En yes Sn en rn! HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. ya a Hagum Ubanı een NEIN in Dr 1 RT SHE ERE in N in Bla v° I I ala N, N REISEN IN DER REGENTSCHAFT ALGIER IN DEN JAHREN 1836, 1837 unp 1838 VON D. MORITZ WAGNER. _ NEBST EINEM NATURHISTORISCHEN ANHANG UND EINEM KUPFERATLAS. ZWEITER BAND. LEIPZIG, VERLAG VON LEOPOLD VOSS, BUCHHÄNDLER D. K. ACADEMIE D. WISSENSCHAFTEN ZU ST. PETERSBURG. 1841. Inhali. Die Völker der Regentschaft Algier . . ... 1 BeDıepAraberne on een oe ee erenee. olnenh)e 3 IsDrieaKabylen.. ;oa rn MON BE Ra STIER I REN 54 INSDrer Mauren tn 00. BT RR ee N NZ IV. Die Türken undKuruglis”s 9, aan IIEW 19 Er 88 VerDresudlentn. 000 ee ne: Wan 16 re MISDIiEenNegerr. A NE IR FOREN RE 06 Ne Dre"Mosabiten“. sam tn nn BI WARTE RN See TIO Geschichtliche Bemerkungen über die Regent- schaft Algier. I. Nordafrika von den ältesten Zeiten bis zur Landung der Tür- KenkinzAloier. #0. vun. 8. Bo en OT LO II. Von der Begründung der türkischen Herrschaft in Algier bis zur Uebergabe Algiers an die Franzosen im Jahre 1830 141 II. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. — Marschall Bourmont. — Expeditionen nach Belida, Bona und Oran. — Juliusrevolution. — Abreise Bourmont’s. — Ankunft des Marschalls Clauzel. — Maassregeln der innern Verwaltung. — Expedition nach Medeah. — Kampf und Blutbad in Be- lida. — Verträge mit Tunis. — Abberufung Clauzel’s. — Ankunft des Generals Berthezene. — Zweite Expedition nach Medeah. — Gefechte in den Umgebungen Algiers. — El-Hadschi-Mahiddin-el-Sghir-ben-Mubarek’s Ernennung zum IV Aga der Araber, — Misslungene Expedition gegen Bona. — Verwaltung des Generals Boyer in Oran. — Anarchischer Zustand des Innern der Provinz Oran, — Sidi-Mahiddin und Abd-el-Kader. — General Berthezene . . £} o o ° ® ° IV. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. — Ernennung des Herzogs von Rovigo zum Obercommandanten der Ocecu- pationsarmee, — Trennung der Militair- und Civilverwal- tung, — Benehmen des Herzogs von Rovigo gegen die Mauren und Araber. — Unterhandlungen mit Farhat-ben- Said. — Niedermetzlung des Stammes El-Uffia. — Allge- meine Erhebung der Araberstämme. — Gefecht bei Buffa- rik. — Expedition gegen Belida. — Hinrichtung zweier arabischen Häuptlinge. — Unterhandlungen mit Achmet- Bey. — Einnahme der Kasbah von Bona. — Kreignisse in Oran. — Abreise des Herzogs von Rovigo., — Interims- verwaltung des Generals Avizard. — Ankunft des ‚Generals Voirol. — Verwaltungsmaassregeln. — . Einnahme von Bu- dschia. — Züge gegen die Hadschuten. — Unterwerfung der Hadschuten. — Ereignisse in Bona und Oran. — Be- setzung von Arzew und Mostaganem. — Gefecht zwischen den französischen Truppen und den Arabern Abd-el-Kader’s. — Friedensvertrag mit Abd-el-Kader. — Ernennung des Gra- fen Drouet d’Erlon zum Gouverneur von Algier. —. Abreise des Generals Voirol . . Seite 161 185 V. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. — Die Verwäl- . tungsmaassregeln des Grafen Drouet d’Erlon. — Krieg gegen die Hadschuten. — Abd-el-Kader. — Rasche Zunahme sei- mer Macht. — Sein Sieg über Mustapha-ben-Ismael und die übrigen ihm feindseligen Häuptlinge. — Treffen zwischen Abd-el-Kader und Mussa-el-Darkuil. — Einfall des Emirs in die Provinz Titeri. — Wiederausbruch des Krieges. — Uebergang der Duairs und Zmelas zu den Franzosen. — Nie- derlage der französischen Truppen unter ’Trezel an der Makta. — Abberufung des Grafen Drouet d’Erlon. — An- kunft des Marschalls Clauzel in Algier. — Expedition ge- v Seite gen Maskara und Einnahme dieser Stadt. — Expedition gegen Tlemsan und Besetzung des Meschuar. — Gefechte an der Tafna gegen Abd-el-Kader und die Kabylen.— Rück- kehr des Marschalls Clauzel. — Kriegerische Operationen in den Provinzen Algier und Titeri. — Schlappe der Fran- zosen an der Tafna. — Sieg des Generals Bugeaud an der Sikak. — Ereignisse in Budschia. — Erste Expedition der Franzosen gegen Constantine unter dem Commando des Mar- schalls Clauzel. — Fehlschlagen derselben und trauriger Rückzug der französischen Armee. — Abberufung des Mar- schalls./Clauzelan1oAlöyeU, onakandonanıns SAL reist 211 VI. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. — Ernennung des Generallieutenants Damremont zum Gouverneur von Al- gier. — Wiedereinsetzung des Bureau arabe unter der Di- rection des Capitäns Pellissier. — Expedition gegen Belida und die Kabylen. -—— Ueberfall von Reghaia. — Züge gegen die Beni-Isser und Dellys.. — Gefecht am Buduau. — An- kunft des Generals Bugeaud in Oran. — Märsche nach Tlemsan und an die Tafna. — Zusammenkunft zwischen dem General Bugeaud und dem Emir Abd-el-Kader. — Frie- densschluss mit Abd-el-Kader. — Unternehmungen des Ge- 'nerals Duvivier in Ghelma. — Ankunft des Generals Dam- remont im Lager Medschez-Ammar. — Unterhandlungen mit Achmet-Bey. — Die zweite Expedition gegen Constantine, 240 Die Expedition nach Constantine. I. Das Lager Medschez-Ammar. — Truppenschau. — Die französisch-afrikanische Armee. — General Damremont, — Der Herzog von Nemours. — General Perregaux. — Die Feldhospitäler. — Lagerscenen. — Der Angriff der Armee Achmet-Bey’s am 23. September. — Ein Abendessen bei dem Obristen Lamorieiere. — Capitain Levaillant. — Die Zuaven. — Ein Deserteur. — Obrist Combes. — General Trezel. — Ben-Zecri. — Hadschi-Soliman. — Rüstung zumsAufbruchnach Constantine . . . .2..2.. 82. 7261 2% Die Völker der Regentschaft Algier. Die Eingeborenen der Berberei zerfallen in sieben deut- lich von einander geschiedene Völker, deren jedes seine beson- dere Abstammung, seine eigenthümlichen Sitten und Charakter- züge hat. Die Meisten sind überdies noch durch Gesichts- bildung, Sprache und Tracht geschieden. Sechs dieser Völker sind den mohamedanischen, eines der israelitischen Religion zugethan. Die Araber bilden die grosse Mehrzahl der Bewohner der Regentschaft Algier, und das jetzt im In- nern herrschende Volk. Auch in Marokko herrschen die Araber und in Tripolis drängen sie die Türken immer mehr nach der Seeküste zurück. Nächst den Arabern bilden die Kabylen oder Amazirghs, wie sie in Marokko heissen, das zahlreichste Volk; sie sind weit länger im Lande als jene, und bewohnen grösstentheils das Küstengebirge des At- las. Die Mauren gehören nebst den Kabylen zu den älte- sten Eingeborenen der Berberei. Sie leben nur in Städten und haben von allen mohamedanischen Völkern dieses Landes die mildesten Sitten. Die Türken und ihre Abkömmlinge, die türkisch redenden Kuruglis, sind, seit dem Sturze ihrer Herrschaft im Jahre 1830, auf eine ziemlich unbedeutende Morıtz Waener’s Alsier. Il, 1 2 Zahl zusammengeschmolzen, und wohnen fast nur noch in den Küstenstädten und in Constantine Die Juden sind durch alle Städte des Landes zerstreut, und bilden überall die ge- drückteste Volksclasse. Die Neger stammen grösstentheils aus dem westlichen Sudan, nur sehr wenige aus Guinea. Einige sind freie Männer, die Mehrzahl Sklaven. Den sie- benten Volksstamm bilden die Mosabiten oder Beni-Mzab, die ihre eigene Sprache haben, und drei Oasen der Sahara bewohnen. Viele leben in Algier und Medeah, wo sie Ge- werbe treiben. Zu diesen sieben eingeborenen Völkern haben sich seit 1830 Ansiedier von fast allen Nationen Europas ge- sellt, so dass man jetzt namentlich in den Küstenstädten eine merkwürdige Sprachverwirrung und ein unbeschreiblich bun- tes Gemisch von Gesichtern und Röcken findet. Ich beginne die Schilderung der Völker dieses Landes mit der zahlreich- sten und wichtigsten Nation, den Arabern. 1. Die Araber. Fiwischen dem rothen Meer und dem persischen Golf liegt ein grosses Land, dessen Flächeninhalt den von Deutsch- land, Frankreich und der europäischen Türkei zusammenge- nommen ühertrifft, aber der bei weitem grössere Theil ist durch die Bezeichnung steinig oder sandig gebrandmarkt. Während in den Wildnissen Mittelasiens, in den Steppenlän- dern der Tartarei doch wenigstens üppige Gräser den gröss- ten Theil des Jahres hindurch wachsen, wird in der traurigen Eimöde jener Halbinsel die endlose Sandebene nur durch steile und nackte Berge unterbrochen , und der dürre Boden, der weder Schatten noch Obdach bietet, von den drückenden Strah- len einer tropischen Sonne verbrannt. Dieses Land ist Ara- bien, die Heimath jenes räthselhaften Hirtenvolks, welches vor zwölfhundert Jahren die Begeisterung eines neuen Glau- bens aus seinem Schäfer- und Räuberleben zur Eroberung der Welt hinaustrieb. Arabien ist ein armes Land, das nie die Habgierde von Eroberern durch Reichthümer reizen konnte. Wohl bestehen Sagen von alten Schätzen, welche die Sand- wüste bedeckt haben sollen, und Agatharcides behauptet, dass gediegene Goldmassen von der Grösse einer Olive bis zu der \ 3 4 einer Nuss dort auf der Oberfläche des Bodens gefunden wor- den, dass das Eisen zweimal, das Silber zehnmal so theuer war, als das Gold; aber diese wirklichen oder erträumten Reichthümer Arabiens fallen in eine uns unbekannte Zeit. Seine heutigen wenigen Producte können aus Mangelan schiffba- ren Flüssen nur mit Mühe ausgeführt werden. Der Boden wird nur von einigen Giessbächen befeuchtet, deren Wasser von den Bergen stürzt, und von der durstigen Erde bald einge- saugt wird. Statt erfrischender Luft verbreiten die Winde, besonders die aus dem Südwesten, einen schädlichen, sogar tödtlichen Dunst. Die Sandberge, die jene Winde wechselnd heben und vernichten, werden den Wogen des Oceans ver- glichen, und ganze Karavanen, ganze Heere sollen dort um- gekommen, und durch die Wirbelwinde im Sande begraben worden seyn. Die seltenen dort wachsenden Bäume, die Tamarinde und Acacia, die auch im dürrsten Boden Wur- zeln schlagen, schlürfen nur mit dem T’hau der Nacht einige Nahrung ein. Ein kärglicher Vorrath von Regen wird in den Cisternen und Wasserleitungen gesammelt; die Brunnen und Quellen sind der geheime Schatz der Wüste, unda#den Pilger von Mekka widert nach manchem durstigen und schwü- len Marschtage der Geschmack des Wassers an, das über ein Lager von Schwefel oder Salz geflossen ist. So ist der allgemeine Charakter des Bodens und Klimas von Arabien. Doch fehlt es dort auch nicht an Oasen, die selbst in der Sahara den Schrecken der Wüste mildern. Besonders die höher gelegenen Gegenden Arabiens, welche an den indischen Ocean gränzen, sind weniger arm an Holz und Wasser. Die | Luft ist gemässigter dort, edle Früchte, wie die Dattel und die Weintraube, gedeihen, und der Kaffee und Weihrauch haben zu allen Zeiten die Kaufleute der Welt angezogen. 5) Wenn diese abgelegene Gegend mit den übrigen Theilen der Halbinsel verglichen wird, mag sie in der That den Beina- men die Glückliche verdienen, auch haben ihr zu allen Zeiten arabische Dichter sehnsüchtige Lieder geweiht. Die Bewohner sind dort auch zahlreicher, und wäre die Liebe zum Heimathboden nicht noch mächtiger, als die Sehnsucht nach einem grünen Lande der Palmenhaine und der Quellströme, so würden alle Stämme sich dorthin wenden, und die Wüste dem Löwen lassen. Die Schriftsteller aller Zeiten haben uns über Sitten, Le- ben und Charakter der merkwürdigeu Bevölkerung Arabiens Mittheilungen hinterlasen. Vor allem war die Unabhängigkeit der Araber bei Fremden und Eingeborenen stets ein Gegen- stand des Lobes, und die Theologen wollten dieselbe immer durch eine Prophezeihung im alten Testament zu Gunsten der Nachkommenschaft Ismael’s erklären. Einige Ausnahmen, die weder abgeleugnet noch umgangen werden können, stehen dieser Art von Beweisführung freilich sehr im Wege. Die Provinz Yemen ist nach einander durch die Abyssinier, die Perser, die ägyptischen Sultane*) und die Türken unterwor- fen worden. Die heiligen Städte Mekka und Medina haben sich wiederholt dem Joche eines scythischen T'yrannen ge. beugt, und die römische Provinz Arabien umfasst insbeson- dere jenen Theil der Wüste, wo Ismael und seine Söhne ihre Gezelte im Angesichte ihrer Brüder aufgeschlagen haben müssen. °*) Aber diese Ausnahmen sind vorübergehend und beschränkt, die Masse der Nation ist dem Joche der mäch- *) Yemen wurde von einem Bruder des grossen Saladin unter- jocht, der eine Dynastie von Kurden oder Ayubiten gründete. (Guig- nes, Hist. des Huns, tom. 1, p. 425. d’Herbelot p. 477.) **) Dio Cassius I. LXVII, Procop. de bello persico 1. I, c. 19. 6 tigsten Monarchien entgangen. Die Heere des Sesostris und Cyrus, des Pompejus und Trajan vermochten die Eroberung von Arabien niemals zu vollenden. Der gegenwärtige Beherr- scher der Türken, oder in seinem Namen Mehemed Ali, mag wohl einen Schatten von Oberherrschaft ausüben, aber sein Stolz muss sich herablassen, sich um die Freundschaft eines Volkes zu bewerben, welches zu reizen gefährlich, anzu- greifen fruchtlos ist. Nächst der oben erwähnten Beschaffenheit des Landes waren die Ursachen dieser alten Freiheit der Araber ihr Charakter und ihre Lebensweise. Viele Jahrhunderte vor Mohamed hatten ihre Nachbarn im Angriffs-, wie im Verthei- digungskriege ihre unerschrockene Tapferkeit schwer gefühlt. Die leidenden, wie die thätigen Eigenschaften eines Kriegers werden in Arabien durch die Art und Gewohnheit des Hir- tenlebens von selbst ausg&bilde. Die Wartung der Schafe und Kameele wird, namentlich in Zeiten der Fehden, den Weibern überlassen, während alsdann die kriegerische, männ- liche Jugend unter dem Banner ihres Emirs zu Pferde und im Felde ist. Das lange Andenken ihrer Unabhängigkeit ist das sicherste Pfand ihrer Fortdauer, und die nachfolgenden Geschlechter werden dadurch angefeuert, ihre Abstammung’ zu bewahren und ihre Erbschaft zu behaupten. Wenn die Araber zur Schlacht vorrücken, haben sie vor sich die Hoff- nung des Sieges, hinter sich die Gewissheit eines Rückzuges. ihre Pferde und Kameele, welche ungeheure, ausdauernde Märsche zurücklegen , verschwinden vor dem Sieger ; die ge- heimen Brunnen der Wüste entgehen seinen Nachforschungen, und seine siegreichen Truppen werden bei Verfolgung eines unsichtbaren Feindes, der ihrer Anstrengungen spottet, und im Innern der Wüste ein unnahbares Asyl gefunden hat, 7 durch Hunger, Durst und Ermattung aufgerieben. Das Le- ben des arabischen Nomaden ist übrigens voll Leiden, Ent- behrungen und Gefahren, und wenn er sich auch zuweilen durch Raub oder Tausch die Früchte der Industrie verschafft, so besitzt doch, wie ganz richtig ein grosser Geschichtsschrei- ber bemerkt, in Europa ein gewöhnlicher Privatmann einen bleibendern und angenehmern Luxus, als der stolzeste Emir, der an der Spitze von zehntausend Reitern in das Feld zieht. Die Geschichtsschreiber aus Justinian’s Zeitalter und über- haupt die meisten alten Schriftsteller, die über Arabien ge- schrieben, stimmen bei der Schilderung der Zustände und Charakterzüge dieses Volkes ziemlich überein, uud fast alle Eigenschaften, die guten, wie die schlimmen, finden sich nach den Beschreibungen Niebuhr’s, d’Herbelot’s, d’Arvieux’, Burkhard’s, auch bei den heutigen Arabern noch vor. Neben ihrer fest eingewurzelten Liebe für nationale Unabhängigkeit und individuelle Freiheit, wurden ihre Ruhmliebe, ihre. Ent- haltsamkeit, ihr poetischer Geist, ihre Gastfreiheit, zuweilen ‚auch Züge von Edelmuth und Grossherzigkeit besonders ge- rühmt. Dagegen blieben ihre Raublust und Geldgierde, ihre Rachsucht, ihr anarchischer Sinn, die Käuflichkeit ihrer Freundschaft und die Wandelbarkeit ihrer Treue, jenen, die Verkehr mit ihnen gehabt, eben so wenig verborgen. Der Islamismus hat noch einige neue Laster und Tugenden hin- zugefügt, aber den alten Grundcharakter fast unversehrt ge- lassen. Die Religion der Araber bestand, vor Mohamed’s Erscheinen, sowie die der Indier, in Verehrung der Sonne, des Mondes und der Sterne — die schönste, poetischste Ab- göttereil Die strahlenden Lichter des Firmaments leuchten als das sichtbare Bild der Gottheit. Ihre Anzahl und Ent- S fernung erregt in einem denkenden, ja selbst in einem ge- wöhnlichen Gemüthe die Vorstellung gränzenlosen Raumes; der Charakter der Einigkeit ist diesen festen Bällen aufge- drückt, die der Verwesung und dem Verfalle unzugänglich scheinen; die erhabenste Zahlen- und Messkunst, die sie wohl ohne Begriff derselben in ihren Bewegungen ausüben, schei- nen ihnen lebendig eingeboren, und ihr wirklicher oder ein- gebildeter Einfluss ermuntert den eitlen Glauben, dass die Erde und ihre Bewohner der Gegenstand ihrer besondern Fürsorge wären. Die astronomische Schule der Araber war ein reiner Himmel und eine nackte Erde. In ihren nächtli- chen Zügen liessen sie sich durch die Sterne leiten; ihre Namen, Ordnung und täglichen Stellungen waren dem arabı- schen Nomaden wohl bekannt, und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, den Zodiakus des Mondes in acht und zwanzig Theile zu schneiden, und die Sternbilder zu segnen, welche die dnrstige Wildniss durch heilsamen Regen erfrischten. Neben dieser reizenden Anbetung der Himmelskörper hatten die Ara- ber je nach den verschiedenen Stämmen auch noch allerlei abergläubische Ceremonien und Localgottheiten. So war der Zustand der Araber, als Mohamed-ben-Ab- dallah, den wir einfach blos Mohamed nennen, unter ihnen erschien. Er war dem Stamm der Koreisch und der Familie der Haschem, einer der edelsten des Landes, entsprossen. Nach der Ueberlieferung seiner Gefährten zeichnete sich Mo- hamed durch persönliche Schönheit aus, eine Gabe, die sel- ten verachtet wurde, ausgenommen vielleicht von Solchen, denen sie versagt blieb. Er besass dabei eine grosse Beredtsam- keit, die durch eine wohltönende Stimme, durch die reinste arabische Mundart und eine feurige Phantasie gehoben wurde. Seine Zuhörer bewunderten seine imposante Erscheinung, sein 9 durchdringendes Auge, ein Antlitz, das jede Empfindung der Seele spiegelte, und Geberden, die jedem Wort seiner Lip- pen Nachdruck gaben. Von seiner frühesten Jugend an war Mohamed religiösen Betrachtungen ergeben. Jedes Jahr ent- zog er sich im Monat Ramadan der Welt und den Armen seines geliebten Weibes Kadidscha, und brachte 28 Tage in der Grotte ven Hera, drei Meilen von Mekka, in schwärme- rischem Nachsinnen zu. Der Glaube, den er in der Folge unter dem Namen Islam seiner Familie und Nation predigte, besteht in einer ewigen Wahrheit und einer in seiner Stel- lung nothwendigen Erdichtung: es giebt nur einen Gott und Mohamed ist Gottes Prophet. Mit diesem religiösen Wahlspruch auf der Lippe und dem Schwert in der Hand breiteten die Anhänger jenes aus- serordentlichen Mannes, der ihren Glauben durch feuriges Wort entflammt und ihren Muth als Führer in den ersten, glücklichen Kämpfen gestählt hatte, die neue Lehre aus. Der Koran, ein Buch voll sittlich schöner Gebote und arger Widersprüche, war der Verbreitung des Islamismus durch Ueberredung und Gewalt gleich günstig. Durch die Verwil- ligung des Genusses des Reickthums und der Schönheit auf Erden, und die Verheissung der schmeichelndsten Freuden eines künftigen Paradieses zog er eben so viele Proselyten an, als er eifrige Bekenner begeisterte, für die Verbreitung der Lehre in Kampf und Tod zu gehen; denn die höchsten Genüsse des mohamedanischen Himmels waren besonders den Märtyrern des Glaubens aufgespart. „Das Schwert — sagt Mohamed — ist der Schlüssel za Himmel und Hölle; ein Tropfen Blut in Gottes Sache vergossen, eine Nacht in Waf- fen zugebracht, nützt mehr, als zwei Monate Fasten und Beten. Wer immer in der Schlacht fällt, dessen Sünden 10 sind verziehen. Am Tage des Gerichts werden seine Wun- den glänzen wie Scharlach, duften wie Moschus, und der Verlust seiner Gliedmassen wird durch die Fittige der Engel und Cherubim ersetzt werden.“ Wo der Glaube an solche Verheissung stark und feurig lebte, da war es nicht zu ver- wundern, wenn viele Schwerter sich entblössten, viele Enthu- siasten den Tod suchten, und die kriegerischen Erfolge der Jünger einer solchen Religion ungeheuer waren. In weniger als einem Jahrhundert wurden Arabien, Persien, Syrien, Aegypten, die Berberei und Spanien erobert; kein grösseres Reich hat sich je in so kurzer Zeit erhoben. Mit der gros- sen, entscheidenden Niederlage jedoch, welche die von einem furchtbaren Wahne begeisterten Mohamedaner durch Karl Martell erlitten, war es aber auch um die Weiterverbreitung ihrer Lehre geschehen. Die Zuversicht des Erfolges wich von ihnen, und der Islam hatte von jener Zeit an keine Aus- sicht mehr, sich zur herrschenden Weltreligion zu erheben. Unter den Arabern der Berberei, deren Sitten und Cha- rakter ich hier zu schildern versuche, verstehe ich die Nach- kommen jener funfzigtausend Familien reiner Araber, welche im siebenten Jahrhundert den Nil überschritten, die libysche Wüste durchzogen und im Gefolge der Heere Akbah’s, Has- san’s und Mussa’s, nach Besiegung der Berber und Mauren in Numidien und Mauritanien sich niederliessen. Dieselben blieben im Allgemeinen der Lebensart ihrer Altvordern ge- treu, obwohl nicht zu leugnen ist, dass ihre Versetzung in ein anderes Land und Klima, und ihre Berührung mit vielen fremden Völkern, auf sie nicht ohne Einfluss geblieben ist, nicht ohne Einfluss bleiben konnte. Dass sie sich ganz und überall von aller Vermischung mit den Besiegten rein erhal- ten, ist unwahr. Obwohl im Allgemeinen ziemlich scharf und ' H deutlich von den Kabylen und Mauren geschieden, fehlt es doch auch bei so manchen Stämmen nicht an Uebergängen. Mehrere Kabylenstämme der Provinz Constantine sprechen, wie schon Shaw bemerkt, arabisch. Unter den Kabylen der Umgegend von Ghelma herrscht Sprache, Typus und Tracht der Araber vor. Der Stamm der Amrauah’s bei Dellys ist halb arabisch, halb berberisch, wie ich aus zuverlässigen Angaben von Renegaten 'erfuhr, und was auch Pellissier im dritten Band seiner Annales algeriennes bestätigt. Endlich fand ich in Sitten, Physiognomien und Tracht der Hadars (Mauren) von Mascara die grösste Annäherung zu den Ara- bern. Ueberdies ist es auch bekannt, dass bei den häufigen Kriegen, welche diese Länder heimsuchten, viele maurische Städtebewohner nach der Zerstörung» ihrer Häuser genöthigt wurden, bei den arabischen Stämmen in der Wildniss ein Asyl zu suchen, und entweder für sich selbst ganz zu Ara- bern wurden, oder mit den Stämmen sich vermischten. Die- ser Fall wiederholte sich auch seit »1830 mehr als einmal. Die Kabylenbevölkerung der Stadt Arzew mischte sich unter die arabischen Bewohner der Ebene Ceirat; viele Mauren von Mostaganem nahmen ihre Wohnplätze mitten unter den Stäm- men am Schelif. Pellissier schätzt die Zahl der seit 1830 nach dem Innern ausgewanderten und mit den Arabern ver- mengten Mauren auf 10,000 Familien. Doch gehören diese Vermischungen immer nur zu den einzelnen Ausnahmen, und im Ganzen hat sich der arabische Volksstamm von allen übri- gen Volksstämmen der Berberei am reinsten erhalten, hat seine ursprünglichen Sitten am reinsten bewahrt, und ist ohne Zweifel der homogenste, kräftigste Theil der Bevölkerung der Regentschaft Algier. Die Geographen und Geschichtsschreiber unterscheiden in 12 dem arabischen Volk nach seiner Lebensart zwei grosse Classen: die sesshaften Araber, die den Boden bebauen oder Handel treiben und in Städten oder Dörfern an festen Wohn- sitzen leben — die wandernden Beduinen, die Viehzucht trei- ben, und gelegentlich auch vom Raube leben. Schlosser bemerkt mit Recht, dass nur jene eine eigene Geschichte, die Nomaden der Wiiste aber nur Genealogien haben, so lange sie die Gegenden, in denen sie herumziehen, bewohnen, aus- serhalb dieser aber sich unter andern Stämmen verlieren. Die ‚Araber von Algier kennen das Wert Bedawi, welches in der rein arabischen Sprache so viel als „Landbewohner“ be- deutet, und aus dem unser Name „‚Beduine“ abgeleitet ist, nicht. Sie nennen sich durchgehends el-Arbi; nur die sehr wenigen Araber, welche sich in Städten festgesiedelt haben, und deren Zahl sich kaum auf einige hundert beläuft, wer- den von ihren Landsleuten mit dem Namen Hadars bezeich- net, den sie übrigens allen Stadtbewohnern , auch den Mau- ren, geben. Die grosse arabische Landesbevölkerung Alge- riens nähert sich in Lebensgewohnheit und Sitte den eigent- lichen Beduinen; doch mit dem Unterschied, dass sie sich, so weit der anbaufähige Boden reicht, immer nur in einem gewissen Bezirk bewegt, und dieses Stammgebiet, „Uthan‘‘ genannt, ohne ausserordentliche Ursachen nicht verlässt. - Eigentliche Beduinen sind jene Araberstämme, welche im Blad-el-Dscherid, im Kobla und in den Gränzstrichen der Wüste wohnen, dort wenig oder gar keinen Ackerbau trei- ben, und nur mit ihren Heerden von Kameelen und Schafen nach Weideplätzen umherziehen. Die Sprache der Araber die- ses Landes ist ein Idiom der reinen Arabersprache, und wird von den Aegyptern nicht ohne einige Mühe, von den Syrern und den Bewohnern der grossen Halbinsel uoch schwerer ver- 15 standen. Doch findet man in jedem, auch noch so verdorbe- nen Worte den arabischen Stamm leicht heraus. Die Araber der Berberei sind ein kräftig gebauter, schö- ner Menschenschlag. Sie übertreffen alle mir bekannten Völ- ker Europas, vielleicht mit Ausnahme der Westphalen und Tyroler, an Grösse; auch sind sie alle viel gleichmässigerer Statur, als die Europäer. Ganz magere Araber sieht man sehr selten, und von sehr dicken Individuen ist mir, unter den Tausenden, die ich gesehen, nicht ein einziges vorge- kommen. Es ist ein Menschenschlag, den sein Wohnen un- ter luftigem Zelt, seine vielfache Bewegung unter freiem Him- mel, seine einfache, gleichmässige Kost gegen alle Ausartung des Körpers bewahrt hat. Die Araber haben eine sonnenge- bräunte Gesichtsfarbe, sie tragen kurze Bärte und Schnurr- bärte, ihr Haupthaar rasiren sie, und nur in der Umgebung des Wirbels bleibt ein langer Büschel stehen. Ihre Zähne sind sehr weiss und schön, ihr schwarzes Auge hat einen stolzen, furchtlosen Ausdruck, ihre Haltung ist eben so kühn und imponirend; nur wenn sie auf dem Pferd, Kameel oder Esel sitzen, beugen sie den Kopf weit vor, in geduckter Haltung. Ihre Kleidung besteht in einem weissen Haikh, der den ganzen Körper wie ein weites Hemd umhüllt, und vom Kopf bis zu den Füssen reicht. Die gemeinen Araber tragen den Haikh auf dem blossen Leib; die Vornehmen tra- gen ihn über dem Unterhemd. Der Haikh wird durch einen braunen, kameelshärenen Strick, der statt des Turbans dient, um das kahle Haupt befestigt. Ueber den Haikh, der meist von feiner Wolle gesponnen ist, ziehen die Araber einen weiten, wallenden Mantel, den Bernuss an, der von gröbe- rer Wolle gewebt, bei den Stämmen der Provinz Constantine gewöhnlich weiss, in den westlichen Landestheilen, wo die 14 schwarzen Schafe viel zahlreicher vorkommen , häufiger schwarz ist. Die Kapuze, die sich ganz oben an diesem Wollmantel befindet, ziehen die Araber bei regnerischer Wit- terung ganz über den Kopf. Die nackten Beine der Araber werden von dem Bernuss umhüllt. Um die Füsse binden sie mit Stricken ein Stück Ochsenhaut, dessen Haare nach aussen gewendet sind. Alle Häuptlinge und überhaupt vornehmen Araber tragen statt dieser armseligen Fussbekleidung hohe, gelbe Reiterstiefel von sehr hübscher Form. Die meisten Scheikhs tragen auch weite Beinkleider, und einige der mäch- tigsten Stammhäuptlinge goldgestickte Westen, wie die Tür- ken, dech in der Regel nur bei sehr feierlichen Gelegenhei- ten, z. B. während der Beiramtage. Die Kleidung der Wei- ber besteht in einem weiten Wollhemd mit kurzen Aermeln, das sie mit einem Strick um den Leib gürten, und um die Brust mit grossen eisernen Nadeln befestigen. Sie tragen ihre langen Haare unordentlich in Zöpfen geflochten , und hüllen häufig ein buntes Tuch um das Haupt. Beine, Brust und Gesicht tatuiren sie sich gewöhnlich vom zwölften Jahre an, und ihre Nägel färben sie mit Henna braunroth. _ Um Arme und Beine tragen sie dicke ‚Spangen, von Silber die Reichen, von Kupfer oder Eisen die Armen. Auch an die Ohren hängen sie ungeheure Ringe, und lieben überhaupt dergleichen Schmuck. Obwohl der Koran allen Weibern Schleier zu tragen befiehlt, so gehen doch sämmtliche Arabe- rinnen, mit Ausnahme der Frauen der gefeiertsten Marabuts, die sich streng an die Gebote des Propheten halten, unver- hüllt. Bei ihrer arbeitvollen Lebensweise und ihrem bestän- digen Wohnen unter der heissen Sonne wäre das Schleiertra- gen für Araberinnen eine unerträgliche Last. Die grosse Mehrzahl der Araber wohnt unter schwarzen, 15 ‚von Kameelhaaren gewebten Zelten, die gewöhnlich in Grup- pen von zehn bis zwanzig beisammen stehen, und einen Duar oder bewegliches Dorf bilden. In der Provinz Oran und im Süden der Provinz Constantine giebt es solche Duars von drei- bis vierhundert Zelten; sie bilden einen Kreis, in dessen Mitte die Heerden eingeschlossen werden. In jenen Landes- theilen herrscht das Araberleben in seiner grossen Eigenthüm- lichkeit, während die elenden Stämme der Metidscha bei Al- gier in armselige Duars von höchstens zwölf Zelten zerstreut sind. Einige wenige Stämme, wie ein Theil der Beni-Kha- dl und Khaschna bei Algier, haben die uralte Sitte der Zelt- wohnung abgelegt, und sich dafür Strohhütten gebaut von fast noch elenderem Ansehen. Diese Hütten heissen Gurbi. Sie stehen gleichfalls zu zehn bis zwanzig beisammen, und bilden kleine Dörfer, die man Dschimas in der Ebene, Daschkrahs im Gebirge nennt. Das Zelt oder die Hütte ist gewöhnlich in zwei Gemächer durch einen härenen Vor- hang getrennt, In das eine ziehen sich gewöhnlich die Frauen zurück, wenn ein Gast den Eheherrn besucht, obwohl, wie gesagt, die Araberinnen keine besondere Scheu haben, vor. den Fremden sich sehen zu lassen. Die Araber besitzen nur äusserst wenig Geräthschaften. Einige Decken von Palm- blättern geflochten, einige Schafhäute, mit denen sie in küh- len Nächten sich bedecken, ein Dutzend irdene Gefässe, worin Wasser, Milch und Butter aufbewahrt werden, die nothwen- digsten Werkzeuge zum Weben der Bernusse, eine kleine Handmühle zum Mahlen des Weizens, endlich Waffen und Pferdezeug, dies ist fast die ganze Ausstattung der Woh- nung eines Arabers. Jedes der Zelt- oder Hüttendörfer steht unter dem Be- fehl eines Scheikh oder Schekh, in dessen Familie diese 16 Würde häufig erblich ist. Dreissig bis vierzig Dörfer bilden gewöhnlich einen Stamm; es giebt aber auch Stämme, welche einige hundert Duars zählen, so namentlich die Stämme in den fruchtbarsten Gegenden der Provinz Oran. Sie führen vor dem Namen ihrer ursprünglichen Familie gewöhnlich das Wort Ulid (Söhne) oder Beni (Enkel), z. B. Ulid Maadi (Söhne des Maadi), oder Beni-Mussa (Enkel, Nachkommen des Mussa [Moses]. Das Oberhaupt eines ganzen Stammes führt den Namen Kaid. Es giebt solche Häuptlinge, welche drei- bis viertausend Reiter in den Kampf führen können. Diese Kaids, sowie auch viele Scheikhs, bewohnen häufig steinerne Häuser, von Bäumen und Cactushecken umgeben, sogenannte Hauschs, um welche dann die Duars gruppirt sind. Kaids und Scheikhs bilden eine Art Adel unter dem arabischen Volke. Der Kaid hat das oberste Richteramt und den Vorsitz bei grossen Versammlungen, bei Märkten etc., wo es leicht zu Zank und Schlägereien kommt, und seine Einmischung oft genug in Anspruch genommen wird. Der Scheikh übt das Richteramt in seinem Duar. Kaids und Scheikhs führen besonders auch das Commando im Kriege, wo sie immer an der Spitze ihrer Reiter: stehen, und ihr An- sehen nur so lange geachtet wird, als sie persönliche Tapfer- keit zeigen und keck in’s Feuer gehen. Neben diesen Edlen des Krieges, welche die weltliche Autorität üben, hat jeder Stamm auch seinen religiösen Adel, die Marabuts, vor deren Einfluss häufig das Ansehen aller weltlichen Grossen erbleicht. Hamdam - Ben -Othman -Khodscha, ein maurischer Schrift- steller, leitet die Etymologie des Wortes Marabut (arabisch ' Marabat) von Rabata her, welches im Arabischen gebun- den, verpflichtet heisst. „Der Marabut — fügt Hamdam 17 in etwas seltsamer Erläuterung bei — hat bei Allah die Verpflichtung eingegangen, nur für das Wohl seiner gläu- digen Brüder zu leben.“ Ein Scheikh der Garrabas, der mir eines Tages einen Marabut seines Stammes vorstellte, rief, um mir dessen Würde zu erklären, in der Lingua franca mit Nachdruck aus: Santos! Ich glaube in der That, dass man den Marabuttitel nicht besser verdolmetschen kann, als mit dem eines „Heiligen.“ Die Marabuts versehen zwar auch den Priesterdienst, aber es ist nicht das blosse Priesteramt, das sie zu Marabuts macht. Die Ehrfurcht, die man ihnen zollt, hängt hauptsächlich nur von ihrem frommen Wandel, ihrer Enthaltsamkeit, Wohlthätigkeit, endlich auch sehr viel -von ihrem Talent und ihren Kenntnissen ab. Zum Berufe eines Marabuts gehört vor Allem, dass er schreiben, den Ko- ran lesen und auslegen kann, dass er ein zurückgezogenes Leben führt, sinnlichen Genüssen möglichst entsagt (die Ma- rabuts rauchen nie), und durch Unterdrückung der Leiden- schaften, durch Führung eines frömmern Wandels den übri- gen Arabern ein schönes Beispiel giebt. Unterlässt er eine dieser Pflichten, so ist es, obwohl ihm der in seiner Familie erbliche Titel bleibt, doch um seinen Einfluss geschehen. Die bedeutenderen Marabuts haben Seminare oder Ghetnas, wo sie junge Leute unterrichten. ‘Sie versammeln dort auch häu- fig eine grosse Menge Andächtiger zu Predigt und Gebet, und ihre Einsiedeleien sind für alle Unglücklichen ein Asyl, welches selbst die brutale Tyrannei der türkischen Beys nur sehr selten und nie ohne Gefahr für sie zu verletzen wagte. Das Leben und Wirken der Marabuts ist für sie selbst eben so schön und lohnend — sie haben die einmüthige und innige Verehrung ihres ganzen Stammes oder Volks: für sich — als für die Menge voll Segen und wohlthätiger Folgen. Wie viel Morıtz Wacner’s Algier, II. 2 18 Blut wird gespart, wie viele Verbrechen werden gehindert, wie viele Feinde versöhnt durch das Dazwischentreten des Marabuts! Bei einem so reizbaren, so rachsüchtigen, so anarchischen Volke, wo die Verführung eines Weibes, der Diebstahl eines Pferdes, oder selbst eine weit unbedeutendere Beleidigung, oft ganze Stämme in wilde Fehde verwickelt, und die fürch- terliche Aufregung der Parteien nur in Blutströmen sich küh- len zu können scheint, ist die Rolle eines Friedensstifters eine gar edle und preiswürdige; er tritt mit eigener Lebens- gefährdung zwischen kämpfende Gegner, welche die Leiden- schaft taub gegen vernünftiges Wort, fühllos gegen die Bande des Bluts macht, die nicht auf die Stimme des Bruders hören, und denen allein nur die Erscheinung des heiligen Einsiedlers, vor dessen ernstem Blick der Yatagan sich senkt, zu impo- niren, sie zu milderm Sinn zu bringen vermag. Der Ein- fluss der Marabuts verhindert zwar nicht den häufigen Aus- bruch der Fehden, aber ihr zeitiges Einschreiten lässt es sehr selten zu starkem Blutvergiessen kommen. Doch nicht allein in so ernsten und gefährlichen Momenten ist: der Marabut Vermittler und Versöhner, sein heilsamer Einfluss dringt in alle Verhältnisse, er schlichtet auch die Händel der Einzel- nen, mildert den Hass, giebt Rath den Geistesschwachen, Trost den Unglücklichen; sein Wort bleibt selten ganz ohne Wirkung, und wo seine Stimme missachtet wird, bringt dies in der Regel wenig Segen. Ich habe viele französische Mi- litairs gekannt, die in die Hände der Araber gefallen waren, und die Leidensgeschichte ihrer Gefangenschaft mir erzählten. Sie wurden gräulich misshandelt, die Männer schlugen sie, die Weiber schmähten sie und spieen sie an, die Kinder be- warfen sie unter Verwünschungen mit Koth und Steinen; sie wären in wenigen Tagen den Qualen erlegen, ohne die Da- 19. zwischenkunft der Marabuts. An diesen frommen Männern fanden sie die einzigen Beschützer; es waren auch die Einzi- gen, deren Schutz ihnen e{was nützen konnte, denn ein Auf- wallen von Erbarmen und Grossmuth bei einem gemeinen Araber würde der taube, fanatische Grimm der grossen Mehr- zahl seiner Landsleute überschrieen haben. Der Marabut ist zwar immer geneigt, den Dschad oder „heiligen Kampf“ gegen die Christen zu predigen, und in fiammenden Worten sein Volk aufzureizen, das Blut der Ungläubigen zu verspri- tzen; aber vor dem entwaffneten, gefangenen, gebeugten Chri- sten erlöscht sein Hass. Die höhere Bildung, der verständi- gere Glaube, häufige religiöse Betrachtungen, dann besonders die Gewohnheit, bei seinem wilden Volke beständig den Frie- densstifter und Versöhner zu machen, haben in ihm eine ge- wisse Milde geweckt, die den übrigen Arabern fremd ist, und wenn er gleich zum Streite mahnt gegen die eingedrun- genen „Rummis‘, und selbst mit in den vordersten Reihen kämpft, so ruft doch der unglückliche Feind selten verge- bens sein Mitleid an. Auch wenu die französischen Gefange- nen sich weigerten, die mohamedanische Religion anzuneh- men, schützten sie die Marabuts doch immer noch gegen Misshandlungen. Wendelin Schlosser?) und seine. Unglücks- gefährten wurden, obwohl sie Christen blieben, von Sidi- Ali- ben- Aissa, einem berühmten Marabut vom Stamm der Flissa, immer gütig behandelt. Einige Gefangene in Constantine, die vor den Grausamkeiten des Beys Achmet flohen, fanden Aufnahme bei den Marabuts der südlichen Stämme, und der °) Wendelin Schlosser, ein Soldat der Fremdenlegion, wurde im Jahre 1834 von den Arabern gefangen und zu Achmet-Bey gebracht, in dessen Diensten er einige Jahre verlebte. Dieser Deutsche hat seine Schicksale in einer im Jahre 1839 erschienenen Schrift erzählt. 2# 20 türkische Tiyrann wagte nicht, das geheiligte Asyl jener Ein- siedler zu verletzen. Das Andenken an Sidi -Mohamed - Mu- barek, den berühmtesten Marabut der Provinz Algier, wird von Allen, die ihn kannten, worunter viele Europäer waren, innigst verehrt. Er war ein milder Greis, der seinen grossen Einfluss, den er über alle Stämme der Provinz Algier besass, immer nur in friedlicher Absicht übte. Die ungerechten Ver- folgungen, die er unter dem despotischen Herzog von Rovigo zu dulden hatte, seine jahrelange Einkerkerung, hatten ihn gegen die Christen nicht erbittert, und er blieb dem Nachfol- ger Rovigo’s, General Voirol, der ihn in Freiheit setzte, bis an’s Ende seines Lebens als Freund zugethan. Sidi- Moha- med scheute sich nicht, auch über religiöse Gegenstände mit den Europäern zu streiten, und that dies ohne Heftigkeit. Ich selbst habe Marabuts von den Stämmen der Ariben, Beni- Urschin, Duairs und Zmelas persönlich gekannt, und freute mich ihres sanften Umgangs und ihrer gemüthlichen Unter- haltung. Wenn übrigens auch der Einfluss der Marabuts auf die häuslichen Angelegenheiten ihrer Landsleute ein durchaus günstiger und heilsamer ist, so darf man sich doch auch die Kehrseite ihres Charakters nicht verbergen. Da ihre Macht durchaus auf den religiösen Sinn der Araber sich gründet, da mit dem Erschlaffen des festen und feurigen Glaubens dieser rauhen, aber frommgläubigen Wilden es bald um ihr jetzt unbestrittenes Ansehen und ihren schrankenlosen Einfluss im Lande geschehen wäre, so sind sie durch ihr eigenes Inter- ‚esse betheiligt, ihr Volk von jeder Art Aufklärung, von jeder Reform, ganz besonders aber von jedem nähern und vertrau- tern Umgange mit den Christen fern zu halten, dem Woh- nen der Araber unter Europäern, ihrer etwaigen Ver- 21 schmelzung aus allen Kräften entgegenzuwirken, und zu ver- hüten, dass der Fanatismus durch langen Frieden und freund- lichen Verkehr mit den Europäern je völlig einschlummere. Es ist nicht zu leugnen, dass ohne die fanatischen Stimmen der Marabuts viel Unglück, viel Blutvergiessen erspart worden wäre. ÜUeberall, wo die Franzosen auf bedeutenden, compac- ten und dauernden Widerstand stiessen, war gewiss einer jener Priester an der Spitze der Feinde. Auch die Edlen aus der Classe der Krieger suchten manchmal im Innern sich mehrere Provinzen zu unterwerfen, ein arabisches Reich zu gründen und den Widerstand gegen die Franzosen im Grossen zu or- ganisiren. Aber ihre Plane scheiterten an der Rivalität und dem Neid anderer Häuptlinge; keinem dieser kriegerischen Grossen gelang es, sein Ansehn weiter, als auf ein paar Stämme, auszudehnen, während sich dem jungen Sohne des Marabut Sidi-Mahiddin Alles ohne grosse Opposition unter- warf. Der alte Mustapha-ben-Ismael, Kaid der Duairs und Zmelas, hatte schon zur Zeit der Türkenherrschaft die Würde eines Aga der Araber versehen. Er war von jeher einer der berühmtesten Krieger des Landes, von einer Hoheit der Ge- stalt, wie sie Wenigen verliehen, ein Mann, der zum Herr- scher geboren schien, voll Energie und Muth, dabei hochbe- jahrt, erfahren, vertraut mit den Angelegenheiten der Stämme. Dieser Häuptling war in der ersten Zeit Abd-el-Kader’s furchtbarster Widersacher, und führte alle seine Parteigänger gegen die aufkeimende Macht des Emirs der Haschem in den Kampf. Aber der alte Held erlag sehr schnell gegen den jungen Marabutsohn, und flüchtete sich, bald von all’ den Sei- nen verlassen, in den Meschuar von Tlemsan, wo er später den Franzosen sich in die Arme warf. Die arabischen Krie- gerhäuptlinge sind für die Franzosen weit weniger gefährliche 22 Gegner, als die Marabuthäuptlinge. Jene haben neben dem Fanatismus noch andere Leidenschaften, welche diesem die Wage halten. Sie sind herrschsüchtig, geldgierig, weniger strenge.Beobachter der Korangebote; sie lassen sich ziemlich leicht durch Bestechung gewinnen, und Eifersucht und Miss- gunst gegen ihre Rivalen sind zuweilen mächtiger in ihnen, als alle religiösen Rücksichten. Die Marabuts sind ihrem Glauben entweder wirklich viel eifriger zugethan, als die weltlichen Grossen, oder sie müssen es wenigstens scheinen. Erkennen sie die Herrschaft der Christen an, so ist es gleich um ihren geistigen Einfluss geschehen. Sie können wohl für eine gewisse Zeit zum Frieden mit den „Rummis‘“ mahnen, aber nimmermehr sich ihnen unterwerfen. Als der Capitän Alegro, welcher zu Abd-el-Kader in Auftrag der französi- schen Regierung gesandt worden, dem Emir rieth, er möge seine Prätensionen etwas herabstimmen, und sich zu einem‘ geringen Tribut gegen den König der Franzosen, als seinen Oberherrn bequemen, da antwortete jener: er würde morgen von all’ den Seinigen verlassen seyn, wenn er heute Tribut bezahle. ? Was ich oben von dem Charakter der Marabuts gesagt, gilt namentlich von jenen, die unter ihrem Volk in besonders hoher Verehrung stehen, deren Einfluss nicht mehr bestritten ist. Sidi-Mohamed-Mubarek in Coleah, Sidi- Abdherahman zu Flissa, Sidi - Mahiddin in Mascara waren wirklich edle Männer, welche sich über ihr Volk, wenn nicht durch einen aufge- klärtern Geist, doch durch ihre Tugenden erhoben. Nicht alle In- dividuen aber, welche sich den Titel Mraba t (Marabut) beilegen, sind auch der That nach Heilige. Es giebt unter diesen Marabuts auch manche wirklich verrückte Menschen, manche Heuchler, die beim öffentlichen Gebete die frömmsten Gesich- 23 - ter schneiden und im Staub sich krümmen, während sie heim- lich der Wollust und Habgierde fröhnen, es giebt auch nicht wenig Charlatane unter ihnen, die den grossen Haufen mit allerlei Gauklerkünsten täuschen, sich besessen stellen, eine erkünstelte Sprache führen, und, nach Macht und Reichthümern lüstern, lieber durch Trug als durch ein ascetisches Leben und Beispiele der Tugend auf die Menge Einfluss zu gewin- nen suchen. Ich sah auch mehr als einen wirklichen Toll- häusler unter diesen sogenannten Heiligen, manche wüste Gestalt, mit Schmuz und Ungeziefer bedeckt, irren, stechen- den Blicks, welcher nur eine gewisse mitleidige Ehrfurcht von den Arabern gezollt wurde. Aber Ruf und Ansehen sol- cher Marabuts. vierten und fünften Rangs, deren es eine Un- zahl giebt, geht selten oder nie über ihren Duar hinaus. Alle jene grossen, gefeierten Marabuts dagegen verdienen durch eine Milde und Liebe, die ganz an das Christenthum erinnert, wirklich jene hohe Verehrung, die ihnen ein ganzes Volk in so rührender Weise zollt. Marabuts, Kaids und Scheikhs bilden in den Stämmen den Orden der Grossen (Atsal-el-Kebir), welche als Richter bei Streitigkeiten, als Stimmführer im Rath und als Befehlshaber im Kampf ihre Ueberlegenheit geltend machen. Die weltlichen Grossen erlauben sich auch zuweilen kleine Erpressungen, namentlich auf den Märkten, doch immer nur auf indirecte Weise, so dass der Profit, den sie bei solcher Gelegenheit zu ziehen wissen, eigentlich mehr einem Betrug als einer Erpressung gleich sieht. Den gefeierten Marabuts fallen freiwillige Abgaben reichlich zu. Daher sind die Mei- sten auch sehr wohlhabend, und im Stande, die Gastfreund- schaft an ihren zahlreichen Besuchern in weitem Sion zu üben. Die Vorrechte dieses „‚Stammadels“ der Krieger und Heiligen 24 haben übrigens sehr enge Gränzen, und mir ist kein Volk _ der Welt bekannt, bei welchem im Allgemeinen mehr Gleich- heit herrschte. Alle Marabuts sind gekleidet wie der gemein- ste Araber, ja oft zeichnen sie sich durch noch grösseren Schmuz, durch noch mehr Zerlumptheit aus. Abd-el-Kader, der über einen Flächenraum von mehr als 6000 Quadratmeilen gebietet, und 40,000 Reiter unter seiner Fahne versammeln kann, ist, wie mir die HH. Varnier, Daumas und andere Franzosen, welche ihn so oft gesehen, versicherten, unter einem Haufen gemeiner Beduinen nicht von den Andern zu unterscheiden. Als General Bugeaud mit diesem Fürsten an der Tafna zusammentraf, trug derselbe einen abgetragenen, schmuzigen Bernuss, wie der ärmste seiner Begleiter. Nur in Waffen und Sattelzeug der Pferde zeigen Kaids und Scheikhs etwas mehr Luxus, als andere Araber. Bei feierlichen Ge- legenheiten, namentlich an den Beiramtagen, kleiden sich auch einige Häuptlinge in etwas feinere Stoffe, ziehen weite Bein- kleider wie die Türken und goldgestickte Westen an; doch ist dies keineswegs ein Vorrecht der Häuptlinge, und jeder wohlhabende Araber kaun das Gleiche thun. Die Grossen treiben auch dieselbe Beschäftigung, wie, all’ ihre Landsleute. Der Kaid schämt sich nicht, ein Stück seiner Heerde selbst zu holen, es mit eigener Hand zu schlachten, und am Feuer zu braten. Er bringt, wie die übrigen Araber, sein Vieh oder Getreide auf den Markt. Sein Weib webt zu Hause den Wollbernuss, kocht den Kuskusu, und holt Wasser am Brunnen; sein Sohn hütet mit den anderen Jungen des Stam- mes die Heerden. Die Araber sind sehr höflich unter einander; sie berüh- ren sich beim Begegnen auf dem Wege gegenseitig die Hände, und bringen dann ihre eigene Hand zum Munde. Die 25 Fragen: ,‚Wasch halek®? Wasch hinta?“ (Wie geht's? Wie steht’s?), werden beiderseits wenigstens sechsmal wieder- holt, und auf diese folgen weitere ceremonielle Fragen, so dass immer einige Minuten vergeheu, ehe sich ein eigentli- ches Gespräch entspinnt. _ Die ernsten und wilden Gesichts- züge gewinnen dabei einen recht milden und freundlichen Aus- ‚druck, und in solchen Augenblicken möchte man dieses Volk fast liebgewinnen, wäre die Kehrseite seines Charakters we- niger entsetzlich. Zwischen den gemeinen Arabern und den Häuptlingen ist die Begrüssung ganz die gleiche, Hohe und Niedere behandeln sich höflich und herzlich. Den grossen Marabuts wird zuerst die Hand geküsst; der Besucher nimmt aber dann ohne alle Ceremonien neben ihm Platz, und plau- dert mit ihm unbefangen und vertraulich. Derselbe Fall ist auch bei Abd-el-Kader, den die Sultanswürde nicht über diese Gleichheit erhebt. Ueberhaupt bringt menschliche Macht und Grösse den Araber nicht aus der Fassung, zwingt ihm ‚nie zaghafte Furcht ab. Er verliert in keiner Lage seine kühne Haltung, und schlägt sein Auge so wenig vor dem Glanze des Sultanthrones, als vor dem Yatagan des Henkers nieder. Die Worte, die er in Allah’s Mund legt: „Mein Sklave, warum fürchtest du meinen Sklaven? „Steht sein Leben nicht in meiner Hand, wie das ; deinige ** athmen dieses Gefühl der Menschenwürde des Arabers schön und energisch. Dasselbe Gefühl verlässt ihn auch nicht, wenn er gefangen dem Feind oder dem Richter gegenübersteht. Ich sah bei Belida im Mai 1837 vor den General Dam- remont und seinen Generalstab Gefangene treten, die durch dessen kriegerische Umgebung nicht im mindesten eingeschüch- tert wurden, und auf seine Fragen mit einem Stolze antwor- 26 teten, den ich unter ähnlichen Verhältnissen wenig Europäern zutrauen würde. Die Lage der arabischen Frauen ist lange nicht so un- glücklich, als man es sich in Europa vorstellt. - Sie verrich- ten wohl alle Arbeiten der Haushaltung, überlassen dagegen das härtere Geschäft des Feldbaus den Männern. Wahr ist es, die Zärtlichkeit ihrer Ehemänner ist selten gross, oder wenigstens nicht sehr sanfter Art, doch kommen Misshand- lungen fast nie vor, oder werden, wenn Körperverletzungen ihre Folgen sind, durch Geldbussen oder Ehescheidung be- straf. Der Koran erlaubt den Arabern, vier legitime Frauen zu nehmen, aber nur Wenige machen von dieser Erlaubniss Gebrauch. Die Mehrzahl, worunter der Emir Abd-el-Kader, begnügt sich sogar nur mit einer Frau. Von der Eifersucht der Araber hat man viel erzählt, doch wohl auch mit Ueber- treibung. Bei meinen häufigen Besuchen in den Duars zeig- ten sich die Araberinnen ohne Scheu unter den Zelten, und plauderten sogar manchmal mit mir. Nach der Stadt Bona kommen viele Weiber der Landschaft, alte und junge, auf den Markt. In den Duars bemerkte ich, dass die männlichen Mitglieder einer Familie in gewissen Fällen, z. B. bei der Mahlzeit, auf ihren Vorrang vor den Weibern streng halten. Die Kuskususchüssel wird zuerst den fremden Gästen vorge- setzt, dann setzen sich Vater, Söhne oder sonstige Verwandte um die Schüssel, und erst nachdem sich diese vollständig ge- sättigt haben, kommt die Reihe an Weiber und Töchter, die inzwischen den Essenden in einiger Entfernung zusehen durf- ten. Gegen ihre Mütter zeigen die jungen Araber in der Re- gel wenig Achtung, und behandeln sie gleichgültig, ja manch- mal verächtlich, wogegen sie an ihren Vätern mit grosser Liebe hängen, und die äussere Ehrerbietung gegen sie nie 27 ausser Acht lassen. Die arabischen Mädchen heirathen ge- wöhnlich im zwölften oder dreizehnten Jahr; manche sind im dreissigsten Jahre schon Grossmütter, und da ihr Lebensalter meist eben so lange dauert, als das der Europäerinnen, so erleben sie in der Regel mehrere Generationen. Alle Reisenden, welche Arabien besuchten, erzählen viel von dem gastfreien Sinn seiner Bewohner; es ist derselbe eine weltbekannte Tugend des arabischen Volks, die aber nur gegen ihre Landsleute geübt wird. Fremde, besonders Andersgläu- bige, finden, wenn sie nicht im Duar Bekannte haben, oder durch Freunde empfohlen sind, in der Regel nur eine mür- rische Aufnahme, oder werden sogar mit rauhen Worten weg- gewiesen. Auf meiner Reise in’s Innere der Provinz Oran kam letzterer Fall öfters vor, obwohl ich damals einen Rei- ter Abd-el-Kader’s als Führer mit mir hatte. Dagegen ist man dem Araber sehr willkommen, sobald man seine Bekannt- schaft schon zuvor gemacht, und ihm vielleicht irgend eine kleine Gefälligkeit in der Stadt erwiesen hat; immer freut er sich dann des Wiedersehens herzlich, bewirthet den Gast, so gut er kann, und besucht ihn dann wohl auch gelegentlich wieder in der Stadt, um seine Revanche zu nehmen, und an seinen Tisch sich zu Gaste zu laden. Uebrigens ist selbst gegen den Freund und Bekannten die Gastfreundschaft ziem- lich beschränkt. Wenn auch der Araber kein Geld für die Bewirthung verlangt, so sieht er es doch nicht gern, wenn man ohne irgend ein Gegengeschenk von ihm Abschied nimmt. So oft ich auf den Jagdpartien in den Algierer Umgebungen bei den Scheikhs der Ariben, Mustapha-ben-Dschiara oder Ali-ben-Smati, meinen Freunden, einkehrte, musste ich mei- nen Pulvervorrath mit ihnen theilen, und ihre Kinder umschli- chen mich beständig, um von mir kleine Münzen zu erbetteln. 28 Ich war bei demselben Stamme im December 1836 zu einer Hochzeit eingeladen; Gäste fanden sich von nahe und ferne ein, auch mehrere Franzosen aus Algier. Der dampfende Kuskusu war auserlesen und mit Rosinen gespickt, Lämmer wurden geschlachtet, der Kaffee rauchte in ungeheuern Kes- seln, und der Tarr und Rebbeb ertönten Tag und Nacht von dem gellenden Triller der Weiber accompagnirt. Es fiel diese Hochzeitfeier gerade auf den 23. und 24. December. Ich wollte den arabischen Kindern von den Freuden des Christabends einen Begriff geben, und hatte deshalb bei einem deutschen Manufacturwaarenhändler in Algier Nürnberger Spielwaaren allerlei Art für sie eingekauft. Als es dunkel geworden, mussten die Araber sich von dem uns. christlichen Gästen eingeräumten Zelt entfernen. Wir zündeten Wachs- kerzchen an, und breiteten die Gaben auf dem Boden .aus. Die Kinder des Duars warteten neugierig aussen. Ich ver- sammelte sie dann um mich, und versuchte nun, ihnen eine, wenn auch nur dunkle Ahnung von der Weihnachtsfeier bei- zubringen; ich erzählte ihnen, dass Aissa (Jesus), den auch der Koran einen Propheten nennt, vor langer, langer Zeit am Abend desselben Jahrestages zur Welt gekommen, und wie nun zu dessen Gedächtniss die frommen Kinder der Rum- mis an demselben Abend immer von den Engeln mit schönen Gaben bedacht würden; auch ihnen, den kleinen Moslims, - sollte nun einmal die gleiche Freude werden. Ich konnte da- mals noch fast kein Wort arabisch sprechen, und der Dol- metscher, dessen ich mich bediente, um den mohamedanischen Kindern die Mysterien des Christabends zu erklären, war seltsamerweise ein Jude. In die kleinen Araber schien aber leider auch nicht ein Strahl jener wunderlieblichen Vorahnun- gen zu dringen, die bei uns die Phantasie der Kinder beschäf- 29 tigen, ehe sie zu den Weihnachtsherrlichkeiten, zum geputz- ten, flimmernden Baum zugelassen werden. Sie guckten mich mit grossen Augen komischen Erstaunens an, und in ihren Gesichtern war nur zu lesen, dass sie wohl begriffen hatten, sie sollten etwas bekommen, dass sie aber nicht begreifen konnten, warum ich sie so lange warten liess, warum ich ihnen erst vom Aissa erzählte, ehe sie sehen durften, was man ihnen in’s Zelt gelegt. Kaum waren sie eingelassen wor- den, so setzte es auch fast schon Schläge um die hölzernen Säbelchen und Kreuzertrompeten, obwohl ich jedem sein Theil zuvor abgesondert hatte. Dann lief jeder mit dem, was er erhascht hatte, davon, um es in Sicherheit zu bringen. Ich merkte da wohl, dass die Kinderseligkeit des 24. December- abends sich ohne den christlichen Glauben nicht wohl unter fremde Völker verpflanzen lasse. Wenn auch die Knaben an den Säbelchen, die Mädchen an den Glasperlen ein sehr na- türliches Vergnügen hatten, so fehlte doch alle poetische Zu- gabe. Sie hatten, um mit einem deutschen Dichter zu spre- chen, keine Ahnung, dass ‚der liebe heilige Christ mit gar freundlichen, frommen Kindesaugen hineinleuchte, und, wie von segensreicher Hand berührt, jede Weihnachtsgabe herrliche Lust bereite, wie keine andere.“ — Diese Episode meines Aufenthalts bei den Arabern findet hier ihren Platz nur we- gen des Ausgangs. Nachdem ich sonach sämmtliche Kinder des Duars mit Kleinigkeiten beschenkt, gab ich dem Vater des Bräutigams, welcher mich eingeladen hatte, noch zwei spanische Piaster für die Bewirthung; er schien aber nicht einmal zufrieden. Die Kinder liefen mir noch lange mit dem Geschrei nach „Addini Sordi, Sordi!“ (Gieb mir einen Sou, einen Sou!), und als ich in Algier meinen Mantelsack wieder ausleerte, fand es sich, dass die Hälfte der Gegenstände von 30 meinen gastfreundlichen Wirthen gestohlen worden. Dies ist für die Art, wie die Gastfreundschaft bei den Arabern der Berberei gegen Christen verstanden und geübt wird, bezeichnend genug. An andern Orten, wie bei den Garrabas in der Provinz Oran, musste ich erst meinen ganzen Tabak- vorrath austheilen, ehe man mir ein Zelt aulsteckte. Dage- gen fand ich bei andern Stämmen in der Provinz Constantine auch manchmal eine wirklich gute Aufnahme und Bewirthung; einmal machte ich sogar die seltene Erfahrung, dass mein Wirth beim Abschied sich weigerte, ein Geldgeschenk an- zunehmen. Ein solcher Fall gehört aber zu den Ausnahmen, und wenn er öfters sich ereignet, so darf man doch immer als ganz sicher annehmen, dass der Araber irgend eine heimliche eigennützige Absicht dabei hat, und sich auf andere Weise dafür bezahlt zu machen sucht. Uebrigens sind die Araber, wie gesagt, gegen christliche Besucher, wenn sie solche schon öfters gesehen, unter dem Zelt äusserlich liebreich und. herz- lich. Mit vielem Anstand führen sie den Gast nach dem Eh- rensitz, der mit Schafhäuten, T’eppichen u. s. w. unterlegt ist. Ehe das Essen kommt, suchen sie ihn durch gemüthliches Plaudern zu unterhalten. Dann wird der Kuskusu aufgetra- gen in einer grossen hölzernen Schüssel. Oben liegt ein Stück Butter in Viereckform geschnitten, welches mit unter den Kuskusu gemischt, und aus hölzernen Löffeln gegessen wird. Von Zeit zu Zeit wird dem Gaste während des Essens frische Milch gereicht. Dann bringt man ihm gewöhnlich noch ein gebratenes Huhn, in Stücke geschnitten. Und von all’ dem rührt der Araber keinen Bissen au, bis sein Gast sich satt gegessen hat. Als einer allbekannten Tugend des arabischen Volks 3l wurde immer auch seiner Achtung vor den Todten erwähnt. Diese existirt auch wirklich bei den afrikanischen Arabern unverändert, ist aber in gleichem Grade fast allen übrigen mohamedanischen Völkern eigen. Von Augenzeugen des Kriegs zwischen Russen und Tscherkessen hört man fast dieselben Züge erzählen, wie die, welche sich bei jedem Zusammen- treffen zwischen Franzosen und Arabern ereignen. Letztere machen die äussersten Anstrengungen, um ihre Todten aus den Händen des Feindes zu retten, und Viele werden dabei selbst ein Opfer ihres Versuchs. Man hat öfters gesehen, dass arabische Reiter mit einer oder zwei Leichen auf ihren Pferden davonjagten, und diese, wenn auch die französischen Chasseurs ihnen dicht auf der Ferse waren, nicht wegwarfen. Oder, wenn auch Todte in den Händen der Franzosen blie- ben, so verfehlten die Araber nie, andern Tags wieder auf dem Kampfplatz zu erscheinen, um wo möglich die Reste ihrer Landsleute zu holen. Sie graben die Leichen sorgfältig ein, und bedecken die Ruheplätzchen mit breiten, festgemauer- ten Steinen, damit die Raubthiere sie nicht ausscharren, Die Art, wie die Franzosen ihre Todten beerdigen, contrastirt zu ihrem Nachtheile sehr mit der frommen Achtung, welche jene Barbaren den Leichen der Ihrigen immer widmen. Die Fran- zosen werfen ihre getödteten Soldaten in das nächste aufge- wühlte Loch, welches sie so nachlässig wieder zudecken, dass sich bei Nacht die Schakale und Hyänen in Haufen einfinden, um ihren 'Gulenschmaus zu halten. Ueberall, wo arabische Gesetze gelten, wird der Verletzer eines Grabes mit dem Tode bestraft. Zu ihren Friedhöfen wählen die Araber gewöhnlich die schönsten Gegenden des Landes; sie pflanzen an dem Ort eine Palme, und bauen über dem Grabe eines Marabuts einen 32 kleinen weissen Tempel, um welchen die übrigen Gräber Bra pirt stehen. Die frugale Lebensweise dieses Volks, eine Eigenschaft, die sich von ihren Altvordern gleichfalls unverändert auf sie vererbt hat, steht allen Civilisationsversuchen als mächtiges Hemmniss im Wege; sie erschwert gleich sehr die Entner- vung, wie die Ausrottung oder Vertreibung dieser Nation. Die nordamerikanischen Rothhäute wurden durch das „‚Feuer- wasser“ besiegt und vom Boden ihrer Väter verjagt; überall, wo diese Wilden den Branntwein gekostet, wurden sie dessen Sklaven, und verloren Energie und Freiheitssinn. Aber gegen die Araber richtete dieses Mittel nichts aus. Wenn sie bei den Christen zu Gast geladen sind, kosten sie recht gern ein gutes Schlückchen Wein oder Branntwein, trotz der Verbote ihres Koran. Aber sie werden nie zu Säufern; sie geben nie das geringste Geld für berauschende Getränke aus, sondern nehmen nur an, wenn man ihnen schenkt. Das Getränk wird ihnen nie zum Bedürfniss, und alle Erinnerungen an die lustigen benebelten Augenblicke sind nicht mächtig genug, ihnen je einen Budschu aus der Tasche zu locken. Ein be- rauschter Araber ist mir während meines ganzen Aufenthaltes nie vorgekommen. In den Duars wird nur Wasser oder Milch getrunken, und dabei steht dieses Volk an Körperkraft und Geistesenergie keinem andern nach. Zur übrigen Nahrung reicht ihm der Kuskusu, das ungesäuerte Brod und einige Früchte hin. Uebrigens sind die Araber auch noch grösserer Enthaltsamkeit fähig, Abd-el-Kader’s Armee nährte sich vor Ain-Maadi mehrere Monate lang fast blos von gekochtem Getreide. Es werden unter dem Gepäcke einer arabischen Armee wenig oder keine Lebensmittel mitgeführt; jeder Rei- ter trägt einige Brode und ein Säckchen Mehl mit sich, wo- 33 mit er nöthigenfalls auf Wochen auskommt, und geht ihm der Proviant aus, so sind auch ein paar Wurzeln der Zwerg- palme und einige Cactusfeigen genug, ihn kräftig und bei guter Stimmung zu erhalten. Mit dem nüchternen Sinn der Beduinen hält ihre Geld- gierde und ihr Geiz gleichen Schritt. Sie verkaufen von den Producten ihres Bodens und .ihrer Heerden jährlich für vier bis fünf Millionen Franken, und kaufen nicht für den zehn- ten Theil dagegen ein. Es hat also seit der französischen Occupation eine Baarsumme von vierzig bis funfzig Millionen Franken, vielleicht auch mehr, den Weg in’s Innere genom- men, und kommt von dort wohl schwerlich mehr zurück. Die Araber, die unter ihren Zelten ihr Baarvermögen nicht ver- wahren können, vergraben dasselbe an irgend einem einsa- men Ort in der Wildniss, und nehmen in unglücklichen Zei- ten, wenn sie von Feinden geplündert worden und verarmt sind, zu dieser Reserve ihre Zuflucht. Indessen ereignet sich letzterer Fall nicht oft, denn da auch die übrige Habe des Arabers, seine Heerden und seine Felder, theils leicht beweg- lich, theils schwer zu zerstören ist, so kommt er selten in eine sehr drückende Lage, und so lange ihn nicht grosse Noth drückt, gräbt er seine Piaster und Budschus nicht wie- der aus. Fast alle diese Summen gehen für die Circulation rein verloren, und ein grosser Theil davon kommt wohl nie mehr an’s Tageslicht, denn bei dem misstrauischen Charakter dieses Volks verheimlichen sogar die nächsten Verwandten einander den Ort, der ihre Schätze birgt, und so mancher Araber bringt durch einen schweigenden Tod den eigenen Sohn um sein Erbe. Die Geldliebe der Araber ist übrigens immer ein günstiger Umstand für den Frieden, und das mäch- tigste Mittel wider den Fanatismus gewesen. Nach jedem Morıtz WaAsner’s Algier, Il, 34 Ausbruch der Feindseligkeiten gewann bei den Stämmen die Begierde, den Ueberfluss ihrer Heerden und ihres Getreides gegen klingende Piaster auszutauschen, bald wieder die Ober- hand und dämpfte ihren Hass so, dass sie selbst gegen die Verbote ihrer Häuptlinge einen heimlichen Handel mit den Franzosen wieder anknüpften. Sogar die Marabuts lieben das gemünzte Silber in einem so hohen Grade, dass man durch eine geschickte Verwendung desselben den Hass vieler dieser einflussreichen Männer brechen und für das französi- sche Interesse gewinnen könnte; doch wird freilich bei der Mehrzahl der ächten Marabuts das Interesse ihrer Religion immer überwiegend seyn, während bei den Kriegern der grössere Theil der Bestechung leicht zugänglich wäre. Der Consul Daumas, welcher während eines mehrjährigen Aufent- halts in Mascara den Charakter der Araber gewiss genau studiren konnte, hatte wohl sehr Recht, ‘wenn er dem Gou- verneur in Algier vorschlug, zur Bestechung der einflussreich- sten Häuptlinge Abd-el-Kader’s jährlich 100,000 Franken zu verwenden, womit er sich anheischig machte, den für das Auflblühen der Colonie nothwendigen Frieden bes- ser zu sichern, und alle Absichten der Franzosen leichter durchzusetzen, als mit einer Expeditionscolonne von 20,000 Mann. Uebrigens ist trotz der eingefleischten Geldgierde doch eine gewisse Mildthätigkeit für manche Arten von Unglück und Gebrechen dem Charakter des Arabers nicht fremd. So werden namentlich die vielen Blinden, die vor den Städten und auf den Märkten das Mitleid der Gläubigen anrufen, mit kleinen Gaben ziemlich reichlich bedacht, und noch weit mehr wird Wohlthätigkeit an Wahnsinnigen geübt, worunter auch zuweilen Betrüger auf den Beutel ihrer mitleidigen Lands- 35 leute speculiren sollen. Auf dem Markte zu Bona sah ich einen solchen Besessenen, der mit stieren Augen unter leb- haften Gesticulationen verworrenes Zeug declamirte, und in dessen schmuzige Kapuze jedesmal dicke Kupfermünzen reg- neten. Dergleichen Anwandlungen von Wohlthun 'bei einem sonst äusserst geizigen und habgierigen Volk sind in der That räthselhaft; diese Paarung der widersprechendsten Eigen- schaften bei den Arabern macht den scharfsinnigsten Beobach- ter irre: daher auch die vielen so schroff entgegengesetzten Urtheile kommen, die man noch bis in die neueste Zeit von Männern hört, welche mit diesem Volk in vielfacher Berüh- rung standen. ' Eben so wie die Habgierde, welche den Araber oft ge- nug zum Verräther an seinem Volk und Glauben, zum Mör- der seiner Blutsverwandten machte, mit jener Mildthätigkeit contrastirt, die man denselben Araber an seinen unglücklichen Landsleuten üben sieht, — eben so seltsam paart sich mit der äussersten Enthaltsamkeit dieses Volks im Essen und Trinken die schändlichste Ausschweifung im Geschlechtstriebe. Daher auch die furchtbare Verbreitung der syphilitischen Krankheiten, mit denen sogar kleine Kinder von ihren Eltern angesteckt werden. Tiefer als der natürliche Missbrauch sind die unnatürlichen Laster eingerissen: die Päderastie, welcher die ungeheuere Mehrzahl der Araber, sogar viele Marabuts, fröhnen, die Sodomie, die man besonders von Knaben üben sieht. Von den Leidenschaften der niedersten Sinnenlust bie- ten die Ereignisse seit 1830 entsetzliche Beispiele. Mademoi- selle Durand, ein reiches Mädchen aus der Provence, fiel im Jahre 1834 in die Hände der Hadschuten, und wurde vor den Augen ihres Bruders von so vielen dieser Wilden ent- ehrt, bis sie starb. Ein ähnliches Schicksal hatten die Gat. 3 E.3 36 tin und die Tochter des Colonisten Lantiniere; letztere ein schönes, blutjunges, blühendes Mädchen von sechzehn Jahren. Beide wurden in Gegenwart des gleichfalls gefangenen Lan- tiniere, des Gatten und Vaters, so oft entehrt, bis sie das Bewusstseyn verloren. An fast allen gefangenen französischen Soldaten wurden, besonders an denen, die jung und blühend waren, die empörendsten Gewaltthätigkeiten begangen, manch- mal von Umständen begleitet, die so scheusslich sind, dass man nicht wagen kann, sie auch nur ferne anzudeuten. Ueberläufer fanden bei Häuptlingen oft nur unter der Bedin- gung Schutz, dass sie sich ihnen ganz überliessen, und bei ihnen ein Leben der Schande und des Siechthums hinschlepp- ten. Den meisten Reisenden, besonders jenen, welche jung und bartlos sind, ja sogar vielen französischen Soldaten in ihren eigenen Lagern, wurden von den Beduinen Geldaner- bietungen gemacht, wenn sie ihren Wünschen sich bequemen wollten. Arabische Väter sollen — so erzählten mir mehrere zurückgekehrte Gefangene — zuweilen an ihren eigenen Söh- nen sich vergehen. Diese unnatürlichen Laster sind so sehr unter der Masse des Volks verbreitet, dass man sie davon, wie von der gewöhnlichsten Sache, reden hört. Die Scherz- reden selbst der Häuptlinge unter einander haben fast be- ständig dergleichen Laster zum Gegenstand. Dies sind die | Menschen, von denen Herr Pellissier in seiner unbegreif- lichen Verblendung erzählt, sie errötheten wie junge Mäd- chen, so oft von obscönen Gegenständen gesprochen würde. Ich habe wenige keusche Araber gekannt, und diese waren sämmtlich nur Marabuts, deren religiöses Ansehen durch ihre Enthaltsamkeit mit bedingt ist; aber auch unter diesen sind viele heimliche Sünder. Abd-el-Kader ist einer der wenigen Grossen, dem man hierüber nichts vorzuwerfen hat. Dieser 37 Fürst hat die Päderastie mit der Todesstrafe belegt, ein Ge- setz aber, das wegen der Häufigkeit des Lasters nicht durch- zuführen ist. In dem Kriege gegen die Franzosen bewiesen die Ara- ber grosse Grausamkeit. In der Regel wurde den gefange- nen Franzosen, nachdem man sie aufs Entehrendste gemiss- handelt hatte, der Kopf abgeschlagen; nur in neuester Zeit wurden hie und da Gefangene geschont und ausgewechselt. Die Leichen der gefallenen Feinde werden von den Arabern verstümmelt. Im der ersten Zeit des Zusammentreffens zwi- schen den Eingeborenen und Franzosen geschahen diese Greuel auf Befehl des Deys; bei der Erbitterung, die auf beiden Seiten eintrat, behielt der Krieg auch später seine wilde, blutige Gestalt, welche erst seit dem Treffen an der Sikak, wo Bugeaud die Gefangenen schonte und gut behandelte, sich etwas gemildert hat. Der Friede wurde, nachdem derselbe durch einen Tractat zwischen den kriegführenden Parteien förmlich abgeschlossen worden, im Allgemeinen ziemlich ge- achtet, wenn auch viele Mordthaten und andere Verbrechen von Individuen verübt worden sind. Man konnte nach dem Vertrage an der Tafna die innern Gegenden der Provinz Oran, von einem einzigen Reiter Abd-el-Kader’s begleitet, sicher durchwandern. Ich machte die Reise von Arzew nach Oran blos in Begleitung eines mir völlig fremden Beduinen vom Stamm der Garrabas, der sich mir als Führer erboten hatte, und dem .es ganz leicht gewesen wäre, mich in der Einsamkeit zu plündern oder zu ermorden. Dieselben Stämme, welche während des Krieges durch Unthaten und Blutdurst sich am meisten hervorgethan "hatten, wie die Hadschuten und die Garrabas, nahmen im Frieden manche durchreisende Franzosen ziemlich freundlich auf. Beispiele der Treulosig- 33 keit, wie der Bruch des Friedens an der Tafna durch einen mörderischen Ueberfall, fehlen aber eben so wenig. Einige Stämme, die sich den Franzosen unterworfen hatten, fielen bei erster Gelegenheit verrätherisch von ihren ab, während andere, wie die Duairs und Zmelas, seltene Treue und Bie- derkeit bewiesen, und für die Franzosen sich so tapfer schlu- gen, als sey es für ihr Volk und für ihren Glauben. Dem Leser dürfte es wohl schwer werden, sich aus den angeführten Hauptcharakterzügen, die so viele Contraste zei- gen, eine feste Meinung über die Araber der Berberei zu bilden, und doch sind diese Züge wahr, und ihr Widerspruch liegt keineswegs in der Auffassung, sondern in dem Charak- ter des Arabers selbst, dem die Natur und der religiöse Glaube so manche unbestreitbare Tugenden verliehen, welche mit der Reihe schaudervoller Laster desselben Volks fast un- verträglich scheinen. Das arabische Volk ist übrigens sehr schwer zu studiren. Ich habe in Algier gescheidte Männer gekannt, scharfsinnige und gewissenhafte Beobachter, welche viel und lange mit den Arabern verkehrt hatten, und mir ge- standen, dass sie sich noch nicht getrauten, über dieses merk- würdige Volk ein bestimmtes Urtheil zu fällen, dass sich ihre Ansichten über dasselbe öfters geändert, dass sie manchmal, empört über die vorgefallenen Greuel, dasselbe unbedingt ver- dammt, dann aber zu ruhigerer Ueberlegung zurückgekommen, und den Motiven und Anlässen, aus denen ihre Thaten her- vorgegangen, nachspürend, ihr Urtheil wieder sehr gemildert hätten. Ueber kein Volk der Welt lauten daher auch die An- sichten der Beobachter widersprechender, und es bleibt am Ende das Klügste, sich alles Urtheils zu begeben, und nur die Handlungen, die Zustände, die Gesinnungen, in so weit man solche bei so wenig mittheilsamen Menschen erkennen 39 kann, so einfach hinzustellen, wie sie einer ruhigen und un- parteiischen Beobachtung erschienen. | Dem Widerstreite der Meinungen über die Araber begeg- net man übrigens bei den neuesten Schriftstellern in demsel- ben Grade, wie bei den alten. Pellissier und Genty haben die Araber eben so übertrieben günstig geschildert, als Poi- ret und Rozet sie übermässig schwarz gemalt hatten. Man darf wohl hier, wie in den meisten Fällen ähnlicher Art annehmen, dass die Wahrheit so ziemlich in der Mitte steht, dass die Araber, obwohl durch Denkweise und Sitten so al- lein stehend unter den Völkern der Welt, doch dem übrigen Menschengeschlecht in so weit gleichen, dass auch sie weder völlig gut, noch völlig schlimm sind, und die Verschiedenheit der Urtheile über sie mag zum Theil wohl daher kommen, dass sie ganz andere Laster und Tugenden haben, als die meisten übrigen Völker; dem Beurtheiler fehlt dabei der rich- tige Maassstab. Im Ganzen ist indessen gar nicht zu leugnen, ‘dass die schlimme Seite im Charakter der Araber bedeutend überwiegt. Aber es wäre unbillig, all’ den Anklagen der europäischen Ansiedler in Algier, welche in dieser unterneh- mendsten und streitbarsten Völkerschaft der Berberei das Haupthinderniss der Fortschritte der Colonisation und ihre natürlichen Feinde sehen, ganz unbedingten Glauben zu schen- ken. Bei den furchtbaren Beispielen von Blutdurst und Grausamkeit, die seit 1830 vorgefallen, fragt Pellissier in seinen Annales algeriennes sehr passend: „haben wir Fran- zosen den Arabern auch immer Lehren der Menschlichkeit gegeben?“ In der That waren die Würgescenen in Belida, wo 1831, während Ben-Zamun die Besatzung bedrängte, eine Menge wehrloser Einwohner, darunter Greise und Weiber, in den Strassen niedergehauen wurden, die Niedermetzelung 40 des Stammes El-Uffia, wobei selbst die Kinder kein Erbar- men fanden, und die Hinrichtung der Scheikhs Messaud und el-Arbi, welche sich auf das schriftliche Versprechen eines sichern Geleites nach Algier begaben, höchst verdammens- werthe 'Thaten der Franzosen, so dass man sich gar nicht wundern kann, wenn auch die Araber, die für ihr Land und für ilre Unabhängigkeit kämpften, sich Treu und Glaubens gegen die fremden Eindringlinge entbunden glaubten, und greuliche Repressalien übten. Ich stimme ganz der folgenden Bemerkung Pellissier’s bei: „Seyen wir überzeugt, dass die Grausamkeiten im Gefolge des Krieges keiner Race fremd sind, und dass hierin die civilisirtesten Völker oft noch wei- ter gehen, als die wildesten.“ Ob es wohl möglich seyn wird, die Araber zu civilisi- ren, d. h. sie zu gewöhnen , ihrem schweifenden Hirtenleben und Zeltwohnen, ihrem Vagabunden- und Diebessinn zu ent- sagen, sie an feste Niederlassungen, an Industrie, an Besitz- ihum nach unsern Begriffen, zu gewöhnen? Ich glaube, es ist dies zweifelhaft, und jedenfalls bedürfte es mehr als eines Jahrhunderts dazu. Ihr bisheriger Verkehr mit den Franzo- sen seit 1830 brachte nicht die geringste Veränderung in ihre Lebensweise. General Bugeaud machte den Versuch, die mit Frankreich verbündeten Stämme der Duairs und Zmelas in festen Dörfern anzusiedeln. Er gab ihnen alles nöthige Bau- material umsonst, und das Geniecorps legte selbst mit Hand an; aber die halbgebauten Häuschen wurden bald von den Arabern im Stich gelassen, und hätte General Bugeaud die Bewohner genöthigt zu bleiben, so wäre die Mehrzahl lieber wieder zu Abd-el-Kader übergegangen. Die Liebe zu einem völlig ungebundenen Leben ist in den Arabern fast noch tie- fer eingewurzelt, als ihr Glaube an Mohamed. Das gemäch- 41 liche Leben der Städter, ihre stattlichen Häuser, welche Schutz gegen Sonne und Regen gewähren, die Meubles, auf denen die Städter so bequem ruhen, die gute Kost, die sie speisen, die sauberen Kleider, die sie tragen, all’ dies sah und sieht der Araber seit langen, langen Zeiten schon, aber es hatte nie sonderlichen Reiz für ihn. Es stünde völlig in seiner Wahl, eben so zu leben; denn er ist reich; er hat vergrabe- nes Geld und grosse Heerden, die er versilbern könnte; es wäre ihm leicht, davon in einer Stadt ein maurisches Häus- chen, bequeme Geräthschaften und prächtige Kleider zu kau- fen, aber er zieht es vor, in der Wildniss zu bleiben, un- ter'm Zelt zu wohnen, das der Wind durchpfeift, und den schmuzigen Bernuss zu tragen, der zwar ein Lumpenhabit, aber bequem anzuziehen ist. Die Freiheitsliebe geht bei den Arabern übrigens nicht so weit, dass sie Lust an einer gänzlichen Anarchie, an Un- gestraftheit aller Verbrechen hätten. Es ist im Gegentheil eines der grössten Verdienste Abd-el-Kader’s in den Augen seiner Stämme, dass er die Anarchie, welche dem Sturze der Türkenherrschaft gefolgt war, gebändigt hat. Nachdem die Franzosen sich Algiers bemächtigt hatten, kümmerten sie sich anfangs wenig um das, was-im Innern vorging. Die Araber, voll unsinniger Freude, der Türken los zu seyn, überliessen sich anfangs allen möglichen Thaten der wildesten Ungebun- denheit. Als aber wechselseitig Räubereien und Mordthaten vorfielen, als sie bald die Diebe, bald die Bestohlenen waren, wurden sie dieses Zustandes schnell wieder satt, und sie wandten sich allmälich alle an den Häuptling, der die meiste Macht besass, diesem Zustand ein Ende zu machen. So dehnte sich die Herrschaft Abd-el-Kader’s aus. Die Anar- chie wurde so ziemlich unterdrückt, während der Freiheits- 42 sinn der Araber unerschüttert blieb. Dem Araber ist das Le- ben in der Wildniss lieb, weil er dort ausser dem Diebstahl und Mord ungestört thun und treiben darf, was ihm gefällt. Es war dies sogar zur Zeit der Deyherrschaft der Fall; nie galten im Duar beengende Polizeimaassregeln. Der Bewohner kann die Nacht hindurch am Feuer verweilen, kann jagen und schiessen nach Herzenslust, kann überallhin seine Heerde treiben und sein Pferd tummeln, weder Mauern noch Feld- wächter befehlen ihm Halt, kein Gendarme verlangt nach seinem Pass und kein Zollwächter visitirt sein Gepäck — er ist ein freier Mann in einem wild-freien Lande; dies fühlt er wohl, und darum trägt er auch das Haupt so hoch und stolz, und beugt es vor keinem Fürsten, sondern nur allein vor Gott. Ausser dieser unbeschränktesten Freiheit, die nur ein -unstätes Leben in diesem Grade gewährt, hat das Wohnen in der Steppe, in der Wüste, für den Beduinen so manche Reize, die ihn den Besitz und bequemen Genuss vieler Hab- seligkeiten leichten Sinnes verschmerzen lassen. Die Wild- niss und das schwarze Zelt sind ihm theuer auch als seine Heimath, als das Vermächtniss seiner Altvordern. Es wur- den von den Arabern glänzende Städte gegründet; in Bagdad blühten Poesie und Wissenschaften und herrschte der schim- mernde Luxus des Orients. Aber die ungeheure Mehrzahl der arabischen Nation, die Hirten oder Beduinen, kümmerten sich um all dies nichts, sondern setzten die einfache, schwei- fende Lebensart, wie sie ihre Ahnen viele tausend Jahre vor Mohamed gekannt, ununterbrochen fort bis auf den heutigen Tag. Auf sie hatten die mehr und mehr sich verbreitenden Kenntnisse, die ungeheuren Fortschritte der menschlichen Bil- dung, nicht die mindeste Wirkung, und so oft ich einen 43 Duar besuchte, und ich sah einen alten Araber mit gebleich- tem Bart, Ernst, Ruhe und Einfachheit in den gefurchten Zü- gen, vor dem braunen Zelt sitzen, und in seiner Nähe: die weidenden Schafe, die Kameele, die umher knieeten und standen, die Weiber, die ihre Schläuche am Brunnen füllten, da war es mir jedesmal, als sehe ich die patriarchalische Ge- stalt des Vaters Abraham selbst vor mir. Die Person und die Lebensweise dieses Ahnen des Menschengeschlechts, so wie die Genesis sie uns überliefert hat, war nur die eines arabischen Scheikhs oder Marabuts. Dies ist so wahr, dass alle Maler, welche Scenen aus jenen ältesten Zeiten nach der Schilderung der Genesis gaben, immer zugleich auch — ihnen selbst vielleicht unbewusst — arabische Scenen gemalt haben. So sah mir der Vater Abraham auf dem schönen Pariser Ku- pferstiche, welcher die Verstossung Hagar’s und ihres Soh- nes Ismael darstellt, geschworen aus wie der erwähnte Scheikh der Garrabas, welcher auf meiner Reise nach Mascara mir den Tabak aus dem Gepäck gestohlen hatte. Es gab unter den europäischen Ansiedlern in Algier manchen romantisch exaltirten Kopf, der in das Leben des Arabers sich verliebte, ehe er dasselbe mitgemacht hatte, dem von dem Glücke träumte, das man bei einer sorglosen Exi- stenz, bei einer gränzenlosen Freiheit geniessen müsse, als unumschränkter Gebieter auf feurigem Rosse durch die Wüste brausend, den Strauss und Löwen jagend und mit ganzer Seele sich verseukend in eine wilde und erhabene Natur. Es gab junge Abenteurer, in denen diese Idee so mächtig spukte, dass sie wirklich, das europäische Leben hinter sich lassend, ins Innere gingen und bei Abd-el-Kader den Islam annah- men — es war ein grosser Schritt, ein Schritt, so weit wie über das Grab, denn sie durften, einmal zu Moslims gewor- 4 den, mit ihren ungläubigen Landsleuten keinerlei Verkehr mehr unterhalten, durften nie mehr an dem gewerbthätigen Regen und Treiben einer Stadt der Europäer sich ergötzen, erfuhren nicht, was in dem Welttheil der Civilisation sich be- gab, durften nichts mehr lesen, als den Koran, und hörten nie die Laute ihrer Muttersprache mehr; sie waren in eine andere Welt gerathen — es war dies doch ein theurer Preis des Barbarentitels. Ich habe einige dieser Renegaten in der Folge wiedergesehen, die Einen in der Hauptstadt Abd-el- Kader’s selbst, die Andern nach ihrer Rückkehr zu ihren Landsleuten. Alle bereuten ihren Schritt bitter; ein grässli- ches Erwachen war ihrem Traume auf dem Fusse gefolgt. Die Thoren! — Sie hatten nicht bedacht, dass zum Genuss der Seligkeiten des Araberlebens der Besitz der Tugenden die- ses Volks erste Bedingung sey, dass man die ganze Abhär- tung und Sinnesart des Beduinen haben müsse, um an seiner Lebensweise wirkliches Behagen, nicht Pein und Langeweile zu finden. Ich halte die Araber allerdings unter den Völkern der Berberei für die Glücklichsten. Sie sind nicht arm, nicht zu so grossen Entbehrungen gezwungen, leben nicht in so greulicher Anarchie, wie die Kabylen; sie sind nicht träge und stumpf, wie die Mauren, sondern ein energisches und phantasiereiches Volk. Gleichwohl bin ich Keiner von denen, welche das Araberglück über Alles stellen, und das Loos eines mächtigen Emirs oder gefeierten Marabuts für beneidens- werther halten, “als das eines Europäers, der seinen Ruhm der Bereicherung menschlicher Kenntnisse verdankt. Das Beduinenleben hat manche schöne, anziehende Seite, aber man muss dazu, wie zur Poesie, geboren seyn. Unter den Rene- gaten in Mascara lernte ich einen gebildeten jungen Deut- schen, den Baron O...r, kennen, den sein abenteuerlicher 45 [4 Sinn unter die Beduinen geführt hatte. Es war ein interes- santer junger Mann von sehr hübscher Gestalt. Er stand in Gunst bei dem Khalifa Mustapha-ben-Thauy, begleitete ihn auf seinen Zügen durch das Land, und wurde freundlicher behandelt, als irgend ein Renegat. Nach wenigen Wochen war er aber des Araberglücks herzlich überdrüssig, und hätte davon lieber wieder in Gedichten und Romanen gelesen, als es in Wirklichkeit geschmeckt. Für die rauhe Lebensweise war sein weichlicher Körper nicht geschaffen. Er verwünschte bald das Zeltwohnen und Kuskusuessen, und die anstrengen- den Ritte, die für den Araber ein Spiel, ein Spass waren. Er konnte die Wüste weder als seine Heimath, noch als sein Reich liebgewinnen, wie der Araber: er mühte sich vergeb- lich um ein bischen Begeisterung ab beim Anblick der grän- zenlosen Einöde und ihres ewiggestirnten Baldachins, er rang umsonst nach einem Fünkchen Andacht während der dreimal täglich wiederholten Gebete. Er spielte mit wie ein Komö- diant, warf sich niedes auf sein Antlitz, wie die übrigen Ara- ber, wenn die Sonne im Westen versank, und murmelte die Gebetformeln nach, aber mit einer grässlichen Leere der Seele, mit dem unaufhörlichen Mahnen des Gewissens, dass er schändliches Gaukelspiel treibe mit Gott und mit sich selbst. Glaube und Begeisterung wollten nicht kommen, und der un- glückliche Thor, der vom Nomadenleben die Verwirklichung der Märchenwelt seiner Jugendlecture erwartet hatte, fand seinen einzigen Trost nur im Weinen. Doch selbst dieser Trost war ihm nur vergönnt, wenn die Gefährten, denen er ohne Gefahr seine Gefühle nicht verrathen durfte, schlummer- ten, wenn die nach Blut wimmernden Stimmen der Ilyänen seine nächtlichen Seufzer übertäubten, und nur die stumm mit- _leidigen Sterne oben die Beichte seiner nassen Augen sahen. 46 Das Leben der Araber hat der Reize viele und herrliche, aber Keinem gelüste es danach, der nicht ganz und gar zum Beduinen geworden, und dazu gehört ein Körper von Eisen und eine Seele von Feuer. In den ungeheuren Steppen der Angad, im Kobla, im Blad-el-Dscherid, wo es wenig Bäume giebt und wenig Gras wächst, da irren die kräftigsten und interessantesten Stämme dieses Volks. Die Angad müssen oft grosse Märsche machen, um wieder einen grünen Fleck zur Weide ihrer Heerden zu finden; statt des Holzes, das dort mangelt, verbrennen sie die getrockneten Excre- mente des Kameels. Im Sommer wird Alles durch die Hitze versengt, im Winter verwandeln die Regengüsse die Steppe oft in einen See. All’ dieses Ungemach achtet der Wüstenbewohner wenig. Er könnte nach der Meeresküste ziehen, wo er grünes Land und mehr als hinreichenden Raum zur Weide seines Viehs fände; er zieht vor, in seiner Ein- öde zu bleiben. Sie war seine Wiege, der Schauplatz seiner Knabenspiele, und ist nun sein Hersscherreich, das er als schweifender Nomade erobert hat, und wo er niemänd über sich erkennt, als Gott. Bis in die Zwanzigerjahre sind die Nomadenaraber dem Geist und der Stimmung nach noch wahre Kinder. Sie lachen viel und herzlich, und vergnügen sich in lustigen Spielen, häufig bis tief in die Nacht hinein. Ich sah dies oft in den Duars und im Lager des Khalifa Mustapha - ben-Thauy, wo bis fast um Mitternacht Scenen aus der Wild- niss oder aus den Märchen aufgeführt wurden, wo die jun- gen Krieger sangen, musicirten, tanzten und in ausgelassener Lustigkeit die Stunden verschwelgten, die unsere jungen Bauern mit Ackern und Dreschen verleben. Es giebt Poeten unter ihnen; sie singen von Spuk und Abenteuern, von Liebe und von Krieg. Dies sind ihre Lieblingsthemata auch im 47 Leben. Es giebt keinen Duar, wenn er auch nur ‘wenige Zelte zählte, der nicht schon der Schauplatz von Liebesintri- guen gewesen wäre; es giebt keinen vierzehnjährigen Ara- ber, der seine Flinte nicht schon einmal auf den Feind los- gedrückt hätte. Kein Volk der Welt liebt leidenschaftlicher den Knall des Pulvers. Wer den Araber im Kampfe gese- hen, wie seine Augen funkeln, wie seine imposante Gestalt im Sattel des Streitrosses sich aufrichtet in ihrer ganzen Bar- barenmajestät, wie die feurigste Schlachtenbegeisterung aus jedem Zuge seines ausdrucksvollen Gesichtes blitzt, wie sein Kampfgeschrei oder seine Gesänge, welche das Pfeifen der Kugeln preisen als seinen theuersten Ton, der ihm lieber sey, als der Zauber einer melodischen Stimme, weithin schal- len — wer diese Haltung der Araber im Feld beobachtet hat, der überzeugt sich leicht, dass dies ein für den Krieg geborenes Volk ist, und dass — wenn es auch bei der Höhe der europäischen Kriegskunst nicht wohl möglich ist, mit sol- chen Barbarenhorden Europa jemals wieder zu bedrohen — ein grosser Mann, dem neben der Eigenschaft eines tüchtigen ‚Heerführers der Prophetencharakter nicht mangeln dürfte, noch immer grosse Thaten mit dem arabischen Volk ausfüh- ren könnte. Einigermassen haben dies zwei Männer der neuesten Zeit, Mehemed Ali und Abd-el-Kader, bewiesen. Die Freiheitsliebe ist ein Gemeingut aller Araber von jedem Lebensalter, die Lust an Krieg und Abenteuern ist etwas mehr ein Attribut der Jugend. Mit dem zunehmenden Alter wird der Araber stilier und nachdenkender. In den dreissiger Jahren tritt er gewöhnlich die Wallfahrt nach Mek- ka an, und wenn er von dort wiederkehrt, ist sein Wesen ziemlich umgewandelt. Die Lust an aller Theilnahme bei den Spielen, Tänzen und Gesängen ist ihm vergangen, er N 48 findet mehr Unterhaltung, dem Treiben der jungen Leute zu- zuschauen, und der Lust der früheren Jahre zu gedenken, als sie wieder mitzumachen. Die Märchenwelt ist keiner der kleinsten Reize des Lebens der Araber. Die Stille und Leere der Wüste lässt ihre Phantasie in aller Freiheit schim- mernde Gebilde schaffen, ohne sie durch andere Gegenstände davon abzulenken, nichts stört die Wonne des Träumenden, denn das freundliche Nicken goldener Feenaugen oben und der zuweilen säuselnde Wind, der einsame Leiermann, der auch die Sahara mit geheimen Geschichten in unbekannter Sprache unterhält, scheinen ihm nur die Blicke und Stimmen der Märchengeister; sie füllen die Pausen des Erzählers lieb- lich aus, und wiegen die Zuhörer nur in ein noch wohlige- res Sinnen ein. Die Bilder, die er aus den Märchen em- pfangen, bleiben dem Araber lebenslang. Farbenreich und lebendig tauchen sie in ihm auf, wenn er unter einer Palme oder Ruine hingestreckt die weidende Heerde bewacht, und an den lustigen Sprüngen der Böcke oder dem Gebrüll der Dromedare sich satt ergötzt hat. Mit dem zunehmenden Greisenalter wird der Araber mehr und mehr in sich gekehrt, und seine liebste Beschäftigung ist das Lesen des Korans und das Gebet. Der Glaube an die göttliche Wahrheit der Prophetenlehre und den Genuss der künftigen Paradiesesfreuden ist zwar, wie die Freiheit, ein Gemeingut des ganzen Volks, dessen Besitz Urenkel und Ahn theilen, aber er wird doch immer inniger und glühender in dem Araber, je weisser sein Bart wird und je langsamer seine Pulse schlagen. Jener reine Glaube, den nie ein Schatten von Zweifel trübt, ist das Glück, um welches ich geistvolle, aber ungläubige Franzosen die Araber am häufigsten beneiden hörte. Sie hatten Recht. Wie mancher würde willig viel von sei- 49 nen irdischen Gütern fahren lassen, hätte er die unerschütter- liche Ueberzeugung, dass seine brechenden Augen dereinst verklärt von dem Schauen einer neuen Welt seyn würden, einer Welt, welche die Poesie Mohamed’s mit den sinne- schmeichelndsten Seligkeiten und Wesen schmückte, deren Besitz alle Wünsche des Orientalen befriedigen könnte, und wohl selbst in unsern Landen nur bei einer geringen Zahl edlerer Naturen die innere Sehnsucht nicht auszufüllen ver- möchte. Die Araber, wie alle Wilden, bemessen ihre Wün- sche nur nach den mit den Sinnen wahrnehmbaren Gegenstän- den dieser Erde; die idealisirten Güter und Genüsse ihres Lebens verpflanzen sie in die künftige selige Welt. Daher sieht der Orientale im Paradiese Palmen von Gold und auf ihren Zweigen den Bulbul, den arabischen Sängerkönig, des- sen Gefieder aber dort purpurfarbig geworden, und der ver- nehmbare Verse des Korans, statt der früheren Schnabelge- sänge, trillert. An den goldenen Palmen hängen Krystall- glocken, die ein Wind bewegt, der vom Throne Allah’s weht. Endlich bewohnen jene Welt schöne, schwarzäugige, ewig jungfräuliche Wesen, die so rein sind, dass ein einziger Spei- cheltropfen ihres Mundes hinreicht, das Meer vom Salzwasser befreien. Der Indianer, dessen Phantasie einfacher ist, und. dessen Wünsche demnach bescheidener lauten, als die des Orientalen, versetzt in den Himmel seine Wälder, seine Jagd- gefilde, und bevölkert sie mit Büffeln und Edelhirschen. Die edleren, höher strebenden Geister unter den Europäern würde ein aus solchen irdischen Gütern bestehender Himmel nicht befriedigen. Ihre Wünsche sind ihnen weniger klar, aber sie wollen lieber nur Ahnungen der zu hoffenden Seligkeiten haben, als bestimmte Bilder, deren ewiger Besitz für sie nicht Reiz genug hätte. Ja, eher vielleicht noch wünschten Morıtz Wasner’s Algier, II. 4 50 sie sich einen herrlichen Tod, wie den der Sonne in der Abendgluth, als ein endloses Leben in dem Einerlei sättigen- der Genüsse. So verschieden ist nun einmal das Streben des Menschengeschlechts. Das Erdenglück des Arabers und seine Paradiesesbilder sagen uns nur deshalb nicht zu, weil die Rich- tung unserer Seele von früher Zeit an eine ganz andere war, als die seinige. Könnte man bei einem Tausche mit seinem Loose zugleich die ganze Einfalt seines Sinnes, die ganze Innigkeit seines Glaubens kaufen, ich denke, alle Zweifler des civilisirten Welitheils wären zu dem Tausche leicht bereit. Der Koran ist bei seinen Widersprüchen, seiner häufigen Zweideutigkeit, für seine Anhänger ein gar bequemes Buch. Jenes schauerliche, quälende, von unserer Willenskraft unab- hängige Gefühl, das man Gewissen nennt, ist dem Araber so ziemlich fremd. Der Dieb, der seinen eigenen Freund bestoh- len, der Mörder, der seines Bruders Blut vergossen hat, schläft denselben friedlichen und unbekümmerten Schlaf, wie der tugendhafteste Marabut. So wenigstens versicherten mir die Renegaten, die, wie Moncel und Geistinger, unter den berüchtigtsten Banditenstämmen, den Hadschuten und den Garrabas, längere Zeit verlebt und ihre Greuel selbst mitge- macht hatten. Es giebt keinen Uebelthäter, der die göttliche Barmherzigkeit nicht für grösser hält, als seine Verbrechen. Auf meiner Reise nach Mascara war mein Führer ein alter Araber vom Stamme der Garrabas. Die Garrabas wohnen in der Ebene Tlelat bei Oran. Sie rühmen sich, unter allen Stämmen die meisten Franzosen erschlagen zu haben; an der Makta hieben sie die verwundeten Nachzügler von Trezel’s unglücklichem Heerhaufen in Stücken. Sie werden auch von den übrigen Stämmen sehr gefürchtet, und es mag wenige 51 männliche Individuen unter ihnen geben, die nicht Menschen- blut vergossen hätten. Jener alte, im Mörderleben ergraute Araber war der fleissigste und andächtigste Beter, der mir je vorgekommen. Vor jedem Marabutgrabe stieg er vom Pferde, warf sich auf sein Antlitz nieder und krümmte sich in den Staub. Des Alten Züge, sonst so hart und giftig, zeigten in solchen Augenblicken mehr die Verklärung eines Heiligen, als die Wildheit eines Räubers. Wenn er wieder aufstand, und mit uns weiter ging, warf er uns immer einen Blick des höhnischen Triumphes zu. „Ich habe einen Glauben“ — schien das fromme Ungeheuer zu sagen - „und einen künftigen Platz im Paradiese. Ihr ungläubigen Hunde werdet nur Staub.“ Der ächte Christ hat keine glückliche Stunde ohne ein reines Ge- wissen; dem Mohamedaner reicht sein Wahn hin, ein langes Verbrecherleben leicht zu tragen. ‚In den letzten Jahren seines Lebens verfällt der Araber fast nie in solche Stumpfheit und Hinfälligkeit, wie unsere Greise. Eine gewisse Rüstigkeit des Körpers und Frische des Geistes bewahrt er bis wenige Tage vor seinem Tode, der dann gewöhnlich rasch und leicht erfolgt. Zwar ertragen seine alten Knochen die Strapazen des Kriegs nicht mehr so leicht, doch fehlt es nicht an Beispielen, dass beim Predigen des Dschad oder Glaubenskampfes auch Greise mit auszie- hen, und durch ihren Fanatismus die Körperstärke ersetzen. Bei dem Angriff gegen Belida, zur Zeit der ersten Expedi- tion nach Medeah, sahen die Franzosen nicht wenige Grau- bärte mit unter dem Haufen der Stürmenden, und andere, welche dazu nicht Kraft genug hatten, fanatisirten die übri- gen von ihren Pferden herab durch Predigten und Geschrei. Grosse Reisen, wie den Karavanenzug durch die Wüste, kann der Greis nicht mehr ertragen. Er liebt überhaupt eine ge- 4* 32 wisse Ruhe, geht seltener auf die Jagd und beschränkt sein Nomadenstreifen auf einen engern Raum. Dafür ist er gegen die Witterung weniger empfindlich. Während der Nächte, die ich in arabischen Duars zubrachte, waren es oft gerade die Alten, die freiwillig das Wächteramt unter freiem Him- mel übernahmen. Während die Jünglinge im warmen Zelte schliefen, entschädigten sich die Alten durch den Genuss der Mondscheinnacht. Die Naturscenen machen überhaupt den Greisen mehr Freude als den Jünglingen, und dies hängt mit der zunehmenden Gluth ihrer schwärmerischen Frömmig- keit innigst zusammen. Bei den Gewittern, bei den See- stürmen, wo die Städter sich ängstlich in ihre Häuser ver- kriechen, sieht man zuweilen einen greisen Araber auf einem Felsen, unter einer verwitterten Palme sitzen und dem Toben der Elemente mit der Miene der’ vollsten Befriedigung zu- schauen. Wenn der Orkan seinen kameelshärenen Palast er- schüttert, die Wolkenbrüche den Duar mit eiskalten Fluthen taufen, und bei der dumpfen Donnermusik, den gespensti- gen Echotönen des Atlas der kleine Beduine auf dem Mutter- schoosse wimmert und die Hunde angstvoll stöhnen, da jauchzt die gläubige Seele des Arabers über die Grösse sei- nes Gottes, und von seinen Lippen strömt freudiger, begei- sterter sein feuriges Gebet. Gegen das Ende seiner Tage wird der Araber sehr still und nachdenkend. Er fühlt den nahenden Tod, dem er so innerlich freudig und sehnsüchtig entgegensieht, fast wie bei uns die Kinder dem Weihnachtsabend; er trägt sich mit ganz ähnlichen Hoffnungen, wie sie. Verhältnissmässig sterben wenige Individuen dieses Volks an Krankheiten. Bei den Meisten ist der Tod eine plötzliche Anwandlung von auflösender Schwäche, eine Stockung des Blutumlaufs; die Agonie ist niemals schmerzhaft. 93 Man trägt den Sterbenden vor das Zelt, und legt ihn auf weiche Decken. Das Haupt wird auf ein Palmenkissen ge- stützt, und das Antlitz nach Osten gekehrt, nach der Rich- tung, wo die Kaaba und des Propheten Grab liegen. So scheidet der Araber leicht und ohne Todesschmerz, das bre- chende Auge noch hoffend den Lichtwelten zugewendet, mit denen er als Säugling schon geliebäugelt hatte an der Mut- terbrust. Die Söhne, die Enkel, alle Angehörige des Ster- benden versammeln sich um ihn. So lange noch ein Athem- zug sich in ihm regt, sind sie stumm, dann brechen sie in ihr Trauergeheule aus, die Weiber stimmen ihren unheim- lichen, gellenden Klagetriller an; der Marabut spricht das Gebet. Der liebenden Verehrung der jungen Araber für ihre Väter habe ich schon erwähnt. Es ist dies ein tief- eingewurzeltes Gefühl, und der Schmerz der Hinterbliebenen ist daher immer wahr und gross. Zu ihren Begräbnissplä- tzen wählen die Araber die herrlichsten Gegenden im Atlas- gebirge; die Wüstenbewohner begraben ihre Todten in den kleinen lieblichen Oasen, wo Quellen fliessen und grünge- krönte Palmen wachsen, und deren allenthalben über den Nordrand der Sahara zerstreut liegen. Drei einfache Steine ohne Inschrift oder sonstige Zierde bezeichnen jedes einzelne Grab. Zuweilen wallfahrten die Hinterbliebenen nach diesen Orten, küssen die Grabsteine, und weinen wohl sogar. So liegt der Beduine in seinem grossen Reiche begraben, unter ewig freier Erde ruht sein Staub; die Tyrannen aller Zeiten haben die Freiheit seines öden Yaterlandes nie eigent- lich zu brechen vermocht, und unverändert, wie heute, wird dieses freie Reich noch stehen, wenn die Todten der Wüste erwachen. 54 11. Die Kabylen. Die Franzosen, selbst die officiellen Bulletins im Moni- teur, verwechseln die Kabylen sehr häufig mit den Arabern, von denen sie doch durch Sprache, Abkunft, Gestalt, und zum Theil auch durch Charakter und Sitten geschieden sind. Nur die gemeinsame Religion, die Freiheitsliebe und der Hass gegen Fremde bilden ein Band zwischen beiden Völkern, welches im Kriege gegen die Franzosen sich oft genug als stark und furchtbar bewährt hat, und welchem Abd-el-Kader seine heutige Macht verdankt.*) Das grosse Volk der Ka- bylen oder Berber, welches das ganze Litoralgebirge der Berberei von Marokko bis Tripolis bewohnt, in den innern Gegenden aber viel seltener vorkommt, führt, so wie die Idiome seiner Sprache, verschiedene Namen. Amazirgh oder Schilhu heissen die Kabylen in Marokko, wo sie am ®) Abd-el-Kader’s Herrschaft war nach den Expeditionen gegen Mascara und Tlemsan ziemlich erschüttert. Mehrere Araberstämme wurden ihm untreu, aber die streitbaren Kabylenstämme an der Tafna erklärten sich für ihn, und seitdem war die Macht des Emirs immer im Steigen. 99 zahlreichsten sind, Kbaili in Algier und Tunis; die Tua- rik und Tibbo in einigen Gegenden des Südens von Tripo- lis und der übrigen Berberei sind vermuthlich auch Kabylen. Ihre Sprache nennt man bei Budschia Kbailia, im Innern der Provinz Constantine Schauiah, an der Tafna und an der Ostgränze von Marokko Schilha, im übrigen Marokko Amazirgh. Ganz gewiss gehören alle diese verschiedenen Dialekte einer Stammsprache an, welche mit der arabischen keinerlei Gemeinschaft hat. Die Kbaili in Algier und die Amazirgh in Marokko verstehen einander, während dem Ara- ber beide Idiome völlig fremd sind. Die Frage, woher wohl dieses zahlreiche, unzugängliche, noch so ‚wenig bekannte Volk, welches ein ungeheures Gebiet bewohnt, und in so naher Nachbarschaft von dem ländergie- rigen Europa eine mehr als tausendjährige Freiheit zu behaup- ten wusste, stammen mag, ist noch nicht genügend gelöst worden, und wer weiss, ob sie bei der Barbarei und Abge- schlossenheit der Kabylen je gelöst werden kann. Die mei- sten Geschichtsforscher und Geographen halten sie für die Abkömmlinge der alten Numidier, andere, die wohl von eini- gen blonden Stämmen im Innern gehört haben, für die Nach- kommen der Vandalen. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass die heutigen Kabylen aus einem Gemische der verschiedenen Völker entsprungen sind, welche nach einander in Nord- afrika sich niedergelassen hatten, erst die Herrscher spielten, dann von neuen kriegerischen Eindringlingen besiegt, in den Bergen „das Haus der Freiheit, das ihnen Gott gegründet“ fanden. Es ist das Blut der Numidier, Vandalen, Punier, welches, im Atlas ein Asyl gegen Unterdrückung suchend, sich kreuzte und ein neues Volk gebar. In der Regentschaft Algier sind sie gewöhnlich kleiner Statur, und stehen den 56 kräftig schönen Gestalten der Beduinen in jeder Hinsicht nach; unter den Amazirghs von Marokko soll es dagegen hochge- wachsene, muskulöse Stämme geben. Zwischen Budschia und Bona sind die Kabylen schwarzhaarig, von schmuzgelber Gesichtsfarbe; auf dem Berg Auras aber wohnen ganz hell- blonde Stämme mit roth und weissem Teint, so dass Bruce, welcher im vorigen Jahrhundert die Kette des Auras bereiste, über ihren Anblick ganz betroffen war, und Landsleute aus Altengland in fremder, schmuziger Tracht zu sehen wähnte. Die Aurasbewohner sind, obwohl sie die gleiche Sprache mit den übrigen Kabylen reden, vermuthlich Vandalen.*) Die un- ter ihnen herrschende Tradition, dass sie von Christen ab- stammten — was sie mehr zu freuen als zu ärgern schien, wie Bruce bemerkt — spricht stark dafür. Seit Bruce’s Reise war der Renegat Baudouin wohl der einzige Europäer, der den Auras besucht hat. Er erzählte mir nach seiner Rückkehr aus dem Innern viel von den interessanten Stämmen jenes Gebirgs, bei denen er gastfreundliche Aufnahme gefunden. Der zahlreichste jener blonden Stämme heisst Niardy. Sie schee- ren ihren Kopf nicht, wie die übrigen Kabylen, sondern tra- gen lange Haare. Das Plateau des Auras ist eine der frucht- barsten Gegenden von Numidien, und seine Bewohner sind sämmtlich Ackerbauer, ein friedlicher Menschenschlag, auch in manchen Handwerken wohl erfahren. Sie tatuiren auf ihre Stirnen ein griechisches Kreuz oberhalb der beiden Augen. Derselbe Gebrauch existirt auch bei andern Kabylenstämmen, welche nicht die blonde Hautfarbe auszeichnet, wird aber nur von den Weibern geübt. Unter den Eingeborenen herrscht ®?) Die Vermischung eines grossen Theils des Vandalenvolks mit den Eingeborenen Afrikas noch vor dem Tode Valentian’s bestätigt auch Procopius (de bello Vand, 1. I, c. 5.) 37 folgende Sage hierüber: Vor vielen, vielen Jahren sey ein kriegerisches, blondes Volk aus dem Norden gekommen, und habe ganz Afrika unterworfen und geplündert. Diejenigen Eingeborenen aber, welche das Kreuz sich auf die Stirne malten, entgingen ihrer Wuth,, später habe sich derselbe Ge- brauch unter einigen Stämmen als ein altes Herkommen tort- geerbt. Offenbar bezieht sich diese Sage auf den Einfall der Vandalen, welche im fünften Jahrhundert n. Chr. das Christen- thum bis in die entlegensten Wildnisse Nordafrika’s verbreite- ‚ten. Die blonden Aurasbewohner wohnen leider von den französischen Niederlassungen zu weit entfernt, als dass man sichere und umständliche Nachrichten über sie einziehen und einen directen Verkehr mit ihnen einleiten könnte. Interessant wären besonders Nachforschungen über ihre Sprache, denn wenn diese Stämme wirklich Nachkommen der Vandalen sind, wie Bruce und Peyssonel vermuthen, so ist es wahrscheinlich, dass in ihrem Idiom sich noch einige Spuren der germanischen Sprache finden. Merkwürdig ist übrigens, dass schon Proco- pius von einem hellfarbigen, blondhaarigen Völkerstamm Er- wähnung macht, der, zwar nicht auf dem ihm wohlbekannten Auras, wohl aber tief im Innern Numidiens in einer Wüstenei wohne *). Dass die Aurasstämme übrigens Vandalenabkömm- linge seyn können, ist sehr möglich, trotz der Versicherung des Procopius, dass die ganze Vandalenbevölkerung durch das Be- lisar’sche Heer vernichtet worden und dass Kaiser Justinianus im Jahre 539 die letzten Reste, sogar die Weiber fortschlep- pen liess. Wie schwer, ja wie unmöglich aber die Ausrot- *) Die Erwähnung findet sich im Proc. de bell. Vand. lib. I. cap. 13. 00% Worreg oE Mavoovoioı uELavoxoooL, aAAd AevzoL TE May TE 00- uare, zul Tas zoues Eavdol, he) tung eines ganzen Volks, das fast ein ganzes Jahrhundert lang die Herrschaft in Numidien behauptet hatte, in einem dünnbevölkerten Lande war, wo die Natur ihnen so viele Zu- fluchtstätten bot, ist einleuchtend, und selbst Procopius gesteht, wie bereits erwähnt, an einer andern Stelle zu, dass so manche Vandalen sich unter ihre barbarischen Nachbarn vermengt ha- ben mögen. Von den Kabylen, welche in Algier als Tagelöh- ner arbeiten, bemerkt Wilhelm Schimper, ihre Gesichter und Gestalten seyen ihm wie das getreue Bild eines Würtembergers vorgekommen. Wie richtig diese Bemerkung gewesen, über-, zeugte ich mich später in Reghaia, wo, nach dem Ueberfall der Amrauahs, ein deutscher Tagelöhner und ein Kabyle, beide verwundet und entkleidet auf dem Bett lagen. Der Deutsche war ein ehemaliger Soldat der Fremdenlegion, dem die Hitze und die Bivouacs die Haut so gebräunt hatten, dass er von dem Kabylen gar nicht zu unterscheiden war. Die berberischen Tagelöhner in Algier sehen aus wie sonnver- brannte süddeutsche Bauern, die sich ein paar Jahre lang nicht gewaschen haben. Nur das lebhaft schwarze, stechende Auge von sehr wildem Ausdruck passt nicht zu der übrigen ziemlich gemeinen, plumpen Physiognomie. Auch den Ara- bern bei Algier ist die merkwürdige Aehnlichkeit des sonn- verbrannten deutschen Soldaten der Fremdenlegion mit ‚den Kabylen aufgefallen und sie nennen jene „‚die Kabylen Frank- reichs“. Bei den Bergbewohnern von Bona und Stora ge- wahrt man diese auffallenden germanischen Physiognomien nicht mehr. Dort gleichen sie mehr Südeuropäern, und ein in Bona ansässiger Italiener meinte, wenn man ihnen statt des Stricks und der Wollkapuze eine zuckerhutförmige Mütze aufsetzte, sähen sie den Calabresen zum Verwechseln ähnlich. Aus dem Typus, der Schädelbildung, den Traditionen und 99 Sitten der Kabylen lassen sich gleich viele Gründe für die Meinung anführen, dass dieses weitverbreitete Gebirgsvolk aus sehr heterogenen Urelementen besteht. Selbst Vermischung mit Arabern lässt sich auf einzelnen Punkten des Landes, na- mentlich in der Provinz Constantine, wie bereits erwähnt, ziemlich sicher nachweisen. Den Uebergang von den Arabern zu den Kabylen scheinen namentlich die Stämme zu bilden, welche das Idiom Schauiah sprechen, nämlich die Amrauah, die Araktas und die Ulid-Abd-el-Nur. Die Kabylen wurden schon von Shaw und andern Rei- senden der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als ein sehr wildes, tapferes und freiheitsliebendes Volk geschildert. Aber die in neuester Zeit so oft wiederholte Behauptung, dass die Kabylen von jeher völlig unabhängig gewesen, ist grundfalsch oder kann höchstens nur für einige wenige Stämme gelten, welche die unzugänglichsten Gebirgsgegenden bewohnten. Dass Numidien nach der Besiegung Jugurtha’s so gut als völlig un- terjocht war, davon zeugen noch jetzt die zahlreichen und be- deutenden Reste der römischen Städte, Zwischenlager, Fe- stungen, die durch das ganze Land bis in die entlegensten Wildnisse zerstreut sind. Man. findet im Süden von Budschia, wo jetzt die unabhängigsten Stämme wohnen, die Ruinen von Sava, Horrea, Musulubium. Lambasa auf dem Aurasgebirge tief im Innern war eine Stadt von mehr als drei Stunden im Umfange. Diese zahlreichen Städte und festen Plätze waren durch sehr schöne Fahrstrassen verbunden und es bedarf nicht ‘einmal der Unterstützung der vielen Angaben in den Schrif- ten der alten Geographen zum Beweise, dass die Provincia Africa der Römer ein blühender, civilisirter Staat gewesen — die Reste der alten Bauwerke zeugen genugsam hiefür. Diese alte Blüthe der Römerschaft aber beweist wiederum, dass die 60 Barbarenstämme damals den Eroberern entweder völlig unter- worfen oder unschädlich gemacht waren, da im andern Fall das rasche Gedeihen und die lange Blüthe der römischen Colonie nicht möglich gewesen wäre. Zwar berufen sich Verfechter der Ansicht von der Unmöglichkeit, die Eingeborenen zu bändi- gen, auf eine Stelle des Procopius, wo gesagt ist“ man habe von Karthago nach Julia Caesarea (Scherschel) nur zur See reisen können, weil der Landweg von den Barbarenstämmen unsicher gemacht worden. Aber Procopius spricht in dieser Stelle von der Zeit der Herrschaft der oströmischen Kaiser in Nordafrika, welches Justinianus durch seinen Feldherrn Belisar wieder erobert hatte. Diese zweite Römerschaft war weder so blühend, noch so solid wie die erste, denn die al- ten Städte waren grösstentheils zerstört worden, die be- siegten Vandalen hatten die Numidier der Gebirge ver- stärkt, und aus dieser Vermischung ‚sind wohl die heutigen Kabylen hervorgegangen. Die Kabylen und die Mauren, wel- che in ihrer Nachbarschaft gleichfalls schon seit alten Zeiten das Land bewohnten, wurden im siebenten Jahrhundert von den aus Aegypten angerückten Heeren der Araber unterwor- fen. Dass diese Unterwerfung wirklich statthatte, beweist wohl auch die Bekehrung der Kabylen zum Islam, denn es ist zu unwahrscheinlich, dass ein Volk von so wildem Schlage, das seinen alten Sitten so sehr zugethan, so eifersüchtig auf seine Freiheit, so abhold den Fremden ist, den Glauben eines ihm fremden, in anderer Zunge redenden Volks anders, als durch das Schwert gezwungen, angenommen habe. Diese Ab- hängigkeit mochte aber wohl aufgehört haben, als die Kaby- len durch die Anerkennung des Korans mit den Siegern in gleiche Rechte traten. In der That sah man bald darauf Kabylen mit in den maurisch-arabischen Heeren fechten, wel- 61 che zu Anfang des achten Jahrhunderts in Spanien einfielen. Nachdem die Türken sich im sechzehnten Jahrhundert der Herrschaft Algiers bemächtigt hatten, theilte auch ein gros- ser Theil der Kabylen das Schicksal der Araber, welche unter das Türkenjoch sich beugen und dem Pascha oder Dey Tribut bezahlen mussten. Dieses unterthänige Verhältnis. dauerte bis zum Sturz der Deyherrschaft im Jahre 1530, wo ‘ dann im Innern eine Reaction gegen die Türken eintrat, und die Eingeborenen ihre Tyrannen theils niedermetzelten, theils verjagten. Es waren also keineswegs alle Kabylen von den Türken unabhängig, was in neuester Zeit so viele oberfläch- liche Reisende und Journalisten, von denen der Eine dem An- dern nacherzählte, behaupten. Die Beni-Salah, Musaia, Sum- mata, Beni-Dschad, Amrauah, Beni-Menasser, Ulid-Abd-el-Nur, -sowie auch die blonden Kabylen des Auras, bezahlten den Türken Tribut, der aber geringer war, als der Tribut der Araber. Sogar der mächtige Stamm der Flissa auf dem Dschurschuragebirge entrichtete an die Türken einen kleinen Tribut, der freilich für jede Gurbi nur einige Kupfermünzen betrug. Derselbe Stamm stellte auch zur Verfügung der Tür- ken seinen Kriegercontingent, der im Jahre 1830 sich vor der Einnahme Algiers tapfer gegen die Franzosen schlug. Eigentlich unabhängig von den Türken waren nur die zahl- reichen Stämme an der Tafna, ein grosser Theil der Küsten- bewohner zwischen Dellys und Stora, dann sämmtliche Stämme, deren Wohnsitze sich einige Stunden südlich von Budschia an bis zum Biban zwischen den Flüssen Summam und Uad- Adschebbi erstrecken. Die mächtigsten dieser unabhängigen Stämme waren die Zuaua und die Beni-Abbes, welche zu- sammen gegen 10,000 Krieger stellen können, Die Kabylenstämme sind in Grarubas oder Districte, 62 letztere in Daschkhras oder Dörfer getheilt. Selten beste- hen diese Daschkrahs aus mehr als dreissig Gurbis (Stroh- hütten), deren jede eine Familie bewohnt. Einige Stämme haben auch grössere Dörfer mit Häusern von Stein, ja man- che sogar Städte, wie die Flissa und die Beni-Abbes. Die Stämme stehen unter der Herrschaft von Kaids, die aber über ihre unbändigen Untergebenen im Grunde nur eine geringe Macht üben. Die Justizpflege wird von den Thalebs (Ge- lehrten) verwaltet. Die grösste Verehrung aber geniessen auch bei den Kabylen die Mrabats. Dieser Orden von Heiligen ‚ist offenbar durch den Contact der Araber und mit der An- nahme des Islam bei den Kabylen eingeführt worden, denn die Benennnng ist bei beiden Völkern die gleiche. Es lässt sich von den berberischen Marabuts dasselbe, wie von den arabi- schen sagen, nur sind sie noch fanatischer, noch unduldsamer gegen Andersgläubige, und ihr Einfluss auf die Kabylen ist noch mächtiger. Bei dem Angriffe der Flissa gegen Belida sah man einen uralten Marabut mit eisgrauem Bart, der so schwächlich war, dass zwei Kabylen ihn auf beiden Seiten stützen mussten, vor der Fronte der Kämpfer auf einem Esel sitzend. Er predigte im furchtbarsten Musketenfeuer unter wilden Gesticulationen zu den Kriegern, und entfernte sich erst, nachdem eine französische Kartätsche seinem Esel den Kopf weggerissen hatte. Die Marabuts der Kabylen lernen ausser ihrer Volkssprache auch die arabische, da sie ihren mohamedanischen Landsleuten den Koran erklären müssen. Die Kabylen sind Ackerbauer, haben feste Wohnplätze, leben sehr frugal und besitzen lange nicht den Heerdenreichthum der Araber. Sie sind dagegen etwas industriöser als letztere, in manchen Handwerken wohl erfahren, verstehen Waffen zu schmieden, Schiesspulver zu bereiten, falsche Münzen zu 63 prägen, Häuser von Stein zu bauen — Künste, welche den Beduinen fremd sind. Ibre Kleidung ist immer schmuzig, zer- lumpt, über alle Vorstellung armselig. Sie hüllen um den Körper eine Art Wolltunica, Kandura genannt, welche dem Haikh oder arabischen Unterkleid entspricht; ihre Beine sind nackt, um die Füsse befestigen sie ein Stück Schafhaut zum Schutz gegen die scharfen Steine. Sie scheeren ihr Haupt, haben wenig Bart, sind meist unter mittlerer Grösse, mager, aber knochenfest. In ihren Zügen entdeckt man keine Spur von dem edlen Schnitt, der den Gesichtern der Mauren und Beduinen eigen. Wildheit, Hass, Mordlust blitzt aus ihren Augen von grosser Beweglichkeit. Ihre Sprache ist noch lär- mender als die arabische, und sie zeigen dabei Zähne, so weiss wie die des Schakals.. Da die Kabylen ein sehr armes Volk sind, da auch unter ihnen, wie unter allen Mohameda- nern, das Vergraben des Geldes Sitte ist, wodurch viele Söhne um das väterliche Vermögen kommen, so ist ein gros- ser Theil der jungen Kabylen genöthigt, in den Städten einige Jahre als Tagelöhner zu arbeiten, bis sie etwa hundert Bu- dschus verdient haben, womit sie ein Weib nehmen und 'ein Gewehr kaufen können. In Algier und in dessen Umgebung sind immer gegen viertausend solcher Kabylen als Tagelöh- ner beschäftigt. Sie schlafen dort unter freiem Himmel, leben von Wasser und ungesäuertem Brot, und sparen und kargen, bis sie ungefähr die erwähnte Summe beisammen haben, wor- auf sie in ihre Berge wiederkehren, um dort frei und unab- hängig zu leben. Sie sind sehr genügsam. Ihr Haikh, den sie, oft aus hundert morschen Lumpen zusammengeflickt, von ihrem Grossvater geerbt haben, reicht für ihr ganzes Leben hin. Ein Weib, eine Hütte, eine Flinte, ein Yatagan, einige Ziegen, ein Maulthier und ein Hund, mehr bedarf der Ka- 64 byle nicht, um in seiner Art glücklich zu leben. Er bringt seine Tage in einförmiger Weise zu. Mit dem Morgenan- bruch betet er, arbeitet dann einige Stunden auf seinem Acker, kost mit seinem Weib, das eben so schmuzig und wild ist wie er, streckt sich dann träge in den Sonnenschein und schaut — vielleicht gedankenleer, denn der Kabyle hat nicht die Poesie der Araber — auf das Meer und die Ebene unter ihm herab; oft spielt er auch auf einer hölzernen Pfeife ein- tönige, langweilige Melodien. Dies sind nach den Aussagen der zurückgekommenen französischen und deutschen Deser- teurs, die in elender Knechtschaft einige Jahre bei ihnen zu- gebracht, die Tagesbeschäftigungen und Freuden des Kaby- len. Da er keine weitern Genüsse kennt, hat er auch wenig Wünsche Die, welche ausser den angeführten Gegenstän- den etwa noch ein Häuschen von Stein und ein Pferd besi- tzen, werden für die Glücklichsten unter den Sterblichen ge- halten. In dieses monotone Leben bringt nur der Krieg häu- fige, aber wenig beneidenswerthe Episoden. Die Kabylen führen nicht nur Krieg gegen die „Rummis‘ — die Gelegen- heit ist selten, da die Franzosen nicht oft in ihre Berge kom- men — sondern auch fast beständigen Krieg unter sich, Stamm gegen Stamm, Dorf gegen Dorf, Hütte gegen Hütte. Kein Volk der Welt lebt in grösserer Freiheit, keines auch in wilderer Anarchie, als diese Atlasbewohner. Die zurück- gekehrten Renegaten erzählten mir, dass oft die Bewohner eines und desselben Daschkhra wegen eines verübten Ehe- bruchs oder Diebstahls auf das Wüthendste über einander her- gefallen; die nächsten Blutsverwandten vergossen ihr Blut, der Bruder mordete den Bruder, bis die Marabuts kamen und Frieden stifteten. Der Krieg, den die Franzosen seit 1830 mit kurzer Un- 65 terbrechung gegen die Eingeborenen führten, brachte sie viel seltener mit den Kabylen, als mit den Arabern in Berüh- rung. Der Grund ist ganz einfach, Die Araber sind fast alle beritten, und können gegen die schwerfälligen Colonnen der Franzosen, die verhältnissmässig nur sehr wenig Cava- lerie haben, ohne grosse Gefahr manoeuvriren, da ihnen der Rückzug immer frei bleibt, und die französischen Reiter sie selten oder nie einholen. Die Kabylen aber streiten fast alle zu Fuss; sie besitzen nur sehr wenig Pferde, die ihnen auf ihren Bergen ohnehin von geringem Nutzen sind. Uebrigens sind die berberischen Pferde von der besten Race des Landes und die Cavalerie der Kabylen ist, obwohl wegen ihrer ge- ringen Zahl nicht sehr furchtbar, doch sehr gewandt und ta- pfer in der Schlacht. Ein anderer Grund des kampflustigern Sinnes der Araber ist ihre unstätere Lebensart. Da ihre Wohnungen, die Zelte, und ihre Habe, die Heerden, leicht beweglich sind, so scheuen sie den Krieg wenig, da sie fast allenthalben Weiden und Wasser finden. Die Kabylen aber haben Hütten und Häuschen, die der Feind zerstören kann, und ihre Habe besteht in der Ernte von ihren Feldern, die nicht so leicht transportabel ist. Sie haben demnach den Krieg mehr zu fürchten, und sind bei ihrer ruhigern Beschäf- - tigung weniger geneigt, ihn aufzusuchen, als die Araber bei ihrem unstäten Vagabundengeiste. Naht man sich dagegen ih- ren Wohnsitzen, so schlagen sie sich um so tapferer. So oft die französischen Truppen mit den Kabylen zu thun hat- ten, war der Kampf länger und blutiger, der Sieg bestritte- ner. Dieses Volk liebt seine Heimath sehr, und duldet selbst seine Glaubensbrüder arabischen oder maurischen Blutes nicht gern in allzunaher Nachbarschaft. Gastfreundschaft ist den Kabylen fremd, Misstrauen ein hervorstechender Zug ihres Morıtz Wacner’s Algier. Il. B7 66 Charakters; die unabhängigen Stämme bewachten ihre Frei- heit immer sehr eifersüchtig, und selbst zu den Zeiten der Deyherrschaft empfingen sie Türken oder Araber — wer im- mer ihren Wohnsitzen zu nahe kam — mit Flintenschüssen. Uebrigens hat man seit 1830 doch auch ziemlich zahl- reiche Beispiele gehabt, dass die Kabylen in den Kampf zo- gen, wenn auch ihre Wohnplätze nicht bedroht waren. Ben- Zamun griff mit seinen Kabylen, während der ersten Expe- dition des Marschalls Clauzel, Belida an, welches von seinem Stamm dreissig Stunden entfernt liegt. Es waren gleichfalls Kabylen des Stammes Mezzaia bei Budschia jene Streitermas- sen, welche im September 1837 die befestigten Posten der Franzosen auf den Höhen von Medschez- Ammar angriffen. Kabylen halfen auch hauptsächlich bei der Vertheidigung von Constantine in den Jahren 1836 und 1837 mit. Hier war es nicht ihre bedrohte Freiheit, sondern der Fanatismus, der die Atlasbewohner in den Kampf trieb, und ihre Heimaths- liebe so überwog, dass sie Monate lang von ihren geliebten Gurbis, von Weib und Kind entfernt blieben, und oft nicht mehr wiederkehrten. Die Taktik der berberischen Krieger ist von der arabi- schen Kriegsweise insofern verschieden, als sie weit mehr auf die Vortheile des Terrains Rücksicht nehmen, welche der berittene Araber, auf sein flüchtiges Pferd vertrauend, nicht immer in dem gleichen Grad beachte. Die Kabylen käm- pfen daher am liebsten in den Bergen, wo sie als geübte Kletterer, bei der Behendigkeit und der Abhärtung ihrer Glie- der, über den französischen Soldaten grossen Vortheil haben. Wenn sie in der Ebene sich in den Kampf einlassen, so ge- schieht dies nur an solchen Stellen, wo sie ein bedecktes Ter- rain hinter sich haben, und beim Rückzug in die Büsche 67 kriechen können. Auf Hinterhalte muss man in diesem Kriege beständig gefasst seyn, denn die Kabylen benutzen sehr ge- wandt jeden Vortheil des Terrains; in jeder bedeckten Schlucht, hinter jedem Bergabhang lauern ihre Krieger, um auf die ersten Franzosen, die sich zeigen, zu feuern, und dann tie- fer in die Gebüsche oder auf die höheren Berge sich zurück- zuziehen. Zuweilen versammeln sie sich auch in grosser Zahl, um irgend einen der schwächsten Punkte der französischen Posten anzugreifen. Gewöhnlich werden diese Angriffe bei feierlicher Gelegenheit, wie am Feste des Beiram oder des Haid- el-Kebir, verabredet. Einzelne Emissarien, fast immer Marabuts , durchwandern die Stammgebiete, um überall den „heiligen Krieg‘“ zu predigen, und den Tag zu verkünden, an welchem der Angriff beginnen und die letzte Stunde der „Rummi“ schlagen werde. Jeder Stamm stellt dann sein Contingent. Diese Krieger sind sämmtlich Freiwillige, die fanatischsten und tapfersten Individuen der Gegend, kein Wun- der also, wenn ihre Angriffe oft sehr tapfer und verzweifelt sind. Die Blockhäuser bei Budschia wurden oft sehr heiss bedrängt, und ihre Besatzungen waren trotz des Kanonen- feuers der Forts öfters nahe daran, zu erliegen. Zwischen der französischen Cavalerie und den Kabylen kam es oft zu sehr mörderischen Kämpfen, wo der Säbel mit dem Yatagan sich kreuzte, und die Kabylen nicht immer den Kürzern zogen. Zu diesen kriegerischen Unternehmungen sind die Kaby- len fast immer von ihren Weibern begleitet, welche weit mehr Freiheit geniessen und mehr Macht auf ihre Männer üben, als die Araberinnen. Jene wilden Weiber lagern sich in ge- ringer Entfernung von dem Kampfplatz, und gleich den Wei- bern der alten Teutonen ermuntern sie die Streiter_durch 5 R 68 Geberden und Geschrei, preisen die Starken und die Tapfern und schmähen die Fliehenden. Während der Belagerung von Constantine im October 1837 sah man eine Menge von Ka- bylinnen bei dem Lager Achmet Beys ausserhalb der Stadt stehen, und als im Juni desselben Jahres der Obrist Schauen- burg mit einem Corps von 2000 Monn in die Ebene der Is- ser gegen die Amrauahs zog, da waren, während Fussvolk und Reiter der Kabylen den Franzosen keck zu Leibe gin- gen, und aus allen Büschen das Musketenfeuer krachte, die Gipfel aller Hügel und Felsen umher mit Kabylinnen bedeckt, welche im flatternden Schmuzgewand, mit aufgelösten Haaren, leibhaftigen Hexen gleichend, ihr gellendes Geschrei aus-. stiessen. Ich habe gebildete Franzosen gekannt, welche für das Leben der Kabylen, das sie freilich nie selbst mit angesehen, sondern nur schildern gehört, sich enthusiasmirten, ihre wilde Freiheit, ihre unbekümmerte Existenz ohne Bedürfnisse und ohne Sorgen beneidenswerth fanden. Dieselben Franzosen hätten dann auch die Hyäne glücklich preisen müssen, die ebenfalls in Löchern wohnt und keinen Herrn über sich er- kennt, die auch mit dem Weibchen kost, dem Männchen die Zähne weist und völlig sorgenfrei in den Tag hinein lebt. Einige riethen, man solle unter den Kabylen, statt unter den Arabern, Bundesgenossen suchen. Aber dergleichen Politiker haben ohne Zweifel den Charakter der Kabylen ganz verges- sen. Die Kabylen haben sich nicht nur bei jeder Gelegen- heit als fanatische Barbaren gezeigt, die jeden nahen freund- schaftlichen Verkehr mit den Franzosen stolz abwiesen, sie haben überdies Beispiele einer Treulosigkeit gegeben, welche die Frdes punica beschämte. Der Leser erinuert sich wohl noch des im ersten Band erwähnten verrätherischen Meuchel- 69 mords, der an dem Obercommandanten von Budschia, _Salo- mon de Musis, verübt wurde. Weniger bekannt geworden sind die Verbrechen, die sich öfters während meines Aufent- halts in Algier zugetragen. Eın Pflanzer meiner Bekannt- schaft, der mit einer jungen Spanierin aus Minorca verheira- thet war, besass in der Umgegend Algiers unweit Kuba ein Landgütchen, und beschäftigte ausser einigen europäischen Tagelöhnern auch drei Kabylen, deren Anhänglichkeit er durch freundliche Behandlung zu gewinnen hoffte. Er schenkte ihnen zuletzt so viel Vertrauen, dass er sie mit im Hause schlafen liess, was die Türken nie gethan. In einer Nacht kam die junge Ehefrau bleich nach dem Lager Kuba geflo- hen. Die Kabylen hatten ihren Mann an ihrer Seite im Schlafe erwürgt, hatten ihre Kinder, ihre Verwandten, ihre deutschen Tagelöhner eben so meuchlings gemor- det, und sie selbst entging nur dem Tode, weil einer der Kabylen sie leidenschaftlich liebte. Sie entriss sich sei- “nen widrigen Zudringlichkeiten durch einen Sprung durch’s Fenster. Man fand acht Leichname im Hause; die Kabylen entkamen,, nachdem sie alles Geld mit sich genommen, in die Berge. Herr Rozet, Capitän des Generalstabs, welcher die berberischen Tagelöhner öfters in ihren Fonduks besuchte, mit ihnen plauderte und ihnen auch wohl Geld gab, damit sie ihm recht viel von ihrem Land und Volk erzählten, machte ihnen im Scherz den Vorschlag, sie auf ihre Berge zu beglei- ten. Sie saben sich mit ironischem Lächeln an, und schwie- gen. „Mein Leben wäre bei euch wohl in Gefahr?“ fragte hierauf der Officier. — „Ihr selbst würdet mir vielleicht den Kopf abschneiden“ — „Ah!“ — riefen sie mit einem selt- samen Ausdruck, und sagten weiter kein Wort. Ein Arzt fragte einst einen dieser Tagelöhner, welcher von den barm- 70 herzigen Schwestern im Algierer Civilhospital auf das Herz- lichste verpflegt worden, und dasselbe geheilt verliess — „wür- dest du diesen Frauen ein Leid anthun, wenn du sie auf dei- nen Bergen träfst?“ — Der Kabyle antwortete höhnisch ‚Ich würde ihnen nicht den Kopf abschneiden , aber....‘“ — Der Doctor Marseillan, ein junger, französischer Militairarzt von hübscher Figur, hatte für den Umgang mit den Arabern grosse Vorliebe, ging öfters mit ihren Scheikhs in das Innere und hatte sich nie über sie zu beklagen. Als er nach Stora ver- setzt wurde, glaubte er es dort eben so machen zu können. Er kannte zu seinem Unglück nicht den Charakterunterschied zwischen den Arabern und Kabylen, folgte einem Scheikh der letzteren, der ihn zu sich einlud, und wurde Tags darauf zwei Stunden von Stora als verstümmelte Leiche gefunden. Die unwürdigsten Schändlichkeiten schienen an seinem Kör- per verübt worden zu seyn. Dies ist das Volk, von welchem Herr Pellissier, Verfasser der Annales algeriennes, sagt, es verdiene seine Freiheit vollkommen, und eine Verschmel- zung mit ihm sey für die europäischen Ansiedler räthlich. Eine Verschmelzung mit den Kabylen! — Und welche Eigen- schaften bieten uns diese Wilden zum Tausch? — „Ihre star- ken Leidenschaften‘ — antwortet Pellissier — ‚und ihren feu- rigen Glauben.“ An starken Leidenschaften aber, die nur in Metzeleien, Anarchie und Krieg bei den Kabylen sich be- währen, fehlt es in Europa noch keineswegs. Wir hatten in Spanien noch ganz kürzlich eine Probe, was noch heutiges Tages die Exaltation der rothen Mützen und braunen Kapu- zen vermag. Vor einem Glauben aber, der den Mord heiligt, der Blutschande, Raub und die widrigsten Ausschweifungen tolerirt, bewahre der Himmel alle ungläubigen Europäer ! 71 11. Die Mauren. Di ältesten Einwohner des westlichen Theils der Ber- berei waren die Maurusier oder Mauren. Ihr Ursprung ver- liert sich in die Nacht der Jahrhunderte und die Angaben oder vielmehr die Hypothesen der alten Schriftsteller hierüber lauten sehr abweichend. Sallust erzählt in seinem Jugurthini- schen Krieg, dass, als Hercules in Hispanien umgekommen und sein aus vielerlei Völkerschaften zusammengesetztes Heer auseinandergelaufen, die darunter befindlichen Meder, Perser und Armenier nach Afrika gesegelt seyen und den Landstrich eingenommen hätten, der zunächst dem Meere gelegen. Die Meder und Armenier hätten sich mit dem eingebornen Volk der Libyer, einem rohen Menschenschlag, der wie das Vieh von Wildfleisch und von den Kräutern des Feldes lebte, vermischt und ihren Namen allmälig in Mauren statt Meder verdorben. Procopius, der viel später schrieb und dessen Angaben weniger Werth haben, giebt ihnen einen viel neueren Ursprung und sagt, dass sie aus Phönieien gekommen, aus mehreren Stäm- men, Jebusitern, Gergesitern u. s.w. bestanden und nachdem sie aus ihrem Land vertrieben worden, in Afrika mit bewaffneter Hand sich festgesiedelt hätten. Andere Schriftsteller glauben, 72 dass sie arabischen Ursprungs und Abkömmlinge von jenen Arabern seyeu, welche einige tausend Jahre vor Mohamed Aegypten überschwemmten; und es ist allerdings nicht unwahr- scheinlich, dass damals einige Schwärme weiter nach Westen zogen und in dem Lande, welches die Römer in der Folge Mauritanien nannten, sich niederliessen, wie das viele Jahr- hunderte später von den mohamedanischen Arabern geschah. Die Leichtigkeit, mit welcher beide Völker, die Araber und die Mauren, im siebenten Jahrhundert sich wieder vermischten oder wenigstens vereinigten, und gemeinschaftlich das Reich in Spanien gründeten, die Gleichheit der Sprachen beider Völker, während die von den Arabern besiegten und zur An- nahme des Islam gezwungenen Kabylen ihre eigene Sprache beibehielten, die Uebereinstimmung verschiedener Gebränche, wie die Beschneidung, welche bei den Mauren schon vor der Ankunft der Araber im siebenten Jahrhundert eingeführt war, spricht ziemlich für eine gemeinschaftliche Abstammung. Auch Leo Africanus erwähnt in seiner Deserzptio Africae eine arabische Emigration nach Afrika, welche Malek Afriki einige Jahrhunderte nach Josua führte. Zudem machen mehrere der alten Schriftsteller, namentlich Strabo, auf die Aehnlichkeit der Sitten zwischen den alten Bewohnern Afrikas und den Arabern aufmerksam. Strabo sagt ausdrücklich, dass die Getuler, welche mit den Libyern, Sallust zufolge, die Auto- chihonen Afrikas waren, ganz wie die arabischen Nomaden lebten. Die heutigen Mauren machen in der Regentschaft Algier etwa den zehnten Theil der Gesammtbevölkerung aus und ihre Zahl verringert sich seit 1830 immer mehr, theils durch zahl- reiche Auswanderung nach den übrigen Barbareskenstaaten aus religiösen oder ökonomischen Rücksichten, theils in F olge 73 der Zerstörung mehrerer Städte und der übrigen Drangsale des Kriegs, wodurch viele Mauren zur Flucht ins Innere be- wogen wurden, wo sie sich unter den Araberstämmen verloren und deren Lebensweise annahmen. Von allen eingeborenen Völkerschaften der Berberei haben die Mauren, welche schon von alten Zeiten her die Städte und namentlich die Seehäfen bewohnten, die mildesten Sitten und die meisten Kenntnisse. Wenige Länder der Erde besitzen einen schönern Men- schenschlag. Die Mauren sind wohlgebaut, nicht so hohen Wuchses wie die Araber, doch meistens über mittlerer Grösse; sie sind etwas zur Fettigkeit geneigt und magere Individuen giebt es sehr wenige. Die Gesichtszüge der Mauren sind schön und edel, aber weniger energisch, als die der Araber; der Teint ist bei den Kindern rein weiss und rosenroth. Schon Shaw bemerkt, dass man in Europa selten so hübsch gefärbte Gesichtchen sehe. Bei den Männern verliert sich der rothe Anflug der Wangen, ihr Teint ist entweder ganz weiss oder spielt etwas ins Olivenfarbige. Die Haare, welche sie - sich, gleich den Arabern, scheeren und von denen nur auf dem Wirbel ein Büschel stehen bleibt, sind schwarz, eben so die Augen. Die Physiognomien scheinen dem, der den Charakter dieses Volks noch nicht kennen gelernt, auf Milde und Me- lancholie hinzudeuten, und niemand würde ahnen, dass dieser Menschenschlag mit dem sanften Blick und dem ruhigen Wesen auch seine Contingente zu den Seeräuberflotten, welche vor einem Jahrhundert der Schrecken des mittelländischen Meeres waren, geliefert habe. Die maurischen Weiber, welche sich nie den Sonnenstrahlen aussetzen, sondern den ganzen Tag zu Hause in der kühlen, schattigen Galerie der Säulenhalle zubringen, oder, wenn sie zuweilen ausgehen, das Gesicht mit Musselintüchern umhüllen, behalten den wunder- 74 schönen Teint gewöhnlich bis in ihr Alter. Auch die Ge- sichtszüge dieser Frauen sind ungemein schön ; die Stirne ist sehr weiss, die leichtgebogene Nase edel geformt, Mund, Zähne, Kinn vollkommen, und der feurige Glanz der Augen beschämt die Männer, deren Blick mehr sanft und matt, als feurig ist. Uebrigens beschränkten sich meine Beobachtungen auf eine verhältnissmässig unbedeutende Zahl maurischer Frauen, die ich auf den Terrassen der Häuser oder bei den Jagdpartien, in den maurischen Gärten oder auch bei Hoch- zeiten unverschleiert belauschte. Von diesen schönen Frauen nehme ich die zahlreichen öffentlichen Dirnen aus, deren von früher Jugend auf getriebenes Handwerk die hübschesten Ge- sichter zerstört. Diese Dirnen geben von maurischer Schön- heit keineswegs einen sehr hohen Begriff, doch selbst unter ihnen sieht man einzelne prachtvolle Gestalten, die auch durch das häufig getriebene Laster noch nicht alle Reize verloren haben. Die Kleidung der Mauren gleicht der bekannten türki- schen Tracht, nicht der reformirten, sondern der alten, glän- zenden Türkentracht mit dem bunten Turban, der eleganten, mit Schnüren und Goldstickereien verzierten farbenprunkenden Weste, den weiten faltenreichen Pantalons, welche nur bis zu den Knieen gehen und der bunten Leibbinde. Die Indivi- duen, welche die Wallfahrt nach Mekka gemacht haben, tragen grüne Turbane, und die Auszeichnung der Kadis, ihrer Kodschas (Secretaire), der Marabuts und Thalebs ist ein eigen- thümlich geformter, weisser, bauschiger, in viele kleine Falten gelegter Turban. Bis zum funfzehnten Jahr tragen die jun- gen Mauren blos rothe Mützchen über dem Haarbüschel; der übrige Theil ihres Kopfes tritt dann nackt hervor. Viele setzen erst mit ihrer Verheirathung den Turban auf. Alle Mauren haben auch weisse oder schwarze Bernusse, wie die 75 Araber, aber von weit feinerem, leichterm Stoff und eleganterer Form. Sie ziehen diese nur bei schlechter Witterung an, tragen sie aber beständig mit sich und werfen sie gewöhnlich blos über die Schultern oder über den Arm. Es wird sogar bei den Vornehmern für unanständig gehalten, ohne den Ber- nuss auszugehen. Der Bernuss ist ein ungemein malerisches Kleidungsstück und kommt der Toga der alten Römer nahe. Bei den armen Mauren ist der Schnitt der Kleidung derselbe, nur tragen sie, statt feinen Tuches und goldgestickter Seide, grobe Stoffe, auch wohl Lumpen. Die Waden sind immer entblösst; an den Füssen tragen sie eine Art von Pantoffeln. Die maurischen Frauen tragen auf der Strasse vom Kopf bis zu den Füssen weisse Kleider. Lange Pantalons von Mus- selin "oder Leinwand gehen bis zu den Füssen herab; ein Haikh bedeckt den übrigen Körper; um das Gesicht binden sie sich weisse Tücher, durch deren Lücken nur die schwar- zen Augen hervorfunkeln. Ganz verschieden ist die Tracht der Maurinnen im Innern ihrer Häuser. Dort putzen sie sich buntfarbig und prächtig und tragen gewöhnlich den eigenthüm- lichen, thurmartigen Kopfschmuck von geflochtenem Silber, Sarmah genannt, der aber nicht so hoch ist wie bei den Türkinnen. Um den Leib haben sie eine Art Jacke von Seide mit kurzen Aermeln und reicher Stickerei; dann folgt ein breiter Gürtel vom kostbarsten Stoff, endlich tragen sie weite Beinkleider, gewöhnlich von weisser Farbe, die bis an die Kniee reichen und die Waden nackt lassen. Ihre Füsse bedecken nur Halbpantoffeln von eigenthümlicher Form und ziemlich grober Arbeit, deren Obertheil gleichwohl von grünem oder rothem Sammet, und mit Goldstickereien überladen ist. Die ganze Haustracht der Maurinnen ist äusserst prächtig und dem Auge gefällig. SI er) Was ich bereits im ersten Bande von Leben und Sitten der maurischen Bewohner der Stadt Algier gesagt, gilt auch für die übrige maurische Bevölkerung des Landes. Die reli- giösen Gebräuche, die öffentlichen wie die Familienfeste, das gesellige Leben, die Beschäftigungen u. s. w. sind dieselben in allen Städten. Das erste, was dem Fremden an diesem Volke auffällt, ist seine phlegmatische Ruhe. Ein grosser Theil der Mauren treibt Kramhandel; diese sieht man den ganzen Tag mit gekreuzten Beinen vor ihren Boutiken sitzen, regungslos, Kaffee schlürfend oder den Tabaksqualm aus ihrer roththö- zernen Pfeife in die Luft blasend, oder häufig auch ohne Pfeife und ohne Kaffeetasse blos stumm, ernst, scheinbar in tiefem Sinnen verloren vor sich hinstarrend. Es giebt mau- rische Handwerker aller Art: Schreiner, Drechsler, Uhrmacher, Schneider, Goldsticker, Waffenschmiede und besonders viele Schuster. Diese arbeiten aber mit unerträglicher Langsam- keit, legen ihre Werkzeuge oft bei Seite, um wieder ein Tässchen Kaffee zu sich zu nehmen, betrachten dann eine Zeit lang ihre Arbeit, ehe sie wieder Hand anlegen , und schreiten zu allen ihren Verrichtungen in langsam abgemes- sener Bewegung. Des Kaffeehauslebens habe ich bei der Beschreibung der Stadt Algier bereits Erwähnung gethan. Auch da sitzen die Mauren mit gekreuzten Beinen, ohne sich zu rühren, und lauschen dem monotonen Geklinge einer trägen Musik. Ob die Mauren auch so gedankenleer als wortkarg sind, wäre schwer zu sagen. Ich sah deren manchmal mit ver- schränkten Armen auf der Terrasse ihrer Häuser oder hinter der Brustwehr des Hafendammes stehen und dem schäumenden Wogenkriege zuschauen, wenn der Mistral von Nordwesten sauste. Die bleichen, ernsten bärtigen Gestalten waren da 77 sehr grossartig, sie hätten für mächtige Magier gelten kön- nen, auf deren Gebot diese Rebellion des Meeres entstünde ; oder wenn sie an den Sommerabenden vor dem Thore Bab-a- Zun in Gruppen beisammen sassen, imposant und würdevoll, und wenn einer von ihnen das Wort nahm, dem alle aufmerk- sam lauschten, da hatte man das Bild eines Römersenats im Turban, und wer nicht arabisch verstanden, würde nimmermehr geglaubt haben, dass unter diesen feierlichen Männern ganz einfach nur von dem Hornviehmarkt des folgenden Tages oder von der Henne des Nachbarn, die gestern ein Ei mehr als gewöhnlich gelegt, die Rede sey, dass diese imposante Versammlung, wo man Ideale von Kriegshelden, Senatoren und Aposteln zu schauen wähnte, ganz einfach aus Meierhofs- besitzern, Käsekrämern, Schulmeistern, Hufschmieden u. s. w. bestehe. Nirgends täuscht die Physiognomik mehr. Ich wollte lange nicht glauben, dass diese edlen Figuren, diese schwermüthig träumenden Mienen blos in nichtigem, dumpfem Hinbrüten versunken seyen; ich dachte lange, es sey der Schmerz über die gebeugte Grösse ihres einst kriegsmächtigen Volks, der den bleichen Zügen den melancholisch schönen Ausdruck leihe, oder es sey nur ihr Leib, der hier träumend sitze und ihr Geist wandle indessen auf den Ruinen von Granada und singe stumme Elegien über dem Grabe der Abencerragen oder er halte heimliche Zwiesprache mit den Schatten ihrer erwürg- ten Ahnen und sinne nach über die Art, sie am furchtbarsten zu rächen. Die Europäer in Algier aber, die seit Jahren in ‚nächster Nachbarschaft von den Mauren wohnen, täglich mit ihnen verkehren und alle Gelegenheit hatten, sie nüchtern zu beobachten, wollen diesem Volke durchaus alle poetischen Ge- danken oder energischen Plane absprechen und versichern, dass sie in ihren Krambuden nur an das Kaffeehaus und im 78 Kaffeehause nur an die Krambuden oder noch öfter an die Kuskususchüssel und die liebe Frau daheim oder am aller- liebsten an gar nichts denken, wobei sie aber immer jene falsche Gedankenlarve, die bleiche, ernste, sinnende Miene bewahrten. Es hält freilich bei einem so wenig mittheilsamen Volke etwas schwer, hinter alle Ressourcen seines Geistes zu kommen, aber in soweit ich die Mauren in der Folge während eines zweijährigen Aufenthaltes unter ihnen kennen gelernt, muss ich die Meinung der übrigen Europäer über ihre geisti- gen Fähigkeiten theilen. Ich habe ausser ihren Gesichtern und Kleidern gar wenig Poetisches an ihnen wahrgenommen, und die Ruhe, der melancholische Ausdruck des Gesichts deutet wohl wirklich mehr auf Phlegma und Stumpfheit, als auf Resignation und Nachdenken. Bei den sanften Sitten der Mauren lässt es sich mit ihnen sehr angenehm verkehren und die Franzosen haben an ihnen durchaus kein Hinderniss gegen das Umsichgreifen ihrer Occupation. Die Mauren sind zwar fanatisch, aber ihr Fa- natismus ist nicht gefährlich, weil diese Menschen zu friedlich sind und sehr arg gedrückt werden müssten, um an bewaff- neten Widerstand zu denken. In den ersten Jahren der An- wesenheit der Frazzosen sah jenes Volk seine Moscheen zer- stören und die Gräber seiner Väter aufwühlen, ohne zu wagen, gegen den strengen Herzog von Rovigo seinen Unmuth an- ders als durch finstere Mienen zu erkennen zu geben. In der Folge söhnte sich ein Theil sogar mit den Siegern aus und ziemlich viele Mauren stehen jetzt im Dienst der franzö- sischen Regierung als Dolmetscher, Polizeiagenten, Gensdar- men u. s. w. Andere, die es nicht ertragen konnten, mit Christen beisammen zu wohnen, wanderten nach Tunis, Tanger, dem Orient aus oder zogen sich in die südlichsten Gegenden der 79 Regeutschaft Algier zurück, wo sie unter den Beduinen ver- schwinden. Man schätzt die Zahl dieser ausgewanderten Mauren auf ein gutes Drittheil, eher mehr als weniger. Die Zurückgebliebenen haben sich nun an ihre jetzige Lage und ihre jetzigen Herren gewöhnt und in einigen Städten, wie in Bona, ist der gegenseitige Verkehr so freundlicher Art, dass von den dortigen Mauren gewiss nur Wenige die Türkenherr- schaft aufrichtig zurückwünschen und dass die grosse Mehr- zahl einer arabischen Herrschaft sogar mit den Waffen in der Hand widerstehen würde. Zwischen Mauren und Arabern besteht eine herzliche Abneigung, welche nur durch den ge- meinsamen Glauben in etwas gemildert wir. Die Araber, die entschieden energischer, abgehärteter,-thatkräftiger sind, geben den Mauren ihre Verachtung bei jeder Gelegenheit zu erkennen und der Name ,„Hadar“ (Stadtbewohuer) hat bei ihnen immer eine verächtliche Nebenbedeutung. Ueber den Charakter der Mauren sind von den neuesten Reisenden eben so widersprechende Urtheile gefällt worden, als über die Araber. Wilhelm Schimper wurde von ihrem stillen Leben und ihrem leutseligen Wesen sehr eingenommen, während Rozet ihnen nicht eine gute Eigenschaft zugestehen wil. Die Mauren sind allerdings im hohen Grade geizig, wie alle mohamedanischen Völker ohne Ausnahme, sie stehlen und betrügen auch, wo sie ohne Gefahr können, doch sind diese Verbrechen nicht eben viel häufiger als in Frankreich. Trotz ihrer äussern Sanftmuth haben die Mauren gegen Ge- fangene oft Härte und Grausamkeit-geübt, doch geschah dies, ehe sie mit den Franzosen in nähere freundliche Berührung kamen, mehr aus Fanatismus, als aus Naturell und wohl auch in Folge der Erinnerung an die Leiden und Bedrückung, die ihre Grossväter von den Spaniern zu dulden hatten, nachdem s0 ihr schönes Reich dort zertrümmert war. Sie bezeichneten mit der Benennung „Rummi“ alle Europäer und weihten allen ge- meinsamen Hass; dieser Hass hatte sich von ihren Ahnen, welche durch den grausamen Eifer Philipp’s II. und Philipp’s IH. von dem Boden Spaniens, den sie 800 Jahre lang bewohnt, verjagt wurden, auf sie vererbt und war wohl motivirt und gerecht. Seit zwei Jahrhnnderten hatten sie mit den Euro- päern fast keinerlei Verkehr, sie kannten diese nur aus der Geschichte der spanischen Verfolgungen gegen die armen Moriscos und wussten nicht, dass sich in der Denkweise der Europäer, selbst der Spanier, seitdem grosse Veränderun- gen ergeben, dass die Kreuzfahrerbegeisterung dort längst aus der Mode gekommen, dass mit ihr die blinde Verfolgungssucht aus Glaubenseifer aufgehört und selbst in der katholischen Halbinsel eine gewisse Toleranz Eingang gefunden hatte. Als der Krieg mit deu Franzosen ausbrach, erwachte in den Mauren die Erinnerung an die Ferdinande und die Philippe von Spanien, und ihre Wuth, die Barbarei, mit der sie die unglücklichen Mannschaften einiger Kriegsschiffe misshan- delten, war zwar nicht zu rechtfertigen, doch einigermassen zu entschuldigen an einem schwachen, wenig aufgeklärten Volk, dem der Dey und die Marabuts von den Gefahren, die seinen Glauben, sein Geld und seine Weiber bedrohten, vor- geschwatzt hatten. Die sonst so friedfertige, phlegmatische, ja feige Bevölkerung griff zu den Waffen, halb aus Wuth gegen die „Rummis“, halb aus Schrecken vor dem Dey, und erst als die französischen Vierundzwanzigpfünder auf das Kaiserfort donnerten, kamen sie wieder zur Besinnung, sie merkten, was an europäischer Kriegskunst war, merkten, dass ein plötzlich auflodernder tapferer Rausch, ein durch die Nähe des Glaubensfeindes erhitzter Fanatismus, gegen geordnete sı feuersprühende Reihen von Stahl und Kanonen: nichts auszu- richten vermöge und die Todesfurcht bei Feiglingen über alle andern Gefühle triumphire. Als die Franzosen in das über- gebene Piratennest einzogen, hatten die vom unverhofften Schlage betäubten Bewohner sich wieder hinter ihren dumpfen, leidenden Fanatismus verkrochen, der bald eine trotzige Miene annahm, als sie sahen, dass die Sieger lange nicht so wild, blutdürstig und gefährlich seyen, als man sie geschildert hatte. In den ersten Jahren der Occupation vermieden die Mauren so viel als möglich jeden Verkehr mit den Franzosen. Die vornehmeren Frauen wagten lange nicht einmal unter Verhül- lung sich auf der Strasse zu zeigen und flohen mit Geschrei und Zittern, wenn sie einen lauschenden Franzosen auf der Terrasse des Nachbarhauses gewahrten. Allmälig gewöhnte man sich aber in Algier, die verhassten Christen, die am Ende den Weibern doch hübscher und liebenswürdiger vorkommen mochten, als ihre Ehemänner früher zugeben wollten, zu Nachbarn zu haben. Die Fanatischsten der Bewohner wan- derten aus. Nach und nach stellte sich einiger Verkehr her, zuerst aus Handelsinteresse, dann, als man sich kennen gelernt, bei Manchen auch aus gegenseitigem Wohlgefallen und aus Neigung. Den Anfang machte die Jugend, in deren noch weicher, heiterer Seele Hass und Fanatismus nicht einge- rostet waren. Kleine Mauren der ärmeren Stände erlernten das Französische mit bewundernswürdiger Leichtigkeit. Sie wurden, sammt den jüdischen Kindern, die Dolmetscher, die Unterhändler zwischen Europäern und Eingebornen; einige traten in die Dienste der Franzosen. So ängstlich auch ihre finstern Väter wachten, dass ihre Knaben nicht weiter mit den „Rummis‘ sich einliessen, als eben unumgänglich noth- wendig — war es ihnen doch nicht möglich zu verhindern, Morıtz Wasner’s Algier; I. 82 dass ihre Kleinen an den Schauspielen und Genüssen der Europäer bald Vergnügen fanden, dass sie mit. an den Hafen rannten, wenn ein dampfspeiender Bote von Frankreich einlief, dass sie vor stattlichen mit Gaumenherrlichkeiten decorirten Zuckerbäckerläden mit naschhaften Augen verweilten, dass sie begierig nach dem 'Thore Bab-el- Uau liefen, wenn dort Truppen paradirten oder Feuerwerke knallten, dass sie um 8 Uhr Abends sich regelmässig auf dem grossen Platze ein- fanden, um den Zapfenstreich zur Caserne zu geleiten und dann von dort in gedrängter Reihe und geregeltem Schritt, mit dem Munde trommelnd und trompetend und mit französi- schem Commandowort nach Hause marschirten. Vielleicht wird durch diesen unaufhörlichen Anblick von militairischem Pomp und Waffengeräusche in der maurischen Jugend ein kriege- rischer Funke wieder geweckt und sie gewöhnen sich an eine kraftvollere und mannhaftere Beschäftigung zu denken, als an das elende erschlaffende Gewerbe ihrer Väter. Oder wenn Pulverknall und Rossewiehern sie nicht lockt, so bleibt doch vielleicht der Anblick der grossen und bunten Wunder, welche die europäische Civilisation nach Afrika geschickt, wie die mächtigen Schiffe, die neuen Bauwerke, die schimmernden Erzeugnisse der Industrie, nicht ohne gute Wirkung auf sie und spornt sie zur Nachahmung. Jedenfalls glaube ich, dass der trotzige, ingrimmige Hass mit den maurischen Grau- bärten ausstirbt und die kleine aufkeimende Generation in der Folge nicht heimlich Gift wider Menschen athmen wird, an deren Umgang sie sich vom Knabenalter an gewöhnt, mit deren Jugend sie gespielt hat, an deren Seite sie gross geworden. Ohne eben bedeu- tende Hoffnungen auf die gegenwärtige maurische Jugend zu bauen, denn die sittliche Verderbniss ist zu tief in 83 diesem Volke eingerissen, glaube ich gleichwohl, dass sie, mit Schonung behandelt und mit Klugheit verwendet, der europäischen Ansiedelung in- der Folge wesentliche Dienste wird leisten können. Was ich oben von dem eingefleischten stummen Hass oder der Abneigung der ältern Mauren gegen die Europäer gesagt, gilt übrigens nur im Allgemeinen; die Ausnahmen sind sehr zahlreich. Schon der Umstand, dass viele Mauren von den Franzosen pecuniären Gewinn ziehen, milderte ihre feindselige Stimmung. Manche näherten sich, ohne um das mürrische Achselzucken ihrer Glaubensgenossen sich zu küm- mern, den Europäern mit offener Freundlichkeit. In dem grössten maurischen Kaffeehaus in der Divanstrasse sieht man auf den langen Bänken Europäer und Eingeborne untermischt sitzen und mehr als einmal war ich Zeuge, dass der mauri- sche Wirth bei zu grosser Ueberfüllung einige seiner Lands- leute von ihren Sitzen jagte, um europäischen Gästen, die gewöhnlich einen Sou mehr für die Tasse bezahlen, Platz zu machen. Recht angenehme Bekanntschaften machte ich unter den maurischen Pflanzern der Algierer Umgebung. Diese sind von entschieden besserem, zutraulicherem Charakter, als die Städter, die schon durch ihr Gewerbe zum Eigennutz und zur Verschmitztheit mehr geneigt sind. Ich gedenke so mancher jener Pflanzer, die in schmucken, weissen Landhäuschen wohnen, mit grosser Liebe und möchte sie gern einmal wie- dersehen. Wenn auf meinen Sammelausflügen ein Gewitter mich überfiel, flüchtete ich oft in diese Landhäuschen und fand gleich freundlichen Willkommen bei Armen und Reichen; gewöhnlich wurden mir Früchte und Milch oder Kaffee vor- gesetzt und manchmal weigerte sich der Eigenthümer durch- aus, irgend ein Gegengeschenk anzunehmen. Da die mauri- 6* 54 schen Gärten offen sind oder doch nur lückenhafte Agave- umzäunungen haben, so streifte ich fast täglich mit der Flinte ohne Umstände durch diese Gärten, denn dort gab es manche Insecten, die sich an andern Orten nicht fanden. Nie wurde mir wegen solcher Einbrüche von dem Eigenthümer ein Vor- wurf gemacht. Begegnete ich diesem auf den engen Wegen vielleicht auf einem Esel reitend, so hielt er still und bot mir mit gutmüthigem Gruss wenigstens eine Prise Tabak an, manchmal auch etwas Besseres. Ich spazierte einmal auf den westlichen Hügeln bei Bona und sang deutsche Lieber, wäh- rend ich auf der Daphne Gnidium nach einer schönen grün- glänzenden Käferart suchte Ein Maure stand auf dem Ab- hange des Hügels in seinem Weingarten und sah und hörte mir aufmerksam zu. Dann stieg er rasch zu mir herauf und bot mir eine ungeheure Traube. Die Luft war gerade sehr schwül und die Labung that mir wohl. Viele Europäer wer- den zur Zeit der Fruchtreife von ihren maurischen Landbe- kanntschaften eingeladen und Christen und Mohamedaner schmausen dann gemächlich beisammen aus einer Schüssel und trinken aus demselben Becher. Ein solches maurisches Ernte- fest ist freilich nicht so heiter und unterhaltend, wie eine Weinlese am Rhein oder im Gascognerlande. Es erscheinen keine Winzerinnen mit rosigen Wangen und lachendem Auge, das letzte grüne Laub in den blonden Haaren tragend.. Wenn bei solchen maurischen Gastmählern ein Weib sich zeigt, so ist es eine Negerin mit aufgeworfenen Lippen und hässlichen, thierischen Zügen. Die maurischen Frauen schliessen sich sorgfältig ein, wenn der Mann Besuch hat, und kommt eine vorüber, so ist sie vom Kopf bis zu den Füssen in weisse Tücher eingehüllt, wie ein Gespenst. Bei dieser strengen Ausgeschlossenheit des weiblichen Ge- 85 schlechts von jedem Umgang mit Männern ist es be- greiflich, dass die geselligen Freuden in Algier ziemlich einförmig und trocken sind. Wie schon erwähnt, sind die Mauren wenig gesprächig und die beste Unterhal- tung, die man bei dergleichen Einladungen hat, ist die reizende Umgebung, der Anblick der mit goldfarbigen Orangen bestreuten Bäume und die Aussicht über eine blühende Landschaft und ein blaues Meer. Selbst jene Mauren, welche in Algier, „‚der Kriegerischen“ (El-Dschesair), nicht mehr wohnen mochten, seitdem diese Seeräuberfürstin den stolzen Nacken unter das Joch der Christen gebeugt hat, oder denen das Herz am Ende brechen wollte, als sie täglich Moscheen niederreissen und Gräber verletzen sahen, und die deshalb nach dem Innern auswan- derten, jene Mauren sogar haben den früheren Hass nicht mehr. So viel Unglück auch die französische Invasion über ihr Volk brachte, so rechnen sie dies doch den Individuen nicht an. Ueber letztere haben sie sich nicht zu beklagen, sogar die französischen Militairs zeigten in der Regel grosse Schonung, wenn der Kampf vorüber war; die Ausnahmen wenigstens waren selten. Gewiss sind wenige Mauren von Algier mit derselben bösen Meinung von den Europäern aus- gewandert, die sie vor 1830 gehabt hatten. Ich habe solche Algierer Mauren in Mascara wiedergetroffen. Diese Leute, denen ein dreijähriges Wohnen in einem von Arabern be- herrschten Land die Augen geöffnet, begrüssten uns mit un- geheuchelter Freude. Das Leben, die Sitten und die Denk- weise der civilisirten Christen sagten ihnen, den halbeivilisirten Mohamedanern, doch mehr zu, als der wilde Charakter und das rauhe Leben der Beduinen. Unter französischer Herr- schaft war wenigstens ihr Leben und Eigenthum nicht gefähr- 86 det; man liess diese harmlosen Menschen ihren Weg ruhig wandeln, während sie unter den arabischen Beamten Abd-el- Kader’s vielerlei Vexationen ausgesetzt sind und bei ihrem täglichen Verkehr mit den Arabern, welche gegen die „Ha- dars“ herzliche Verachtung hegen und ihre Ueberlegenheit ihnen oft genug fühlen lassen, Demüthigungen aller Art erleiden. Der Consul Daumas und sein Gefolge lebte mit jenen geflüch- teten Mauren in Mascara in recht herzlichen Einvernehmen und es verging fast kein Tag, wo sie sich nicht gegenseitig besuchten. Alle diese Mauren erkundigten sich bei mir nach ihren französischen Freunden in Algier. Es war keiner un- ter ihnen, der nicht irgend einen Europäer dort liebgewonnen und nicht den Wunsch geäussert hätte, ihn einmal wieder- zusehen. Einer dieser Mauren begleitete uns, als wir Mas- cara verliessen, ‘einige Stunden Weges und nahm dann so wehmüthigen Abschied, als sey es von seinen Brüdern. Wenn es noch eines Beispiels bedarf, um zu beweisen, wie schnell sich dieser Hass, der aus den Traditionen ihrer Väter ent- standen und den nur ihre Unkenntniss des Charakters der Christen so lange erhalten, mildert und legt, so erinnere ich nur an Constantine, dessen Bevölkerung sich früher den Fran- zosen am feindlichsten zeigte und an den Gefangenen die schändlichsten Grausamkeiten beging. Wenige Monate nach der Einnahme Constantines war von dieser Stimmung keine Spur mehr übrig, nirgends schlossen sich die Besiegten schneller und aufrichtiger an die Sieger an und bald unter- stützten sie die Franzosen mit den Waffen in der Hand ge- gen ihren ehemaligen Bey, für den sie einige Monate zuvor gegen die Franzosen gestritten. Wenn auch die Mauren, welche der Mehrzahl nach ein unter langjähriger T'yrannei und in Folge ihrer eigenen Sittenverderbniss feige und stumpf 87 gewordenes Volk sind, den Franzosen keine bedeutende Stütze bieten, so sind sie doch wenigstens in keiner Weise ein Hinderniss ihrer Ansiedelung, und dies ist immerhin ein Gewinn in einem Lande, wo die grosse Mehrzahl ihnen in schroffer Feindseligkeit gegenüber steht. D Ä IV. Die Türken und Kuruglis. Die Zahl der Türken in der Regentschaft Algier ist seit dem Sturz ihrer Herrschaft im Jahre 1830 bedeutend zu- sammengeschmolzen, und beläuft sich nur noch auf wenige Tausende, welche in den Städten der Küste und des Innern zerstreut wohnen. Die ersten Türken kamen nach Algier im Jahre 1516. Es war ein Haufe Freibeuter, welche der Re- negat Horuk Barbarossa mit anderm Raubgesindel aus ver- schiedenen Ländern der Mittelmeerküste auf die Aufforderung Eutemi’s, eines arabischen Emirs der Ebene Metidscha, nach Algier geführt hatte. Nach dem Tode jenes berühmten See- räuberfürsten schickte dessen Bruder Khaireddin - Barbarossa, welcher von Abu-Homen, dem Herrscher von Tlemsan, be- droht war, eine Gesandtschaft nach Constantinopel an den Sultan Selim, rief dessen Schutz an, und erbot sich, das Land seiner Oberhoheit zu unterwerfen, unter der Bedingung, dass man ihn zum Pascha von Algier ernenne. Selim wil- ligte ein, und schickte ihm 2000 Janitscharen, die später durch neue Truppensendungen verstärkt wurden. So siedelten sich die Türken in Algier an, und dehnten ihre Herrschaft nach 89 und nach über das ganze innere Land aus. Unabhängig blie- ben nur die schwer zugänglichen Gebirgsgegenden und Wüste- neien, z. B. das Kabylenland im Süden von Budschia und die dürren Steppen der arabischen Stämme der Angads im Süden von Tlemsan. Die Türken verstärkten sich in der Folge durch Werbungen von Freiwilligen in Constantinopel und Smyrna. Viele verheiratheten sich in Algier an Maurinnen, ‘ verloren aber dadurch einen Theil ihrer Vorrechte.e. Die Sprösslinge dieser Ehen heissen Kuruglis, und kommen fast in allen Eigenschaften ihren türkischen Vätern gleich, genos- sen aber nicht der gleichen Privilegien, und wurden von den Türken argwöhnisch bewacht, denn öfters versuchten die Ku- ruglis die Herrschaft an sich zu reissen, und verbanden sich zu diesem Zweck mit den Mauren. Nach der Einnahme von Algier durch Bourmont wurde der grösste Theil der waffen- fähigen Türken aus Algier verbannt. In den Küstenstädten der Regentschaft ist deren Zahl gegenwärtig sehr gering. Die Meisten leben in Constantine. Die Türken, welche ich in den verschiedenen afrıkani- schen Städten gesehen, sind weniger hochgewachsen und kno- chenfest als die Araber, dagegen fleischiger als diese, wenn auch nicht so zur Fettigkeit geneigt, wie die Mauren. Ihre Gesichtszüge sind schön und viel markirter, energischer, als die maurischen Physiognomien; es fehlt ihnen aber der melan- cholische, interessante Zug. Die Augen der Türken sind lange nicht so schön, als die der Mauren, und verrathen statt Sanftmuth und Träumerei mehr wilde Kühnheit und Grausam- keit. Ihre Kleidung gleicht ganz der maurischen, nur ist sie gewöhnlich etwas bunter. Die Kuruglis namentlich halten viel auf eine saubere und reiche Tracht, und es giebt deren, welche Anzüge im Werth von einigen tausend Franken tragen. 90 Ein grosser Theil der Algierer Türken und Kuruglis steht in französischen Diensten. In Constantine bilden diesel- ben mehrere Corps, welche eine mit den ehemaligen Jani- tscharen der Deys ganz ähnliche Organisation haben, und einen Theil der mobilen Colonne bilden, der die Franzosen hauptsächlich ihre glücklichen Fortschritte in jener Provinz verdanken. Ueberhaupt hat man längst bitter bereut, die ehe- malige Waffenmacht der Deys so schnell aufgelöst und den grössten Theil davon aus dem Lande verwiesen zu haben. Man wollte sich lieber auf die Araber stützen, und fand an diesem Volke keinen Halt, weil es zu wild, zu unbändig war, weil seine Sitten und Sinnesart denen der Europäer zu schroff entgegen standen, und ihr Fanatismus weniger leicht von Geldgierde aufgewogen wird, als bei den Türken. Letztere waren die gefürchteten Gebieter des Landes, kannten die Kriegführung und die Art, wie man die Araber behandeln musste, um sie in Ruhe zu halten. Leicht hätte man sie ver- mocht, in französische Dienste überzutreten; man hörte meh- rere von ihnen nach der Explosion des Kaiserforts sagen, das französische Silber habe wohl einen eben so guten Klang, als das Silber des Deys. Der Beistand dieser Türken wäre der französischen Eroberung von entschiedenem Vortheil gewesen. Die Araber wären nicht zu einer solchen Energie und Sie- geszuversicht erwacht, und die Dinge hätten in jenem Land eine ganz andere Gestalt gewonnen, als heutigen Tages. Charakter und Sitten haben die Algierer Türken so ziem- . lich mit ihren Brüdern im Orient gemein. Sie sind stolz, fru- gal, tapfer, sehr ehrlich in ihren Handelsverbindungen, sehr treu und zuverlässig als Bundesgenossen, selbst wenn sie mit Christen gegen Mohamedaner fechten, weniger fanatisch als alle ihre übrigen Glaubensgenossen, vielleicht mit Ausnahme 91 der Mosabiten; sie halten streng ihr Wort, und sind auch zuweilen grossmüthiger Züge fähig. Ich halte die Türken für das edelste und bedeutendste Volk unter allen Mohame- danern. Dabei. haben die Türken aber auch viele Laster. Sie sind weniger geizig, als die Kabylen und Araber, aber viel habsüchtiger; sie plündern und erpressen ohne Gewissens- scrupel, sind sehr grausam, träge, ausschweifend und unna- türlichen Lastern ergeben. Die Türken in der Berberei sind noch ganz, wie ihre Landsleute in Constantinopel vor zwan- zig Jahren gewesen, ehe dort irgend eine Reform eingeführt worden. Sie haben die alte Kleidung, die alten Sitten, und da, wo sie noch herrschen, wie in Tripolis und Tunis, auch die alte wilde, kräftige, tyrannische Sinnesart beibehalten. Der Türke ist allen übrigen Völkern der Berberei entschie- den überlegen, ein geborener Gebieter, vor dessen stolzem Auftreten die andern Mohamedaner sich bücken. Selbst jetzt, wo sie in Algier nicht mehr die Herren spielen, stehen sie sie unter den übrigen Städtern in hohem Ansehen. Alle seine Eigenschaften, selbst die imponirende Ruhe der Trägheit mit eingeschlossen, scheinen den Türken zum Herrscher über die Moslims bestimmt zu haben. Daher kam es auch, dass vor der Landung der Franzosen 12- bis 15,000 Türken, im gan- zen Lande zerstreut, allenthalben die Ruhe erhielten, und einen drückenden Despotismus üben durften, ohne dass Ara- ber und Mauren sich zu mucksen wagten. Die meisten Türken und Kuruglis sind vermögend, und leben von ihren Renten. Sie haben wenig Bedürfnisse, zei- gen aber doch in Kleidung sowohl‘ als im Essen mehr Lu- xus, als die übrigen Eingeborenen. Ein Theil der Kuruglis treibt Kleinhandel. In Algier giebt es mehrere stattliche türkische Buden, namentlich in der Divanstrasse. Der Eigen- 92 thümer sitzt dort in der gewöhnlichen Gravität, reich geputzt, . hat nicht den melancholischen Ernst der Mauren, und bedient seine Käufer mit vollkommenem Anstand und Höflichkeit. Die türkischen Händler führen hübsche Stickereiwaaren, wohl- riechende Essenzen, Pfeifenköpfe u. s. w., überbieten nie, lassen aber auch nicht handeln, und beobachten in all’ ihren Geschäften strenge Redlichkeit. Im Allgemeinen sind sie we- niger industriös, als irgend eines der übrigen Völker der Ber- berei; ‘in ihren Schulkenntnissen stehen sie mit den Mauren etwa auf gleicher Stufe. Im Umgange sind sie angenehm. Sie schliessen sich gern an die Europäer an, lieben die -ge- selligen Freuden, haben auch bereits gelernt, Wein in ziem- lich reichlichen Portionen zu trinken, und zeigen für ihre Freunde, auch wenn sie Christen sind, grosse, aufrichtige Anhänglichkeit. Von ihrer Treue und Biederkeit haben na- mentlich die Kuruglis von Mostaganem und Tlemsan schöne Proben gegeben. 93 V. Die Juden. Di. Juden der Berberei haben sich dort wahrscheinlich nach der Zerstörung Jerusalems, wo die Trümmer des un- glücklichen Volkes Israel den Boden ihrer Väter verliessen und über alle Welttheile sich zerstreuten, niedergelassen. Nach den Traditionen der Juden soll jedoch die Mehrzahl ihrer Glaubensgenossen erst nach dem Sturze Granadas an der afrikanischen Küste gelandet seyn, und mit den Mauren und Arabern in Spanien freiwillig das Exil getheilt haben. Damals herrschte im christlichen Europa noch der bitterste Verfolgungsgeist gegen die unglücklichen Israeliten, welche dagegen bei den maurischen Königen Schutz, und, wenn auch nicht Gleichheit der Rechte mit den Moslims, doch einen toleranten Sinn fanden, der sie an der Ausübung ihrer reli giösen Gebräuche nicht hinderte, und ihre Sitten unangetastet liess. Die erste grosse Auswanderung der Juden aus Spa- nien soll der Sage nach schon im Jahre 1390 unter der An- führung des ersten Rabbiners von Sevilla, Simon Ben-Smia, stattgefunden haben. Dieser verlangte, als er mit den Ge- nossen seines Exils an der afrikanischen Küste landete, bei 94 Sidi-ben-Yussuf, einem hochberühmten Marabut von Miliana, ein Asyl, welches bereitwillig gewährt wurde. Es wurde, zwischen den arabischen Fürsten und Simon-ben-Smia da- mals sogar ein schriftlicher Contract aufgesetzt, der ihre Rechte garantiren sollte. Die Algierer Rabbiner versicherten mir, dass jene Urkunde noch heutigen Tages in der Haupt- synagoge der Stadt aufbewahrt sey. Die Einwanderungen der Juden aus Spanien vermehrten sich unter der Regierung der fanatischen Philippe. Allmälig breiteten sich die Juden über die ganze Berberei aus. Man trifft deren in allen Städ- ten, sogar in den Oasen der Sahara. Der jüdische Drago- man Ben-Amram in Mascara, welcher als Knabe mit seinem Vater den Feldzug eines türkischen Beys nach Ain-Maadi begleitet hatte, versicherte mir, dass in diesem kleinen Wü- stenstaat verhältnissmässig viele Juden leben, welche aber die Tracht der Beduinen angenommen haben. Es giebt Juden auch in Tuggurt und Gadames, und selbst in den Staaten der Mosabiten. Es sollen Juden sogar in den Dörfern der Amazirghs auf den Gebirgen von Marokko wohnen. Sie werden überall geduldet, jedoch nur als eine untergeordnete, gedrückte, verachtete Menschenclasse, die in ihrer niedrigen Sphäre bequeme Dienste leistet, und an denen selbst der mo- hamedanische Bettler noch seinen Uebermuth auslassen kann. Mir schienen die Algierer Juden den europäischen in den Körperformen im Allgemeinen überlegen. Sehr schöne, wohl- gebaute und gutgenährte Gestalten sah ich namentlich unter den Juden in Constantine. Sie sind von der Grösse und Statur der Mauren, aber weniger als diese zur Fettigkeit ge- neigt. Ihre Physiognomien tragen den orientalischen Typus viel schärfer ausgeprägt, als Mauren und Türken. Die Wei- ber übertreffen die Jüdinnen Europas an Schönheit bei wei- 95 tem. Sie haben als Mädchen einen schlanken, zierlichen Wuchs, einen sehr hübschen Teint und sanfte Züge; auch als Frauen behalten sie den frischen rosigen Teint bis zu einem Alter von etwa vierzig Jahren, jedoch ohne den edlen Ausdruck der Jugendjahre. Der schlanke Wuchs verliert sich in der Ehe bei den meisten. In den dreissiger Jahren haben die Jüdinnen gewöhnlich eine ziemliche Fülle des Körpers, der durch den herabhängenden Busen unangenehm entstellt ist. Den Schnitt der Kleidung haben die Israeliten mit den Mauren gemein; jedoch lassen sie die Waden nicht nackt, sondern tragen Strümpfe, Die Farbe ihrer Stoffe ist inımer dunkel, gewöhnlich schwarz; sogar der Turban trägt diese Trauerfarbe, die ihnen zu den Zeiten der Türkenherrschaft ein besonderes Gesetz auferlegte, um sie von den Moslims zu unterscheiden, welchen die schwarze Farbe ein Greuel ist. Die Tracht der jüdischen Mädchen ist ungemein hübsch. Sie tragen ein langes Kleid, von Seide die Reichen, von Wolle die Armen, ohne Aermel, auf der Brust mit Gold und Silber reich durchwirkt. Die Arme sind nur zur Hälfte von dem fein weissen Musselinhemd umhüllt. Um die Hüften binden sie ein seidenes Tuch, wodurch das Kleid eng an den Leib geschlossen wird, und die Umrisse der Körperformen sehr günstig hervortreten. Die nackten Füsschen stecken sie in gestickte Pantoffeln, und um das Haupt hüllen sie ein seide- nes Tuch, welches die langen, reichen Haare nur theilweise verbirgt. Der Kopfputz der verheiratheten Frauen ist im höchsten Grade bizarr. Er besteht aus einer Art Mütze von Silberdraht geflochten, von zwei Fuss Höhe, Sarmah genannt, um welche ein langer, wallender Gazeschleier ge- wickelt ist, der oft bis auf den Boden reicht. Die Gesichter der Jüdinnen sind aber immer unverhüllt, was ihnen ein 96 strenges Gesetz der Deys gebot. Da seit dem Sturze der Türkenherrschaft die Juden völlig gleiche Rechte mit den übrigen Einwohnern geniessen, so könnten sie und ihre Frauen jetzt leben und sich kleiden, wie sie wollten, aber die früheren Beschränkungen sind in ihre Lebensweise und in ihre Gewohnheiten so übergegangen, dass sie noch jetzt seit der zehnjährigen Befreiung fest daran halten. Die Männer kleiden sich fortwährend in dunkle Stoffe, und die Weiber verschleiern sich nicht, obwohl die Juden mehr Ur- sache hätten, eifersüchtig zu seyn, als früher. Von den jün- geren Individuen hat bereits eine ziemliche Anzahl die euro- päische Tracht angenommen. Im Allgemeinen kommt die Lebensweise der Juden der maurischen ziemlich nahe. Sie wohnen in bescheidenen Häu- sern von maurischer Bauart, leben von mässiger Kost, lieben den Kuskusu und den Kaffee, und über Alles das baare Geld. Wie unter allen übrigen Himmelsstrichen kümmern sich die Juden gar nichts um den Ackerbau, und nur wenige treiben Gewerbe. Es giebt unter ihnen Schneider, Schuhmacher, Blecharbeiter, Goldarbeiter und besonders Waffenschmiede, welche letztere sehr hübsche Arbeiten, wie Yatagans, Dolche mit silberner Scheide und Zierrathen in erhabener Arbeit, fer- tigen. Aber die grosse Mehrzahl beschäftigt sich nur mit dem Handel. Gegenwärtig machen die Juden bei weitem nicht so lucrative Geschäfte mehr, wie zu den Zeiten der Deys. Damals ging fast der ganze Grosshandel durch ihre Hände, und so. oft der Dey irgend eine grosse Speculation beabsich- tigte, wandte er sich an die Juden, welche nicht allein zwi- schen Mohamedanern und Christen, sondern auch zwischen den Beduinen und den Mauren bei jedem Geschäft die Unter- händler machten. Zum Theil hat dies jetzt aufgehört, und 97 die Juden haben an den vielen geldgierigen und rührigen Speculanten aus Europa eifrige Concurrenten. Letztere über- treffen das Volk Israel fast noch an Habgierde und Thätig- keit, während die Juden den Vortheil einer vollkommenen Kenntniss der arabischen Sprache vor ihnen voraushaben. Viele Araber, welche Vieh oder Getreide zu Markte bringen, bedienen sich noch immer der Juden als Vermittler, und wol- len ohne ihren Beistand nicht verkaufen. So oft daher ein solcher Araber auf dem Markt anlangt, wird er von zudring- lichen Juden umringt, die mit vielem Geschrei ihm ihre Dien- ste aufdringen. Jeder behauptet dann, zuerst angekommen zu seyn, der eine nimmt den zum Verkauf bestimmten Ochsen beim Schwanz, der andere bei den Ohren, öfters setzt es Schläge unter ihnen, während der Araber dem Streite mit unerschütterlicher Ruhe zusieht, ohne eine Miene zu verzie- hen oder ein Wort zu reden, und den, der ihm zu einem Käufer verhilft, immer redlich bezahlt. Die Rührigkeit der Israeliten, durch Habgierde gestachelt, beginnt schon von früher Jugend auf. Täglich ist der Marktplatz Algiers voll kleiner, emsiger Juden, welche Käufern und Verkäufern ihre Dienste anbieten, bald den Doimetscher machen, bald dem Käufer die gekauften Waaren nachtragen. Fast alle armen jüdischen Knaben treiben das Metier des Stiefelwichsers: Täglich sieht man deren einige Hunderte durch die Strassen streifen wit Wichskästchen am Arm, jeden Vorübergehenden, der bestaubte Stiefel hat, anrufend. Viele kleine Juden sind in die Dienste der europäischen Kaufleute getreten. Alle sprechen das Französische vollkommen, und einige schreiben es auch. Die allen Eingeborenen geöffneten französischen Schulen werden fast nur von den Juden besucht, deren Wiss- begierde, Talent und Fortschritte erstaunlich sind. Die un- Morıtz Wasner’s Algier. Il. 7 98 gemeine Emsigkeit dieses Volks contrastirt sehr mit dem Phlegma der Mauren, denen die Juden an fast allen geisti- gen Eigenschaften überlegen sind, nur nicht an Muth. Die Sitten der Juden zu beobachten hatte ich reichliche Gelegenheit, denn ihre Häuser sind den Fremden nicht ver- schlossen, und bei ihren Familienfesten fehlt es jetzt selten an europäischen Gästen. Einer meiner Freunde, Doctor Tru- belle, behandelte kranke Juden; auf meine Bitte nahm er mich in die Häuser seiner Patienten mit; ich knüpfte Be- kanntschaften an, und besuchte die Familien oft auch ohne besondere Ursache. Die jüdischen Mädchen zeigen sich von ihrem dreizehnten Jahre an bis zu ihrer Verheirathung nur äusserst selten auf der Strasse, oder gehen vielmehr nie aus ohne die dringendste Nothwendigkeit. So will es die gute Sitte. Wer nicht zu Familien Zutritt hat, dem bleiben ge- rade die lieblichsten Gestalten der jüdischen Mädchen in ihrem schönsten Alter ganz unbekannt, denn was von mannbaren Mädchen auf den Strassen geht, gehört in der Regel zu den verdächtigen Dirnen. Wohl mit Unrecht sind übrigens die Jüdinnen in Algier im Rufe der Sittenlosigkeit. Nur ein Theil der Aermeren widerstand der Verführung nicht. Im Ganzen aber sind die liederlichen Häuser von Maurinnen und Französinnen bei weitem mehr bevölkert, als von israelitischen Dirnen. Die Mädchen der wohlhabendern Classe sind im Gegentheil sehr keusch, ohne sich eben vor den Fremden zu verstecken, wie die Mohamedanerinnen. Ihre Tugend hat um so höhern Werth, als für ihre religiöse und geistige Er- - ziehung wenig geschieht, und die Versuche der Verführung nir- gends häufiger, die Beispiele des Lasterlebens nirgends zahlrei- cher seyn können, als in Algier. Viele Mädchen führen Namen, die wir aus dem alten Testamente kemnen, wie Esther, Re- 99 bekka u.s. w., und so manchmal glaubt man in den einfach- schönen Gestalten dieser Jüdinnen, in ihrer natürlichen An- muth, deren sie sich selbst wohl kaum bewusst sind, jene lieblichen Wesen der alten Zeit wieder zu erkennen, mit denen uns die biblische Geschichte schon in den Kinderjahren befreundet hat. Es fehlt diesen Mädchen auch nicht an vie- lem natürlichen Verstand und angenehmer Unterhaltungsgabe. Sie werden da wohl vertraulich gegen den Christen, wenn dieser sich anständig benimmt, dulden aber keine Art von Liebkosung. Sie sind häuslich und arbeitsam, waschen, nä- hen, sticken unter den Augen ihrer Mütter, und lieben ihre Eltern zärtlich. Ich war selbst Zeuge ihrer eifrigen Sorge und liebreichen Pflege für einen armen Vater oder Bruder. Die Behandlung der Jüdinnen ven Seiten der Männer ist im Ganzen gut, wenn sie auch mehr Beschränkungen unterwor- fen sind, als in Europa. Im Vergleiche mit den übrigen Eingeborenen sind die Juden keusch; zugleich eben so frugal ım Essen und Trin- ken. Sie enthalten sich grösstentheils der geistigen Getränke, obwohl ihre Religion sie ihnen nicht verbietet, wie den Mo- hamedanern. Geiz und Habgierde haben die Algierer Israeli- ten in gleichem Grade mit fast allen Völkern der Berberei gemein, aber bei ihnen sind diese Laster weniger schädlich. Die Geldgierde macht den Araber zum Räuber, den Türken zum Unterdrücker und Wütherich, während bei dem Juden nur «die industriöse Thätigkeit und der Speculationsgeist an- gefeuert wird; seine Händleremsigkeit kommt den übrigen Nationen vielfach zu Statten und erleichtert den Verkehr, wenn auch in anderer Hinsicht ihre Zudringlichkeit oft lästig wird, und ihre Einmischung in alle Geschäfte mitunter nach- theilige Wirkungen hat. Die Algierer Juden halten mit 7 “ 100 äusserster Strenge auf ihre religiösen Gebräuche, sind übri- gens ohne Fanatismus und sehr mildthätig gegen all’ ihre Glaubensgenossen. Die geflüchteten Juden von Belida fanden bei ihren Brüdern in Algier bereitwillig Dach und Brod. Trotz ihrer Liebe zum Handel und zum Geld brächte man sie nicht dazu, an einem Sonnabend ein Geschäft abzuschliessen, wäre es auch noch so einträglich, oder Münzen zu berühren, wären es auch schimmernde Sultanis. Sie gehen an ihrem Feiertag in ihren besten Kleidern, die Weiber, reich geputzt, besuchen dreimal die Dschenowah (Synagoge), und eilen dann ihrem Vergnügen nach. Sie haben ihre eigenen Kaffee- häuser, tanzen zuweilen, und lieben eine Musik, die noch viel eintöniger und langweiliger ist, als die maurische. Den jüdischen Familienfesten habe ich häufig beigewohnt. Die Mädchen heirathen gewöhnlich in einem Alter von drei- zehn bis sechzehn Jahren. Bei den Männern ist dies viel unbestimmter; manche bleiben ledig bis zum dreissigsten Jahre. Es herrscht bei den Juden nicht, wie bei allen Mo- hamedanern, die Sitte, dass der Mann etwas für die Frau bezahle, sondern die Mädchen erhalten eine Aussteuer, und je reicher ihre Eltern sind, um so grösser ist die Zahl der Bewerber. Wenn ein Mädchen von der Hand eines jungen Mannes einen Ring angenommen hat, ist sie ihm verlobt, und dieser kann sie, wenn die Eltern ihre Einwilligung ver- sagen, nöthigenfalls bei dem obersten Rabbiner, dem soge- nannten Judenkönig, als seine rechtmässige Braut reclamiren. Gewöhnlich lässt er sich jedoch in diesem Falle mit einer Geldsumme abfinden. Den Ehecontract macht der Rabbiner, Sechs Tage vor der Hochzeit schon beginnen die Festlichkei- ten. Die Verwandten kommen zusammen zu Schmaus und Jubel; doch sind Männer und Weiber dabei getrennt. Am 101 Hochzeitsabend wird die geputzte Braut von einem Haufen Verwandter und Freunde, deren jeder eine papierne Laterne trägt, abgeholt. Zwei Greise führen sie an der Hand nach des Bräutigams Hause, und der toll jubelnde Haufe folgt mit dem Geschrei: „Juh! Juh!“ Zu Hause spricht der Rabbiner noch ein langes Gebet, die Braut erhält einen goldenen Ring aus des Bräutigams Hand, darauf setzen sich die Gäste in die Säulenhalle, wo volle Schüsseln, Gläser und Tassen die Runde machen, während Tänzerpaare auftreten und musicirt wird. Um Mitternacht verlässt der Schwarm das Haus, und das junge Paar zieht sich nach dem phantastisch decorirten Brautgemache zurück. Acht Tage nach der Hochzeit dürfen beide nicht das Haus verlassen. Die Vielweiberei ist dem Juden nicht erlaubt, aber er kann seine Frau verstossen, wenn er Ursache hat, mit ihr unzufrieden zu seyn, und dann eine andere heirathen. Sehr lächerliche Ceremonien bemerkte ich bei den To- desfällen. Alle Weiber der Verwandtschaft versammeln sich um das Bett der Leiche, und heulen und schreien in kläglı- chen Tönen. Sie lösen sich dabei einander ab; jede hat ihre bestimmte Zeit des Heulens, und wenn diese vorüber, wird sie ganz munter, geht ihren gewöhnlichen Verrichtungen nach und scheint gar nicht an den Trauerfall zu denken, bis wie- der ihre Stunde kommt, wo sie klagen, schreien und die Haare sich ausraufen muss. Bei der Bestattung der Leiche werden unter andern seltsamen Gebräuchen mehrere Gold- stücke in die Ferne geschleudert, worauf die Träger sich beeilen, die in Leinwand gewickelte Leiche in die Grube zu senken und mit Erde zu bedecken. Es geschieht dies, er- zählten mir die Juden, weil der Teufel in der Nähe lauert, und des Todten sich bemächtigen will. Wenn die Leiche 102 vor der Grube steht, sucht man den Teufel durch das Gold wegzulocken. Während er darnach läuft, ist die Leiche in ihrer letzten Wohnung angelangt, und der Teufel um seine Beute betrogen. Die Gräber der Juden sind sehr schön mit Monumenten von weissem Marmor geziert. Am 30sten, 90sten und 330sten Tage nach dem Tode eines Juden oder einer Jüdin begeben sich ihre nächsten Verwandten auf den Kirch- hof, um dort den Grabstein zu küssen, zu beten und zu weinen. Die Juden waren zu den Zeiten der Türkenherrschaft ein schwer gedrücktes Volk, an welchem die Mohamedaner aller Racen und aller Secten ihren Hass und Uebermuth aus- liessen. Dies ist ihre Lage noch heute in Tripolis, Tunis, und besonders in Marokko. Vor jeder Moschee mussten die Juden ihre Schuhe ausziehen, die schwarze Tracht war ihnen auferlegt, nie durften sie ein Pferd besteigen, am Brunnen mussten sie warten, bis der letzte Muselmann seine Gefässe gefüllt hatte; der arabischen Schrift sich zu bedienen, war ihnen streng untersagt; die geringste Missachtung dieser Be- schränkungen zog ihnen die ärgsten Misshandlungen zu. Der Reiche konnte sein Vermögen nicht geniessen, und entging den Erpressungen oder dem Tode nur durch die sorgfältigste Verheimlichung seiner Schätze, die er gewöhnlich in die Erde vergrub und vielleicht nur manchmal zu betrachten und zu zählen wagte, wenn der dicke, eisenbeschlagene Holzrie- gel die Thüre verschlossen, wenn es Mitternacht war, wenn. er keinen andern Zeugen in der Nähe wusste, als die trübe- leuchtende Lampe und sein angstbleiches Gesicht. Bei jeder Geldverlegenheit der Deys, Beys oder Kaids, bei jeder Meu- terei der nicht bezahlten Janitscharen, bei jedem auswärtigen Kriege, der die Staatseinnahmen verschlang, nahm man nicht 103 zu den in den Gewölben der Kasbah ruhenden eisernen Kisten, die Alles verschlossen, was die Tyrannei seit einer langen Reihe von Jahren erpresst hatte, seine Zuflucht, sondern zu der Casse der Juden, deren reichste Individuen man einzog, unter nichtigen Vorwänden zum Tode verurtheilte, oder durch grausame Martern zu Vorschüssen zwang. Seit 1830 liessen die Mohamedaner au den ausser dem Bereiche der französi- schen Herrschaft wohnenden Juden ihre Wuth über die Fort- schritte der Waffen der Christen auf jede Weise aus, obwohl die armen Israeliter nicht die mindeste Schuld daran hatten. Als das Heer des Marschalls Clauzel im December 1835 sich der Stadt Mascara näherte, da fielen Abd -el-Kader’s aufge- löste Banden über die armen Juden her, misshandelten sie, plünderten ihre Buden, schändeten ihre Weiber, Als die französische Armee im Jahre 1837 vor Constantine erschien, da waren es wieder die unglücklichen Juden, die man unter Drohungen und Misshandlungen zu Schanzarbeiten zwang, durch welche Ben-Aissa die Bresche unter dem Feuer der französischen Vierundzwanzigpfünder ausfüllen liess. Für die Juden waren die siegreichen Heere Frankreichs immer Be- freier, aber so sehr waren diese Menschen von niedrigster Sinnesart des Sklavenjochs gewöhnt, dass sie jetzt nicht ein- mal Erkemntlichkeit zeigen für ihre gegenwärtige Sicherheit und Freiheit, und mehr als einen Juden in Algier hörte ich die Zeiten der Türken zurückwünschen, wo man bei allem tyrannischen Druck doch mehr Geld habe verdienen können, ‘als heutigen Tages. In allen Orten des Innern, welche unter Abd -el-Kader’s Herrschaft stehen, in Mascara, Miliana, Tlemsan , ist das Schicksal der Juden noch eben so kläglich, wie in Algier vor 1830, und in Constantine bis zum 13. October 1837 ge- 104 wesen. Aber nirgends lastet die Tyrannei und Verfolgung auf diesem unglücklichen Geschlechte drückender, als in Ma- rokko, Fez, Tetuan, Mogador, wo die Zahl der Juden sehr bedeutend ist. Ein französischer Reisender hat über die ma- rokkanischen Juden wohl mit Recht bemerkt, dass das grösste Unglück dieses einst auserwählten Volkes Gottes ist, dass ihre Leiden eigentlich nirgends Sympathie erwecken, nirgends Mitleid einflössen. Kein weisses Volk der Erde wurde schmählicher in den Staub gedrückt, und doch fanden sie un- ter den Philanthropen weniger Vertheidiger, als die heidni- schen Neger, fanden nie unter den Andersgläubigen einem Freund, der ihnen die Hand geboten hätte. Alle Martern, die über sie verhängt wurden, konnten doch niemals Märty- rer aus ihnen machen. In allen Ländern der Welt, bei den Moslims, wie bei den Chinesen, betrachtet man den Juden als ein fremdes Gewächs, das keine Wurzeln im Boden hat, und das man duldet aus Toleranz oder Interesse. Der hei- mathlose Jude kennt keine Bürgertugenden,.er kümmert sich nichts um die Wohlfahrt, um die Unabhängigkeit oder den Ruhm der Völker, unter denen er sich niedergelassen hat, jede Heimath, jeder Wohnort, wäre es auch die schmuzigste Strasse der schmuzigsten Stadt Afrikas, gilt ihm völlig gleich, wenn er nur Geld aufhäufen kann. Geduldig erträgt er da- für jede Bedrückung, jeden Schimpf. Es existirt kein Bei- spiel in der Geschichte von eines Volkes schmählicherm Fall. Daher der natürliche Glaube, dass ein ewiger Fluch laste auf den Nachkommen Israels, der sie ausgetrieben in alle Welt, sie nirgends mehr zu einem Volke werden lässt, sie allenthalben zu einem Gegenstande des Hohnes und des Ab- scheus macht; ja der ärmste und elendeste Knecht unter allen übrigen Glaubensbekennern möchte mit dem reichsten Juden 105 schwerlich tauschen. Dies ist der Zustand des einst auser- wählten Volkes Gottes! Der fanatische Geist der Unterdrü- ckung , der den meisten Religionen eigen, hat an der geisti- gen Entartung der Juden wohl grosse Schuld. Unzweifelhaft aber fällt ein guter Theil dieser Schuld auf den Juden selbst, welcher in die Knechtschaft sich allenthalben mit der Geduld eines Elenden fügte, der sich nie mit einem Fünkchen Ener- gie waffnete, wenn die Gelegenheit ‚sich bot, aus seinem elenden Loose sich herauszuarbeiten, und der, statt Gut und Leben für seine Befreiung in die Schanze zu schlagen, lieber in bequemer Apathie auf das Kommen eines Messias harrt, der ihm nie erscheinen wird. 106 va. Die Neger. Die Zahl der Neger in den Küstenstädten der Regent- schaft Algier ist ziemlich bedeutend. Es giebt Freie und Sklaven unter ihnen. Letztere leben aber mehr in einer Art freiwilliger Knechtschaft bei mohamedanischen Herren, denn die französische Regierung erkennt für Algier kein Recht des Sklavenbesitzes mehr an. Die meisten dieser Neger stam- men aus dem westlichen Sudan, die Minderzahl aus Guinea. Schon seit vielen Jahrhunderten waren die Mauren und Ara- ber der Berberei im Besitze schwarzer Sklaven, welche die alljährlich durch die Sahara ziehenden Karavanen aus dem Innern Afrikas zurückbrachten. Diese pflanzten sich im Nor- den zwar fort, aber das Klima der Berberei ist doch ihrer Vermehrung nicht günstig.. Negerkinder sind verhältnissmäs- sig selten, und daher mussten sie immer wieder durch den Sklavenhandel aus dem Sudan ergänzt werden. Ein Theil wurde auch von den Küsten Guineas nach Marokko zu Schiffe gebracht; andere sind aus Marokko eingeführt worden. Alle Neger, welche ich in den Städten der Regentschaft Algier gesehen, waren sehr hässlich Bei den alten In- 107 dividuen ist die Stirn sehr zurückweicheud, die Haare sind kurz und wollig, die Backenknochen treten stark. her- vor, die Nase ist breit und eingedrückt, der Mund gross und die Lippen stark aufgeworfen. Die Weiber sind noch hässlicher als die Männer, wegen der vielen Einschnitte, welehe sie in ihre Gesichter machen. Sie ha- ben lange, herabhängende Brüste und einen sehr üblen Geruch. Die Hautfarbe ist sehr abweichend. Dunkelschwarze Neger sieht man sehr selten, bei den meisten spielt die Farbe ins Aschgraue, zuweilen ins Gelbe. Man trifft unter ihnen kräf- tige Gestalten mit breiter Brust und Schultern, aber immer sind ihre Beine und Waden äusserst mager. Ihre Kleidung ist in den Städten wie die maurische; die Neger, welche in den Duars wohnen, tragen den Haikh und den Bernuss der Araber. Von den Weibern trägt der grösste Theildas Gesicht unverhüllt. Sitten und Lebensweise haben die freien Neger mit den Völkern gemein, unter denen sie wohnen. In den Städten leben sie wie die Mauren, auf dem Lande wie die Beduinen. Reiche Leute giebt es fast keine unter ihnen; die meisten leben vom Tagelohn. Die Negerinnen kochen auf öffentli- chem Markt für die 'Tagelöhner, und verkaufen schlechtes, ungesäuertes Brod an die Beduinen und Biskris. Einige wohlhabende Neger sind Besitzer von Landhäusern und trei- ben Gartenbau, andere haben Kriegsdienste bei den Franzo- sen genommen. Die, welche bei reichen Mauren oder Tür- ken als Sklaven dienen, werden auffallend mild behandelt, sind eigentlich mehr Diener, als Leibeigene, und haben durch- gehends grosse Anhänglichkeit für ihre Herrschaften. Letz- teres gilt namentlich von den Negerinnen, deren reiche, mau- rische Gebieterinnen oft ein halbes Dutzend schwarzer Skla- vinnen haben. Diese Negerinnen theilen mit ihren Gebiete- 108 rinnen jedes Schicksal. Als bei der Erstürmung von Constan- tine ein Theil der Bevölkerung sich über die Felsen zu ret- ten versuchte, da zerrissen Negerinnen ihre Kleider, um ihre Herrinnen daran über die Abhänge hinabzulassen. Im Hause des Ben-Aissa fand man die Leiche einer jungen Negerin, die mit der Pistole und dem Yatagan in der Hand tapfer‘ fechtend fill. Die Mohamedaner haben gegen die Neger durchaus keine Abneigung. Mehrere Mauren in Algier sind mit Negerinnen verheirathet, und die aus solchen Ehen ent- sprossenen Mulatten geniessen aller Rechte legitimer Kinder. Die Algierer Neger sind nicht ohne Intelligenz. Sie lernen alle Sprachen leicht, sprechen sie aber freilich ziem- lich schlecht, und die Mulatten thun es ihnen hierin weit zuvor. Sehr charakteristisch ist ihr steter Humor. Die Ne- ger sind die Hanswurste von Algier. Bei jedem Volksfeste, an den Beiramtagen, wie an dem Namenstage des Königs der Franzosen, treten die Neger öffentlich auf als Spassma- cher des grossen Haufens. Sie musiciren mit Trommeln und eisernen Klappern, und führen auf den Strassen ihre grotes- ken Tänze unter den komischsten Grimassen aus; Tanz und Musik lieben die Neger überhaupt leidenschhaftlich. Ich habe die Neger als ziemlich gutmüthige Menschen kennen gelernt, und theile über sie keineswegs das harte Ur- theil Wilhelm Schimper’s, der sie als grausame Wesen schil- dert, denen der Anblick von Qual und Marter bei fremden Individuen teuflisches Vergnügen gewähre. Die Neger zeig- ten gegen ihre Feinde lange nicht den wüthenden Hass, die erfinderische Quälsucht,, wie die Araber und Kabylen. Für die, welche sie lieben, sind sie, wie erwähnt, grosser Auf- opferung fähig, und ihrer Treue darf man mehr vertrauen, als der irgend eines andern afrikanischen Volks. Daher be- 109 steht auch Abd-el-Kader’s Leibgarde ganz aus Negern; eben so die des Sultans von Marokko. Im Felde schlagen sich die Neger sehr tapfer. Die schwarzen Spahis gehen nächst den Türken am besten in’s Feuer; sie tragen immer die Fahne. Auch bei den Feinden sind die Fahnenträger gewöhn- lich Neger, welche oft mit bewundernswürdigem Muth bis dicht an die Reihen der französischen Tirailleurs vorsprangen. Von dem Muth und der Todesverachtung dieser Schwarzen zeigte die Eroberung von Algier ein Beispiel seltener Art. Als das Kaiserfort nach einem furchtbaren Bombardement von der türkischen Besatzung geräumt worden, schickte der Dey einen Neger ab, eine Lunte in das Pulvermagazin zu schleudern, und die Citadelle in die Luft zu sprengen. Der Schwarze führte den Befehl seines Gebieters treu aus, und begrub sich unter dem berstenden Gemäuer. 110 vn. Die Mesabiten. Di. Mosabiten oder Beni-Mzab sind ein noch wenig bekanntes, durch Sitten und Charakter ungemein interessantes Volk, welches drei Oasen der Sahara bewohnt und von dem einige hundert Individuen in der Stadt Algier sich niederge- lassen haben. Ueber den Ursprung dieses Volks lassen sich bis jetzt nur Hypothesen aufstellen, die eben so irrig, als wahr seyn können. Aus den Traditionen der Mosabiten selbst geht hervor, dass ihre Ahnen nicht immer die Wüste, sondern vor langen, langen Zeiten ein Bergland mehr gegen Sonnenaufgang bewohnt haben, von dessen Höhen aus sie das blaue Meer überschauen konnten. Nach Leo Africanus, einem gelehrten maurischen Schriftsteller, welcher sich zum Christenthume bekehrte, und im 6ten Jahrhundert lebte, sind die von Josua und den Israeliten vertriebenen , Bewohner Kanaans nach Afrika ausgewandert und haben sich dort fest- gesiedell. Nach demselben Schriftsteller führte einige Jahr- hunderte später Melek Afriki zahlreiche Auswanderer von - sabäischen Arabern nach Afrika. Diese Angaben Leo’s wer- den durch so mancherlei Umstände bestärkt, welche andeuten, 111 dass es in der Berberei wirklich schon vor langer Zeit zwei durch Sprache und Abkunft geschiedene Völker gegeben habe, welche aus Asien gekommen. Die Juden nannten das eine dieser Völker ,‚Philister“ (Paleschtin), welchen Namen sie noch heute den Kabylen geben, sie als Nachkommen der alten Bewohner Kanaans bezeichnend. Von den Mosabiten glauben die Rabbiner, dass sie Nachkommen der Moabiter (Abkömm- linge Moab’s, Sohnes des Loth) sind, deren die Bibel so oft erwähnt. Die Sprache der Mosabiten ist von der der Kaby- len wesentlich verschieden, obwohl zwischen beiden eine ferne Aehnlichkeit existiren soll. Dies stimmt mit den Ansichten der Rabbiner überein; denn die Kananiter waren Abkömm- linge Ham’s; die Moabiter ‚aber stammten gleich Abraham von Sem, Noah’s erstem Sohne. Die Geschlechter Sem’s, Ham’s und Japhet’s wohnten zwar in dem nämlichen Lande, aber doch von einander getrennt, oder hatten gegenseitig nur einen Verkehr wie mit fremden Völkern. Aus dieser 'Tren- nung musste natürlicherweise jene Sprachverwirrung entstehen, welche Moses einem göttlichen Wunder bei dem T'hurmbau zu Babel zuschreibt. Die spätere Auswanderung eines Theils der Moabiter nach Afrika erklärt sich aus den Verfolgungen, welche dieser Stamm von Seiten der Israeliten, namentlich zu den Zeiten Josua’s, zu erdulden hatte. Selbst unter den Ara- bern existirt merkwürdigerweise noch. heute die Sage von der blutschänderischen Abkunft der Mosabiten, und diese haben deshalb manchen Spott zu erdulden. Unter ‘den Mosabiten kommen die Namen Ben-Saram, Ben-Elam, Ben-Salef, Ben- Jobab — Namen, deren die Genesis unter Sem’s Nachkommen anführt, noch häufig vor. Endlich erinnert das den Mosabiten in Algier, obwohl sie Mohamedaner sind, auferlegte Verbot, die Moscheen zu betreten, an eine Stelle der Bücher Mosis: 112 „die Moabiter (Abkömmlinge Moab’s) dürfen nicht in die Gemeinde Gottes kommen.“ Was wir über die heutigen Mosabiten oder Beni-Mzab Näheres erfahren, beruht grösstentheils auf den mündlichen Mittheilungen des Renegaten Baudouin, welchen ich zu Ende des Jahres 1836 noch in Algier traf. Er ist meines Wissens der einzige Europäer, der bis jetzt die Oasenstaaten jenes merkwürdigen Volks der Wüste betreten hat. Er besass ein ausserordentliches Sprachtalent, hatte in Begleitung eines Marabuts einen grossen Theil der Regentschaft Algier durchzogen, und ausser dem Idiom der Araber auch das der Kabylen und der Mosabiten erlernt. Er sprach das letztere so gut, dass die Algierer Mosabiten ihn für einen Lands- mann hielten. Dass er sich wirklich längere Zeit in Gherdaia, der grössten Stadt des Landes der Beni-Mzab, aufgehalten, bewies er auch durch die umständliche Beschreibung, die er den von dort stammenden Bewohnern in Algier von ihrer Vaterstadt und von ihren Verwandten machte. Leider verweilte Baudevin, der, aus der Umgegend Marseilles gebürtig, im Jahre 1831 von den Arabern gefangen genommen worden, und sich seit jener Zeit bis zum Sommer 1836 im Innern umhergetrieben hatte, nach seiner Rückkehr nur wenige Mo- nate in Algier. Er war völlig zum Wilden geworden, wenn nicht dem Geiste, doch seinen Lebensgewohnheiten nach, und konnte sich nicht mehr mit dem Leben und den Sitten der Europäer befreunden. Er verschwand wieder gegen Ende 1836 und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Ueber die Staaten und die Städte der Mosabiten habe ich bereits im ersten Band die mir von Baudouin und den Mosabiten Algiers gegebenen Bemerkungen mitgetheilt. Die drei Oasen der Mosabiten bilden unter sich eine Föderativ- 113 republik. Sie haben sowohl wegen ihrer Entfernung von dem Telia (anbaufähigem Boden des Kobla oder Blad- el-Dscherid), als auch in Folge ihrer begeisterten Liebe für die Unabhängigkeit ihres Landes, die sie gegen jeden auswärtigen Feind zu dem kraftvollsten Widerstand anspornen würde, endlich wegen der Befestigung ihrer Städte, die für Araber uneinnehmbar sind, wenig von Aussen zu fürchten. Die Türken haben wohl gegen andere Oasenstädte der Sa- hara, wie gegen Ain-Maadı und Tuggurt, Züge unternommen, nie aber das Land der Beni-Mzab zu bedrohen gewagt. Auch Abd-el-Kader , der seine Eroberungen im Süden wei- ter ausdehnte, als je die Türken gethan, wagte nichts gegen Gherdaia zu unternehmen, obwohl er 1836 bis zum Uad- el- Biadh vordrang und die dortigen Beduinenstämme, mit we- nigen Ausnahmen, seiner Herrschaft unterwarf. Die Würde der Marabuts (Mrabat) ist bei den Mosabiten unbekannt. Statt ihrer üben die Thalebs ziemlich grossen Einfluss. Die Thalebs sind Männer, welche lesen, schreiben, den Koran auslegen können und sonst noch von reinem, tugendhaftem Wandel seyn müssen. Die Thalebs sind nicht fanatisch, wie die Marabuts; sie brauchen nie den „Dschad‘“ zu predigen, da keine Christen in der Nähe wohnen, und Religion und Sitten dieses Völkchens von keiner Seite angefochten werden. Ausser den T’halebs haben die Mosabiten auch Scheikhs und Kadis, welche jenen untergeordnet sind und geringen Einfluss üben. Die Scheikhs üben neben dem weltlichen Amt auch das priesterliche und beteu in den kleinern Moscheen, wäh- rend die Kadis die Gerichte erster Instanz bilden, nach deren Spruch der Beklagte immer noch an das Urtheil der Tha- lebs appelliren kann. In keinem Land aber, erzählte mir der Renegat Baudouin, fallen Verbrechen seltener vor, als bei den Morıtz WaAßner’s Algier, II, 8 114 Mosabiten. Es ist dies ein Volk von auffallender Gemüth- lichkeit und Sittenreinheit, das den Räubersinn der Beduinen der Sahara nicht kennt, und das Eigenthum achtet. Es be- schäftigt sich besonders mit Gartenbau und besitzt namentlich schöne Dattelpalmen, ist dabei auch sehr gewerbthätig und treibt mit dem Sudan und den übrigen Oasen der Sahara ziemlich lebhaften Handel. Die Mosabiten besitzen viele Ka- meele, auch einige Schafe, sonst aber kein Vieh, Die Jagd des Löwen, der Gazelle und des Strausses gehören zu ihren Lieblingsvergnügungen. Die meisten Straussfedern, die von Algier nach Europa ausgeführt werden, kommen aus dem Lande der Mosabiten. Dieses Volk liebt die geselligen Freu- den über alles... Zwischen dem Dorf Melika und der Stadt Gherdaia steht eine Menge von Kaffeehäusern an den Ufern des Uad- el-Biadh ; sie sind von Palmen umgeben, unter de- ren dürftigem Schatten sich Abends eine Menge von Gästen einfinden, um zu musiciren, den Märchenerzählern zuzuhören oder zu plaudern. Auch die Frauen, die bei keinem moha- medanischen Volk besser behandelt werden, versammeln sich zu ähnlichem Zweck und geniessen die gesellige Unterhaltung. Die Mosabiten sind der Frauenliebe sehr hold; Entführungen kommen nicht selten vor, und in solchem Falle gerathen die verschiedenen Städte und Ortschaften zuweilen mit einander in Fehden, die aber gewöhnlich durch das Einschreiten der Thalebs geschlichtet werden. Untreue kommt trotz des ver- liebten Charakters dieses Völkchens nicht häufiger bei ihnen vor als bei andern Völkern. Obgleich der Koran den Mosa- biten gestattet, vier Frauen zu nehmen, begnügen sich die Meisten doch nur mit einer Frau, wenigstens bis dieselbe alt geworden. Das Klima der Sahara: ist der Fruchtbarkeit der Frauen nicht günstig, sehr viele sterben an den Geburtswehen, 115 In der Oase Metlili herrschte einst solcher Mangel an Frauen, dass die sonst so friedlichen und auf das Eigenthumsrecht gewissenhaft haltenden Bewohner einen Raubzug gegen die Beduinenstämme der Beni-Amer und Beni-Luat, welche dreissig Meilen weiter nördlich wohnen, unternahmen und, während der grösste Theil der Männer dieser Stämme mit Kameelen nach Medeah gezogen war, um dort Getreide ein- zuhandeln, einige hundert arabische Weiber raubten. Die Beduinen, darüber äusserst erbittert, baten den Bey von Tit- terı um Hülfe, und als dieser sich weigerte, seine Truppen in jene entfernten Gegenden zu schicken, wollten die Beni- Amer mit ihren Verbündeten auf eigene Gefahr hin einen Zug gegen Metlili wagen. Der Streit wurde aber vermittelt durch den Thaleb Bu-Aram von Gherdaia. Die Mosabiten hatten den Krieg mit den Arabern nicht zu fürchten, sahen aber doch die Ungerechtigkeit der That der Bewohner von Metlili ein, und da ihr Volk bisher allenthalben wegen ihres Rufes der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit geachtet war, so beschlossen die Thalebs der Städte Gherdaia, Bonora und Uaragla, ihre Landsleute von Metlili zur Zurückgabe ihres Raubes zu zwingen. Die Häuptlinge der Beni-Amer selbst waren mit Geschenken in Gherdaia erschienen. Ihre Gaben wurden nicht angenommen ; dennoch zog Bu-Aram mit einem Streitercorps gegen Metlili, gefolgt von den Häuptlingen der Beni-Amer. Die Mosabiten von Metlili weigerten sich, ihre Beute herauszugeben und traten den Schaaren Bu- Aram’s, zum äussersten Wiederstand entschlossen, entgegen. Da sollen, als die ersten Flintenschüsse gefallen, die geraubten Araberinnen angstvoll sich zwischen die Fechtenden gestürzt und wie wei- land die Sabinerinnen ihre Väter und ehemaligen Gatten ge- fleht haben, den Yatagan in die Scheide zu stecken. Es g* 116 wurde eine Uebereinkunft getroffen. Die verheiratheten Ara- berinnen wurden zurückgegeben ; die Mädchen aber blieben den Mosabiten von Metlili, welche ihre Angehörigen mit einer Geldsumme zufrieden stellten. Dieser Vorfall trug sich vor etwa dreissig Jahren zu. Die hohe Meinung, welche die Araber von der Weisheit, der Gerechtigkeitsliebe und der Energie der Mosabiten hatten, ist seitdem noch gestiegen und die einzelnen Individuen durchreisen mit ziemlicher Sicherheit die vielen Stammgebiete zwischen ihrem Vaterland und Algier, obwohl sie keinesweges für gute Mohamedaner, sondern für Ketzer gelten, weshalb sie auch in den Moscheen nicht zuge- lassen werden. Bei keinem Volke der Welt, selbst nicht bei den Stäm- men Arabiens, ist die Freiheit und Gleicheit tiefer und wah- rer in das öffentliche Leben eingedrungen, als bei diesen Re- publikanern der Sahara. Die verhältnissmässig wenig zahl- reichen Beamten, nämlich die Thalebs, Scheikhs und Kadis, werden in öffentlichen Versammlungen gewählt, wo allgemei- nes Stimmrecht herrscht. Es finden sich so wenig Ehrgeizige, die nach dergleichen Aemtern streben, dass öfters sich der Gewählte aufs Schnellste aus seiner Stadt nach einem andern Ort flüchtet, um nicht zur Annahme gezwungen zu werden. Gewöhnlich setzt man aber dem Flüchtling nach und nöthigt ihn, der zugedachten Würde vorzustehen. Diese seltsame Sitte, welche die in Algier lebenden Mosabiten erzählen und der Renegat Baudouin bestätigte, erklärt sich dadurch, dass die Aemter in jenen Oasenrepubliken wenig einträglich sind. Da auch Jie Gewalt der damit bekleideten Individuen nur sehr beschränkt ist, da sie ferner in ihrer Würde als Priester oder Richter nicht der frühern Ungebundenheit geniessen, nicht mehr die Märkte besuchen, nicht Karavanenreisen 117 machen, nicht den Strauss in der Wüste verfolgen können, so ist leicht begreiflich, dass der Mosabite, dem persönliche Freiheit wenigstens eben so theuer ist, als die Unabhängig- keit seines Vaterlandes, keine sonderliche Lüsternheit nach den öffentlichen Stellen, auch nicht nach den höchsten trägt. Unter den Thalebs führt der Aelteste den Vorsitz, hat aber keine grössere Gewalt, als die übrigen, Einzelne üben durch hervorragendes Talent oder durch den Ruf ihres besonders strengen Tugendsinns oder leutseligen Wesens mehr Einfluss als die Uebrigen blos in Folge der grössern Volksgunst. Die Würde der Thalebs ist nicht erblich, wie die der Marabuts. Der Sohn kann nur durch die öffentliche Wahl zu des Vaters Stelle erhoben werden. Einfachheit und Biederkeit des Charakters, grosse Milde, Frömmigkeit ohne Fanatismus, gemüthliche Ruhe bei ent- schiedenem thatkräftigen Sinn, bedeutende Intelligenz und Betriebsamkeit zeichnen das interessante Volk dieser Wü- stenrepublik aus, welches wohl zu den glücklichsten der Erde gehört. Die in der Stadt Algier ansässigen Mosabiten,, welche mit ihrem Vaterland in häufigem Verkehr bleiben, haben das Monopol der Mühlen, der Bäder und der Schlachthäuser. Sie sind im Besitz dieses Privilegiums seit der berühmten Expedition Carl’s V. Damals schickten die Mosabiten den Türken ein beträchtliches Zinscoatingent, das zur Niederlage des deutschen Kaisers nicht wenig mitwirkte. Aus Erkennt- lichkeit verlieh man ihnen jene Gerechtsame, durch die sie schweres Geld verdienten. Die Kleidung der Mosabiten ist von der arabischen kaum verschieden. Ihr Gesicht ist in der Regel leicht gebräunt; ihre Züge sind interessant. Der Aus- druck ihres Auges ist schwermüthig und schwärmerisch, der 118 ihrer übrigen Physiognomie sehr sanft. Sie sind bei der -gan- zen Bevölkerung ihres friedlichen, ruhigen Lebens wegen be- liebt. Ich bemerkte aber, dass sie sich von den übrigen Mo- hamedanern ziemlich abschlossen, am liebsten sich nur unter sich selbst vergnügten, übrigens auch mit Europäern verkehr- ten und deren Umgang dem ihrer übrigen Glaubensgenossen vorzogen. | 119 Geschichtliche Bemerkungen über die Begentschaft Algier. I. Nordafrika von den ältesten Zeiten bis zur Lan- dung der Türken in Algier. Ueber die Autochthonen, welche Nordafrika von den Syrten bis zum atlantischen Meer bewohnten, geben uns die Geschichtsschreiber der Alten nur wenige, dunkle und schwankende Nachrichten. Nach Sallust waren die ersten Bewohner Getuler und Libyer, rohe und ungebildete Völker, die sich wie das Vieh von Wildfleisch nährten und von Kräutern des Feldes *). Als Hercules — erzählt derselbe Geschichtsschreiber — in Hispanien umgekommen war, lief sein Heer, das aus verschiedenen Völkerschaften zusammen- gesetzt war, auseinander. Die darunter befindlichen Meder, Armenier und Perser steuerten nach Afrika, wo erstere den am mittelländischen Meere zunächst liegenden Landstrich ein- nahmen, während die Perser mehr nach dem Ocean hinzogen. Allmälig vermischten sich die Perser durch Heirathen mit *) Sallust. bell. Jugurth. Cap. 18. 120 den Getulern und weil sie, um den Boden kennen zu lernen, häufig von einer Gegend in die andere zogen, nannten sie sich selbst Numiden (Nomaden). Zu den Medern und Ar- meniern gesellten sich die Libyer; sie bauten zusammen frühzeitig Städte und trieben Tauschhaudel mit dem ihrer Küste gegenüber gelegenen Hispanien. Ihre Namen verdar- ben diese Völker allmälig und nannten sich in ihrer barba- rischen Mundart Mauren statt Meder. So weit die Angaben Sallusts. Nach Leo Africanus stammten die ältesten Einwohner Libyens *) aus Asien. **)“ Die von Josua und den Israeliten vertriebenen Kananiter wanderten nach Afrika aus und legten, nach der Meinung einiger Schriftsteller, den ersten Grund zu der grossen ge- mischten Nation der Kabylen. Auch Procopius glaubte, dass die ältesten Bewohner Numidiens von den Kananitern stamm- ten “oe), Einige Jahrhunderte nach der Einwanderung der Kananiter führte Malek Afriki folgende fünf arabische Stämme: Zanagra, Musamoda, Zeneta, Hauara und Gomera, _ nach Afrika; von ihnen sollen die arabisch redenden Mauren abstammen. In der Folge siedelten sich Phönicier an der Küste Nordafrikas an und gründeten, etwa 1500 Jahre vor Christi Geburt, eine Reihe von Städten, worunter Utica, Hippo, Ha- drumetum, Leptis, später Karthagoe. Die Phönicier drangen aber nicht tief in das Land ein, sondern beschränkten sich auf den Besitz des Küstenstrichs von den Syrten bis zu den *) Die Griechen gaben Nordafrika den Namen Aıßun,; der Name Afrika galt lange nur für den Theil dieses Continents, wo die Phö- nicier Karthago erbauten. #%) Leonis Descr. Africae lib. I. »®#) Procop. de bell. Vand. L, Il. Cap. 10. 121 Säulen des Hercules und trieben Handel mit den Völkern des Innern und mit den benachbarten Küstenstädten. Oestlich von den phönicischen Niederlassungen hatte sich eine griechi- sche Colonie von Lacedämoniern angesiedelt, welche das heu- tiges Tages von den Arabern Dschebel-Akdar genannte Land, damals Pentapolis Cyrenaica, bewohnten. Die Numi- dier und Mauren des Innern waren zu jener Zeit in kleine Staaten getheilt, die von unabhängigen Königen regiert wur- den und sich häufig einander befehdeten. Als im zweiten punischen Kriege die Römer an der afrikanischen Küste lan- deten, waren Syphax und Massinissa die mächtigsten der nu- -midischen Herrscher. Ersterer nahm damals für Karthago, letzterer für Rom Partei. Karthago und Syphax unterlagen und die Staaten des letzteren wurden dem Reiche Massinissa’s einverleibt. Nach der Zerstörung Karthagos liessen sich die Römer selbst in Afrika nieder und gründeten ihre Provincia Africa. Das numidische Reich im Innern, über welches damals der mächtige König Micipsa herrschte, stand nun der Ausbreitung der römischen Herrschaft in dem fruchtbaren Lande im Wege. Früher hatten die Römer Numidien mächtig gemacht, um Karthago zu schaden; jetzt hatten sie dieses Bündnisses nicht mehr nöthig. Als in der Folge Jugurtha die Söhne Micipsa’s um ihr Erbe beraubte, ergriff Rom gern diesen Vorwand zu einem Kriege, angeblich um die Ermordung Adherbal’s, des rechtmässigen numidischen Königs, ihres Schützlings, zu rächen, in der That aber, um sich Numidiens als einer lang ersehnten Beute zu bemächtigen. Den Jugurthinischen Krieg hat der römische Geschichtsschreiber Cajus Sallustius Crispus . beschrieben. Sein Werk ist ein hochwichtiges Document, dessen Lesung man den heutigen Eroberern Numidiens nicht 122 R genug empfehlen kann. Es charakterisirt die Zeit und das Land und enthält über die Politik und die Taktik der Rö- mer und Numidier gar interessante und belehrende Aufschlüsse. Die Art der Kriegführung Jugurtha’s ist grösstentheils noch dieselbe, wie die der heutigen Eingebornen; auch die Treu- losigkeit des Volks ist ganz die gleiche geblieben. Nach einem dreijährigen Kampfe voll Wechselfällen, im Laufe dessen einmal ein ganzes Heer des sieggewohnten Roms durch’s Joch ziehen musste, wurde Jugurtha völlig besiegt und am Ende gefangen genommen. Die standhafte Tapferkeit, mit welcher er gestritten, war eines bessern Looses werth. Er starb in Rom unter Martern, und sein Reich wurde in eine römische Provinz verwandelt, mit Ausnahme des östlichen Theiles, welches der Maurenkönig Bocchus erhielt, zum Dank dafür, dass er seinen Verbündeten Jugurtha den Römern verrätherisch ausgeliefert hatte. Im Jugurthinischen Kriege waren die Römer zum ersten Mal mit den Mauren oder Maurusiern, wie die Griechen sie nannten, welche westlich von den Numidiern wohnten, in Be- rührung gekommen. In dem Kampfe zwischen Pompejus und Caesar nahm der Maurenkönig Juba, Nachfolger des Bocchus, Partei für Pompejus, wurde besiegt und sein Sohn, der gleichfalls Juba hiess, zierte in Rom Caesar’s Triumphwagen. Augustus gewann den jungen maurischen Prinzen, der Geist und eine schöne Gestalt besass, lieb und gab ihm das Reich seines Vaters zurück. Juba baute sich eine Residenzstadt am Seeufer, welche er zu Ehren seines Wohlthäters Caesarea nannte. *) Dieses maurische Reich war übrigens nur dem Namen nach unabhängig; denn allenthalben hatten sich» in ®) Es ist das heutige Scherschel, 18 Stunden westlich von Algier. 123 demselben römische Ansiedler niedergelassen, welche blühende Städte bauten und Heerstrassen anlegten. Die blühendsten römischen Colonien in Mauritanien waren damals: Saldae, das heutige Budschia, Auscurium, jetzt Dellys, Jcoscum (Algier), Zusgonea, dessen Ruinen man noch auf dem öden Gestade des Caps Matifu erblickt, Cartenna (Tenes), Arse- naria (Arzew), Portus magnus (Mers-el-Kebir). Juba’s Nachfolger, der eine Reise nach Rom gemacht, wurde auf Befehl Caligula’s ermordet und dessen Reich nun gleichfalls dem römischen Gebiet einverleibt. Es wurden zwei Provinzen daraus gemacht, Mauritania Tingitana, dessen Hauptstadt Tinges (Tanger) war, und Mauretanda Caesariensis, dessen Haupt- stadt Julia Caesarea, dieResidenz des letzten Maurenkönigs, blieb. Das von den Römern in Afrika gegründete Reich war eins der grössten und blühendsten der Welt. Es begriff den grössten Theil der heutigen Regentschaft Tripolis, die Län- der von Tunis und Algier und das ungeheure Gebirgsland Marokko in sich; es erstreckte sich von den Wüsten, die den beiden Syrten im Osten folgen, bis an den atlantischen Ocean. Ueberall wurden grosse Städte gebaut, deren Reste man noch, schön und gewaltig, wie Alles, was jene Welteroberer hinterlassen, in den entlegensten Wildnissen, bis an den san- digen Rand der Sahara erblickt. Man findet diese imposan- ten Reste sogar in den unzugänglichsten Gebirgsgegenden des Atlas; im Süden von Budschia stehen die Ruinen von Sava und Musulupium , die seit fast einem Jahrtausend kein Europäer mehr gesehen; denn selbst seit 1830 hat noch kein französisches Heer gewagt in jene Gebirgsgegenden einzudringen, die das streitbarste und unbändigste Volk der Erde bewohnt. Eine mächtige Ruinenstadt, Lambasa, steht auf dem Aurasgebirge nicht weit von den Gränzsteppen der Sahara. Ihre Trümmer 124 bedecken dort das weite Land umher und sollen sehr kolossal und gut erhalten seyn. Von einigen vormals sehr bedeutenden Städten des Innern sind aber auch fast alle Spuren ver- schwunden. So existiren von Sitifis, der alten Hauptstadt von Mauritania Sitifensis, kaum noch einige Steinhaufen. An andern Punkten hingegen trotzen die Ruinen den Wetterstürmen und dem Zahn der Zeit, gleichwie sie vor Zeiten den Zerstö- rungskriegen der Vandalen, der Saracenen und der Türken Trotz geboten. Die Herrschaft der Römer in diesem wilden Lande hat für uns etwas Räthselhaftes, Die Römer hatten nicht immer dort ein schlagfertiges Heer von 50,000 Mann, wie heutiges Tages die Franzosen, und doch waren sie im unbestrittenen und vollständigen Besitz des Landes, wie die allenthalben zerstreuten Städtereste beweisen. Die ersten römischen Ansiedler arbeiteten an der Gründung eines mäch- tigen Reiches mehr für ihre Enkel, als für sich, denn sie unternahmen grosse zeitraubende Bauwerke, deren Vollendung sie bei Lebzeiten nicht mehr zu sehen hoffen durften, wie die ungeheuren Cisternen nnd Wasserleitungen bei Russicada, Hippo, Cirta, da wo die heutigen Ansiedler Europas, die Koeipenbesitzer aus Frankreich und Malta, nur baufällige Steinhütten awfrichten, welche leer stehen und bei den ersten ‚Regengüssen spurlos zusammenbrechen, sobald die Zahl der Zecher in Folge eines Garnisonwechsels sich mindert und die Marketendercolonisten, anderweit Gewinn suchend, von dannen ziehen. Die Numidier wurden von den Römern theils in die Berge gedrängt, theils in den Städten im Zaume ge- halten und daher unschädlich gemacht. Einige Empörungen brachen wohl von Zeit zu Zeit aus, wurden aber ohne Mühe unterdrückt. Die Bemerkung des Procopius, welcher sagt, dass man von Cirta nach Caesarea nur zu Land gehen konnte, 125 weil die Gebirgstämme unaufhörlich die Verbindung unter- brachen , bezieht sich auf die Zeit der Herrschaft der oströ- mischen Kaiser, nach der Wiedereroberung Numidiens durch Belisar, wo die Banden der Barbaren im Gebirge durch die zersprengten Vandalen sich verstärkt hatten. Wäre die Un- sicherheit zur Zeit der ersten Römerherrschaft nur halb so arg, wie heute gewesen, so hätte man wohl schwerlich grosse Städte am Rande der Sahara bauen können, in der Nachbar- schaft einer Bevölkerung, wo heutiges Tages die Franzosen die ersten Kornfelder ihrer Colonisten selbst unter den Ka- nonen der Lager der Metidscha nicht vor der Zerstörung bewahren können. Unter den Ruinen von Calama und Anuna erblickte ich Tempel, Amphitheater, Circus, deren Bau wohl auch auf ein ruhiges und genusssuchendes Leben der alten Bewohner deutet. Unter Constantin, nach dessen Herrschaft die Macht des römischen Reiches allmälig sank, war Nordafrika in folgende sieben Provinzen getheilt: Maurstanea Tingitana, wel- ches sich vom Ocean bis zur Malva (gegenwärtig Moluiah), die die Regentschaft Algier von Marokko scheidet, erstreckte; Mauritania Caesariensis, östlich von der Malva; Mau- ritania Sitifensis, zwischen der vorhergehenden Provinz und dem Fluss Ampsaga (Rummel), Numedia zwischen den Flüssen Ampsaga und Tusca (Zaine), welche letztere die Regentschaften Algier und Tunis scheidet; Zeugetanea, von der Tusca bis an das Vorgebirg des Mercur; Ayzacium, das im Westen an die kleine Syrte gränzte; weiter westlich Cyrenaica, dann Aegypten. Als unter Constantin’s Nachfolgern das römische Reich getheilt wurde, fielen Aegypten und Cyrenaica den oströ- mischen Kaisern zu, während die übrigen Provinzen unter 126 Rom verblieben. Das Christenthum fand damals auch in Nordafrika Eingang und verbreitete sich mit reissender Schnelligkeit, so dass es in den drei Mäuritanien allein über 160 Bisthümer gab. Unter den afrikanischen Bischöfen wa- ren hochberühmte Männer, wie St. Augustin, Bischof von Hippo Regius, und St. Cyprian, Bischof von Karthago. | Der kriegerische Geist der- Römer versank gegen das Ende des vierten Jahrhunderts mehr und mehr, und zur Schwächung und Verweichlichung ihrer Heere, die gegen die kräftigen Barbaren des Nordens nicht mehr das Feld behaup- ten konnten, gesellten sich noch Uneinigkeit und Verrätherei ihrer Führer. Im Jahre 428 n. Ch. pflanzte Bonifacius, der römische Statthalter der nordafrikanischen Provinzen, welcher, in Folge der Umtriebe des Feldherrn Aetius in Rom, seine Stelle verlieren sollte, die Fahne der Empörung auf gegen den Kaiser Valentian, und da er sich allein nicht behaupten zu können glaubte, lud er die Vandalen, die sich eines gros- sen T'heiles von Spanien bemächtigt hatten, zu einem Zuge nach Afrika ein. Der Vandalenkönig Genserich, ein gewal- tiger Barbarenfürst, der es verstand, die Eroberungslust seiner Horden immer mehr zu stacheln, durchschiffte die Meerenge von Gibraltar und landete im Mai 429 an der mauritanischen Küste mit 50,000 Mann, worunter sich ausser den Vandalen auch viele Alanen und Gothen, verzweifelte Abenteurer be- fanden, die in den blühenden, vom Kriege lange verschonten afrikanischen Provinzen der Römer auf gute Beute hofften. Genserich's Heer wurde in Afrika verstärkt durch den Zusammenlauf vieler Parteigänger aus den Reihen der Römer selbst. Die Secte der Donatisten, welche die schwersten Verfolgungen zu erdulden hatte, begrüsste den Vandalenkönig, der Arianist und dennoch ein 127 Feind der orthodoxen Gemeinde war, als einen mächtigen Befreier. Die furchtsamen unter den Donatisten begünstigten die Invasion der nordischen Barbaren heimlich ; die Fanatiker reihten sich offen unter-Genserich’s Fahne. Zahlreiche Schaa- ren von den wildesten Stämmen der Numidier und Mauren, welche von den Römern in die unzugänglichen Gebirge von Mauritania Tingitana zurückgeworfen worden, stiegen auf die Kunde der Landung eines Heeres von Römerfeinden. von ihren waldigen Höhen herab und schlossen sich an die Frend- linge an, mit denen sie Rache zu nehmen hofften an ihren alten Unterdrückern. So wuchs Genserich’s Heer, und in Be- gleitung seiner blondgelockten, blauäugigen deutschen Krieger sah man die Schwärme der sonneverbrannten , halbnackten Wilden des Atlasgebirges über die blühenden Provinzen von Tanger bis Tripolis hereinbrechen, die Felder niederstampfend, die Städte schleifend und die Erde mit römischem Blute tränkend.. Der Widerstand des Grafen Bonilacius, den es in tiefer Seele reuete, die furchtbaren Gäste geladen zu haben, war vergeblich. Er wurde bei Hippo Regius aufs Haupt ge- schlagen und dieser Sitz des frommen Augustin fiel in die Hände der Vandalen. Der Heilige starb im dritten Monate der Belagerung: es war ihm also vergönnt, die müden Augen in Frieden zu schliessen, bevor er mit gebrochenem Herzen verschieden wäre bei dem Anblick seiner niedergebrannten Kirche und verwüsteten Diöcese. Acht Jahre nach dem Falle Hippos wurde auch Karthago von den Vandalen besetzt und Genserich erlaubte dort, wie überall, seinen zügellosen Trup- pen, an den Einwohnern, und deren Eigenthum ihre Wuth und Habgierde zu sättigen. Eine gewisse Zerstörungslust ist die Begleiterin aller Armeen, selbst bei den civilisirtesten Völkern, auch da, wo eben kein heftiger Nationalhass die 128 beiden Gegner entflammt. Wie es in Afrika zugegangen seyn mochte zu einer Zeit, wo noch kein Volk, auch die Römer nicht, die Barbarei des Charakters völlig abgeworfen, wo zur Wuth und Rohheit der durch den hartnäckigen Widerstand erbitterten Vandalen, der religiöse Fanatismus der lange ver- folgten Donatisten und die lange gährende Rachgier der von dem Boden ihrer Väter verdrängten Numidier sich gesellte, wie solche wilde Elemente in einem zehnjährigen Würgkampfe gehauset, davon erhält der heutige Wanderer eine Idee, wenn er die öden Wildnisse dieser einstigen „Kornkammer von Rom“ durchzieht und die Steinhaufen besucht, die einst Denk- mäler römischer Kunst gewesen. Fast Alles, was die Römer in einer Reihe von Jahrhunderten in Afrika geschaffen hatten, ging unter während des zehnjährigen Krieges und der sechs- undneunzigjährigen Herrschaft der Vandalen. Die Herrschaft der oströmischen Kaiser tauchte aber in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts noch einmal über Nordafrika auf. Justinianus schickte seinen berühmten. Feld- herrn Belisar mit einem Heere ab, welches beim Vorgebirg Kapaudia, westlich von Karthago, landete. Die Vandalen waren inzwischen ein durch Wohlstand und warmes Klima ver- weichlichtes Volk geworden; die Tapferkeit, der abenteuerliche Sinn der Männer Genserich’s hatte sich bei ihren Enkeln in ein üppiges Leben aufgelöst. Sie genossen — wie Proco- pius, Belisar’s Begleiter, schreibt — die Köstlichkeiten der Tafel, die ihnen Land und Meer verschwenderisch boten. Ihre seidenen weit wallenden Gewänder waren mit Gold ge- stickt, Liebe und Jagd bildeten die Beschäftigungen ihres Lebens und ihre müssigen Stunden füllten sie mit Pantomi- men, Wagenrennen, Musik und den Tänzen des Theaters aus. So waren die Nachkommen jenes rauhen, kriegsschnaubenden 129 Volks, welchem der Klang des Stahls über Alles gegolten und dem jede Art von Luxus ein Greuel gewesen. Die Stadt Sullikte öffnete Belisar zuerst die Thore; ihnen folgten Le- ptis und Hadrumetum. Der damalige Vandalenkönig Gelimer traf in Eile Vertheidigungsmassregeln und eilte mit einem Heere zur Rettung Karthagos herbei, wurde aber geschlagen und entfloh nach der Wüste. Karthago wurde am Iten September des Jahres-533 von dem siegreichen Belisar be- setzt. Die Vandalen wagten noch eine zweite Schlacht, be- nahmen sich. aber ziemlich feigherzig und erlitten eine ent- schiedene Niederlage. Gelimer warf sich in die Gebirge und litt dort so grossen Mangel, dass er Pharas, den Fürsten der Heruler, der ihn zur Unterwerfung unter den Scepter Justinian’s aufforderte, um eine Lyra, einen Schwamm und Brod bitten liess. Der König von Afrika hatte nämlich seit ziemlich langer Zeit kein Brod mehr gegessen, seine Augen waren in Folge der Anstrengungen oder des vielen Weinens triefend geworden und er wünschte, sich in seinen schmerz- vollen Stunden zu trösten, indem er zur Lyra die traurige Geschichte seines eigenen Unglücks sänge. Endlich trieb das Elend ihn doch von seinen Bergen herab. In einer der Vor- städte Karthagos stellte sich Gelimer dem römischen Feld- herrn als Gefangener. Im Augenblick als der König seinen Besieger erblickte, brach er in ein schallendes Gelächter aus. Es war ein Anfall des Wahnsinns. Sc endigte Gelimer und das Vandalenreich in Afrika. Was aus der Masse des be- siegten Volkes geworden, darüber geben uns die alten Quellen keine genügende Auskunft. Die tapfersten vandalischen Jünglinge wurden in fünf Reitergeschwader getheilt, welche den Römern im persischen Kriege gute Dienste leisteten. Dem Exkönig Gelimer wies Justinianus eine Besitzung in Morıtz Wasner’s Algier. II. 9 130 der Provinz Galatien an, wo er mit seiner Familie und seinen Freunden ruhig lebte. Die grosse Mehrzahl der Vandalen, die dem Schwert nicht erlagen, fand wohl in den Bergen und Wildnissen ein Asyl und aus ihrer Vermischung mit den alten Bewohnern entsprangen wahrscheinlich die heutigen Kabylen, unter deren Stämmen, wie schon erwähnt, sich hie und da die weisse Gesichtsfarbe und das Flachshaar der Söhne des Nordens zeigt. Nach der Besiegung der Vandalen hatten die Heere Justinian’s einen furchtbaren Feind, jene Numidier und Mau- ren zu bekämpfen, welche, so lange die Herrschaft des west- römischen Reiches dauerte, in ehrfurchtsvoller Entfernung von der Küste geblieben waren. Unter der ungleich schwächern Herrschaft der Vandalen aber griffen sie die Städte an, be- setzten die Küste von Tingis (Tanger) bis Caesarea (Algier) und schlugen sogar ihre Zelte in der fruchtbaren Provinz Byzacium auf. Nach Belisar’s Abreise griffen sie die neuen Eroberer auf mehreren Punkten an und einzelne griechisch- römische Corps erlitten Niederlagen. Der Eunuche Salomon, welcher an Belisar’s Stelle den Oberbefehl in Afrika übernom- men, drang hierauf mıt einem Heere von Karthago in das Herz des Landes ein und schlug die Eingebornen in zwei grossen Schlachten, worin 60,000 Barbaren gefallen seyn sollen. Er rückte bis zum Berg Auras vor, welchen Proco- pius die Citadelle und den Garten von Numidien nennt. Auf dem höchsten Gipfel desselben erbaute der siegreiche Feld- herr eine Festung, um die zahlreiche Bevölkerung der Gegend im Zaum zu halten. Die griechisch-römische Herrschaft dauerte in Nordafrika zwar bis zur Invasion der Araber, beschränkte sich aber grösstentheils nur auf die Küstenpunkte, besonders auf die Gegend von Karthage. Es war mehr eine 131 militairische Occupation, als ein wirklicher Besitz des Landes, denn es existirten die römischen Colonien nicht mehr und keine Auswanderer kamen aus Europa, den verwilderten Bo- den wieder urbar zu machen und die zerstörten Städte neu aufzubauen. Im Innern waren die wilden Eingebornen fast allenthalben Meister des Landes geworden und in den west- lichen Provinzen, namentlich in Mauritania Tingitana, hatten die Mauren sich sogar des Küstenstrichs grösstentheils be- mächtigt. In den westlichen Theilen des Landes war über- haupt die Herrschaft der Römer und Griechen immer weniger fest und weniger ausgedehnt gewesen, als in den östlichen Provinzen. Die höheren Gebirge und der kriegerische Sinn der Eingebornen machten dort die Siegesfortschritte sehr schwierig. Der erste Eroberungsversuch der mohamedanischen Araber gegen die Berberei fällt in das Jahr 647, wo 40,000 arabi- sche Krieger unter dem Oberbefehl von Abdallah - ben - Said die Wüste zwischen Aegypten und Tripolis durchzogen. Es kam bei Tripolis zu einer entscheidenden Schlaeht zwischen den Arabern und den Griechen, welche letztere der Präfect Gregorius führte. Nach einem langen wüthenden Würgen siegten die Araber, hauptsächlich durch die Tapferkeit Zo- beir’s, von dessen Hand der Heerführer der Griechen fiel und der, ein ächter Streiter seines Glaubens, sogar den auf den Kopf Gregor’s gesetzten Preis: die Hand von dessen schöner gefangener Tochter und die hunderttausend Goldstücke ausschlug, indem er erklärte, dass sein Schwert dem Dienst der Religion geweiht sey und dass er nur für einen über die Reize irdischer Schönheit oder die Reichthümer dieses ver- gänglichen Lebens weit erhabenen Lohn arbeite. Nach die- sem ersten sehr theuer erkauften Sieg blieben die weiteren Q* 132 Eroberungsplane der Saracenen nach Westen beinahe zwan- zig Jahre aufgeschoben, bis ihre Spaltungen durch die feste Begründung des Hauses Ommijah beigelegt worden waren. Im Jahre 665 schlug der erste Statthalter Moawijah’s ein Heer von 30,000 Griechen, eroberte mehrere Städte Nu- midiens und machte unermessliche Beute. Um den Bedrü- ckungen zu entgehen, nahmen viele Griechen den neuen Glau- ben an, und traten dadurch in den Besitz aller Rechte der Mohamedaner, eine Concession, welche die Araber allen Pro- selyten machten, was die Sache des Islam nicht wenig för- derte. Der eigentliche Eroberer der Berberei war Akbah, wel- cher gegen das Jahr 670 den Oberbefehl über die siegbegei- sterten Heere der Saracenen im Westen übernahm, und zu deren Verstärkung er 10,000 frische Truppen, Arabiens glü- hendste Glaubensstreiter, aus Damaskus mitbrachte. Akbah, den ein Geschichtsschreiber wohl mit Recht den mahomedani- schen Alexander nannte, eroberte die Mehrzahl der Küsten- städte von Tripolis bis Tanger, gründete Kairoan, durchzog die Gebirgswildniss, in welcher seine Nachfolger die glänzen- den Hauptstädte Fez und Marokko erbauten, und drang end- lich bis an den Rand des atlantischen Oceans und der gros- sen Wüste vor. Die Laufbahn, nicht aber der Eifer des mohamedanischen Helden wurde durch den Anblick des grän- zenlosen Oceans gehemmt. Akbah spornte sein Pferd in die Wogen, erhob seine Augen gen Himmel und rief im Tone eines Schwärmers aus; „Grosser Allah! Wenn meine Lauf- bahn nicht durch dieses Meer aufgehalten würde, möchte ich vorwärts dringen zu den unbekannten Reichen des Westens, um die Einheit Deines heiligen Namens zu predigen, und die rebellischen Völker, die andere Götter, als Dich, verehren, 153 mit dem Schwerte auszurotten.“ Aber dieser begeisterte - Heerführer, der nach neuen Welten seulzte, vermochte doch nicht einmal seine wirklichen, unermesslichen Eroberungen zu behaupten. Allenthalben lehnten sich die besiegten Grie- chen und Afrikaner hinter seinem Rücken auf. Er hatte das Land zu rasch durcheilt. Ungeheure Wildnisse voll tapferer Feinde, welche den Aberglauben ihrer Väter gegen die lo- ckenden Verheissungen der neuen Lehre nicht ohne Kampf vertauschen wollten, trennten ihn von seinen Hülfsquellen, und am Ende blieb Akbah nichts übrig, als mit Ruhm in einer Schlacht zu sterben, in welcher das ganze Heer der vorge- drungenen Araber bis auf den letzten Mann verblutete. Als gegen das Jahr 692 die Wiederherstellung des in- nern Friedens dem Kalifen Abd-el-Malek gestattete, die Eroberung von Afrika wieder aufzunehmen, erhielt Hassan, der Statthalter Aegyptens, den Oberbefehl über ein Heer von 40,000 Mann. Er nahm Karthago mit Sturm und plünderte diese Stadt, welche aus den vielen Drangsalen, die über sie “gekommen, doch immer gross und mächtig wieder erstanden war, und damals an Blüthe und Reichthum noch alle anderen Städte Afrikas überragte. Aber diesen letzten verzweifelten Kampf zwischen Kreuz und Halbmond überlebte die schwer- geprüfte Stadt der Dido, die alte Meerbeherrscherin, nicht mehr. Nachdem sie von dem Präfecten Johann, der mit einem grossen Heere von Gothen und Griechen landete, den Mohamedanern wieder abgenommen worden, rückte ein neues arabisches Heer durch die Wüste von Osten heran. Bei Utica kam es zu einer gewaltigen Schlacht, welche über Afrikas Schicksal entschied. Die Griechen und Gothen erlitten eine gänzliche Niederlage, und nur ihr eiliges Einschiffen rettete sie vor den krummen Säbeln der verfolgenden Sarace- 134 nen. Karthago wurde wieder erstürmt und von den Flammen verzehrt. Die berühmte Stadt, die so viele Jahrhunderte in den Weltbegebenheiten eine Hauptrolle gespielt, ist seitdem vom Erdboden verschwunden. Ihre alte Rivalin in Europa trägt auch das Haupt nicht mehr so siegesstolz und trotzig, wie zu den Zeiten der Scipionen und Caesaren. Auch in ihre Mauern sind Barbaren gedrungen, haben die edlen Bauwerke geschändet und verstümmelt, und die Trophäen ihrer Helden, die Beute von tausend Siegen, das Vermächtniss des Todes- röchelns von Millionen ihrer tapfern Ahnen an einem Tage in den Staub getreten. Aber Rom hatte doch immer wenig- stens einen Schatten seiner Grösse bewahrt. Auch da noch, als ihm lange schon die Herrschaft des Schwertes und des Geistes entgangen, blieb es doch immer ein heiliger Wall- fahrtsort, nach welchem religiöse und poetische Begeisterung zahlreiche Pilger lenkte, die Einen um des Weihwassers im St. Petersdom, die Andern um der gebrochenen Säulen des Coliseums willen. Wer aber dachte je an eine Pilgerfahrt nach der Stätte Karthagos, der Stadt der Frdes punica, die der lateinische Hass so oft geschmäht, die kein Lied je gepriesen hat? Dort bewundert man auch gar keine Reste des alten Glanzes mehr, nicht einmal die gebrochenen Säulen, wie in Rom. Auf den wenigen Schutthanfen, von denen man kaum mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie wirklich von Kar- thago herrühren, thront jetzt bei Tage ein zerlumpter Be- duine neben dem weidenden Kameele, und bei Nacht hält der Schakal dort den Leichenschmauss. Nach der Vertreibung der Griechen hatten die Araber mit den Berbern und Mauren manchen harten Strauss zu be- stehen. Unter der Fahne ihrer Königin Kahina leisteten die Eingeborenen tapfern Widerstand, und der arabische Heerfüh- 135 rer Hassan sah sich noch einmal gezwungen, an die Gränze Aegyptens sich zurückzuziehen, wo er fünf Jahre unthätig blieb, die versprochenen Verstärkungen der Kalifen erwartend. Nach deren Verlauf rückte Hassan wieder nach Westen vor, wurde von den Bewohnern der Küstenstädte, die sich weniger vor den Mohamedanern, als vor den rohen heidnischen Banden des In- nern fürchteten, freudig begrüsst, und schlug die Mauren in einer Schlacht, in welcher die Prophetin Kahina getödtet wurde. Nach Hassan’s Tode vollendete Mussa-ben-Noseir die Eroberung von Afrika, erst durch Waffengewalt, dann durch Ueberzeugung. Dieser grosse Mann war eben so eifrig bemüht, dem Islam Seelen, als Boden zu gewinnen. Er behandelte die Besieg- ten milde, predigte überall den Koran, und es gelang ihm bald, die Mauren auf seine Seite zu bringen, deren ein Theil zuvor unter der Herrschaft der Römer Namenschristen gewe- sen, und nach dem Einbruch der Vandalen sich zur Secte der Arianisten bekannten, welche nie durch besondern Glaubens- eifer sich hervorgethan. Es hielt nicht schwer, die Mauren, deren Sitten viel mit den Arabern gemein hatten, und die auch wohl damals schon eine dem Arabischen nahe verwandte Sprache gesprochen, zu bewegen, eine Religion, die sie von ihren verhasstesten Unterdrückern empfangen, gegen einen Glauben zu vertauschen, der ihnen vollkommen gleiche Rechte mit den Siegern verlieh, und der unter allen Völkern von der glühenden Einbildungskraft des Südens sich als lockend und mächtig bewährt hat. Schwerer hielt es, die wilderen Kaby- len zu bekehren, welche grösstentheils Götzendiener waren. Doch zeigte auch an ihnen die neue Lehre ihre Macht, und als im Jahre 710 das erste mohamedanische Heer an der Kiste Spaniens landete, da fand sich schon eine ziemliche Zahl berberischer Streiter ein, um unter der Fahne des Pro- 136 pheten an den Gothen Rache zu nehmen und Beute zu machen. Die Nachfolger Mussa’s, die als Statthalter Afrika im Namen der Kalifen verwalteten, residirten in der von Akbah gegründeten Stadt Kairoan. Sie theilten das mohamedanisch- afrikanische Reich in Provinzen, an deren Spitze ein Uali stand, welcher die höchste Militair- und Civilbehörde aus- machte. Die Provinzen waren in Districte getheilt, denen, wie noch heutigen Tages, ein Kaid vorstand. Die Hand- habung der Justiz war in den Händen der Kadis. Alle Stämme der Araber, Kabylen und Mauren hatten Scheikhs, welche sie sich selbst wählen durften. Afrika war ruhig bis zum Sturz des erlauchten Hauses der Ommijaden, wo die Ka- bylen zı den Waffen griffen und nicht ohne Mühe von dem arabischen Statthalter besiegt wurden. Im Jahre 750 machte Abderhaman-ben- Abib, Statthalter in Kairoan, den ersten Versuch, Afrika von der Herrschaft der Abassiden loszureis- sen. Er wurde ermordet, und der Kalif El-Mansur- Dscha- far unterwarf Afrika auf’s Neue durch seinen General Yerid. Im Jahre 800 erklärte sich der Statthalter Ibrahim ben - Ag- lab unabhängig, und seitdem ging Afrika für die Kalifen völ- lig verloren. Ibrahim ward der Gründer der Dynastie der Aglabiten, welche in Kairoan herrschte Einige Jahre vor- her hatten sich bereits die westlichen Provinzen von den üb- rigen losgerissen, und Edris-ben- Abdallah gründete dort das Reich Moghrib-el-Aksa, erbaute die Stadt Fez und war der Stifter der Dynastie der Edrisiten, welche später Vasallen der Kalifen in Spanien wurden, und bis zum Jahre 985 re- gierten. Die verschiedenen arabischen Dynastien in Afrika dauerten selten über ein Jahrhundert. Bei den häufigen in- nern Kriegen traten immer von Zeit zu Zeit glückliche Heer- 137 führer auf, welche die Abkömmlinge früherer Usurpatoren entthronten, und ihre Stelle dafür einnahmen. Yussuf- ben - Zeiri gründete im Jahre 972 die Dynastie der Zeiriten, wel- che in Kairoan ihren Sitz hatte, und bis 1148 herrschte, in welchem Jahre sie sie von Abd-el-Mumen gestürzt wurde. Abd-el-Mumen war der Nachfolger des El-Mahiddin, wel- cher mit Hülfe der Kabylen die Herrschaft über einen gros- sen Theil von Marokko und der heutigen Provinz Oran er- rungen hatte, und als Gründer der Fürstenfamilie der Almo- haden betrachtet wird. Sein Nachfolger herrschte über den grössten Theil Nordafrikas und über das ganze mohamedani- sche Spanien. Ein Jahrhundert später warfen die Araber fast allenthalben das Joch der Almohaden, welche auf die Kaby- len sich gestützt hatten, ab, und im Jahre 1270 wurde ihnen auch Marokko von der Familie der Beni -Merin entrissen. Nach dem Sturze der Almohaden bildeten sich mehrere kleine Königreiche, worunter Tlemsan, Tunis, Tripolis. Es war die Zeit der Entstehung der neueren Barbareskenstaaten. Tlemsan, wo die Familie Ben-Zian von 1248 bis 1560 herrschte, fasste den grössten Theil der heutigen Regent- schaft Algier in sich. Doch bildeten die Städte Algier, Bu- dschia und Tenez kleine unabhängige Staaten. Von dieser Zeit begann die Reaction der Christenvölker gegen die mo- hamedanischen Eroberer, welche ihre Herrschaft in verhält- nissmässig äusserst kurzer Zeit über einen ungeheuren Raum ausgedehnt hatten. Der heilige Ludwig unternahm eine Ex- pedition gegen Tunis, wo die Fürstenfamilie der Beni - Hafzi regierte. Aus Spanien wurden die Araber und Mauren ver- jagt, und die Spanier landeten nun ihrerseits in Afrika, wo sie der Küstenpunkte Ceuta, Melilla, Oran, einer Insel bei Algier und Budschias sich bemächtigten. Die Portugiesen 138 landeten gleichfalls an der Küste von Marokko, wo sie an- fangs grosse Fortschritte machten, allmälig aber genöthigt wurden, alle besetzten Punkte wieder zu räumen. Die Stadt Algier bildete, wie erwähnt, zu Ende des drei- zehnten Jahrhunderts ein kleines unabhängiges Reich, wel- ches in der Folge gleichwohl dem König von Tlemsan Tri- but entrichten musste. Als im Jahre 1505 die Spanier sich eines Inselchens bei Algier bemächtigten, baten die Bewohner den Emir der Metidscha, Selim Eutemi, um Hülfe, und erkann- ten ihn als Herrscher an. Eutemi war nicht stark genug, die Spanier zu vertreiben; er lud daher den Seeräuber Horuk Bar- barossa, einen sicilianischen Renegaten, ein, mit seinem Bru- der Khairaddin nach Algier zu kommen, und versprach ihm eine bedeutende Belohnung, wenn es ihm gelänge, die occu- pirte Insel wieder wegzunehmen. Horuk hatte sich schon lange zuvor des Städtchens Dschischelli bemächtigt , und dort ein festes Raubnest gegründet, von wo aus er mit seinen Ga- leeren in das Mittelmeer auslief, um die christlichen Schiffe zu plündern. Er hatte einen zahlreichen Haufen Freibeuter, aus Türken, Mauren, Arabern und europäischen Renegaten bunt zusammengewürfelt, unter seinen Befehlen, und war der Schrecken des ganzen europäischen Küstenstrichs, wo er ge- legentlich landete, um zu plündern und Gefangene zu machen. Dieser Corsarenhäuptling zog mit einigen Tausenden seiner Soldaten nach Algier. Eutemi kam ihm entgegen, empfing ihn im 'Triumphe und wies ihm seinen eigenen Palast zur Wohnung an. Die schrecklichen Gäste benahmen sich aber in Algier bald, wie in einer eroberten Stadt. Horuk ermordete den vertrauensvollen Eutemi mit eigener Hand im Bade, und liess sich dann zum Sultan von Algier ausrufen. Die reich- sten Einwohner wurden erdrosselt und die übrigen mit unge- 139 heuren Contributionen bedrückt. Niemand wagte, sich gegen den wilden und listigen Tyrannen zu rühren, und wenn er durch die Strassen ging, versteckte sich das zitternde Volk. Der König von Spanien schickte eine Flotte mit 10,000 Mann Landungstruppen unter den Befehlen des Don Diego de Verro ab, um den Seeräuberfürsten aus Algier zu vertrei- ben. Ein Sturm aber zerstrente die Flotte und warf einen Theil der Schiffe an die Küste. Die Schiffbrüchigen wurden niedergehauen oder in die Sklaverei geschleppt. Horuk machte auch bedeutende Eroberungen im Innern. Er schlug das Heer des Königs von Tenez, und verleibte dessen kleines Reich seinen Staaten ein. Von Tenez unternahm er einen Zug gegen Tlemsan mit einer Armee, die auf dem Wege von vielen beutegierigen Arabern und Mauren verstärkt wurde. Der König von Tlemsan ging ihm mit einem Heer entgegen, wurde aber geschlagen und auf der Flucht von seinen eige- nen Soldaten umgebracht. Die Einwohner Tlemsans öffneten ihre Thore dem Sieger, welcher unter ihrem Freudengeschrei seinen Einzug hiel. Sie hatten aber diese Freude bald zu bereuen, denn Horuk erneuerte dort seine Greuel von Algier und liess eine grosse Zahl Einwohner enthaupten und ihr Vermögen confisciren. Im Jahre 1517 brach ein spanisches Heer unter dem Öberbefehl des Marquis Gomarez von Oran auf, um dem immer mächtiger werdenden Seeräuberfürsten Tlemsan wieder abzunehmen. Barbarossa wurde in der dor- tigen Citadelle belagert, entkam durch einen unterirdischen Gang, wurde aber auf der Flucht eingeholt und enthauptet. Als diese Kunde nach Algier gelangte, riefen die dort von Horuk Barbarossa zurückgelassenen Abenteurer dessen Bruder Khairaddin zum Könige aus. Dieser Häuptling, von gleich roher, grausamer Sinnesart wie sein Bruder, glaubte 140 sich nicht stark genug, den Spaniern zu widerstehen, und schickte daher Gesandte nach Constantinopel an den Sultan Selim, den er um Beistand bat, mit dem Anerbieten, sein Reich unter türkische Oberherrschaft zu stellen, wenn man ihn zum Pascha ernennen würde. Sultan Selim nahm den Vorschlag an, und schickte 2000 Janitscharen nach Algier, denen bald weitere Verstärkungen folgten. Mit Hülfe dieser türkischen Truppen nahm Khairaddin den Spaniern die be- setzte Insel wieder ab, und vereinigte dieselbe durch einen Damm mit dem festen Lande. Algier wurde nun in ein tür- kisches Paschalik verwandelt, und Khairaddin, der zum Ka- pudan Pascha ernannt worden, erhielt bald einen Nachfolger in der Person Hassan Aga’s, welcher die von Horuk Barba- rossa eingeführte Seeräuberei mit furchtbarem Erfolg fort- setzte, und die Geissel des mittelländischen Meeres wurde. 141 I. Von der Begründung der türkischen Herrschaft in Algier bis zur Uebergabe Algiers an die Fran- zosen im Jahre 1830. Die Corsarenzüge der Algierer nahmen nach der Ansied- lung der Türken dergestalt !überhand, dass Kaiser Carl V. im Jahre 1541 seine berühmte Expedition gegen den furcht- baren Raubstaat unternahm. Der ritterliche Kaiser scheiterte aber, wie bekannt, in diesem mit bedeutendem Anfwand be- gonnenen Unternehmen in Folge eines Sturmes, der dem grössten Theil seiner Flottte den Untergang brachte, wäh- rend die Landarmee an der feindlichen Küste ohne Le- bensmittel und ohne Obdach mehrere Tage lagern musste, und nur mit äusserster Anstrengung sich der fanatischen Mu- selmänner erwehren konnte, welche mit ihren krummen Sä- beln von allen Seiten auf sie eindrangen. Die Trümmer die- ses unglücklichen Heeres schifften sich am Cap Matifu wie- der ein, wo Doria die übrig gebliebenen Kriegsschiffe ge- sammelt hatte. Die Zahl der. Gefangenen soll so gross gewe- sen seyn, dass man damals, wie die Mauren noch heute ver- sichern, einen Christensklaven für eine Zwiebel kaufen konnte. Diese verunglückte Expedition fand unter dem zweiten türki- schen Pascha Hassan statt, dessen Gebeine in einer Moschee 142 am Thore Bab-a-Zun begraben liegen, und der von den Mo- hamedanern als ein Heiliger verehrt wird. Kurz vor seinem Tode hatte Hassan sich das Gebiet von Tlemsan unterworfen. Algiers Geschichte unter den Nachfolgern Khairaddin’s und Hassan’s bietet nur wenige merkwürdige Episoden. Im Mittelmeere führten die Algierer durch ihre Raubschiffe be- ständigen Krieg mit den christlichen Mächten, nahmen die europäischen Kauffarteifahrer weg und landeten zuweilen an den Küsten Spaniens, der Balearen und Sardiniens, um zu plündern und Gefangene fortzuschleppen. Auch zu Land wa- ren sie in beständigem Krieg mit ihren Nachbarstaaten, ob- wohl sie dort keinen Glaubensfeind zu bekämpfen hatten. Sie dehnten ihre Eroberungen nach dem Innern weit aus. Schon vor dem Ende des 16ten Jahrhunderts unterwarfen sich die Pa- schas von Algier das ganze westliche Land bis zum Flusse Maluia; nur Oran blieb in der Gewalt der Spanier. Budschia im Osten, welches die Spanier 35 Jahre lang besetzt gehal- ten, wurde 1554 gleichfalls von Salha-Rais erobert. Im Süden dehnten die Algierer ihre Eroberungen bis in die Wüste aus. Tuggurt und Wurglah wurden von ihnen eingenommen. Die Spanier machten mehrere Versuche gegen die westlichen Provinzen des Raubstaates ; alle aber nahmen ein unglückli- ches Ende. Im Jahre 1561 wurde ein ganzes spanisches Heer unter der Anführung des Grafen d’Acaudate bei Mosta- ganem vernichtet, und 12,000 Gefangene fielen in die Hände des Paschas von Algier. Im Jahre 1568 ernannte die Pforte einen berüchtigten Corsaren Ali-Fartaz zum Pascha. Dieser eroberte Tunis und unterwarf das ganze Reich der Oberho- heit der Pforte. Die Erfolge dieses Häuptlings zur See wa- ren so glänzend, dass er bald zum Kapudan Pascha ernannt wurde. Ein anderer Seeräuberheld, Menuni-Rais, erhielt das 143 Paschalik von Algier im Jahre 1585. Unter seiner Verwal- tung wagten sich die Piraten der Barbareskenstaaten zum erstenmale in den Ocean, und landeten an den canarischen inseln, von wo sie wie gewöhnlich Beute und Gefangene mit fortschleppten. Im Jahre 1600 schickte die Algierer Miliz eine Deputation nach Constantinopel, und bat um die Erlaub- niss, einen Dey*) aus ihrer Mitte wählen zu dürfen, der mit dem Pascha die Gewalt theilen und für die regelmässige Be- zahlung der Janitscharen Sorge. tragen sollte. Ihre Deputir- ten überbrachten reiche Geschenke, und das Gesuch wurde zugestanden. Es war aber vorauszusehen, dass Collisionen zwischen den beiden Oberhäuptern nicht ausbleiben würden, und dass ein Bruch des Raubstaates mit der Pforte die näch- ste Foige davon seyn müsste. Als die Algierer Corsaren in der Folge ihre Raubzüge sogar bis an die Küsten der Pro- vence ausdehnten, rüstete Ludwig XIV. gegen sie eine Flotte aus, welche im Mai 1683 auf der Rhede von Algier Anker warf und die Stadt drei Tage lang bombardirte. Die Flotte der Algierer und der untere Stadttheil wurden beinahe gänz- lich zerstört. Die gedemüthigten Türken flehten den König von Frankreich um Frieden an, und lieferten ihm sämmtliche Christensklaven aus. Der im Jahre 1684 geschlossene Friede sollte hundert Jahre dauern, aber schon nach drei Jahren wurde er von den Algierern wieder gebrochen. Eine neue Flotte ging im Juni 1688 unter den Befehlen des Marschalls d’Estrees von Toulon ab, schleuderte 10,460 Bomben in das Raubnest, verbrannte 6 Kriegsschiffe und zerstörte einen gros- sen Theil der Häuser. Auch diese Expedition blieb ohne *) Dey heisst in türkischer Sprache Onkel, und war ursprünglich wohl ein Spitzname des gewählten Häuptlings. 144 ein eigentliches Resultat, und obwohl Algier abermals Friede mit Frankreich schloss, hörte der Seeraub doch nie völlig auf. Im Jahre 1708 bemächtigten sich die Türken Oran’s, welches Jahrhunderte im Besitz der Spanier gewesen. Es geschah dies unter der Regierung Ibrahim-Dey’s, der zwei Jahre später ermordet wurde. Sein Nachfolger war Baba- Ali, ein grosser Kriegsmann, aber wilder Mensch. Gleich im ersten Monat seiner Regierung liess dieser Dey 1700 Per- sonen erwürgrn, um seine Macht zu befestigen. Den Pascha, der sich seiner Wahl widersetzt hatte, liess er nach Constan- tinopel einschiffen, und drohte ihm mit dem Tode, wenn er wiederkehre. Zugleich schickte er Gesandte mit reichen Ge- schenken nach Constantinopel, und machte der Pforte Vor- stellungen, dass sie keinen Pascha mehr ernennen, sondern den Dey mit diesem Titel künftighin beehren ‘möge, weil zwei Machthaber neben einander sich nimmermehr vertragen würden, und die Ermordung des Paschas die mögliche Folge eines Zwistes mit dem Dey seyn könne. Letzterer sey stets des Uebergewichts sicher, da er auf die Miliz, die ihn ge- wählt, sich stützen könne, während der Pascha als Fremder allein stehe. Die Pforte fühlte ihre Ohnmacht, ein so weit entferntes Reich voll unbändiger Freibeuter wie ein Pascha- lik zu regieren, und willigte in die Forderung Baba - Ali’s, weil sie den Zustand Algiers nicht ändern konnte. Von die- ser Zeit an waren die Deys so gut als völlig unabhängig von der Pforte, und führten Krieg oder schlossen Frieden ganz auf eigene Rechnung, ohne um die Weisungen der Pforte sich zu kümmern. Auch Tribut wurde nicht mehr an den Sultan bezahlt, denn hierzu waren jene Raubfürsten zu stolz und habgierig. Sie beschränkten sich auf einige Geschenke bei ihrem Regierungsantritt, und nie verfehlte die Pforte, den 145 neugewählten Dey in seiner Würde zu bestätigen. Von der Regierung Baba-Ali’s an datirt also die eigentliche Unabhän- gigkeit der Algierer Raubfürsten. 4 Unter den Deys bildete Algier eine Art Militairrepublik. Nach dem Tode des Oberhaupts versammelte sich jedesmal die türkische Miliz vor dem Palaste, und jeder rief mit lau- ter Stimmme den Namen des Candidaten, den er an die Stelle des Verstorbenen auf dem Throne wünschte. So schrie man fort, bis die Stimmenmehrheit sich für ein Individuum aus- sprach. Die Minorität wurde in solchen Fällen eingeschüch- tert und durch Drohungen zum Schweigen gebracht. Sehr häufig aber kam es doch bei diesen Wahlen zu blutigen Scenen. Der Neugewählte wurde auf den Thron gesetzt und mit dem Ehrenkaftan bekleidet; er war zur Annahme der Würde gezwungen, wenn sie ihm auch nicht behaglich war. Eine Weigerung wäre nur das Signal seiner Ermordung gewesen; sein Nachfolger hätte ihn nimmermehr am Leben geduldet. Nach der Wahl wurde die Fahne mit dem Halbmonde auf dem Palaste aufgepflanzt, und Kanonenschüsse verkündeten das Ereigniss in die Ferne. Der neue Dey leistete den Eid, dessen Formel ihm der Mufti vorlas; er schwur, die innere Ruhe zu sichern und besonders für die regelmässige Bezah- lung der Janitscharen zu wachen. Hierauf küssten ihm sämmt- liche türkische Officiere und Beamte die Hand. Häufig aber ereignete es sich, dass noch vor dem Ende der Ceremonie die mit der Wahl Missvergnügten, deren Zahl plötzlich an- wuchs, einen Aufruhr anstifteten, in den Saal stürmten und das neue Oberhaupt ermordeten, worauf der Anführer der Meuterei den blutigen Kaftan anzog und den Thron bestieg. Morıtz WaAsneR’s Algier, II. 10 146 Einmal geschah es, dass bei ziemlich gleicher Spaltung der Miliz sieben Deys nach einander gewählt und ermordet wur- den. Ihre Gräber sieht man noch heute vor dem Thore Bab- el-Uad. Um seinen Thron zu befestigen, fand der neue Dey kein wirksameres Mittel als den Schrecken, und fast immer war ein solcher Regierungswechsel von mehreren Hinrichtun- gen begleitet. Dennoch waren die Regierungen sehr selten von langer Dauer, und fast die Hälfte der Deys starb eines gewaltsamen Todes. Nach all’ dem vergossenen Blut, nach al" den in Argwohn schlummerlos hingebrachten Nächten schlug doch am Ende das Stündchen, wo der bleiche Tyrann von den Händen seiner eigenen mitverschworenen Wachen durch die Galerien seines Palastes gezerrt und dem Yatagan des Braham- Dschausch überliefert wurde, an dem auch das Blut seiner Opfer klebte. us Die Janitscharenmiliz hielt ihren Effectiv durch Freiwil- lige zusammen, welche alljährlich in Constantinopel und Smyr- na unter dem niedrigsten Pöbel angeworben wurden. Die Neulinge wurden anfangs ziemlich streng gehalten, und durf- ten ihre Kasernen wenig verlassen. Je länger sie im Lande blieben, desto mehr Vorrechte genossen sie; der Sold wurde mit jedem Jahre erhöht. Verheirathete Türken genossen aller Freiheit, bewohnten ihre eigenen Häuser mit ihren Familien, zogen selten in’s Feld, und thaten fast keinen Dienst. Die aus den Ehen zwischen Türken und Maurinnen entsprossene Classe der Kuruglis konnte zwar auch in die Miliz eintreten, wurde aber selten oder nie in die höheren Stellen zugelassen. Nur zu Beys der Provinzen wurden einigemale Kuruglis er- nannt. Die Türken betrachteten die Kuruglis immer mit Eifersucht, und diese blieben, obwohl ihren Vätern in allen geistigen und körperlichen Eigenschaften gleich, in einer un- 147 tergeordneten Stellung, welches häufige Reibungen zwischen beiden Classen zur Folge hatte. Die Streitkräfte der Algierer Regierung beschränkten sich übrigens nicht allein auf die türkische Miliz. In den meisten arabischen Stämmen befanden sich Individuen, die unter den Reitern der Agas oder Beys eingeschrieben waren. Sie bildeten den sogenannten Makhsen, das arabische Hülfs- corps, waren von allen Abgaben frei und mussten, so oft man ihrer Dienste benöthigt war, in’s Feld rücken. Dafür erhiel- ten sie, so lange sie im Felde standen, einen täglichen Sold. Diese Söldlinge waren den Türken von grossem - Nutzen. Wenn es irgend einen rebellischen Stamm zu züchtigen galt, zogen sie mit den Türken aus, und erhielten manchmal auch einen Antheil der Beute. Den: Dey zur Seite stand ein Divan oder Staatsrath, aus den 60 vornehmsten Beamten der Regentschaft bestehend. Dieser hatte auf die Ernennung oder Absetzung der Deys immer den grössten Einfluss. Erster Minister war der Khasna- dschi, welcher die Finanzen und das Innere verwaltete. Der Aga war der Kriegsminister. Er befehligte die türki- sche Miliz und hatte ausserhalb der Stadt Gewalt über Leben und Tod. Der Ukil-el-Hardschi besorgte das Marine- wesen, früher ein bedeutender Gegenstand des Algierer Staa- tes, der aber mehr und mehr an Wichtigkeit abnahm. Der- selbe Minister besorgte auch die auswärtigen Angelegenheiten. Krodscha-el-Kril nannte man die Würde eines Ministers der Nationaldomainen; der Makatadschi war der Chef der ' Khodschas oder Secretaire. Die Civiljustiz stand unter zwei Kadis; der eine, Kadi-el-Han efi, hielt Gericht über die Türken, der andere, Kadi-el-Maleki, präsidirte dem Tri- 10 * 148 bunal der Mauren und Araber. Die Hanefiten und die Ma- lekiten sind zwei mohamedanische Secten, die in einigen un- bedeutenden Gebräuchen ihres Cultus von einander abweichen. Jeber den Kadis standen noch zwei Muftis, welche die ober- sten geistlichen Behörden der Algierer bildeten. Der Mufti- el-Hanefı oder Scheikh-el-Islam war eine sehr bedeutende Person zur Zeit der Türkenherrschaft. Der Staat Algier war, wie bekannt, in vier Provinzen getheilt. Ueber die Provinz Algier, die kleinste von allen, erstreckte sich die Autorität des Deys direct; die drei übrigen Provinzen: Constantine, Titteri und Oran, standen unter Beys, welche dieselben im Namen des Deys verwalteten, die Abgaben erhoben, die Kriegscontingente commandirten und Gewalt über Leben und Tod der Bewohner übten. Die ver- schiedenen Stämme der Araber und Kabylen gehorchten ihren Kaids, welche von den Türken ernannt wurden. Die Scheikhs, welche den verschiedenen Duars und Daskrahs vorstanden, wurden von den Bewohnern selbst gewählt, unterlagen aber der Bestätigung des Kaid und waren demselben untergeord- net. Ziemlich viele Kabylenstämme waren unabhängig; in die Gebirgsgegenden südlich von Budschia, zwischen dem Sum- mam und dem Uad-Adschebbi, haben sich nie türkische Co- lonnen gewagt. Diese unabhängigen Gebirgsstämme hatten gleichfalls Kaids, die aber von ihnen gewählt wurden. Bei manchen Familien war diese Würde erblich. Einige Ober- häupter der mächtigsten Stämme, z. B. der Zuaua und der Beni- Abbes, legten sich vormals den Titel „Sultan“ bei. So war die Organisation der Regentschaft Algier wäh- rend der hundertundzwanzig Jahre dauernden unabhängigen Herrschaft der Deys. Die Pforte hatte, seitdem ihr Pascha im Jahre 1710 verjagt worden, allen Einfluss verloren, und 149 zog nicht den geringsten Vortheil aus diesem Lande, das sie gleichwohl noch immer als zu ihren Besitzungen gehörig an- gesehen wissen wollte. Die Geschichte Algiers unter der Deyherrschaft bietet ausser den Janitscharenaufständen und der Entthronung und Ermordung vieler Deys wenig Bemer- kenswerthes. Die Spanier nahmen im Jahre 1732 Oran und Mers-el-Kebir wieder, und hielten es gegen siebenzig Jahre lang besetzt. Im Jahre 1775 erschien eine spanische Flotte, 400 Segel stark, mit 22,000 Mann an Bord, vor Algier. Die Flotte stand unter dem Oberbefehl des Admirals Caste- jon; General Oreilly commandirte die Landarmee. Letztere wurde ausgeschifft, ohne auf Widerstand zu stossen. Bald aber strömten aus dem Innern ungeheure Massen von Arabern und Mauren zur Vertheidigung der Hauptstadt herbei. Es kam zu einem sehr hitzigen Treffen, in welchem über 20,000 Eingeborene gefallen seyn sollen. Dennoch schifften sich die Spanier aufs eiligste wieder ein, und liessen 1,800 Verwun- dete und ihre ganze Artillerie im Stiche. Die Seeräubereien, welche gegen das Ende des 18ten Jahrhunderts bedeutend abgenommen hatten, nahmen nach dem europäischen Frieden im Jahre 1814, als die grossen Kriegsflotten aus dem mit- telländischen Meere verschwunden waren, wieder dergestalt zu, dass die Engländer, welche bisher mit den Barbaresken- staaten weniger als die an’s Mittelmeer gränzenden Staaten in Collision gekommen, im Jahre 1816 eine ernste Expedi- tion gegen Algier ausrüsteten. Der damalige Dey hiess Omar, ein wilder, kriegerischer Türke, welcher die Aufforderungen der Engländer, das Piratenhandwerk künftighin zu unterlas- sen, trotzig zurückwies. Die englische Flotte war von dem berühmten Lord Exmouth commandirt, und bestand in Verei- nigung mit einigen holländischen Kriegsschiffen unter dem 150 Commando des Admirals Van der Capellen aus 12 Linien- schiffen, I Fregatte und 5 Bombenschiffen. Lord Exmouth befand sich am Bord des Linienschiffs „Königin Charlotte‘, welches am 26. August 1816 so dicht an dem Algierer Ha- fendamme Anker warf, dass sein Bugspriet die an den Kais stehenden Häuser beinahe berührte. Die wiederholten Auf- forderungen des Admirals, sich dem Willen Englands zu fügen, erwiederte Omar-Dey durch den Befehl, auf die Schiffe zu feuern. Nun begann aber auch das englische Admiral- schiff ein so furchtbares Feuer gegen die an den Kais ver- sammelten Volkshaäufen, welche herbeigelaufen waren, um die Niederlage der Christen mit anzusehen, dass diese heulend auseinander stoben. Die Bomben und Brandraketen aber ver- folgten sie bis in’s Innere der Stadt. Am Abend war die Algierer Flotte verbrannt, und ein grosser Theil der Stadt zerstört. Auch die Engländer hatten durch die Landbatterien stark gelitten und gegen 900 Mann verloren. Omar wollte den Kampf fortsetzen, aber die Miliz zwang ihn zur Nach- giebigkeit. Der Dey gab alle Sklaven frei und willigte in die Abschaffung des Seeraubs und der Christensklaverei für ewige Zeiten ein. Im Jahre 1817 wurde Omar-Dey ermordet. Sein Nachfolger, Ali-Dey, der vorletzte Herrscher des Raubstaa- tes, fasste den Plan, sich von der Janitscharenmiliz unabhängig zu machen, und ergriff alle Sicherheitsmassregeln gegen einen etwaigen Aufstand. Er versetzte die Residenz von dem gros- sen, offenen Palast, der inmilten der Stadt gelegen war, nach der befestigten Kasbah, die, auf der äussersten Höhe Algiers erbaut, als Citadelle diente und die Stadt in Respect hielt. Ali-Dey starb an der Pest im Februar 1818. An seine Stelle wurde der Khasnadschi Hussein gewählt; der letzte Fürst der Piratenrepublik. Unter ihm fand 151 die berühmte Expedition der Franzosen im Jahre 1830 statt. Frankreich hatte gegen Algier mehrfachen Grund zur Beschwerde. Im Jahre 1818 war eine französische Handels- brigg zu Bona geplündert worden, ohne dass die Algierer Regierung sich zu irgend einem Schadenersatz verstehen wollte. Im Jahre 1823 wurde die Wohnung des französi- schen Consularagenten in Bona von den türkischen Behörden, angeblich wegen Contrebande, verletzt und keine Genugthuung dafür gegeben. Römische Schiffe, welche unter dem Schutze Frankreichs französische Flagge führten, wurden von den Algierer Corsaren weggenommen. Endlich kam hiezu noch eine grobe Beleidigung, welche dem französischen Consul zu Algier in Gegenwart des ganzen Divans zugefügt wurde. Ein reicher Algierer Jude, Bacri, hatte der französischen Regierung zur Zeit ihrer Expedition nach Aegypten eine grosse Getreide- lieferung gemacht, die unberichtigt geblieben. Im Jahre 1816 wurde eine Commission zu dem Zweck ernannt, die Ansprüche des Algierer Gläubigers zu untersuchen. Diese Commission erkannte die Rechtmässigkeit der Forderung an, welche sich auf etwa 14 Millionen Franken belief. In Folge eines Vergleichs wurde diese Summe im Jahre 1819 auf 7 Millionen reducirt und dabei festgesetzt, dass erst die Gläubiger Bacri’s in Frank- reich durch die Abschlagszahlungen befriedigt würden. In der That erhielten mehrere dieser Gläubiger Zahlungen. Aber Bacri’s Hauptgläubiger war der Dey selbst, welcher ihm eine beträchtliche Masse Wolle verkauft hatte, und die Schuld Frankreichs als eine Garantie seines Schuldners betrachtete. Es hiess damals, dass die Ansprüche mancher französischen Gläubiger, welchen die ersten Summen zuflossen, nicht. völlig gegründet gewesen, und man hatte namentlich den französi- 152 schen Consul in Algier, Hrn. Deval, selbst in Verdacht, dass er mit einigen Reclamanten heimlich einverstanden sey. Diese Meinung war in Frankreich, wie in Afrika verbreitet. Der Dey, der missvergnügt die Garantie für Bacri mehr und mehr sich mindern sah, schrieb selbst darüber an den König von Frankreich. Der Brief blieb ohne Antwort. Als bei dem Beiramfeste im Jahre 1827 der Dey die Consuln wie gebräuchlich öffentlich empfing, fragte er Hrn. Deval nach der Ursache dieses Stillschweigens.. Der Consul antwortete mit einer Phrase, deren Sinn war: der König von Frank- reich könne sich nicht so weit herablassen, mit einem Dey von Algier zu correspondiren. Es scheint aber, dass Herr Deval entweder aus mangelhafter Kenntniss der arabischen Sprache oder natürlicher Rauheit des Charakters für den Dey ziemlich verletzende Ausdrücke wählte. Der Maure Hamdan- ben-Othman-Kodscha, der bei der Audienz zugegen war, versichert, die Antwort des Consuls habe in wörtlicher Ueber- setzung also gelautet: „„Der König von Frankreich würdigt einen Mann wie Du bist keiner Antwort.“ Der Dey gerieth über diese geringschätzende Aeusserung in Wuth, versetzte dem Consul mit einem Fliegenwedel, den er zufällig in der Hand hielt, einen Schlag ins Gesicht und brach zugleich in beleidigende Reden gegen den König von Frankreich aus. Herr Deval berichtete darüber an seine Regierung. Damals befand sich Herr von Villele an der Spitze des Ministeriums. Die vielen Gegner dieses Staatsmannes warfen ihm unter an- dern auch eine schwache und furchtsame Haltung gegen das Ausland vor. Begierig ergriff Herr v. Villele diesen Anlass, eine wohlfeile Energie zeigen, um seine Gegner zum Schwei- gen zu bringen. Er verkündigte, dass der König diesen Schimpf rächen werde und die Blokade des Hafens von 153 Algier wurde unverzüglich angeordnet. Dieselbe blieb ohne Resultat. Unter dem Ministerium Polignac wurde endlich die denkwürdige Expedition beschlossen. Am 25. Mai 1830 lichtete eine Flotte, aus 100 Kriegs- schiffen, worunter 11 Linienschiffe und 24 Fregatten, und 357 gemietheten Transportfahrzeugen bestehend, auf der Rhede von Toulon die Anker. Sie hatte eine Landarmee von 34,184 Mann (mit Inbegriff der Officiere) und eine verhält- nissmässige Artillerie am Bord. Ihr Obercommandant war Viceadmiral Duperr&, der in dem Rufe des tüchtigsten und gebildetsten französischen Seemannes stand. Die Land- armee befehligte der Kriegsminister Generallieutenant Bour- mont, dessen Präcedentien diese Ernennung eben nicht recht- fertigten "und dessen Name der Armee weder Muth noch Vertrauen eingeflösst haben würde, hätte sie nicht beides schon im vollen Bewusstsein ihres kriegerischen Geistes be- sessen. Eine grosse Zahl der Officiere hatte die Kriege unter den Fahnen der Republik und des Kaisers mitgemacht und war daher an ungleich furchtbarere Gegner gewöhnt, als die ungeordneten Haufen wilder Afrikaner. Unter der französischen Jugend aber war der Soldatenstand fortwährend in Ehren, und gewann sogar ihre Neigung und Vorliebe wieder, als die Jünglinge sahen, dass ihrer unter der Fahne nun eine edlere Rolle harre, als das trockene Einerlei des Exercirens und Kasernenlebens. Viele Freiwillige, begeistert von der Lecture der Napoleon’schen Thaten, reihten sich damals unter den Regimentern wieder ein. Es gab junge Männer von Stand und Bildung in nicht geringer Zahl unter diesen Volon- taires. Sie brachten einen guten Geist in die Reihen und steckten mit ihrem schönen und frischen Enthusiasmus auch die roheren oder gleichgültigeren Individuen des Heeres mit an. 154 Am 13. Juni Morgens kam die Flotte au der afrikani- schen Küste an und landete an den sandigen Ufern von Sidi- Ferruch, so genannt von dem Grabe eines Marabut (die Spa- nier nannten den Ort Torre-Chica), fünf Lieues westlich von Algier. Die Landung begann am 14. Morgens. Man war auf einen bedeutenden Widerstand der Feinde gefasst, erblickte aber nur in der Ferne einige hundert berittene Araber, welche die Bewegung der Flotte beobachteten. Die erste Division unter dem Commando des Generals Berthezene war kaum ge- landet, als sie ihre Colonnen formirte und gegen den Feind marschirte, der eine halbe Stunde vom Seeufer entfernt auf einem Hügel eine Stellung eingenommen und dieselbe mit drei Batterieen gedeckt hatte. Diese eröffneten sogleich ihr Feuer, hemmten aber den Marsch der Colonnen keinen Au- genblick. General Bourmont, welcher vorwärts eilte, um die Bewegung zu leiten, wäre in jenem Augenblicke beinahe ge- tödtet worden. Zwei Kanonenkugeln fielen zu seinen Füssen und bedeckten ihn mit Sand. Als die Franzosen der Batterie sich näherten, flohen die Türken und liessen das Geschütz im Stich, das sie gegen die Bayonnette nicht vertheidigen zu können glaubten. Die ganze Artillerie fiel in die Hände der Franzosen. ? General Bourmont hatte von der Furchtbarkeit der Kriegs- weise der Afrikaner eine viel zu hohe Meinung. Er glaubte eine Cavalerie gegen sich zu finden, wie die der Mamelucken in Aegypten. In einem von Palma datirten Tagesbefehl hatte er der Armee bekannt gemacht, der Feind werde in die erste Schlachtreihe eine Masse von Dromedaren schicken, um Schrecken unter die französischen Glieder zu verbreiten. Aber man sah nur einige Dutzende dieser Thiere, welche das Ge- päck der Türken trugen, in der Ferne. Die so gefürchtete 155 afrikanische Reiterei vermied jeden Kampf mit der blanken Waffe. Ihre ganze Kriegsweise beschränkte sich auf ein be- ständiges Tirailliren. Die Reiter sprengten einzeln vor, hielten ihre Pferde plötzlich an, feuerten ihre langen Flinten ab und jagten wieder davon, um aufs Neue zu laden, und das- selbe Manoeuvre zu wiederholen. Die Armee des Deys war von seinem Eidam Ibrahim, dem Aga der Miliz, einem ganz unfähigen Kriegsmanne commandirt. Ihre Zahl belief sich auf höchstens 30,000 Streiter, wovon die Beys der Provinzen etwa den vierten Theil herbeigeführt hatten. Die Algierer Türken zählten höchstens 5000 Mann. Der Rest des Hee- res bestand aus Arabern der Metidscha und Kabylen des Dschurschuraberges vom Stamme Flissa, welche ihr Kaid Ben-Zamun commandirte. Die Armee beschäftigte sich, gleich nachdem sie an der Küste eine Stellung genommen, mit dem Bau eines befestigten . Lagers, denn der vorsichtige Bourmont wagte nicht, sogleich gegen die Stadt vorzurücken. Da an grünem Laube in der Nähe Ueberfluss war, so entstanden bald grüne Hütten und Säle unter den Händen der emsigen französischen Soldaten. Das Lager hatte das Ansehen einer Stadt und war voll des lustigsten Gewimmels. Auf den Vorposten schlug man sich inzwischen fortwährend und in diesen Tirailleurgefechten hat- ten die Eingebornen vermittelst ihrer weittragenden Gewehre sogar einigen Vortheil über die französischen Soldaten, doch fürchteten sie sehr die Artillerie, besonders die Haubitzen. Wenn eine solche platzte, stäubten die Reiterhaufen im grös- sten Schrecken auseinander. Am 18. kamen einige Araber heimlich zu den französi- schen Vorposten und erzählten dem General Berthezene, dass er andern Tags mit aller Macht angegriffen werden würde. 156 Einer von ihnen, ein Scheikh der Beni-Dschad, sagte zum General, die Araber seyen des Krieges müde und sein Stamm hege besonders eine günstige Stimmung für die Franzosen. Er werde am Tage der Schlacht mit all’ seinen Leutan zu ihnen übergehen. Dieses Versprechen wurde nicht erfüllt; aber der Angriff fand in der That statt, wie der Scheikh vorausgesagt hatte. Am 19. warfen sich die Algierer mit Tagesanbruch auf die ganze Linie der Franzosen mit ziemlicher Entschlos- senheit. Auf dem linken Flügel, namentlich da, wo die Tür- ken dem 37sten Linienregiment gegenüber standen, wurde heiss gekämpft. Der Feind wurde aber auf allen Punkten geworfen und verlor viele Leute. Der Kampf dauerte lange, weil General Bourmont zögerte, Befehl zum Vorrücken zu geben. Endlich setzte der Öbergeneral sich zu Pferd und gab das Signal. Die zwei ersten Divisionen marschirten nun trotz der Hindernisse des mit dichtem Gebüsche bedeckten Bodens im Sturmschritt vor. Die Feinde liessen auch diesmal ihre Kanonen im Stiche, Lager und Gepäck wurden genommen; darunter das prachtvolle, 60 Fuss lange Zelt des Agas. In diesem Treffen, das seinen Namen nach der buschigen Ebene, Staueli, wo es geliefert worden, erhielt, wurden 3—4000 Türken und Araber getödtet oder verwundet. Die Franzosen verloren gegen 600 Manu. Alle Eingebornen ver- sichern, dass, wenn die Franzosen damals den Feind rasch ver- folgt hätten, die Stadt in ihre Hände gefallen wäre, denn die Türken flohen in heilloser Unordnung und die Bestürzung war so gross, dass Niemand an- eine ernste Vertheidigung der Stadtthore gedacht haben würde. Aber General Bour- mont, seinem System der Vorsicht und Langsamkeit uner- schütterlich getreu, bewegte sich nicht vom Fleck, sondern blieb in Staueli bis zum 24. Juni. 157 Ibrahim Aga, der General der Türken, hatte nach dem Treffen bei Staueli die Besinnung völlig verloren. Er ver- steckte sich anfangs in ein Landhaus und wagte nicht vor seinem Schwiegervater sich sehen zu lassen. Dort suchte ihn der Maure Hamdan-ben-Othman-Khodscha -in Auftrag des Deys auf, sprach ihm Muth zu und ermunterte ihn, die Trüm- mer seines Heeres wieder zusammenzuraffen. Unterdessen waren die Franzosen mit einem Araberstamm in Verkehr ge- treten. Der Dragoman Ayas besuchte sogar einen ihrer Duars und kaufte einige Ochsen. Die Araber versicherten aufs Neue, sie seyen des Krieges satt und bereit, das franzö- sische Lager mit Lebensmitteln zu versehen, wenn man sie gegen die Rache der Türken schütze und besonders sie gleich baar bezahle. Beides wurde versprochen, indessen kannte man den Charakter dieser Leute damals noch so wenig, dass man auf dergleichen Versprechungen mehr Hoffnung baute, als sie verdienten. In einem Tagesbefehl schärfte General Bourmont den Soldaten ein, in ihrem Verkehr mit den Eingebornen sich freundlich und redlich zu benehmen, da diese auf dem Punkt stünden, zu den Franzosen überzugehen und mit ihnen gegen ihre Unterdrücker, die Türken zu fechten. Dieser Illusion folgte aber die Enttäuschung auf dem Fusse. Wenige Tage darauf, am 24. Juni, fand ein allgemeiner Angriff der Türken und Araber gegen die französische Linie statt, deren Unbe- weglichkeit die Eingebornen für ein Zeichen der Schwäche R und Feigheit hielten. Die erste Division und die Brigade Damremont rückten dem Feind entgegen und warfen ihn mit Leichtigkeit aus allen seinen Stellungen, aber noch immer wollte der unentschlüssige und ängstliche Bourmont den Feind nicht bis zur Stadt verfolgen lassen. Die französische Armee arbeitete an einer bequemen 158 Fahrstrasse für ihre Kanonen und Bagagewagen. Die Ge- nerale und das Geniecorps waren an die Kriegsweise so wenig gewöhnt, dass sie nur mit äusserster Langsamkeit und Vorsicht vorwärts zu bewegen sich getrauten. Einige Jahre später trat an die Stelle dieses überängstlichen Zauderns die unklugste Tollkühnheit. Während Bourmont zur besten Jahreszeit drei Wochen brauchte, um fünf Stunden Weg über ein vergleichungsweise wenig schwieriges Terrain zurückzu- legen, unternahm Marschall Clauzel im Winter 1836 einen Zug nach Constantine über Gebirge und Schluchten mit einem ungeheuren Tross, ohne je zuvor eine Recognoseirung in jener Richtung vorgenommen zu haben. Vom 25. bis zum 28. Juni fielen auf der ganzen Linie nur Tiralleurgefechte vor. Am 29. überfiel-eine feindliche Colonne ein Bataillon des 4ten leichten Infanterieregiments und tödtete ihm 150 Mann. Die Nachlässigkeit des Bataillonschefs war an diesem Verlust allein Schuld. Die Soldaten waren auf seinen Befehl beschäftigt, ihre Waffen zu reinigen, hatten ihre Flinten zerlegt und konnten demnach keinen Widerstand leisten. Am 29. rückte endlich die Armee vor und besetzte die Gipfel und Abhänge des Budschareaberges, welcher die Stadt Algier und die sie umgebenden Forts allenthalben do- minirt. Der Widerstand der Feinde war ziemlich matt, ob- wohl sie einen tüchtigern und muthigern Führer als bisher an ihrer Spitze hatten. Der Dey hatte sich nämlich nach dem misslungenen Angriff vom 24. Juni von der gänzlichen Unfähigkeit seines Eidams überzeugt und an seiner Stelle Mustapha-Bu-Mesrag, Bey von Titteri, einen tapfern Türken zum Oberbefehlshaber der Algierer Armee ernannt. Die Arbeiten zur Eröffnung der Laufgräben dauerten bis zum 3. Juli, an welchem Tage auch Admiral Duperre mit seiner 159 Flotte auf der Rhede von Algier erschien. Am 4. feuerten die französischen Batterien auf einmal gegen das Kaiserfort und die Kasbah, die beiden bedeutendsten Werke der Stadt. Dietürki- schen Batterien erwiederten das Feuer vier Stunden lang mit grosser Energie. Dann aber, als die Mehrzahl ihrer Ge- schütze zertrümmert und die Werke und Mauern von Kugeln durchlöchert waren, wurde das Feuer allmälig schwächer und schwieg gegen Mittag ganz. Das Kaiserfert wurde ° geräumt und sein Pulvermagazin auf Befehl des Deys ange- zündet. Die Explosion zerstörte alle innern Gewölbe und Wände. Einige französische Compagnien drangen durch die Löcher der Mauern in das Kaiserfort ein und nahmen es in Besitz. Drei türkische Geschütze waren unversehrt geblieben ; mit diesen nebst zwei Feldgeschützen, die in das Fort ge- bracht wurden, feuerten die Franzosen auf das tief unten am Seeufer stebende Fort Bab-a-Zun, dessen Batterien auch bald zum Schweigen gebracht waren. Die französische Flotte eröffnete ebenfalls ein gut unterhaltenes Feuer gegen die Werke der Stadt nach der Hafenseite ; dasselbe blieb aber völlig wirkungslos, da die Entfernung zu gross war. Im Innern der Stadt herrschte nach dem Falle des Kaiserforis die grösste Bestürzung. Die Bewohner, welche eine Erstür- mung der Stadt in Begleitung aller gewöhnlichen Unordnungen und Greuel eines solchen Ereignisses fürchteten, drängten sich in Masse nach der Kasbah und verlangten mit grossem Ge- schrei, dass der Dey capitulire. Dieser sandte seinen Maka- tadschi zum General Bourmont mit dem Vorschlag, die Kriegs- kosten bezahlen und sonstige Genugthuung geben zu wollen. Als der französische General hierauf nicht einging, erbot sich der Makatadschi, ein verrätherischer Schurke, - wie fast alle Grossen dieses Raubstaates, seinen Gebieter aus dem Wege . 160 zu schaffen. Er sagte, man könne dann mit dem neuen Dey, zu welcher Würde er den Khasnadschi zu erheben wünschte, zu sehr vortheilhaften Bedingungen unterhandeln. Der fran- zösische General aber, der beauftragt war, die türkische Herrschaft ganz zn stürzen, wies diese Vorschläge zurück, deren Annahme ohnehin unverträglich mit der Ehre Frank- reichs gewesen wäre. Hussein-Dey schickte hierauf als Unterhändler die Mau- ren Achmed-Buderbah und Hamdan- ben -Othman-Khodscha, zwei gewandte, listige Männer, welche sich längere Zeit in Europa aufgehalten hatten und französisch mit vieler Leich- tigkeit sprachen, zum General Bourmont. Nach zweistündiger Unterhandlung kam eine Capitulation zu Stande, dem zufolge die Kasbah, sämmtliche Forts und die Thore der Stadt den französischen Truppen übergeben werden sollten. Dem Dey wurde gestattet, mit seiner Familie und seinem Privat- vermögen sich frei zu begeben, wohin er Lust habe; eine Escorte sollte für seine Sicherheit wachen. Die gleichen Vortheile wurden der türkischen Miliz zugesichert. Eben so verpflichtete sich der General Bourmont auf seine Ehre, die Religion, die persönliche Freiheit, Eigenthum, Handel und Industrie der Einwohner zu respectiren. Diese Capitu- lation nahm Hussein-Dey an. Es kam dieser Act einer Ab- dankung von seiner Seite gleich. Am 5. Juli 1830 zogen die Franzosen als Sieger in Algier ein und ihre Fahne, die bald ihre Farbe wechseln sollte, wehte auf der Kasbah und dem Kaiserfort. 161 In. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. Marschall Bourmont. — Expeditionen nach Belida, Bona und Oran.— Juliusrevolution. — Abreise Bourmont’s. — Ankunft des Marschalls Clauzel. — Maassregeln der innern Verwaltung. — Expedition nach Medeah. — Kampf und Blutbad in Belida. — Verträge mit Tunis. — Abberufung Clauzels. — Ankunft des Generals Berthe- zene. — Zweite Expedition nach Medeah. — Gefechte in den Um- gebungen Algiers. — El-Hadschi-Mahiddin-el-Sghir-ben-Mubarek’s Ernennung zum Aga der Araber. — Misslungene Expedition gegen Bona. — Verwaltung des Generals Boyer in Oran. — Anarchi- scher Zustand des Innern der Provinz Oran. — Sidi-Mahiddin und Abd-el-Kader. — General Berthezene. An Tage nach der Einnahme Algiers schickte der Ge- neral Bourmont, der bald darauf den Marschallstab empfing, eine Colonne nach dem Cap Matifu ab, um sick der Marställe und Heerden, welche die türkische Regierung in Hausch- el-Kantara (jetzt Maison carree) und Rassota, zwei bedeutenden Landgütern der Staatsdomaine besass, zu bemächtigen. Aber Achmet, der Bey von Constantine, welcher mit seinen 500 Reitern den Rückmarsch nach seiner Provinz eingeschla- gen, hatte diese Landgüter zuvor geplündert und die Franzo- sen fanden nur kahle Mauern. Morıtz Wasner’s Algier Il. 11 162 Bis zum 23. Juli blieb die Armee ruhig in den Umgebungen der Stadt Algier gelagert. In jene Zeit fiel der Anfang der . Zerstörung der prächtigen Gärten und Landhäuser der Um- gebung. Niemand wusste damals, ob man Algier behalten würde; niemand kümmerte sich um dessen Zukunft. Daher sahen die Officiere auch gleichgültig zu, wie die schönsten Palmen und Orangenbäume unter der Axt der Soldaten zu- sammenbrachen und zum Bivouacfeuer verbraucht wurden. In die schönen Landhäuser, deren Bewohner sich geflüchtet hatten, brachen Rotten von Soldaten ein und verwüsteten und zertrümmerten sogar die Wände, in der Hoffnung, vergrabene Schätze zu entdecken. Die Spuren dieses vandalischen Wü- thens sind noch heute sichtbar, namentlich auf dem Budscharea und im Quartier von Mustapha Pascha, wo man inmitten der blühendsten Gegend auf solche frische Ruinen stösst. Diese Unordnungen beschränkten sich aber nicht blos auf das bivouakirende Heer. Auf den hohen Officieren, die sich in den Staatsgebäuden der Stadt einquartiert hatten, lastet eine weit schimpflichere Anklage. Die Kostbarkeiten der Kasbah wurden grösstentheils entwendet; die prächtigen Vasen, die reichen Waffen, unter denen viele aus den glänzenden Zeiten Spaniens stammten und von Piraten weggenommen in-den Magazinen der Kasbalı seit langer Zeit begraben lagen, wanderten in habgierige Hände, welche sie verschleuderten und zu Geld machten ; reiche Gefässe, zum Theil von präch- tiger Arbeit und wahrem Kunstwerth, wurden eingeschmolzen und Münze daraus geschlagen. An diesen Entwendungen sollen — so erzählt man noch heute in Algier allgemein — nicht wenige Stabsofficiere, sogar Generäle und Personen aus der nächsten Umgebung des Marschalls Bourmont Theil gehabt haben. Eine Untersuchungscommission wurde in der 163 Folge eingesetzt. Es kam aber von ihren Entdeckungen nie etwas zur öffentlichen Kenntniss. Sogar der Schatz der Ka- sbah soll nicht ohne beträchtliche Schmälerung nach Frank- reich gewandert seyn, obwohl Pellissier, ein gewissenhafter Mann, in seinen „Annales Algeriennes“ diesem Gerücht aufs Bestimmteste widerspricht. Am 23. Juli machte Marschall Bourmont an der Spitze einer kleinen Colonne von 1000 bis 1200 Mann und etwa 100 Reitern einen Ausflug ins innere Land. Er wandte sich in südlicher Richtung nach der Atlaskette, überschritt den Sahel und die Metidscha und lagerte sich in den Umge- bungen von Belida, wo die Bevölkerung ihn gut empfing. Ben-Zamun, Kaid des mächtigen Kabylenstammes Flissa auf dem Dschurschuraberge, ein Mann, der bedeutenden Einfluss auf alle Stämme der Gegend besass, war mit dem französi- schen Obergeneral zuvor in Unterhandlungen getreten und hatte sich zum Vermittler zwischen den Eroberern Algiers und seinen Landsleuten erboten. Als derselbe von dem Vor- haben Bourmont’s hörte, einen Ausflug ins Innere unternehmen zu wollen, suchte er ihn zu überreden, diese Excursion so lange zu verschieben, bis ein förmlicher Vertrag die Art des Verkehrs zwischen den Franzosen und Eingehornen festge- setzt habe. Bourmont kehrte sich aber nicht an diese Vor- stellungen Ben-Zamun’s und würdigte seine Anträge kaum einer Antwort, obschon die Klugheit gebot, einen so einfluss- reichen Häuptling mit mehr Rücksicht zu behandeln. Neugierde war im Grunde das einzige Motiv, welches Bourmont zu diesem ziemlich zwecklosen Ausfluge bewog. Die Folgen desselben waren aber ernsthaft genug, Am Tage nach der Ankunft der Colonne merkte man. aus den Bewegungen der am Fusse der Gebirge versammelten Haufen 11* 164 von Arabern und Kabylen, dass ein Angriff bevorstände. Die völlig sorglos zerstreuten Soldaten, welche neugierig die wunderschöne Gegend und die üppigen Orangengärten an- staunten, hatten kaum Zeit genug, zu den Waffen zu greifen. Ein Escadronschef vom Generalstabe wurde meuchlings ge- mordet und die Colonne auf ihrem Rückmarsch bis in die Nähe von Buffarik verfolgt. Bourmont war über diese uner- wartete Feindseligkeit äusserst ergrimnmt. Er glaubte nach dem Sturze der Herrschaft des Deys ein unterworfenes Land, eine für die Vertreibung ihrer Tyrannen erkemntliche Bevöl- kerung zu finden, und stiess nun gerade da auf Feindseligkeit, wo sie durch nichts hervorgerufen worden. Da man den Charakter der Araber noch nicht kannte und in ihnen die künftigen Alliirten der Franzosen zu sehen wähnte, schob man die Schuld des Widerstandes auf die Türken und glaubte oder suchte sich wenigstens zu überreden, dass sie die Araber zu Feindseligkeiten aufgereizt hätten. In diesem Wahne wurde die Vertreibung der in Algier nach der Abreise Hussein-Dey’s zurückgebliebenen Türken beschlossen. Es war ein ungeheurer Fehler, den man in der Folge bitter bereute; denn die Türken und Kuruglis zeigten. sich später als die einzige zuverlässige Stütze der Franzosen. Sie schlugen sich im Dienste der neuen Herren treu und tapfer, waren aber damals nicht mehr zahlreich genug, um die mächtig erwachende Begeisterung der Araber für die Wiederherstellung einer ara- bischen Herrschaft niederdrücken zu können. Die aus Algier vertriebenen 5- bis 6000 Türken waren der Kern der Streit- macht des Deys und hielten allein das Land in Gehorsam. Bei ihrer genauen Kenntniss ‘des Charakters der Araber und Kabylen, der Stellung und gegenseitigen Verhältnisse der Stämme und Häuptlinge, wären ihre Dienste den Franzosen 165 vom entschiedensten Vortheil gewesen. Man hätte durch ihren Beistand, durch ihre Vermittelung sogleich die Herrschaft auf das ganze Land ausgedehnt und so die türkische Regierung ersetzt, noch ehe die Stämme zur Besinnung gekommen und mit der Idee einer arabischen Herrschaft befreundet geworden wären. "So aber wurde das Land aus aller Organisation herausgerissen. Die früheren Beamten waren vertrieben, die Actenstücke und Register der Verwaltung bei der Verwirrung, die unmittelbar nach der Einnahme in der Kasbah herrschte, verschleudert worden. Die inneren Provinzen und Stämme wurden sich selbst überlassen oder man kümmerte sich nur theilweise um die der Hauptstadt zunächst liegenden Gegen- den. Daraus musste natürlich anfangs ein anarchischer Zu- stand im Innern, später eine Vereinigung der Stämme unter der Herrschaft des mächtigsten und glücklichsten Häuptlings erfolgen. Marschall Bourmont hatte, noch ehe er den Ausflug nach Belida unternommen, zwei kleine Expeditionen zur See abge- schickt, um sich der Städte Bona und Oran zu. bemächtigen. Beide Expeditionscorps wurden aber auf die Nachricht von dem Ausbruche der Juliusrevolution schnell wieder zurückge- rufen. Die nach Oran bestimmten Truppen unter dem Com- mando des Obristen Goutfrey waren noch nicht einmal ausge- schifft, als ihnen Gegenordre zukam. Bona hingegen wurde wirklich vom General Damremont besetzt und gegen einen Angriff der Araber tapfer vertheidigt. Die Stadt musste aber auf den bestimmten Befehl Bourmont’s wieder geräumt werden. Die Nachricht von dem Ausbruche der Juliusrevolution war am 11. August durch ein Handelsschiff nach Algier ge- bracht worden. Bourmont, ein durchaus unentschlüssiger Cha- 166 rakter, wusste nicht was er beginnen sollte, und folgte weder dem Rathe der enthusiastischen Legitimisten, deren es unter den Oherofficieren sehr viele gab, und welche Anstalten zu treffen wünschten, die Armee nach der Küste der Vendee überzuführen und dort für die Legitimität zu streiten; noch gab er den Wünschen derer nach, die, wie die Generale La- hitte und Tholoze, vor allem darauf drangen, dass die Armee sich von der Mehrzahl ihrer Landsleute nicht trennen dürfe und jeder Regierung sich unterwerfen müsse, welche Frank- reich wähle. Als aber weitere Nachrichten aus Frankreich folgten und der Sieg der Revolution allenthalben unbestritten blieb, da wurden namentlich unter den Subalternofficieren die Stimmen immer lauter und dringender, dass man der neuen Ordnung der Dinge sich anschliessen müsse. Eine grosse Zahl von Öfficieren waren im Begriff sich zum Marschall Bour- mont zu begeben und ihu aufzufordern, die dreifarbige Fahne statt der weissen aufzupflanzen. Bourmont kam diesem Be- suche durch die Bekanntmachung eines vom 16. August datirten Tagesbefehls zuvor, worin erder Armee die Abdankung Carl’s X. und des Herzogs von Angoul&me zu Gunsten des Herzogs von Bordeaux ankündigte und sie in Kenntniss setzte, dass in Folge eines Befehls des Herzogs von Orleans, Generallieutenants des Königreichs, die dreifarbige Fahne und Cocarde die weisse ersetzen werde, Diese Erklärung wurde auch bald erfüllt und beruhigte die Armee. Die letzten Stunden seines Commandos wurden dem Ge- neral Bourmont noch verbittert durch Vorfälle, welche nur eine Folge seiner Entmuthigung waren. Als die Araber im ‘ Innern sahen, dass die französischen Truppen sich nicht mehr vom Fleck rübrten, ergriffen sie die Offensive, rückten in Banden gegen die Stadt an und blokirten dieselbe. Wer sich 167 über eine gewisse Entfernung von der Stadt hinaus wagte, war ziemlich sicher, ermordet zu werden. Dies widerfuhr dem Obersten des 1sten Linienregiments und mehrern andern Officieren, welche dicht bei der kleinen Ebene von Mustapha- Pascha erschlagen wurden. Der in Medeah residirende Bey von Titteri, Mustapha-Bu-Mesrag, welcher sich den Fran- zosen unterworfen hatte, erklärte diesen den Krieg, unter dem Vorwand, dass sie durch Vertreibung der Türken die Capitulation gebrochen hätten; Am 2. September kam der zum Obercommando der afri- kanischen Armee berufene General Clauzel auf der Rhede von Algier an. Noch an demselben Tage schiffte sich Mar- schall Bourmont ein. Er hatte anfangs die Absicht gehabt, sich nach Frankreich zu begeben, änderte aber plötzlich die- sen Entschluss und ging nach Spanien ab. Er hatte zu sei- ner Ueberfahrt ein Staatsschiff verlangt, was ihm aber ver- weigert wurde. Lange musste der Marschall mit Kauffartei- fahrern unterhandeln, bis er ein österreichisches Schiffchen fand, das ihn aufnehmen wollte. So verliess der Eroberer Algiers den Schauplatz seiner schönen Waffenthat als Ver- bannter in aller Stille. Zwei seiner Söhne begleiteten ihn. Der älteste war mit den eroberten Fahnen nach ‘Frankreich abgegangen, ein vierter war im Gefecht bei Sidi-Kalaf ge- fallen. Obwohl der Name des Generals Clauzel einer der glän- zendsten der französischen Ruhmepoche war, so erregte seine Ankunft doch wenig Enthusiasmus bei den Truppen, welche wussten, dass die Stimmen der Opposition, die an die Ge- walt gekommen, der Expedition hicht günstig waren. Die erste Proclamation des neuen Obergenerals zeigte die Erhe- bung Ludwig Philipp’s auf den französischen Thron an, ohne 168 dass ein einziges Wort darin sagte, ob das Vaterland auch mit seiner Armee von Afrika zufrieden sey und die Ehre ih- res Sieges adoptire. Eine grosse Zahl Officiere und Soldaten waren damals für Bourmont ziemlich eingenommen. Seine neueste Waffenthat hatte die Schmach, welche seit 1815 seinen Namen befleckte, wenigstens theilweise verwischt. Sein Un- glück versöhnte jetzt‘seine edleren Gegner, deren Wünsche den verbannten Eroberer Algiers ins Exil begleiteten. Eine Commission wurde niedergesetzt, die Unterschleife zu unter- suchen, welche der Armee von Afrika in Betreff der auf der Kasbah gefundenen Schätze vorgeworfen wurden. Indessen kam dieselbe trotz dem Eifer und der Bitterkeit, mit der sie ihre Nachforschungen fortsetzte, doch zu keinem Resultat, und man wird wohl nimmermehr erfahren, in welche Taschen ein Theil jener Kostbarkeiten und Münzen gefallen, welche aus den Gewölben der Kasbah von den gewandten Schatzgrä- bern der Seine erlöst worden waren. General Clauzel beschäftigte sich gleich beim Beginn seines Commandos mit einer neuen Organisation der Armee. Ein Bataillon von Eingeborenen wurde unter dem Namen Zuaven (arabisch Zuauas) errichtet, grösstentheils aus Kaby- len der Provinz Constantine bestehend, welche den Regierun- gen der Barbareskenstaaten ihre Dienste verkaufen, wie die Schweizer die ihrigen in Europa. Dieses treffliche leichte Plänklercorps, welches das türkische Costume trägt, wurde seitdem bedeutend vermehrt, bestekt aber jetzt grösstentheils aus französischen Freiwilligen, da den Eingeborenen bald die Lust an der Disciplin verging. Der wichtigste Act dieser ersten Verwaltung Clauzel’s war die Organisation der Gerichts- höfe, welche selbst den Beifall Pichon’s erhielt, der sonst ein so strenger Tadler von Allem ist, was nicht von ihm gemacht 169 wurde. Die Mauren nahmen indessen die Einrichtung wenig günstig auf, weil sie die oberste Gerichtsbarkeit des Kadi- Hanefi zerstörte; der maurische Schriftsteller Hamdan- ben- Othman-Khodscha, welcher im Jahre 1833 über Algier schrieb, griff dieses System mit grosser Bitterkeit an. Alle europäi- schen Einwanderer, welche auf die Zukunft des Landes spe- culirten, waren Clauzel’s eifrige Anhänger. Eine Gesellschaft von Colonisten bildete sich unter seinen Auspicien, und nahm den schönen, grossen Pachthof Hausch - Hussein - Pascha, seitdem von den Franzosen Zerme modele genannt, welcher 1000 Morgen Landes in sich fasst, in Besitz. Nach diesen Verwaltungsmaassregeln war General Clauzel auf die Ausführung seiner kriegerischen Plane bedacht. Der Bey von Titteri, Mustapha-Bu-Mesrag, hatte Gesandte an Hassan-Bey von Oran und Achmet-Bey von Constantine, mit der Aufforderung geschickt, ihn als Dey von Algier anzuer- kennen und ein Hülfscontingent gegen die Franzosen ihm zu schicken. Ersterer war dazu geneigt, Achmet aber, der lie- ber selbst Dey werden wollte, verweigerte ihm alle Hülfe mit der hochmüthigen Antwort: „Du bist nicht mehr, als ich.“ Clauzel verliess Algier am 17. November. 1830 mit einer klei- nen Armee von 8000 Mann, um dem kriegslustigen Bey von Titteri, der hinter seinen Bergen sich für unbesiegbar hielt, in seiner Hauptstadt Medeah einen Besuch zu machen. Am 18. November bivouakirten die Truppen zu Buffarik, an der- selben Stelle, wo heutigen Tages das Lager d’Erlon steht. Bei ihrem Weitermarsche gegen Belida zeigte sich eine ara- bische Reiterhorde, deren Absicht feindselig schien. Der Obergeneral schickte den jungen italienischen Renegaten Jo- seph oder Yussuf, der sich damals noch nicht träumen liess, dass er zu einer so wichtigen Rolle bestimmt sey, den Ara- 170 bern entgegen, um mit ihnen in Unterhandlung zu treten. Yussuf kam mit deren Anführer, einem stolzen Araber von imposanter Gestalt zurück, welcher auf die Aeusserung des Generals Clauzel, er habe Lust, heute noch in Belida zu schlafen, erwiederte: er dagegen habe Lust, die Franzosen daran zu hindern. Die Feindseligkeiten begannen hierauf. Belida wurde noch an demselben Tage besetzt; man liess dort eine Besatzung von 500 Mann, und rückte dann‘auf dem Wege von Medeah weiter. Am 20. lagerte das kleine Heer bei dem Hausch Musaia, einem Landgute des Beys von Oran, dicht am Fusse des Gebirgs. Die Artillerie be- grüsste den ehrwürdigen Atlas mit 25 Kanonenschüssen. Eine Proclamation wurde in Napoleonischem Style erlassen, und bei den abendlichen Bivouacplaudereien, welche unter den französischen Regimentern beliebter und origineller sind, als unter den Truppen irgend einer andern Nation, erzählten die zahlreichen Pariser Freiwilligen, die Erinnerungen ihrer clas- sischen Studien zu Hülfe rufend, ihren weniger unterrichte- ten Kameraden, wie seit den Zeiten der Römer, des grössten Kriegsvolks, mit dem ein Vergleich jeder Nation schmeichelt, keine europäische Armee den Atlas überschritten habe. Am 21. November fand bei der Uebersteigung des äusserst schwie- rigen Engpasses Teniah ein wüthender Kampf mit den Tür- ken des Beys und den kriegerischen Gebirgsbewohnern statt, welche erst nach mehrstündigem Kampfe aus ihrer Position vertrieben wurden. Die Franzosen verloren dabei 220 Mann. Von der Höhe des Engpasses Teniah erliess General Clauzel jene bekannte Proclamation voll hochtrabender Phrasen, wor- in er zu seinen Soldaten unter Andern sagte; „Ihr habt Euch ‘ wie die Riesen geschlagen.“ Am 22. November wurde Me- deah, die Hauptstadt der Provinz Titteri, ohne Widerstand 171 besetzt, und der neuernannte Bey Ben- Omar mit einer Be- satzung dort zurückgelassen. Während der Obergeneral hier- auf seinen Rückzug nach Algier antrat, war die Stadt Belida der Schauplatz schauderhafter Scenen geworden. Ben-Zamun ‘ an der Spitze seiner Kabylen hatte die kleine Besatzung dort angegriffen. Es gelang ihm, durch die halb verfallene Ring- mauer in die Stadt einzudringen, und man schlug sich lange mit grosser Wuth in den Strassen, wobei eine Menge Wei- ber und Kinder in der Hitze des Kampfes gemordet wurden. Bei der Annäherang der rückkehrenden Truppen von Medeah ergriffen die Kabylen die Flucht. Clauzel räumte aber Belida, da es ihm bei der feindseligen Stimmung der dortigen Stämme zu gefährlich schien, Truppen daselbst zurückzulassen. Der hartnäckige Widerstand, den die Eingeborenen der französischen Armee entgegensetzten, mochte in dem General Clauzel den Plan erzeugen, der, wenn er damals zur Ausfüh- rung gekommen wäre, der Ehre Frankreichs keinen Nach- thejl gebracht hätte, und zur Unterwerfung des Landes vom grössten Vortheil gewesen wäre. Clauzel, welcher bei sei- ner wenig zahlreichen Armee die Schwierigkeiten einer so ausgedehnten Operationsbasis einsah, machte zu jener Zeit einen Tractat mit Tunis, vermöge dessen dem Bruder des dortigen Beys die Provinzen Constantine und Oran unter fran- zösischer Obersouverainetät abgetreten werden sollten. Der neue Bey verpflichtete sich, unter Caution seines Bruders, Frankreich einen jährlichen Tribut von einer Million Fran- ken zu bezahlen, und alle Handelsniederlassungen der Fran- zosen im Innern des Landes zu begünstigen, wogegen ihm die Unterstützung der französischen Waffen zugesichert wurde. Auf diese Weise hätte Frankreich an den Stämmen Orans und Constantines statt hartnäckiger Feinde vielleicht nützliche 172. Alliirte gefunden, und seine Kräfte alle von einem Punkte, nämlich von Algier aus, auf die benachbarten Gegenden ver- wenden können. Dieser Tractat wurde leider von der fran- zösischen Regierung nicht genehmigt, weil die Eitelkeit des Ministers Sebastiani durch das allzu unabhängige Handeln des Generals Clauzel sich verletzt sah. Dies war auch der Grund der baldigen Abberufung des letzteren von Afrika. Schmerz- lich betrauerte die Menge der eingewanderten Colonisten und Speculanten seine Entfernung; sie wussten, dass Clauzel für die afrikanische Niederlassung eingenommen war, und Ver- trauen in ihre Zukunft hatte. Die Armee verlor an ihm einen energischen, unternehmenden Führer. Unter den Eingebore- nen war die Stimmung getheil. Die Araber der Metidscha hatten zwar einen Beschluss Clauzel’s, welcher allen Beys verbot, Tribut bei den Stämmen zu erheben , günstig aufge- nommen, ihr Fanatismus war aber dadurch keineswegs ent- waffnet worden. Die Mauren konnten ihm nie vergessen, dass er viele Moscheen hatte niederreissen lassen. ‚ Clauzel’s Nachfolger war der General Berthezene, wel- cher während des Feldzugs unter Bourmont die erste Division commandirte, und dessen Verdienste damals von den Opposi- tionsblättern, um Bourmont zu schaden, weit über die Wirk- lichkeit erhoben wurden. In der That war Berthezene ein ziemlich beschränkter Kopf als Verwalter, wie als General. Er beschäftigte sich anfangs viel mit administrativen Maassre- geln, die aber ohne Zusammenhang waren und den eingeris- senen Unordnungen nicht steuerten. Dieser General zeigte eine besondere Vorliebe für die Mauren. Intriganten, wie Achmet-Buderbah und Hamdan-ben-Othman-Khodscha, ge- langten unter ihm zu grossem Einflusse. Um die Araber küm- merte sich Berthezene wenig Es schien, als hielt er es kaum 173 der Mühe werth, mit ihren Angelegenheiten sich zu beschäf- tigen; in der Regel überliess er es den Dolmetschern, die sich bei ihm meldenden Kaids und Scheikhs abzufertigen. Der zum Aga der Araber ernannte Maure Mendiri getraute sich nicht, die Stadt zu verlassen, aus Furcht, von den Be- duinen ermordet zu werden. Der Kaid des Stammes Kha- schna, Mohamed-ben-elAmry, der den Aga einmal besuchte und ihm einige Geschenke brachte, wurde auf dem Heimwege als Verräther von den Leuten seines eigenen Stammes gemor- det, ohne dass man daran dachte, seinen Tod zu rächen. Der in Medeah eingesetzte Bey Ben- Omar war inzwi- schen in eine sehr gefährliche Lage gerathen, nachdem schon unter der Verwaltung Clauzel’s die kleine französische Gar- nison von dort abgezogen war. Ben-Omar war ein Maure, gewandt und talentvoll, der aber doch für seinen Posten nicht die erforderliche Energie besass. Er blieb fast bestän- dig in der Stadt, erlangte wenig oder keinen Einfluss auf die nächsten Araberstämme und war mehr bemüht, von den Einwohnern Geld zu erpressen, als seine Macht und die Sou- verainetät Frankreichs über die Provinz auszudehnen. Ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung Medeahs verschwor sich gegen Ben- Omar. An ihrer Spitze stand Ulid- Bu -Mesrag, der Sohn des gestürzten Beys, welcher, da seine Partei in der Stadt nicht die Oberhand behielt, Medeah verliess und zu den unzufriedenen Araberstämmen der Gegend sich gesellte, mit deren Beistand er die Stadt blokirte. Ben-Omar, der jeden Augenblick den Ausbruch einer Verschwörung in der Stadt selbst befürchten musste, und für sein Leben zitterte, schrieb an den General Berthezene die dringendsten Briefe, ihn um Erlösung aus dieser peinlichen Lage flehend. Ber- thezene brach am 25. Juni 1831 mit zwei Brigaden von Al- 174 gier auf, überschritt den Engpass Teniah ohne Kampf- und hielt am 29. Juni seinen Einzug in Medeah. Die Nähe der französischen Truppen reizte aber die fanatischen Stämme der Provinz Titteri noch mehr, statt sie zu schrecken. Die fran- zösischen Vorposten wurden unaufhörlich geneckt und das Feuer der feindlichen berittenen Plänkler dauerte von Mor- gen bis Abend fort. Am 1. Juli brach der General von Me- deah nach dem Gebirge Auarah auf, wo die feindlichen Stämme ihre Contingente versammelt hatten. Natürlich warteten diese seine Ankunft nicht ab, sondern zogen sich, der gleich von Anfang an befolgten arabischen Taktik gemäss, zurück, un- ter dem Vorbehalt, wieder anzugreifen, sobald die französi- sche Colonne den Rückzug antreten würde. Als General Berthezene keine Feinde fand, liess er seine Wuth an den Feldern und den Bäumen aus, verbrannte die Erndten und hieb die Fruchtbäume um. Sobald aber die Franzosen sich zurückzogen, erschienen die unsichtbar gewordenen Feinde von allen Seiten wieder und umschwärmten den Nachtrab, mit dem sie bis vor den Thoren Medeahs tiraillirten. Die Le- bensmittel waren der Colonne ausgegangen, und so musste sich General Berthezene zur Rückkehr nach Algier entschliessen. Ben-Omar wollte auch nicht in Medeah zurückbleiben, sondern schloss sich der Armee an. Am 2. Juli gegen Abend begann der unheilvolle Rück- zug von Medeah, dessen moralische Wirkung für die fran- zösische Sache äusserst verderblich war. Der Feind folgte dem Nachtrab der Colonne, welche in der Dunkelheit den Engpass Teniah ohne Verlust zu überschreiten hoffte. Bald kam eine unerklärbare Unordnung in den Marsch der Batail- lone, welche sich, gleichwie die Compagnien, unter einander mengten und den nördlichen Abhang der Atlaskette mit einer 175 Eile hinabstiegen, die einer Flucht gleichkam. General Ber- thezene sündigte gegen alle Kriegsregeln. Er schickte nicht einmal einige Compagnien auf die Gipfel zur Rechten des Engpasses, um den Rückzug zu schützen. So kam es, dass der Feind sich dieser Gipfel bemächtigte und ein mörderi- sches Feuer auf die französische Colonne herabsprühte. Bald war eine ziemliche Zahl Soldaten kampfunfähig; die Schwie- rigkeit des Transports der Verwundeten steigerte die Unord- nung auf eine furchtbare Weise. Ein Bataillon des 20sten Li- nienregiments verlor seinen Commandanten, den kein Ande- rer ersetzte. So hörte aller Befehl auf; jeder dachte nur an seine eigene Rettung und rannte so schnell als möglich fort, um den Kugeln der Kabylen zu entgehen. In diesem kriti- schen Augenblicke wäre die Armee ohne die Geistesgegenwart und den Muth des später berühmt gewordenen Commandan- ten Duvivier verloren gewesen. Dieser warf sich, ebgleich nicht zum Commando der Nachhut berufen, mit seinem Ba- taillon aus freiem Antrieb den Kabylen entgegen. Die Ge- birgsbewohner stritten mit einer Tapferkeit, wie die Franzo- sen sie bisher an den Arabern noch niemals wahrgenommen hatten. Viele stiegen in den Pass hinunter und kämpften mit den Franzosen Mann gegen Mann. Mehrere der Pariser Freiwilligen, welche kurz nach der Juliusrevolution Kriegs- dienste in Afrika genommen hatten und später das 67ste Li- nienregiment bildeten, waren von den ungewohnten Kriegsstra- pazen todtmüde und schleppten sich als Nachzügler hinter dem Heere her. Die Kabylen warfen sich vorzüglich auf diese Unglücklichen, die kaum den geringsten Widerstand zu leisten vermöchten, und stürzten mehrere von ihnen mit der blossen Hand in die steilen Abgründe zur Linken des Felsenpfades. Commandant Duvivier bot mit seinem Bataillon den Feinden 176 die Stirne, bis alle Nachzügler sich gesammelt hatten. Dann zog er sich gleichfalls langsam zurück, immer fechtend und gegen den Feind wieder Front machend, so oft derselbe ihm allzuhitzig zusetzte. Während der tapfere Duvivier mit seinen Leuten sich opferte, liefen die übrigen Bataillone, in die ein panischer Schrecken gefahren war, aufs Eiligste davon. Erst am Fusse des Gebirges machten sie Halt und formirten in al- ler Stille ihre Glieder wieder, ganz beschämt über die ge- zeigte Schwäche, die durchaus nicht von Feigheit herrührte, sondern lediglich von der Ungeschicklichkeit und Nachlässig- keit ihres Obergenerals. Die Verfolgung dauerte fort bis an die Chiffa, welche die Colonne zur Nachtzeit überschritt. Die Franzosen verloren auf diesem unheilvollen Rückzuge gegen 300 Mann an Todten und Verwundeten. Schlimmer als dieser Verlust war der Eindruck, den die Nachricht von dieser Schlappe der bisher immer siegreich gewesenen Trup- pen im Innern hervorbrachtee. Der Fanatismus loderte in hellen Flammen auf. Die gefeiertsten Marabuts, worunter namentlich der kürzlich von Mekka zurückgekehrte Sidi-Saadi, durcheilten alle Stämme und predigten den Dschad (Glau- benskampf). Der mehr erwähnte Häuptling Ben-Zamun kam mit einem Heer von Arabern und Kabylen bis an die Zerme modele, wo sich die ersten europäischen Ansiedler eingeni- stet hatten. Auf der andern Seite rückte Ulid-Bu-Mesrag mit seinen Haufen nach Buffarik vor. Die Ferme modele wurde von Ben-Zamun angegriffen und die ersten von euro- päischen Händen besäeten Felder zerstört. General Berthe- zene machte mit sechs Bataillonen und der ganzen Cavalerie einen Ausfall und warf die Feinde über die Arasch zurück. Bald. darauf griff Ulid-Bu-Mesrag mit seiner Bande das Block- haus am Uad-el-Kerma an, wurde aber von den aus Algier 177 herbeieilenden Truppen geschlagen. Nirgends hielten die un- disciplinirten Banden der Afrikaner gegen die Franzosen fe- sten Stand. Da jene aber sahen, dass sie im Grossen nichts ausrichten und das verschanzte Algier nicht wieder erstürmen konnten, beschränkten sie sich auf den Parteigängerkrieg, in welchem die Eingeborenen immer im Vortheil sind. Während dieser Vorgänge in der Provinz Algier trugen sich auch in den entfernteren Provinzen Constantine und Oran Begebenheiten zu, welche der Ausdehnung der französischen Herrschaft äusserst nachtheilig waren. Achmet, Bey von Constantine, welcher nach der Einnahme von Algier sich mit seiner kleinen Truppe nach Hause auf den Weg gemacht hatte, fand die T'hore seiner Hauptstadt verschlossen. Es war unter den dort zurückgebliebenen Türken eine Empörung ge- gen ihn ausgebrochen, an deren Spitze Hamud - ben - Schakar, Achmet’s Khalifa, stand. Achmet, der mit seinen wenigen Soldaten nichts gegen die Stadt auszurichten vermochte, war im Begriff, sich zu seinen Verwandten in der Sahara, der mächtigen Familie Ben-Gana, deren Oberhaupt, Bu-Asis- ben-Gana, sein Oheim war, zurückzuziehen, als plötzlich eine Gegenrevolution in der Stadt zu seinen Gunsten ausbrach. Hamud-ben-Schakar wurde mit seinen Türken zur Flucht genöthigt und bald darauf von seinen eigenen Anhängern ge- mordet, welche Achmet dadurch zu versöhnen hofften.. Dieser nahm sie scheinbar freundlich auf, liess sie aber in der Folge fast sämmtlich einzeln hinrichten. Achmet war Kurugli, und begünstigte diesen aus türkischem und maurischem oder ara- bischem Blut entsprossenen Stamm auf alle Weise. Die mei- sten Officiere seiner Miliz waren Kuruglis. Er vermehrte seine regulairen Truppen und nahm in dieselben besonders viele Kabylen auf. Diesem streitbaren Gebirgsvolke zeigte Morıtz Wasner’s Algier, I. 12 178 der Bey sich sehr gewogen. Die Kabylen durften wenig oder keine Abgaben bezahlen, und ihre Marabuts erhielten sogar noch Geschenke, während der Bey die in seinem Bereiche wohnenden Araber unter ein eisernes Joch drückte. Ben- Aissa, Achmet’s Khalifa und mächtigster Günstling, war Kabyle. Die zur Provinz Constantine gehörige Stadt Bona wurde nach dem Abzuge der auf Bourmont’s Befehl zurückgerufenen Brigade des Generals Damremont von den Araberstämmen der Umgebung belagert. Die fanatischen Stämme wollten die Einwohner dafür züchtigen, dass sie die Ungläubigen aufge- nommen hatten. In Bona commandirte ein Türke, Sidi-Ach- met, welcher mit einigen Hunderten seiner Landsleute die Kasbah oder Citadelle besetzt hielt, und die Stadt vertheidigte. Dieser Häuptling schrieb an- den General Berthezene, und bat ihn um Unterstützung an Mannschaft und Munition, je- doch mit dem Beisatze, dass die Hülfsmannschaft nur aus Eingeborenen bestehen dürfe. Der General schickte ihm eine Abtheilung von 125 Zuaven, die sämmtlich Muselmänner wa- ren, aber unter dem Commando von zwei französischen Ofh- cieren, des Bataillonschefs Houder,, ehemaligen Ordonnanzof- ficiers des französischen Botschafters in Constantinopel, Gene- rals Guilleminot, und des Capitän Bigot standen. Sidi-Ach- met machte die Anwesenheit der französischen Officiere, die er nicht verlangt hatte, misstrauisch Es kam zwischen ihm und Houder bald zu Reibungen, endlich zu einem offenen Bruch. Houder bemächtigte sich der Kasbah und mit ihr der Herrschaft über die Stadt. Bald aber brach unter den an Meuterei gewöhnten Türken eine Empörung gegen den fran- zösischen Commandanten aus, an deren Spitze ein abgesetzter Bey von Constantine, Namens Ibrahim, stand. Dieser listige 179 und treulose Mensch hatte sich zuvor in Houder’s Vertrauen eingeschlichen und von ihm Geld erhalten, das er zur Beste- chung der Türken verwendete. Mit ihrer Hülfe nahm er, während Houder in der Stadt war, die Kasbah ein, und als die französischen Officiere mit einigen ihrer treugebliebenen Zuaven vor der Citadelle erschienen, wurden sie mit Flinten- schüssen zurückgewiesen. Zugleich benachrichtigten die Stadt- bewohner den Commandanten Houder, dass er nicht länger mit Sicherheit bei ihnen verweilen könne, da die Araber einen Angriff beabsichtigten, und auf einen Anhang unter den fanatischen Individuen der Stadt hofften. Die französi- schen Officiere eilten nun nach dem Hafen, um nach der auf der Rhede liegenden Corvette Creole sich einzuschiffen. In demselben Augenblicke aber wurden die Thore von den Ara- bern eingebrochen. Unter furchtbarem Geheule drangen diese fanatischen Wilden in die Stadt ein; einiges Gesindel der Mauren gesellte sich zu ihnen. Es kam zu einem kurzen Gefechte in den Strassen, wobei Capitän Bigot getödtet wurde. Die übrigen Franzosen und Zuaven warfen sich in die Boote. Einige wurden noch im Moment des Einschiffens getödtet, worunter der unglückliche Commandant Houder, der eine Kugel in den Kopf erhielt. Mehrere französische Ma- rinesoldaten wurden. gefangen genommen, Auf die Nachricht dieser blutigen Vorfälle schickte General Berthezene den Commandanten Duvivier mit 250 Zuaven, welche auf zwei Briggs vertheilt waren, ab. Ihm wurden die Gefangenen ausgeliefert. Dagegen konnte dieser unternehmende Officier keinen Versuch gegen die starkbefestigte Kasbah machen, da seine Mannschaft viel zu gering war. Er kehrte unverrichte- ter Sache nach Algier zurück. 12° 180 Die Stadt Oran hatte Hassan-Bey, ein bejahrter Mann, der sich nach Ruhe sehnte, den Franzosen ohne Schwert- streich ausgeliefert. Anfangs erhielt der Khalifa des Tuneser Fürsten Achmet das dortige Commando. Als aber die fran- züsische Regierung den zwischen dem Marschall Clauzel und Tunis abgeschlossenen Vertrag nicht bestätigte, räumte der Khalifa die Stadt, und General Boyer wurde zum Comman- danten derselben ernannt. Boyer war schon vom spanischen Kriege her seiner eisernen Strenge wegen bekannt. Er glaubte auch in Afrika dasselbe Schreckenssystem anwenden zu müs- sen, welches den Franzosen in Spanien so bittere Früchte getragen hatte. Einige Stadtbewohner, welche eines Einver- ständnisses mit dem Sultan von Marokko beschuldigt waren, liess er ohne Urtheil hinrichten und ihr Vermögen einziehen. Seine Autorität dehnte sich übrigens nicht über die Stadt- mauern aus. Die Araber, welche mit ihren Producten auf den Markt kamen, belustigten sich öfters, wenn sie die Thore wieder verlassen hatten, auf die französischen Schildwachen zu feuern und dann eiligst davon zu sprengen. Das Städt- chen Arzew, von einem Kabylenstamme aus Marokko bewohnt, stand allein mit Oran unter Vermittelung seines Kadis, der dort die oberste Gewalt übte, in freundschaftlichem Verkehr. Der ganze Rest der grossen Provinz war der gräulichsten Anarchie verfallen. Die dort wohnenden Araberstämme sind weit kriegerischer und fanatischer als in den übrigen Pro- zinzen. Obwohl von den Türken sehr geschont, ertrugen sie deren Herrschaft doch nur mit Unwillen, und ergriffen freudig die Gelegenheit, das Joch ganz abzuschütteln. Bald nach dem Sturze Hussein-Dey’s griffen die mächtigsten Stämme zu den Waffen. Sidi-Mahiddin, ein alter hochverehrter Ma- rabut, der Vater des später so berühmt und mächtig gewor- 181 denen Abd-el-Kader, der über den zahlreichen Stamm der Haschems unbeschränkten Einfluss übte, erschien mit einer bedeutenden Macht vor der Stadt Mascara, überwältigte die türkische Besatzung und zerstörte den festen Sommerpalast, wo früher die Beys residirten. Die Bewohner von Mascara wollten Sidi-Mahiddin zn ihrem Oberhaupte wählen; der Ma- rabut lehnte aber die Würde ab zu Gunsten seines jüngsten Sohnes Abd-el-Kader, der ihn auf der Wallfahrtsreise nach Mekka begleitet hatte, und durch seine schwärmerische Me- lancholie, seine Enthaltsamkeit und hohen Geistesgaben sei- ner Umgebung frühzeitig aufgefallen war. Um das Volk leich- ter für seinen Lieblingssohn zu gewinnen, erzählte Sidi-Ma- hiddin die Weissagung eines Derwischs in Mekka, welcher dem kleinen Abd-el-Kader während ihres dortigen Aufenthalts die Sultanswürde verkündet hatte. Das fanatische Yolk glaubte dies, und wählte Abd-el-Kader zum Emir. Der junge Ma- rabutsohn hielt, begleitet von den Reiterschaaren seines Stam- mes, seinen Einzug in Mascara unter dem Freudengeschrei der Bewohner, welchen der nachdenkende, fromme Ausdruck seines bleichen Gesichtes wohl gefiel. Abd-el-Kader war damals noch arm. Er trug einen zerlumpten Bernuss und hatte nur einen halben Budschu in der Kapuze, als er Besitz nahm von dem alten Beypalast in Mascara, und dort die Huldigung von Alt und Jung, selbst die seines greisen Vaters, empfing. Sidi-Mahiddin zog nicht mit in die Stadt. Er blieb in seiner Ghetna oder Einsiedelei und verwandte seine letzten Tage nur dazu, die Macht seines Sohnes durch seinen Einfluss auf die Araber zu Kafeeigen und den Dschad gegen die Franzosen zu predigen. Die übrigen Theile der Provinz Oran wurden durch an- dere Araberhäuptlinge unterworfen. Ueber die weiten Step- 182 pen der Angad herrschte der Scheikh Sidi-el-Gomary; ihm gehorchte die Mehrzahl der kriegerischen Räuberstämme jener Gegend. Ueber die zahlreichen Kabylenstämme an der Tafna behauptete Sidi-Buhamedi eine ziemlich beschränkte Autorität. Milud-ben-Arasch war der einflussreichste Scheikh unter den Garrabas. Der bedeutendste Häuptling neben Abd-el-Kader war aber Mustapha-ben-Ismael, der frühere Aga des Beys von Oran, ein kräftiger, energischer Greis, der unter allen Stämmen in grossem Ansehen stand, und besonderen Einfluss auf die Stämme der Duairs und Zmelas übte, deren Reiter zum Makhsen Hassan-Beys gehört hatten. Die Stadt Mostaganem stand unter der Autorität eines Türken, Ibrahim, welcher später den Franzosen sich‘unterwarf. Jeder dieser Häuptlinge suchte sein Ansehen so weit als möglich auf seine Umgebung auszudehnen. So stiessen diese ehrgeizigen Män- ner ällmälig aufeinander und die Herrschaft des Einen musste der des Andern freiwillig oder durch Waffengewalt weichen. Abd-el-Kader hatte über seine Rivalen den grossen Vortheil, dass der Sitz seiner Macht im Centrum der Provinz gelegen war, der Stamm, der ihn unterstützte, war zwar weniger zahl- reich, als die Angad und Beni-Ammer, aber sehr compact, dabei unternehmenden Geistes und dem alten Sidi-Mahiddin mit Fanatismus zugethan. Ausser diesen einheimischen Häupt- lingen wollte auch ein auswärtiger mächtiger Monarch aus dem Sturze des Deys und dem anarchischen Zustande der Provinz Nutzen ziehen, um die Herrschaft an sich zu reissen. Es war Muley-Abd-er-Rahman, Sultan von Marokko, welcher, weil er Monarch von arabischem Blut ist, bei allen Beduinen- stimmen der Berberei in hohem Ansehen steht. Ein Khalifa des Kaisers von Marokko besetzte die Stadt Tlemsan und er- schien mit einigen hundert Reitern sogar unter den Mauern 183 von Oran, die schwache französische Besatzung verspottend, die keinen Ausfall zu machen wagte. In der Provinz Algier trat gegen das Ende der Ver- waltung des Generals Berthezene ein ziemlich ruhiger Zustand ein. Der französische General hatte mit den Arabern einen Vergleich geschlossen, dem zufolge sie auf ihrem Gebiet un- gestört und unabhängig wohnen, dagegen auch nicht bewaft- net innerhalb der französischen Linien eindringen durften. Zu ihrem Aga ernannte er den einflussreichsten Mann der Metidscha, den Marabut EI- Hadschi- Mahiddin-el-Sghir-ben- Mubarek, Oherhaupt der Marabutfamilie Mubarek von Coleah, die durch viele Generationen schon im Rufe der Heiligkeit stand. Dieser Marabut machte sich verbindlich gegen eine jährliche Besoldung von 70,000 Franken die Araber zur pünkt- lichen Erfüllung der Bedingungen des Vergleichs anzuhalten. So bezahlte also Frankreich den Arabern gewissermassen einen Tribut. Berthezene enthielt sich aller Einmischungen in dıe Angelegenheiten der Stämme, obwohl die streitenden Parteien häufig an seine Entscheidung appellirten. Er liess die schöne Gelegenheit, jene Stämme, welche der Anarchie bereits müde zu werden anfıngen und nach einem starken Oberhaupte sich sehnten, für. Frankreich zu gewinnen, unge- nützt verstreichen. Eines der wirksamsten Mittel der türki- schen Politik war, die Scheikhs und Marabuts durch persön- liche Interessen an ihre Herrschaft zu fesseln und sich des einen Stammes zur Unterwerfung des andern zu bedienen. Die Indolenz oder die völlig unklaren Begriffe des Generals über die innern Verhältnisse hielten ihn von der Anwendung solch’ kluger Mittel ab. Er liess den mächtigen Häuptlingen Zeit ihre Herrschaft zu erweitern, zu befestigen und endlich Frank- reich gegenüber eine arabische Macht zu gründen, welche 184 später allen französischen Heeren trotzen konnte und die da- mals ein rasches, kräftiges und entschiedenes Einschreiten der Franzosen vielleicht verhindert haben würde. Es war auch ein Unglück für Algier, dass die französische Re- gierung zu jener Zeit an weit wichtigere, ‚sie näher ange- hende Dinge zu denken hatte und die afrikanischen Angele- genheiten fast ganz vernachlässigt. Indessen bewogen sie doch endlich die schreienden Missgriffe des als Feldherrn wie als Verwalter gleich unfähigen Grafen Berthezene zu dessen Abberufung. Er verliess Algier, von keiner Seele bedauert, als von den maurischen Intriganten, die unter ihm sehr lucrative Geschäfte gemacht hatten. W. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. Ernennung des Herzogs von Rovigo zum Obercommandanten der Occupationsarmee. — Trennung der Militair- und Civilverwal- tung. — Benehmen des Herzogs von Rovigo gegen die Mauren und Araber. — Unterhandlungen mit Farhat-ben-Said. — Nieder- metzelung des Stammes EI-Uffia. — Allgemeine Erhebung der Araberstäimme. — Gefecht bei Buffarik. — Expedition gegen Be- lida. — Hinrichtung zweier arabischen Häuptlinge. — Unterhand- lungen mit Achmet-Bey. — Einnahme der Kasbah von Bona. — Ereignisse in Oran. — Abreise des Herzogs von Rovigo. — In- terimsverwaltung des Generals Avizard. — Ankunft des Generals Voirol.— Verwaltungsmaassregeln. — Einnahme von Budschia. — Züge gegen die Hadschuten. — Unterwerfung der. Hadschuten, Ereignisse in Bona und Oran. — Besetzung von Arzew und Mosta- ganem. — Gefecht zwischen den französischen Truppen und den Arabern Abd-el-Kader’s. — Friedensvertrag mit Abd-el-Kader. — Ernennung des Grafen Drouet d’Erlon zum Gouverneur von Algier. — Abreise des Generals Voirol. Grenerallieutenant Savary, Herzog von Rovigo, wurde zum Nachfolger des Generals Berthezene ernannt und landete in Algier am 25. December 1831. Die Rolle, welche dieser Oberofficier unter Napoleon als Kriegs- und Polizeimann ge- spielt hat, ist allbekannt. Nach der Juliusrevolution hatte er sich wie der ganze geschmeidige Theil der Bonapartisten der neuen Dynastie angenähert. Da sich für ihn kein passender Posten in Frankreich oder bei fremden Höfen ausfindig 186 machen liess, wie für andere bonapartistische Notabilitäten, bot man ihm das Commando von Algier an. Der Herzog war damit wohl zufrieden. Titel und Reichthum ersetzen bei einem thätigen, ehrgeizigen Mann seines Schlages nie den Verlust der Gewalt. Obwohl bejahrt, und der Geschäfte durch funfzehnjährige Ruhe entwöhnt, konnte der Herzog doch nie vergessen, dass er früher in die Angelegenheiten des Staates mächtig eingewirkt und über einen ziemlich: ausgedehnten Kreis blind unterwürfiger Menschen den Befehlshaber gespielt hatte. Savary sah ein, dass das Commando in Algier die einzige für ihn geeignete Stelle sey. Er kam dorthin mit dem festen Vorsatz, sich ganz diesem Lande und seiner neuen Gestaltung zu widmen; er sah seinen Posten weder als eine Marschstufe zu einer höhern Stelle noch als eine Geldquelle an, wie sich bei mehreren seiner Nachfolger nicht ohne Grund vermuthen lässt. Es wurde ihm in dieser Beziehung durchaus nichts vorgeworfen, obwohl es in Algier Menschen genug giebt, die mit solchen Anklagen schnell bereit ‘sind, wenn sie auch nicht die mindesten Beweise dafür angeben können. Als der Herzog von Rovigo Algier verliess, war er vielleicht weniger begütert als zuvor. Er hatte für die afrikanische Niederlassung manche persönliche Opfer gebracht. So überliess er den ihm zur Sommerresidenz angebotenen Gartenpalast, welcher dem Aga Ibrahim, Hussein-Dey’s Schwiegersohn, gehört hatte, der Armee und machte daraus ein grossartiges Militairhospital, für das man keine gesundere Lage wünschen konnte. Woher kam es aber, dass bei so gutem Willen, bei so lobenswerthem Eifer und entschiedenem Talent die Verwaltung Rovigo’s durchaus nicht glücklich war, sondere vielmehr die Schwierigkeiten einer Unterwerfung. des Landes ungeheuer vermehrt hat? Pellissier giebt hierüber su 187 seinen Annales Algeriennes die ganz treftende Erklärung: „es fehlten dem Herzog Eigenschaften, die sich nicht aneignen lassen und er hatte Gewohnheiten angenommen, die man in so vorgerücktem Alter nicht mehr ablegen kann.“ Hätte es sich blos darum gehandelt, die französische Herrschaft in Algier nach dem frühern System der Türken unverändert fortzuführen, so wäre Savary der rechte Mann dazu gewesen. Die Handhabung einer tyrannischen Polizei verstand dieser General meisterlic. Aber die Beibehaltung des türkischen Systems ohne alle Modification passte nicht für die, neuen Eroberer des Landes. Wenn früher auf einem Stammgebiet Verbrechen verübt wurden, wenn Araber gegen .die Soldaten der Beys sich zur Wehre setzten, dann musste oft der ganze Stamm dafür büssen ; es fielen einige Dutzend Köpfe, darunter so manche unschuldige. Eine solche furchtbare Justiz setzte die im Bereiche der türkischen Soldaten wohnenden Stämme in Schrecken ; kein Häuptling wagte sich zu mucksen oder er musste sich mit den Seinigen in die entlegenen Wüste- neien zurückziehen, was nicht selten geschah. Einen solchen Despotismus konnte aber nur ein Herrscher üben, der mit den Arabern einerlei Glauben hatte. Die Fortsetzung eines solchen Systems durch Franzosen hätte ganz andere Folgen gehabt, weil dann der Fanatismus sich eingemischt und über den Schrecken gesiegt haben würde. Der Tod unter dem Yatagan eines mohamedanischen Scharfrichters schien dem Araber unendlich bitterer, als der Tod im Kampfe mit den „Rummis“, wo sein Blut von Hass und Schlachtbegeisterung kochte und die feindliche Kugel ihn direct ins Paradies zum Genuss jener höchsten Freuden beförderte, welche der Prophet dem Glaubensstreiter verhies. Das abscheuliche Verfahren der türkischen Justiz, Auflehnung oder Räubereien an Un- 185 schuldigen zu strafen, wenn die Schuldigen entwischten, hätte, von den Franzosen nachgeahmt, nur die schrecklichsten Re- pressalien hervorgerufen und gerechtfertigt; den Marabuts wäre ein solcher Stoff bei ihren Predigten ganz willkommen gewesen. Doch selbst wenn es möglich gewesen, durch solche Mittel, die Schreckensherrschaft der Deys fortzusetzen, so hätte dies den moralischen Zweck einer europäischen Nie- derlassung in Afrika verfehlt. Das System der Türken war sehr geschickt zur Aufrechthaltung ihres tyrannischen Drucks, saugte aber das Land aus, beförderte die Tyrannei und ver- hinderte jeden Fortschritt. Der Araber kümmerte sich wenig, den Ertrag seines Feldes zu vermehren, oder seine Viehzucht zu verbessern, da er um so grössern Erpressungen ausgesetzt war, je mehr er Vermögen besass. Hätten die Franzosen ein für das Land und die Bevölkerung so verderbliches System ohne alle Modification fortgesetzt, dann wäre gar kein Grund vorhanden gewesen, eine Aenderung der Herrschaft von Algier zu wünschen und die Türken zu verjagen; die Eingebornen hätten ihre Herren gewechselt, ohne ihres Druckes los zu seyn, der Boden wäre öde, das Volk wild und unwissend ge- blieben, wie zuvor. Wenn der Herzog von Rovigo bei seiner Verwaltung mit der seinem Charakter eigenthümlichen Strenge und Energie zugleich gewissenhafte Gerechtigkeit gepaart, die religiösen Vorurtheile und die Sitten der Eingebornen ge- schont, dagegen Missethaten schnell und streng, wiewohl nie an Unschuldigen gerächt hätte, so wären damals ganz andere Resultate erzielt worden. Es giebt nichts, was einem, wenn auch noch so fanatisch verblendeten Volke mehr imponirt und gefällt, als Gerechtigkeit. Als alter Polizeimann war der Herzog an Willkür zu lange gewöhnt, um sich von der An- wendung harter, drückender Maassregeln je durch Rücksichten 189 der Gerechtigkeit und Billigkeit abschrecken zu lassen; jedes Mittel, auch das grausamste dünkte ihm gut genug, wenn es nur dem Zweck entsprach, den er sich vorgesteckt hatte: die Herrschaft Frankreichs in dem ganzen Umfang des Deyge- bietes auszudehnen und die Stämme unbedingt zu unterwerfen. Dieses System verfehlte aber seine Wirkung ganz und gar. Die Gemüther wurden nur durch gegenseitige Gräuel verhärtet, jeder vergossene Blutstropfen schrie um Rache, an eine Aus- söhnung, an einen aufrichtigen Vergleich war bei den wild entfesselten Leidenschaften des National- und Religionshasses fernerhin nicht mehr zu denken und der Krieg zwischen Franzosen und Arabern nahm seitdem jene wilde fürchterliche Gestalt an, die er bis auf den heutigen Tag beibehalten hat. Als der Herzog von Rovigo seine Verwaltung antrat, war Casimir Perier Minister-Präsident in Frankreich. Die- ser talentvolle und scharfblickende Staatsmann war damals im Strudel der Geschäfte zu einer äusserst kritischen Epoche der- massen versunken, dass er wenig Zeit fand, sich mit der Al- gierer Angelegenheit zu befassen, und dem Herzog daher freie Hand liess. Indessen setzte er doch eine wichtige Maassregel durch, welche unter günstigeren Umständen der Colonisation des Küstenstrichs der Regentschaft grossen Vorschub geleistet haben würde. Er trennte die Civil- und Militairverwaltung und ernannte Hrn. Pichon zum Civilintendanten, welcher di- rect mit dem Ministerpräsidenten correspondirte. Der Civil- intendant war zwar dem Obergeneral der Armee untergeordnet, konnte aber doch durch seinen directen Verkehr mit dem ‚Ministerium Manches gegen den Willen des Generals durch- setzen, und die Civilbevölkerung fand immer eine Stütze an ihm, so oft sie über den Militairdespotismus zu klagen hatte. Zwischen Herrn Pichon und dem Herzog ven Rovigo kam 190 es bald zu Collisionen, was bei zwei so unbeugsamen, herrsch- süchtigen Charakteren vorauszusehen war. Pichon musste dem Herzog weichen , aber auch seine Nachfolger Genty de Bussy und Bresson waren thätige, tüchtige Männer vom besten Willen, welche die Colonisation zu heben suchten, so weit es ihr beschränkter Wirkungskreis erlaubte. Die maurische Bevölkerung Algiers wurde gegen den Herzog von Rovigo durch zwei Maassregeln besonders erbit- tert. Da die Truppen damals an Allem Noth litten, und kein Obdach hatten, als ihre leichten Zelte, in denen sie auf dem nackten Boden schliefen, so legte der Herzog den Mauren eine Contribution von 3400 Centnern Wolle auf, welche nur mit vieler Mühe und häufiger Anwendung von Zwangsmitteln einzutreiben war. Eine andere Maassregel, welche mit Recht auch den Unwillen so mancher Europäer erweckte, war die schon öfters erwähnte Zerstörung einer grossen Zahl mauri- scher Gräber, welche der schönen Landstrasse, die der Herzog nach dem Sahel anlegen liess, im Wege standen. Einige Mauren, welche sich klagend nach Paris wandten, verbannte der Herzog aus Algier. Das System, welches General Savary zur Occupation des Landes anwandte, war für die damaligen Umstände sehr pas- send. Er liess Lager und Blockhäuser, wiewohl nur in einer beschränkten Ausdehnung errichten, und sicherte ein Terrain von etwa vier Quadratmeilen um die Stadt gegen alle An- griffe der Araber. Er sah ein, dass eine weitere Ausbreitung für die kleine Zahl von europäischen Ansiedlern weder nütz- lich noch bei dem ziemlich beschränkten Effectiv seiner Armee möglich war. Im April 1832 kam eine Gesandtschaft von Farhat- ben- Said, einem mächtigen Häuptling, welcher im Süden der 191 Provinz Constantine in den an die Sahara gränzenden sandi- gen Steppen des Blad-el-Dscherid wohnte, nach Algier. | Ueber die zahlreichen wandernden Araberstämme des Dscherid und der Gränzsteppen der Wüste Sahara übte ein Häuptling die Autorität, welcher unter der Oberhoheit des Beys von Constantine stand und den Titel Scheikh-el- Arab führte. Diese Würde wechselte seit Jahrhunderten zwischen den zwei beieutendsten Familien jener Südgegenden, Ben-Said und Ben - Gana. Zur Zeit der französischen Expedition nach Al- gier war Farhat, das Oberhaupt der Familie Ben-Said, im Besitz jener Würde. Achmet-Bey, welcher diesem ehrgeizigen Manne misstraute, entsetzte ihn und ernannte Bu-Asis, das Oberhaupt der Familie Ben-Gana, mit welchem Achmet von mütterlicher Seite nahe verwandt war, zum Scheikh el Arab. Farhat räumte aber nicht so schnell das Feld. Er hatte grossen Anhang in der Sahara, brachte ein Reiterheer zusam- men und rückte damit gegen Constantine vor, wurde aber von Achmet, der in Person gegen ihn zu Felde zog, geschlagen; die Reiter der Wüste zerstreuten sich und die Autorität des neu ernannten Scheikh-el-Arab wurde von den meisten Stämmen anerkannt. Als Farhat sah, dass er mit seinen eigener Kräf- ten nichts gegen den Bey auszurichten vermochte, wandte er sich an die Franzosen und munterte den Herzog von Rovigo zu einem Zug gegen Constantine auf, welchen er mit 10,000 Reitern zu unterstützen versprach. Der Herzog, welcher die Grosssprechereien und die Unzuverlässigkeit der arabischen Häuptlinge damals noch nicht kannte, empfing die Abgesandten Farhat’s mit vielem Glanz und Ceremonien, er beantwortete dessen Anerbieten ausweichend, aber mit vielen höflichen Phrasen. Wenn man auch für den Augenblick keinen Nutzen daraus ziehen konnte, so freuete es den Herzog doch, dass 192 in jenen fernen Gegenden ein mächtiger Parteigänger Frank- reichs wohnte, dessen Beistand bei einer spätern Expedition gegen Constantine grossen Vorschub gewähren und zur Aus- dehnung der Herrschaft Frankreichs viel beitragen könnte. So dachte nicht nur der General Savary, sondern auch seine Nachfolger, welche die Macht Farhat’s viel zu hoch anschlugen und zu sehr viel auf das Wort eines Arabers bauten. Als später der Zug gegen Constantine wirklich unternommen wurde, erkannte man erst, wie sehr man sich durch die Prah- lereien und die Versprechungen jenes Häuptlings jahrelang hatte täuschen lassen. Die Gesanlten Farhat’s verliessen Algier reichlich be- schenkt. Sie hatten unter andern rothe mit Gold gestickte Ehrenbernusse erhalten, wie dies unter der Deyregierung ge- bräuchlich war. Wenige Stunden von der Stadt wurden sie von den Arabern des Stammes El-Uffia ausgeplündert und ihrer rothen Bernusse beraubt. Sie kamen zurück nach Algier und klagten bei dem Herzog. Savary gab gerade eine Abend- gesellschaft, hatte gespielt und Wein getrunken. Er beauf- tragte einen der anwesenden Generale, sogleich mit Truppen noch in der Nacht aufzubrechen und den Räuberstamm zusam- menzuhauen. Der General befolgte den Befehl auf das Wort. Er suchte die verrufensten Corps, die Fremdenlegion und die Chasseurs d’Afrique, zu diesem Ueberfall aus, um- zingelte die unweit des Waftenplatzes Maison carree liegenden Duars von El-Uffia zur Nachtzeit und metzelte die sämmt- liche Bevölkerung nieder. Die Graubärte, die ohne Wider- stand in schweigender Ergebung den Tod erwarteten, die um Erbarmen schreienden Weiber, die Säuglinge, die nicht wuss- ten wie ihnen geschah, verbluteten unter Säbelhieben und Bajonnettstichen. Die Soldaten kehrten mit ziemlicher Beute, 193 triumphirend, die Spitzen der Lanzen und Bajonnette mit blutigen Häuptern geziert, nach ihrem Lager zurück. Dort wurde geschmaust und getrunken, bis der Mond wieder auf- stieg. So weit trieben einige dieser verrufenen Soldaten die bestialische Rohheit, dass sie abgehauene Glieder der erwürgten Araber am Feuer rösteten und verzehrten. So wenigstens erzählten mir Soldaten der Fremdenlegion selbst, welche Au- genzeugen waren. Deutsche und französische Flüche schallten während des scheusslichen Gelages zum Himmel empor. Keinen schien der leiseste Gewissensbiss zu quälen. In Algier jauchzten viele unverständige Europäer über diese Gräuelthat. ,„„Gerade so — hiess es — machten es die Türken auch.‘“ Man hatte sich aber gänzlich in den Arabern verrechnet. Statt Schrecken zu verbreiten, entzündete diese That allenthalben nur Rachegluth. Drei Wochen nach der Vernichtung des Stammes EI-Uffia wurde ein Detachement der Fremdenlegion, vom Lieutenant Cham, einem Schweizer commandirt, bei Maison carree niedergehauen. Nur ein ein- ziger deutscher Soldat wurde geschont, weil er „Mohamed!“ schrie, im Augenblick, ais der Yatagan seine Kehle berührte. Die Araber schleppten ihn gefangen fort; es gelang ihm aber später, wieder zu den Franzosen zu entwischen. Der Zufall oder wohl die Nemesis wollte, dass die ermordeten Soldaten fast sämmtlich den Compagnien angehörten, welche bei der Würgscene zu El-Uffia thätig gewesen, und dass ihre Köpfe sehr nahe bei der Stelle fielen, wo sie drei Wochen zuvor das Blut von Greisen und Säuglingen verspritzt hatten. Die Araber, welche dieses Detachement niedermachten , gehörten dem Stamm der Isser an, welche östlich vom Cap Matifu wohnen. Der Herzog von Rovigo schickte eine Expedition gegen sie bei Nacht zur See ab. Die Isser waren aber auf Morıtz WaAsner’s Algier. I. 13 194 ihrer Hut und General Buchet, der die Expedition befehligte, wagte nicht zu landen. Im ganzen Lande wurde in Folge der Ermordung des Stammes El-Uffia der Glaubenskrieg ge- _ predigt. Die gefeiertsten Marabuts, namentlich der unermüd- liche Sidi-Saadi, eilten von Stamm zu Stamm und wiegelten alle guten Moslims gegen die Franzosen auf. Sogar der vom General Berthezene eingesetzte und bezahlte Aga Sidi -Muba- rek schloss sich den Insurgenten an. Eine grosse Versamm- lung der bedeutendsten Häuptlinge der Provinz Algier wurde zu Suk-Ali, einem Hausch der Metidscha gehalten. Es fan- den sich über hundert Kaids, Scheikhs und Marabuts ein; Ben-Zamun führte den Vorsitz. Nach vielen Reden und Pre- digten voll des wüthendsten Fanatismus der weltlichen und geistlichen Häuptlinge wurde ein Vertilgungskrieg gegen die eingedrungenen „.Rummis‘ beschlossen und jeder Stamm ver- sprach sein Contingent zu liefern. Auch die Städte Belida und Coleah waren mit im Bunde. Der Herzog von Rovigo war von Allem, was vorging, ziemlich gut unterrichtet, ‚stellte sich aber, als achte er nicht darauf und rüstete in aller Stille eine Colonne aus. Er wollte warten, bis die Feinde ihre Kräfte vereinigt hätten, um dann einen desto entscheidendern Schlag führen zu können. Am 2. October brachen zwei französische Colonnen zur Nachtzeit von Algier auf; die eine wandte sich nach dem Hausch Suk-Ali, die andere gegen die Stadt Coleah. Die erste Colonne stiess auf den Feind bei dem Wäldchen von Sidi-Haid. Sie wurden von dem Flinten- feuer der im Hinterhalt liegenden Kabylen empfangen, was den Vortrab in Unordnung brachte. Gleichwohl sprengten die Chasseurs muthig gegen den Feind an, gefolgt von den Zuaven des Commandanten Duvivier. Die arabische Cava- lerie, obwohl an Zahl sechsfach überlegen, ergriff die Flucht 195 und liess die Infanterie der Kabylen feige im Stich. Einige Hundert dieser Gebirgsbewohner wurden nach verzweifeltem Widerstand mit Säbelhieben und Bajonnetstichen getödtet. Der Kabylenhäuptling Ben -Zamun zog sich, ärgerlich über die Feigheit der Araber, in seine Berge zurück, schwur, sich nie mehr in ihre Angelegenheiten zu mischen und blieb meh- rere Jahre ganz ruhig in seinem Hausch des Uthans Flissa. Die zweite Colonne, welche vom General Brossard befehligt gegen Coleah marschirte, fand keinen Widerstand. Der ver- rätherische Aga war von dort entflohen. General Brossard nahm dafür seine Verwandten Sidi-Allal und Sidi-Mohamed- ben-Mubarek gefangen, obwohl gegen sie keine Schuldbeweise . vorlagen und ihr Antheil an der Insurrection jedenfalls nur indirect war. Beide Marabuts blieben lange in Haft, bis der Nachfolger Rovigo’s sie entliess. Die Städte Belida und Coleah wurden zu einer Contribution von 1,100,000 Franken verurtheilt, die aber von den im ganzen ziemlich armen Be- wohnern nicht bezahlt werden konnte. Die Verwaltung des Herzogs von Rovigo in Afrika en- digte mit einer That, welche sein Andenken noch mehr brand- markt, als der Antheil, den er an der Verurtheilung des Herzegs von Enghien genommen hatte. Zwei arabische Häuptlinge, Ben Mussa, ehemaliger Kaid des Uthans Beni- Khalil, und Messaud, Kaid des Uthans El-Sebt, wurden dem General Savary als besonders erbitterte Franzosenfeinde be- zeichnet. Der General beschloss ihren Untergang. Da diese Kaids sich wohl hüteten, nach Algier zu kommen, sann der alte Polizeiminister auf Mittel, sie in die Falle zu locken. Zu diesem Zweck befahl er den Einwohnern Belidas, welche eine Deputation an ihn schicken sollten, derselben auch die beiden Kaids beizugesellen. Diese zögerten lange und mochten 19. 196 die Falle ahnen. Sie verlangten daher das schriftliche Ver- sprechen eines sichern Geleites, welches der Herzog ihnen wirklich ausstellen liess. Der Kaid des Stammes Khaschna, ein Freund der Franzosen, begleitete sie, auf das Wort des französischen Obergenerals sicher vertrauend.. Kaum waren jene Häuptlinge in Algier angekommen, als sie den Gensdar- men übergeben und ins Gefängniss geführt wurden. Der Kaid der Khaschna, voll Unwillen über diesen Wortbruch, verlangte den Kerker dieser beiden Männer theilen zu dürfen und bot den Gensdarmen freiwillig seine Hände zum Fesseln hin. Messaud und El-Arbi-ben-Mussa wurden vor ein Kriegs- gericht gestellt, vorgeblich wegen persönlich verübter Ver- brechen zum Tode verurtheilt und vor dem T'hore Bab-a-Zun auf dem öffentlichen Marktplatz enthauptet. Der Herzog suchte diesen Treubruch, welcher viele ehrenwerthe Officiere empörte, mit der Erklärung zu entschuldigen, dass jener Ge- leitsbrief nur für politische, nicht für Privatverbrecher Sicher- heit versprochen. Der Dragoman aber, welcher denselben ge- schrieben, versichert noch heute, dass von einer solchen Un- terscheidung durchaus keine Rede gewesen. Bald nach dieser That, die Rovigo’s Andenken befleckt, reiste der Herzog nach Frankreich ab, den Keim der Krankheit in sich tragend, an welcher er wenige Monate später erlag. Durch die Verwaltung Savary’s war das System seiner Vorgänger völlig geändert worden. General Berthezene hatte auf jede directe Einwirkung auf die Araber verzichtet und wenn es zuweilen unumgänglich nothwendig wurde, mit ihren Angelegenheiten sich zu beschäftigen, so geschah dies nur unter Vermittelung des Agas Ben -Mubarek. Dieser Aga hatte sich aber, wie erwähnt, zu den Feinden der Franzosen geschlagen, an seine Stelle wurde kein anderer ernannt und 197 der Herzog von Revigo wollte wieder direct mit den Araberu verkehren. Letzteres System wäre allerdings das rathsamste gewesen, hätte man es gleich von Anfange an verfolgt. Der häufige Wechsel des Verfahrens hat in der Regel schlimmere Folgen, als ein consequent durchgeführtes, wenn auch schlech- tes System. Die Araber, ein kluges, scharfblickendes Volk, hatten den Charakter der Franzosen und ihrer Regierung bald durchschaut. Das unbeständige, wankelmüthige Benehmen der Regierung schwächte den Eindruck sehr, welchen die Ein- nahme Algiers in der ganzen Berberei hervorgebracht hatte. Während der kriegerischen Aufregung, welche in der Provinz Algier der Niedermetzelung des Stammes El - Uffia folgte, schlug man sich eben so erbittert in den Provinzen des Ostens und Westens. Ben-Aissa, der General des Beys von Constantine, hatte sich der Stadt Bona bemächtigt, aber die Kasbah blieb ihm verschlossen, und die dortige türkische Besatzung warf sich, gewonnen durch die Ueberredung des Capitains Yussuf, eines jungen italienischen Renegaten,, wel- cher, als Kind von tuneser Corsaren aufgegriffen, bei dem Bey von Tunis seine Jugend verlebt hatte, und der türki- schen und arabischen Sprache vollkommen mächtig war, den Franzosen in die Arme. Ibrahim, der, wie erwähnt worden, jener Citadelle sich verrätherisch bemächtigt hatte, wurde mit ‚seinen Anhängern zur Flucht gezwungen. Als Ben-Aissa die Kasbah in den Händen der Franzosen sah, räumte er die Stadt, plünderte sie aber zuvor, steckte einen Theil der Häuser in Brand und zwang die Bevölkerung zur Auswande- rung. Yussuf nahm mit den Türken die verlassenen Häuser und rauchenden Trümmer in Besitz. Die Araberstämme der dortigen Gegend griffen, durch Ibrahim aufgewiegelt, die Stadt öfters an, wurden aber zurückgeschlagen , und Yussuf, 198 der inzwischen sein türkisches Corps organisirt hatte, ergriff nun die Offensive, machte Ausfälle oder sogenannte Razia, wie die Araber jene Streifzüge nennen, welche mit der Plün- derung der Duars verbunden sind. Eine hinreichende fran- zösische Garnison kam nach Bona, und General Monk d’UÜzer wurde zum Commandanten derselben ernannt. Das Verfahren dieses Generals gegen die Eingeborenen war vortrefflich. Er vereinigte mit der nothwendigen Energie auch viele Freund- lichkeit und Leutseligkeit. Einige Stämme gewann er durch seine Milde, wie die Beni-ÜUrschin und die Kharesas, wel- che sich mit ihren Familien und Heerden in der Nähe von Bona lagerten; andere Stämme, wie die Merdass an den Ufern des Mafragg und die Elmas, welche in der Nähe des Sees Fezzara wohnen; schüchterte er durch Strenge ein, be- strafte ihre Feindseligkeiten durch Wegnahme ihrer Heerden und nöthigte sie endlich, um Aman (Gnade) zu: flehen, und, wenn auch nicht sich völlig zu unterwerfen, doch wenigstens sich streng neutral zu halten. Yussuf, welcher in allen Ge- fechten sich durch persönlichen Muth hervorthat, leistete mit seinen Türken die trefflichsten Dienste. In der Provinz Oran machten die Franzosen noch viel weniger Fortschritte, als in der Provinz Algier. Zwar hat- ten die marokkanischen Truppen, auf die energischen Recla- mationen Frankreichs hin, die Stadt Tlemsan geräumt, dage- gen machte der junge Abd-el-Kader immer grössere Fort- schritte. General Boyer, der eine Verstärkung an Cavalerie erhalten hatte, machte einige Streifzüge, die aber nichts fruch- teten. Bei der Annäherung der französischen Truppen bra- chen die Araber ihre Zelte ab, und flohen mit ihren Heer- den nach den Bergen. So oft die Franzosen, wenn ihnen die Lebensmittel ausgegangen waren, den Rückzug antraten, 199 - erschienen die arabischen Reiter von allen Seiten, beunruhig- ten den Marsch der Colonne, plänkelten mit der Arrieregarde und hieben die ermüdeten Nachzügler in Stücke. Nicht ein einziger Stamm unterwarf sich; ja, die Stämme, welche am nächsten bei der Stadt Oran wohnten und die Ueberfälle der Franzosen am meisten zu fürchten hatten, die Garrabas und die Beni-Ammer, waren die allerfeindseligsten. Am 3. und 4. Mai 1832 wurde Oran von einigen tausend Arabern ange- griffen, welche der junge Emir Abd-el-Kader und sein grei- ser Vater, der Marabut Sidi-Mahiddin, in Person anführten. Damals machten die Kanonen und Haubitzen den Arabern noch grossen Schrecken. Abd-el-Kader, ein vortrefilicher Reiter, galoppirte in der Nähe der Mauern auf und ab, und liess sein Pferd die Fantasia machen, während er die vorbeisausenden Kugeln mit seinen Scherzen begrüsst. Er zeigte diesen kühnen Muth, theils um sich in der Meinung seiner Landsleute noch mehr zu erheben, theils auch, um ihnen die Furcht vor den Kanonen zu nehmen. Am 9. Mai zogen die Feinde, das Nutzlose ihrer Versuche einsehend, von der Umgebung Orans ab; sie erschienen aber öfters in der Folge wieder, und zwischen der Stadt und dem Innern war jeder Verkehr unterbrochen. General Boyer wurde im November 1832 abberufen und durch den General Desmichels ersetzt. Während der Herzog von Rovigo in Frankreich seine Gesundheit wieder herzustellen suchte, war die Verwaltung der nordafrikanischen Besitzungen Frankreichs einstweilen in den Händen des Generals Avizard. Er setzte das Bureau arabe ein, welches den arabischen Angelegenheiten beson- dere Aufmerksamkeit widmen und mit den Stammhäuptlingen schriftlich und mündlich verkehren sollte; zum Chef desselben 200 wurde der junge Capitän Lamoriciere ernannt, ein ungemein talentvoller Officier, welchen ausser seiner militairischen Tüch- tigkeit der Eifer empfahl, mit welchem er die Angelegenhei- ten des Landes, die Sitten und die Sprache der Araber stu- dirte. Sein Nachfolger war Pellissier,. Capitän vom Gene- ralstabe, ebenfalls ein tüchtiger Geschäftsmann und dabei ein geistvoller Schriftsteller, über dessen Verdienst übrigens die Stimmen in Algier sehr getheilt sind. Scharfen Verstand, tüchtige Kenntnisse und besonders einen streng rechtlichen, edlen und festen Charakter geben ihm auch seine zahlreichen Gegner zu; sie behaupten aber, sein Wirken für die Colonie sey durchaus unglücklich gewesen, weil ihn eine hartnäckige Vorliebe für die Eingeborenen, besonders für die Araber, und entschiedener Hass gegen die europäischen Ansiedler beseelte, unter denen freilich ein grosser Theil aus dem Abschaum der europäischen Länder, oder aus geldgierigen Speculanten bestand. Nach dem Tode des Herzogs von Rovigo wurde der General Voirol zum Obercommandanten der afrikanischen Ar- mee ernannt. Er war ein Mann von geradem Charakter und unerschütterlicher Gerechtigkeitsliebe, dabei aber allzu mild, das schroffe Gegentheil seines Vorgängers, von dessen Ener- gie ihm ein guter Theil zu wünschen gewesen wäre. Dieser seltsame, plötzliche Wechsel der Männer und Systeme war ohne Zweifel an den geringen Fortschritten der Franzosen in Algier grossentheils mit schuld. Clauzel wollte sich allso- gleich weit ins Innere wagen, überschritt den Atlas und be- setzte Medeah. Berthezene räumte diese Stadt wieder, zog sich ganz in die Nähe von Algier zurück, wollte keinen di- recten Verkehr mit den Arabern und warf sich dagegen den maurischen Intriganten in die Arme.” Rovigo wollte das ver- 201 lorene Ansehen der französischen Waffen im Innern wieder herstellen, den Aga entsetzte er seiner Würde, als Oberge- neral wollte er direct den Stämmen gebieten, und wählte als Mittel hierzu das türkische System der Willkür und blutiger Strenge. General Voirol hätte Grosses ausrichten können, wenn er die aufgeregten Stämme durch Mässigung versöhnt, dabei aber eine rasche und strenge Justiz gegen die Uebel- thäter aufrecht gehalten hätte. Er war zu weich, liess man- che Feindseligkeiten, namentlich die Ermordung des Kaids der Beni-Khalil, Buseid-ben-Schaua’s, der unter allen Häupt- lingen der Araber fast der einzige war, welcher bis zu sei- nem Tode mit unerschütterlicher Treue an den Franzosen hing, ungerächt, und nachdem die Araber durch die grau- same Strenge des Herzogs vnn Rovigo erbittert, aber zum Theil auch eingeschüchtert worden, legten sie die Milde des neuen Generals als Schwäche aus, wurden wieder frech und erneuerten ihre Insulten. Die Verwaltung des Generals Voirol war im Ganzen ziemlich friedlich. Durch : Anlegung prächtiger Landstrassen zwischen den verschiedenen Lagern und Dörfern erwarb sich dieser Officier grosses Verdienst, eben so durch die Organi- sation des Fhas oder Weichbildes der Stadt. Er errichtete ein Gensdarmeriecorps, aus Eingeborenen bestehend, zum Schutze der nächsten Umgebung. Schon unter seinem Vor- gänger waren zwei europäische Colonistendörfer gegründet worden, Kuba und Deli-Ibrahim. Die Einwohner beider Örtschalten waren grösstentheils: blutarme Deutsche, welche ursprünglich nach Amerika zu gehen beabsichtigten, dann aber nicht Geld genug für die Ueberfahrt hatten. Die fran- zösische Regierung gab diesen Unglücklichen Boden, Mate- rialien zum Häuserbau, Vieh, Ackergeräthe und selbst Le- 202 bensmittel, wie den Soldaten, bis sie im Stande seyn wür- den, sich selbst zu ernähren. Sie rettete diese Menschen vom Hungertode, fand aber wenig Dankbare unter ihnen. Ein Theil dieser Ansiedler verkaufte Vieh und Ackergeräthe, legte die Hände in den Schooss und vertrank das erlöste Geld. Kuba, in einer schönen aber ungesunden Gegend. gelegen, wurde von Seuchen heimgesucht; die Hälfte der Bevölkerung starb, die übrigen Einwohner verliessen Kuba wieder, und zwei Jahre nach seiner Gründung war dieser Ort völlig men- schenleer , und seine Häuschen fielen in Ruinen. Eine sehr preiswürdige Verwaltungsmaassregel des Generals Voirol war auch der Beginn von Canalbauten zur Austrocknung der Ebene Metidscha. Er verwendete zu diesem gewaltigen und streng nothwendigen Unternehmen die Militairsträflinge, arabische und berberische Tagelöhner und einen Theil des Heeres. Leider wurden diese Arbeiten von den Nachfolgern Voirol’s theils gar nicht fortgesetzt, theils sehr lässig betrieben. Auch in den Umgebungen Bonas wurden Arbeiten zum Austrocknen der Moräste, welche fast dicht an die Stadtmauern stiessen, unter Voiro’’s Verwaltung begonnen. Die Besetzung des Seehafens Budschia war schon unter dem Herzog von Rovigo beschlossen worden. Anlass hierzu gab eine Reclamation der Regierung Englands. Ein briti- sches Fahrzeug war nämlich auf der Rhede von Budschia von den Eingeborenen insultirt worden. Das englische Cabi- net erklärte der französischen Regierung, dass, wenn sie der- gleichen Vorfälle an einer Küste, die sie als ihr Besitzthum betrachte, nicht zu verhindern vermöge, England selbst Maassregeln treffen werde, dergleichen Insulten zu rächen. Die Regierung Frankreichs glaubte in dieser Erklärung eine Drohung zu sehen, dass England selbst sich Bu- 203 dschias bemächtigen wolle, und beeilte sich, ihm zuvorzu- kommen. Am 22. September 1833 verliess eine kleine Escadre mit zwei Bataillons des 59sten Linienregiments an Bord die Rhede von Toulon. Die Truppen unter dem Commando des Generals Trezel landeten am 29., nachdem das Feuer der Forts und der Kasbah durch die Kanonen der französischen Kriegsschiffe zum Schweigen gebracht worden. General Tre- zel hatte sich auffallend getäuscht, als er bei der Abfahrt von Toulos zu den Officieren des Expeditionscorps sagte: „Unsere Soldaten sind zu keiner sehr kriegerischen Unter- nehmung berufen, sondern werden mehr Hacke und Schau- fel, als Flinte und Säbel in Budschia zu schwingen haben. Der Empfang, den die Expedition von Seiten der Kabylen fand, gab diesen friedlichen Hoffnungen eine grausame Wi- derlegung. Nirgends wehrten sich die Eingeborenen tapferer und hartnäckiger als in und bei Budschia. Erst nach viertä- gigem scharfem Gefecht wurden die Franzosen Meister der Stadt, welche durch das Kanonenfeuer grösstentheils zerstört worden war. Die sämmtliche Bevölkerung wanderte aus und mischte sich unter die Kabylenstämme der Gebirge. Die Franzosen besetzten einen verlassenen Schutthaufen, auf wel- ‚chem nur Blut und Leichen zurückgeblieben waren; ihre Hab- seligkeiten hatten die Bewohner gerettet. Zum Commandan- ten von Budschia wurde der Bataillonschef Duvivier ernannt, der dort in den zahlreichen Kämpfen gegen die Kabylen dürre Lorbeern erntete, ohne irgend ein Resultat zu erreichen. Die Kabylen der Umgegend von Budschia gehören zu den streit- barsten und unbändigsten Stämmen der Berberei. Religiöser Fanatismus und wilde Freiheitsliebe beherrschen sie in so hohem Grade, dass sie, trotz aller materiellen Vortheile und 204 Versprechungen, sich doch nie bewegen liessen, mit den Fran- zosen irgend einen friedlichen Verkehr anzuknüpfen. In der Provinz Algier hatte der General Voirol einige Stämme als Verbündete gewennen, die Khaschna im Osten der Ebene Metidscha, die Beni-Mussa, deren Duars im frucht- barsten Theile der‘ grossen Ebene liegen, und einen Theil der Beni-Khalil im Centrum der Metidscha. Die Gesinnungen dieser Araberstimme waren nicht eigentlich freundschaftlich für die Franzosen; da ihre Wohnsitze aber ziemlich nahe bei der Stadt Algier und demnach im Bereiche der französischen Colonnen lagen, waren sie klug genug, mit den Eroberern Algiers sich friedlich abzufinden, um nicht auch das Schick- sal des Stammes EI-Uffia zu haben. Ein einziger Stamm trat ganz in die Dienste der Franzosen; es waren die Ari- ben, früher ein mächtiges und zahlreiches Geschlecht, welches aus der Sahara stammte, von dort nach der Hochebene Hamsa wanderte und nach mancherlei widerwärtigen Schicksalen sich nach verschiedenen Gegenden zerstreute. Ein Theil der Ari- ben zog sich nach der Metidscha und lebte dort, da er kein Eigenthum besass, von Diebstahl. General Voirol wies die- sen Arabern Wohnsitze östlich von Algier bei dem Hausch Rassota an, bildete aus ihnen ein Corps von irregulairen Spa- his und ernannte zu ihrem Kaid Ben-Zecri, einen geflüchte- teten Häuptling der Provinz Constantine. Ein einziger Stamm störte den Frieden der Umgegend von Algier. Es waren die Hadschuten, welche wnaufhörliche Einfälle in den. Uthan der Beni-Khalil und den Sahel machten. Die Hadschuten sind Araber, bewohnen zwischen der Chiffa und Scherschel ein fruchtbares, von Sümpfen auf der Ost- und Nordseite geschütz- tes Gebiet, besitzen vortreffliche Pferde und gelten für die besten Reiter des Landes. Die Mehrzahl der Hadschuten 20: gehörte unter den Türken zu dem Makhısen des Aga; immer war dieser Stamm seines kriegslustigen und abenteuerlichen Sinnes wegen berühmt. Bei der Einnahme Algiers zählten die Hadschuten nicht über vierhundert Reiter. Seitdem wuchs die Zahl dieses Stammes mit jedem Jahre, da die Verbrecher aller übrigen Stämme, so wie alle kriegs- und raublustigen Indi- viduen sich zu ihm flüchteten, um an dem Räuberkriege Theil zu nehmen, welchen die Hadschuten gegen die Franzosen und ° ihre arabischen Verbündeten organisirt hatten. Es verging fast kein Tag, an dem nicht kecke Ueberfälle ausgeführt, iso- lirte Wohnungen geplündert und Heerden geraubt wurden. Dieser Zustand wurde am Ende unerträglich, und die energi- schen Vorstellungen des Stammes Beni-Khalil, welcher als Nachbar am meisten durch die Einfälle der Hadschuten zu lei- den hatte, weckten den General Voirol endlich aus seinem Phlegma. Zwei Expeditionen wurden gegen die Hadschuten unternommen; die erste missglückte, die zweite, vom General Bro commandirt, hatte ein vollkommenes Resultat. Die Beni- Khalil und Beni-Mussa, welche der französischen Colonne sich anschlossen, nahmen den Hadschuten die gestohlenen Heerden wieder ab und noch mehr Vieh dazu. Darauf un- terwarfen sich die Hadschuten, welche zu jener Zeit noch lange nicht so keck und mächtig waren, wie heutiges Tages, und die Wiederholung eines Besuchs der französischen Colon- nen fürchteten. Kuider- ben-Rebeha, der Kaid der Hadschu- ten, erschien persönlich in Algier und wurde vom General Voirol zur Tafel gezogen. Die imposante Gestalt dieses Ha- dschutenhäuptlings war damals Gegenstand der allgemeinen Neugierde. Während in der Provinz Algier Friede herrschte, und in der Provinz Constantine die Feindseligkeiten ziemlich un- 206 bedeutend waren, wüthete in den westlichen Landestheilen der Krieg. General Desmichels galt für einen rastlos thäti- gen Officier, tapfer im Felde, gewandt in diplomatischen Kniffen, dabei voll Ehrgeiz und von einer Unabhängigkeit des Charakters, die ihn zu untergeordnetem Commando ganz unpassend machte. Im Lande noch neu, die Kriegsweise und die Sinnesart der Araber nicht aus eigener Erfahrung ken- nend, wollte Desmichels erst versuchen, was mit Waffenge- walt gegen diese Wilden auszurichten sey. Er machte Streif- züge gegen die Garrabas und Zmelas,, überfiel einige Duars, und nahm Heerden weg. Die Gefangenen liess er dann wie- der frei, um zu sehen, welche Wirkung ein mit Strenge und Milde weise gepaartes Benehmen habe. Eine solche Politik war aber damals bereits zu spät; Abd-el-Kader’s Macht und Einfluss hatte sich zu weit schon ausgedehnt, und kein Stamm konnte mehr für sich allein mit den Franzosen einen Ver- gleich abschliessen. Die Zmelas, welche ihre gefangeneu Weiber wieder haben wollten, versuchten einmal einen sol- chen Vergleich, und stellten dem General Desmichels sogar Geiseln ihrer Treue. Aber Abd-el-Kader überfiel mit sei- nen Reitern die Zmelas, zwang sie, jeden Verkehr mit den Franzosen abzubrechen, und trotz ihres verpfändeten Worts und ihrer gestellten Geiseln an dem Kriege gegen die Chri- sten wieder T'heil zu nehmen. Eine Unterwerfung der Stämme dieser Provinzen, oder auch nur ein Friede mit ihnen, war nicht mehr möglich, ohne Abd-el-Kader durch Waffengewalt vernichtet oder durch Vergleich für die französische Sache gewonnen zu haben. Sein Einfluss erstreckte sich über alle Stämme, die zwischen Mascara und dem Meere wohnten. Er bemächtigte sich auch der Stadt Tlemsan, und die dort wohnenden Türken und Kuruglis, obwohl sie ihm den Ein- 207 tritt in den Meschuar (Citadelle) nicht gestatteten, enthiel- ten sich doch jeder Feindseligkeit gegen ihn. Bald nach der Einnahme Tlemsans starb Abd-el-Kader’s Vater, Sidi-Ma- hiddin, der gefeierte Marabut der Haschem, ohne dass da- durch die Macht des jungen Emirs und die Verehrung, die ihm und seiner Familie alle Stämme zollten, im Mindesten abnahm. Am 3. Juli 1833 besetzte General Desmichels den Hafen und die Forts von Arzew. Die Stadt selbst, welche durch Vermittelung ihres Kadis Bethuna mit den Franzosen freund- schaftliche Verbindungen unterhalten hatte, wurde durch Abd- el-Kader’s Truppen wenige Tage zuvor erstürmt, die Häuser zerstört und die Bevölkerung zur Auswanderung gezwungen. Arzew ist seitdem völlig von der Liste der Städte des Lan- des verschwunden, und seine Bewohner, wieder ganz zu Wil- den geworden , leben unter die Araberstümme der Ebene des Sig vermengt. Bald darau fnahmen die französischen Trup- pen auch Besitz von der Stadt Mostaganem, welche der tür- kische Kaid Ibrahim ohne Widerstand übergab. General Desmichels stellte es den Einwohnern völlig frei, ob sie un- ter französischem Schutze bleiben :oder mit ihrer beweglichen Habe auswandern wollten. Die grosse Mehrzahl, über tau- send Familien, wählte letztern Schritt, und zog sich, ihre bequemen Häuser, ihre prächtigen Gärten und Landsitze im Stiche lassend, ins Innere zurück. Der dumpfe Fanatismus dieser Mauren vermochte sie zwar nicht zu einem energischen Widerstande gegen die Franzosen mit den Waffen in der Hand, war aber doch so mächtig, dass sie lieber Bedrückun- gen dulden, lieber ihre weichliche und ruhige Lebensweise mit den rauhen Gewohnheiten und Sitten der barbarischen Beduinen vertauschen, und den Bedrückungen der arabischen 208 Häuptlinge, welche die ,„‚Hadars‘‘ (Stadtbewohner) von gan- zem Herzen verachten, sich aussetzen, als in der Nachbar- schaft der Christen bleiben wollten. Am 3. December 1833 wurde zwischen Abd -el-Kader und dem General Desmichels, welche in Person ihre Trup- pen ins Feuer führten, ein hartnäckiges und ziemlich blutiges Gefecht in der Ebene Tlelat geliefert, wohin der Emir den französischen General förmlich herausgefordert hatte. Der Kampf blieb aber, wie früher, ohne entscheidendes Resultat. Die Feldartillerie der Franzosen richtete furchtbare Verhee- rungen unter den zahlreichen Reiterschwärmen der Araber an, dennoch musste sich die französische Colonne, als sie sich müde gekämpft und keine Lebensmittel mehr hatte, zum Rück- zug bequemen, und wurde von den Feinden, die auf ihren flinken Rossen wie Raubvögel sie umkreisten, jeden müden Nachzügler in Stücke hieben und immer die schwächsten Sei- ten der Marschcolonne zum Angriff auszuwählen wussten, bis unter die Mauern von Oran begleitet. Als der General Desmichels sah, dass in einem solchen Lande, wo seine Truppen nirgends Nahrung, nirgends Ob- dach fanden, und gegen ein solches Volk, das die furchtbar- sten Strapazen mit Leichtigkeit ertrug und gegen die Fran- zosen die verderblichste Kriegsweise anzuwenden wusste, mit Waffengewalt nichts auszurichten war, dass selbst ein sieg- reiches Gefecht nicht das mindeste Resultat lieferte, entschloss er sich zu Unterhandlungen. Nach langem Hin- und Her- schreiben kam zwischen ihm und Abd-el-Kader ein Vertrag zu Stande, welchen Desmichels keck genug war, ohne den Auftrag, ohne die Gutheissung seiner Chefs, des Generals Voirol und des Kriegsministers, abzuschliessen. Der Tractat enthielt zwei Theile; im ersten wurde den Arabern zuge- 209 standen, Waffen und Kriegsmunition in den französischen Häfen einkaufen zu dürfen. Dem Emir wurde das Monopol der Getreideausfuhr bewilligt, und die Auslieferung der ara- bischen Deserteurs ihm versprochen. Im zweiten Abschnitt des Vertrags verpflichtete sich der Emir, die Feindseligkei- ten einzustellen, die französischen Gefangenen und Deserteurs herauszugeben, endlich den Europäern zu gestatten, im In- nern unter Abd-el-Kader’s Schutz und mit dessen Ferman versehen zu reisen. General Desmichels fand für gut, von diesem für den Emir äüsserst günstigen Vertrage seiner Re- gierung nur den zweiten Abschnitt vorzulegen, die Clauseln des ersten Theiles aber geheim zu halten. Erst unter dem Nachfolger des Generals Voirol wurde die Wahrheit bekannt, und Desmichels sogleich abberufen. Die Mehrzahl der in die Algierer Angelegenheiten eingeweihten Männer will die- ses seltsame Benehmen des Generals Desmichels nur dadurch erklären, dass Abd-el- Kader ihm einen Antheil an dem Ge- winn, den das Handelsmonopol ihm brachte, insgeheim zuge- sichert habe. Gegen das Ende des Jahres 1834 erhielt die Verwaltung der Regentschaft Algier eine neue Organisation. Das Com- mando der Armee und die oberste Administration des Lan- des, das durch eine Ordonnanz vom 22. Juli 1534 als ‚‚fran- zösische Besitzungen im Norden von Afrika“ bezeichnet wurde, erhielt einen Generalgouverneur, zu welchem Posten der Generallieutenant Graf Drouet d’Erlon berufen wurde. Zum Civilintendanten ernannte man den Präfecten Lepasquier, des- sen Wirken von kurzer Dauer war. Die Wahl des Grafen d’Erlon, der davon selbst nichts geahnt hatte, war durchaus keine glückliche. Wie die meisten Veteranen der Kaiserzeit hatten Alter und Nachwehen der Strapazen des Feldlebens Morıtz Wasner’s Algier. II. 14 210 seine Erergie und geistigen Fähigkeiten abgestumpft, und es wurde ihm schwer, sich in die Angelegenheiten eines Landes zurecht zu finden, dessen Zustände so verwickelt, so kitzlich sind, als irgendwo, und die zu bemeistern wohl nur einem jungen, thatkräftigen Genie vorbehalten seyn wird. Von all den meist abgenützten Männern, welche seit 1530 die Ange- legenheiten Algiers leiteten, war General Voirol der glück- lichste Verwalter. An dem ungeheuren Missgriff des Frie- densvertrags mit Abd-el-Kader trug er keine Schuld, son- dern protestirte in Paris dagegen bis zum letzten Augenblicke. In der Provinz Algier wusste er Friede und Ruhe herzustel- len. Zu keiner andern Zeit, weder vor noch nach der Ver- waltung Voirol’s wurden weniger Verbrechen verübt. Mit etwas mehr Energie wäre es ihm wohl gelungen, in den Städten des Innern, namentlich in Medeah und Miliana, ein- heimische, mit den Franzosen verbündete Häuptlinge einzu- setzen, und dadurch eine Rivalmacht gegen den ehrgeizigen jungen Emir von Mascara zu gründen. Dass General Voirol dies unterlassen, war ein grosser Fehler, der, gleich dem Tractat des Generals Desmichels, die unseligsten Folgen hatte. Dagegen war in Bezug auf die Organisation der von den Franzosen oceupirten Landestheile das Wirken des Gene- rals Voirol äusserst wohlthätig und verdienstlich, und keiner seiner Vorgänger oder Nachfolger leistete hierin so viel, wie er. Dies fand auch die vollste Anerkennung von Seiten der europäischen Ansiedler in Algier. Daher begleiteten auch das Bedauern und die Wünsche der ganzen Bevölkerung, der Mohamedaner, wie der Christen, das Schiff, das jenen edlen Mann nach der Küste Frankreichs trug. \ 211 V. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. Die Verwaltungsmaassregeln des Grafen Drouet d’Erlon. — Krieg ge- gen die Hadschuten. — Abd-el-Kader. — Rasche Zunahme sei ner Macht. — Sein Sieg über Mustapha-ben-Ismael und die übri- gen ihm feindseligen Häuptlinge. — Treffen zwischen Abd-el-Ka- der und Mussa-el-Darkui. — Einfall des Emirs in die Provinz Titeri. — Wiederausbruch des Krieges. — Uebergang der Duairs und Zmelas zu den Franzosen. — Niederlage der französischen Truppen unter Trezel an der Makta. — Abberufung des Grafen Drouet d’Erlon, — Ankunft des Marschalls Clauzel in Algier. — Expedition gegen Mascara und Einnahme dieser Stadt. — Expe= dition gegen Tlemsan und Besetzung des Meschuar. — Gefechte an der Tafna gegen Abd-el-Kader und die Kabylen. — Rückkehr des Marschalls Clauzel. — Kriegerische Operationen in den Pro- vinzen Algier und Titeri. — Schlappe der Franzosen an der Taf- na, — Sieg des Generals Bugeaud an der Sikak. — Ereignisse in Budschia. — Erste Expedition der Franzosen gegen Constan- tine unter dem Commando des Marschalls Clauze. — Fehlschla- gen derselben und trauriger Rückzug der französischen Armee. — Abberufung des Marschalls Clauzel. I den ersten Monaten der Verwaltung des Grafen Drouet d’ Erlon herrschte in den Umgebungen sämmtlicher von den französischen Truppen besetzten Städte die tiefste Ruhe, und mit Ausnahme der Stämme von Budschia standen die Einge- borenen überall mit den Franzosen in Handelsverkehr, besuch- 14 * 212 ten die Märkte und gefielen sich dort gar sehr wohl, da sie schweres Geld von da in ihre Wildnisse zurückbrachten. Dies dauerte aber nur wenige Monate. Es gab auf beiden Seiten Leute, die das Friedens satt zu werden anfıngen. Bei den Franzosen waren es besonders die ehrgeizigen Officiere, wel- chen es nach kriegerischen Thaten, Avancement und Ehren- kreuzen lüstete und denen die persönlichen Interessen und der Ruhm der französischen Waffen mehr galten, als die Aus- breitung der Colonisation und die Blüthe der neuen Nieder- lassungen. Eine der ersten Maassregeln des Gouverneurs war, Truppen nach Buffarik zu schicken, wo der bedeutendste arabische Markt der Metidscha gehalten wurde, und dort ein festes Lager zu gründen, welches ihm zu Ehren Camp d’Erlon genannt wurde. Die Lage von Buffarik im Centrum der Metidscha ist äusserst wichtig. Camp d’Erlon wurde bald der bedeutendste französische Waffenplatz der Algierer Umgegend. Es erhoben sich dort inmitten der grossen Ebene in kurzer Zeit eine ziemliche Zahl Häuser, und der Anblick dieser zer- ‚streut liegenden stattlicheun Wein- und Kaffeeschenken zeigt in der Umgebung einer völligen Wildniss ein seltsames Bild. Obristlieutenant Marey, ein sehr reicher Officier, der in Paris viele hohe Gönner hatte, wurde zum Aga der Araber ernannt und das Bureau arabe aufgelöst. Der neue Aga über- nahm den Öberbefehl über das Corps der Spahis und sollte über die Araberstämme der Metidscha eine ziemlich ausge- dehnte Autorität üben. Marey galt für einen etwas phan- tastischen Mann. Er hatte an den Sitten und Gebränchen des Landes einigen Geschmack gewonnen, liess sich den Bart lang wachsen, das Haupthaar rasiren und trug den Tur- ban und reiche prächtige Kleider im maurischen Schnitt. Mit diesen äusserlichen Nachäffungen der Sitten der Einge- 213 borenen gewann er diese aber keinesweges; vielmehr erlaubten sich die Hadschuten manchen Spott über seine etwas groteske Person und wollten sich auch seine Einmischungen- in die innern Angelegenheiten ihres Stammes nicht gefallen lassen. Ein Diebstahl an- Vieh wurde im Sahel verübt und den Ha- dschuten auf den Hals geschoben. Man ergriff den willkom- menen Vorwand, wieder einige Kugeln mit den Beduinen zu wechseln, und eine Colonne brach unter der Anführung des Generals Rapatel auf, um die Hadschuten zu züchtigen. Diese waren aber auf ihrer Hut und zogen sich mit ihren Weibern, Zelten und Heerden in das Dickicht des Waldes Khorasa zurück. General Rapatel fand nur einige leere Hütten zu verbrennen. Von dieser Zeit an setzten die Hadschuten ihre Raubzüge bis zum Frieden an der Tafna immer kecker fort und alle Züge, die man gegen sie unternahm, blieben fruchtlos. Im Innern des Landes griff die Macht des Emirs Abd- ‚ el-Kader, seitdem derselbe mit den Franzosen Friede gemacht ‚und nun seine ganze Kraft gegen seine Rivalen verwenden konnte, auf eine für Frankreich höchst beunruhigende Weise um sich. Er zwang nach und nach alle am linken Ufer des Schelif und in der Ebene Ceirat wohnenden Stämme, seine Oberherrschaft anzuerkennen und ihm den Aschur (Tribut an Naturalien) zu bezahlen. Die Beni-Ammer, einer der zahl- reichsten Stämme der Provinz, verweigerten ihm diese Ab- gabe. Abd-el-Kader benutzte, ehe er Gewalt gegen sie an- wenden wollte, die Anwesenheit einiger Scheikhs dieses Stammes und hielt von der Kanzel der grossen Moschee in Mascara herab eine so hinreissende, fromme, feurige Predigt, dass diese Häuptlinge völlig für ihn gewonnen wurden und mit ihnen der ganze Stamm der Beni-Ammer. Der mächtigste Gegner des Emirs war Mustapha-ben-Ismael, ein kräfüger 214 Greis, welcher unter dem Bey von Oran Aga der Provinz gewesen und seinen Einfluss als arabischer Häuptling auch nach der Verjagung der Türken nicht verlor. Die wach- sende Eifersucht zwischen dem alten Krieger und dem jungen Marahut kam endlich zu einem gewaltsamen Ausbruch. Mu- stapha überfiel das Lager Abd-el-Kader’s, schlug und zer- streute seine Truppen und hätte seinen Gegner beinahe ge- tödtet; dem Emir wurden zwei Pferde unter dem Leibe er- schossen und er verdankte seine Retiung nur dem raschen Beistand seines Vetters, eines riesenstarken Mannes, der ihn verwundet aus dem Kampfe riss und auf sein eigenes Pferd setzte. Der Triumph Mustapha’s, der seinerseits vergeblich mit den Franzosen in Unterhandlung zu treten suchte, währte aber nicht lange. In einem zweiten Gefecht wurde er sammt seinen Anhängern aufs Haupt geschlagen und musste die Gnade seines jungen Siegers anrufen, die ihm grossmüthig gewährt wurde. Nach Mustapha’s Niederlage wandte sich Abd-el-Kader, dem die Flinten, welche er durch den General Desmichels erhalten hatte, sehr gut zu Statten kamen, gegen die Angad und nabm ihren Häuptling EI-Gomary gefangen. Endlich kam noch ein mächtiger Scheikh der Sahara, Mussa- el-Darkui, mit einem Reiterheer angezogen und verkündete, dass Allah ihn aus seinen sandigen Regionen berufen, die eingedrungenen Ungläubigen in’s Meer zu werfen und all ihre Freunde und Bundesgenossen, namentlich den Sohn des Mahiddin, mit Feuer und Schwert auszurotten. Dieser fana- tische Wüstenhäuptling hatte grossen Zulauf. Allenthalben schlossen sich die raubgierigen Abenteurer oder die Fanatiker der Stämme, deren Gebiet er durchzog, seinem Heere an. Abd-el-Kader rückte, auf die Nachricht von dem Anmarsche Mussa’s, gegen den Schelif vor, brachte dort den mächtigen 215 Stamm der Flita, welche, mit des Emirs leiblichem Bruder an der Spitze, gegen seine Herrschaft sich aufgelehnt hatten, zur Unterwerfung und machte an dem linken Ufer jenes Stromes Halt, der Drohungen des französischen Gouverneurs eingedenk, der dem Emir den Schelif als Gränze seines Gebiets ange- wiesen und ihn bedeutet hatte, dass er eine Ueberschreitung desselben als eine Kriegserklärung gegen Frankreich betrach- ten würde. Der ehrgeizige junge Fürst schien zu zaudern, und über die Folgen nachzudenken, welche ein Bruch mit den Franzosen für seine damals noch schwankende und viel- fach angefochtene Herrschaft haben könnte. Als Abd-el-Kader aber hörte, dass Mussa-el-Darkur in Medeah triumphirend eingezogen sey, da überwand die ihm nahe drohende Gefahr alle weiteren Bedenklichkeiten. Er setzte über den Schelif und bemächtigte sich der Stadt Miliana, wo ihn das Volk mit freudiger Begeisterung empfing. Der ehemalige Aga der Franzosen, El-Hadschin-Mahiddin-ben-Mubarek, und Mohamed- el-Barkani, ehemaliger Kaid von Scherschel, zwei sehr bedeu- tende Männer, traten in die Dienste des Emirs. Von Miliana rückte Abd-el-Kader weiter in der Provinz Titeri vor, dem Heere Mussa’s entgegen, welcher von Medeah aufgebrochen war. Bei Hausch-Amura im Uthan von Summata stiessen beide Gegner aufeinander. Die Schlacht schwankte lange unentschieden. Die zerlumpten Beduinen der Sahara und die Reiterei des Emirs umkreisten sich lange, wie Aasvögel schreiend und die Klauen sich weisend, ehe es zum ernsten Kampfe kam. Abd-el-Kader hatte mehr Infanterie als sein Gegner und führte einige Kanonen, welche die Niederlage Mussa’s entschieden. Die sonneverbrannten Reiter des letz- teren, welche nie die Wirkungen der Artillerie gesehen, stäubten bei deren Donner entsetzt auseinander und wollten 216 nicht mehr Stand halten. Der Häuptling der Wüste floh, verfolgt und gehetzt von den Abd-el-Kader’schen Reitern, mit wenigen Getreuen nach seiner sandigen Heimath zurück und kehrte seitdem nicht wieder. Sein Gepäcke und seine Frauen fielen in die Hände des Siegers. Abd-el-Kader behan- delte die Frauen mit Anstand und schickte sie grossmüthig seinem besiegten Gegner zurück. Der Empfang des Emirs in Medeah war eben so enthusiastisch, wie zu Miliana. Ueberall entrichtete man ihm freudig den Tribut, weil man hoffte, dass er Friede und Ordnung herstellen werde. Moha- med-el-Barkani wurde zum Bey von Miliana ernannt. Nach der Besiegung Mussa’s erhob sich kein Gegner mehr gegen den Marabut der Haschem. Alle. Städte und. Stämme der Provinzen Oran und Titeri, deren Gebiet er berührt hatte, gaben ihm den Titel Sultan; die entfernteren Stämme schickten Gesandte an ihn mit Geschenken. Er hatte seitdem leichtes Spiel; denn die gefährlichste Prüfung für. ihn war jene Zeit, wo der religiöse Fanatismus der Araber, auf welchen seine Macht von Anfang an gegründet war, sich gegen ihn zu kehren drohte, wo seine Rivalen ihn als einen Freund der Ungläubigen verschrieen und im Namen des Propheten und des Korans die Fanatiker zum Abfall und zu seiner Vertilgung aufforderten. Damals bewährte sich die Geistesgrösse Abd-el- Kader’s. Ein weniger entschlossener Häuptling hätte sich beeilt, den Frieden mit den Franzosen zu brechen und aufs Neue den Dschad zu predigen, um den Fanatismus wieder für sich zu gewinnen und den Sturm zu beschwören, der einen weniger energischen, weniger schlauen Fürsten unfehl- bar ins Verderben gerissen hätte. Aber Abd-el-Kader besass in hohem Grade jenes starke Selbstvertrauen, das immer eine Beigabe des Genies is. Das Geschrei blinder Fanatiker 217 brachte ihn nicht aus der Fassung, er bot dieser gefährlich- sten aller Krisen, die er von der Erhebung seiner Macht an erfahren, muthvoll die Stirne und überwand alle Gefahren nach einander mit einem Glück, das bei einem so religiösen und für jede Grösse so empfänglichen Volke, den mächtigsten Eindruck nicht verfehlen konnte. Die Araber sahen in den Erfolgen des Emirs den Finger Gottes und gedachten der Prophezeihung des Derwisches von Mekka. Wohl mochte er aber auch damals den einflussreichsten Marabuts und Scheikhs insgeheim erzählen, dass sein Friede mit den Chri- sten nur falsches Spiel sey und dass er, wenn alle Stämme sich angeschlossen, seine Waffen gegen die eingedrungenen Fremdlinge kehren werde, dass er von Allah berufen sey, den Islam in Afrika zu retten, und ein grosses arabisches Reich wiederherzustellen. Wie er im Innern muthige Entschlossen- heit zeigte, so fein und gewandt benahm er sich gegen die Franzosen. Abd-el-Kader bediente sich bei seinem Verkehr mit dem Grafen Drouet d’Erlon des Juden Ben-Durand, eines ungemein pfiffigen Unterhändlers, welcher das Französische mit Leichtigkeit sprach und die Art, die Franzosen zu belıan- deln, meisterlich verstand. Dieser Intrigant wusste sich in das Vertrauen des alten Gouverneurs dergestalt einzuschleichen, dass dieser ihn sogar an seine Tafel zog und im Wagen an seiner Seite sitzen liess. Ben-Durand suchte den General d’Erlon zu überreden, Abd-el-Kader arbeite im Innern nur, die directe Herrschaft Frankreichs über die Stämme vorzube- reiten, die Angelegenheiten der Araber auf europäischem Fusse zu ordnen und der Civilisation den Weg zu bahnen. Der altersschwache Gouverneur liess sich bereden, und weit entfernt, seine Drohungen gegen Abd-el-Kader zu erfüllen, liess er ihn vielmehr durch einen Officier des Generalstabs 218 zu seinen Erfolgen beglückwünschen und schickte ihm sogar Geschenke, welche der Emir annahm wie einen Tribut. Mit den Gewehren, welche man dem Emir schickte, schuf dieser eine kleine, gut bewaffnete Armee, deren Kern einige tausend Infanteristen bildeten, die nach dem französischen Exercitium durch Renegaten eingeübt wurden. Während der schwache Drouet d’Erlon die Gefahren übersah, welche die Vereinigung der Stämme unter Einem Scepter für die Herrschaft Frankreichs hatte, sah man in Oran einen energischen General nur bemüht, die mächtigeren Häuptlinge von der Sache des Emirs loszureissen. T'rezel, welcher Desmichels im Commando ersetzte, trat mit einem einflussreichen Scheikh der Duairs in Verkehr und beredete diesen Stamm und die Zmelas, welche zunächst bei Oran wohnten, den Emir zu verlassen. Abd-el-Kader, von diesen Vorgängen unterrichtet, schickte einen seiner Agas mit Trup- pen ab, um die Duairs und Zmelas zu nöthigen, ihre Zelte abzubrechen und in’s Innere sich zurückzuziehen. Jene Stämme sandten nun in aller Eile Abgeordnete an den französischen General und baten um seinen Schutz gegen die Verfolgungen Abd-el-Kader’s. Trezel, ein entschlossener Mann, brach am 16. Juni mit allen seinen verfügbaren Truppen von Oran auf, und rückte zwei Stunden in südlicher Richtung vor, um das Gebiet der beiden Stämme zu decken. Der Aga des Emirs zog sich bei Annäherung der Franzosen zurück und General Trezel rückte nun bis in die Ebene Tlelat vor. Zwischen den Duairs und Zmelas und dem General wurde ein förm- licher Vertrag geschlossen, demzufolge diese Stämme ganz in den Dienst Frankreichs übertraten. Trezel schrieb an Abd- el- Kader einen drohenden Brief, worin er forderte, dass der Emir auf das von ihm angesprochene Recht der Souverainetät 219 über die Duairs und Zmelas verzicht. Der arabische Häupt- ling antwortete, seine Religion verbiete ihm, Muselmänner unter französischer Herrschaft zu lassen, und er werde die rebellischen Stämme bis unter die Mauern Orans verfolgen. Zugleich verlangte er, dass man ihm seinen Ukil in Oran gegen den französischen Consul in Mascara zurückschicke. Dies kam einer Kriegserklärung gleich. Der hitzige Trezel, der nur für wenige Tage Lebensmittel hatte, rückte nach den Ufern des Sig vor, wo Abd-el-Kader mit seinen Trup- pen lagerte, und an alle Gläubigen zum bevorstehenden Kampf gegen die Christen Aufrufe ergehen liess. Im Wald von Muley -Ismael, einem niedern Gehölze, auf halbem Wege zwischen Oran und Mascara, kam es zum ersten . Gefecht. Auf beiden Seiten stritt man mit grosser Erbitterung und die Tirailleurs schlugen sich von Busch zu Busch. Die Franzo- sen vertrieben endlich die Araber aus dem Gehölze, erlitten aber beträchtlichen Verlust. Obrist Oudinot, der die franzö- sische Cavalerie befehligte, fiel und seine Leiche wurde nur mit Mühe dem Feinde entrissen. Auch der Anführer der arabischen Reiterei, ein Khalifa, wurde getödte. An den Ufern des Sig machte das kleine französische Heer Halt. General Trezel, den der Transport seiner Verwundeten in grosse Verlegenheit setzte, entschloss sich endlich zum Rück- zug nach Arzew. Als seine ermüdeten Truppen die Ufer des Flüsschens Makta erreichten, wurden sie von der ganzen Streitmacht Abd-el-Kader’s, welcher eine Armee von beinahe zwanzigtausend Reitern zusammengeraftt hatte, aufs Wüthendste angegriffen. In die französischen Colonnen riss bald eine verderbliche Unordnung ein. Mehrere Compagnien, welche sich der Hügel zur Seite des Weges bemächtigen sollten, wurden von den Arabern zurückgedrängt. Ein panischer 220 Schrecken kam zuerst in die Reihen der Fremdenlegion. Von dieser waren zwei Bataillone gegenwärtig. Das Eine, ganz aus Italienern bestehend, soll, wie die Officiere aller ‚übrigen Corps behaupten, sich sehr feige benommen und mit dem Geschrei: rette sich, wer kann! auf die übrigen Corps sich gestürzt und die Unordnung dadurch furchtbar gesteigert haben. Das zweite Bataillon der F remdenlegion bestand zur Hälfte aus Polen; die übrige Hälfte war aus Individuen der verschiedensten Nationen, Deutschen, Holländern, Spaniern, bunt zusammengewürfelt. Diese Soldaten fochten zwar brav, aber der Uebelstand war, dass sie von französischen Officieren befehligt waren, von deren Sprache sie nur die Commando- worte begriffen. Hielt es schon schwer sich mit diesen Leu- ten auf dem Exercierplatze zu verständigen, so war es vollends unmöglich, sie inmitten eines unheilvollen Rückzuges, wo sie umschwärmt und verfolgt von einem sechsfach über- legenen Feinde waren, an ihre Kriegerpflicht zu mahnen, sie zum Widerstand und einem ehrenvollen Tode zu begeistern. Die Reden der Öfficiere der Legion in fremden Tönen fan- den taube Ohren, man hörte von den Soldaten nur Ausrufe des Muthes oder des Schreckens, Kriegsgesänge oder Gebete in allen Zungen. Die Wagen, auf welchen die Verwundeten lagen, blieben in den Sümpfen der Makta stecken. Ihre Führer, vom Feinde nahe bedroht, schnitten die Stränge ab, jagten feige mit den Pferden davon und überliessen ihre un- glücklichen Kameraden dem Yatagan der Beduinen. Nur ein einziger Wagen mit zwanzig Verwundeten wurde gerettet. Der Sergeant, der die Führer desselben commandirte, drohte jeden niederzuschiessen, der seine blessirten Kameraden im Stiche lassen würde. Trotz des Kugelhagels der Feinde wurde dieser Wagen glücklich aus dem Sumpfe gebracht. 221 Die Verwirrung hatte inzwischen das ganze kleine Heer, Of- ficiere wie Soldaten, ergriffen. Auf kein Commande wurde mehr gehört; das Geheule der Araber und die Schreckensrufe der Verfolgten übertäubten die Stimmen der Anführer, nur dem Trieb der Selbsterhaltung folgend liefen Compagnien und Bataillone untereinandergemengt auf der Strasse von Arzew fort. Schreiber dieses hörte über diese Niederlage an der Makta die Schilderungen vieler Augenzeugen. Darunter wa- ren Männer, „welche, wie der Commandant Saint-Fargeau, die grössten Schlachten der Kaiserzeit, bei Lützen, Dresden, Leipzig, mitgemacht hatten. Alle diese Officiere stimmten darin überein, dass jene grossen Waffentage, bei allem Pulver- dampf und Geschützdonner, doch lange nicht so crass und schaudervoll gewesen, wie die Kriegsscene an der Makta. Die Verwundeten wussten, dass ein Feind hinter ihnen sey, der keinen Pardon gab. Sie liefen mit fliessenden Wunden, so lange es ihnen möglich war, und wenn sie vor Schwäche nicht mehr weiter konnten, flehten sie ihre Kameraden an, ihnen den Tod zu geben, um nicht unter den Misshandlungen der Barbaren zu verscheiden. Einige stimmten die Marseil- laise an, die aber einem Todtengesang ähnlicher, als einem Triumphlied klang; andere nahmen Abschied von der Sonne, In einer so fürchterlichen Lage verdankte das Heer seine Rettung nur der Hingebung eines Häufleins entschlessener Männer, welchen die nahe Todesgefahr nicht wie den Uebri- gen den Kopf verrückt hatte und die freiwillig den Nachtrab bildeten, dem Feinde beständig die Stirne bietend. Vor allem waren es die berittenen Chasseurs d’Afrique, welche, obwohl am Ende auf etwa vierzig kampflähiger Männer reducirt, gegen die hitzigsten Feinde ansprengten und die Verfolgung hemmten. Sie hatten an ihrem Capitän Bernard einen 222 heroischen Führer. Etwa vierzig bis funfzig Officiere und Soldaten der übrigen Corps gesellten sich freiwillig zu ihnen; ohne diese Hand voll Tapfere wäre es wohl, nach dem Ge- ständnisse aller Augenzeugen, um den ganzen Heerhaufen geschehen gewesen. Endlich erreichten die Franzosen Arzew, wo sie ganz beschämt über die ungewohnte Niederlage, die erste, welche sie in Afrika erlitten, sich wieder sammelten. Ihr Verlust betrug zwar nicht über 500 Mann, aber ungeheuer war der moralische Eindruck, den dieses Ereigniss im Lande machte. Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Franzosen war unter den Eingebornen vernichtet. Alle Stämme wandten sich dem jungen Emir zu, welcher das erbeutete Gepäcke, eine Kanone und fünfhundert Köpfe als Trophäen aufzuwei- sen hatte. Der unglückliche Trezel, welcher persönlich Be- weise von grosser Taperkeit, aber auch von ziemlicher Un- fähigkeit gegeben, wurde seines Commändos entsetzt. Der öffentliche Unwille wandte sich aber in Frankreich mit grös- serem Recht wider den Gouverneur von Algier, dessen Schwäche und Nachgiebigkeit den Emir Abd-el-Kader so mächtig gemacht uud die Niederlage an der Makta herbeige- rufen hatte. Drouet d’Erlen wurde durch den Marschall Clau- zel ersetzt, dessen Ernennung unter den europäischen Ansied- lern in Algier keine geringe Freude verursachte, da er seit Jahren als der eifrigste Vertheidiger der afrikanischen Nie- derlassung bekannt war. Am Tage der Ankunft des Marschalls Clauzel in Algier, den 10. August 1835, brach dort die Cholera aus, und wüthete einen Monat lang mit furchtbarster Heftigkeit. Die Sterb- lichkeit war grösser unter den Eingebornen, als unter den Europäern; doch starben in der französischen Armee gegen 1600 Mann. Die grossen kriegerischen Operationen, die der 7 223 Marschall im Kopfe trug, wurden dadurch für einen Augen- blick gelähmt. Inzwischen wurden von Toulon nach Oran Kriegsmaterial und Truppen eingeschifft, denn die französi- sche Regierung wünschte so schnell als möglich den übeln Eindruck zu verwischen, welchen die Niederlage an der Makta in Frankreich .und in Afrika hervorgebracht hatte. Am 26. November 1835 setzte sich eine 11,000 Mann starke Expeditionsarmee von Oran gegen Mascara in Marsch. Mar- schall Clauzel hatte das Obercommande; unter ihm dienten die Generale Oudinot, Perregaux und d’Arlanges. Frankreichs ritterlicher 'Thhronerbe begleitete diesen Feldzug. Abd-el- Kader setzte der trefflich eingeübten kleinen Armee, welche mit Allem wohl versehen war, weit weniger Widerstand ent- gegen, als man gedacht hatte. Die Expedition von Mascara war eine der gelungensten Waffenthaten der Franzosen. Marschall Clauzel manoeuvrirte mit grösster Geschicklichkeit; selbst seine vielen persönlichen Gegner in der Armee waren entzückt davon. Der ganze Marsch durch die Ebene des Sig, wo der Marschall den Feind glauben machte, er schlage den Weg nach Mostaganem ein, zeigte eine Reihe von wun- derschönen Manoeuvres, die eben so sehr das Talent des Anführers als die Gewandtheit der Truppen bewies. In jeder Hinsicht war dieser Feldzug für die jüngeren Armeeofficiere eine treflliche Schule, was selbst Pellissier, der eifrigste Geg- ner des Marschalls Clauzel, zugesteh. Am Sig und Habrah leisteten die Araber einigen Widerstand. Ziemlich hart- näckig wehrten sie sich besonders hinter den Grabtempeln der _Marabuts aus der Familie Sidi-Embarek. Sie wurden aber aus allen Stellungen gedrängt und wollten es nirgends zu einem Kampfe mit der blanken Waffe kommen lassen. Abd- el-Kader führte damals zum erstenmal Kanonen ins Gefecht, 224 die aber aus so weiter Ferne schossen, dass sie wenig scha- deten. Der Herzog von Orleans commandirte damals keine Brigade, begab sieh aber als Freiwilliger nach allen Punkten, wo das Feuer am hitzigsten war, und erhielt selbst eine leichte Schusswunde am Schenkel. Im Bivouac mischte er sich unter die Soldaten, knüpfte Gespräche mit ihnen an und ergötzte sich an ihrem Geplauder am Feuer beim Zischen der Brat- pfanne. Wer die Beweglichkeit, den Erfindungsgeist und den Humor des französischen Soldaten nicht kennt, dem wird es schwer, sich von der Originalität der Bivouacscenen und des Feldlebens in Afrika einen Begriff zu machen. Am 6. December zog der Vortrab der französischen Armee in Mascara ein. Die sämmtliche muselmännische Be- völkerung hatte die Stadt verlassen; nur die Jüden waren zurückgeblieben. An diesen Unglücklichen verübten die Ban- den Abd-el-Kader’s, welche aller Disciplin ledig, Mascara vor dem Einzuge der Franzosen plünderten, die rohesten Gräuel. Die jüdischen Weiber wurden geschändet, die Männer miss- handelt und als der aus Zuaven bestehende Vortrab der Fran- zosen vor der Stadt erschien, hörten diese Scenen nicht auf, denn als die beutegierigen Soldaten nichts von den gehofften Schätzen fanden, liessen sie den Aerger getäuschter Erwar- tung gleichfalls an den armen Juden aus und es fielen schänd- liche Gewaltthätigkeiten vor, welche die Officiere nicht zu hindern vermochten. Die Ankunft des Generalstabes setzte den ersten Unordnungen ein Ziel. Marschall Clauzel und der Herzog von Orleans nahmen Besitz vom Palast Abd-el- Kader’s, während die Armee ausserhalb der Stadt bivouakirte. Dem Türken Ibrahim, ehemaligem Commandanten von Mosta- ganem, wurde der Antrag gemacht, mit den Duairs und Zme- las und einigen türkischen Söldlingen in Mascara zu bleiben. - 225 Dieser Häuptling sah aber voraus, dass er ohne den Bei- stand französischer Truppen sich im Innern nicht werde be- haupten können. Er lehnte daher das Anerbieten ab und wollte lieber mit der Armee zurückkehren. Marschall Clau- zel entschloss sich nun, Mascara zu räumen und zu zerstören. Um diesen auffallenden Entschluss zu rechtfertigen, schilderte er Mascara in seinem officiellen Bericht als eine unbedeutende Position, welche nicht werth sey, dass man dort ein Beylik gründe. Diese Behauptung war aber grundfalsch und gewiss sprach der Marschall damals nicht aus innerer Ueberzeugung. Mascara ist im Gegentheil, wie die einsichtsvollsten Officiere erkannt haben, der allerwichtigste Punkt in der Provinz Oran. Wer mit einer Besatzung, welche hinreichend stark ist, um Streifzüge zu unternehmen, Mascara occupirt hält, der beherrscht auch die beiden grössten und fruchtbarsten Weidegefilde der Provinz, die Ebenen Egghres und Ceirat im Süden und Norden der Stadt. Die zahlreichen dort wohnen- den Stämme würden sich nicht leicht entschliessen, diese Wohnsitze zu verlassen, wo ihre ergiebigsten Felder stehen und ihre Heerden das ganze Jahr hindurch grüne Weide finden. Sie würden sich zwar anfangs zurückziehen, dann aber mit dem Gebieter von Mascara Unterhandlungen an- knüpfen und am Ende immer dem sich unterwerfen, der ihre Ebenen am nächsten bedroht. Ueberdies ging Abd-el-Kader’s Grösse von Mascara aus. Dort lag der Kern seiner Macht; die übrigen Stämme fielen ihm später nur zu, weil er unter allen Häuptlingen der Stärkste war. Bei Mascara wohnen die Haschem, der Stamm, unter welchem seine Familie seit Jahr- hunderten lebte und ihren Marabuteinfluss übte. Die Ghetna von Sidi-Mahiddin, Kaschruh, der Kirchhof von Abd-el-Kader’s Ahnen, heilig verehrte Orte, welche die Wallfahrer allenthal- Morıtz Wasner’s Algier II. 15 226 ben herbeiziehen, liegen in Mascara’s Umgegend. Fie- len diese Punkte in die Hände der Christen, so wäre es um den religiösen Einfluss des jungen Marabuts schnell geschehen. Männer, welche die Zustände der Provinz Oran weit gründlicher kennen lernten als der Marschall Clauzel, besonders jene französischen Officiere, welche wie der Capitän Daumas und der Obrist Mauzion längere Zeit in Mascara zubrachten, erkannten die hohe Wichtigkeit dieses Punktes vollkommen , während Clauzel sie ans unverzeihlicher Oberflächlichkeit oder aus andern unbekannten Motiven ableugnete. Am 9. December trat die französische Armee ihren Rückzug an. Mascara sollte den Flammen übergeben wer- den. Aber die steinernen Häuser wollten nicht Feuer fangen und ein Regenguss löschte die wenigen Flammen aus, welche sich an einigen Punkten erhoben. Nur die Stadtthore und der Palast Abd-el-Kader’s wurden zerstört. Die übrigen Gebäude sind, obwohl durch die einquartierten Soldaten stark beschädigt, von ihren früheren Bewohnern wieder in Besitz genommen worden, sobald die Franzosen abgezogen waren. Nach der Einzahme von Mascara war der Emir fast allein in Kaschruh, bei den Gräbern seiner Altvordern geblieben. Alle Stämme, sogar die Haschem hatten ihn verlassen, in der Meinung, dass die Franzosen in Mascara bleiben würden. Ihren Rückzug hielten die Araber für ein Zeichen der Furcht und Schwäche, und Abd-el-Kader, welchen die erlittene Schlappe keineswegs niedergeschlagen hatte, gelangte bald wieder zur alten Macht, wozu ihm besonders die Expedition des Marschalls Clauzel gegen Tlemsan vortrefflich zu Statten kam. Dieser Zug wurde auf die dringenden Aufforderungen der im Me- schuar von Tlemsan belagerten Türken und Kuruglis unter- 227 nommen. Seit fast eınem Jahre waren diese tapfern Männer dort eingeschlossen, und der alte Mustapha-ben-Ismael, des Emirs unversöhnlichster Feind, feuerte die äusserst bedrängte Besatzung zum beharrlichen Widerstande an. Die Angad wollten den Meschuar entsetzen, aber Abd-el-Kader eilte den Belagerern zu Hülfe, und nöthigte die Angad: zum Rück- zuge nach ihren öden Steppen. Am 8. Januar 1836 brach der Marschall Clauzel mit einem kleinen Heere von 7500 Mann nach Tlemsan auf. Er kam dort an ohne Kampf, und die befreite Besatzung, an ihrer Spitze der ehrwürdige Mu- stapha - ben-Ismael, eilte ihm mit Jubel entgegen. Die maje- stätische Gestalt Mustapha’s, sein energischer Charakter, wel- cher in seiner Haltung und in seinen Zügen sich vollkommen ausspricht, machten einen für ihn äusserst vortheilhaften Ein- druck. Der Marschall Clauzel ernannte ihn zum Kaid der Duairs und Zmelas. Seitdem hat der greise Häuptling den Franzosen treu und tapfer gedient, wurde aber auch reich- lichst dafür belohnt, und bekleidet gegenwärtig den Grad eines Marechal de Camp, mit einem, seinem Range angemessenen Gehalte. Die maurische Bevölkerung Tlemsans war von Abd-el- Kader zur Auswanderung gezwungen worden. Bei einem Streifzuge, welchen die Franzosen in der Umgegend unter- nahmen, wurde der grösste Theil der Einwohner nach einem unbedeutenden Reiterscharmützel, in welchem der Comman- dant Yussuf sich ganz besonders hervorthat, nach 'Tlemsan zurückgebracht. Abd-el-Kader hatte seit dem Schlage, wel- chen er durch die Expedition von Mascara erlitten, kaum etwa tausend Reiter in seinen Diensten. Als aber der Mar- schall einen Zug von Tlemsan nach der Tafna unternahm, ergriffen die sehr mächtigen und zahlreichen Kabylen an den 15 ® 228 Ufern dieses Flusses, ein äusserst kriegerischer, fanatischer Menschenschlag, die Partei des Emirs. Ihre Stämme lebten unter einander in häufiger Fehde; ihre Scheikhs, worunter Buhamedi der einflussreichste war, hegten Neid und Eifer- sucht gegen einander. Sie nahmen daher den ihnen fremden Abd-el-Kader gern als ihren Anführer auf, um den gemein- schaftlichen Feind zu bekämpfen. Der Plan des Marschalls, bis zur Mündung der Tafna vorzurücken, scheiterte an der ungestümen Tapferkeit der Kabylen. Auf beiden Seiten war der Verlust gross. Der greise Mustapha hatte sich an der Spitze der Kuruglis von Tlemsan wie ein Löwe geschlagen. Aber auch die Reiterei Abd-el-Kader’s hielt sich gut. Ihren jungen Anführer sah man auf seinem schwarzen Wüstenrosse öfters durch das Kampfgetümmel fliegen, seine Leute zum Kampfe ermunternd. Das französische Heer zog sich nach Tlemsan zurück. Die Absicht des Marschalls Clauzel war, als er diesen Zug unternahm, wohl nur, den Meschuar zu entsetzen. Aber die wunderschöne. Lage 'Tlemsans in einer der gesegnetsten Gegenden der ganzen Berberei, wo der Boden eine Ueppig- keit der Vegetation zeigt, die von keinem andern Punkte der Regentschaft übertroffen wird, machten auf den Marschall und die übrigen Oberofficiere einen solchen Eindruck, dass be- schlossen wurde, in Tlemsan eine französische Besatzung ZU- rückzulassen. Ein Bataillon unter dem Commando des Capi- täns Cavaignac nahm Besitz vom Meschuar. Die Armee verliess Tlemsan am 7. Februar und kehrte auf einem andern Wege nach Oran zurück, unter beständigen Gefechten mit den Truppen Abd -el-Kader’s, die ihnen auf der Ferse folg- ten. Auch diese zweite Expedition des Marschalls Clauzel hatte das gehoffte Resultat nicht erreicht. Die Garnison von 229 Tlemsan, zu schwach, um Streifzüge zu unternehmen, wurde blokirt, und litt bald Mangel an Lebensmitteln. Abd-el-Kader kehrte mächtiger als je nach seiner Hauptstadt Mascara zu- rück. Er hatte neue Verbündete gewonnen: die Kabylen an der Tafna, deren Scheikh Buhamedi allenthalben für Abd-el- Kader werben liess, und die Angad, deren Abgesandte durch den hochfahrenden Empfang beim Marschall Clauzel sich belei- digt fühlten, und die nun dem Emir sich gleichfalls unter- warfen. Eine bedeutende Anzahl Kabylen nahm Dienste in der regulairen Infanterie des Emirs. Als dieser mit so mäch- tigen Bundesgenossen wieder in Mascara erschien, flehten ihn alle Stämme, welche nach der Einnahme dieser Stadt von ihm abgefallen waren oder sich wankelmüthig gezeigt hat- ten, um Vergeben und Vergessen des Vergangenen an. Abd- el-Kader gewährte-ihnen grossmüthig volle Verzeihung, und liess, was ganz unerhört war, nicht einen einzigen Kopf ab- schlagen, obwohl die Haschem selbst ihn gebeten hatten, er möge die Schuldigsten unter ihnen hinrichten lassen. Marschall Clauzel verliess bald darauf die Provinz Oran, und verfügte sich nach Paris, um in der Deputirtenkammer bei der Discussion über die Algierer Angelegenheiten gegen- wärtig zu seyn. In seiner Abwesenheit führten auf seinen Befehl die Generale Perregaux und d’Arlanges verschiedene Operationen in der Provinz Oran aus, die aber eben so er- folglos blieben, wie die Expeditionen nach Mascara und Tlem- san. Ueberhaupt wurde unter keiner Verwaltung mehr un- nützes Pulver verschossen, als unter der des Marschalls Clauzel. Es schien, als halte dieser Heerführer Afrika für ein blosses Uebungslager für die französischen Truppen, oder vielleicht unternahm er die verschiedenen Züge nur, um sich desto sicherer auf seinem Posten zu behaupten, da er die franzö- 250 sische Nation kannte, und wusste, dass ihn nichts populärer machen könne, als Bulletins von Eroberungen und Siegen, wenn auch mit einem solchen System der Zustand der Re- gentschaft nur verschlimmert wurde, und die Colonisation gar nichts dabei gewann. General Perregaux operirte an den Ufern der Flüsse Schelif und Habrah, während der General d’Arlanges eine Expedition zur See nach der Mündung der Tafna commandirte, wo ein Lager erbaut wurde. Bei einer Recognoscirung, welche dieser General in der Richtung von Tlemsan machte, erlitt seine Colonne ziemlich beträchtlichen Verlust, und konnte nur mit vieler Mühe das Lager wie- der erreichen. Umringt von 8- bis 10,000 Kabylen , wel- che Buhamedi anführte, war die Colonne der Franzosen, die nicht über 1800 Streiter zählte, nahe daran, zu erliegen. Die Kabylen an der Tafna fochten mit eben so grosser Wuth, als die Stämme bei Budschia, drangen öfters bis an die Mündung der Kanonen vor, und ihre Yatagans kreuzten sich mit den Säbeln der Chasseurs. Ueber 300 Todte lies- sen die Franzosen auf dem Kampfplatze zurück; ihr Lager wurde umzingelt, und in aller Eile liess General d’Arlanges Barken nach Oran abgehen, um dorthin die kritische Lage seines Corps zu melden. Als die Nachricht von der Schlappe an der Tafna nach Frankreich kam, wurde dort beschlossen, den General Bu- geaud mit Verstärkungen nach Oran zu schicken. Derselbe landete am 6. Juni 1836 mit drei Regimentern an der Mün- dung der Tafna, befreite die eingeschlossene Besatzung des Lagers und brach von dort nach Tlemsan auf. Das im Me- schuar dieser Stadt zurückgelassene Bataillon hatte unter dem Commando des unermüdlichen Cavaignac sich tapfer gegen alle Angriffe der Araber behauptet und war von den Kuru- 231 glis eifrigst unterstützt worden, obwohl der Marschall Clauzel der braven, unglücklichen Bevölkerung eine für sie uner- schwingliche Contribution aufgebürdet hatte. Die Colonne des Generals Bugeaud führte 350 Kameele mit sich, welche mit Proviant für die Garnison des Meschuar beladen waren. Am 6. Juli griff Abd-el-Kader, welcher in der letzten Zeit zu Nedruma, einerkleinen Stadt an der marokkanischen Gränze, sein Hauptquartier aufgeschlagen, ‚und einige tausend Amazirghs — so heissen in Marokko die Kabylen — unter seiner Fahne ver- sammelt hatte, die Marschcolonne der Franzosen in einem engen Thale an, welches das Flüsschen Sikak *) durchströmt. Die arabische Reiterei stürzte sich auf den Nachtrab, während Abd-el-Kader an der Spitze seiner Infanterie in der Flanke angriff. Durch ein geschicktes Manoeuvre wusste General Bugeaud einen Theil dieser Infanterie abzuschneiden. Sie war von einigen Reiterhaufen gedeckt, welche auf einen kräf- tigen Angriff der französischen Cavalerie das Schlachtfeld räumten und die Infanterie ihrem Schisksale überliessen. Diese war schnell über den Haufen geworfen, stob in allen Rich- tungen aus einander und suchte sich über die Felsen und in die Büsche zu retten. Auf dem Kampfplatze blieben 200 Leichname und über 600 Flinten zurück; 130 Gefangene und 6 Fahnen waren die im afrikanischen Kriege sehr seltenen Siegestrophäen. Abd-el-Kader, welcher in eigener Person °) So wurde dieses Gewässer in dem officiellen Bulletin des Mo- niteur genannt, der freilich, was geographische Namen anbelangt, die schlechteste Autorität ist. Die Kabylen nennen das Flüsschen bei sei- nen Quellen, welche einen prächtigen Wasserfall bilden, Lorat. Bei den Arabern in der Ebene von Tlemsan führt es den Namen Sefsif, nach seiner Vereinigung mit dem Isser nimmt es den Namen Sekak an, welchen die Franzosen in Sikak verdarben. 232 unter den vordersten Reihen stand, und selbst seine Flinte öfters abdrückte, war nahe daran, erschossen zu werden. Ein Pferd wurde ihm unter dem Leibe getödtet; er stürzte und entging dem Tode nur, weil er Kleider trug wie ein gemei- ner Araber, und keine besondere Aufmerksamkeit auf sich 208. Am 12. Juli verliess Bugeaud Tlemsan, das er verpro- viantirt hatte, und kehrte nach Oran zurück, ohne dass der Emir die französische Colonne im Mindesten zu beunruhigen wagte. Es war dies wohl das sprechendste Geständniss des ungewöhnlichen Verlustes, den er an der Sikak erlitten. Uebri- gens brachte dieser Sieg den Franzosen eben so wenig Früchte, als ihre Züge gegen Mascara und Tlemsan. Nicht ein einziger Stamm war für die französische Sache gewonnen, und das begeisterte Vertrauen, welches Abd-el-Kader den Arabern und Kabylen einzuflössen gewusst, war nicht im Min- desten erschüttert worden. Während dieser kriegerischen Vorgänge in den westli- chen Theilen des Landes, herrschte in den Provinzen Con- stantine und Algier ziemliche Ruhe. Nur der Räuberstamm der Hadschuten machte fortwährend Einfälle in das Gebiet auf dem rechten Ufer der Chiffa, und konnte nicht zur Ruhe gebracht werden. General Rapatel überschritt mit einer klei- nen Colonne den Engpass Teniah-el-Musaiah, und setzte in Medeah den vom Marschall Clauzel ernannten Bey ein. Dieser konnte sich aber dort nicht halten; drei Tage nach dem Abzuge der Franzosen ward er von den Anhängern Abd- el-Kader’s festgenommen und dem Emir gebunden ausgeliefert. Achmet Bey hielt sich fortwährend ruhig in seiner Haupt- stadt Constantine. Mit Ausnahme der Stämme in der Umge- bung von Bona gehorchte ihm Alles in der Provinz, wo seine Grausamkeit die Araber mit Schrecken lähmte, aber ihm nir- 233 gends Anhänger gewann. Zwischen ihm und Abd-el-Kader herrschte gutes Eiovernehmen, da sie beide den „‚Glaubens- feind“ bekämpften. Uebrigens leisteten sie sich gegenseitig keinerlei Unterstützung. Beide hegten wohl heimliche Eifer- sucht und Nationalhass, da Achmet von Vaterseite Türke war und das türkische System fortsetzte, während der arabische Emir die Reste der türkischen Macht überall niederzureissen strebte. Beide kämpften gegen die Franzosen mit all’ ihrer Macht, und reizten den religiösen Fanatismus der Eingebore- nen auf, behielten sich aber vor, nach dem Abzuge der Fran- zosen mit einander um die Herrschaft Algiers zu streiten. Die stärkste Stütze fand Achmet Bey an den Kabylen, wel- che südlich von Budschia zwischen den Flüssen Uad-Adschebbi und Summam wohnen. Diese Gebirgsstäimme waren frei von Abgaben und liehen dem Bey den Beistand ihrer Waffen nur gegen die Christen. Vor allen zeichneten sich die Mezzaia bei Budschia durch ihren wüthenden Fanatismus aus. Sie griffen diese Stadt oft und einigemale mit der grössten Ent- schlossenheit an, obwohl die Kanonen, und besonders die Handgranaten der Franzosen, furchtbare Verheerungen unter ihnen anrichteten. Die festen Blockhäuser Salem und Kliffa bei Budschia wurden einmal zur Nachtzeit von 4000 Kabylen angegriffen, und standen nahe daran, zu erliegen, weil die Be- satzung der Stadt zu schwach war, einen Ausfallzu wagen, und nur durch ihr Kanonenfeuer die bedrängten Vertheidiger der Blockhäuser unterstützen konnte. Dennoch wurden die Kabylen zurückgeschlagen und entfernten sich nach ungeheurem Verluste. Als die Gebirgsbewohner ihre Angriffe erfolglos sahen, entwarfen sie einen verrätherischen Plan gegen den französischen Com- mandanten von Budschia, Salomon de Musis, welcher dort im Jahre 1836 den Oberbefehl führte. Der Scheikh Amisian, 234 Oberhaupt des Stammes Ulad- Abd-el-Dschebar, schickte Abgeordnete an jenen Officier, um über die Bedingungen der Unterwerfung seines Stammes mit ihm zu unterhandeln. Der Commandant ergriff diese Gelegenheit, mit den wilden Atlas- stämmen endlich einmal einen friedlichen Verkehr anzuknü- pfen, sehr bereitwillig, und achtete nicht der Warnungen der ©) wenigen Individuen seiner Umgebung, welche den treulosen Charakter der Kabylen kannten. Am 4. August kam Ami- sian, von etwa zwanzig Reitern begleitet, zu der verabredeten Zusammenkunft, welche, ungefähr zweihundert Schritte von den äusseren Schanzen entfernt, in der Nähe des Seeufers statthatte. Der französische Commandant näherte sich mit seinem Dragoman Taboni dem Häuptlinge, während der Hauptmann Blangini mit der Compagnie. franche in geringer Entfernung Wache hiel. Amisian begrüsste den Comman- danten mit vielen höflichen Worten und freundlichem Hände- druck. Plötzlich umgaben aber die Reiter den Commandan- ten, und streckten ihn und seinen Dolmetscher durch eine Flintensalve todt nieder. Die Compagnie franche eilte vor, konnte aber den Mord ihres unglücklichen Commandanten weder hindern, noch rächen. Die Mörder waren auf ihren flüchtigen Rossen schnell ausser Schussweite, und schlugen in der Ferne ein abscheuliches Gelächter auf, mit höhnischen, verächtlichen Geberden begleitet. Amisian, der verrätherische Scheikh, lebt seitdem in hohem Ansehen unter den Kabylen. Sein Verbrechen blieb ungestraft, und noch keine französische Armee hat es gewagt, in die Gegenden südlich von Budschia vorzudringen. Nach einem ungewöhnlich langen Aufenthalte in Paris kam der Marschall Clauzel am 28. August 1836 wieder nach Algier zurück. Er hatte vor seiner Abreise von der Haupt- 235 stadt seiner Regierung einen Eroberungsplan vorgelegt, dem- zufolge alle Städte des Innern der Regentschaft, alle strate- gischen Punkte von den französischen Truppen ocecupirt, und - die Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Posten durch mobile Colonnen unterhalten werden sollten. Durch ein sol- ches System hätte man den Emir von Mascara, und den Bey von Constantine verhindert, Magazine und Pulverfabriken an- zulegen, und beiden Häuptlingen wäre die Möglichkeit genom- men worden, grössere Truppenmassen zu concentriren, da ihnen hiefür durchaus ein bevölkerter Punkt nothwendig war. Es war so ziemlich derselbe Plan, welchen auch Pellissier und Cavaignac vorgeschlagen haben, und der mit dem Bugeaud-- schen Systeme in der Hauptsache gleichfalls übereinstimmt. Zur Ausführung eines solchen Eroberungsplanes wäre aber eine Armee von 80- bis 100,000 Mann und ein jährliches Budget von 60 Millionen nothwendig. Zu so ungeheuren Opfern zeigten sich aber weder die Minister, noch die Kam- mern geneigt. Marschall Clauzel war unvorsichtig genug, so- gleich sein Project ins Werk zu setzen, obgleich man ihm die Mittel dazu verweigerte, und ein Scheitern desselben da- her mit Bestimmtheit vorauszusehen war. Die neuen, krie- gerischen Operationen wurden in der östlichen Provinz begon- nen, welche man bisher ziemlich vernachlässigt hatte, obwohl ihre Eroberung leichter war, und ungleich grössere Vortheile versprach, als die der westlichen Landestheile. Am 7. November marschirte die gegen Constantine be- stimmte Expeditionsarmee von Bona ab. Marschall Clauzel führte den Oberbefehl. Der Escadronschef Yussuf, welcher zum Bey von Constantine ernannt worden, und Achmet erse- tzen sollte, commandirte die Spahis und die arabischen Ver- bündeten , welche aber statt der Tausende, die man sich ver- 236 sprochen, nur eine geringe Macht von einigen hundert Reı- tern bildeten. Die Gewaltthätigkeiten Yussuf’s hatten viele Stämme der Umgegend von Bona bewogen, von den Franzo- sen abzufallen, und sich wieder zur Partei Achmet -Bey’s zu schlagen. General Rigny befehligte den Vortrab, und nahm am 10. November Besitz von den Ruinen Calama’s, während das Hauptcorps langsam nachrückte.e. Der Herzog von Ne- mours befand sich als Freiwilliger an der Seite des Mar- schalls Clauzel, und theilte rühmlich die Strapazen und Ge- fahren der Armee, deren ganze Stärke nicht über 7000 Mann betrug. Auf dem ganzen Zuge bis zur Stadt Constantine stiess das Heer auf keinen anderen Widerstand, als den des Bodens und des Unwetters. Der Regen fiel in Strömen und hatte die Wege bodenlos gemacht; die wenigen Bivouacfeuer in der holzarmen Gegend erloschen, die Wagen, welche die Le- bensmittel trugen, blieben im Kothe stecken und mussten im Stiche gelassen werden. Im trostlosesten Zustande kam die Armee vor Constantine an. Was die armen Soldaten zu lei- den hatten, mag der Umstand beweisen, dass täglich Selbst- morde vorfielen. Manche Soldaten, von Müdigkeit und Ent- behrungen erschöpft, legten sich auf den Boden nieder, wei- gerten sich hartnäckig, der Colonne zu folgen, und sahen mit verzweiflungsvoller Ruhe dem Tode durch den Yatagan der Beduinen entgegen. Allgemein glaubte man in der Ar- mee, Constantine werde sich eben so wenig vertheidigen, als Mascara und Tlemsan. Als man die Stadt vom Plateau El- Mansurah aus gewahr wurde, suchte sich jeder dieser hung- rigen Krieger mit den Augen schon das Häuschen aus, wo er sich einquartieren wollte, und freute sich, nach den acht nassen und grimmig kalten Nächten auf den Bergen, endlich ein- 237 mal im Trockenen schlafen zu können. Plötzlich aber wurde eine rothe Fahne auf dem Thore Bab-el-Kantara aufgepflanzt, und die Batterien der Kasbah eröffneten ihr Feuer gegen das Plateau. Marschall Clauzel versuchte nun, die Stadt mit stürmender Hand zu nehmen. Der erste Angriff fand auf der Römerbrücke unter den Augen des Heerführers selbst statt, während zwei Brigaden den Fluss Rummel überschritten und Constantine von der Ostseite augriffen, wo die Stadt durch einen natürlichen Erddamm mit dem ihr gegenüber liegenden Berge Cudiat- Ati verbunden, und am verwundbarsten ist. Beide Angiffe scheiterten trotz der heroischen Tapferkeit der Anführer und der Truppen, weil es an Belagerungsgeschütz gänzlich fehlte. Man hatte nur Sechspfünder, welche gegen die Mauern und die starken , eisenbeschlagenen Thore nichts ausrichteten. Die Unmöglichkeit des Gelingens einsehend, entschloss sich der Marschall zum Rückzuge, und führte den- selben, obwohl vom Feinde hitzig verfolgt und gedrängt, durch meisterhafte Manoeuvres mit einem verhältnissmässig unbedeu- tenden Verluste aus. Die retirirende Armee zeigte übrigens das kläglichste Bil. Mehrere Tage lang nährten sich die vom Kampfe, Marsche und Unwetter auf’s Aeusserste erschöpf- ten Krieger nur von rohem, in Wasser gekochtem Getreide; glücklich noch schätzten sich jene, welche das Fleisch eines todten Pferdes eroberten, um das sie sich oft mit den Scha- kals und den Aasgeiern streiten mussten. In einem trostlosen Zustande erreichte das kieine Heer Ghelma wieder, wo man die Kranken, und zu ihrem Schutze einige Compagnien un- ter dem Commando des Obristen Duvivier zurückliess. Die übrigen Corps setzten ihren Marsch nach Bona fort; fast die Hälfte der Armee bezog dort die Spitäler, und Wechselfieber und Ruhr würgten mehr hin, als die Kugeln der Beduinen. 238 Marschall Clauzel wurde bald darauf zur Verantwortung nach Paris beschieden. Am 12. Februar 1837 brachte der Moni- teur die Ordonnanz seiner Absetzung. In Algier bedauerte ihn, mit Ausnahme des kleinen Häufleins der an seine Per- son attachirten Männer und der Speculanten, die unter ihm lucrative Geschäfte gemacht hatten, Niemand. Von den glän- zenden Verheissungen, welche er beim Antritte seiner Ver- waltung in hochtrabenden Proclamationen ausposaunen liess, war keine in Erfüllung gegangen. „In drei Monaten‘ — hatte er zu den Leuten seiner Umgebung gesagt — ,‚soll es keine Hadschuten mehr geben.“ Aber dieser Stamm war im Ge- gentheil zahlreicher und frecher als je, durch Raubgesindel verstärkt worden, und machte unaufhörliche Einfälle in die nächste Umgegend der Stadt. Abd-el-Kader, von welchem Herr Clauzel in seinen officiellen Berichten sagte, er sey aufs Aeusserste heruntergekommen, und habe sich nach der Wüste zurückgezogen, um dort seine Niederlage und Schande zu verbergen u. s. w., war nie zuvor mächtiger gewesen, hielt die französischen Besatzungen von Tlemsan und des Lagers an der Tafna blokirt, und liess seine Reiterhaufen bis vor die Thore Orans streifen. Auch die Colonisation war durch den Marschall nicht vorwärts gekommen. Unaufhörlich beschäf- tigt mit kriegerischen Projecten, hatte er weder Zeit noch Willen, für die Bodencultur etwas mehr zu thun, als durch schöne Phrasen ihr eine glückliche Zukunft zu prophezeien. Er selbst war Besitzer bedeutender Ländereien , die er aber nicht anbauen liess, sondern an Andere um theures Geld ver- miethete, und dadurch den Einwanderern den Erwerb von Grundbesitz noch erschwerte. Ueberhaupt warf man ihm in Algier ziemlich allgemein unersättliche Habsucht und schmu- zigen Geiz vor. Man erzählte sich nur von seinen Erpressun- 239 gen und pots de ven; nie soll auch unter den dortigen Mi- litairbeamten, den Intendanten, Agens comptables u. s. w., die Corruption so schamlos gewesen seyn, als unter der Clauzel- schen Verwaltung. Wohl mochte ein guter Theil der Ankla- gen gegen den Marschall übertrieben, manche auch wohl rein erfunden seyn. Gewiss nur ist, dass man in Algier damals fest an alle diese Behauptungen glaubte. Einem gefallenen Machthaber fehlt es nie an übler Nachrede. Die verhaltene Leidenschaftlichkeit, der Hass der Gegner macht sich Luft, während selbstverschuldetes Unglück fast immer auch Deser- tion der Freunde, selbst der aufrichtigen Anhänger, nach sich zieht. Daher erhob sich in Afrika nicht eine Stimme ' zur Vertheidigung des Marschalls Clauzel. Nie war auch zu- vor die Lage der Colonie trostloser gewesen, als nach dem unglücklichen Ausgange seines Zuges gegen Constantine, 240 Vi. Algier unter der Herrschaft Frankreichs. Ernennung des Generallieutenants Damr&emont zum Gouverneur von Algier. — Wiedereinsetzung des Bureau arabe unter der Dire- ction des Capitäns Pellissier. — Expedition gegen Belida und die Kabylen. — Ueberfall von Reghaia. — Züge gegen die Beni-Isser und Dellys. — Gefecht am Buduau. — Ankunft des Generals Bu- geaud in Oran. — Märsche nach Tlemsan und an die Tafna. — Zusammenkunft zwischen dem General Bugeaud und dem Emir Abd-el-Kader. — Friedensschluss mit Abd-el-Kader. — Unter- nehmungen des Generals Duvivier in Ghelma. — Ankunft des Ge- nerals Damremont im Lager Medschez- Ammar. — Unterhandlun- gen mit Achmet-Bey. — Die zweite Expedition gegn Constantine, Erstürmung der Stadt und Tod des Generals Damremont. Der Nachfolger des Marschalls Clauzel war Generallieu- tenant, Graf Denys von Damremont, dessen Name in Algier bereits ehrenvoll bekannt war. Er hatte im Jahre 1830 eine Brigade unter Bourmont commandirt, und an allen Gefechten gegen die Türken und Araber bis zur Uebergabe Algiers Theil genommen. Das Commando der ersten Expedition ge- gen Bona war ihm anvertraut worden. Er hatte sich dieser Stadt ohne Schwertstreich bemächtigt, gewann während seines kurzen Aufentlalts dort die Liebe und Anhänglichkeit der 241 Bevölkerung durch sein leutseliges Benehmen , durch seine Gerechtigkeit und die- strenge Mannszucht, die er unter sei- nen Truppen aufrechtzuhalten wusste Als bald darauf die Stadt von den Arabern mit grosser Wuth und Unerschrocken- heit angegriffen wurde, vertheidigte Damremont sie tapfer _ und brachte dem Feinde bedeutende Verluste bei. Auf die Nachricht vom Ausbruche der Juliusrevolution rief Bourmont die Brigade Damremont’s von Bona zurück. Bald nachher reiste der General nach Frankreich, und führte seit jener Zeit in Afrika kein Commando mehr. Damremont kam am 3. April 1837 in Algier an. Eine seiner ersten Verwaltungsmaassregeln war die Wiedereinse- tzung des Bureau arabe, welches eine weit grössere Aus- dehnung und Macht, als früher, erhielt, und mit allen arabi- schen Stammhäuptlingen des Innern, die mit den Franzo- sen in Communication zu treten wünschten, direct correspon- dire. Die Leitung dieses Bureau erhielt Herr Pellissier, Capitän vom Generalstabe, mit dem Titel „Dorecteur des affaires arabes.“ Dieser geistvolle Officier, von edelstem Charakter, war unter den europäischen Ansiedlern wenig be- liebt, weil er die Rechte der Eingeborenen immer beharrlich in Schutz nahm, ‘und für die Araber eine Vorliebe zeigte, die bei ihm wirklich eine Schwäche war. Seine Lieblingsidee war immer, eine Vermischung — Fusion, wie er’s nannte — zwischen den Arabern und Franzosen zu Stande zu bringen. Die Schwierigkeiten, welche sich einer solchen Fusion ent- gegenstellten, schienen ihm nicht unübersteiglich, weil er den Charakter der Araber immer nur von seiner besten Seite auf- fasste, und als er später durch langen Verkehr jenes Volk richtig erkennen lernte, und im Stillen sich überzeugen mochte, wie unmöglich es sey, die wilde, schweifende, freiheitslie- Morıtz WAGneERr’s Algier, IL, 16 242 bende, fanatische Nation an eine andere Lebensart zu gewöh- nen, hinderte ihn die Hartnäckigkeit seines Charakters, und wohl auch Eigenliebe, die Illusion einzugestehen, die er sich früher von den Arabern gemacht hatte. Was Herrn Pellissier in den Augen des neuen Gouverneurs besonders empfahl, war, dass derselbe wider den Marschall Clauzel heftige Opposition gemacht, und im pariser „Vatzozal‘“ eine Reihe von Artikeln voll bitterer Anklagen gegen ihn geschrieben hatte, die selbst die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zogen. General Damremont, welcher ein ganz anderes System, als sein Vor- gänger, zu befolgen beabsichtigte, bediente sich gern eines so eifrigen Gegners des Clauzel’schen Systems, und schenkte dem Capitän Pellissier sein ganzes Vertrauen. © Wenige Wochen nach der Ankunft des Generals Dante mont brach Abd-el-Kader von Mascara mit einem kleinen Heere auf, um die ihm noch nicht unterworfenen Stämme zu besuchen. Er näherte sich der Stadt Scherschel und dem Kabylenstamme der Beni-Menasser, mit der Auf- forderung, ihm den Aschur als ihrem Oberherrn zu ent- richten. Die Bevölkerung von Scherschel unterwarf sich; die Beni-Menasser aber verweigerten die Abgabe, und versprachen ihm blos ihre Freundschaft, die Unterstützung ihrer Waffen gegen die Franzosen, wollten aber nichts von Unterwerfung hören. Da die ‚Beni-Menasser ein gebir- giges Territorium bewohnen, und sehr streitbar und mäch- tig sind, so begnügte sich Abd-el-Kader hiermit, und mar- schirte von dort nach der Provinz Titeri, wo er am 22. April in Medeah seinen Einzug hielt. Seine Emissaire stiegen al- lenthalben vom Atlasgebirge herab, predigten den Krieg gegen die Christen, und munterten die Stämme der Metidscha zur Empörung gegen die Franzosen auf. Die Stadt Belida, ob- 243 wohl nur drei Stunden von den französischen Vorposten ent- fernt, und die Beni-Khalil, deren Duars unter den Kanonen des Lagers Buffarik stehen, schickten heimlich Gesandte an den Emir, und zahlten den verlangten Tribut: so sehr impo- nirte Abd-el- Kader sogar den mit den Franzosen verbünde- ten Stämmen. Auf die Nachricht von diesen Vorgängen versammelte General Damremont ein Truppencorps von 6000 Mann zu Buffarik, um Belida zu besetzen und die Stämme der Meti- dscha durch diese Gegendemonstration wider die Umtriebe Abd-el-Kader’s einzuschüchtern. Am 28. April machte der Gouverneur blos mit einigen Regimentern eine Recognosci- rung nach dem Gebirge und suchte die Hadschuten und die Beni-Salah, die zu den Waffen gegriffen hatten, durch Un- terhandlung zur Ruhe zu briugen. Hinter den Ringmauern Neu-Belidas erwarteten jene Stämme die Franzosen, und schie- nen zum Widerstande entschlossen. General Damremont un- terhandelte mit ihnen durch den Hakhem von Belida, und schickte den Capitän Pellissier mit einem Dragoman ab, um mit ihnen sich zu verständigen. Die französischen Parlamen- taire wurden aber mit Flintenschüssen empfangen, und entgin- gen dem Tode mit genauer Not. Am Tage darauf mar- schirte der Gouverneur mit 6000 Mann gegen Belida. Zwei Brigaden umgingen die Stadt und machten den Kabylen die Vertheidigung derselben unmöglich, General Damremont zog mit seinem Stabe in Belida ein, dessen Bewohner grössten- theils die Flucht ergriffen hatten. Auf dem Gebirge leisteten die Beni-Salah einigen Widerstand, wurden aber von den Zuaven von Gipfel zu Gipfel gejagt, und einige, ihrer Duars - in Brand gesteckt. Das Project, Belida zu besetzen, liess der Gouverneur aber wieder fallen, da das Geniecorps es für 16 * 244 eine Unmöglichkeit erklärte, die Stadt ohne Zerstörung eines Theiles ihrer wunderschönen Orangengärten befestigen zu können. ; ‚Einige Wochen nach dem Zuge gegen die Beni-Salah machte ein anderer Kabylenstamm einen Raubzug im Osten der Metidscha. Die Amrauah, ein halb aus Kabylen, halb aus Arabern bestehender Stamm, überfielen das schöne Landgut Reghaia, Besitzthum des Herrn Mercier, die bedeutendste europäische Pflanzung der algierer Umgegend. Die zahl- reiche Heerde jenes eifrigen Colonisten wurde geraubt und einige seiner Knechte ermordet. Auf diese Nachricht hin liess der Gouverneur den Obristen Schauenburg mit den Chas- seurs und Spahis nebst einiger Infanterie gegen die Beni-Isser marschiren. Dieser Stamm war zwar bei dem Raube nicht selbst thätig gewesen, hatte aber den Reitern der Amrauah den Durchzug durch ihr Gebiet gestattet, und da letztere, die wahren Schuldigen, zu entfernt wohnten, wollte man sich da- für an dem näher gelegenen Stamme Isser rächen. Während Obrist Schauenburg in östlicher Richtung anzog und die er- schrockene arabische Bevölkerung vor sich her in der Rich- tung des Flusses Isser scheuchte, sollte General Perregaux mit zwei Bataillonen an der Mündung dieses Flusses landen und den Arabern die Flucht versperren. Im Augenblicke aber, als die Bataillone sich einschifften, brach ein Orkan aus, und die Landung musste unterbleiben. Obrist Schauen- burg war mit seiner Colonne ganz allein auf dem Kampfplatze gelassen worden. Er hielt sich brav und tödtete einige hun- dert Feinde, musste sich aber vor der Uebermacht zurück- ziehen. Ben -Zamun war mit den Kabylen des Dschurschu- ragebirges dem Stamme Isser zu Hülfe geeilt. Auch die Ca- valerie der Amrauah nahm Theil am Gefechte, und schlug 245 die Ariben, welche für die Franzosen fochten, in die Flucht. Um die Gebirgsbewohner einzuschüchtern, wurden am linken Ufer des Flüsschens Buduau einige Schanzen errichtet und Truppen dort zurückgelassen. Die Kabylen waren dadurch jede Stunde mit einem Ueberfalle bedroht, und entschlossen sich daher, die Franzosen aus dieser für die Gebirgsbewoh- ner so gefährlichen Position zu vertreiben. Am 25. Mai 1837 wurde das kleine Lager der Franzosen, das nur von etwa 1000 Mann und zwei Feldkanonen vertheidigt war, von 5000 Kabylen angegriffen. Der Kampf war einer der erbittertsten und hartnäckigsten, die in Afrika geliefert wurden. Das arabische Dörfchen Buduau, welches die Franzosen gleich- falls besetzt hatten, wurde von den Kabylen genommen, von den Franzosen aber dann wieder mit dem Bajonet erstürmt. Der Feind verliess erst gegen Abend das Schlachtfeld, uud lud seine Todten und Verwundeten wie gewöhnlich auf Pferde und Maulthiere, musste aber doch über hundert Leichen zu- rücklassen, weil er sie nicht alle fortschaffen konnte. Die Franzosen ergriffen nun ihrerseits die Offensive, drangen un- ter dem Commando des Generals Perregaux in den Uthan der Beni -Isser ein und wandten sich gegen Delly. Die Isser unterwarfen sich hierauf, wenigstens scheinbar, und verspra- chen, den Raub zu ersetzen. Herr Mercier hat aber von einer Entschädigung nie etwas zu sehen bekommen, als ein paar ausgehungerte Ochsen für seine Hunderte von fetten Kühen und Schafen, und selbst diese magern Ochsen sollen, wie man in Algier erzählte, keineswegs von den Beni - Isser ausgeliefert, sondern durch Anweisung auf die geheimen Fonds gekauft worden seyn. Dennoch liess der General Damre- mont, dem beharrliche Energie gegen die Räuberstämme fehlte, damals in den Moxeteur algerien einrücken, die 246 Entschädigung sei von den Isser versprochenermassen gelei- stet worden. Während dieser Ereignisse in der Provinz Algier hatte General Bugeaud in Oran das Commando einer Armee von 9000 Mann übernommen, um gegen Abd-el-Kader zu Felde zu ziehen oder den Emir durch Entwickelung einer so impo- santen Streitmacht einem Friedensschlusse geneigt zu stimmen. Da es damals die Schlappe von Constantine zu rächen galt, wünschte man mit dem Emir möglichst schnell fertig zu wer- den, um dann alle Streitkräfte gegen den Bey von Constan- tine verwenden zu können. Am 15. Mai marschirte die Armee mit Lebensmitteln auf vierzig Tage versehen nach Tlemsan ab, dessen ausgehungerte Besatzung mit frischem Proviant versorgt wurde. Von Tlemsan brach General Bugeaud an die Tafna auf. Die feindliche Armee war nirgends zu sehen und nur einzelne Reiter wechselten manchmal Flintenschüsse mit den arabischen Alliirten der Franzosen, den Duairs und Zmelas, welche der ehrwürdige Mustapha-ben-Ismael befeh- ligte, dieser Todfeind Abd-el-Kader’s, den es mehr als den Kriegslustigsten der jungen französischen Officiere nach dem Kampfe verlangte. Inzwischen hielt sich der Emir in ziemlicher Entfernung, um nicht durch voreilige Feindseligkeiten den Gang der Friedensunterhandlungen zu stören. Diese Unter- handlungen waren gleich nach Beendigung der Expedition von Mascara angeknüpft worden, hatten aber zu keinem Re- sultat geführt, da man beiderseits die Forderungen zu hoch stellte. Bugeaud nahm die Unterhandlungen wieder auf und bediente sich hiezu des Juden Ben-Durand, welcher, wie be- reits erwähnt, der Geschäftsmann und Vertraute des Emirs war und sich eben so sehr den französischen Generalen noth- wendig zu machen suchte. Da es aber nach vielem Hin- und 247 Herschreiben zu keinem Abschluss kommen wollte, wählte Bugeaud, der dem habsüchtigen Juden misstraute, einen andern Unterhändler in der Person des Mauren Sidi- Hamadi-ben- Scal. Der Stein des Anstosses war zuerst der Besitz der Provinz Titeri, welchen Abd-el-Kader in Anspruch nahm, wäh- rend die französische Regierung ihm den Schelif als östliche Gränze seiner Herrschaft bestimmt hatte. General Bugeaud, welchem eigenmächtiges Handeln zur Gewohnheit geworden, gab dem Emir in dieser Forderung nach. In den Verhal- tungsbefehlen, welche Bugeaud vom Kriegsminister empfangen, war auch ausdrücklich bemerkt, dass Abd-el-Kader sich zu einem jährlichen Tribut verstehen müsse. Dies verweigerte letzterer eben so hartnäckig und HerrBugeaud nahm es aber- mals auf sich, die ausdrücklichen Vorschriften seiner Regie- rung unbeachtet zu lassen und dem Emir nachzugeben. Es lag dem französischen General sehr an einer raschen Been- digung dieser Angelegenheit, denn während des Hin- und Herredens war die günstige Zeit zu den kriegerischen Ope- rationen vorübergegangen. Die meisten Maulthiere waren in Folge der schlechtgemachten Tragsättel, die ihren Rücken verwundeten, drauf gegangen oder unbrauchbar geworden. Der General sah sich des grössten Theiles seiner Trans- portmittel beraubt, noch ehe es zu einem Gefecht gekommen, und hatte nur für wenige Tage Lebensmittel mehr. Die Hauptbestimmungen des Friedenstractats, welcher am 30. Mai zwischen den beiden kriegführenden Parteien unter- zeichnet wurde, waren folgende: Der Emir Abd-el-Kader erkennt die Souverainetät Frankreichs in Afrika an. — Frank- reich behält sich den Besitz von Oran, Arzew, Masagran, Mostaganem, Algier, des Sahels und der Ebene Metidscha vom rechten Ufer der Chiffa bis zum Uad-el-Kaddarah , und 248 dem jenseits dieses Flusses liegenden Territorium, dann den Besitz von Belida und Coleah vor. — Dem Emir bleibt die Verwaltung der Provinzen Oran und Titeri, dann jener Theile der Provinz Algier, welche ausserhalb der obenbezeichneten Gränzen liegen. Dagegen darf der Emir in keinen andern Theil der Regentschaft eindringen. — Der Emir überliefert der französischen Armee 30,000 Säcke Waizen, 30,000 , Säcke Gerste und 5000 Ochsen. Dagegen wird ihm die Stadt Tlemsan sammt dem Meschuar und den Kanonen über- geben. Auch wird ihm gestattet, die ihm nöthigen Waffen, Pulver und Schwefel in Frankreich einzukaufen. — Diesen für den Emir äusserst günstigen Tractat schickte General Bugeaud zur Ratification nach Frankreich. Er wurde auch in der That zum allgemeinen Erstaunen von der französischen Regierung bestätigt. Der General Damremont war während der ganzen Verhandlung nicht einmal um seine Ansicht be- fragt worden. Die öffentliche Meinung hat seitdem diesen Vertrag an der Tafna längst gerichtet und General Bugeaud selbst drückte in der Folge seine Reue aus, ihn geschlossen zu haben. Am 1. Juni fand eine Zusammenkunft zwischen Bugeaud und Abd-el-Kader statt, welche ersterer dringend verlangt hatte. Dieses Begegnen des kräftigen Veteranen der Napo- leon’schen Kriege und des jungen, in kurzer Zeit berühmt gewordenen arabischen Fürsten, welche beide sich ein Jahr zuvor an der Sikak so heiss bekämpft hatten, ist unstreitig eine der interessantesten Episoden des afrikanischen Krieges. Es wurde damals in den französischen Journalen eine Erzäh- lung jener Zusammenkunft veröffentlicht, welche man als halb- officiell betrachtete und die auch zweifelsohne von einer Person der nächsten Umgebung des Generals Bugeaud her- 249 'rührtee Diese Erzählung war aber sehr unvollständig und alle jene Antworten und Bemerkungen Abd-el-Kader’s, welche man für das französische Publicum nicht geeignet hielt, wa- ren darin sorgfältig weggelassen worden. Ein Augenzeuge hat dem Verfasser auf seine Bitte eine sehr ausführliche Schilderung der merkwürdigen Scene schriftlich mitgetheilt und ihn dadurch in den Stand gesetzt, jenen lückenhaften officiellen Bericht zu ergänzen. Dem Leser, der an der Kriegs- geschichte in Afrika und der Person Abd-el-Kader’s Interesse nimmt, werden diese von einem gewissenhaften Manne mitge- theilten Details, welche noch nirgends veröffentlicht worden, gewiss willkommen seyn. *) Hier folgt ein Auszug seiner Erzählung. „Am 1. Juni brach der General Bugeaud mit seinem Stabe um 6 Uhr Morgens vom Lager an der Tafna auf und begab sich nach dem Ort, der für die bevorstehende Zusam- menkunft verabredet worden war. Der General hatte sechs Bataillone Infanterie, seine Cavalerie und Artillerie mitge- nommen. Er wünschte seinen Gegner mit allen militairischen Ehren zu empfangen, die Musik ertönen und die Kanonen donnern zu lassen. Daher liess er, auf dem bezeichneten Platze in einer wilden mit Zwergpalmen und Mastixsträuchern ®) Dieser Augenzeuge ist Herr Amadeus von Muralt aus Bern, Hauptmann im vierten Schweizerregimente des Königs von Neapel, welcher den Zug des Generals Bugeaud, mit Empfehlungen der fran- zösischen Regierung versehen, als Amateur mitmachte. Ich hatte die Bekanntschaft dieses trefflichen Officiers bei der Expedition nach Belida inmitten des Kanonendonners gemacht. Später trafen wir uns zu Bona wieder und begleiteten zusammen die Expedition nach Con- stantine. Auch der Hauptmann Stürler, ebenfalls Schweizer in neapo- litanischen Diensten, hat mir von der Zusammenkunft Bugeaud’s und Abd-el-Kader’s, bei welcher er gegenwärtig war, eine recht interessante Schilderung mitgetheilt. 250 dürftig bewachsenen Gegend angekommen, seine Truppen eine recht imposante Stellung einnehmen, um durch Entfal- tung alles möglichen kriegerischen Pompes auf den arabischen Fürsten Eindruck zu machen. Aber mehrere Stunden ver- strichen in ungeduldiger Erwartung. Von dem Emir und seinem Heere war weit und breit keine Spur zu sehen.“ „Endlich erschien ein arabischer Häuptling, wie es hiess ein Minister Abd-el-Kader’s, der dem General Bugeaud ein Schreiben seines „‚Sultans“ brachte. Der General öffnete — wir drängten uns neugierig in seine Näke. Nachdem Bugeaud durch seinen Dragoman Ramscha, einen Syrier, den Inhalt erfahren, zog er ein finsteres Gesicht und rief zum Dolmet- scher sich wendend: „Dites au ministre, que je suis las de ses crochets, que je nal avec moi, que la moitie de mon armde et que nous invitons son maitre a venir nous livrer batavlle“ BRamscha und der Häuptling spreng- ten im Galopp fort, dem Emir diese drohende Antwort zu bringen. In dem Schreiben hatte Abd-el-Kader nach den Preisen der ihm versprochenen Waffen und Munition gefragt. Er und seine Häuptlinge legten auf diese Klausel des Trac- tats ganz unverhohlen das grösste Gewicht. Dieser Umstand allein hätte hinreichen sollen, dem französischen General über die Absichten und Plane des Emirs die Augen zu öffnen. Ein Gegner, der beim Friedensschlusse Waffen und Pulver fordert, zeigt doch gewiss nicht, dass es ihm mit seinen friedlichen Gesinnungen Ernst ist; sein Verlangen beweist vielmehr, dass er schon an die Zeit eines neuen Bruches denkt. Bugeaud ist ein viel zu gescheidter Mann, als dass er die Folgen des Vertrages nicht geahnt haben sollte. Aber er wusste, dass er sich zu weit schon eingelassen hatte, dass die günstige Zeit zu kriegerischen Operationen über den 251 Unterhandlungen vorübergegangen war und dass die Lebens- mittel ihm bald ausgehen würden. Er glaubte sich zu com- promittiren, fürchtete die in gegenwärtigem Fall gerechten Angriffe einer ihm feindseligen Presse, wenn er mit seiner Armee nach Oran zurückkäme, “ohne weder gekämpft noch Friede gemacht, ohne durch den pomphaft angekündigten Feldzug das mindeste Resultat erreicht zu haben. Um eine persönliche Beschämung sich zu ersparen, opferte er alle höheren Rücksichten. “ ur „Die Stunden vergingen, die Sonne stand schon ziemlich tief und noch immer keine Spur von Abd-el-Kader. Auch unser Dragoman blieb aus. Bugeaud suchte vergebens seinen Aerger zu verbergen; die Officiere murrten und ich hörte einen halblaut sagen: „Add-el-Kader ne se presentera Jamais; notre General regoit un bon soufflet.““ Bissige Bemerkungen fielen in Menge. Der General, um sie nicht zu hören und den Vorwürfen, die er auf allen Gesichtern sah, auszuweichen, legte sich der Länge nach aufs Gras hin und suchte zu schlafen. Es kamen wieder arabische Boten mit lakonischen Worten. Der Eine sagte, der „Sultan“ sey krank gewesen und spät vom Lager aufgebrochen; ein Ande- rer versicherte, er sey nicht weit mehr, ein Dritter, er sey ganz nahe, aber aufgehalten worden. Bugeaud empfing sie grob, liess sie die Fronte seiner Bataillone und die Kanonen übersehen und schickte sie wieder fort.“ „Unter den anwesenden Officieren war der Bedeutendste, zwar nicht dem Range, doch dem Talent und Charakter nach, der Obrist Combes, ein Mann von den hochherzigsten Gesin- nungen, glühend begeistert für den Ruhm Frankreichs, im Umgange mild, klar, in seinem ganzen Wesen einfach und doch imponirend.. Obwohl Combes der liberalen Partei sei- 252 nes Vaterlandes angehörte und seine Principien demnach in keiner Weise mit denen seines Obergenerals harmonirten, so setzte Bugeaud dennoch grosses Vertrauen in ihn, sie waren persönlich Freunde, obwohl auch im gegenwärtigen Falle ihre Ansichten durchaus nicht übereinstimmten. Ich sah Beide in eifrigem Gespräche. Combes forderte Bugeaud auf, nicht eine so kostbare Zeit an der Tafna unthätig und unnütz ver- streichen zu lassen; wenn die Lebensmittel zu dem projectirten vierzigtägigen Feldzug nicht mehr hinreichten, so solle man wenigstens einen achttägigen unternehmen und den Feind nach allen Richtungen verfolgen. Der Obrist sprach mit grosser Wärme, er bedauerte die Millionen, welche sein Vaterland hier unnütz vergeuden lasse; jeder vernünftige Mensch musste ihm beistimmen. Bugeaud machte seinem innern Grimm und Aerger in ‚heftigen Ausrufen Luft: „@we sommes-nous devenus dans yuelgues jours! Bedwits a l’impossibilite de faire la guerre! Mes ordres ne sont pas executes. Je serais lepremier ala faire — je suis brave comme vous tous. Mais nous ne pouvons pas. Si lEmir se retire, ne se montre pas — que faire alors? Ah cetie ‚guerre est bien diffieile!‘“ Dies waren Bugeaud’s eigene Worte. Man merkte an ihm ein beständiges Schwanken. Unter Combes’ Obercommando wären die Ereignisse wohl anders ausgefallen. “ | „Endlich kam unser Dragoman in vollem Rennen ange- sprengt. Abd-el-Kader, sagte er, sey im Augentlick, als er ihn verliess, mit seiner ganzen Armee aufgebrochen und bald werde man ihn zu sehen bekommen. Nun war Bugeaud wieder heiter. Der todtmüde Ramscha setzte sich auf einen Stein und- schrieb einige Zeilen nieder, die ihm der General als Zusatzartikel zu dem Vertragsentwurf in die Feder dictirte. N 233 Die Zeit verstrich indessen und noch immer liess sich der Emir nirgends blicken. In der Ferne sahen wir arabische Cavaleriemassen einige Berge besetzen.“ „Es war fünf Uhr Abends. Der General, der seine Trup- pen noch an demselben Tage ins Lager zurückzuführen wünschte, entschloss sich endlich, den Emir selbst aufzusuchen, Er ritt, begleitet von einigen Officieren, fünf Chasseurs und einigen Spahis im Galopp davon; ich und Stürler schlossen uns seinem Gefolge an. Im Ganzen waren wir etwa zwanzig Personen. Der Grund des Zögerns war bei Abd-el-Kader vielleicht keinesweges Misstrauen, sondern mehr Stolz. Er sah ein, dass er vor der Fronte der feindlichen Armee nicht in seiner Sultanswürde auftreten könne, sondern mit dem französischen General auf dem Fusse der Gleichheit stehen werde. Dies suchte er zu vermeiden, sowohl aus angebornem Stolz, als aus Klugheit, denn er wollte in den Augen seiner Araber auf keine Weise seiner Würde etwas vergeben.“ „Nach einem dreiviertelstündigem Ritt über einen ziemlich rauhen Weg, glaubten wir endlich Abd-el-Kader inmitten seiner Reiter auf dem Abhang eines Hügels zu erblicken. Es war aber Täuschung. Nur einzelne Reiter zeigten sich und winkten mit weissen Tüchern. Endlich kam Buhamedi, Häuptling der Kabylen an der Tafna, und versicherte dem General, er werde den Emir sogleich treffen. Einige ara- bische Reiter umkreisten uns auf der Seite und im Rücken, Das Gefolge fing an unruhig zu werden, und mehrere Stim- men riefen: ,, General nous nous exposons trop — arre- tons !“ Bugeaud’s augenblickliche Antwort war: ‚„„Messieurs ÜU n’est plus temps“ Er hatte Recht. Vorsicht wäre hier zu spät gewesen, denn von allen Seiten waren wir bereits von einzelnen Reiterhaufen umringt, deren Demonstrationen übri- 254 gens nichts Feindseliges hatten. Buhamedi, der die Unruhe des Gefolges merkte, rief: „Seyd ruhig, fürchtet nichts.“ — „Ich kenne keine Furcht — erwiederte General Bugeaud — ich bin an euren Anblick gewöhnt. Aber ich finde es auch unhöflich von deinem Häuptling, dass er mich so lange war- ten, so weit her kommen lässt.“ — „Er ist dort“, sagte der Kabyle, ‚ihr werdet ihn gleich sehen.“ Der Weg machte hier eine Biegung und nun erblickten wir den Emir plötzlich vor uns. Abd-el-Kader sass auf einem dunkelschwarzen Ross; an seiner Seite seine Negermusik, um ihn seine vornehmsten Häuptlinge auf prachtvollen Pferden und im nahen Hinter- grunde seine Armee, Reiterei und Fussvolk, malerisch gela- gert auf den Abhängen des Gebirgs.“ „Als Bugeaud den Emir erblickte, ritt er ihm einige Schritte entgegen und lud ihn mit freundlicher Geberde ein, das Gleiche zu thun. Abd-el-Kader achtete aber nicht auf ihn, sondern liess sein wunderschönes Wüstenross die Fantasia machen und zeigte dabei eine ungemeine Reiterge- wandtheit. Bald machte der feurige Rappe Sätze von vier bis fünf Fuss, bald marschirte er mehrere Minuten lang blos auf den Hinterfüssen, er schnaubte dabei sehr vernehmbar und seine lange Mähne berührte den Boden. Die 150 oder 200 Häuptlinge hinter ihm, sämmtlich äusserst imposante Ge- stalten mit schönen schwarzen oder silbergrauen Bärten, liessen gleichfalls ihre Rosse bäumen und schnauben. Als der Emir dem General durchaus nicht entgegenkommen wollte, sprengte letzterer im Galopp auf ihn zu und bot ihm die Hand. Der Araberfürst empfing sie äusserst stolz, und auf eine für unsern General wahrhaft beleidigende Weise. Wir sahen einander an, uns war nicht wohl zu Muth und namentlich wurden die Intendanten bleich; wir fürchteten eine Verrätherei. Inzwischen 255 stieg Bugeaud vom Pferd, Abd-el-Kader that das Gleiche und legte sich gleich der Länge nach aufs Gras hin, ohne den General zu sich einzuladen. Uns würdigte der Emir gar keines Blicks; er schien uns insgesammt wie Hunde zu ver- achten. Bugeaud setzte sich nun auch sans fagon an seine Seite, neben ihm der Dragoman Ramscha. Bei Abd-el-Kader sass Milud-ben-Arasch, sein Aga und Vertrauter. Die 150 Häuptlinge, grösstentheils Marabuts und Scheikhs, blieben auf ihren Pferden und bildeten einen grossen Halbmond um die Gruppe. Zwei von ihnen ritten dicht vor uns und stellten sich zwischen uns und ihren Gebieter, offenbar in der Ab- sicht, dem „Sultan‘ beizuspringen, wenn wir etwa unser eigenes Leben einsetzen wollten, den gefährlichen Feind zu tödten.‘“ „Abd-el-Kader ist von kleiner Figur und zart gebaut. Seine Stirn ist sehr ausgebildet, sein Mund ziemlich gross, sein Auge sanft und gleicht ziemlich dem Bilde, das die Tradi- tion von Jesus Christus giebt. Der Ausdruck seiner Züge ver- räth Andacht und Frömmigkeit, die vielleicht ein bischen affectirt ist. An jenem Tage trug er das einfachste Gewand, einen braunen, aus Kameelshaaren gewebten Bernuss. Wir wussten nicht, wen wir unter den merkwürdigen Gruppen vor unsern Augen am meisten betrachten sollten, den Emir, seine Häuptlinge, deren majestätische Haltung und langen wallenden Gewänder. Das Malerische ihrer Gestalten erhob die arabi- sche Armee, welche, 8000 Reiter und eben so viel Fussgänger stark, recht geisterhaft alle Bergrücken umher bedeckte. Es herrschte tiefe Stille und die Unterredung begann.“ „Der erste Artikel des Tractats betraf die Anerkennung der Souverainetät des Königs der Franzosen in Afrika. „Wie! — rief der Emir — und die übrigen Fürsten Afrikas, Ma- 256 rokko, Tunis, sollen auch die ihn als solchen anerkennen?“ — „Was verschlägt’s dich denn“ (@uxe t’importe?) erwiederte Bugeaud. Abd-el-Kader schwieg und man ging in der Lesung der Artikel weiter. Bugeaud verlangte Geiseln als Garantie der Erfüllung des Tractats. ,‚In diesem Falle — sagte der Emir — werde auch ich Geiseln von Dir fordern. Der Glaube und die Sitten des Arabers sollten euch genügen. Jeder Vertrag ist mir heilig. Nie habe ich mein Wort ge- brochen. Die französischen Generale können nicht dasselbe von sich sagen.“ Er wiederholte dies einigemal mit lebhaftem Nachdruck. ,‚Ich vertraue auf Dein Wort — erwiederte der General — und verpfände mich für Deine Treue beim Könige der Franzosen; ich biete Dir meine persönliche Freundschaft.“ — „Ich nehme Deine Freundschaft an. Mögen die Fran- zosen sich aber hüten, den Intriganten Gehör zu schenken.“ — „Die Franzosen lassen sich von Niemanden leiten. Ein- zelne Verbrechen werden den Frieden nicht stören, wohl aber wird dies der Fall seyn, wenn der Vertrag nicht erfüllt oder eine Feindseligkeit von Bedeutung begangen wird. Was einzelne Verbrechen anbelangt, so wollen wir sie einander anzeigen und die Schuldigen gegenseitig bestrafen.“ — „Ganz gut. Gieb mir immer Nachricht und die Schuldigen sollen der Strafe nicht entgehen.“ — ‚Ich empfehle Dir die Ku- ruglis von Tlemsan zu guter Behandlung.“ — ,„Sey ruhig. Sie sollen behandelt werden, wie die Hadars (Mauren). — Abd-el-Kader fragte aufs Neue nach den Preisen der ihm zu liefernden Waften und Munition. Ungeduldig rief General Bugeaud zu seinem Dolmetscher: „Mais que diable! Di- tes lui donc, que nous ne sommes pas des enfants. Il les aura au prix de l’armee.“ Abd-el-Kader schien zufrieden.“ 257 Nach einem kurzen Schweigen fragte Bugeaud: „hast Du befohlen den Handelsverkehr mit unsern Städten wieder her- zustellen 2“ — „Nein, dies wird erst geschehen, wenn Du mir Tlemsan übergeben hast.“ — „Du weisst wohl, dass ich Dir Tiemsan erst übergeben kann, sobald mein König den Vertrag genehmigt hat.‘ — So hast Du also keine Vollmacht einen Vertrag zu schliessen?“ — „Wohl bin ich dazu _be- vollmächtigt, aber der Vertrag muss bestätigt werden. Es ist dies zu Deiner Garantie nothwendig, denn wenn er von mir allein geschlossen wäre, könnte mein Nachfolger ihn wieder aufheben, hat ihn aber der König genehmigt, so ist auch mein Nachfolger verpflichtet, den Vertrag zu halten.“ — „Wenn Du mir Tlemsan nicht übergiebst, so habe ich keinen Vortheil, Frieden zu schliessen. Dann wird es nur em Waffenstillstaud seyn.“ — „Allerdings ist es vielleicht nur ein Waffenstillstand; aber Du allein gewinnst dabei. Fürch- test Du nicht meine Artillerie? Und wenn ich Deine Ernten zerstöre und verbrenne?“..... — „Die Sonne ist meine Artillerie, die deine Heere vernichten wird. Verbrenne im- merhin einen Theil unserer Ernten. Wir werden anderswo Getreide finden. Unser Land ist gross und Du wirst mir mit Deinen Colounen nicht folgen; die Hitze und die Seuchen werden sie aufreiben. Ueberall, wo Du erscheinen wirst, ziehen wir uns zurück, und dann werden Dir bald die Lebens- mittel ausgehen. Wir Nomaden finden überall genug zu un- serer Nahrung. Nie werden wir in Deine Hände fallen.“ — „Ich glaube die Araber denken nicht alle wie Du. Sie wün- schen den Frieden, und Einige haben mir gedankt, dass ich ihre Felder bisher verschonte.‘“ — Abd-el-Kader lachte ver- ächtlich und fragte dann, wie lange Zeit nothwendig sey bis zum Eintreffen der königlichen Genehmigung. „Drei Wochen“, Morıtz WAGner’s Algier Il. 17 258 antwortete ihm der General. — ,„'S ist lange Zeit!“ — „Du verlierst nichts dabei.“ — Ben-Arasch näherte sich und sagte zum General: „Drei Wochen ist zu lang. Wir warten nicht länger, als zehn bis vierzehn Tage.“ — „Kannst Du dem Meer gebieten ?“ rief Bugeaud. — ,Wohlan , so werden wir den Handelsverkehr erst dann wieder anknüpfen, wenn die Genehmigung Deines Königs eingetreffen ‘seyn wird.“ — Ramscha erzählte mir auch, dass Bugeaud im Laufe. des Gesprächs zum Emir gesagt habe: ,‚Wenn Du uns ge- fangen nimmst oder tödtest, gewinnst Du nichts dabei. Es giebt noch tausend Generale wie ich in Frankreich.“ — „Nach einer dreiviertelstündigen Unterredung stand Bu- geaud auf, während der Emir, sich nicht im geringsten um ihn kümmernd,, ausgestreckt liegen blieb. Der General sah ihn ganz verdutzt mit gekreuzten Armen an, packte ihn dann plötzlich bei der Hand und hob ihn in die Höhe. Der Emir lächelte dankbar für diese Höflichkeit und liess sich auf die Füsse stellen. Das französische Publicum glaubte, als es . diesen Vorgang in den Journalen las, der General habe sich äusserst kühn benommen. Aber auf die Araber hatte dieses Aufheben ihres Fürsten gerade den enigegengesetzten Ein- druck gemacht. Sie glaubten hierin eine Demüthigung des französischen Generals zu sehen, einen Bedientendienst von der Art, wie der des Kaisers Friedrich Barbarossa, als er dem Papst den Steigbügel hielt. Es war sechs Uhr Abends, als die Unterredung zu Ende war. Die Sonne war von Wolken umhüllt. Abd-el-Kader schwang sich, ohne sich nach uns umzusehen, aufs Pferd und sprengte im Galopp die An- höhe hinauf; seine hundert und funfzig Häuptlinge ihm nach. Jetzt brach auf einmal das gespensterhafte Heer, das bisher der Unterredung regungslos zugeschaut hatte, in ein wildes, 259 langdauerndes Hurrah aus, das, vom Fusse des Berges begin- nend, wie eine Meerwoge hinaufrollte. Gleich darauf krachte ein dumpfer Donnerschlag von den Wolken oben, der vom Bergecho wiederholt, das Grossartige dieser Scene nicht we- nig erhöhte.“ „Bugeaud kam auf uns zu mit den Worten: „@xel komme fier! Moais je Vai force de se lever.“ Er mochte aber wohl bei sich fühlen, dass die Araber sein Benehmen durch- aus nicht für ein Heldenstück gehalten.“ „Uns war bei dem Wegreiten ganz seltsam zu Muthe. Wir waren von dem, was wir gesehen, wie betäubt, und glaubten zu träumen. Auch der General Bugeaud ritt in stillem Nachdenken fort. Im Lager ‘angekommen, umringten uns Hunderte von neugierigen Officieren, die uns beneideten und denen wir erzählen mussten. Mit finsterem Gesichte sass der alte Mustapha-ben-Ismael auf dem Rasen, das schöne ehrwürdige Haupt tief zur Brust gesenkt. Er glich einem sterbenden Propheten. Als er hörte, dass nun Alles im Rei- nen sey und dass man sich nicht gegen Abd-el-Kader schla- gen werde, sagte er mit bitterm Ton: „mir bleibt jetzt nichts weiter übrig, als nach Mekka zu ziehen und für mein den Franzosen geschenktes Vertrauen in der Kaaba Busse zu thun.“ General Damremont wurde von dem Friedensschluss an der Tafna benachrichtigt, als er eben mit einer Colonne auf das Gebiet der Hadschuten vorgedrungen war. Er zog sich sogleich zurück und die Feindseligkeiten blieben suspendirt. Die Franzosen konnten jetzt ihre Streitkräfte ungetheilt gegen den Bey von Constantine verwenden. Obrist Duvivier hatte 17 * 260 aus den Trümmern von Ghelma, wo er seit der verunglückten Expedition des Marschalls Clauzel mit einem Bataillon zurück- gelassen worden, einen furchtbaren Waftenplatz geschaffen, der allen Angriffen Achmet’s Trotz bieten konnte. Jenem trefflichen Officier, den die französisch- afrikanische Armee ihren bedeutendsten Kriegsmann nennt, gelang es auch, die meisten Stämme der dortigen Umgegend für die französische Sache zu gewinnen. Er liess seine Soldaten unablässig an der Strasse nach Constantine arbeiten und bereitete Alles zu einem neuen Zuge vor. Im August kam General Damre- mont nach Ghelma und von dort mit 5000 Mann nach Me- dschez- Ammar, wo ein neues Lager gegründet wurde. Dort wartete der Gouverneur das Resultat der Unterhandlungen ab, welche zuerst durch den Juden Busnac, dann durch den Mauren Ben-Kherim angeknüpft worden. Sie hatten aber keinen Erfolg und am 1. October 1837 brach die französische Armee zum zweitenmal gegen die alte Hauptstadt Numidiens. auf. 261 Die Expedition nach Constantine.') RE. Das Lager Medschez-Ammar. — Truppenschau. — Die französisch- afrikanische Armee. — General Damr&mont. — Der Herzog; von Nemours. — General Perregaux. — Die Feldhospitäler. — Lager- scenen. — Der Angriff der Armee Achmet Bey’s am 23. Septem- ber. — Ein Abendessen bey dem Obristen Lamorieiere. — Ca- pitain Levaillant. — Die Zuaven. — Ein Deserteur. — Obrist Combes. — General Trezel. — Ben-Zecri. — Hadschi-Soliman, — Rüstung. zum Aufbruch nach Constantine. **) Au 26. September 1837 kam ich mit dem Hauptmann Muralt. und einigen Mitgliedern der wissenschaftlichen Com- °) Als Augenzeuge dieser denkwürdigen Waffenthat der französi- schen Armee während ihres zehnjährigen Krieges in Nordafrika glaube ich derselben eine möglichst ausführliche Schilderung widmen zu dür- fen. Eine von mir verfasste Erzählung des Zuges nach Constantine findet sich in der Allgemeinen Zeitung (Jahrg. 1837. Ausserord. Beil. S. 603— 614). Ich schrieb dieselbe theilweise unter dem Zelte nieder. Bei meinem leidenden Zustand und in Ermangelung mehrerer officieller Documente, die erst seitdem zu meiner Kenntniss gekommen sind, konnte ich damals keine ausführliche Beschreibung des interes- - santen Zuges liefern. Dies bestimmt mich daher zu gegenwärtigem umständlichen Bericht, mit welchem ich die geschichtlichen Bemerkun- gen über die Regentschaft Algier schliesse. Die Verwaltung des Mar- schalls Valde gehört der allerneuesten Zeit an und kann, da sie noch nicht beendigt ist, einer Beurtheilung nicht füglich unterliegen. #°) Die Beschreibung, der Scenen vor dem Aufbruch der Armee und nach der Einnahme Constantines ist fast ganz meinem Tagebuch entnommen. 262 mission zu Medschez-Ammar an. Dieses neuerrichtete Lager war 27 Lieues von Bona entfernt und hatte seinen Namen von der arabischen Benennung des üppig bewaldeten 'Thales, welches der Fluss Seybuss durchströmt. Die dortige Gebirgs- gegend ist etwas einförmig, aber schöne Gruppen von Tama- risken, Korkeichen, Cypressen, Mastixbäumen und Zwerg- palmen schmücken die Bergabhänge und die Ufer eines ein- samen Gewässers. Sämmtliche Gewächse haben fremdartige, bizarre Formen und düster grünes, meist unbewegliches Laub, welches der wilden Landschaft einen eigenthümlich melancho- lischen Anstrich leiht. Von allen Seiten umgeben das Thal die Ketten des Atlas, welche auf der Süd- und Westseite am höchsten sind. Im Süden des Kessels ragt der Ras-el- Akbah empor, ein seltsam gestalteter Berg in Kegelform, halb bewachsen, mit kahlem Felshaupt. Das ganze Thal mag etwa zwei Stunden im Umfang haben. Die kleinere Hälfte dieses Raumes nahm damals das Lager des französischen Hee- res ein. | Wer das Thal Medschez-Ammar in früheren Zeiten ge- sehen, der möchte es jetzt kaum wieder erkennen, so verän- dert hatte sich dort Alles seit der sechswöchentlichen Anwe- senheit der französischen Soldaten. Die Buschwildniss war bedeutend gelichtet und in der Mitte ein grosser Raum vom Gesträuche völlig frei gemacht, in welchem hölzerne Barraken, weisse schmucke Zelte und grüne Laubgebäude sich erhoben. Letztere sahen ganz besonders zierlich aus. Dach, Wände und Säulen waren von Zweigen des Pistaciastrauchs gebaut, die, obwohl seit Wochen schon abgehauen, ihre frischgrüne Farbe behalten hatten. Mehrere dieser luftigen Blätterhäuser standen mit einander durch Gänge, die eine Reihe grüner Arkaden bildeten, in Verbindung; es waren dies die Speise- 263 säle der Officiere. Nirgends habe ich mehr die Rührigkeit und Handfertigkeit der französischen Soldaten bewundert, Mit diesen Kunstbauten konnten sie sich nur in ihren Feierstunden beschäftigen und deren waren wenige, denn sie mussten auch die Heerstrasse nach dem Ras-el-Akbah bauen, das Lager mit Erdschanzen umgeben und Forts auf den Bergen errich- ten; alles dies in der Hitze einer afrikanischen Septembersonne und beständig geneckt von umherschleichenden Feinden! Die Wildniss von Medschez-Ammar hatte das Ansehen eines englischen Parks gewonnen mit Gartenhäusern, Lauben und Alleen. Der Herzog von Nemours traf einige Stunden nach uns ein und hielt Revue über die Expeditionsarmee. 9000 Mann defilirten vor ihm, worunter Truppen aller Waffengattungen. Die neuangekommenen Linien- und leichten Infanterieregi- menter contrastirten mit den älteren auffallend. Jene hatten noch ein frisches, blühendes, rothwangiges Aussehen, wäh- rend die Soldaten des 47sten und 63sten Linien-, des I7ten und 2ten leichten Infanterieregiments, welche seit Jahren schon die Strapazen des Feldlebens in Afrika gekostet hat- ten, mager und dunkel gefärbt, fast wie die Kabylen waren. Aber die Stärke des Heeres bestand eben in diesen abgehär- teten Regimentern, von denen nur die eisenfesten Individuen vier oder fünf Jahre der Sonnenhitze, der Entbehrungen, der Wechselfieber und der Ungezieferqual überleben konnten. Nachdem die französischen Infanterieregimenter unter Trompetenschall vor dem Herzog und seinem Gefolge vor- übergezogen waren, folgten die eigentlichen Corps der afri- kanischen Armee, welche nicht abgelöst werden, wie die Linienregimenter. Zuerst die Zuaven, eines der tapfersten Corps, welches besonders in den Gebirgskriegen unermessliche 264 Dienste geleistet hat. Die Zuaven sind Infanteristen und tragen Uniform im türkischen Schnitt, weite rothe Hosen, die bis an die Knie reichen, Kamaschen von Leder, Jacken und Westen von dunkelblauem Tuch mit rothen Schnüren verziert, keine Halsbinde.e Den Kopf scheeren sie bis zum Haarbüschel am Wirbel und bedecken ihn mit einem Turban. Zwei Drittheile der Zuaven sind französische Freiwillige, ein Drittheil besteht aus Eingeborenen der verschiedensten Völker, aus Kabylen, Arabern, Türken, Mauren und Negern. Die Eingeborenen bilden eigene Compagnien und tragen grüne, die Franzosen rothe 'Turbane. Als leichtes Plänklercorps sind die Zuaven unübertrefllich. Seit fünf Jahren waren sie bei allen bedeutenden Expeditionen und immer die Allerver- dersten im Kampfe, machten die beste Beute, wo es zu rau- ben gab, empfingen aber auch überall die ersten Flinten- schüsse. Die sogenannten Bataellons d’Afrigwe bestehen sämmt- lich aus Individuen, welche wegen Disciplinarvergehen oder Verkauf ihrer Effecten zu mehrmonatlicher Gefängnissstrafe verurtheilt worden. Alle Militairgefängnisse Frankreichs wer- den nach Afrika ausgeleert und die französischen Regimenter auf solche Art von allen schlechten Subjecten gesäubert. Die Soldaten dieser leichten afrikanischen Infanterie leisten fast eben so treffliche Dienste, wie die Zuaven. Es sind lieder- liche Gesellen in der Garnison, aber auch beherzte Männer, wo es 'T'odesverachtung zu zeigen gilt. Die Generale Clauzel und Duvivier, welche hinreichend bewiesen haben, dass sie den Krieg in Alvika zu führen verstehen, verwendeten zu jedem kühnen Unternehmen, von dessen Gelingen viel abhing, die „afrikanischen Bataillone‘“ vorzugsweise. Die Tiravlleurs d’Afrique waren damals ein neues 265 aus Freiwilligen errichtetes Corps, welches bei dieser Ex- pedition seine ersten Lorbeeren zu gewinnen hoffte. Die Fremdenlegion war ebenfalls wieder neu organisirt wor- den und bestand grösstentheils aus Soldaten der frühern Le- gion, die von Spanien zurückgekommen waren. Es gab aber auch viele deutsche Deserteurs oder sonstige Abenteurer dar- unter, welche der schlechteste Geist beseelte. Eine gute Anzahl Soldaten dieses Corps flüchtete sich, Krankheit vor- schützend, in die Hospitäler, um den Feldzug nicht mitma- chen zu müssen. Sehr schön sind die berittenen Ohasseurs d’Afrigue, welche ein Costüme in polnischem Schnitt, kurze himmelblaue Faltenröcke und weite rothe Hosen tragen. Sie führen Flinten und halbgekrümmte Säbel und reiten arabische Pferde. Den Truppenzug schlossen die berittenen Spahis und die arabischen Hülfsgenossen, welche die gewöhnliche Landestracht tragen und eine rothe Fahne mit dem Halbmond haben. Ibre Officiere, grösstentheils Franzosen, sind tür- kisch gekleidet. Der Obergeneral dieser Armee, Graf Denys von Dam- remont, war ein Mann sehr kräftigen Wuchses in den funf- ziger Jahren. In seiner ziemlich gemeinen Physiognomie liess sich gar kein auffallender Zug entdecken. Seine Figur war schwerfällig, sein Benehmen ruhig und kalt. Uebrigens war er im Umgang nicht unangenehm, mild, verbindlich, nie leidenschaftlich. Als General traute man ihm viele Kennt- nisse, gesunden Blick, kaltblütigen Muth, aber keineswegs ein bedeutendes Kriegertalent, als Privatmann einen vollkom- men redlichen Charakter zu. Vor dem Aufbruche der Armee wurde der Herzog von Nemours noch als französischer Prinz behandelt und alle sei- nem Rang gebührende Ehren ihm erwiesen. Am 1. October 266 trat er als Brigadegeneral in Dienst und hatte dann nur noch seine drei Adjutanten um sich. Der Herzog ist ein schöner junger Mann, schlanken Wuchses und feiner Gestalt. Er hat blonde Haare, blaue Augen, eine Adlernase, keinen Bart. Der Schnitt seines Gesichts ist sehr edel, seine Haltung voll prinzlichen Anstands. Immer sah ich ihn ruhig, nachdenkend und einsylbig. General Perregaux, Chef des Generalstabes und Damre- mont’s Busenfreund, war ein Mann in den Vierziger Jahren. Er trug starken Schnurr- und Knebelbart, war mager, hatte feurige, immer bewegliche schwarze Augen und sehr aus- drucksvolle, edle Züge. Er war die Seele dieser Armee. Der Operationsplan soll fast ganz sein Werk gewesen seyn. Auf seinen Schultern lastete überdies die Oberleitung der ganzen Militairverwaltung; er hatte für Alles zu wachen und zu sorgen, war verantwortlich für Alles gemacht. ‘So lange er im Lager Medschez- Ammar verweilte, waren seine Nächte schlaflos und sein Adjutant versicherte mich, dass die Haare des Generals in einer Woche grau geworden. Die sämmtlichen zur Expedition nach Constantine be- stimmten Corps bildeten eine Masse von etwa 16,000 Strei- tern. Davon lagen aber mehr als 4000 Mann in den Ho- spitälern krank. In einem von Marseille angekommenen Regiment war die Cholera ausgebrochen; dasselbe musste un- ter Quarantaine gestellt werden und konnte an dem Feldzuge keinen Theil nehmen. Obwohl einige der Zwischenlager auf dem Wege von Bona nach Medschez- Ammar geräumt wor- den, absorbirten die übrigen, deren Occupation unumgänglich nothwendig war, doch eine beträchtliche Truppenzahl und es blieben daher zur Expedition nicht viel über 8000 Mann übrig. Trotz der Absonderung des 12ten Regiments spukte die Cho- 267 lera doch auch schon unter den übrigen Corps und zwei Mo- nate später brach sie in aller Furchtbarkeit aus. Die meisten Kranken litten vor dem Aufbruch der Armee an Fieber und Dysenterie. Die Holzbarraken der Lager Medschez-Ammar, Ghelma, Hammam-Berda, Drean konnten ihre wachsende Zahl nicht mehr fassen. Täglich nahmen die Wägen der Convois als Rückfracht Leidende mit und Bonas Hospitäler selbst waren so überfüllt, dass man die Kranken auf die Dampfschiffe bringen und nach Algier oder Frankreich trans- portiren musste. Viele starben auf der Ueberfahrt. ‘So man- che Officiere meiner Bekanntschaft, die in Fülle der Gesund- heit in Bona mich verlassen hatten, sah ich im Lager als wahre Jammerbilder wieder. Bleich und abgezehrt, mit ge- lähmten Gliedern, hörten sie aus der Kraukenbarrake das kriegerische Getöse, das an den baldigen Aufbruch mahnte. Wenn die Trommeln wirbelten und die Kanonen ihren Freu- dendonner durch die Wildnisse des Atlas jauchzten, kam Gluth wieder in ihre matten Augen. Sie hatten seit einem Jahre sich nach diesem Feldzuge gesehnt, hatten Ungemach und Langeweile des Lagerlebens willig getragen und Ersatz dafür auf der Bresche von Constantine gehofft. Jetzt lagen sie auf dem Siechbette mit gebrochener Kraft, ihre Augen stierten den Fortziehenden nach, ihre Ohren spitzten sich beim Klang der Marschtrompete. Besonderes Mitleid flösste mir ein jun- ger Oificier des Geniecorps, der Lieutenant Damas ein. Er war ein edler, heldenkräftiger Jüngling, voll Liebenswürdig- keit im Umgang und von einer Begeisterung für den Waffen- stand, wie ich sie selbst unter den Franzosen nicht häufig gefunden habe. Am Tage des Aufbruchs der Armee kleidete Damas sich in seine volle Uniform, den Degen an der Seite, stellte sich vor sein Zelt, weidete sein Auge an den vorüber- 268 ziehenden Regimentern, die in aller Kampflust und in fran- zösischem Leichtsinn zu ernster That auszogen, ohne über die Zukunft den geringsten trüben Gedanken aufkommen zu lassen. Als sein eigenes Corps kam, wurde das bleiche Ge- sicht des kranken Jünglings noch bleicher, aber auch verklärt und schön, er blickte wehmüthig-freundlich seine Soldaten an und erwiederte jeden Händedruck der Officiere, war aber kei- nes Wortes mächtig. _Adiew Damas! Nous te reverrons a Constantine! riefen tröstend seine Freunde und Damas nickte traurig mit dem Kopfe. Aber jene, wie dieser verrechneten sich mit dem Wiedersehen. Die Compagnie, in welcher der junge Officier gestanden, war mit beim Sturme der Bresche und die dort aufkrachende Pulvermasse zermalmte fast sämmt- liche Officiere. Dem armen Damas aber brach, als er seine Fahne auf den Höhen des Ras-el-Akbah verschwinden sah, das junge Heldenherz und die Kanonenschüsse, welche am 15. October in Medschez-Ammar die Eroberung von Con- stantine feierten, waren zugleich die Trauersalven seines Leichenbegängnisses. Die Lagerscenen in Medschez-Ammar boten mir noch immer Interesse, obwohl ich lange auf den Vorposten der Metidscha mich aufgehalten hatte und seit fast einem Jahr täglicher Augenzeuge des afrikanischen Feldlebens gewesen war. Hier war die Truppenzahl bedeutend stärker, als in den Lagern der Algierer Umgebungen; eine ganze Karavane von Schenkwirthen und Krämern war der Armee gefolgt und hatte zu Medschez- Ammar ein Dörfchen gebaut, aus Kaffee- häusern, Marketenderhütten und Krambuden bestehend, voll zechender, spielender oder auch nur flanirender Soldaten und Officiere. Nie sah ich dieselben Individuen lange an einem Fleck verweilen. Im französischen Soldaten steckt, wenn er 269 nicht auf dem Exercier- oder Arbeitsplatze ist, eine unbe- schreibliche Unruhe, Stundenlang vor einer Flasche Wein, an demselben Tisch und den nämlichen Gesichtern gegenüber zu sitzen, wäre ihm eine Qual. In den Cantinen ist bestän- diger Ab- und Zulauf von Gästen. Im Freien lodern Feuer und zischen Bratpfannen. Die Einen suchen Krabben in den Siimpfen oder Schildkröten auf den Wiesen, die Andern schie- ssen Feldhühner und wilde Schweine und wieder Andere su- chen Cactusfeigen oder graben die Wurzel der Zwergpalme aus, während ihre Kameraden am Feuer die erbeuteten ro- hen Gerichte zum Abendschmause zubereiten. Dabei wird munter geschwatzt, zuweilen ein Liedchen gesungen und lu- stige Einfälle würzen die frugale Küche. Kriegserinnerungen bildeten den gewöhnlichen Stoff des Bivouacgesprächs. Achmet Bey lagerte bis zum 28. Septem- ber mit seiner Armee auf den Höhen des Ras-el-Akbah. Drei Tage vor unserer Ankunft hatte er einen verzweifelten Angriff auf die Aussenposten des Lagers gemacht. Es waren meistens Kabylen, die mit grösster Entschlossenheit zum Stur- me vorrückten. Die Ursache dieses Angriffes war der Man- gel an Lebensmitteln, der im Lager des Beys herrschte, Seine Hauptmacht bestand aus Kabylen, namentlich aus den Contingenten der fanatischen Stämme in der Umgegend von Budschia. Diese hatten schon zu Anfang des Monats Au- gust unter den Fahnen des Beys sich eingefunden, denn Achmet erwartete damals die Franzosen. Ihr Zögern war ihm unbegreiflich, da die Regenzeit sich näherte, wo die schweren Geschütze bis Constantine zu bringen kaum möglich war. So sehr aber auch die fanatischen Kabylen sich nach dem Kampfe mit den Ungläubigen sehnten, so war doch ihre Sehnsucht nach der Heimkehr nicht minder gross, denn 270 wie alle Gebirgsbewohner hängen jene Wilden mit aller Liebe an dem Ort, wo sie zuerst den Himmel gesehen; sie lieben auch Vater, Weib und Kind, ihre Hütte und ihr Ackerfeld; und ihr glühender Fanatismus reicht nicht hin, sie eine allzulange Trennung ertragen zu lassen. Als daher fast zwei Monate verstrichen waren und die Franzosen noch immer un- beweglich in ihrem Lager blieben, drangen die Kabylen, die das Heimweh quälte, in den Bey, sie in den Kampf zu füh- ren, denn vor ihrer Abreise wollten sie wenigstens noch ein Zeugniss ihres Glaubenseifers ablegen. Am 23. September wurden die Vorposten des französischen Lagers mit Sonnen- aufgang von 3- bis 4000 zerlumpten Barbaren unter wüthen- dem Geschrei überfallen. Der Angriff geschah so plötzlich und mit solcher Entschlossenheit, dass, wenn die Kabylen sich nicht durch ihr Geheule verrathen hätten, eine ziemliche Zahl der französischen Soldaten, welche meist ohne Waffen in der Umgebung des Lagers zerstreut und mit dem Fällen von Bäumen oder der Schildkrötenjagd beschäftigt waren, in grosse Gefahr gerathen wäre. Noch zu rechter Zeit brachten die Signale auf den Bergen den Allarm ins Lager und die anrückenden Feinde wurden von einem rollenden Musketen- feuer tapfer empfangen. Die Augenzeugen beschrieben uns spätern Ankömmlingen jene Kampfscene mit so lebendigen Farben, dass es uns alle nicht wenig schmerzte, das inter- essante Schauspiel versäumt zu haben. Sehr malerisch soll besonders der Kampf auf den westlichen Bergen sich aus- genommen haben. Dort stand ein kleiner befestigter Späher- posten, dessen die Kabylen sich leicht bemächtigen zu können glaubten. Die Schanze wurde von Feinden dicht umringt. Die Angreifenden rückten festen Schrittes vor, suchten aber hinter dem Dickicht Schutz gegen die Kugeln, die vom un- 271 tern Lager hinauf und von der Schanze oben herunter pfiffen. Sie erwiederten die Fusillade tüchtig und aus allen Büschen sprühte das Musketenfeuer, da wo auch kein Feind sichtbar wurde. Nach einem dreistündigen Kampfe zogen sich die Kabylen, das Nutzlose ihres Angriffes einsehend, zurück und trugen ihre Todten auf ihren Schultern fort. Doch sahen wir noch einige Tage später, als wir den Herzog von Ne- mours zu einem Ausfluge nach Hammam-Meskhutin begleite- ten, in den Abgründen unbeerdigte Leichname liegen. Die französische Armee machte damals keinen Ausfall, weil hinter den Kabylen 3- bis 4000 Mann reguläre Truppen Achmet’s standen und General Damr&mont jeden ernstlichen Kampf vor dem Beginn der Operationen zu vermeiden suchte. Ein gro- sser Theil der Kabylen verliess bald darauf das Lager Ach- met’s und kehrte nach Hause zurück. Der Bey selbst räumte am 28. September seine Stellung auf dem Ras-el-Akbah und kehrte nach Constantine zurück. Am 29. September soupirte ich beim Obristen Lamori- ciere, dem berühmten Commandanten der Zuaven. Das Zelt dieses Oberofficiers stand am rechten Ufer des Flusses Sey- buss, auf den äussersten Vorposten. Es waren dort keine Schanzen angelegt und da dem Feinde ein Ueberfall von jener Seite leicht geworden wäre, wurde ein Drittheil des Zuavenregiments in den Hinterhalt unter die Büsche gelegt. Die Araber schienen dies zu merken und blieben aus. Obrist Lamoriciere kannte seine Soldaten und schlief in seinem offe- nen Zelte den ruhigsten Schlaf. Dieser tapfere junge Officier ist eine so ausgezeichnete Erscheinung, dass auch das kür- zeste Beisammensein mit ihm einen Eindruck hinterlässt, der sich nie verwischt. Lamoriciere ist aus der Vendede gebürtig, der Sohn eines Landedelmanns in der Umgegend von Nantes. 272 Mit früher Neigung zum Militairstande trat er in die poly- technische Schule ein und war einer der begabtesten Züglinge. Als Lieutenant des Genie in der afrikanischen Armee ange- stellt fiel sein bedeutendes kriegerisches Talent, sein energi- scher Charakter und seine seltene Rednergabe bald so sehr seinen Vorgesetzten auf, dass er von seiner gelehrten, spe- ciellen Waffengattung, in welcher es sich mehr um Bauplan als um kriegerische Thaten handelt und in der die Beförde- rung weniger schnell geht, weil die Gelegenheit, sich hervor- zuthun, viel seltener sich bietet, in die Infanterie versetzt wurde und in dieser rasch alle Stufen durchlief. Er studirte die Kriegführung in Afrika mit grossem Erfolg und war eben so tüchtig im Entwerfen eines Öperationsplanes, als in ge- wandter, nachdrucksvoller Ausführung desselben. Als einer der wenigen französischen Officiere, welche die arabische Sprache erlernteu, wurde er zum Chef des unter dem General Avizard errichteten Bureau arabe ernannt. Er stand diesem Amt thätig und tüchtig vor, aber seinem feurigen Geiste sag- ten die Bureaugeschäfte in die Länge nicht zu, er sehnte sich nach Thaten, nach dem Getümmel des Gefechts. Zum Commando des leichten Infanteriecorps der Zuaven berufen, fühlte er sich dort ganz an seinem Platze. Er stand immer auf den äussersten Vorposten und befehligte bei den kleineren Expeditionen gewöhnlich die Avantgarde. Ueberall manoeu- vrirte er mit ungemeinem Talent und Glück. Wo es Operatio- nen auszuführen gab, welche Kühnheit und Geistesgegenwart erforderten, fand man keinen bessern Officier, als den Obri- sten Lamoriciere. Rastlos auf die Ausbildung seines Corps bedacht, schuf er durch seine Zuaven das anerkannt beste Regiment ‘der französisch -afrikanischen Armee. Er hatte, wie Napoleon, bei der Behandlung französischer Soldaten » 273 jenen trefflichen Tact, der äusserst selten ist und angeboren sein muss. Bald war er vertraulich mit ihnen als Kriegs- camerad, bald imponirend als Anführer, seine Freundlichkeit vergab nie seiner Würde etwas, seine Barschheit verletzte nie. Dabei war er stets gerecht und bereit, jeden Klagenden zu hören. Seine Soldaten liebten ihn mit unaussprechlicher Begeisterung, und ich glaube es war nicht Einer unter ihnen, der bei Mangel und Noth nicht sein letztes Commissbrot mit seinem Obristen getheilt, im Kampfe nicht seinen letzten Blutstropfen für ihn verspritzt hätte. Seine edlen Eigenschaf- ten: ritterlicher Sinn und feuriger Muth, begeisterte Liebe für sein Vaterland und den Ruhm, ein natürliches einnehmen- des Wesen, Offenheit und die gewinnendste Liebenswürdig- keit im Umgang, an der man schnell erkennt, dass sie vom Herzen fliesst — al diese schönen Gaben gewannen dem Obristen zahlreiche Freunde und machten, dass er trotz sei- nes in gegenwärtiger Zeit fast beispiellos raschen Avance- ments selbst unter den älteren Officieren, denen er vorgezogen wurde, verhältnissmässig wenig Feinde fand. Lamoriciere war damals 28 Jahre alt. Er ist von unter- setzter, sehr kräftiger Gestalt, mehr klein, als gross. Selten ist mir eine so einnehmende Physiognomie vorgekommen; eine prächtige, freie, kühne Herosstirne von dunkelsehwarzen, un- ordentlichen und doch schönen Haaren umflattert, grosse feu- rige Augen sehr kühnen Ausdrucks und freundlich durchdrin- gend, die Nase wunderschön, schwarzer Schnurr- und Kne- belbart, der ganze Schnitt des Gesichts ungemein edel, der Hauptzug: Energie und kriegerische Kühnheit, gewöhnlich gemildert und verklärt durch den Ausdruck herzlichen We- sens im Gespräche. Die Haltung des Obristen ist militai- risch-gebietend.. Zu Pferde ist Lamoriciere sehr imposant. Morıtrz Wasner’s Algier, II. 18 274 Man erkennt an seiner Gestalt schnell, dass er ein be- sünstigtes Glückskind- ist. Bis jetzt ist ihm in der. That Alles gelungen und in den vielen Gefechten, wo er stets unter den Vordersten im Feuer war, ist er nie verwundet worden. ’ Es war ein heiteres Mahl, von Krieg und Beduinen wurde viel geplaudert und die Vorempfindung der Feldstra- pazen, der nassen Bivouacs und der Kothmärsche machte uns diese letzten Stunden behaglichen Beisammenseins unter’'m warmen Zelt, bei der Flasche provengalischen Weins so lieb, dass wir verweilten bis in die tiefe Nacht. Lamoriciere war wunderbar gesprächig. Er besitzt eine seltene Redemacht, Glänzende Gedanken, rasche witzige Einfälle, lebhafter Vor- trag und. wohltönendes Organ reissen die ‚Gesellschaft hin und kommen ihm auch trefflich zu Statten bei Gegenständen, welche ihm eigentlich fremd sind oder die er nur .oberfläch- lich kennt und über die er gleichwohl immer ein gutes Wort anzubringen weiss. Lamoriciere schien mir über die übrigen Gäste eine entschiedene Ueberlegenheit zu behaupten, sogar über meinen 'Freund Berbrugger, dem sonst doch keine ge- ringe Zungenfertigkeit zu Gebote steht. Wir sprachen viel über die ..bevorstehende Expedition. ,„Wenn’s regnet unter- wegs — meinte einer der Officiere —.so ist keine Hoffnung die Belagerungsgeschütze bis Contantine zu bringen.“ — „Es wird nicht regnen“ antwortete Lamoriciere sehr rasch und entschieden. „Aber — bemerkte ‘ich — selbst angenommen, man bringt die Vierundzwanzigpfünder glücklich an Ort und Stelle, so ist ein Erfolg, nach der Beschreibung, die mir die Begleiter des ersten Zuges von der starken Lage Constan- tines gaben, doch noch nicht so ausgemacht. Wenn Achmet die schwache Seite der Stadt auf Kudiat-Ati mit 'Schanzen 275 und Gräben umgeben hat, so braucht man mehr als eine Woche, die Werke zu zerstören, und wir haben nur geringe Transportmittel, Proviant und Munition können uns ausgehen, ehe die Bresche praktikabel ist; und dann fragt es sich noch, ob ein erster Sturm gelingen wird. Sie kennen die hart- näckige Vertheidigung der Türken hinter Mauer und Graben. Denken Sie an St. Jean d’Acre, das nicht einmal so fest ist, als Constantine. Erinnern Sie sich, welchen Widerstand die “russischen Heere vor Braila, Varna, Silistria fanden, wo nirgends der erste Sturm gelang und die Belagerer Monate lang vor den Mauern liegen mussten.“ „Ich kenne den russisch-türkischen Krieg — erwiederte Lamoriciere. Ich habe ihn sorgfältig studirt und als Ingenieur kann ich wohl beurtheilen, was unsere Kriegskunst vor der russischen bei Belagerungen voraus hat. Seyen Sie überzeugt — Constan- tine fällt vor dem achten Tag. Es wäre nur eine Möglich- keit des Misslingens. Ich will Ihnen sagen, wie Achmet operiren müsste, um Constantine zu retten — (ich vertraue Ihnen dies, fügte er lachend bei, da Sie es dem Bey doch nicht wiedersagen). Greift der Feind uns in der Avantgarde oder in der Flanke an, so wird er geschlagen. Wenn aber der Bey auf unsere Nachhut sich wirft und den Convoi, am ersten Marschtage nur mit zweihundert Reitern, am zweiten mit zweitausend, am dritten mit seiner ganzen Macht angreift, dann würde eine verderbliche Verwirrung einreissen und wir kämen in einem Zustand vor Constantine an, der an der Ein- nahme sehr zweifeln liesse.“ Ich machte dem Obristen noch einige Einwendungen. Lamoriciere. bot mir eine Wette von zwanzig Flaschen Champagner gegen zwei an, dass Constan- tine fallen werde; ich schlug ein und verlor und war vor Constantine mächtig froh, dass ich verloren. 18° 276 Unter den Gästen befand sich auch Capitän Levaillant, Sohn des berühmten afrikanischen Reisenden, ein merkwürdi- ger Mann. Er galt für den persönlich kühnsten und tapfer- sten Krieger und Jäger der Armee, und dies will viel sagen in einem Heere, wo die kampflustigsten und abenteuerlich- sten Jünglinge Frankreichs unter den Waffen stehen. Mit seiner Doppelflinte durchstreifte dieser Officier Jahre lang die Buschwildnisse der Algierer Umgebung und tödtete dort die erste Hyäne. Er wagte sich bis zu den Hadschuten, auf seine gute Landeskenntniss, seine Schussfertigkeit und grosse körperliche Stärke vertrauend; auch ist ihm nie ein Unfall widerfahren. Kaum in Medschez- Ammar angekommen be- suchte er die „verfluchten Quellen“ ganz allein, zur Zeit als Achmet’s Armee dort in der Nähe lagerte, Er begegnete unterwegs einigen bewaffneten Arabern, die aber den kühnen Jäger nicht anzugreifen wagten. Als der Herzog von Ne- mours denselben Ort besuchte, mussten ihn drei Regimenter escortiren. Erst lange nach Mitternacht verliessen wir Lamoriciere’s Zelt, um nach unserm Lagerplatz jenseits des Seybuss zurück- zukehren. Der Obrist begleitete uns eine Strecke weit. Ein betrunkener Zuave näherte sich ihm und sagte, dass Feinde in der Nähe seyen. Lamoriciere rief mit barschem Tone, er solle seinen Rausch ausschlafen. Allenthalben ertönte das. qui veve? der im Hinterhalt lauernden Zuaven. Einige sassen an Feuern in Gruppen umher. Die Eingeborenen musicirten oder erzählten sich Mährchen; die Franzosen kochten und plauderten. Dazwischen lagen wieder Gruppen von Schlafen- den; — alle in sorglosester Ruhe da, wo der Tod so nahe drohte. Tags darauf erschien ein Deserteur von Achmet’s Armee 277 im französischen Lager. Er trug eine grobe Uniform im türkischen Schnitt und gehörte den Zuauas oder regulären Infanteristen des Beys an, welche Benennung die Franzosen in „Zuaven“ verdorben haben. Seiner Aussage nach herrschte unter den Truppen Achmet’s Missvergnügen; sie hatten Man- gel an Lebensmitteln und waren sehr elend. Der Angriff am 23. September hatte ihnen einige Hundert Tode gekostet und die Mehrzahl der Kabylen war, des Krieges müde, in ihre Berge heimgekehrt. Jener Deserteur nahm Dienste un- ter den französischen Zuaven. Er war spanischer Renegat, hatte sich lange in Marokko aufgehalten, dort die arabische Sprache fast wie ein Eingeborener erlernt und nach langem Vagabondiren war er von Stamm zu Stamm wandernd nach Constantine gekommen, wo der Kriegerstand der einzige Er- werb für ihn blieb. Die Franzosen hielten ihn anfangs für einen Spion und hatten ein wachsames Auge auf ihn. Ich sah ihn aber auf dem Marsche, wie während der Belagerung alle Gefahren und Leiden der Armee theilen und so viel ich später erfahren, war er auch mit unter denen, welche die Bresche von Constantine erstiegen. Unter den Oberofficieren, welche ich zu Medschez - Am- mar kennen lernte, war Obrist Combes der bedeutendste. Er schien ein angehender Funfziger, war von stattlicher Figur, übrigens nicht besonders imponirend beim ersten Anblick. Sein Wort fesselt aber auf der Stelle. Er hatte ein herrli- ches, krafttönendes Organ, und was er sagte war durchdacht und floss ihm aus innigster Seele und war wie diese edel und gross. Combes war lange nicht so blendend wie Lamoriciere, aber sein mild-klarer Geist machte einen noch wohlthuendern Eindruck. Die Begeisterung war geläutert bei ihm durch die Reihe der Jahre, übrigens so schön, so lebendig und that- 278 kräftig noch, als bei irgend einem der jüngern Krieger. Er liebte sein Vaterland mit seltener Hingebung und mit einer Reinheit, wie sie vielleicht keiner der übrigen Franzosen besass. Schon seit 1830 war Combes Obrist und bei den Beförderungen oft übergangen worden wegen angeblich re- publikanischer Gesinnung. Dies machte ihn aber nicht bitter, er diente mit gleichem Eifer, gleicher Liebe unter der drei- farbigen Fahne fort, buhlte nie um die Gunst seiner Chefs, liess ihnen, wenn ein Manoeuvre gelang, das er angerathen und zu dessen Gelingen er das Wesentlichste beigetragen hatte, Ehre und Vortheil unbestritten und ohne Missgunst. Combes war ein Bewunderer der Grossthaten und der Organi- sationsmacht Roms, er studirte alle Werke über die alten Niederlassungen in Numidien und vereinigte selbst mit der Einfachheit und dem ächten Heldensinn jener classischen Welteroberer den ganzen Reichthum der neuern Bildung. Seine Soldaten liebte er väterlich, immer war er ein gerech- ter Richter, immer bedacht, ibr hartes Loos in Afrika zu lindern. Ich habe nie unter Soldaten einen einstimmigern und tiefern Schmerz bemerkt, als an dem Tage, wo das 47ste Regiment die Hülle seines im Siege verschiedenen Obristen zu Grabe geleitete. Ein merkwürdiger Mann unter den Oberofficieren war General Trezel, dessen persönliche Bekanntschaft ich schon früher in Bona gemacht hatte und dessen Wiedersehen in dem Getümmel des mit jedem Tage bewegtern Lagers mir nicht wenig. Freude machte. Ich hatte vom General Trezel, von seiner Bravour vor Budschia, seiner gegen Abd-el-Kader bewiesenen Energie so viel gehört, noch ehe ich nach Bona gekommen war, und dachte mir ihn als einen kräftigen Vete- ranen von recht martialischem Aussehen und etwas rauhen 279 Manieren. Ich fand dagegen einen Mann von auffallend klei- nem Wuchs und scheinbar schwächlichem Körper, mit feiner, fast weiblicher Stimme und mildem Wesen. Immer lag im Gespräche auf seinem Gesicht ein gutmüthiger, wohlwollender Zug. Erwar auch wirklich gut gegen alle Leute, mit denen er zu thun hatte; die Soldaten hatten an ihm eine Stütze und auf sein Wort liess sich sicher bauen. Aber gegen den Feind . war Trezel ein eisernuer Kämpfer und am Tage der Schlacht gewann seine zwerghafte Figur, seine sonst so mildtönende Stimme die grimmige Haltung und die Schreckenstöne des Löwen. Alle Militairs, die ihn an der Makta gesehen, spre- chen mit Bewunderung von seiner gewaltigen Energie, sei- nem ungemeinen persönlichen Muth bei einer freilich äusserst unglücklichen Gelegenheit. Trezel ist mit Narben bedeckt, die zum Theil schon von den Schlachten der Kaiserzeit her- rühren. Bei Waterloo verlor er ein Auge, vor Budschia wurde er in den Schenkel verwundet und bei der ersten Ex- pedition gegen Constantine hatte er einen Flintenschuss in die Kehle bekommen. Das Talent eines Oberanführers soll dem General Trezel, nach dem Urtheil der competentesten Männer der Armee, gänzlich abgehen, als Corpsführer dage- gen gilt er für durchaus tüchtig. ‘Von Eingeborenen war nicht der zwanzigste Theil derer gekommen, welche ihr Erscheinen für den beginnenden Zug angekündigt hatten. Die zwanzig oder dreissig Scheikhs, wel- che dem Obristen Duvivier in Ghelma heilig. versprochen hat- ten mit dem Contingent ihrer Stämme sich einzufinden, um zu Achmet’s Sturz mitzuwirken, blieben sämmtlich aus. Die Wenigen, die man zu Medschez- Ammar sah, waren abge- setzte Häuptlinge, die wieder in ihre frühere Gewalt einge- setzt zu werden hofften, oder Abenteurer, die nichts zu ver- 250 lieren hatten und auf Beute oder auf sonst irgend einen Vor- theil rechneten. Stammcontingente hatten nur die Beni-Ur- schin und die Kharesas geschickt. Ich sah unter andern Ben-Zecri, den ehemaligen Kaid der Ariben, welcher aufs freundlichste mir entgegenkam und der guten Mahlzeit sich erinnerte, die er mit mir bei Herrn Suchet zu Rassota ein- genommen hatte. Ein anderer Flüchtling von Constantine war Hadschi Soliman, Schwager Achmet Bey’s und ehemali- ger Khalifa der Provinz. Er war von kleiner, muskulöser Gestalt, hatte aber das ausgezeichnetste, männlich -schönste Gesicht, das mir je unter den Türken vorgekommen ist. Alle Europäer fanden in seinen Zügen entschiedene Aehnlichkeit mit denen des Löwen, wozu der prächtige, weit herabfallende, graue Bart, der ihn zierte wie den Thierkönig die Mähne, nicht wenig beitrug. Hadschi Soliman hatte früher als Kha- lifa Macht und Einfluss in der Provinz Constantine genossen. Dies erregte den Argwohn seines Schwagers, der ihn zu tödten beschloss. Soliman, zeitig gewarnt, floh nach Tunis mit Zurücklassung seiner ganzen Habe. Als die Franzosen den ersten Zug gegen Achmet vorbereiteten, kam Soliman nach Bona, bot seine Dienste an und erhielt den Sold eines Hauptmanns. Man glaubte damals allgemein, General Dam- remont beabsichtige ihn, nach Achmet’s Sturz, zum Bey der Provinz einzusetzen und vielleicht wäre dies auch geschehen ohne den Tod des Generals. Die Eingeborenen erwiesen dem alten Türken bereits die äussere Huldigung als ihrem künftigen Oberhaupt. Das Lagergewühl nahm mit jedem Tage zu. Unge- heuere Transporte von Proviant und Munition trafen von Bona ein, aber die erforderliche Zahl Lastthiere war doch nicht vorhanden und zwischen dem General Damremont und 281 N den Intendanten kam es deshalb zu heftigem Zwist. Jener klagte die Militairverwaltung der Nachlässigkeit und Unred- lichkeit an und vielleicht nicht ohne Grund, wenn gleich die Schuld weniger an den Intendanten, als an ihren Untergebe- nen liegen mochte. In den Kaffeehäusern ging es inzwischen lebhaft zu. Unter den täglichen Ankömmlingen erschienen immer merkwürdigere Gestalten. Marabuts und Scheikhs ka- men auf Besuch, allem Anschein nach nur um zu spioniren. Am Tage drängten sich alle Uniformen und Völkertrachten bunt durcheinander; bei Nacht fand sich jeder bei seinem be sondern Corps ein. Von fremden Öfficieren, welche als Frei- willige der Armee sich anschlossen, waren ein englischer Obrist (Sir Grenville Temple), zwei Dänen, ein Oesterrei- cher, ein Sachse und ein Baier anwesend, ausser dem öfters genannten neapolitanischen Schweizerofficier, meinem Zelt- genossen. Auch eine ziemliche Zahl von Speculanten und Händlern aller Art hatte sich eingefunden, welche Tabak und Getränke an die Armee verkauften und dagegen die von den Soldaten bei der Erstürmung von Constantine geplünder- ten Kostbarkeiten einzukaufen beabsichtigten. Eine Masse von Maältesern war von Bona gekommen, welche als Maul- thier- und Eseltreiber oder als Bediente sich verdingten. Es was das trägste und diebischste Gesindel, das man finden konnte. Wir hatten bis Medschez- Ammar bereits viermal unsere Bedienten fortgejagt und andere genommen, die nicht besser waren. Allen übrigen fremden Begleitern der Armee ging es nicht besser. Am 29, September kamen endlich die letzten Cavalerieabtheilungen, sammt dem grossen Convoi von Bona an. Tags darauf wurde gerastet und allenthalben traf man die letzten Vorbereitungen zum endlichen Aufbruch der Expeditionsarmee. 282 EI. Aufbruch der Armee. — Der Bivouac auf dem Ras-el-Akbah. — = Lagerscenen der Franzosen und Araber. — Ankunft vor Con- stantine. — Der “Anblick der belagerten Stadt. — Uebergang über den Rummel. — Reitergefechte. — Beginn des Bombarde- ments. — Ausfälle der Besatzung. — Errichtung der Bresche- batterien. — Fehlschlagen der Unterhandlungen. — Tod Dam- remont’s. — Erstürmung der Stadt Constantine. An 1. October wirbelten lange vor Sonnenaufgang die Trommeln und die Marschtrompete blies lustig schmetternde Töne. Der Vortrab setzte sich bei trübem Wetter in Be- wegung; ihm folgte der Rest der Armee ziemlich schwer- fällig, denn ausser ikren schweren Tornistern mussten die armen Soldaten auch Brennholz für mehrere Tage auf dem Rücken schleppen. Ein ungeheures Getimmel wogte durch das wilde Buschthal nach dem Ras-el-Akbah hinauf, dessen Felsenhaupt in eine Wolke gehüllt war, welche bald in einen starken Regenguss sich auflöste. Die Armee zählte 8600 Krieger und war in vier Bri- gaden getheilt. Die erste stand unter dem Commando des Herzogs von Nemours; unter ihm diente der treffliche Obrist Lamorieiere mit seinen Zuaven. General Trezel comman- dirte die zweite. Beide Brigaden zusammen standen unter den unmittelbaren Befehlen des Generals Damremont. Ihnen 283 folgte der ungeheure Convoi, der die Armee wie ein Alp drückte und eine ganze Brigade unter dem General Rulhieres zur Bewachung erforderte. Obrist Combes befehligte die vierte Brigade, welche die Nachhut bildete. Auf der Höhe des Gebirgsweges machten die beiden er- sten Brigaden Halt und bezogen den Bivouac an derselben Stelle, wo wenige Tage zuvor Achmet Bey mit seiner Ca- valerie gelagert war. Man fand Stroh in Menge. Die Sol- daten nahmen ihr Holz von den Ranzen herab; bald bedeckten ledernde Fever den Berg, die Bratpfannen zischten und die französische Kochkunst bereitete ein für die damaligen Um- stände noch ziemlich leckeres Mahl auf der Stelle, wo einige Tage zuvor der Kuskusu von Achmet’s Arabern geraucht hatte. Eine -halbe Viertelstunde östlich von unserm Bivouac erhoben sich auf dem Abhange des Gebirgs die unter dem Namen „‚Anunah“ im Lande bekannten schönen Ruinen, wel- che, als der Nebel sich zertheilte, recht gespenstig vom hohen Bergrücken herunterschauten. Drüben war Alles unheimlich still im Circus, im Amphitheater der alten Römerstadt, wo vor zweitausend Jahren die Schaulustigen sich drängten. Dagegen hatte der öde Pass des Ras-el- Akbah durch unsere Anwesenheit ein gar buntes Leben gewonnen. Französische Soldaten, türkische und arabische Spahis, berberische Zua- ven, Neger, Malteser bewegten sich innerhalb des Bivouac- raumes, Feuer schürend, kochend, essend, plaudernd; einige führten Pferde und Esel zum Tränken, andere schlugen ein Zelt auf. Ich hatte mit dem Capitän Muralt ein kleines Zeit von bunter Leinwand, kaum gross genug, dass wir darin ausgestreckt liegen konnten, und doch beneideten uns "Tausende darum, denn es gab nicht vierzig Personen in .der ganzen Armee, die glücklich genug waren, unter einem s0 284 dürftigen Leinwandhäuschen schlafen zu können. Während wir von unserm Gefolge, von Maltesern, Pferden und Eseln umgeben, unsere Reissuppe behaglich verzehrten, gesellten sich französische Officiere, Aerzte, Maler unserer Bekannt- schaft zu uns, plauderten einige Minuten und gingen weiter, andere Bekannte zu begrüssen. Mehrere Officiere, wie die Capitäne Levaillant und Magagnos, der Doctor Trubelle etc. waren eifrige Entomologen. So oft sie ein unbekanntes In- sect erhascht hatten, brachten sie es mir und selbst vor Con- stantine, im Augenblick des heftigsten Bombenfeuers, kam der Adjutant des Generals Perregaux zu mir gelaufen und zeigte mir in seinem T'sschako zwei angespiesste Schmetterlinge, die er erhascht hatte, im Augenblick als er der Brigade Trezel einen wichtigen Befehl brachte. Als wir unser Souper verzehrt hatten, wanderten wir auch durch das Lager, Freunde und Bekanute aufsuchend. Wir fanden zwei Mitglieder der wissenschaftlichen Commis- sion emsig mit Höhenmessungen beschäftigt, andere Neugie- rige standen, ihren Operationen zuschauend, um sie her. Mehrere Waghälse hatten einen Ausflug nach den Ruinen von Anunah unternommen. Ich bestieg mit Herrn von Muralt den Gipfel des Ras-el-Ahbah, Als ich über die Vorposten hinausging, sagte ein Wache stehender Soldat zu mir: „Ich rathe Ihnen, mein Herr, sich des Abends nicht in meine Nähe zu wagen. Sie sehen geschworen aus wie ein Be- duine.“ Ich liess mir dies gesagt seyn und hütete mich in der Dunkelheit vom Zelt mich zu entfernen. Ueber meine Kleidung trug ich nämlich damals einen arabischen Bernuss, welchen das häufige Bivouakiren bereits so sehr abgenutzt hatte, dass er völlig aussah wie der gewöhnliche Mantel der Beduinen; zugleich war mein Gesicht so sonnverbrannt, dass 235 Mancher mich wohl in allem Ernst für einen Araber gehalten haben mag. Vom Gipfel des Ras-el-Akbah hatten wir eine weite Aussicht. Im Südwesten beherrschte unser Auge den ganzen Gebirgszug bis in die Nähe von Constantine. Der Anblick hatte aber gar nichts Erfreuliches — eine düstere Bergwüste, aber keine Oasen und nirgends eine lebende Seele. Gern wandten wir uns wieder auf die entgegengesetzte Seite, auf das bewegliche, sich immer neu metamorphosirende Lager- gemälde. Doch wollte auch dieses uns die ernsten Gedanken nicht aus dem Sinne scheuchen; wie störender Spuk standen daneben einerseits die finstern Ruinen ohne Namen und auf der andern Seite die deutlich sichtbaren Dampfwolken der verfluchten Quellen. Die Wälder von Pistaciasträuchen, Tamarisken, wilden Oliven- und Brustbeerbäumen, welche um Medschez - Ammar alle Bergabhänge und Schluchten mit ihrem wechselnden Grün zieren, verschwinden auf dem Ras-el-Akbah gänzlich und statt deren beginnt eine Gegend von der traurigsten Nackt- heit, ohne Baum und Busch, welche bis Constantine fort- dauert. Am 2. October lagerten wir bei dem Marabut von Sidi-Tamtam, wo arabische Gräber stehen. Die 3te und 4te Brigade blieben immer einen halben Tagmarsch hinter uns und beschützten den grossen Convoi, der mit seiner Masse von Wagen und Maulthieren eine Strecke von zwei Lieues bedeckte. Ich gedachte beständig der Aeusserung Lamori- ciere’s, dass das Gelingen der Expedition sehr zweifelhaft würde, sobald Achmet den Nachtrab. überfiele. In der That wäre die Truppenzahl nicht hinreichend gewesen, einen Cou- voi von solcher Länge zu beschützen und der schwächste An- griff der Araber würde die furchtbarste Verwirrung unter die Bagage gebracht haben. Glücklicherweise hatte aber Achmet 286 den Plan einer Schlacht völlig aufgegeben und wollte seinen Widerstand 'ganz in und um seine Hauptstadt concentriren. Einzelne beobachtende Cavalerieposten sahen wir oft vor uns auf den nackten Höhen, aber immer verschwanden dieselben, wenn unsere Avantgarde sich näherte. Am 3. October bivouakirte die Armee an dem Bache Meres, der weiter nördlich Bu-Mesrug heisst. Sein herr- liches Wasser labte die Soldaten. Ueberhaupt hatten wir nie fühlbaren Wassermangel. In diesem Lande fehlen die grossen schiffbaren Ströme, aber an Quellen und kleinen Gewässern ist desto grösserer Ueberfluss. Man trifft deren von Stunde zu Stunde und ihr Lauf ist gewöhnlich nordöstlich. Nur in der heissen Jahreszeit, vom Julius bis September vertrocknen viele dieser Bächlein; in den übrigen Monaten darf man hof- fen, fast allenthalben in der Berberei Wasser zu finden. Das Land, welches wir seit Medschez- Ammar durchzogen, war von der verzweifeltsten Einförmigkeit. Mehrere Land- schaftszeichner begleiteten die Armee, und ich konnte auf ihren Gesichtern den Schrecken der Täuschung lesen, bis sie endlich nach sechs Marschtagen durch Constantines gross- artig wilde Lage getröstet wurden. Die Vegetation ist in hohem Grade armselig; nur ganz niedriges Gras bekleidet stellenweise den Boden, welcher im Allgemeinen völlig nackt ist. Hie und da gewahrte man einige Büsche der weissen Daphne (Daphne gnidium), den schönen hohen Blumen- stengei der Sezlla mar.tima; am Fusse der Berge zerstreut wuchs eine blaue Iris, auch eine bekannte Alpenblume, die „Herbstzeitlose“; an den Bächen stand der Oleanderstrauch — dies war die kahle Octoberflora dieser traurig-monotonen Bergwüste. Nirgends ein grüner Busch, nirgends ein Sing- vogel, der dieser starren Einsamkeit seine Poesien weihte. 287 Mit einigen Tausend plaudernden und lachenden Franzosen hat man zwar auch in der Wüste keine Langeweile. Für einen isolirten Reisenden aber muss ein Zug durch diese Atlasöde eine bange, drückende Empfindung seyn. Das Thierreich war wo möglich noch armseliger, als die Pflanzen- welt. Kein Insect summte auf den sparsamen Blumen. Nur der grosse, weissköpfige Aasgeier (Vultur leucocephalus) war unser immerwährender, treuer Begleiter. In Schaaren von Tausenden schwebten diese gefiederten Riesen über uns. Man konnte diese Leichenwitterer, welche den Armeezügen folgen, wie die Haifische den Schiffen, nicht ohne’ heimliches Grauen betrachten. Während der Nachtstille hörten wir aus ziemlich weiter Entfernung das Gebrüll der Löwen, welche nur die hohen Lagerfeuer abhielten, unter unsern, Pferden und Maulthieren sich ihren Frass zu wählen. Die kahlen Hochebenen der Provinz Constantine sind die wahre Heimath dieses Raubthieres. Hier theilt der Löwe mit dem Beduinen die Herrschaft der Wildniss. Jener ist der unbeschränkte Herrscher während der Nächte und erscheint da regelmässig vor. den arabischen Duars, seinen Tribut — ein Stück der Heerde fordernd.‘ Da in diesen Einöden keine Gazellen le- ben, so sind die arabischen Viehheerden die einzige Jagd- beute dieser grossen Raubthiere. Unser Marsch bis Constantine dauerte beinahe sechs Tage. Letztere Stadt ist von Medschez-Ammar 23 Lieues und von Bona 45 Lieues entfernt. Ich unterlasse die. Beschreibung jedes einzelnen: Bivouacs, Stets wurde in der Nähe eines Baches oder einer Quelle campirt und den Bivouac taufte man immer nach der Benennung des Gewässers oder des Stamm- gebietes oder nach dem Namen eines Marabutgrabes, deren es in diesem Lande allenthalben giebt. Immer war die An- 288 kunft der Armee an der Stelle ihres Nachtquartiers ein an- ziehendes Schauspiel. Sobald das Carr& geschlossen war, musste man die flinke Thätigkeit der französischen Soldaten „bewundern. Die einen liefen, Wasser zu holen oder in der völlig holzarmen Gegend dürre Distelstengel zu sammeln; an- dere zündeten Feuer an und bereiteten die Küche. In weni- gen Minuten wirbelten Tausende von Lagerfeuern an der kurz vorher so einsamen Stelle; hier wurden Lieder gesun- gen, dort gekocht, geplaudert und gelacht. Die Bivouacred- ner, gewöhnlich Pariser Freiwillige oder Gascogner, versam- meln da immer ihr Auditorium um sich, politisirend und ihre Meinung kund gebend über die kommenden Ereignisse. Die ehrlichen, etwas plumpen Recruten aus der Bretagne und der Vendee hören den Schwätzern mit Andacht zu und für ihre bornirte Köpfe sind die „Ödlagwes‘“ des Parisers Orakel- sprüche. Die französische Armee hat nach den verschiedenen Provinzen auch Soldaten vom verschiedensten Schlage. Ist die Reissuppe und der harte Zwieback verzehrt, so sucht der französische Soldat auf einer möglichst bequemen Stelle sich zu betten. Einmal sah ich sogar, dass ein Indi- viduum der Bataillons d’Afrique ein arabisches Grab öffnete, das Todtengerippe herauswarf und sich an dessen Stelle zur Nachtruhe hineinlegte. Andere blieben, ihren Kaffee kochend und plaudernd, die halbe Nacht am Feuer sitzen. Ganz ver- schieden sind die Bivouacsitten der Araber. Sobald die Spa- his, welche immer den äussersten Vortrab bilden, die Ruhe- stätte erreicht haben, werden ihre Pferde in zwei Reihen mit den Füssen an hölzerne Keile gebunden. Die arabischen Rosse sind äusserst sanfte Thiere; sie ertragen die scharfe Sporenspitze und die Fussfessel mit grosser Geduld, senken aber das feingeformte Haupt traurig, lassen die Mähne, wie 289 die Thränenweiden ihre Aeste, fast den Boden berühren und scheinen ihren grausamen Herrn mit einem Vorwurf anzu- blicken. Sie dulden übrigens still und nie sah ich ein arabi- sches Pferd sich losreissen. Sind diese edlen Thiere ver- sorgt, haben sie ihre Gerste und ihr frisches Wasser erhal- ten — bei aller Grausamkeit ihrer Herren denken diese doch immer zuerst an ihre Rosse — so vereinigen sich alle Ara- ber zum Gebet. Das Antlitz gegen Osten gewendet, werfen sie sich mit dem Haupt zur Erde, richten sich auf und beu- gen sich wieder, gerade wie ein Mensch in epileptischen Zuckungen. Einer der Ihrigen murmelt die Gebetformel. Zuweilen fällt der Strahl der Abendsonne auf die bärtigen Pilgergestalten; ihre betenden Gruppen haben dann oft wirk- lich ein heiliges Ansehn. Sobald der Araber diese fromme Pflicht erfüllt hat, wird er lustig und ausgelassen. Der Kus- kusu wird gewärmt, die Pfeife dampft. Dann beginnen die jüngeren von den Spahis ihre Spiele; die älteren schauen mit gekreuzten Beinen im Halbkreise sitzend zu; die Pferde bil- ‘den den Hintergrund und sind die Zuschauer auf der ent- gegengesetzten Seite. Da werden dann förmliche Theater- stücke aufgeführt. Liebschaften, Jagden, Kämpfe, all die Scenen, welche die Beduinen in der Wildniss erleben, stellen sie mit Reden und Pantominen dar. In solchen Momenten werden die Araber, dieses sonst so ernste, würdevolle Volk, ganz zu Kindern. Sie lachen, schäkern und schreien, dass sie oft ihre französichen Cameraden im ‚Schlafe stören. Sind sie dieser Lustigkeit am Ende satt, so setzen sie sich alle dicht zusammen in eine grosse Runde, stellen in ihre Mitte eine papierne Laterne und einer von ihnen stimmt seinen Gurgelgesang an mit der Begleitung einer rohen Cither; die übrigen lauschen wie Bildsäulen stumm. So bleiben sie bei- Morıtz Waener’s Algier II 19 290 sammen bis tief in die Dunkelheit -hinem. Oft lange nach Mitternacht, wenn die meisten Feuer der französischen Sol- daten schon erloschen waren, sah ich die Araber noch unter dem sternensprühenden Himmel sitzen und dem Liede des Troubadours horchen, der ihnen von den Liebesfrenden der Duars erzählte. Gegen 4 Uhr Morgens wurde die Reveille geblasen. ' Die Musik der Regimenter spielte in den sanftesten Weisen ein gar liebliches Stückchen. Aber die Existenz des armen Sol- daten ist immer nur ein glänzendes Elend. Mit dem klingen- den Tönespiel wollte man ihn trösten für den ‚Nebel und den eiskalten Morgenthau, der seine Glieder erstarrte. So- bald die Tageshelle den Weg unterscheiden liess, begann die Avantgarde ihren Marsch. Alle Corps reihten sich in Ordnung an. Die. polnischen Röcke der Chasseurs, das tür- kische Costume der Zuaven, die wallenden rothen oder weis- sen arabischen Bernusse der Spahis, die grauen, plumpen Capotes der Linienregimenter bewegten sich hinter und neben einander, ohne sich zu vermengen. Die grossen Kanonen und der unermesslich lange Convoi rollten schwerfällig hinten nach; zuletzt kamen die 3te und 4te Brigade, welche sich erst am 9. October mit der übrigen Armee vereinigten. Oft ritt ich an einem so schönen, sonnenhellen Morgen auf die nächste Anhöhe, um das interessante Schauspiel des langen, malerischen Armeezuges zu geniessen. Am 5. October erblickten wir endlich von dem Gipfel einer Anhöhe, welche die Ruine eines schönen römischen Monuments krönt, das Ziel unsers Feldzugs — Constantine — die Stadt, ‘welche ihre heutige Berühmtheit grössten- theils der Schlappe eines französischen Marschalls verdankt. „Constantine! Constantine!““ riefen die Soldaten, und schlu- 291 gen freudig ihre Waffen klirrend zusammen. Ich glaube dieser Name machte ‘auf die afrikanische Armee fast densel- ben Eftect, wie der Ruf „Moskau“ einst auf die grosse Armee Napoleon’s. Nach fünf Tagemärschen durch eine trost- lose Oede, wo man nirgends eine lebende Seele sah, that der Anblick einer so bedeutenden Stadt unbeschreiblich wohl. Die Lage der alten Residenz des Jugurtha und Massinissa, im Hintergrund eines Thales auf einen Riesenfelsen wie ein Condorhorst gebaut, ‘hat etwas ungemein Imposantes, obwohl wir von unserer Stelle nur den kleinsten Theil der Stadt erblickten. Sehr deutlich gewahrte man den Marabut Sidi-Mabruk auf dem Berge El Mansurah und die einzelnen Gebäude auf 'Cudiat-Ati. Das römische Denkmal auf dem Hügel, wo die beiden ersten Brigaden einige Stun- den verweilten, bis der Nachtrab näher rückte, führt unter den Eingeborenen den Namen ,„‚Rommah.“ Es ist etwa 30 Fuss hoch und hat einige Aehnlichkeit mit dem Denkmal auf der „ZVace des Innocens‘ zu Paris. Die Masse von schö- nen Quadersteinen, welche am Fusse des Monuments liegen und ganz gewiss Stücke desselben waren, beweisen, dass dieses Denkmal von bedeutender Grösse gewesen. Am Abend des 5. October begannen die ersten Feind- seligkeiten. Bisher hatten wir ausser‘ einigen entfernten Späherposten keinen Araber gesehen. Die Hütten und das Stroh sämmtlicher arabischer Dörfer vom Ras-el-Akbah bis - Constantine standen in lichten Flammen und nur mit Mühe gelang es den Chasseurs, einige. Fourage zu retten. "Dies war eben kein Zeichen einer friedlichen Gesinnung und um so auffallender, als die Bewohner derselben Duars während der Expedition des Marschalls Clauzel ruhig in ihren Hütten geblieben waren und ihre Heerden vor den Augen der Armee 19* 292 hatten weiden lassen. Als die Brigaden von dem Hügel des Monuments sich nach dem Thale des Flusses Rummel gegen Constantine langsam hinabbewegten, begannen einige Hun- dert arabische Reiter auf der linken Flanke den Angrift. Sie tiraillirten aber nur aus sehr weiter Entfernung und hin- derten den schwerfälligen Marsch des Convois keinen Augen- blick. Eine kleine Stunde vor Constantine wurde der Bivouac aufgeschlagen. Es war bereits Abenddämmerung, als die Truppen ihr Lagercarre formirten. Um diese Zeit waren alle Gipfel der Hügelkette jenseits des Rummel von arabi- schen Reiterhaufen gekrönt.‘ Die Zahl der Feinde mehrte sich mit jeder Minute. Wir alle glaubten damals, der Bey werde einen nächtlichen verzweifelten Angriff wagen, aber wie immer fielen während der Nacht nur einzelne Schüsse auf den Vorposten; diesmal freilich noch in grösserer Zahl als bisher und öfters glaubten wir, man schlage sich in der Dun- kelheit. Es war aber nur Vorsicht: die wachestehenden Sol- daten drückten bei dem geringsten Geräusche los. Am 6. October schlugen wir endlich das Lager dicht vor Constantine auf. Langsam näherte sich die Avantgarde dem Plateau El Mansurah. Der Herzog von Nemours mit seinen drei Ordonnanzofficieren, worunter der Prinz von der Moskwa, ritt immer an der Spitze seiner Brigade. Er com- mandirte diese in aller Wirklichkeit. Der Gouverneur war von einem viel zahlreichern Gefolge begleitet und vermied während des Marsches so viel als möglich jede andere Be- rübrung mit dem Herzoge, als in der Sache des Dienstes. Der junge Prinz hatte damals ein sehr leidendes Aussehen. Sein schönes feines Gesicht war bleich wie Papier. Er trug immer eine doppelte weisse Flanellbinde um den Unterleib und schien gegen körperliches Unwohlseyn zu kämpfen; vor 293 Constantine besserte sich aber seine Gesundheit vollkommen. Die Bagage der Armee, die Ambulance und die Arrieregarde lagerten sich in einer kleinen Ebene am Fusse des Berges Mansurah. Das Gefolge des Generals Damremont logirte sich bei dem Marabut Sidi-Mabruk in einem kleinen bau- fälligen Hause ein. Das Zelt des Herzogs von Nemours be- fand sich in einem mit Mauern umgebenen Grasgarten, wo auch der alte Hadschi-Soliman, Ben-Zecri und die übrigen Constantiner ‚Flüchtlinge, welche jetzt anfıngen eine etwas bedeutendere Rolle zu spielen, zugelassen wurden. Die Wit- terung war an diesem Tage noch bis gegen Abend günstig und die Stimmung der Armee die treftlichste. Der furcht- barste Feind ist in diesem Lande der Regen, welcher ge- wöhnlich in ungeheurer Menge fällt und immer mehrere Tage dauert. Vom Ras-el-Akbah an bis Constantine hatten wir den reinsten Himmel gehabt. Bei Tage war die Sonne drückend heiss, die Abende und Nächte waren kühl, die Morgenstunden dagegen sehr empfindlich kalt, etwa wie in _ Deutschland die Novembernächte Man sah den Hauch des Mundes und selbst durch die Decken fühlten wir starken Frost. Die armen Soldaten, welche gar keinen Schutz ge- gen die Kälte der Gcbirgsnächte hatten, waren genöthigt, sich dicht an einander zu legen und so theilten sie sich ge- genseitig einige Wärme mit. Meine nordische Haut war gegen die afrikanische Luft empfindlicher, als die der Fran- zosen. Meine Haut schälte sich vom Gesicht und meine Lip- pen schwollen stark auf. Am zweiten Marschtage hatte ich einen leichten Fieberanfall. Der wackere Herr Guyon, Stabs- arzt der Armee, und andere Militairärzte besuchten mich so- gleich; ich nahm China und mein Unwohlseyn verschwand. - Während die Avantgarde auf dem Plateau El-Mansurah 294 ihre Stellung nahm, wurde die linke Flanke des Convoıs abermals von den Arabern beunruhigt. Einige tausend weisse Gestalten auf flinken Rossen tummelten sich am linken Ufer des Flusses Rummel, sprengten im Galopp vor, feuerten ihre langen Gewehre ab und flogen dann wieder im schnellsten Rennen davon. Indessen gelangte nicht eine einzige ihrer Kugeln in die Reihen des Convois, sondern fielen vor ihnen oder pfiffen darüber weg. Selbst die lange Linie französi- scher Tirailleurs, welche man ihnen entgegen stellte, hatte nach zweistündigem Gewehrfeuer, so viel ich erfahren konnte, keinen einzigen Todten. Es lag in diesem geräuschvollen Angriff der Araber durchaus kein rechter Ernst. Sie feuer- ten aus einer allzuweiten Entfernung und Tausende ihrer Kugeln flogen in die leere Luft. Man warf einige Granat- kugeln gegen sie, welche mitten unter ihnen zerplatzten. Eine Freude war es dann zu sehen, wie all jene furchtbaren Rit- ter, mit Entsetzen aus einander stiebend, davonliefen. Ich ritt damals bei dem Convoi und überschaute sehr deutlich die- ses seltsame Seheingefecht. Der Tross der Armee, welcher neben mir theils zu Fusse, theils auf Pferden, Maulthieren oder Eseln zog, zeigte nicht die mindeste Furcht vor den Kugeln, die über unsern Köpfen sausten und selbst die be- rittenen Marketenderinnen, ächte Amazonen, mit langen ‘ Haaren und sonnverbrannten Gesichtern, zum Theil sehr ele- gant gekleidet, brachen in laute Bravos aus, so’ oft eine gut gezielte Granate mitten unter den Feinden platzte. Es herrschte unter diesem Trossgesindel lustiger Muth, und fran- zösische Witzworte fielen weit treffender, als arabische Ku- geln. Die französischen Tirailleurs verbrannten nach ihrer schlimmen Gewohnheit, wie immer, zu viel Pulver und ihre Kugeln aus eben so grosser Entfernung konnten natürlicher- weise eben so wenig Erfolg haben. Der Kampf war daher eine blosse Fanfaronade, aber ein ungemein unterhaltendes Schauspiel war das wilde Getümmel: der gespenstigen Reiter, welche mit den langen, flatternden, weissen Gewändern im wüthendsten Rennen und in einer heillosen Unordnung auf und ab galoppirten. Der General Damremont, der Herzog von’ Nemours und die meisten übrigen Generale waren inzwischen am äusser- sten Ende des Plateau El Mansurah versammelt, um von dort aus die blos durch einen. tiefen Abgrund von ihnen geschie- dene Stadt zu recognoseireu. Ich verliess den Convoi und ritt fast allein über das Plateau, um wieder zu dem General- stab zu stossen. Da El Mansurah einen ziemlich starken Ab- hang von Südwesten nach Nordosten hat, so erblickt man die Stadt erst am Ende der Hochebene, wo diese senkrecht ab- geschnitten durch eine schauerliche Tiefe von dem Steinberge Constäntines geschieden ist. Ein kleiner natürlicher Erdauf- wurf von kaum acht Fuss Höhe diente dort den. Zuschauern als Brustwehr gegen die von der Stadt herüber pfeifenden Kugeln. Ich sah den Generalstab daselbst gelagert unter dem Schutz einer Compagnie des 17ten leichten Infanterieregiments. Da ich wegen jener Brustwehr die Stadt nicht gewahr wurde, stieg ich vom Pferde und fragte Herrn Adrian Berbrugger, der mir entgegenkam, wo denn die Stadt sey? Dort! er- wiederte Berbrugger, an jener Stelle, wo der Capitän Muralt steht, werden Sie Constantine sehen. Muralt stand nur zwölf Schritte von mir mit halbem Leibe über den Erddamm weg- schauend. Ich gesellte mich zu ihm und erblickte nun plötz- lich die seltsame Stadt unter mir, von deren wilder und eigenthümlicher Lage man sich schwer einen Begriff machen kann. Die Stelle war zum Beschauen äusserst günstig; man 296 übersah ganz Constantine und das Auge konnte sogar dem Laufe einzelner Strassen folgen. ae Constantines graue Häusermasse auf dem Plateau eines hohen, senkrecht abgeschnittenen Felsens gebettet, erhebt sich von Norden nach Süden als schwaches Amphitheater. Seine Lage ist höher, aber bei weitem nicht so steil, als die Lage Algiers. Beide Städte haben ohngefähr dieselbe Grösse, glei- chen sich jedoch hinsichtlich des äussern Anblicks nicht im Geringsten. Die Gebäude Constantines sind zwar auch in maurischem Style mit innern Höfen und Galerien; statt der schönen Terrassen Algiers aber bedecken dieselben nordische Ziegeldächer, welche in diesen Regionen des Südens dem Auge wehe thun. Die Häuser haben durchaus eine finster- graue Todtenfarbe, wie der Felsen, der sie trägt. Nur die Moscheenthürme sind glänzendweiss und ragen recht geister- haft aus der düstern Steinmasse, Spukgestalteu gleichend, welche, im Leichentuch eingehüllt, mitten unter Gräbern auf- recht stehen. Zu diesem Todtengemälde stimmt ganz der Cypressenbaum, der unbeweglich stille Grabwächter, dessen dunkelgrüne Pyramide mitten unter den Häusern sichtbar ist. Am südwestlichen Ende der Stadt krönt den höchsten Punkt des Felsens die Kasbah, ein weitläuftiges, alterthümliches Gebäude, welches Spuren seines römischen Ursprungs trägt. Kaum hatte man von der Stadt aus unsere Ankunft auf El Mansurah bemerkt, als ein wüthendes Kriegsgeschrei von allen Bastionen ertönte und uns die Nähe grimmiger Gegner auf dem anscheinenden Felsenkirchhof ankündigte. Die Wei- ber waren auf die Dächer ihrer Häuser gestiegen und erho- ben jenes unheimliche gellend-trillernde Geheule, welches sie bei jedem heftigen Gemüthsaffect der Lust wie der Trauer ausstossen und das man im Hochzeitsaale so gut, wie beim 297 Leichenbegängnisse hört. Diesmal sollte es nur ihren Hass gegen uns ausdrücken und die Vertheidiger anfeuern. Vom Reflex des abendlichen Himmels bestrahlt, waren diese weiss verhüllten Weibergestalten recht graulich anzuschauen; sie kamen mir vor wie jene wahnsinnige Sachsin Ulrika, als sie auf dem Thurme des untergehenden Schlosses ihres normän- nischen Unterdrückers in der Scene des Feuers und des Schlachtgewühles den wilden Hymnus ihrer Rache sang. Ueber den Thoren Bab-el-Uad und Bab-el-Dscheddid flat- terten trotzig zwei rothe Fahnen von ungeheurer Grösse. Dieselben feindlichen Banner hatten aueh ein Jahr zuvor zur Zeit der Clauzel’schen Expedition auf demselben Flecke ge- weht. Ueberhaupt fanden die Begleiter jenes ersten Zuges den Anblick der Stadt gar nicht verändert. Sogar die römi- sche Brücke bei dem Thore Bab-el-Kantara, von der man gesagt hatte, dass Achmet Bey' sie habe zerstören lassen, lag unversehrt unter uns, und die Augenzeugen jenes Angriffs, der unter Clauzel’s Commando hier versucht worden, erinner- . ten sich lebhaft der damaligen Kampfscenen wieder. Alle arabische Dörfer der weiten Umgegend standen, von ihren eigenen Bewohnern angezündet, in lichten Flammen, während zugleich von den Thurmspitzen der Moscheen Constantines sehr vernehmbar die Stimme des betenden Priesters den Na- men „Mohammed“ nach dem vom Brande gerötheten Wol- kengebirge hinaufrief, welches am Abend des 6. Octobers bereits den Horizont überzog und die kommenden Regentage verkündete Wer in mohammedanischen Städten gelebt hat, kennt den wunderlichen Eindruck, den die monoton -dumpfen, aber weit hallenden Töne des zum Gebet mahnenden Messuin vom Minaret herab in der Abenddämmerung machen. Wenn ich in Algier von der Terrasse meines Hauses dem Neigen 298 des Tages zuschauete und aus dem Sinnen aufgeschreckt wurde durch jenen ernsten Ruf des Messuin, dachte ich oft, ich höre das Grablied der Sonne. Hier aber klang ‘der Ruf eher wie die Stimme des Geisterbeschwörers, welcher die finstern Mächte zum Beistand und zur Rache ruft. In tiefem Schweigen standen die Gruppen der Generale und der Off- ciere ihres Gefolges am Rande des Abgrundes versammelt. Aller Augen waren wie durch Magnetkraft der gespenstigen Stadt zugewendet. „Das ist die Residenz des Teufels!“ unterbrach plötzlich der erstaunte Ausruf des Fürsten von der Moskwa die Stille der übrigen. Einen kleinen Schauer be- wirkten diese Worte auf Alle, welche sie hörten. Bei mehr als Einem war es eine Vorahnung des Todes. Ich glaube, dass alle Augenzeugen jenes ersten Anblicks der alten numi- dischen Felsenstadt den furchtbar feierlichen Moment nie ver- gessen werden. In dieser halb träumerischen Betrachtung störte uns das Sausen der Kugeln. Alle Batterien der Stadt, welche auf ‘der Kasbah und bei den Thoren Bab-el-Dscheddid und Bab- 'el-Kantara standen, eröffneten gegen das Plateau ein heftiges Feuer. Eine der ersten Kanonenkugeln flog zwischen dem General Damremont und dem Herzog von Nemours, den kleinen leeren Luftraum durchschneidend, gerade mitten durch. _ We- nige Minuten darauf schlug eine Bombe kaum dreissig Schritte hinter beiden in die Erde und zersprang mit grossem Getöse, ohne irgend Jemand zu verletzen. Der alte General Valee, Commandant der Artillerie, betrachtete die Stadt mit bedenk- licher Miene und ich hörte ihn sagen: „,‚Ich‘ erstaune über den Muth des Marschalls Clauzel, der eine solche Stadt mit Sechspfündern anzugreifen wagte. Wahrhaftig wir ‚haben all unserer Mittel nötbig, um hier etwas auszurichten.“ Für ‚299 diejenigen Zuschauer, welchen nicht die militairische Pflicht zu bleiben gebot, war das Verweilen an dieser Stelle, wo ausser den groben Geschützkugeln zahllose Wallflintenkugeln herüberpfiffen, keineswegs sehr behaglich. Ich sah mich nach dem General Damr&mont um. Er stand nicht, wie. wir übri- gen, hinter dem Erddamm, wo wir wenigstens bis an die Brust gedeckt waren, sondern auf dieser Erhöhung selbst, seine ganze corpulente Gestalt den feindlichen Schützen als Zielscheibe bloss stellend. Mit dem Fernrohr in der Hand blickte er lange nachdenkend auf die Stadt hinab, mit äus- serster Ruhe. Er verlor hier eine kostbare Zeit. Das Wet- ter war noch günstig und der Boden trocken. Bei rascheren entschlosseneren Maassregeln hätte man noch an diesem Tage auf El Mansurah einige Batterien aufführen und die andere Hälfte der Geschütze auf den Berg Cudiat- Ati hinüberführen können. Der Feind machte um diese Zeit einen schwachen Aus- fall. Einige hundert Mann kamen von der Seite der Römer- brücke, wurden aber von einigen Pelotons des 2ten leichten Infanterieregiments und der Zuaven mit leichter Mühe zurück- geworfen. Am Abend desselben Tages überschritten die dritte und vierte Brigade den Rummel und bemächtigten sich der Anhöhe Cudiat-Ati im Augenblick, als ein heftiger Regen fiel, welcher fünf Tage fast ohne Aufhören fortdauerte. Der Uebergang war sehr schwierig. Das Bett des Rummel war mit grossen Steinen angefüllt und der Abhang des Berges sehr steil und schlüpferig. Zwei feindliche Batterien bestri- chen den Fluss und tödteten einige Leute, worunter ein Ad- jutant des Generallieutenants Fleury war, welchen eine Ka- nonenkugel in zwei Stücke zerriss. Die Generale Rulhieres und Fleury, ihren Soldaten ein Beispiel guten Muthes gebend, 300 ritten voran auf dem äusserst schwierigen Weg, während der Wind ihnen den Regen ins Gesicht trieb. Zwei Bataillone stellten sich mitten unter den Gräbern auf, welche Cudiat- Ati bedecken. Am 7. October machte die Besatzung einen ziemlich mu- thigen Ausfall. Auf der Seite von EI Mansurah zogen sie sich bald zurück. Dagegen tiraillirten auf Cudiat Ati 7- bis 800 Mann, an deren Spitze man Türken und Kuruglis in prächtiger Kleidung sab, lange und hartnäckig mit der Frem- denlegion und dem 3ten Bataillon d’Afrique. Erst als die Franzosen mit dem Bajonnet dem Feind zu Leibe gingen, floh dieser. Seinen Rückzug schützte das Musketenfeuer des Platzes. Zu gleicher Zeit kamen von den Bergen östlich und nördlich von Cudiat- Ati, wo die Araber lagerten, über dreitausend Reiter herabgestiegen, um die beiden Brigaden im Rücken und in der Flanke anzugreifen. Ich überschaute diese wunderschöne Kriegsscene sehr deutlich vom Berge El Mansurah aus, wo ich beim Generalstab des Gouverneurs zu- rückgeblieben war. Mit fürchterlichem Geschrei sprengten jene barbarischen Ritter gegen die französischen Linien an. Alle Bergabhänge und 'Thäler hinter Cudiat- Ati waren von einer Masse weisser langbärtiger Gestalten auf grauen Pfer- den bedeckt. Weniger erfahrene Truppen als die afrikani- schen Corps hätte die Menge und das Geschrei der Barbaren gewiss eingeschüchtert, aber diese an den Araberkrieg ge- wöhnten Soldaten wissen längst, was solche drohende De- monstrationen zu bedeuten haben. Die Chasseurs d’Afrique liessen die Kühnsten jener Reiter bis auf halbe Flintenschuss- weite nahe kommen, dann machten zwei Escadrons eine wü- thende Charge auf die Araber. Diese erwarteten den Zu- sammenstoss nicht, sondern ergriffen aufs schleunigste die 301 Flucht. Einige wurden eingeholt und im Handgemenge ge- tödtet. Dagegen zahlten einige der hitzigsten Verfolger ihre Kühnheit mit dem Leben; denn bei den Arabern gehört die Flucht mit zu den Manoeuvres und demoralisirt nie. Immer ist der Fliehende bereit, augenblicklich wieder umzukehren und auf seinen Gegner loszustürzen, wenn er diesen mit Vor- theil bekämpfen kann. Unter den getödteten Chasseurs befand sich ein junger Fourrier von guter Familie, dessen Tod von seinen Cameraden sehr beklagt wurde. Cudiat-Ati war durch den Reiterangriff übrigens frei geworden. Jene heulenden Unholde "hatten sich wieder auf die höheren Berge hinter dem colossalen Aquaeduct, einem der Monumente der alten Cirta zurückgezogen. Constantine war von etwa 6- bis 7000 Bewaffneten ver- theidigt. Darunter befanden sich gegen 3000 Kabylen, ein rohes, zerlumptes Gesindel von Fanatikern, welche durch. die Predigten ihrer Marabuts, deren, mehrere im Solde des Beys standen, erhitzt, von den Bergen herabgestiegen waren, um an dem Kampfe gegen die Ungläubigen Theil zu nehmen. Sie brachten ihre langen Flinten und Yatagane von verschie- denen Formen mit und wurden als Schützen auf den Bastio- nen und äussersten Häusern verwendet, wo sie ganz gute Dienste leisteten, denn sie haben ein scharfes Auge und eine sichere Hand. Dagegen konnte man sie zum Dienste in den Batterien nicht gebrauchen. Die Kanoniere waren grössten- theils vertriebene oder geflüchtete Türken und Kuruglis aus Algier und einige französische Deserteurs oder Gefangene, worunter die Mehrzahl von der Fremdenlegion. Ein Deut- scher, Wendelin Schlosser aus Erfurt, war Artillerieofficier des Beys; ein anderer Renegat, Send aus Dresden, war ihm als Waffenschmied von wesentlichem Nutzen. Die Zahl der 302 bewaffneten Kuruglis und Türken mochte etwa 2000 betra- gen; sie waren die besten, streitbarsten Truppen des Fein- des, kämpften mit Ordnung und Gewandtheit und standen bei den Ausfällen immer an der Spitze. Die maurische Bevölke- rung hatte eigentlich nur aus Verzweiflung zu den Waffen gegriffen und man konnte sich im Kampfe wenig auf sie ver- lassen. Oberbefehlshaber der Stadt war Ben-Aissa, der Khalifa Achmet’s, auf welchen dieser seit Jahren sein volles Vertrauen setzte. Ben-Aissa stammte von den Kabylen, war aber in Charakter und Sitten ganz zum Türken geworden, denn seit vielen Jahren schon lebte er in Constantine. Sein Name war der Schrecken des Landes. Unerhörte Grausam- keiten liess er bei seinen Rhazia verüben; die Araber zitterten vor ihm, dagegen hatte er viel Einfluss auf die Ka- bylen, die er schonte und oft gegen aufrührerische Araber- stämme zu benutzen wusste. Uebrigens galt Ben-Aissa nicht für einen persönlich tapfern Mann. Unter ihm stand aber der Kaäid-el-Dar (Kaid des Palastes), gleichfalls ein Kabyle von grossem Muth, der ‘die Besatzung rastlos anfeuerte ‘und die Vertheidigung eigentlich geleitet haben soll. Achmet Bey war trotz der prahlerischen Proclamationen, welche er seit einem Jahre an alle Stämme schickte, feig genug, ausser- halb der Stadt zu bleiben, denn er war von ihrer Unüber- windlichkeit keineswegs 'so fest überzeugt, wie er es in sei- nen Briefen glauben machte.‘ Er hatte etwa 3000 arabische Reiter und 12- bis 1500 Fussgänger mit sich und hielt sich östlich von der Stadt bei einem grossen Landhause,' auf. wel- chem seine Fahne wehte. Einige tausend Reiter lagerten auf den Berggipfeln um Cudiat-Ati. Ein anderes arabisches Lager befand sich nicht weit von ‘El Mansurah. Wie stark die Zahl dieser Feinde ausserhalb ‘der Stadt: gewesen seyn 303 mag, lässt sich schwer bestimmen. Ich glaube, wenn ich diese ganze Streitermasse auf 8000 Mann schätze, so ist das eher zu viel, als zu wenig. Unter den Reitern bestand die Mehrzabl aus Beduinen der Sahara, geführt von Bu-Asis- ben- Ganah, Achmet’s Oheim von mütterlicher Seite. Die Fussgänger waren fast sämmtlich Kabylen. Den ganzen Tag des 8. Octobers fielen Regengüsse mit Sturm und Donner. Dennoch arbeiteten die Artilleristen und das Geniecorps thätig an der Errichtung der‘ Batterien auf El Mansurah, welche aber nicht beendigt wurden, so dass das auf diesen Tag angekündigte Bombardement noch unter- blieb. Schauerlich war-die Nacht des 8. auf den 9ten. Die Armee schlief in einer eisigen Nässe und im Koth bis an die Kniee. Kein Feuer brannte, keine Bedeckung schützte vor den Strömen der Wolken. Zu den furchtbaren Leiden gesellten sich noch alle Schrecken des Krieges; die Batterien der Stadt setzten ihr Feuer fort, und einzelne verwegene Feinde schlichen sich mitten in unsere Linien. Kaum war der Morgen angebrochen, se erblickte man die Constantiner Tirailleurs auf allen Seiten. Die im Regenwasser gebadeten Gewehre versagten das Feuer, und die armen Soldaten muss- ten immer lange wieder putzen und reiben, bis der Schuss losging. Diese Franzosen zeigten aber unbeugsamen Muth; sie gingen durch den Koth watend den Feinden mit dem Ba- jonnet so herzhaft zu Leibe, dass diese schnell wieder durch ihre Schlupfwinkel der Stadt zu flohen. Die französischen Batterien begannen endlich am 9. October um 7 Uhr Mor- gens ihr Feuer vom Plateau El Mansurah. Sie waren be- stimmt, die feindlichen Batterien zum Schweigen zu bringen, deren Geschütze zu demontiren und die Stadt in Schrecken zu setzen. General Damremont glaubte, die Bewohner würden 304 noch an diesem Tage zu capituliren verlangen. Gewiss dachte er nicht an einen ernstlichen Angriff von EI Mansurah aus, denn schon bei der frühern Expedition hatte man sich über- zeugt, dass von dieser Seite der Sturm unmöglich sey. Ge- gen 11 Uhr schwiegen die feindlichen Geschütze der Kasbah und des Thores el-Kantara; die meisten Kanonen der Con- stantiner waren demontirt und nur von Bab-el-Dscheddid aus antworteten einige Stücke bis gegen Abend. Unsere Mörser schienen in der Nähe des letztern ziemliche Verwü- stungen anzurichten. Man zielte auch auf den Palast des Beys und das Wohnhaus Ben-Aissa’s. Gegen Abend stell- ten die Franzosen mehrere Versuche mit Congreve’schen Ra- keten an. In schräger Richtung flogen diese Geschosse mit prasselndem Gezische, eine Flammenhelle von sich speiend, in die Mitte der Stadt, blieben aber ohne die geringste Wir- kung. Es ist beinahe keine Möglichkeit, eine maurisch ge- baute Stadt, wie Constantine, in Brand zu stecken, wo die Geschosse so wenig zündbarem Stoff begegnen. Der General Damr&mont hatte sich in den Constantinern verrechnet; es erschien kein Parlamentär. Der Fanatismus giebt den Völkern dieses Landes zwar nicht Energie der That, wohl aber die Kraft des Duldens, Wenn auch die halbe Stadt in Trümmern zerfallen wäre, sie hätten dies mit dumpfem Gleichmuth ertragen, ohne an eine Capitulation zu denken. ‘Wenn indessen das Bombardement von El Mansurah den Fall der Stadt um keinen Augenblick beschleunigte, so erhob dasselbe doch etwas die moralische Kraft der Soldaten, namentlich der armen Kranken, deren Zustand in dem nassen Kothlager so kläglich als nur möglich war. Der Anblick der Fieberambulance war der erschütterndste. Einige hundert Kranke lagen da, theils auf Wägen eng zusammengepresst, 305 theils auf der Erde, über welche man Decken gebreitet hatte. Aber die unaufhörlichen Regengüsse hatten das ganze Ter- rain unter Wasser gesetzt. Die Wolldecken waren durch und durch feucht und eine eisige Frostnässe lagerte sich auf dem Körper des Leidenden. Die armen Aerzte, im Koth bis an die Kniee stehend, spendeten vergeblich den Patienten ihre Pflege. Sie hatten wohl Arzneien, aber nicht Woll- decken genug. Im Fieber oder im Todesdelirium phantasi- rend, waren die Gedanken aller Soldaten in Frankreich. Jeder nannte sein Dorf oder Städtchen, rief Taufnamen, die wohl seinen Verwandten angehörten, und seulzte fort und schrie, bis man ihn am Morgen als erstarrten Leichnam aus dem Kothe zog. Mit jeder anbrechenden Tageshelle mussten die bestürzten Aerzte neue Verschiedene sehen, deren Zustand unter trockenem Dache wenig Besorgnisse eingeflösst hätte, Unter solchen Umständen gebot die furchtbarste Nothwendig- keit, mit der Errichtung der Breschebatterien zu eilen. Die Krankheiten nahmen zu, die Lebensmittel gingen auf die Neige und die Fourrage für die Pferde war am 10, schon völlig aufgezehrt. Am 9. October um 7 Uhr Abends führte man einen Theil der zu. den Breschebatterien bestimmten Geschütze vom Pla- teau des Mansurah nach Cudiat-Ati hinüber. Wer das un- geheuer schwierige Terrain nicht kennt, mag sich schwer einen Begriff machen, welche Anstrengungen es kostete, diese schwerste Arbeit der Belagerung auszuführen. Die Vierund- zwanzigpfünder mussten einen steilen Abhang von mehr als 300 Fuss hinabgeführt, dann über einen reissenden, mit grossen Steinen angefüllten Fluss gebracht und dann wieder auf einen hohen steilen Berg hinaufgebracht werden und, all dies sollte bei dunkler Nacht, unter strömendem Regen ge- Morıtz WAGNnER’s Algier, II. 20 306 schehen, welcher die Erde tief durchweicht und die Bergab- hänge so schlüpferig gemacht hatte, dass selbst ein geübter Kletterer nicht hinaufsteigen konnte ohne öfteres Straucheln. Der sächsische Artillerieofficier Bernhard, welcher als Amateur die Armee begleitete, hielt es, nach Besichtigung des Ter- rains, für rein unmöglich, die schweren Geschütze auf Cudiat- Ati zu bringen. Dennoch gelang diese Arbeit. An manche Kanone mussten 30 bis 40 der stärksten Zugpferde gespannt werden und eine Compagnie Soldaten zog und schob an je- dem Stück mit. Das Schwierigste war der Uebergang über den Rummel. Dort arbeiteten die Soldaten um Mitternacht mehrere Stunden lang, im Wasser stehend bis an die Brust, um die schwersten Steine aus dem Flussbett zu tragen. Man hatte die Nacht zu dieser Arbeit gewählt, um dem Feuer der Belagerten nicht ausgesetzt zu seyn. Mit Anbruch des Mor- gens standen noch zwei Munitionswägen im Wasser gegen die Hindernisse kämpfend.e Das Kanonen- und Musketen- feuer begann wieder aus der Stadt, hinderte aber die franzö- sischen Soldaten nicht, auch diese letzten Wägen nach Cudiat- Ati hinaufzubringen. Als sämmtliche grobe Geschütze glück- lich auf dem Berge angelangt waren, erstaunte jedermann, selbst diejenigen, welche die Arbeit vollbracht hatten. Wir gedachten des Zuges der Armee Bonaparte’s über die Alpen. Als wir die abgehärteten Soldaten des 47sten Regiments, welchem man den glücklichen Transport der Geschütze haupt- sächlich verdankte, oben von Wasser triefend, mit Koth be- deckt zum Kampfe gegen die feindlichen Tirailleurs mit grosser Kaltblütigkeit sich anschicken sahen (diese tapfern - Männer hatten seit 24 Stunden fast nichts gegessen), wurden wir alle, besonders die fremden Officiere, von höchster Be- wunderung erfüllt. N 307 Am Ilten begannen die in Batterien aufgestellten Feuer- schlünde ihre Kugeln gegen die Mauer zwischen den Thoren Bab-el-Uad und Bab-el-Dscheddid zu schleudern. Dort befindet sich der einzige schmale Punkt, wo es möglich ist, eine Bresche zu öffnen, denn die tiefe Schlucht, welche Con- stantine sonst überall umgiebt, endigt dort; der Felsen bildet dann keine senkrechte Mauer mehr und eine hohe Erdzunge stellt eine natürliche Verbindung mit dem Berge Cudiat- Ati her. Ohne diesen einzigen verwundbaren Fleck wäre Con- stantine ein zweites Gibraltar; eine Stadt, welche man wohl mit Bomben zerstören, aber nimmermehr mit Sturm erobern könnte. Ä Der Gouverneur, der Prinz und der General Perregaux, Chef des Generalstabes, dessen thätiger Eifer alle Arbeiter belebte, ritten, um. die Fortschritte der Breschebatterien zu besichtigen, täglich von El Mansurah nach Cudiat-Ati hinüber. Die Verbindung dieser beiden Positionen war niemals unter- brochen, aber. der. Uebergang über den Rummel hatte stets einige Gefahr, da von der einen Seite das Feuer der Bela- gerten den Fluss bestrich und auf den Hügeln der andern Seite zahlreiche Reiterhorden . lauerten, die wie Raubvögel bereit waren, auf ihre Beute herabzustossen,. sobald irgend ein einzelner Unbesonnener es wagte, den Fluss in der Nähe ihrer ‚Stellung‘ zu überschreiten. . Ein Soldat, welcher, um Holz zu holen, sich von den Vorposten einige Schritte ent- fernte, wurde von jenen Reitern überfallen, und ehe man Zeit hatte, ein Gewehr. auf sie loszudrücken, waren sie mit dem abgehauenen Kopfe, des Soldaten davon gejagt. Die beim Landhause Achmet Bey’s versammelten arabischen Reiter und Kabylen zu Fuss blieben ziemlich unthätig auf dem Flecke stehen und benahmen sich mehr wie Zuschauer des Kampfes. 20* 308 Einigemal näherten sich die Kabylen den französischen Ti- railleurs bis auf halbe Schussweite, doch waren ihre Angriffe nicht mit Energie geführt. Die Ordnung fehlt zu sehr diesen Horden im freien Felde, als dass sie gegen reguläre Trup- pen das Mindeste ausrichten könnten. Als sie den geringen Erfolg ihres Tirailleurfeuers bemerkten, stellten sie dasselbe ein und beschränkten sich in den letzten Tagen ganz aufs Beobachten. Es waren auch ziemlich viele Kabylenweiber im Lager Achmet’s. Gleich den Frauen der alten Cimbrer und Teutonen ermunterten sie die Krieger durch ihr Geschrei, riefen Beifall den Tapfern und schmähten die Feiglinge. Einen ziemlich entschlossenen Ausfall machte Constantines Besatzung am 10. October. Türken und Kabylen schlichen sich durch die Hohlwege und die Furchen des Terrains bis nahe an die Batterien. General Damremont, der eben an- wesend war, liess die Fremdenlegion und ein Bataillon von Afrika mit gefälltem Bajonnet angreifen und warf sich selbst mit auf den Feind. Viele Tirailleurkugeln wurden auf seine durch einen Federhut ausgezeichnete Gestalt abgefeuert; keine ‘verletzte ihn. Der Feind wurde mit Verlust in die Stadt zurückgedrängt. Der Kaid-el-Dar, welcher diese Ausfall- colonne commandirte, wurde verwundet. Am Morgen des 12. Octobers war die Bresche schon so breit, dass zehn Mann neben einander Sturm laufen konnten. Am frühen Morgen war der Gouverneur mit seinem Gefolge auf Cudiat- Ati, die Fortschritte der Bresche zu beobachten. Gegen 8 Uhr wurde das Feuer auf seinen Befehl eingestellt, da man einen Parlamentair aus der Stadt zurückerwartete, welcher dorthin mit der Auffordernng zur Uebergabe gesandt worden war. Um Blutvergiessen zu vermeiden, wollte der menschlich gesinnte General Damremont noch diesen letzten 309 Versuch machen. Der Parlamentair war ein junger Araber vom Bataillon der Zuaven, welcher zu dieser Mission, die den Meisten höchst gefährlich schien, sich freiwillig erboten hatte. Als derselbe das weisse Tuch schwingend der Mauer sich näherte, stellten die Constantiner ihr Feuer ein und warfen ihm einen Strick zu, mit welchem sie ihn hinaufzo- gen. Sie behielten ihn so lange in der Stadt zurück, bis sie die Bresche mit Wollsäcken wieder ausgefüllt hatten. Endlich kam derselbe mit folgender mündlichen Antwort: „Es giebt in Constantine viel Kriegs- und Mundvorrath. Wenn es den Franzosen daran fehlt, wollen wir ihnen davon schi- cken. Was eine Capitulation ist, wissen wir nicht. Unsere Stadt und unsere Häuser werden wir aufs äusserste verthei- digen; sie werden nicht in eure Macht fallen, so lange noch ein Vertheidiger lebt.“ General Damremont, nachdem er diese Antwort gehört, sagte: „Es sind tapfere Männer. Wohlan! Der Kampf wird nur um so ruhmvoller für uns w seyn.‘ Gegen 10 Uhr fing der Kanonendonner wieder an. Die Vierundzwanzigpfünder und Mörser feuerten erstaunlich rasch und fegten die Bresche bald von den aufgehäuften Wollsäcken. Das Echo von Berg zu Berg fortrollend musste den Schall bis in die Wüste tragen. Der General Damremont ging, nachdem er die neueste Batterie besichtigt hatte, unvorsichtig weit gegen den Abhang des Berges Cudiat-Ati nach der Stadtseite vor, um mit dem Fernrohr von der Wirkung des Feuers sich zu überzeugen. Alle die Bomben und Wallilin- tenkugeln, die er um sich pfeifen und bersten hörte, hielten ihn nicht von seiner verwegenen Promenade zurück. Gene- ral Rulhieres machte ihn auf die gefährliche Stelle aufmerk- sam. CO’est egal! antwortete Damremont kalt. Er bezahlte 310 aber diese beharrliche Verachtung des Todes.. Eine vierpfün- dige Kanonenkugel warf ihn leblos zur Erde; er hatte kaum Zeit noch, mit dem Seufzer „2092 Diew!““ seine unerschro- ckene Kriegerseele Gott zu empfehlen. Schmerzvoll beugte sich der tapfere General Perregaux über den Leichnam sei- nes Feldherrn und Busenfreundes und wurde in demselben Augenblick durch eine Flintenkugel an der Stirne tödtlich verwundet. General Rulhieres erhielt einen Streifschuss an die linke Wange und sein Rock wurde von mehreren Kugeln durchlöchert. Der Herzog von Nemours befand sich auf der- selben gefährlichen Stelle, wo die Kugeln unaufhörlich saus- ten. Seine Adjutanten wollten ihn halb mit Gewalt entfernen; er verweigerte es mit Unwillen und blieb mit den Uebrigen, bis man die Leiche Damremont’s hinweggetragen hatte. Die- ser junge Prinz zeigte während der ganzen Expedition einen ausserordentlichen Muth. Ich sah ihn im furchtbarsten. Feuer an Punkten, wo die Bombenkugeln jede Minute ein paarmal in die Erde einschlugen. Wir Andern hielten es für keine Schande, uns auf den Boden zuweilen glatt niederzuwerfen, damit beim Springen die Stücke über uns wegflögen. Der Prinz aber verachtete unser kluges Manoeuvre und ging im Kugelregen umher mit einer kaltblütigen Todesverachtung, welcher jeder Augenzeuge Bewunderung zollen musste, Nach dem Tode des Obergenerals wurde ein Kriegsrath zusammenberufen und das Commando der Armee dem Gene- rallieutenant der Artillerie, Valee, einem Veteranen der Kaiserzeit, als dem ältesten General übergeben. Unter den Truppen ward jenes traurige Ereigniss kaum eine Stunde. lang besprochen und war dann fast wieder vergessen. Der General Damremont und der Soldat der afrikanischen Armee kannten sich noch zu wenig, als dass der Verlust dieses sll Mannes, der zum erstenmal in seinem Leben eine kriegeri- sche Operation. von Bedeutung commandirte, tiefen Eindruck machen konnte; die Armee war überhaupt bei den vielen er- schöpfenden Leiden für dergleichen Emotionen abgestumpft. Unter den Officieren gab es viele Anhänger des Marschalls Clauzel, welche auf dessen Nachfolger nicht gut zu sprechen waren; sie konnten zwar eine flüchtige Rührung nicht unter- drücken über Damr&mont’s schönen Kriegertod , sprachen aber später mit Gleichgültigkeit und geringschätzender Kälte von ihm. Gewiss hatte sein Tod wenig Einfluss. Der Sturm wäre unter ihm nicht früher unternommen worden , hätte aber ganz gewiss denselben Erfolg gehabt. Eine neue Batterie war am 12, Mittags beendigt wor- den; sie stand der Stadt näher als die andern und konnte daher viel richtiger zielen. Sie eröffnete ihr Feuer mit gro- ssem Erfolg und nun donnerten alle vereinigten Geschütze um die Wette fort, so dass selbst den kranken Kriegern einen Augenblick das Herz lachen musste. Die ganze Armee wusste, dass am folgenden Tage gestürmt werden sollte, und diese Nachricht erhob ihren Muth nicht wenig. Es war aber auch wirklich die höchste Zeit. Die Truppen hatten in ihrem Kothlager während fünf Regennächten furchtbar gelitten, die armen Pferde und Maulthiere bekamen seit dem 10. kein Gerstenkorn mehr und der wüthende Hunger machte, dass sie oft einander die Schweife und die Mähnen abfrassen. Es fielen deren mit jedem Tage einige Hunderte und über ihre Cadaver, welche die Luft verpesteten, flogen Schaaren von schreienden Aasgeiern.. Zu den vielen Leiden gesellte sich noch der gänzliche Holzmangel. Die Soldaten fanden am Ende nicht einmal ein paar trockene Disteln mehr, ihre Suppe zu kochen. Dieser Bivouac zeigte ein Jammergemälde 312 über alle Beschreibung, namentlich während der trostlos lan- gen Nächte; kein Feuer brannte, und durch das kalte Heu- len des Windes, durch das ewige Regengeplätscher wurden nur die Seufzer der Kranken und das hungerige Wiehern der Pferde gehört. Der Zustand der Armee hatte einen be- denklichen Charakter. Zum grossen Glück heiterte sich der Himmel am 12. October etwas auf und mit ihm der Muth der Armee. Wie unglaublich gross der Einfluss der Witte- rung auf die Stimmung der Seele ist, erfährt man erst in solcher Lage. Die Nacht auf den 13. war mondhell und die Vierundzwanzigpfünder blieben die ganze Nacht thätig. Am andern Morgen ging die Sonne an einem völlig unbe- wölkten Horizont auf und die zum Angriff berufenen Corps jauchzten dem Augenblick des Sturms entgegen. Obristlieutenant Lamoriciere commandirte die erste zum Sturme berufene Colonne, welche aus 300 Zuaven, zwei Eli- tecompagnien des 2ten leichten Infanterieregiments und 40 Sapeurs bestand. Die zweite Colonne unter dem Oberbefehl des tapfern Obristen Combes bestand aus Detaschements der Sapeurs, des 47sten Linienregiments, der Fremdenlegion und des 2ten und 3ten Bataillens d’Afrique. Die dritte Colonne wurde durch Detaschements gebildet, welche aus den vier Brigaden in gleicher Zahl durch das Loos bestimmt waren; Obrist Corbin befehligte dieselbe. Die Zuaven hatten sich in einer Art Laufgraben der Bresche auf etwa hundert und funf- zig Schritte genähert und lagen dort einen ganzen Tag und eine Nacht, das Sturmsignal erwartend.. Der Herzog von Nemours war zum Commandanten der Belagerung ernannt worden. Er befand sich an der Seite Lamoriciere's. Um 7 Uhr Morgens flüsterte der Herzog dem Obristen endlich die Worte zu: „@Quand vous voudrez, Colonel!“ Lamoriciere 313 schwang den Säbel und mit kräftiger Stimme rufend: „@ 20< mes Zouaves!“ rannte er die Bresche hinauf. Kurz zuvor war das eigentliche Sturmsignal durch das Abfeuern von acht Kanonen zu gleicher Zeit geschehen. Die Kugeln bewirkten bei der Bresche eine grosse Staubwolke, welche die Belager- ten verhindern sollte, auf die ersten Stürmenden zu zielen. Mit dem Kanonensignale schmetterte die Musik der Fremden- legion zu gleicher Zeit den Sturmmarsch; alle andern Regi- mentsmusiken und Tambours fielen mit ein. Bei diesem ver- einigten Geräusche der Kanonen, Trommeln und Trompeten folgten die Zuaven und die übrigen Corps der ersten Colonne dem Obristen im eiligsten Laufe. In diesem Augenblick er- hoben alle auf den Bergen umher gelagerten Araber und Ka- bylen ein so furchtbares Geschrei, dass sie alle Trommeln und Trompeten übertäubten. Dieser einzige, langdauernde, zerreissende Schrei von fünftausend Barbarenkehlen hatte im Beginnen einen kriegerisch wilden Klang, endigte aber, aus Erschöpfung, gellend und wehklagend, wie die zerreissenden Saiten einer Titanenharfe. Es war der Sterbelaut der „Stadt des Teufels.“ Eine Stunde später herrschte Todtenstille wieder und die Franzosen waren Meister von Constantine., Auf der Bresche angekommen fanden die Angreifer zu ihrem Erstaunen nirgends einen eigentlichen Eingang. Ein Labyrinth von "Trümmern, halbverschütteten Häusern, schein- baren Wegen liess sie nicht erkennen, ob sie bereits festen Fuss in der Stadt gefasst hätten, und niemand wusste zu ra- then, welche Richtung man zunächst einschlagen solle, wäh- rend von allen Seiten Kugeln pfiffen und die Nähe der Feinde inmitten der Trümmer verriethen. Die unsichtbaren Schützen zielten, wie dies überhaupt gewöhnlich in diesem Kriege geschieht, vorzugsweise auf die Officiere. Daher ergab sich 314 auch ein so grosses Missverhältniss unter den Getödteten, von welchen die Officiere fast ein Viertheil ausmachten. Endlich entdeckten die Zuaven den Eingang in eine der starkver- schanzten Batterien. Ohne einen Schuss zu thun, warfen sie sich mit dem Bajonnet auf die Kanoniere, welche bei ihren Stücken festen Fusses die Angreifer erwarteten und ohne an Flucht zu denken bis auf den letzten Mann nach der. ver- zweifeltsten Gegenwehr unter den Bajonnetstichen verbluteten. Von dort drangen die Zuaven in ein grosses Magazin ein und kamen zur zweiten Batterie, deren türkische Kanoniere aber nicht denselben Widerstand leisteten, sondern, nachdem sie ihre Gewehre abgeschossen hatten, grösstentheils durch verborgene Ausgänge entflohen. Um von dort über die Trüm- mer in die Strassen zu gelangen, mussten Leitern herbei- gebracht werden. Die ersten "Truppen aber, die in die eigentliche Stadt eindrangen, wurden durch eine volle Salve empfangen. Man schritt über die Leichen und bahnte sich mit dem Bajonnet den Weg; der Feind zog sich kämpfend und fliehend von Haus zu Haus. Plötzlich stürzte ein von Kugeln stark zerrissenes Gebäude zusammen und begrub in seinem Falle mehrere Soldaten und Officiere, worunter der Commandant Serigny vom 2ten leichten Regiment. Dieser unglückliche Oberofficier lag bis an die Brust unter. den Trümmern, die ihm die Extremitäten zerschmettert hatten. Er schrie und heulte nach Hülfe, die ihm niemand gewähren konnte, bis ihn die Last vollends erdrückte. Wenige Augen- blicke später fiel eine weit grässlichere Scene vor. Die Stür- menden glaubten sich plötzlich in eine Hölle versetzt. Der . Athem entging ihnen, die Sinne schwanden, Kleider und Haare fingen Feuer, Flammen und Dampf umhüllte sie, vor ihren Augen wurde es Nacht. Es war die Explosion einer 315 grossen Pulvermasse, welche wahrscheinlich durch einen Flin- tenschuss oder sonstigen Zufall Feuer gefasst hatte. Die französischen Soldaten des Genie hatten Pulversäcke mitge- nommen, um etwaige Hindernisse zu sprengen; auch diese wurden entzündet und vermehrten die Katastrophe. Ueber vierzig Soldaten und Officiere wurden zermalmt und verbrannt. Sie hatten einen fürchterlichen Tod; die meisten erlitten ihn schweigend, denn Gluth und Dampf liessen sie nicht einmal das letzte Röcheln ausstossen. Andere überlebten die Explo- sion einige Augenblicke, hatten aber eine entsetzliche Ago- nie, tappten erblindet nach ihren verbrannten Kleidern und Gliedern und schrieen in Tönen, die, wie mir Augenzeugen dieser Scene versicherten, nichts Menschenähnliches mehr hatten. Wieder andere waren mit mehr oder minder starken Brandwunden davon gekommen; vielen war die Haut vom Körper geschunden, einige hatten die Sehkraft ganz verloren. An mehreren Stellen hatte die Erde sich geöffnet, Ruinen von Mauern waren vollends eingestürzt — eine schreckliche Pause folgte dem Ausbruch dieses Kraters. Die Constantiner benutzten diesen Augenblick des Zauderns, der Verwirrung. Ueber die noch glühenden und dampfenden Trümmer sah man zerlumpte Kabylen, gleichfalls von Pulver geschwärzt, mit dem Yalagan in der Faust springen, um Alles, was inmitten der Scene der Zerstörung und des Todeskampfes noch athmete und wimmerte, vollends niederzumachen. Mehrere der ver- senkten Franzosen erhoben sich aus dem Schutt, um noch das wenige Leben, was in ihnen geblieben, theuer zu ver- kaufen. Manche jener Wilden, die den Kampf mit den Halbtodten scheuten, liessen ihre Wuth lieber an den Leichen aus, bohrten den Yatagan in die tapfern Herzen, die nicht mehr schlugen, rissen den Todten Glieder vom Leibe und 316 rannten damit, an ihre Yatagane sie spiessend, triumphirend nach der innern Stadt, um durch den Anblick dieser Tro- phäen die schon halb entmuthigten Vertheidiger zu neuem Widerstande anzuspornen. In diesem kritischen Augenblick kam die zweite Sturm- colonne, geführt vom Obristen Combes, auf dem Kampfplatz au. Die Soldaten des 47sten Regiments und die Fremden- legion unterstützten die Zuaven, welche arg gelitten hatten, und Obrist Combes übernahm das Commando, da Lamoriciere vom Pulver verbrannt war und das Augenlicht für einige Zeit verloren hatte. Die Feinde hatten sich hinter eine Art ven Barricade zurückgezogen, welche aus Trümmern und Cada- vern sich von selbst gebildet hatte. Von da sprühten sie ein mörderisches Flintenfeuer auf die Franzosen. Combes befahl einer Compagnie seines Regiments diese Schranke mit stür- mender Hand zu nehmen, das Ehrenkreuz dem Ersten, der sie überschreiten würde, versprechend. Die Compagnie rannte im Sturmschritt vor, der Lieutenant sprang über die Barricade, stürzte aber im Augenblick nieder unter einer allgemeinen Salve. Dieser Officier war übrigens nicht getroffen, sondern über die Trümmer strauchelnd gefallen. Dagegen wurden die, welche hinter ihm standen, getödtet oder verwundet, darunter der Capitän der Compagnie. Fast in demselben Augenblick wurde auch Obrist Combes durch zwei Kugeln tödtlich verwundet. Er entfernte sich langsam und ruhig, ohne fremden Beistand, vom Kampfplatz und kehrte zur Bresche- batterie zurück, wo er dem General Valee und dem Herzog von Nemours Bericht erstattete von der Lage der Dinge in der Stadt. Mit ruhigster Fassung fügte er dann hinzu, dass er sich tödtlich verwundet fühle. Weder in seiner Haltung und Miene, noch in seinen ruhigen Worten hätte man einen 317 Sterbenden vermuthet. Er zog sich in sein Zelt zurück, wo er einige Tage später mit derselben Ruhe den Geist aufgab. Es lag in diesem Mann der ganze Seelenadel der alten Hel- den von Griechenland und Rom. Nachdem Combes und Laämoriciere ausser Stand waren, das Commando fortzuführen, begannen die Soldaten den Stra- ssenkrieg auf eigne Faust. Man schlug sich von Haus zu Haus. Endlich erreichten die Zuaven das Wohngebäude Ben- Aissa’s, wo der Widerstand concentrirt war. Man schlug sich in den Galerien und im Hofe des Hauses; die meisten flohen durch Auswege, die den Angreifern verborgen waren. Mehrere Kabylen aber wehrten sich aufs äusserste und star- ben mit den Waffen in der Hand. Auch eine Negerin lag unter den Leichen; sie war durch einen Flintenschuss ge- tödtet worden und hatte noch den Yatagan und eine Pistole in der Hand. Ben-Aissa selbst war nach der Kasbah ge- flohen; der Kaid-el-Dar aber fiel, ritterlich fechtend, auf der Strasse. In Ben-Aissa’s Hause erbeuteten die Soldaten ziemlich viel Gold und Kostbarkeiten. Um den Muth der Vertheidiger anzuspornen, hatte dieser Befehlshaber in den letzten Tagen unter alle Einwohner Geld austheilen lassen. Durch die Einnahme des Centrums der Vertheidigung war die Widerstandskraft der Constantiner gebrochen. Ge- neral Rulhieres übernahm das Commando der Truppen. Eben war derselbe im Begriffe seine Soldaten gegen die am äu- ssersten Ende der Stadt gelegene Kasbah zu führen, als ein Maure mit einem Stück Papier in der Hand ihm ent- gegen kam. Es war eine Bittschrift der Bewohner Con- stantines, welche ihn flehten die Stadt zu schonen, und die Schuld der hartnäckigen Vertheidigung auf die Kabylen schoben. General Valee, dem das Schreiben mitgetheilt 318 wurde, bewilligte die Bitte. Der Widerstand hörte auf. Nur einige Kabylen feuerten auf die ersten Soldaten, welche in die Kasbah eindrangen, ihre Flinten ab, ehe sie über die Felsen hinabflüchteten. Um 9 Uhr Morgens wehte die drei- farbige Fahne statt der rothen auf allen Hauptpunkten der Stadt Constantine. 319 Im. Der Anblick der Bresche. — Scenen nach der Erstürmung. — Un- ser Einzug in Constantine — Plünderung der Stadt, — Die zurückgebliebene Bevölkerung. — Anblick der Kasbalı und der mit Leichen bedeckten Felsen. — Eine verunglückte Frau. — Der Palast Achmet Bey’s. — Die schöne Aischa. — Das Wohn- gebäude Ben- Aissa’s. — Der Renegat Send. — Schatzgräber, — Lamoriciere.. — Combes. — Duvivier. — Das Hospital. — Ankunft des Prinzen Joinville. — Damremont’s Todtenfeier. — Abreise von Constantine, — Von Cudiat- Ati aus hatten wir Zuschauer die drei Sturm- colonnen die Bresche ersteigen sehen. Sie verschwanden in der Stadt und wir harrten in der grössten Aufregung, depn diese Stunde entschied vielleicht über unser aller Leben. - Niemand dachte an einen zweiten Rückzug. Es war nur eine Stimme in der Armee: Constantine sey unser oder wir sterben alle an seinem Felsen! Als um 9 Uhr endlich die Tricolorfahne auf der Kasbah flatterte, da jauchzten wir und umarmten: uns und ich erkannte damals zum erstenmal die Gewalt des Sieggefühles. Die draussen versammelten Araber und Kabylen, welche von den Gipfeln der Berge- der Erstür- mung Constantines zugesehen hatten, zogen sich in aller Stille zurück, als sie die rothe Fahne. verschwunden sahen. Alle Neugierigen der Armee strömten jetzt herbei, das In- 320 nere dieser finstern numidischen Felsenstadt zu schauen, die in Jahresfrist der Schauplatz zweier Katastrophen gewesen und deren Besitz so viel Blut gekostet hatte. Am Fusse der Bresche begegnete ich dem Capitän Le- vaillant. Er war ohne Wunde davon gekommen, obwohl einer der vordersten Stürmenden. Mit eigener Hand hatte dieser Officier mehrere Kabylen getödtet. Sein Gesicht war von Rauch geschwärzt, seine Uniform mit Staub bedeckt und durchlöchert. Ich schüttelte ihm aufs herzlichste die Hand. „Lebt Obrist Lamoriciere?‘“ fragte ich. „Er lebt — ant- wortete Levaillant — ihm ist aber, als habe ihn der Teufel ein bischen in seine Heimath spazieren geführt. Er ist halb verbrannt und hat das Augenlicht verloren. Gehen Sie zu ihm; denn er hat schon nach Ihnen und Ihrem Champagner gefragt.“ — „Und Ihre Zuaven?“ „Sind zur Hälfte todt oder verwundet. Was davon noch lebt, freut sich und sieht sich nach Beute um.“ „Die Constantiner®? Wie haben die sich geschlagen?“ — „Wie eingefleischte Satane; aber ich habe nicht Zeit zu schwatzen, muss fort in mein Zelt, mich von Blut und Koth zu reinigen.“ Er eilte fort; ich näherte mich der Mauer. Die Bresche hatte eine Breite von ungefähr 30 Fuss. Man musste, um hinauf zu gelangen, zuvor eine Erhöhung von Erde und Sand erklimmen. Eine Menge Wollsäcke, Steine u. s. w. lagen neben der gebrochenen Mauer zerstreut. Hinter der Bresche erblickte man Häusertrümmer, welche durch die Gewalt der Explosion geborsten waren. Die tod- ten, verbrannten, zerrissenen Körper von Afrikanern und französischen Soldaten lagen hier so dicht beisammen, dass es nicht möglich war, anders als auf Leichnamen. tretend in die Stadt zu kommen. Nie sah ich eine grausenvollere Scene 321 als diese Bresche. Die meisten Leichname waren verstüm- melt, häufig ohne Kopf oder die Gesichter vom Pulver so völlig schwarz gebrannt, dass man die weissen Europäer und die halbgebräunten Kabylen von den Negerleichen nicht unter- scheiden konnte. In den Strassen der Stadt hingegen waren die Körper weniger entstellt. Manche Gruppen von Todten hatten vielmehr etwas Imposantes. Hier war Auge gegen Auge gestritten worden, und der gefallene Franzose ruhte versöhnt an der Brust des Kabylen. In den bleichen Gesich- tern der französischen Krieger lag eine hereische Ruhe; sie schienen zu schlafen, während die blutigen Türken- und Ka- bylenleichen die verzerrtesten Grimassen schnitten. Nie ver- gesse ich die Figur eines alten Kurugli oder Türken mit langem weissen Barte, den ich an der Ecke eines Hauses gelehnt aufrecht sitzen sah, Augen und Mund weit offen, die linke Faust gegen den Himmel erhoben, während die rechte noch eine Pistole umklammert hielt. Es hatte diese Gestalt etwas fürchterlich Unheimliches.. Ich glaubte anfangs, der Greis lebe noch und schreie nach Hülfe. Erst als ich mich ihm näherte, sah ich die starre grimmige Leiche. Des Fa- natismus Raserei grinzte aus diesen gefallenen Muselmännern und in ihren Mienen lag neben dem zuckendem Todesschmerz ein Ausdruck wilden Triumphs, die Lust befriedigter Rache, denn auch so viele sterbende Christen stiessen an ihrer Seite den letzten Seufzer aus. Diese Gruppen todter Kämpfer er- innerten mich an die bekannte Sage der Geisterschlacht. Aus den stieren Augen blickte so viel Gespensterleben und man konnte im Ernst fürchten, die Leichen würden gleich den Hunnen um Mitternacht sich erheben und über der Blutstätte das Würgen erneuern. Als ich über die Trümmer, aus denen noch viel Rauch Morıtz WaAsner’s Algier. II. 2 322 und ein pestilenzialischer Gestank qualmte, in die Stadt ein- trat, kamen mir Haufen von Plünderern entgegen, die mit allerhand Beute, wie Teppichen, Bernussen, Waffen, Lebens- mitteln, sogar arabischen Büchern beladen waren und diese Sachen gleich an die Officiere oder Civilpersonen, welche ‘der Armee gefolgt waren, zu verkaufen suchten. Am Eingang der ersten Strasse stand ein Kaffeehaus, wo noch grosse Töpfe mit Kaffee am Heerde standen. Die maurischen Gäste waren geflohen und an ihrer Stelle tranken rothhosige Gre- nadiere mit französischem Anstande und unter köstlichen Scherzen den ganzen Vorrath aus. Eine ziemlich lange Reihe von jüdischen und maurischen Buden war bereits rein ausge- plündert. Am geschäftigsten sah ich die Soldaten der Frem- denlegion, die aber beim Sturme nicht unter den Vordersten gewesen. Der Bevölkerung geschah vom Augenblick an, wo der Kampf aufgehört hatte, nicht das mindeste Leid. Zit- ternd standen die Constantiner, ein stattlicher, schöngebauter Menschenschlag, und sahen der Plünderung ihres Eigenthumes zu, ohne die geringste Einsprache dagegen zu wagen. Die Juden küssten demüthig den Soldaten die Hand, worüber diese sich nicht wenig belustigten. Die Officiere liessen im Allgemeinen die Plünderung geschehen, ohne dieselbe förmlich zu gestat- ten. Auch bei den disciplinirtesten Truppen würde es schwer seyn, nach so vielen ausgestandenen Leiden und Gefahren dergleichen Scenen in einer mit Sturm eroberten Stadt zu hindern. Gleichwohl bemerkte ich einen Officier, der sein Möglichstes that, das Eigenthum der unglücklichen Constan : tiner gegen die Raubgierde der Soldaten zu schützen. Es war der Lieutenant Chardon vom Genie, ein tapferer junger Öfficier vom edelsten Herzen. An einer der Strassenecken sassen zwei blinde Mauren, welche, vielleicht nicht recht 323 wissend, was vorgehe, oder wenigstens sich unwissend stel- lend, ihre Hände ausstreckten und um Brot baten. In ihren sanften, schönen Gesichtern sprach eine unendlich bittende Miene. „Es ist zu arg“ rief lachend ein Soldat, ‚die Schur- ken verlangen von uns gar noch zu essen.“ — „Die armen Teufel! — sagte mitleidig jener edle Officier — sie haben wohl Niemand mehr, der ihnen Brot geben kann, als uns,“ und er eilte zu seinen Soldaten, um von diesen ein Stück Zwieback für die blinden Feinde zu erbetteln. Nachdem meine erste Neugierde gesättigt war, ritt ich nach unserm Lager auf El Mansurah zurück, wo auch Mu- ralt bald ankam und mir behülflich war, unser kleines Zelt abzubrechen und unsere Esel zu beladen. Muralt war voll Begeisterung über das Geschehene und freute sich, dass der blutlose Ausgang des Feldzugs an der Tafna ihn nicht ab- geschreckt hatte, der französischen Armee nach Constantine zu folgen. Er brachte fast den ganzen Tag auf Cudiat- Ati zu, den täglichen Kriegsscenen zuschauend. Noch ehe Con- stantine ganz in den Händen der Franzosen war, trat Muralt in die Stadt ein und erbeutete eine der rothen Fahnen auf der Mauer, welche er bei seinem spätern Aufenthalt in Paris der Königin der Franzosen zum Andenken des merkwürdigen Tages überreichte. Wir zegen mit unsern Pferden und Lastthieren nach Cudiat- Ati hinauf, konnten aber an diesem Tage noch nicht in die Stadt kommen, denn man hatte erst spät Abends die verrammelten Thore geöffnet und jetzt war der enge Zugang gesperrt von einziehenden Truppen und Lastthieren. Wir übernachteten daher noch einmal unter freiem Himmel am Thore. Die Nacht war wieder dunkel und trübe. Es fiel einiger Regen und die armen Verwundeten und Kranken, die ; 21 * 324 auf Wagen gepackt vor dem Thore lagen und noch kein trocknes Unterkommen gefunden hatten, stöhnten und wim- merten die ganze Nacht hindurch. Von Müdigkeit überwäl- tigt schlummerte ich fest und erwachte blos einmal vor Mitternacht. Ein Pferd hatte sich losgerissen und Verwir- rung unter die um uns bivouakirenden Truppen und Last- thiere gebracht. Rauhe Flüche betrunkener Soldaten, gellen- des Schimpfen und Schreien von Marketenderinnen, wahrer Megären,, welche ihre Weinfässer und ihren Käsekram ge- fährdet glaubten, Schmerzenstöne von Verwundeten, Röcheln von Sterbenden, dazu das hässliche, peinliche Hungergeschrei der Maulthiere und Esel, all dies bildete zusammen ein ent- setzliches Concert, und wenn die grimmigen Leichen wirklich erwacht wären und sich gerauft und. zerfleischt hätten unter dem finstern Wolkenhimmel, man hätte keine wilderen und unheimlicheren Töne gehört. Mein Freund Muralt wachte fast die ganze Nacht und spendete Hülfe, wo er konnte. Er klagte über die Fühllossigkeit der französischen Soldaten, die um ihre verwundeten Gefährten sich gar nicht kümmerten, nur nach Beute suchten und mit geraubten Pferden gleich- gültig über Leichen und Verwundete wegritten trotz des Schmerzenschreis, den die Unglücklichen ausstiessen. Mit Anbruch des Tages rückten wir in die Stadt ein und bemächtigten uns ohne Umstände eines Hauses, dessen Bewohner mit Ausnahme einer alten Frau geflohen waren. Obwohl dieses Haus einen ganzen Tag lang geplündert wor- den, fanden wir doch noch Vorräthe im Ueberfluss. Unsere Pferde und Esel brachten wir in dem wohlgefüllten Gersten- magazine unter, wo die armen ausgehungerten Thiere_ sich dermassen gütlich thaten, dass ihnen fast der Magen platzte und wir das Futter aus ihrem Stalle räumen mussten, damit 325 sie. sich nicht zu Tode frässen. Mehrere Zimmer waren dicht angefüllt mit Mehlsäcken, ungeheuern Buttertöpfen, gesalze- nem Fleisch, Honig und besonders schönen Südfrüchten, wor- unter die herrlichsten Granatäpfel, so gross und süss, wie wir sie nirgends gegessen hatten. Man denke sich, wie wir und unsere Malteser, nachdem wir vierzehn Tage lang aufs kargste gelebt hatten, nun kochten und schmausten. Wir hatten in der That volle Zeit. dazu, denn der Regen fiel wieder in Strömen und die Strassen waren von Schmuz und Gestank so angefüllt, dass sie zum Lustwandeln gar wenig einluden. Unsere Malteser hatten, obwohl sie fertig arabisch sprachen, einige Mühe, mit der alten Maurin sich zu verstän- digen. Sie war anfangs über unsere Einquartierung sehr be- stürzt. Wir suchten sie möglichst zu beruhigen und gaben ihr von den Producten unserer Kochkunst, namentlich von dem Kaffee, der unser Eigenthum war und den sie mit be- sonderm Vergnügen trank. So oft wir ihr etwas dergleichen brachten, überhäufte sie uns mit Segenswünschen, und einem alten Verwandten, der sie öfters besuchte und nach unserer Abreise ganz zu sich nahm, rühmte sie die Menschlichkeit der Christen. Der Verwandte, der uns anfangs ein recht verhärteter Fanatiker schien, mochte auch allmählig für die eingedrungenen Christen milder gestimmt werden, denn er brachte uns eines Tages sehr gute maurische Kuchen und wir schenkten ihm dagegen von den Ueberflusse unsers ‚ Häuschens. Das Zimmer zu ebener Erde überliessen wir der alten Bewohnerin und nahmen unser Quartier im obern Stock, wo sich vortreffliche Matratzen und Teppiche vorfanden. Bald gesellte sich ein anderer Gast zu uns, der Cuirassierrittmei- ster Roussel, Irländer von Geburt, aber in österreichischen 326 Diensten. Ein mit Allem so reichlich versehenes Quartier, | wie das unsrige, hatten Wenige gefunden. Daher nahmen wir den neuen Gast herzlich gern auf und dieser segnete sein Glück, dass er endlich wieder einmal auf bequemem Lager schlafen konnte. Bald zog unser Häuschen noch wei- tere Besucher an. Der sächsische Lieutenant Bernhard theilte unser Mahl und das maurische Gemach verwandelte sich in ein deutsches Plauderstübchen. Gar oft aber störten uns die wilden Plünderer, welche das verrammelte Hausthor einbra- chen und durch die Officiersuniform meiner Freunde, durch drohende Worte sich kaum zurückhalten liessen, das Beste, was sich im Hause vorfand, und unser eigenes Besitzthum fortzuschleppen. Eines Tages war Muralt ausgegangen, während ich die Küche besorgte. Da brachen zwei Soldaten der Bataillons d’Afrique ins Haus ein und wollten trotz des Widerstands der Malteser unser eigenes Sattelzeug fortschlep- pen. Ich hieit ihnen zwei Pistolen vor und drohte sie nieder- zuschiessen; dies wirkte und sie entfernten sich schimpfend und fluchend. Am Tage nach unserm Einzuge besuchten wir die Kas- bah. Unterwegs bemerkten wir die zurückgebliebene Bevöl- kerung vor den Thüren ihrer Häuser sitzen und so ruhig mit einander plaudern, als sey nichts vorgefallen. Die Plün- derung dauerte drei Tage fort, doch wurden die Soldaten allmählig etwas schüchterner, verschonten die bewohnten Häu- ser und plünderten nur die verlassenen. Die Juden, ein unter- drückter, misshandelter Menschenschlag, halfen den Soldaten treulich, und da sie die Localitäten am besten kannten und wussten, wo gute Beute zu finden war, stahlen sie in der Regel das Beste und rächten sich damit an ihren bisherigen Tyrannen. ' 8327 Die Kasbah oder Citadelle ist römischen Ursprungs. Da hier die stärksten Batterien des Feindes sich befanden, war sie mehrere Tage die besondere Zielscheibe der franzö- sischen Bomben. Furchtbar hatten diese Geschosse gehaust, aber die soliden römischen Mauern widerstanden, und obwohl von vielen Kugeln durchlöchert, stürzten sie nirgends zusam- men. Jenseits der Kasbah gähnt ein Felsenschlund von 800 Fuss Tiefe. Die Felsen sind fast senkrecht und nur an sehr wenigen Stellen sind Pfade für geübte Kletterer gangbar. Ein grosser Theil der unglücklichen Bevölkerung hatte sich hier zu retten versucht. Vielen gelang es, an Stricken sich hinabzulassen. Die Stricke zerrissen aber durch das Gewicht der Menge und ein grosser Theil kam nur todt oder mit gebrochenen Gliedern unten an. An allen Rippen des Felsens klebte Blut und Hirn; auf dem vorspringenden Gesteine lagen zerschmetterte Leichen. Die Eile gestattete den Unglückli- chen nicht, die gangbaren Pfade aufzusuchen. Man drängte sich in wilder Hast, deun hinter den Füchtlingen tobte der Feind, wer einmal diesen gefährlichen Weg eingeschlagen, konnte nicht mehr inne halten, nicht mehr umkehren; der Strom der übrigen Flüchtlinge wälzte ihn mit fort. Die Ver- wirrung ward durch das Flintenfeuer des 17ten leichten In- fanterieregiments vergrössert, welches auf dem entgegenge- setzten Felsen, hoch über dem rechten Ufer des Rummel stand und auf das flüchtige Volk feuerte. Es war das herz- zerreissendste Schauspiel — ein Sturz von blutenden mensch- lichen Körpern neben dem Falle des Rummel. Ueber fünf- hundert Menschen zerschmetterten sich in diesen Abgründen. Diejenigen, welche die Ebene glücklich erreichten, sahen ihre Verwandten und Freunde, die sie oben wohlbehalten zurück- gelassen hatten, als Leichen oder Krüppel unten wieder. 328 Trotz des unerbittlichen Feuers der französischen Infanterie trugen die Constantiner die Leichen der Ihrigen fort. Da- gegen lagen auf den Auswüchsen des Felsens noch viele Todte halb schwebend in der Luft. Auf einem dieser Vor- sprünge des Gesteines lag auch noch eine lebende Frau, die ein Bein zerbrochen hatte, mit einem vierjährigen Kinde, das unverletzt geblieben war. Muralt und ich machten alle mög- lichen Versuche, der Verunglückten zu Hülfe zu kommen, aber der steil abgeschnittene Fels vereitelte all’ unsere Be- mühungen. Mein Freund, der ein Mann von edlem, mitlei- digem Herzen und dessen Theilnahme für fremdes Unglück durch die eigenen Leiden nicht abgestumpft war, forderte die französischen Soldaten auf, den Versuch zu wagen und ver- sprach dem, der zu den beiden Verunglückten hinabklettern würde, eine Geldbelohnung. Jetzt fanden sich‘ sogleich ei- nige Waghälse ein, und einem Zuaven, der arabisch sprach, gelang es, die gefährliche Stelle zu erreichen. Die Maurin weigerte sich, irgend eine Hülfe von Christen anzunehmen und erklärte, dass sie mit ihrem Kinde an dieser Stelle ster- ben wolle. Sie bat nur um einen Krug Wasser, den man ihr auch an einem Stricke hinabliess; sie gab davon zuerst ihrem Kinde, trank dann selbst und schleuderte den Krug in den Abgrund. Was aus der Unglücklichen geworden, weiss ich nicht. Als wir andern Tages die Kasbah wieder besuch- ten, war sie sammt ihrem Kinde verschwunden. Bemerkens- werth ist, dass an derselben Stelle, wo so viele Constantiner Flüchtlinge verunglückten, seit vielen Jahrhunderten die Ver- brecher, besonders die ungetreuen Weiber, einer alten Sitte zufolge in die Tiefe gestürzt werden. Dieser alte Brauch existirte schon zur Zeit der Vandalenherrschaft. *) #) Vietoris Viterbiensis historia de persecutione Vandalorum lib. I, 329 Einer unserer ersten Gänge in der Stadt galt dem Pa- last Achmet Bey’s, welchen ich im ersten Theile ausführlich beschrieben. Der Herzog von Nemours und der General Valee hatten davon Besitz genommen; das französische Haupt- quartier war dort etablir. Merkwürdig war der Löwenzwin- ger, wo ein Dutzend dieser majestätischen Thiere an der Kette lagen. Ihr Wärter war Wendelin Schlosser, ein deut- scher Renegat aus Erfurt. In einem Seitengemache des Pa- lastes befand sich der Harem des Bey’s, welches gegen 80 Frauen enthielt. Darunter war aber nur eine wahrhaft schöne Gestalt, die in den Zeitungen vielfach erwähnte Aischa. Sie stammt, wenn die Erinnerungen aus ihrer frühesten Kindheit sie nicht täuschten, von christlichen Eltern und war von Cor- saren nach Tunis gebracht worden. Die schöne Aischa hatte gleichwohl ein vollkommen orientalisches Aussehen, schwarze Haare, zartrosigen Teint, griechische Nase und eine Haltung so majestätisch edel, dass sie selbst ohne die grössere Pracht ihrer Kleidung unter den übrigen Weibern gleich beim ersten Anblick auffiel. Diese Haremskönigin gewöhnte sich am schnellsten an ihre veränderte Lage und empfing die neuen Palastbewohner würdevoll, wie edle Gäste. Ihnen zu Ehren veranstaltete sie einen Ball, an welchem der "ganze Harem Theil nahm. Beim Lampenscheine wurde in einer grossen Marmorhalle von allen Weibern ein grotesker Tanz ausge- führt, dem der ganzc Generalstab zusah. Uebrigens behan- delte man diese Frauen mit Anstand. Ein einzigesmal drang ein unbescheidener Officier in ihre Gemächer ein, weniger lüstern vielleicht nach den Reizen dieser Frauen, als nach ihren kostbaren Ringen und Armspangen. Mit fliegenden Haaren kam aber eine der Frauen zum Herzog gelaufen und erzählte dessen Dragoman den Vorfall. Der Prinz 330 ertheilte sogleich Befehl, den Officier aus dem Palaste zu weisen. Ben- Aissa’s Wohngebäude hielt in keiner Weise einen Vergleich mit dem Beypalast aus. Es war lange nicht so gross und ohne alle Pracht. Dagegen fand man dort ziem- lich viel baares Geld und Schmuck. Ein Zuave hatte über 10,000 Budschus erbeutet und nun schmeckte dem reich ge- wordenen Soldaten natürlich der Musketendienst nicht mehr. Er war Eingeborener; man gab ihm seine Entlassung und er verheirathete sich in Constantine. Ich traf im Hause Ben- Aissa’s meine Collegen der wissenschaftlichen Commission, welche dort einlogirt waren. Sie hatten aber kein so gutes Unterkommen gefunden wie ich und Muralt in unserm be- scheidenen, aber mit Proviant reich gefüllten Häuschen. Ei- nige dieser Herren machten sehr unzufriedene, trübselige Gesichter, namentlich der Doctor Laporte, welcher den Zug begleitet hatte, um die Thermalquellen von Hammam-Meskhu- tin chemisch zu untersuchen. Er hatte aber die Gelegenheit der Reise nach Hammam-Meskhutin versäumt; sein mit den leeren Flaschen bepacktes Maulthier war gefallen und hatte die Flaschen zerbrochen. Ueberdies quälte den armen Mann das Fieber und er war des übelsten Humors. Mein Freund Berbrugger war beschäftigt, den Soldaten die erbeuteten Bü- cher für die Bibliothek von Algier, deren Conservator er ist, abzukaufen. Es befanden sich darunter manche werthvolle Manuscripte, namentlich eine „Gesetzsammlung der Kadis“ und eine „Geschichte der Stadt Constantine.“ Aber die Mehrzahl derselben ging auf der Rückreise von Constantine nach Bona verloren. Die Soldaten des Fuhrwesens, um der- gleichen wissenschaftliche Schätze wenig bekümmert, warfen mehrere der Bücherkästen vom Wagen hinab und liessen sie 33l auf dem Wege liegen. Wahrscheinlich kamen dieselben dann wieder in die Hände der Araber, bei deren Marabuts sie auch wohl besser aufgehoben waren, als in den Sälen der Algierer Bibliothek. Ich mag diesem wissenschaftlichen Raub nicht das Wort reden, so viel Gründe man auch unter den damaligen Umständen zu seiner Rechtfertigung anführen kann. Derselbe erinnert zu sehr an eine noch nicht lange verflos- sene Kriegsepoche, wo diese vandalische Sitte, die unser Schiller mit seinem vernichtenden Hohne strafte, französische Mode war. Die Bücher sind in der Regentschaft Algier nur sehr sparsam vorhanden und für die Bewohner daher wahre Schätze. Selten besitzt eine maurische oder arabische Fami- lie mehr als Ein Buch. Oft ist dieses das Gemeingut und Familienheiligthum einer ganzen Verwandtschaft. Mit jenen vier- oder fünfhundert Büchern, die man nach Algier führte, um sie in den staubigen Sälen einer Stadtbibliothek zu be- graben, raubte man eben so viel maurischen Familien die Belehrung und die Freude der Lecture. Es hiess, Ben-Aissa habe in seinem Hause viel Geld vergraben und vermauert. Natürlich wünschte jeder von uns eines solchen Schatzes von schimmernden Sultanis habhaft zu werden. Wie aber in dem weitläuftigen Gebäude die kleine Stelle finden, wo der reiche Hakhem seine Münzen verborgen ? Ganz unverhofft kam eines Tages ein Mann, der uns darüber Rath und Auskunft geben konnte. Muralt sah mitten unter den zechenden Soldaten der Fremdenlegion einen bleichen Mann mit langem blonden Barte, in maurischer Tracht, wel- cher deutsch mit den Soldaten sprach; und hätte er auch durch die Sprache seine Abkunft nicht verrathen, er würde es durch sein Trinken gethan haben, denn er nahm bei den Cantiniers eine solche Quantität Branntwein zu sich, wie sie nur ein 332 Nordländer vertragen konnte. Muralt hörte, es sey ein Re- negat, der lange in Constantine gelebt und die Stadt mit vertheidigt habe. Sogleich knüpfte er mit diesem interessan- ten Mann Bekanntschaft an und führte ihn in unser Haus, wo er nach der Landessitte auf dem Fussboden mit gekreuz- ten Beinen Platz nahm und seine Schicksale etwas verworren erzählte, denn das langentbehrte Lieblingsgetränk war ihm in den Kopf gestiegen. Send war aus Dresden gebürtig, wo, wie er versicherte, sein Vater, ein Glockengiesser, noch am Leben sey. Er hatte sich in der Fremdenlegion anwerben lassen, war in der Um- gegend Algiers von den Beduinen überfallen, zum Marabut Sidi-Ali-ben-Aissa auf den Dschurschuraberg gebracht und von diesem zum Mohammedaner gemacht worden. Dort lebte er eine Zeit lang, wurde freundlich behandelt und hatte ziem- lich viel Freiheit. Als aber Achmet Bey hörte, dass Send seines Handwerks ein Büchsenmacher sey, bewog er den Marabut, ihm diesen Alusch (Renegaten) abzutreten. Un- ter Thränen entliess ihn der alte Marabut, der ihn liebge- wonnen hatte, und versicherte ihn, dass er in Constantine ein viel glücklicheres Leben finden werde. Achmet nahm ihn auch in der That anfangs gut auf und schenkte ihm ein Häuschen, eine Frau und die Mittel sich eine Werkstätte ein- zurichten. Bald aber stellte er an Send übertriebene Forde- rungen, zwang ihn zu arbeiten bis zur Erschöpfung und liess ihm, wenn er die bestellten Waffen nicht schnell genug fer- tigte, öfters die Bastonnade geben, deren Spuren man noch an’ den von Hieben zerrissenen Füssen des Unglücklichen sah. Bei der zweimaligen Vertheidigung Constantines spielte Send eine Hauptrolle und war einer der Commandanten der Batte- rien. Als die Franzosen ihr Feuer von Cudiat- Ati aus gegen 333 die Mauer eröffneten, erklärte Send, dass die Stadt verloren sey. Die fanatischen Bewohner wurden über diese Aeusse- rung so ergrimmt, dass sie ihn fesselten und nach dem Richt- platz schleppten. Nur die Verwendung des Kaid-el-Belad, der insgeheim ein Freund der Franzosen gewesen seyn soll, rettete ihn. Send’s Haus war von den französischen Soldaten, gleich den übrigen, geplündert worden; der arme Mensch hatte Weib und Kind und nichts zu essen. Sehr charakteri- stisch schien uns der Umstand, dass dieser Deutsche, obwohl ihm von seinen Habseligkeiten nur die vier Wände geblieben waren, die wenigen Piaster in der Tasche vollends ausgab, um sich mit dem seit Jahren entbehrten Branntwein wieder einmal tüchtig zu betrinken. Er that dies gleich am ersten Tage nach der Erstürmung. Da dieser Renegat auch in Ben-Aissa’s Hause zur Ar- beit häufig verwendet worden war und namentlich die Dire- ction der Münze gehabt hatte, so hofften wir, über Ben- Aissa’s Schätze einige Auskunft von ihm zu erlangen. Er führte uns in der That nach einem kleinen entlegenen Gemach zu ebener Erde und zeigte uns ein Plätzchen neben einer Stiege. Hier, sagte er, habe Ben -Aissa ganz heimlich zwei Neger mit Graben beschäftigt, und nachdem diese ihre Arbeit gethan, habe er sie enthaupten lassen, damit das Geheimniss sicher bewahrt sey. Wir holten augenblicklich Hacke und Schaufel, gingen rüstig an die Arbeit und gruben und schau- felten, dass uns der Schweiss von der Stirne lief. Aber der gehoffte Schatz wollte nicht zum Vorschein kommen und als wir einige Fuss tief gegraben hatten, waren wir der Arbeit müde und gaben die Hoffnung auf. Die Bedienten unserer Freunde aber gruben einige Tage später heimlicherweise fort und fanden eine ziemliche Anzahl Silbermünzen. Obwohl sie 334 den Fund sorgfältig geheim hielten, kam doch der Militair- behörde von diesen Schatzgräbereien etwas zu Ohren. Nach unserer Abreise wurde, wie man mir erzählte, das Haus Ben-Aissa’s von Wachen umgeben und sorgfältigste Nach- forschungen angestellt. Die französischen Ingenieure setzten dann das Graben fort und zerstörten nach und nach das ganze Haus. Es sollen über 100,000 spanische Piaster an verschie- denen Stellen gefunden worden seyn; doch ist nie Bestimm-. tes darüber laut geworden. Von meinem Freund Berbrugger erhielt ich Nachricht über das Befinden des Öbristen Lamoriciere. Das Schicksal dieses tapfern Officiers erregte die grösste Theilnahme- in der Armee. Man fürchtete damals sehr, dass er für immer er- blindet sey. Er ertrug aber die Schmerzen ohne die min- deste Klage und war sogar recht heitern Humors. Berbrug- ger sagte mir, dass der Obrist gleich nachdem man ihn ins nächste Haus getragen, sich unserer Wette erinnert habe. Nie war Lamoriciere dem Tode näher gewesen. Verbrannt und geblendet durch die Explosion, war er mit halbem Leibe in ein Loch gestürzt und von dem ringsum berstenden Ge- mäuer fast zerschmettert worden. Einige seiner Soldaten kamen ihm noch glücklich zu Hülfe und zogen ihn aus den Trümmern. Der wackere Obrist Combes starb am 15. October an seinen schweren Wunden. Er sah dem Tod mit unerschüt- terlicher Fassuug entgegen und behielt bis zu seinem letzten Augenblick das Bewusstseyn. Zum Herzog von Nemours, der ihn besuchte, äusserte er: „Je ne vous recommande pas ma femme, elle a de guoi vivre. Mais je vous recommande mes enfants — ce sont mes soldats.“ Zu seinen Waffenbrüdern, die in stummer Trauer sein Bett um- 339 standen, sagte er: „Cewr yue survivront, pourront se rejowir d’un aussi beau succes, pour moi je suis heu- reux d’avoir pu encore faire quelgue chose pour la France.“ Obrist Combes wurde auf dem Berge Cudiat-Ati begraben; sein Herz ward nach Frankreich gebracht, wo es unter dem Denkmale ruht, das seine Vaterstadt ihm setzen liess. Die Armee hat an ihm einen ihrer trefflichsten Führer und Frankreich einen seiner edelsten Bürger verloren. Ich erinnere mich keines Falles, dass ein Mann das Mitgefühl von Tausenden so einstimmig, so warm und wahr für sich gehabt hätte, wie der hochherzige Combes. Den Obristen Duvivier sah ich nach der Erstürmung nur ein einzigesmal in der Kasbahstrasse. Er schien sehr betrübt und niedergeschlagen; das Gefühl bitterer Kränkung wurmte in ihm. Er galt für den talentvollsten Officier der Armee und doch hatte man ihm während der ganzen Expedition kein Commando von einiger Bedeutung gegeben, sondern ihn meist beim Convoi verwendet. Duvivier war Anhänger des Mar- schalls Clauzel und als solchen konnte ihn Damremont nicht leiden. Bei der ersten Expedition gegen Constantine hatte Duvivier den Angriff gegen das Thor Bab-el-Dscheddid ge- ieitet und durch ausserordentliche Tapferkeit sich hervorge- than. Es grämte ihn jetzt, dass man ihn bei dem zweiten Unternehmen nicht wieder an dieselbe gefährliche Stelle schickte, wo er, wie so viele Andere, die Todeswunde sich hätte holen können. Das Hospital war in einem der geräumigsten maurischen Häuser eingerichtet worden. Dort bedeckten die armen Ver- wundeten den marmornen Boden der Gemächer, Hallen und Galerien. Es war ein so erschütterndes Schauspiel: diese Masse todtbleicher oder schwarzgebrannter Gesichter, diese 336 verstümmelten Körper, das Amputiren, Verbinden, rieselnde Blut, Schmerzesstöhnen und Sterben, dass ich nie lange dort aushalten konnte, aber doch öfters mit Muralt wieder hin- ging, um unsere verwundeten Freunde, zu besuchen. Viele Theilnahme erregte besonders der Zustand des Capitän Ri- chepanse, welcher als Freiwilliger den Zug mitgemacht hatte, um den Tod seines bei der ersten Expedition gefallenen Bru- ders zu rächen. Richepanse befand sich unter der ersten Colonne der Stürmenden und war noch furchtbarer verbrannt worden, als Lamoriciere. Man fürchiete lange für sein Le- ben, doch ward er gerettet. Am 17, October kam das in Medschez- Ammar versam- melte Reservecorps unter Anführung des Obristen Bernelle in Constantine an; mit ihm der Prinz Joinville, dessen Kommen niemand vermuthet hatte. Das Wiedersehen der beiden Brü- der war herzlich und rührend. Prinz Joinville ist kräftiger und von höherer Statur, als sein älterer Bruder; seine Ge- stalt ist ächt seemännisch, aber sein Gesicht eben so fein und schön, wie das der übrigen Prinzen der französischen Königs- familie. Der edle junge Gast nahm sein Quartier bei seinem Bruder im Palast des Bey’s, wo auch die drei preussischen Officiere sich einlogirten, welche, obwohl erst nach der Er- stürmung angekommen, doch später das Ehrenkreuz erhielten. Am folgenden Tage versammelte sich die Armee bei der Bresche ausserhalb der Stadt, um ihrem gefallenen General die letzte Ehre zu erweisen. Damremont’s Leiche war ein- balsamirt worden und sollte nach Frankreich geschafft wer- den. Die Feier war ganz einfach, aber die frischen Erinne- rungen des Kriegsschauplatzes, wo man auf der einen Seite die blutgetränkte Bresche mit den flatternden Siegesfarben Frankreichs, auf der andern die Stelle sah, wo Damremont 337 den schönen Heldentod gestorben; und der Anblick der Waffen- gefährten des Generals, dieser tapferen Soldaten, die gleich gross und bewunderungswürdig waren inmitten der unsäg- lichen Leiden der Belagerung, wie der Gefahren des Stur- mes, dieser Officiere, die den Soldaten das herrliche Beispiel gegeben, als es zu sterben galt, alle diese Umgebungen machten die Scene ergreifend schön. Die ganze Ceremonie beschränkte sich auf das Vorüberziehen der Armee vor dem Katafalk und auf das Abfeuern der Gewehre über dem Sarge. Die beiden Prinzen, der General Valee und ein zahlreicher Stab waren zugegen. Gruppen von Eingeborenen standen überall umher, das Schauspiel mit dumpfem Erstaunen be- trachtend. Ich kann nicht eben sagen, dass ich auf den Ge- sichtern der Soldaten grossen Schmerz wahrgenommen hätte. Nach den fürchterlichen Leiden, die sie erduldet, nach den erschütternden Blutscenen, die sie mit angesehen, waren sie wohl gegen alle Rührungen ziemlich stumpf geworden, und nur die feuchten Augen einiger Officiere der nächsten Um- gebung des Verstorbenen zeugten, dass die Thränenquelle wenigstens nicht bei allen versiegt war. Sonst gab es kein weiteres Trauergepränge, keine Leichenrede ward gespro- ehen, keine Posaune tönte, nur die Musketen donnerten der Leiche den letzten kriegerischen Gruss vor dem ewigen Frie- den zu. Aber wunderbar war mit einem Mal der Anblick des Himmels geworden. Es hatte am Morgen geregnet, nun aber flohen die Wolken und in schönster Siegesglorie thronte eben die befreite Sonne. Sie hatte die Gefallenen sterbend in dem Kampf gesehen, sie wollte auch bei ihrer Todtenfeier seyn. Darum schmückte sie sich auch mit all ihrer Pracht, all ihrer Herrlichkeit oben im freudigen Himmelsblau. Sie beleuchtete das von Granatbäumen schimmernde Rummelthal Morıtrz Wasner’s Algier. Il. 23 338 und die kahlen Atlashöhen, auf denen noch hie und da Ka- bylenbanden lagerten , die von ferne der Trauerceremonie der Eroberer Constantines neugierig zuschauten. Die erste Colonne trat am 20. October ihren Rückmarsch nach Bona an. Muralt und ich begleiteten sie. Der Auf- enthalt in Constantine hatte wenig Interesse mehr für uns, nachdem wir alles Merkwürdige dort angesehen hatten. Man hatte anfangs von einem Zuge nach Milah gesprochen, der aber erst einige Monate später zur Ausführung kam. Bei unserer Abreise spukte bereits die Cholera unter den ge- schwächten Soldaten; wenige Tage später erlag dieser Seu- che der General Caraman. Wir brachen Nachmittags auf und machten blos wenige Stunden Weges. Eine Rotte von Hunden begleitete die abziehenden Truppen. Seltsamerweise verliessen diese Thiere ihre ehemaligen Herren und Häuser und folgten den rothhosigen Fremden, ohne dass man dafür irgend einen Grund hätte errathen können, denn die franzö- sischen Soldaten waren damals gar nicht in der Laune, ihre kargen Rationen mit selchen gefrässigen Gästen zu theilen. Diese Hunde wandten sich öfters rückwärts und erhoben ein klägliches Geheule, als prophezeihten sie der Stadt ein noch grösseres Unglück. Auf der Höhe, we das römische Monu- ment El-Sommah stand, machten wir Halt, schauten noch einmal auf die numidische Felsenstadt zurück und suchten. die groteske Gegend, wo wir so Merkwürdiges erlebt hatten, unserm Gedächtnisse für immer einzuprägen. Anhanse 22 * u 341 Biographische Notizen. ‚ e I. ElI-Hadschi Abd-el-Kader-Ulid-Mahiddin. D.: Thaten und die politische Stellung dieses arabischen Fürsten sind in dem vorstehenden geschichtlichen Umrisse geschildert. Hier also blos einige Bemerkungen über seine Person und Familie. Abd-el-Kader ist jetzt 32 Jahre alt. Seine Gestalt ist klein und schlank, aber zierlich; seine Farbe sehr weiss. Seine Augen sind blau-grau und leuchten sehr schön, besonders wenn er lebhaft spricht. Er trägt Bart und Schnurrbart, die sehr dunkelschwarz, aber nicht dicht sind; seinem Mund fehlt ein halber Vorderzahn und auch die übri- gen Zähne sind nicht so schön, wie bei den meisten Arabern. Seine Stimme ist tief, aber wohlklingend. Religiöse Schwär- merei ist der hervorstechendste Charakter im Gesicht Abd -el- Kader’s. Auf der Stirne, auf der rechten Wange und auf der rechten Hand trägt er eine kleine Tättowirung ohngefähr folgender Form X ‚342 Seine Kleidung ist äusserst einfach, noch prunkloser als die der meisten Scheikhs. Gewöhnlich trägt er einen weissen Haikh und darüber einen braunen von Kameelshaaren geweb- ten Bernuss.. Man würde ihn unter einem Haufen gemeiner Araber nicht erkennen. Nur in seinen Waffen und im Sattel- zeug seines Pferdes zeigt er einige Pracht. Eben so einfach, wie seine Kleidung, ist die übrige Lebensweise dieses Emirs. Er bewohnt seit der Zerstörung seines Palastes in Maskara das gewöhnliche Araberzelt, das er selten auf kurze Zeit mit seinem in Tekedemt neugebauten Palast vertauscht. Seine Nahrung ist frugal; er scheut weder Hunger noch Strapazen und gilt für den besten, ausdauernd- sten Reiter des Landes. Wenn er im Felde ist, wird ge- wöhnlich ein vergoldeter Sonnenschirm über seinem Haupt getragen und zu beiden Seiten des Pferdes befinden sich seine Negersklaven. Abd-el-Kader hat noch eine Mutter, Zora, welche un- ter den Arabern im Rufe der Heiligkeit steht; für eine mo- hammedanische Frau ist eine solche Auszeichnung etwas ganz Ausserordentliches. Diese schon bejahrte Araberin, welche der alte Sidi-Mahiddin vor seinen übrigen Weibern besonders auszeichnete, besitzt eine Klarheit und Ruhe des Geistes, welche den Doctor Varnier, Arzt des Consulats in Maskara, dem ich gegenwärtige Mittheilung über die Familie Abd-el-Kader’s verdanke, oft in Erstaunen setzte. Sie kennt alle Zustände des Landes, die Verhältnisse ihres Sohnes den Christen gegenüber und weiht letzteren keineswegs, wie die ungeheuere Mehrzahl der Eingeborenen, einen fanatischen Hass. Ihre grosse Mildthätigkeit gegen alle kranken und armen Araber sichert ihr die Liebe aller Unglücklichen. Abd-el-Kader folgt nicht dem Beispiele seines Vaters und 343 aller übrigen Grossen und Marabute des Landes hinsichtlich der ehelichen Verbindung. Diese haben fast alle nach der Erlaubniss des Korans vier Weiber. Abd-el-Kader hingegen hat nur eine einzige Frau, welche schön und liebenswürdig, übrigens von stillem, schwermüthigem Charakter seyn soll, die strengste Zurückgezogenheit. liebt und nur allein ihren Kindern lebt. Ihr Gatte achtet sie, bezeigt ihr aber wenig Zärtlichkeit. Oft dauert es mehrere Monate, bis er sie einmal besucht, und ungeachtet alles Zuredens seiner Ver- wandten wollte er sich nie entschliessen andere Heirathen einzugehen, obwohl ihm Verbindungen mit den Töchtern ein- flussreicher Häuptlinge grosse Vortheile versprachen. Abd- el-Kader hat zwar die Todesstrafe für den Ehebruch aufge- hoben, bestraft aber dergleichen Vergehungen sehr streng. Gegen Päderasten hat er Erdrosselung anbefohlen, welche Strafe aber freilich selten zur Vollziehung kommt. Eine so ausserordentlich strenge Keuschheit inmitten eines Velks, welches den verworfensten Geschlechtslastern fröhnt, ist ge- wiss einer der auffallendsten Charakterzüge des merkwürdigen Mannes. ! Die Familie des Emirs besteht ausserdem aus zwei Töch- tern, von denen die eine dem jungfräulichen Alter nahe, die andere drei Jahre alt ist. Abd-el-Kader’s einziger Sohn ist im October 1837 in einem Alter von vier Jahren gestorben. Dr. Varnier, der dieses Kind behandelte, erzählte mir die näheren Umstände seines Todes. Ich fand namentlich die Schilderung des Schreckens sehr ergötzlich, welcher die Fa- milie beim Anblick des ärztlichen Apparates erfasste; die Klystierspritze wurde für eine kleine Kanone gehalten und alle Marabuts der Verwandtschaft erklärten sich gegen deren Anwendung. Aber Zora und die Mutter des kleinen Kranken, 344 welche in den christlichen Arzt Vertrauen hatten, bestanden darauf, dass man Alles thun müsse, was dieser. verordne. Der kleine Emir starb aber trotz aller angewandten Mittel in Varnier’s Armen. Die Mutter hielt bis zum letzten Athem- zuge des Kindes die Augen stier und lautlos auf den sterben- den Liebling geheftet, und zog sich dann in ihre Einsamkeit zurück, alle Nahrung verweigernd und allen Trost verschmä- hend. Der Emir war gerade in Tekedemt, als er diese To- desnachricht erfuhr. Er blieb gefasst, rief sein „In sch’Alla“ (Wie es Gott gefällt), betete und vergass seinen Schmerz. Abd-el-Kader ist sehr fromm und seinem Glauben mit Begeisterung zugethan. Dreimal täglich betet er im Ange- sichte seines Heeres vor dem Zelt und beugt sein Haupt in den Staub. Zuweilen predigt er auch mit dem ganzen Auf- wand jener bilderreichen Sprache des Orients, deren Geheim- niss er in höherm Grade besitzt, als irgend ein Marabut. Sein wohltönendes Organ kommt ihm dabei sehr gut zu Stat- ten. Einer solchen feurigen, poetischen Predigt, die: er einst in der grossen Moschee von Maskara hielt, verdankt er den "Beistand des mächtigen Stammes der Beni-Ammer, deren Scheikhs im Begriffe waren, sich gegen ihn zu erklären, durch seine Predigt aber umgestimmt wurden und seitdem zu seinen eifrigsten Anhängern gehörten. Uebrigens theilt Abd- el-Kader keineswegs den wilden, schroffen Fanatismus der Mehrzahl seines Volks. Er bewies zu wiederholten Malen, dass er geneigt sey, mit den Christen sich friedlich zu ver- tragen. Die Abgesandten der Franzosen und die europäischen Reisenden, die ihn besuchten, nahm er gastfrei und leutselig auf und scheute sich nicht über Alles mit ihnen zu plaudern, sogar über religiöse Gegenstände. Er spricht lebhaft, aber nie mit Heftigkeit. Zuweilen ist seine Unterhaltung glänzend 345 und: von seinem Munde tonen schöne Werte und: trefiliche Gedanken. Als der Capitän Allegro, der gut arabisch spricht, ihm einmal bei seinem Besuche rieth, er möge sich durch sein bisheriges Glück nicht allzusehr verlocken lassen, ant- wortete der Emir: „Allegro, vor drei Jahren war ich nur einer der vier Söhne meines Vaters und wenn ich einen Mann im Kampfe getödtet hatte, musste ich sein Pferd und seine Waffen nehmen, um meine Habe zu vermehren. Du siehst, was ich heute bin. Wie sollte ich kein Vertrauen zu mir haben?“ Einem Abgesandten des Marschalls Clauzel, der ihm nach der Einnahme von Tlemsan einen drohenden Brief schrieb, antwortete er: „Wenn Du am Gestade stehst und siehst die Fische im Meere schwimmen, da glaubst Du viel- leicht, Du dürftest nur die Hand nach ihnen ausstrecken, sie zu erhaschen. Aber sie entgleiten Dir, im Augenblick wo Du sie zu fassen wähnst. Folge ihnen nur in das Dir fremde Element! So wie der Fisch der Herr des Oceans, so bleibt der Araber der Gebieter der Wildniss. “ Als Obrist Mauzion dem Emir die Geschenke des Kö- nigs der Franzosen überbrachte, empfing Abd-el-Kader die- selben in Gegenwart einer grossen Anzahl seiner Häuptlinge, vielleicht um diese glauben zu machen, dass der Herrscher Frankreichs ihm Tribut bezahle. Die meiste Bewunderung erregten die schönen Porcellainvasen, auf welchen in arabi- scher Schrift Verse des Korans gemalt waren. Letztere wa- ren sehr klug aus denjenigen Stellen gewählt, welche die Toleranz predigen. „Seht ihr — sprach Abd-el-Kader zu seinen Häuptlingen sich wendend, während die Vasen von Hand zu Hand in der Runde wanderten — seht ihr, dass die Franzosen Alles wissen, Alles können. Doch nein — corrigirte er sich lächelnd — sie haben noch kein Mittel 346 gegen den Tod gefunden.“ Man berechnete den Werth die- ser Präsente Frankreichs auf über 100,000 Franken. Eine Woche nach dem Empfange derselben hatte der Emir Alles wieder an Andere verschenkt, mit Ausnahme einer Vase und einer in Silber gearbeiteten Flinte, die er für sich behielt. Das Uebrige wanderte theils nach Marokko an den Sultan und seine Grossen, theils an die Häuptlinge und Marabuts der Provinzen Oran und Titteri. Abd-el-Kader regiert die Araber im Ganzen mit vieler Milde und Hinrichtungen sind in diesem Lande nie seltener gewesen, als unter seiner Herrschaft. Bemerkenswerth ist auch, dass nie, selbst in Zeiten des Unglücks und der Nie- derlage, wo seine treuesten Stämme von ihm abfielen, Mord- versuche gegen ihn gemacht wurden. Während die grosse Mehrzahl der Deys ein blutiges Ende nahm, während Hus- sein, der letzte Herrscher von Algier, sich beständig in seine feste Kasbah einschloss und die Beys nie Ausflüge machten, ohne von zahlreicher türkischer Leibwache umgeben zu seyn, wohnt der Emir im offenen Zelt und durchwandert oft allein und ohne Waffen die Duars, wo man ihn mit liebreichster Ehr- furcht empfängt. Von seiner Grossmuth zeugt besonders sein Benehmen gegen die Haschem, welche nach der Einnahme von Maskara durch die Franzosen den Emir feig und ver- rätherisch im Stiche gelassen hatten.*) Schreckensbleich er- schienen die Häuptlinge dieses mächtigen Stammes vor dem jungen Sultan, als dieser von der Tafna mit verstärkter Macht wiedergekehrt war. „Warum habt ihr mein Eigen- thum geraubt, meinen Palast geplündert?“ fragte der Emir *) Ich verdanke die Erzählung dieser Episode aus dem Leben Abd- el-Kader’s der Mittheilung des Consuls Daumas. 347 mit ernster Stimme die Scheikhs der Haschem. ,‚Verzeihe, erwiederten diese, wir sahen die Ungläubigen kommen, da nahmen wir lieber vor ihnen Alles, was wir fanden. War es nicht besser, dass wir das Deinige stahlen, statt es den Christen zu lassen?“ „Warum habt ihr mich gehöhnt und geschmäht?“ fragte der Sultan wieder. „Die Schädahs *) hatten unsern Geist berück. Wir glaubten, Allah wollte Dich verlassen; aber Du bist sein Lieblingssohn, der grösste der Erdenkönige. Befriedigt Dich Blut, so lasse die Schul- digsten von uns bezahlen.“ — ,‚Geht!“ sagte Abd-el-Kader mit einer erschütternden Milde. ‚Ich verzeihe und vergesse das Vergangene. Allah wollte euch noch einmal meine grosse Bestimmung lehren. Behaltet immerhin was ihr mir geraubt habt, wenn euch unrechtes Gut nicht drückt. Aber hütet euch für ein andermal und merkt wohl, dass geschrieben steht, der Sohn der Zora werde noch einmal tausend Köpfe bei euch abschlagen lassen.“ Letztere Drohung ward aber nicht erfüllt, denn die Haschem sind ihm seit jenem Tage treu geblieben und Abd-el-Kader hatte nie Ursache, seine Gross- muth. zu bereuen. *) Die Dämonen der Araber. 348 a IE. Eil-Hadschi Achmet, ehemaliger Bey von Constantine. Achmet ist Kurugli und stammt von einer der vornehm- sten Landesfamilien. Sein Vater und Grossvater waren Beys von Constantine. Nach Ermordung seines Vaters flüchtete seine Mutter, eine Araberin der Familie Ben-Ganah, zu ih- ren Verwandten in der Sahara, wo Bu-Asis-ben-Ganah, ihr Bruder und Oberhaupt dieser mächtigen Familie, ihr ein Asyl gewährte. Dort unter den schwarzen Zelten der Wüste, bei den sonnverbrannten Beduinen, wuchs der kleine Achmet auf und der geringe Grad von menschlichem Gefühl und Gross- muth, Eigenschaften, die auf die meisten Türkensöhne sich vererbten, mochten in seinem Herzen damals vollends verdor- ren in der Gluthregion der Sahara. Als er später zum Bey von Constantine ernannt worden, zeigte er sich als einen unerbittlichen Wütherich und beging an den Araberstämmen seiner Provinz die scheusslichsten Grausamkeiten. Obwohl er den Tribut nach Algier stets pünktlich entrichtete, soll Hus- sein Dey doch seinen Sturz beschlossen gehabt haben, weil er dem Ehrgeize Achmet’s misstraute. Da kam zum guten Glück für den Bey die Expedition der Franzosen, wo man 349 seinen Beistand brauchte. Er stellte sich mit 500 Reitern ein und kämpfte in der Ebene Staueli tapfer gegen die Fran- zosen. Nach der Einnahme Algiers kehrte er in seine Pro- vinz zurück und verwarf jeden Vergleich mit den Franzosen. Seit der Erstürmung Constantines irrt Achmet machtlos an der Gränze von Tunis, wo er verlassen von fast allen An- hängern noch jetzt sich aufhält. Ohne den Schutz der Araktas, eines jener Kabylenstämme, welcher das Idiom Schauiah spricht, wäre Achmet von den Arabern entweder ermordet oder den Franzosen ausgeliefert worden. Er verhält sich unthätig und seine frühere Energie scheint ganz gebrochen. Nur: ein einziges Mal kam er seit dem October 1837 aus sei- nem Verstecke hervor und überfiel einen Stamm bei Ghelma, z0g.sich aber auf die Annäherung der mobilen Colonne so- gleich zurück. Das Aeussere dieses Häuptlings ist ganz tür- kisch., Er hat einen röthlichen Bart, schielenden Blick und ist von. mittlerer Grösse. Fanatismus, Grausamkeit und Wol- lust sind seine hervorstechendsten Eigenschaften. 390 III. Farhat-ben- Said. F arhat stammt von einer vornehmen Araberfamilie des Südens der Provinz Constantine, deren adeliger Ursprung bis in die Zeiten hinaufreicht, wo seine Ahnen die Ebenen des glücklichen Arabiens verliessen, um dem Halbmond die Weltherrschaft zu erobern. Er begleitete früher die Würde eines Scheikh-el- Arab über die Stämme des Kobla und des Nordrandes der Sahara. Achmet Bey entsetzte und besiegte ihn nach tapferm Widerstand. Seitdem trat Farhat mit den Franzosen in Verkehr, munterte sie unaufhörlich zu einem Zuge nach Constantine auf und versprach, mit einem Reiter- heere zur französischen Armee zu stossen. Als aber Mar- schall Clauzel im November 1836 seine unglückliche Expedi- tion unternahm, war von der versprochenen Hülfe Farhat’s nichts zu sehen. Ein Jahr darnach bestimmte ihm der General Damremont abermals Zeit und Ort zu einer Vereinigung. Farhat blieb abermals aus und .erst als Constantine in die Hände der Franzosen gefallen war, erschien dieser Häupt- ling mit 3- bis 400 zerlumpten Reitern auf magern Pferden und wollte mit den Franzosen die Früchte des Sieges theilen. Als General Valee ihn fragte, warum er mit den Seinigen 3al wieder nicht zur rechten Zeit gekommen, gab Farhat fol- gende schlaue Antwort: „Wäre ich vor der Besetzung Con- stantines zu Deinem Heere gestossen, dann hätten die Araber gesagt, die Stadt sey nur gefallen, weil andere Araber euch beigestanden. Euer Sieg hätte auf die Gemüther nicht die- selbe Wirkung gehabt. Zu eurem Besten wollte ich euch daher diese Ehre allein lasscn. Daher wartete ich, bis ich hörte, dass ihr in Constantine eingezogen seyd.‘* Farhat wurde zum Aga der Provinz ernannt, leistete aber den Franzosen geringe Dienste. Seine Reiter, wahre Bestien, zeigten sich so roh und unbändig, dass sie vor Constantine nicht mehr geduldet werden konnten, denn Raub und Mord nahmen in ihrer Nähe kein Ende und kein Araber der Gegend getraute sich mehr, auf den Markt zu kommen. Als man dem Aga befahl die Umgegend zu räumen, schlug er missvergnügt die Richtung nach Süden ein, angeblich um Achmet zu verfolgen, dessen Kopf er den Franzosen zu lie- fern versprach. Er wurde aber von den Araktas geschlagen und floh nur mit wenigen Reitern in seine Heimath zurück. Das Städtchen Ulad-Dschelal am Uad-el-Dschiddi erkannte seine Herrschaft an und war Farhat’s gewöhnliche Residenz. Später schloss sich dieser unruhige Häuptling der Partei Abd-el-Kader’s an und kam zu dem Emir nach Tekedemt. Dieser aber liess ihn in Ketten legen und in die Kasbah von Tekedemt einsperren. Seitdem hat man gar nichts mehr von Farhat-ben-Said gehört. 392 IV. Bu- Asis-ben- Ganah, Dieser Häuptling, der Schwiegervater und Oheim Ach- met’s, hat sich seit 1839 den Franzosen angeschlossen und ist jetzt einer ihrer mächtigsten und zuverlässigsten Verbün- deten. Als Scheikh-el- Arab gebietet er über alle Beduinen- stämme, welche mit ihren Heerden in den Steppen des an. die Sahara gränzenden El-Dscherid und Kobla umherziehen; seine Herrschaft erstreckt sich auch über einen Theil der grossen Sandwüstee Der Maure Hamdan - ben - Othman-Khodscha, welcher die Provinz Constantine bereist hat, behauptet, wohl mit Uebertreibung, Bu-Asis könne 10,000 Reiter stellen. Gewiss ist, dass dieser Häuptling in jenen Sandsteppen gro- ssen Einfluss übt, denn alle Versuche, welche Abd-el-Kader machte, seine Herrschaft in jenen Gegenden zu begründen, scheiterten an dem Widerstande des Scheikh-el-Arab. Ben- Ganah residirt gegenwärtig in der Stadt Biskara, die einige tausend Einwohner zählt und deren Bevölkerung günstig für die Franzosen gestimmt ist. Er hatte das Officierkreuz der Ehrenlegion erhalten. 393 12 Mustapha-ben -Isınael,. A I. dem historischen Theile dieses Werkes sind die wich- tigsten Momente aus Mustapha’s Leben, seine Kämpfe gegen Abd-el-Kader erzählt. Er gehört dem Stamm der Duairs an, der den grössten Theil der Makhsen des Beys von Oran bildete. Unter den Türken war Mustapha Aga der Provinz und stand in hohem Ansehen. Nachdem er von Abd-el-Kader besiegt worden, flüchtete er in den Meschuar von Tlemsan, welchen er im Jahre 1836 den anrückenden Franzosen überlieferte. Er steht seitdem in französischen Diensten, begleitet den Rang eines Marechal-de-Camp und ist zugleich Oberbefehlshaber der Stämme der Duairs und Zmelas, welche mit den Franzosen verbündet sind. In allen Gefechten zeigte dieser Häuptling die ausserordentlichste Tapferkeit und war immer unter den ersten im Feuer. Sein Körper ist mit Wunden bedeckt. Auch seinen kriegerischen Talenten als Anführer der irregulären Spahis liessen alle französischen Öberofficiere, namentlich der Marschall Clauzel, volle Gerechtigkeit widerfahren. Mustapha ist nahe an acht- zig Jahre alt, aber noch immer jugendlich rüstig. Er ist die schönste Arabergestalt, die ich gesehen, von hoher, maje- stätischer Gestalt und sehr edlen, ernsten Zügen. Sein Bart ist silberweiss und lang, sein Auge durchdringend wie das des Adlers, seine Haltung und Manieren voll der Würde eines Häuptlings. Besonders schön ist dieser Greis zu Pferde und in der Schlacht. Morıtz WAGneER’s Algier, II. 23 394 VE. MHohamed-ben- Aissa-El-Barkani. Ei-Barkani stammt von einer Familie der Ben-Menasser, welche das Gebirge bei Scherschel bewohnen. Er war vier Jahre lang Kaid von Scherschel, wurde aber von den Be- wohnern dieser Stadt wegen seiner Erpressungen vertrieben und schloss sich Abd-el-Kader an, für welchen er tapfer gegen Mussa-el-Darkui bei Amura focht. Der Emir er- nannte ihn dafür zum Bey von Medeah, eine Würde, welche El-Barkani bis zur definitiven Ocupation dieser Stadt durch die Franzosen bekleidete. Er gilt für den besten General Abd-el-Kader’s, soll sehr tüchtig im Felde, übrigens ohne Fanatismus seyn. 399 vIoI. Milud- Ben- Arrasch. Im Kriege spielt dieser Häuptling keine bedeutende Rolle. Er ist vom Stamme der Garrabas, steht aber bei diesen streit- baren Arabern in nicht sehr hohem Ansehen, da er wenig Muth haben soll, dazu ein schlechter Reiter ist und die Kriegsstrapazen scheut. Doch ist er ohnstreitig der feinste, gewandteste Unterhändler, den der Emir besitzt. Daher wird Milud-ben- Arrasch bei jeder diplomatischen Mission verwen- det; er war auch beauftragt, die Geschenke Abd- el- Kader’s dem König der Franzosen zu überbringen. Milud gilt unter seinen Landsleuten für einen Gelehrten und der Emir setzte vor seiner Sendung nach Paris das grösste Vertrauen in ihn; seitdem aber soll er Abd-el- Kader’s Gunst verloren haben. 23* Die neuen arabischen Niederlassungen im Süden der Regentschaft Algier. Ana-el-Kader hat vorausgesehen, dass die Franzosen sich nach und nach aller Städte der Küste bemächtigen und später auch nach den nicht allzu entfernten Städten des In- nern ziehen würden. Daher war er seit den Expeditionen der Franzosen gegen Maskara und Tlemsan bedacht, tiefer im Innern neue Niederlassungen zu gründen, welche die französischen Heere entweder nicht erreichen oder wo sie entfernt von ihren Hülfsquellen und blokirt von den Arabern ihr Grab finden sollten. Der bedeutendste dieser neuen festen Plätze ist Tekedemt, das bereits im Isten Theile beschrieben ist, Seit der Gründung Tekedemts hat Abd-el-Kader noch folgende Orte angelegt: 1. Boghar, 15 Stunden südöstlich von Medeah. Un- ter der Leitung El-Barkani’s wurde dort im Jahre 1836 der Bau einer grossen Citadelle in Viereckform begonnen. Ob- wohl jene Gegend fruchtbar und mit Holz und Wasser ver- 'sehen ist, so gelang es dem Emir doch nicht, Ansiedler dort- hin zu ziehen. Erst nach der Besetzung Medeahs durch die Franzosen wanderten einige hundert flüchtige Familien nach Boghar aus. 397 2. Thaza, 12 Stunden südöstlich von Miliana, auf der Atlaskette von Matmala gelegen. Sidi-Embarek schickte im Juni 1838 die ersten Arbeiter dorthin. Es steht in Thaza eine Kasbah mit geräumigen Höfen, mehrere Mühlen und ein Hammerwerk. Im Jahre 1839 wohnten erst dreissig Fa- milien dort. Die Bevölkerung soll aber seitdem durch die ge- flüchteten Bewohner Milianas angewachsen seyn. 3. Saida, anderthalb arabische Tagmärsche südlich von Maskara im Uthan der Beni-Yakub gelegen. Hadschi- Mustapha-ben-Thami, Khalifa von Maskara und Schwager Abd-el-Kader’s liess dort ein Fort erbauen, das er mit zwei Kanonen versah, und die verfallenen Ringmauern einer alten römischen Stadt, deren Ruinen dort liegen, wieder herstellen. Es soll dieser Ort eine Zufluchtsstätte für die Bewohner Mas- karas seyn, wenn die Franzosen sich letzterer Stadt aufs Neue bemächtigen sollten, 4. Tafraua, eine Tagreise südlich von Tlemsan, ist von einigen Kuruglifamilien bewohnt, welche Abd-el-Kader aus Tlemsan vertrieb. Es existiren dort Pulvermühlen, Magazine und Kasernen. Tafraua, so wie die drei oben- genannten Orte, hat eine Besatzung von 100 regulären ara- bischen Fussgängern und mehrere Kanonen. Leipzig, Druck von Hirschfeld. un Ba TEL ee a