischen Bewohuer haben im ganzen Lande den Ruf der Arbeitsscheue; sie bauen wicht so viel Getreide, als sie für ihre eigene Nahrung nothwendig haben, und ihr fast einziger Gewinn ist die Viehzucht, welche wegen des reichen Graswuchses ziemlich ergiebig ist. Bei dem ersten flüchtigen Ueberblick scheint die Meti- 145 dscha fast so völlig flach, wie der Meeresspiegel, erst bei dem Annähern nach den Gebirgen bemerkt man deren all- mälichen Abhang von Süden nach Norden, so dass die Ge- birgsgewässer zwar einen leichten Lauf bis an den Algierer Massif haben, aber dort, an dem Hügellande einen Damm findend, im Norden der Ebene grosse Moräste bilden. An den beiden Extremitäten der Metidscha, wo das Hügelland ganz in die Ebene versinkt, nehmen die Gewässer ihren Lauf ohne Hinderniss nach dem Meere, und die Flussbetten sind dort genau gezeichnet. Daher wäre auch die völlige Austrocknung dieses weiten Gefildes durch Canalbauten , wel- che die kleinen Bäche im Osten mit der Aradsch, im Westen mit dem Massafran vereinigten, ohne allzu grosse Kosten und Schwierigkeiten auszuführen. Die Arbeiten zu diesem schö- nen Unternehmen wurden wirklich unter der Verwaltung des Generals Voirol begonnen. Die französischen Regimenter, die Militairsträflinge und die Araber der Ebene vereinigten sich zu dem grossen Werke. Letztere kamen, obwohl der Tagelohn gering war, in so bedeutender Zahl herbeigeströmt, dass die von dem Kriegsminister bewilligten Summen bald nicht mehr hinreichten und man an die Sträflinge allein sich halten musste. Die Arbeiten wurden, leider oft mit sehr lan- gen Unterbrechungen, seit drei Jahren fortgesetzt und haben bereits schöne Resultate geliefert, so dass an dem Gelingen nicht zu zweifeln ist, wenn man mit beharrlichem Eifer die Pläne des französischen Geniecorps zu Ende führt. Die Um- gebungen von Maison carree und Buffarik sind nicht mehr wie in den ersten Jahren ihres mörderischen Klimas wegen verrufen. Seit dem Verschwinden der dortigen Moräste sind die Fieber nicht mehr häufiger, als in jedem andern Lager der Landschaft Algiers, und die Erde erzeugt dort fast eine Morıtz Wasner’s Algier. 1. 10 146 eben so kräftige wilde Vegetation, wie in dem südlichen Theile der Ebene, wo keine Moräste sind. Die Metidscha war seit sieben Jahren immer das sehn- süchtige Paradies der Freunde der Colonisation. Wenn man diesen ihr langes Zaudern mit ihren projectirten Cultureta- blissements vorwarf, so war die Antwort gewöhnlich: ‚wir können nur in der Ebene cultiviren, wir wollen unsere Capi- talien nicht an das undankbare Hügelland wagen, wir war- ten, bis wir die Ebene besitzen werden.“ Die Gegner der Colonisation, an ihrer Spitze der General Berthezene, woll- ten immer den Werth und die Fruchtbarkeit der Metidscha bestreiten, und ihr Hauptargument war immer deren morasti- ger Zustand, welcher nach ihrer Meinung alle Projecte von blühenden Pflanzungen dort auf immer zunichtemache. In- dessen so übertrieben vielleicht auch die Hoffnungen der Par- tisans der Colonisation waren, so völlig irrig sind gewiss die Schlüsse ihrer Gegner. Man weiss, dass unter dem tyranni- schen Drucke der Türkenherrschaft, die stets nur bemüht war, die unterworfenen Völker auszusaugen, und nie um den Wohlstand und die Zukunft der eroberten Länder sich küm- merte, die gesegnetsten Gegenden der Erde schnell in Wüste- nejen sich verwandelten. Mit den Geisteskräften der Bevölke- rung schlummerten in der Regel auch die Schätze der Erde, und Barbaren bewohnten selten ein Paradies. Die Türken und Araber waren für die Metidscha das, was die Spanier für die Ebenen Andalusiens gewesen sind. Zu den Zeiten, als die Mauren noch eine grosse civilisirte Nation bildeten, waren die unter dem Namen „,Marismas von Sevilla“ bekann- ten andalusischen Ebenen vielleicht die blühendsten Gefilde der Erde. Man zählte damals von Sevilla bis San - Lucar 144 Dörfer. Als aber die Spanier die Canalarbeiten der 147 Mauren, welche aus den Marismas einen köstlichen Garten gemacht hatten, nach deren Vertreibung vernachlässigten, überschwemmten die Gewässer des Guadalquivir diese Ebene ganz, und heute gewahrt man dort nur mehr eine traurige Oede und die todte Natur der Moräste. Der Zustand der Metidscha ist lange nicht so elend und steril, als der der Ma- rismas von Sevilla; die Moräste bedecken nur den kleinern Theil, und alle übrigen Strecken beweisen durch die grüne Ueppigkeit des niedern Pflanzenwuchses die Fruchtbarkeit ihres Bodens. Man begegnet in dieser Ebene allenthalben den unverkennbaren Spuren ehemaliger Arbeiten zur Austrock- nung der Sümpfe. Dieselben waren entweder das Werk der Römer, dieser unerreichbaren Civilisirer der Barbarenländer, welche in Afrika, wie überall, unvertilgbare Zeugen ihrer Thaten hinterliessen, oder maurischen Ur%prunges aus jener Epoche, wo noch eine thatenkräftige Begeisterung, statt des heutigen dumpfen leidenden Fanatismus, die maurische Na- tion beseelte. Es hat sich auch allenthalben in dem Lande noch die Sage einer glücklichen Zeit erhalten, wo die Me- tidscha blühend und bevölkert war. Diese Zeit mag in Be- tracht des heutigen Zustandes dieser Morastebene ziemlich alten Datums seyn, aber auch jetzt noch bedarf es nur eines Blickes auf die einzelnen, mit Bäumen umpflanzten Oasen, wel- che wie erhöhte Inseln auf der kahlen Fläche herausragen, wie Hausch Suk-Ali, Khadra und vor Allem die paradie- sische Umgebung Belidas, um einen Begriff zu gewinnen, welchen hohen Grades von Fruchtbarkeit und Blüthe dieser Boden noch fähig ist. Sieben Flüsse durchströmen die Ebene Metidscha: an dem östlichen Ende der Isser, dann folgen, immer weiter ge- gen Westen, der Korso, Uad-el-Reghaia, die Hamiss, die 10 * 148 Aradsch, der Uad-el-Kerma und der Massafran, welcher letztere aus der Vereinigung der Chiffa, des Uad-Sidi- el- Kebir, und Uad-el-Dschar entsteht. Keiner dieser Flüsse ist schiffbar, mit Ausnahme des Uad-el-Reghaia, des klein- sten von allen, der durch seinen langsamen Lauf, die Tiefe und Enge seines Bettes mehr einem Canale gleicht und schon wenige Stunden von seiner Quelle östlich vom Cap Matifu in das Meer sich ergiesst. Der Lauf aller jener Flüsse ist von Süden nach Norden , und ihr Anblick so ziemlich überall der gleiche. Der Charakter der Ströme der Berberei im All- gemeinen ist ein langsamer, schleichender Lauf in grossen Krümmungen, eine sehr enge Mündung und sumpfige Ufer, die der Oleanderstrauch, die ägyptische Weide, und anderes Buschwerk von mittelmässiger Höhe bedeckt, und die von hochbeinigen Watvögeln, wie dem Strandreiter (Himantopus rufipes), dem sichelschnäbeligen Ibis und dem Purpurreiher be- völkert sind. Der Massafran unterscheidet sich von den übri- gen Gewässern durch die hohe, kräftige Vegetation seiner Ufer. Es giebt dort sehr dickstämmige Bäume, und das Ter- rain ist weniger sumpfig. Die Flüsse der Provinz Constan- tine, von denen ich bei anderer Gelegenheit sprechen werde, haben einen von den Gewässern der Provinz Algier etwas verschiedenen Charakter. Die Ebene Metidscha ist noch heute, wie zu den Zeiten der Türken, in fünf Uthans oder Arron- dissements getheilt. Isser im äussersten Osten begreift das Gebiet zwischen den Flüssen Isser und Korso in sich. Die- ser Theil der Ebene ist sehr fruchtbar und ziemlich gut an- gebaut, obwohl auch einige Moräste sich dort befinden. Nur ein einziger Araberstamm, Beni-Isser, bewohnt diesen Uthan. Von mächtigen und kriegerischen Kabylenstämmen umgeben, sind die Beni -Isser, gleich den Gebirgsbewohnern, tapfer und 149 fanatisch. Lange waren sie wider die Franzosen feindlich gestimmt, und verbündeten sich gegen sie mit dem berüchtig- ten Häuptling Ben-Zamun zu jeder kriegerischen Unterneh- mung. Seitdem aber dieser Kaid, des unnützen Kampfes überdrüssig , sich nach seinem schönen Landgute auf dem At- lasgebirge zurückgezogen hat, und dort als ruhiger Pflauzer lebt, hörten auch die Beni-Isser auf gegen die Franzosen zu fechten, obwohl sie bis im Mai 1837 deren Herrschaft nie anerkennen wollten. Zu dieser Zeit ging in Folge des Ueberfalles der Colonie Reghaia eine Expedition gegen die Beni-Isser ab, deren Folge die Unterwerfung dieses Stam- mes war. JIn dem lange ruhigen Theile der östlichen Umge- gend Algiers herrscht seitdem eine heftige Gährung, und Araber und Kabylen bekämpfen sich gegenseitig. Ben- Zu- mun, der in neuester Zeit wieder zu den Waffen gegriffen hat, versucht vergeblich, die Beni-Isser durch Drohungen von ihrem Bündnisse mit den Franzosen abzuschrecken. Die- ser Stamm ist in der unglücklichsten Lage. Von der einen Seite sind sie durch die französischen Truppen bedroht, denen es durch ihre Dampfschiffe leicht wird, an der Mündung des Flusses Isser Truppen auszuschiffen und die dortigen Duars zur Nachtzeit zu überfallen; andrerseits sind sie der Rache der Kabylen ausgesetzt, welche das nahe Gebirge in grosser Anzahl bewohnen. Auf dem westlichen Ufer des Flusses Korso beginnt der Uthan Khaschna, der im Norden morastig, im Süden aber reich an Weideplätzen und Olivenbäumen ist. Letztere bil- den am Fusse des Atlas wirkliche Wälder. Die verschiede- nen Stämme des Uthan Kaschna machen einen ziemlich be- deutenden Handel nach Algier mit wildem Oel, von welchem viel nach Europa ausgeführt wird, Der Kaid der Khaschna 150 bewohnt das schönste Dorf der Ebene, Khadra genannt, wel- ches in einer äusserst pittoresken Gegend gelegen ist. Der dritte Uthan der Ebene ist Beni-Mussa, der das kleinste, aber fruchtbarste und im Verhältniss der Grösse das bevöl- kertste Territorium der ganzen Provinz inne hat. Es liegen darin 101 Hauschs oder arabische Landgüter, von denen je- des ein steinernes Gebäude hat und an Holz und Wasser Deberfluss besitzt. Diese Hauschs liegen sehr nahe beisam- men. Ueberhaupt hat dort die Ebene kein so kahles, einsa- mes Aussehen, wie auf den übrigen Punkten, sondern zeigt eine belebte, malerische Landschaft. Der Fiuss Aradsch bil- det die westliche Gränze von Beni-Mussa. Das zweite Ter- rain zwischen diesem Flusse und dem Massafran occupirt der Uthan Beni-Khalil, der wichtigste der Provinz, der von anarchischen, schwer zu beherrschenden Stämmen bevölkert ist. In der Mitte dieses Uthan liegt das Lager und Dorf Buffarik, welches das Centrum der ganzen Metidscha bildet. Buffarik ist ein bedeutender Waffenplatz, hat immer eine starke Garnison und bedroht zunächst Belida und die Gebirge. Die Enthusiasten der Colonie gingen seit Jahren schon mit dem Plan um, zu Buffarik eine neue Stadt zu gründen, wel- cher der Name Medina - Clauzel bestimmt war, zur Zeit als der berühmte Marschall noch im Gouvernementspalaste zu Al- gier residirte. Indessen zögerten doch selbst die eifrigsten Clau- zelisten , ihre Fonds für ihr Lieblingsproject zu einer Zeit an- zulegen, wo die Hadschuten einzelne Colonisten auf Flinten- schussweite vom J,ager ermordeten und die Heerden fast im Angesichte der französischen Schildwachen davon trieben. Die dortige Stelle wäre freilich für die Gründung einer neuen Stadt herrlich gewählt, und zur Verwirklichung dieses Pro- jectes bedürfte es nur mehr Geld und Sicherheit. Dauert 151 inzwischen der heutige Friede mit Abd-el- Kader und den Hadschuten noch mehrere Jahre fort und wird so das fran- zösische Gouvernement in der Zwischenzeit eine undurchdring- liche Vertheidigungslinie auf der südlichen Gränze der grossen Ebene herstellen, so ist es hohe Wahrscheinlichkeit, dass viele europäische Auswanderer sich bei Buffarik niederlassen wer- den. Eine grosse bevölkerte Stadt in dem Centrum der Ebene müsste für den Reisenden, der von dem Algierer Hü- gellande nach der Metidscha hinabsteigt, einen höchst zaube- rischen Anblick bieten. Heutigen Tages aber besteht Buffa- rik nur aus etwa achtzig Häusern, von denen kaum der zehnte Theil von Stein ist und die ohne Plan und Ordnung in ziem- lich weiten Zwischenräumen zerstreut stehen. Die Bewohner des Dorfes sind Europäer aus den verschiedensten Ländern. Fast alle treiben Wirthschaft. Von Ackerbau sieht man dort noch keine Spur. Die Bevölkerung des ganzen Uthan Beni - Khalil wird auf 3000 Familien geschätzt. Obwohl zur Uneinigkeit und zu Raufhändeln geneigt, stehen die Araber doch unter den übri- gen Stämmen im Rufe der Feigheit, und die Hadschuten, ihre Nachbarn, haben Spottlieder auf sie gemacht, worin die Beni- Khalil Butter- und Käsekrämer genannt werden. Der Kaid dieses Uthan spielte zu den Zeiten der Türken eine wichtige Rolle. Die seit 1830 von den Franzosen ernannten Kaids der Beni-Khalil wurden mehreremale ermordet, oder durch Schrecken gezwungen in die Reihen der Feinde überzugehen. Der heutige Kaid ist seit wenigen Monaten ein französischer Officier, Verge, der zu mahomedanischen Religion übergetre- ten ist, das Arabische sehr gut spricht, und für dieses Land, seine Sitten und Bevölkerung seit Jahren schon eine grosse Vorliebe zeigte. Er ist der erste Franzose, welcher zum 152 Häuptling eines arabischen Uthan eingesetzt wurde. Seine ausgezeichneten Talente, seine Thätigkeit und Energie em- pfahlen ihn hierza eben so sehr, als seine Kemntnisse der Landessprache und seine Begeisterung für die Colonie. Herr Verge bewohnt das schöne Landgut Hausch-Chausch, wo er einige funfzig Reiter in seinem Solde hat und den nahen Markt von Buffarik jeden Montag präsidirt. Die Araber ha- ben vor ihrem neuen Kaid Achtung und Furcht. Verge ist für sie ein gerechter, aber strenger Herrscher *). Jenseits des Massafran beginnt der fünfte Uthan, el- Sebt, der bevölkertste und ausgedehnteste der Provinz. Er begreift ausser dem Hadschutenlande auch den nördlichen Ab- hang des Atlasgebirges, wo die Kabylenstämme Muzzaia und Summata wohnen, in sich, und erstreckt sich südlich bis zur Stadt Miliana, westlich bis Scherschel und ist im Norden von dem Algierer Massif und dem Meere begränzt. Die Ebene jenseits der Chiffa bewohnen ausser den Hadschuten die drei kleinen Stämme Zanakra, Ulad-Hamidan und Beni -Ellal, welche ursprünglich aus der Sahara kamen, aber schon seit ziemlich langer Zeit in der Metidscha sich niedergelassen und mit den Hadschuten fast ganz vermischt haben. In dem Ge- biete dieser Stämme liegt der See Alula und das Kubbar- el- Rummiah (Grabmal der Christen), ein Pyramidentempel von beinahe 140 Fuss Höhe, über welches die wunderbarsten Sa- gen und Geschichten verbreitet sind. Ich habe dieses Monu- ment in einem früheren Jahrgange des Auslandes geschildert und später eines der darüber verbreiteten arabischen Märchen mitgetheilt. Der See Alula in der Nähe des Kubbar- el- °) Herr Verg@ wurde seitdem seines Amtes entsetzt und ist in das Regiment der Spahis wieder eingetreten, 153 Rummiah ist ein Süsswassersee von geringer Ausdehnung. In den heissen Monaten kann man denselben zu Pferde durch- waten. Auch dieser See ist der Gegenstand verschiede- ner Märchen und Sagen, wie denn überhaupt die räuberi- schen Beduinen jener Gegend ein sehr romantisches Völkchen sind und die Poesie lieben. Von dem erwähnten Stamme -Zanakra ist in der Geschichte der Araber Spaniens öfters die Rede. Die Individuen derselben sind auch sehr stolz auf ihren alten ritterlichen Ruf, und bewahren manche Traditio- nen ihrer Ahnen aus dem Kriege gegen die Christen. Man kann den Stämmen des Uthan-el-Sebt ungeachtet ihrer ge- fährlichen Vagabundenangewohnheiten einige Achtung nicht versagen, und ich finde es keineswegs sehr auffallend, dass mehrere französische Öfficiere‘,, wie Allegro, Pellisier, Verge, die häufig mit jenen Arabern in Berührung kamen, für deren kühnen abenteuerlich chevaleresken Charakter eine gewisse Vorliebe hegen. Der Capitän Pellisier, jetzt Chef des Bureau arabe, hat einen seiner Söhne sogar „Hadschut“ taufen lassen. Die sämmtliche Bevölkerung der fünf Uthans der Meti- dscha wird ungefähr auf 10,000 Familien geschätzt, von de- nen aber ein grosser Theil die an die Ebene gränzenden Gebirgsabhänge bewohnt. Zu den Zeiten der Deyherrschaft hatte jeder dieser Bezirke zwei Kaids: einen Kaid-el-Uthan, den eigentlichen Häuptling, der immer ein Türke war und das Kriegscontingent befehligte, und den Kaid-el-Achur, ge- wöhnlich Araber, der mit dem Eintreiben der Abgaben be- auftragt war. Ueberdies existirte, wenn der Uthan aus ver- schiedenen Stämmen bestand, für jeden Stamm ein Scheikh- el- Kebir oder Gross - Scheikh, und jedes einzelne Dörfchen hatte seinen Scheikh- Duar. Gewöhnlich waren die Türken 154 bemüht, Araber und Kabylen, wenn deren in der Nähe wohn- ten, in einen Uthan zu vereinigen, um diesen Völkern die Verschiedenheit ihres Ursprungs vergessen zu machen. Die Gleichheit ihrer Religion war ohnehin ein mächtiges Band, welches vielleicht allein diese Barbaren hindert, sich im ge- genseitigen Vertilgungskriege zu zerfleischen. Der Name Mahomed übt dieselbe dämonenhafte Gewalt auf die unbän- digen Atlasbewohner, wie auf die räuberischen Beduinen- stämme. Das Blutvergiessen ist zwar häufig unter so wilden Völkern, wo die physische Stärke fast über Alles gilt, aber den Marabuts gelingt es doch immer die gegenseitigen Feinde im Namen ihres Glaubens wieder zu versöhnen. Zufolge des Tractats mit Abd-el-Kader beschränkt sich der den Franzosen zugehörige Antheil der Ebene Metidscha auf das Territorium zwischen den Flüssen Korso und Massa- fran, also auf die drei Uthans Khaschna, Beni - Mussa und Beni - Khalil. Dort besitzt die, Staatsdomaine sehr schöne Landgüter, welche grösstentheils an Araber gegen ein sehr geringes Geld verpachtet sind. Nur der bekannte Hausch- Hussein -Pascha ( ferme modele), und der prächtige Pachthof Suk-Ali, eine halbe Stunde östlich von Buffarik, sind von europäischen Pflanzern bewohnt, welche dort cultiviren lassen. Ein anderes sehr schönes Landgut im Uthan Beni-Mussa ist Eigenthum des Herrn Tonnac, eines unermüdlichen enthusia- stischen Colonisten, welcher aus eigener Wahl und Willen in eine Einsamkeit sich begrub und mitten unter Arabern ein, wie es scheint, zufriedenes Leben führt, obwohl sein Ver- mögen für ihn hinreichend wäre, in jeder europäischen Haupt- stadt als Rentier zu leben. Her Tonnac besucht fast alle Märkte der Ebene und durchstreift dieses weite Gefilde häufig blos von einem eingeborenen Diener begleitet. Gäbe es in 155 Algier nur hundert Colonisten wie er, mit seinem unterneh- menden, furchtlosen Geiste, seinem Enthusiasmus und seiner Ausdauer, so wäre Nordafrika vielleicht schon auf immer für Frankreich gewonnen, und man dürfte keine- Besorgnisse mehr hegen, dass eine englische Flotte noch einmal kommen könnte, die französische Garnison in Algier auszuhungern. In- zwischen ist es doch immer schon tröstlich, dass das Bei- spiel einiger wenigen aufopfernden enthusiastischen Coloni- sten gegeben ist. Ihre Nachahmer, die furchtsamen Colonisten, werden nicht ausbleiben, sob@ld einmal alle Gefahr in dem keineswegs noch ganz beruhigten Lande verschwunden ist. Die Pläne der heutigen Verwaltung bezwecken, im Süden der Ebene durch Occupation der wichtigsten Gebirgspunkte uud durch Errichtung von Blockhäusern eine undurchdringliche Vertheidigungslinie herzustellen. Die Einfälle der Hadschu- ten haben seit dem Frieden .mit Abd - el- Kader aufgehört, und den Kabylen im Osten ist seit der Unterwerfung der Beni-Isser ein Damm entgegengestellt. In der Metidscha werden sechs arabische Märkte gehal- ten; am Sonnabend jenseits der Chiffa im Hadschutenland, am Sonntag bei Belida, Montag bei Buffarik, Dienstag bei Hausch-Mussaia, Mittwoch zu El-Arbach am Fusse des Ge- birgs, Donnerstag an den Ufern des Hamiss im Uthan Khasch- na. Der Markt zu EI-Arbach wird von den Arabern, der von Buffarik von europäischen Käufern am meisten besucht. Der Marktplatz bei Buffarik wird durch einen Brunnen bezeichnet, in dessen Nähe der Kaid und der Kadi des Stam- mes Beni -Khalil ihre Zelte aufschlagen und die etwa vor- kommenden Streitigkeiten entscheiden. Die maurischen Kaufleute aus Belida sind gewöhnlich die ersten am Platze. Sie schlagen noch am Sonntag Abend 156 ihre kleinen weissen Zelte in Pyramidenform auf, und packen ihre Waaren aus, ohne jedoch noch an diesem Tage zu ver- kaufen. Die Beduinen und Kabylen lagern sich unter freiem Himmel, umgeben von ihren Dromedars und Kameelen , wel- che sie abwechselnd nach dem Brunnen zum Tränken führen. Montag in aller Frühe beginnt sodann der eigentliche Markt, der gewöhnlich bis vier oder fünf Uhr Nachmittags dauert. Die Menge der zusammengeströmten Käufer und Verkäufer beläuft sich zur Erndtezeit auf mehr als 3000 Köpfe. Sehr auf- fallend ist die Ordnung, welche unter diesen barbarischen Wilden so verschiedener Abkunft und Sprache herrscht. Jede Classe von Verkäufern hat da ihren eigenen Platz. Die Hir- ten mit ihren ledernen Milchschläuchen , ihren Hühner- und Bierkörben, geschlachtetem und lebendem Vieh, bilden die äusserste Gränze. Der Anblick des vielen Rindviehes, welches schmuzig, - klein, aber mit ungeheuren Hörnerpaaren versehen ist, ergötzt freilich das Auge nicht so, wie der der herrlichen Schwei- zerkühe und der fetten Mastochsen im deutschen Hochgebir- ge; daher ist auch die Milch, die Butter und das Rindfleisch der Berberei mit dem unsrigen in keinem Vergleiche. Die Schafe aber, welche in grosser Anzahl zu Märkte kommen, sind fett und schön, und liefern vorzügliche Wolle Den Viehhändlern folgen die Frucht- und Getreideverkäufer, wel- che eine lange Reihe einnehmen mit ihren Körben voll der schönsten Orangen, Granatäpfel, Datteln, Wassermelo- nen, Paradies- und Cactusfeigen, Gemüsen aller Art, und auf der Erde aufgeschichteten Lagern des herrlichsten Wai- zens, den sie in kleinen Massen abgeben. Die Tabakver- käufer sind sämmtlich Kabylen jenseits des Gebirges; ihre hohen, magern Gestalten, ihre helle Gesichtsfarbe und langen 157 Haare, die sie nicht, wie die Bewohner der Ebene, schee- ren, unterscheiden sie hinlänglich von den Beduinen und Mauren. Weiter innen im Mittelpuukte des- Marktplatzes stehen dann die reichern Händler der Städte mit gewebten Zeugen, Decken, Bändern und Luxusartikeln. Die Mauren aus Algier versorgen die Eingebornen mit den unentbehrli- chen Waaren Europas, und bringen ihnen die Korallenketten, welche ihre Weiber sehr zum Putze lieben, wogegen sie von ihnen die Producte des innern Landes beziehen. Auf dem Markt von Buffarik kaufen auch die französischen Officiere das vortreflliche Schwarzwildpret für ihre Küche ein, und die armen Soldaten kochen sich von den Schildkröten, die ihnen die Araber für wenige Sous ablassen, die schmackhaftesten Sup- pen. Juden und Europäer haben hier jetzt ungehinderten Zutritt und dürfen sich ganz gefahrlos unter die Menge der bewaffneten Eingebornen mischen, denen es sonst nicht immer gut wäre in der Einsamkeit zu begegnen. Die Juden er- fahren seit der französischen Occupation überhaupt nicht mehr die herabwürdigende Behandlung, welcher sie früher bestän- dig von Türken und Arabern ausgesetzt waren. Vor den Europäern zeigen die Eingebornen mehr scheue Furcht als Zuneigung, und wenn so Einzelne in der fränkischen Tracht unter den Tausenden der sie umgebenden weissen Gestalten herumwandeln, so werden sie immer von finsteren, misstraui- schen Blicken verfolgt, die zwar hier durchaus keine Gefahr verkünden, jedoch auch durchaus nicht einladend und Zutrauen erweckend sind. Das französische Geld hat auf dem Markte von Buffarik noch keinen Cours, aber spanische Piaster wer- den angenommen und circuliren mit den alten Landesmünzen. Einige Juden und Mauren unterziehen sich immer ausserhalb des Marktes dem Wechseln der französischen Münzen, und da den 158 Soldaten vom Camp d’Erlon nichteerlaubt ist, sich unter die grosse Masse der Beduinen zu mischen , so hat sich dicht am La- ger für sie ein zweiter kleiner Markt gebildet, wo sie Ta- bak, Milch, Früchte und andere kleine Bedürfnisse für ihre Sous kaufen können. Hier sieht man auch viel armes, zer- lumptes arabisches Gesindel auf der Erde gekauert sitzen, und die übrig gebliebenen Suppen- und Commissbrodbrocken ver- zehren, welche die gutherzigen Krieger unter sie austheilen. Es giebt hier besonders zur Erndtezeit, wo der Markt von Buffarik an Bedeutung und Leben ausserordentlich zunimmt, viele unserer europäischen Jahrmarktserscheinungen,, und es ist für die Unterhaltung sowohl, als für die Erfrischung des versammelten Volkes gesorgt. Ein mächtiges Feuer flammt unweit des Brunnens den ganzen Tag auf einem grossen Herdsteine, wo ein Araber heissen Kaffee in Tassen aus- schenkt. Einige Schritte weiter davon zischt eine ungeheure Bratpfanne, worin kleine ‘runde Kuchen in Fett gebraten an die Umstehenden verkauft werden. Endlich sieht man auch ein Heer von Gauklern, Sängern und Musikern die Menge mit ihren Farcen belustigen. Sehr drollig ist besonders der Anblick der Tänzer, welche nach dem Tacte einer Trommel und Rohr- pfeife, einen langen Stock über dem Kopfe haltend, sich in allerlei komischen Bewegungen im Kreise herumdrehen. Sind es mehrere tanzende Gruppen , so stellen sie gewöhnlich Lie- bespaare vor, geberden sich auf das Zärtlichste, verfolgen, fliehen sich u. s. w., aber das alles sind natürlich nur Män- ner; das unglückliche weibliche Geschlecht ist in diesem Lande von solchen Vergnügungen strenge verbannt. Die In- . strumentalmusik der Beduinen ist wild, lärmend und behält immer denselben Tact bei. Da sieht man den Einen auf eine hohe Trommel mit einem einzigen Paukenschlägel schla- 159 gen; einen Ändern die Tamburine klingeln oder die maurische Zither spielen; manche wieder blasen auf einer Rohrflöte und bringen Töne hervor, die ein europäisches Ohr zerreissen, den Beduinen aber doch wohl angenehm klingen : müssen, weil sie immer schmunzelnd und lächelnd dem unharmonischen Gekreische zuhören. Die meiste Aufmerksamkeit finden aber die Romanzensänger, welche in unnachahmlichen Tönen halb singend, halb declamirend lange Lieder, Märchen, arabische Poesien vortragen, und je nach ihren Talenten und Leistun- gen mit kleinen Kupfermünzen reichlich bedacht werden. Gar viele unterhalten sich auch mit Spielen, denn dieses scheint allgemeine Leidenschaft des Menschengeschlechts zu seyn, welche man in der afrikanischen Wüste so gut wie in dem Palais-Royal zu Paris finde. Das allerhäufigste und gewöhnlichste Spiel, das man unter den Arabern bemerkt, wird immer nur von zwei Personen gespielt, welche acht Grübchen in die Erde machen und in jede eine Anzahl Stein- chen legen und dann wieder herausnehmen. Eine solche Partie dauert oft lange Stunden, und wird mit grossem Ern- ste und Nachdenken fortgesetzt, öfters gruppiren sich Andere um die beiden Spielenden her und drücken durch ihre Ge- berden ihr Missfallen oder ihre Zufriedenheit mit dem Setzen der Steinchen aus. Dieses dem Anschein nach so einfache Spiel scheint doch auf tiefen, schwierigen Regeln zu beru- hen; denn vergebens haben Europäer versucht, dasselbe durch öfteres Zuschauen zu erlernen. Die Scene verändert sich gegen Abend, wenn die Mau- ren ihre Zelte abbrechen, ihre Waaren wieder einpacken, und Alles auf den zusammengetriebenen Thieren nach Hause zieht. Die Wege von Belida und Coleah sind mit weissen Gestalten bedeckt, alle beritten auf Maulthieren, Eseln, Pfer- 160 den und Kameelen, denn Fussgänger trifft man in diesem Lande nur äusserst selten an. Dem geschäftigen Geräusche des Marktes folgt bald wieder die tiefste Stille, und wenn man zur Abendzeit bei dem Scheine des Mondes über den öden Platz wandelt und sich des seltsam bunten Schauspieles des Tages erinnert, so glaubt man in allem Ernste von einem arabischen Märchen geträumt zu haben. 161 vie Ausflüge in Algiers Umgegend. Rassota, die Pflanzung des Fürsten Mir. — Reghaia, das Landgut des Herrn Mercier, — Die Ruinen von Rusgonia. — Es; gab in der Regentschaft Algier zu den Zeiten der Türkenherrschaft eine Menge von Hauschs oder Landgütern, welche Eigenthum des Staats und eine der ergiebigsten Quel- len seiner Einkünfte waren. Man kennt die Zahl derselben heute nicht mehr. Der gräulichste Wirrwar hatte sich der öffentlichen Verwaltung seit der Besitzuahme des Landes durch die Franzosen bemächtigt. Diese zertrümmerten das alte Staatsgebäude, ohne um seine frühern Hülfsquellen durch Revenuen sich zu kümmern, und schickten die Minister des Dey, welche allein darüber Aufschluss zu geben vermochten, mit den übrigen Türken ins Exil. Damals gab es noch klingendes Eigenthum zu plündern, und bei der Ungewissheit, ob Frankreich auf dem eroberten Boden sich festsiedeln oder Algier wieder räumen würde, nahm nur das bewegliche Gut die Habgierde der damaligen Machthaber in Anspruch. Erst als die Gewölbe der Kasbah von den altspanischen Piastern und Goldmünzen geleert worden, fiel es dem Mar- schall Bourmont ein, den weissen Landhäusern, die von der östlichen Seite der Meeresbucht herüberschimmerten,, einen Besuch zu machen, um die Heerden und das Gestüte, wel- ches die türkische Regierung dort besass, herüberholen zu Morıtz WıaAsner’s Algier. T. 11 162 lassen. Man fand jedoch nichts mehr als die nackten Mauern, denn Achmed-Bey, der mit seinem Hülfscontingente den Rückmarsch nach Constantine eingeschlagen, hatte Alles mit sich davon geführt. Die Verwalter jener Hauschs waren alte türkische Officiere, welchen diese Plätze zum Lohne ih- res in jungen Jahren bewiesenen Muthes gegeben wurden, und die während ihrer letzten Lebenstage die Süssigkeiten einer gemächlichen, rahigen Existenz auf jenen paradiesischen Landsitzen kosten durften. Während der zahlreichen kriegerischen Ausflüge in die Ebene Metidscha entdeckten die Franzosen viele von den al- ten Hauschs der Staatsdomainen: in den Uthans der Beni- Mussa,, Beni-Khalil und Khaschna fanden sich deren sechzehn, und man wird immer mehr davon entdecken, je weiter man sich in das Innere wagt. Die schönsten und bedeutendsten der bis jetzt bekannten Landgüter sind: Hausch - Hussein- Pascha, von den Franzosen ferme modele genannt, am Ein- gange der Ebene von Metidscha in einer äusserst reizenden, aber ungesunden Gegend gelegen; Suk-Ali, ein sehr schöner Pachthof unweit Buffarik; Hausch-el-Reghaia, das gegenwär- tige Besitzthum des Herrn Mercier, und endlich Hausch-Ras- sota, die Colonie des polnischen Fürsten Mir. Rassota ist fünf Stunden östlich von Algier zwischen den Flüssen Aradsch und Hamiss, in gleicher Entfernung von beiden gelegen. Die dortige Gegend ist schön und fruchtbar, aber wegen der nahen Sümpfe wenig gesund. Die Ufer jener beiden Gewässer bedecken theils Gebüsche, theils üppi- ge Wiesen, welche den Heerden der Araber reiche Weide- plätze bieten. Der General Voirol hat im Jahre 1834 einen Theil jener Steppen den Ariben zum Wohnsitz angewiesen. Dieser Araberstamm hatte sich früher in der Ebene von 163 Hamza, jenseits des kleinen Atlas angesiedelt, wurde aber vor wenigen Jahren von dem mächtigen Nomadenstamm der Ulad-Maadi verdrängt und zerstreute sich seitdem nach ver- schiedenen Gegenden. Ein Theil wanderte nach der Meti- dscha, wo sie aus Mangel an Eigenthum vom Raube und Diebstahle lebten und eine wahre Plage für ihre Nachbarn waren. Um diesem Uebel zu steuern, vereinigte sie der General Voirol in der Gegend von Rassota und ernannte Ben-Zecri zu ihrem Kaid. Die Ariben stehen jetzt als irre- guläre Spahis in französischem Solde, dienen treu und tapfer, und sind in einer glücklicheren Lage als je, da sie ihre Producte wegen der Nähe Algiers sehr gut verkaufen kön- nen. Dennoch wandern fast jeden Monat emige ihrer Fa- milien in. das Innere zurück, um die Ebene Hamza wieder zu bewohnen. So mächtig ist selbst unter diesem Nomaden- volk die Sehnsucht nach dem Orte, wo sie zum ersten Male den Himmel gesehen. Nach der Niederlassung der Ariben bei Rassota blieb das schöne Gebäude des Pachthofes selbst und die ihm zu- nächst gelegenen Ländereien von einigen tausend Morgen Landes noch zu vergeben übrig. Es war ein grossherziger Entschluss der Regierung, dieses herrliche Landgut einem der unglücklichen Flüchtlinge Polens als Concession zu über- lassen. Ihre Wahl fiel auf den Fürsten Mir oder eigentlich Mirski; derselbe änderte seinen frühern Namen, entweder um demselben einen mehr französischen Klang zu geben, oder die Araber an den Titel „Emir,‘“ welcher bei ihnen Fürst bedeutet, zu erinnern. Die Heldenthaten dieses Fürsten während der polnischen Revolution waren freilich nur von sehr geringer Bedeutung. Er schlug sich mit den Russen in den Wäldern Volhyniens, als der Freiheitskampf fast schon 11 ° 164 zu Ende war. Inzwischen ist derselbe doch ein Pole, und die Massregel der französischen Regierung fand daher gros- sen Beifall, obgleich man gewünscht hätte, dass dieses Ge- schenk an einen Edlen jener unglücklichen Nation käme, der mehr gethan und verloren hat, als der Fürst Mirski. Der neue Eigenthümer der Rassota kam den Kopf voll riesenhafter Colonisationsplane nach Algier. Es gab Leute, die schon von der Gründung eines Neupolens in Afrika träumten und glaubten, dieser unwirthbare Welttheil werde den unglücklichen Verbannten eine Freistätte bieten, die ih- nen alle Länder Europas versagen. Inzwischen wurde der Enthusiasmus Vieler gar sehr herabgestimmt, als sie bemerk- ten, dass der Fürst Mir mehr Projecte als Thaler mitbrachte. Derselbe hatte, wie alle polnischen Edlen, einmal Land und Leute gehabt, ging aber nach der Revolution ärmer als der ärmste seiner Bauern über die Gränze. Da die französische Regierung ihm nur unbebaute Länder, aber kein Geld zum Colenisiren gab, so suchte der Fürst bei den Capitalisten Frankreichs eine Anleihe. In Marseille fand er taube Ohren. Es ist eine Schande für diese crösusreiche Stadt, welche all- jährlich über 300 Schiffe nach Algier sendet, dass sie noch nicht die geringsten Opfer für das Gedeihen der neuen Colo- nie gebracht hat. In der armen Stadt Toulon dagegen, wel- che wenig mehr als den Wein ihrer Umgebung nach Algier ausführt, bildete sich eine Gesellschaft von Kaufleuten, an deren Spitze das Haus Suchet stand, welche dem Fürsten Mir mit ansehnlichen Vorschüssen zu Hülfe kamen, ohne ein anderes Pfand dafür zu haben, als die Steppen einer Wild- miss und das Wort eines Polen. Der Fürst Mir etablirte sich während des Sommers 1835 in dem grossen, steinernen Gebäude der Rassota, welches 165 damals in Folge der von Achmed -Bey verübten Verwüstun- gen in ziemlich schlechtem Zustand sich befand. Er liess dasselbe neu herrichten, behielt aber die eben so schöne, als für dieses heisse Land nützliche und bequeme maurische Bau- art mit den innern Höfen, den Terrassen und Säulengalerien bei. Auf der Spitze des Hauses liess der Fürst ein kolossa- les Kreuz aufpflanzen, welches den Arabern kein Aergerniss gab, denn diese achten die religiösen Insignien aller Völker, und sehen weit lieber ächte Christen unter sich, als Men- schen, die gar keinen Glauben haben. In dem untern Theil seines Wohngebäudes hatte der Fürst das Magazin der Le- bensmittel, der Werkzeuge und Waffen eingerichtet. Auf der Ostseite in der obern Etage befand sich ein prachtvolles Zimmer, welches der Speisesaal gewesen und wo sich häufig Gäste aus den Wildnissen Afrikas wie von den Ländern der Civilisation einfanden. Von der Terrasse des Hauses bietet die Gegend nach allen Himmelsrichtungen einen interessanten Anblick: im Westen das Meer und Algier, im Osten die Ebene von Metidscha und den Atlas. Rassota selbst liegt noch auf einer schwachen Fortsetzung des Algierer Hügel- landes, erst eine Viertelstunde östlich beginnt die Metidscha, in welche die Erhöhungen sich allmälich versenken. Neben dem Wohnhause des Fürsten befanden sich mehrere kleinere Gebäude, eine Schule, in welcher Arabisch, Französisch und Deutsch gelehrt wurde, eine Apotheke, wo ein deutscher Arzt den Arabern unentgeltlich die Heilmittel reichte; ein Schlachthaus, eine Bäckerei und endlich die Wohnung der Arbeiter. Unter letztern befanden sich ausser den Bauern und Hirten auch die nothwendigsten Handwerker, wie Schnei- der, Schreiner u. s. w. Fast alle diese Leute waren Deut- sche. — Ich spreche hier von der Vergangenheit, denn jetzt 166 ist Rassota völlig öde wieder. Das Geräusch der Sense und die deutschen Lieder verstummten, sobald der Fürst mit dem Beutel nicht mehr klingeln konnte. - Ich besuchte die Rassota zum erstenmale im November 1836. Damals gefiel mir Alles dort so wohl. Ich glaubte, eine blühende Mustercolonie im Entstehen zu sehen, deren Zukunft dem Lande wie dem Eigenthümer gleichen Segen bringen müsste. Ziemlich weite Strecken Landes waren be- reits urbar gemacht, ein grosser Garten in der Nähe des Wohngebäudes war mit mehreren tausend Fruchtbäumchen aller Art bepflanzt; das Kuhglockengeklingel und Schaf- meckern, das grosse Kreuz auf dem Hause, die Töne der deutschen Sprache, die in ländlicher Mundart bald plaudernd, bald singend, bald jodelnd gehört wurden, erinnerten mich an die Hochebenen meines Vaterlandes, aber störend traten allenthalben wieder fremdartige Erscheinungen: Cactusbäu- me, Kameele und Beduinen, dazwischen. Als ich vier Mo- nate später wieder die Rassota hesuchte, sah ich nichts mehr von den Spuren einer blühenden Colonie. Die Felder waren wieder verwildert, die Kühe und Schafe waren verkauft, die deutschen Familien fortgezogen, und der edle, gastfreie Pole, der eine Zeit lang sich wieder als europäischer Fürst und überdies als Emir der Araber geträumt hatte, wohnte zu Al- gier in einem elenden Häuschen, in einer stinkenden Gasse, und sein Name stand auf der Liste der Bankerottirer und Bettler. Die Colonisation verspricht in diesem Lande nur solchen Pflanzern Gewinn, die entweder sehr reich oder ganz arm sind. Die Colonisten mit kleinen Capitalien gehen zu Grun- de. Ein Millionär, der hier viele Grundstücke aufkauft, die- selben gut anbauen und klug verwalten lässt, ist eines ziem- 167 lichen Gewinns mit der Zeit sicher. Er kann ein paar Jah- re zuwarten, bis Alles im Gang ist, bis der fruchtbare, aber durch lange Unthätigkeit verwöhnte Boden seine schlummern- den Schätze aufschliesst, bis der Oelbaum Früchte trägt, des- sen neue Pflänzlinge hier schon in drei bis sechs, in Europa erst in acht Jahren ihre erste gute Erndte geben. Ein ganz armer Bauer dagegen kommt bei Sparsamkeit, bei Lust und Liebe zur Arbeit auch gut fort, denn der Taglohn ist sehr hoch, und es fällt ihm eben nicht schwer, die Hälfte davon zurückzulegen, womit es ihm in kurzer Zeit möglich wird ein kleines Capital zu erübrigen, und dann selbst Grundstücke zu kaufen. Man hat hier mehr als ein Beispiel, dass arbeit- same und Sparsamkeit liebende Familien, die anfangs in drü- ckenden Umständen waren, num wohlhabende, sorgenfreie Grundeigenthümer sind. Die Leute von mässigem Vermögen aber, die ihre Unternehmungen nicht nach ihren Mitteln mes- sen, dabei nicht selbst arbeiten und den Verkauf ihrer Er- zeugnisse fremden Menschen anvertrauen, endigen gewöhn- lich mit einem Bankerotte, denn die Ausgaben für die Anle- gung einer Colonie sind bei der übermässigen Thheuerung der Menschenhände enorm und die Erndten der ersten Jahre kön- nen begreiflicher Weise nicht sehr ergiebig seyn. Der Fürst Mir hatte bei der Gründung seiner Colonie ein hübsches Capital durch die Vorschüsse der Touloner Handelshäuser beisammen, aber er berechnete nicht, wie lan- ge dasselbe dauern könne, und liess sich in gigantische Pla- ne ein, welche die Kasse eines Millionärs erschöpft haben würden. Sehr viele seiner Massregeln waren inzwischen gut und weise, und er bewies durch seine Einrichtungen voll- kommen, dass er verstand, wie man in’ diesem Lande im Grossen colonisiren müsse. Seine erste Sorge war, die ara- 168 bischen Stämme der Nachbarschaft sich befreundet zu machen. Er besuchte deshalb ihre Duars, brachte ihren Scheikhs und Marabuts Geschenke, ass mit ihnen den Kuskusu unter dem dunkelbraunen, von Kameelhaaren gewebten Zelte, und lud sie dann zu sich auf sein Colonieschloss ein, wo er sie dagegen mit allen Leckerbissen der französischen Küche be- wirthete. Ich war mehreremale auf der Rassota bei solchen seltsa- men Gelagen anwesend, wo die Beduinenhäuptlinge in ihrer malerischen Nationaltracht mit dem Haikh von feinem Mous- selin, dem schneeweissen Wollbernuss, der wie ein langer Mantel sie umhüllt, den gelben Stiefeln und dem Stricke von Kameelhaaren, welchen sie vielfach um das Haupt geschlun- gen tragen und der bei den Arabern den Tuurban ersetzt, ei- ne höchst merkwürdige Gruppe bildeten. Ich lernte bei die- ser Gelegenheit viele berühmte Häuptlinge kennen, wie ElI- Arbi-Ben-Kaja, Kaid des Uthan der Khaschna, ein ernster ehrwürdiger Greis und frommer Muselmann, Ben-Zecri, Kaid der Ariben, welcher im Gespräch sehr sanft und gemüthlich ist, Ali-ben-Smati, ein rüstiger, alter Scheikh desselben Stam- mes, der die Frauen und den Branntwein liebt, u. A. Die Mehrzahl von uns anwesenden Europäern sprach gebrochen das arabische Idiom des Landes, und überdies war ein mau- rischer Dolmetscher da, welcher in arabischer und französi- scher Sprache mit grösster Geläufigkeit sich ausdrückte. Es wurde bei diesen Gastmählern von den verschieden- sten Gegenständen, bald ernst, bald scherzhaft geplaudert, bald wurde unter den Gästen ein Handel geschlossen, bald schwatzte man von den hübschen Frauen und den guten Bis- sen der Tafel. Manchmal kam die Reihe auch an interes- sante Dinge: die Religion, die Geschichte der Vergangenheit, 169 die Sitten des Landes; ich hörte da so Manches, was mir noch neu und unbekannt gewesen. Wir Europäer hatten da- bei Gelegenheit, die Würde, den scharfen Verstand und die wilde Poesie dieser Araber zu bewundern. Ihre Reden wa- ren manchmal von so schönem, bilderreichem Style, wie die Suraten des Koran. Alle diese Häuptlinge hatten eine ziem- lich gute Kenntniss der Geschichte ihres Volkes und nament- lich ihres Stammes. Ben-Zecri sagte, seine Vorfahren hät- ten Spanien bewohnt und seien grosse Kriegsmänner gewe- sen. In der That existirte eine ausgezeichnete Familie die- ses Namens noch bei der Eroberung von Granada. Die auf- fallendste Erscheinung unter den imposanten Gestalten dieser Barbaren war ein blonder Marabut von fast riesenhaftem Wuchse. Dieser Mann hatte eine vor allen übrigen ausge- zeichnete Figur. Sein starker Bart und Schnurrbart war flachsgelb, wie die Haare der alten Teutonen, seine Wangen frisch und rosig, seine Augen himmelblau. Er mochte in den dreissiger Jahren seyn, war folglich für einen Marabut noch sehr jung. Seine Züge, Blick und Sprache hatten etwas höchst Mildes, Liebreiches und Einnehmendes. Auf meine Frage, von welchem Stamme er sey, antwortete derselbe mit einer Stimme voll Herzlichkeit: „Ani ben ek Babi“ (ich bin ein Sohn deiner Väter). Er erklärte mir hierauf, dass er Kabyle sey, dass sein Stamm aber vor vielen, vielen Sommern aus demselben Lande gekommen, wo ich geboren worden. Er spielte: damit wahrscheinlich auf die Vandalen an, denn unter mehreren Kabylenstämmen hat sich die Sage ihres nordischen Ursprungs, welcher namentlich den Bewoh- ' nern des Berges Aurass so unverkennbar aus den blonden Zügen schimmert, bis auf den heutigen Tag erhalten. Für mich war die Bemerkung des Marabut sehr interessant. Ich 170 wurde mit diesem gemüthlichen Manne, der recht wohl wuss- te, dass ich Deutscher, nicht Franzose war, später innig be- freundet, und er besuchte mich zu Algier, so oft er in die Stadt kam. Er sagte mir, dass er ein Zögling von Sidi-Ali- Ben-Aissa war, dem berühmtesten Marabut der Kabylen, wel- cher den Berg Dschurschura bewohnte, im Sommer 1835 starb und zu Flissa, einem Städtchen am Fusse des Dschur- schura, unter einem prächtigen Tempel begraben liegt. Auch die Bekanntschaften der übrigen Häuptlinge zu Rassota wa- ren mir von hohem Interesse und für meine Ausflüge in das Innere von grösstem Nutzen. Wer bei diesen Gastmählern aber am seligsten sich fühlte, das war der Fürst Mir selbst. Derselbe glaubte ein grosses Werk der Civilisation unter den Arabern begonnen zu haben, weil er sie dazu gebracht hatte, bei ihm der Messer und Gabeln sich zu bedienen, und zuweilen ein Schlückchen Wein zu versuchen. Der arme Fürst träum- te sich damals vielleicht noch nicht, dass er vier Monate später gezwungen sein werde, seine silbernen Tafelgeräthe zu versetzen, um dem Schuldgefängnisse zu entgehen. | Durch sein edelmüthiges, freundliches Benehmen nahm der Pole seine arabischen Nachbarn so sehr für sich ein, dass er an diesen Wilden bald seine zuverlässigste Leibwa- che fand und keinen Anstand nahm, die ihm beigegebenen französischen Truppen nach Algier zurückzusenden. Er be- wohnte nach deren Abgang die Rassota noch ein volles Jahr. Seine Arbeiter gingen allein in die Stadt und wieder zurück, ohne dass sie auf dem ziemlich weiten, einsamen Wege je ausgeplündert oder auch nur bedroht worden wären. In den ersten Jahren der Eroberung war die Ostseite Algiers als die gefährlichste Gegend verschrieen. Seitdem aber die Ari- ben- und die Colonisten der Rassota sich dort niederliessen, 171 sind diese Strecken auch jedem isolirten Reisenden ohne Gefahr zugänglich, und Schaaren von Jagdliebhabern begeben sich jeden Sonntag dorthin auf das Eberjagen. Einige deut- sche Familien hatte der Fürst Mir noch einige Stunden wei- ter als- Rassota in der Nähe arabischer Dörfer installirt, um eine Annäherung der Eingebornen zu den Europäern und eu- ropäischen Sitten immer mehr zu erleichtern. Inzwischen war nicht Alles, was der Fürst für seine Colonie gethan, so lobenswerth und weise. Je glänzender sich seine Humanität den Arabern gegenüber zeigte, desto härter und despotischer behandelte er dafür seine deutschen Arbeiter. Wahrscheinlich war er daran von Polen her ge- wöhnt, und wie die Deutschen denn ein gar geduldiges, de- müthiges Völkchen sind, so liessen sie sich auch das rauhe, hochfahrende Wesen ihres Gutsherrn und seine Reitpeitschen- hiebe gefallen, rächten sich dafür aber dadurch, dass sie denselben auf alle Weise zu übervortheilen suchten, und von der Arbeit sich wegstahlen, wo sie nur immer konnten. Von der Fruchterndte wurden, wie mir einige Arbeiter selbst ge- standen haben, nicht weniger als drei Viertheile gestohlen. Die Aufseher waren dabei mit den Arbeitern einverstanden, und steckten das halbe Geld der auf dem Markte verkauften Producte in ihre eigene Tasche. Diesem Verluste wäre der Eigenthümer der Rassota wahrscheinlich entgangen, wenn er auch unter seinen Bauern durch humane, liebreiche Behand- lung einige Herzen zu gewinnen gewusst hätte, die ihm von den Diebereien der Uebrigen Winke gegeben haben würden. So aber hatte der Fürst alle seine Leute heimlich gegen sich, und mit Schrecken gewahrte er in seinen Büchern, nach dem Verkaufe der Erndte, die mächtige Differenz zwischen dem „Soll“ und „Haben.“ Da zerstoben denn mit einem Male 172 alle seine schönen Plane, und er sah, dass ihm nichts Besse- res mehr übrig bliebe, als in einem abgelegenen Gässchen Algiers seine Scham zu verbergen und dem Andrange seiner Gläubiger zu entgehen. Seine deutschen Bauern aber em- pfingen nun auch die Strafe für ihre Unredlichkeit. Die mei- sten hatten noch den Lohn von ein paar Monaten im Rück- stande, konnten aber mit allem Schreien und Klagen keinen Liard mehr von ihrem zu Grunde gerichteten Gutsherrn be- kommen. Ueberdies waren alle plötzlich brod- und heimaths- los geworden. Sie verliessen die Rassota im grössten Elen- de, und zerstreuten sich in den übrigen Pflanzungen, wo sie aber geringen Taglohn haben und nichts mehr stehlen können. Unter den Capitalisten von Toulon, welche an der An- leihe Theil genommen hatten, erregte die Hiobspost von dem Bankerotte des Fürsten Mir keine geringe Bestürzung, na- mentlich war das Haus Suchet dabei stark betheiligt. Der älteste Sohn dieses angesehenen Kaufmanns kam hierauf eiligst nach Algier, untersuchte den Zustand der Dinge, und seinem Eifer, wie seinem guten Rufe gelang es, die Toulo- ner Handelsherren zu neuen Zuschüssen zu bewegen, wogegen der Fürst Mir ihnen das von der französischen Regierung ihm als Concession gegebene Gebiet der Rassota auf Actien überliess. Mithin ist dieser Fürst nur noch dem Namen nach Besitzer der Colonie. Der junge Suchet übernahm deren ganze Leitung und verpachtete den Boden an die Ariben. Als ich die Rassota im März 1837 wieder besuchte, war es in der Nähe des Schlosses traurig und stil. Ueber dem grossen Teiche, welcher dicht an dem Garten sich befindet, flogen die Fischadler schaarenweise, und die Schakals schlepp- ten die Hühner am hellen Tage vom Hofe weg. Ein alter 173 französischer Invalide bewohnte allein das Gebäude der Feld- arbeiter. In dem Wohnhause dagegen traf ich zu meinem Erstaunen die nämlichen Scheikhs und Marabuts mit Herrn Suchet an der Tafel. Dieselben waren nun einmal zu Hausch- Rassota heimisch und vertraulich geworden, und schienen we- nig darnach zu fragen, ob der Gebieter derselben ein Fürst oder Kaufmann sey, vorausgesetzt, dass er eine gute Küche, Kaffee und Tabak habe. Herr Suchet steht mit ihnen jetzt auf eben so freundschaftlichem Fusse, wie früher der Fürst Mir. Einen Theil der zu Hausch-Rassota gehörigen Grund- stücke hat Herr Suchet an die Araber zu sehr niedrigen Prei- sen verpachtet, den Rest will derselbe wieder von Taglöhnern cultiviren lassen, jedoch den Umfang der Arbeiten genau dem Umfange seiner Mittel anmessen; dabei hat er zuverlässige, redliche Aufseher, die den Diebstahl der Erndte nicht wie die früheren begünstigen. Bei der Wahl der Arbeiter giebt Herr Suchet den Franzosen und Spaniern aus Minorka den Vorzug vor den Deutschen, denn es ist eine traurige Wahrheit, dass die Mehrzahl unserer nach Algier ausgewanderten Landsleute dem Deutschen wenig Ehre bringt. Unter einer gewandten, redlichen, verständigen Verwaltung ist es die höchste Wahr- scheinlichkeit, dass jene schöne Colonie in neuer Blüthe auf- stehen und ihre Unternehmer für die gebrachten Opfer ent- schädigen werde. Reghaia, das bedeutendste Culturetablissement der Um- gegend Algiers, ist von letzterer Stadt 13 Lieues nordöstlich entfernt. Reghaia war in früheren Zeiten ein Hausch der Staatsdomaine, wurde später Eigenthum eines Eidams von Ali-Dey und nach der Einnahme Algiers 1830 von einigen französischen Speculanten gegen eine ewige Rente angekauft. Seit 1835 ist das schöne Landgut Eigenthum des Herrn’ 174 Mercier geworden, doch haben, so viel ich erfahren konnte, noch mehrere französische Capitalisten daran Theil. Die Ar- beiten wurden bier kurze Zeit nach der Niederlassung des Fürsten Mir in Rassota begonnen, aber Herr Mercier hatte über diesen den Vortheil sowohl eines grösseren Capitals, als einer redlichern Verwaltung. Der Fürst Mir machte mit sei- nem Unternehmen Bankerott, Herrn Mercier wird seine Pflanzung in wenigen Jahren, wenn auch noch keine Reich- thumsquelle seyn, doch schon einigen Gewinn abwerfen. Reghaia liegt, wie ich schon erwähnte, an den Ufern eines Flüsschens, welches denselben Namen trägt. Dieses Gewässer hat mit den übrigen Flüssen des Landes durch- aus keine Aehnlichkeit. Sein Lauf ist nicht reissend wie die Hamiss und Aradsch; es ist ein fast stillstehendes Wasser, mehr einem Canale als Strome gleichend. Nach einer Ent- fernung von 200 Schritten von seiner Quelle ist der Uad-el- Reghaia so tief, dass er ziemlich grosse Barken tragen kann. _ Diese Tiefe nimmt bis zu seiner Mündung zu. Nach einem sehr kurzen Laufe ergiesst sich derselbe in den Golf Bengut. Au mehreren Stelien dieses Gewässers findet man wirklich Spuren von ehemaligen Canalbauten, so dass es sehr wahr- scheinlich ist, dass das tiefe Flussbett ein Werk der Men- schenhände und nicht von der Natur gegraben ist. Das Co- loniegebäude ist von bedeutendem Umfange, äusserst fest und solid gebaut, und ganz für seine entfernte, einsame Lage passend. Eine hohe Mauer, die an das Gebäude sich an- schliesst und den grossen Hof umzäunt, kann jedem Angriff der Araber Trotz bieten, funfzig muthige Männer wären im Stande, diese Coloniefestung gegen 5000 Eingeborne zu ver- theidigen. Das Gebäude ist überdies geräumig genug, um ausser den Wohnungen der Arbeiter, der Verwalter und des 175 Besitzers auch grosse Quantitäten von Proviant und Munition zu verwahren, so dass auch eine Belagerung von den Be- wohnern nicht zu fürchten ist. Im Hofe sind Stallungen für 200 Pferde und überdies noch Raum für ungeheure Viehheer- den. Die Zucht derselben ist in diesem Lande von bedeu- tender Wichtigkeit, auch versprach die angelegte Schweizerei Mercier’s das schönste Gedeihen. Wie empfindlich daher für ihn der Raub seiner schönen Zuchtthiere ist, kann man be- greifen. Die Weideplätze sind in der nächsten Umgebung Re- ghaias nicht sehr reichlich. Aber schon eine halbe Stunde südwestlich beginnen schöne Wiesen, die bis an die Ufer der Hamiss fortdauern und nur theilweise sumpfig sind. Die trockenen Stellen bedeckt ein üppiger Graswuchs. An Brenn- holz ist grosser Ueberfluss. Die Pistaciasträucher sind hier dickstämmig und voll Aeste. Bereits verkauft Herr Mercier Brennkohlen nach Algier, degen Ausfuhr durch Barken ge- schieht, welche der Uad-el-Reghaia nach dem Meere trägt. Auf dieselbe Weise wird auch alles Nöthige von Algier nach der Colonie geschafft.und nur in den Monaten der Meerstür- me geschieht der Transport durch Kameele. Die ganze Umgegend ist äusserst wasserreich, Zwei vortreffliche Quellen sprudeln in sehr geringer Entfernung vom Hause. Diese für ein heisses Land so äusserst wohl- thuende Befruchtung macht den Boden dort ungemein frucht- bar. Darum gedeihen auch alle Fruchtbäume vortrefflich, und die riesenhaften von arabischen Händen gepflanzten Orangen- bäume, die dort wohl schon lange Jahre stehen mögen, ge- ben jedes Jahr eine reiche Erndte. „Es fehlt uns nichts,“ sagte einer der Verwalter zu mir, „wir besitzen Alles, was wir nur immer wünschen können. Aber ich gebe Herrn 176 . Mercier keinen Liard für alle Hoffnungen, so lange man auf uns schiesst, während wir pflügen und pflanzen.“ Der Man- gel an Sicherheit allein hemmt in Algier die Colonisation. | Ein europäischer Landmann würde den Feldbau in Re- ghaia für die Zahl der Arbeiter nicht weit genug fortgeschrit- ten finden. In der That sind erst wenige Morgen Landes ur- bar gemacht, aber der Colonist in Afrika hat Hindernisse zu überwinden, die der Pflanzer in Europa nicht kennt. Letz- terer erbt das Feld von seinen ÜUrgrossvätern seit Jahrhun- derten angebaut, gedüngt und an seine Erzeugnisse gewöhnt. In der Berberei sind neun Zehntheile des Landes noch im Urstande, kein Pflugeisen hat sie vielleicht je berührt, und die heisse, kräftig wirkende Natur erzeugt ein Labyrinth wilder Pflanzen, wie die Zwergpalmen, die wenig Nutzen gewähren und deren Ausrottung grosse Mühe kostet. Uebri- gens sind es nicht die Feldfrüchte, auf welche hauptsäch- lich die blühende Zukunft des Landes und die Hoffnungen der Pflanzer sich stützen. Die Versuche Mercier’s galten vorzüglich den Colonialerzeugnissen. Getreide haben fast al- le Länder Europas in Hülle und Fülle, aber Baumwolle und Zucker müssen sie weit herholen und theuer bezahlen. Der Arbeiterlohn aber ist in Algier zu hoch, um mit der Erzeu- gung europäischer Producte seine Rechnung zu finden. Die Absicht Mercier’s ist daher, nur so viel Getreide zu bauen, als zur Ernährung seiner Arbeiter nothwendig ist, den eigent- lichen Gewinn müssen ihm der Oliven- und Maulbeerbaum und die intertropischen Erzeugnisse bringen. Die Baumwolle nimmt von allen übrigen Producten die erste Stelle ein, ihr gelten in diesem Augenblicke die mei- sten Versuche. In der That lässt die Aehnlichkeit des Kli- mas mit Aegypten auf ein gutes Gedeihen dieser Pflanze 177 schliessen. Manche wollen freilich einwenden, Algier werde nie die Concurrenz mit Aegypten aushalten können, weil der französische Pflanzer nur zu einem ziemlich hohen Taglohn Arbeiter findet, während der Pascha seine Sklaven mit der Bastonade bezahlt. Inzwischen ist dieser Schluss durchaus nicht logisch. Die Hauptrevenuen des Paschas bestehen in dem Baumwollenverkaufe. Er muss aus dem Gewinn dieser Pflanze eine Armee von 100,000 Mann, eine äusserst kost- spielige Marine, den Tribut an den Sultan und die theuern Projecte bezahlen, vermittelst welcher ein Heer europäischer Intriganten und Glücksritter beständig Mehmed Ali’s Kasse erschöpft. Ueberdies ist der Transport von Algier aus nach den meisten Seehäfen kürzer und daher wohlfeiler. Es dürf- te daher, meiner Ansicht nach, leicht der entgegengesetzte Fall eintreten, und der Pascha die Concurrenz der Baum- wollpflanzer in Algier nicht aushalten können, weshalb der- selbe auch wohl die französische Niederlassung in Nordafrika mit keiner besondern Freude sehen mag. Die seit 1832 hier im Kleinen veranstalteten Versuche der Baumwollpflauzung sind, was die Qualität der gewonnenen Baumwolle anbetrifft, über alle Erwartung gut gelungen. Ich habe im Jardin des essais, wo der Obergäriner Herr Simar, ein eifriger und kenntnissreicher Botaniker, in seinen Versuchen unermüdliche Thätigkeit entwickelt, die Wollstauden durch die verschiede- nen Jahreszeiten beobachtet, und an ihrer ungemein kräfti- gen Entwicklung mich erfreut. Ich hege die Ueberzeugung, dass in zwanzig bis dreissig Jahren, wenn Frankreich seine Eroberung zu behaupten, zu consolidiren und vor allem Sicher- heit herzustellen weiss, Algiers Baumwolle auf den Märk- ten Europas neben der nordamerikanischen und bengalischen ihren Platz behaupten wird. Morıtz Wasner’s Algier, 1. 12 178 Nächst der Baumwolle sind Oel und Seide wohl die künftigen Haupterzeugnisse der Colonie.e Der Olivenbaum wächst in diesem Lande allenthalben wild, er ist unvertilgbar und da, wo die Beduinen die Vegetation nicht niederbrennen, schiesst derselbe zu einer kolossalen Höhe auf. Die höchsten Olivenbäume soll es in der Nähe von Tlem-san geben. Au- genzeugen versicherten mich, dass jene dort den grössten deutschen Eichen an Umfang des Stammes und Ausbreitung der Aeste wenig nachgeben. Auch bei Belida habe ich deren von ausserordentlicher Grösse gesehen, und die wilden Oli- venbäume der nächsten Umgebung Algiers überraschen durch ihren kräftigen Wuchs alle Südeuropäer. Man versuchte aus den Früchten dieser letztern eine Oelerndte zu gewinnen, al- lein der Preis der Pressen und der Arbeiter überstieg den Werth des Oeles, und man verzichtete darauf. Inzwischen wimmeln jetzt alle Gärten der Umgegend von jungen gepfropf- ten und gut gepflegten Olivenbäumen und in ein paar Jahren wird es gutes Oel in Menge geben. Hauptsächlich sind es Provencalen und spanische Auswanderer der Insel Minorka, welche auf die Oelerndte speculiren. Auf den Algierer Markt kommt übrigens auch aus dem innern Lande, namentlich vom Stamme der Beni-Isser eine grosse Masse schlechten Oels, welches zur Beleuchtung verwendet und von dem auch sehr viel, wegen des äusserst niedern Preises, nach Europa aus- geführt wird. Die Cultur des Maulbeerbaumes scheint Herrn Mercier ebenfalls sehr zu beschäftigen. Mehrere tausend junge Pflänzlinge sind davon in seinem Coloniegarten gesetzt. Al- te Bäume dieser Art sind im Lande nur einzeln und selten zu finden, die schönsten befinden sich im ehemaligen Dey- garten. Man behauptet, es habe in Algier einige maurische 179 Seidenfabriken gegeben, sowie auch in Constantine und Tlem-san. Es wäre hier viele Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass die Seidenraupe auf dem Baume selbst fortkäme. Man machte bereits einmal den Versuch, allein ihre zu geringe Zahl wurde ein Frass der Vögel. Sie hatten übrigens ihre halbe Grösse schon erreicht, und man bemerkte nicht, dass die Frische der Nächte ihrem Fortkommen schade. In der ganzen Umgegend Algiers 'existiren gewiss schon gegen 800,000 junge Setzlinge von Maulbeerbäumen. Ueberdies findet man zu Reghaia Versuche mit Zucker- rohr -, Indigo - und Cochenillecultur. Zu meiner grössten Verwunderung sind die im Jahre 1835 yepflanzten Zucker- rohrstengel wirklich schon vortrefflich gediehen, eben so ge- langen die schon älteren Versuche im Jardin des essais aus- gezeichnet gut, und so schwer es mir auch in den Kopf gehen will, dass diese ein tropisches Klima fordernde Pflanze an Algiers ziemlich rauhen Winter sich gewöhnen kann, so ver- sicherten mich doch erfahrne Männer, dass auf Bourbon und Martinique die Rohrstengel sich nicht kräftiger als hier ent- wickeln. Mit Indigo dagegen scheiterten die früheren Ver- suche vollkommen. Die Pflanze schoss zu hoch auf und lie- ferte eine sehr magere Erndte. Vielleicht war ihre Pflege keinen verständigen Händen anvertraut. Die Cochenillezucht im Deygarten gelang ebenfalls nicht, weil man thöricht ge- nug war, einen Punkt am Meere zu wählen, wo der Nord- wind am heftigsten stürmt. Die Insecten starben fast sämmt- lich auf ihrer Futterpflanze. Der in der Berberei allgemein wild wachsende Cactus opuntia ist übrigens eine variirende Abart von dem Nopal Mexicos. Man liess von letzterem Setzlinge aus Andalusien kommen, wo bei gleichem Breite- grade mit Algier viel Cochenille gewonnen wird. Der mexi- 122° 180 canische Cactus würde bei der so nahen Verwandtschaft mit dem Cactus der Berberei gewiss hier in eben so ungeheurer Verbreitung fortkommen. Meiner Ansicht nach wäre die La- ge der Ferme modele oder auch Buffariks vorzüglich zur Cultur der Cochenille geeignet. Dort würde die Algierer Hügelkette das bekannte Insect (Coccus Cacti) vor den Nord- winden schützen, während der Atlas im Süden den verhee- renden Einfluss des Sirocco lähmte. Wie die Versuche in Reghaia gelingen, wird die nächste Zeit lehren. Die Zahl der Arbeiter zu Reghaia beläuft sich ungefähr auf achtzig Köpfe. Darunter sind sechzig Europäer und etwa zwanzig Kabylen. Erstere wohnen im Gebäude selbst, sind vortrefflich ernährt und erhalten funfzehn Franken monatlichen Sold, die geschicktern Arbeiter das Doppelte. - Die Kabylen wohnen ausserhalb des Gebäudes unter Hütten von Baum- zweigen. Zur Nahrung erhalten diese nichts als trockenes Brod von ziemlich schlechter Qualität, dagegen zwanzig Sous täglichen Lohn. Dieser abgehärtete Menschenschlag bewahrt bei dieser kargen Kost seine volle Kraft und Gesundheit. Sie essen oft Monate lang nichts Warmes, das Quellwasser ist ihre einzige Zugabe zu dem rauhen, schwarzen Brode, und dabei fühlen sie sich doch glücklich, denn sie ersparen ein Sümmchen Geld. Der Obergärtner dieser Pflanzung ist ein Deutscher aus Lothringen, ein unermüthet thätiger Mann, der in den Tro- penländern gereist ist, und in seinem Fache grosse Erfah- rung besitzt. Derselbe ist für Herrn Mercier ein wahrer Schatz. Mit einem streng redlichen Charakter verbindet er jene milde Ruhe, jene Heiterkeit des Herzens, die dem Gärt- nerstande so eigenthümlich ist und den gesunden, blühenden Gesichtern einen so glücklichen Ausdruck leiht. Die Arbeiter 181 in Reghaia, obwohl darunter eben nicht lauter saubere Sub- jecte sind, lieben diesen sanfien Mann und gehorchen ihm auf das Willigste. Seine schöne Begeisterung für seinen Beruf ist vollkommen seiner schönen Aufgabe würdig. Eine günstige Gelegenheit zeigte sich mir wenige Wo- chen nach meiner Ankunft, die Ruinen der römischen Stadt Rusgonia, auch Rustonium, Rusgania und Rustisia genannt, welche zehn Stunden östlich von Algier bei dem Cap Matifu liegt, zu besuchen. Herr Adrian Berbrugger, Secretär des Marschalls Clauzel, ein sehr eifriger Alterthumsforscher, hat- te nämlich von der Regierung den Auftrag erhalten, dort Nachgrabungen zu veranstalten. Er begab sich im Januar 1837 mit einer Escorte von zehn Soldaten nach dem Fort Matifu, einem alten runden Thurme bei dem Cap gleiches Namens gelegen, etablirte sich dort mit seinen Arbeitern, und begann sein mühseliges Unternehmen mit einem Eifer und einer Unverdrossenheit, die ihm die grösste Ehre machen. - Die Ruinen Rusgonias bedecken einen Raum von mehr als einer Stunde in der Länge. Doch existirt nur ein einzi- ges Gebäude in der Nähe des Meeres, dessen Ueberreste noch einigermassen durch ihre Grösse imponiren. Fast alle übrigen Ruinen bilden ein wüstes Trümmerchaos, von wel- chem sich die Form der frühern Zeiten durchaus nicht mehr errathen lässt. Die noch am besten erhaltene Ruine befindet sich auf einer kleinen Erhöhung, und nimmt sich, umgeben von Mastixgebüschen und kleinen Fächerpalmen, sehr male- risch aus, besonders von der Seite des Cap Matifu her. Die zerrissene zackige Mauer ist von der Nord - und Ostseite noch von bedeutender Höhe. Man. gewahrt die Ueberreste eines Thurms, welcher durchaus keine antike Form zeigt, und der Vermuthung des Herrn Berbrugger, dass dieses Ge- 152 bäude in einer spätern Periode in eine christliche Kirche um- geschaffen worden, ziemliche Wahrscheinlichkeit giebt. In- zwischen ist dies nur eine Vermuthung, denn der Vandalis- mus hat auch an dieser Ruine zu viel gethan, um mit einiger Sicherheit auf ihre frühere Gestalt zu schliessen. Mit der grossen viereckigen Ruine, welche fast die ganze Erhöhung bedeckt, stand auf der Westseite ein anderes Seitengebäude in Verbindung, welches niedriger und von geringerem Um- fang gewesen zu sein scheint. In einem Zwischenraum von etwa vierzig Fuss stehen andere Trümmer in der Tiefe. Von da ziehen sich Mauerüberreste und riesenhafte Steinblöcke bis an den Strand des Meeres. Das Material der Ruinen bilden theils Klumpen einer Porphyrsteinart, welche bei dem Cap Matifu einheimisch ist, theils kleine schlechte Backsteine, welche aber mit Mörtel so fest und solid zusammengekittet sind, dass Zeit und Wetterstürme wenig davon zu zerstören vermocht hätten, - und das Werk des Umsturzes nur von menschlichen Händen vollbracht worden sein kann. Manche Ruinenstücke sind von einer Granitsteinart, welche in der Nähe nicht vorkommt. Ueberdies stösst man häufig auf weis- se Marmorblöcke von grosser Reinheit, die wahrscheinlich aus dem Atlas kamen, der schon zu Plinius Zeiten wegen seines Marmorreichthumes berühmt war. Die Araber nennen Rusgonia „Belad enta Takius“ (die Stadt des Takius). In der "That soll diese Stadt von einem Römer Tacius gegründet worden seyn. Der Scheikh Omar- ben-el-Bedaui aus dem Uthan der Khaschna erzählte dem Herrn Berbrugger, es gehe unter den Eingebornen noch die Sage, dass die Stadt in Folge einer Hungersnoth verlassen worden sey. Diese Bemerkung des Araberhäuptlings stimmt seltsamer Weise mit jener oben angeführten Inschrift zusam- 155 men, die von einem Getreidemangel Kunde giebt. Der Scheikh wollte, trotz unserer Versicherung des Gegentheiles, den Glauben nicht aufgeben, wir seyen blos gekommen, um vergrabene Schätze zu suchen. Er vertraute uns bei dieser Gelegenheit auch die Methode an, deren sich die Araber be- dienen, um den Ort zu entdecken, welcher die Reichthümer birgt. Er sagte, man müsse gewisse geheime Worte auf ein Stück Papier schreiben, dasselbe an den Ort tragen, wo man vermuthe, dass Geld vergraben sey und das Papier hierauf den Winden überlassen. Der Platz, auf dem es niederfalle, enthalte den Schatz. Die Resultate der durch Herrn Berbrugger geleiteten Nachgrabungen entsprachen nicht ganz den Erwartungen. Zwar wurden bis Ende Februars viele Bruchstücke von Sta- tuen, Basreliefs und nicht weniger als 1200 Münzen zu Ta- ge gefördert, doch sind alle diese Gegenstände von geringem Interesse, Inschriften wurden keine aufgefunden. Die Mehr- zahl der Münzen ist kaum mehr kenntlich, und wenig besser als abgeschliffene runde Metallstückchen. Die gut conservir- ten Münzen erhielt Herr Berbrugger fast sämmtlich durch die Araber der Umgegend, darunter einige sehr schöne Goldmün- zen von den oströmischen Kaisern. Die gefundenen Basre- liefs sind grob gearbeitet und die Statuen so sehr beschädigt, dass ihnen aller Kunstwerth abgeht. Die Existenz Rusgonias fällt überhaupt in eine Epoche, wo die Kunst nicht auf ihrer blühendsten Stufe stand. Inzwischen wäre es immerhin mög- lich, dass man dort manches Interessante entdecken kann, aber hiezu bedürfte es riesenhafterer Arbeiten und grösserer Geld- mittel, als die bis jetzt bewilligten. Um sicher zu seyn, dass nichts Bemerkenswerthes den Nachforschern entginge, müsste man das ganze Terrain in einem Umkreise von fast einer 194 Meile aufwühlen. Herr Berbrugger, der mit einem so höchst lobenswerthen Eifer mehrere Monate lang am Cap Matifu suchte und wühlte, hatte nur zehn Arbeiter zu seiner Ver- fügung. Ein Freund malerischer Wildnisse im Geschmack Salva- tor Rosa’s findet sich durch einen Ausflug nach dieser Ge- gend gewiss befriedigt. Das unabsehbar düstere Chaos der Gebüsche, deren ewiges Grün die Ruinen und die Klippen beschattet, der melancholische Fluss, der durch die stumme Einsamkeit so träge und grämlich nach dem Meere rauscht, im Hintergrunde der ehrwürdige Atlas, auf dessen Abhängen die Feuer der Kabylen in dicken Rauchsäulen zum Himmel wirbeln — diese verschiedenen Theile des Gemäldes geben der Gegend einen eigenthümlichen, düstern, mysteriösen Cha- rakter. Ein hoher weisser Berg, der hinter der ersten At- laskette hervorragt, ist der Dschurschura, der Mons ferratus der Alten, auf welchem die Flissa, einer der mächtigsten Kabylenstämme der Berberei, wohnen. 185 vVEEE Reise in das Innere der Provinz Algier. — Die Südseite der „Metidscha. — Die Ringmauern von Neu-Belida. — Stadt Belida. — Orangengärten. — Der Uad-Sidi-el-Kebir. — Hausch Mussaia. — Die Kabylen des Gebirgs. — Der Engpass Teniah. — Coleah. — Umgegend., — Das Land der Hadschuten. — Kubbar-el-Rummiah ‚‚das Grab der Christen.‘ ‚A va-el-Kader war im April 1837 in Medeah, der Haupt- stadt der im Innern gelegenen Provinz Titeri eingedrungen. Bestürzt über die Nähe dieses eroberungslustigen Fürsten, - der auf seinen Wegen von den Stämmen allenthalben Tribut erhob und sogar die Städte scharf ranzionirte, hatten die un- ter französischer Herrschaft stehenden Stämme Beni - Mussa und Beni-Khalil, welche zuletzt von den Maraudeurs des Emirs bedroht waren, den Gouverneur in Algier um Hülfe angeru- fen. General Damremont versammelte auf diese Nachricht ein Truppencorps von 6000 Mann im Lager Buffarik und setzte sich von dort am 29. April gegen Belida in Marsch. Ich begleitete diesen Zug, froh, dass ich nun Gelegenheit hatte, die Kette des Atlas, an deren Fuss ich öfters gekommen, die ich aber nie bestiegen hatte, in der Nähe besehen und durch- streifen zu können. Die Entfernung von Buffarik nach dem südwestlich gelegenen Belida beträgt nur vier Stunden; allein der Weg wurde durch die Hadschuten, die Beni-Salah und 186 andere räuberische Banden so unsicher gemacht, dass kein Mensch, der seinen Kopf liebte, in dieser Richtung sich über eine halbe Stunde von Buffarik zu entfernen wagte. Selbst gut bewaffnete, der Gegend kundige Jäger getrauten sich nie über das Olivengehölz im Gebiet Beni-Khalil etwa Dreiviertelstunde von Buffarik entfernt hinaus. Bis dort ist der Weg völlig unbedeckt, dann aber kommen stellenweise kleine zusammengedrängte Gruppen von Bäumen und Gestrüppe. Die Banden der Hadschuten legen sich dort oft in,den Hin- terhalt, um einzeln streifende Waghälse oder auch kleine Truppenpikets zu überfallen. Jene Strecke, die wir zwi- schen Buffarik und Belida durchzogen, war der fruchtbarste Theil der grossen Ebene Metidscha, den ich gesehen. Ueber 1’/, Fuss hoch stand das Gras und die Wiesenkräuter, und man sah mehr Blumen noch als Halme. Fast sämmtliche hohen Kräuter haben gelbe Blüthen, welche die einzelnen vielfarbigen niedern Blumen völlig bedeckten. Belida liegt am südlichen Rande der Metidscha, fast am Fuss des Atlas- gebirges. Ein breiter Ring von Südfruchtbäumen, die präch- tigsten Orangen -, Granat-, Citronenpflanzungen, die fast ein ewiges Gold der Früchte zu jeder Jahreszeit ziert, umhüllen die Stadt mit ihrem ungeheuern Blätterbaldachin, so dass die Moscheenminarets und die Terrassen der höchsten Häuser 'von ferne sichtbar sind. Die Stadt selbst gewahrt man, obwohl sie auf flachem Grund liegt, erst nachdem man eine Viertelstun- de durch die Orangengärten gewandert ist und dicht vor den zertrümmerten Thoren und durchlöcherten Ringmauern steht. Belida war vor etwa zwanzig Jahren noch eine ziemlich schöne blühende maurische Stadt, von wohlhabenden Pflanzern und Handwerkern bewohnt. Aber seitdem haben den unglück- lichen Ort Katastrophen aller Art heimgesucht. Ein fürchter- 187 liches Erdbeben zerstörte die Stadt im Jahre 1825. Alle Moscheen und höhern Häuser stürzten damals von Grund aus ein und ihre Trümmer liegen zum Theil noch in und um die Stadt aufgehäuft, weil eine erschrockene, abergläubische, trä- ge Bevölkerung nicht einmal den Muth hatte, die Hand an diese Zeugen von Allahs Grimm zu legen. Sie entschlossen sich lieber die von Gott verfluchte Stelle zu verlassen und wollten ein Neu-Belida, etwa eine Viertelstunde weiter nördlich in der Ebene bauen. Sie richteten auch in der That die vier- eckige Ringmauer, liessen aber dann plötzlich diesen Plan wieder fallen, wahrscheinlich auf irgend eine neue Prophe- zeiung ihrer Priester hin. Andere versichern, dass sie ihre Stadt nur deshalb weiter in die Ebene versetzen wollten, um nicht allzu sehr der Willkür und Raublust der dicht hinter der Stadt wohnenden Kabylen, eines zahlreichen und grausamen Bergvolkes , ausgesetzt zu seyn. Belida liegt nämlich so nahe am Gebirge, dass die Kugeln der Kabylen, freilich aus sehr weittragenden langen Flinten abgefeuert, von halber Gebirgshöhe in die Stadt fallen. Da die Bewohner Belidas nur friedliche Gewerbe treiben, und ihre geringe Energie durch häufige Unglücksfälle ganz gelähmt ist, so wurden sie von den Kabylen oft geplündert und misshandelt, ohne Widerstand zu leisten. Das Unglück dieser Bevölke- rung erreichte seit der französischen Occupation Algiers den höchsten Grad. Zu schwach, gegen irgend einen Feind sich zu wehren, wurden sie von den Franzosen so wenig, als von deren Gegnern geschont. Am 26. November 1830 ward Belida, während der Marschall Clauzel nach Medeah zog, der Schauplatz eines gräulichen Würgens. Die dort zurück- gelassenen vier Infanteriecompagnien wurden von einer Mas- se Kabylen überfallen und es entspann sich ein Kampf in 155 Strassen und Häusern, wobei ausser den Streitenden selbst eine Menge wehrloser Geschöpfe, Weiber, Greise, Kinder ums Leben kamen. Die übrigen Bewohner folgten damals aus Furcht vor den Kabylen der von Medeah zurückkehrenden französischen Armee nach Algier, während zu Belida die Leichen in den verödeten Strassen moderten. Nach einigen Monaten bevölkerte sich die unglückliche Stadt allmälich wie- der, der Sohn nahm die Erbschaft des gefallenen Vaters in Empfang, manch armes Weib bezog ihren Wittwensitz. Es war ihnen ausser den kahlen Wänden ihrer halbzertrümmer- ten Wohnung fast nichts geblieben, wenn sie nicht, wie es in solchem Lande der Räuberei und der Pressung ein alter Brauch ist, das Werthvollste ihrer Habe an irgend einen Winkel vergraben hatten. Uebrigens ist die Gewalt der Hei- math bei diesem Volke gross. Daher kehrten sie nach jeder Katastrophe doch immer wieder an ihren Herd zurück und die Blutspuren so wenig, als die Furcht der Erneuerung sol- cher Scenen, vermochten sie, ihrem Geburtsstädtchen auf im- mer den Rücken zu kehren. Freilich war die Herrlichkeit, der überreiche Segen der Natur immer ein Trost für die Ueberlebenden. Die Orangen- bäume, in deren dichtem Dunkel die Stadt wie eine Einsie- delei verborgen liegt, beugen sich zur Erndtezeit unter der Last ihrer Goldäpfel und der Citronen - und Limonenbaum treibt das ganze Jahr hindurch Blüthe und Frucht. Belida selbst aber ist wenig mehr, als ein Schutthaufen. Die Häu- ser wurden seit dem Erdbeben nur halb wieder aufgerichtet und man sieht ausser den Moscheen kein zweistöckiges Ge- bäude, sondern nur niedere Steinhütten, welche innere Höfe, wie die Gebäude in Algier, und überhaupt ganz den mauri- schen Baustyl haben. Fast jedes Häuschen hat einen oder > 159 zwei Läden, wo Gewürzkrämer, Eisenhändler, Gärtner und andere Handwerker ihren kleinen Waarenvorrath ausbieten. Nicht ein einziger Mann der Stadt gilt für wohlhabend. Un- ter den Handwerkern sind die Schuster die zahlreichsten, sie verfertigen die hohen gelbrothen Winterstiefel, welche die vornehmen Araber, meistens Scheikhs und Kaids, an Fest- tagen oder auch wenn sie ihre Streitrosse besteigen , tragen. Ein gangbarer Artikel sind die gelbledernen leichten Schuhe, die von vielen wohlhabenden Arabern und von allen Städtern zur heissen Jahreszeit getragen werden, und sehr wohlfeil sind. Die Kramläden enthalten in sehr geringen Quantitäten die gewöhnlichen Kleinhandelartikel dieses Landes, wie Zu- cker, Kaffee, trockne Früchte, gelbes Wachs, Indigo, Henna, und vor Allem Tabak. Auch Kaffeehäuser giebt es in Beli- da, kleine düstere Löcher, wo auf schlechten Strohmatten ärmliche zerlumpte Figuren jeden Tag einige Stunden träge und träumend rauchen und Kaffee schlürfen. Die Bevölke- rung betrug früher 6—7000 Seelen und ist jetzt auf 2000 herabgesunken, worunter etwa 1500 Mauren, die übrigen Türken, Kuruglis, freie Neger und Juden. Seit jener Wür- gescene vom November 1830 wurde die Stadt noch oft von Kriegsbanden heimgesucht und immer erneuerten sich ähnli- che Auftritte Da die Stadt nicht weit von den äussersten Vorposten der Franzosen gelegen war, so durfte sie natürli- cher Weise nicht wagen, gegen diese in offene feindliche Stellung sich zu setzen. In einem halben Tagmarsch konnte ein französisches Corps vor den Thoren Belidas seyn. Eben so wenig durften sie wagen, entschieden die Partei der Franzosen zu nehmen, da letztere vor der definitiven Be- setzung Belidas im Mai 1838 nie längere Zeit dort verweil- ten, nie dort ein Lager gründeten. Die armen Belidaer 190 ; waren, wenn sie die Franzosen nur halb gut empfangen hat- ten, gleich wieder der Rache der Kabylen preisgegeben, welche öfters den Hackhem und andere Beamte der Stadt ermordeten, wenn sie den Verdacht hegten, dass dieselben mit dem Feind Einverständnisse unterhielten. Bei der Expedition, die ich begleitete, wurde die Stadt selbst zwar geschont, aber auf ihrer stillen Flur, am Saume der schönen Orangenhaine tobte der Kampf. Kanonenkugeln schlugen in die Gärten und, wäre ein weniger menschlicher Führer, als der General Damremont an der Spitze der Colon- ne gestanden — durch das langweilige Manöver des Umge- hens der Stadt und ihrer Gärten verlor er einen halben Tag, statt dass ein ungestümerer General geraden Wegs auf die Stadt losgerückt wäre — so hätte das arme Belida vielleicht Drang- sale wie früher gelitten. Der Schrecken war so gross unter der Bevölkerung, dass die Mehrzahl, namentlich die jüngeren Weiber in die Berge flohen, trotz aller beruhigenden Ver- sicherungen, die der General ihrem Kadi gegeben, dass Le- ben und Eigenthum geschont werden sollten. Am 29. April hielt der General Damremont mit seinem Generalstab und ei- nigen Infanteriecompagnien den Einzug in die Stadt. Ich war mit unter dem Gefolge. Wir schlugen hinter den Mauern Neu-Belidas, wo der Bivouac bezogen worden, einen eignen Weg, auf dem nicht mehr als drei Mann neben ein- ander reiten konnten, durch die Örangenheine ein und stampf- ten dabei eine kräftige Vegetation unter uns nieder. Schöne Wiesenblumen wuchsen am Wege, die Südfruchtbäume waren stellenweise von Schlingpflanzen umrankt; eine Menge von Quellen und Bächen floss am Saume der Gärten herab und an ihren Ufern wimmelte es von Schildkröten. Unter den Begleitern des Generals waren zwei Officiere in neapolitani- 191 schen Diensten, die Hauptleute Muralt und Stürler, zwei sehr gebildete Männer, die, obgleich an die herrlichsten Gegenden Italiens gewöhnt, mir gleichwohl versicherten, dass Belida alle Paradiese Siciliens weit hinter sich lasse. In der That hält man die Landschaft Belidas für den fruchtbarsten Punkt der Regentschaft Algier, nur Tlemsans Umgebung könnte vielleicht noch mit ihm rivalisiren. Seltsamer Weise sind die- se beiden, von der Natur so gesegneten Gegenden nur von Unglücklichen bewohnt, beide Städte nur noch Trümmerhau- fen und lange schon vor der Ankunft der Franzosen heim- gesucht von allen möglichen Uebeln, von Erdbeben, Pest und Anarchie. Sowie die Kabylen die tyrannischen Peiniger der armen Belidaer waren, so hausten die räuberischen Horden der Angads gegen Tlemsan, welches sie brandschatzten und plünderten, so oft sie die Türken zu Paaren trieben. Nachdem wir in der Stadt ganz kurz verweilt, bestiegen wir einen Theil des Gebirgs, welches südlich hinter Belida sich erhebt. Dort waren zwei Brigaden gelagert, welche mehrere der ersten Gipfel besetzten, die fliehenden Kabylen vor sich herscheuchten und deren Hütten anzündeten. Dicht hinter Belida stürzt der Uad-Sidi-el-Kebir (Fluss des grossen Heiligen), ein ganz unbedeutendes Flüsschen, steil von dem Gebirge, bildet kleine Wasserfälle, fliesst dann durch die Ebene Metidscha und ergiesst sich in die Chiffa. Wir konnten das Gebirge bis zur halben Höhe ersteigen. Dort lagerte der äusserste Vortrab der Franzosen, die Zuaven oder französisch - arabische Infanterie, welche als famöse Berg- steiger und rüstige Kämpfer immer an der Spitze der fran- zösischen Armee fechten. Auf den höhern Berggipfeln stan- den die geflüchteten Kabylen, die unaufhörlich mit ihren lan- gen Flinten auf uns herunterknallten. Diese erste Kette des 192 Atlas ist bis fast zur halben Höhe angebaut, von guter Ve- getalerde bedeckt und zum Theil bewaldet; nur gegen die äusserste Höhe durchbricht das Felsgestein die dichte Damm- erde. Charakteristisch für diese Bergkette sind die zahlrei- chen mit Gestrüppe bedeckten Schluchten, während die Gipfel bei weitem nicht so kegelförmig sind, als in den Alpen und Pyrenäen. Eine andere Eigenthümlichkeit des Atlas ist, dass vor der ersten Kette immer einzelne Hügel oder kleinere Berge aufsteigen, die entweder schon in der Entfernung ei- ner halben Stunde beginnen, oder auch sich fast an die Ket- te anlehnen und daher dem Gebirge als Marschstufen dienen. Natürlich ist aber bei einer solchen Formation die Zahl der tiefen mit Buschwerk besetzten Schlünde fast endlos. Man mag sich hiernach von der Beschwerlichkeit des Kriegführens in diesen Bergen einen Begriff machen. Der Kabylenstamm, welcher am nächsten bei Belida wohnt, führt den Namen Beni-Salah und ist sehr kriegerisch und grausam, hat sich auch nie eigentlich unterworfen. Er stellt gegen 600 Bewaffnete. Eine halbe Stunde weiter ge- gen Westen wohnen die Mussaia, welche 1000 bewaffnete Fussgänger stellen, dann folgt der noch mächtigere Stamm Summata, der 1500 Fussgänger und 200 Reiter stellt. Alle diese Kabylen bewohnen kleine Dörfer von erbärmlichen Strohhütten, fast elender und kunstloser als der Bau der Bi- berwohnungen an den grossen nordamerikanischen Seen. Man heisst diese Dörfer in der Kabylensprache ‚‚Daskhras “ und die Strohhütten „‚Gurbis“, welche Benennungen auch in die arabische Landessprache übergegangen sind. Einige Araberstämme, die am häufigsten mit den Kabylen verkehr- ten, haben zum Theil deren Wohnart angenommen und das kameelhärene Zelt ihrer Altvordern mit dem elenden, aber 193 wärmern und leicht zu bauenden Gurbi der Kabylen vertauscht. Die Daskhras des Stammes Beni-Salah bestehen meist aus zwan- zig bis dreissig Gurbis. Eines ihrer Dörfer Sidi-el-Kebir ist beträchtlich, und hat sogar mehrere kleine Gebäude von Stein, wo der Kaid und andere Grosse des Stammes wohnen. So über alle Vorstellung elend diese Kabylendörfer auch sind, so enthalten sie doch etwas mehr Luxus an Einrich- tung und innern Habseligkeiten, als die arabischen Duars, was seinen Grund wahrscheinlich darin hat, dass die Kaby- len ihre Hütten, wenn sie nicht vom Feinde vertrieben wer- den, nie wechseln, daher auch durch Anhäufung von Ge- räthschaften die Mühen des Umzugs nicht zu fürchten haben. Die französischen Soldaten machten bei diesem Zug an Koch- geschirre, Buttertöpfen u. s. w., auch an Teppichen und Schaaffellen eine ziemlich ansehnliche Beute, obwohl die Ka- bylen das Beste gerettet hatten. Die erbeuteten Geldmünzen bestanden grösstentheils in spanischen Piastern. Die dominirende Pflanze auf dem Atlas ist bis zur hal- ben Höhe der wilde Olivenbaum, der in ungemeiner Höhe aufschiesst und viele, aber kleine schlechte Früchte erzeugt. Dieser Baum dient, wie der Cactus, auch zur Umzäunung, und so weit er auf dem Gebirge wächst, findet man gewöhn- lich auch Feldeultur. Steigt man höher hinauf, so verdrän- gen kleine Wälder von grünen Eichen den Olivenbaum, sie sind aber von zwergartigem, kümmerlichen Wuchs. Den Gipfel des Gebirgs bedeckt immer die Korkeiche, die aber hier ebenfalls ein ziemlich unansehnlicher und hässlicher Baum ist. Von der halben Höhe des Gebirgs hatten wir eine Aus- sicht auf die Metidscha, namentlich auf den westlichen Theil, den Wohnsitz der Hadschuten, deren Duars deutlich jenseits des Massafran sichtbar waren. Gegen Nordwest erblickten Morıtz Wasner’s Algier. 1. 13 194 wir das maurische Städtchen Coleah, welches jetzt fast ver- ödet ist, dann die schönbewaldeten Ufer des Massafran, den kleinen See Alula und auf einem kleinen Hügel unweit des Meeres die gewaltige Grabpyramide des Kubbar-el-Rummiah (Grab der Christin). Dieses Monument wird auch vom Mee- re aus sehr weit gesehen und dient den Küstenfahrern als - Anhaltspunkt ihres Weges. Die Umgegend von Belida ist seit dem Mai 1838 von den französischen Truppen in Besitz genommen. Zwei La- ger erheben sich dort, das eine bei Neu-Belida, das andere jenseits der Stadt auf dem Abhang des Gebirgs. Ausserdem stehen Blockhäuser fast in allen Richtungen um die Stadt herum. In die Stadt selbst aber sind noch keine Truppen gerückt, da der Marschall Valee fürchtete, die Erscheinung fränkischer Uniformen im Innern möchte alle Einwohner zur Auswanderung treiben, er wollte letztere erst an den Anblick der von ihnen begreiflicher Weise so gefürchteten Soldaten in der Gegend gewöhnen. Auch den europäischen Civilper- sonen ist es noch nicht gestattet, sich in -Belida niederzulas- sen, obwohl viele von ihnen rechtsgültige Ansprüche auf dor- tigen Grundbesitz haben. Zwei Drittheile der Häuser und Gärten wurden seit Jahren schon von den Einwohnern an europäische Speculanten zum Theil um Spottpreise verkauft. Beide Theile hofften sich dadurch einander zu übervortheilen. Die Mauren glaubten, nie würden die Franzosen Belida bleibend besetzen. Mehr als zehnmal hatten T'ruppencorps die Stadt eingenommen, sich aber immer wieder entfernt, theils weil die Occupation wegen der Nähe der Stadt am Gebirge und ihrer baumreichen Umgebung sehr schwierig war und viele Befestigungswerke nebst einer bedeutenden | Truppenmacht erforderte, theils weil die Kabylenstämme in 195 der Nähe feindseliger, zahlreicher, streitbarer, als die Ara- berstämme der Ebene sich zeigten, auch weil man nicht all- zu schnell vorrücken, sich nicht zu tief in das Innere wagen wollte, ehe der Rücken durch feste Lager gedeckt, Strassen gebahnt und Blockhäuser errichtet waren, um eine leichte und gesicherte Verbindung unter allen Zwischenposten zu erhalten. Aber die Belidaer begriffen diese Gründe der Vorsicht keineswegs und in ihren Augen galt der Rückzug einer französischen Colonne stets als ein Zeichen der Furcht und Schwäche. Eher noch glaubten sie, dass die Prahlereien Ben-Zamun’s, Ben-Brahim’s und anderer Kabylenhäuptlinge, alle Franzosen in das Meer zu werfen, in Erfüllung gehen könnten, als dass die Tricolorfahne je für die Dauer auf dem Atlas wehen werde. Zugleich wussten sie, dass die Europäer ohne den Schutz französischer Bajonette sich nie getrauen würden, ihre käuflich erworbenen Güter in Besitz zu nehmen. Die kauflustigen Colonisten aber speculirten na- türlich mit gerade entgegengesetzten Gedanken und Hoffnun- gen. Sie kannten die Macht Frankreichs und den Ehrgeiz, die Nationalempfindlichkeit seines Volkes, welche willig lie- ber dreimal grössere Opfer bringen, zehnmal zahlreichere Heere in den Kampf hetzen, als eine Eroberung aufgeben würde, an der bereits so viel edles Blut und daher auch die Nationalehre hängt. Jedenfalls wäre ein Preisgeben Algiers, nachdem man so weit sich eingelassen , durch unermessliche Arbeiten an der Küste sich so fest genistet, nachdem man den schwersten Anfang mit vielem Muth und mit einer Standhaftigkeit, welche man sonst nicht immer dieser that- kräftigen, aber zu beweglichen und wankelmüthigen Nation zugestehen will, überwunden hat und nun eine wenn nicht rühmlichere, doch viel belohnendere, an Opfern ärmere, an 13 * 196 Gewinn reichere Zukunft in nicht allzu weiter Ferne sieht, jetzt wäre ein Verlassen dieser an so manchen schlummernden Schätzen reichen Erde eine durch nichts zu sühnende Thor- heit. Die Ansiedler haben also auf das Ausharren der franzö- sischen Nation und auf gut Glück vertrauend, am Fusse des Atlas Häuser und Grundstücke von den Eingebornen ange- kauft, ohne diese Güter je gesehen zu haben, ja manchmal ohne genau von ihrer Existenz überzeugt zu seyn. Die Ver- käufe geschahen nämlich in der Hoffnung, dass die Franzo- sen nie Belida besetzen würden, zu Spottpreisen, so dass die europäischen Speculanten grossen Gewinn zu machen glaub- ten, wenn die Vorposten bald einmal bis an den Atlas vor- geschoben wären. Beide Theile sahen sich in ihren Erwar- _ tungen einigermassen getäuscht. Belida wurde 1838 besetzt, aber vergeblich hofften nun die Speculanten in den unmittel- baren Besitz ihrer rechtskräftig erworbenen Güter zu kom- men. Pellissier, damaliger Directeur des affaires arabes, war den europäischen Ansiedlern abhold, dagegen stets ein warmer Vertheidiger aller oft gerechter, oft auch übertriebe- ner Ansprüche der Eingebornen. Er stellte dem Gouverneur vor, wie die Einwohner Belidas, wenn man die Reclamatio- nen der Europäer gelten lassen wollte, sämmtlich aus Haus und Hof vertrieben und zur Auswanderung nach Medeah ge- zwungen würden. Dadurch gäbe man ein gefährliches Bei- spiel, verstosse eine friedfertige, arbeitsame Bevölkerung, die unter französischer Herrschaft gewissermassen ein Unterpfand der Ruhe wäre, im Exil dagegen nur die Zahl der Feinde vermehre. Der Marschall Valee, der die Richtigkeit dieser Gründe einsah, dabei aber leider zu wenig das unbestreitbare Recht der Käufer und die Vortheile einer grossen Ansiedlung 197 von Europäern am südlichen Ende der Metidscha in Betracht zog, verbot allen Civilisten die Reise nach Belida, vorgeblich nur so lange, bis die dortigen Lager vollendet und die An- siedler gegen alle Ueberfälle der Kabylen in Sicherheit seyen. Die Festungsarbeiten aber sind seitdem schon lange vollendet worden und noch immer ist das Verbot der Reise nach Beli- da nicht zurückgenommen. Von Belida führt eine Strasse, die eine Zeitlang der Richtung der Gebirgskette und des Baches Uad-Sidi-el-Kebir folgt, nach Medeah, einer etwa zweimal so grossen Stadt und Hauptort der Provinz Titeri, früherer Sitz eines Bey- lıks. Jetzt steht Medeah unter der Herrschaft Abd-el-Kader’s und ist einer seiner wichtigsten Operationspunkte sowohl ge- gen die von ihm noch nicht unterworfenen Stämme östlich vom Engpass Biban, als gegen die Franzosen im Norden. Wie alle andern Strassen, an welche die Franzosen noch nicht Hand angelegt haben, und die nicht auf der alten via Romana gebaut sind, so ist dort die Strasse ein elender, halbverschütteter, blos für Lastthiere, Reiter und Fussgänger zugänglicher Weg. Folgt man diesem Weg drei Stunden über Belida hinaus, so erreicht man einen sehr hübschen Landsitz, Hausch-Mussaia, der mit Bäumen umgeben, gut an- gebaut ist und ein prächtiges Terrain beherrscht. Dieses Gut gehörte früher einem Aga des Beys von Oran und jetzt bewohnt dasselbe ein Marabut des Kabylenstammes Mussaia, welcher, so oft die französischen Truppen eine Excursion hieher machen, oder gegen Medeah sich wenden, ihnen im- mer zum freundlichen Empfang entgegenkommt, dagegen mit seinen Leuten auf sie feuert, sobald sie abgezogen. Der Uad-Sidi-el-Kebir,, welcher neben dem Weg fliesst, vereinigt sich noch vor Hausch-Mussaia mit der Chiffa, welche, ein 198 viel beträchtlicheres Gewässer, in einem sehr engen Canal, aber breitem mit Sandsteinen angefüllten Bett aus dem Ge- birge kommt. Die Ufer sind steil und mit stachlichten Bü- schen bewachsen. Zwei Stunden weiter östlich fliesst der Uad-el-Dscher, ein starker Bach, dessen Bett breit und mit Felsblöcken angefüllt ist. Diese drei Gewässer, Uad-Sidi-el- Kebir, Chiffa und Uad-el-Dscher, die man sämmtlich durch- waten kann, vereinigen sich und bilden zusammen den Mas- safran, einen ziemlich ansehnlichen, wiewohl nicht schiffbaren Strom, der sich zwölf Stunden westlich von Algier in das Meer ergiesst. Der Engpass Teniah, durch welchen der Weg nach Medeah führt, beginnt zwischen den Stammgebieten der Mussaia und Summata, etwa drei Lieues westlich von Hausch-Mussaia. Zwei Stunden steigt man über, das Gebirge und erreicht fast die Höhe der ersten Kette. Die Bergrücken auf beiden Seiten des Pfades sind zum Theil angebaut, zum grössten Theil aber sehr wild, von einer düstern Buschvege- tation bedeckt, durch welche allenthalben mächtige Kalkfelsen- klumpen ihre kahlen Schädel strecken. Viele kleine Bergge- wässer rauschen über die Steinwände herunter, bilden aber nirgends bedeutende Wasserfälle. Einzelne Daskhras der Kabylen liegen allenthalben auf diesen Abhängen zerstreut. Selten sieht man deren an den lieblichen, lichten, sonnigen Stellen, sondern da wo der Buschwald am finstersten, das Felsgestein am schroffesten und nacktesten hervorgähnt, ste- hen die elenden ‚Hütten mitten unter den Wohnsitzen der wilden Thiere, deren Brüllen oft des Kabylen Abendgesang accompagnirt. Der Gebirgspass, dessen Beginn zwei sehr spitzige, zuckerhutförmige Felsen bezeichnen , wird auf der kiöhe immer enger und manchmal durch Felsenriffe so schmal, 199 dass nicht vier Mann neben einander marschiren können und funfzig entschlossene Kämpfer hier eine Armee mehrere Ta- ge lang aufzuhalten vermöchten. Dennoch nahm der General Achard bei dem ersten Zuge des Marschalls Clauzel nach Medeah diesen Engpass, der von 2000 Türken, Kabylen und Arabern unter dem Commando des Beys von Titeri besetzt war, mit einem einzigen Bataillon des 37. Linienregiments stürmend ein. Es war dies ein Heldenstück fast ohne Glei- chen nach dem Urtheile Aller, die das Terrain gesehen. Die vordersten Stürmenden stürzten sich mit gesenktem Haupt, das Bajonet vorhaltend, in einen fast sichern Tod, auch litt das Bataillon des General Achard bedeutend, wiewohl nicht so sehr, als man nach dem schwierigen Bergterrain hätte glauben sollen. Seit dieser kühnen Waffenthat, die der Mar- schall Clauzel durch seine schwülstige Proclamation „von den Gipfeln des Atlas“ eben nicht verherrlicht hat, war der Eng- pass Teniah kein Hinderniss eines Zuges nach Medeah mehr - und die Eingebornen gaben seine Vertheidigung seitdem auf. Gleichwohl nahmen die Kabylen bei der zweiten Rückkehr des Generals Berthezene von Medeah für die frühere Nieder- lage eine fürchterliche Revanche. Ein panischer Schrecken ergriff damals die Armee, ohne dass man eigentlich den rech- ten Grund wusste, denn die Erscheinung einiger tausend Bergbewohner hatte die französischen Soldaten früher keines- wegs in Furcht gejagt. Aber die Unvorsichtigkeit des Ge- nerals, die Sorglosigkeit der Öberofficiere, die schlechte Marschordnung u. s. w. bewirkten eine so heillose Verwir- rung, dass selbst Männern von bewährter Tapferkeit eine plötzliche Lauflust angekommen seyn soll. Ein neugebildeies Regiment, das 67., aus Pariser Abenteurern, meist blutjun- gen Menschen zusammengesetzt, des Krieges und der Ord- 200 nung ungewohnt, stand bei der Avantgarde und litt besonders, denn die angreifenden Kabylen, die den schwächsten Theil des Heeres zu finden wussten, rückten ihnen auf den Leib und stürzten ermüdete Nachzügler mit der blossen Hand in den Abgrund. Nur der Heldenmuth und die Besonnenheit Duvivier’s, der mit einem einzigen Bataillon sich allen An- greifern entgegenwarf und den Stoss aushielt, rettete die Ar- mee von einer Katastrophe. Die Höhe von Teniah bildet die Gränze der Provinz Algier. Auf dem südlichen Abhang dieses Passes beginnt die Provinz Titeri, die jetzt ganz im Besitz Abd-el-Kader’s ist. Das kleine, aber niedliche interessante Coleah liegt, wie schon erwähnt, Belida nördlich gegenüber, am Fusse des letzten Abhanges vom Algierer Sahel in einem hübschen Thale. Seit April 1838 ist die Umgegend von Coleah gleich- falls von französischen Truppen besetzt und man reist jetzt von Algier dorthin über Deli-Ibrahim, Duera und Mahelma ohne Schwierigkeit. Die Entfernung Coleahs von Algier be- trägt über Mahelma nicht ganz zehn Stunden. Der Massaf- ran fliesst eine halbe Stunde östlich von Coleah; das Meer- ufer im Norden ist etwa Dreiviertelstunde von dem Städt- chen entfernt. Vor 1830 hatte Coleah zwei- bis dreitausend Einwohner, im Jahre 1838 zählte es deren nicht über 1600 mehr und seitdem ist in Folge der französischen Occupation über ein Drittheil der Bevölkerung ausgewandert. Gegenwärtig be- steht dieselbe grösstentheils aus Mauren, einigen Negerskla- ven und freien Negern, endlich aus drei bis vier türkischen Familien, welche sich nach der Einnahme Algiers dahin flüchteten. Juden dagegen war es nie erlaubt, sich dort an- zusiedeln. 201 Früher hatte Coleah eine Ringmauer, die aber jetzt gänzlich verfallen ist. Ihre erste Zerstörung begann gleich- falls mit dem Erdbeben von 1825, welches seine Wirkungen aber nicht bis Algier ausdehnte. Die Bauart der Häuser ist , ungefähr dieselbe, wie in Belida, sie sind eben so niedrig, aber etwas besser conservirt und reinlicher angestrichen. Zwei oder drei Marabuttempel erheben sich- inmitten der Kirchhöfe, welche im Norden und Osten die Stadt berühren; die Stras- sen sind regelmässig und ziemlich breit. Die längste führt von Osten nach Westen und endigt bei einem kleinen Platz in Triangelform, der von elenden Buden, oder vielmehr vier- eckigen Löchern umgeben ist. Ein Kaffeehaus, ein Brunnen mit Marmorbetten und eine kleine Moschee, deren winziger Thurm sich kaum zwanzig Fuss über den Häusern erhebt, sind die einzigen armseligen Zierden Coleahs. Eine zweite Moschee ist am Südende des Städtchens, neben ihr der Ma- rabutsitz der Familie Sidi-Mubarek. Coleah hat gar keine Industrie. Es leben nur zwei Schuhmacher und emige Wol- lenweber dort. Der Handel ist unbedeutend und beschränkt sich blos auf den Verkauf von Garten- und Feldproducten, Als eine heilige Stadt, in welcher mehrere der berühm- testen Marabuts der Provinz, namentlich die in hohem Anse- hen und Rufe der Heiligkeit ersten Ranges stehende Familie Mubarek ihren Wohnsitz aufgeschlagen, hatte Coleah nie et- was von den innern Zwistigkeiten der Eingebornen zu fürch- ten. Alle Unglücklichen, wie alle Uebelthäter fanden in der Kapelle des alten Mohamed -Mahidain-Ben-Mubarek stets ein unbestrittenes Asyl, vor dessen Thüre der verfolgende Rä- cher in ehrfurchtsvoller Scheu zurückwich. Auch die fran- zösischen Truppen störten, obwohl sie sehr oft feindlich vor Coleah erschienen, nie den ungetrübten Frieden dieses Städt- 202 chens durch Blutvergiessen, da sie keinen Widerstand, im- mer nur eine friedliebende, in ihr Loos ergebene, durchaus passive Bevölkerung fanden. Dies hat sich aber seit der französischen Occupation geändert. Der sehr würdige Mo- hamed-Ben-Mubarek, ein milder, durchaus nur Versöhnung predigender Greis ist gestorben und die Familie Mubarek zum grossen Theil ausgewandert. Der Anblick der französischen Uniformen, die Niederlassung der Ungläubigen, deren Nähe, wie der fanatische Theil der Stämme glaubt, ihre Heiligthü- mer besudelt und diesen die Weihe und die Wunderkraft raubt, erstickte die früheren frommen Gefühle, die den Ara- ber befielen, so oft er die weisse Kuppel der Mubarek’schen Moschee von ferne ansichtig wurde. Ich glaube kaum, dass der Hadschute — denn selbst er, der freche Räuber, erbebte vor den Marabuts von Coleah in heiliger Angst — sich jetzt noch ein Gewissen daraus machen würde, seine Flinte auf die geweihte Stätte, wo die verhassten Rummis Schildwache stehen, loszudrücken und zu morden an derselben Schwelle, die ihm einst eine unbestrittene Freistätte gegen seinen Tod- feind bot. Was der Besatzung bis jetzt die Ruhe sicherte, war die Schwierigkeit und Gefahr für ihre Gegner, hier ei- nen Ueberfall oder auch nur einen Raub zu wagen. Denn der Rückzug über den Massafran oder die Flucht nach Sü- den ist ihnen durch Sümpfe oder durch vorgestellte Posten erschwert, so dass Obrist Lamoriciere, der dort seit 1838 mit seinen Zuaven commandirt, einen gar friedlichen Garnisons- dienst hatte, wohl gegen Wunsch und Neigung des unterneh- menden jungen Oberofficiers und seines schlaglustigen Corps. Ob das heilige Städtchen auch dann, wenn Abd - el- Kader den Kampf wieder beginnt und den lang verhaltenen fanati- schen Grimm der wilden Stämme jenseits des Massafran durch 203 wohlberechnete Proclamationen entfesselt, ob Coleah dann noch seinen nie getrübten, über alle Traditionen alten Frie- den bewahren wird, ist sehr zweifelhaft und ich möchte den europäischen Ansiedlern rathen, lieber auf den Schutz der Blockhäuser und der französischen Bajonette, als auf den der Marabutgräber zu vertrauen. Mit Anfang 1839 haben sich deutsche Ansiedler, meist Elsasser, in Coleah niedergelassen. Sie fanden sich dort vielleicht um so heimisch wohler, als das Thal von Coleah ‚sie durch seine nordische Vegetation an ihre Heimath erin- nert. Es sind viele Gärten von Apfel- und andern europäi- schen Fruchtbäumen dort, dagegen nur wenige kümmerliche Orangenbäume und drei Dattelpalmen mit fast entblätterten Kronen. Coleah steht übrigens seiner Nachbarstadt Belida an Fruchtbarkeit, Cultur, Schönheit der Landschaft weit nach, Man sieht nur wenige schlechtbebaute Felder dort, mit Aga- ven umzäunt. Ein fast unvertilgbares Buschwerk, vor allem die Zwergpalme, ragt stellenweise aus den Feldern hervor und verdrängt die Waizenhalme. Eine Viertelstunde über Co- leah hinaus ist die Gegend eine völlige Wildniss, voll Ge- sträuche und Sümpfe, ohne Spuren von Cultur. Dieselbe Ter- rainbildung dauert fort bis an die Ufer des Massafran. Der Massafran unterscheidet sich von allen übrigen Ge- wässern der Provinz Algier durch seine hochstämmige Ufer- vegetation. Es wächst dort nicht nur der Oleanderstrauch zu einer wahren Baumeshöhe, sondern auch schöne Tannen (Pi- nus silvestris et maritima), welche kleinere Schiffe mit Ma- sten versehen könnten, Ulmen, Silberpappeln, Tamarisken u. s. w. Der Wald Khorasa auf dem linkea Flussufer ge- hört zu den schönsten Südwäldern, die ich je gesehen. Der Massafran, obwohl der bedeutendste Fluss der Provinz Al- 204 gier, ist nicht schiffbar. Er hat sehr viele seichte Stellen und im Sommer kann man ihn allenthalben passiren. Seine Mündung am Meere ist zur heissen Jahreszeit durch eine Sandbarre fast verstopft, wie bei den meisten Strömen dieses Landes. An dem linken Ufer des Massafran beginnt das Stamm gebiet der Hadschuten, ein sehr fruchtbares Territorium voll guter Weideplätze, Wälder und auch cultivirter Strecken. Waizen und Gerste gedeihen dort besser, als auf irgend ei- ner Seite der grossen Ebene. Die Wohnsitze der Hadschu- ten erstrecken sich bis etwa fünf Stunden vor Scherschell, wo dann die Duars der Beni-Menasser beginnen. Der kleine See.Alula, vier Stunden lang und eine Stunde breit, eigent- lich nur ein grosser Morast, liegt mitten im Hadschutenland.- Er wird von kleinen Gebirsbächen genährt, denen die wie ein Damm an der Küste aufgeworfene Hügelkette den Ab- fluss nach dem Meere versperrt. Auf dem höchsten dieser Gränzhügel, zwischen der See und dem See, erhebt sich ein kolossales Monument, das alle Spuren eines hohen Alterthums und ein recht räthselhaftes Vermächtniss einer räthselvollen Zeit ist. Die Araber nennen es, wie schon erwähnt, Kub- bar -el- Rummiah, d. h. „Grab der Christin“ oder „‚römi- sches Grab,‘ denn Rummi, weiblich Rummiah, heisst im Ara- bischen sowohl Römer als Christ. Gewiss war es ein isolir- tes Mausoleum, kein Bestandtheil einer Stadt und nicht Le- bendigen zur Wohnung bestimmt. Seine Höhe wurde ver- schieden gemessen. Nach der Angabe- von Ingenieurs, wel- che das Monument 1832, jedoch nur auf wenige Augenblicke besuchten, ist dasselbe 120, nach späteren Messungen nur 92 Fuss hoch. Es ist ein unten rundes Gebäude, welches etwa 500 Fuss im Durchmesser hat, mit toscanischen Säulen um- 205 geben ist und oben in Pyramidenform mit 32 Granitstufen endigt. Die Spitze ist abgebrochen, weil man wahrschein- lich nach Schätzen dort wühlte.e Von einer Inschrift ent- deckte ich dort keine Spur. Das Kubbar-el-Rummiah mag entweder das Grab der alten numidischen Könige seyn, wel- ches nach Pomponius Mela zwischen Julia Caesarea und Iko- sium, also ganz richtig zwischen dem heutigen Scherschell und Algier gelegen war”), oder wie Andere glauben, das Grab der bekannten Cava, Tochter des Grafen Julian, wel- cher, Marmol zufolge, in dieser Gegend ein Denkmal erbaut worden. Indessen sprechen noch andere alte Schriftsteller von Gräbern, die gleichfalls dem Kubbar-el-Rummiah entspre- chen**). Der einsam liegende gewaltige Grabtempel, von dessen Bedeutung Niemand genaue Kunde hat, spiegelt seine starre Masse gegen Süden in der unbeweglich schwarzen Fluth des Sees Alula, auf der Nordseite in der stets anrol- lenden wogenden Meerbrandung. Kubbar-el-Rummiah scheint auf die sehr empfängliche Phantasie der Eingebornen einen _ mächtigen Eindruck gemacht zu haben, denn unter den Arabern und Mauren sind viele wunderbare Sagen und Geschichten darüber verbreitet, welche bald von einer edlen Christin, de- ren Gebeine das Monument bedeckt, bald von den unge- heuren Schätzen reden, welche dasselbe einschliessen soll ***). *) Pomp. Mela, Afric. Deser. Cap. 2. *®) Plinius Lib. IH. Cap. 2. »*®) s, Band. Il, IX. Reise von Algier nach Budschia.— Seefahrt. —Das Küsten- gebirge.e — Der Dschurschura. — Dellys. — Budschia. Stadt. Gegend. — Kabylenstämme der Landschaft. Am 30. Mai 1837 schifte ich mich auf dem Dampf- boote Cerbere nach Budschia ein. Mai und Juni gehören unter diesen Breitengraden mit zu den windstillsten Monaten und wir hatten daher auch fast immer ein wellenloses Meer, eine sanfte bequeme Fahrt der Küste entlang. Es war damals für mich ein gar behagliches Gefühl, in heiterer Sternschein- nacht so sanft, wie von Delphinen fortgezogen, an den No- vembersturm meiner Fahrt nach Algier zurückzudenken. Die Erinnerung an den damaligen Anblick des Meeres, an die grandiose Herrlichkeit einer Wogenrebellion war auch in der That mehr werth, als die jetzige ermüdende Aussicht über eine unabsehbare Salzwasserfläche. Alle Passagierblicke wa- ren fast beständig dem Süden zugewendet, wo der Strand Afrikas immer sichtbar bleibt. Schienen auch die Formen eines einsamen, völlig wilden Küstengebirges nicht sehr vari- irend, daher auch nicht besonders pittoresk, so entdeckt man doch immer eine neue fremde Zugabe, die Auge und Phan- tasie beschäftigte, so manchmal eine wunderliche Klippenge- staltung, einen einsam ragenden Baum, einen Seeadler sei- 207 nem Horste zufliegend, einige Kabylenhütten vom Rauch der Küche umwirbelt oder auch zuweilen ihren Bewohner, der mit verschränkten Armen in seine Wolltunica gehüllt dem Skof- el-Nar (Feuerschiff), wie er diese dampfenden Fahrzeuge nennt, einen Fluch nachbrummt und zu Allah betet, er möge es scheitern lassen an seiner unwirthbaren Küste, ihm schen- ken die schimmernden Schätze, ihn verspritzen lassen das ungläubige Blut‘). | « Das Küstengebirge zwischen Algier und Budschia ist ohne allen Zweifel eine nördliche Fortsetzung des Atlas und steht mit den tiefer im Innern liegenden parallel laufenden Ketten durch niedere Zwischenketten, deren Richtung von Süden nach Norden geht, in Verbindung. Weniger gerad- linig als das Juragebirge zeigt jene Kette gleichwohl eben so, wie der Atlas im Süden der Metidscha, sehr wenig hoch hervorragende oder spitzige Kegel. Die Höhe der Gipfel be- trägt zwischen 1600— 2000 Fuss; einige Berge der zweiten südlichen Kette erreichen vielleicht das Doppelte. Die Ab- hänge drängen sich häufig bis dicht an den Strand, steigen aber nur selten senkrecht oder überhaupt schroff empor. Am häufigsten sind zwischen Bergen und Meer schmale Ebe- nen, gewöhnlich 500 — 600 Fuss breit, manchmal auch grös- sere, sehr fruchtbare Ebenen mehrere Stunden breit. Sämmt- liche Berghäupter sind dünn bewaldet. Die Bäume schienen ®) Es ist eine alte gegründete Thatsache, dass namentlich die grausamen Kabylen bei Dellys und Budschia zur Zeit der Seestürme ihre Hütten verlassen und nach dem Ufer laufen, um zu sehen, ob nicht irgend ein Fahrzeug inNoth schwebe. Erblicken sie ein solches, so stossen sie Flüche und Verwünschungen gegen dasselbe aus und beten laut, Allah möge es Schifibruch leiden lassen. S. Shaw. 203 mir ihrer Form, Farbe und Höhe nach, so weit ich sie mit dem Fernrohr beschauen konnte, sämmtlich Korkeichen, die aber blos auf den Gipfeln wachsen. Je weiter man gegen den Fuss herabsteigt, um so dünner und isolirter stehen die Bäume. Tannen wachsen auf der Mitte der Abhänge. Wel- cher Art sie angehörten, konnte ich begreiflicher Weise nicht unterscheiden. Als niederes Gesträuche sprosst, wie überall, die ungeheuer verbreitete Chamaerops humilis, deren Fächer oft in sehr zierlichen Gebinden, von der Seeluft bewegt, hin und her fächeln. Der Anblick dieses Küstenlandes ist, wie erwähnt, im Ganzen einförmig. Die zuweilen recht phantastisch ausge- zackten Klippenformen, welche Thiergestalten, Felstempeln, alten Burgen u. s. w, ähneln, kommen doch etwas zu selten, zu vereinzelt vor und noch einzelner, noch seltener sind die Spuren menschlicher Wohnungen, welche mit den dunkeln Bergumrissen fast verschwimmend, kaum zu entdecken wären, ° verriethe sie nicht manchmal der aufsteigende Kohlenrauch. Bei aller monotonen Wildheit scheint mir der afrikanische Strand bei weitem anziehender, Geist und Auge lebendiger unterhaltend, als die europäische Mittelmeerküste, namentlich die südfranzösische, die meist graue nackte Klippen ohne Vegetalerde, ohne das freudige Grün der Pflanzenwelt zeigt, öde Steingräber,, zu ewiger Starrheit verflucht, als hätte das Gorgonenauge statt der Sonne sie bestrahlt. Der Küstensaum ‚der Berberei ist in seiner jungfräulichen Wildheit weit frucht- barer als selbst der spanische und würde die Culturversuche besser lohnen. Für die Einbildungskraft des vorüberschiffen- den Seefahrers schafft das unbekannte Innere dieses Gebirges, nie Mythen der Alten, an denen ohne Zweifel ein verborge- der Sinn haftete, oder auch die Gefahr, die ihn bei einem 209 Landen oder Scheitern an dieser Küste erwartet, eine be- ständig spannende Beschäftigung. Nachdem wir die Caps Matifu und Bengut umschifft hat- ten, erblickten wir das Städtchen Dellys, das Ruscurium der Alten *), etwa funfzehn Stunden westlich von Algier am Fusse eines ziemlich hohen Berges erbaut. Dellys ist ein Seehafen, etwas grösser als Coleah, seine Umgegend zeigt wenig Cultur. Allenthalben begegnen dem Auge düstere Wälder, die, wenn nicht sehr hochstämmig, doch dicht be- wachsen sind und sich unübersehbar in die Berge hineinziehen, Bei meiner Rückreise von Bona nach Algier, wo das Dampf- boot sehr nahe an Dellys vorüberfuhr, rief ein als eifriger Waidmann bekannter Armeeofficier am Bord, mit einem Seuf- zer auf dieses Terrain schauend: „aA ywelle chasse, yuw’on pourrait faire la! Et ces imbeciles de Bedouins ne mangent pas meme le sanglier !“ Dellys hat nicht über 2500 Einwohner, wovon die Hälfte Hadars (Mauren) sind und die übrigen aus ansässigen Ka- bylen, Kuruglis, Juden, Negern u. s.' w. bestehen. Sie sind ziemlich industriös und verstehen sich gut auf das Fär- ben von Seide und Wollstoffen, auch fabriciren sie Bernusse, Teppiche u. s. w. Mit Algier unterhalten sie durch mauri- sche Barken einen ziemlich lebhaften Handel und führen ge- trocknete Früchte, schlechtes Oel, das grösstentheils im Thale des Isser aus wilden Olivenbäumen gewonnen wird, Schaf- häute u. s. w. dorthin aus. Dellys ist noch nicht von den französischen Truppen occupirt und erkennt Abd-el-Kader’s Oberherrschaft erst seit dem Frühjahre 1838 an, wo der Emir mit einer Armee zu Hamza erschien. Die Ein- *) Plinius Lib. V. Cap. 2. Ptolemaeus nennt es Ruskura. Morıtz WAGner’s Algier. I. 14 210 wohner stehen, obwohl ziemlich streitbar, doch ganz unter dem Einfluss der mächtigen Kabylenhäuptlinge der Land- “schaft. Die Amrauahs, ein tapferer und gefürchteter Kaby- lenstamm, der 1200 Reiter und doppelt so viel bewaffnete Fussgänger stellen kann, bewohnen die Umgegend von Dellys. Es waren dieselben Amrauahs, welche im Mai 1837 die Co- lonie Reghaia überfallen hatten, was zu einer Expedition ge- gen sie unter dem Commando des Obristen Schauenburg, die ich begleitete, Anlass gab. Der kühne, scharfsinnig ausge- dachte Ueberfallsplan der Franzosen gelang leider nicht, denn das Meer wurde äusserst unruhig, gerade im Augenblick, als General Perregaux mit zwei Bataillonen im Hafen von Algier die Dampfschiffe bestieg, um an die Mündung des Flusses Isser zu fahren und dem Feinde die Flucht nach Osten zu versperren, während Schauenburg’s Colonne von Nordwesten heranrürkte. Perregaux’ Truppen ‚durften keine Landung wagen und Schauenburg zog sich nach einem scharfen Strauss in der Ebene der Beni-Isser, wo etwa sechzig Eingeborne den Tod fanden, zu Land nach Algier zurück. Einige Wo- chen später erschienen zwei mit Truppen stark bemannte Dampfboote vor Dellys, welches als Bundesstadt und nächster Nachbar der Amrauahs für deren Raubzüge büssen und für deren künftige Ruhe bürgen sollte. Obwohl sonst als uner- schrockene und ziemlich streitbare Leute bekannt, fürchteten die Dellyser gleichwohl eine bleibende Occupation und sahen auch das Nutzlose eines Widerstandes gegen die Franzosen und deren gefürchtete Allüirten, „die Vierundzwanzigpfünder,‘‘ ein. Daher schickten sie den Kadi, einige Marabuts und sonst angesehene Männer zu dem General, gaben ihm alle möglichen schönen Worte, betheuerten ihre Freundschaft und versprachen, ihre turbulenten Nachbarn möglichst in Ruhe zu 219 halten. Von der schönen Beute der Amrauahs, der Heerde des Herrn Mercier, die in ihre Hände gefallen war, wur- de aber kein Stück herausgegeben. Dabei hatte es sein Be- wenden. Die Amrauahs haben ihren Besuch seitdem nicht wiederholt. Aber es sind dies Leute, die den Kampf nicht eben scheuen, und wenn auch weniger keck, unternehmend und abenteuerlustig, als die Hadschuten, stehen sie doch nächst diesen unter den schlimmen Nachbarn der europäischen Colonisten oben an. Die Amrauahs haben wenig zu fürchten, denn als unzugängliche Schlupfwinkel und uneinnehmbare Citadellen bleiben ihnen die Berge, bleibt ihnen das schneeige Haupt des Dschurschura, des Atlasriesen, auf dem ihre Brüder die Flissa, ein anderer Kabylenstamm wohnt, den gleiche Frei- heitsliebe, wie der gleiche brennende Hass gegen die Ein- dringlinge Europas erfüllt. Die Kette des Dchibel-Dschurschura oder Dscherschera überblickte ich. am deutlichsten auf unserm Dampfboot vom Golfe Bengut aus, während meiner Rückreise von Bona nach Algier. Es war ein sehr reiner Tag. In seiner ganzen Majestät strahlte und ragte der der Richtung von Südwesten nach Nordosten folgende vielköpfige Berg über die drei nie- drigen nördlichen Ketten heraus. Mit einem ziemlich guten Fernrohre musterte ich seine Gipfel und Abhänge mehrere Stunden lang. Der Dschurschura liegt dreissig Stunden süd- östlich von Algier und etwa zwölf Stunden in gerader Rich- tung vom Meerufer. Er scheint mir eine isolirte Gruppe des Atlas zu seyn und ist jedenfalls nur durch schwache dammartige, niedrige Verzweigung mit den übrigen Ketten verbunden. Seine Form weicht von allen andern Ketten ab. Er ist nicht nur bedeutend höher, als alle übrigen Gebirgs- züge im Norden wie im Süden, sondern hat auch, wie die 14 * 212 meisten Uebergangs- und Urgebirge, hochausgezackte Kegel, während auf allen andern Punkten, die ich betreten, die At- lasgipfel mehr geradlinig sind. Die Höhe des Dschurschura beträgt 6000 — 6500 Fuss, vielleicht erreicht die höchste südlichste Spitze 7000 Fuss. Im Jahre 1837 verschwand der Schnee erst im Juli, in dem heissern Jahre 1838 sah ich den Berg einen Monat früher schneefrei. Gewiss wäre eine nä- here Untersuchung dieses eigenthümlich geformten Berges sehr interessant. _Noch hat ihn kein europäischer Reise- beschreiber selbst betreten. Shaw, Bruce, Peyssonel, Des- fontaines, welche bei ihren Ausflügen in das Innere der Re- gentschaft der türkischen Colonne sich anschlossen, zogen zwar am Dschurschura vorüber, bestiegen ihn aber nicht, ja berührten ihn nicht einmal. Die dortigen Kabylen bezahlten an die Türken eine winzige Abgabe, die etwa zwei Sous für jede Gurbi (Hütte) betrug, mehr als ein Zeichen, dass sie desDeys Autorität dem Namen nach anerkannten, denn als wirk- lichen Tribut. Der türkische Stolz begnügte sich auch mit dieser Steuer, die man der einsammelnden Colonne fast wie zum Spott überbrachte. Der Unterhalt der türkischen Colonne kostete an einem Tage weit mehr, als der Tribut sämmtli- cher Bewohner des grossen Berges betrug. In die Thäler und Abhänge des Dschurschura haben die Türken niemals einzudringen gewagt. Was wir bis jetzt über dieses Gebirge wissen, beruht auf den Nachrichten der Eingebornen und den Erzählungen einiger weniger angesiedelter Renegaten, denen scharfe Beob- achtungsgabe durchaus abging. Die Alten nannten den Dschur- schura mons ferratus. Der lateinische Name bestätigt die Aussagen der Kabylen, dass es ein eisenhaltiger Berg ist, der einen grossen Theil des Landes mit seinem Metallreich- 213 thum versorgt. Die besten Yatagane im Liande werden von den Kabylen aus Dschurschuraeisen geschmiedet. Nach der alten Eintheilung des Landes unter der Deyherrschaft wurde der Dschurschura halb zur Provinz Algier, halb zur Provinz Constantine gerechnet. Er bildete die Nordgränze des Uthan von Sekau und stiess gegen Osten an die Provinz Constantine. Der Fuss dieses Berges, seine Abhänge bis zur halben Höhe, seine Schluchten sollen überaus fruchtbar und vortreftlich cultivirt seyn. Die Bevölkerung ist dort dichter zusammengedrängt, als in irgend einem andern Ge- birgsthal. Es liegen dort die Wohnsitze der Flissa- Mutaga, eines der mächtigsten, freiesten und unbändigsten Kabylen- stimme der ganzen Berberei. Flissa ist in neunzehn Can- tons getheilt, von denen jeder 400—2000 Mann unter die Waffen stellen kann. Dieser einzige Stamm könnte demnach eine Armee von mehr als 10,000 Streitern ins Feld schicken. Es ist daher von hoher Wichtigkeit, ihn zum Freunde zu haben und sehr gefährlich, ihn in seinen Bergen aufzustören. Bis jetzt haben sich nur kleinere Abtheilungen gegen die Franzosen geschlagen. Ihr Kaid ist der berühmte. Ben -Za- mun, welcher in dem Treffen in der Ebene Stäueli gegen Bourmont das Contingent der Flissa commandirte, später den Angriff gegen die Besatzung Belidas leitete, endlich im Juni 1538 an den Ufern des Beduau einen Kampf wider ein fran- zösisches Regiment mit einer fast beispiellosen Wuth unter- hielt, so dass nach ihrem Rückzug Gräben und Schanzen der Franzosen von den Leichen jener Bergbewohner, die keck bis vor die Mündung der Kaxronen traten, besäet wa- ren. Seit dem Januar 1838 hat Ben-Zamun die Autorität Abd-el-Kader’s, als letzterer mit seinem Heer auf dem Pla- teau von Hamza erschien, wiewohl blos nominell anerkannt. 218 Die Flissa selbst aber, zu stolz Unterthanen eines arabischen Fürsten, wenn auch nur dem Namen nach, zu seyn, sagen jetzt, nur ihr Kaid habe sich dem Emir unterworfen, nicht sie selbst. Sie wollten, sagten sie, Abd-el-Kader wohl den- selben Hokor (zwei Sous pr. Hütte), wie dem Dey von Al- gier geben, wenn er aber mehr verlange, würden sie ihn mit Blei bezahlen. Die Flissa haben ein Hauptstädtchen glei- chen Namens am Fusse des Dschurschura. Es soll dort stei- nerne Wohnungen geben, und die Umgegend paradiesisch seyn. Nahe bei dem Städtchen Flissa liegt das Dorf Coromma, wo der grösste Marabut Sidi-Ali-Ben-Aissa bis 1835 lebte. Er war ein Greis von nahe an hundert Jahren, der, als einer der berühmtesten Heiligen der Berberei, gränzenloser Ver- ehrung genoss und den mächtigsten Einfluss übte. In seiner schönen Moschee am Fusse des Dschurschura ist Ben - Aissa begraben. Sein Neffe gleichen Namens, ebenfalls ein gefeier- ter Marabut, hat ihn als geistliches Oberhaupt des Stammes ersetzt, besitzt aber bei weitem nicht den grossen Einfluss, wie der uralte Oheim, dessen Gestalt Allen in seiner Umge- bung Ehrfurcht abgezwungen haben soll. Der Kaid Ben- Zamun, der als weltliches Oberhaupt des Stammes lange nicht die Macht des alten Marabut übte, wohnt auf einem Land- gut, Beni-Schenscha, in der Nähe des Flusses Isser. Nach einer achtzehnstündigen Fahrt lief das Dampfboot Cerbere in die Bai von Budschia ein. Schon eine Stunde zuvor wurde der Felsenstrand höher und wilder und immer groteskere Klippenbildungen starrten in scharfgezackten For- men der Brandung entgegen. Einer der weit in die See ra- genden Felsen bei Budschia bildet ein regelmässiges Thor mit mächtiger Wölbung oben, das mit der Durchsicht auf das schäumende Meer hinter ihm ein prächtiges Bild zeigt. 215 Man geniesst diesen Anblick leider kaum ein paar Minuten, denn das Dampfboot fährt rasch vorbei und so weit darf man sich vor Budschia zu "Land nicht wagen. Eben so flüchtig entschwand uns der Affenfelsen, ein nackter Fels westlich von Budschia, der zwar weder auffallend gestaltet, noch geo- logisch merkwürdig ist, die Schiffspassagiere aber sehr inter- essirte, weil auf seinen Abhängen eine zahlreiche Affenbevöl- kerung nistet. Selten fährt man vorüber ohne einige seiner Bewohner heruntergrüssen zu sehen. Einige kühne Jäger der Garnison von Budschia machen manchmal dorthin einen Ausflug zur See, um Affen zu schiessen. Es ist Inuus sylvanus, der gemeine ungeschwänzte Affe der Berberei, der bei Budschia häufiger, als an irgend einem andern Küstenpunkt vor- kommt. Die Stadt Budschia liegt im Mittelgrunde einer Bai, die im Westen bei dem Cap Carbon unter dem 36° 46‘ 54 nördl. Breite und 2° 45° östl. Länge anfängt und im Westen bei dem Cap Carvallos unter 36° 47° 15 nördl. Breite und 30° 13° 15“ östl. Länge endigt. Die Rhede von Budschia ist tief und viel sicherer als die von Algier und Bona. Die Deys sende- ten immer hierher ihre Fregatten während der schlechten Jahreszeit. Gleichwohl überzeugt man sich seit der Occupa-- tion, dass die Vortheile dieser Rhede überschätzt worden wa- ren; denn es haben sich seit 1833 bei heftigen Windstössen öfters Unfälle zugetragen. Die Bai ist, wie fast alle Buchten dieser Küste, gegen Nordosten offen und hat die Form ei- nes Halbmondes. Budschia ist Salde colonia der Alten, wie eine von Herrn Prieur aufgefundene Inschrift nachweist. Pto- lemäus giebt die Lage der Stadt sehr richtig an. Mehrere alte Geographen machen von ihr nur eine kurze trockene Er- wähnung, ohne über die Bedeutung der Stadt etwas zu be- 216 merken*). Die Stadt ist in amphitheatralischer Form auf ei- nem der Abhänge des Berges Gurria erbaut, dessen Gipfel sich 2010 par. Fuss über dem Meere erhebt. Eine ziemlich tiefe Schlucht theilt die Stadt in zwei Hälften. Die Ring- mauer war ehedem sehr ausgedehnt und reichte bis auf den Felsengipfel, der Budschia dominirt. Sie ist längst verfallen und die Franzosen haben für ihre Wiederherstellung nichts gethan, dagegen an Forts, Blockhäusern und Erdschanzen zahlreiche Werke geschaffen. Drei Forts, die jetzt stark be- festigt sind, bestanden schon vor der französischen Oceupa- tion. Das erste Fort, Mussa, liegt im höchsten Stadttheile auf der Ostseite der Schlucht, das zweite, die Kasbah, ist am Ufer des Meeres erbaut, von ziemlichem Umfang und sehr solidem Bau, das dritte Fort, Abd-el-Kader, steht auf der Westseite des Abgrundes, gleichfalls am Seeufer. Das kahle Haupt des Gurria haben die Franzosen mit einem starken Fort gekrönt, das den Namen des Berges erhalten hat und wie ein Adlerhorst in den Wolken schwebend das Bergland dominirt. Es ist ein trefflicher Späherpunkt. Die Kabylen können nicht die geringste Bewegung machen, ohne schon aus weiter Ferne entdeckt zu werden. Daher ist jetzt am Tage in Bu- dschia kein Ueberfall mehr zu fürchten, wie in den ersten Jahren der Occupation. Die Stadt ist gegen Südosten nach der Seite der Ebene des Summam von starken, zum Theil aus Stein gebauten mit Gräben und Palissaden umgebenen Blockhäusern vertheidigt, worunter zwei, die Blockhäuser Salem und Kliffah, berühmt geworden durch ihre heldenmüthige Vertheidigung in der Nacht vom 5. Juni 1834. Gegen drei- bis viertausend Ka- »?) Plinius Lib. V. Cap. 2. 217 bylen hielten mit einer Wuth und Tollkühnheit, wie sie nur dem wildesten Fanatismus möglich, trotz des verderblichen Kreuzfeuers der Stadt und Forts, die Blockhäuser umringt. Die kleine Besatzung des Blockhauses Salem, aus 24 Mann bestehend, war nahe daran, zu erliegen, da die unzureichende Garnison der Stadt ihr nicht zu Hülfe kommen konnte. Doch hielt sie sich bis zum Sonnenaufgang, wo die Kabylen sich entfernten, ihre Leichen mit forttrugen und nur eine grosse Lache Blutes zurückliessen. | Budschia ist ohne Widerrede die elendeste Stadt Afri- kas, die ich gesehen. Der Stadttheil jenseits des Hohlweges ist gar nicht mehr bewohnt, die Häuser sind scheussliche Ruinen von dürrem Koth und zerbröckelten Backsteinen. Die französischen Kanonen hatten bei der Einnahme gegen jenes Quartier besonders gewüthet und die eignen Bewohner halfen vor ihrer Auswanderung mit zur Zerstörung, damit den Er- oberern nur Schutt und Trümmer blieben. Habgierige Sol- daten, die später nach vergrabenem Gelde wühlten, Verwahr- losung und Wetterstürme thaten dann das Uebrige. Selbst die spärlichsten Reste der Römerstädte im Land, an denen Erdbeben, Vandalenkriege und der Zahn eines Jahrtausends gerüttelt, zeigen noch viel compactere Massen, als das vor sechs Jahren erst durch seine alten Bewohner geräumte Bu- dschia. In dem noch jetzt bewohnten Stadttheile, westlich von dem Hohlwege, stehen einige neugebaute Häuser, grossen- theils von Holz; sie sind von Krämern und Weinschenkern bewohnt. Die ehemaligen Moscheen, deren Aeusseres weiss angestrichen ist, und deren Inneres noch einigen Luxus zeigt, sind in Militairmagazine umgewandelt. Das neugebaute Ho- spital am Meerufer in einer hohen, gesunden, luftigen Lage 218 ist eines der schönsten Etablissements dieser Art im Lande. Die Krankensäle sind geräumig, bequem, sauber, die ärztli- chen Wohnungen gross, freundlich, mit einer Aussicht über Meer und Landschaft. Auch den Garnisonsofficieren hat das Ingenieurcorps bequeme Wohnungen im europäischen Styl er- baut. Im Uebrigen ist in Budschia noch für Alles ziemlich schlecht gesorgt. Man findet nur mit Mühe eine Strohstätte in einer elenden Schenke. An Lebensmitteln ist wenig Ab- wechslung, frische Gemüse entbehrt man ganz, denn die Be_ wohner der Landschaft brachten bis jetzt nicht eine Rübe zu Markt. Jeder Reisende, der Entbehrungen nicht gewohnt ist, wäre bei einem gezwungenen Aufenthalt in Budschia in nicht geringer Verlegenheit, fände er nicht bei den französi- schen Officieren und Aerzten einen so wackern, echt gast- freundlichen Sinn, der dort freilich nicht für eine grosse Tu- gend gelten kann, denn die guten Leute langweilen sich alle in ihrem Bergnest so, dass die Ankunft eines Dampfbootes für sie eine Freudenbotschaft ist. Alles läuft da an das Meer- ufer, die Ausschiffenden zu empfangen, sie mit Fragen und Neuigkeiten aus Frankreich und Algier bestürmend und wie eine Gunst die Annahme der Wohnung und des Tisches von ihnen erbittend. Leute, die nie liebenswürdige Zuvorkom- menheit gegen Fremde, nie eine gastfreie Tugend gekannt, lernen dies in diesem Felsenwinkel. Der einzige kärgliche Zeitvertreib der Einwohner und Garnison ist nächst dem Weinglase, der Piquetpartie und der Zeitungslecture, ein Theater ohne Frauenzimmer. Die Schauspieler sind Solda- ten der Garnison von dem berüchtigten Corps der „‚Zephyre,‘ wie man spottweise die Bataillons d’Afrique nennt. Im Jahr 1833 zur Zeit der Landung der Franzosen hatte Budschia eine Bevölkerung von 3000 Mauren und Kabylen, 219 die nach der Erstürmung Budschias in das innere Land sich zurückgezogen haben. Ein grosser Theil ist nach Constan- tine ausgewandert; die übrigen zerstreuten sich in den klei- neren Städten des Inneren und die Aermsten mischten sich wohl unter die Kabylenstämme der Berge. Jetzt wohnen nur noch drei maurische Familien in Budschia. Die Civilbe- völkerung betrug zu Anfang April 1839 nur 302 Individuen, darunter 126 Franzosen, 106 Spanier, 52 Malteser, 11 Ita- liener, 7 Deutsche. Die militairische Besatzung wurde auf ein Bataillon afrikanische Infanterie und auf eine Compagnie des Geniecorps reducirt, im Ganzen nicht über 800 Mann. Die Landschaft Budschia ist sehr schön, sie vereinigt all die Lieblichkeit eines mit Blumen, Kräutern und edlen Fruchtbäumen ausgestatteten Südgefildes mit dem düsterbe- waldeten Felsgebirge. Aber die unglücklichen Bewohner ha- ben davon nur den perspectivischen Genuss. Eine Promena- de von 500 Schritten in die grüne Ebene, welche die Stadt berührt, bezahlt der Spaziergänger häufig mit dem Leben, Ueberall lauern umher schleichende Kabylen, die sich die Mühe nicht verdriessen lassen, Wochen und Monate lang mit der Flinte im Hinterhalt zu liegen, um nur einmal an dem Zucken eines Opfers sich zu laben. Den armen französischen Militairs, die, wenn sie müde geworden immer nur in die Nebelferne des Meeres mit einem von Heimweh gequälten Herzen hinauszustarren, das Auge nach der schönen Ebene schweifen lassen, wo reichliche Quelle fliessen, von deren Wasser sie sich nicht laben können, und Orangenbäume schim- mern, deren Früchte sie nicht pflücken dürfen — diesen armen, an einen Felsen gefesselten Kriegern mögen da öfters die My- then vom Tantalus und vom Prometheus einfallen. Im Süden ist die halbkreisförmige Ebene von Budschia 220 vom Gebirge, im Osten von dem Flusse Summam begränzt, sie hat etwa eine Meile im Umfange. Der Fluss ist auf den Karten unter dem Namen Adouse bezeichnet. Die Ein- gebornen kennen ihn nicht unter dieser Benennung, Sie heis- sen ihn tiefer im Lande Summam und in der Nähe seiner Mündung Uad-Ben-Messaud. Es ist die Nasava des Ptole- mäus. Fünf Stunden weiter östlich fliesst der Mansureah, wel- cher der Sisaris der Alten gewesen zu seyn scheint. Der Summam ist etwas grösser als die Aratsch. Seine Ufer sol- len im Innern sehr felsig und sein Bett so enge seyn, dass er öfters austritt und das Land umher unter Wasser setzt. In der Ebene sind seine Ufer ungemein fruchtbar, mit hoch- stämmigen Bänmen bedeckt, die fast sämmtlich den edelsten Arten der intertropischen Baumvegetation angehören. Na- mentlich kommen Orangen-, Limonen-, Granat- und Johan- nisbrodbäume dort auf das Beste fort. Obrist Duvivier,, der zur Zeit seines Commandos in Budschia öfters kleine Expe- ditionen nach Summam unternahm, macht von der Gegend am Fusse des Gebirges die günstigste Beschreibung. Thal, Fluss- ufer, Berabhänge und Schluchten sind sehr fleissig angebaut, das verschiedene Grundeigenthum durch Zäune oder Hecken getrennt. Ich selbst konnte leider diese schöne Gegend, nach welcher sehr selten ein Zug unternommen wird, immer nur von der Ferne sehen und kann daher gar nichts über den Cha- rakter ihrer wildwachsenden Vegetation sagen. Im Innern, etwa drei bis vier Stunden südlich von Budschia, sollen die Berge sehr metallreich seyn. Kupfer, Blei und namentlich Eisen kommen in bedeutender Masse vor. Alle Kabylen der Gegend verstehen dieses zu bearbeiten und sind ziemlich gute Waffenschmiede. Sie fertigen ausser ihren langen Flin- ten auch gezackte Yatagane von höchst seltsamer Form. Meine 221 naturwissenschaftliche Sammelbeute zu Budschia war ziemlich karg. Ich fand unter den Landconchylien dieselben Arten, wie bei Algier und Bona. Helix naticoides ist dort häufiger als in andern Gegenden. Von Coleopteren fand ich zwar keine neue Art, dagegen sehr hübsche Varietäten, so namentlich von Carabus alternans, Nebria arenaria und Chlaenius Algie- rianus. Sämmtliche Bewohner der Umgegend von Budschia sind Kabylen. Auf einer Strecke von mehr als zehn Stunden in der Runde findet man keinen Araberstamm. Der Stadt zu- nächst, gegen die Mündung des Summam, wohnen die Mez- zaia. Ist dieser Kabylenstamm auch keiner der mächtigsten des Landes, so hat er sich gleichwohl bei jeder Gelegenheit als den unbändigsten, feindlichsten und tapfersten bewährt. Es waren die Mezzaia, die stets die Mehrzahl der Angreifer gegen Budschia bildeten, die in der Nacht des 4. Juni 1834 die Block- häuser Salem und Kliffah so hart bedrängten, die allein unter den eingebornen Stämmen gegen die dichten französichen Colon- nen, sogar gegen die Cavalerie öfters festen Stand hielten und von den Bajonetten sich anspiessen, von den Chasseurs sich niederreiten liessen, immer aber nur nach dem verzwei- feltsten Widerstand. Als Achmet’s Heer am 25. September 1837 die Höhen von Medschez- Ammar, wo die Franzosen Schanzen errichtet hatten, angriff, bestand der Kern der er- sten Angreifer, nach der Aussage der Gefangenen, aus den Kabylen der Gegend von Budschia. Man fand Leichen der Mezzaia auf der Bresche von Constantine. Die Mezzaia stel- len gegen 2000 Bewaffnete, sämmtlich Fussgänger. Jenseits des Summam liegen die Wohnsitze der Beni- Messaud, der Beni - Mimur, Beni-Amrus, Ulad-Uart, Beni-Mohamed, Beni- Hassein, Beni- Segrual. Westlich von Budschia wohnen 222 am Meeresstrand die Beni - Amram, Beni - Kessila, Beni -Id- dal u. s. w. Alle diese Stämme hatten mit den Franzosen bisher durchaus keinen andern Verkehr als mit den Waffen in der Hand. Sie vertheidigten Budschia bei der Landung der Fran- zosen am 29. September 1833 auf das Tapferste, schlugen sich von Strasse su Strasse, von Haus zu Haus, jedoch nur so lange sie den Rücken gesichert sahen. Erst am 4. October zogen sie sich ganz aus der Stadt, nachdem diese zum Schutt- haufen geworden. Seitdem kamen sie oft, namentlich in den Zeiten des Ramadan, wo ihr Fanatismus durch die Predig- ten ihrer Priester, durch die Gebete und Ceremonien ent- flammt wurde, oder auch, wenn irgend ein bedeutender Ma- rabut starb, für den sie ein würdiges Todtenfest feiern woll- ten, vor die Aussenwerke der Stadt, manchmal in so gros- ser Zahl, dass die Besatzung keinen Ausfall zu machen wag- te und sich begnügen musste, die mit ihrem gewöhnlichen Geschrei anstürmenden Fanatiker mit Kanonenkugeln zurück- zutreiben. Bei dem erwähnten Nachtangriff gegen das Block- haus Salem sah man bei anbrechender Tageshelle, nachdem das Heer der Angreifer sich längst entfernt hatte, noch ei- nen einzelnen Kabylen, der mit dem Yatagan gegen die harte Eichenholzwand des Blockhauses hieb und ruhig die Kugeln der aus den Schiessiöchern ragenden Musketen erwartete. Ein einziges Mal trat ein Stammhäuptling, der einen Tagmarsch südlich von Budschia wohnt, Ulid-Urebah, Scheikh des Stammes Ulad- Abd - el- Dschebar, mit den Franzosen in Verkehr. Er that dies theils aus Hass gegen die Mezzaia, mit denen er in Hader lebte, theils in der Hoffnung von den Franzosen Geschenke zu bekommen. Es wurde unter der Verwaltung des General Voirol ein Friedensvertrag geschlos- 223 sen. Beide Theile sahen sich aber in ihren Hoffnungen ziem- lich getäuscht, denn Ulid-Urebah’s Einfluss ging nicht über seinen Stamm hinaus und vermochte nichts auf die Masse der Kabylen. Der Markt von Budschia blieb leer nach wie vor und bald erneuerten sich auch die Angriffe wieder. Im Früh- jahr 1836 liess der Scheikh Amisian, Bruder Ulid-Urebah’s, der 1835 starb, den Franzosen melden, er wolle mit ihnen das Friedensbündniss seines Stammes erneuern. Der Batail- lonschef Salomon, derselbe Officier, der schon 1832 bei Al- gier mit dem unweit Maison carree niedergehauenen Deta- chement der Fremdenlegion fast gleiches Schicksal getheilt hätte, war damals Commandant in Budschia. Der Scheikh Amisian bestimmte einen kaum 300 Schritte von den franzö- sischen Schanzen entfernten. Ort, wo er mit dem Comman- danten eine Zusammenkunft wünschte, um die Bedingungen des Friedensvertrages ins Reine zu bringen. Einen nur et- was scharfblickenden Officier, der den Charakter der Kaby- len gekannt, hätte diese unerwartete, durch nichts motivirte Friedensliebe doch etwas stutzig gemacht und ihn zu Mass- regeln veranlasst, einem etwaigen hochverrätherischen An- schlag zu begegnen. Commandant Salomon aber war ein Officier von ziemlich beschränktem Geist, der weder im Ruf eines gewandten Chefs, noch eines beherzten Mannes stand und den der fürchterliche Vorfall bei Maison carree, wo sein Hals dem Yatagan schon so nahe war, nicht klug gemacht hatte. Da er bei dem Gouverneur in Algier schlecht ange- schrieben stand und fast zur Strafe nach Budschia geschickt worden war, so kitzelte ihn jetzt der Gedanke, mit den Ka- bylen einen Frieden zu Stande zu bringen, welcher keinem seiner Vorgänger, selbst nicht dem unermüdeten Duvivier, dem besten Officier der Armee, gelungen war. Commandant 224 Salomon verfügte sich mit einem kleinen Gefolge nach dem bezeichneten Ort, der unter den Kanonen sämmtlicher Forts liegt, an den Strand des Meeres. Die Compagnie franche stellte sich in einiger Entfernung ziemlich sorglos auf. Scheikh Amisian und andere Häuptlinge seines Stammes kamen zu Pferde dem französischen Officier entgegen mit einem zahl- reichen Gefolge der Ihrigen, alle bewaffnet. Es war dies aber kein Umstand, Argwohn zu erregen, denn die treue Flinte folgt den Eingebornen dieser Länder zu jeglichem Geschäft. Die Unterredung begann auf die freundlichste Weise. Es wur- den wie gewöhnlich eine Menge höfliche Redensarten und Händedrücke ausgewechselt, bevor man auf den Zweck der Zusammenkunft einging. Die bethörten Franzosen waren ganz in Sorglosigkeit eingewiegt — da knallten mitten im Gespräche ein Dutzend Schüsse aus den langen Flinten der umstehenden Kabylen und der arme Commandant, kein wei- ser Salomo, stürzte lautlos zusammen. Seine Leiche war schrecklich von Kugeln zerrissen. Das Gefolge schrie: Ver- rath! und griff zu den Waffen, während die aus ihrer Ruhe aufgeschreckte Compagnie franche, die das Gewehr bei Fusse hatte, voreilte.e Aber die Kabylen hatten alle schnell die Flucht ergriffen und die ihnen nachpfeifenden Kugeln trafen nicht Einen zur Sühne dieses teuflischen Anschlages. Auf dem damaligen Gouverneur haftet die Schmach, dass er den er- mordeten Commandanten nicht zu rächen versucht hat. Seit- dem ist von beiden Seiten nicht einmal ein scheinbarer Ver- such mehr gemacht worden, sich auf irgend eine Weise zu nähern): ar). Man fühlt eine unheimliche Beklemmung bei dem Her- unterblicken von Budschias Felsen auf das in grüner Ueppig- keit lachende, aber menschenleere Summamthal. Von Algier 225 her gewöhnt, trotz alles Geredes jener übervorsichtigen Leu- te, die wegen einiger Unglücksfälle in ein Extrem von Arg- wohn verfallen, weite Ausflüge zu machen mit einer guten Waffe, wollte ich am ersten Tag meines Aufenthaltes einen kleinen Spaziergang in die Ebene unternehmen, da kamen Soldaten vom Bataillon d’Afrique und zeigten warnend nach einem ganz. nahen Häuschen am Seeufer, bei welchem jenew Mord verübt worden. Ich blieb zurück und besuchte lieber das Grab des unglücklichen Officiers auf einem Berg ober- halb Budschias. Man arbeitete eben an einem kleinen stei- nernen Denkmal, welches die Officiere der Garnison über dem Ruheplätzchen des Commandanten Salomon erbauen liessen. Von dort war die Aussicht wunderschön. Die kleine so ver- führerische Ebene vor mir zu meinen Füssen, links das to- sende Meer und zur Rechten der zerstörte Stadttheil, ein ödes Trümmerchaos, nicht einmal vom Schakal bewohnt und durchaus nicht von malerischem Ansehen, ein Reiz, der sonst den meisten Skeleten der alten numidischen Städte geblieben. Ein finsterer Rabenstein ragt der Gurria recht spukhaft über der Zerstörungsstätte. Im Hintergrund des Südens und Ostens thürmen sich andere Gebirge auf, deren Inneres uns völlig unbekannt ist. } Die beengende Stille, welche diese Landschaft drückt, ist eigentlich ihr hervortretendster Charakter. Dieses Sum- mamthal erinnert in seiner grünen Fülle an die schönsten Mat- ten von der Schweiz und Tyrol. Der kräftigste Graswuchs, Gebirgsblumen aller Farben neben rauhem Gestein, reichli- cher Quellenlauf und Wasserstürze vom Gebirge versetzten mich bald in das Gollingerthal, bald in eine Gegend unweit Meran, aber Heerdengeklingel, Kuhreigen und Jodellieder, diese friedlichen Alpengenien, waren ferne Klänge eines hei- Morıtz Wasnxer’s Algier. T. 15 226 terern Himmelsstrichs und Volkes. Hier schwebten nur Raub- möven über dem Gestade, hüteten sich aber, als röchen sie noch das meuchelmörderisch vergossene Blut, den Boden zu berühren. Im Uebrigen regte sich nicht Ein Wesen im wei- ten Thal. Eine solche dumpfe Ruhe würde in einer Wüste- nei nicht erschrecken. Man findet es wohl natürlich, dass kein lustiges Gascognerleben in der Sahara tönt, dass kein schmuckes Alpenmädchen grüsst, da, wo keine Blume gedeiht. Das Schweigen ist dort eine Wohlthat, es lässt die Phan- tasie ungestört über schrankenlose Räume irren. In einer so gesegneten Gegend aber, wie die von Budschia, regt sich bei dieser Stille gleich die Ahnung irgend eines grauenvollen Geheimnisses und ein poetischer Orientale könnte diese Ge- gend mit dem Blad -Meskhutin, „dem Verwünschten Land,“ wie es vorkommt in arabischen Märchen, oder mit dem Eden nach der Verfluchung Adam’s vergleichen. Ich war fast froh, als die Räder des Damptbootes uns gegen Abend rauschend davonführten und das Bild der unheimlichen Felsenstadt uns seine letzten Schauer heruntersendete. .‚Ich möchte nicht Commandant von Budschia seyn“ rief ein Passagier, der auf- athmete, als sey ihm eine Last vom Herzen. Der Himmel war indessen trübe geworden, mit einem Trauerflor von Ge- witterwolken schwarz behangen. Aber am östlichen Ende des Horizonts brach die Sonne noch einmal in ihrer freudigen Glorie hervor, mit dem letzten Rubinflammenkuss Gebirge und Meer bestrahlend.. Der überirdische Schein beleuchtete das Grabdenkmal des Commandanten Salomon auf der West- seite der Bucht und zugleich den weissen Marabuttempel jen- seits des Summam im äussersten Osten. Das christliche und das mahomedanische Glaubenszeichen von der Farbe des Blu- tes umflossen schienen wider einander im gespenstigen Kam- 227 pfe; es erinnerte mich an eine Scene von Fouque’s Zauber- ring, wo der Lichtschein der christlichen Frau Minnetrost gegen das Feuerrad der heidnischen Gerda rang. Hier aber blieb der Sieg weder dem Kreuz, noch dem Halbmond. Als die Sonne versunken war, verschwanden auch das französi- sche Grabmonument und der Marabuttemnel zu gleicher Zeit im plötzlichen Dunkel, welches dem Sonnenuntergang in die- sem Land fast ohne Dämmerungsübergänge folgt. 228 X. Reise von Budschia nach Bona, — Dschischellie. — Collo. — Stora. — Philippeville.e. — Bona. Die Rhede. Ansicht der Stadt. Die Kasbah. Bevölkerung. Die Malteser. Fiwölf Lieues östlich von Budschia liegt Dschischelli oder Dschischeri, Igilgilis der Alten. Plinius, Ptolemäus und An- toninus machen Erwähnung von ihm. Ersterer sagt, Igilgilis sey der Hauptpunkt einer römischen Colonie gewesen; er nennt es Igilgilis colonia. Das heutige Dschischelli, welches ich bei meiner Rückkehr von Bona sehr deutlich vom Dampf- boot aus sah, liegt am Ufer des Meeres, auf einer kleinen Felsenhalbinsel, die nach östlicher Richtung in das Meer ausläuft. Dschischelli hat einen kleinen Hafen, den eine fast senkrecht aufragende Felsbank schliesst; er ist ziemlich tief “und sicher, lässt aber allzu wenig Raum für grössere Schiffe. Der grösste Theil des Städtchens bedeckt den Abhang eines Felsens und ist bei einer irgend guten Vertheidigung fast uneinnehmbar. Die Umgegend ist ziemlich fruchtbar und viel besser angebaut, als die Landschaft von Bona oder die Ebene Metidscha. Gleichwohl gedeiht der Waizen dort so schlecht, dass die Einwohner lieber Gerste und Flachs bauen und einen Theil ihrer Erndten dagegen zum Tausch gegen Waizen ausführen. Eigentlich edle Fruchtbäume, wie Gra- nat, Orangen und Palmen, soll es nur wenige krüppelhafte 229 Gewächse geben, wogegen die Eingebornen an Feigen, Cactus- früchten, Nüssen, essbaren Eicheln eine ergiebige Erndte machen. Dschischelli hatte zur Zeit, als die Franzosen es in Besitz nahmen, etwa 1000 Einwohner, Die Stadt wurde erst im Mai 1839 von den Franzosen in Besitz genommen. Zur Zeit meiner Reise hätte Keiner, dem sein Hals lieb war, dort zu landen gewagt, denn nirgends ist die Bevölkerung so fanatisch, grausam, mordlustig, wie bei Budschia und Dschischelli. Sämmtliche Einwohner flohen bei der Landung der Franzosen, liessen Wohnungen und den grössten Theil ihrer Habe im Stiche und flüchteten sich zu den Kabylen- stämmen, mit denen sie sich seitdem vermengt haben, in die Berge. Dschischelli ist jetzt gleich Budschia eine rein fran- zösische Soldatenstadt, ihre Moscheen wurden in Pferdeställe verwandelt, der frühere Verkehr mit dem Innern abgebrochen und der Handel völlig zerstört. Die Ausfuhr Dschischellis war in der letztern Zeit überhaupt sehr gering. Vor 1830 gingen alljährlich voh dort nach Algier kleine maurische Fahrzeuge , welche mit Fellen, Wachs, Korkholz, Oel und trocknen Früchten beladen waren. Nach der Einnahme von Budschia brachten solche Barken der französischen Garnison zuweilen Brennholz. Die nächste Umgebung von Budschia ist von Bäumen und Büschen entblösst, während Dschischellis Landschaft an beiden grossen Ueberfluss hat. Die Kabylen der Landschaft von Dschischelli sind wie die bei Budschia wohnenden Stämme sehr zahlreich und kriegerischh Die namhaften Stämme südlich und östlich von Dschischelli sind die Beni - Mimur, Beni- Amrus, Ud-el-Uart, Beni- Mohamed, Beni - Hassan und Beni-Segruel, die zusammen wohl gegen fünf- bis sechstausend Krieger, aber fast nur Fussgänger stel- len könnten, denn die Pferde sind sehr selten in diesen 230 Gegenden und von geringem Nutzen auf den waldigen Ab- hängen und engen Schluchten. Collo, funfzehn Stunden östlich von Stora, ist die ein- zige noch unbesetzte Stadt der Küste der Provinz Constan- tine, wenn man überhaupt den Namen Stadt einem Haufen etender, verfallener Hütten, theils aus Stein, theils aus Lehm- erde erbaut, geben darf. Denn anders sahen wir nichts von Collo, obwohl das Dampfboot bei hellem ruhigen Wetter dicht an der Küste hinsteuerte und vortreffliche Fernröhre uns zu Gebote standen. Collo kaun nicht über einige hundert Einwohner haben, die blos Kabylen seyn sollen. Sein Name zu den Römerzeiten war Calla oder Collops magnus, aber Shaw und Peyssonel fanden schon vor einem Jahrhundert dort keine Spur von Ruinen mehr. Leo Africanus sagt, dass Collo früher sehr blühend gewesen, keine andere Stadt habe an Reichthum und vortheilhafter Lage sich mit ihm messen können. Wenn diese Angabe, wie so manche andere dessel- ben Schriftstellers, nicht auf vagen Praditionen und arabi- schen Märchen beruht, so muss die Blüthe Collos jedenfalls schon sehr lange vorüber seyn, denn es ist nach Stora und Tenez vielleicht das allerelendeste Nest der ganzen Algierer Küste. Auch scheint die Umgegend wenn nicht unfruchtbar, doch lange nicht so reizend, als die von Bona und Budschia; sie ist eine völlige Wildniss, dabei auch nicht eben holz- reich. Schon seit langer Zeit lebten ihre Bewohner nicht von Cultur, sondern von ihrem Handel, sowohl mit den Kü- stenstädten, namentlich Tunis, als mit Italien, wohin sie die gewöhnlichen Kabylenproducte, wie Wachs, Schafwolle und schlechtes Oel auf maurischen Fahrzeugen ausführen. Seit der französischen Niederlassung auf den benachbarten Punk- ten hörte dieser Handel auf und Collos Bewohner versanken 231 in noch tiefere Armuth als zuvor. Mit dem Charakter der Bewohner Collos scheint sich nicht weniger, als mit ihrem Wohlstand seit den Zeiten des Leo Africanus eine radicale Veränderung ergeben zu haben. Dieser gelehrte Maure er- giesst sich in Lob über ihren Charakter „ingenium liberale, fidissimum, humanissimum‘“; während nach dem Urtheile der heutigen Algierer die Colloner ein wilder, räuberischer Men- schenschlag sind, bereit, jeden armen Schiftbrüchigen zu plündern und zu morden, und überhaupt in nichts von Dschi- schellis oder Budschias Kabylen unterschieden. Aber auf je- ne Charakterzeichnungen Leo’s ist überhaupt‘ nicht viel zu halten, denn in seiner Descriptio Africae wimmelt es von Wi- dersprüchen in dieser Beziehung. An andern Stellen sind seine Schilderungen wieder eben so übermässig schwarz, als jene Angabe übertrieben günstig. Zehn Stunden westlich von Collo in einer ziemlich tief einschneidenden Meeresbucht liegt Stora, ein Ort, der von der Liste der Städte schon seit wenigstens einem Vierteljahr- hundert verschwunden seyn mag. Shaw und Peyssonel sind die letzten Reisenden, die bestimmte, wiewohl nur karge Nachrichten davon in wenigen unbedeutenden Zeilen geben. Als Poiret gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts dort botanisirte, scheint noch der Schatten einer Stadt existirt zu haben. Er schildert ihre Bewohner als sehr barbarisch und ungastlich, die nur das Geld gegen den Fremden etwas mil- der stimmen könne. Als General Negrier im April 1838 mit seiner mobilen Colonne von Constantine aus zum erstenmal ‚eine Recognoscirung nach Stora unternahm, waren die fran- zösischen Militairs, von den vagen und verworrenen Antwor- ten der Eingebornen getäuscht, im Augenblicke des Abmar- sches noch im Wahne, Stora müsse eine Stadt seyn. In 232 solchen Fällen spielte bei den Franzosen, namentlich bei je- nen, die einige Begeisterung fühlen für den Plan der Grün- dung eines Neu-Frankreichs in dieser weiland so berühmten Römercolonie, die Phantasie stets ihre Streiche mit und so kam es, dass, als von dem Zuge nach Stora die Rede war, einer den andern über die Grösse und Wichtigkeit der neuen Stadt exaltirte. Sehr unangenehm wurden diese Militairs enttäuscht, als sie nach einem dreissigstündigen Marsch durch eine überaus herrliche Gegend, dem Lande der Kabylen, am Gestade angekommen keine Stadt, nicht einmal ein Dorf, sondern nur wenige Strohhütten ohne Bewohner neben schö- nen römischen Cisternen und Tempelruinen erblickten. Stora war die Russicada der Alten, deren Plinius, Antoninus und Pomponius Mela erwähnen. Die Cisternen waren von den Kabylen in Silos verwandelt worden, in denen sie ihr Ge- treide aufbewahrten. Die französischen Truppen nahmen erst im Jahre 1838 von Stora definitiven Besitz und bedienten sich jener soliden Cisternenreste gleichfalls als Magazine, ja in der ersten Zeit als eines Hauptquartiers für ihre Stabsof- ficiere, denn es war in der Umgegend nirgends besseres Obdach zu finden. Es wurden sogleich Blockhäuser errichtet, später Forts und Casernen gebaut, endlich genehmigte ein königlicher Beschluss den Plan des Marschalls Valee, unweit Stora eine rein französische Stadt zu gründen, die den Na- men Philippeville erhalten sollte. Sehr viele Kaufleute und Handwerker von Bona siedelten sich hierauf nach Philippe- ville über, aus Malta kamen neue Auswanderer. Auch der Umstand, dass es an der Küste von Stora fast gleich ergie- bige Korallenbänke, wie bei La Calle giebt, trug zur ra- schen Zunahme der Bevölkerung und zum schnell aufblühen- den Gedeihen der Niederlassung bei. Die Zahl der dort 233 lebenden Europäer betrug zu Ende 1839 bereits 1500 Seelen, es gab 50 Häuser von Stein und 150 von Holz. Eine Ver- bindung mit Constantine wurde durch Zwischenlager herge- stellt und die Reste einer schönen, noch ziemlich gut erhalte- nen via Romana wurden benutzt, um eine Fahrstrasse zu bauen. Sowohl als nächste Verbindungshäfen mit jener Haupt- stadt des Innern, wie auch wegen ihrer fruchtbaren Umge- gend haben Stora und Philippeville die günstigsten Aussich- ten, eine wichtige Handelstadt zu werden. Am 25. Mai Nachmittag traf das Dampfboot Cerbere im Golf von Bona ein. Von der Kasbah, die seit 1832 so man- che Katastrophe mit angesehen und selbst erfahren hat, krachte, als man das Dampischiff von ferne sah, ein Kano- nenschuss und die aufgezogene dreifarbige Fahne, die so lange flattert, als das Dampfboot in der Bucht verweilt, grüsste auch sogleich von den Zinnen jener hochgelegenen Citadelle herab. Bona hat gar keinen Hafen. Die Schiffe ankern in der freien Bucht, etwa eine halbe Stunde westlich von der Stadt, und flüchten sich, so oft ein heftiger Sturm droht, noch zwei Lieues weiter in die Nähe des Fort Ge- nois, wo sie etwas besser gegen Windstösse geschützt, vor Unglücksfällen übrigens keineswegs sicher sind. Unter allen Küstenstädten der Regentschaft hat Bona, nach Mostaganem, den schlechtesten Ankerplatz, daher auch die häufigen Schiff- brüche. Es ist dies ein Haupthinderniss, Bona je in einen grossen Handelsplatz zu verwandeln, denn nur mit ungeheuern Kosten liesse sich ein Hafen entweder durch den Bau eines Molo bei der Stadt oder vielleicht durch Entfernung der Sand- barre an der Mündung des Flusses Seybuss herstellen. Bona macht mit seiner äusserst mannichfaltigen Gegend, wo hohe Berge, nackte Felsen und üppig bewachsene Hügel, weite 234 Ebenen und Flüsse vorkommen, beim ersten Anblick einen sehr freudigen Eindruck. Die Stadt hat etwas durchaus Friedliches und Ländliches, von jeder Strasse aus sieht man das nahe Grün der Gegend. Bona führt im Arabischen den Namen Anaba, d. h. die Stadt der Brustbeerbäume. In der ersten Hälfte des Jahres 1839 betrug die europäische Bevöl- kerung 3111 Köpfe, worunter 1120 Franzosen, 1209 Malte- ser, 924 Italiener, 121 Spanier, 122 Deutsche und 5 Grie- chen. Eingeborne leben gegenwärtig nicht über 1500 dort, wovon zwei Drittheile Mauren, die übrigen Kuruglis, Tür- ken, Biskris, Neger u. s. w. Bekanntlich wurde Bona 1832 von Ben-Aissa, dem General des Bey Achmet, grossentheils zerstört und die unglückliche einheimische Bevölkerung, die damals etwas über 6000 Köpfe betrug, zur Auswanderung gezwungen. Die Stadt ist in zwei Quartiere geschieden. Der untere grössere Theil liegt auf ebenem Grunde und die Strassen sind, wenn auch nicht eben regelmässig und rein- lich, doch für eine afrikanische Stadt ziemlich breit und helle. Auf dem grossen Platz, der mit Bäumen umpflanzt ist, stehen jetzt grösstentheils moderne Häuser @ Za Frangaise von freundlichem, zierlichem Aeussern, übrigens nichts weniger, als für die Ewigkeit gebaut, denn zu jeder Regenzeit stürzen einzelne zusammen. Da sich bis jetzt kein Mensch in Bona niederliess in der Absicht dort für einige Zeit zu wohnen — denn das Klima ist äusserst ungesund ‘und der Aufenthalt bietet dem, der weder Jagd noch schöne Gegenden liebt, gar weniges Vergnügen — so sah man bisher beim Bauen nur auf Schnelligkeit, Wohlfeilheit, äussere Zierlichkeit, mochte das Gebäude auch noch so unbequem seyn und noch so leicht- sinnig aufgerichtet werden. Alle gegenwärtigen Ansiedler Bonas, mit Ausnahme der Malteser, denken an nichts lieber, R 239 als sich nach einigem Geldgewinn von dem fiebermörderischen Ort auf das Schnellste zu entfernen und den neuen Ankömm- lingen ein schmuckes, auf ein paar Jahre feststehendes Häus- chen, wo möglich -für zweimal so viel Geld als der erste Baupreis war, zu überlassen. Der obere Theil der Stadt, der amphitheatralisch wie Algier, jedoch lange nicht so hoch und steil, den Rücken eines Hügels bedeckt, ist fast ganz maurisch noch. Die dortigen Häuser sind niedriger, als in Algier, haben meist nur ein Erdgeschoss und zeigen im In- nern lange nicht dieselbe Pracht an Colonnaden, Marmor und Fayenza wie die Algierer Gebäude. Das Wohnhaus des commandirenden Generals steht den meisten Hötels und Re- staurantsgebäuden Algiers an Grösse und Wohnlichkeit weit nach und hat nur ein einziges Divanzimmer nach der Meer- seite. Etwas orientalisch luxuriöser ist das Haus des be- rühmten Yussuf, gegenwärtigen Obristen des Spahis in Oran, ein ziemlich weitläufiges Gebäude, übrigens nicht hoch und von aussen eben nicht sehr ansehnlich. Von den Moscheen ist nicht eine bemerkenswerth; die grösste wurde zu einer katholischen Kirche umgewandelt. Unter den neuen von den Franzosen aufgeführten Gebäuden verdient blos das Hospital eine Erwähnung, ein kolossales Gebäude, welches mehrere tausend Kranke fasst und in der Regel überfüllt ist. Bona hat nur zwei T’hore, porte de Coustantine, welche nach dem Lager Drean, und porte Damremont, die nach der Kasbah führt. Die stark befestigte stolze Citadelle von Bona liegt auf einem isolirten Hügel östlich vom Seeufer. Sie be- herrscht die Gegend vollkommen und ihr Besitz entscheidet über das Loos der Stadt, welche von der Kasbah leicht in Trümmer geschossen werden könnte. Die Kasbah von Bona hat seit dem Erscheinen der Franzosen an dieser Küste 236 merkwürdige Schicksale erlebt. Am 26. März 1832 fiel die- selbe wie durch ein Wunder in die Gewalt Frankreichs. Zwei Männer von einer Kühnheit, Geistesgegenwart und be- sonderm Muth, die an die schönsten Hersenzeiten erinnern, nahmen dieselbe halb durch Ueberredung, halb durch Gewalt mit dreissig Matrosen ein, obwohl sie mehrere hundert streit- bare Türken als Besatzung hatte und am Fusse des Berges der Khalifa des Bey von Constantine mit einer Armee la- gerte. Ibrahim, der Anführer der Garnison, ein ehrgeiziger und hochmüthiger Mensch, wollte die Kasbah für sich behalten und widerstand gleich sehr den Aufforderungen Ben - Aissa’s, wie den Anträgen der französischen Officiere, Yussuf und d’Armandy, welche damals in einer kleinen Kriegsbrigg ohne Landtruppen vor Bona lagen. Als Ben-Aissa mit Sturm drohte, beschlossen jene Officiere, mit dreissig bewaffneten Matrosen, gutwillig oder mit Gewalt in die Citadelle zu drin- gen und zu ihrer Vertheidigung mitzuwirken. Der Türke Ibrahim, der sein Obercommando durch die Anwesenheit ei- nes französischen Detachements gefährdet glaubte, verwei- gerte ihnen den Eintritt. Nun aber entstand ein Kampf un- ter der Besatzung selbst, wo Yussuf durch kräftiges Wort und Benehmen, wie durch seine würdevolle, gebietende Ge- stalt Anhänger gewonnen hatte, die auf die Wirksamkeit seines Beistandes mehr, als auf die Energie Ibrakim’s ver- trauten. Ibrahim wurde mit einigen seiner Anhänger ge- zwungen, die Kasbah zu verlassen, wo Yussuf, d’Armandy und die dreissig Matrosen freudige Aufnahme fanden. Bald aber brach eine neue Verschwörung unter den argwöhnischen, an Meuterei gewöhnten Türken aus und ohne die gewaltige Energie Yussuf’s, der die Hauptverschwörer mit eigener Hand niederhieb, wären die wenigen Franzosen wahrscheiglich 237 ermordet worden und die Citadelle noch einmal für sie ver- loren gewesen. So aber kam das kühne Häuflein auch bald in den Besitz der Stadt, denn Ben-Aissa, der die Unmöglich- keit, die Bergfestung gegen eine französische Vertheidigung mit Gewalt zu nehmen, einsah, räumte Bona, nachdem einige gutgezielte Kanonenkugeln von der Kasbah aus in seiner Nähe gefallen waren. Fürst Pückler-Muskau schildert Yus- suf’s romantisch kecke That sehr ausführlich nach dessen ei- gener Erzählung. Es kommen aber darin Details vor, denen man die Erfindung deutlich genug ansieht, so dass zu fürch- ten ist, der phantasiereiche, auch etwas boshafte Mameluk von Tunis habe dem ‚‚Edelmanz aus dem Bäreland“ nur ei- nen tüchtigen Landsmann aufhängen wollen, gleichwie bei dem Abenteuer der schönen Kabburah, was Yussuf selbst allen fremden Besuchern zu Messerghin lachend gesteht. Am 30. Januar 1837 flog die Kasbah von Bona durch Entzündung des Pulvermagazins in. die Luft und seine un- glückliche Besatzung, einige hundert Mann stark, wurde theils zerschmettert, theils verstümmelt aus den Ruinen gezo- gen, ja einige Leichname sogar mit Gewalt bis auf die Ter- rassen von Bona geschleudert. Die Erschütterung war ge- waltig, wie ein Erdstoss. Mehrere Häuser erhielten Risse, und in der Stadt blieb kein Fenster ganz. Jedermann erinnert sich in Bona dieses Augenblicks mit Entsetzen. Gleichwohl war die Kasbah bei meiner Ankunft wieder ganz bewohnbar und gut befestigt, die äussern Mauern von ausserordentlicher Dicke und Solidität waren nur theilweise eingestürzt, die in- neren Magazine und Kasernen hatten am meisten gelitten. Sie waren durch hölzerne Baracken ersetzt worden, die Sol- daten lagen unter Zelten, in den Cantinen herrschte des Feldlebens alter Saus und Braus. Rothhosige Zechhelden, 238 Galanterien an die hübschen Cantinieres, Gascognaden gegen die Malteser dourgeoes und Calembourgs und Wachstuben- spässe an die Kameraden austheilend, vergnügten sich mit Liedern, Trunk und Spiel. In den Gewölben unter ihren Füssen lag dasselbe Mordelement, das hunderte ihrer Brüder in einem Moment zerschmettert hatte; etwa tausend Pulver- fässer waren dort für die zweite Expedition nach Constantine aufgehäuft. Aber weder dieses drohende Donnergrab, noch die Erinnerung an die zerschmetterten Kameraden störte auch nur einen Augenblick die heitere Laune der Cantinengäste — so ist der französische Soldatengeist! Das Leben in Bona ist ziemlich einförmig und still, an Genuss fast in keiner Hinsicht mit dem in Algier zu verglei- chen, obwohl ich Bona in einer sehr bewegten Zeit bewohn- te, wo die Vorbereitungen des Constantiner Feldzuges viele Militairs, fremde Reisende, Speculanten dorthin geführt hat- ten und wo die sonst ziemlich einsame Rhede beständig von an- und abgehenden Schiffen wimmelte. Das Truppenge- wühle verlief sich aber immer sehr schnell wieder; denn kaum war ein Regiment ausgeschifft, als es gleich seinen Marsch nach den Lagern auf der Strasse nach Constantine antreten und dort auf die Ankunft der übrigen Expeditions- corps warten musste. Es hielt damals sehr schwer, ein Un- terkommen zu. finden und das Leben war so theuer, als in London. Eigentlich giebt es nur einen einzigen Gasthof in Bona, wo man Chambres garnies findet, es ist der Zeon d’Or. Wenn die dortigen Zimmer besetzt sind, bleibt nichts übrig, als nach Privatwohnungen sich umzusehen, die schwer zu bekommen, übermässig theuer sind und aller Bequemlich- keiten entbehren. Dagegen fehlt es nicht an guten Restaurants, für deren Einrichtung: die Franzosen ein Geschick haben, wie 239 keine andere Nation, so dass ein Diner im grand restau- rant d’Afrigue mit der besten table d’höte in irgend einer der grossen Städte Frankreichs rivalisiren könnte. An Kü- chengewächsen und edlen Früchten liefern die Gärten von Bona Ueberfluss. Die Beduinen bringen zahmes Geflügel und die Auswahl ihrer Heerden zu Markt, an dem schmackhafte- sten wilden Geflügel, wie Enten (sechzehn Arten), Schnepfen, Rebhühnern, Trappen, Sultanhühnern, Becassinen u. s. w. ist keine andere Gegend der Berberei reicher; endlich liefern Meer und Flüsse in der Nähe an Fischen, Krebsen, Mu- schelthieren oft ausgesuchte Leckerbissen zu Spottpreisen, so dass die Coryphöen der Pariser Gastronomie ihren schmau- senden Landleuten in den afrikanischen Städten manchmal neidisch zusehen würden. Was dieser Küche im Lande selbst abgeht, die Gewürze und Weine, verschafft man sich von den Seehäfen Europas mit wenig Mühe und Kosten. Die verschiedenen Nektarsorten Andalusiens, der Gascogne, der Provence, der griechischen Eilande, sind in den Weingewöl- ben Algiers bei Herrn Gugenheim und seinen Collegen reich- lich aufgehäuft und Bona erhält davon seinen guten Theil, obwohl die Auswahl nicht so gross ist, wie in Algier. Es ist daher für den comfortablen Auswanderer oder Reisenden kein geringer Trost, zu wissen, dass in dem Beduinenland, überall, wo der Tricolor sich festgenistet, auch der Cham- pagner, sein feuriger Landsmann und treuer Begleiter, in ungeschwächter Kraft moussirt. Man findet diesen ächt fran- zösischen Sprudel und Rumorgeist bis auf den äussersten Vorposten. Die Scheikhs der Araber sehen da gerne zu, wie der Pfropfen springt und knallt und trotz Marabuts und Koran verschmähen wenige seinen Inhalt. Die übrigen Lebensgenüsse und Zerstreungen in Bona 240 sind bald aufgezählt — Spaziergänge am Meerstrande gegen das Fort Genois, wo man die weissbeschwingten oder dampf- speienden Boten aus Frankreich von weiter Ferne schon über die Wogen schweben sieht, oder den Absegelnden den Hei- mathsgruss, selten ohne Seufzer nachsendet — der Besuch des Lesecabinets, wo die politischen Händel in den Journa- len weniger langweilen, als auf ihren Schauplätzen selbst — die Abendpromenade auf dem grossen Markt, wo Alles im grössten Neglige, in Staubhemden, Sommerpantoffoln und breitränderigen Strohhüten flanirend sich ergeht, bis die Mu- sik des Zapfenstreichs und mit ihr der letzte Lärmen vorüber — zuletzt der Besuch des Kaffeehauses, wo man bis elf Uhr bleibt, Kaffee oder Limonade schlürft, und die Neuigkeiten sammelt, die von den Vorposten einlaufen. Das sonntägliche Hauptvergnügen ist die Jagd, die in jeder Beziehung ergie- biger, aber auch anstrengender ist, als in Algier, wegen der grossen Sümpfe gegen Osten und der steilen Gebirge im Westen. Einmal jede Woche ist das Jagen bei Bona ein Vergnügen, zweimal wäre es eine Strapaze, dreimal vielleicht der Tod, denn die Ausdünstung der Sümpfe erzeugt böse Fieber. i Ueber die französischen, spanischen und deutschen An- siedler gelten für Bona ganz dieselben Bemerkungen, wie über diese Völker in Algier. Die Malteser bilden in Bona die Mehrzahl der europäischen Einwanderer, sie repräsentiren aber den schmuzigsten Abschaum des Völkerauswurfes. Trä- ge, ungelehrig, feige, störrisch und diebisch, vereinigen sie mit so vielen Lastern kaum eine empfehlenswerthe Eigen- schaft, als etwa ihre Genügsamkeit im Essen und Trinken, einen Zug, den sie mit den ihnen in vieler Hinsicht ähnli- chen neapolitanischen Lazzaroni gemein haben. Wie diese \ 241 lebt der grössere Theil der ansässigen Malteser vom Tag- lohn, wie diese aber unterziehen sich alle nur einer leichten oder doch kurzen Arbeit, um nach einigen Plagestündchen den übrigen langen Tag in die Sonne sich legen oder, in ih- rer Lieblingsstellung, die Hände auf den Rücken, und den Mund offen, die Vorübergehenden mit stieren Augen gedan- los anglotzen zu können. Der bessere, wohlhabendere Theil der eingewanderten Malteser treibt Detailhandel mit allerlei Kramwaaren, Früchten, Specereien u. s. w., und bewohnt elende Löcher von Buden oder verkauft auch unter freiem Himmel. Viele treiben das Geschäft der Wirthe und Marke- tender; ihre Gäste sind andere Malteser und französische Soldaten. Sie betrügen letztere mit schlechten oder verdünn- ten Weinen, wofür aber auch die Soldaten ihre Revanche neh- men, sich oft tüchtig vollzechen, das Beste der malteser Küche sich auftragen lassen, ohne einen Liard in der Ta- sche zu haben und ihre Rechnung dann entweder gar nicht oder mit Schlägen berichtigen. Für eine solche lustige „Carotte“, wie die französischen Soldaten es nennen, scheuen sie selten ein paar Tage Stockwache. — Handwerker giebt es mit Ausnahme der zahlreichen Schuster nur sehr wenige unter den Maltesern und diese Wenigen arbeiten nachlässig und ohne Geschick. Die Malteser bilden eine Art Mittelbe- völkerung zwischen Europäern und Eingebornen; den letzte- ren stehen sie näher. Mit den Europäern haben sie nur die Religion und einige wenige Sitten, mit den Eingebornen da- gegen die Sprache und ihre meisten Untugenden gemein. Sie sind schmuzig wie die Biskris, diebisch wie die Araber, faul wie die Mauren. Sie verleugnen auch in anderer Be- ziehung ihren orientalischen Ursprung nicht, zeigen sich ihrer Religion eifrig zugethan und sind jetzt eben so bigote Morıtz Wacner’s Algier. I. 16 242 Katholiken, als ihre Altvordern fanatische Muselmänner ge- wesen. Die Colonisation hat durch sie fast gar nichts ge- wonnen, denn nicht der hundertste Theil von ihnen beschäf- tigt sich mit Landbau. Während die spanischen Ansiedler gute Gemüsegärtner, thätige Ackerbauer und ziemlich ver- ständige Oekonomen sind, daher auch fast alle sich bereits soliden Grundbesitz erworben, haben die Malteser für die leichtesten Feldarbeiten nicht hinreichendes Geschick. Zu den Zeiten des Heumachens sind die Taglöhner in Bona sehr ge- sucht und gut bezahlt, denn die Graserndte ist dann sehr er- giebig. Die grosse Ebene des Seybuss und die kleinere bei Bona sind im Mai mit einem Kräuterwuchs von 1'/, Fuss Höhe bedeckt und nicht der zwanzigste Theil davon wird gemäht, da die Arme fehlen. Die französische Administra- tion kauft das Heu für Cavalerie und Zugpferde zu einem verhältnissmässig hohen Preis, der alle müssigen und hunge- rigen Leute locken sollte; dennoch verwenden die Unterneh- mer dieser Heuerndten hieza nur Franzosen und Deutsche, da die Malteser selbst zum Mähen zu träge, zu tölpisch sind. Man verwendet sie höchstens nur zum Führen der Zugpferde und der Packwägen, aber selbst da gehört mehr als deutsche Geduld dazu, diese Tagdiebe neben den Thieren hinschlen- dern zu sehen, ohne über ihre unbesiegbare Indolenz in Zorn zu gerathen. Der Expeditionsarmee nach Constantine folgte ein ganzer Schwarm von dergleichen nichtswürdigen Subjecten, die theils bei dem Convoi verwendet wurden, theils die Freiwilligen, welche den Zug mitmachten, als Bediente begleiteten. Es gab damals nicht einen Reisenden, der sei- ne Bedienten nicht ein halbdutzendmal gewechselt hätte, aber nach jedem Fortgejagten nur ein viel schlechteres Subject dagegen bekam. Die Diebstähle mehrten sich gegen das . 243 Ende meines Aufenthaltes in Bona auf eine empörende Weise, und obwohl die Urheber nur sehr selten entdeckt wurden, war doch die UÜreberzeugung allgemein, dass nur Malteser sie ver- übten. Ich weiss wohl, dass dieses keineswegs übertriebene Urtheil, welches alle in Bona lebenden Franzosen mit mir theilten, mit den Berichten anderer Reisenden über Malta nicht zusammenstimmt. Die auf dieser Insel zurückgebliebene Be- völkerung wird als industriös, thätig und ehrlich geschildert. Wenn dem wirklich so ist, muss Malta die Auswanderungen segnen; sie befreiet dieses Eiland von einer Masse Aussatzes, denn die Maltesischen Ansiedler in Tunis und an andern Or- ten der afrikanischen Küste sind um kein Haar besser, als die in Bona. Wären letztere in ihrer Heimath geblieben, so hätte schwerlich je ein günstiges Wort über Maltas Bevölke- rung geschrieben werden können. Zwischen den Europäern und Eingebornen besteht in Bona ein viel freundlicheres Ver- hältniss, als in Algier. Die Mauren haben, wenn auch nicht Liebe für die französische Herrschaft, doch eine ziemliche Anhänglichkeit für dieselbe gewonnen, weil ihr Interesse dies erheischt. Sie haben sich hie und da sogar dem Milizdienst unterzogen, was man in Algier nicht einmal zu versuchen ge- wagt hat. Sämmtliche Einwohner der Provinz Constantine, mit Ausnahme der Kabylen, sind zugängiger, friedlicher, weit we- niger fanatisch und barbarisch, als die von Algier und der westli- chen Provinz. Je mehr man sich Marokko nähert, desto wilder, gräulicher, aber auch tapferer und energischer wird der Men- schenschlag, je weiter man hingegen nach Tunis rückt, desto mehr mildert sich und gewinnt der Charakter des Volkes, obwohl man überall gewisse Züge wiederfindet, welche die Araber oder überhaupt die Mahomedaner aller Länder nie verleugnen können. 16 * 244 . XT. Ausflüge in Bonas Umgegend. — Allgemeiner Charakter der Landschaft. Die Ebene bei Bona. Die Gebirge. Fort Genois. Marmorbruch. Ruinen von Hippo Regius.. Die Flüsse Budschimah, Seybuss und Mafragg. Die grosse Ebene des Seybuss. DBlockhäuser. Oasen. Duars der Kharesas, Beni-Urschin und Merdass. La Calle, die Niederlassung der Korallenfischer. Lager Drean. Ausflug nach dem See Fez- zara. Die Landschaft Bonas macht als Gesamintgemälde lange nicht den Eindruck, wie die Gegend bei Algier. Es fehlen ihr vor Allem die blühenden Südbaumgärten und die liebli- chen weissen Landhäuser der Mauren, welche die Hügel von Mustapha- Pascha und den Berg Budschareah zu einem Eden schmücken. Die hohen Berge sind im Westen von Bona zu nahe und versperren die Aussicht. Gegen Osten aber sind sie zu weit entfernt und lassen ganz unbedeckt und ohne Ab- wechslung das kahle Bild einer zwar schön grünen, blumigen, aber baumleeren und sumpfigen Fläche vor sich, hinter deren lachendem Grün man wohl den türkischen Feind bemerkt, der die Ansiedler und Armee so furchtbar heimsucht und lichtet. Die allzureiche Bewässerung ist Bonas Fluch. Die Menge der Quellen und Bächlein, die von den Bergen fliessen, fin- den nicht alle den Weg zum Meer, obwohl zwei Flüsse mit breitem, ziemlich tiefen Bett dicht bei Bona sich in die Bucht 245 ergiessen. Zwar bildet dort kein Bergmassif wie bei Al- gier zwischen den Bergen und den Gewässern einen hohen unübersteiglichen Damm, aber die kleine Ebene bei Bona hat wie die grosse Ebene des Seybuss einen bemerkbaren Ab- hang von Süden nach Norden. Die vielen Quellen, die nicht Wassermasse genug haben, sich ein eignes Bett zu bahnen, und mit dem Seybuss und der Budschimah, gegen die sich kein Abhang zieht, sich nicht vereinigen, bilden grosse Moräste und alle bis jetzt zur Austrocknung unternommenen Arbeiten, die freilich nicht mit besonderm Eifer betrieben worden, ha- ben noch zu keinem sehr günstigen Resultat geführt; daher das böse Klima Bonas, seine Fieber, die den Europäer hin- würgen oder ihn siech, zur lebenden Leiche machen. Unter den Stadtbewohnern herrscht das Wechselfieber bei weitem nicht so mörderisch, als unter den Bewohnern der Lager oder überhaupt unter allen denen, welche häufige Beschäftigung nach der Landschaft ruft. Gleichwohl leiden zur heissen Jah- reszeit selbst zwei Dritttheile der Städter an mehr oder min- der starken Anfällen, die jedoch selten einen tödtlichen Aus- gang haben. Zahlreicher sind dafür die Opfer unter den ar- men Soldaten, und die kräftigsten Körper, wenn auch dem Tod widerstehend, welken in wenig Wochen zu Schatten da- hin, so dass sie nichts retten kann, als schnelle Urlaubsreise nach Frankreich. Obwohl ich in Bona den ganzen Sommer zubrachte und täglich nach den verrufensten Gegenden wan- derte, auch häufig in die Moräste watete, um Wasservögel zu schiessen oder Sumpfconchylien zu erbeuten, hatte ich doch nie einen Fieberanfall, und ich konnte daher, da meine Con- stitution durchaus keine Empfänglichkeit für dieses Uebel zeigte, den Strapazen des schweifenden Jagdlebens ungestraft trotzen; ja ich zweifle, ob ich auch bei langem Aufenthalt 246 je fieberkrank geworden wäre, da diejenigen Ansiedler, wel- che das Wechselfieber im ersten Jahre verschont, später sel- ten mehr davon befallen werden. Eine solche Antipathie ge- gen die Fieber haben Leute oft von der verschiedensten Kör- perbildung, dicke und dürre, junge blühende, wie alte schwäch- liche Menschen. Aber ihre Zahl ist klein und von funfzig Personen, welche sich den Sumpfmiasmen häufig aussetzen, werden im Durchschnitte gewiss vierzig fieberkrank. Es giebt in den Umgebungen Bonas keine nackten An- höhen. Die Hügelkette gegen Fort Genois, wie die Höhen- umsäumung des alten Hippo regius bedeckt eine fruchtbare Dammerdschicht von bedeutender Dicke. Die Vegetation dieser Hügel ist äusserst kräftig, hohe Bäume und üppige niedere Pflanzen bedecken dieselbe bis zum Gipfel. Selbst auf den höchsten Berghäuptern im Süden, deren Höhe 3000 — 3500 Fuss über der Meeresfläche beträgt, kommen noch hohe Bäume der Korkeiche in Menge fort. Gleichwohl durchbricht an den hohen Bergen das Felsgestein schon am Fuss hie und da die Dammerde. Bis auf halbe Gebirgshöhe ist die oberste Schicht ein tertiärer, grobkörniger Kalk. Weiter hinauf ge- gen die Gipfel kommt Gneiss und Schiefer hervor. Die höch- sten Gipfel der Kette gegen das westliche Cap Ras -el-Ham- rah bestehen aus Uebergangskalk, worunter sehr hübsche Marmorarten vorkommen. Das Ras-el-Hamrah selbst besteht aus röthlichem Marmor. Etwas weiter östlich von dem Cap befinden sich noch drei alte Marmorbrüche. Zwei davon sind von weissem Marmor mit grauen Adern und zeigen sogar ei- niges sehr reine, weisse Gestein, welches dem carrarischen Marmor nicht viel nachsteht. Diese Märmorbrüche scheinen von den alten Hipponesern sehr eifrig ausgebeutet worden zu sein, denn man findet dort noch viele grob gehauene Säulen, 247 die von der Hauptmasse losgelöst worden, und andere Spu- ren weisen nach, dass diese Marmorfelsen im Laufe so vie- ler Jahre eines blühenden Zustandes der römischen Colonie, wo viel gebaut und losgemeisselt wurde, merklich kleiner ge- worden sind. Bekanntlich war Numidien wegen seines Mar- morreichthums berühmt. Plinius sagte, dass „‚an Marmor und wilden Thieren“ das Land den grössten Ueberfluss gehabt habe. Die schönsten, berühmtesten numidischen Marmorbrüche fanden sich zu Sigus auf der Strasse von Karthago nach Cirta (Constantine) etwa 2% römische Meilen von letzterer Stadt entfernt. Der gelbe oder safranfarbige purpurgefleckte Mar- mor Numidiens war eine der kostbarsten Zierden der römi- schen Bauwerke. Die nächste Umgebung Bonas, der Rücken der Hügel und der Fuss der höhern Gebirge ist sehr baumreich, Agave und Cactus wachsen aber bei weitem nicht in derselben Menge und Ueppigkeit wie bei Algier, ja ich hatte sogar viele Mühe, mir das für meine Insectenschachteln nöthige Agaveholz vom dürren Blüthenstengel dieser Pflanze zu verschaffen. Auch die Dattelpalmen stehen isolirter und seltener als an anderen Orten. Einige schöne Gruppen stehen bei dem Garten des Obristen Yussuf. Die Zwergpalme kommt sowohl am sandi- gen Meerufer als auf den trockenen Bergen vor, wiewohl nicht in so ungeheurer Menge, als bei Algier und Oran. Der Orangenbaum ist selten und seine Frucht mit den grossen süssen und saftreichen Pomeranzen Belidas nicht zu verglei- . chen. Dagegen gedeihen die Johannisbrodbäume, der Wein- stock, der Oliven- und Feigenbaum eben so kräftig und in fast eben so grosser Zahl. Alle Gemüse und sonstigen Gar- tengewächse Europas lohnen das Anpflanzen und die Ebene ist, wo nicht Sümpfe stehen, allenthalben einer Gartencultur 243 fähig. Von Büschen kommt häufig auf trockenem Boden Pistacia lentiscus, Philyrea media, angustifolia et latifolia, Tamarıx africana und an Bächen und Sümpfen Nerium olean- der und Salix aegyptiaca vor. Daphne Gnidium und Passerina hirsuta bedecken die nächsten Hügel im Westen. Auf erste- rer Pflanze findet man eine prächtige Käferart, Perotis tar- sata, von dem ehemaligen, leider jetzt allzuzerstückelten schö- nen Genus Buprestis. Oft sind die Stengel der Daphne von diesen herrlichen in grünem Demantfeuer glänzenden Insecten besäet und die leuchtenden Flügeldecken scheinen dann die beweglichen Blumen. Am Fusse der Hügel wächst das Ge- ranium Numidicum neben den schönsten Malvenarten. Erica arborea und multiflora, sowie die deutsche Genista bedecken stellenweise die trockenen Hügel. Die prächtigen Orchisar- ten dieses Landes fand ich bei Bona seltner, als an anderen Orten. An zoologischen Gegenständen war meine Ausbeute we- niger mannichfaltig, als in Oran, doch hat auch Bona ziem- lich viele eigenthümliche und interessante wirbellose Thierar- ten. Die Jagd auf grössere Thiere ist sehr ergiebig. Der Löwe, der bei Algier verschwunden ist, ist in der Nähe des Lagers Drean, am nördlichen Ende der Ebene des Seybuss, wo viel Gestrüppe wächst, sowie besonders am See des Mafragg im Stammgebiete der Merdass keine Seltenheit und zuweilen gehen von Bona Jagdgesellschaften ab, das gewaltige Raub- thiere, das einzige, dessen Jagd hier wahre Gefahr bietet und dem ächten Waidmann das Herz freudig schlagen macht, wie dem Kriegsmanne das Sausen der Kanonenkugeln, aufzusu- chen. Uebrigens sind die Löwenjagden bei Bona seit der Entfernung des Obristen Yussuf bedeutend seltener geworden, und haben an Interesse verloren. Yussuf veranstaltete gross- 249 artige Jagden, an denen oft gegen hundert Reiter Theil nah- men und wo gewöhnlich mehrere Löwen erlegt wurden. Jetzt darf man von Glück sagen, wenn man von sechs Ausflügen an die Ufer des Mafragg einmal mit einer Löwenhaut heim- kehrt. Panther und Hyäne kommen gleichfalls vor. Erste- rer, von dem ich sehr grosse Exemplare sah, ist unter allen Raubthierarten der Berberei wohl die seltenste. Die Hyäne dagegen ist häufig und so wenig furchtbar, dass man deren in den nächsten Lagern trifft, wo sie wie Hausthiere mitten unter kleinen Ebern, Ichneumons, Geiern und anderer Mena- gerie, welche die französischen Militairs dort zum Zeitver- treib aufziehen, frei herumlaufen. Das Reich der Vögel ist weit zahlreicher repräsentirt durch viele Arten von Wat- und Schwimmvögeln in den Sümpfen Bonas und an den Ufern des Sees Fezzara, wo der Flamingo und der numidische Kranich vorkommen. Grosse Raubvögel giebt es dicht bei der Stadt Bona in grossen Heerden. Der ägyptische Aasgeier, Cathar- tes percnopterus, spaziert an den Ufern des Budschimah, wo _ das Vieh geschlachtet wird, heerdenweisse mitten unter den Schweinen herum, verzehrt friedlich an ihrer Seite seine nie fehlende Speise und setzt sich manchmal sogar auf den Rücken dieser T'hiere, von denen er geduldet wird. Es ist ein schlauer Vogel, der den Jäger leicht wittert. Kommt ein Europäer, der einen Stab oder sonst etwas Flintenähnliches trägt, so fliegt die ganze Geierheerde auf, ehe man auf Schussweite sich genähert hat. Ueberhaupt ist der Cathartes gegen alle europäisch gekleidete Personen, selbst wenn sie nichts Flin- tenähnliches in der Hand tragen, sehr auf seiner Hut. Er bleibt, wenn er diese erblickt, still stehen und mustert sie, den gelben kahlen Hals aufstreckend, von weitem schon auf- merksam, ob es wohl Jäger sein könnten. Beduinen hinge- 250 gen lässt der Cathartes drei Schritte an sich vorüber gehen, ohne sich um sie zu kümmern. Am sichersten tödtet man ihn daher, wenn man im Bernuss sich ihm nähert und die Büchse unter diesem weiten arabischen Mantel verbirgt. Der grosse weissköpfige Geier, Vultur leucocephalus, wird eben- falls dicht bei Bona auf dem Schlachtanger Aas fressend ge- troffen. Er ist aber bei weitem seltener und scheuer. Auf sechzig Cathartes kommt vielleicht ein Vultur leucocephalus, dessen gewaltige Figur hoch über das andere gefiederte Raub- volk herausragt. Gleichwohl habe ich auch diesen riesigen Geier zuweilen schon auf den Bergen. heerdenweise beisam- men gesehen. Giftige Reptilien fehlen bei Bona ganz. Die furchtbaren Otternarten des Landes, wie die. Viper minuta und andere, kommen nur im Süden und Westen der Regent- schaft vor. Um so häufiger sind dafür die als giftig ver- schrieenen, übrigens sehr unschuldigen Gekos. Es ist nicht ein alter Olivenbaum in der Gegend, der nicht mehreren die- ser runzelig grauen Bewohner zum Aufenthalt diente. Auf den Zweigen des wilden Oelbaumes bemerkte ich oft eine grosse prächtige Eidechse, rosenfarbig, mit grünem Bauch, so gross wie Lacerta viridis. Ich machte oft Jagd auf sie. Sie entging mir aber durch eine Schnelligkeit, wie ich sie bei keinem andern Reptil bemerkt habe. Von Mollusken giebt es bei weitem nicht so schöne und seltene Arten, wie bei Oran, aber die, welche vorhanden, sieht man in ungeheuren Massen. Die Stengel vieler hohen Sand- pflanzen am Meerufer sind zuweilen so dicht mit Schnecken besetzt, eine an der andern, als wären sie angeleimt, so dass man kaum durch eine nadelkopfbreite Lücke den grünen Stengel erkennt und eine ganze Vegetation von Muscheln aus dem Sand wachsen zu sehen wähnt. Unter den Insecten fand 251 ich an Coleopteren so manches Neue. Am Strande laufen viele Arten von grossen Melasomen, namentlich von dem schö- nen. südlichen Genus Pimelia. Diese lassen in dem feinen Ufersand die regelmässig gezeichneten Spuren ihrer Füsse zurück, so dass der Strand an manchen Stellen einem gelb- grauen Teppich gleicht, in. welchem allerlei wunderliche Stickereien, Zierrathen, fremdartige Schriftzeichen eingewoben sind. Gar seltsam nimmt sich auch der grosse Scarabaeus sacer aus, wenn er seine gefertigten Mistkugeln, oft so gross wie er selbst, mit den Hinterfüssen schiebt, und dies mit einer so possierlichen Behendigkeit, dass ich immer ein Vergnügen daran fand, ihm mit den Augen auf seiner Rennbahn zu fol- gen, bis er, eine bequeme Stelle erreichend, seine Kugeln einscharrt, um seine Eier in dieselben zu legen. Die Ebene bei Bona hat eine Meile im Umkreis. Nach der Stadtseite ist sie mit Gärten bedeckt, deren Besitzer grösstentheils Eingeborene sind. Unter den Gartenfrüchten, die hier besser, als in irgend einer andern Gegend Europas und Afrikas gedeihen, erwähne ich die in allen Formen und Grössen vorkommenden Melonen und Gurken. Südlich von diesen Gärten beginnen schöne Wiesen, von denen nur wenige morastig sind. Eine kleine halbe Stunde südlich von Bona liegt das schöne Landgut des Generals d’Uzer, früheren Ober- Commandanten von Bona, dessen Andenken selbst von einem so vergesslichen und wenig dankbaren Volke, wie die euro- päischen Auswanderer, noch allgemein gefeiert wird, und selbst manchem eingebornen Christenhasser noch Thränen entlockt. Er war gleich geliebt von den Eingebornen, wie von der Armee und den Pflanzern, und solche drei sich wider- streitenden Interessen und Sympathien hat meines Wissens keiner seiner Nachfolger mehr für sich gewonnen. Das 252 d’Uzer’sche Landgut, welches jetzt für Rechnung des Gene- rals von seinem Neffen ausgebeutet wird, ist das einzige be- merkenswerthe Culturetablissement dieser Gegend. Der be- rühmte Yussuf besitzt einen schönen Garten an den Ufern des Seybuss mehr zur Lust und Zeitvertreib, als zum Gewinn durch Bodenanbau. Es stehen dort schöne Palmen und Süd- fruchtbänme, und das Landhaus ist mit dem Luxus eines Se- rails eingerichtet. Hügel von 6—800 Fuss Höhe, sehr fruchtbar, sehr üppig bewachsen mit Baum, Busch und Kräu- tern, umsäumen diese Ebene auf der Südseite und schliessen sich der höhern Ringmauer der Berge gegen Westen an. Gegen Norden ist die Ebene vom Meer begränzt und gegen Osten ist sie mit der Ebene des Seybuss im Zusammenhange. Einige Punkte auf diesen Bergen bieten recht hübsche Lust- partien und weite Aussichten. In Bonas Umgegend sind die Ausflüge minder gefährlich als in allen übrigen Theilen der Regentschaft Algier. Man kann mit sehr wenig Gefahr Ta- gereisen weit sich in das innere Land vertiefen und bei den Stämmen bis zehn Lieues Entfernung einer halbgastlichen Aufnahme ziemlich gewiss sein. Nur in den Bergen ist Vor- sicht rathsamer. Wenigstens wagt Niemand in Bona, dort hineinzudringen, vielleicht mehr, weil die Berggegend selte- ner betreten und weniger bekannt ist, als wegen wirklicher Gefahr. Ich hörte niemals, dass dort Unfälle sich ereignet hätten, allein man wusste, dass die Gegend von Kabylen be- wohnt war, und der Schrecken vor diesem Bergvolk ist un- ter den Europäern sehr gross. In der That könnte man bei der Einsamkeit der Gegend von jenen schrecklichen Kohlen- brennern, die den Fremden auf ihren Höhen von weiter Ferne schon bemerken, ermordet werden, ohne dass die That je - ruchbar würde, weil wie gesagt oft in Jahren kein Europäer 253 in diese Berge sich wagt. Es giebt einige wunderhübsche besuchenswerthe Partien dort, namentlich oberhalb des Block» hauses der Fontaine, zu welchem lieblicher Waldschatten und das Brausen eines Quellsturzes lockt und wo eine herrliche Aussicht über Bonas halb kesselförmige, frischgrüne Ebene, die Stadt, den Hafen, das ‚Meer und die ungeheure Seybuss- ebene, das drückende Gefühl der Lebensgefahr verschmerzen lässt. Die Ruinen des berühmten Hippo regius,‘ des Lieblings- aufenthaltes der numidischen Könige und Bischofsitzes St. Au- gustin’s, liegen nur eine Viertelstunde südwestlich von Bona, theils in der Ebene, theils auf zwei Hügeln, zwischen den Flüssen Budschimah und Seybuss, ersterer die Armua, letzterer der Ubus der Römer. Durch die Fruchtbarkeit seines Bodens war Hippo zu Anfang der christlichen Zeitrechnung der Mit- telpunkt des Handels und der Civilisation geworden. Daher erhoben sich auch zahlreiche Gebäude auf den beiden Hügeln, die ihre Mauern umschlossen. Es waren Theater, Paläste, Tempel und später Klöster, Kirchen und öffentliche Schulen, wo die Künste und Wissenschaften dieselbe Höhe, wie da- mals in Italien erreichten. Doch schien ein mächtiges Hin- derniss schon vom Anfang an sich der Vergrösserung der Stadt zu widersetzen. Die Natur verweigerte der Stadt Hippo das Wasser ihrer unterirdischen Behälter, und die Nachbar- schaft des Meeres machte das Flusswasser des Ubus unge- sund. Aber die römische Bauthätigkeit hatte diesem reichlich abgeholfen. Von dem Saume des Pappua aus erhob sich eine Wasserleitung; sie ging auf Bögen über zwei Thäler und ei- nen Fluss, durchbohrte dann zwei Hügel, und brachte auf diese Weise das reine Wasser der Gebirge nach der Stadt. Eine hohe und dicke Mauer mit runden Thürmen umgab den 254 Doppelhügel. Im Osten bespülte sie den Ubus, von dem sie durch einen Kai getrennt war, der aus Marmorblöcken von Hippi Promontorium bestand. Auf dem Gipfel des höchsten der beiden Hügel erhebt sich ein Palast. Es war die Residenz der Könige von Nu- midien, wenn sie Hippo besuchten,, und sie besuchten es oft; denn bezaubert ohne Zweifel von der Schönheit der Lage, schienen sie den dortigen Aufenthalt dem von Cirta vorzuzie- hen, obwohl dieses die Hauptstadt war. Daher nannte man auch jenes Hippo regews, und in der That, von den Fen- stern des Palastes aus gesehen, machte die Landschaft von Hippo sogar die Blicke eines Königs entzücken. Nach wel- cher Seite man sich auch hinwendete, so erblickte man die Terrassen einer reichen, glänzenden, belebten Stadt, umgeben von einem Gürtel von Thürmen und Wällen. Gegen Osten zog ein Gebäude von viereckiger Form die Blicke auf sich. Es war kurze Zeit vor dem Verfalle Hippos vollendet wor- den, und hatte noch die Frische und den Glanz eines neuen Baues. Es war eine Anstalt der Barmherzigkeit. Man ver- dankte sie dem Bischof Aurelius Augustinus, dessen Name damals schon verehrt war. Das Gebäude ruhte auf sieben Reihen von breiten Bögen, die geräumige Becken bildeten, ‘welche bestimmt waren, das Regenwasser zu sammeln. Zu einer Zeit der Unordnung konnte die Kette der Wasserlei- tung zerbrochen werden. Eine zarte Sorge für die Unglück- lichen, welche dort ein Asyl finden sollten, hatte gehofft, sie auf diese Weise gegen die Wechselfälle des Krieges zu schützen. Am Fusse des Hügels war das Bett des Ubus. Man sah ihn von Norden nach Süden fliessen, dann sich nach Osten zurückbiegen, endlich wie einen schwarzen Faden in 255 einem goldenen Tuche, mit dem die Cultur die Ebenen be- deckte, verschwinden. Noch weiter südlich dehnte sich der Golf aus, in weiter Halbmondform, dessen ganze Ausdehnung man von der Höhe des Hügels beherrschte. Zur Linken, etwa zwei römische Meilen entfernt, fing das Gestade an steil zu werden, dort war die kleine Stadt Aphrodisium *) erbaut, dort ankerten gewöhnlich die grösseren Schiffe, und da wäh- rend der schönen Jahreszeit die Durchfahrt des Ubus enger und schwieriger war, so zogen viele Schiffe den Ankerplatz bei Aphrodisium vor. Es war dieses auch ein Anhaltspunkt für die Fahrzeuge, welche in einem breiten, am Meerufer aus- gegrabenen Brunnen Wasser holten. Daher hatte diese kleine Stadt Wichtigkeit erlangt. Ein Kai zum Ausschiffen der Waaren war dort gebaut worden, und auf dem steilen Seege- stade stand ein T’empel der Venus errichtet. Gegen Norden war der Horizont in geringer Entfernung durch die Kette des Pappua begränzt. Hundertjährige Wäl- der, Fruchtbäume aller Art, cultivirte Felder, Wiesen, nackte Felsen, gaben diesem weiten Vorhang die Schattirungen der verschiedensten Farben, und zackten die Gipfel des Gebirgs, welches so dunkel unter einem so reinen Himmel sich erhob, auf tausenderlei Weise aus. Bei dem ersten Blicke schien es, als sey dieses Gebirge vom Fusse bis zum Gipfel nur ein einziger Abhang, aber breite Schatten auf seinen Flanken zeigten tiefe Abhänge an und verriethen selbst auf eine grosse Entfernung die Schwierigkeit für Truppen, dort hineinzudrin- gen. Daher hatten sich auch in diese Schlupfwinkel die Nu- midier, dieses seinem Namen, seiner Natur und Geschmack nach gleich wilde Volk, vor der Eroberung und der Civilisa- °) Aphrodisium ist das heutige Bona. 256 tion Roms geflüchtet. Einige empörte Fürsten hatten dort auch ein Asyl gegen die Rache der Eroberer gesucht, und nur mit grosser Mühe war es den Legionen der Proconsuln gelungen, sie dort zu erreichen. Am Fusse des Pappua und auf dem höhern Theil der Ellen erhoben sich kleine Hügel, auf welchen mitten unter dem Laube von Oliven, Brustbeerbäumen und Myrten, weisse Villas und Lusthäuser, Monumente des Luxus, des Wohlseyns und Reichthums hervorschimmerten. Gegen Westen und Sü- den dehnten sich weite Ebenen aus. Sie waren mit reichen Erndten bedeckt; es war der Kornspeicher, wo Italien sich verproviantirte. Hie und da belebten einige Gruppen von Orangen- und Citronenbäumen, eine einsame Palme, ein Lust- haus im lachenden Thalgrunde, ein Tempel am Saume einer römischen Strasse das Gemälde, welches im Nebel der Ent- fernung den Thambes und den Mampharus mit ihren spitzi- gen Gipfeln und nackten Rücken sehen liess. Die hauptsächlichsten Ruinen dieser weiland so blühen- den Stadt, welche das Schicksal der numidischen Colonie und des grossen Römerreichs selbst getheilt hat, und in ihrem Verfall mit so vielen gleichfalls versunkenen Nachbar- grössen, wie Karthago, Cirta, Utica, sich trösten kann, beste- hen in einer Reihe von Cisternen, die in zwei Hauptgebäude getheilt sind, von denen jedes sieben Cisternen inne hat. Die Länge derselben beträgt 147, die Breite 129 Fuss, die Höhe der Bögen 28 Fuss. Sie stützen sich gegen Süden auf den ziemlich steilen Abhang des Hügels. Die Reste eines römi- schen oder vielleicht byzantinischen Aquaeducts liegen in dem engen Thal des Uad-el-Defly, „Oleanderbachs“, südöstlich von Hippo. Es stehen etwa noch zehn Arkaden davon. Der Canal befand sich auf einer Höhe von 66 Fuss über der 257 Meeresfläche. An dem linken Ufer des Seybuss, an der Stelle, wo jetzt die schwimmende Brücke steht, erblickt man auf dem Abhange des kleinen Hügels, welchen Hippos Ge- bäude bedeckten, die Spuren eines Theaters, dessen halb- kreisförmiger Umkreis 330 Fuss beträgt. Hinter diesem Thea- ter, auf dem Gipfel des Hügels, wo man nur sehr wenige Spuren alter Gebäude bemerkt, stehen jetzt einige Soldaten- baraken, bei welchen man noch eine grobgearbeitete Mosaik ohne Zeichnung bemerkt. Das Theater liegt dem Seybuss gegenüber, der nur hundert Schritte davon entfernt ist. Der brittische Reisende Dr. Shaw äussert in seinem al- ten gediegenen Werk die Meinung, Bonas halbkreisförmige Ebene könne wohl .die Bucht und der Hafen von Hippo ge- wesen seyn, denn die Barre des Seybuss, wenn sie jetzt so beschaffen war, wie damals, war selbst für die kleinen römi- schen Schiffe im Sommer schwerlich zu passiren und Hippo hätte, wenn es dem Meere nicht näher gestanden, nur durch den Hafen von Aphrodisium Seehandel treiben können. Be- trachtet man in der That die Form der Ebene, die an man- chen Stellen kaum das Meerniveau überragt, sowie die Ge- staltung der sie einschliessenden Berge, welche dem Bucht- saum fast aller nordafrikanischen Hafenstädte ähnelt, so fühlt man sich versucht, der Meinung Shaw’s um so mehr beizu- pflichten, als von vielen numidischen Städten das Meer augen- scheinlich zurückgewichen ist. Karthago, Utica, Hippo Zary- tus, deren Ruinen in der heutigen Regentschaft Tunis gele- gen sind, waren einst Seehäfen; jetzt muss man ihre Ruinen einige tausend Schritte vom Meer entfernt suchen und untrüg- liche Spuren zeigen, dass das Meer dort einst tiefer in das Land hineingegangen war. Die Meinung Shaw’s über den Hafen von Hippo blieb so lange geltend, lis 1834 Nachgra- Morıtz Waener’s Algier. 1. 17 258 bungen in der Mitte der kleinen Ebene, welche die alte Bucht gewesen seyn soll, zur Entdeckung von Gräbern führten. Es wurden Münzen, römisches Töpfergeschirr, Waffenfragmente zu Tage gefördert, und hiermit war es wohl unwiderleglich bewiesen, dass Alles auch vor Zeiten schon in dem heutigen Stand gewesen und dass jene Revolution des Küstenterrito- riums, welche bei andern numidischen Küstenstädten so deut- lich vorliegt, bei Hippo spurlos vorübergegangen ist. Hippos Ruinen machen zwar lange nicht den mächtigen Eindruck, wie der Anblick der Trümmer von Lambaso und Heliopolis, doch gehören die Cisternenreste, die jetzt wie be- graben liegen unter einer prächtigen schattigen Baumflora, zu dem Schönsten was in dieser Art die Provincia Africa aufzuweisen hat. Ich besuchte Hippo fast täglich und wohnte sogar einige Tage mitten unter seinen zerstreuten Steinhau- fen, in einer kleinen Caserne, auf demselben Hügel , wo das Amphitheater gestanden. Ein junger französischer Officier, mit dem ich befreundet worden, und der es liebte, Gedanken auszutauschen, an einem Orte, wo eine grosse Vorzeit den Mitsprecher machte in der Abendstille, theilte dort seine Woh- nung mit mir. Die Umgebung der Cisterne ist ein Südgar- ten, wie man wenig schönere sieht, so kräftig grün ist Gras und Baumlaub, so duftig der Schatten, und in der Gegend waltet ein wohlthuender Friede, der das Glück des Einsied- lerlebens preist und um so besser denen zusagt, die dorthin vom Lagergetümmel kommen. Allen Besuchern steht der Eintritt, das Umherstreifen in den Gärten, auch wohl das Pflücken der Früchte frei, in so weit man die Nachsicht des Besitzers nicht allzusehr missbraucht. Inmitten der Feigen- bäume und Brustbeersträuche in den Umgebungen der Ruinen steht ein hübsches Landhaus, wo ein französischer Wirth sich 259) angesiedelt hat, und Bälle, Gastereien mit andern Sonntags- zerstreuungen giebt. Lustiger Walzertact, das Geräusch der Kneipenfiedler, Gesänge sehr weltlichen Inhalts und andere Lust dieser Art treiben ihr Unwesen an der Stelle, wo einst St. Augustin zu einer christlichen Versammlung salbungsrei- che Worte sprach. In dem Garten erhebt sich ein ein- zelnes starkes Mauerstück, von dem man behauptet, es sey das letzte Fragment der Kathedrale jenes Kirchenvaters. Aber nichts unterstützt diese Meinung, als die Sage, deren Ursprung man nicht kennt und die vielleicht in ganz neuer Zeit ausge- heckt worden. Der Heilige hat die cynische Entweihung der letzten ge- benedeiten Steine nicht ungerächt gelassen, denn der franzö- sische Wirth, mit dem es schon zur Zeit meines Aufenthaltes auf die Neige ging, hat, wie ich seitdem erfahren, bankerott gemacht und die profane Kneipe ist wieder geschlossen. Auch auderen Entheiligungen ist eine merkwürdige Strafe gewor- den. In einem Cisternengewölbe quartierte sich nämlich in der Nacht eine Menge gehörnter, unruhiger Gäste, Ochsen, Hammel, Ziegenböcke ein, die den Boden mit einer ınfläthi- gen Kruste überzogen. Einst stürzten während der Nacht einige grosse Steinblöcke über der Eingangswölbung zusam- men und versperrten ihren nächtlichen Gästen den Ausgang nach der grünen Weide. Die arabischen Hirten vermochten einen ganzen Tag lang nicht, die Oeffnung wieder frei zu machen. Da hätte man die zerknirschten Sünderstimmen im Innern hören sollen! Hier das Basslamento eines langgehörn- ten Stiers, dort das reuige Meckern eines bärtigen Backs; sie waren einen ganzen langen Tag um ihr duftiges Gras ge- bracht und zum Fasten verdammt. Der gegenwärtige Bischof von Algier Dupuch, ein Maun, 17 260 der von den gläubigen und ungläubigen Christen dieses Lan- des, ja selbst von den Mahomedanern, seines menschenfreund- lichen Charakters und seines mildthätigen Sinnes willen sehr verehrt wird, besuchte die Provinz Constantine im Frühlinge 1839 und las auf den Ruinen von Hippo die Messe unter freiem Himmel. Alle Malteser der Stadt Bona hatten sich aus Andacht, die Franzosen wohl aus Neugierde zu der Feier eingefunden, jeder Stein war mit Zuschauern oder Betern bedeckt. Es mag dieser Gottesdienst auf dem Schutthaufen von St. Augustin’s Diöcese, wo der heilige Glöckchenton, der Weihrauchduft und der lateinische Gesang eine Pause von 1400 Jahren gemacht, eine seltsam rührende Scene gewesen seyn und der edle Prälat soll anfangs innig geweint, dann seine Bewegung meisternd, mit einer von Begeisterung erho- benen Stimme die Messe geendigt haben. Leid that es mir, dass ich diesen Auftritt nicht mit ansehen konnte. Ich ging oft in den Gängen des grossen Cisternengebäudes und in den belaubten tieferen Räumen spazieren, wenn ich aber dort Menschen sah, so wirkten sie nur störend. Französische Soldaten stellten sich hie und da ein, um die halbreifen Fei- gen zu schütteln und Beduinen trieben ihre Heerden vorbei. Einmal aber traf ich drei Soeurs de la char.te, die kürz- lich aus Algier gekommen waren, um in Bonas Civilhospital die Krankenpflege zu übernehmen. Es war eine ältere Da- me und zwei junge Schwestern, zu deren lichtbraunen Augen und sanftrosigem Teint die schwarz und weisse Nonnentracht vortrefflich stand. Die edeln Frauen wandelten still sinnend unter den Ruinen; sie musterten jeden Stein, der von den Gebäuden losgerissen lag, jedes Blümchen, das aus dem Steine wuchs, jede geflügelte Cicade, die auf der Blume sich schaukelte, mit Liebe und Interesse und die sanften Züge 261 waren von der Erinnerung einer lange entschwundenen Zeit verklärt. Ich sah dem Spaziergang dieser im Ordensgewande so feierlich schönen Gestalten mit grosser Theilnahme zu und freute mich, dass es in Bona doch auch Menschen gab, wel- che Hippo in anderer Absicht besuchten, als um Feigen zu schütteln, und Kühe einzustallen. Ganz in der Nähe Bonas fliessen, wie bereits erwähnt, die Budschimah und der Seybuss. Erstere entspringt bei dem Lager Neschmeia; sie ist nicht wasserreich und hat immer, selbst in den Zeiten der Regengüsse, einen trägen Lauf. Im Sommer steht sie ganz stille, und hat gar keinen Ausfluss nach dem Meer. Die Brandung wälzte an der Mündung eine Sandmasse auf, auf welcher man völlig trocken passiren kann. Selbst im Winter hat die Mündung nicht über einen Fuss Tiefe und das Wasser ist dann stinkend und ungeniess- bar. In der Nähe von Hippo führt über die Budschimah eine Brücke, die noch von den Römerzeiten her datirt. Sie hat eilf Bögen. Ein Theil davon war unter der nachlässigen Türkenherrschaft trotz ihrer alten Solidität in Trümmer zer- fallen und wurde erst 1834 wiederhergestell. . Die alte Form ist nun theilweise verschwunden, es ist eine geflickte Antike, die aber jetzt vollkommen ihre Dienste wieder thut. Der Seybuss fliest nur ein paar hundert Schritte östlich von der Budschimah ins Meer. In der Nähe seiner Mündung ist dies ein ziemlich ansehnlicher und tiefer Fluss, über 300 Fuss breit. Der Hauptarm des Seybuss entspringt im Innern der Provinz Constantine, auf dem Dschibel-Taladı, südöstlich von der Stadt Constantine. Er wechselt im Laufe mehrmals seinen Namen. An seiner Mündung ist, wie fast bei allen afrikanischen Strömen, eine Sandbarre aufgethürmt, so dass der Fluss dort im Sommer nicht über fünf Fuss 262 Tiefe hat. Zur Regenzeit beträgt die Tiefe etwa zehn Fuss. Alsdann können kleine Schiffe wohl einfahren und vor den Orkanen sich sicher stellen. Da aber die Sandbarre bald fällt, bald steigt, je nach den Einflüssen des Wetters, der Meerbrandung oder der Flusshöhe, so trifft es sich manch- mal, dass eingelaufene Schiffe nicht mehr in die See hinaus- können und wochenlang im Flusse gefangen bleiben, bis die Sandbarre wieder gefallen. Der fürchterliche Sturm im Februar 1835, der in Bona wie in Algier unerhörte Verhee- rungen angerichtet, riss durch seinen Wellenschlag die Bar- re völlig weg, so dass eine Zeitlang für ganz grosse Schiffe der Eingang frei war. Die Wuth des Elementes bewirkte damals in einem Augenblicke, was jetzt nur durch jahrelange, äusserst kostspielige Molobauten bewerkstelligt werden könn- te, man müsste zwei Molos bauen in einem Halbkreise von 1200 Fuss. Diese würden gering angeschlagen über zehn Millionen Franken kosten. Aber auch dadurch wäre die Mündung des Seybuss gegen den Andrang des Sandes nicht völlig geschützt und der Eingang jedenfalls schwierig. Für die Herstellung eines Hafens wäre es vortheilhafter, einen Molo dicht an der Stadt herzustellen und denselben vom Fort Cicogne aus etwa 1000 Fuss gegen Süden fortzuführen. Auch für die Binnenschifffahrt bietet der Seybuss keinen Vortheil. Die Boote der Brigg Dragon, welche im Septem- ber 1937 eine Fahrt stromaufwärts machten, konnten nur bis in die Nähe des Lagers Drean kommen, wo das Wasser kaum zwei Fuss mehr hat und selbst bis dorthin giebt es im Sommer viele Untiefen. Es könnten also höchstens nur eini- ge Colonisten, die in der grossen Ebene an dem Ufer des Seybuss sich niederliesen, für die Ausfuhr ihrer Producte nach Bona von der Flussschifffahrt einigen Nutzen ziehen. An 265 andern Orten im Innern, wo ich den Seybuss wieder sah, ist seine Tiefe sehr abwechselnd, bei Ghelma kaum 1!/, Fuss, bei Medschez - Ammar, wo er enger zusammengedrängt ist, an manchen Stellen vier bis fünf Fuss. Ueber den Sey- buss führt bei Bona keine Brücke. Man macht die Ueber- fahrt auf einer grossen Fähre (Zac de passage, wie sie die Franzosen nennen), die jede halbe Stunde durch ein von ei- nem Ufer zum andern gezogenes Seil hinüber und herüber- geschoben wird. In den Morgenstunden, wo viele jenseits des Flussufers wohnende Araber zu Markt kommen, ist diese Fähre stets dicht angefüllt mit Menschen, Rossen und Last- thieren. Das Bild ist äusserst phantastisch, — besonders vom Ufer aus in der Morgendämmerung gesehen — wenn die schwimmende Brücke voll langbärtiger weisser Gestalten im Bernuss, mit langen Flinten bewaffnet, zu Pferd und zu Fuss, dann die Menge von beladenen Maulthieren und Eseln, von Ochsen und Schafen, mit den Arabern in eine Gruppe zusammengedrängt über den Fluss hingleitet! Sechs Stunden östlich vom Seybuss fliesst der Mafragg (Armoniacum der Alten), der gleichfalls in den Golf von Bo- na sich ergiesst. In der Nähe seiner Mündung ist er nicht ganz so breit wie der Seybuss, aber etwas reissender. Seine Ufer bieten einen ganz verschiednen Anblick und sind weder so kahl, wie die des Seybuss, noch so sumpfig, wie die der Budschimah, sondern grösstentheils von wildem Strauchwerk begränzt. Dort ist ein Lieblingsaufenthalt der Eber, die es vielleicht an keinem andern Punkte des Landes, Dellys ausge- nommen, in grösserer Zahl giebt und die dort häufig die Beute des Löwen werden, welcher in jener Gegend gleich- falls seine Wohnung aufgeschlagen hat. Die grosse Ebene, welche der Seybuss und Mafragg 264 durchströmen, giebt der Metidscha au Grösse wenig nach. Sie ist funfzehn Stunden lang und hat eine mittlere Breite von sechs bis sieben Stunden. Bei ihrer reichen Bewässerung und der Leichtigkeit, durch Canalbauten die Sümpfe auszu- trocknen, ein Resultat, das in der Metidscha nur durch viel bedeutendere und kostspieligere Arbeit sich erreichen liesse, bei der friedlichen Stimmung der Araber dieser Gegend, wä- re diese Ebene zu grossen Oulturetablissements einladend. Es hätten zehntausend Pflanzerfamilien hier überflüssigen Raum und Nahrung. Der Bey von Constantine hielt dort zahlreiche Heerden, die ein Staatseigenthum des Beyliks waren. Da- mals bot die Ebene einen viel lachendern, belebtern Anblick. Einige 100,000 Kühe und Schafe sollen in der grünen Jah- reszeit dort stets auf der Weide gewesen seyn, ihre Hüter standen unter dem Befehl des Ben-Yacob und bildeten ein ei- genes Corps. Nach der Eroberung Bonas zogen sich Hirt und Heerden in das Innere zurück. Achmet Bey konnte den Verlust dieses schönen Bodens nie verschmerzen. Eine seiner ersten Fragen an den Juden Busnac (welchen General Dam- remont wenige Monate vor dem Abmarsch der Expedition als Unterhändler nach Constantine gesandt hatte), war: „wie sieht es in der Ebene bei Anapa (Bona) aus?“ Als Busnac erzählte, dass nur noch drei Stämme die Ebene bewohnten, der bei weitem grösste Theil derselben aber völlig unbenutzt liege und die Franzosen dorthin nur zum Eberjagen kämen, da strich der Bey sich ganz erstaunt den Bart und rief: „Wozu verlangen die Franzosen denn meine Felsen und Wü- sten, wenn sie den schönsten Theil meines Beyliks nicht nützen können oder wollen?“ Wie in der Metidscha, so stehen in der Seybussebene einzelne hochstämmige Baumgruppen, aus dreissig bis vierzig 265 Feigen-, Oliven- oder Johannisbrodbäumen bestehend, beisam- men. Sie bilden einen schönen Laubkranz meist in rundli- cher Form und bezeichnen gewöhnlich die fruchtbarsten Stel- len der Fläche. Es sind kleine Oasen des grossen Gefildes, so wie man sie in der Sahara nur in grössern Ausdehnungen und von unendlich grossen Räumen getrennt findet. Alle je- ne kleinen Baumoasen oder Inseln der Seybussebene sind von Duars umgeben und meistens wohnt in einem steinernen Häuschen irgend ein vornehmer Araber, ein Kaid, Scheikh oder Marabut, der gewöhnlich Garten, Felder und einen Kirchhof in der Nähe besitzt. Es sind ganz liebliche Wohn- orte, der Sitz der Kühle und der Queilen, eine Zufluchts- stätte der Blumen und der grünen Kräuter, wenn alle Vege- tation umher in welker Dürre liegt, endlich die Wohnung aller Singvögel der Gegend, die sich hier bergen vor dem heissen Mittagsstrahl. Gleichwohl sind die Oasen der Seybuss- ebene seltener als in der Metidscha und das Gefilde scheint daher noch viel kahler, als die grosse Ebene bei Algier. Bis jetzt ist dort erst eine Fahrstrasse angelegt. Sie führt von Bona nach dem Lager Drean und ist durch Blockhäuser von Stunde zu Stunde beschützt. Bei einigen dieser Block- häuser haben sich bereits kleine Wirthschaften angesiedelt, so dass man auf dem Wege von Bona nach Drean durch ein Glas Wein oder Limonade sich erfrischen kann. Zur Sicher- heit des Reisens tragen diese Blockhäuser, deren Bewachung befreundeten Arabern anvertraut wurde, wenig bei. Denn würde man von einem Räuberhaufen verfolgt dort Schutz su- chen wollen, so hätte die Besatzung gewiss nichts Eiligeres zu thun, als an ihre eigene Sicherheit denkend, die Leiter aufzuziehen und den Verfolgten seinem Schicksal zu überlas- sen. Gar leicht könnte es da kommen, dass man zehn Schrit- 266 te vom Blockhaus ermordet würde, während die Garnison in ihr Häuschen eingesperrt dieses nicht verhindern könnte und passiver Zuschauer bleiben würde. Drei Araberstämme sind in der Seybussebene angesie- delt, die Beni-Urschin, die Kharesas und die Merdass. Er- stere haben sich dort seit 1830 niedergelassen. Vordem wohnten sie viel tiefer im Innern seitwärts von Medschez- Ammar. Die Grausamkeiten und Bedrückungen Achmet Beys brachten sie zum Aufstand. Sie flichteten von Ben- Aissa verfolgt, mit ihren Familien und Heerden in die Um- gegend von Bona, den Schutz der Franzosen anrufend, wel- chen General d’Uzer ihnen kräftig und bereitwillig gewährte. Sie haben sich seitdem sehr treu bewiesen und begleiteten die Franzosen auf allen Feldzügen, wo sich freilich ihre Tapferkeit nicht eben glänzend bewährte. Noch jetzt bilden sie das Corps der irregulären Spahis. Ihre Duars beginnen in ganz geringer Entfernung von Bona, jenseits des Seybuss und erstrecken sich von dort drei bis vier Stunden östlich. Die Beni-Urschin sind seit ihrem Bündniss mit den Franzo- sen reich geworden. Oft nahmen sie Theil an der Beute, die bei feindlichen Stämmen gemacht wurde, vermehrten da- mit ihre Heerden und versahen den Markt von Bona. Ich kam fast täglich an ihren Duars vorbei, wenn ich jenseits des Seybuss am Ufersande Insecten suchte. Stets kamen dann die kleinen Araber und Arabermädchen, wenn sie mich von ferne gewahr wurden, aus dem Zelt gelaufen, schauten meiner Beschäftigung zu, brachten mir von den grossen schwarzen Käfern, die dort umherliefen, und lernten bald die selteneren Arten, welche ich vorzugsweise wünschte, von den gemeineren unterscheiden. Immer aber wollten sie auf der Stelle eine Belohnung. Uachad Soldi! Uachad Soldi! schrien 267 sie nach dem geringsten Fund und kaum hatte ich gegeben, so wollten sie wieder. Diese Bettelhaftigkeit der arabischen Kinder und Weiber findet man leider bei allen Stämmen, die in die Nähe der französischen Städte gezogen; bei ent- fernteren Stämmen ist keine Spur davon. Alle Araber glau- ben, die Rummis (Christen) besässen unversiegbare Geldquel- len. Zuweilen lud ich mich in den Duars der Beni- Urschin zu Gast und wurde da in der Regel ziemlich freundlich em- pfangen und mit Milch und Kuskusu bewirthet. Der Typus dieses Stammes ist sehr abweichend, besonders unter den Weibern, eben so der Teint. Viele sind sehr gebräunt, mit pechschwarzen Haaren, einzelne aber auch sehr hellen Teints, die Haare hellbräunlich. Ein Mädchen von etwa zehn Jah- ren fiel mir oft durch die schöne weiss und rothe Gesichts- farbe und den edlen Schnitt der Züge auf, Es war die Tochter eines Scheikhs, reinlicher als die übrigen, ohne Ma- lerei im Gesicht, sehr schüchtern und verschämt und doch ihres schönen Gesichtchens sich bewusst. So oft ich ihr ir- gend einen Scherz sagen wollte, floh sie zu ihrer Mutter und verbarg ihr Gesicht. Die Beni-Urschin zählen etwa fünfhundert Familien. Die Kharesas, welche kurze Zeit nach ‘dem Uebergang der Beni-Urschin sich gleichfalls unter fran- zösischen Schutz stellten, wohnen etwas entfernter. Ihre Duars, die sehr zerstreut sind und mehr im westlichen Theil der Ebene liegen, beginnen erst eine Stunde von der Stadt. Die Kharesas sind an Zahl den Beni-Urschin etwa gleich und bilden mit ihnen einen Theil der irregulären Spahis. Die Wohnsitze der Merdass liegen an beiden Ufern des Mafragg, der grössere Theil wohnt jenseits dieses Flusses. Es ist ein zahlreicher Stamm im Besitz schöner Weideplätze und unermesslicher Heerden, früher auch wegen seiner 265 Diebereien berüchtigt. Einige heilsame Lectionen des Gene- rals d’Uzer, der ihnen einmal über sechstausend Schafe weg- nahm, brachten die Merdass zur Ruhe und Ordnung. Die Fraction, welche diesseits des Mafragg wohnt, unterwarf sich seit 1854. Der grössere Theil des Stammes, dessen zer- streute Duars von dem rechten Ufer bis fast in die Ebene von la Calle reichen, konnte erst seit dem Sturze Achmet’s zu den Freunden der Franzosen gerechnet werden. La Calle, eine alte Handelsniederlassung der Franzosen, ist 27 Stunden östlich von Bona gelegen. Gut bewaffnet und in Begleitung kann man. die Reise dorthin ohne Gefahr zu Land machen. Oefters gehen Jagdpartien dorthin, welche jenseits des Mafragg Löwen aufsuchen. Viel bequemer ist natürlich die Reise zur See. Es fahren zweimal wöchentlich kleine Küstendampfboote dorthin. La Calle ist jetzt ein blos nur von Korallenfischern bewohntes Dorf, dessen Bevölkerung zur Sommerzeit zuweilen über 500 Köpfe beträgt, je nach- dem die Korallenhändler in Europa mehr oder minder gute Geschäfte machen. Das alte französische Fort, dessen Rui- nen noch stehen, war auf einem Sandsteinfelsen am Meere erbaut. Der Hafen ist enge, seicht, durchaus nur kleinen Fahrzeugen zugänglich. In der Umgegend giebt es schöne Wälder von Fichten (Pinus maritima) und Pistaciabäumen. Es sind einzelne Bäume darunter von 1'/, Fuss im Durch- messer, die zum Schiffbaue benutzt werden könnten. Süd- lich von la Calle liegen drei sogenannte Seen, eigentlich nur sumpfige Weiher von mittelmässigem Umfang, die zu der ausserordentlichen Ungesundheit der Gegend und der Sterb- ichkeit der Europäer nicht wenig beitragen. Die Sümpfe reichen bis dicht an die Wohnungen la Calles. Doch scheint die Tödtlichkeit des Klimas seit dem vorigen Jahrhundert, 269 wo nach den Berichten Poiret’s die dort ansässigen F ranzo- sen der Compagnie d’Afrigue oft in vier Tagen von tücki- schen Fiebern hinweggerafft wurden, bedeutend nachgelassen zu haben. Die Franzosen hatten bereits im Jahre 1520 wenige Stunden östlich von la Calle die erste Niederlassung, Basteor de France genannt, auf der berberischen Küste gegründet. Wegen der Ungesundheit ihrer Lage wurde sie aufgegeben und die Unternehmer zogen nach la Calle, wo sie aber vom Fegfeuer in die Hölle kamen, denn alle alten Reisenden, wie Shaw, Peyssonel, Poiret, schilden la Calle als ein Fieberla- zareth. Dennoch bewog die Gewinnsucht die Handelsgesell- schaft zu einer dreihundertjährigen Ausdauer, obwohl’ sie nächst dem Klima auch an den Eingebornen Todfeinde hatte, welche mit Mord und Plünderung sie bedrohten und endlose Plackereien sich gegen sie erlaubten. Oefters war die Com- pagnie momentan vertrieben worden, hatte sich aber dann immer mit den Deys wieder verglichen und ihren Verkehr mit dem innern Lande neu begonnen. Erst am 18. Juni 1827 wurde sie definitiv aus la Calle verjagt und das Dorf von den Arabern niedergebrannt. Die Compagnie d’ Afri.- gue hatte gegen eine Bezahlung von jährlichen 200,000 Franken das ausschliessliche Monopol des Ausfuhrhandels und bezog namentlich Getreide, Schafwolle, Häute, Oel, Wachs und rohe Seide aus dem innern Land. Ihren Haupt- gewinn machte jedoch die Korallenfischerei aus, welche auf der Küste von Cap Rosa an bis zur Insel Tabarka äusserst ergiebig ist, ja unerschöpflich scheint. Die gegenwärtigen Civilbewohner von la Calle, grössten- theils Neapolitaner und Sarden, haben gar keine andere Be- schäftigung, als den Korallenfang. Die Bemannung der 270 Korallenschiffe besteht aus zehn gemeinen 'Korallenfängern und dem Capitän, der das ganze Vertrauen des Rheders be- sitzt und die ganze Verantwortlichkeit hat. Die gemeinen Korallenfänger sind aus den untersten Classen der Gesell- schaft, und ihre Arbeit ist eine wahre Galeerenarbeit; auch sollen mehrere derselben ehemalige Galeerenflüchtlinge seyn, die zu diesen mühseligen Arbeiten sich erst dann entschlos- sen, nachdem sie vergebens eine andere Unterkunft gesucht hatten. Aus den gemeinen Arbeitern wählt sich der Capitän einen Stellvertreter, der, wenn er lange tadellos die Stelle als zweiter Commandant, die ihn jedoch von keiner Arbeit frei spricht, versehen hat, selbst Capitän zu werden Hoff nung hat. Der Boden des Meeres bei la Calle starrt von Felsen verschiedener Höhe. Die Korallen erscheinen auf allen Thei- len dieser Felsen, auf dem Südabhang gegen das Land hin aber reichlicher und besser, als auf dem Gipfel und dem Nordabhange. Der"Fang geschieht zwischen dem Cap Bizer- ta und dem Cap de Garde in der Nähe des genuesischen Forts, in der grossen, 25 Lieues weiten Bucht zwischen beiden. In dieser Bucht finden sich die Rhede von Bona, der kleine Hafen der ehemaligen Bastion, der von la Calle, und endlich der Hafen von Tabarka. Die Korallenfischer entfernen sich nie über sechs bis acht Lieues von der Küste, und eine lange Erfahrung hat sie die Orte kennen gelehrt, welche dem Fange die günstigsten Aussichten darbieten. Die Faden der Netze sind von Hanf, so dick, wie eine kleine Schreibfeder, und die Maschen sehr gross. Jedes Netz bildet einen grossen Bündel, und wenn es ausgebreitet ist, zerfällt es gewöhnlich in sieben Abtheilungen, die an zwei ins Kreuz gelegten, vier Zoll dicken und vier Fuss langen Hölzern E 271 befestigt sind. Da, wo sich die Hölzer kreuzen, ist ein sehr langes und starkes Tau befestigt und auf der entgegengesetz- ten Seite ein schwerer Stein oder ein Stück Blei. Die Ne- tze sind befestigt eines an dem mittleren Theil unter dem Stein, eines an jedem der vier Enden und zwei an der Länge der Hölzer hin. Wenn man das Netz ausgeworfen hat, und durch den Stoss, den das Schiff erhält, fühlt, dass es den Felsen gefasst hat, so rudert man, wie stark auch Strömung und Wind seyn mögen, gegen Norden, und die ganze Mannschaft zieht mit Anstrengung am Tau; sobald der Untercapitän, der dieses mühselige Manoeuvre leitet, bemerkt, dass es geglückt ist, befiehlt er plötzlich loszulassen. Das Netz wird dadurch frei und schleppt sich gegen eine andere Spitze des Felsens, bis es sich wieder festhängt. So geht es 1!/, bis zwei Stunden fort, während welcher Zeit das Netz etwa zwanzigmal den Felsen fasst. Reicht die Kraft der Mannschaft nicht zu, um das Netz loszumachen, so wen- det man den Krahnen an. Manchmal haben die Netze nichts gefangen, als verschiedene Zoophyten, Stücke von Madrepo- ren, Algen, Steine u.s.w. Auf denjenigen Schiffen, wo man viele Korallen gefangen hat, erhebt sich ein Freudengeschrei. Der Sold des. gemeinen Koralienfängers beträgt 25 — 308 Franken monatlich, der des Capitäns 50 — 60. Dieser Sold wird jährlich bezahlt, die Nahrung bestrei- tet gleichfalls der Rheder. Der Capitän hat eine Bouteille Wein täglich und etwas Branntwein; der gemeine Korallen- fischer nur Wasser. Jedes Schiff zahlt an die französische Regierung für die Erlaubniss zum Fang 216 Piaster im Sommer, und 104 Piaster im Winter, zusammen also 320 Piaster oder 1728 Franken. Hiezu kommen noch 1800 Franken für Lebensmittel, so dass, ungerechnet die Ausbes- 272 “ serung der Schiffe und namentlich der Netze, von denen man sehr viel braucht, die Gesammtausgaben sich auf 7488 Franken belaufen. Der Ertrag eines Sommers ist gewöhn- lich 150, der eines Winters 50 Pfund, also zwei Centner im Ganzen. Beträgt der Fang mehr, so gilt er für vortreff- lich, beträgt er unter einem Centner, so deckt er die Kosten nicht. Der gewöhnliche Preis der Korallen beträgt 70—75 Franken das Pfund a 12 Unzen. Beträgt der Fang nur einen Centner, so macht dies 7500 Franken oder weniger als die Kosten aus. Der Wetteifer der Korallenfischer unter einander schützt die Rheder vor Betrug und Lässigkeit des Capitäns; hat einer zwei Jahre nach einander weniger Ko- rallen gefangen, als der andere, so wird er entlassen. Die Zahl der Korallenschiffe zu la Calle wechselt sehr: im Jahre 1836 waren es 200, im Jahre 1837 eben so viel im Sommer und funfzig im Winter. Unter der Lei- tung der alten Compagnie betrug die Zahl der Fahrzeuge alle Jahre 7—800; im Jahre 1825 zählte man 450, im Jah- re 1826 389. Früher war ein Dritttheil der Fahrzeuge von französischen Rhedern ausgerüstet, jetzt zählt man unter zweihundert nur noch zehn bis zwölf, die von Corsen ge- führt sind. Die andern Rheder sind aus Neapel, Genua und Livorno. Diese Verminderung, welche einem Aufgeben des Fanges durch die Franzosen gleichkommt, erklärt sich durch den Misscredit, worein die Korallen in Frankreich gefallen sind, während das Product in einigen andern Ländern einen grossen Werth behalten hat. China ist das Land, wohin man am meisten sendet, und wo sie sehr theuer sich verkau- fen. Man darf freilich erstaunen, dass die Franzosen, wel- che nichts für den Fang an ihre Regierung bezahlen, densel- ben ganz aufgegeben haben. 273 In Livorno ist gegenwärtig der Haupthandel mit Koral- len, das Pfund wird dort mit dreissig bis vierzig Lire be- zahlt. Die ganz grossen Korallenzweige, aus denen man Medaillen schneidet, sind ausserordentlich theuer und die schönsten Stücke werden mit tausend Lire und darüber be- zahlt. Zu la Calle liegt eine Besatzung von dreissig Mann, die ein Unterlieutenant commandirt. Ein schönes Hospital ist dort gleichfalls errichtet und zur Zeit meiner Abreise von Bona hatte man den Plan, eine Kapelle dort zu bauen und einen italienischen Priester hinzuschicken. Der Aufschwung la Calles ist im Zunehmen und die Steuer, die der französi- sche Fiscus dorther bezieht, wächst mit jedem Jahre. Sie betrug im Jahre 1838 bereits nah an 380,000 Franken. Wä- re das Klima dort nicht ein kaum zu beseitigendes Hinder- niss jeder Ansiedlung im Grossen, so würde ich la Calle, das nebst dem Korallenfang die Ressourcen seiner schönen Wäl- der hat, eine blühende Znkunft prophezeien. Meine häufigsten Ausflüge machte ich von Bona nach dem Lager Drean, auf der Strasse nach Constantine gelegen. Es ist dies ein bedeutender Waffenplatz in den letzten Jah- ren geworden, der seine Wichtigkeit erst seit der Occupation Storas und der nähern Verbindung Constantines mit dem Meer verloren hat. Drean oder eigentlich Draan ist der Name des Hügels, auf dessen Plateau das Lager steht, und nach ihm wurde der Waffenplatz getauft. Derselbe ist von Erdschanzen und einem Graben umgeben und hat eine bedeu- tende Ausdehnung. Die Soldaten, wie die Subalternoffi- ciere, schlafen unter Zelten. Der Commandant, die Aerzte, die Genieofficiere bewohnen kleine hölzerne Baraken. Drei grosse Baraken, von denen jede vierzig Betten fast, bilden das Hospital. Ausserdem sind zwei Kaffeehäuser, ein Block- Morıtz WAsGNeEr’s Algier. I. 18 274 haus und Stallungen für Pferde innerhalb des Lagers errich- tet. Ein Dorf und Kramläden und Cantinen stehen ausserhalb der Schanzen, wo man wohl eine gute Tafel, aber kein Bett zum Nachtlager findet. Ueberhaupt darf der Reisende in diesem Land, wenn er nicht in jedem Lager Bekannte hat, oder an dortige Officiere empfohlen ist, auf viele Ent- _ behrungen sich gefasst machen; oft wird er sein Nachtlager unter freiem Himmel oder auf der Bank einer Kneipe neh- men müssen, wo Ratten und Ungeziefer seine Bettgefährten sind. Campbell, der englische Dichter, welcher sich 1834 einige Monate in Algier aufgehalten, zu einer Zeit, wo die Franzosen noch wenig Fortschritte gemacht und die Ausflüge in das Innere sehr beschränkt waren, klagt in seinen „Brie- fen aus Algier“ über das entsetzliche Nachtquartier im La- ger Duera, wo er mit zwei Lichtern neben sich und einer langen Peitsche in der Hand auf dem Stroh lag und die ganze Nacht hindurch gegen die Ratten fuchtelte, die bestän- dig sein Lager umschlichen. Heutiges Tages ist Duera noch ein kleines Paris gegen Drean und die Ratten dort noch ein winziges Ungemach in Vergleich mit den Miyriaden von Flöhen, die in dichterer Menge, als man je die Heuschrecken zur Zeit der ägyptischen Plage gesehen, in die Betten, Ba- raken, Zelte sich eingenistet, jeden Winkel, jedes Loch un- ter und über der Erde occupirt haben und gegen deren Sti- che durch kein Mittel Schutz zu finden ist. Hier wurde al- ler Erfindungsgeist der französischen Militairs zu Schanden, gegen diesen Feind vermöchte selbst Hiob’sche Geduld nichts, denn diese müsste auch wohl ausgehen bei dreissig und mehr Nächten ohne Schlaf, ohne die mindeste Ruheerquickung, ge- peinigt, gefoltert von Legionen der schwarzen Spriugteufel- chen, alle mit einem Gebiss, welches Hofmann’s „Meister 275 Floh“ beschämte. Der ganze Boden des Lagers ist zur Nachtzeit nur ein ungeheurer Ungeziefertanzsaal. Tausend blutlechzende Feinde klammern sich gleich an dem Nachtwand- ler fest. Vergeblich erfanden die Franzosen alle möglichen Umhüllungen, vergeblich legten sie sich in mit Kampher durchräucherte Betten, in hohe Hangmatten, überall hin ver- folgten sie die Feinde, die jedes Schweissloch bezeichnen und auf deren Stich manchmal Blut fliesst; Ich halte es für un- möglich, dass jene so schrecklich geschilderte Musquitosmar- ter in Amerika die Leiden dieser afrikanischen Flohhölle übersteige. Man denke sich das Loos des französischen Sol- daten! in eine Wildniss eincasernirt, wo er den Tag zubringt unter dem Brennen der Sonne, mit Hacke und Schaufel ar- beitet bei dem Schanzenbau oder dem Bahnen der Heerstras- sen, in einer von Miasmen geschwängerten Luft, und dann nicht einmal den Schlummertrost hat, seine Leiden ein paar Stündchen vergessen zu können, sich schlaflos wälzen muss auf einer Folterbank, den Mond nicht anschauen darf, ohne ihn zu verwünschen, denn mit ihm kommen ja seine blutsau- genden Quäler, und sich am Morgen wieder matt erhebt zu demselben eintönigen, schweissvollen Tagwerk — ein solches Leben, in welches nur die Bretterschenke einige Stunden Zerstreuung bringt, welch eine fürchterliche Prüfung für eine thatkräftige Jugend, die, ein schöneres Land und glücklichere Tage gewöhnt, der Fahne gleichwohl leichten Sinnes nach Afrika gefolgt war, den Kopf von den ehrgeizigen Recruten- träumen erfüllt und nun hinsiecht ohne Ruhm, ohne den Ka- nonendonnertrost, von Fieber, Hitze, Langweile, Flöhen langsam aufgerieben! ...... Es ist dies wahrhaftig keine Uebertreibung, und wer irgend ein paar Tage im Lager die- ser Provinz verlebt hat, wird mir gewiss beistimmen. 18,7 276 Ich besuchte Drean oft und brachte dann in der Regel einige Tage dort zu, nicht etwa aus Vorliebe für den Ort, der mir immer Grauen machte, sondern weil einige meiner besten Freunde dort wohnten, an die ich nie ohne viele Lie- be zurückdenke. Zu ihnen zählte ich vor allen die Aerzte Trubelle und Favre, namentlich den erstern, wohl der ge- müthreichste Franzose, den ich je kennen gelernt habe, voll Menschenliebe und Aufopferung für seine Kranken, mochten sie Franzosen oder Araber seyn. Eine andere mir höchst schätzbare Bekanntschaft war die des Lagercommandanten Lacombes, der mir Alles, was ich nur wünschen mochte, be- willigte, Escorten, Führer, Pferde, und mir sehr interessan- te Aufschlüsse über die Gegend gab. Lacombes, ein schon ziemlich bejahrter, erfahrener Officier, der eine stürmische Laufbahn durchgemacht und öfters in politische Parteien sich stürzend seinen Grad verloren hatte, liebt wissenschaftliche Plaudereien und disputirte namentlich gern über geologische Hypothesen, sein Steckenpferd. Nächst ihm erwähne ich mit lebhaftem Dank auch der Güte der Herren Bodeau und Ma- gagnos, zweier mir nahe befreundeter Officiere des sieb- zehnten leichten Infanterieregimentes, von denen letzterer recht interessante Studien über Alterthimer und Naturge- schichte gemacht hat. Auf meine Bitte unternahm Commandant Lacombes im August 1837 einen Ausflug nach dem See Fezzara. Kar- falla, Lieutenant der Spahis und Araber von Geburt, war unser Führer und Dolmetscher. "Der See Fezzara ist ungefähr vier deutsche Meilen süd- westlich vom Lager Drean entfernt. Nur sehr wenige Be- wohner Bonas haben denselben besucht, und diese wenigen Individuen sind fast immer Jäger gewesen. Ein einziges Mal 277 nur wurde eine militairische Expedition in jene Gegend wider die Elmas gemacht, deren Wohnplätze an den Ufern des Sees liegen. Oefters kommen einzelne Araber dieses Stam- mes auf den Markt von Bona und bringen den Liebhabern schöner Vögel die scharlachrothen Flamingos, die sie mit den langen Beinen um den Bauch ihrer Pferde binden. Unsere Gesellschaft bestand aus neunzehn Individuen, .al- le beritten und mit trefflichen Doppelflinten bewaffnet. In solcher Zahl, mit guten Waffen, ist in diesem Lande wenig zu fürchten, wenn anders nicht grosse arabische Versamm- lungen in der Nähe statthaben. Wir gingen vor Mitter- nacht ab und erreichten nach einem guten vierstündigen Tra- be die Ufer des Sees. Der europäische Leser möge sich unter den afrikani- schen Seen keinen Lago maggiore und Bodensee vorstellen. Ich habe in der Berberei ausserdem den See Alula und die grossen Morastweiher von La Calle und die Salz- seen der Provinz Oran gesehen. Der Charakter derselben ist in Afrika überall der gleiche. Im Winter, wo die Re- genbäche von den Bergen stürzen und, einen Ausfluss su- chend, über das Land hereinbrechen, da zeigen jene wirklich das Gemälde eines Sees nach unsern Begriffen. Aber im Sommer sind es nur grosse Moräste, aus deren schlammigem Wasser eine zahllose Menge grüner , bodenloser Inseln, von den Wipfeln der Schilfpflanzen. gebildet, emporsteigen. Der See Fezzara ist unter allen Seen der Berberei vielleicht der beträchtlichste, scheint aber in der Ferne gesehen bei weitem grösser, als er wirklich ist. Derselbe hat höchstens vier deutsche Meilen im Umfange. Meine französischen Begleiter waren nicht wenig erstaunt, als sie den See vor uns fliehen sahen, je weiter wir vorrückten. Ein morastiger Grund und 278 hohe schneidende Schilfpflanzen hemmten jetzt unsern Marsch, und wir sahen, immer mit unsern europäischen Ideen von ei- nem See im Kopfe, noch nichts von dem eigentlichen Was- serbecken. Da glaubten meine französischen Begleiter, es sey alles nur Täuschung gewesen, und dieser grosse Sumpf vor ihnen sey eben das Gewässer, welches sie von dem Hü- gel- Drean aus für das Bett eines Sees gehalten hatten. Inzwischen waren meine Gefährten bald für ihre Täu- schung getröstet, denn während wir so dem morastigen Ufer folgend die südliche Richtung einschlugen, fing im Innern des Schilfgrundes das wunderlichste Leben an. Ein unge- heurer Schwarm. von Watvögeln erhob sich mit Schreien, Pfeifen und Schnattern aus dem Wasser. Die jüngern Of- ficiere unserer Gesellschaft, die alle leidenschaftliche Jäger waren, verbrannten hier das den feindlichen Beduinen zuge- dachte Pulver auf wilde Enten, Reiher und Wasserhühner, Zwei Stunden lang dauerte das Knallen fast ohne Aufhören fort. _Der grossen Vögel gab es dort in so bedeutender Menge, dass selten ein Schuss auch von der ungeübtesten Hand anfangs ohne Wirkung blieb. Nur Schade, dass all dieses gefiederte Wildpret mitten in das Wasser und Schilf stürzte, so dass man ausserordentliche Mühe hatte, seine Beute zu bekommen. Ueber die Hälfte derselben ging ver- loren. Wir erreichten endlich einige arabische Duars, deren Bewohner der Jagdlärmen wahrscheinlich aus dem Morgen- schläfchen aufgescheucht hatte und die sich gerade bereit machten, ihre Maulthiere zu beladen und in die Berge zu fliehen, da sie sicher an einen feindlichen Ueberfall glaubten. Erst als sie durch Karfalla erfuhren, dass wir nur der Jagd und des Vergnügens willen gekommen seyen, sattelten sie ihre Maulthiere wieder ab. Wir fragten diese Araber über 279 die Lage des Sees aus. Nach ihren Aeusserungen hätten wir noch drei Stunden in derselben Richtung fortgehen müs- sen, um an den tiefern Theil desselben zu gelangen, wo es vielleicht möglich gewesen wäre, mit einer Schaluppe über den See zu fahren. An der Stelle, wo wir verweilten, konn- te man fast eine halbe Stunde in das Wasser hinreiten, ohne dass die Pferde zum Schwimmen gezwungen waren. Der Boden war ziemlich fest, nur erschwerten die Schilfpflanzen das Weiterkommen. Das Wasser hat keinen Salzgeschmack und nach allem Anscheine steht der See mit dem Meere in keiner Verbindung. Wir hielten zusammen Rath, und die Stimmenmehrheit entschied, eine andere Richtung nach dem nordwestlichen Ufer einzuschlagen, wo, nach der Aussage der Beduinen, eine Quelle und ein grosser Feigenbaum sich befand, beides sehr erwünschte Gegenstände in diesen warmen Regionen, wo der Schatten eben so angenehm als nothwendig ist. Ei- nen afrikanischen Mittag, während der heissen Monate, auf freiem Felde zuzubringen, ist wirklich keine geringe Qual und das Wechselfieber sehr häufig die Folge. Die Araber, welche diese Seeufer bewohnen, haben un- ter ihren Landsleuten keinen guten Ruf. Man erzählt von ihnen in Bona, dass sie öfters einzelne Jäger ermordet hät- ten. Indessen sind sie nicht sehr zahlreich, und unser hand- festes, gut berittenes Häuflein, sowie namentlich unsere gu- ten Gewehre zwangen ihnen freundliche Mienen ab. Sie brachten uns die Milch umsonst, und verkauften uns andere Gegenstände um ein geringes Geld. Männer und Weiber waren sehr schmuzig und zerlumpt. Jene trugen sehr starke Bärte, waren aber weniger muskulös und weniger schön ge- baut, als die Araber der Umgegend von Algier. Die Weiber 280 und kleinen Kinder betrachteten uns mit grossen Augen. Sie hatten noch nie so viele von den gefürchteten Rummis, die sie längst durch die Erzählungen ihrer Grossväter kennen, beisammen gesehen. Von diesen Stämmen kommen nur we- nige Individuen auf den Markt von Bona, und- Europäer sind in dieser Einsamkeit noch viel seltnere Erscheinungen. Als wir, nach kurzem Verweilen bei den Duars, weiter rit- _ ten, liefen uns die kleinen Araber eine Strecke weit nach. Sie bettelten uns nicht um Kupfermünzen an, wie die Kinder der Beni-Urschin bei Bona, welche durch die Nähe der Stadt schon vergiftet sind. Die Mienen dieser „jungen Wölfe,‘ wie sie ein Franzose nannte, hatten in ihrer Wildheit doch etwas freundlich Anmuthiges. Sie schienen unser längeres Verweilen und unsere nähere Bekanntschaft zu wünschen. Der Feigenbaum und die Quelle wurden nach dreistün- digem Ritte gefunden. Letztere rieselte sehr schwach aus einem Kailkfelsen, dessen Gestein ein natürliches Wasser- becken bildete. Die Aeste des riesenhaften Feigenbaumes mit ihren breiten Ziekzackblättern breiteten darüber ein vor- treffliches Dach, welches, den Einfall der Sonnenstrahlen hemmend, dieser Quelle eine ewige Frische sichert. Das Wasser war in der That trotz der vielen Amphibien, die es bewohnten, so rein, kühl und erquickend, dass es uns, nächst dem Weine, die angenehmste Labung war. Im Schatten des Baumes fand sich hinreichend Platz für neunzehn Individuen. Allein kaum die Hälfte meiner Gefährten wollte die Ruhe dieses lieblichen Pätzchens geniessen, welches eine wahre Oase in der sonnverbrannten Wildniss bildete. Die jüngeren Officiere gingen auf die Jagd und die andern bereiteten die Küche im Sonnenschein. Obwohl der Franzose eines sehr langen Fastens fähig ist, wenn die Umstände es gebieten, 281 so entbehrt er doch ungern die Leckereien einer guten Ta- fel, so lange die Nothwendigkeit ihn nicht zu dieser Entbeh- rung zwingt. Wäre es nach meinem Sinne gegangen, so hätte jeder mit einem Zwieback in der Jagdtasche und einem Trunk Wasser den Tag über gelebt. Meine Gefährten, wel- che während der Expeditionen sich oft Wochen lang von ge- kochten Schnecken und unreifem Getreide genährt hatten, brachten in diese Wildniss die Leckerbissen der Pariser Küche. Ein mit Lebensmitteln schwer beladenes Maulthier folgte uns vom Lager aus. Der Treiber desselben sass wäh- rend des Marsches auf dem Weinfässchen, welches, auf dem Rücken des Thieres festgebunden, ihm als Sattel diente. Herr Latapie, Agent comptable des Lagers, hatte uns über- dies mit einigen Flaschen seines besten Bordeauxweines ver- sehen. So fehlte es also auch an diesem heitern Tafelgeiste nicht, unsere fröhliche Stimmung zu beleben. Während des Essens kamen einige Beduinen zur Quelle geritten. Sie hat- ten einen ziemlich langen Weg gemacht, um von diesem köstlichen Wasser ihre Schläuche zu füllen. Vergeblich bo- ten wir ihnen das gefüllte Glas mit dem dunklen Puipur- tranke. Selbst das Beispiel Karfallas, der mit seinen beiden Neffen wacker zechte und die Beduinen auf Arabisch auffor- derte, das verbotene Zaubertränkchen zu kosten, vermochte sie nicht zu verführen. Sie ritten nach einem tüchtigen Zu- ge aus ihren Schläuchen singend und, wie es schien, eben so guten Humors, als wir Weintrinker, weiter. Nach dem Essen bestieg ich mit dem Commandanten La- combes einen der Felsen am östlichen Seeufer, welchen die niedern Gesträuche des Brustbeerstrauches bedeckten. Von dem Gipfel desselben übersah man die ganze Runde des Sees Fezzara. Derselbe erstreckt sich gegen Südwesten bis 282 an den Fuss einer ziemlich hohen Bergkette. Die unzähligen grünen Schilfinseln in der Nähe des nördlichen und östlichen Ufers verschwinden gegen Süden ganz; dort scheint das Was- ser eine ziemliche Tiefe zu haben und zeigt dem Auge das wahre Bild eines Sees. Die Gegend ist dort keineswegs pit- toresk, sie hat einen monotonen, stillen, wilden Charakter, der nur einer schwermüthigen Phantasie gefallen kann. Es hat dieselbe viele Aehnlichkeit mit der Landschaft des todten Meeres, wie ich wenigstens nach den Gemälden und Be- schreibungen des letztern schliesse. Der See Fezzara ent- hält, wie das todte Meer, ein so dickes und schwarzes Was- ser, dass der heftigste Wind dasselbe nicht in Bewegung zu bringen vermöchte, Es giebt in Numidien noch heutiges Tages, wie zu Pli- nius Zeiten, öde Gebirgsgegenden, wo sich keine Spur von menschlichen Wohnungen zeigt und die Löwen und Hyänen fast als einzige Gebieter herrschen. Die Umgegend des Sees Fezzara scheint eine Republik der Vögel zu seyn. Nirgends wird wohl die Jagd auf Sumpf- und Wasservögel dem Liebhaber eine reichere, ergiebigere Beute bieten; daher ist auch vorauszusehen, dass mit der Zunahme der Bevölke- rung Bonas der Besuch der Europäer in diese Gegenden im- mer häufiger werde. Die Jagd ist in diesem Lande völlig frei, sie bildet fast das einzige Vergnügen der Colonisten. Jeder Mensch kann mit der Flinte in diesen unbebauten Ge- genden herumstreifen, so viel er Lust hat, und die Ansiedler, die französischen Officiere, sowie auch die europäischen Rei- senden machen von dieser Freiheit einen so weiten Gebrauch, dass, Dank ihrem unverdrossenen Fleisse, in den früher so wildreichen Umgebungen von Algier und Bona bald kein Häschen mehr zu treffen ist. In den ersten Jahren der 283 französischen Occupation schoss man die Eber fast dicht an den Thoren Algiers, jetzt müssen die dortigen Jäger einen halben Tag weit in die schwierigen Gebüschgegenden von Staueli und Reghaia gehen, um nur eine halbergiebige Beute zu machen. Das Jagen bei dem See Fezzara ist nicht ohne Mühseligkeit und Anstrengung. Sobald einmal alle jene gefie- derten Seebewohrer durch den häufigen Büchsenknall in Al- larm gekommen sind, werden sie scheu und fliegen nach der Südseite des Sees, wo sich noch nie ihre Verfolger hinwag- ten. Eine sehr günstige Beute machen dort die Vogeljäger nur, wenn sie in ziemlicher Zahl in dem Schilfwalde sich vertheilen, und zugleich sich nicht fürchten, bis an die Brust in das Wasser zu waten. Von schönen, südlichen Vogelar- ten bemerkte ich dort namentlich den sichelschnäbeligen Ibis (Ibis faleinellus), den Silberreiher, numidischen Kranich, das Sultanhuhn und den grossen Purpurreiher (Ardea purpurea). Sehr häufig ist dort auch der Flamingo (Phoenicopterus an- tiquorum), der König der Sumpfvögel, welcher mit seinen scharlachrothen Flügeln und weissem Gefieder bei seiner be- deutenden Höhe eine wirklich königliche Figur spielt. Die Flamingos sind immer truppweise beisammen, ihre hohen Beine stehen gewöhnlich halb im Wasser. Den mächtig lan- gen Hals trägt dieser Vogel mit Majestät, fast wie der Schwan. Er ist ungemein schwer zu schiessen, lässt den Jä- ger fast nie näher, als auf 150 Schritte kommen und flüchtet sich dann, die langen Beine im Fluge nach hinten streckend, in die Mitte des Sees. Von Sumpfvögeln, die auch dem Norden angehören, bemerkte ich dort namentlich die so bi- zarre Gestalt des Strandreiters (Himantopas rufipes), der eben- falls ein ausserordentlich scheuer Vogel ist. Herr Magagnos, Capitäin vom siebzehnten leichten Infanterieregiment, ein 254 eifriger Liebhaber von seltenen Vögeln, zeigte mir in Bona dreizehn Arten von wilden Enten, die er durch die Beduinen vom See Fezzara erhalten hatte. Die ungeheure Versamm- lung der gefiederten Sumpfbewohner in allen Farben und For- men am Ufer jenes einsamen Morastes ist wirklich erstaun- lich. Eine unendlich buntscheckige Mischung der Federge- wänder, die so variirenden Schnabel- und Beinformen vom schlanken, sichelschnäbeligen Ibis bis zum schwerfälligen, breitschnäbeligen, wilden Schwan; endlich das tausendstimmige Concert, oder vielmehr infernalische Gekreische, welches in hohen Lüften, aus der Tiefe der Fluthen und von dem In- nersten des Sumpfpflanzenwaldes zu gleicher Zeit ertönt, stel- len dort die seltsamste Komödie dar. Man wähnt sich in eine antediluvianische Epoche zurückversetzt, wo die Existenz des Menschen noch eine Frage ist, und eine ungeheure Thierschöpfung, deren versteinerte Reste uns geblieben, in anarchischer Republik, ohne Gebieter und Vertilger, die Erd- kugel beherrschte. Während unserer Rückkehr nach dem Lager begegnete uns eines jener unangenehmen Abenteuer, auf welche man bei dem feindlichen Zustande des Landes leider immer gefasst seyn muss. Ein Haufe von circa vierzig berittenen Arabern stand eine Stunde vor Drean auf dem Wege, und schien auf unsere Heimkehr zu lauern. Zum guten Glück für uns ist das dortige Terrain unbedeckt, so dass wir diese Bande schon aus einer weiten Entfernung bemerkten. Ueberdies be- stand unsere Gesellschaft fast ganz aus Militairs, bei denen das Raufen Handwerk ist, und die, an solche Vorfälle ge- wöhnt, bei ihrer Erfahrung und Kenntniss des Landes und der Araber sich vollkommen zu benehmen wissen. Ein Ca- pitän der Ohasseurs d’Afrique, dessen Namen ich vergessen 285 habe, stellte unser Häuflein in Schlachtordnung und ritt an unserer Spitze auf die Araber zu. Der brave Karfalla, ein- geborner Officier der Spahis, war eine Viertelstunde hinter uns zurückgeblieben, gab aber, als er unsere Gefahr bemerkte, seinem Pferde die Sporen und holte uns im schnellsten Jagen wieder ein. Ich glaubte in jenem Augenblicke fast, ein Kampf sey unvermeidlich, allein die Araber, obwohl zweimal so zahl- reich als wir, verliessen bei unserer Annäherung den Platz, und zogen sich in der Richtung von Neschmeia zurück. Es fiel kein Schuss. Der Anführer der Bande und Karfalla, welcher sein Pferd auf Schussweite der Araber tummelte, rie- fen sich ein höfliches „Salem Aleikum Sidi!“ (ich grüsse dich Herr!) zu, als hätten sie die freundlichsten Absichten gegen einander gehabt. Im Lager Drean, an der gastfreien Tafel des Commandanten Lacombes, wo der feurige Bordeaux- wein den Gästen die Mittheilung ihrer afrikanischen Kriegs- und Jagdabenteuer ablockt, wird unser Ausflug nach dem See Fezzara gewiss noch öfters zur Sprache kommen. 286 XII. Reise in das Innere der Provinz Constantine.— Diewis- senschaftliche Commission. — Neschmeia. — Hammam - Ber- da. Lager. Thermalquellen. Ruinen. — Das grosse Thal des - Seybuss. — Ghelma. Die Ruinen von Calama. — Medschez- Ammar. — Hammam - Meskhutin oder die verfluchten Quel- len. Die arabische Sage. An 2. September 1837 verliess ich Bona in Begleitung meines Freundes Amadeus von Muralt, Hauptmann im vierten Schweizerregiment des Königs von Neapel. Wir schlossen uns beide der Expeditionsarmee nach Constantine an. Mu- ralt machte den Zug als militairischer Amateur mit, deren . bei jeder Expedition sich gewöhnlich einfinden. Mich hatte der General Damremont zum Mitglied der wissenschaftlichen Commission ernannt, welche auf dem Wege die Alterthümer untersuchen, die Höhen messen, botanische und zoologische Seltenheiten sammeln, und über Alles, was irgend der Wis- senschaft erspriesslich und der Erwähnung werth, nach been- digter Expedition eine Abhandlung schreiben sollte. Die Idee war ganz löblich, nur hätte es zu ihrer Ausführung eines an- dern Obergenerals, als des etwas gar zu phlegmatischen Dam- remont bedurft, der für die Wissenschaft nicht viel Sinn hatte, dem die schöne wilde Flora des Landes Unkraut, die Denk- mäler der Römer Stein schienen, der aber gleichwohl in sei- 287 oem Bericht an den Kriegsminister selbstgefällig sagen moch- te: „Aw milieu des preparatifs pour Vexpedition et des difficeultes de toute nature, je n’al pourtant pas perduw de vue l’interet de la science.“ Das Ernen- nungsdecret der Mitglieder der wissenschaftlichen Commission -war fast in der barschen Form einer militairischen Ordre geschrieben *). Man behandelte uns überhaupt ganz wie Leute en uniforme. Jeder hatte seinen Grad und nach diesem wurden ihm die Rationen an Lebensmitteln und Pferdefutter verabreicht. Ich erhielt, wie die meisten Mitglieder, drei Rationen, so viel wie ein Bataillonschef, und in dieser Be- ziehung hatten wir uns gar nicht zu beklagen. Wohl aber über die Vernachlässigung aller übrigen, einer wissenschaftli- chen Unternehmung unentbehrlichen Mitte. Man gab uns nicht einmal ein Maulthier, die nothwendigsten Instrumente oder Sammlungen auf dem Wege zu transportiren. Einer un- serer Collegen, Dr. Laporte, Pharmacien-major des Deyho- spitals, war vom Intendanten beauftragt worden, das Wasser der berühmten 'Thermalquellen von Hammam - Meskhutin zu analysiren. Mit vieler Mühe erhielt er ein Maulthier der Bagage, das er mit seinen leeren Flaschen belud, denn für eine gründliche und sichere Analyse ist bekanntlich eine ziem- liche Wasserquantität nothwendig. Laporte folgte dem gros- sen Convoi, der Bona am 27. September verliess und in klei- *) Das Decret lautete: Monsieur, Je vous previens que conforme- ment ü mon arrete en däte de ce jour, je vous ai nomme Membre de la Commission scientifique chargee de swivre !armee espeditionnaire qui se porte contre Constantine. - Mr. le General Perregaux , qui est le president de ceile Commission, vous donnera des instructions powr accomplir la nuission qui vous est confiee, Becevez, Monsieur , etc. Le Pair de France , Gouverneur General Dämremont, 288 nen Tagmärschen sich schwerfällig bis Medschez - Ammar bewegte. Dort angekommen, erfuhr er, dass der Prinz und der gesammte Generalstab Hammam - Meskhutin schon am Tage zuvor besucht hatten. Zur Begleitung des Prin- zen liess man zwei Regimenter ausrücken, der wissen- schaftlichen Commission aber verweigerte man eine Escorte von einer halben Compagnie und Dr. Laporte brachte seine Flaschen, nachdem er der Expedition, er wusste selbst nicht mehr, zu welchem Zweck, gefolgt war, leer wieder nach Bona zurück. General Perregaux, unser Präsident, der in seiner Eigenschaft als Chef des Generalstabs der Commission alles Nöthige hätte gewähren können, fand es nicht einmal der Mühe werth, die Mitglieder vor dem Aufbruch zusammen- zuberufen, sie nach ihren Wünschen zu befragen und auch nur ein aufmunterndes Wort gegen sie zu äussern. Bei ei- nem so indolenten Präsidenten war es daher gar nicht zu ver- wundern, dass dieser Commission aller Zusammenhalt fehlte. Jeder beobachtete einzeln und daher auch einseitig. Einige copirten Inschriften, Andere stellten Höhemessungen an oder sammelten Pflanzen und Thiere. Aber alles dieses geschah isolirt; es gab keine Unterstützung und Aufmunterung durch gemeinsames Wirken. Der Eine reiste mit der Avantgarde, der Andere mit der Armee oder dem Convoi; jeder suchte sich andere Begleiter, andere Bivouacgenossen aus. So fand ich es bei diesem gänzlichen Mangel an Zusammenhalten des wissenschaftlichen Corps auch für besser, mir einen Gefähr- ten unter den fremden Officieren zu wählen und wenn dies gleich meine Arbeiten nicht förderte, so war es wenigstens für mein persönliches Wohl der beste Schritt, den ich thun konnte und dessen ich mich später oft freute. Capitän Mu- ralt ist ein junger Officier von seltener Bildung, voll Scharf- 289 sinn, Welterfahrung und Begeisterung für Alles, was sich über das Alltagstreiben erhebt. Wir reisten zu Pferde und hatten zwei malteser Bediente, die unsere beladenen Esel führten, mit uns. Bis Medschez-Ammar folgten wir den klei- nen Convois. Die Armee war bereits seit Monaten in jenem Lager versammelt und nur einzelne neuangekommene Detache- ments brachen noch täglich von Bona dorthin auf. Die grosse Ebene des Seybuss endigt eine Stunde süd- lich von Drean und der Weg zieht sich dann ziwschen Ber- gen fort. Die steilsten stehen im Süden. An einer Stelle, wo sich der kleine Bach Maja - Berda zwischen Schluchten durchschlängelt, überragt von buschigen Bergen, gewahrt man dreizehn Grabsteine Sie wurden nach der Erzählung der Araberstämme in der Nähe zum Andenken an dreizehn Per- sonen, welche an dieser Stelle von Löwen zerrissen worden sind, eingesetzt. Die Gebirge von Hadschar - el- Nahalah und die von Draa-el-Ahasai westlich vom Wege, eben so die von Dschibel - el- Ussd und Byr - Uala im Osten waren vor Ansiedlung der Franzosen von zahlreichen Löwen be- wohnt. Seitdem aber häufig Jagden sowohl von Europäern, die nur ein Vergnügen dabei suchten, als von Eingebornen unternommen wurden, welche letztere die Löwenhäute auf dem Markte von Bona theuer verkauften, sind die Raubthiere aus dieser Gegend fast verschwunden und haben sich nach den südlicheren , einsameren Plateaus zurückgezogen, wo man sie nicht mehr jagt. Neschmeia, das erste Lager, welches man nach einem siebenstündigen Marsch von Drean erreicht, liegt in einem engen Thal. Holz und Wasser giebt es dort reichlich, aber in militairischer Beziehung ist es eine elende Position, denn Morıtz WaAGner’s Algier. 1. 19 290 die Feinde könnten von den nächsten besetzten Hügeln in den innern Raum des verschanzten Lagers schiessen und die Schildwachen auf ihren Posten tödten. Man vertraute dabei wohl auf die Kurzsichtigkeit und Trägheit der Araber, die solche strategische Blössen selten benutzen. Indessen wenn auch die Garnison Neschmeias unangefochten geblieben, so war wohl der Grund nur , weil noch weiter im Süden Lager standen, an welchen Achmet’s Truppen zuerst ihren Muth versuchen mussten. Wären letztere nach Neschmeia aufge- brochen, ohne zuvor Ghelma und Hammam - Berda anzugrei- fen, so hätten die dortigen Besatzungen sie im Rücken neh- men und trotz ihrer leichten Beweglichkeit ein ziemliches Blutbad unter ihnen anrichten können. Das Lager Neschmeia wurde erst zu Anfang 1837, nach der Rückkehr des Mar- schalls Clauzel von Constantine, errichtet. Es hat kaum über 1500 Fuss im Umfang und ist mit einer etwas nachlässig aufgeworfenen fünf Schuh hohen Erdschanze und mit einem Graben von gleicher Tiefe umgeben. Ein Cantinendorf, blos aus Baumzweigen, aber mit jener französischen Eleganz, die bei allen Werken dieser Nation sich bewährt, erbaut, stand ausserhalb des Lagers, war aber bei meiner Rückreise, wo das Lager momentan wegen Truppenmangels geräumt werden musste, wieder verschwunden. Man hatte einige befreundete Beduinen dort einquartirt und brannte die Baumhütten nieder, damit keine Maraudeurs in der Nähe sich in den Hinterhalt legen könnten. Von Neschmeia nach Hammam -Berda führt der Weg fortwährend durch das Gebirge, aber der Atlas verliert in der Provinz Constantine seinen finstern Charakter, sobald man von der Küste sich entfernend einige Meilen nach Süden vordringt. Während der Höhenzug des Litorals noch Felsen oder Berge 291 mit düstern Korkeichen bewachsen von 1500 — 2000 Fuss Höhe zeigt, ist das tiefer im Lande liegende Höhensystem fast immer mit Dammerde bekleidet, freundlich grün, sonnig, sehr lieblich und nur selten ragen die Berge 1000 Fuss über das Plateau zu ihren Füssen. Es haben diese Atlaslandschaften hier nicht die Majestät der Alpengegenden, dafür aber die ganze Lieblichkeit ihrer Thalgründe, dieselbe geheime süss- lockende Stimme, die „das Herz klopfen macht als höre es bräutlichen Gruss oder Töne aus dem Vaterhaus.“ Mit dem Namen Hammam bezeichnen die Araber alle heissen Quellen im Lande; Berda ist der Name eines Stammes der Gegend. Ziemlich zahlreiche Ruinen in der Nähe beweisen, dass die Quellen von den Römern sehr besucht und hier ansehnliche Badwohnungen gewesen seyn müssen. Ein massiv gebautes Bassin, das offenbar römischen Ursprunges ist, steht fast noch ganz unversehrt. Die Thermalquelle sprudelt aus dem Felsen durch ein Loch, in welches man den Arm strecken kann, in horizontaler Richtung. Es scheint, die Quelle ent- springt einem tieferen Theil des Hügels und wird aus einem engen Canal in das Bassin geleitet, denn man kann aus dem Loch gemauerte Stücken brechen. Das Bassin, in welches die Quelle zuerst sich ergiesst, ist von ovaler Form, 22 Fuss lang und 10 breit; von diesem fliesst das Wasser in ein grös- seres Behältniss, welches aber jetzt zerstört und mit Büschen und Unkraut überwachsen ist. Es war gleichfalls von ovaler Form, ungefähr 100 Fuss lang und 70 breit. Die Trümmer bestehen in schönen Quadersteinen von bedeutender Grösse, welche die Solidität des alten Baues bezeugen. Das Ther- mometer, in die Quelle getaucht, zeigte eine Temperatur von 29° Reaumur, Einige Grabinschriften wurden in der Nä- he des Bades aufgefunden. Die Quellen von Hammam- 19 * 292 Berda werden für die Aquae Tibilitanae der Römer gehal- ten *). Hammam-Berda ist unter allen französischen Lagern der Provinz Constantine der wohnlichste Aufenthalt, seiner Stille, seiner schönen Gegend und des Bades wegen. Ein Lieblings- zeitvertreib der Officiere ist, sich täglich im römischen Bas- sin ein paar Stunden in die wohlthätig laue Fluth zu strecken. Besonders in den Abendstunden soll dies auf den Körper sehr günstig wirken. Die Umgegend der Quelle bedeckt eine afrikanische Bachufervegetation, wie ich sie selten so grün, so kräftig, so hoch gefunden. Aegyptische Weiden, wilde Reben und vor Allem Oleanderbüsche, manche bis achtzehn Fuss hoch, also wahre Bäume, mit grossen fleischrothen Blü- then überstreut, stehen in kräftigster Pracht nicht nur am Ufer des warmen Quellenbaches, sondern ziehen sich auch am Saume eines Kaltwasserbaches, in den die T'hermalquelle sich später ergiesst, in einer langen, schimmernden Guirlande - durch das schmale Thal fort. Das Lager ist auf einem Hügel von 180 Fuss Höhe dicht über der Quelle erbaut. Es ist äusserst klein, von einer aus Ruinenfragmenten zusammengesetzten Mauer umgeben und fasst nothdürftig ein halbes Bataillon. Erhält die Garnison Verstärkung, so sind die Truppen genö- thigt, ausserhalb der Ringmauer zu bivouakiren, wo sie nächt- lichen Ueberfällen von allen Seiten ausgesetzt sind. In die- sem Land hat man es freilich wenig zu fürchten. Die Ara- ber scheuen die Nacht wie den Bajonetkampf. Sie spuken °) Herr Capitän Mangay, Mitglied unserer Commission, will die Aquae Tibilitanae nach Hammam-Meskhutin versetzen. Wenn diese Ansicht sich bewährte, dann wäre der römische Name des Bades von Hammam - Berda unbekannt, da kein alter Geograph eines andern ähnlichen Etablissements in dieser Gegend erwähnt. 293 wohl zuweilen in der Dunkelheit um die französischen Bi- vouacs, wechseln Flintenschüsse mit den aufgestellten Posten, aber nie ist es noch zu einem nächtlichen Kampf mit blan- ker Waffe gekommen und so lange man blos Schüsse auf’s Gerathewohl wechselt, ohne sich einander zu sehen, ist natür- lich das Blutvergiessen nie gross. Während eines früheren Aufenthaltes zu Hammam-Berda machte ich Seitenausflüge in westlicher Richtung. Eine halbe Stunde weit vom Lager fand ich ein fast gleich schönes Thal von derselben Grösse, eben so grün und fruchtbar und mit Duars und Heerden bedeckt. Die Araber nahmen mich, wenn auch nicht freundlich, doch auch nicht mit drohender Miene auf. Unter den Araberinnen sah ich einige sehr hübsche Gestalten, aber in Lumpen gekleidet, von Schmuz entstellt, von Elend gedrückt. Die schwarzen Augen, die noch niemals Christen gesehen, funkelten mich und meine Begleiter mit un- verhohlener Neugierde an und schienen unser längeres Ver- weilen zu wünschen. Von Hammam - Berda erreicht man nach einem halbstün- digen Ritt das grosse Seybussthal, ein weites Gefilde von er- staunlicher Fruchtbarkeit, das in alten Zeiten sehr bevölkert, sehr blühend gewesen seyn muss. Dafür sprechen wenigstens die zahlreichen zerstreuten Trümmer von Städten, Waffen- plätzen und einzelnen Gebänden, mit denen das ganze Thal besäet ist. Der Seybuss durchströmt das Thal in nordöstli- cher Richtung. Dieser Fluss ist dort äusserst seicht, die Ufer niedrig, das Bett mit grossen Steinen angefüllt. Die Ufer sind holzreich, wilde Cypressen und Tamariskenbäume von zehn bis funfzehn Fuss Höhe ziehen sich längs des gan- zen Ufers fort. Die eigentliche Strasse nach Constantine über Medschez-Ammar führt nicht über Ghelma, sondern zieht 294 sich, noch ehe man das linke Ufer erreicht, in westlicher Rich- tung fort. Uebrigens empfehle ich jedem Reisenden, einen Seitenausflug nach Ghelma nicht zu unterlassen, denn Ghelma ist unstreitig einer der interessantesten Punkte der Provinz Constantine. Ghelma ist fast in der Mitte des grossen Thales, auf dem Abhange des ersten Höhenaufwurfs der Gebirgskette Mauna ge- legen. Es stehen dort die Ruinen der alten Calama, sehr im- posante Reste, die eine Strecke Landes von einer Dreivier- telmeile im Umkreise bedecken. Einer Sage zufolge, die durch mehrere Umstände bestärkt wird, ist diese Römerstadt durch ein Erbbeben zerstört worden. In der Mitte des Trüm- merchaos steht das französische Lager, das viel fester als alle übrigen gebaut ist, da es an Material dort nicht ge- bricht. Es wurde während des unheilvollen Rückzuges der französischen Armee von Constantine unter Clauzel besetzt und war gleich anfangs ein Lazareth der Kranken, wie der todtmüden Nachzügler. Die Trümmer eines geschlagenen Heeres hatten ein Asyl von den Trümmern der alten Numi- dierstadt verlangt. An der gleichen Stelle sah Aulus Posthu- mius vor Jahrtausenden seine Legionen unter Jugurtha’s Streichen verbluten. Marschall Clauzel liess den Obristen Duvivier, den der fast einstimmige Ruf den tüchtigsten Offh- cier der französisch - afrıkanischen Armee nennt, mit einem Bataillon zurück. Dieser übernahm willig die Aufgabe, in einer menschenleeren Oede, wo es ihm an allen Ressourcen gebrach, ohne Zelte zum Schutz gegen die Regengüsse, ohne Lebensmittel, mit einer Handvoll geschwächter, siecher Sol- daten, bedroht von einem zahlreichen, durch seine Erfolge keck gewordenen Feinde, dort einen für Araber uneinnehmba- ren Waffenplatz zu gründen und dadurch das Gelingen einer 295 zweiten Expedition nach Constantine vorzubereiten. Inmitten der Ruinen stand eine aus den Steinen der alten Gebäude mehr aufgehäufte als aufgebaute, länglichviereckige Ring- mauer, welche offenbar lange nach der Zerstörung der, Stadt von irgend einem neuen Eroberer, den Vandalen oder Sara- zenen, als eine Verschanzung errichtet worden. Obrist Duvi- vier quartirte sich mit seinen Truppen innerhalb dieser Mauer ein, besserte diese aus und erhöhte sie um das Doppelte, so dass sie ohne Kanonen oder Sturmleitern nicht zu erklimmen war. Man führte seinen ausgehungerten Truppen bald Le- bensmittel aus Bona zu und nach einigen Wochen wurden re- gelmässige Verbindungen errichtet und alle vierzehn Tage ging ein Convoi ab, die Garnison mit dem Nothwendigsten zu versehen. Bald siedelten sich Speculanten, Franzosen und Malteser zu Ghelma an, bauten innerhalb des Lagers Kaffee- häuser, Cantinen, Kramermagazine, alles wieder auf Kosten der ehrwürdigen Ruinen. Trümmer von Granitsäulen, porphyrne Tempelpfeiler wurden zur Kellerwand oder zum Pflaster einer räucherigen Kneipe. Vor dem Eingange dieser Cabarets prangte ein Schild: Zee on donne a boire et a manger, und dicht daneben oft sagte eine dreiviertel verstümmelte lateinische Inschrift unter den. Wandsteinen, dass das Grabmonument ir- gend eines edlen Römers, eines Proconsuls, eines Legionen- führers der Marketenderdevise nächster Nachbar gewor- den war. Eine solche Entweihung der Reliquien jener clas- sischen Welteroberer, welche der Araber, wenn nicht aus Achtung, doch aus Faulheit lange geschont hat, befremdet und entrüstet von einem Volk, das so viel Civilisation im Munde führt, und erinnert an den Vandalenschimpf, den ihnen der deutsche Dichter zugeschleudert. Es liegt in dem franzö- sischen Volk, aber unendlich mehr noch in der französischen 296 Armee und dem ganzen Tross, der ihr anhängt, ein unleug- barer Zerstörungsgeist, der stocktaub sich zeigte gegen alle strenge Befehle erleuchteter Generale, gegen alles Mahnen und Bemühen gebildeter Subalternofficiere, welche diesem Geist nie Einhalt zu thun vermochten. So wie bei Algier viele schöne Orangenbäume in der ersten Zeit der Occupation umgehauen wurden, um als Brennmaterial zu dienen, so wie nach der Einnahme von Tlemsan zu demselben Zweck die Balken von den Häusern ausgerissen wurden, was später den Einsturz ganzer Strassen verursachte, so wie man im Dey- . garten, im Palast Abd-el-Kader’s zu Maskara, in den mauri- schen Landhäusern bei Mustapha - Pascha zerstörend hauste, so noch viel gewissenlos-vandalischer ging man mit Calamas Resten um, so noch viel. verderblicher war. dort das Hausen indolenter Soldaten und bausüchtiger Marketender. Es ist gewissermassen ein Ammenmord, einen blühenden Fruchtbaum niederzusäbeln, der in seinen Eingeweiden für den dummen Zerstörer selbst so viele künftige Nahrung trägt. Aber es ist ein teuflischer Krieg gegen Lebende und Todte, ein Verhöhnen des Ahnenstaubes, des Ruhmes, der Geschichte, der Wissenschaft, wenn man die Tempelsäulen umstürzt, weil sie dem Wein- keller im Wege standen, wenn man Altäre zusammenbricht, weil sie die besten Bausteine liefern, und ihre Inschriften mit dem Meissel abhämmert, weil glatte Steine zum Pflaster sich besser fügen, wenn man diese Geschichtstafeln, diese einzigen Urkunden, die noch heute erzählen, was Calama gewesen, wer diesen Marmor und Granit zum Tempel auf- gerichtet, wer herrschte über diese einst blühende Gegend, wenn man diese beredten Zeugen einer gewaltigen Vergan- genheit mit ein paar rohen Hammerhieben wieder zu stum- men Steinblöcken schlägt — o der Schmach und des Krämer- 297 geistes! Warum scheucht die Hyäne, die alte Ruinenwäch- terin, die fremden Eindringlinge nicht von ihrer würdigern Residenz? Warum erbebt der alte Berg nicht zum zweiten- male, um die Schänder der Monumentskelete mit dem letzten Gemäuersturz zu zerschmettern®? Hat dieses Gebirge durch seine Katastrophe die Calamenser einst vor dem Barbaren- joch bewahrt, warum erdonnert es jetzt nicht, ihre freien Gräber zu retten? Der Vandalenvergleich ist eigentlich für die zerstörenden Soldaten und Kneipenwirthe Frankreichs nicht einmal passend. Genserich selbst würde in seinem Sarge sich umkehren, hörte er seine grimmigen Barbarenhorden, welche die Kunstwerke Roms zertrümmerten, weil sie durch ihren Con- tact eine Verweichlichung ihrer Kriegerkraft, eine Gefahr für ihre Freiheit besorgten, den heutigen Eroberern Numi- diens an die Seite stellen, welche nur zerstören aus klein- ‚krämerischem Eigennutz, die mit eben so wenig Skrupel aus beschriebenen Denksteinen Pferdeställe bauen und an der ko- rinthischen Säule ihre Marketenderschilde aushängen. Edler noch dünkt mir der Fanatismus des Vandalen für seine kräf- tige Barbarei, des Sarazenen religiöse Wuth gegen die Tem- pel Andersgläubiger, als diese Verheerung von Alterthümern zu einem schäbigen , selbstsüchtigen Gebrauch. Ich hatte schon früher bei einem Ausfluge von Bona ei- nige Wochen. in Ghelma zugebracht in Gesellschaft meines Freundes Adrian Berbrugger, der damals vom Civilintendan- ten Bresson dorthin gesandt wurde, die Inschriften zu copi- ren und eine Beschreibung der Ruinen aufzunehmen. Herr Berbrugger hatte als Privatsecretär des Marschalls Clauzel den ersten Zug nach Constantine mit gemacht und schon da- mals einige interessante Inschriften copirt. Obwohl er sich die Stelle genau gemerkt, fand er doch keine der damaligen 298 Inschriften wieder und überhaupt eine bedeutende Verände- rung; viel Interessantes war verschwunden oder in die neuen Bauten verkrochen. Wir trafen bei unsern Spaziergängen zu- weilen arbeitende Soldaten, die eben beschäftigt waren, In- schriften oder auch hübsche Basreliefs abzuhämmern, und wenn wir ihnen deshalb Vorwürfe machten, sahen sie uns entweder ganz erstaunt an, oder sie lachten hell auf und wünschten uns eine nützlichere Profession, als uns mit der Entzifferung dieser „‚lateinischen Brocken“ zu plagen. Vergebens brachten wir unsere Klagen auch dem berühm- ten Obristen Duvivier vor, so oft wir unter seiner Barake mit ihm Kaffee tranken. Er strich sich den langen schwarzen Bart, klagte über die leichtsinnige Zerstörungslust der fran- zösischen Soldaten, die seine Befehle nicht berücksichtigen, und meinte, es sey da keine Abhülfe möglich. Was frage ein Soldat, dem ein hübscher alter Baustein nicht den vierten Theil der Zeit zum Zuhauen koste, als wenn er den Stein vom Felsen bräche, wohl viel darnach, ob er mit sei- nem Hammer zugleich dem eifrigen Antiquar einen Herz- stoss versetze. Auch sey es gar nicht zu verwuudern, wenn der Soldat bei seiner leidenvollen Existenz in Afrika ein har- ter Egoist, ein,Sohn des Augenblickes werde und ohne Ge- wissensskrupel nach jeder Linderung seines mühseligen Loo- ses hasche. In Duvivier’s Bemerkungen lag wohl manch Wah- res und ich glaube, er hat mit dem Soldatensinn zum Theil auch seinen eigenen geschildert. Er gilt für den talentvoll- sten Kriegsmarn der Armee, aber auch für einen Menschen, den der Ehrgeiz verzehrt und der Frankreich so bedeutende Dienste im Felde wie als Unterhändler, nicht etwa aus Pa- triotismus, aus Begeisterung für dieses neugegründete afrika- nische Reich, für die Idee einer Civilisationspropaganda in 299 dem Welttheil der Barbarei geleistet, sondern weil er Gene- ral werden möchte, weil ihm der Marschallsstab im Hinter- grund gelüste. Herr Duvivier dachte bei seiner Niederlas- sung in Ghelma gewiss zuletzt an das Interesse der Archäo- logen und gelehrten Gesellschaften. Was kümmerte ihn Ca- lamas Vergangenheit, wenn es ihm*nur gelang, hier einen neuen Waffenplatz zu gründen, der Achmet-Bey im Schach halten konnte? Das gewann ihm Verdienste genug, um auf die Beförderungsliste im Kriegsministerium geschrieben zu werden. Arbeiteten daher die Soldaten nur tüchtig am Mauer- und Casernenbau, sie hätten darüber die alten sieben Welt- wunder zusammenhauen dürfen. War die Errichtung des heutigen Lagers ein beklagens- werther Fall für den Alterthümler und seine Wissenschaft, so fand hingegen der Maler einigen Ersatz. Es ist wahr, viele gebrochene Colonnaden, die jetzt in die Mauern eingefügt sind, standen im October 1836 noch aufrecht, manche ziem- lich gut erhaltene Gebäude sind seitdem zum Gerippe gewor- den. Dagegen erstanden inmitten dieses gewaltigen antiken 'Trümmerchaos die wunderlichsten Neubauten, deren beider- seitige Vermischung einen wohl einzigen Contrast zeigt. Ich habe die Grösse des länglichviereckigen Lagers nicht gemes- sen, glaube aber, dass solches über eine Viertelstunde im Umfang hat. Es gleicht eigentlich mehr einem Dorf oder gar afrikanischen Städtchen, denn die neuen steinernen Krä- merbuden, Kaffeehäuser u. s. w., an welche die Magazine, Krankensäle, Ställe des Militairetablissements sich anreihen, sind in regelmässiger Linie gebaut und bilden förmliche Stras- sen. Alle diese Häuser sind aus den verschiedensten, zuwei- len prachtvollsten Steinarten, wie aus geschliffenem Granit, Marmor, Basalt oder aus Fragmenten von Tempelsäulen, aus 300 viereckigen Platten des Amphitheaters, des Circus u. s. w. zusammengeflickt. Darunter sind lateinische und französische Inschriften eingestreut. Und während der emsige Archäolog vor Eifer schwitzend einen Zusammenhang der verwitterten Buchstaben herauszubringen sucht, und oft am Gelingen ver- zweifelnd sich verdriesslich wegwendet, strahlen ihm gleich darneben funkelneue goldene Buchstaben ins Auge, verkün- den, dass in diesem Kaffeehaus Zeimonade gazeuse und Bil- lard a son service seyen. Bis zum Billard hatte es das alte Ghelma nach neun Monaten schon in der modernen Civilisa- tion gebracht. a Inmitten dieser Soldatenstadt voll geschäftiger Rothhosen bewegten sich ausser den zechenden Kriegern, den musiciren- den Arabern, den wiehernden Rossen, eine Menge junger wilder Thiere: Hyänen, Stachelschweine, Aasgeier mit gestutzten Flügeln, welche von den Soldaten jung eingefan- gen und zum Zeitvertreib aufgezogen wurden; denn die Jagd mit der Fliute in der Umgegend des Lagers hatte Duvivier streng verboten, um keinen falschen Allarm zu verursachen. Ueber dieser Baraken einzigem Schauspiele schwebt auf den höchsten Ruinen die Tricolorfahne, hier einer launenhaf- ten Fee ähnlich, welche mit der Numidierstadt eine so aben- teuerliche Zaubermetamorphose vorgenommen hat. Von Calamas wichtigen und bedeutenden Ruinen existirt noch keine gedruckte Beschreibung. Die Mitglieder unserer Commission verweilten dort zu kurze Zeit und hatten zu ge- ringe Mittel. Viele interessante Inschriften mögen unter den umherliegenden Ruinen noch verborgen seyn und können nur durch ein Umwälzen der oft zehn Centner schweren Blöcke zu Tage gefördert werden. Für die Untersucher dieser Ruinen ist daher erste Bedingung einer gründlichen umfassenden Ar- 301 beit, dass man ihnen eine hinreichende Zahl kräftiger Arbei- ter an-die Seite gebe, mit deren Beistand sie unter dem Steinhaufen nach Herzenslust stöbern könnten, ohne das Ge- ringste zu zerstören. Das besterhaltene Gebäude, aus dessen Form man bis jetzt noch nicht recht klug geworden , liegt an dem westlichen Ende des Lagers dicht an dem Thore, wo der Markt gehalten wird. Es ist ein schönes Werk, ziem- lich imposant und mit mancherlei Zierrathen geschmückt; ei- nige halten es für einen Tempel, ohne gleichwohl für diese Behauptung stichhaltige Gründe anzuführen. Das Gebäude hat keine Säulen. Das Amphitheater liegt in geringer Entfernung östlich vom Lager. Fünf geräumige Stulenreihen erheben sich über einander bis zu dem hohen Sitz der Proconsuls oder Prätors. Es ist mit hübschen grossen Porphyr- und Schieferplatten gepflastert. Die freie Aussicht des Amphitheaters ist gegen Westen, wo das weite Thal des Seybuss — jetzt eine unge- heure ruinenbesäete Wildniss, deren Hintergrund ein dünn bewaldeter Berg umfasst — ein grandioses, wenn auch un- förmliches und in seiner unbewohnten Stille trauriges Panora- ma aufrollt. Unter den übrigen Ruinen erwähne ich einen dem Hercules geweihten Altar, mit einer interessanten Inschrift, welcher aber jetzt umgestürzt ist *). Ein Inschriftfragment, welches Herr Berbrugger auf dem höchsten Stadttheil an einem, so viel ich mich erinnere, von den übrigen Trümmern völlig isolirten Stein fand, lässt kei- nen Zweifel mehr, dass Ghelma die Calama des Orosius**) und St. Augustin’s ***) gewesen. Orosius sagt, dass bei Ca- °) S, Bd. II. °°) Orosius Lib, V. Cap. 15. **°) St, Augustinus contra Literas Petiliani Lib. II. Cap. 99. 302 lama eine bedeutende Schlacht zwischen Jugurtha und Aulus Posthumius geschlagen worden sey. Die römische Armee des letztern wurde damals von dem numidischen König fast vernichtet. Sallust, der von diesem Treffen längere Erwäh- nung macht, schreibt, es sey bei Suthul vorgefallen. Unter den Mitgliedern unserer Commission erhob sich ein sehr erbau- licher Streit, ob wohl das heutige Ghelma der Localbeschrei- bung des Sallust’schen Suthul entspräche und Calama daher wohl der römische, Suthul der numidische Name gewesen sey. Sallust bezeichnet Suthuls Lage mit den Worten: „Si- tum in praerupti montis extremo.‘ Will man nun „extremo“ mit äusserstem Berggipfel übersetzen, so entspricht dies nicht der Lage Ghelmas , welches auf einem der letzten Ab- hänge des Gebirges Mauna liegt. Herr Berbrugger verthei- digte diese Uebersetzungsart und meinte, Suthul müsse eine andere Stadt gewesen seyn. ÜUebersetzt man dagegen: „auf dem äussersten Vorsprung des Gebirges*), so bezeichnet dies die Lage Ghelmas ganz richtig. Capitän Mangay redete eif- rig dieser letzteren Auslegung das Wort. Der gelehrte Streit, der sich zwischen diesen beiden Herren zu Medschez-Ammar am Tage vor dem Aufbruch der Armee nach Constantine entspann, während überall nur kriegerische Gespräche und Soldatenlärmen sie umgab, war sehr ergötzlich und wurde mit einer Hitze geführt, die gerade für die Archäologie am we- nigsten passt. Der bekannte britische Reisende Grenville Temple und der dänische Consul Falbe, durch seine Arbei- ten über die Ruinen von Karthago bekannt, schlossen sich der Meinung des Herrn Mangay an. Für die acht Stunden °) Einige Manuscripte Sallust’s schreiben: ‚in extremo margine montis,‘“ was also letzterer Uebersetzungsart zu Hülfe käme. 303 weiter südlich liegende Ruinenstadt Anuna würde wohl die er- stere Uebersetzungsweise passen, denn diese liegt wirklich auf dem Gipfel eines Berges, dagegen fehlt dort die sumpfige Ebene, deren Sallust erwähnt und die sich in dem grossen Seybussthal bei Ghelma noch heutiges Tages vorfindet*). Die Entfernung zwischen Ghelma und Medschez-el- Am- mar beträgt, wenn man der neuangelegten Heerstrasse folgt, fünf Stunden. Der Weg ist sehr abschüssig und dem schwe- ren Geschütz nur mit Mühe zugänglich. Medschez - Ammar ist der Name eines Bergkessels, den der Seybuss durch- strömt; der arabische Name bedeutet eigentlich ‚,Uebergang des Ammar.“ Der Seybuss, welcher an manchen Stellen sehr tief und wegen der steilen Ufer schwer zu passiren ist, bil- det dort eine Fuhrt. Das ganze Thal von Medschez-Ammar hat nicht über fünf Stunden im Umfang; es ist schön bewal- det von dunkelgrünen Tamarisken, Mastixbäumen und Sil- vestristannen, die Berge sind im Westen und Süden von ziem- ' lich ansehnlicher Höhe. Im Süden liegt der berühmte Ras- el-Akba, auf welchem Achmet Bey damals mit seiner Ar- mee lagerte. Medschez- Ammars Gegend ist nicht sehr pitto- resk, denn ihr fehlt die Variation. Gleichwohl theile ich die Meinung des Malers Foucaud, dass _diese stille afrikanische Waldgegend gerade durch ihre so ansprechende Einfachheit als Landschaftsgemälde von grosser Wirkung seyn müsste, wenn eine Meisterhand es verstände, den sinnig melancholi- schen Charakter, das „heilig Wilde“ des Atlasthales so wie- *) Der auf der Bresche von Constantine gefallene Capitän Hacket hat unter vielen lateinischen Inschriften auch zwei maurische zu Ghel- ma gefunden und davon treue Copien nach Paris geschickt, möglich, dass diese über den numidischen Namen der Stadt Aufschluss ge- ben. ? 304 derzugeben, wie man es beinahe mehr fühlt als sieht beim Wohnen in Medschez - Ammar. Bei meinem ersten Aufenthalt stand dort ein prächtiges fliegendes Lager, und obwohl die gesammte Truppenmasse nicht über 10,000 Mann betrug, so nahmen doch Baraken und Zelte ein Terrain von fast Dreiviertelstunde im Umkreise ein. Ein ganzes Dorf von Scheuken, aus Baumzweigen erbaut, voll tollen Lebens war dort erstanden. Lange Laubsäle, in wel- chen die Officiere speisten, grüne Paläste aus Mastixzweigen mit einer Eleganz gebaut, die nur Franzosen möglich, bildeten dort unabsehbare Gassen — ein Elfengemälde, das gleich dem Paradies der Titania in ein spurloses Nichts zusammenfiel, als die Trompete zum Aufbruch nach Constantine blies und die Klugheit gebot, diese grüne Stadt zu zerstören und nie- derzubrennen, damit keine meuchelmörderischen Beduinen sich dort im Hinterhalt verstecken konnten. Am 28. September machte der Herzog von Nemours mit einer zahlreichen Escorte einen Ausflug nach Hammam-Mes- khutin. Berbrugger, Mangay und ich waren die einzigen Mitglieder der Commission, ‘welche dem grossen Militairge- folge des Herzogs sich anschliessen konnten, da die übrigen Mitglieder noch nicht eingetroffen waren. Der Obrist Duvi- vier war von den französischen Militairs der erste, welcher auf seinem einsamen Sitz zu Ghelma, neugierig geworden durch die Erzählungen der Araber, sich zu einem Ausflug nach Hammam-Meskhutin entschloss. Bezaubert von dem so fremdartigen Schauspiel der rauchenden Felsen und der wil- den Scenerie, schrieb dieser sonst marmorkalte Kriegsmann an den Marschall Clauzel einen enthusiastischen Bericht, mit dem er nicht wenig die Neugierde aller derer aufregte, die nicht so glücklich wie Duvivier waren, die Mysterien des al- 305 ten Atlas schauen zu können. Bei unserm Aufbruch hiess es, Achmet Bey, der mit seinem Heere auf den Höhen des Ras- el - Akba lagerte, habe bei den Quellen ein Lazareth er- richtet. Allein die Cavalerierecognoseirung, die man nach dem Gebirge schickte, brachte bald die Nachricht, dass die ganze feindliche Armee auf dem Rückzuge nach Constantine begriffen sey. Der Weg nach Hammam -Meskhutin ist zu Pferde müh- sam und schwierig. Bald ging es über steile Abgründe, wo das Steingerölle hinter dem Reiter her donnerte, bald durch überragende Bäume und so dichte Gesträuche, dass man bei jedem Schritt fürchten musste, an den Aesten angespiesst zu bleiben. Die ,„verfluchten Quellen‘ befinden sich in einem kleinen Bergthal voll schöner Pflanzen und Gebüsche. Das kochende Rauschen des grossen Quellsturzes und die schwar- zen aufwirbelnden Dampfwolken sind schon aus ziemlicher Ferne bemerkbar, aber ehe man des schönsten Anblickes von Hammam-Meskhutin geniesst, verweilt der verwunderte Blick auf den seltsamen pyramidenförmigen Felsenkegeln, die wie eine Masse isolirter arabischer Zelte aus dem flachen Boden sich erheben. Die Farbe dieser Steinkegel ist, wie ihre Grösse, verschieden, von dem dunkelsten Aschgrau bis fast zur Hellweisse des Schnees. Die kleinsten sind zwei bis drei Fuss hoch, die beträchtlichsten erreichen eine Höhe von fast zwanzig Fuss. Der Anblick der bizarren Felsenfiguren, ne- ben welchen allenthalben rauchende Dampfsäulen aus der Er- de steigen, ist so gespenstig, das Phänomen scheint so über- nafürlich, dass man in der ersten Ueberraschung sich beinahe versucht fühlt, der arabischen Sage über die Entstehung des Ortes Glauben beizumessen. Ein alter arabischer Scheikh Ali-Ben-Saadı erzählte uns zu Ghelma diese Sage ungefähr Morıtz Wasner’s Algier. I. 20 306 mit folgenden Worten: „Es lebte in dieser Gegend einst ein reicher und mächtiger Araber, welcher für seine Schwe- ster in strafbarer Leidenschaft entbrannt, kein anderes Mit- tel fand, dieselbe zu befriedigen, als mit dem Gegenstande seiner Liebe eine gesetzliche Heirath einzugehen. Die Reli- gion aber und die Landessitten widersetzten sich dieser blut- schänderischen Verbindung, und Kadis und Priester versag- ten lange ihre Einwilligung zu einem Acte, welchen Allah in der andern Welt mit so furchtbarer Strenge straft. Aber bestochen von dem Gelde des reichen Mannes und einge- schüchtert von seinen Drohungen, liessen Kadi und Priester sich doch endlich überreden, den Heirathscontract zu schlies- sen und in das Haus der neuen Eheleute sich zu begeben, um Theil an Fest und Schmaus zu nehmen. Die Volksmen- ge wollte eben so den Freuden der Hochzeit beiwohnen, und eilte herzu mit Trommeln und Pfeifen. In ungeheuren Kes- seln kochte der Kuskusu,, welcher ausgetheilt werden sollte an die Eingeladenen sowohl, als an die Vorübergehenden, die das Geräusch der Musik und der Geruch der Schüsseln her- beilockte; reizende Tänzerinnen entzückten bei Trommel- und Cymbelnklang die Augen der Gäste durch ihre wollüstigen Pantomimen und Stellungen; eingewiegt in trunkene Lust und Fröhlichkeit war die ganze Gesellschaft, als Allah end- lich, im gerechten Zorn über das gottlose Gelage, seinen Fluch schleuderte auf Eheleute, Kadi, Marabut und Volk. Die hauptsächlichsten Personen des Festes, sowie die Mu- siker und Tänzerinnen, wurden zu Steinen verwandelt. Es sind dieses die Figuren, welche in Kegelform das ebene Ter- rain von Hammam -Meskhutin bedecken. Der grösste Kegel soll der Marabut seyn, welcher das blutschänderische Paar einsegnete. Die Volksmenge floh entsetzt das verfluchte Haus, 307 aber Gottes Zorn erreichte sie auf dem Wege, Sie wurden gleichfalls in Stein verzaubert und bilden den mit: spitzigen Zacken bedeckten Felsen, der das Bett des Uad- el- Meskhu- tin überragt. Die kochenden Kessel, welche das gottlose Gastmahl bereiten sollten, wurden verdammt, ewig zu kochen und zu sieden. Man hört unter dem Boden das heiss 'zischen- de Wasser, das sie enthalten. Aus diesen Kesseln, erzählte der arabische Scheikh, steigt der Dampf, den ihr heute seht. Dieser, wie der Schwefelgeruch, verkünden dem Wanderer von weitem schon, dass hier ein verfluchter Ort sey, und dass der Zorn Gottes alle diejenigen treffe, die von den Quellen trinken. Daher der Name Hammam-el-Meskhutin, die verfluchten Quellen. “ Unter einem romantischen Volke, welches die Wunder und Märchen liebt, ist diese Sage über die Entstehung eines ausserordentlichen Naturphänomens durchaus nicht auffallend. Die Araber können oder wollen nimmermehr, wie wir, sol- che für sie räthselhafte Erscheinungen auf natürlichem Wege erklären. Jene Pyramidenkegel befinden sich sämmtlich auf einem ebenen Terrain. Das Wasser, welches dort kochend- heiss an den verschiedensten Punkten aus der Oeffnung der Erde sprudelt und über das Thal hinfliesst, enthält als Haupt- substanz eine bedeutende Masse kohlensauren Kalk, welcher sich auf der Erde absetzt, in dem Masse, als das Wasser verdampft. Auf diese Art bildet sich, dicht um das Mund- loch der Quelle, die erste weissröthliche Kalkschicht. Auf diese thürmt dann der Quellsprudel mit der Länge der Zeit immer neue Schichten, indem er zugleich mit seinem herab- träufelnden Wasser den Durchmesser der untersten Schichten vergrössert. So erhebt sich nach und nach der Pyramiden- kegel, bis der Sprudel auf der äussersten Spitze durch seine 20 * 308 eigene verhärtete Substanz verstopft wird. Ist dann mit der Vollendung der Kegelbildung der aus den Eingeweiden der Erde kommende Quellsprudel nicht versiegt, so wird er ge- zwungen, sich eine andere Oeffnung zu suchen, da, wo das Erdreich seinem Ausflusse am wenigsten Widerstand leistet. Der Commandant Levaillant, der während seines Aufenthal- tes zu Medschez-Hammar die Quellen häufig ganz allein be- suchte, bemerkte eines Tages einen Quellsprudel, der so eben seinen Ausfluss erzwang, an einer Stelle, wo früher keine Oefinung gewesen. Das Wasser dieses neuen Sprudels hatte in dem Augenblick seiner Entstehung 80° Reaumur. An al- len übrigen Punkten zeigen die Quellen selten über 70°; die geringste Wärme ist 71° R. Gewiss gehören daher diese Thermalbäder des Atlas zu den heissesten Quellen der Erdku- gel. Obwohl noch bis auf den heutigen Tag keine chemi- sche Analyse derselben gemacht wurde, so zeigt doch schon eine flüchtige Beobachtung, dass sie eine bedeutende Masse in Kohlensäure aufgelösten kohlensauren Kalk, kohlensaures Eisen und ziemlich viel Schwefelwasserstoff enthalten. Man gewahrt auf einem ziemlichen Umfange zu Hammam-Meskhu- tin neue Felsen in Bildung. Diejenigen, welche bei den Mundlöchern der Quellen zunächst sich befinden, sind schnee- weiss, noch ziemlich weich und rein aus kohlensaurem Kalk gebildet. Etwas weiter entfernt sieht man Kegel, deren Bil- dung erst kürzlich vollendet ist. Ihre Farbe ist weissröthlich und der leichte Dampf, der bei einigen noch von der Spitze emporsteigt, beweist, dass der Canal der Quelle sich erst ganz kürzlich verschlossen hat und der Sprudel nun nach ei- nem neuen Ausweg kämpft. Endlich giebt es in grosser Zahl schon längst gebildete Felsen, deren Quelle völlig versiegt und deren graue Substanz fast so hart wie Granit ist. © 309 Auf dem Plateau des rechten Ufers des Flusses Seybuss, zwischen Medschez - Hammar und Hammam-Meskhutin, ge- - wahrt man zwei Felsensysteme, bei welchen die Pyramiden- kegel und übrigen Steinbildungen der verfluchten Quellen sehr deutlich wieder erscheinen. Beide kommen einander an Form, Bau und Zusammenhang vollkommen gleich. Es kann kein Zweifel seyn, dass sie auf dieselbe Art und durch dieselbe Ursache hervorgebracht wurden, obwohl an jenem Orte sich hentiges Tages keine Spur mehr von der Gegenwart der Quellen zeigt. Jene Felsenbildungen scheinen überdies zu be- weisen, dass der Ausgangspunkt der Gewässer sich im Laufe der Zeiten öfters verändert hat. Möglich wäre es vielleicht, zu erfahren, zu welcher Epoche die letzte Versetzung der Haupt- mündung erfolgte, denn ausser den römischen Ruinen des al- ten Badetablissements bei den heutigen Quellen existiren noch, eine halbe Stunde südöstlich ven Hammam - Meskhutin, die Reste eines andern römischen Landhauses. Die Nähe zweier solcher Etablissements ist nur durch die Vermuthung erklärbar, dass die Gebäude bei Hammam-Meskhutin erst er- richtet wurden, als die Quellen hier überflüssig zu werden und bei den entferntern Landhäusern zu versiegen anfıngen. Nicht unmöglich wäre es, dass Nachgrabungen auf der Stelle der beiden Ruinenüberreste auf dieEntdeckung des Zeitpunk- tes der Gründung dieser Etablissements führen würden. Auf der ganzen Gebirgslinie von Medschez-Hammar bis zum Ber- ge Maunor, unweit Ghelma, findet man auf der Erdoberfläche die Felsenbildung von Hammam - Meskhutin. Der dortige Hauptfelsen mag, wenn die Zeit seiner Entstehung mit der Gründung des römischen Badehauses zusammentrifft, nach der historischen Berechnung immerhin nahe an 2000 Jahre alt seyn. Nimmt man nun an, es habe immer nur, wie heutigen 310 Tages, eine einzige Hauptquelle bestanden und die Versetzung derselben sey die Ursache dieser sämmtlichen bizarren Kalk- steinbildungen, in welche Epochen mag dann die Entstehung all jener Felsen von denselben Formen fallen, die in einem Umfange von vier Stunden den dortigen Boden bedecken? Die Nachgrabungen bei dem Lager Medschez-Hammar, wel- che an mehreren Stellen den untersten Felsengrund zu Tage förderten, sind nur geeignet, das Räthsel dieses unermessli- chen Kalkfelsenbaues noch unerklärbarer zu machen, denn die tiefsten Schichten zeigten völlig dieselben Kalkbestand- theile, wie die Felsen von Hammam-Meskhutin. Es ist kaum anders denkbar, als dass diese Massen von Felsenschichten, die aber nur das Werk einer Reihe von Jahrtausenden seyn können, von dem Quellabsatze nach und nach auf ein- andergethürmt wurden. Solche Thatsachen aber würden frei- lich den Ursprung der Erdkugel in ein ungeheures Alter zu- rückversetzen. Hammam-Meskhutin ist in geologischer Hinsicht gewiss einer der merkwürdigsten Punkte der Erde. Aber um dort mit gründlicher Ruhe forschen zu können, ist Zeit und Si- cherheit nothwendig. Wir verweilten nicht, sondern über- schauten diese imposante Naturerscheinung nur im Fluge. Ob- wohl der Bey von Constantine sich aus der Gegend entfernt hatte, so war es doch nicht rathsam, den Weg vom Lager bis zu den Quellen ohne bewaffnete Escorte zurückzulegen, denn einzelne Maraudeurs von Achmet’s Heere machten die dortigen Umgebungen höchst unsicher. Inzwischen hätte eine Escorte von funfzig Soldaten vollkommen hingereicht, die Mitglieder der vom General Damremont ernannten Com- mission scientifique während ihrer Nachforschungen zu Ham- mam-Meskhutin gegen jede Gefahr zu sichern. Allein der sll General Damr&mont war auch, wie mancher seiner Vorgän- ger, wenig mehr, als ein Charlatan, der in Paris für einen eifrigen Begünstiger der Wissenschaften zu gelten wünschte, und in Afrika nichts für dieselben that. Die Truppencomman- ten verweigerten immer unter irgend einem Vorwande die von uns verlangte Escorte. Man brauchte die Soldaten heute, um Convois zu begleiten, morgen, um Fourrage zu holen. Als es aber dem Herzog von Nemours einfiel, die verfluchten Quellen zu besuchen, da war ein Bataillon dem General Dam- remont zur Escorte nicht genug. Er liess drei Regimenter ausrücken, obwohl in weiter Runde sich keine grösseren ara- bischen Zusammenrottungen zeigten. Wir machten den Hin- und Herweg ohne einem Araber zu begegnen. Dem jungen . Prinzen waren wir übrigens für seine Neugierde herzlich dankbar, denn ohne ihn hätten wir den merkwürdigen Ort gar nicht zu sehen bekommen. ; Die Ruinen des alten römischen Badetablissements sind beträchtlich und ziemlich gut erhalten. Sie tragen nicht we- nig dazu bei, durch ihre malerischen Formen die wunder- bare Gegend zu verschönen. Die römische Wasserleitung ging von der Höhe eines kegelförmigen Kalkfelsens aus, welcher in der Richtung seiner Axe gespalten ist und von dem die Hauptquelle sprudelte, die das Thermalbad mit Wasser ver- sah. Dieser Felsen ist heutigen Tages völlig erkaltet, steht aber ganz nahe bei der jetzigen Hauptquelle.e Man gewahrt deutlich die Reste des öffentlichen Badbehälters und die’ klei- nen Privatbadbecken, welche unbedeckt waren. Einen andern Badbehälter bedeckten hohe Bögen von Quadersteinen, welche gut erhalten sind. Ebenso ist die äussere Bastion des Ge- bäudes, die, wie es scheint, zur Vertheidigung diente, fast ganz unversehrt. Endlich sagt ein: ,„‚Sacrum dis manibus... 312 Pomponius clarus Vir,‘ dass dort auch einige römische Grä- ber sich befinden. Sehr auffallend ist es, dass wir in keinem der alten Schriftsteller, welche über Numidien geschrieben, eine Erwähnung der T'hermalbäder finden , die, nach den be- deutenden Ueberresten der Gebäude zu schliessen, zu den Römerzeiten sehr besucht waren. Wir kennen nicht einmal mehr den Namen dieses alten Etablissements. Die von eini- gen Schriftstellern erwähnten Aquae tibilitinae sind zuversicht- lich, der alten Beschreibung nach, die heutigen Quellen von Hammam-Berda, welche nur geringes Interesse bieten, und sich auf keine Weise mit Hammam - Meskhutin vergleichen lassen. Nachdem wir das Thal mit seinen seltsamen Felsenpy- ramiden, seinen Ruinen und rauchenden Schlünden eine Zeit lang angestaunt hatten, begleiteten wir das Gefolge des Prinzen zn der imposantesten Stelle, die an malerischer Schönheit Al- les, was ich in Tyrol und der Schweiz gesehen, bei weitem hinter sich lässt. Es war der grosse dampfende Wasser- sturz, der östlich von den Pyramiden sehr nahe bei den Rui- nen liegt, und dessen Donnermusik wir schon längst aus ei- ner ziemlichen Entfernung gehört hatten. General Damre- mont, der den Cicerone des Prinzen machte, wollte diese wunderbarste Stelle des Wunderortes zuletzt seinem jungen Gaste zeigen, um dessen schon durch die übrigen Erschei- nungen mächtig erregte Ueberraschung hier auf das Höchste zu spannen. Ich kann den grossen Kalkfelsen Hamman- Meskhutin, der, vom Absatze des Wassers gebildet, mit jedem Tage an Höhe und Umfang zunimmt, mit nichts Bezeichnen- derem vergleichen, als mit einem unserer Alpengletscher, wel- che, von ewigem Schnee starrend, ihre weissen Riesenwände, ihre Eiszacken und überschneiten Spitzen in allen Formen nach den Wolken erheben. Der Kalkgletscher von Hammam- 313 Meskhutin hat völlig die Farbe des frischen Schnees, nur hier und da zeigt derselbe einen gelbröthlichen Schwefelansatz. Die aus dem Quellabsatz sich bildenden Figuren sind noch viel bizarrer, als die Eisformen auf den Alpengletschern. Man wähnt da Pflanzen, Muscheln, Seesterne u. s. w. aus ‚dem Felsen wachsen zu sehen. Mit jedem Tage verwandeln sich diese Figuren wieder durch den frischen Kalkzusatz und gestalten sich zu neuen wunderlichen Gebilden. Ueber die- sen Kalkfelsen und seine versteinerten Thiere und Pflanzen- gruppen stürzt der siedende Wasserfall der grossen Quelle zischend, dampfend, donnernd in den Abgrund. Von jedem Felsenzacken prallt der heisse Wasserstrahl zurück, peitscht mit seinem Sprudel dann wieder den tiefern Abhang und fällt so, schwarze Rauchwolken ausspeiend , von Stufe zu Stufe, bis er sich unter dem Felsen mit den übrigen Sprudeln ver- einigt, und den heissen Bach Uad-el-Meskhutin bildet, der in einem gut gezeichneten Bette den Lauf nach Süden nimmt. Ich folgte seinem Bette nur einige hundert Schritte weit, wo das Wasser noch immer über 60° Reaumur zeigte. Ueber den weitern Lauf dieses Baches und seine spätere Gestal- tung konnte ich von den Arabern nichts Zuverlässiges erfah- ren. Seine Ufer, so wie die Umgebungen der Quellen, ziert allenthalben eine reiche, herrliche, üppige Vegetation. Wirkonn- ten keinen bessern Zeitpunkt zum Besuche dieser Bäder wählen. Die Scilla maritima blüht in diesen Gegenden im Monat Se- ptember. Ihre prachtvollen weissen Blumenstengel bedeckten das Thal und die Felsen, sprossten zwischen den Ruinen- trümmern, und badeten oft dicht an den Quellen ihre Blüthen-, spitzen in dem kochenden Wasser. In wenigen Minuten setzte sich eine Kalkkruste an und — versteinerte gleichsam die Blumen (nach dem Ausdrucke der Gäste in Carlsbad‘). 314 Diese wirklich wunderschöne Blume trägt zur pitto- resken Zierde der Gegend von Hammam-Meskhutin in hohem Grade bei, und ich würde jedem Maler ‘empfehlen, seine Zeichnung der Quellen zur Blüthezeit der Scilla maritima auf- zunehmen. Alle diejenigen Personen, welche den Ort im Monat September besuchten, werden mir darin beistimmen. _ Auch andere schöne Pflanzen, darunter manche seltene Art, bedeckten damals in Menge das kleine fruchtbare Thal: Ge- ranium numidicum, Scilla autumnalis, Passerina hirsuta und die weissen Blüthen des Daphne Gnidium sprossten in Menge dort. Hier und da am Fusse des Felsen zeigte sich die sel- tene Lawsonia inermis oder die Henna der Araber, aus wel- cher diese ihre rothe Farbe bereiten. Die schöne Iris alata leuchtete mit ihren himmelblauen schmetterlingförmigen Blu- men in ungeheurer Zahl aus der grünen Vegetation. Eine so prächtige Pflanzenwelt, so dicht bei Felsen und rauchenden Quellen, überrascht und verwundert. Nie hätte ich mir die Hölle und das Paradies in solcher Nähe beisammen gedacht. Ich weiss nicht, ob eine Zeichnung von Hammam - Mes- khutin existirt. Die Künstler Flanta, Foucgaut, Perier, wel- che die Expedition nach Constantine begleiteten, kamen zu spät im Lager an, um unsern Ausflug mitzumachen. Ob Ho- race Vernet bei seiner Reise nach Constantine die verfluchten Quellen, welche von der Strasse seitwärts liegen, besucht: hat, ist mir nicht bekannt. Unter dem Gefolge des Prinzen war ich der einzige Civilist. Ich bemerkte mehrere Officiere, darunter einen Adjutanten des Herzogs, die einen flüchtigen Umriss des Wasserfalles auf das Papier zu bringen versuch- ten, aber der Bleistift stockte in ihrer Hand, das Auge war nur wnaufhörlich, wie festgezaubert, dem Phänomen zuge- wandt. 315 Wir verweilten drei oder vier Stunden auf dieser Stelle. Das Gefühl Aller beim Weggehen war eine Art von Betäu- ‘bung, ähnlich dem Erwachen aus einem Opiumtraum. Ich appellire an alle übrigen Augenzeugen, dass ich nicht im Min- desten übertreibe. Es war nicht Ein Militair anwesend, der nicht das allgemeine Erstaunen getheilt hätte; man schaute nur und sprach wenig. Die Gruppe der damaligen Zuschauer war unter den übrigen Erscheinungen nicht die am wenig- sten auffallend. Die Regimenter blieben auf den südöstli- chen Höhen aufgestellt, nur der Prinz, die Generale, Stabs- officiere und Adjutanten kamen der Quelle ganz nahe. Dar- unter waren Caraman, Perregaux, Combes und manche an- dere, welche vor Constantine wenige Tage später ihr Grab _ fanden. Schwerlich hatte diese einsame Gebirgsgegend je so vornehmen Besuch gebabt. Hammam - Meskhutin ist ge- wöhnlich ganz verlassen; es existiren keine Duars in der Nähe, der Araber meidet so viel als möglich den verfluchten Ort, und das Geräusch der Gewässer verscheucht von dort die wilden Thiere. Jene goldgestickten Herren in dem ein- samen Atlasthale, dem Wunder des alten Zaubergebirges lauschend, boten gewiss einen höchst originellen Anblick, und vielleicht waren die Quellen so sehr über die rothhosigen Fremdlinge, als diese über die Quellen erstaunt. Gar drol- lig war es aber da anzusehen, wie mancher der geputzten Kriegsmänner erschrockene Sprünge machte, wenn unter sei- nen Füssen der Boden wankte, oder wenn er die unterirdi- sche Hitze an seinen Sohlen fühlte. Im Uebrigen standen die Zuschauer fast immer regungslos; keiner getraute sich, seinem Nachbar seine Bemerkungen, seinen Enthusiasmus, sein Erstaunen auszudrücken, und wenn einer das Geringste äusserte, so war sein Wort ein leises Flüstern, fast mit ver- 316 haltenem Athem. Es kam mir fast vor, als fürchte jeder, die versteinerten Todten aus ihrem magischen Schlafe zu wecken, und von allen jenen kühnen Kriegern schien kein einziger von Abenteuerlust sich versucht zu fühlen, den Zau- ber der verfluchten Quellen zu lösen. 317 XIII. Reise in das Innere der Provinz Constantine — Der Ras-el-Akba. Besteigung des höchsten Gipfels. — Die Ruinen „Anunah.‘“ — Sidi- Tamtam. Gräber. — Oede Hochebenen, Ruinen. — Summah, ein antikes Monument. — Fernanblick der Umgebungen von Constantine,. — Das Plateau El-Mansura. — Anblick der Stadt Constantine von El-Mansura. — Der Rum- mel. — Kudiat-Ati. — Kirchhöfe. — Das Innere der Stadt Con- stantine.e Strassen. DBuden. Kaffeehäuser. Moscheen. Der Palast Achmet’s. Das Wohnhaus Ben-Aissa’s. Die Kasbah. Rui- nenreste. Die Römerbrücke über den Rummel. Aquaeduct. — Ausflug in die nächsten Umgebungen von Constantine. Das ‚herrliche Thal des Rummel im Nordwesten, Anblick Constan- tines von Westen. Die Thermalquellen von Sidi-Mimum. Der Sturz des Rummel. An Morgen des 1. October 1837 war das Waldthal von Medschez-Hammar in einer wunderlichen Bewegung. Trom- petengeschmetter und Trommellärm hallte vom Bergecho ge- tragen weithin durch die Wildnisse eines stummen Gebirges. Die zwei ersten Arineebrigaden mit einem langen Convoi be- wegten sich schwerfällig dem südlich gelegenen Berg Ras-el- Akba, dem höchsten Punkt der Gegend zu, über welchen der Weg nach Constantine führte. Die Entfernung des Ras - el- Akba vom Lager betrug nicht über drei Stunden. Allein der . ungeheure Convoi, der die Armee wie ein Alp drückte, machte den Marsch so äusserst langsam, es fiel überdies ein so heftiger Regenschauer, dass wir erst Nachmittags die Höhe- 318 des Engpasses erreichten und an derselben Stelle, wo Ach- met’s Reiterhorden bis zum 28. September gelagert waren, den Bivouac bezogen. Die wissenschaftliche Commission, die mit zu dem Gene- ralstab gehörte, übrigens nach Willkür bei der Avantgarde oder dem Convoi verweilen durfte, hatte hier für ihre Thä- tigkeit ein erwünschtes Feld. Die Herren Falbe und Gren- ville Temple stellten ihre Höhenmessungen an, die Herren Berbrugger und Mangay stöberten in den nahen Ruinen Anunah,, mit deren Fragmenten der Weg besäet war; ich erstieg mit meinem Freund Muralt den Gipfel des Ras-el- Akba, der noch 800 Fuss über dem Engpass emporragte. Da feindliche Araber in der Nähe spukten und man bei der ge- ringsten Entfernung von der Armee auf Hinterhalte gefasst seyn musste, war dieser Bergausflug nicht ohne grosse Ge- fahr und als wir beide wieder wohlbehalten in’s Lager zu- rückgekommen, bestürmten uns die Officiere mit Vorwürfen über unsere „tolle Keckheit.“ Ja selbst der General Damre- mont, als er uns mit dem Fernrohr auf dem Gipfel sah, soll sich unwillig geäussert haben, wie denn Leute ihr Leben so leichtsinnig und unnütze auf’s Spiel setzen möchten. Hätte der General den guten Rath, den er uns damals geben woll- te, vor Constantine befolgt, so‘ wäre er wohl mit dem Mar- schallsstab, nicht in einem engen Breterhäuschen von dort ab- gezogen. Capitän Muralt wagte bei der Ersteigung des Ras- el- Akba mehr als ich. Er trug europäische Uniform, wäh- rend ich in einem langen weissen Bernuss, der vom Gebrauch schmuzig geworden, wenn ich die Kapuze über den Kopf zog, von einem Beduinen um so weniger zu unterscheiden war, als ich durch meine vielen Ausflüge und langen Lager- aufenthalt eine völlig gebräunte Haut bekommen hatte. Mu- 319 ralt führte dagegen Waffen, während ich im Falle einer Ge- fahr auf die Schnelligkeit meiner Beine vertraute. Der Berg wurde vom Bivouac an immer steiler und steiniger. Bald verschwand alle Dammerde. Der Ras-el-Akba ist ein Ur- kalkfelsen, der alle Spuren einer einstigen Katastrophe zeigt, denn nicht nur sind ungeheure Klumpen von ihm losgetrennt, sondern der ganze Fels hat auch eine solche Masse von Ris- sen, Sprüngen, Spalten und Löchern, dass hier offenbar eine gewaltige Erschütterung von unten auf stattgefunden. Der obere Theil des Berges ist ganz buschlos, eine starre Stein- wand. Unter den meisten losgelösten Blöcken, die ich um- kehrte, fand ich Scorpionen. Es war eine zwölfäugige Art, Androctonus Paris (Koch), die auch bei Bona und Algier vorkommt, aber von ausserordentlicher Grösse. Mit ihm in Gesellschaft fand ich verschiedene Insecten, die sich ganz gut mit ihm zu vertragen schienen, so namentlich den Acinopus obesus, der sich, gleich ihm, ein Grübchen unter dem Stein gegraben, damit dessen Last ihn nicht beschwere. Neu war für mich eine kleine, grüne, weissgefleckte Eidechse, ebenfalls unter Steinen, die mir viele Freude machte. Die Gefahr der Er- steigung war am grössten, als wir dem Gipfel uns näherten. Wenn wir irgend vom Feinde bemerkt wurden, durften wir uns auf einen Hinterhalt jenseits des Berges — den südlichen Abhang gewahrten wir erst, als wir den Gipfel erreicht hat- ten — gefasst machen. Doch wir erklimmten diesen und gewahrten keinen Feind in weiter Runde. Die Aussicht über die innern Bergzüge lohnte unser Wagniss keineswegs. Das Auge dominirt eine Landschaft von kahlen Bergen und öden _ Hochebenen, die wir bis Constantine durchwandern mussten. Der Anblick war wenig tröstlich und die unheimliche Leere der todten Bergwüsten, unserer nächsten Nachtquartiere, 320 - machte uns still und verstimmt. Wir gewannen die Heiter- keit erst wieder, als wir an den lustig: lodernden Bivouac- feuern die Zwiebelsuppe und deren Würze, die gemüthliche französische Plauderseligkeit wieder fanden. Die Höhe des Engpasses, wo wir lagerten, beträgt 2448 Fuss über dem Meere, der Gipfel mag etwa noch 800 Fuss sich über dem Engpass erheben. Ras-el- Akba heisst ‚der Treppenkopf.“ Ich übergehe die Schilderung des Lagergemäldes, die Bivouacscenen der französischen Armee auf den Höhen des Atlas. Dergleichen Episoden meiner Reisen mögen in einem andern Theile dieses Buches Platz finden. In geringer Ent. fernung östlich von unserm Nachtlager standen die öfters er- wähnten Ruinen von Anunah, So werden die Ueberreste ei- ner grossen römischen Stadt, deren alter Name noch bis die- sen Augenblick unbekannt ist, von den Arabern geheissen., Sie bedecken den steilen Abhang eines Berges, der einer- seits das herrliche Waldthal von Medschez-Hammar, ander- seits die öden Hochebenen und Berge gegen Süden und We- sten überschaut. Die Trümmer nehmen einen Raum von et- wa Dreiviertelstunde im Umkreise ein. Es sind einige gut erhaltene Gebäude von ansehnlicher Höhe darunter, Triumph- bögen, Thore, Tempel, der Rest eines Theaters, sehr viele Marmorblöcke mit mittelmässigen Sculpturarbeiten, welche be- weisen, dass diese Stadt vor Zeiten nicht ohne Pracht und Kunst gewesen. . Selbst bei dem ersten oberflächlichsten Be- schauen gewahrt man bald, dass diese Ruinen mehrere Me- tamorphosen durchgemacht, bis sie in ihren jetzigen Zustand gekommen. Unverkennbar ist nämlich, dass manche der noch stehenden Gebäude aus Trümmern von älteren aufgebaut wor- den und dass man mit ziemlich viel Ungeschick und Nachläs- sigkeit dabei zu Werke ging. Stücke von Pfeilern und Mar- 321 mornischen sind mit unter die Wandsteine verkrochen. Am auffallendsten gewahrt man dies bei der Ruine einer christli- chen Kirche, die aus Trümmern zusammengeflickt ist, welche den verschiedensten Monumenten angehört hatten. Ueber der, Eingangspforte, auf der Spitze der Kuppel sieht man ein grosses grobgearbeitetes Kreuz und darunter einen Anker und Compass aus Kalkstein von ebenfalls ziemlich roher Form. Unter den Steinen dieser Kirche bemerkt man die Inschrift, welche Shaw mitgetheilt und die seit einem Jahr- hundert nicht die geringste Veränderung erfahren. *) Wir copirten beim Rückmarsch etwa dreissig Inschriften; die we- nigsten aber bieten Interesse. Keine derselben enthielt den römischen Namen dieser Stadt. **) Der arabische Name be- deutet ‚ein Bassin von steilen Hügeln umgeben.“ Und in der That sieht man einen kleinen Weiher am Fusse des Berges, welch letztern die Araber Dschibel-el-Sara (Berg des Glückes) nennen. Einzelne Trümmer liegen, wie schon erwähnt, bis auf den Gebirgsweg, den die Armee eingeschlagen, zerstreut. Ich fühlte mich von solchem Alterthümlereifer erfasst, dass ich beim Besteigen des Engpasses, mein Pferd am Zügel füh- rend, bald da bald dort einen alten beschriebenen Stein er- griff und hinter meinen Sattel laden wollte. Immer warf ich °) Siehe III. Band, °°) Obrist Duvivier sagte mir bei meinem zweiten Besuch zu Ghelma im September 1837, die neuesten Nachforschungen, welche einige Genieofficiere wenige Wochen zuvor unter Begleitung von drei Regimentern angestellt, hätten zu einem glücklichen Resultat gerührt und der Name der Stadt sey in einer Inschrift entdeckt worden. Der Obrist war aber wohl im Irrthum, denn als die Commission deshalb später Erkundigungen einzog, wollte Niemand von einer solchen Ent- deckung wissen. Morıtz Waener’s Algier. 1. 21 322 ihn wieder weg, wenn ich, ihn betrachtend, von seinem ge- ringen Werth mich überzeugte. Endlich behielt ich aber doch den ziemlich beschädigten Kopf einer menschlichen Fi- gur in halberhobener Arbeit und hatte fast Lust, ihn die Reise nach Constantine und von dort zurück nach Bona ma- chen zu lassen. Ein Officier des Geniecorps, der viel öfter und länger als ich in den Ruinen gestöbert, fragte mich lä- chelnd, ob ich die Figur vielleicht für die Glyptothek des Königs von Baiern aufbewahren wollte. Da sah ich noch einmal in die groben Züge des halb verstümmelten Kopfes und warf diesen wieder weg.\ Ueberhaupt bemerkte ich un- ter den numidischen Ruinen zwar der imposanten Bauwerke viele, von feinen Kunstwerken, wie Statuen, Basreliefs, Mo- saik, aber nichts, was einer besondern Erwähnung verdiente. Wie es dem französischen Soldaten wohl zu Muthe seyn mochte, als er mit dem schweren Ranzen am Ras-el- Akba sacht hinaufschlenderte und durch die düstere Atmosphäre die ‘verlassene Stadt erblickte? Ihre grauen ausgezackten Massen vermischten sich mit dem untersten Anflug des Ge- wölkes so wunderlich, dass man oft wähnte, es sey Alles nur ein toller Nebelspuk , eine Fata morgana auf dem Atlas, eine Wolkenstadt, die der erste Windstoss wieder in die hohen Lüfte entführen würde, aus denen sie auf den alten Berg zum kurzen Erdenbesuch sich niedergelassen. Es reg- nete zuweilen scharf, aber es waren vorübergehende Schauer, und als die Armee ihren Bivouac bezogen, da erbarmte sich der Himmel der armen Krieger; er wollte sie nicht um die warme Abendsuppe bringen und kein Tröpfchen fiel mehr in die auflodernden lustigen Küchenfeuer. Von Anunah drüben hatte der Geisterspuk nun auch Abschied genommen. Die grossen grauen Nebelpaläste fuhren dem Himmel zu, während 323 Triumphbögen, christliche und heidnische Tempel, die Rie- senstaffeleien eines verfallenen Amphitheaters ihre massiven Glieder in den deutlichsten Umrissen zeigten. Wenige meiner Leser, wenige Europäer, selbst wenige Reisende, die nicht gerade diese Gegenden oder das Innere der Regentschaft Tunis besucht haben, dürften ahnen, welch sonderbaren Eindruck der Anblick einer numidischen Ruinen- stadt übt mit so bedeutenden Resten alter Pracht und Grösse, inmitten der tiefwildesten Gegend, wo man nichts von Cul- tur, wo man keine Spur von Menschen oder irgend lebenden Wesen in weiter Runde schaut, wo den Ankömmling überall nur die einförmige Melancholie der öden Waldberge und Rö- mergräber ohne Willkommen grüsst. Als die Bonaparte’sche Armee in Syrien die Ruinen von Heliopolis erreichte, da er- hob sie einen Schrei der Ueberraschung, der lange nicht verstummte. Und doch war der Ort vielen ihrer Begleiter nicht so völlig fremd. Längst waren jene Gegenden vor der ägyptischen Expedition von modernen Reisenden besucht und vielfach beschrieben. Man hatte Zeichnungen und topogra- phische Arbeiten über jene Länder, so dass die Reste der Sonnenstadt von Vielen wenigstens im Bilde zuvor gesehen worden, und man wusste im voraus, was man dort finden würde. Anders war es mit dem in viel tiefere, rohere Bar- barei versunkenen Numidien, wo tyrannische Beys, fanatische Christenhasser herrschten und ein wildes Räubervolk wohnte, das gleich begierig nach den Schätzen, wie nach dem Blute jedes christlichen Reisenden war. Einzelnen ist es wohl im vorigen Jahrhundert gelungen, einige Strecken im Innern der Regentschaft Algier zu durchwandern, wie dem brittischen Dr. Shaw, den Franzosen Peyssonel und Desfontaines und dem unternehmenden Bruce. Sie sahen aber nur einen geringen 21 * 324 Theil des Landes im Fluge als Begleiter der türkischen Colonne, die den Tribut eintrieb. Ihre im Ganzen ziemlich magern archäologischen Beschreibungen beweisen, dass sie im Innern nur an wenigen Orten lang genug verweilten, um Ruinen gründlich untersuchen und Zeichnungen aufnehmen zu können. Daher enthalten ihre Schriften auch meist nur eine Namenaufzählung der gesehenen alten Städte und im Fluge copirten Inschriften, von denen die wenigsten historisches In- teresse bieten. Unnennbar war die feiervolle Stimmung, der wirklich tiefe andächtige Schauer, der die Begleiter des französischen Heeres erfüllte, als sie zum erstenmale Calama, Anunah, die unbekannten Ruinenreste zwischen dem Ras-el-Akba und Constantine erblickten. Es wurden da wunderliche geheime Stimmen laut. Jene gewaltige Heroszeit, die bis in die Sa- hara ihre Monumente baute, sie war also doch keine Mythe? Dieses wilde Afrika war nicht immer der Sitz, die Beute des Beduinen gewesen? Wer den alten Quellen misstraute, wer die Ptolemäischen Städtelisten für blosses Schaugepränge hielt, dem verwiesen die Riesenleichen der Provincia Africa den beleidigenden Unglauben. Hier ist kein Zweifel möglich. Jene Römer waren nur Männer der That; sie gründeten fern von ihrem Mutterstaate mächtige Reiche, bauten Städte, deren Trümmer dem Zahn der Zeit trotzen, bis zur grossen Wüste, ohne davon prahlend in die Welt hinauszuschreiben. Viele grosse Ruinen, die man noch heutiges Tages anstaunt, sind unbenannt, fanden nicht einmal Platz in den Registern der alten Geographen, so diese Stadt vor uns, deren Trümmer fast eine Stunde im Umkreis bedecken. Und so geht es fort durch das ganze Land. Die französischen Heere sahen später die Ruinen von Sigus, Cuiculum, Sitifis. Fast eben 323 so bedeutende Städte lagen noch tiefer im Innern, und nach den übereinstimmenden Erzählungen der Renegaten, der zu- rückgekehrten französischen Gefangenen und Deserteurs, end- lich der Eingebornen selbst, namentlich der Biskris und Mo- sabiten, die aus den südlichsten Gegenden der Berberei stam- men, erfuhren wir, dass diese Städtetrümmer bis an den Rand der Sahara fortdauern. Im Blad-el-Dscherid und im Kobla giebt es Ruinen in grosser Zahl, fast an jedem Ort, wo Quellen sind und Palmen wachsen. Desfontaines fand deren tief im Süden der Regentschaft Tunis zu El-Hammanı am Ufer des Sees Schibka-el-Ludiah, unter dem 33% 30° nördlicher Breite. Abd-el-Kader sagte zu Herrn Berbrugger, der ihn um einen Ferman bat, um nach dem Grenzstrich der Sahara zu reisen, „Was willst du in dem Kobla®? du findest dort nichts, als viele alte Steine.“ Der gefangene Lieutenant Defrance sah römische Ruinen bei der neuen Residenzstadt Abd-el-Kader’s, Tekendent. Auch in den unzugänglichsten Gebirgen im Süden von Budschia am Fusse des Schneebergs Dschurschura, auf dem Plateau des Auras liegen Ruinen. Am Fusse des Auras (4200ov des Ptolemäus) lag die Stadt Lam- basa, jetzt vielleicht die imposanteste Ruine von ganz Numi- dien und Mauritanien. Der letzte Europäer, der sie gesehen, ist der Renegat Baudouin, der vier Jahre im Innern zuge- bracht und der verschiedenen Landessprachen auf eine erstaun- liche Weise Meister geworden. Die Schilderungen Baudouin’s, den ich öfters in Algier gesprochen und von dem ich sehr merkwürdige Mittheilungen erhalten, stimmen mit der Be- schreibung Peyssonels genau zusammen. Es existirten dort nicht weniger als vierzig 'Triumphpforten, die meisten hatten drei Eingänge mit prächtigen Säulen; sechzehn stehen davon noch aufrecht. Lambasa’s Ruinen bedecken das Land in 326 einem Umfang von drei Stunden. Welch ein Anblick erwar- tet das französische Heer, welches zum ersten Male das Plateau des Auras erklimmen wird! Seit mehr als einem Jahrtausend wurden Lambasa’s Ruinen nur von drei Euro- päern gesehen, die nur lange genug blieben, um zu staunen, und daun wieder weiter gehen mussten. Für Archäologen und Maler mag es dort noch eine reiche Fundgrube geben. Es war dunkel geworden in unserm Bivouac. Die Wol- ken, zu immer wechselnderen Gruppen sich gestaltend, wur- den lichter und durch die breiten Risse schaute das bleiche Nachtgestirn, das ich die Sonne der Ruinen nennen möchte, es zeigte uns das alte Anunah in seiner geheimsten geister- haften Pracht. Das Gemälde der vom fahlen Schein umflos- senen Trümmer war in der That wunderschön. Die wache- stehenden Soldaten Frankreichs, sonst nicht. eben in elegi- scher Stimmung, wenn die Kochpfanne zischt und die Bedui- nen in der Nähe spuken, blickten recht träumerisch sinnend nach der mondbeleuchteten Stadt hinüber. War es, um den Steinen das Räthsel der Römermacht abzulauschen und die wenig tröstliche Antwort herüberzuhören: so verfallen auch die mächtigsten Reiche, eure erst keimende Colonie wird auch einmal untergehen, wie wir, und nur Schutthaufen einer spätern Siegergeneration von euch zeugen? Ihr unbekannten numidischen Ruinen, könntet ihr die Geschichte eures Falles, die späteren dunkeln Schicksale uns erzählen, die über euch hingegangen, seit Genserich hier das Siegerschwert geschwungen. Weit beweinenswerther, als Aegyptens Gräberstätten, pilgert in euere Einsamkeit nie eine trauernde Seele, mit euch zu klagen über den Tod, der die grössten Nationen, so wenig als ihre herrlichsten Monumente verschont. Ein rauher, fanatischer Barbar blickt beim Vor- 327 überreiten mit Wuth und Hohn auf die gebeugte Stadt der Christen, und der Fledermäuse Fittiglied, das nur die Mitter- nacht vernimmt, summt allein die Bardenklage über das na- menlose Römergrab. Von Ras-el-Akba an bis Constantine führt der Weg über öde, aller Vegetation entblösste Plateaus. Die Waldve- getation dauert von Bona mit kurzen Unterbrechungen bis dicht an den Fuss des Ras-el-Akba fort. Von diesem Berg an sahen wir während eines fünftägigen Marsches eine klei- ne Baumgruppe, ziemlich weit vom Wege seitwärts, am Fusse des’ Berges Ansel, der über das Flüsschen Uad-el- Zenati sich erhebt. Am zweiten Marschtag erreichten wir Sidi-Ebn-Tamtam. So nennt man eine mit Kirchhöfen um- gebene arabische Kapelle, unter welcher die Reste des Hei- ligen gleichen Namens begraben liegen. Es ist dies das ein- zige steinerne Gebäude, das wir auf dem 22 Stunden langen Marsch von Medschez - Hammar bis Constantine zu sehen be- kamen. Nur Gräber also stören die verzweifelte Monotonie der Gegend. Die arabischen Ruheplätzchen sind dort sehr einfach, sowie ich sie bei. Algier erwähnt, blos mit drei Steinen bezeichnet. Zwei Stunden südwestlich von Sidi-Ebn-Tamtam fliesst der Uad-el-Zenati, der sich später mit dem Seybuss vereinigt. Es ist ein unbedeutender Bach, übrigens. doch noch das an- sehnlichste Gewässer zwischen Medschez-Hammar und Con- stantine. Seine Quelle ist im Gebirge Abu-Gharab. An sei- nen Ufern wächst einiges Gras, welches den Pferden und Lastthieren sehr willkommen war. Auf diesen dürren Hoch- ebenen sprossen dünne, niedere Kräuter nur an Stellen, wo Quellen oder Bächlein fliessen. Der ganze übrige Boden ist nackt oder theilweise mit Disteln bedeckt, die man bei dem 328 gänzlichen Mangel an Brennholz eifrig sammelte, um damit die Abendsuppe kochen zu können. Nur wenige arabische Duars erblickt man zur Seite des Weges. Sie standen von ihren Bewohnern verlassen und das aufwirbelnde Feuer, wel- ches den Strohvorrath oder auch die Hütten verzehrte, ver- kündigte den Entschluss Achmet’s, den Franzosen nichts als Asche und Trümmer zu lassen. Am 5. October erreichten wir El-Summah. So nennen die Eingebornen ein römisches Monument, welches den Gi- pfel eines Hügels krönt und aus dessen Form die Archäolo- gen der Commission über seine frühere Bestimmung nicht recht klug geworden. Es ist ein hohes viereckiges Gebäude von breiten Stufen umgeben und von vier hohen Säulen ge- stützt, deren jede eine in runder Scheibe ausgeschnittene steinerne Zierrathe schmück. Am Fusse des Monuments liegt eine grosse Masse viereckig zugehauener Steine in wil- der Unordnung durcheinander. Allem Anschein nach sind sie von dem Monument herabgestürzt, so dass dieses früher ent- weder viel höher oder von einer Mauer umgeben gewesen seyn muss. Unter diesen losgebrochenen Steinen hat einer die Form eines Kreuzes Der arabische Name El-Summah bedeutet „Thurm.“ Von El-Summah bis Constantine beträgt die Entfernung nur zwei Stunden. Die Landschaft erheitert sich hier wie- der. Man überblickt ein länglich schmales Thal, das der Rummel in westlicher Richtung durchströmt. Grüne Bäume, und menschliche Wohnungen, zwei so wohlthuende Dinge, wenn man fünf Tage lang durch eine nackte Wüstenei gezo- gen, traten im Hintergrunde des Thales, wo westlich das Plateau El-Mansura, östlich der Berg Kudiat-Ati mit seinen Friedhöfen sich erhebt, hervor. Ein sehr schöner Flor von 329 Olivenbäumen liegt im Osten am Ufer des Rummel. Da aber die Armee in gerader Richtung nach dem Plateau El-Mansu- ra sich bewegte, und die Höhe über dem Rummel, sowie seine beiderseitigen Ufer von arabischen Reiterschwärmen wimmelten, so wagte sich keiner von uns nach dem nahen Wäldchen hinüber. Der Marschall Clauzel vergleicht in seiner Brochure den Berg El-Mansura mit dem Budscharea bei Algier. Ich fin- de beide nicht im Mindesten ähnlich. El-Mansura ist ein völlig kahler Berg, auf dessen Höhe ein Plateau von etwa einer halben Stunde im Umkreise liegt; der Abhang dessel- ‚ben ist von Nordwest nach Südost. Der Budscharea bei Al- gier hingegen hat ausgezackte Gipfel, eine hochstämmige Vegetation und ganz andere Formen. Am Fusse des El- Mansura machte der grosse Convoi Halt. Zwei Brigaden blieben zu dessen Schutz zurück, während die Avantgarde den Berg hinauf und dann über das Plateau der Stadt zu- rückte. General Damremont, der Herzog von Nemours und ihr zahlreicher Stab quartirten sich in der Nähe des Mara- butgrabes Sidi-Mabruk ein, dessen schmuzig weisser Tempel in den späteren Regentagen einigen Schutz gegen die Nässe gewährte. Erst an dem äussersten Ende des Plateaus, wo ein Abgrund in eine schwindelnde Tiefe blicken lässt, wird die Stadt Constantine sichtbar. Mit einem einzigen Schritt fällt da der Vorhang von einem der seltsamsten Gemälde der Welt. Von der Höhe EI-Summah aus hatten wir nur einige wenige Gebäude der Umgebung Constantines, nichts von der eigentlichen Stadt gesehen. Constantine liegt auf einem senkrecht abgeschnittenen Kalkfelsen, welcher nur gegen Osten durch einen Erddamm mit dem Nachbarberge Kudiat-Ati in Verbindung steht, wäh- 330 rend er sonst überall in steiler Mauer sich erhebt. Die Stadt hat einen sichtbaren Abhang von Nordwest nach Südost. Ihr höchster Punkt, die Kasbah, liegt 2100 Fuss über der Mee- resfläche und 807 Fuss über dem Thal des Rummel. Der Anblick Constantines dürfte sich kaum mit irgend einer an- dern Stadt der Welt vergleichen lassen. Ich wenigstens ha- be weder in Natur, noch auf dem Papier jemals eine Stadt gesehen, bei deren Bild ich mir den Anblick jener ehemali- gen Hauptstadt Numidiens hätte vergegenwärtigen können. Nur der, dem überhaupt der düstere, wilde, gespenstige Landschaftscharakter zusagt, der findet hier vielleicht die Gebilde seiner Phantasie aus den productivsten Stunden wie- der. Die düstere Stadt erinnert nicht etwa an numidische Ruinen, dazu ist die Masse zu compact, zu gleichförmig, zu wenig ausgezackt, sie gleicht eher einem Pompeji, das eben erst aus einem tausendjährigen Grabe unversehrt erstanden. Alles ist hier so wüstenstumm und Niemand würde ahnen, dass sich andere Wesen auf diesem Felsen niedergelassen, als Raubvögel oder Steinböcke. Die Thoren! — möchte man über die Bewohner rufen — nur eine Viertelstunde weiter westlich liegt das herrlichste von Granatbäumen und Quellen schimmernde Thal. Warum nicht lieber da hinunterziehen, als wohnen auf dem geisterhaften Nebelfelsen® Aber die heutigen ziemlich barbarischen Constantiner machten es nur wie die civilisirten Cirtenser, wie alle frühern Bewohner. Diese Felsen waren gewiss schon von alten Zeiten her so öde, wie heute, und das Rummelthal immer mild und grün. Dennoch zogen schon die Römer das mächtige Steinbollwerk mit Wänden, für die keine Sturmleiter hoch genug und in die weder der Widder, noch der Achtundvierzigpfünder, noch die Pulvermine eine Bresche schlagen kann, dem Wohnen 331 am Rummel vor. Die Sicherheit scheint von Alters her in diesem Lande nie gross gewesen zu seyn. Masinissa hatte als eingeborner König auf diesem Felsen seinen Thron, die römischen Proconsuln, die Vandalen, die arabischen Emirs, endlich die türkischen Beys residirten hier nach einander und unterwarfen von diesem unzugänglichen Thron aus das Land. Aehnliche Lagen ‚hatten viele andere alte Städte im Innern, so das nahe Sigus. Zu keiner Zeit, scheint es, woll- ten die Bewohner für gemächliches Wohnen im Thal Frei- heit und Leben auf das Spiel setzen. Die Farbe der Häuser Constantines ist dunkelgrau wie der Felsen, der sie trägt. Von den Algierer Gebäuden un- terscheidet sich die Bauart merklich schon durch die kurzen Dächer, die in den Küstenstädten der Berberei unbekannt sind. Algier, Bona, Oran haben nur Terrassengebäude, während in den innern Städten Constantine, Medeah, Miliana, welche auf den Gebirgen und Plateaus des Atlas liegen, wo im Winter häufiger Schnee fällt, der Dachstuhl als zweck- mässiger den malerischen Terrassen vorgezogen wird. Man übersieht von El- Mansura aus die Felsenstadt so vollkommen, dass auch von den kleinsten Gebäuden wenige dem Auge entgehen. Sogar dem Lauf einiger Strassen kann man von dieser Höhe aus folgen, obwohl dieselben krumm und enge sind. Ausser der Kasbah, einer ziemlich festen Citadelle antiken Ursprunges, ragt nicht Ein Gebäude über das dunkle Gewirre der Häuser bedeutend hervor. Un- terscheiden kann man nur deutlich von den übrigen den Bey- palast, das Wohnhaus Ben-Aissa’s und die Moscheen wegen ihrer aufragenden weissen Minarets. Alle andern Häuser verschwimmen bei gleicher Höhe, gleicher Bauart undeutlich in einer gemeinsamen Masse. Constantine scheint von EI- 332 Mansura aus gesehen grösser, als es wirklich ist, eine II- lusion, die sich bei allen amphitheatralisch gebauten Städten wiederholt. Obwohl die wie ein Condorhorst steil thronende Stadt nur imponirt und befremdet, nicht eben durch Schönheit gefällt, so waren doch die französischen Soldaten, die sonst im Innern des Landes zu Maskara, Tlemsan, Belida nur kleinere und schlechtere Orte gesehen, auch über die solide Bauart Constantines gar sehr verwundert und mit ihren künf- tigen Quartieren zufrieden, was ich von Manchem laut äus- sern hörte. Eine Compagnie des siebzehnten leichten Infan- terieregiments lagerte dicht neben dem Generalstab als Es- corte. Neugierig streckten die französischen Soldaten. ihre Köpfe über den Erdaufwurf, der uns als natürliche Brust- wehr gegen die Kugeln schützte, und schauten auf die Stadt hinunter. Ab, quelle belle ville! hörte ich Mehrere rufen. Man sieht, wie genügsam ein paarjähriger Aufenthalt in Afrika die genusssüchtigen Rhone-oder Seinebewohner macht, wie sehr ein solcher ihre hohen Anforderungen auf bequemes Leben herabstimmt. Noch am Abende des 7. October rückte eine Colonne über den Rummel und nahm Besitz von dem Hügel Kudiat-Ati, auf welchem drei Tage später die Breschebatterien errichtet wurden. Von dieser Zeit an blieben die Truppen auf EI- Mansura und die Regimenter auf Kudiat-Ati beständig mit einander in Verbindung. Wir Zuschauer des Kampfes gingen fast täglich von einem Berg zum andern hinüber, wobei wir ein tiefes Thal und das Flüsschen Rummel zu passiren hat- ten, das beide Berge trennt. Der Rummel ist hier nicht über 30 Fuss breit und 3 Fuss tief, sein Uebergang aber beschwerlich, sowohl wegen der. ungeheuern Steinblöcke, welche das Flussbett erfüllen, als wegen des reissenden Was- 333 sers, welches zur Zeit der Clauzel’schen Expedition , wo der Regen noch heftiger war, die kleinen Zugthiere und sogar einige ermüdete Soldaten mit fortschwemmte. Der Hügel Kudiat-Ati, der, mit Lehmerde belegt, die damals vom Regen äusserst schlüpferig geworden, bei seiner Steilheit schwer zu erklimmen ist, ragt 2931 Fuss über der Meeresfläche und übertrifft also um 39 Fuss die Höhe der Stadt. Der Gipfel bildet keine Fläche, wie der von El-Mansura, sondern kleine wellenförmige Thäler und Erdaufwürfe, die alle mit mauri- schen Gräbern ‘bedeckt sind. Kudiat-Ati ist der grosse Kirchhof Constantines. Andere Soldaten, abergläubischeren Schlages als die französischen, hätte auf diesem Todten- bivouac vielleicht eine böse Ahnung erfasst; sie hätten wohl eine grauenvolle Bedeutung gesucht in dem Lager bei so unheimlicher Nachbarschaft. Die Franzosen liessen sich aber dadurch wenig irre machen, die Steine wurden zum Theil ausgerissen und aufgethürmt als Brustwehr gegen das Feuer der Belagerten; manche Soldaten suchten sogar in den geöff- neten Gräbern eine Zuflucht gegen den Regen. Ich habe hier nirgends so schöne Familiendenkmale bemerkt, wie auf den maurischen und jüdischen Kirchhöfen bei Algier. Am 13. October zogen wir in Constantine ein und zwar durch die enge Bresche selbst über eine Brücke von Leichen, es hielt in der That schwer, einen Schritt zu thun, ohne verstümmelte Körper, oder Blutlachen, oder zerschmetterte Waffen unter seine Füsse zu treten. Da die Thore stark verrammelt waren, konnten diese erst gegen Abend dem ein- ziehenden Hauptcorps geöffnet werden. Unsere Freude, das Innere der berühmten Hauptstadt Numidiens, — deren bedeu- tender Ruf noch durch die Niederlage eines der besten Marschälle Frankreichs einen modernen Zuwachs erhalten 334 hatte und auf welche acht Tage lang unsere neugierigen, hungrigen, obdachlüsternen Augen in äusserster Nähe gerich- tet waren — nun in aller Ruhe betrachten zu können, ver- yällte gar sehr der Anblick der Zerstörung und des Todes, der uns fast bei jedem Schritte in fürchterlichen Bildern be- gegnete. Ueber den heutigen Zustand Constantines existirt in kei- nem grössern Werk eine ausführliche Beschreibung. Der britti- sche Reisende Dr. Shaw und der Franzose Peyssonel be- suchten Constantine vor mehr als einem Jahrhundert; aber ihre Schilderung der Hauptstadt des wichtigsten Beyliks der Regentschaft ist so lakonisch kurz, dass man bestimmt anneh- men möchte, sie hatten bei Besichtigung derselben wenig Freiheit, getrauten sich vielleicht nur des Abends auszugehen und bekamen die sehenswerthesten Gebäude, wie den Bey- palast, die Kasbah, die Moscheen im Innern nie zu sehen; ja man wäre ohne einige bestimmte Details z. B. über die Basreliefs der Elephanten an der Rummelbrücke zu glauben versucht, Shaw hätte Constantine nur nach der Erzählung der Araber beschrieben. Kurz vor dem Beginn der letzten Expedition hatte Herr Dureau de la Malle in seinem /lecuwevl des renseignemens sur la Province de Constantine Alles, was er sowohl in alten arabischen, - griechischen und lateinischen, als in den neueren französischen und Reisewer- ken des vorigen Jahrhunderts aufzufinden im Stande war, mit vielem Fleiss und Umsicht zusammengetragen. Dennoch giebt sein Werk über die Stadt selbst eine nur ziemlich dürftige Auskunft, und da der Verfasser Alles, was aus den Quellen zu schöpfen war, also eine Menge von Widersprü- chen oder Unrichtigkeiten wiedergab, so brachte er dem Leser ein verwirrtes und zum Theil falsches Bild bei. Da- 339 her erkennt auch das Auge des Reisenden Constantine nach seiner Beschreibung nicht wieder. Keine drei schiffbaren Flüsse bespülen Constantine, wie der arabische Schriftsteller Bekri sagt, sondern nur ein unbedeutendes Gewässer, der Rummel, der nicht einmal die kleinsten Kähne trägt; keine Ringmauer von schwarzen Steinen, von denen Leo Africanus und nach ihm Poiret gesprochen und die nach Herrn Dureau de la Malle’s Vermuthen Lava seyn könnten, umgiebt die Stadt, die nur auf der Westseite einige elende Mäuerreste zeigt, sonst aber überall ohne Schanze und nur von ihrem steilen Felsen vertheidigt ist. Endlich existiren auch die schönen alten Thore von rothen Steinen und die antike Triumphpforte „Cassir-Gulah““ (Ungeheuerschloss), von wel- cher Shaw wohl eine eben so übertrieben prächtige Zeich- nung gegeben hat, als von den Bäsreliefs der Brücke, schon seit 23 Jahren nicht mehr. Constantine ist die Cirta der Alten, im Lande der Mas- saesylier gelegen. Der punische Name war Carta, was so viel als Stadt bedeutet *), sowie die Römer ihre Hauptstadt einfach Urds nannten und die Engländer für London so häu- fig blos Town gebrauchen. Die Besieger der Punier be- hielten den alten Namen bei, verdarben ihn aber in Cirta, sowie noch heute die meisten römischen Ruinenreste eine dem alten lateinischen Namen ähnlich klingende Bezeichnung be- halten haben. So nennen die Araber Calama „‚Ghelma“, Ar- senaria „Arseu“, Milevum ,‚Milah“, Sitifis „‚Setifi“. Nur je- ne Städte, die gar keine Spur von Alterthümern mehr zei- gen, haben ihre alten Namen nicht auf die heutigen Bewoh- °) Bochart Geogr. Lib. I. Cap. 24. 336 ner vererbt. El-Dschesair (Algier Icosium); Anaba (Bona- Hippo), Warran (Oran),. Maskara sind rein arabische Namen. Cirta war die Residenz der numidischen Könige. Syphax, ein gätulischer Fürst, herrschte dort zur Zeit des zweiten punischen Krieges und bewohnte daselbst einen prachtvollen Palast. Er verband sich, wie bekannt, mit Karthago, wäh- rend Masinissa, ein anderer Fürst Numidiens, die Partei der Römer nahm. °Karthago und Syphax unterlagen, Cirta ergab sich dem Masinissa und blieb 60 Jahre lang die Residenz dieses glücklichen Fürsten. Unter Masinissa’s Nachfolgern stieg Cirtas Blüthe noch mehr und erreichte ihren höchsten Grad wohl unter der Herrschaft Micipsa’s, wo Cirta, wie Strabo erzählt, mit prächtigen Gebäuden geziert und so volk- reich und mächtig war, dass sie 10,000 Reiter und 20,000 Fussgänger stellen konnte. *) ; °) Die Herren Falbe und Grenville Temple, Mitglieder der wis- senschaftlichen Commission, halten dies für eine Uebertreibung und meinten, man müsse den alten Geographen misstrauen, da diese nicht immer richtige Angaben besassen und lieber Effect hervorbringen , als sich strenge nach der Wahrheit richten wollten. Nimmt man an, dass die alte Cirta keinen grössern Raum bedeckte, als die heutige Stadt, so ist Strabo’s Angabe allerdings augenscheinlich übertrieben, denn selbst bei der dichten mahomedanischen Bevölkerung, wo jedes der kleinen Häuser in der Regel mehrere Familien einschloss, zählte Constantine in der blühendsten Zeit doch wohl nie über 25,000 Ein- wohner, wenn auch Shaw und andere Reisende die Zahl höher stel- len. Die meisten Reisebeschreiber, die, ohne genaue Angaben zu be- sitzen, aufs Gerathewohl hin schätzen, sind immer zur Uebertreibung ge- neigt. - Selbst angenommen, dass der Berg Kudiat-Ati, unter dessen Gräbern man einige Cisternen und zu andern römischen Gebäuden gehörige Steine, dagegen keine Spur von einer Ringmauer fand, ei- nen Theil von Cirta, vielleicht dessen Vorstadt bildete, konnte die sämmtliche ehemalige Gebäudezahl doch wohl nicht über 40-50,000 Menschen fassen. Am wahrscheinlichsten ist daher wohl, dass Strabo zu den 30,000 Kriegern Micipsa’s die Contingente der Landschaft 337 "Unter der Regierung Adherbal’s bezwang Jugurtha die Stadt, nachdem er vergeblich alle gewaltsamen Mittel des Sturmes erschöpft hatte, durch Hungersnoth und erhob sie zu seinem Hauptwaffenplatz. Später nahmen sie ihm die Römer gleichfalls durch Belagerung wieder ab und alle weitern Ver- suche Jugurtha’s, sich abermals wieder in ihren Besitz zu setzen, scheiterten an der natürlichen Festigkeit ihrer Lage. *) Zur Zeit Juba’s I. war Cirtas Glanz noch keineswegs gesunken. Hirtius bezeichnet sie damals als eine der reichsten Städte Nu- midiens *°). Nachdem Juba mit den Resten der Pompeji- schen Partei unterlegen war, gab Cäsar einen Theil von Cirtas ı Gebiet seinem Parteigänger Sitius, der an die römi- schen Soldaten Ländereien austheilte und eine Colonie grün- dete, daher Cirta unter ihm den Beinamen Colonia Sitiano- rum erhielt. Im Jahre 311 bemächtigte sich der Usurpator Alexander der Stadt, wurde aber später von dem Präfect Maxentius besiegt und in diesem Krieg scheint Cirta zum er- sten Male mit Sturm erobert, oder wenigstens nach der Ue- bergabe zerstört worden zu seyn, denn Aurelius Victor schreibt, die durch Alexander’s Belagerung zu Grunde gerichtete Stadt £ i oder der ganzen Provinz mitrechnete. Rom stellte ungeheure Armeen, nicht aus der Stadtbevölkerung, die sonst ein einziger punischer Krieg; aufgezehrt hätte, sondern aus der Bevölkerung seiner schönen Provin- zen. Eben so richtig lässt sich daher wohl von Cirta sagen, dass sie als Beherrscherin eines Reiches eine Armee von 30,000 Mann zu stel- len vermochte, nicht aus ihren eigentlichen Bewohnern, sondern aus der Bevölkerung der ihr unterwürfigen kleineren Städte und Dörfer des Landes. *) Sallust, ein Augenzeuge des numidischen Krieges, sagt, dass die Stadt ‘schon damals mit Sturm nicht zu nehmen war. ‚, Neque propter naturam loci, Cirtam armis expugnare potest.‘“ Bellum Jugurthinum. Cap. 23. #®) De bell. Afr. Cap. 25. Morırz Wasner’s Algier. T. 22 338 habe der Kaiser Constantin wieder neu aufgebaut. Damals änderte sie ihren Namen und wurde ihrem Wiedererbauer zu Ehren Constantina genannt °), ein Name, der ihr noch bis heutigen Tag auch unter den Arabern geblieben, aber in „Cossamtina“ verdorben worden ist. Die späteren Schick- sale der Stadt unter den Vandalen, den byzantinischen Kai- sern und unter der eilfhundertjährigen Herrschaft der Maho- medaner liegen im tiefsten Dunkel. Constantine gehörte bis zur Zeit der Shaw’schen Reise oder eigentlich bis zur ersten Expedition der Franzosen im Jahre 1836 zu den für die Eu- ropäer unbekanntesten und unzugänglichsten Städten der Er- de, und die wenigen kargen Angaben musste man meist aus unsichern arabischen Quellen schöpfen. Von allen bekannten Schriftstellern theilt Edrisi, ein arabischer Geograph des zwölften Jahrhunderts, noch die ausführlichsten Bemerkungen über Constantine mit. Die heutige Stadt Constantine liegt nach der Berechnung zweier Mitglieder der Commission unter dem 36° 21° nörd- licher Breite und 4° 50° östlicher Länge. Ihr höchster Punkt, die Kasbah, ragt 2100 Pariser Fuss über der Fläche des mittelländischen Meeres. Die Häussermasse bedeckt ein Terrain von 1290,000 I Fuss. Constantine steht der Stadt Algier sammt ihren Neubauten um ein gutes Drittheil nach. Alle älteren Reisenden schätzen die Einwohnerzahl viel zu hoch; Ritter’s Geographie giebt 30,000 an. Die Herren Grenville Temple und Falbe schätzten sie im Vergleiche mit dem siebenmal grösseren Tunis auf etwa 16,000 Köpfe. In- dessen ist letztere Berechnung wohl zu gering; denn Con- stantine, welches eine Menge von türkischen und maurischen °) Aurel. Vict. Epitom, Cap. 40. 339 Flüchtlingen oder Auswanderern aus Algier, Bona und den übrigen von den Franzosen besetzten Küstenstädten aufgenom- men hatte, deren Zahl über 6000 betrug, war viel dichter bevölkert als Tunis. Nur wenige reiche Familien bewohnten ein ganzes. Haus. Viele Häuser enthielten drei bis vier Fa- milien, von denen die meisten nur ein in zwei Theile ge- schiedenes Gemach bewohnten. Die Miethe war theurer und die Wohnung unbequemer, als in irgend einer andern Stadt der Berberei. Die beideu deutschen Renegaten Schlosser und Send schätzten Constantines Gesammtbevölkerung nach der Menge der Häuser und deren durchschnittlichen Bewohner- zahl auf etwa 20,000 Köpfe, worunter 6000 waffenfähige Männer. ‘Ben - Aissa, Constantines Gouverneur und Verthei- diger in den Jahren 1836 und 1837, den ich später in Al- gier persönlich kennen lernte, gab auf mein Befragen an- fangs eine weit höhere Zahl an. Als ich ihm aber die Un- wahrscheinlichkeit seiner Behauptung vorstellte und ihm die Bewohnerzahl sämmtlicher Küstenstädte zum Vergleich entge- genhielt, dachte er nochmals eine Weile nach, gestand seinen Irrthum, entschuldigte seine Unwissenheit, weil es nicht mög- lich sey, ein Register über Geburts - und Sterbefälle zu füh- ren in einer Stadt, wo verschiedene Glaubensbekenner wohn- ten und das Innere der Häuser nur in ausserordentlichen Fällen untersucht werden durfte, und stimmte endlich meiner Meinung bei, dass Constantines Bewohnerzahl schwerlich 20,000 Individuen überstiegen habe, worin jedoch die unver- heiratheten Soldaten Achmet’s nicht mitbegriffen waren. Von diesen 20,000 Einwohnern Constantines zur Zeit der franzö- sischen Expedition haben sich beiläufig 4000 in die Städte tiefer im Innern, nach Biskara und das tunesische Gebiet zurückgezogen. Die Zahl derer, welche theils bei der Ver- 22 * 340 theidigung der Stadt mit den Waffen in der Hand fielen, theils während der Flucht über die Felsen der Kasbah ver- unglückten, theils in den Gebirgen den Tod des Hungers und des Elendes starben, mag immerhin auch 2000 betragen, gewiss eher mehr, als weniger, so dass also jetzt schwerlich über 14,000 Eingeborne mehr in Constantine leben, worunter 6000 Mauren, 4000 Türken und Kuruglis, 3000 Juden und 1000 Abkömmlinge der verschiedensten afrikanischen Völker- stämme, Kabylen, Neger, Mosabiten, Biskris, Mzitas und Lagruats. Die Zahl der europäischen Civilbewohner betrug zu Ende 1839 nicht ganz 900. Unter ihnen herrschte aber ein enger Verkehr, Kaufleute und Cantiniers unterhielten mit Bona und Philippeville (Stora) eine lebhafte Verbindung. ‚Constantine ‚hat vier Thore: Bab-el-Kantarah (Brücken- thor), welches über die römische Brücke nach dem Plateau El-Mansura führt, Bab-el-Rahbah (Marktthor), auf der Seite von Kudiat-Ati, Bab-el-Dschedid und Bab-el-Uad; letztere sind zwei ganz kleine Thore, die ebenfalls nach Kudiat-Ati führen. Die Strassen sind nicht so enge und finster, als die im obern Stadttheile von Algier, aber noch viel schmuziger und elender, obwohl die meisten gepflastert sind. Die läng- ste und breiteste dieser winkeligen Gassen (Suk-el-Kolak), führt vom Thor Bab-el-Rahbah zur Kasbah, die meisten an- dern Strassen haben französische Namen erhalten, wie Ziwe Damremont, Rue Combes u. s. w. Gleich beim Eintritt durch die Bresche, als wir zwischen Trümmern und blutenden Körpern nur etwa funfzig Schritte gemacht hatten, fiel uns die Masse der kleinen Buden in die Augen, welche in noch grösserer Zahl und weit dichter zu- sammengedrängt sind, als selbst in Algier oder in irgend ei- ner andern Stadt der Berberei. Sämmtliche Juden Constan- 341 tines sind Krämer. Dasselbe Gewerbe treiben die meisten Mauren und Kuruglis. Es ist übrigens ein gar armseliger Kleinhandel, durch welchen die Constantiner eben keine Reichthümer gewannen, sondern gerade nur ihr frugales Le- ben fristeten. Ihre Waaren bestanden in den gewöhnlichen Artikeln des maurischen Detailhandels, wie: Schuhen und Sandalen, arabischem Sattelzeug, Rosenkränzen, Schmuck , Spiegeln, Pfeifenköpfen, zierlichen Frauenpantoffeln und an- dern goldgestickten Kleinigkeiten, die aber bei weitem keine so reiche Auswahl boten, als die der Algierer Buden; endlich den gewöhnlichen Spezereiwaaren, namentlich Tabak. Die Buden sind enge düstere Löcher und werden des Nachts durch einen langen Holzpfahl verrammelt. Die Käufer waren in Constantine, ausser den reicheren Türken und Kuruglis, die den Handel verachtend nur von ihren Einkünften als Krieger oder Capitalisten zehrten, dann auch die Araber der Land- schaft, die aber bei ihrer Enthaltsamkeit, bei ihrem ent- schiednen Hass gegen allen Luxus der Städter, nur auf das Nothwendigste sich beschrönkten; daher auch der Umsatz sehr unbedeutend war und nur ein so einfach lebender Menschen- schlag, wie die Constantiner, konnte mit dem geringen Ge- winn des Kramhandels genug für seinen Unterhalt verdienen. Eine andere Erwerbsquelle für die Constantiner bestand in dem Besitz vieler Lastthiere. Fast jede Familie hatte einige Maulthiere oder Esel und brachte damit Waaren aus dem Innern nach Constantine oder von letzterer Stadt nach Tunis. In den Händen der Constantiner war also auch ein grosser Theil des afrikanischen Speditionshandels, nicht von Sudan- waaren, denn die Caravanen aus Tombuktu, Bornu, Gadames nahmen nie den Weg durch die Provinz Constantine; dage- gen verschickten die meisten Oasenstaaten, wie Tuggurt oder 342 auch einige Länder der Mosabiten, ihre Producte, namentlich Datteln und Thierhäute, über Biskara und Constantine nach Tunis. Vor der Einnahme Constantines hatte man sich Han- del und Industrie dieser Stadt viel blühender, die Einwohner ‚viel reicher vorgestellt. Man hatte viel erzählt von den Werkstätten der Goldsticker, der geachtetsten Profession oder Kunst in diesem Lande, die, nachdem sie von den Küsten- städten in Folge der Occupation sich grösstentheils zurückge- zogen, im Constantine ein Asyl und in Achmet Bey einen Beschützer gefunden haben. Aber wie gewöhnlich hatte sich die Phantasie bei den Franzosen in’s Spiel gemischt. Da nun in Algier, Bona, Oran keine arabischen Wunder gefun- den worden, glaubte man dafür allen orientalischen Luxus im Innern concentrirt. Dort sollten noch Seidenfabriken, Kunstfärbereien und namentlich die erwähnten Fabriken der Goldsticker in voller Blüthe bestehen, Constantine sollte der Mittelpunkt der maurischen Industrie seyn. Wir bekamen aber von allem dem nichts zu sehen, und ich zweifle sehr, ob die erbeuteten Luxuswaaren der ganzen Stadt den Kostbar- keiten eines einzigen Modeladens im Pariser Palais Royal an Werth gleich gekommen. Während der ganzen Zeit mei- nes Aufenthaltes und auch später nach dem Rückmarsch der Armee nach Bona hielten die französischen Soldaten in bei- den Städten mit ihren geplünderten Schätzen offenen Markt. Es kamen aber blutwenig werthvolle Gegenstände dabei zum Vorschein, nicht einmal eine Auswahl reicher Waffen, nur sehr wenige Stücke von den prächtigen in Gold und Silber gearbeiteten Yataganen, welche die reichen Eingebornen sonst nach ihrem baaren Geld und ihrem Pferd am meisten lieben, Mehrere speculirende deutsche Juden, die der Armee gefolgt waren, in der Hoffnung gute Käufe an erbeuteten 343 Juwelen und Goldgegenständen zu machen, fanden sich recht bitterlich in ihren Hoffnungen getäuscht, als sie auf dem Soldatenmarkt nur einen Plunder von ehemals glänzenden, nun abgetragenen Prachtstoffen sahen, die oft nur wegen ihrer selt- samen Formen oder als fremdartige Goldzierrathen auffielen, ‚ dagegen nur wenigen reellen gewichtigen Schmelzwerth hatten. Dafür hatten die Stürmer gefunden, was ihnen unter den da- maligen Umständen wohl das Willkommenste war: Ueber- fluss an Lebensmitteln und ziemlich viel baares Geld, letzteres freilich fast nur in dem Haus des berüchtigten Ben - Aissa, dessen Schatzmeister eben im Austheilen des Soldes begriffen war, um den Eifer der Soldaten und sonstigen Vertheidiger der Stadt anzufeuern. Die Zahl der Kaffeehäuser ist weniger gross, als in Al- gier. Es sind lange enge Gewölbe, an beiden Seiten der Wände sıeht man Reihen von gemauerten Bänken, auf wel- chen die Gäste in der bekannten Weise sitzen. Wir fanden dort noch dampfende Kaffeekessel und lange Pfeifen, die kaum verglommen waren. So hat also selbst das Bombarde- ment und die nahe Gefahr des Sturmes die Constantiner in ihren Zerstreuungen nicht gestört. Französische Soldaten füll- ten jetzt die Gewölbe und schlürften die orientalische Nah- rung, welche gläubigen Gästen zugedacht war. Constantine hatte zehn grössere Moscheen und doppelt so viel kleine Gebethäuser mit Marabutgräbern. Nur vier oder fünf derselben haben hohe weisse Thürme oder Mina- rets. Das Innere dieser mahomedanischen Gotteshäuser ent- sprach keineswegs ihrem ‚Ruf, und nicht Eines kommt der weissen Kuppelmöschee auf dem grossen Platz von Algier oder noch weniger der jetzigen katholischen Kirche Algiers an äusserer Grösse oder innerer Schönheit gleich. Es sind 344 ‘geräumige, aber selten über vierzig Fuss hohe Gewölbe, zum Theil durch Marmorsäulen gestützt, die Wände kahl und nur in der Nische, wo der Priester sein Gebet spricht, mit arabischen künstlich verschlungenen und deshalb schwer zu entziffernden Inschriften geschmückt. Zum Theil sind es Koransprüche, zum Theil kurze Denkschriften zur Erinne- rung einiger im Rufe der Heiligkeit verstorbenen Priester oder Marabuts. Die Moschee Sidi-el-Kettani hatte eine mit vieler Kunst gearbeitete Kanzel und Säulen von geädertem Marmor, so schön, wie nur immer der berühmte numidische von Sigus seyn mochte. Der Fussboden der Moschee war mit Sammtteppichen von verschiedenen bunten Farben bedeckt; aber die französischen Soldaten hatten mit allem Trragbaren schnell aufgeräumt und so blieb den Constantiner Moscheen kein anderer Schmuck, als die kahlen Wände und Säulen, welche man nicht in die Tornister stecken konnte. Erst am 14. October, als die Verwirrung sich etwas gelegt hatte, wurden an die Moscheenpforten Wachen gestellt und der Eintritt al- len Europäern untersagt. Gegenwärtig ist die Hälfte dieser Moscheen in Casernen und Heumagazine und Eine in eine christliche Kirche metamorphosirt. Constantines merkwürdigstes Gebäude ist der Beypalast, fast im Centrum der Stadt gelegen und mit seinen Gärten, Höfen, Bädern für sich fast ein kleines Städtchen bildend. Die Herren Falbe und Grenville Temple haben in ihrer Er- zählung des Constantiner Feldzuges ein wenig gar zu gering- schätzend von diesem maurischen Schloss gesprochen, wel- ches, wenn auch nicht zu vergleichen mit den Palästen Grana- das und keineswegs grossartig, doch die ganze zierliche Schönheit der bekannten maurischen Architektur zeigt und mir das schönste Gebäude dieser Art in der ganzen Regent- 345 schaft Algier schien. Es besteht aus acht zusammengereihten Häusern, welche die Nebengebäude an Höhe überragen, sonst aber von aussen durch nichts ausgezeichnet sind, keine hüb- sche Fagade bilden und in einer winkeligen Strasse liegen. “ Sobald man aber das Innere betritt und die grosse Säulen- halle erblickt, überrascht die ausserordentliche Eleganz, der Marmorreichthum, die Symmetrie, die Sauberkeit des mauri- schen Baues nicht wenig. : Dazu die Wohlgerüche der Oran- gen und Granatbäume, die Bäder, die springenden Wasser, die Löwen, die an der Kette brüllten — sämmtlich Gegen- stände, die das arabische Märchen feiert und die uns an Bag- dads alte Khalifenherrlichkeit, an den Wunderpalast Aladin’s erinnerten; nur musste man da freilich mit dem ersten Ein- druck des Ganzen sich begnügen und nicht zu. lange verwei- len, nicht als strenger Kritiker in Details eingehen. Das Innere des ersten grossen Säulenhofes füllt ein Garten von Südbäumen aus, die Colonnaden sind von weissem Marmor, doch nicht über zehn Fuss hoch. Die Gemächer zur Seite der Galerien waren geräumig und einfach schön, man bemerkte auch gar nichts von den bizarren Verzierungen, die sonst öf- ters inmitten eines übrigens tadelfreien maurischen Bauwer- kes auffallen. Die Wände der Galerien bestanden statt aus “ bunter Fayenza, wie sonst in den maurischen Gebäuden, aus Frescogemälden, die ich noch an keinem andern Ort in die- sem Land bemerkt hatte. Der grösste Theil dieser Wand- bilder stellte Seeschlachten vor. Kriegsschiffe mit ausge- spannten Segeln, ohne Ordnung unter einander geworfen, feuerten mit beiden Kanonenreihen. Ausserdem war noch eine Zahl muselmännischer Städte, Constantinopel, Kairo, Tunis u. s. w. angemalt, sämmtlich in grotesken Unformen und ohne die darunter stehenden Namen nicht kenntlich. 346 Auch Constantine war mit abgebildet. Auf der’ Kasbah flat- > terten rothe Fahnen und über dem Beypalast, der in grossen Umrissen sich über die andern gemalten Häuser erhob, war folgende Inschrift angebracht: „Dieses Schloss blendet durch seine Schönheit die Augen der Beschauer. El-Hadschi-Ach- met Pascha ist der Sultan, der es bewohnt. Möge Gott ihn siegreich machen über das Volk der Ungläubigen. Allah hat seine Gegner zerstreut, wie der Wind den Staub. Möge sein Ruhm und seine Macht immer zunehmen, möge Allah ihm Paläste im Paradies geben und diese bevölkern mit Millionen Huris. So dies Gott gefällt. Amen!“ Den zweiten Hof füllt ein schönes Bad mit einem Becken von weissem Marmor aus. Im dritten sind Springbrunnen, deren Bassin von Goldfischen belebt ist. In einem vierten Hofe befanden sich die Löwen, deren Wärter der deutsche Renegat Schlosser aus Erfurt war. Eines dieser prächtigen Thiere brachte der Herzog von Nemours nach Paris; die übrigen hat man, da ihr Unterhalt zu kostspielig wurde, auf Befehl des General Bernelle getödtet. Das Wohnhaus des furchtbaren Ben - Aissa, der als Hakhem von Constantine die Vertheidigung führte und Achmet’s Stellvertreter war, so oft dieser seine Hauptstadt verliess, ist eben so auffallend bescheiden, als der Beypalast auffallend bunt und prächtig. Man gewahrte fast keinen Marmor im Hause, selbst die Säulen waren nur von zusammengemauerten Bausteinen aufgeführt, während in Algier jedes irgend reiche Privathaus Marmorcolonnaden und Fayenzawände hat. Auch in Constantine fanden wir deren mehrere und es scheint von Seiten des Hakhem wohl nur schlaue Politik gewesen zu seyn, sich mit der wirklichen Macht zu begnügen und heim- lich viel Geld aufzuhäufen, dagegen allen äussern Prunk zu 347 vermeiden, um seinem tyrannischen Gebieter keinen Grund zur Eifersucht zu geben. Ben-Aissa’s Haus barg viele ver- mauerte Schätze und wurde deshalb durch das Geniecorps fast gänzlich demolir. Man fand etwa 150,000 Budschus an baarem Geld. - Die Kasbah oder Citadelle krönt den höchsten Punkt des Felsens im Nordwesten der Stadt. Sie ist mit soliden Ringmauern umgeben, die wohl nicht mehr der Cirtenserzeit angehören, denn sie bestehen aus einer Menge von Trüm- mern alter zerstörter Gebäude und wurden vielleicht aufge- führt zur Zeit des Wiederaufbaues der Stadt unter Constantin, oder wahrscheinlicher nach einer der spätern Katastrophen. Einem vom Capitäin Mangay aufgefundenen Inschriftfrag- ment zufolge scheinen die alten Constantiner sie Capitolium genannt zu haben. Auf der Südostseite sind die Mauern durch eine Reihe von Cisternen unterbrochen, über denen man die Batterien errichtet hat, welche der Terrasse EI- Mansura gegenüber stehen und, über die ganze Stadt sammt dem Abgrund des Rummel weg schiessend, die französischen Bivouacs bestrichen- Ein besonders auffallendes Gebäude in der Kasbah ist eine fast unversehrte Kirche in byzantini- schem Styl. Ihre Eingangspforte ist im Nordwesten und der Altar am entgegengesetzten Ende der Kirche. Diese Kirche war gleich den übrigen Theilen der Kasbah von den Officie- ren und Soldaten Achmet’s bewohnt. Trotz ihres soliden Baues hatte die Kasbah durch die französischen Batterien schwer gelitten. Die Mauern waren zusammengestürzt und durchlöchert und die Erde allenthalben aufgewühlt; im We- sten führt ein furchtbarer Felsenabhang in das Thal des Rummel hinab, dessen 300 Fuss hoher Wassersturz in der Tiefe brüllt. Dies war der Ort, wo man noch bis in die 348 letzte Zeit die grossen Verbrecher und die ungetreuen Wei- ber hinunterstürzte, ein uralter Brauch, der von der Zeit der Römer und Vandalen auf die Mahomedaner sich vererbte. *) Ich erwähne zur Ergänzung dieser Skizze von Constan- tine noch kurz der Alterthümerreste, die im Innern und der nächsten Umgebung sich vorfanden; eine ausführlichere Be- schreibung folgt unter den archäologischen Notizen im dritten Band. In der Nähe des Thores Bab-el-Uad am Eingang der Strasse Suk-el-Adaryn fand einer unserer Collegen, Herr Berbrugger, mitten unter die Häuser hineingebaut, das Frag- ment eines Triumphbogens, der aber sicherlich nicht der Shaw’sche Cassir Gulah war. Aus einer gleichfalls sehr frag- mentarischen Inschrift, die man nicht weiter verfolgen konn- te, weil sie unter den Mauern der Nachbarhäuser sich verlor, ersah man, dass sie einem Proconsul Cajus Claudius zu Ehren errichtet worden. Sie hatte, wie fast alle römischen Triumphpforten, drei Bögen, deren mittlerer der höchste ge- wesen. Welcher Ordnung ihre Säulen angehörten, war nicht mehr zu erforschen, da diese bereits allzusehr verstümmelt waren. Noch in zwei andern Nebengassen entdeckten wir einzelne Bögen von weissem Marmor. Sie waren aber so in die Häuser hineingebaut, dass sich von ihnen gar nichts Be- stimmtes angeben lässt. Eines der merkwürdigsten Bauwerke ist wohl die be- rühmte Brücke, welche über dem Abgrund El-Hauah, in des- *) Victoris Viderbiensis historia de persecutione Vandalorum lib. II. „Sui fratris uxorem, Ligator pondere lapidum in Ampsagam, flu- vium Cirtensem famosum, jactando demersit.‘‘ Der Renegat Send im Dienste Achmet’s erzählte mir, dass noch im Jahre 1834 ein maurisches Weib dieses Schicksal hatte Juden mussten diese Art Hinrichtung vollziehen, 349 sen Tiefe der Rummel fliesst, nach der Hochebene ElI-Man- sura hinüberführt. Alle älteren Reisenden, wie Shaw, Bru- ce, Peyssonel, Poiret, erwähnen dieser Brücke als eines an- tiken Meisterwerkes. Shaw, der älteste dieser Reisenden, sah sie aber schon nicht mehr in ihrer ursprünglichen Ge- stalt. Er berichtet, dass sie in früherer Zeit mit alten Bild- hauerarbeiten, mit Blumen, Thiergestalten und andern Figu- ren bedeckt war. Es selbst sah davon nur noch eine Gruppe von zwei Elephanten, die ihre Rüssel kreuzten. Ueber ihnen stand die Figur einer Dame, in wunzüchtiger Stellung die Beschauer anlachend. Shaw gab davon eine Abbildung, die aber keineswegs getreu ist. Diese noch heutigen Tages exi- stirenden Basreliefs sind grob und schlecht gearbeitet. Jede der Figuren befindet sich auf einem besondern Stein, die Züge der Frau sind nicht mehr kenntlich, von der Muschel, welche der Shaw’schen Zeichnung zufolge über ihrem Haupt schwebte, sieht man gar nichts mehr. Die Elephanten haben ganz kurze Rüssel, welche sich nicht kreuzen. Herr Ber- brugger hielt sie mit Unrecht für Nilpferde, welche bekanntlich gar keine hervorragende Schnauze haben; am nächsten kämen sie noch dem Tapir, der aber zur Zeit, als diese Figuren gemeisselt wurden, noch nicht bekannt war. Die ganze Form der Brücke hat seit der Zeit, als sie diese Reisenden beschrieben , beträchtliche Veränderungen erfahren und ist ei- gentlich fast ganz renovirt worden, was nach den Erinne- rungen der ältesten Eingebornen unter Achmet’s Grossvater, der gleichfalls Bey von Constantine war, im Jahre 1793 ge- schah. Die neuen Baumeister sollen Italiener gewesen seyn. Die Länge der Brücke beträgt 310, ihre Höhe 312 Fuss; sie ist, so viel mir bekannt, eines der höchsten Bauwerke dieser Art in der Welt. Die Bausteine sind aus einem der 350 nächsten gelblichgrauen Uebergangskalkfelsen gezogen... Ei- nes der solidesten und imposantesten der Cirtensischen Al- terthümer sind die Reste eines Aquaeducts, welche im Thal zwischen El-Mansura und Kudiat-Ati auf dem linken Ufer des Rummel liegen. Die Eingebornen nennen sie El-Kuah „die Bögen.“ Sie bestehen aus sechs Arkaden, von denen die höchste 614, Fuss misst. Die Richtung dieser kolossalen Wasserleitung war von Südost nach Nordwest. Indessen sind ausser den sechs erwähnten Bögen alle Spuren ihrer Fortsetzung verschwunden und sogar ihre tiefsten Bausteine aus dem Boden gerissen worden, ein Beweis, wie unglaub- lich in diesem Land gegen alle Ruinen gewüthet worden, in deren Nähe neue Bevölkerungen ihre Wohnsitze aufschlugen, Nachdem wir alles Sehenswerthe der Stadt in Augen- schein genommen, machte ich mit meinem Freund Muralt Ausflüge in die nächste Umgebung. Man sprach gleich nach der Einnahme von weiteren militairischen Bewegungen, von einem Zug nach dem Städtchen Milah, welches sieben Lienes nordwestlich von Constantine unweit des Rummel liegt und die hübschesten Südbaumgärten der Provinz besitzen soll. Da wir aber bei der Ermüdung der Armee und den vielen Ar- beiten, die noch zu verrichten waren, um sich in dem neuen Waffenplatz militairisch einzurichten, wohl sahen, dass es vor Monaten und vor der Ankunft neuer Verstärkungen aus Bona nicht zu diesem Zug kommen dürfte, so entschlossen wir uns, wenigstens das nahe Rummelthal im Nordwesten zu besuchen, selbst auf die Gefahr hin, den Kopf zu verlie- ren. Wer überhaupt in diesem Land sich scheut, um des Anblicks einer schönen Gegend oder einer Ruine willen nö- thigen Falls sein Leben auszusetzen, der reise dort nie im Innern, denn Gefahr ist in den meisten Gegenden vorhanden, sol ‚sobald man sich ein paar hundert Schritte von den bewaffne- ten Posten entfernt. Wir ritten zuerst zu der Thermalquelle von Sidi-Mimum, die etwas über der halben Bergeshöhe liegt. Das Grab eines Marabuts steht neben der Quelle mit einigen Dattelpalmen, die ziemlich verkümmert und von un- bedeutender Höhe sind. Die alten Cirtenser hatten dort Bä- der, von denen noch gemauerte Wölbungen und ein Becken existiren. Das Wasser zeigt, sowie bei der nahen Quelle von Ain-el-Ghadir eine Temperatur von 29° Reaumur. Noch heute sind die Bäder unter den Eingebornen wegen ihrer Heilkraft berühmt für Rheumatismen, Brus‘krankheiten und Geschwüre. In der Quelle schwimmen geschwänzte Schild- kröten, von welchen die Eingebornen viele verwirrte wunder- bare Dinge erzählen und denen besonders die Weiber eine geheime Zauberkraft beilegen, daher man sich wohl hütet, deren zu tödten. Es gelang mir leider nicht, eines dieser Thiere zu fischen. Obrist Grenville Temple fing deren eines, wie ich später vernahm; ich habe es leider nicht zu sehen bekommen. Die Inschrift, welche Shaw mittheilt, existirt noch heute, sowie die in Stein gehauene Krabbe. Die Ebene oder eigentlich das grosse T'hal des Rummel im Nordwesten von Constantine ist gewiss eine der geseg- netsten Landschaften der Berberei. Sie erregte den Enthu- siasmus aller älteren und neuern Reisenden, deren Auge durch den Anblick der kahlen Bergwüste vom Ras-el-Akba an des wohlthuenden Grünes der edlen Südbäume fast ent- wöhnt war. Shaw hielt diese Gegend für die fruchtbarste und bewässertste der Regentschaft Algier; ich meines Theils würde die Umgebungen von Belida und Tlemsan vorziehen, wo die Orangen - und Citronenbäume doch noch viel freudi- ger gedeihen, wo besonders bei Belida die niedrige Vege- 352 tation kräftiger und schmelzreicher ist und die Quellen mir frischer und besser vertheilt dünkten. Unter allen höhern Gewächsen gedeiht in der Nähe von Constantine der Granat- baum am besten. Er wächst in kleinen Wäldern an den ' Ufern des Rummel, erhebt sich zu einer schönen Höhe, ge- währt hübschen Schatten und war zur Zeit meines Aufent- halts bedeckt mit seinen noch nicht völlig reifen, apfelförmi- gen Früchten, Zur Blüthezeit muss dieser kräftig grüne Laubbaldachin, mit den Purpurglockenblumen überstreut, einen unvergleichlichen Anblick gewähren. Bekanntlich treibt kein anderes Holzgewächs des Südens so schöne Blüthen, wie der Granatbaum, die dem Cactus philanthus an Form ähneln, aber kleiner und purpurfarbiger sind. Fast in allen Häusern Con- stantines fanden wir Granatäpfel in Menge und von einer Grösse und Süssigkeit, wie ich sie noch in keiner andern Gegend gefunden. Ursprünglich mag der Granatbaum hier gepflanzt worden seyn, jetzt vermehrt er sich von selbst und ist der häufigste wie ergiebigste Baum des Rummelthales. Unter den wild gedeihenden Holzgewächsen bemerkte ich hier zum erstenmal den Mastixbaum des Atlas (Pistacia Atlantica Desf.), der hier bis zu einer Höhe von funfzig Fuss aufschiesst. Vortreftlich gedeihen auch die Maulbeerbäume, die, wenn auch nicht zahlreich vorhanden, doch mit einer ungeheuern Blättermasse überschüttet sind und unsern schönsten Eichen an der Ausdehnung des Stammes und der Aeste nichts nach- geben. Dattelpalmen kommen nur einzeln und selten vor. Am rechten Ufer des Rummel liegt eine kleine Viertelstunde von der Stadt entfernt ein Landhaus des Bey, welches mit regelmässigen Baumpflanzungen und einigen Blumen umgeben ist. Der Fluss rauscht dicht an dem Häuschen mit reissender Schnelligkeit vorüber. Wir traten durch die offene Thüre 393 und fanden das Innere in gräulicher Verwüstung, alles Holz und Eisenwerk herabgerissen, Marmor und Fayenza zer- trümmert. Zwei unbewaffnete Kabylen traten aus dem Haus. Sie hatten wahrscheinlich noch zu plündern gehofft und aus ihren Zügen sprach der Aerger getäuschter Erwartung, wel- cher einem Gefühl der Furcht und des Hasses wich, als sie uns bewaffnet gleichfalls in das Haus dringen sahen. Ein anderes grösseres Landgut des Bey lag eine halbe Stunde weiter östlich. Wenige Tage zuvor noch das Hauptlager der Truppen Achmet’s, konnte es jetzt ohne bedeutende Gefahr auch von einzelnen unbewaffneten Soldaten besucht werden, welche sich dort zerstreuten, um Orangen und Granatäpfel zu pflücken. So weit der Blick reichte, dauerte dem Rummel entlang der Fruchtbaumreichthum fort; aber immer nur in der Nähe des bewässerten Bodens. Die entfernteren Bergabhänge zur Rechten und Linken des Flusses waren so kahl wie die Hochebenen seit dem Ras-el-Akba. Der Brennholzmangel ist überhaupt bei Constantine sehr fühlbar, und gleich in den er- sten Monaten der Occupation war man genöthigt, alle Holz- gewächse, mit Ausnahme der Fruchtbäume, umzuhauen, wobei aber auch wohl mancher edle Granatbaum trotz des Verbotes mit unter dem Beil der französischen Holzfäller verbluten mochte. Obwohl man von dem Rummelthal nur einen kleinen Theil der Stadt Constantine sieht, so präsentirt sich diese doch hier bei weitem am schönsten. Man steht hier am Fusse ihres Felsens, dessen senkrechte Wand sich 800 Fuss hoch auf- thürmt. Der Rummel kommt hier unter der Kasbah aus sei- ner Schlucht hervor und stürzt sich in drei Fällen zusammen über hundert Fuss tief in das Thal. Etwa 600 Metres vor seinem Fall verliert er sich in einem unterirdischen Behälter, Morıtz Waener’s Algier, I. 23 394 welchen wir nicht untersuchen konnten, ganz und gar. Das dumpfe Murmeln seines unterirdischen Laufes wird, sobald der Fluss, wieder hervorbrechend, den dreifachen Sturz bildet, zum lauten mächtigen Donner. Ich habe wenig schönere Na- turbilder gesehen. Riesenfelsen, die durch den weissen Schaum des Sturzes ihre rauhen Rippen strecken, prächtige Baum- gruppen, theils über dem zischenden Wasser schwebend und sich mit der Sonne wiederspiegelnd in dem beweglichen Strahlschimmer — hoch oben die melancholische Stadt und ihre wüsten Kasbahruinen, tief unten ein Eden von Blumen und Büschen voll lustigen Hymenopterensummens — ich weiss nicht, wie lange ich hier stand mit meinem Freund, der, aus dem Berner Oberland gebürtig und Bewohner von Neapel, verwöhnt war durch malerische Scenen und doch wie berauscht schien von dem Donnergetöne des Wasserfalles und dem An- blick der hochherrlichen Gegend. ws Sr 1 XIV. Reise von Algier nach Oran. — Scherschell. — Tenez.— Der Hafen Mers-el-Kebir. — Die Felsenstrasse von Mers-el-Kebir nach Oran. — Die Stadt Oran und ihre Bewohner. — Die Ebene bei Oran. — Dschibel-Sahar oder das „Löwengebirge.‘“ — Das Lager des Feigenbaumes. — Der kleine See, — Messerghin. — Der grosse Salzsee, El-Salgha. Im Monat Januar 1838 war ich nach einem siebenmo- natlichen Aufenthalt in der Provinz Constantine wieder in Algier zurück. Ich verweilte dort wieder einige Monate und schiffte mich am 2. März auf dem Dampfboot Aetna ein, wel- ches seine Fahrt nach Oran unter sehr ungünstigen Auspicien begann. Dreimal. versuchte es mit seinen sehr dringenden Depeschen am Bord in die See hinauszusteuern, musste aber immer wieder in den Hafen zurückkehren, nachdem es einige Stunden vergebens gegen Wind und Wellen gekämpft. Dampf- boote sind bei hochgehender See zwar leichter zu regieren, als Segelschiffe, rücken aber fast noch langsamer vorwärts als diese, da sie, beständig von den Wogen gehoben und ge- schaukelt, mit ihren rollenden Rädern das Wasser nicht er- fassen können oder nur die Oberfläche der Wogen berühren. Daher darf man zur Winterzeit an der Algierer Küste nie am bestimmten Tag die Ankunft eines Dampfbootes erwar- ten. Nachdem wir vier Tag auf der Rhede gelegen, aller 23 °® 336 Qual der Langeweile und Unbehaglichkeit zur Beute, liess der Commandant des Aetna endlich bei dem ersten halben Sonnenblick auf gut Glück in das Meer hinaussteuern. Ei- nen halben Tag lang ging es erträglich, dann kehrte der Orkan mit zehnfacher Wuth wieder und der arme Aetna, der Feuer und Wasser zugleich spie, wurde vier Tage lang von den Wellen fürchterlich geschaukelt, während die Passagiere in den Wehen der Seekrankheit fast vergehen wollten. Wir durften nicht einmal den Blick mit einiger Hoffnung nach der Küste richten, deren Berge hafenlos und ungastlich manch- mal aus dem Seenebel hervortraten, von denen wir uns aber in respectvoller Entfernung halten mussten, da von dort nur Schiffbruch und Tod drohten. Recht schadenfroh, wie der alte böse Meeresgreis im Märchen der Tausend und Einen Nacht, schaute der benebelte Atlas, der alte Magier, dem Treiben unsers von Wind und Wasser so arg misshandelten Schiffleins zu und es schien, als wolle er uns noch höhnen mit allerhand Zauberstückchen. So erschien einmal eine von den Winden zusammengeballte Wolkenfigur von merkwürdiger Form über der höchsten Bergreihe. Sie sah gerade aus wie ein Dampfschiff. Wie unser Aetna hatte sie Bugspriet, Rä- der und dampfspeiende Röhren, und da der Wind sie in der- selben Richtung trieb, wie das Schiff, so segelte sie über die Bergkette weg mit uns in gleichem Schritt, ja, sie kam uns noch zuvor. Mit leichenblassen Gesichtern und schwankenden Schritten taumelten die seekrauken Passagiere die Kajüten- treppe herauf und ein Schrei des Staunens entfuhr allen bei dem Anblick des äffendan Wolkengebildes. Alle andern Ne- belgruppen zerstreute der Wind im Augenblicke wieder, wäh- rend das gespenstige Dampfschiff! des Orkanhimmels ziemlich lange blieb, bis es endlich auch versank oder verschwamm in 397 dem Wolkengebirge, das sich über uns entleerte in Donner und Regen. Bei meiner Rückfahrt von Oran nach Algier im Monat Juni hatten wir dagegen das heiterste Wetter und machten die Fahrt in dreissig Stunden. Damals sah ich die Kü- stenstadt Scherschell sehr deutlich, welche, gegenwärtig im Besitz Abd-el-Kader’s, noch von keinem in der Regentschaft wohnenden Europäer besucht worden ist. Das Dampfboot fuhr nur etwa 300 Metres von der Küste vorüber. Scher- schell ist die alte Julia Caesarea, einst die Hauptstadt des Cäsarischen Mauritanien. Nach Karthago war sie die blühend- ste Stadt der Berberei. Sie scheint wenig Reste ihres alten Glanzes bewahrt zu haben, da ein Frdbeben sie zerstörte. Ihre Einwohnerzahl ist gleichwohl seit 1530 gestiegen, da viele orthodoxe Algierer, Mauren und Kuruglis, der allzu nahen Berührung mit den Christen abhold, sich in Scherschell niedergelassen haben und dort ziemlich lebhaften Handel mit andern Küstenstädten unterhalten. Scherschells Bevölkerung beträgt etwa 4500 Seelen, eher mehr als weniger. Der Um- fang der Häusermasse scheint wenigstens halb so gross wie der Algiers, doch sind die Strassen nicht so enge, die Häu- ser meist einstöckig. Scherschell liegt in einer kleinen Ebene, die zwischen dem Meer und dem Gebirge etwa Dreiviertel- stunde breit und drei Stunden lang seyn soll und deutlichen Abhang von Süd nach Nord hat. Die hübschen weissen Mi- narets, deren ich fünf zählte, geben dem Städtchen ein recht schmuckes sauberes Ansehen , eine Illusion, welche, wie bei allen maurischen Städten, schnell verschwinden würde, wenn man seinen Fuss in die Strassen setzte. Ein eigentlicher Ha- fen existirt nicht. Der ehemalige wurde ausgefüllt durch die Trümmer der Leuchtthürme Cäsareas, welche das Erdbeben 358 in die Fluth stürzte. Der Ankerplatz, der von zwei kleinen Forts und einigen Zwölfpfündern vertheidigt wird, ist eben so enge als seicht und nur Barken von der Grösse der mau- rischen zugänglich. Scherschells Umgebungen sind bis zu ei- ner Entfernung von einer Stunde über die Mauern heraus sehr schön angebaut mit edlen Fruchtbäumen aller Art. Der Boden ist sehr gut bewässert und ergiebig, Shaw macht die günstigste Beschreibung von seiner Fruchtbarkeit. Zwischen dem Grün der Bäume erblickt man die weissen Kuppeln vie- ler Marabutgräber, eben so auch die Arkaden eines Aquae- ducts, welchen Rozet, der ihn mit einem guten Fernrohr be- trachtete, für einen römischen hält. Wir waren nicht so glück- lich, ihn in so grosser Nähe zu schauen. In Scherschell woh- nen gegenwärtig nur zehn Familien von Türken und Kuru- glis, die übrigen Bewohner sind Mauren, worunter einige Hadars, arabische Städtebewohner, die sich von ihnen wenig unterscheiden. Auch jüdische Familien soll es noch dort ge- ben, ungeachtet sie Verfolgungen und Bedrückungen aller Art ausgesetzt sind, denn die Mahomedaner dieser Stadt sind grausam und fanatisch, dabei anarchischen Sinnes und zu Rauferereien schnell bereit. Ihr gegenwärtiger Kaid ist Ma- homed-Ben-Aissa-el-Barkani, welcher einer mächtigen Fami- lie der Beni-Menasser angehört, die Scherschells Umgegend bewohnen. Im Jahre 1834 empörten sich die Einwohner ge- gen ihn, weil er den abfahrenden Barken eine zu schwere Steuer auflegte.e Dadurch ward der Handel gelähmt und die maurischen Handelsleute und Schiffer, welche in Scherschell den mächtigsteu Stand bilden, verjagten ihn aus der Stadt. El-Barkani trat hierauf in den Dienst Abd-el-Kader’s, schlug sich tapfer für ihn, erst gegen des Emirs Rivalen, Mussa-el- Sherif, später gegen die Franzosen, und stieg endlich zur 399 Würde eines Khalifa. Seit dem Zuge Abd-el-Kader’s nach Ain - Maadi ist El-Barkani bei seinem Gebieter in Ungnade gefallen und musste wieder als Kaid nach Scherschell wan- dern. Er gilt hier für einen der tüchtigsten Häuptlinge des Landes, aber entschiedenen Gegner der Franzosen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Scherschell bei dem ersten Aus- bruch eines neuen Krieges zwischen Abd -el- Kader und den Franzosen von letzteren occupirt werden. Der Besitz dieses Städtchens wäre für sie nicht unwichtig, da für die Hadschu- ten, diese gefährlichen Feinde der Colonisten, die man bis jetzt weder auszurotten, noch auf gütlichem Wege zur Ruhe zu bringen vermochte, in der Ebene Metidscha kein längeres Bleiben mehr möglich ist, denn von Scherschell aus fasst man ihr Gebiet im Rücken, überfällt, wenn man will, ihre Duars in einer einzigen Nacht und schneidet ihnen den Rückzug nach ihrem Schlupfwinkel, dem Wald Khorasa, ab. Wäre Scherschell im Besitz der Franzosen, so hätte Abd-el-Kader gar keinen Küstenpunkt mehr als Tenez, ein kleines, er- bärmliches Nest, zwischen Scherschell und Mostaganem, ohne Handel und ohne Hülfsquellen, das für gar nichts zu rech- nen ist. ‚ Obwohl ich auf der Rückreise bei der ruhigsten See fast dicht an der afrikanischen Küste hinabfuhr, war es mir doch nicht möglich, von Tenez etwas Anderes zu entdecken, als die Spitze einer Moschee, die aber so räucherig und unfreund- lich aussah, wie der ganze Ort seyn soll. Tenez liegt in der Tiefe, einige hundert Schritte vom Meere. Der ganze Ort besteht aus etwa achtzig elenden Häusern , meist von Lehm gebaut, daher auch der’ Name*). Vor der Eroberung ®) Tenez oder Tenis bedeutet Koth, 360 Algiers durch den berühmten Barbarossa war Tenez gleich- wohl die Hauptstadt eines der kleinen Königreiche des Lan- des; jetzt ist es unter den Eingebornen nur berühmt seines Schmuzes wegen, und das folgende Epigramm (?) des Mara- butschriftstellers Hamet - ben - Usaph ist seit 150 Jahren im Munde der Araber: Mabanesch Ali Ten-nis Mahnah Schim Ma Dim Wa howa Sim Wa Hamet-ben-Usaph Madakhul schim. Dies lautet in wörtlicher Uebersetzung : „Tenez ist auf Mist gebaut. Seine Erde stinkt, Sein Wasser ist Blut, Seine Luft ist Gift. Hamet- ben-Usaph mochte da nicht wohnen.“ Shaw berichtet, unter den Mauren herrsche die Sage, die Einwohner von Tenez*) seyen vor grauer Vorzeit mäch- tige Hexenmeister gewesen und der König Pharao habe einst die geschicktesten davon rufen lassen, um die Mosaischen Wunder zu Schanden zu machen; wirklich seyen die Tene- ser noch immer die grössten Spitzbuben des Landes. Ueber die erstere Tradition konnte ich nichts Sicheres erfahren, aber die letztere Angabe ist mir von allen Arabern, nament- lich von den nächsten Nachbarn der Teneser, den Beduinen vom Schelif, bestätigt worden. Am 6. März lief das Dampfboot Aetna im Hafen von 'Mers-el-Kebir ein. Dieser ist von der Stadt zwei Lieues ®) Tenez soll heute nicht über 600 Einwohner haben, 361 entfernt, ein grosser Uebelstand für Orans Handel, der alle Aussichten vernichtet, aus diesem Orte je einen bedeutenden Stapelplatz für afrikanische Producte zu machen; und sollte je der Handel einmal einen mächtigen Aufschwung nehmen und die Karavanen aus dem Sudan sich hierher statt nach Ma- rokko wenden, so wird man sich genöthigt sehen, an einem andern Punkte eine Stadt zu bauen. Dazu wäre Oran am geeignetsten, denn bei Mers-el-Kebir lässt sich wegen der steilen Klippen wenig bauen. Gleich nach unserer Ankunft zu Mers-el-Kebir kamen Barken aus Oran, die uns mit un- serm Gepäcke abholten. Zum guten Glück war das Meer wieder ruhig geworden, denn bei bewegtem Wasser ist Wochen lang alle Verbindung zwischen dem Hafen und der Stadt abgeschnitten. Oran liegt unter dem 250 44° 20” nördlicher Breite und 3° 2° 28“ westlicher Länge und ist von Algier 76 Lieues entfernt. Die Stadt, welche ein mehr spanisches, als mauri- sches Ansehen hat, bedeckt zwei kleine Plateaus, welche durch einen breiten, mit schönen Gärten angefüllten Hohlweg von einander getrennt sind. Der westliche Stadttheil liegt tief am Meere, das östliche, grössere Quartier sehr hoch; letzteres hat eine weite Aussicht. Im untern Stadttheil liegt die alte Kasbah, welche in Ruinen zerfallen, im obern die neue Kasbah, oder Chateau neuf von den Franzosen genannt, welche, ein Werk der Spanier, sehr ausge- dehnt und stark befestigt ist. Die Spanier haben bekanntlich Oran bis 1791 besetzt gehalten und diese Stadt, in Folge ei- nes Erdbebens, das grosse Verwüstungen anrichtete, dem Dey auf friedlichem Wege abgetreten. Im Chateau neuf hat der Obercommandant der Provinz — zur Zeit meines Aufenhaltes, Generallieutenant Rapatel — seine Wohnung und ein hüb- sches Gärtchen, von dessen Höhe man Stadt, Landschaft und 362 Meer übersieht. Am äussersten Südende des Stadttheiles steht das Fort St. Andreas mitsehr schönen Casernen und Brunnen und weiter westlich das Fort St. Philipp. Alle diese spanischen Fe- stungswerke sind sehr solid, aus grossen Quadersteinen gebaut. Die Strassen Orans sind breit, gerade und helle, die Häuser gleichförmig gebaut, selten über eine Etage hoch, mit äussern Fenstern; man trifft fast keine Privatwohnung in rein maurischem Styl. Sehr hübsch und geschmackvoll sind dagegen zwei maurische Moscheenminarets im obern Stadt- theile, die höher als die Algierer Thürme sind und leichte Formen mit allerliebsten Verzierungen haben. Die neue ka- tholische Kirche mit einem schwerfälligen Thürmchen von hässlicher, geschmackloser Form steht hinter dem Bau jener Moschee beschämt zurück. Es giebt vier Moscheen in Oran, deren Inneres nichts Bemerkenswerthes enthält. Die mahomedanische Bevölkerung Orans beträgt kaum 1000 Köpfe, worunter Mauren, Kuruglis, Neger und Tür- ken. Früher soll sie fünf- bis sechstausend Seelen stark gewesen seyn, welche aber nach der Occupation dieser Stadt durch die Franzosen grösstentheils nach dem Innern auswan- derten. Viele Familien zogen auch nach Marokko, Tunis und der Türkei. Juden sind gegen 800 dort. Die übrige Bevölkerung besteht aus Europäern. Im Ganzen wohnen nahe an 5000 Individuen in Oran ohne das französische Mi- litair. Die Mehrzahl der Europäer besteht aus Andalusiern, welche Kramhandel und Gewerbe treiben; es sind nament- lich viele Fischer und Schiffer unter ihnen. Ihr Costume ist sehr eigenthümlich. Sie tragen hohe, spitzige, zuckerhut- förmige Mützen und weite Beinkleider, welche nur bis an die Kniee reichen, die sie aber unten nicht zuschnüren, wie die Orientalen. 363 Das Leben in Oran ist geräuschlos und wenig abwech- selnd. Man findet im untern Stadttheil meublirte Zimmer für 30 bis 40 Franken monatlich. Im Zötel des bains Francais war zur Zeit meines Aufenthalts ein guter Restau- rant. Kaffeehäuser giebt es in ziemlicher Zahl und von sehr hübscher Einrichtung, doch können sie mit den Algierschen Etablissements dieser Art an Eleganz nicht rivalisiren. - Un- ter den sehr hübschen neugebauten Privathäusern erwähne ich blos das des Grafen Lepelletier de Saint-Fargeau, Escadron- chefs im zweiten Chasseurregiment, in hoher, freundlicher Lage. Es giebt auch sehr hübsche Waarenmagazine in Oran im Pariser Geschmack eingerichtet und man findet darin so- wohl alle nothwendigen Manufacturwaaren, als die meisten Luxusartikel Europas. Der Handel Orans ist zur Friedens- zeit nicht ganz unwichtig. Es wird einiges Getreide nach Spanien, sehr viele Häute, etwas Schafwolle und Wachs nach den übrigen europäischen Staaten ausgeführt. Der Markt war im Frühjahr stark besucht, namentlich von den Stämmen der Garrabas und Beni-Ammer, welche viel Vieh zum Ver- kauf brachten. Die Araber der Provinz Oran sind weit kräf- tiger gebaut und höher gewachsen, als die der übrigen Lan- destheile. Ihr Gesichtsfarbe ist gebräunter und die grosse Mehrzahl trägt schwarze Bernusse, weil es mehr schwarze, als weisse Schafe in der Provinz giebt. Die Umgegend von Oran ist nur schön in den Monaten, wo noch einiger ‚Regen fällt. Beim Beginn der heissen Jah- reszeit, hier Mitte März, verbrennt die Vegetation weit schneller, als an andern Punkten, da der sonst fruchtbaren Erde die nöthige Bewässerung fehlt. Es fliesst bei Oran nicht einmal ein mittelmässiger Bach. Die westliche Umge- bung der Stadt ist sehr rauh und felsig. Hier thürmen sich 364 drei von den Spaniern gebaute Forts über einander auf. Auf dem Gipfel des Felsens Tammra steht das Fort Santa -Cruz, auf dem halben Abhang das Fort San - Gregorio, endlich fast am Fusse des Felsens dicht am Meere das Fort La Mauna. Ihr Mauerwerk ist sehr solid und selbst einer eu- ropäischen Artillerie dürfte es nicht leicht werden, diese drei spanischen Citadellen, die das Erdbeben von 1791 nicht zu Falle brachte, zu zerstören. Obwohl der Bau von Santa- Cruz auf der Spitze einer fast unzugänglichen Klippe das kühnste Werk scheint und man glauben möchte, für das „‚hei- lige Kreuz“ liesse sich in der That keine würdigere Stelle finden, als es dem freien Berg als eine Krone aufzudrücken, es zum Herrscher zu erhöhen über Land und Meer, so ha- ben doch die Eingebornen,, fast wie zur Demüthigung des fremden Bauwerkes, welches sie nicht zerstören wollten, da es nach der Uebergabe der Spanier ihnen von Nutzen war, auf einem noch steilern Berg der Gegend eine Marabutkapelle gebaut und deren weisse Kuppel mit dem Halbmond geziert. Bekommt man jetzt die so pittoresk gelegene Stadt Oran mit ihren massiven Befestigungswerken zu Gesicht, und schaut hinauf nach den himmelanstrebenden Burgen, deren höchste das Wolkenreich bei jedem trüben Tage aufnimmt, so ist es we- der das Santa - Cruz der frommgläubigen Spanier, noch die Tricolorfahne der französischen Freiheit, die vom hohen Fels- throne dem Auge zuerst erscheint, sondern es ist der spuk- hafte Marabuttempel im Leichengewand, der neckisch und hoch- müthig über christliches Bauwerk und Siegeszeichen wegsieht und wie prophetisch sagen will, dass hier der Islam noch lange der christlichen Ansiedelung den Platz streitig machen werde. Dicht unter dem Felsen der drei spanischen Forts führt 365 die neue Landstrasse nach dem Hafen Mers-el-Kebir. Sie war zur Zeit meines Aufenthaltes noch nicht vollendet und ich konnte noch Augenzeuge der unglaublichen Schwierigkeiten seyn, die zu besiegen waren, um hier den Klippen einen schmalen Raum abzugewinnen, kaum breit genug, dass zwei kleine Wagen sich einander ausweichen konnten. Harte ter- tiäre Kalkfelsen von achtzig Fuss Höhe mussten völlig ab- getragen werden. Durch einen der härtesten wurde ein Tun- nel von zweihundert Fuss Länge gesprengt, welcher allein ein ganzes Jahr lang der mühevollsten Arbeit kostete. Es waren die Disciplincompagnien, welche allein dieses gewal- tige Werk vollbrachten und sich damit gewiss ein unvergäng- licheres Monument gründeten, als die Spanier mit ihrem Fe- stungsbau. Jene stolzen Burgen können wohl noch einmal zusammenstürzen unter den Erdstössen, die sich in Oran frü- her so häufig eingestellt haben. Aber keine Gewalt der Na- tur, wäre es nicht eine zweite Sündfluthkatastrophe, ver- möchte die Strasse zu erschüttern, die nur mit den Klippen selbst, durch die sie gehauen, zusammenbrechen könnte. Ich sah die armen Soldaten der Disciplincompagnien hier arbei- ten und schauderte über ihr unglückliches Loos. Zehn Stun- den täglich mussten sie mit den schwersten Eisenwerkzeugen an diesen schattenlosen Klippen hauen , graben, wälzen. Die unerträgliche Sonnenhitze, die von der Kalkwand widerprall- te, hatte ihren Gesichtern die Beduinenfarbe aufgedrückt. In einer trostlosen Landschaft umher sahen sie nur nackten Stein und Salzwasser und hörten nur das Wimmern der Wo- gen und das Donnergepolter der vom Pulver berstenden Steine, Mit ungeheuren Brechmeisseln und Hämmern von dreissig Pfund Schwere schlugen sie Löcher in das Gestein, welches so hart war, dass in der Regel die Meissel zerbrachen und 366 durch neue ersetzt werden mussten, bis die Oeffnung gross genug war, dass man den Fels mit Pulver sprengen konnte. Oft geschah es, dass der berstende Fels die Arbeiter ver- wundete und gleich bei meinem ersten Besuch sah ich einen verstümmelten Soldaten nach dem Spital tragen. Seine Ka- meraden arbeiteten gleichwohl ohne Murren unverdrossen fort und zur Ehre der aufsehenden Officiere muss ich sagen, dass sie mehr durch gute ermahnende Worte, als durch harte Re- den ihre Leute zur Ausdauer ermuthigten. So nützliche und grossartige Werke, wie diese Felsenstrasse, sichern den Franzosen immer den ewigen Dank aller künftigen Bewoh- ner, und sollte Oran je wieder unter die Herrschaft der trä- gen Muselmänner zurückfallen, so werden auch diese sich freuen, dass die Fremdlinge ein so mächtiges 'Mittei der Communication hergestellt haben. Diese zwei Lieues lange Felsenstrasse wurde erst im Sommer 1838 vollendet und ein- geweiht. Die Hauptmasse des Felsenterrains zwischen Oran und Mers- el-Kebir bildet der Schiefer, dessen Schichten sich sämmtlich nach Norden senken und dunkel bleifarbig, aber von weissen Quarzadern durchdrungen sind. Eine Stunde westlich von Oran beginnen einzelne, bläulichgraue oder bräunliche Dolo- mitfelsen, der auf dem Schiefer ruhende tertiäre Kalkstein steigt an demselben Küstengebirge bis zu einer Höhe von 1200 Fuss. Dieser Kalkstein ist grobkörnig bald von weis- ser, bald von schmuzgelber Farbe. Der Hafen von Mers-el-Kebir, Portus magnus der Al- ten, dessen arabischer und lateinischer Name die gleiche Be- deutung hat, ist nach der Rhede von Arzew der beste An- kerplatz der Algierer Küste. Gleichwohl ist er den Wind- stössen von Nordost ausgesetzt, die aber seit 1830 keinen 367 beträchtlichen Schaden anrichteten. Eine kleine Escadre von etwa zehn Kriegsschiffen fände hier immer ein sicheres Asyl, denn die Rhede ist tief, durch Felsen gegen den Mistral- wind und durch Batterien gegen die Angriffe feindlicher Flot- ten geschützt. Indessen hat der ganz sichere Ankerplatz doch nur einen sehr beschränkten Raum und der Name Portus ma- gnus wäre passender für den Hafen von Arzew, der die grössten Flotten fassen würde, und welchen der Capitän Man- gay auch in der That für den wahren „grossen Hafen“ der Römer hält. Die Citadelle von Mers-el-Kebir ist auf einem Dolomit- felsen erbaut. Sie enthält geräumige Casernen für eine Gar- nison von tausend Mann, dabei Magazine, bombenfeste Kel- ler und Cisternen, welche der Garnison während der ganzen heissen Jahreszeit ziemlich gutes Trinkwasser bieten; denn Quellen giebt es weder innerhalb der Citadelle noch in deren Umgebung bis auf eine Stunde. Die Lage der Citadelle ist zur Vertheidigung sehr glücklich gewählt. Ihre Batterien kreuzen sich mit dem Feuer der drei Felsenforts bei Oran und würden jede Flotte leicht vernichten, die sich in den Be- reich ihrer Kugeln wagte. Indessen ist die Citadelle fast rings von Bergen dominirt. Daher hatten die Spanier auf dem höchsten Felsen einen neuen Festungsbau begonnen, der aber. nicht weit geführt wurde; seine Reste sieht man noch heute. Die Franzosen, die einen Angriff von der Seeseite nicht zu besorgen scheinen, haben noch keine Miene gemacht, den Befestigungsplan der Spanier wieder aufzunehmen. Eine halbe Stunde westlich von Mers-el-Kebir hört das Steinge- birge, das hier wie eine abgesonderte Gruppe hingeworfen liegt, und mit dem Atlas in keiner Verbindung steht, völlig auf und macht einer trockenen, unfruchtbaren Erde Platz, wo 368 nur die Zwergpalme und niederes Gras gedeiht. Ein Theil des Duairs, ein mit den Franzosen verbundener Araberstamm, hat dorthin seine Zeltdörfer verlegt. Einen weit tröstlicheren Anblick, als diese westliche Fel- senlandschaft, zeigt Orans östliche Umgebung. Es ist ein Pla- teau mit einigen Quellen, das vom October bis Mai grün, pflanzenreich ist, und ergiebige Weide bietet. Gegen Osten erstreckt sich die Hochebene bis an den sogenannten Löwen- berg, Dschibel-Sahar, vier Lieues von Oran. Aber nur bis zu einer Stunde von dieser Stadt istsie in dieser Richtung grasreich, weiter östlich ist der Boden dicht bewachsen von drei Fuss hohem Gestrüppe, das bis Arzew fortdauert und für den Jä- ger ein unerschöpflicher Jagdgrund ist. Gegen Süden er- streckt sich das Plateau von Oran bis in die Gegend von Messerghin, etwa drei bis vier Lieues von der Küste. Der erwähnte Löwenberg, Dschibel-Sahar, ist ein isolirter Hügel von 1800 Fuss Höhe über der Meeresfläche. Er scheint, da er völlig allein steht und aus ganz ebenem Grunde ragt, weit höher, besonders von der Seeseite und von Arzew aus gese- hen. Bis über die halbe Höhe ist er bewachsen; sein Gipfel aber ist nackt. Ich kam mehrere Male bis an seinen Fuss, bestieg ihn aber nie, da ich nie Gefährten fand, die für ei- nen solchen Ausflug Interesse gehabt hätten. Allein ihn zu erklimmen, war nicht räthlich, denn in der Nähe wohnen die Garrabas, der berüchtigtste Räuberstamm in der Provinz. Eine halbe Stunde südöstlich von Oran liegt auf demsel- ben Plateau das „Lager des Feigenhaumes“ (Camp du figuwier), ein kleiner befestigter Waffenplatz der französischen Vorpo- sten, in dessen Umgebung die französische Cavalerie im Früh- jahr die Weide bezieht. Der Name kommt von einem dort einsam stehenden riesenhaften Feigenbaum. Die Umgebung ist 369 ländlich angenehm und gleich ergiebig für den Jäger, wie für den Botaniker. Nicht weit von diesem Lager liegt ein kleiner See, der eine halbe Stunde breit, zwei Stunden lang und von Wasservögeln belebt ist. Das Wasser hat eine grün- lichgraue Farbe und unangenehmen, aber nicht salzigen Ge- schmack. Der See wird von kleinen Bächen genährt, die mit der Regenzeit enstehen. Im Hochsommer soll er ganz tro- cken liegen. Ich durchritt ihn auf einer Jagdpartie im Mo- nat April und fand nirgends über drei Fuss Wasser. Der sehenswertheste Punkt der Oraner Umgegend ist Messerghin, früher. ein arabisches Dorf, drei Stunden südlich von Oran in der Nähe des grossen Salzsees gelegen. Jetzt wohnen fast nur Europäer dort. Die regulären Spahis unter dem Commando des berühmten Obristen Yussuf haben zu Mes- serghin ihr Hauptquartier. In der Nähe des Lagers erhob sich seit dem Frieden an der Tafna ein Dörfchen von Schen- ken, Kramläden und einigen andalusischen Pflanzern. Ein gar friedliches Leben herrscht in dem äusserst pittoresk ge- legen Messerghin. Die Unterofficiere der Spahis, meist junge Leute von guten französischen Familien, die in ihrem mor- genländischen Costume sich gar herrlich gefallen, und das einförmige Lagerleben durch ihre immer muntere Laune zu versüssen wissen, machen unter Singen und Scherzen ihre Streifritte in die Umgegend und beleben die Weinschenke, so oft der Dienst sie nicht abruft. Eine Landstrasse verbindet Oran und Messerghin. Sie war zur Zeit meines Aufenthalts noch sehr schlecht und bedurfte vieler Ausbesserung. Ich legte den Weg in der ersten Kutsche zurück, die man in diesem Lande gesehen hat. Allein gleich die erste Fahrt misslang und der hübsche Wagen zerbrach auf dem Rückweg an den Auswüchsen der holperigen Chaussee. Morıtz Wacner’s Algier. I. 24 370 Der grosse Salzsee, von dem Araber El-Sebgha ge- nannt, dessen ganze Fläche man übersieht, ist zwei Stunden breit und acht Stunden lang. Im Sommer liegt er völlig tro- cken und sein Becken füllt dann eine Salzschicht aus, die auch im Winter auf dem Grund sichtbar ist und in den bun- testen Farben, weiss, schwefelgelb, roth, durch das Wasser schimmert. Seine Tiefe ist auch zur Regenzeit nie über sechs Fuss. Eine Menge von Watvögeln bewohnen seine Ufer, worunter der Flamingo und der numidische Kranich. Letzteren hätte ich nicht so weit westlich vermuthet. Jenseits des Salzsees wohnen die Beni-Ammer, einer der zahlreich- sten und begütertsten Araberstämme der Provinz Oran, wel- cher 4000 Reiter stellen kann und Abd-el-Kader als seinen Herrscher anerkennt. N 371 xV. Reise in das Innere der Provinz Oran. — Die Ebene Tle- lat. — Die Wohnsitze der Garrabas, — Der Wald von Muley Ismael. — Die Ebene des Sig oder Habrah. — Der Sig. — At- lasgebirge. — Blühende Thäler. — Mascara. — Beschreibung der Stadt. — Die,Wohnung des französischen Consuls. — Der zerstörte Palast Abd-el-Kader’s. — Sommerpalastruine der Beys, — Einwohner von Mascara. — Die Goldsticker. — Der arabi- sche Markt. — Ausflüge in die Umgegend. — Besteigung des Schruab-el-Rähah. Weite Aussicht über das Atlasgebirge und seine Thäler. — Die Ebene Egghres. Die Ghetna von Sidi- Mahiddin , Abd-el-Kader’s Geburtsort. — Kaschruh, der Kirch- hof der Mahiddins. — Ausflug nach den heissen Quellen von Hammam - Sidi- Hanefiah. Kediat-Meskhutin, der verfluchte Berg. — Das Marabutgrab Sidi-Hanefiah, — Die 'Thermalquel- len. — Muthmassliche Ruinen von Victoria. — Arabische Grä- ber. — Herrliche Gebirgsgegend. Der Commandant Pellissier, Derecteur des affuires Arabes, hatte mir bei meiner Abreise von Algier zwei mit dem Siegel des Gouverneurs Marschall Valee versehene und in dessen Namen ausgefertigte arabische Briefe, den einen an den Emir Abd -el-Kader, den andern an den Hakhem von Mascara Hadschi - Bukhari gerichtet, übergeben. Ich war an beide dringend empfohlen als ein gelehrter „Dubib,‘“ der das Innere der Regentschaft bereisen wolle, um heilkräftige Pflan- zen zu suchen und daraus Arzneien zu brauen. Noch im- mer ist dies der klügste Vorwand, um die Einwilligung der 24° 372 arabischen Häuptlinge zur Bereisung der innern Länder zu gewinnen und ihren Argwohn zu schwächen. Indessen ist das Mittel leider schon sehr verbraucht. Es haben sich man- cherlei Abenteurer und Kundschafter unter ähnlichen Vorwän- den gemeldet und die misstrauischen Araber sind sehr auf ih- rer Hut. Sie argwohnen in jedem Europäer einen französi- schen Spion, der über die den Franzosen noch unbekannten Landestheile Nachrichten einziehen, Karten und Pläne entwer- fen und deren Hülfsmittel auskundschaften wolle. Daher sind sie unablässig bemüht, den sich meldenden Reisenden, die ei- nen wissenschaftlichen Zweck vorgeben, die Gefahren und Entbehrungen , die ihrer warteten, recht lebhaft auszumalen. Sie schildern ihr Land als sehr arm. Die Gebirge, sagten sie, hegten kein Gold, und Steine und Pflanzen seyen die nämlichen, wie an der Seeküste. Sie besorgen, dass die Ent- deckung: irgend einer kostbaren Ressource im Innern, wie ei- nes metallreichen Berges, einer Saline, einer Heilquelle, die Franzosen anlocken möchte, sich dieses Schatzes zu bemäch- tigen und im Innern sich bleibend niederzulassen. Daher wird selbst das unschuldige Treiben eines botanisirenden Arz- tes keineswegs gern von ihnen gesehen. Fände er, meinen sie, kostbare Kräuter, so könnte bald eine Armee nachfolgen, die Einsammler zu beschützen. Mein Reiseplan war, von Oran zuerst nach Mascara, der .innern Hauptstadt der westlichen Provinz und Abd-el-Kader’s bisheriger Residenz, unter dem Schutz irgend eines Arabers in des Emirs Diensten, zu gehen. Dort wollte ich bei dem französischen Consul einige Wochen zubringen und mit ihm über die besten Mittel mich besprechen, um weiter in die in- nern unbekannten Atlasgegenden vorzudringen. Von Mascara wollte ich nach Tlemsan, von dort über die Steppen der An- 373 gads, nach dem Kobla, der westlichen Fortsetzung des Blad- el-Dscherid reisen, wo möglich einige der nördlichen Oasen der Wüste berühren und dann über Tekedent, Miliana und Medeah nach Algier zurückkehren. Die vielen Schwierigkei- ten, welche der Arwohn der arabischen Häuptlinge, der wü- thende Christenhass der Stämme im Innern und die noch so wenig befestigte Herrschaft Abd-el-Kader’s in Kobla diesem Unternehmen entgegenstellen würden, sah ich sehr wohl vor- aus, beschloss aber, wenigstens kein Mittel unversucht zu las- sen, die einflussreichen Grossen Abd- el - Kader’s durch Ge- schenke, Versprechungen und lockende Vorwände für mein Unternehmen günstig zu stimmen und durch möglichste Ver- stellung ihr Misstrauen zu beschwichtigen. Ich baute meine Hoffnung besonders auf den persönlichen Charakter Abd- el- Kader’s, der viel leutseliger, zugänglicher, vorurtheilsfreier ist, als die grosse Mehrzahl seiner Häuptlinge. Er hatte wenige Monate zuvor meine Freunde Bodichon und Berbrugger zu Hamza freundlich aufgenommen und beiden, welche einen ähnlichen Plan im Kopfe hatten, Schutz, Empfehlungen und Escorten versprochen, sobald sie zu ihrem Vorhaben gerüstet, ihn in Medeah oder Mascara aufsuchen würden. Die beiden Herren waren von des Emirs liebenswürdiger Aufnahme ganz entzückt, fürchteten aber gleichwohl, all’ seine Worte möch- ten nicht sehr ernst gemeint gewesen seyn und der schlaue Araberfürst am Ende wieder Ausflüchte in Bereitschaft haben, wenn sie reisefertig sich bei ihm melden würden. Je nach dem Rath des Consuls Daumas, der Land und Leute besser kannte als ich, wollte ich mich für einen botanisirenden Arzt, für einen Bergmann oder für einen speculirenden Händler ausgeben und traf meine Anstalten, jede dieser Rollen, so wie es die Umstände verlangten, zu spielen. Generallieutenant 374 Rapatel, Obercommandant der Provinz Oran, gab mir zu die- sem Zweck einen dringenden Empfehlungsbrief an den fran- zösischen Consul. An den Arzt des Consulats, Herrn Var- mier, hatte mich Herr Dr. Guyon, Stabsarzt der Armee, der bei jeder Gelegenheit mich nach all seinen Kräften unter- stützte, eben so warm empfohlen, endlich hatte ich auch Briefe für die beiden Dragomane: Ben-Amram und Ayas, so dass ich auf die freundliche Mitwirkung aller dieser beim Consulat angestellten Personen zum Gelingen meines Planes zählen zu dürfen glaubte. Die Verbindungen zwischen Oran und Mascara waren damals, ohngeachtet der Friede schon ein Jahr währte , noch gar nicht häufig. Zu furchtbar war der Hass zwischen Ara- bern und Europäern durch die Scheusslichkeiten eines erbar- mungslosen Krieges entflammt worden, als dass man sich so schnell wieder an einen freundlichen Verkehr gewöhnen moch- te. Raub und Meuchelmord hatten trotz des Vertrags an der Tafna noch nicht aufgehört und von beiden Seiten gab: man sich kaum die Mühe, den feindseligen Grimm zu verbergen. Eine Woche vor meiner Ankunft waren die Leichname zweier Soldaten in der Umgegend gefunden worden, was die Erbitterung und den Schrecken der Europäer neu -aufregte. Als ich in einer Gesellschaft von Officieren von meinem Vor- haben, nach Mascara zu reisen, sprach, hörte ich sehr ge- theilte Meinungen über die Räthlichkeit einer solchen Reise. Die Mehrzahl meinte, es sey einige Gefahr dabei, selbst wenn man einen zuverlässigen Führer habe. Ein anwesen- der Militairarzt sagte sogar im vollem Ernst, er würde sein Testament machen, bevor er ein solches Unternehmen be- gönne. Ich sprach nun über meinen Plan noch einmal mit dem General Rapatel, dessen Antwort nicht eben sehr beru- 375 higend lautete. Er für seine Person, sagte er, werde sich nimmermehr entschliessen, sich allein solchen treulosen Wil- den anzuvertrauen, indessen glaube er, dass in diesem Au- genblick eben keine besondere Gefahr sey; übrigens eutschul- digte er sich, dass er die Verhältnisse noch nicht recht zu beurtheilen vermöchte, da er erst ganz kürzlich das Comman- do der Provinz übernommen*). Er verwies mich deshalb an den Chef seines Generalstabes, Obristen Maussion. Ich traf diesen würdigen Officier am Abend darauf bei dem General Rapatel an der Tafel; seine Auskünfte beruhigten mich voll- kommen. Obrist Maussion hat selbst eine Zeit lang den Po- sten eines Consuls bei Abd-el-Kader nach dem tragischen Ende des Commandanten Menonville versehen. Auf seiner Reise nach Mascara, wie während seines dortigen Aufenthal- tes hatte er alle Gelegenheit, die politischen Zustände im In- nern zu beobachten und nützte dieselben auch auf das Beste. Seine Schilderung des Lebens von Mascara, der politischen und militairischen Organisation des neuen arabischen Staates, die Nachrichten, die er über Tekedent, Abd-el-Kader’s neu- gegründete Residenz eingezogen hatte, spannten meine Er- wartung nicht wenig und ich fand mich andern Tages früh 9 Uhr reisefertig und in der muthvollsten, von den schönsten Hoffnungen erfüllten Stimmung in dem Hofe der Generals- wohnung ein. Dort stand der kleine Convoi, mit dem ich die Reise machen sollte, gerüstet und ich lernte zwei liebens- würdige Begleiter kennen, die nur Vergnügen und Neugierde zu dem Ausflug bewogen. Der französische Consul in Mascara war damals Herr *) General Rapatel stand vier Jahr in Algier als Commandant der Truppen und zeichnete sich dort bei häufigen Anlässen durch seine bewundernswürdige persönliche Tapferkeit aus. 376 Daumas, Capitän im zweiten Regiment der berittenen Jägr von Af.ika, der im Rufe eines eben so tüchtigen und gebil- deten Officiers, als gewandten Diplomaten steht. Obwohl er mit seinem Gefolge, welches aus einem Arzt, zwei Dolmet- schern und einigen militairischen Dienern bestand, inmitten einer ganz arabischen Stadt ein sehr zurückgezogenes und nüchternes Leben führte, war es ihm doch bei aller Enthalt- samkeit nicht möglich, mit den spärlichen Producten auszurei- chen, die das arme Land ihm bot. Alle drei bis vier Wo- chen versah ihn daher ein kleiner Convoi von Lastthieren mit den einer französischen Tafel nothwendigen Bedürfnissen. Wein, Zucker, sowie die kleinen Manufacturwaaren, deren Unentbehrlichkeit man erst in einer von aller Industrie ent- blössten Gegend recht drückend fühlt, wurden ihm auf diese Weise zugeschickt. Die Führer der Maulthiere waren fran- zösische Soldaten des Fuhrwesens, welche die Reise gar nicht ungern machten, da sie im Consulat sich jedesmal ein paar Tage ausruhen konnten, in Mascara an den wunderlichen Scenen eines rein afrikanischen Lebens sich ergötzten, end- lich auch in jener wohlfeilen Stadt allerlei kleine Einkäufe, besonders an Geflügel machten, ihre leeren Maulthiere damit beluden und diese Rückfracht in Oran wieder vortheilhaft ver- kauften. Solche Convois begleitete immer ein Araber im Dienst Abd-el-Kader’s, welchen der Ukil, d. h. Consul, des Emirs in Oran auf das Verlangen des Generals zu dessen Verfügung stellte. Mit einem solchen Transport machte ich die Reise. In Oran hatte ich mir ein mittelmässiges Pferd für fünf Franken täglich gemiethet, mein Gepäcke wurde mit auf die Maulthiere des Convois geladen. Der Lieutenant Dau- mas und Herr Varlet, ein junger Militairarzt, waren mir wil- kommene Reisegefährten. | 377 Es war den 26. März, als unser kleiner Convoi, nach- dem wir dem wackern Rapatel und seinem Ordonanzofficier Saphore lange und herzlich die Hände geschüttelt, als ging es zu einer weiten gefährlichen Reise fort, zu dem östlichen _ Thore hinaus und dann langsam über das damals noch frisch- grüne Plateau von Oran fortzog. Unser Führer, ein schon® ergrauter Beduine, ritt in der den Arabern eigenthümlichen Haltung, in einen schmuzigbraunen Bernuss gehüllt, auf ei- nem Maulesel, der so grau und abgelebt aussah, wie sein Reiter; im Laufe der Reise aber beschämten beide unsere wohlgemästeten Thiere und meine noch wohlgenährteren Be- gleiter durch ihre Rüstigkeit und Ausdauer. Da uns viel dar- an liegen musste, unsern Führer, ohne dessen Schutz wir in den ersten Stunden gleich ermordet worden wären, freund- lich für uns zu stimmen und bei guter Laune zu erhalten, so ritt ich an dessen Seite und suchte ein Gespräch mit ihm an- zuknüpfen. Auf die erste gewöhnliche Frage in diesem Land: „Wasch -Halek, Sidi, wasch hinta?‘ (Wie gehts dir Herr) erwiederte er ein mürrisches „Pehaer“ (gut) und beantwor- tete meine übrigen Fragen über den Weg und das Wetter in demselben kurz abstossenden Ton. Es lag ein gar unheim- licher Ausdruck in seinen harten Zügen, und so oft sein Auge hinter den rauhen Wimpern mich tückisch anfunkelte, wie der Blick der Hyäne, da berührte ich fast unwillkürlich meine Pistolen und schaute zurück nach meinen Begleitern, die aber ganz sorglos neben den Lastthieren ritten. Wir kamen nicht weit vor einem fliegenden französischen Cavalerielager vor- über, welches alljährlich im Grünen nur so lange aufgeschla- gen wird, bis die Pferde die so kräftigen Frühlingspflanzen abgeweidet haben, was die Thiere für das ganze Jahr stärkt und munter macht. Graf Saint-Fargeau, Escadronchef, com- 378 mandirte dieses improvisirte Lager. Er hatte mich wenige Tage zuvor freundlich eingeladen, in seinem Leinwand-- häuschen einzusprechen und entomologische Promenaden mit ihm zu machen, und ich wäre gar gern zu ihm hinübergegan- gen, aber in der Furcht, den Weg zu verfehlen und meine Gefährten nicht zeitig genug wieder einzuholen, unterliess ich es um so mehr, als gerade in dieser Gegend die Wegelage- rer der Garrabas am häufigsten lauerten, um isolirte Euro- päer zu plündern oder auch zu morden, blos aus fanatischem Hass. Nach einem dreistündigen Ritt verliessen wir das franzö- sische Gebiet, welches von dieser Seite ein fünfhundert Me- tres breiter Sumpf von dem Reich des „Sultans Abd-el-Ka- der‘ trennt. Wir betraten die Ebene Tlelat, ein ziemlich ausgedehntes, aber wenig fruchtbares Gefilde, überschwemmt mit Morästen und dichtem unausrottbarem Buschwerk. Hier begann wirklich jene ungeheure Menge von Landschnecken sich zu zeigen, von der mir die Begleiter der Expedition nach Mascara so oft erzählt hatten. Es waren aber wenig ver- schiedene Arten darunter. Die ungeheure Mehrzahl bildete die Helix saffarina, deren weisses Gehäuse mit saffranbraunem Munde alle Büsche und Bäumchen umher recht zierlich deco- rirte. Obwohl ich sie auf jeder Pflanze fand, so scheint doch ihr Lieblingsaufenthalt der Brustbeerstrauch zu seyn, das häu- figste Gewächs der Ebene Tlelat. Gleich einem viele tausend Ellen langen Gewinde von Perlenschnüren ziehen sich diese zierlich weissen Schnecken durch das unabsehbare Blätternetz der Brustbeer- und Mastixsträuche, der Zwergpalmen, der Philyreastaude, des Johannisbrodbäumchens. Der bewegliche Schneckenflor gestaltet sich oft zu den wunderlichsten Zier- rathen, bald sind es Blüthen, bald Schneeflocken, bald gauze 379 Kronleuchter und Sterne, die an den Zweigen schweben. Manche entlaubte Gewächse sind so dicht besetzt, dass man durch keine Lücke die Rinde mehr entdeckt und nun einen ganzen Conchylienbaum dem Boden entsprossen wähnt. Die französische Armee wurde durch diese Schnecke fast von dem Hungertode gerettet. Auf dem Rückzuge von Mascara, wo das Heer des Marschalls Clauzel, matt vom Marsch und stren- ger Diät, den Bivouac bezog, da schmauste Alles, vom Tam- bour bis zum Obristen, gekochte Schnecken. „Ich weiss kaum,“ erzählte mir der Capitän Magagnos, „‚was ohne diese harmlosen Mollusken, die wohl nie geahnt, dass sie eine her- zogliche Mahlzeit“) würzen müssten, aus uns geworden wäre. Unsere Mägen waren damals hohl wie Luftballons und unsere - müden Beine wollten sie nicht mehr tragen.“ Die Ebene Tlelat bewohnt der Stamm der Garrabas, traurig berühmt in dem Krieg mit den Franzosen durch seine Barbarei, wie durch seine Raub- und Kampflust. Es waren die Garrabas, die an der Makta dem geschlagenen Heer des Generals Trezel am furchtbarsten zusetzten und -die Nachzüg- ler in Stücken hieben, die Herrn Defrance gefangen nahmen und 1537, während der General Bugeaud an die Tafna aus- rückte, die Zmelas, einen mit den Franzosen verbündeten Stamm, überfielen, dessen Weiber und Kinder würgten und dessen Heerden raubten. Die Garrabas sind in der Provinz Oran dasselbe, was die Hadschuten in der Provinz Algier sind. Sie spielen die gleiche freche Räuberrolle, immer gerüstet zu Ueberfällen auf das französische Gebiet, immer lauernd auf einzelne Wanderer, Jäger und Verirrte, immer bereit, °) Der Herzog von Orleans theilte bekanntlich damals die Ent- behrungen der Armee. 380 mit ihren Familien und Heerden in die Berge zu fliehen, so oft eine französische Colonne ihnen den Besuch erwiedern, ihre Räubereien rächen will. ,,‚Es sind famöse Mörder“ — sagte Abd-el-Kader einst dem Consul — „aber meine besten Krieger.“ Die Garrabas sind weit zahlreicher als die Ha- dschuten und können über 2000 Reiter stellen. Die Beni- Ammer und die Flita sind zwar noch mächtiger an Zahl, aber bei weitem nicht so kriegerisch und gefürchtet, wie die Garrabas. Es war ein gewiss für meine Gefährten peinliches Ge- fühl, das Gebiet dieser Barbaren zu durchziehen, ohne an- dern Schutz als den eines Führers von ihrem Schlag und ähn- licher Sinnesart, im Hass gegen die Christen grau geworden, und obwohl von dem Ukil beordert, uns sicher zu geleiten, schien er doch keineswegs gelaunt, im Falle eines Angriffes für unsere Vertheidigung viel zu thun und zu wagen. Dabei trug er nicht einmal Waffen und obwohl er im Dienste des Emirs stand, dachten wir kaum, dass sein zerlumptes bettel- haftes Aeussere seinen Landsleuten viel Respect einflössen könne. Hätte Abd-el-Kader wohl unsern Tod zu rächen ge- wagt, wenn wir vor den Augen unsers Führers erschlagen worden wären? wenn seine Moslims ihm gesagt hätten: „Du willst das reine Blut der Gläubigen vergiessen als Sühnopfer für das ungläubische der hündischen Rummis‘““ — würde er, der nicht, wie die türkischen Beys, durch T'yrannei und Schrecken herrscht, sondern seine Macht einzig auf seine ge- heiligte Marabutswürde, auf den religiösen Fanatismus seiner Stämme baut, würde Abd-el-Kader wohl gewagt haben, sei- nen furchtbarsten Stamm, seine beste Stütze im Felde zu züchtigen um der Ermordung einiger Christen willen? Und wenn auch keine Feindseligkeit des ganzen Stammes zu fürch- 3S1 ten war, wer sicherte unser Leben gegen die Kugel irgend eines einzigen Fanatikers, der aus den dichten Büschen schies- sen konnte, ohne je eine Entdeckung fürchten zu dürfen? Wer weiss, wie gering eigentlich die Gewalt ist, die ein Khalifa über die Scheikhs, ein Scheikh über die gemeinen Ara- ber übt, wie locker die Bande des Gehorsams sind unter Bar- baren, die keine Disciplin ertragen, wie saumselig sich die Häuptlinge immer zeigen, Unbilden zu strafen, die gegen die Ungläubigen begangen worden, wer die ganze anarchi- sche Verfassung, den ungebändigten Charakter, die Treulo- sigkeit des arabischen Volkes kennt, der mag wohl unser banges Herzklopfen natürlich finden, bis mit der Gewohnheit an die Nähe der Gefahr eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn auch keine Beruhigung unter uns wiederkehrte. In den er- sten Stunden spähten wir durch das einsame Buschgefilde, ohne irgend etwas von einer Araberwohnung zu entdecken. Oft genug täuschte uns die aufgeregte Phantasie, so dass wir die wunderlich gestalteten Gruppen der Pistaciabüsche in der Ferne für kamelshärene Zelte, den weissen wehenden Lap- pen eines Marabutgrabes für den Bernuss eines lauernden Be- duinen, das wimmernde Geheule der Schakale für das Kampf- geschrei der Garrabas hielten. Mit der Entdeckung der häu- figen Täuschung schwand auch in uns endlich mehr und mehr jenes unheimliche Grauen und am Ende ritten wir ziemlich wohlgemuth durch die Wildniss fort. Unser alter Führer war öfters weit hinter uns zurückge- blieben, um zu beten. Da es jetzt düsterer wurde, beschlos- sen wir, ihn nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Die Sonne war im Untergehen, der greise Araber stieg wieder von seinem Maulesel, der, an diese Pausen gewöhnt, geduldig wartete, während sein Herr auf die Seite trat, sich nieder- 332 warf, die Stirn auf den Boden drückte und in tiefer Andacht versenkt liegen blieb, bis der letzte rothe Strahl verglommen ; dann fuhr er auf, wie in epileptischen Convulsionen. Jetzt erst gewahrte er uns hinter ihm als Zeugen seines Gebetes. Ein giftiger Blick schoss aus seinen Augen und mit einem wüthenden „Emschi, emschi‘“ (Geht fort, geht fort!) scheuch- te er uns aus seiner Nähe. Als er uns später wieder ein- holte, war er zu unserer Verwunderung ganz freundlich und fragte uns, ob wir nicht die Nacht in einem nahen Duar zu- bringen wollten, denn wenn wir noch eine Stunde weiter rit- ten, so kämen wir an keinem arabischen Dorf mehr vor- bei. Obwohl wir gewünscht hätten, einen Theil der Nacht hindurch zu reiten, um andern Tags zeitig in Mascara ein- zutreffen, nahmen wir doch den Vorschlag unsers Führers gern an, denn die Packpferde waren müde und hätten ohne Fütterung nicht mehr weit gehen können. Auch für uns hatte die Aussicht auf ein lustiges Bivouacfeuer, eine Schüssel Milch und ein Nachtlager unter warmen Zelten etwas Einla- dendes. Unser Beduine ritt nun seitwärts mitten durch das Dickicht. Bald geriethen wir in eine furchtbare Buschwildniss ohne irgend eine Spur von einem Weg. So ging es fort durch Dick und Dünn, unsere Pferde schnaubten, die Maul- thiere schrieen, aber der alte Führer trabte munter vor, ohne sich nur umzusehen und schien keinen Augenblick zweifelhaft über den Weg. Nach einem halbstündigen Ritt erreichten wir einen gros- sen lichten Platz, der bedeckt war mit schwarzen Zelten und weidenden Heerden. Im ersten Duar weigerte man sich, uns aufzunehmen. Wir sahen nur Weiber und Kinder, die uns voll Gift und Bosheit angrinsten und mit Schimpfreden weiter gehen hiessen. Vor dem zweiten Duar unterhändelte unser 383 Fuhrer lange mit dem Scheikh, einem eben so alten, zerlump- ten und hässlichen Beduinen, wie er. Endlich wurde uns er- laubt abzusteigen. Unsere Maulthiere durften neben dem Duar grasen, ein Zelt wurde uns zum Nachtlager aufgeschlagen und diese Wilden, die uns anfangs mit so finstern Mienen enpfangen hatten, dass wir alle ein wenig bleich wurden, nah- men nach einigem Plaudern und näherer Bekanntschaft freund- liche Mienen an, setzten sich neben uns an ein grosses Feuer und fragten nach Neuigkeiten, namentlich was wir von Milud- Ben-Arasch, der damals als Abd-el-Kader’s Gesandter in Pa- ris war und als der Sohn eines Marabut der Garrabas bei diesem Mann in hohem Ansehen steht, gehört hätten? Unter Plaudern und Singen ging ein Theil der Nacht vorüber, dann streckten wir uns gemächlich unter den kamelhärenen Palast, den man uns aufgerichtet hatte und ich schlief, meine Doppelflinte in den Armen, inmitten dieser Räuber so ruhig sorglos ein, wie am Herde meines Vaterhauses. Beim Erwa- chen hatten wir noch alle den Kopf zwischen den Schultern — das war fast mehr, als wir erwartet hatten. In der Provinz Algier hat man von jener grossen Ver- einigung schwarzer Beduinenzelte, die manchmal den Umfang einer kleinen Stadt einnehmen, von einer Menge Familien und ungeheuren Heerden bevölkert sind, gar keinen Begriff. Dort zählen die Duars selten mehr als acht bis zwölf von Ka- melhaaren gewebte luftige, schwärzlichgraue Häuschen. In der Provinz Oran, in den südlichen Städten der Provinz Con- stantine und Titeri, im Süden der Regentschaften Tunis und Tripolis giebt es dagegen solche Duars, die bis zu 500 Zelte haben, welche durch mehr oder minder grosse Lücken ge- trennt stehen, aber einen regelmässigen Kreis bilden und die Wohnart eines Hirtenvolks in seiner grossen Eigenthünlich- 354 keit zeigen. Dieser Duar der Garrabas war der grösste, den ich in der Berberei gesehen habe und mochte wohl einige hundert Familien fasser. Um die schwarze Zeltstadt lagerte eine ungeheure Heerde von Hausthieren aller Art, einige tau- send Schafe von meist schwarzer Wolle, lustig springende Geisböcke, Kühe und Ochsen ziemlich mager und klein, end- lich die Riesen der Heerden, die Dromedare, deren fahle Häupter und Höcker wie Felsklumpen aus der bewegten vier- füssigen Menge herausragten. Neben dem Blöken, Brüllen und Schreien dieser Thiermasse bellten die weissen lang- haarigen Beduinenhunde, halb Schakals, halb Bullenbeisser, welche Fremde witterten, fast ohne Aufhören. Die Araber bewohnen am liebsten recht einsame von allen Wegen ent- fernte Stellen, wo nur der Rauch der Kochfeuer manchmal ihren Aufenthalt verräth. Sie wollen dadurch sowohl der Zu- dringlichkeit ihrer reisenden Glaubensgenossen ausweichen, welche ausserdem die arabische Gastfreiheit ein bischen gar zu oft in Anspruch nehmen würden, dann auch ihren Fein- den die Annäherung erschweren. Einem französischen Trup-. pencorps wäre es nicht möglich, den Weg durch so dichtes Gestrüppe sich zu bahnen, ohne lange vor seiner Ankunft von den Garrabas bemerkt zu werden, und diese könnten in einer Viertelstunde Heerden und Zelte in Sicherheit bringen. Die Garrabas waren zur Zeit ımserer Durchreise mit den Beni- Ammer in Krieg verwickelt. Beide Stämme plünderten Duars, raubten Heerden und tödteten sich gelegentlich Leute. Abd-el-Kader war abwesend in Medeah und auf die Befehle seiner Khalifas und Agas zur Beilegung des Streites wurde nicht viel gehört. Ein aufgeworfenes Hügelterrain, Vorläufer des Atlas, welches man in diesem Land fast immer in gleicher Entfer- 385 nung vom Meer bemerkt, scheidet die Ebene Tlelat von der weit schönern, grössern und fruchtbarern Ebene des Sig oder Habrah oder auch Ebene von Ceirat genannt. Der Wald von Muley-Ismael bedeckt jenes erhöhte Terrain und enthält eine ziemliche Mannichfaltigkeit an niedern Bäumen und Ge- sträuchen des Südens. Der Mastixstrauch dominirt dort. Ausserdem aber kommen wilde Olivenbäume, afrikanische Tamarisken, Pinien, Johannisbrodbäume, südliche Eichenar- ten und namentlich Brustbeersträuche in Menge vor. In die- sem Wald ist nach der Versicherung der Araber die Lieb- lingsresidenz der Löwen. Unser Führer rieth uns dringend, hier nie während der Nachtzeit zu reisen. Ein Löwe, sprach der Araber, lauere auf dem Wege, und zugleich fing er an, uns eine Menge Anekdoten und Märchen über den Löwen zum Besten zu geben. Er hatte noch nicht geendigt, als wir längst die waldigen Strecken von Muley-Ismael und folglich auch die Löwen im Rücken hatten. Die prachtvolle Ebene des Sig, ein unabsehbares grünes Gefilde, lag vor unsern Augen. Dort gewahrten wir eine Menge Duars in der Nähe des Weges, sehr zahlreiche Heer- den und viele Marabutgräber. Diese Marabutgräber erschei- nen in Nordafrika unter dreierlei Formen. Stirbt ein ge- wöhnlicher Marabut, deren es in jedem Duar einige giebt, . so errichten die Araber blos eine niedrige Ringmauer über seinem Ruheplätzchen und pflanzen in der Mitte eine weisse Fahne oder auch nur einen Tuchlappen auf. War der ver- schiedene Heilige ein Marabut von Bedeutung, der über meh- ‚rere Stämme seinen religiösen Einfluss übte, so wird eine kleine Kapelle über seinem Grab gebaut. Diese Kapellen, deren man im ganzen Lande, auch in den einsamsten Gegen- den, sieht, haben auf der Decke eine runde Kuppel, sind Morıtz Wasner’s Algier. I. 2 386 weiss angestrichen und nehmen sich, aus dem Grün der Ca- ctusbäume oder von der Höhe eines Berges blickend, unge- mein pittoresk aus. Ueber den Gräbern der berühmtesten Marabuts, welche im ganzen Lande umher geehrt und ge- feiert waren, errichten die Araber Moscheen mit Ringmauern umgeben. Einige Thalebs oder Einsiedler bleiben dort als Wächter, und die Moscheen werden von Andächtigen nie leer. Solche grosse Marabuts, deren Andenken durch eine so hohe Auszeichnung gefeiert wird, giebt es übrigens nicht viele. Sidi-Mahiddn, Abd-el-Kader’s Vater, war von der kleinen Zahl der grossen Heiligen des Landes. — Unsere Reise durch die Ebene des Sig war etwas langsam, da unser alter andächtiger Führer vor jedem Grabe vom Pferde stieg und sich betend wie ein Wurm krümmte. An der südlichen Gränze der Ebene fliesst in südöstlicher Richtung der Sig, ein kleiner Fluss, dessen hohe, senkrecht abgeschnittene Ufer zwei fortlaufenden Mauern gleichen. Das Wasser desselben hat eine dunkelbraune Farbe. Die Araber behaupten, der Sig sey ein giftiger Fluss und die Thiere fielen von dem Genuss seines Wassers todt; sie sagen, jeder Reiter, der sein Pferd dort trinken lasse, solle immerhin nur mit dem Sattel und dem Zaume weiter ziehen und sein Ross den Ra- ben lassen. Eine Stunde südlich vom Bette des Sig beginnt die erste Kette des Atlasgebirges, deren Zug hier von Osten nach Westen geht. Man muss drei dieser Bergketten bis Mascara übersteigen. Zwischen den Höhenketten durchzieht man wunderschöne Gebirgsthäler, bedeckt mit einer äusserst üppigen, wiewohl nicht sehr mannichfaltigen Blumenvegetation. Wir bewunderten namentlich die herrlichen niedern Orchis- arten. Einzeln und selten zeigte sich auf den Bergrücken der Mastixbaum des Atlas, Pistacia atlantica, der dem 337 gemeinen Mastixbaume ganz ähnlich ist, aber zuweilen eine Höhe von sechzig Fuss erreicht. Denselben Baum hatte ich in der Umgegend von Constantine gefunden. Wir kamen am 27. März erst in ziemlich später Nacht in Mascara an. Der Dragoman Ben - Amram war uns eine Stunde weit entgegen gekommen und hiess uns im Namen des Consuls freundlich willkommen. Der Ritt wurde immer ermüdender. Hohe Bergrücken hinauf und hinunter; kein Lichtflimmer, kein industriöses Geräusche, noch weniger ein Laut der Freude kündigte die Nähe der Stadt an und wir wurden Bab-Ali, Mascaras grösster offener Vorstadt, erst ge- wahr, als wir mitten darin ritten. Die Thore der Stadt wa- ren offen, keine Wache war zu sehen, kein Gensdarme kam, nach unsern Pässen zu fragen, kein Douanier, unser Gepäcke zu visitiren. In einem abscheulichen Gässchen hielten wir vor der Wohnung des Consuls, der uns vor der Thüre em- pfing, und nachdem er seinen Bruder umarmt hatte, uns freundlich bat, seine bescheidene Wohnung und seine noch bescheidenere Küche mit ihm zu theilen. Sie wären mir,“ sagte er, als ich das Schreiben des Generals Rapatel über- gab, „auch ohne diese Empfehlung meines Chefs gleich herz- lich willkommen. Ich danke es jedem Fremden, der mich in meiner Einsamkeit besucht, dass ich einmal wieder Gedanken nach europäischer Weise austauschen kann. Sie finden in Mascara weder Restaurants, noch meublirte Zimmer zu mie- then und haben daher auf jeden Fall keine andere Wahl, als sich ohne Umstände bei mir einzuquartiren.“ Kaum sassen wir ein paar Augenblicke am Tische des Consuls, am behag- lichen Kaminfeuer, als der Hakhem der Stadt, Hadschi- Bukhari, uns ein Lamm und den vortrefflichen .,Ehrenkus- kusu“ mit Rosinen gespickt schickte. „Es ist das erste Mal“, 25 * 388 sprach der Consul, ‚dass der Hakhem Europäern solche Aufmerksamkeit erweist. Sie sehen, man feiert Ihre An- kunft besser, als die meinige und die der andern Officiere, ° die mich besucht haben.“ Bald kam der Schiauch oder Ge- richtsdiener, der den Tag über als Ehrenwache im Consulats- hause verweilte und erzählte, unter den Einwohnern laufe das Gerücht, ein Sohn des Sultans von Frankreich sey in Mas- cara angekommen. Wir lachten sehr über diese Neuigkeit und riethen scherzend, welchen von uns drei Reisenden man wohl für den französischen Prinzen gehalten. Mascara liegt am Fusse des südlichen Abhanges der dritten Bergkette des Atlas und auf der Nordseite der pracht- vollen Ebene Egghres, 26 Lieues südöstlich von Oran und 18 Lieues in gerader Richtung vom Meer entfernt. Shaw, der von dieser Stadt, die doch schon seit Jahrhunderten eine der beträchtlichsten der Provinz war, nur mit zwei Zeilen Erwähnung macht und ihre Lage ,‚in der Mitte einer schönen Ebene“ angiebt, scheint Mascara nie gesehen und wohl die wenigen Angaben nur nach dem Hörensagen wiederholt zu haben. Da zu seiner Zeit, wie er selbst schreibt, Mascara keine türkische Besatzung aufnehmen wollte, so ist es um so unwahrscheinlicher, dass er die Reise dorthin machen konnte. Mascara zeigt keine Spur von Alterthimern. Dieäalte Victo- ria des Ptolemäus lag einige Stunden weiter gegen We- sten. Einige wenige unbedeutende Trümmer antiker Gebäude liegen in dem nahen Dorf der Bordschia, eine Stunde von Mascara. Ich habe sie nur flüchtig im Vorbeigehen betrach- ten können. Mascara war die Hauptstadt des Beyliks, so lange Oran in der Gewalt der Spanier sich befand. Mit Einschluss ihrer fünf unregelmässig gebauten Vorstädte be- deckt die Stadt ein Terrain von beinahe 1,100,000 OD Schuhen. 389 Die Vorstädte sind offen, die Stadt ist von einer einfachen zwanzig Fuss hohen Ringmauer umgeben. Letztere ist aber dünn und baufällig und schützt die Stadt wohl gegen den An- griff einer arabischen Bande, wäre aber von einer europäi- schen Artillerie in wenigen Stunden zusammengeschossen. Dies sah Abd-el-Kader wohl ein, als er im Jahre 1835 sei- ne Hauptstadt ohne viele Umstände den französischen Plün- derern überliess. Mascara ist ein über alle Begriffe elender Ort. Die Häuser sind zwar grösstentheils von Stein, nicht von Koth gebaut, wie Shaw schreibt, aber klein, armselig, blosse Steinhütten. Die Strassen sind enge, aber belebt, die Moscheen: ganz unbedeutend. Man gewahrt nicht einen hüb- schen aufragenden hohen Thurm, wie in allen übrigen gros- sen Städten des Landes, dagegen Gräber in der Mitte der Stadt. Was noch übrig geblieben von Spuren maurischer Pracht, das muss man in den zerstörten Palästen Abd-el-Ka- der’s und der türkischen Beys suchen, die jetzt keine Seele bewohnt. So armselig auch die Wohnung des Consuls Dau- mas, so ist sie doch ‘das einzige wohlerhaltene Gebäude. Sie hat drei finstere Stuben, einen kleinen Hof, eine Küche und Terrasse. Französische Soldaten des Genie wurden aus Oran auf einige Wochen hieher geschickt, um die nothwen- digsten Reparaturen vorzunehmen, und ihnen verdankt das Häuschen den Kamin, den Trost der Bewohner, der die kleine europäische Männerfamilie Abends zu Kaffee und Pfeife versammelt und wo dem wackern Consul das gemüthliche Plauderstündchen die Einsamkeit und Langeweile seines Auf- enthaltes in der wildfremden Stadt einigermassen vergessen macht. Ich erzählte dort alle Scenen des Zuges nach Con- stantine und meine Reisen ins jener interessanten Provinz, während der Consul und sein Arzt Varmier mit ihren Erleb- 390 nissen, Beobachtungen und Erfahrungen inmitten des neuen arabischen Reiches, in der Geburtsstätte Abd-el-Kader’s, wo dessen Glücksstern aufgegangen und noch heute seine grösste Stärke liegt, eben so bereitwillig auftischten. Das ist eben der so schöne, der im gesellschaftlichen Leben unschätzbare, dabei wohlthuende und Herz gewinnende Charakterzug des Franzosen, dass er die steifceremonielle Scheidewand zwischen sich und dem nie gesehenen Fremden so schnell und mit so gutem Anstand zu überspringen weiss, dass er die verlorne Zeit einer allmäligen Bekanntschaft erspart, dass er schnell ' zutraulich und niemals zudringlich wird, dass seine Unterhal- tung dann aus Geist und Herz ergiebig und lebendig fliesst, dass er selten Geheimnisse zurückbehält und den Fremden durch sein schönes Vertrauen zur Erwiederung desselben und zur Discretion zwingt — ein solch ächter Franzose so ‚chevaleresken Sinnes und einnehmender Manier ist der Capi- tän Daumas.. Wenn andere Diplomaten durch strenge Ver- schlossenheit den Vortheil haben, sich nie vor dem Fremden eine Blösse zu geben, so weiss der Consul Daumas dafür durch seine Freundlichkeit Andere zum Reden zu bringen und erfährt daher fast Alles, was im Lande vorgeht, wogegen er gar gern auch den Häuptlingen von Europa erzählt, von den Wunderdingen der Civilisation, den politischen Ereignissen und Zeitungsneuigkeiten. Ich habe die ausserordentliche Ge- wandtheit dieses Officiers im Gespräche mit den Eingebornen, die aufmerksam jedem Wort lauschen, aber nicht leicht selbst gesprächig werden, oft bewundert. Unter den scheinbar gleichgültigsten Fragen wusste er ihnen eine Menge Geständ- nisse abzulocken über die Vorgänge in Medeah, wo Abd-el- Kader damals eine Expedition gegen Ain-Maadi rüstete, über die neu errichtete Pulverfabrik in Tekedent, die Kanonen- 391 bohrerei in Tlemsan, die Stärke und die Stimmung: der ver- schiedenen Stämme u. s. w. In die verschiedensten Gesprä- che verstand er sie zu verwickeln, um ihnen hie und da eine unbedachtsame Aeusserung zu entreissen, aus der man wei- tere Schlüsse ziehen konnte. Sehr selten endete ein solches Gespräch, ohne dass er irgend eine Mittheilung von einiger Wichtigkeit erhascht hätte, Ich erinnere mich, dass eines Abends ein deutscher Renegat Ben-Amidu sich bei uns mel- dete. Der Consul liess ihn an dem Kaminfeuer Platz nehmen und schenkte ihm reichlich ein von den zwei letzten Wein- flaschen, die von unserm mitgebrachten Vorrath noch übrig waren. Es war ein merkwürdiger Mensch dieser Amidu, den das Schicksal auf die wunderlichste Weise herumgewor- fen, aber nie vernichtet hatte, so oft auch sein Leben nur an einem Faden hing. Sein eigentlicher Name war Geistin- ger, er war aus Altbaiern gebürtig und hatte, wie er mir erzählte, noch Verwandte in Neuburg an der Donau. Er diente in der Fremdenlegion bis 1833, wo er von den Arabern ge- fangen wurde oder zu ihnen desertirte, bekehrte sich zum Islam, lernte Arabisch, gewöhnte sich an die Lebensweise und den Sinn der Beduinen und schlug sich tapfer für seinen Gebieter Abd-el-Kader bei häufigem Zusammentreffen mit den Franzosen. Er hatte dem Emir sogar ein kleines regulaires Corps herangebildet und in den Bewegungen abgerichtet, wie ein exercirtes Infanteriebataillon. Am Ende aber erfasste ihn doch Ueberdruss an dem genussarmen Leben Afrikas und er lief wieder zu den Franzosen, dem General Desmichels versichernd, dass er als Soldat der Fremdenlegion von den Arabern gefangen genommen und nun entwischt sey. Des- michels, der ihn für einen Deserteur hielt und seinen Tod wünschte, lieferte ihn dem Emir wieder aus. Der Renegat 392 wurde auf das Fürchterlichste von den Arabern misshandelt und verdankte sein Leben nur einer Anwandlung von Mitlei- den seines Gebieters, welchem er sagte, dass er ihn nur ver- lassen habe, weil er unter den nüchternen Arabern seinen Hunger nicht stillen konnte und im Elend verkümmerte. In dem Treifen an der Makta hatte Abd-el-Kader einen Mu- nitionswagen erbeutet und wünschte diese Siegestrophäe dem Sultan von Marokko als Geschenk zu schicken. Bei der Un- möglichkeit aber, einen schweren dickräderigen Wagen über unwegsame Gebirge zu transportiren, war der Emir sehr in Verlegenheit und er holte sich nun Raths bei dem deutschen Deserteur, denn die Araber wähnen, jeder Europäer. sey mit allen möglichen Gewerben vertraut und könne gleich gut Ka- nonen bohren oder Dampfschiffe bauen, wie den Acker pflü- gen. Wenn ein Renegat dann seine Unkenntniss vorschützt, so wird dies nur für Verstellung und Eigensinn gehalten. Amidu gab sich nun die Miene, als sey er wirklich mit der Wagenmacherkunst vertraut. Er zerlegte die schwerfällige Maschine, liess die Räder und übrigen Theile auf Kameele laden und trat seine Reise nach Marokko mit Geld und Em- pfehlungen des Emirs versehen an. „Bleibe dort, wenn es dir gefällt‘“ — sagte der Emir zu ihm — ,‚wenn du mich aber liebst, so brauche ıch dir das Wiederkommen nicht zu be- fehlen.“ Nach einem dreissigtägigen Marsche erreichte der Renegat mit seinen Begleitern Fez und legte dort dem Sul- tan Abderrahman die für ihn merkwürdige Wagenmaschine zu Füssen. Er wollte in Marokko bleiben und richtete dort ein Kaffeehaus ein mit dem Gelde, das ihm Abd-el-Kader ge- schenkt hatte. Es ging ihm aber auch dort nicht nach Wunsch, er machte bankerott und kehrte zu Abd - el - Kader zurück, der ihn günstig empfing und wieder in seine Dienste N 393 aufnahm. Dieser Renegat leitet gegenwärtig die Pulver- fabrik in Tlemsan und kam eben von Medeah zurück, wo er vom Emir sich neue Verhaltsbefehle geholt hatte, denn er war mit Bohamedi, dem Khalifa von Tlemsan, in Streit ge- rathen über die Art der Fabrikation und der Emir hatte ihm Recht gegeben. Amidu war ganz zum Afrikaner geworden. Das verwitterte Gesicht, enstellt und gebräunt von langjähri- gem harten Feldleben und Leiden, der zerzauste Bart, die Beduinentracht hätten mich nimmermehr in ihm einen Lands- mann wieder erkennen lassen, obwohl seine Physiognomie zu den übrigen Arabern nicht passte und einem fremden, fer- nen Stamm anzugehören schien. Er plauderte beim Abschied lange deutsch mit mir und die Töne der Muttersprache, noch mehr das Thema des Gesprächs „‚Deutschland“ schienen denn doch einen Funken von Heimweh zu wecken in seinem rauhen Herzen, das mir anfangs ganz abgestorben schien gegen Ge- fühle ähnlicher Art. „Leben Sie wohl‘ — rief er, als er Abends hinaustaumelte, halb von der ungewohnten Labung, halb vom wehen Schmerz betäubt — „ich preise Sie glücklich, Herr Landsmann, Sie können Ihr Vaterland wieder sehen; ich bin verdammt, unter den Wilden zu sterben.“ Während der Unterhaltung mit dem Consul waren dem Renegaten auf die schlau gestellten Fragen so manche’ unbe- lachte Aeusserungen entfahren über den Stand der Dinge in Tlemsan, über das Misslingen der Kanonenbohrerei, für wel- che Abd-el-Kader grosse Summen verschwendet hatte, und über die gährende Stimmung der Angads, deren zahlreiche Horden bereit waren, bei dem ersten neu ausbrechenden Krieg von dem Emir abzufallen.. Der Consul hatte dabei nicht versäumt, dem Renegaten fleissig einzuschenken von lem verführerischen Trank, der bei Deutschen wohl immer 394 der beste Schlüssel zu Geheimnissen ist. Gleich beim An- fang des Gespräches fiel mir die Abwesenheit des Dr. Var- mier auf, der sonst nie fehlte, wenn es irgend wichtige Mit- theilungen zu hören gab. Als der Renegat abgetreten war, erhob sich ein Wandvorhang fast dicht an dem Kamin, wo wir gesessen, und das bärtige, groteske Gesicht des Doctors gukte hervor mit komischen Lachen. Er hatte sich in eine verborgene Nische verschanzt, mit Feder und Papier. Ein dichter Vorhang verhinderte das Durchschimmern des Lichtes, - hielt aber den Schall der Worte nicht ab, in den Schlupf- winkel zu dringen. Sorgfältig hatte der Doctor da das gan- ze verworrene Geplauder des deutschen Beduinen niederge- schrieben und gestand nun, dass er es in so manchen ähnli- chen Fällen eben so gemacht habe, wobei er sich durch vie- le Uebung zum Schnellschreiber bildete und seinen Ohren eine erstaunliche Feinhörigkeit gab. Da von einem Gespräch immer so Manches verloren geht, wenn auch das beste Ge- dächtniss es in der Folge dietirt, so waren diese getreuen Stenographien, die einen dicken Band des consularischen Ar- chivs bildeten, Documente von grosser Wichtigkeit. Fast täglich kamen auch arabische Scheikhs, maurische Einwohner der Stadt, Officiere und Soldaten von Abd-el-Ka- der’s regulairem Heer zum Consul, wohl nicht nur in der Absicht, bei ihm unentgeltlich eine Tasse Kaffee zu trinken. Herr Daumas wusste sich aber immer reichlich bezahlt zu machen. Kein Gast entging ihm, dem er nicht irgend eine bemerkenswerthe Aeusserung abzulocken gewusst hätte. Es waren die angenehmsten Stunden meines Aufenthaltes in Afrika, wenn der Hakhem Hadschi-Bukhari, der Khalifa Ha- dschi-Mustapha, der Scheikh Mohamed-Bussid oder irgend ein Häuptling der Haschems oder ein Marabut des unglücklichen 395 Stammes der Bordschia am Kaminfeuer uns erzählte von den Scenen des vergangenen Krieges, den Episoden aus dem Leben ihres Gebieters, dem die meisten zugethan sind mit inniger, unaussprechlicher Begeisterung, oder uns Sagen und Märchen aus der alten Zeit zum Besten gaben. Oft auch scheuten sie sich nicht, mit uns in eine ernste Disputation über Islamismus und Christenthum einzugehen. Der Streit wurde lebhaft, aber ohne Bitterkeit geführt und die Araber schienen sich fast zu freuen, so oft wir unserm Glauben warm das Wort redeten, denn das Unbegreiflichste und Em- pörendste an den Franzosen ist ihnen deren religiöse Gleich- gültigkeit. Fast eine noch liebere Unterhaltung war mir die . mit den Häuptlingen aus den fernsten Südstämmen, den Be- wohnern des Kobla und der Sahara. Ueber jene uns Euro- päern unnahbaren Regionen war mir die geringfügigste Be- merkung eine Reliquie und gar eifrig notirte ich mir Alles, was die Scheikhs erzählten über Oasenstädte und das Leben der Saharabewohner. Von manchem jener grünen Eilande im Sandmeer der grossen Wüste ist nicht einmal der Name nach Europa gedrungen. Eine uns unbekannte Welt liegt jenseits des Atlasgebirges. Seit langen Jahren folgen sich dort die Generationen, ohne dass ein Laut von ihnen zu den Ohren der wissbegierigen Bewohner des civilisirten Erdthei- les gelangt wäre. So wurden dort Kriege geführt, Herr- scher entthront und enthauptet, Völkerschaften ausgerottet, Propheten traten auf und entflammten die Stämme um irgend eines neuen Wahnes willen zum gräulichen Würgen, aber von all dem durchdrang kein Widerhall die Sandöde, wel- che die Oasen von dem Telia oder anbaufähigen Festland trennt, und das, was die wenigen Karavanen und Handels- leute davon erzählten, wurde mit aufgenommen in das dicke 396 arabische Volksmärchenbuch, in dem die historischen That- sachen nicht mehr herauszufinden sind aus neblichtem Sagen- gewirre. So wäre es jetztauch für den gründlichsten Sprach- kenner, auch für den scharfsinnigsten Geschichtsforscher nicht wohl möglich, eine zusammenhängende Geschichte der Ent- stehung der Mosabitenstaäten, den Ursprung dieser interes- santesten aller afrikanischen Völkerschaften, eine Geschichte von Tuggurt, Ain-Maadi, Wurglah und andern unabhängi- gen Wüstenstaaten aus den fragmentarischen Traditionen der Eingebornen herauszusuchen. Es ist in der That spottwenig daran, gross und machtvoll zu seyn unter Barbaren in einem sandummauerten Kerker. Wie viel Charaktere und Thaten, wohl werth, dass sie mit aufgenommen würden in die grosse Völkergeschichte, gingen und gehen dort spurlos unter — kein Sänger singt sie den Zeitgenossen und kein Geschicht- schreiber erzählt von ihnen den künftigen Geschlechtern. Wie mag der Ehrgeiz dort noch über blutschwangere Plane zu seiner Grösse brüten, da wo ihm der einzige Reiz dieser ge- fährlichen und immer martervollen Grösse, die Unsterblichkeit seines Namens und seiner 'Thaten, versagt bleibt? Erwünschter als die zu sehr ans Märchenhafte streifenden Aussagen der Beduinen der Wüste über die Vergangenheit ihres Volkes, welche wohl angeführt zu werden verdienen, auf die aber der Geschichtschreiber nie fussen kann, da die Araber eines treuen Nacherzählens ganz unfähig sind und die Phantasie sich in jede ihrer Erinnerungen mischt, viel willkom- mener als jene Sagen waren mir die Nachrichten über den gegenwärtigen Zustand der Saharavölker, über ihre Sitten, über die Städte, die Oasen, die Ruinen, welche einsam und unbekannten Ursprungs, steinerne Geister einer uns räthsel- haften Zeit, bis in jene Zone der schauerlichsten Verödung 397 aufgethürmt liegen. Recht lebendig und gern beschrieben uns die Saharascheikhs ihre Jagd auf den Strauss und den Löwen und erzählten uns über die Sitten dieser Thiere die wunderlichsten Dinge. Man durfte solchen Mittheilungen besser trauen, weil die Erzähler als Augenzeugen der Ge- genwart berichteten und man ihre Angaben mit den Aussa- gen Anderer controliren konnte. Nichtsdestoweniger mischte sich aber auch hier viel Uebertriebenes und Falsches ein, denn immer treibt eine lebendige Einbildungskraft und die Liebe zum Wunderbaren ihren Spuk mit diesem Volk und es gehört ein eigenes Talent, lange Erfahrung und eine gu- te Kenntniss des arabischen Charakters dazu, um das Posi- tive immer aus solchen pittoresken Schilderungen herauszu- finden. Indessen gehören doch jedenfalls die Abendunterhal- tunzen in dem Consularhause von Mascara zu den angenehm- sten Erinnerungen meiner Reise. Gar sehr interessant waren die Schilderungen der Herren Daumas und Varmier von dem Leben Abd-el-Kader’s, von seinem Charakter als Herrscher, als Heiliger, als Krieger und dann wieder von seinem Leben im häuslichen Kreise. Herr Varmier hatte bei sehr trauriger Veranlassung häufigen Zutritt in das Zelt des Emirs. Der einzige Sohn desselben war krank. Auf den Wunsch der Mutter und Grossmutter des Kindes — der Emir war gerade damals in Tekedent — wurde der französische Arzt gerufen, bot aber vergeblich alle Mittel seiner Kunst auf. Der kleine Mahiddin starb in seinen Armen und die Verwandten und das Volk ergaben sich mit mahomedanischer Resignation in den Verlust, als eine Schickung Gottes, ohne dem christli- chen Arzt im Geringsten zu zürnen oder das Vertrauen in seine Kunst zu verlieren. Letzteres war so wenig der Fall, dass der Hof des 398 Hauses jeden Nachmittag zur Stunde, wo Herr Varmier die sich meldenden Patienten besichtigte und unentgeltlich Arz- neien austheilte, gedrängt voll Araber stand. Es kamen kranke Leute bis von zwanzig Stunden der Umgegend her- bei. Alle ekeligen Gebrechen und Leiden dieser Länder, die furchtbare Elephantiasis, syphilitische Krankheiten in allerlei Formen, worunter selbst angesteckte Kinder vom zartesten Alter, Flechten, Krätzen und Hautausschläge, Geschwüre und Gewächse von Kopfgrösse, namentlich an den. Armen, endlich die gewöhnlichen Augenkrankheiten kamen in schauer- licher Zahl zum Vorschein. Man überzeugte sich da, dass auch die einfachste und natürlichste Lebensart, die immer frische Luft und Bewegung noch keineswegs hinreichende Präservativmittel gegen menschliche Leiden sind und dass das altpatriarchalische Zelt so manche scheussliche Vermächtnisse einer viel neuern Zeit birgt. _Der Reisende, der das Land der Beduinen meist nur auf flüchtigen Kameelsritt durchzieht, selten oder nie Gelegenheit hat, in das Innere der Duars ein- zudringen und von dem Nomadenvolk meist nur die kräftigen Männer sieht, die den Markt der Städte besuchen, der schwatzt, wie ein Eremit von Gauting, von dem urschönen und gesunden Menschenschlag, der nichts von dem Fluche der Sünde geerbt habe und frei geblieben sey von der Ent- artung des grossen Geschlechts. Wie würden dergleichen Touristen ihrer blau enthusiastischen, auf oberflächliche Ein- drücke gebauten Schilderungen sich schämen, wenn sie in ei- nem solchen Lazareth in das widerliche Elend, in das Laster- treiben ihrer gepriesenen Naturmenschen hineinsähen und ge- stehen müssten, dass diese Wilden, wenn auch wohnend und sich nährend wie Vater Abraham, gleichwohl so wenig als die civilisirtesten Völker sich rein erhalten haben von tiefem 399 Sündenverderbniss und dessen Strafen, den ekelhaften Seuchen. Unter den Patienten des Herrn Varmier waren auch so manche nur in der Einbildung Kranke. So kam einmal ein gigantischer Araber, der auf das Festeste betheuerte, er habe eine mächtig grosse Schildkröte im Bauch, die ihn zwicke und drücke. Gegen dergleichen Kranke war der Charlatanis- mus immer das Räthlichste, ja ich glaube, dass man diese Arznei in der ungeheuern Mehrzahl der Fälle auch bei den wirklich Kranken anwenden sollte, und Herr Varmier ist so ziemlich meiner Meinung. Denn die Uebel der meisten Kran- ken, die sich melden, sind bereits so alt und so fest in den Körper eingenistet, dass sie aller ärztlichen Kunst spotten oder nur durch lange, sorgfältige Cur beseitigt werden kön- nen. Zu dieser aber entschliesst sich ein Araber nimmer- mehr. Er ist zu indolent, zu träge, zu einsichtslos, zu fata- listischen Glaubens, er hat nicht den entferntesten Begriff von unserm medicinischen Verfahren und meint, ein Trank, ein Pulver müsse ihn gleich in den ersten drei Tagen curi- ren oder sey zu nichts nütze. So sehr ich die Aufopferung des Doctor Varmier schätzte und bewunderte, wenn er so von einem Patienten zum andern ging, ihn sorgfältig ausfra- gen liess durch den Dolmetscher nach allen Symptomen, ge- rade wie ein Spitalarzt in Europa, und ihm ausführlich ein Verhaltungssystem anempfahl, so war ich doch eben so sehr als der gute Doctor selbst überzeugt, dass dieser ärztliche Rath nie befolgt wurde, und dass, Araber ermahnen, ihre Angehörigen sorgsam zu pflegen, sie rein, warm und trocken zu halten und sie gut zu nähren, tauben Ohren predigen heisst. Auch fragten die Patienten nach solchen Vorschriften nicht viel und waren nur zufrieden, wenn sie ein versiegeltes 400 Fläschchen mit irgend einer Mixtur erhielten, welches sie dann für alle Arten von Uebeln wirksam glaubten, gleich dem Ta- lisman des Sultans Saladin. Herr Varmier gestand sich ge- wiss selbst, dass sein ärztlicher Wirkungskreis keine grosse Wohlthat für die Eingebornen sey, sondern nur der Stellung des Consuls und der französischen Sache überhaupt vielfachen politischen Vortheil brachte. Denn alle diese Patienten zei- gen in unsere ärztliche Kunst grosses Vertrauen, weit grösse- res als wir selbst, und es gab auch manche Dankbare unter ihnen, die das Lob des Dubib-el-Rummi bis unter die entfernteren Stämme verbreiteten, was einen gar wohlthätigen, den Franzosen günstigen Eindruck machte. Jene, deren Uebel ihre gute Natur heilte oder milderte und die dann das Besserwerden natürlich, eben so wie es bei uns geschieht, al- lein der empfangenen Arznei zuschrieben, lohnten den Doctor durch allerlei Nachrichten aus dem Innern, und die besten und zuverlässigsten Kundschafter hatte der Consul unter die- sen Patienten des Herrn Varmier. Es kamen auch nicht sel- ten arabische Weiber, worunter öfters sehr junge, von ihren Vätern oder Männern begleitet. Sie zeigten sich wie alle Araberinnen unverhüllt und ohne die geringste Scheu, ent- blössten auch wohl Arme, Beine und Brust, nur die kranken Geburtstheile weigerten sich Männer wie Weiber beharrlich zu enthüllen, trotz allen Vorstellungen des Arztes, dass er nur unter dieser Bedingung ihr Uebel heilen könne. Es spannte meine Neugierde nicht wenig, alle Tage die neuen Gruppen und Gestalten dieser Unglücklichen zu betrachten, welche mit ihren Verwandten auf dem Pflaster kauerten, bis der Dubib seine Runde vornahm. Gewöhnlich lauschten die beiden Dolmetscher Ben-Amram und Ayas, zwei lebenslusti- ge junge Leute, zuvor an der Hofthüre mit anscheinender 401 Gleichgültigkeit, um die Gespräche dieser Araber zu belau- schen. So manche spasshafte Anekdoten und Bemerkungen, z. B. über die Art, wie die Patienten zu ihren syphilitischen Krankheiten gekommen, sind im Gedächtnisse dieser beiden Dragomane geblieben und werden von ihnen jedem Gaste des Consuls erzählt, sind aber viel zu anstössig, um ihren Platz hier zu finden. i Herr Varmier verliess, wie ich aus spätern Nachrichten hörte, Mascara im Frühlinge 1839 und durfte in Folge ei- ner besondern Vergünstigung des Kriegsministers aus Aner- kennung seiner geleisteten Dienste in ein Höpital d’instruc- tion, was für ihn der nächste Schritt zur Beförderung ist, nach Frankreich gehen. Wer sein Nachfolger als Consulats- arzt geworden, ist mir unbekannt, doch dürftekaum ein pas- senderer Mann unter den Militairärzten der Armee zu finden gewesen seyn, da Herr Varmier eine Figur hatte, die ganz geschaffen schien, den Arabern auf das Ausserordentlichste zu imponiren. Er war äusserst kräftig, breitschulterig ge- baut, hatte eine der bizarrsten Physiognomien, die mir je vorgekommen sind und einen langen starken Bart, hier zu Land ein unerlässlicher Schmuck. Der Consul verglich das Gesicht seines Doctors, vollkommen richtig, wie mir scheint, mit den Physiognomien der donischen Kosaken, die er in seiner Jugend zu Paris gesehen hat. Ich bin fest überzeugt, dass ein unbärtiger Dubib von weniger grotesker Figur bei weitem nicht denselben Zulauf gehabt haben würde. Herr Varmier konnte mit ziemlicher Sicherheit allein die Umgegend durchstreifen, denn allenthalben war er bekannt und seines ärztlichen Charakters wegen gar sehr respectirt.- Weiter aber als eine Stunde über die Stadt hinaus wagte auch er sich nie ohne bewaffnete europäische Begleiter oder einen arabi- Morırz Wasner’s Algier, T. 26 402 schen Führer. Einer reinen durch Aufopferung vergeltenden ‘ Dankbarkeit sind die Araber dieser Gegend nicht fähig; selbst die Geheilten betrachteten Herrn Varmier etwa wie der Prophet Elias den Raben, der als willenloses Werkzeug Gottes ihn mit Speise sättigte. Von den Arabern, die im Hofe des Consulats sich ärztlichen Rath und Arzneien holten, gingen die meisten fort ohne ein Wort des Dankes. Etwas zuvorkommender und herzlicher zeigten sich die Araber, wenn Herr Varmier einen Patienten im Duar selbst besuchte; doch auch dort war die Erkenntlichkeit selten tief und die Ver- ehrung für den weissen Arzt wog doch die Abneigung gegen den Christen nicht auf. Unter den Duarbewohnern, die ihn bei solchen Besuchen neugierig umdrängten und die seltsame Gestalt mit einer gewissen Scheu betrachteten, blitzte doch auch die Mordlust aus manchem Auge, und wenn ihm nicht irgend ein von Fanatismus und Hass berückter Araber auf dem Heimweg mit der Flinte auflauerte, so geschah es kei- neswegs, weil ihn die Ehrfurcht für den Beruf und die Per- son des Arztes abschreckte, sondern weil er glaubte, seiner Hülfe vielleicht noch einmal nöthig zu haben. Der Hakhem oder Gouverneur der Stadt Mascara war damals Hadschi-Bukhari, Abd-el-Kader’s Jugendfreund und treuester Anhänger. *) Er wohnt in einem unbedeutenden Häuschen, in einer entlegenen Strasse, hält sich aber den Tag über in dem Gerichtshause auf. Der Audienzsaal ist zu ebener Erde und führt auf einen freien Platz, wo an den Markttagen Waarenbuden aufgeschlagen werden. In dem ein- °) Er begleitet noch heute diese Würde und steht bei Abd-el- Kader noch in gleicher Gunst, wie in gleich hohem Ansehen bei den mächtigen Stämmen der Haschem-Schraga und Haschem-Garrabas. 403 fachsten Gemach, das nicht zwanzig Personen fassen würde, sitzt der Hakhem auf einer Rohrdecke, um ihn herum einige Khodschas oder Schreiber, ein halb Dutzend Schiauchs mit langen Stöcken steht gewöhnlich vor oder in der Nähe der Thüre, gewärtig der Befehle ihres Gebieters. Ihr haupt- sächlichstes Amt ist, die Bastonnade auszutheilen, was sie mit gutwilliger Freigebigkeit thun. Aeusserst selten geht hier ein Markttag ohne ein halbtausend Stockhiebe vorüber. Wenn man dann den Mann sieht, der solche befiehlt, und auch wohl der Execution beiwohnt, so überzeugt man sich, dass bei diesem Volk die Physiognomiklehre gar keinen Massstab giebt, denn Hadschi-Bukhari hat eines der sanftesten fromm- schwärmerischesten Gesichter, die mir je vorgekommen sind. Es sind die meisten ‚Grundzüge von dem Idealantlitz darin, welches unsere Maler gewöhnlich dem Gesichte Jesu Christi geben. Zwar nicht der heilige Ernst des Stifters der christ- lichen Religion, aber ganz der mildfromme Blick, die feine Schönheit, die Regelmässigkeit, die Form des Bartes, nur nicht die langen Haare des Christuskopfes. Hadschi-Bukhari hat mit seinem Gebieter Abd-el-Kader sehr viele Aehnlichkeit, wie mir Alle, die beide gesehen, versicherten; nur ist des Emirs Antlitz noch feiner geformt, blässer und geistiger, da- gegen hat der Hakhem von Mascara einen schönen athleti- schen Körper. Beide sind Jugendgespielen. Hadschi-Bukhari hat bei vielen schweren Proben dem Emir seine festeste Treue bewiesen, er theilte immer sein Schicksal, auch da wo das herbste Missgeschick den Sohn Mahiddin’s verfolgte. Als in dem Treffen wider Mustapha-Ben-Ismael der Emir verwundet vom Pferde stürzte, deckte ihn Hadschi-Bukhari mit seinem Körper, eben so hielt er treu bei ihm in der Schlacht gegen Mussa-el-Scherif; endlich war er einer der 26 * 404 wenigen Grossen, dessen Treue nach der Einnahme Masca- ras durch die Franzosen nicht wankend wurde. Im Gesprä- che ist der Hakhem leutselig und freundlich mit Christen, wie mit Arabern, und wenn auch bei seiner Justizpflege der Stock eine sehr active Rolle spielt, so darf man unter einem Volk, das selbst keine andere Strafe angewendet wis- sen will, sich deshalb noch gar keine schlimme Vorstellung von der Härte seines Charakters machen; seine flinke Hand- habung der Justiz wurde ihm von den Arabern eher als eine Empfehlung angerechnet. Hadschi-Bukhari nahm uns drei Reisende mit aller Ar- tigkeit eines arabischen Hofmannes auf und wir verliessen ihn nach einem langen Gespräch recht eingenommen von sei- nen Manieren und der Milde seiner Rede. Als ich aber ei- nen Monat später nach Mostaganem kam, traf ich dort einen geflüchteten Renegaten, der damals mit im Zimmer bei Ha- dschi-Bukhari sass und mir erzählte, dass der Hakhem, nachdem er uns allen auf das Freundlichste die Hand ge- drückt, sobald wir zur Thüre hinaus waren, voll giftigem Hass „Kelb‘ (Hunde) uns nachmurmelte, wahrscheinlich um seine rechtgläubige Umgebung zu überzeugen, dass seine Freundlichkeit gegen die Ungläubigen nur falsches Spiel ge- wesen. i Mascara hatte vor dem Zuge des Marschalls Clauzel ein einziges sehenswerthes Gebäude, den ehemaligen Palast des Beys der Provinz, welchen nach der Verjagung der Türken Abd-el-Kader bewohnte und der seit dem December 1835 in Trümmern liegt. Abd-el-Kader hat zu dessen Wiederherstel- lung nichts gethan, ja, er verbot sogar, dass man ihn reini- gen sollte vom Schutt. Niemand durfte ihn mehr bewohnen, als ein verfluchtes Haus sollte er in Ruinen liegen, seitdem 405 die Ungläubigen ihn betreten, und er selbst schwur, nicht ein- mal den Boden der Stadt mehr zu betreten, nachdem der Fuss der Rummis ihn beschmuzt hatte. Der Emir hat Wort gehalten, und so oft er nach Mascara kommt, bewohnt er ein Zelt in dessen Umgebung. Der erwähnte ehemalige Palast war übrigens, nach sei- nen Resten zu schliessen, wie nach der Beschreibung der Begleiter der Clauzel’schen Expedition nichts weniger als ein bedeutender Bau und nicht zu vergleichen mit den schönsten maurischen Gebäuden in Algier, noch weniger mit dem Bey- palast in Constantine. Er hatte einen kleinen Säulenhof, der jetzt ganz zerstört ist; seine Wände waren mit blauer Fayen- za bedeckt, welche die französischen Soldaten vor ihrem Ab- zuge herunterrissen und die nun in Stücken umbherliegen. Mit halber Lebensgefahr klettert man jetzt nach den ödelie- genden Gemächern hinauf, oft wankt der Boden unter den Füssen. Der Thurmfalke ist seit dem Rückzuge der Fran- zosen dort als Pascha eingezogen, und das äussere Gemäuer ist der schmuzige Thron einer Menge von Störchen gewor- den, die dort ihren Nestbau von Unrath errichtet haben, und den seltenen Besucher, der jetzt zu ihnen hinaufsteigt, ganz verwundert anklappern. Der Storch ist bei den Arabern ein geheiligter Vogel, der sicher unter ihnen wohnt und fast bei allen Völkern, den Hindus, den Mahomedanern und Christen gleiches Gastrecht zu geniessen scheint. Die Araber der Berberei glauben, die Störche seyen ehemalige Marabuts, welche wegen eines Sündenfalls von Gott in Vögel verwan- delt wurden. Sie bewohnen in ungeheuern Schaaren alle al- ten Gebäude und am liebsten die Moscheendächer, wo sie wie Schildwachen neben dem Halbmonde stehen. Es ist die gemeine Art Ciconia alba. Von den riesenhaften Störchen 406 Ciconia Marabu und Ciconia Argala, welche wohl viel tiefer im Innern Afrikas vorkommen, habe ich nichts zu sehen be- kommen. { | An die Palastruine stossen zwei Höfe und ein gemauer- ter Grasgarten. Der grösste Hof ist unbenutzt, und wir er- lustigten uns, von dort die Thurmfalken herunterzuschiessen, die auf allen Gemäuern umher ohne Scheu sitzen. In dem kleinern Hof sind die Stallungen der Pferde Abd-el-Kader’s und des Khalifa der Provinz Hadschi-Mustapha-Ben- Thaui. Von den Pferden des Emirs bekam ich nur drei zu sehen, sehr gewöhnliche Thiere, worunter ein silbergrauer Hengst, auf dem Abd-el-Kader seinen Einzug in Mascara hielt, als er in einem zerlumpten Bernuss mit einem halben Budschu in der Kapuze von den Haschems zum Emir ausgerufen wurde. Das Pferd ist jetzt alt, lahm und zum Reiten un- tüchtig, erhält aber nach wie vor seine reichliche Ration täglich zum Dank für seine frühern Dienste und darf jetzt seine müden Tage bei Gerstensäcken und gutem Gras in Ruhe beschliessen. “Seine hübschesten Thiere hatte der Emir mit sich in Medeah, darunter befand sich sein berühmtes ra- benschwarzes Saharaross, welches Sätze von sechs Fuss Höhe und zehn Ellen Länge macht und die Begleiter des Generals Bugeaud durch sein Feuer und seine Schönheit in Erstaunen setzte. Es ist das prächtigste Pferd, das man im Lande findet, wie auch Abd-el-Kader für den besten Reiter gilt. In demselben Hofe liefen auch einige zahme Strausse umher, die sehr schmuzig, federarm und traurig aussahen. Den Schlossgarten hatte Consul Daumas gemiethet. Er ist ohne Blumen, mit hohem Unkraute bedeckt und dient zur Weide der Pferde des Consulats. „‚Unter dem Bey Mohamed“ — erzählte uns der maurische Gärtner mit einem recht wehe- 407 vollen Seufzer — ,‚da sah es hier anders aus. Da waren die Beete abgetheilt in Pflanzungen von Blumen, Bäumen und Gemüsen. In jeder Ecke fiel ein Springbrunnen in ein rothes Marmorbecken. Ein grosses Badhaus stand in der Mitte und auf jener Wiese sprangen Gazellen. Seit man die Türken aus dem Lande verjagt, ist Alles in Unordnung verfallen. Erst verwüsteten die Haschems den Garten, dann wurde nichts mehr gepflanzt, weil man die Gärtner nicht mehr bezahlte; endlich kamen vollends die Franzosen und seitdem die hier gehaust, sind die Bäume abgestorben und nichts will mehr wachsen , als Unkraut.“ Der Gärtner schien die Wahrheit zu sagen. Die Orangenbäume sind dürre, die Springbrunnen versiegt und auf der Gartenmauer sonnen sich die Reptilien und Scorpionen, die Niemand zu vertilgen sich bemüht. Ein Sommerpalast der alten Beys steht ausserhalb der Stadt im Süden beinahe in demselben Zustand wie der zer- ‚störte Palast des Emirs. Er wurde 1832 durch die Haschems, mit welchen Sidi-Mahiddin, Abd-el-Kader’s Vater, die Tür- ken verjagte, geplündert und verwüstet. Der dorthin führen- de Weg und der Baumgarten, voll Dattelpalmen, Granat-, Jo- hannisbrodbäume, ist die hübscheste Promenade in Mascaras nächster Umgebung. Dort liegt der arme Meurice einge- scharrt, ein kleiner Steinhaufen bezeichnet sein Grab. Meu- rice, ein Colonist von Buffarik, wurde 1836 von den Ha- dschuten gefangen und nach der gräulichsten Misshandlung zu Abd-el- Kader gebracht, bei welchem es ihm erträglich ging, so lange der Emir selbst in Mascara verweilte.- Spä- ter siechte er in Folge des Mangels, der Misshandlung, des Heimwehes immer mehr dahin. Als der gefangene Marine- lieutenant ®efrance ihn sah, war der einst blühend schöne Mann zum Schatten verwelkt und starb, seinem Leidensge- 408 fahrten durch das Vermächtniss eines zerlumpten Bernuss, der ihn gegen den Nachtfrost schützte, vielleicht das Leben rettend. Die Brochure Defrance’s erzählt ausführlich die lei- densvollen Schicksale des unglücklichen Meurice. Die gegenwärtige Einwohnerzahl von Mascara übersteigt nicht 7000 Köpfe. Darunter sind 5009 Hadars, Städtebe- wohner von maurischem Ursprung, welche in ihren Sitten zwischen den eigentlichen Mauren und den Arabern stehen. Sie leben wie jene in Häusern von Handel und Handwerk, sind aber viel schmuziger, elender, träger, weniger schön und weiss. Sie tragen zum Theil schlechte Turbane, zum Theil auch nur den Strick von Kamelshaaren; das Ganze ihrer Kleidung ist fast mehr arabisch als maurisch. Die Zahl der Mauren von reinem Blut, an der Weisse der Haut, den edleren Zügen, der reinlichern Kleidung sehr leicht zu erkennen, beträgt kaum 1000. Juden giebt es noch 3—400; sie tragen hier wie in Algier die schwarze Kleidung nach orientalischem Schnitt, leben aber viel ärmlicher, ein’ sehr _elender gedrückter Menschenschlag. Bei jeder Katastrophe fällt man über sie her, ihre Buden und Häuschen zu plün- dern. Viele wurden von dem aufgelösten Heer Abd-el-Ka- der’s am Tage vor der Einnahme Mascaras niedergemetzelt. Die übrigen bestehen aus einem Gemengsel fast aller afrika- nischer Völker, Kabylen, Negern; auch Kuruglis wohnen noch einige da, die Türken aber sind ganz aus Mascara verschwunden. Seit der Anwesenheit der Franzosen — die übrigens Mascara keineswegs verbrannten, wie Clauzel’s Bulletin meldet, sondern nur des Emirs Palast in Trümmer schlugen, die Stein- und Lehmhütten aber, die kein Feuer fingen, so elend und baufällig zurückliessen, wi® sie zuvor gewesen — seit dem December 1835 hat die Bevölkerung 409° von Mascara um etwa 1000 Köpfe abgenommen, die gröss- tentheils nach Tekedent, der von Abd-el-Kader neu gegrün- deten Stadt südöstlich von Mascara, auswanderten; einige kamen auch in den Bergen aus Mangel oder Müdigkeit um oder wurden von den Kabylen erschlagen. Mascara, obwohl der wichtigste Punkt der Provinz, war doch schon lange vor der französischen Expedition ein armer elender Ort, eine wahre Beduinenstadt, beweglich und unvertilgbar, wie die Duars. Geld und Waaren kann man von dort in wenigen Stunden nach den Bergen retten und dann bleibt dem Erobe- rer nichts, als ein Steinhaufen. Lässt er an diesem seine Wuth aus, und sprengt er auch alle elenden, des Pulvers kaum werthen Steinhütten in die Luft, so ist wenig verloren, in ein paar Monaten könnte man ein ähnliches Mascara wie- der aufbauen. Mascaras Wichtigkeit ist ganz allein in der centralen Lage der Provinz. Es ist gleich weit von der marokkanischen Gränze, wie von der Gränze der Provinz Titeri entfernt. Wer Mascara mit nur 3000 leichten, immer marschfertigen Truppen, worunter 4—500 tüchtige Reiter nicht fehlen dürfen, besetzt hält, der gebietet über die zwei schönsten Weidegefilde der Provinz, die Ebene Egghres im Süden und die ungeheure, so schön bewässerte grüne Fläche im Norden, welche dreimal den Namen wechselt, bald Ebene des Sig, des Habrah oder Ebene von Ceirat genannt wird. Hätte der Marschall Clauzel 1835 Mascara, statt Tlemsan, besetzt und dorthin eine hinreichend starke Garnison gewor- fen, um Streifzüge und Ueberfälle in der Umgegend zu un- ternehmen, so wäre es hohe Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Stämme der Haschems in der Ebene Egghres, die Flita an den Ufern des Schelif, die Beni-Ammer und die Garrabas, dem Beispiel von Bordschia folgend, von dem 410 Emir abgefallen wären. Denn so fanatisirt diese mächtigen Stämme auch durch Abd-el-Kader’s feurige Predigten und Proclamationen waren, so wüthend sie die Franzosen hassten, so hätten sie doch nicht gern ihre schönen fruchtbaren Wohnsitze mit den rauheren Gegenden von Tekedent ver- tauscht; sie würden wohl ein paar Monate lang sich tapfer geschlagen, dann aber von der Ohnmacht ihrer Angriffe wi- der die in Mascara verschanzten Franzosen überzeugt, gleich den Duairs und Zmelas Unterhandlungen angeknüpft, am En- de sich unterworfen haben und Abd-el-Kader wäre wohl jetzt ein verlassener Flüchtling gleich Achmet Bey, er hätte sich entweder wie sein früherer Nebenbuhler Mustapha-Ben-Ismael gleichfalls den Franzosen angeschlossen oder er irrte jetzt mit einem auf ein paar hundert Abenteurer reducirten Häuf- lein, mehr wie ein Räuberhauptmann, als wie ein Fürst im Land. Der Markt von Mascara wird auf einem grossen Platz in der Vorstadt Bab-Ali, drei Tage in der Woche: Freitag, Sonnabend und Sonntag, gehalten. Es ist bei weitem der be- lebteste Arabermarkt, den ich im ganzen Lande gesehen. Die Zahl der versammelten Beduinen war wenigstens zehn- mal so gross, .als die arabischen Verkäufer auf dem täglichen Markt bei Algier vor dem T'hore Bab-a-Zun und dreimal so bedeutend, als die besuchtesten Märkte der Ebene Metidscha. Es kamen weit mehr Waaren aus dem Innern zum Vorschein, als ich an andern Punkten bemerkt habe. Wir kauften Fe- dern und Eier von Straussen zu ziemlich billigen Preisen. Die Datteln waren klein, missgestaltet und bei weitem nicht so gut, als die von Tunis und Aegypten. Schöne Thier- häute, wie von Löwen, Panthern, waren nicht häufig. und ziemlich theuer. Honig und Wachs wird hieher ebenfalls 411 nicht in so grosser Quantität wie nach Constantine gebracht, dagegen ist Gummi etwas stärker im Handel. Schafwolle und Häute von Heerdenthieren sind die gangbarsten Artikel, Getreide wird nur zur Erndte viel gebracht, von Pferden wurden uns, obwohl Abd el-Kader seinen Unterthanen verbo- ten hatte, deren an die Franzosen zu verkaufen, doch ziem- lich schöne Thiere für 150. Budschus angeboten. Dromedare giebt es in der Provinz Oran in weit- grösserer Zahl, als in den übrigen Landestheilen. Die Scenen des Marktes von Mascara sind dieselben, wie auf den Märkten von Buffarik und an der Hamiss, doch ist bei der grössern Masse von Afrikanern, die hier im Be- wusstsein, dass sie als unabhängiges Volk auf ihrem eigenen Boden leben, viel freier sich geberden, das Schauspiel viel imposanter. Ein Raum, so gross fast, wie die halbe Stadt Mascara, ist mit wilden Gestalten, sonngebräunt, bärtig, gross und muskulös, meistens in schwarzbraune flatternde ‚Gewänder gekleidet, bedeckt. Gaukler , Märchenerzähler, blinde Sänger, Spieler, Tänzer, Musikanten, Wahrsager führen neben Verkäufern, Käufern und Müssiggehern die ge- wöhnliche Komödie der arabischen Märkte auf. Ganz ähnlich ist nach den Schilderungen der neuesten Reisenden im Orient das tägliche Marktschauspiel in Cairo, nur mit dem Unter- schied, dass dort die arme, getretene, misshandelte Race der Fellahs sich einer kurzen Lustigkeit der Verzweiflung über- lässt, gleich dem Negersklaven auf Cuba, wenn er nach ei- nem schweissvollen Arbeitstag die Tamburine zum Abend- tänzchen klingen hört. Der arme Fellah sieht beim Begaffen der Gauklerspiele immer auch die Hippopotamuspeitsche seiner tyrannischen türkischen Herren daneben, während die Bedui- nen Abd-el-Kader’s, ‚ein kriegerisch stolzer kräftiger Men- 412 schenschlag, mit erhobenem Haupte, als seyen sie alle Ge- bieter hier, durch das Getümmel stolziren und ihren Häupt- lingen oder Marabuts vertraut wie ihres Gleichen die Hand schütteln. Nur die Diebe entgehen der Bastonnade nicht und damit sind alle Araber einverstanden. Wollte sich aber ir- gend ein Kaid oder Kadi brutale Misshandlungen gegen Un- schuldige, wie in Aegypten erlauben, so würde es, schnell um seine Macht geschehen seyn. Abd-el-Kader selbst wird sich nur so lange halten, als er ein reiner Araberfürst bleibt, Gerechtigkeit übt und die Sympathie seiner Stämme für sich hat. Das „arabische Reich‘ Mehemet Al’’s klingt wie eine fürchterliche Spottbenennung. Dort steckt die unglückliche Race Ismael’s im fetten Nilschlamm, nackt und hungrig, eine gefolterte Sklavenheerde, während die feisten türkischen Ge- bieter sich inzwischen recht behaglich von dem Fellahschweisse mästen, und diesen Zustand heisst man dort ein Auferstehen der arabischen Nationalität! Wahrhaftig, mit demselben Recht könnte man Cuba, Martinique, Texas u. s. w. blühende Ne- gerreiche nennen und dem geprügelten schwarzen Zuckerplan- tagenarbeiter von dem Ruhme vorschwatzen, die blühendsten Colonien der Erde gegründet zu haben. Die osmannischen Egel, diese ägyptischen Plagen, welche dort den in den Pulverrauch gehetzten Arabern eine schändliche Prasserherr- schaft verdanken, sind aus der Berberei so gut als ganz ver- jagt. In Marokko haben sie nie festen Fuss gefasst, in Tri- polis sind sie an der Küste blokirt, in Tunis haben sie sich mit den Eingebornen vermengt, aus der Regentschaft Algier sind sie fast verschwunden und Abd-el-Kader hat nur Araber zu Officieren und Beamten. Am Ende ist mir doch der An- blick dieser stolzen Araber in Mascara, aus deren Auge Hochmuth und das vollste Bewusstseyn der Freiheit blitzt, 413 trotz ihrer Barbarei und Gräuel noch lieber, als das verächt- liche Bild des demüthigen, vor der osmannischen Peitsche zitternden, auf dem fruchtbarsten Boden siech und elend krie- chenden Fellahvolks am Nilufer. ‚Meine erste Unterredung mit dem Consul Daumas über- zeugte mich von der Unmöglichkeit, meinen Plan einer Reise nach dem Kobla und der Sahara auszuführen, wenn ich nicht die Einwilligung hiezu vom Emir selbst erlangen könnte. Der Khalifa Hadschi-Mustapha und der Hakhem Hadschi- Bukhari waren argwöhnische Männer, fürchteten Abd-el-Ka- der’s Missbilligung und schienen auch viel ungünstiger gegen die Europäer gestimmt, als der Emir selbst. Die Verwand- ten des Emirs, sein Oheim, der die Ghetna von Sidi-Mahid- din bewohnt, und sein Bruder, der auf dem Kirchhof von Kaschruh sich eine Einsiedelei erbaut hat, weigerten sich, durch ihren Einfluss meine Bitte zu unterstützen, unter dem Vorwand, sie dürften bei ihrem heiligen Charakter als ein- sam lebende Marabuts sich in solche Verwaltungsangelegen- heiten nicht mischen und verwiesen mich an die hohen Beam- ten der Provinz. Nachdem ich mit dem Consul lange reiflich, berathschlagt hatte, ob es wohl gut sey, dem Hakhem von Mascara meinen vom Marschall Valee unterzeichneten Empfeh- lungsbrief vorzulegen, der den Argwohn des Häuptlings leicht vermehren konnte, entschloss ich mich am Ende doch hiezu, da der Brief über den Zweck meiner Reise bestimmte Auf- schlüsse gab- und der Reisende mit solchen directen Empfeh- lungen wenigstens mehr Ansehen geniesst und mehr Ansprüche auf höflichen Empfang machen darf. Der Hakhem las den Brief aufmerksam und liess solchen auch seinen ersten Khodscha lesen; ein paar Augenblicke blieb er nachdenkend und fragte mich dann nach meinen Wünschen, Ich bat ihn 414 um eine Escorte nach Tlemsan, er schlug mir aber diese höflich ab mit dem Bedeuten, dass er ohne die Einwilligung des Sultans solche nicht geben könne. Ich sagte ihm nun, dass ich noch einen Brief für Abd-el-Kader selbst hätte und nach Medeah zu reisen wünschte, um dort dem Emir das Schreiben einzuhändigen und um einen Ferman, sowie um eine Escorte in das Innere ihn zu bitten. Hadschi-Bukhari antwortete, der Sultan habe Befehl gegeben, keinen Rum- ° mi nach Medeah reisen zu lassen, wenn er nicht eine offi- cielle politische Botschaft habe, überdies führe der Weg durch Gebirge, wo Kabylen wohnten, gegen die eine kleine Escorte mich nicht schützen könne; er rieth mir, in Mascara zu bleiben, bis Abd-el-Kader selbst käme. In die Umgegend von Mascara wollte er mir Escorten geben, so oft und so viel ich wünschte. Es blieb mir keine andere Wahl, denn der Bescheid des Khalifas lautete ungefähr ebenso. Man hat selbst in Algier keinen Begriff von der Schwierigkeit, den Argwohn der Abd-el-Kader’schen Häuptlinge zu besiegen, welche in jedem Ankömmling einen verkappten französischen Ingenieur vermuthen, der Karten und Zeichnungen von dem Landestheil, den die Franzosen noch nicht gesehen, aufneh- men wolle. Ueberhaupt trauen sie immer dem europäischen Reisenden irgend einen geheimen, gefährlichen Plan zu, denn von dem, was die meisten europäischen Entdeckungsreisenden zu ihren mühseligen und gefahrvollen Unternehmungen treibt, von dem uns so lebendig eingefleischten Trieb, Länder zu erspähen, die noch kein anderer Reisender erforscht und be- schrieben; von jener mächtigen Sehnsucht, die oft seltsamer Weise in ganz ungebildeten Seelen sich regt, zu dem unge- heuern Gebäude des menschlichen Wissens einige neue Steine hinzuzufügen, von jener tiefglühenden Reiselust, die einem 415 Hornemann, Burkhardt, Mungo Park, wenn sie heimge- kehrt waren von langer leidenvoller Irrfahrt, kein Ruhen und Rasten mehr gönnte in der Gemächlichkeit des civilisirten Lebens, . sondern sie immer wieder hinaustrieb in die Wild- nisse unter Barbaren, sie zu neuen Abenteuern und am Ende zum Tod führte — von einer solchen wunderlichen Wander- “sucht der Europäer hat der Araber. keine Vorstellung und wird auch nimmermehr an ein ihm so unbegreifliches Gefühl glauben wollen. Capitän Daumas und Dr. Varmier hatten niemals Aus- flüge über zwei Stunden südlich von Mascara machen kön- nen. Vergebens hatte letzterer von dem Hakhem die Erlaub- niss zu erhalten gesucht, die wegen ihrer Heilkraft unter den Eingebornen hochberühmten Thermalquellen von Hamman- Sidi - Ben - Hanefiah zu besuchen. Immer wusste Hadschi- Bukhari eine neue Ausrede zu finden, erbot sich aber bereit- willig, ihm Wasser von dort helen zu lassen, wenn er des- sen zur Heilung seiner Kranken bedürfe. Eben so vergeb- lich ‘waren seine Schritte bei dem Khalifa, Geschenke, Ver- sprechungen, List, kein Mittel vermochte den starrköpfigen Argwohn dieser Häuptlinge zu brechen. Vielleicht auch war ein Hauptmotiv ihres Widerstrebens weniger eigener Arg- wohn oder Abneigung gegen uns Christen, als vielmehr die Furcht, die Stämme im Innern möchten über unser Erschei- nen unzufrieden werden und ihnen Vorwürfe machen, dass sie die Franzosen das Land ausspioniren, dass sie die Ma- rabutgräber durch die Nähe der Ungläubigen’ beflecken. lies- sen. Es ist eine der schwachen Seiten der auf die religiöse Exaltation des Volks basirten Herrschaft Abd-el-Kader’s, dass ihm jede unnöthige Gefälligkeit gegen Christen übel gedeutet wird und dass die fanatische Stimme eines einzigen Marabut, 416 der dem Emir einen solchen Schritt vorwirft, letzterem ge- fährlich werden kann. In Algier hatte Niemand von solchen Hindernissen, die all meine schönen Pläne zu nichte machten, eine Vorstellung. Dort glaubte man, ich würde ganz unge- hindert bis in das noch unbekannte Land zwischen dem Süd- abhang des Atlasgebirges der Regentschaft Algier und der Sahara vordringen können und man freute sich gar sehr auf die Resultate eines so interessanten Zuges. Ich erhielt in Mascara Briefe von Herrn Guyon, dem ersten Stabsarzt der Armee, welcher mich beglückwünschte, nun wohl auf der Reise nach der grossen Wüste zu seyn und mich aufmunter- te, so tief als möglich in Jieselbe einzudringen. Am Tische des Consuls machten uns diese optimistischen Täuschungen der obersten Beamten Algiers von der Reiseleichtigkeit in den Provinzen Abd-el-Kader’s herzlich lachen. Es blieb mir nur noch eine Hoffnung — die auf die Ankunft des Emirs selbst. Abd-el-Kader ist so erhaben über sein Volk, wie über seine Häuptlinge, dass ich noch kei- neswegs an der Möglichkeit verzweifelte, seine Einwilligung und seinen Schutz für mein Unternehmen zu gewinnen. Hatte der Emir doch Herrn Pellissier, der als Mineralog das Ge- birge bereisen zu wollen vorgab, seinen Schutz angeboten, aber die bald darauf ausgebrochenen Feindseligkeiten verhin- derten dessen Unternehmen. Später meldete sich Herr Ber- brugger bei Abd-el-Kader, um die Ruinen in Kobla zu unter- suchen, dann der Dr. Bodichon, um heilkräftige Pflanzen zu suchen, beiden versprach er sehr gnädig alle Erleichterungen. Allein es war bis jetzt immer nur beim Versprechen geblie- ben und jene Herren zauderten selbst sich mit Ernst zu einer Reise in die innersten Atlasgegenden zu rüsten. Bei mir hätte es sich nun erproben müssen, in wie weit man auf die 417 Versprechungen Abd-el-Kader’s rechnen dürfe, denn mich hätte nichts an einer augenblicklichen Abreise gehindert. Lastthiere hätte ich in Mascara zu miethen gefunden und die übrigen Bedürfnisse hätte ich von Oran aus schnell be- ziehen können. Ich hatte lange die Art überdacht, wie man dem Emir am klügsten ein solches Gesuch vorlegen könne, wie sich am besten seine Gunst gewinnen liesse, wie man am lockendsten durch irgend ein vorgespiegeltes Project, das seine eigene Neugierde oder Habsucht reizte, ihn selbst für eine Reise ins Innere interessiren könne. Abd-el-Kader wür- de sich vielleicht eher als seine Häuptlinge über das dumme Geschrei einiger missvergnügter Fanatiker des Südens hin- weggesetzt und mir zuverlässige Führer an die Seite gege- ben haben, was keiner seiner Untergebenen sich getraute, Hatte er doch mehr als einmal schon den intolerantesten Marabuts und den kriegerischesten Kaids und Scheikhs zu trotzen gewagt und ungeachtet ihrer Opposition nicht nur mit den Franzosen Friede gemacht, sondern auch eine ziem- lich energische Polizei eingeführt und jedem Stamm gedroht, ihm Weiber und Heerden wegzunehmen, wenn er es wagen würde, einem unter seinem Schutze reisenden Europäer ein Haar zu krümmen. Mit grösser Sehnsucht erwartete ich nun die Ankunft des jungen Fürsten, welcher Mitte Aprils in Mascara erwartet wurde. Er kam aber nicht. Abd-el-Kader rüstete sich damals mit aller Macht zum Zuge gegen Ain- Maadi. Seine Avantgarde stand zu Tekedent, sein Haupt- corps zu Medeah. Er hatte von allen Seiten grossen Zulauf von beutegierigen Abenteurern, die freiwillig bei ihm Dienste nahmen, und brauchte daher nicht die Werbungen in dem westlichen Theil seines Reiches zu betreiben. Im Juni brach er gegen Ain-Maadi auf, ohne Mascara zu berühren. Se Morıtz Waener’s Algier. I. 27 418 war auch diese letzte Möglichkeit der Ausführung meines Planes vernichtet worden. Inzwischen benutzte ich meinen Aufenthalt, so viel wie möglich, um alle sehenswerthe Punkte der Gegend zu durch- streifen. Die Begleiter der Clauzel’schen Expedition hatten gar nichts davon gesehen. Es war damals Nebel-und Regen- wetter, die Armee ging nicht über Mascara hinaus und trat nach drei Ruhetagen ihren Rückmarsch an, ohne die so nahe Ebene Egghres betreten zu haben. Alle Ausflüge, die ich jetzt mit dem Consul, seinem Arzt und meinen beiden andern Reisegefährten unternahm, führten uns nach Punkten, die kein neuerer Reisender betreten - hat und von denen auch Shaw, Peyssonel, Bruce keine Erwähnung machen. Am 31. März 1838 bestiegen wir den Schruab-el-Rähah, einen nordöstlich von Mascara gelegenen Berg der dritten Kette, dessen Gipfel, der höchste Punkt der Gegend, ein fast eben so weites Panorama als der Aetna und Rigi über- schaut. Der Schruab-el-Rähah, ‚die Lippe des Windes“, hat seinen barocken Namen von der Lippenform des Gipfels, welchen der Nordwestwind in den Wintermonaten scharf küsst, während derselbe Wind, durch die Bergwand abgehal- ten, die Ebene nicht heimsuchen kann. Es war ein recht sonnenreiner Tag. Wir ritten ohne Führer, aber gut bewaff- net. Wenige Schritte über der Vorstadt Bab - Ali hinaus schwebte ein mächtiger Raubvogel gar nicht hoch über un- sern Köpfen recht langsam feierlichen Fluges. Ich schoss ihn mit der Kugel herab. Es war ein alter Falco Bonelli, den ich mit grosser Freude in die Jagdtasche steckte. Die umstehenden Araber kamen herbeiselaufen und äusserten ihre Bewunderung über meine Percussionsflinte, von der sie zuvor nicht glauben wollten, dass sie wenigstens eben so gut und 419 sicher schiesse, als ihre langen Flinten mit riesenhaften Schlössern. Die naturhistorische Beute war auf diesem Aus- fluge überhaupt sehr reich. Am Fuss des Schruab-el-Rähah wuchsen eine Menge von schönen und zum: Theil seltuen Pflanzen, mit denen Herr Varmier seine Botanisirbüchse füllte. Wir fanden fünf Orchisarten. Auf halber Bergeshöhe erbeutete ich eine schöne neue Schneckenart, die in bedeu- tender Menge an den Büschen hing und wohl nur auf den Höhen vorkommen mag, denn weder Herr Varmier noch ich haben sie je an andern Punkten wieder gefunden. Im Stau- be des Fussweges kroch Sepidium aliferum, ein bizarr ge- stalteter Käfer. Schmetterlinge zogen in bunter Menge; ich fing die seltne Hipparchia Ines und die Anthocharis Douei. Auf dem äussersten Gipfel traf ich unsern ritterlichen Lands- mann Papilio Machaon, der auf hohen Blumen sich stolz und freudig wiegte. Der Schruab-el-Rähah ist bis zu seinem Gipfel mit einer tiefen und ergiebigen Dammerdschicht und mit reicher Vege- tation von Graspflanzen, Blumen, Büschen und kleinen Bäu- men von höchstens 15 Fuss Höhe bedeckt. Der Berg ist von Klüften durchfurcht, die aber nur am äusserst wenigen Stellen, wo die Regenbäche das Erdreich weggeschwemmt haben, nacktes Gestein zeigen. Die Erdschicht hat in man- chen Klüften eine Tiefe von 30—40 Fuss. Das an einigen Stellen herausragende Gestein ist Urkalk und Gneiss. Am Fuss traf ich zerstreut liegende fossile Mollusken in geringer Zahl, von denen ich auf halber Bergeshöhe keine Spur mehr sah. Wir konnten nicht bis auf den Gipfel reiten, sondern liessen die Pferde auf einem Wiesenabhang in halber Höhe unter der Bewachung eines Dolmetschers. Wir erreichten den Gipfel um 12!/, Uhr. Die Höhe des Schruab-el- Rähah 27 * 420 beträgt 1460 Metres über dem Mittelmeer. Die weiteste Aussicht ist gegen Norden, wo man zuerst ein wildes Chaos von bewaldeten Bergen und einigen Felsen, tiefe zum Theil von Steinwänden gebildete Schluchten, dann auch wieder breite Thäler, recht heiter grün, mit Duars, Heerden und weissen Marabuttempeln angefüllt, überschaut. Bei diesem wild verschlungenen Gebirge ist es schwer, die drei Ketten, deren Richtung von Osten nach Westen geht und die unter sich durch viele Ausläufer von Norden nach Süden verbunden sind, herauszufinden. Die stärkste Breite dieser drei Ketten beträgt, so weit wir solche mit den Augen messen konnten, nicht über sechs Lieues, wir übersahen dieselbe in einer Länge von ungefähr dreissig Lieues. An den Extremitäten scheinen sich Ausläufer der nördlichsten Ketten wie bei Algier nach dem Meere hinzudrängen und also gleichfalls einen grossen Bogen zu bilden, deren innern Raum grösstentheils die Ebene des Sig ausfüllt. Wir übersahen, in einem Halbkreis von Bergzügen eingeschlossen, den ganzen Landstrich von den Ufern des Schelif, des grössten Flusses der Regentschaft Algier im Osten, bis an die Dolomitfelsen von Mers-el-Kebir; die Küstenpunkte Oran, Arzew, Massagran und Mostaganem traten deutlich hervor. Im äussersten Nordhintergrund verlor sich das Auge in der bläulich neblichten Mittelmeerfläche.. Nicht ganz so weit und abwechselnd ist das Panorama im Süden. Hier sahen wir zunächst die Ebene Egghres, in welcher die dritte Atlaskette recht sanft versinkt. Wellen- förmige grüne Anhöhen ziehen sich an ihrem Nordrande hin und bilden kleine Wiesenthäler mit den besten Weiden. In einem dieser Thälchen liegt die Ghetna von Sidi-Mahiddin, Abd-el-Kader’s Geburtsort, wo stets das Oberhaupt der Fa- milie Mahiddin seine Residenz hat. Jetzt wohnt Abd-el- 421 Kader’s Oheim, der einzige noch lebende Bruder des alten Mahiddin, dort. Ghetna nennt man die Einsiedeleien jener Marabuts, welche junge Leute erziehen, sie im Koran unter- richten und sie zu Marabuts bilden. Es sind dies also ara- bische Seminare, und nur Knaben von vornehmen Familien oder von besonders ausgezeichneten Anlagen finden Aufnahme in solchen Ghetnas, welche sie später als Heilige wieder verlassen und dann in ihrem Stamm die grösste Verehrung und Auszeichnung geniessen. Die Ghetna von Sidi-Mahiddin, schon seit langer Zeit die berühmteste geistliche Erziehungs- anstalt dieser Art in der Provinz Oran, besteht aus vier ein- stöckigen weissen Häuschen. Das eine ist die Wohnung des gegenwärtigen Oberhaupts der Ghetna, der dort seine Biblio- thek und sein Audienzzimmer hat; nebenan stösst ein Häus- chen, wo seine drei Frauen wohnen. Die Zöglinge, deren - nie mehr als zwölf aufgenommen werden, bewohnen ein läng- liches aus einem einzigen Gemache bestehendes Gebäude, welches durch den Garten von der Wohnung des Marabuts getrennt ist. Das vierte Gebäude endlich ist eine Kapelle oder kleine Moschee, wo die Zöglinge und die andächtigen Gäste sich zum Gebet versammeln. Es ist eine recht lieb- liche Einsamkeit, dieses grüne Thälchen mit dem Marabut- sitz, die weissen Häuschen tragen einen grünen Mantel von aufgewundenen Reben. Vor dem Eingang der Kapelle steht eine Palme. Im Gärtchen werden Gemüse, Melonen, Blumen gepflanzt und der heilige Mann arbeitet hier selbst mit, be- giesst und jätet Unkraut aus. Seine kleine Heerde weidet in der Nähe an einem Bachufer, wo das ganze Jahr grünes Futter wächst. Täglich kommen Gäste nach der Ghetna, um dort zu beten, den Marabut um Rath zu fragen und mit seinem Segen wieder heimzukehren. Diese Wallfahrer kom- 422 men nie mit leeren Händen. Der Eine bringt dem heiligen Einsiedler ein Stück seiner Heerde, der "Andere einen Sack Getreide, ein Dritter auch baares Geld. Im bleichen Bart sitzt Sidi-Mahiddin vor seiner Hüttenthüre, grüsst die An- kömmlinge liebreich, nimmt die Geschenke in Empfang und lässt den Gast dafür mit Kuskusu und Quellwasser bewirthen. Beinahe täglich kommt ein Dutzend solcher Pilger, die um den Marabut sich im Kreise setzen und ein paar Stunden recht sanft und gemüthlich mit ihm verplaudern. Fast jeder hat etwas auf dem. Herzen. ‘Der Eine lebt mit dem Nach- bar im Streit und bittet den Marabut, den Friedenstifter zu machen, der Andere hat keine gesegnete Ehe und wünscht ein Fürwort des frommen Mannes, dass Allah ihm Kinder schenke, ein Dritter hat eine wirkliche oder eingebildete Krankheit oder ein leidendes F amilienglied oder auch ein krankes Lieblingspferd oder es quälen ihn Gewissensbisse, für all dies sucht er Hülfe bei dem Marabut durch Rath und Gebet. Oft auch werden politische Dinge dort verhandelt, Neuigkeiten ausgetauscht, diplomatischer Rath gehalten. Je- der, der Nachrichten aus Oran bringt, wenn ein Dampfboot eingetroffen ist, jeder, dem ein boshafter Dragoman irgend einen Zeitungsbären aufgebunden, endlich auch jeder aus Mekka zurückkehrende Hadschi, welcher Neuigkeiten aus dem Orient über Mehemed-Ali und den Sultan-el-Mume- nin bringt, ist in der Ghetna ein gar sehr willkommener Gast. Die einflussreichsten Kaids, Scheikhs und Marabuts der Gegend lassen selten den Mond zweimal wechseln, ohne bei Sidi-Mahiddin gewesen zu seyn. Dieser kleine Marabut- sitz gebietet oft über das Schicksal des Landes. Einige bär- tige Männer, häufig in Lumpen gekleidet und Quellwasser trinkend, aber von mächtigem Einfluss über das durch gemein- 423 sam feurigen Glauben eng verbrüderte Hirtenvolk, entscheiden dort über Krieg und Frieden. Dort wurde im Jahre 1832 die Ermordung der Türken von Mascara beschlossen, dort predigte der verstorbene Mahiddin den Dschad oder heili- gen Krieg gegen die Franzosen; endlich ist auch Abd-el- Kader, nach Mehemel-Ali unstreitig Afrikas merkwürdigster Sohn, dort geboren und in dieser Einsamkeit, wo Alles zum Nachdenken und zur Ruhe der Seele stimmt, zum grossen Mann gereift. So oft Abd-el-Kader in die Umgegend von Mascara kommt, lässt er selten einen Tag vergehen, ohne seinen Ahnensitz zu besuchen und mit dem alten Oheim Be- rathungen zu pflegen. Im Süden der Ebene Egghres sieht man vom Schruab- el-Rähah aus noch eine vierte Gebirgskette, deren Lauf viel deutlicher scheint, die aber niedriger ist, als die dritte; :end- lich unterscheidet man am fernsten Südhorizont noch eine fünfte Atlaskette, die keine hervorragenden Kegel hat und wie eine Mauer fortläuft. Alle Beduinen der Sahara, die wir in Mascara gesprochen, sagten übereinstimmend, es sey dies die vorletzte Gebirgskette nach Süden hin; eine sechste erhebe sich vier Tagmärsche (48 Stunden) südlich von Mas- cara ohne schneebedeckte Gipfel, dann versinke das Berg- terrain allmälig in den Kobla, wo in schwachen Fort- setzungen nur unzusammenhängende Hügel noch vorkommen. Die Breite des anbaufähigen Bodens, Telia genannt, mag in der Provinz etwa 90 Stunden betragen, dann kommt reiner Sandboden nur von Oasen unterbrochen. Am Fusse der vierten Bergreihe, an der Südgränze der Ebene Egghres, liegt Kaschruh, der Friedhof der Mahiddin- familie. Die Lage der Ghetna ist hübsch heiter, aber ziem- lich gewöhnlich, auf der grünen Wiese sehen ihre weissen 424 Häuser wie Schweizermaierhöfe oder eher wie lombardische Winzerhäuschen aus. Zu ihrer Ruheresidenz haben die Ma- hiddin sich eine weit herrlichere Gegend, als zu ihrem Aufenthalt, ja vielleicht den schönsten Fleck der Provinz ge- wählt. Kaschruh liegt in einer Schlucht des Atlas, auf de- ren beiden Seiten Granitwände von ziemlich grosser Höhe in wilden scharfgezackten Formen, theilweise mit Chamae- ropsfächern bewachsen, aufragen. In der Tiefe wächst hochstämmiges Laubwerk so dicht zusammengedrängt, dass man auf den Zweigen wie auf einem Bett sich schaukeln und von den Felsen sich darauf hinunterstürzen könnte, ohne einen harten Fall zu fürchten. Man sieht dort Johannisbrodbäume, das schattenreichste Holzgewächs dieser Gegend, Palmen, Granat-, Mastix-, wilde Oelbäume, Eichen, wild verworren und durch Winden und Schlingpflanzen zusammengebunden, bald Meerwogen ähnelnd, bald in der Gestalt eines Thron- himmels, bald wie Schiffe mit Segeln, Masten, Wimpeln, alles von Aesten und Blättern geformt und mit Grün in allen Nuancen bemalt. Dieser Blätterhorizont, der unter dem blauen unbeweglich ruht, weil der Wind in die enge geschlossene Schlucht nicht dringen kann, verdeckt die weissen Grabtem- pel, welche hie und da durch Astlücken hervorsehen. Sieben solche kleine weisse Tempel sind in einer Reihe gebaut, ge- schieden durch Wände von Cactus; das Grab des letzten Mahiddin, Abd-el-Kader’s Vater, ist mit. einer doppelten Mauer eingeschlossen, neben welcher Mustapha-Ulid-Mahiddin, Abd-el-Kader’s älterer Bruder, sich eine Einsiedlerhütte aus Baumzweigen gebaut hat und in der Nachbarschaft des Stau- bes seiner Väter allein und kinderlos ein träumerisches Le- ben lebt. Dieser junge Mann war einst Kaid des mächtigen Stammes der Flita am Schelif und nahm an einem Aufstand 425 wider seinen Bruder Theil. Später zog er sich ganz von den Geschäften und der Gesellschaft zurück, wählte Kasch- ruh zum Wohnsitz und lebt nun einsam, in- dem Anblick der Gestirne, im Lauschen des Bergbächegeplätschers und der Waldvögellieder versunken, recht schwermüthig in den Tag hinein. Ob das seltsame Leben dieses jungen Mannes aus Neigung und freier Wahl entsprungen oder nur ein Komö- dienspiel und eine Selbstmarter ist, um damit auf die Phan- tasie der Araber zu wirken, und einen geheimen, ehrgeizigen Zweck zu erreichen, wäre schwer genau auszumitteln. Re- ligiöse Schwärmerei und träumerisches Hinbrüten scheint üb- rigens eine Eigenschaft dieser seltsamen Familie, und nur bei Abd-el-Kader wird sie von politischer Schlauheit, kriegeri- schem Sinn, Eroberungsgelüste und unbegränztem Ehrgeiz aufgewogen. Noch ein erwähnenswerther Ort der Umgegend von Mascara ist das Dorf der Bordschia, wo man einige Rui- nen ohne Inschriftsspuren sieht. Die Bordschia bildeten bis 1835 einen mächtigen Stamm, fast so mächtig wie die Gar- rabas. Nach der Einnahme von Mascara durch den Marschall Clauzel waren sie die ersten, welche den Emir im Stiche liessen und mit den Franzosen unterhandelten. Als später Abd-el-Kader, von den Kabylen der Tafna unterstützt, mächtiger als zuvor in Mascara wieder einzog, brach Zwie- tracht in dem Stamm aus. Die Einen wollten gleich den Duairs und Zmelas bis unter die Mauern von Oran folgen und dort sich ansiedeln, die Mehrzahl wollte mit dem Emir wieder in Unterhandlung treten, um ihre schönen Weideplätze in der Ceiratebene nicht verlassen zu müssen. Während sie so unschlüssig überlegten, hatte Abd -el- Kader mit seinem wiedergesammelten Heer den Stamm umzingelt. Der Kaid 426 Kaddur-ben-Marephi flüchtete sich nach Mostaganem und lebt jetzt in dem Dorfe Massagran von einer kleinen Pension, die der Marschall Clauzel ihm bewilligte. Abd-el-Kader wollte, nachdem das Oberhaupt des abtrünnigen Stammes seiner Ra- che entgangen war, gegen die Bordschia nicht nach türki- scher Weise verfahren. Es floss kein Blut durch die Hände des Braham Schiauchs, aber Abd-el-Kader beschloss, den Stamm für immer unschädlich zu machen. Er zerstreute ihn im Lande. Einige Familien mussten sich unter den Haschems, andere unter den Flita ansiedeln, etwa den vierten Theil schickte er nach Tekedent und Tlemsan. Es giebt heute keinen Stamm der Bordschia mehr, nur die zersprengten Glieder desselben trifft man durch die ganze Provinz. Wer die Anhänglichkeit des Arabers an seinen Stamm kennt, wel- chen er liebt als seine grosse Familie, dessen Traditionen er so gut kennt, auf dessen Macht und Thaten er so stolz ist, dessen Glanz er immer mit den Waffen zu verfechten bereit steht, wer weiss, wie nur Verzweiflung und Verbrechen den Araber verleiten können, seinen Stamm ganz zu verlassen, und bei einem fremden Aufnahme zu erbetteln, wohin ihm aber doch die Reue und das Heimweh nachfolgt, der mag begreifen, dass diese Bordschia bittern, unvertilgbaren Groll gegen Abd-el-Kader im, Herzen tragen, so sehr sie auch die- sen gegen die andern Stämme, bei denen sie als Fremde le- ben, zu verbergen wissen und verbergen müssen. Weniger zurückhaltend sind sie mit diesen Gesinnungen, wenn sie mit einem Franzosen sprechen, und der Consul Daumas hatte häu- fige Gelegenheit zu erfahren, welch gefährliche, wenn auch für den Augenblick noch kraftlose Elemente des Verraths und Abfalls für den Emir durch diese Bordschia verbreitet sind. Als Stamm sind die Bordschia nicht mehr drohend für ihn, 427 denn ihre Waffenmacht ist durch die Zerstreuung gebrochen, aber diese isolirten Bordschia unterhalten ein stummes Miss- vergnügen, und wo immer ein meuterischer Häuptling gegen den Emir seine Fahne aufpflanzen würde, könnte er auf die Unterstützung der nächsten Glieder dieses zerrissenen Stam- mes gewiss mit Sicherheit zählen. Das Dorf. der Bordschia, eine: kleine Stunde westlich von Mascara, hat keine Zelte, sondern besteht aus Hütten von Baumzweigen, Lehm und Stein, und ist der feste Wohnsitz von etwa dreissig Familien. Die Bordschia schienen mir ein bischen weniger‘ barbarisch, als die übrigen Stämme der Provinz, und obwohl viel ärmer, als die Garrabas an Geld und Heerden, hatten sie doch mehr . kleine Habseligkeiten und auch mehr angebaute Felder, als jene. . Das Dorf liegt auf dem Gebiet der Haschems, die dem Emir jetzt mit Fanatismus anhängen und die Bordschia arg- wöhnisch bewachen. Nachdem wir alle merkwürdigen Punkte der Umgebung von Mascara besehen hatten, wünschte ich sehr, einen etwas weitern Ausflug ins Gebirge zu machen. Fünf Lieues süd- westlich liegen die im Lande hochberühmten Thermalquellen von Hammam - Sidi-Hanefialı, welche nicht wie Hammam- Meskhutin als ein verfluchter Ort gemieden, sondern von vie- len Reisenden, Kranken und Wallfahrern besucht werden, sowohl wegen der heilkräftigen Bäder, als wegen des dort liegenden Grabes eines der berühmtesten Heiligen der Pro- vinz. Capitäin Daumas und Dr. Varmier hatten schon öfters vergeblich um einen Führer dorthin gebeten und wollten nun, meine Anwesenheit benutzend, denselben Versuch recht drin- gend wiederholen. Sie hielten es indessen für besser, wenn ich zuerst allein die Einwilligung des Hakhem zu erhalten suchte, da er es ihnen schon ein paarmal abgeschlagen hatte. 428 Sollte der erste Versuch wieder vergeblich seyn, so wollten wir denselben alle fünf zusammen in einer feierlichen Visite wiederholen. Ich ging am 3. April mit dem Dragoman Ben-Amram zu Hadschi-Bukhari. Der Gouverneur von Mascara sass in seinem Audienzzimmer von einigen Khodschas und Schiauchs umgeben, hatte so eben einen Process geschlichtet, schien ziemlich übler Laune und lud mich nicht einmal zum Sitzen ein. Ich nahm indessen ohne viel Umstände ihm gegenüber auf der Rohrdecke Platz und begann nun ein Gespräch, wel- ches ich hier wörtlich anführe, damit der Leser sich einen Begriff mache von dem Argwohn der Abd-el- Kader’schen Beamten und der Schwierigkeiten, die man dem Europäer stets in den Weg legt, so oft er Punkte besuchen. will, wel- che die französischen Heere noch nicht betreten haben. „Du hast‘“ — sagte ich — „‚versprochen, mir Escorten oder Führer zu geben, so oft ich entlegnere Punkte der Gegend besuchen will. Ich nehme dich heute beim Wort und bitte dich um einen Führer nach Hammam-Sidi-Hanefiah.“ „Was willst du in Hammam-Sidi-Hanefiah machen ?°°“ fragte Hadschi-Bukhari, ohne mich anzusehen. „Ich möchte von den dortigen Quellen Wasser schöpfen. Man hat mir ihre Heilkraft gerühmt. Ein vornehmer Mann meines Volks liegt in Oran schwer krank und hofft durch dieses Wasser zu genesen.“ „„»Die Mühe des weiten Weges will ich dir ersparen. Es geht über Steine und Abgründe und du könntest heute nicht mehr zurückkommen. Aber ich will einen Schiauch hinschicken, damit er dir Wasser bringe, so viel du be- darfst.‘ „Es würde mir dieses nichts helfen, denn ich muss das 429 Wasser frisch von der Quelle, so lange es heiss ist, versu- chen, um seine Heilkraft zu erproben. “ „„Du darfst nicht bis an die Quelle gehen, denn dort liegt ein Merabat (Marabut), der die Rummis (Christen) nicht liebt. Er würde dir eine Krankheit auf den Hals la- den und das Wasser würde deinem Patienten den Tod bringen.“ „Ich achte und ehre die Marabuts, Ich weiss, dass es fromme Männer sind, die durch ihre Weisheit, ihre strengen Sitten, ihren versöhnlichen Sinn eure Liebe verdienen. Die aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Christen sprechen von ihnen mit grosser Dankbarkeit, denn sie fanden immer Schutz bei ihnen gegen die Misshandlungen eurer Krieger. Ich kann nicht glauben, dass ein Heiliger, für dessen Ge- beine ich alle Ehrfurcht habe, mir ein Leid thun könnte.“ „„Der Marabut würde dich vielleicht verschonen‘““ — sagte der Häuptling nach einer Pause des Nachdenkens — „„äaber deine Begleiter würde er um so gewisser krank ma- chen cc „Sie wollen es aber auf die Gefahr hin wagen, und wenn sie krank werden, trifft dich weder Schuld noch Vor- wurf.“ „„Der Ukil (Consul) ist mein Freund und ich will nicht, dass ihm ein Leid geschehe, so lange ich es verhindern kann. ‘*“* Da ich fest vermuthete, dass nur Misstrauen der Grund dieser Ausflüchte sey, so änderte ich den Ton. .,,Du weisst‘ — sagte ich — „dass ich kein Frausaui (Franzose), son- dern ein Allmani (Deutscher) bin. Um eure Staatsangele- genheiten kümmere ich mich gar nichts. Nie hat mein Volk mit dem deinigen Krieg geführt und der Sultan von Allmania 450 ist der Freund des Sultan-el- Mumenin in Constantinopel. Es ist auch sehr rathsam, mit meinem Sultan gut Freund zu seyn, denn er ist, wie der Ukil dir erzählt hat, sehr mäch- tig. Er hat viele Kanonen und zahllose Pferde.“ Hadschi- Bukhari fiel mir hier lebhaft in die Rede. „,„Es ist ganz einerlei, ob du ein Deutscher oder Franzose bist. Wir ha- ben mit den Franzosen ehrlich und aufrichtig Friede gemacht und werden ihnen nicht etwas versagen, was wir einem an- dern Rummi gewähren.““ Am Ende willigte Hadschi-Bukhari ein, uns bis halbwegs geleiten zu lassen. Dann könnten wir aus dem nächsten Duar einen Araber abschicken, unsere Krü- ge an der Quelle zu- füllen. Diese halbe Zustimmung erregte im Consulathause ‘grosse Freude, denn wir hofften, einmal auf dem Wege, den Füh- rer zu bestechen, uns bis an den Ort selbst zu bringen, Gleich nach dem Frühstück stiegen wir zu Pferde: der Ca- pitän Daumas mit seinem Bruder, die Aerzte Varmier und Varlet und der Dragoman Amram. Unser Führer war ein Reiter des Emirs, ein noch sehr junger Mann, äusserst. kräf- tig gebaut, den ächtarabischen Typus im dunkelgebräunten ‘ Antlitz; neben vieler Kühnheit und Energie sprach doch aus seinem ‚Gesichte eine wohlthuende Offenheit. Er war zu jung noch, als dass der harte, boshafte Fanatismus der arabischen Graubärte sich in ihm festgenistet hätte, und wir merkten bald, dass er ein Mensch war, auf den wir uns im Falle einer Gefahr wohl verlassen durften. Indessen hatte man die- sem riesigen jungen Reiter ein Pferd gegeben so ungeheuer mager und elend, dass wir glaubten, es werde bei jedem Schritt zusammensinken. Vielleicht war dies absichtlich ge- schehen, um zu verhindern, dass der Führer sich überreden liesse, uns weiter zu geleiten, als bis zu dem Punkt, welchen 431 der Hakhem ihm bezeichnet hatte. Wir waren recht unwillig darüber und äusserten dies dem jungen Beduinen; der aber stachelte sein Pferd mit den langen Spornspitzen, warf seine gewichtige Flinte hoch in die Luft, und seinen Schlachtruf jauchzend sprengte er wie der Sturmwind über die Ebene fort. Sein magerer abgelebter Gaul wurde nun mit Einem Mal zum feurigen Wüstenross, er knirschte in den Zügel, hob den Schweif und seine lange Mähne flatterte im Wind, während sein Reiter uns einen recht triumphirend verächt- lichen Blick zuwarf. Es war dies gar prächtig anzusehen und die beiden französischen Cavalerieofficiere riefen entzückt: „Seht da den ächten Beduinen!“ In unsere Pferde war nun gleichfalls die Rennlust gefahren, und da der flache Boden zu einem Wettritt einlud, liessen wir ihnen gern die Zügel frei. Nun ging es an ein lustiges Jagen, jeder von uns wollte dem jungen Führer zeigen, dass er auch zu galoppiren verstehe. Wir legten so eine tüchtige ‘Strecke zurück , ohne uns um Insecten und Pflanzen am Wege zu kümmern. Die Ebene Egghres hat zwölf Stunden in der Länge und drei in der Breite. Die sie durchströmenden Gewässer sind: Der Uad-el-Hammam und der Uad-el-Mausa, welche man kaum Flüsschen nennen kanu. Die Egghres ist nur von einem einzigen Stamm, den Haschems, bewohnt. Dieser ist seit etwa hundert Jahren in zwei Theile getrennt, den Haschem-Schragas und Haschem-Garrabas, deren jeder einen besondern Kaid hat. Die Haschems können zusammen 3000 Reiter und 2000 Krieger zu Fuss stellen. An Zahl stehen sie den Beni-Ammer vielleicht nach, sind aber: viel reicher, haben mehr Pferde und grössere Heerden. Sie sind diesem Stamm überdies durch viel unternehmendere Thatkraft, den Garrabas aber durch grössere Einigkeit überlegen. Ihre 432 centrale Stellung bei Mascara macht sie entschieden zum wichtigsten und mächtigsten Stamm der Provinz. Die Ebene Esghres ist zur Hälfte mit Waizen- und Gerstenfeldern be- deckt, aus welchen die wnausrottbare Zwergpalme in dicken Büschen herausragt. Der Boden eignet sich weit besser zum Feldbau, als zur Weide. Daher schicken die Haschems, gleich nachdem das Getreide gesäet ist, den grössten Theil ihrer Heerden nach der Ebene des Sig; viele Duars werden dann abgebrochen und die Bewohner kommen erst zur Erndte- zeit wieder. Die Egghres hat keine Moräste und ist ein völlig gesunder Wohnort, dagegen steht sie an Fruchtbarkeit, besonders an Graswuchs, der Ceiratebene nach; ihr fehlt die reiche Bewässerung. Aus letzterer liesse sich mit einigen Canalbauten ein überaus fruchtbarer Garten für jede Art von Cultur machen; während in der Ebene Egghres der Waizen die am besten gedeihende Pflanze bleiben wird. Als wir über die goldgelbe ährenbedeckte Fläche hinsahen, rief der Consul scherzend: ,,‚Sehen sie doch, wie hier dem General Bugeaud das Herz lachen müsste, hier könnte er sengen und brennen nach Herzenslust.“ Dabei sahen wir auch die Un- möglichkeit, die Araber durch solche Mittel, wie Bugeaud vorgeschlagen, zur Unterwerfung zu zwingen, denn in der Ebene Egghres allein hätte man vielleicht einige Wochen ge- braucht, um alle Felder, die durch leere Strecken getrennt sind, zu zerstören. Rechts von unserm Wege zog sich eine Bergkette hin; mehrere Hügel waren in südlicher Richtung von ihr abge- trennt. Einer dieser isolirten Hügel hatte eine auffallende Gipfelform. Ungeheure, wie es schien losgetrennte Fels- blöcke von phantastischen Formen waren oben über einander geworfen, deutlich konnten wir aber gar nichts entdecken, 433 denn der Hügel ragte wenigstens 800 Fuss über der Fläche. „Es ist der Kediat-Meskhutin, der verfluchte Hügel“ — er- zählte unser Araber — ,‚dort oben. sitzen verschleierte Weiber auf Kameelen und Musiker mit’ dem Arabebah und dem Gas- bah *), die Allah in Stein verwandelt hat.“ Wir baten ihn sehr, uns mehr von dem Spuk zu sagen, er antwortete aber leise und furchtsam, dass er weiter nichts wisse, Während meine Begleiter neugierig hinaufschauten, bemerkte ich, wie der junge Araher in seinen Bernuss sich hüllte und leise be- tete. Als wir vorüber waren, schien er von einer drücken- den Angst befreit. Andern Tages kam er zu uns auf ein Tässchen Kaffee und erzählte auf unsere wiederholte Bitte, nach langem Widerstreben, die über diesen verzauberten Berg in der Gegend herrschende Sage **). Er versicherte auch, dass er beim Vorüberreiten die Arabebahtöne oder gespensti- gen Musiker und den Hochzeitstriller der steinernen Kameel- reiterinnen deutlich vernommen habe; unsere ungläubigen Ohren haben gar nichts der Art gehört. Uebrigens bedauer- ten wir sehr das Wunder nicht in der Nähe besichtigen zu können. Der Hügel lag abseits und wir hätten für diesen Tag auf den Besuch der heissen Quellen verzichten müssen. Als wir an der Stelle angekommen waren, welche der Hakhem dem Führer als unser Ziel bezeichnet hatte, weigerte sich dieser, weiter zu gehen. Wir waren darauf gefasst. Ich drückte dem jungen Araber zwei spanische Piaster in die Hand und versprach ihm noch eben so viel, wenn wir von der Quelle zurückgekehrt wären. Er wog das Geld in der *) Musikalische Instrumente der Beduinen. Das Arabebah ist ei- ner Tamburine ähnlich, das Gasbalı ist ein Blasinstrument. °°) Siehe II. Bd. am Schluss. Morırz Waener’s Algier. I. \ 28 434 Hand, liess sich das Versprechen noch einmal wiederholen und sagte endlich entschlossen „zehn Budschus! — nun kann mir der Hakhem meinetwegen zwanzig Hiebe geben lassen.“ Nachdem wir drei Stunden Weges zurückgelegt, liessen wir die Ebene hinter uns und betraten das Bergland, wo der Weg viel schwieriger und steiler wurde. Es isthier die ge- wöhnliche Reisestrasse von Mascara nach Tlemsan. Eine Armee könnte aber, wenn auch nur mit Bergkanonen und leichten Bagagewägen, kaum passiren, da selbst Reiter sehr langsam, sehr vorsichtig reiten müssen, um nicht über kleine Abhänge und Steingerölle zu straucheln. Man fühlt hier den Nutzen des arabischen Pferdes recht dankbarlich. Ich habe in diesem Land manchmal in dichter Finsterniss, bei Wind und Nässe recht beschwerliche Märsche durch unbetretene Buschgegenden oder über Höhen voll glitschender, durch- weichter Lehmerde und Gerölle gemacht und bin niemals durch die Schuld meines Pferdes gestürzt. Die französische Cavalerie, die jetzt durchaus nur Landespferde reitet und mehr und mehr den Werth dieser unermüdlichen und sichern Pferde anerkennt, könnte in diesem Bergterrain gewiss fort- kommen, während für die Passage der Geschütze und Bagage- wägen erst manche Hindernisse weggeräumt werden müssten. Meine militairischen Begleiter hielten einen Armeezug hier ohne vorgängige Arbeiten nicht für möglich. Indessen erin- nere ich mich, von Constantine ganz ähnliche Reden von manchen sachverständigen Officieren des Genie und der Ar- tillerie gehört zu haben, und doch wurden dort die schweren Vierundzwanzigpfünder in wenigen Stunden über ein noch weit schwierigeres Terrain während des ungünstigsten Wet- ters gebracht. Nach zweistündigem Ritt öffneten sich die Berge zu 435 einem breiten Thal. Die Höhen umher waren 3—4000 Fuss hoch- und bis zu den Gipfeln mit Gruppen von wilden Bäu- men überstreut, die ich in keiner Atlasgegend schöner ge- sehen habe. In der Ferne däuchte uns der grüne Thalgrund mit Beduinen oder mit Thiergestalten bedeckt; als wir näher kamen, merkten wir, dass es arabische Grabsteine waren, die zu drei aus dem Boden ragten. Bald trat auch im west- lichen Hintergrund das weissliche Marabutgrab hervor, um welches die übrigen geringeren Todtenwohnungen wie um einen Thron gruppirt stehen. Sidi-Hanefiah ‚scheint ein Hei- liger ersten Ranges gewesen zu seyn, denn sein Grab ist mit einer Mauer umgeben, eine kleine Moschee ist daneben gebaut und 'Thalebs wohnen hier, die das Grab bewachen, und dem Pilger Obdach geben. Kaum hatte man uns Reiter von Weitem erblickt, als die Wächter ganz erstaunt aus ih- rem Häuschen kamen. Wir waren wohl die ersten Christen, die in dieses einsame Thal gedrungen. Der vornehmste Thaleb plauderte mit unserm vorangerittenen Führer, und schien ihm Vorwürfe zu machen, dass er Ungläubige nach diesem heiligen Ort gebracht habe. Er weigerte sich auf das bestimmteste, uns bis an die Quelle gehen und Wasser schöpfen zu lassen. Gegen diesen fanatischen Menschen war mit guten Worten nichts auszurichten; selbst unser Geldaner- bieten wies er zurück. Wir standen ärgerlich und un- schlüssig da. So nahe am Ziel sollten wir wieder umkehren, ohne unsern Zweck erreicht zu haben! Obwohl die Leute unbewaffnet und keine Duars in der Nähe waren, wären uns Gewalt und Drohungen doch in solchem Falle schlecht be- kommen. Ich zog endlich einige neue spanische Piaster her- vor und zeigte sie dem Thaleb. Er weigerte sich noch im- mer, wir merkten aber doch, dass es ihm Kampf kostete, 25? 436 denn so sehr er sich bemühte, seine Augen von dem gemünz- ten Silber wegzuwenden, schielte er doch darnach. In dem Araber sind religiöser Fanatismus und unersättliche Begierde nach baarem Gelde gewiss die zwei mächtigsten Leidenschaf- ten und häufig gegen’ einander im Kampfe. Diesmal siegte die letztere, denn eben als die blanken Piaster wieder in meine Tasche rollen wollten, streckte der heilige Mann die Hand verlangend darnach aus und erklärte, dass ich allein bis zur Quelle gehen dürfte, meine übrigen Begleiter müssten zurückbleiben. Ich folgte ihm in der Richtung des Marabuts. Die Quelle floss etwa dreissig Fuss über dem Boden aus der Höhlüng eines Felsens und füllte dort ein kleines Becken, das nur zwei Zoll tief war und fünf Fuss im Umfang haite. Der Behälter musste früher viel grösser und tiefer gewesen seyn, sein Boden war von einer harten Kalkkruste bedeckt, welche aus dem Absatz der Quelle gebildet war und die den Behälter nach und nach ganz ausfüllen und die Quelle ver- stopfen wird. Inzwischen ist dieser Absatz von kohlensaurem Kalk, der einen Theil des Felsens bildet, bei weitem gerin- ger, als zu Hammam-Meskhutin. Die Quelle von Sidi-Hanefiah hat auch nicht den hundertsten Theil des Wasserreichthums, wie jene Thermalquellen der Provinz Constantine. Sie rie- selt sehr schwach aus mehreren Mundlöchern und läuft dann in einer ausgehauenen Rinne in den Grabhof des Marabuts, wo mehrere Bassins für Badende gebaut sind. Den Marabut selbst durfte ich nicht betreten. Der Wärmegrad des Was- sers ist 69° Reaumur. Ich dürfte übrigens nur wenige Mi- nuten verweilen und hatte kaum Zeit, die Krüge und Leder- schläuche zu füllen, von gründlichen Beobachtungen war also gar keine Rede. Die Sonne stand tief und der Thhaleb meinte, ich hätte für meine zwei spanischen Piaster genug gesehen. 437 Meine Begleiter waren mir nacheinander in der Stille nachge- schlichen, erst kam der bärtige Doctor Varmier, dann der Lieutenant Daumas, endlich Herr Varlet und der Dragoman Amram; nur der Capitain Daumas war, für unsere Neugierde sich aufopfernd, bei den Pferden zurückgeblieben. Der Thaleb schnitt zwar ein recht böses Gesicht, als er meine Gefährten trot“ seines Verbots auch an der Quelle sah, doch sagte er „ein Wort. ‘Unser Führer war in den Marabut eingetreten, um zu beten. Ich fragte inzwischen den Thaleb über die Gegend aus. Er erzählte, dass noch fünf solcher Quellen im Thale entspringen, aber keine sey reicher, und alle übrigen seyen weniger heiss. Alte Rummisteine (römische Ruinen) gebe es in der Nähe keine. Aber zwei Stunden weiter süd- lich läge in einem andern Thal eine grosse alte Stadt, mit verfallnen christlichen Knissas (Kirchen), Arsas (Säulen) und Heurefs (Buchstaben, Inschriften), welche Niemand in der Gegend entziftern könne. Ob dies wohl die Ruinen von Victoria sind, welche Ptolemäus in diese Gegend versetzt *)? Unser junger Führer kam aus dem Marabut zurück und mahnte dringend, schnell aufzubrechen. Wir schieden aber recht un- gern und zögernd aus der schönen Gebirgsgegend, von der wir das Wenigste gesehen hatten. Obwohl die Abendschatten schon riesengross über den Atlas herzogen, ritten wir doch nur sehr langsam und wandten den Kopf beständig rückwärts nach dem stillen Gräberthal, wo Leichenstein an Leichenstein standen, so weit der Blick ging. Aus weiter Umgegend bringen die Araber ihre Todten in das Thal von Sidi-Hanefiah, damit vielleicht die hochherrliche Natur ihnen eine Vorah- nung des Dschennel (Paradieses) gebe, welches der Koran *) Ptolomäus Lib, IV. Cap. 2. 438 ihnen so poetisch beschreibt. Aber das in so schöner feier- licher Stille ruhende Bild der Landschaft zog mich doch viel weniger an, als der schon undeutlich verdüsterte Hintergrund im Süden, wo die Ruinenstadt liegen soll, von. welcher. der Thaleb gesprochen. Als ich da vergeblich das Fernrohr an- strengte, beneidete ich im Voraus den glücklichen Reisenden, dem es einmal gelingen wird, in die unbekannten Gegenden zu dringen, welche unwissende Barbaren noch bis diesen Augenblick so misstrauisch verschlossen halten. 8 439 | xXVr Reise von Oran nach Mostaganem. — Neu-Arzew. Die Rhede. Umgegend. — Alt-Arzew. Ruinen von Arsenaria. — Die Makta. — Salinen. — Massagran. Beschreibung der Stadt und Umgegend. Das Schloss der Störche. Matmaros. Die Be- wohner von Mostaganem. — Der Schelif. Ien legte den Weg zwischen Oran und Algier einmal zu Wasser und einmal zu Lande zurück, bemerkte aber auf beiden Wegen wenig Interessantes. Drei Stunden östlich von Oran springt eine etwa zwanzig Fuss hohe, völlig zuckerhut- förmige und vom Ufer getrennte Klippe aus dem Meere her- _ vor. Auf dem Landwege kommt man an dem bereits erwähn- ten „Löwenberg “ dicht vorüber. Von diesem isolirten Berg bis Arzew ist die Landschaft einförmig wild. ‚Büsche an Büsche wuchern so weit man sehen kann; es sind die in der Berberei überall wiederkehrenden Pflanzen: die Zwerg- palme und Pistacia lentiscus, die hier über alle andern Ge- wächse dominiren. Ich machte damals die Reise nur von ei- nem einzigen Beduinen, aus dem Mörderstamm der Garrabas, * begleitet. Vergebens sah ich mich in dieser durch die Zahl ihrer wilden Thiere berühmten Gegend nach Löwen um, Nur Wildschweine rauschten manchmal durch die Büsche und Schakals flohen vor dem Hufschlage, ohne dass wir zur Nacht- zeit ihr aaslüsternes Heulen hörten. 440 Neu-Arzew liegt zwölf Lieues östlich von Oran. Es besteht aus zwei Forts, einigen Casernen und Magazinen und ei- nem Dutzend Cantinen, Bäckereien und Krankenhäusern. Zur Zeit meines Aufenthaltes wurde viel gebaut. Abd- el - Kader lieferte nach Arzew sein an Frankreich schuldiges Getreide, zu dessen Aufbewahrung die Magazine vergrössert werden mussten. Aus Mostaganem, das keinen Hafen hat, wurde viel Getreide durch Privathändler auf kleinen Barken herüberge- führt. Dies brachte einige Händler auf den Gedanken, zu Arzew Privatmagazine anzulegen, denn regelmässig treffen dort spanische Schiffe aus Catalonien ein, welche Waizen ein- kaufen und nach Barcelona überführen. Die Rhede von Ar- zew ist die sicherste der ganzen Küste der Berberei. Auch bei den heftigsten Stürmen — ich war selbst während eines der furchtbarsten Orkane des Jahres 1838 dort — hat man nie ein Beispiel eines Unfalls erlebi und die vor Arzew an- kernden Schiffe liegen so sicher, wie auf der Rhede von Tou- lon. Gleichwohl sind die Berge, die sie umsäumen, nicht hoch und der Wind, wenn er in der geschlossenen Bucht sich verfängt, hat eine bedeutende Gewalt; es’ bilden sich öfters ziemlich hohe Wellen, aber nie eine gefährliche Bran- dung, da der Wellenschlag nicht aus offener See kommt und also keine zerstörende Kraft hat. Man könnte die Rhede von Arzew mit wenigen Kosten noch bedeutend verbessern, wenn man die Lücken zwischen der Landspitze, welche die “Rhede im Westen schliesst, und den Felsen, die eine geringe Strecke davon aus dem Wasser ragen, ausfüllen würde. Dies würde der Rhede im Nordwesten einen vortrefflichen Damm geben, an dem nicht nur die Brandung sich bräche, sondern welcher den Schiffen auch einen weit bequemeren Ankerplatz viel näher am Land böte, denn bei Neu-Arzew selbst müssen 441 die Schiffe etwa 300 Ellen vom Lande entfernt ankern, weil das Meer in der Ufernähe allzu seicht ist. Zur Zeit meines Aufenthaltes lag eine Besatzung von vier Compagnien in den Forts von Neu - Arzew. Die Civilbevölkerung betrug kaum funfzig Köpfe. ' Die Umgegend Arzews zeigt nicht die mindeste Spur von Anbau. Sie’ist sehr trocken, an Trinkwasser herrscht em- pfindlicher Mangel und es wäre schwer, diesem Uebelstand anders als durch das Graben artesischer Brunnen abzuhelfen, denn die kleinen Flüsse und Bäche im Osten und Süden ha- ben schlechtes und, ungesundes Wasser, so dass man durch Canalgrabungen nur wahres Gift für Truppen und Bewohner herleiten würde. Hohe Bäume giebt es nicht in der Umge- gend, dagegen dichtes, endloses Buschwerk, so dass an Brennholz keineswegs Mangel ist. Weideplätze sind nur spar- sam vorhanden und der Graswuchs ist nichts weniger als üp- pig. Dennoch steht Arzews Umgegend im Rufe, die beste Pferderace in der Provinz zu erzeugen. Die Landschaft ist sehr reich an Wild und kein anderer Küstenpunkt hat in sei- ner Nähe noch so viele grosse Raubthiere. Es werden öfters von den Arabern Löwenhäute hier an die Officiere der Gar- nison verkauft. Kurze Zeit vor meiner Ankunft waren zwei Beduinen aus dem Stamm der Garrabas auf einer Löwenjagd verunglückt und von den furchtbaren Katzen verzehrt worden. Ein Bäcker von Arzew bot mir zwei kleine lebende . Hiyänen um geringes Geld zum Verkauf an. Eine verwundete Gazelle, ein schönes Exemplar der Antilope Dorcas, wurde während meiner Anwesenheit von einem Araber gebracht und leider geschlachtet, ‘da hier niemand war, das hübsche Thier zum Vergnügen sich zu halten. Die Hühnerjagd ist nirgends ergie- biger und ein eifriger Jäger, der nicht scheut, sich die Hände 442 ein wenig im Dornengesträuche zu zerkratzen, kann leicht bis dreissig Stück von den wunderschönen Rebhühnern der Berberei ( Perdix petrosa) täglich erlegen. Die alte Stadt Arzew, 1!/, Stunde vom Hafen ent- fernt, ist seit dem Juli 1834 völlig unbewohnt. Sie war schon damals ein höchst elender Ort, aus einigen hundert baufälli- gen Häusern bestehend, deren Bewohner aus Marokko stamm- ten und blutarm waren, blos von unbedeutendem Feldbau und: einigem Handel mit Pferden und Brennholz nach Oran sich nährten. Die ganze Einwohnerzahl Arzews betrug nicht über 400, welche von Schilluhs *) abstammten, aber Arabisch ge- läufig sprachen und friedliebende, harmlose Menschen waren. Ein Kadi, Namens Bethuna, übte die höchste Gewalt: dort aus und trat mit den Franzosen in freundlichen Handelsver- kehr. Dies zog ihm den Zorn des damals erst aufstrebenden jungen Emirs Abd-el-Kader zu, welcher ihn, da er sich wie- derholt weigerte, die Verbinduug mit den Franzosen abzu- brechen, überfallen, nach Mascara schleppen und dort erdros- seln liess. Dies bewog den damals in Oran commandirenden General Desmichels Arzew besetzen zu lassen. Er liess am 3. Juli 1834 eine Truppencolonne dorthin aufbrechen, aber Abd-el-Kader kam ihm zuvor, bemächtigte sich Arzews und zwang bei der Annäherung der Franzosen sämmtliche Bewoh- ner zur Auswanderung nach dem Innern. Nur wenigen ge- lang es, später nach Oran und Mostaganem zu flüchten. Der bei weitem grössere Theil dieser unglücklichen Bevölkerung hat jetzt unter den Stämmen der Ebene Ceirat seine Wohn- sitze aufgeschlagen. Alt- Arzew ist jetzt ein Schutthaufen, viele seiner ehemaligen Häuser sind der Erde gleich und die ®) Stämme der Kabylen in Marokko. 443 übrigen so verfallen, dass man bei dem Anblick der armse- ligen Ruinen Arzews glauben sollte, die Stadt sey schon seit undenklichen Zeiten verlassen. Unweit dieser neuen Backsteinruinen findet man auch ei- nige römische Bauspuren, die von der alten Arsenaria her- rühren sollen*). Der Alterthumsforscher Capitän Mangay vom Genie, der mit mir in Arzew verweilte, war der Ansicht, hier müsse das Portus magnus der Alten gestanden seyn und Arsenaria weiter östlich liegen. Er fand indessen unter den Ruinen keine Inschrift, die seine Meinung unterstützt hätte. Drei Stunden südwestlich von Arzew liegen bedeutende Salinen, die aber niemand ausbeutet, obschon ihr Steinsalz von vortrefflicher Qualität und die Berge daran unerschöpf- lich seyn sollen. Die benachbarten Stämme Flita und Gar- rabas versehen sich hier mit ihrem Salzbedarf, treiben aber keinen Handel damit ins Innere, da die übrigen Stämme sich lieber mit diesem unentbehrlichen Artikel aus dem Salzsee bei Messerghin versehen, wo jeden Sommer das Wasser versiegt und eine dicke Kruste auf dem Boden bleibt, deren Salz zwar dem der Salinen nachsteht, dagegen mit viel leichterer Mühe zu gewinnen ist. Die Makta, ein durch die Niederlage des Trezel’schen Heerhaufens berühmt gewordener Fluss, ergiesst sich fünf Stunden westlich von Arzew ins Meer, Er kommt von der Ebene Ceirat und ist derselbe Fluss, der weiter südlich Ha- brahu Sig genannt wird und nur durch einige Nebengewässer sich vergrössert hat. Im den Wintermonaten soll die Makta reissend, tief und bei ihrer Mündung nicht zu passiren seyn. Zu Ende Aprils, wo ich in diese Gegend kam, war an der *) Plin. descr, Afric. Lib. V. Cap. 6. Ad schmalen Mündung nur ein Fuss Wasser und der Fluss, der damals wie ein mittelmässiger Bach aussah, schien fast still zu stehen. Das Städtchen Massagran liegt sieben Stunden östlich von der Makta, eine kleine Viertelstunde vom Meer entfernt auf einer Anhöhe, Es enthält durchaus nichts Bemerkens- werthes. Seine Häuser sind klein und einstöckig, kaum ver- dient Massagran den Namen Städtchen. Seine Bewohner sind geflüchtete Kuruglis von 'Tlemsan, einige Bordschias und Duairs; ihr Hakhem ist Kaddur-Ben-Marephi. Die Umge- gend von Massagran ist ziemlich gut angebaut, Obst- und Gemüsegärten ziehen sich bis zu. dem Meeresstrand hin. Mostaganem, welches seit dem Juli 1833 in den Hän- den der Franzosen ist, steht auf dem Plateau eines Kalkfel- sens, der, eine kleine Viertelstunde vom Gestade des Meeres entfernt, sich 255 Fuss über dessen Spiegel erhebt. Die Stadt liegt unter dem 36° 50‘ nördl. Breite und 2° 11‘ westl. Länge vom Meridian von Paris. Sie enthält nahe an 5000 Einwohner, worunter 2700 Mauren, 1800 Kuruglis und Tür- ken, 500 Juden und 148 (im Jahre 1834) Europäer. Zwei ungepflasterte Hauptstrassen durchschneiden die Stadt in par- alleler Richtung; die meisten Seitengassen haben: keinen Ausgang. Die Häuser sind einstöckig, klein und in dem ge- wöhnlichen maurischen Style gebaut. Mostaganem hat neun Moscheen, von denen fünf von den Franzosen in Besitz ge- nommen wurden. Die grösste wurde in ein Hospital umge- wandelt. Man sieht in demselben eine Marmortafel an der Wand, auf der eine arabische Inschrift steht, die den Ur- sprung der Stadt unter dem Sultan Yussuf in wenigen Wor- ten erzählt. Es trieben nämlich Hirten dorthin ihre Schafe, welche, von der schönen Weide angezogen, nicht fortzubrin- 445 bringen waren. Die Schöfer selbst, von der Schönheit des Bodens überrascht, siedelten sich dort an und Allah gab sei- nen Segen. Neben der Mairie, einem unbedeutenden Gebäude, erhebt sich eine in Ruinen stehende Citadelle, Bordschi - el- Mehal, „das Fort der Störche,‘“ welches von einem Schwarm dieser Vögel in Besitz genommen, von Menschen dagegen nicht mehr bewohnt ist. Es war ein solides Bauwerk mit grossen Quadersteinen aus den benachbarten Felsen gebrochen, aber wohl mit Unrecht haben einige Franzosen dem Bordschi - el- Mehal einen römischen Ursprung zugeschrieben. Man fand ‘keine Spur von einer Inschrift, die einem Gebäude von sol- chem Umfang in alter Zeit schwerlich gefehlt haben würde. Man trifft nur ein schlechtes Wirthshaus in Mostaganem, welches ven einem Italiener gehalten wird und in dem man ein nothdürftiges Unterkommen findet. Zu Matmaros, einem von Mostaganem getrennten, höher gelegenen Quartier, wel- ches blos von der Garnison eingenommen ist, giebt es meh- rere Cantinen, die aber noch erbärmlicher sind, als die Kneipe in der Stadt. Man vermisst hier alle europäischen Bequem- lichkeiten noch mehr als in Budschia. Doch fehlt es in Mosta- ganem nie, wie dort, an frischen Lebensmitteln, und seit dem Frieden an der Tafna hatte man sich des Benehmens der Araberstämme der Umgegend nur zu rühmen. Sie brachten, gegen das Gebot Abd-el-Kader’s, ziemlich beträchtliche Vor- räthe an Getreide auf den Markt von Mostaganem, wo sich zur Zeit meines Aufenthaltes spanische Handelsleute befanden, welche dasselbe aufkauften und auf Booten nach dem Hafen von Arzew überführen , wo kleine Schiffe sich befanden, die dasselbe nach den catalonischen Häfen brachten. Ausserdem kamen auch Schafhäute, Wachs und Wolle, aber in unbedeu- 446 tender Quantität auf den Markt. Der Getreidehandel würde dort ohne die häufigen Reibungen zwischen den Franzosen und Abd-el-Kader und ohne dessen Bemühung,, ein Monopol- system nach dem Vorbild Mehemed Ali’s einzuführen, einen beträchtlichen Aufschwung nehmen, denn die Medschars, die Flita, die Haschems, die Beni - Ammer und andere reichere Stämme der Provinz haben in den verborgenen unterirdischen Silos, nach ganz zuverlässigen Nachrichten, ungeheure Vor- räthe für den Bedarf vieler Jahre aufgehänft und könnten im- mer Dreiviertheil ihrer Erndten verkaufen. Die nahegelegene Ebene von Ceirat ist für den Weizen der ergiebigste Boden in der ganzen Regentschaft Algier. Mostaganem hatte früher viel Gewerbthätigkeit. Unter seiner Bevölkerung gab es Goldsticker, Bernussweber, Teppichfabrikanten u. s. w. Dies alles ist so ziemlich verschwunden in Folge der Auswande- rung eines grossen Theiles der Bevölkerung seit der Besitz- nahme durch die Franzosen, und es giebt nur noch die unent- behrlichsten Handwerker in dieser Stadt, wie sich deren in allen maurischen Orten finden. Die Einwohner Mostaganems sind aufs äusserste verarmt, sie nähren sich kärglich vom Ertrag kleiner Gärten oder Kramläden. Ein grosser Theil der Kuruglis von Tlemsan hat sich seit 1837 dort niederge- lassen und bildet den moralischen Kern der Bevölkerung. - Einer von ihnen bekleidet die Würde des Hakhem. Die Garnison Mostaganems besteht aus drei Compagnien Infanterie, welche im befestigten Quartier Mostaganems liegen. Eine Escadron Spahis, welche alle Monate aus Oran abgelöst wird, garni- sonirt vor der Stad. Commandant von Mostaganem ist der Obrist Dubarail, ein eifriger Legitimist, der eigentlich zur Strafe hierher geschickt wurde und bis zur Zeit seiner Pen- sionirung an dem einsamen Ort ausharren soll. Die Inter- 447 essen der europäischen Civilbevölkerung vertritt der Maire, Herr Stoepfel, ein Elsasser, der unter dem Sousintendant eivel von Oran steht. Die Umgegend von Mostaganem wurde von den wenigen Reisenden, welche sie vor 1835 gesehen, als sehr fruchtbar und gut angebaut geschildert. Sie hat aber seitdem schwer gelitten. Da wegen ihrer gefährlichen Küste die Verbindung der Garnison mit Oran Monate lang unterbrochen blieb und die Flita, sowie die übrigen Stämme der Gegend, dem Be- fehle Abd-el-Kader’s gehorsam, alle Verbindung mit der Stadt abbrachen, ja die kleine Besatzung im Umkreise einer Stunde in Blokade hielten, so waren die an Allem, namentlich an Brennmaterial nothleidenden Soldaten genöthigt, die Ressour- cen des Bodens nach einander aufzuzehren und viele Orangen- und andere Fruchtbäume fielen damals unter der Axt und mussten die Commissbrodsuppe kochen. Die Häuser ausser- halb der Mauern mussten niedergerissen werden, damit keine Feinde sich dort in Hinterhalt legen konnten, daher stösst das Auge namentlich im Osten der Stadt allenthaben auf Spuren der Zerstörung, neben Gräbern liegen wüste Backsteintrüm- mer, unter denen sich eine Menge Reptilien angesiedelt ha- ben, so dass fast unter jedem Stein, den man umwälzt, Nat- tern oder Scinke über den Trümmerboden fliehen. Das Ter- rain von Mostaganem ist bis auf eine Stunde südlich von der Stadt sehr sandig, übrigens durch Bäche und Quellen gut be- wässert. Alle Pflanzen gedeihen in der Nähe der Bächlein rasch und üppig. Herr Texier, der vor Herrn Stoepfel Maire der Stadt war, hat in der grossen östlichen Schlucht einen Versuchsgarten anlegen lassen, wo die Baumwolle weit besser als bei Algier gedeiht, und die Proben, die ich davon nach Marseille mitbrachte, wurden von allen dortigen Baumwoll- 448 kennern bewundert. In den Privatgärten der Umgebung wird auch .die Henna (Lawsonia inermis) gepflanzt, welche den röthlichen Färbestoff giebt, mit dem die Eingebornen sich Nägel, Hände und ihren Kindern die langen Haare bemalen. In der Umgegend von Algier kommt die Henna nicht fort. Die ganze übrige wilde Vegetation, welche nicht nahe am be- wässerten Boden wuchs, war zur Zeit meines. Aufenthaltes im Mai 1838, wo ungewöhnliche Trockenheit herrschte, schon ziemlich verdorrt. Ich fand in der Umgegend manche inter- essante Thiere. Ein mit Unkraut bewachsenes Sandfeld im Westen der Stadt war in allen Richtungen von dem Bau des Meriones robustus durchfurcht. Auf drei Quadratschuh kam immer ein Loch, welches in die unterirdischen Nestgänge dieser röthlichbraunen, weissbauchigen Ratten führt. Sobald die Sonne untergegangen, verliessen sie ihre Schlupfwinkel und ich schoss sie da leicht mit der Schrotflinte, Unter den Steinen findet sich ziemlich häufig Amphis- baena Wiegmanni, eine interessante Reptilie, die ich ausser- dem nur am Cap Matifu, bei Algier aber nur selten traf. Von Mollusken erbeutete ich nichts Neues, wohl aber von Co- leopteren, unter denen die seltene Art Laphyra Audouinii, -die noch in keiner andern Gegend aufgefunden worden. Ich brachte in Mostaganem drei vergnügte Wochen in Gesellschaft des Maire und des Commandanten der Spahis- escadron Abaibi zu; letzterer ist aus Syrien gebürtig und Sohn eines Obristen der Mameluken, der in Napoleon’s Dien- sten stand. An unserm Tische assen öfters angesehene Ein- geborene, der Hakhem, dann der Ukil Abd - el- Kader’s, der ein Bruder Hadschi-Bukhari’s von Mascara ist, Kaddur-Ben- Marephi, ehemaliger Kaid des einst so mächtigen, 'nun 'zer- streuten Stammes der Bordschia, welcher zu Massagran von 449 einer kleinen Pension lebt, endlich Kaddur-el-Sarak (Kaddur der Seeräuber), welcher, vormals ein gefürchteter Pirat, jetzt vom Ertrag eines Schiffchens lebt, mit dem er in jeder Jah- reszeit und bei jeder Witterung die Verbindung zwischen Oran und Mostaganem unterhält, während spanische und fran- zösische Schiffer nur bei ganz ruhiger See die Fahrt wagen. Mostaganem hat, wie schon erwähnt, gar keine Rhede. Neun Monate des Jahres hindurch tobt hier die Brandung furchtbar an den Felsen und kein Schiff wagt, selbst bei ru- higer See, länger als einen Tag hier zu verweilen. Trotz aller Vorsicht ereignen sich aber doch viele Schiffbrüche, Re- ste von gestrandeten Wracks gewahrt man allenthalben am Ufer und unweit Massagran sieht man an der Küste sogar ein gescheitertes Dampfschiff, den Salamander, dessen ei- serne Maschine noch aus den beständig umwogten Klippen hervorragt. Vier Stunden östlich von Mostaganem fliesst der Schelif, des Landes bedeutendster Fluss, den nur sehr wenige Euro- päer gesehen haben und über dessen Schiffbarkeit die Mei- nungen noch verschieden lauten. Shaler, ein Amerikaner, der vor vielen Jahren über Algier geschrieben, hielt ihn für schiffbar, Pellissier, der 1934 eine Reise in die Provinz machte und an die Ufer des Schelif kam, behauptet hinge- gen, der Strom habe fünf Stunden vor seiner Mündung, trotz seiner bedeutenden Breite, nicht genug Wasser mehr, um grosse Barken zu tragen, und man dürfe auf den Schelif zur Binnenschifffahrt nicht rechnen. Yon sämmtlichen in Mosta- ganem ansässigen Europäern hatte nur einer, der jüngere Sohn des Obristen Dubarail, den Schelif besucht, aus seiner confusen Beschreibung liess sich aber kein Urtheil bilden. Zur Zeit meines Aufenthaltes stand Mustapha-Ben-Thaui, Morıtz Wasner’s Algier. 1. 29 450 der Khalifa von Mascara, unweit des Schelif mit einem Heer, welches den Tribut von den dortigen Stämmen eintrieb. Ein Theil der Flita verweigerte denselben und wechselte mit den Truppen des Khalifas Flintenschüsse. Es war dies zu einem Ausflug an den Schelif eben kein günstiger Augenblick, den- noch würde ich ihn unternommen haben, hätte ich bei dem Obristen Dubarail, dem ich gleichwohl vom General Rapatel warm empfohlen war, irgend eine Unterstützung gefunden. Dieser Oberofficier, von sehr unverträglichem Charakter, machte beständig Schwierigkeiten, verweigerte mir jede Es- corte und schilderte mir die Gefahren einer solchen Reise so schwarz, dass ich am Ende abstand. Gleichwohl wagte ich mich bis zu einem Berg, zwei Stunden von Mostaganem, wo man den Schelif von fern sieht. Er mag in der Nähe sei- ner Mündung wohl dreimal so breit seyn, als der Rhein bei Strassburg und soll einen weit raschern Lauf als alle übrigen Gewässer des Landes haben. Sein schmuziges Wasser färbt das Meer graubraun bis zu einer Entfernung von zwei Stun- den von seiner Mündung. 451 Anhang. Geographische Bemerkungen über die Regentschaft Algier. Die Regentschaft Algier erstreckt sich vom 15° 32 bis zum 26° 12° östl. Länge. Ihre Breite von Norden nach Süden ist abwechselnd nicht genau bekannt. Nimmt man in der östlichen Provinz Constantine die Fortsetzung des Blad- el-Dscherid oder dürren Landes, welches etwa vierzig deut- sche Meilen in gerader Richtung von der Mittelmeerküste be- ginnen soll und das die Eingebornen weit mehr unter dem Namen Sah-ra kennen — es mag mit seinen dürren Hü- geln und wenig fruchtbaren ausgedehnten Ebenen wohl ein ‘Vorbild der grossen Sandwüste geben — als Südgränze des ehemaligen Deygebietes an, so mag wohl die grösste Breite der Regentschaft Algier funfzig bis sechzig Meilen, in den Provinzen Titeri und Oran, wo der anbaufähige Landstrich weit schmaler ist, höchstens vierzig deutsche Meilen betragen. Die Oasen Tuggurt und Wurglah, die Länder der Mosabi- ten und der Staat Ain-Maadi, welche ihre Unabhängigkeit gegen die Algierer Deys stets zu behaupten wussten, sind in diese Gränzen nicht mit inbegriffen. Da die Südgränzen dieses Landes noch nicht genau er- mittelt sind, da noch kein europäischer Reisender den ganzen 29 * 452 nördlichen an die Regentschaft Algier stossenden Rand der Sahara der Länge nach durchzogen und nie ein französisches Corps bis über vierzig Lieues von der Küste sich gewagt hat, so sind alle Schätzungen des Flächeninhaltes natürlich nur sehr unsicher und abweichend. Cannabich nimmt 9000, Gatterer 8957 DO Meilen an, andere Geographen schätzen den Flächeninhalt nur auf 4218 DI Meilen. Die ganze Regentschaft Algier wird von Westen nach Osten von Bergketten durchschnitten, deren mittlere Höhe nicht über 3000 Fuss über dem Mittelmeer beträgt. Man be- zeichnet dieses Gebirge unter der vagen Benennung Atlas, was in der Berbersprache ., Steigen“ bezeichnet. Desfontai- nes sagt, das Land sey von zwei Ketten durehschnitten, dem kleinen Atlas, der bei Tabarka an der Gränze der Regent- schaft Tunis beginne und bis Marokko sich fortziehen soll, und dem grossen Atlas, der am Rande der Wüste, mit dem kleinen Atlasparallel laufe und die Nordgränze der Sahara bil- den soll. Allein Desfontaines sagt über diesen „grossen Atlas“ durchaus nichts Näheres. Sicher konnte er ihn auch nicht selbst gesehen haben, da er in den südlichen Theilen der Regentschaft gewesen und nicht einmal Biskara erreicht hat. Ganz gewiss hat er sich zu dieser Angabe nur durch die vagen Berichte einiger alten Geographen verleiten lassen. Ptolemäus erwähnt nämlich eines Atlas magnus, der sich vom Trauerpass Harudsch westwärts bis zum atlantischen Ocean hinziehe. Alle spätern Geographen schrieben dies auf seine Autorität hin nach. Auch von den neuesten französischen Karten stellen die meisten an den Rand der Wüste eine Ge- birgskette hin mit der Bezeichnung grand Atlas. ‘ Aber weder Desfontaines, noch seine Vorgänger Shaw, Peyssonel, Bruce, sind über vierzig dentsche Meilen von der Seeküste 453 nach Süden vorgedrungen. Was sie also über die südlichen Bergzüge des. Atlas jenseits des Aurass sagen, konnten sie nur den Erzählungen der Eingebornen entnommen haben, die hier aber so unwahr, so abweichend, so verwirrt lauten, wie in Nubien und in den Sudanländern, wo fast alle gründlichen Reisenden über diese gänzliche Unzuverlässigkeit der Aussa- gen der Afrikaner, über ihre Begriffslosigkeit und die Un- möglichkeit, von ihnen über irgend ein Land, Gebirge, Stadt, Wüste, Thier eine Schilderung, in die nicht die Phantasie sich eingemischt hätte, zu erhalten, Klage geführt haben; und ich verweise hier nur auf das, was der schlichte, wahrheits- treue Burkhardt oder Bruce, Salt und andere Reisende dar- über äussern. Etwas mehr Vertrauen verdienen die im Ganzen ziemlich genau zusammenstimmenden Aussagen der Renegaten, von denen namentlich die Mittheilungen Baudouin’s, der in das Land der Beni-Mzab gedrungen und die mosabitische Sprache erlernt hatte, Geistinger’s, Berndt’s und anderer Fran- zosen und Deutschen im Dienste Abd-el -Kader’s, welche im Jahre 1837 dessen Zug durch den Kobla begleiteten, Auf- merksamkeit verdienen. Alle diese Renegaten stimmten mit ihren Versicherungen überein, dass es weder zwischen dem Aurass und Biskara, noch im Süden der. Provinz Titeri, noch auch an der Gränze des Kobla, der westlichen Fort- setzung des Blad - el- Dscherid, hohe Gebirge gebe. Im Ge- gentheile würden, sagten sie, die Bergzüge von Constantine, Setif, Medeah, Miliana, Mascara immer niedriger, je weiter man sich den Ebenen des Blad-el- Dscherid oder Kobla nä- here, und die Nordgränzen dieser trockenen Steppen beständen aus öden, wellenförmigen mit Disteln und Palmen bewachse- nen trockenen Hügeln. Dasselbe bestätigten alle Biskris, Mo- sabiten, die ich in Algier gesprochen, alle Beduinen der Sa- 454 hara und des Kobla, so namentlich Mohamed - Budsaid imd mehrere Scheikhs der Angad, die ich in Mascara sah. Das- selbe sagten die Renegaten in Abd-el-Kader’s Heer zu Adrian Berbrugger und zum Doctor Bodichon, welche den Emir Abd-el- Kader zu Hamza besuchten. Derselben Ansicht sind alle der arabischen Sprache kundigen Officiere, welche die Eingebornen oft hierüber ausgeforscht haben, wie Pellissier, Lamoriciere, Sainte-Marie, oder Militairs, die im Innern des Landes Commandos hatten und die Expeditionen begleiteten, wie die Oberofficiere Cavaignac, Levaillant, Magagnos. In der Provinz Oran erhebt sich jenseits des Berges Zickar bei Miliana keine Kette, keine Gruppe, kein isolirter Berg mehr über 4000 Fuss. Der Dschibel-Dschurschura im Ge- biet des Uthan Sebau, der Aurass (Mons Aurasius im Mit- telalter, Addov bei Ptolemäus) und der Zickar sind aller Wahrscheinlichkeit nach die höchsten Gipfel am Algierer Atlasgebirge. Diese Gebirge laufen meist der Meeresküste entlang und bilden dann die Uferklippen, öfters sind sie aber davon getrennt durch mehr oder minder breite Ebenen, wie bei Bona, Stora, Budschia, Mostaganem, Oran, von denen die meisten bogenförmig sind. Manchmal sind diese Gebirge, ausser durch Ebenen, auch durch sogenannte Massifs, Sahel, oder Hügelländer, wie bei Algier und Arzew, vom Meere ge- schieden. Diese Hügelgruppen werden dann wieder durch Ebenen getrennt, wie bei der Metidscha und den Gefilden des Sig. | Tiefer im Lande in einer Entfernung von dreissig Stun- den von der Küste beträgt die Länge der von Westen nach Osten laufenden Ketten selten über vierzig Stunden; sie wer- den daun wieder durch zwischenstehende Ebenen getrennt, oder sind nur schwach verbunden durch niedere, dammartige 455 _ Aufwürfe. Zwischen Bona und Constantine zeigen sich ei- gentlich nur vier deutliche Kettenbildungen, zwischen denen manchmal Aufwürfe von 9 — 600 Fuss in Gruppen stehen. Acht Stunden südlich von Constantine zieht sich eine vierte Kette hin. In der Provinz ÖOran giebt es drei Ketten von der Seeküste bis Mascara. Zwei weitere erblickte ich vom Gipfel des Schruab -el- Rähah, im Süden der Ebene Eg- gres; ihnen folgt noch eine sechste kleinere. Der Renegat Geistinger (Amidu), der am häufigsten im Dienste Abd - el- Kader’s Reisen nach Tekedemt, dem Kobla und einmal so- gar nach Marokko unternahm, versicherte mir, dass es dann weiter keine zusammenhängenden Bergreihen bis zur Sahara gebe, sondern nur isolirte Gruppen, welche überhaupt schon in einer Entferuung von vierzig Stunden von der Küste noch vorherrrschend sind. Zwischen Algier und Medeah, der Hauptstadt der Provinz Titeri, erheben sich zwei Ketten von etwa 25 Stunden Länge, deren Extremitäten nach Norden _ zum Meere sich hindrängen und niedriger werden. Vier Stunden südlich von Medeah steht eine dritte Kette von glei- cher Höhe. Commandant Levaillant, der sie erklimmt hat, er- zählte mir, dass er etwa fünf Stunden weiter südlich eine vierte Keite gesehen habe, niedriger als die drei ersten; nir- gends aber habe man dort eine Spur von einem grossen At- lasgebirge gesehen. Einen Theil dieser genannten Ketten kann man vom Gipfel des Ras-el-Hammar im Süden der Me- tidscha und vom Schruab-el-Räha bei Mascara deutlich ge- nug bis zu ihren meist nordwärts ausgekrümmten Extremitä- ten verfolgen und sich überzeugen, dass sie nicht mit andern Ketten weiter in Osten oder Westen verzweigt sind. Ob dies bei allen Kettenzügen der Regentschaft der Fall ist, kann ich nicht bestimmt sagen, und alle Meinungen der mit der 'Topo- 456 graphie des Landes beauftragten französischen Officiere des Generalstabes in Algier, Bona und Oran waren hierüber eben so schwankend. Ersteigt man in den Provinzen Oran und Constantine die höchsten Berge, wie den Schruab-el- Rähah oder den Gipfel des Ras -el-Akba, und versucht eine genaue Zeichnung dieser wildverworrenen Höhenzüge, so erkennt man die ausserordentliche Schwierigkeit einer solchen Arbeit, welche noch von Keinem gelöst, von Keinem unternommen worden. Man überblickt ein Chaos von Gebirgen in den un- regelmässigsten Formen, bald Ketten, die nach den verschie- densten Richtungen auslaufen und verzweigt oder auch unzu- sammenhängend sind, bald sieht man wieder einzelne Grup- pen, ja ganz isolirte Kegel, wie den Dschibel-el -Sbua_ zwi- schen Arzew und Oran. Shaw, der das Land weiter durch- wandert hat und in den innern Städten, die jetzt unter Abd- el-Kader stehen, länger verweilte, als es .heutiges Tages möglich ist, sagt ganz richtig an einer Stelle seines Werkes, es sey sehr schwer, auf dem wildverschlungenen Gebirge eine Hauptkette herauszufinden, die auch wohl in der That nicht existirt. Seine übrige allgemeine Schilderung des Atlas ist zwar etwas karg, aber treffend. ,,‚Dieses Gebirge,“ schreibt er, „kommt selten einem unserer höchsten Berge Grossbritan- niens gleich und ich zweifle sehr, dass man selbst die erha- bensten Gipfel mit den Alpen und Apenninen in Parallele stellen kann. In der Regel sind die Berge 4-, 5- oder 609 Ruthen hoch. Ihre Abhänge sind meist leicht zu erklimmen. Man findet auf ihnen mehrere Fruchtbaumarten und anderes hochstämmiges Holz. Hier und da giebt es Abgründe, von höheren, steileren Felsen, als die übrigen, gebildet. Man denke sich auf dem Abhang oder Gipfel einen Daskrah, oder ein Dorf der Kabylen, welches durch eine Erdmauer umschlos- 457 sen ist, so hat man den richtigsten und genauesten Begriff, den man sich von diesen Gebirgen machen kann. “ Unter den neuern Schriftstellern sagt Pellissier in sei- nen Annales Algeriennes: „Das Land ist von Westen nach Osten von den Atlasgebirgen durchzogen, welche aus mehre- ren parallel laufenden Ketten bestehen, durch tiefe Thäler getrennt und manchmal durch Zwischenketten verbunden sind. Die nördlichste dieser Ketten nennen wir den kleinen Atlas. Sie liegt in geringer Entfernung vom Meer, dem sie sich manchmal dergestalt nähert, dass die flache Zone, welche man an den meisten Stellen zwischen ihr und dem Meer be- merkt, ganz verschwindet. Im Süden der Atlasgebirge findet sich, ehe man die Westküste betritt, eine weit grössere fla- che Zone, das „Blad-el- Dscherid“ oder Dattelland. Ausser- dem erweitern die Thäler der verschiedenen Ketten sich oft so, dass sie wahre Ebenen bilden, von denen einige sehr be- trächtlich sind.“ „Der Atlas‘ — schreibt Cavaignac, der ehemalige Com- mandant von Tlemsan, in seiner politischen Brochure über die Regentschaft — ‚der Atlas ist ein ungeheurer Massif, von funfzig Lieues Breite oder darüber. Seine schwerfälligen Zweige laufen in allen Richtungen aus. Er umschliesst im Norden lange und fruchtbare Thäler, durch welche seine sehr zahlreichen Gewässer nach dem Meere fliessen. Im Süden versinken seine Abhänge in weite Ebenen von 'zweifelhafter Fruchtbarkeit bis zut Sahara, diesem Meer des Südens, wo sich ohne Zweifel die in dieser Richtung fliessenden Gewäs- ser des Atlas verlieren, wenn der Brand der Sonne und die dürre Erde sie nicht schon unterwegs hemmen. Der Atlas ist also nicht eine Reihe von Kegeln, gleich den Pyrenäen und Alpen, welche zwei verschieden bewohnbare Länder tren- 453 nen könnte. Der Atlas ist die Regentschaft selbst. Auch der Araber bewohnt den Atlas, unsere Landstrassen durchschnei- den ihn und es ist bei seinem unregelmässigen Laufe nicht möglich, durch ihn bestimmte Gränzen zu ziehen. “ Ritter, welcher in der zweiten Ausgabe seiner Erdkunde fast blos auf ältere Quellen sich stützt und deren Angaben mit bekanntem Fleiss, Scharfsinn und Gründlichkeit zusam- menstellt, will vier verschiedene Gebirge unterscheiden. „1) Grosser Atlas. Gränzberge gegen die Sahara. Von dem Trauerpass Harudsch westwärts ziehen sich mannichfal- tige Bergzüge, unter verschiedenen Namen, die uns keinen Aufschluss über ihre Beschaffenheit gewähren, nach Westen hin, bis zur Küste des atlantischen Oceans; von den Landes- bewohnern werden sie die grossen Berge (Ayduaral) genannt, und seit Ptolemäus haben sie den allgemeinen Namen des grossen Atlas (Atlas magnus) erhalten. Von diesem Berg- zuge gilt es, dass sein Südabhang den weiten Ebenen des dattelreichen Küstenstriches, dem Biledulgeried, zufällt; aber hier ist durchaus nicht an Eine zusammenhängende Bergkette zu denken. In diesem Sinne ist die Nachricht aller arabi- schen Geographen vom grossen Atlas zu verstehen, durch die wir, bis auf wenige neuere Zusätze, fast alle unsere Kennt- nisse dieses Berglandes besitzen.“ „2) Kleiner Atlas. Die Küstenkette gegen das mittellän- , dische Meer. Verschieden von dem vorigen, lernen wir diese Küstenkette nicht durch die continentalen Araber kennen, welche den langen grossen Atlas von der Landseite her zu- erst erblickten und überstiegen, sondern durch Küstenfahrer. Weit später erst, als jener lange Zug, erhielt sie als Gegen- satz den Namen des kleinen Atlas.“ 459 '„Strabo weiss, dass er vom Vorgebirge Kotes (am Aus- gang der Strasse von Gibraltar, in den Ocean, nach dem Sky- lax) durch Marusien bis zu den Syrten laufe, also ganz wie Della Cella beobachtete, dass er wie die übrigen mit ihm gleichstreichenden Gebirge bewohnt sey, im Anfang von Ma- rusiern, weiter im Innern des Landes von der grössten Liby- schen Völkerschaft, den Gätulern, deren Gebiet sich bis zu den Syrten erstrecke. “ „Die neueren Geographen aber verstehen unter dem klei- nen Atlas nur dasjenige minder hohe , aber steile, zerrissene Küstengebirge, welches von der Strasse von Gibraltar ostwärts die ganze Küste der Berberei, durch die Staaten von Marok- ko, Algier und Tunis zieht. Es schliesst sich in Westen an den hohen Atlas von Fez und Marokko an, in Osten aber, nachdem es bis Titeri (Provinz im Südost von Algier) mit der Küste ein gleichmässiges, paralleles Streichen hatte, biegt es sich vom Dschurschuragebirge an gegen Südost herum. Diese Wendung geschieht an den hohen Bergen Wannougah und Jaite,, welchen weiterhin in Osten, doch wieder parallel mit der Seeküste, die Berge Wellad- Selim, Mustewah, Au- ress und Tipasa, im Staat von Tunis lg, bis gegen den Golf von Kabes. “ „Der äusserste, westlichste Gränzstock des kleinen Atlas bildet am Osteingange der Strasse von Gibraltar die eine der Säulen des Hercules (“Heoxısıa ory%a), der siebenköpfige Berg Abila, unser Cap von Ceuta, welche den Alten die Gränzen des Oceans (ab his ora interni maris) und des Mit- telmeeres waren. Daher ist das westlicher liegende Cap So- lonis ( Cap Spartel der Neuern) schon dem Herodot als die Gränze von Libyen bekannt, dem karthagischen Admiral liegt es schon im Gebiete des Beherrschers des Oceanos, dem er 460 hier den ersten Altar erbaute, um dessen Gunst zu seiner Fahrt zu erflehen.“ „Dieses Cap von Ceuta ist es, das heute in der Berber- sprache Jibbel d’ Zatute (der Affenberg) heisst, mit steilen felsigen Höhen aus dem Meere aufsteigt, und die westlichste Provinz El Garb (d. h. der Westen) des grossen El Magred (d. h. Westland ) füllt.“ „Von der Provinz Errif, welche der kleine Atlas nun durchzieht, erhält er auch selbst den Namen Errif, sein mau- rischer, Jibbel arif, ist wohl dasselbe. “ „Von hier an weiter im Osten längs den Küsten , durch Algier, vom Cap Mellila bis gegen Tunis hin, zeigt sich der kleine Atlas im Allgemeinen in gegen das Innere man- nichfach aufsteigenden Hügelreihen, die kaum 4-, 5 — 600 Fuss senkrechte Höhe haben, grossentheils mit Wäldern und Fruchtbäumen bedeckt sind, die nur hier und da durch steile Felswände am Gehänge der Berge und durch nackte, hervor- ragende Klippen auf ihren Gipfeln unterbrochen werden. Er hat durchaus keine bedeutende Mächtigkeit und Höhe, und so weit der treffliche Shaw sie beobachtete (er lebte zwölf Jahre lang im. Gebiet von Algier), sahe er sie kaum zu der Höhe seiner vaterländischen Berge sich erheben. “ „Im Osten von Algier wird die Küstenkette bis Bona weit felsiger und rauher, darum sie schon Abulfeda El Adwah, die Höhe, genannt hat. Hier springen gewaltige Felsufer als hohe Caps in das Meer vor und bilden um den Golf von Bona das Cap Rosso (bei La Cale) bei der Insel Galita, und der Südspitze von Sardinien gegenüber die schaudervollsten Felspartien. Ein schwarzer, poröser Sandstein (gres @ fül- trer) von tausendartigen Höhlen und Grotten durchbohrt, voll scharfkantiger Rücken und Spitzen, wird hier unaufhörlich 461 von den Wellen gepeitscht, in Nadeln und Zacken gespalten. Die vom Meere ausgehöhlten Grotten reichen wohl halbe Vier- telstunden weit landeinwärts; in ihre unterirdischen Gebiete stürmen die Meereswogen ein. Nur die eisenhaltigen Adern, welche den Sandstein nach allen Richtungen durchziehen, scheinen ihn zusammenzuhalten. Hier senken sich die Sand- bänke von Süden nach Norden, und stürzen oft steil in das Meer. Ihr Streichen mag also wohl von Westen nach Osten gehen. Noch weiter nach Osten dauern über Tabarca, Cap Nero u. s. w. diese Klippen fort, die für den Schiffer um so fürchterlicher sind, weil durch ihre Trümmer unzählige Sand- bänke an den Küsten entstehen, die keinen wirklichen Hafen darbieten, das Schiff in der Gefahr aufzunehmen. Dies war die westliche Schutzmauer für Karthago.“ „9) Der mittlere Atlas; das Plateau. Tiefer landeinwärts zwischen den beiden Parallelketten des kleinen und grossen Atlas, die beide von Westen nach Osten ziehen, streichen viele andere, mittlere Bergzüge, theils in gleicher Richtung mit ihnen, theils in mannichfaltiger Verbindung. Sie bilden ein breites, hohes, von vielen Thälern, Ebenen, muntern Flüs- sen und frischen Bergweiden durchzogenes Bergland. Im Sü- den von Constantine bis gegen die lange Gränzkette Buzara der Sahara ist es nur hügelig, gegen Westen zum hohen At- las steigt es terrassenweise immer höher auf. Durch seine erhabene Lage über dem Meere und den Glühewüsten gewinnt es eine überaus milde Temperatur, die von den Arabern sehr gerühmt wird. Edrisi glaubt, dass keine Gegend diesem Berglande an Fruchtbarkeit, weiter Ausdehnung und reicher Bevölkerung (frequentia domiciliorum) gleichkomme.“ „Leo sagt, dass sich.die Berge und Hügelketten des klei- nen Atlas von der Küste aus landeinwärts an 100 Meilen 462 bald mehr bald weniger erweiterten; und von ihnen fallen reizen- de, klare Bäche und Flüsse (von denen doch nach Shaw auch manche salzig sind) nach dem Meere zu; gegen den langen At- las hin ziehen sich Hügelreihen und Ebenen, die alle vortreff- lichen Boden haben, der Getreide im Ueberfluss und die be- sten Früchte erzeugt. Gegen Osten sind es die Tunesischen Landschaften, das Zeugitana und Byzacena, die berühmten Numidischen Kornkammern der Karthager; gegen Westen die Landschaften von Sejelmessa (richtiger Sejin-Messa nach Jackson) und mehrere marokkanische Provinzen.“ „Die grössten Höhen dieser mittlern Bergketten, welche überall aus Kalkstein, zumal landeinwärts, voll Versteinerun- gen bestehen sollen, tiefer gegen den hohen Atlas aber aus quarzhaltigen Gebirgsarten, schienen Desfontaines im Süden von Algier und Oran nicht über 7200 Fnss (2400 Metres) Meeresfläche zu haben. Auf ihnen liegt nirgends ewiger Schnee; da wachsen schöne Waldungen von Nadel - (Pinus alepica) und Laubholz (zumal Eichenarten , Quercus suber, pseudosuber, ilex, coccifera und ballota) und der schöne Oleander (Nerium oleander) wuchert aus den Thälern bis zu den Höhen hinauf. “ „Wannaschrife ist in der westlichsten Provinz von Algier der höchste, der Dschurschura (Mons ferratus der Alten?) in der östlichen der höchste dieser Berge. Dieser hat be- baute Gehänge, aber sein Rücken wird durch eine ununter- brochene .Kette nackter Felsenwände und Abgründe gebildet, die im Winter mit Schnee bedeckt, und dadurch so unzu- gänglich werden, dass sie für diese Zeit einen Waffenstill- stand zwischen den Bewohnern ihrer beiderseitigen Gehänge erzwingen, die sonst immer in unversöhnlicher Feindschaft leben. 463 „Die noch steiler abstürzenden Berge von Titeri, zwischen diesen beiden, bilden fast unzugängliche Kuppen und Klip- pen, welche von den Bewohnern als Zufluchtsorte, feste Bur- gen, zumal als Speicher und Magazine zur Sicherung ihrer Kornvorräthe benutzt werden.“ „Ueberhaupt scheint diese Steilheit der Felswände und sehr enge, senkrecht eingerissene Schluchten, die sie plötzlich bis in die Tiefe der T'häler durchsetzen , diesem Berglande, und selbst dem hohen‘ Atlas, charakteristisch zu seyn. Diese durch- schneiden sie so, dass man zu beiden Seiten der Engpässe die horizontalen Schichten der Gebirgsarten deutlich aufstei- gen sieht, die nicht zusammengehängt za haben scheinen. Sie sind oft nur sechs bis sieben Fuss breit, aber fürchterlich steil (wahre Spalten), so dass wenige Menschen ganzen Hee- ren den Eingang verwehren würden. Daher werden sie von den Arabern Beban (d. i. Pforten), von den Türken Demir Capy (eiserne Thore, wie in Persien, am Kaukasus, in der Türkei u. s. w.) genannt. Mehrere dieser Pässe fanden sich z. B. auf dem kurzen Wege von Algier nach Constan- tine ein.“ „4) Hoher Atlas; Daran. Unter dem hohen Atlas, den wir nur allein von der marokkanischen Seeseite hin meistens durch europäische Reisende kennen gelernt haben, verstehen wir die höchsten Erhebungen dieses Gebirges, die in der Nachbar- schaft des atlantischen Oceans die furchtbare Küstenterrasse des Kaiserthums Marokko und Fez, von den südlichen und östlichen Provinzen Suse, Tarudant und Sejelmessa scheiden. Sie sollen’in einem grossen, zusammenhängenden Zuge meh- rerer parallelen Gebirgsketten, vom kleinen Atlas in Errif ge- gen Südwest ziehen , und zwischen dem Drahafluss und dem Cap de Ger in die Fläche der Sahara abfallen. “ 464 „Um Fez und Mequinez bilden sie nur mittelhohe Berge, in denen der edelste Menschenschlag wohnt, zumal die Frauen, ohne Ausnahme, von der schönsten Bildung sind. “ „Von Marokko, der Residenz, aus steigen die Gebirgs- ketten gegen Ost schon in einer Entfernung von einer halben Tagreise auf zu den Gipfeln, die bei dieser Stadt die Na- men Ulstan, Orika, Emsfiva, Tagana, Fraga, Suitana, Ged- meva, Rgagaia, bei Fez aber Zavias, Itata, Zaimbi u. a. m. führen.“ „Die höchsten Gipfel, welche man von Marokko aus das ganze Jahr mit Schnee bedeckt sicht, \ziehen in einer Reihe nur sechs deuische Meilen (dreissig englische zeles) in Ost von dieser Stadt vorüber und von Mogadore, der Küstenstadt, 28 deutsche Meilen (140 englische a2Zes) weit, sieht man noch ihre Kegelgipfel an heitern Tagen. Die ewige Schnee- höhe setzt unter 34 Grad nördlicher Breite eine absolute Höhe von 10,500 Fuss über dem Meere voraus; doch scheinen nir- gends weitläufige Schneefelder die Höhen zu bedecken, nur einzelne Gipfel ragen in diese Schneeregion empor.“ „Leo nennt nur einen einzigen Gipfel, den Hanteta, den höchsten Berg, den er gesehen, wahrscheinlich über der ver- fallenen Stadt Tessa, welcher mit ewigen Schnee bedeckt sey ; von den andern sagt er nur, auf ihnen schneit es das ganze Jahr und öfters kommen oben Karavanen vor Kälte um. Eine Behauptung, die, so auffallend sie auch ist, doch von allen spätern Erzählern wiederholt wird. Marmol sagt, dass auf den hohen Pässen der Schnee zuweilen in einer Nacht eine Lanze hoch fällt, und die Kälte auf den Höhen soll im Win- ter für Thiere und Menschen, selbst für die einheimischen Bergbewohner tödtend seyn (?). Dass man im Januar übri- gens alle Berggipfel von Marokko aus weiss sieht und dadurch 465 das Klima: dieser Stadt selbst sehr abgekühlt wird, kann nichts Auffallendes seyn. Gletscher finden sich nirgends.“ „Mit solchen grässlichen Steilklüften ist die ganze Berg- kette des hohen Atlas, welche die Ebenen Marokkos von de- nen im Südosten trennt, überall durchrissen. Hier zeigt sich ein: Charakter des Hochlandes der Berberei, den wir auch schon oben berührten.‘ „Wenn man von Tafilet (Tafilelt nach Jackson) nach Ma- rokko zu über die Bergkette zieht, so führt der Weg die er- sten fünf Tagreisen über vollkommen vegetationsleere Ebenen, auf denen es nie regnet. Dann übersteigt man in drei Tag- reisen im hohen Atlas einen solchen Pass, der über die Rui- nen von Pharoah und dann nach Fez führt; eben solche Pässe geleiten von Sejelmessa eben dahin.“ „Diejenigen Horden, welche im Besitze dieser Pässe sind, werden wohlhabend und reich, durch die Zollabgaben der Sudan- karavanen, welche durch diese Pforten hindurchziehen müs- sen in das Küstengebiet.‘“ „Ein ‚solcher Pass, schmal, wie durch Felsen gehauen, vierzehn bis funfzehn Stunden lang, leicht durch wenige Mann zu vertheidigen, liegt in der Provinz Quenana, zunächst an Sejelmessa auf dem Wege nach Fez, und hat seinen Eingang am Zisfluss; drei feste Burgen vertheidigen ihn, Tamaracost am Fluss, Gastir am Flusse der Ebene, und Zahbel auf der Höhe. Ein solcher Pass ist bei Agmet, durch welche numi- dische Horden alljährlich im October mit Datteln und Kamee- len auf die Märkte von Marokko ziehen. _ Aehnliche Pässe durchreisen die Karavanen, die nordwärts bis zum kleinen Atlas und bis zum Cap Blanco ihren Weg nehmen.“ „Anmerkung I. Namen Atlas und Daran. 1) Atlas. Ueber die Bedeutung des uralten Namens Atlas, den schon Morırz Waener’s Algier, 1. 30 466 Homer kennt, mit dem schon Herodot den äussersten Berg im westlichen Libyen am Salzmeere (“Aög) unverkennbar be- zeichnet, der in der Sage der Atlanten, wie in der römi- schen Geschichte, eine so grosse Rolle spielt, können wir uns nicht in Untersuchungen einlassen. Die marokkanischen Etymologen wollen ihn bald von ihrem tla, welches Aufstei- gen bedeutet und vom Aufsteigen der Sonne gebraucht wird, bald von Jibbel Attils, d. h. Schneeberge, herleiten u. dgl. m. Auf jeden Fall ist es uns merkwürdig, dass die erste historische Bedeutung davon, die des Herodot, an der Küste des Mittel- meeres war, und die Homerische Dichtung weist auf ihren ersten tyrischen Ursprung hin. Wahrscheinlich ein Uferberg im westlichen Gebiet von Karthago, welcher des Meeres Tie- fen gesammt durchschaut (öore $alaoong noong P&vdeu older), vielleicht da, wohin wir jetzt das östliche Ende des kleinen Atlas setzen. Aber durch die Meerfahrten der Karthager, die Herodot sehr wohl bis ausserhalb der Säulen des Hercu- les kannte, rückte ihm schon der Atlasberg westwärts bis zu der Strasse von Gibraltar, wie auch im gegenüberliegenden Pyrene, zvorjvn, oberhalb Massilien in Europa, der Name dieses einen Vorberges auf die ganze Kette der von uns nun genannten Pyrenäen übertragen worden seyn mag. In Han- non’s Küstenfahrt, der ältesten Urkunde (zwischen 300 bis 570 Jahr v. Chr. Geb. und nach Gosselin weit älter) über diese Gegenden, kommt der Name Atlas noch gar nicht vor.“ „Spätere Erzählungen von der untergegangenen Atlantis des Plato im Timäus, die Entdeckung der westlichen Inseln Cerne und anderer; die erste Nachricht des Sebosus von den Inseln der Seligen (quas Fortunatas putant), unsere Canari- schen Inseln (schon Plinius nennt ein Volk am Westabhang des Atlas, das die dortigen Wälder bewohnt, Canarier), deren 467 einstiger Zusammenhang mit dem Atlas des Continents bald eine Lieblingshypothese bis auf die heutigen Anwohner jener Küsten wurde; dies alles dehnte bald den Namen des Atlas (fabulosissimum atlantem) bis zu seiner Südgränze, dem Cap de Ger, aus. Von diesem ist nun durch die arabischen Geo- graphen sein Gebiet quer durch. das Centinent hindurch, am Rande der Wüsten hin bis gen Tripolis erweitert, und von späteren sogar bis Aegypten und Mekka herausgezerrt worden.“ „So ging es mit der Erweiterung dieses Begriffes, gleich dem so vieler andern in der Geographie der alten und neuern Zeit, eben so wie mit dem Namen der Pyrenäen, mit dem des Berges Taurus in Cilicien, wie mit dem Altai, dem Himalaya, dem Kaukasus in Hochasien u. s. w.“ 2) Daran. Ptolemäus nannte den höchsten Berg des At- las Rüssadiron; nach Solinus, Eustathius u. A. nebst Bochart waren die ältesten Namen des Atlas: Dyris, Dyrim, Adiris, Adderim.“ „Plinius sagt ausdrücklich, dass Dyris der Landesname des Gebirges am Viorflusse sey, in der Nähe von Sala (heute Sale oder Sla unter 34° 5° nördl. Breite), wo Ruinen älte- ‘rer Wohnungen zwischen Weinbergen und Dattelpflanzungen zu seiner Seite stehen sollten. Dyris leitet man vom phöni- zischen Tur (mons altura), dem maurischen Turana, dem spa- nischen Zurana oder Taur (Taurus), oder wohl noch früher vom Sansecrit tir oder tiram — Berg — ab.“ „Polybius lernte auf seiner Küstenfahrt nach der Zerstö- rung von Karthago den Darafluss, gegen das Bergland die Gaetuli Darae, und die äthiopischen Daratiten kennen, die Aethiopas Daratitae: nämlich im Süden vom Cap de Ger, in Suse, wo der Drahfluss (Darah®?), der aber. heut zu Tage sich nicht mehr in den atlantischen Ocean ergiesst, sondern 30 * 468 sich im Sande verliert, welcher von hier bis zu den Küsten in hohen Dünen aufgewehet ist.‘ „Auch Edrisi nennt den Atlas Daran, wie ihn noch heute seine Bewohner, die Berbern, nennen.‘ „Dies sind die Benennungen, die mit dem Stammworte in der Landessprache verwandt sind, wo heute noch, I-drarn, oder E-drar, und A-theaar, das Dra oder Dahra, Berg, und I-daurer im Pluralis, Gebirge heissen. . Ja die älteste Form ist, merkwürdig genug, noch in dem alten Namen des Pik von Teneriffa, Aya-Dyrma, aufbewahrt.“ So weit die Bemerkungen Ritters. Die Eintheilung des Atlas in vier verschiedene Gebirge ist aber nicht haltbar, weil 1) der „grosse Atlas“ ein bis jetzt nur hypothetisches Gebirge ist. Mit der Bezeichnung Atlas magnus “meinte Ptolemäus doch wohl ein Gebirge, welches den Atlas minor an Ausdehnung der Ketten und Höhe der Kegel übertreffe. Aber nach den übereinstimmenden mündlichen Aussagen der Renegaten Baudouin, Roche, Geistinger, wie auch der Bis- kris und Mosabiten in Algier, werden die Gebirge in einer Entfernung von vierzig Meilen von der Küste immer niedri- ger, bilden nur dürre Hügel, meistens blos Gruppen, und kein Berg kommt am Rande der Sahara dem Dschurschura und dem Aurass an Höhe gleich. Die Gränze der Wüste bilden wellenförmige Plateaus, und wenn auch hie und da Berge von 2—3000 Fuss aufragen, so sind diese doch immer ent- weder mit den nördlichen Gebirgszweigen in Verbindung oder bilden nur einzelne Gruppen, keine fortziehenden Ketten. Jedenfalls haben wir, selbst wenn der Ptolemäische Atlas magnus im Süden der Regentschaft Algier ungeachtet aller Verneinungen der Renegaten und Eingebornen existiren soll- 469 te, über dessen Nord- und Südgränzen durchaus keine zuver- lässigen Nachrichten und wissen nicht, ob er ein getrenntes Gebirge ist oder theilweise oder auch ganz mit den nördlichen Zügen zusammenhängt. 2) Der „kleine Atlas“ ist von dem „‚mittlern Atlas‘ nicht zu trennen, da ersterer keine mit dem Meere parallel laufende Kette bildet, sondern an vielen Stellen erst zwanzig Stunden südlich von der Küste beginnt und sich durchaus keine bestimmten Gränzen von diesem Gebirge, welches nach allen Richtungen seine Zweige in das Innere versendet, und zwischen den entfernteren Höhenzügen angeben lassen. Ritter’s Bemerkung, dass die Steilheit der Felswände und sehr enge senkrecht eingerissene Schluchten, die sie plötzlich bis in die Tiefe der Thäler durchsetzen, dem Berg- land des Atlas charakteristisch zu seyn scheint, ist nicht richtig. Shaw, auf welchen Ritter sich beruft, macht wohl auf einzelne steile Felspartien aufmerksam, sagt aber in sei- ner obenangeführten allgemeinen Beschreibung ausdrücklich: „Die Bergabhänge des Atlas sind meist leicht zu erklimmen.“ Passender mögen Ritter’s Bemerkungen für die hohe Atlas- kette in Marokko seyn. Im Innern der Regentschaft Algier bilden nur die Abhänge des Dschurschura, des höchsten Ber- ges der Regentschaft Algier, der Engpass El-Biban an der Westgränze der Provinz Constantine, der Pass Teniah zwi- schen den Städten Belida und Medeah, dann einige Gegenden im Süden von Budschia, am Aurass und in der Provinz Ti- teri rauhe Felswände. Aber auch diese sind an Höhe und Schroffheit mit den Granitwänden der Pyrenäen und Alpen nicht zu vergleichen. Im Allgemeinen haben die Atlaszüge im Innern den monotonen schwermüthigen Charakter mittel- mässig hoher Waldberge, oder in den baumlosen und grasrei- 470 chen Strecken das heitere Ansehen der Voralpenmatten. Selbst in den ganz wüsten Strecken, wie zwischen dem Ras- el-Akba und Constantine, zeigt sich verhältnissmässig wenig nacktes Gestein, von Schiefer, Gneiss, Granit und Urkalk, und die meisten, wenn auch vegetationsarmen Berge bedeckt eine Dammerdschicht bis zum Gipfel. Die Küstenkette, der sogenannte kleine Atlas — eine Benennung, deren sich wohl die neuesten Reisen aus den angeführten Gründen gewiss enthalten werden — ist in Osten der Stadt Algier weit fel- siger und rauher als im Westen, wie Ritter ganz richtig be- merkt. Aber auch dort sind „die gewaltigen Felsufer, die schaudervollen Felspartien voll scharfkantiger Rücken und Spitzen‘ nur äusserst sparsam vorhanden, und von den älte- ren Reisenden und Seefahrern mit grosser Uebertreibung ge- schildert worden. Die Abhänge der Berge drängen sich zwar häufig bis dicht an den Strand, steigen aber fast nie senkrecht und selten schroff aus dem Meere. Am häufigsten liegen zwischen Bergen und Meer sehr schmale Ebenen mit meersandigem Nordrand 500-1000 Fuss breit, manchmal auch grosse, fruchtbare, reichbewachsene Ebenen mehrere Stunden breit, wie bei Stora und Bona. Sämmtliche Gebirge der Küste, deren Höhe selten 2000 Fuss übersteigt, sind sehr dünn bewaldet. Die Korkeiche wächst auf den Gipfeln. Auf den Abhängen stehen stellenweise Tannen, Pistaciabäume und Zwergpalmen. Das anbaufähige Land von der Meeresküste bis zur Wüste wird von den Eingeborenen T elia genannt; die Geo- graphen nennen es nach Shaw Tell. Am breitesten ist die- ser Landstrich, der das ganze Atlasgebirge, seine Thäler, Plateaus und die Küstenebenen in sich begreift, in der Re- gentschaft Tunis und im Kaiserreich Marokko, am schmalsten 471 in den Provinzen Titeri und Oran. Das an der Südgränze der letzten Atlaszüge beginnende ebene Steppenland ist wenig fruchtbar und hat nur an den Ufern der nach Süden laufen- den Gewässer grüne Weiden und Palmbäume. Dieses flache Steppenland, dessen Breite wechselnd und ungewiss ist, wird von den Geographen mit dem Namen Blad-el-Dscherid „das Dattelland‘ oder richtiger das ,‚trockene Land‘ bezeich- net. Aber die Araber geben diesen Namen nur den Step- pen im Süden der Regentschaft Tunis und eines kleinen Theiles der Provinz Constantine. In den übrigen Südtheilen dieser Provinz heisst man diese Ebene bereits Sahra, wie die grosse Wüste. Die südlichen Ebenen der Provinzen Titeri, Oran und eines Theiles von Marokko, welche mit dem östlichen Blad-el-Dscherid in Verbindung stehen und des- sen westliche Fortsetzung sind, bezeichnen die Araber mit dem Namen Kobla oder Kibla, was einfach ‚Süd‘ be- deutet. Es giebt in diesen Südsteppen der Berberei einige kleine Städte, wie Biskara, Ulad-Dschelal, Neftah; die dort wohnenden wandernden Araberstämme sind fast eben so zahlreich, _ als die an festen Wohnplätzen sesshaften Araber im Norden der Berberei. Auch römische Ruinen trifft man dort an den meisten fruchtbaren Punkten, deren es aber nur wenige giebt. Diese Ruinen dauern bis an den Rand der Sahara fort. Schiftbare Flüsse giebt es in der Regentschaft Algier keine, aber desto mehr kleine Gewässer, von denen die mei- sten ihren Lauf von Süden nach Norden nehmen. Ihre Mündungen sind sämmtlich durch Sandbarren verengt oder verstopft, deren Höhe nach der Jahreszeit steigt und fällt und die sich nur mit sehr bedeutenden Kosten entfernen lies- sen. Der gänzliche Mangel einer Binnenschifffahrt wird dem Transport der Producte aus dem innern Land und demnach 472 auch dem Wohlstande des Landes immer sehr hinderlich seyn. Die Vertheilung so vieler kleiner Gewässer im Land macht dessen Unterwerfung sehr schwierig, da die Stämme überall Wasser finden und sehr zerstreut leben. Es giebt in der Berberei keinen grossen Fluss, wie in Aegypten, der einem Eroberer als Operationsbasis dienen. könnte und an dessen Ufern die ganze Bevölkerung sich concentrirt fände. Bemerkenswerthe Gewässer der Regentschaft Algier sind: der Schelif, welcher bei Sebaun-Aiun den ‚,siebenzig Quellen“ südöstlich von Tekedemt entspringen soll. Der Schelif nimmt auf seinem gegen 250 Lieues langen Lauf, welcher erst eine nordöstliche, dann eine nordwestliche Rich- tung verfolgt, sehr viele kleine Flüsschen und Bächlein auf, sein Bett wird an manchen Punkten sehr breit, ist aber überall ‘voll Untiefen, so dass an keine Schifffahrt im Innern zu denken ist, wenn auch der Fluss zur Regenzeit öfters hoch anschwillt. Der Schelif hat das ganze Jahr hindurch eine gelbe Schmuzfarbe, soll fischlos und sein Wasser ungesund seyn. . Nach dem Schelif ist die Tafna unweit der marokkanischen Gränze nach ihrer ‘Vereinigung mit den Flüssen Barbata, Is- ser und Sikak ein ziemlich bedeutendes Gewässer, aber viel weniger breit und wasserreich, als der Schelif.-. Die Tafna soll auf dem Berge Tafza, zwei Tagmärsche südlich von Tlemsan entspringen. Zwischen der Tafna und Oran fliesst “der Uad-el-Maylah oder Rio Salado mit ganz salzigem Was- ser. Die Makta, welche zwischen Arzew und Massagran ins Meer sich ergiesst, wird aus den Flüssen Sig mit ungesun- dem trüben Wasser, Habrah und dem.Bach Uad - el- Tlelat gebildet. Diese verschiedenen Gewässer durchströmen einen der fruchibarsten Theile des Landes. Der Massafran in der Provinz Algier wird aus den Gewässern Schiffa, Uad-el- 473 Dschar und Uad-Sidi-el-Kebir gebildet, durchströmt die Pro- vinz Algier und ergiesst sich unweit Coleah ins Meer. Sein Wasser ist im Winter saffrangelb. Arasch, Hamiss, Isser, östlich von Algier, sind unbedeutende Flüsschen. Der Sum- mam soll in einem Zweige des Dschurschura entspringen. Er durchfliesst die Hochebene Hamza und vereinigt sich sechs Stunden vor seiner Mündung mit dem Uad-Adschebbi, wel- cher, gleich jenem, hohe Ufer und ein enges Bett haben soll. Der Lauf beider Gewässer, die fast unter gleicher Breite entspringen, bildet ein Dreieck, innerhalb dessen die unabhängigsten Kabylen des Landes wohnen, wie diese Ge- birgsgegend überhaupt zu den wenigst bekannten der Erde gehört. ‘Ueber den Lauf des Rummel, welcher Constantine bespült, hat man gleichfalls noch keine sehr genaue Kunde. In neuester Zeit glauben Einige — auf die verworrenen Berichte der Eingeborenen und die Entdeckung der Mündung eines kleinen Gewässers, westlich von der Mündung des Rummel, durch den Capitän Berard sich stützeud — der Uad-el-Kebir, welchen Namen der Rummel im Norden annehmen soll, sey ein von dem Rummel getrennter Fluss. Ueber den Seybuss und Mafragg verweise ich auf das, was ich über beide Ge- wässer bei Beschreibuug der Umgegend von Bona bemerkt habe. Unter den Flüssen, welche ihren Lauf nach Süden nehmen, werden der Uad-el-Dschedi, Uad-el-Abiad und Uad- el-Kantara als ansehnliche Gewässer genannt. Doch fehlt es über sie an zuverlässigen Nachrichten. Die Regentschaft Algier war zur Zeit der Deyherrschaft in vier Provinzen getheilt. Constantine im Osten, die grösste und bevölkertste Provinz, dann Titeri im Süden die unfrucht- barste und ärmste, und Oran oder Mascara im Westen, die fruchtbarste und streitbarste Provinz. Jede derselben hatte 474 einen Bey zum Oberhaupt, der das Land im Namen und un- ter Oberhoheit der Deys verwaltete. Die Provinz Algier stand unter directer Verwaltung des Deys und der Aga oder Kriegsminister hatte dort die Gewalt über Leben und Tod. Shaw schätzt den Tribut, welchen die drei Beyliks an den Dey jährlich entrichteten, auf 250 bis 300,000 Franken für Constantine, 100 bis 150,000 Franken für Oran und aur 40,000 Franken für Titeri. Bemerkenswerthe Städte im Innern der Provinz Constan- tine, welche ich nicht selbst besucht habe, sind: Milah, das alte Milevum, im Nordwesten der Hauptstadt Constantine, in einiger Entfernung vom Rummel gelegen. Das Städtchen ist reinlich und hübsch, mit einer Fontaine im Innern, von schönen Gärten umgeben, in denen namentlich der Granatbaum trefflich gedeiht. Seine Bevölkerung besteht aus 2000 Mauren und Kuruglis, ein armer friedlicher Men- schenschlag. Die Franzosen halten Milah seit 1833 besetzt. Zammurah, unweit des Uad-Adschebbi in der grossen Ebene Medschana gelegen, hat 1500 Einwohner, grössten- theils Türken und Kuruglis, welche sich seit dem October 1839 den Franzosen unterworfen haben. Biskara, eine Stadt von fünf- bis sechstausend streitbaren und rührigen Einwohnern, liegt an den Ufern des Uad-el- Kantara im äussersten Süden der Provinz. Sie soll von sehr hübschen Gärten umgeben seyn, aber die Bewohner sind arm und alljährlich wandern einige hunderte nach Algier und Tu- nis, um dort als Taglöhner zu arbeiten. Sie haben viel Lie- be für ihre Vaterstadt und kehren, nachdem sie sich in den Küstenstädten einiges Geld erspart haben, stets gern wieder in ihre Heimath zurück. Biskara ist noch von keinem Euro- päer besucht und beschrieben worden. 475 Die Franzosen haben militairische Niederlassungen zu Dschimmilah und Setif gegründet. Beides sind verlassene römische Städte in einsamer Wildniss gelegen. Ein sehr merkwürdiger Ort ist die Kabylenstadt Kelah oder Callah, vier Stunden nördlich von. dem berühmten Eng- pass Biban, auf einem sehr hohen ringsum senkrecht abge- schnittenen Felsen gelegen. Sie ist die Hauptstadt des mäch- tigen Kabylenstammes der Beni-Abbas und Residenz des Kaid. Früher war das Oberhaupt immer aus der Marabutfa- milie Buseid genommen, die seitdem ausgestorben seyn soll. Der Kaid legte sich den Titel „‚Sultan“ bei. Kelah wird als uneinnehmbar geschildert. Niemals machten die Türken auch nur einen Versuch gegen diese Felsenstadt. Alle vom Bey verfolgten Unglücklichen, alle aus ihren Stämmen verstossenen Kabylen, alle Missethäter fanden von jeher in Kelah eine Freistätte. Die Stadt soll bedeutende Schätze enthalten. Ueber die Zahl der Bevölkerung Kelahs lauten die Aussagen der Eingeborenen widersprechend. Noch nie hat ein Euro- päer diese Stadt besucht. Von dem Engpass Biban, an der Westgränze der Pro- vinz Constantine gelegen, welchen die französische Armee am 23. October 1839 zum erstenmal passirte, giebt der damals publieirte officielle Bericht folgende Schilderung. ,‚Die Ber- ge bilden dort senkrechte Felswände, welche sich lange fortziehen und deren Gipfel nicht zu erklimmen sind. Durch diese Gebirgskette hat der Uad-Biban, ein salziger Bach, sich ein tiefes Bett durch eine schwarze Kalksteinmasse ge- bahnt, deren Wände sich zu beiden Seiten des Gewässers über 100 Fuss erheben, und an die höheren Felsen sich an- reihen. Der Weg hat an drei Stellen nur vier Fuss Breite und folgt beständig dem Bett des reissenden Baches, dessen 476 Wasser ihn überschwemmt und grosse Steinblöcke auf ihn rollt, welche für Menschen und Pferde den Marsch sehr mühsam machen. Wenn der Uad-el-Biban vom Regen ange- schwollen ist, wird die Passage unmöglich. An einigen Stel- len erblickt man Vorsprünge von Felsgestein, denen man den Namen ,„Thore“ gegeben und die das Bett des Baches so verengen, dass derselbe mit Heftigkeit durch die schmalen Ausgänge braust. Alle, welche diesen Pass gesehen, fanden ihn noch weit schwieriger, als der Ruf gesagt hatte.“ Die fruchtbarste und bevölkertste Gegend der Provinz Constantine bilden die Terrassen, Abhänge und Thäler des Dschibel-Aurass, sechs Tagmärsche im Süden der Stadt Con- stantine gelegen. Der Renegat Baudouin erzählte mir, dass er dort in einem einzigen Thal über vierzig Duars gezählt habe. Schon die alten Schriftsteller, namentlich Procopius, preisen die Schönheit und Fruchtbarkeit des Aurass. Dieser Berg, der eine Kette, wie der Dschurschura bildet, ist von blonden Kabylen bewohnt, welche Bruce und Shaw für Ab- kömmlinge der Vandalen hielten. Die mächtigsten Araberstämme der Bao Constantine sind die Henanchas, deren Wohnsitze, südöstlich von der Hauptstadt, sich bis an die Gränze von Tunis erstrecken; die Aractas zwischen Ghelma und Constantine, und die Ulid-Abd- el-Nur, welche eine grosse Ebene zwischen Constantine und der Medschana bewohnen. Die mächtigsten Kabylenstämme sind: die Zuaua, zwi- schen dem Rummel und Uad-Adschebbi, sehr zahlreich und unabhängig seit undenklichen Zeiten. Ihr Kaid giebt sich den Titel Sultan. Sie verhielten sich bisher ruhig auf ihren hohen Wohnsitzen und kamen mit den Franzosen noch in keinerlei Berührung. Die Beni-Abbas, welche die Umgegend 477 des Biban bewohnen, sind sehr reich und mächtig. Die Flissa auf dem Dschurschura ist ein so zahlreicher Stamm, dass er allein 10,000 Krieger, meistens Fussgänger, auf die Beine bringen kann. Die Flissa sind sehr geschickte Waf- fenarbeiter, wohnen in hübschen steinernen Dörfern und ha- ben eine Hauptstadt „Flissa“, von etwa 1000 Einwohnern. In der Provinz Titeri giebt es nur eine Stadt, Me- deah, mit einer Beyölkerung von vier bis fünftausend Einwoh- nern. Sie steht auf einem Hügel, ihre Häuser sind meist einstöckig mit einem innern Hof, ohne Säulen, nur der ehe- malige Beypalast hat solche. Statt der Terrassen haben die Häuser Ziegeldächer. Es giebt eine Kasbah in -Medeah von viereckiger Form und vier Moscheen, die nichts Bemerkens- werthes bieten. In der Umgegend stehen einige Landhäuser und ein grosser Aquaeduct. Medeah unterhält ziemlich leb- haften Handel mit den Stämmen der Wüste. Die sieben Uthans oder Stammgebiete, welche Medeah umgeben, sind die Beni-Hassan, Hassan-ben-Ali, Beni-Yacub, Uzra, Uamri, Righa und Haura. Der Boden ist gebirgig, mit breiten Thä- lern durchschnitten. In der Stadt wohnen Mauren, Kuruglis, Neger und besonders viele Mosabiten. In der Provinz Oran sind bemerkenswerthe Städte, wel- che ich nicht zu besuchen Gelegenheit hatte: Miliana, Te- kedemt, El-Callah und Tlemsan. Miliana hat eine sehr hohe, aber freundliche Lage, unweit ‘des Dschibel - Zickar. Die Stadt ist hübsch gebaut, die Strassen breit, die Häuser weiss angestrichen, mit Ziegeldächern, einstöckig oder blos mit ei- nem Erdgeschoss. In den Gärten wachsen meistens nur Bäume und Pflanzen der nördlichen Zone, die Palmen und Orangenbäume ertragen nicht die Winterkälte der Umgegend von Miliana, 478 Tekedemt war zu Ende des 17ten Jahrhunderts noch eine bedeutende Stadt, welche von ihren Bewohnern, der arabi- schen Tradition zufolge, wegen einer Hungersnoth verlas- sen worden seyn soll. Dies geschah wenige Jahre, bevor Shaw sie gesehen, also wohl gegen das Jahr 1720. Abd-el- Kader hat, nach der Eroberung von Mascara durch die Fran- zosen, Tekedemt im Jahre 1836 zu seiner Residenz gewählt. Er hoffte, dass ein französisches Heer®@ihn dort nicht so leicht erreichen würde. Tekedemt ist etwa dreissig Stunden südwestlich von Mascara und eben so weit von Miliana ent- fernt. Die von Abd-el-Kader neu aufgeführten Ringmauern sind 1200 Schritte lang und 900 breit. An der Stelle, wo die ehemalige Festung stand, liess der Emir eine Kasbah er- bauen, welche sein Pulver- und Waffenmagazin und seinen Schatz bewahrt. Tekedemt ist von ziemlich hohen Gebirgen umgeben, auf welchen die immergrüne Eiche und der Mastix- baum wächst. Letzterer (wahrscheinlich Pistacia atlantica) liefert sehr viel Saamenöl. Das Klima von Tekedemt ist sehr rauh und es gefriert schon im Monat October. Die Umge- gend ist nicht angebaut und die Lebensmittel sind theuer, da sie von einem halben Tagmarsch herbeigeführt werden müs- sen. Tekedemts Bevölkerung zählt noch kaum einige hun- dert Familien. El-Callah ist eine schmuzige Stadt, zehn Lieues südöst- lich von Mostaganem gelegen. Es werden dort viele Teppi- che, Bernusse und andere Stoffe fabricirt und der Markt soll stark besucht seyn. Das Städtchen hat eine Kasbah, in wel- cher die Türken früher eine Garnison hielten. Ueber die Einwohnerzahl konnte ich nichts Zuverlässiges erfahren. - Tlemsan, eine im Westen der Provinz gelegene Stadt, war einst sehr gross, blühend und volkreich, Hassan, Dey : 479 von Algier, liess sie im Jahre 1760 wegen eines Aufstandes fast ganz zerstören. Als die französische Armee unter Mar- schall Clauzel am 13. Januar 1836 in Tlemsan einzog, hatte diese Stadt eine Bevölkerung von kaum 5000 Einwohnern, von denen die Hälfte Mauren, die andere Hälfte Kuruglis waren und gegenseitig in heftigster Zwietracht lebten. Die Kuruglis waren Meister des Meschuar, einer grossen Cita- delle, welche die Stadt beherrscht. Abd-el-Kader hatte den Meschuar ein Jahr lang belagert und die Franzosen kamen, die Garnison zu befreien. Tlemsan hat seitdem Drangsale aller Art erlebt und im Jahre 1837, wo General Bugeaud dort mit seinem Heer eine Zeitlang verweilte, war Tlemsan, wie mir ein Augenzeuge schrieb, wenig mehr als ein Schutt- haufen. Derselbe Begleiter des Bugeaud’schen Zuges, Haupt- mann Stürler in neapolitanischen Diensten, schilderte mir, wie alle übrigen Augenzeugen, die Umgegend Tlemsans als wunderschön, eben so reich bewässert, mit eben so blühender Vegetation bedeckt, , wie die Umgegend von Belida. Die Stadt ist auf einem Plateau gebaut, auf dessen Südseite sich eine weite vortrefflich cultivirte Ebene ausdehnt. Die Hügel bei Tlemsan erheben sich terrassenförmig mit den schönsten Südbaumpflanzungen; es giebt dort die grössten Olivenbäume des Landes, fast so hoch und astreich, als die deutschen Bu- chen. Die klaren, frischen Bäche und Bergquellen stürzen in kleinen Wasserfällen von einer Terrasse zur andern. An Blumen, Südfrüchten und edlen Bäumen aller Art ist keine Landschaft der Regentschaft reicher. Diese ungemeine Fruchtbarkeit des dortigen Bodens bewog auch den Marschall Clauzel, eine Garnison in Tlemsan zurückzulassen. Seit dem Vertrag an der Tafna ist die Stadt in der Gewalt Abd- el-Kader’s. Die Kuruglis sind sämmtlich ausgewandert. Ein 480 Theil zog mit den Franzosen nach Mostaganem, die übrigen hat Abd-el-Kader im Lande zerstreut. Unweit Tlemsan lie- gen die imposanten Ruinen der arabischen Stadt Mansurah, Die mächtigsten Stämme der Provinz Oran sind: die Angads im Süden von Tlemsan, die Flita an den Ufern des Schelif, die Haschems in der Ebene Egghres bei Mascara, die Garrabas und Beni-Ammer zwischen Oran und Mascara, die Beni-Menasser in der Umgegend von Scherschel und die Kabylen an der Tafna, welche dem Häuptling Bohamedi ge- horchen. Drei merkwürdige Oasenstaaten im Süden der Regent- schaft Algier, welche seit alten Zeiten ihre Unabhängigkeit behauptet haben, sind Tuggurt, Ain-Maadi und die Staaten der Beni-Mzab oder Mosabiten. Tuggurt ist im Süden der Provinz Constantine, in der Sahara gelegen. Die Oase soll sehr reichlich bewässert seyn. Die Stadt Tuggurt ist von einer guten Ringmauer umgeben und die Umgegend kann man von allen Seiten unter Wasser setzen, so dass Tuggurt von einem Angriff auswärtiger Fein- de wenig zu fürchten hat. Pellissier sagt, diese Oasenhaupt- stadt sey fast eben so bevölkert, als Constäntine, aber ge- naue Nachrichten, die ich von Scheikhs der Sahara darüber einzog, verneinen dies und schildern Tuggurt wenig grösser als Belida. Das Oberhaupt dieses Staates, der sich Sultan nennt, soll einen bedeutenden Schatz aufgehäuft haben. Eini- ge Karavanen, die aus dem Sudan nach Tunis ziehen, be- rühren Tuggurt. Der Staat Ain - Maadi liegt in der Sahara, neun arabi- sche Tagmärsche südlich von Tekedemt. Die Marschetappen zwischen diesen beiden Punkten sind: Suamma, Nadur, Uad- Alk, El-Feschiah, Bir-el-Bidah, Togorarin, Khaira, Teilula — 481 Ain-Maadi. Die Stadt gleichen Namens wurde, als in Folge der Abd-el-Kader’schen Expedition so viel von Ain-Maadi ge- sprochen wurde, in den Zeitungsberichten“ sehr vergrössert. Nach genauen Angaben von Renegaten und Eingebornen hat die Stadt nicht über dreihundert Häuser; die Vorstädte etwa achtzig. Sie hat eine breite, sehr solide Ringmauer mit Thürmen, welche allen Sturmversuchen Abd-el-Kader’s, wie seinen Geschützen trotzte. Die Bewohner sind Araber, auch einige Juden wohnen dort, wie mir der Dragoman Amram versicherte, kleiden sich aber in arabische Tracht. Ain- Maadi hat drei Thore. Ausserhalb der Stadt fliesst die Quelle, welche ihr den Namen gab. Innerhalb der Mauern befinden sich drei Cisternen, welche die Bevölkerung wäh- rend der Belagerung mit Wasser versahen. Die sie umge- bende Ebene heisst El-Masi. Zwei Tagemärsche nordwest- lich von Ain-Maadi liegt das Städtchen Logruat, welches nur halb so gross ist und geringe Bedeutung hat. Die frühere Herrscherfamilie dieses kleinen Oasenstaates hies Ulad-Ali. Sie wurde von der aus Marokko stammenden Marabutfamilie Tidschini vom Thron gestürzt. Der gegenwärtige Herrscher von Ain-Maadı heisst: El-Hadschi-Mohamed-Ben-Salem-el- Tidschini. Die Staaten der Mosabiten oder Ben-Mzab, südlich von der Provinz Titeri, in der Sahara gelegen, haben eine völlig republikanische Verfassung, sind sehr gewerbthätig, wohlha- bend und stark bevölkert. Die westliche Oase, zehn arabi- sche Tagemärsche von Medeah, ist die bedeutendste. Ihre Hauptstadt heisst Gherdaia. Sie hat hübsche Häuser, breite Strassen und 15,000 Einwohner. Sie liegt an den Ufern des Uad-el-Biad (weissen Stromes). In derselben Oase liegen die kleinen Städte Bonora, Melika, Ahtfa und Beni-Isghin. Die Morıtz WaAsner’s Alsier. 1. 31 482 1 zweite Oase im Osten von Gherdaia ‚hat drei Städte: Barriaan, El-Grara und Metlili. Drei Tagemärsche südlich von Metlili liegt die dritte Oase mit der Hauptstadt Uaragla von 4000 Einwohnern. *) *) Ueber das Volk der Beni-Mzab und die Verfassung ihrer Staa- ten siehe IT. Band. Leipzig, Druck von Hirschfeld. Fa an 2“ a 2 RE ur