a EACH w as Orr Be: EI RR * £ Se: Ko Eee aa een en SEREEITERR er Sa "e“ eh LIBRARY OF THE UNIVERSITY OF ILLINOIS AT URBANA-CHAMPAIGN 0570.9518 Sch”7r v.2 Dt.2 Biology Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from University of Illinois Urbana-Champaign http://www.archive.org/details/reisenundforschu32schr = B)2} 2 So — a nn Tan Ta T nd mn 1 Zn Gm nn a Te ee Or eh Tu mr TELLER [) —— [) AI A IK I INN un ? Be .——. IE GEL “ ons N UD IC en C 5 BG FELSEN UL SEK ERAEHIE UI > x zz. en ee z Ju —— nn —n In em TEEN TE = T KELLER LE REISEN UND. FORSCHUNGEN AMUR- LANDE in den Jahren 18S34—1856 im Auftrage der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg ausgeführt und in Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von Dr. Leopold v. Schrenck. _ BAND Il. Zweite Bieferung. DIE VÖLKER DES AMUR-LANDES. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. ERSTE HÄLFTE Mit 37 lithographischen, zum Theil farbigen Tafeln und 13 Holzsehnitten im Text. ST. PETERSBURG. 1891. Zu haben bei den Commissionären der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften: Eggers und Comp. und J. Glasunof in St. Petersburg; N. Kymmel in Riga; Voss’ Sortiment (G. Haessel) in Leipzig. Preis dieser Lieferung: 14 R.— 35 M. oo & & & & 2ER hr ZEN FEN, in ae SALZ RTRTER, mt Dt" m ——— m m m m DS G: OA © > oe 4 IS A® 9 En I Np8 2 5 8 I S ERREE Zn x. — SU 8- N N a mn m —n —— I @) > I! ex —_ 2 2 7 ? ST 7 I. SA 75090.98.30505 > IT > Y BER SER Zr 7 > Ka 2S ? aa I DIE VÖLKER DES AMUR-LANDES, Dr. Leop. v. Schrenck. ETINOGRAPHISCHER THRIL. — ERSTE HÄLFTE. DD" 5. v. SCHRENCH’S REISEN UND FORSCHUNGEN IM AMUR-LANDE. BAND II. ZWEITE LIEFERUNG. DIE VÖLKER DES AMUR-LANDES. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. — ERSTE HÄLFTE. Mit 37 lithographischen, zum Theil farbigen Tafeln und 13 Holzschnitten im Text. Gedruckt auf Verfügung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. St. Petersburg, December 1891. 4A. Strauch, beständiger Secretär. Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Wass. Ostr. 9 Linie, N 12. RAT. II. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. Erste Hälfte: Grundbedingungen und Bestandtheile des äusseren Lebens. 4. Abschnitt. Seite. Geringe und ungleichmässige Dichtigkeit der indigenen Bevölkerung des Amur-Landes. Folgen ehemaliger Kriegsverheerungen und neuerlicher epidemischer Krankheiten. Wahl und Wechsel der Wohnorte nach den Jahreszeiten. Winter- und Sommerwohnungen. Jagd- und Nachtlagerzelte. Vorrathshäuser und Niederlagen... . 2.2... 22222220 eeeenn. 311385 Einschränkung der parallelen Nebeneinanderbetrachtung der Amur-Völker auf diejenigen des unteren Amur-Landes und insbesondere die Giljaken, mit nur vergleichsweiser Erwähnung der Aino und der Sungari- und oberen Amur-Völker, p. 311. — Ursachen der geringen Individuen- zahl der Amur-Völker: Sorglosigkeit, Trägheit, Missachtung und Misshandlung des weiblichen Geschlechts, p. 312. — Geringer Einfluss der russischen Kriegszüge im XVII. Jahrhundert auf die Bevölkerungsverhältnisse des unteren Amur-Landes, p. 313. — Nach der zweiten, definitiven Besitznahme des Amur-Landes durch die Russen unter den Eingeborenen aufgetretene Epide- mien, p. 314. — Nachhaltige Folgen der russischen Kriegszüge des XVII. Jahrhunderts für die Bevölkerungsverhältnisse des oberen Amur-Landes, p. 315. — Nachtheiliger Einfluss der Berüh- rung der indigenen Amur-Völker mit den Mandshu und Chinesen auf ihr numerisches Wachs- thum. Daraus und aus dem acuten Conflikt der indigenen Bevölkerung mit den Russen im XVIl. Jahrhundert erklärliche Erscheinung ihrer numerischen Abnahme von der Amur-Mündung strom- aufwärts, p.316.— Wesentlich verschiedene Lage der Bevölkerungsverhältnisse auf Sachalin, p. 317.— Geringer Werth der bisherigen numerischen Angaben über die Stärke der indigenen Bevölkerung des Amur-Landes, p. 318. Giljaken: Lage der Dörfer, p. 319. — Wahl und Wechsel der Wohnorte nach der Jahreszeit. Sommer- und Winterdörfer, p. 320. — Winterbehausungen. Beschaffenheit der Erdjurte, p. 321— 323. — Errichtung von Nothzelten bei Unwetter nach dem Muster der Erdjurte, p. 324. — Vor- züge und Mängel der Erdjurte, p. 325. — Beschaffenheit der nach chinesischem Muster gebau- ten Winter-Jurten oder Häuser, p. 326—328. — Vorzüge und Mängel der chinesischen Winter- Schrenck's Amur-Reise, Band III- I jurte, p. 329. — Vertheilung der Erd- und der chinesischen Winterjurte auf dem Festlande und auf Sachalin, p. 330—332. — Erdjurten anderer paläasiatischen Völker: Aino, Kamtschadalen, p- 333. — Erdjurten der sesshaften Korjaken, p. 334, 335. — Die wandernden Korjaken und Tschuktschen ehemals auch sesshaft und in Erdjurten wohnend, p. 336. — Erdhüttenreste der «Onkilon», d.i. der vormals sesshaften Tschuktschen, p. 337. — Beweise dafür, dass die Onkilon-Hütten den vormals sesshaft gewesenen Tschuktschen angehören, p. 338, 339. — Erdjurten der Jukagirn, Nachkommen der verschwundenen Omoken, p. 340. — Die Erdjurte bei den Eskimo sowohl in Asien, wie in Amerika, p. 341. — Grosse, gemeinsame Erdjurten oder Kashims der nordwestamerikanischen Eskimo, p. 342, 343. — Grenze der Kashims nach Osten, p. 344. — Erd-, Schnee-, Stein- und Knochenhütten der ostamerikanischen Eskimo p- 345. — Dsgl. der Eskimo auf Grönland, p. 346. — Erdhütten und Hüttenreste in Ostgrönland und im hocharktischen Amerika, p. 347. — Daraus sich ergebende Schlüsse über die Wanderun- gen des gesammten Eskimo-Stammes, p. 348. — Nordwärtsbewegungen und Verschiebungen der Eskimo, p. 349. — Die Erdjurte bei den Aleuten, p. 350. — Chinesischer Ursprung des giljakischen Winterhauses, p. 351, 352. — Dem entsprechende Art der Benutzung der Schlaf- bänke seitens der Giljaken, p. 353. — Rasches Verschwinden der Erdjurte in Kamtschatka dem russischen Blockhause gegenüber und nur langsame Verbreitung des chinesischen Winterhauses den Sungari und Amur abwärts bis zum Ochotskischen Meer und nach Sachalin, p. 354. — Zwin- gende Gründe, die Winterwohnungen im Frühling zu verlassen und zum Sommer Pfahlbauten zu beziehen, p. 355. — Beschaffenbeit der Sommerjurte, p. 356, 357. — Beschaffenheit der Vor- rathshäuser, p. 358. — Aehnliche Pfahlbauten bei anderen paläasiatischen Völkern, p. 359. — Nationale, statistische und ethnographische Bedeutung der Winterwohnungen der Giljaken, p- 360. — Verzeichniss der Giljaken-Dörfer und der Zahl ihrer Winterwohnungen, p. 361— 363. — Kleinste, mittlere und grösste Jurtenzahl der giljakischen Dörfer. Hauptorte der einzel- nen Gebietstheile und des ganzen giljakischen Gebietes, p. 364. — Mittlere Zahl der Bewohner einer Jurte, p. 365. — Bevölkerungszahlen der einzelnen Gebietstheile und des gesammten Ge- biets der Giljaken, p. 366. Oroken: Mangel ständiger Wohnungen. Zelte, aus konischen Holzgerüsten mit Fischhautdecken bestehend, p. 366. — Beschaffenheit der Zeltwohnungen, p. 367. — Aehnlichkeit derselben mit denjenigen anderer Amur-Völker. Vorrathshäuser, p. 368. Oltscha, Negda, Samagirn, Golde, Orotschen: Nach demselben Prinzip wie bei den Giljaken gebaute Winterwohnungen. Zum Theil sauberere Haltung derselben bei den Oltscha. Bereitung der Schilfmatten für die Schlafbänke, p. 368. — Kleine Winterjurte der Oltscha. Besonders ge- räumige und helle Winterjurten der Samagirn. Wachsende Spuren chinesischen Einflusses an den Winterwohnungen der Golde, p. 369. — Aermlichkeit und Unsauberkeit der Winterjurten und ihr theilweiser Ersatz durch Zelte bei den Orotschen. Durchgehende Verschiedenheit der Sommerwohnungen, p. 370. — Sommerwohnung oder Dauro der Oltscha und der Samagirn, p- 371. — Dsgl. der Negda und der Amur-Golde, p. 372. — Dsgl. der Sungari-Golde und der ÖOrotschen, p. 373. — Wechsel des Sommeraufenthaltsortes, p. 374. — Kleine, provisorische Sommerzelte, p. 375. — Vorrathshäuser, Winterjagdzelte, Nachtlagerplätze, p. 376, 377. Dauren: Nach chinesischem Muster gebaute Winterwohnungen, p. 378. — Bereits im XVII. Jahrhundert bei ihnen üblich, p. 379. — Bürgern sich unter ihrem Einfluss auch bei den sesshaf- ten Orotschonen, sesshaften Biraren und bei den jakutischen Händlern im Stanowoi-Ge- birge ein, p. 380. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Zeltwohnungen im Sommer wie im Winter in Gebrauch, p. 380. — Beschaffenheit des Manägirn-Zeltes, p. 381. — Wichtigkeit der Birkenrindenmatten für alle Amur-Tungusen und ihre Bereitung, p. 382. — Orotschonen-Zelte und Vorrathsbe- hälter, p. 383. Gesammtrückblick auf die Wohnungen der indigenen Völker des Amur-Landes, p. 383. — Grundverschiedenheit bezüglich derselben zwischen den Giljaken und den sie umgebenden tungusischen Völkern, p. 384. — Zusammenhang der Wohnungsverhältnisse mit dem gesammten Leben, p. 384, 385. Seite 5. Abschnitt. Aeussere Haltung: Kleidung, Haartracht, Schmuck, Tätowirung........ Giljaken: Abhängigkeit der Kleidungsstoffe von den Hauptbeschäftigungen: Fischfang und Robbenschlag, Jagd und Handel, p. 386. — Sommerkleidung der Männer und Weiber, p. 387. — Fischhautröcke der Weiber und ihre Ausschmückung, p. 388. — Winterkleidung. Beliebtheit des Hundspelzwerks, p. 389. — Hochschätzung des Luchspelzwerks und Gründe dafür, p. 390, 391. — Winterliche Kleidungsstücke: Schurzrock aus Seehundsfell, p. 392. — Aermelbinde, Faust- handschuhe, Boa, Pelzmütze der Männer, p. 393. — Winterliche Unterkleidung, p. 394. — Fuss- bekleidung, Stiefelgras. Gürtel nebst Anhängseln, p. 395.— Winterkleidung der Weiber, p. 396. — Wintermützen der Weiber, Luchsmütze, p. 397. — Aehnliche, aus dem Kopffell eines besonders angesehenen Thieres bestehende und dieses nachbildende Kopfbekleidungen bei anderen palaasia- tischen Völkern, p. 398. — Thiernachahmung in der Kleidung. Charakter der giljakischen Sticke- reien im Gegensatz zu den tungusischen, p. 399. — Sinn für Ornamentik und ihre reiche Entfal- tung unter chinesischem und japanischem Einfluss, p. 400. — Maassgebender Einfluss politischer Verhältnisse auf die Entfaltung der Ornamentik bei den Amur-Völkern. Nähulensilien der Gilja- ken, p. 401, 402. — Auflallende Unkenntniss der Webekunst, besonders den Aino gegenüber, p- 403. Oltscha, Negda: Grosse Uebereinstimmung hinsichtlich der Kleidung und der zu ihrer An- fertigung dienlichen Utensilien mit den Giljaken, mit geringen, durch die grössere Entfernung vom Meer und den stärkeren Betrieb der Jagd auf Waldthiere bedingten Modifikationen, p. 404. Oroken: Durch Rennthierfellkleidung von den Giljaken unterschieden, im Uebrigen, was Stoff, Zuschnitt und Verzierung der einzelnen Kleidungsstücke betrifft, von giljakischem Brauch und Geschmack beherrscht, p. 405. — Desgleichen in Beziehung auf die Näh- u. a. Utensilien, wogegen ein Einfluss von Seiten der Aino nicht bemerkbar, p. 406. Aino: Trotz vielfach gleicher Kleidungsstoffe mit den Giljaken, im Schnitt der Kleidung die Herrschaft eines anderen, des japanischen Modecentrums erkennbar, p. 406. Samagirn: Am Gorin durch Material und Zuschnitt der Kleidung von den Oltscha unterschie- den, entsprechend der vorherrschenden Beschäftigung mit der Jagd, p. 407. Golde: Im unteren Theile ihres Wohngebiets gleiche Kleidung mit den Oltscha. Allgemeiner Gebrauch der Fischhautkleidung bei Weibern und Kindern, p. 407.— Stromaufwärts wachsender Gebrauch verschiedenartiger Pelzwerke zur Kleidung und Zunahme des chinesischen Einflusses auf dieselbe, p. 408. Orotschen: Im Norden oltschaisch-giljakische, im Süden goldisch-chinesische Kleidung, p. 409. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Sibirisch-tungusischer Charakter der Kleidung, mit mehr oder minder starkem chinesischem, jakutischem und russischem Einfluss, p. 409. Die Haartracht bei den Amur-Völkern ein sichereres Kennzeichen verschiedener Nationa- lität als die Kleidung, p. 410. Giljaken: Haartracht der Männer, Weiber und Kinder. Abscheu vor dem Scheren des Haares. Unsauberkeit der Haarhaltung, p. 410. Negda, Oltscha, Oroken: Gleiche Haartracht mit den Giljaken, p. 411. Aino: Nach Art der Japaner veränderte Haartracht, p. 414. — Rückkehr zur ursprünglichen, naturwüchsigen Haartracht bei Befreiung vom japanischen Joch: der Zopf — ein Zeichen politi- scher Unabhängigkeit von den Japanern, p. 412. Samagirn,Golde: Mandshu-chinesische Haartracht, p. 412.—Ihre Einführung durch die Mandshu- Dynastie in China und dem Amur-Lande, p. 413. — Das unrasirte und ungeschorene Haupthaar bei den unteren Amur-Völkern — ein Zeichen der Freiheit den Mandshu-Chinesen gegenüber, p- 414. Orotschen: Im südlichen Theile ihres Wohngebiets mandshu-chinesische, im nördlichen ol- tschaisch-giljakische Haartracht, p. 414. Biraren, Manägirn: Allgemein eingebürgerte mandshu-chinesische Haartracht, p. 415. r 11 IV Seite. Orotschonen: Im Süden, am Chingan-Gebirge mandshu-chinesische, im Norden, am oberen 2: Amur ursprüngliche, naturwüchsige Haartracht, p. 415. Schluss: Die Grenze der Verbreitung der mandshu-chinesischen Haartracht im Amur-Lande und der japanischen auf Sachalin — eine politische, nicht eine ethnographische Grenzlinie, p. 416. Der Schmuck wie die Haartracht bezeichnend für manche Nationalitäten im Amur-Lande. Ohrringe — gemeinsamer Schmuck aller Amur-Völker und einziger Gesichtsschmuck der Gilja- ken, Oltscha, Oroken und Negda, p. 416. — Nasenringe der Golde, Samagirn und südlichen Orotschen. Ihr Fehlen bei den nördlichen Orotschen und sämmtlichen Völkern des oberen Amur-Landes, p. 417. — Armspangen. Daumenring und seine Bestimmung, p. 418. Färbung und Tätowirung einzelner Körpertheile bei den Aino von Sachalin und Jesso, p- 419.—Dsgl. bei den Kurilen, Korjaken, Tschuktschen, Eskimo, p.420.— Tätowirung der Aleuten. Giljaken und Itälmenen — die einzigen paläasiatischen Völker ohne Tätowirung, p- 421. — Allgemeine Verbreitung der Tätowirung unter den sibirischen Tungusen und ihre gegenwärtige Abnahme. Verschiedener Modus des Tätowirens bei den tungusischen und den palä- asiatischen Völkern, p. 422. — Vermuthlich autochthone Entstehung der Sitte des Tätowirens an verschiedenen Orten und ihre Verbreitung aus verschiedenen Centren. Reste von Tätowirung bei den Orotschonen und Golde, p. 423. — Fehlen oder richtiger Verschwinden der Sitte des Tätowirens bei den übrigen tungusischen Stämmen des Amur-Landes unter dem Einfluss der Mandshu-Chinesen und der Giljaken, p. 424. 6 Abschnitt. Nahrung. Animalische und vegetabilische Nahrungsmittel. Haus- und Tafelgeräth. Ge- nussmittel: Branntwein, Tabak ........ See BR eg: ee en 2 Verhältniss der animalischen und vegetabilischen Nahrung bei den Amur-Völkern, je nach ihrer Hauptbeschäftigung und ihren grösseren oder geringeren Handelsbeziehungen mit den Chi- nesen und Japanern, p. 425. Giljaken: Unter allen Amur-Völkern die ausgesprochensten Ichthyophagen. Fisch — ihre Exi- stenzbedingung. Vornehmliche Wichtigkeit der Lachse, namentlich des Salmo lagocephalus und S. Proteus, p. 425. — Bereitung von Wintervorräthen aus denselben: Thran und Jukola für Men= schen und Hunde (ma und chark). Zwei Hauptarten von Jukola: Iyghi- und tengi-ma, p. 426.— Ju- kola — das Fundament ihres Haushalts. Art und Weise ihres Genusses und Gebrauches. Fahrten und Umzüge zur Beschaffung reichlicher Jukolavorräthe, p. 427. — Frische Fischnahrung. Der Amur-Strom — die in Beziehung auf Fisch meistbegünstigte Lokalität im giljakischen Lande, zugleich Ort der grössten Verdichtung der Giljaken und der reichsten Entfaltung ihrer Eigen- art. Amur-Stör (Acipenser Schrencki) und Amur-Hausen (Acip. orientalis) — die grössten und geschätztesten Fische des Stromes, p. 428. — Ihre Verwendung zur Nahrung für Menschen und Hunde. Der Tymy-Fluss — die fischreichste Lokalität und belebende Ader von Sachalin, p. 429.— Wichtigkeit des Kangi-Fisches (Gadus Wachnja) für die Küsten-Giljaken als Nahrung für Menschen und Hunde. Auf den Genuss und die Behandlung desselben bezüglicher Aberglauben. Seehunde nächst den Fischen das Hauptnahrungsmittel, p. 430. — Verwendung von Seehunds- und Weisswal-Fleisch und -Fett zur Nahrung für Menschen und Hunde. Abscheu vor dem Braten von Fisch oder Fleisch, p. 431. — Ablehnendes Verhalten dem Walfischfleisch und -Speck gegen- über, im Gegensatz zu anderen paläasiatischen Völkern, p. 432. — Geringe Bedeutung der Land- säugethiere als Nahrungsmittel, mit alleiniger Ausnahme des Bären und des Hundes. Abscheu vor dem Verzehren von Ratten. Besondere Vorliebe für Bärenfleisch und -Fett, p. 433. — Benutzung der Hunde zur Nahrung. Art und Weise, sie zu verzehren, p. 434. — Verbreitung der Kynopha- gie bei den nordischen Völkern im Zusammenhange mit dem Gebrauch der Hunde zum Anspann, p. 435. — Abscheu vor dem Genuss von Hundefleisch bei Völkern, die andere Zugthiere besitzen, p- 436. — Essbare und nichtessbare Vögel, p. 437. — Zur Nahrung dienliche wirbellose Thiere. Zurücktreten der pflanzlichen, meist nur als Zukost genossenen Nahrung, p. 438. — Vegetabili- sche Nahrungsmittel: Beeren, insbesondere Preissel- und Rauschbeere (Vaccinium Vitis idaea und Empetrum nigrum), p.439. — Rosen- und Faulbaumfrüchte. Zwiebeln, Wurzeln, p. 440. — Blatt- pflanzen, Flechten, Algen, Seetang, p. 441. — Von den benachbarten Culturvölkern bezogene Cerealien und deren Bedeutung als Nahrungsmittel den einheimischen Naturprodukten gegenüber, p-. 442. — Zubereitung verschiedener Speisen aus vegetabilischen Nahrungsmitteln, mit Zusatz von Fisch- oder Seehundsthran. Abscheu vor dem Salz, p. 443. — Besonders auflallende Verab- scheuung des Salzes bei den Bärenfestmahlzeiten, p. 444. — Quelle und Zeit der ersten Bekannt- schaft der Giljaken mit dem Salz. Vorliebe für den Zucker, p. 445. — Zur Bereitung und Aufnahme der Speisen dienliches Haus- und Tafelgeräth, p. 445, 446. — Zur Anfertigung desselben gebräuchliche Instrumente und Materialien; letztere ausschliesslich Holz und Birken- rinde. So gut wie völliger Mangel an eigengemachtem oder importirtem Thongeschirr, p. 447.— Nachrichten über Gebrauch und Fabrikation von Thon- und Porzellangeschirr im unteren Amur- Lande vor etwa 50 Jahren. Zerstörung der letzteren und Folgen davon, p. 448. — Entstehen und rasches Aufblühen der Thon- und Porzellangeräthfabrikation im Sungari-Lande. Recenter, japa- nischer Ursprung der Töpferkunst bei den Aino von Sachalin, p. 449. — Fehlen des Thonge- schirrs bei den übrigen palaasiatischen Völkern zur Zeit ihrer Entdeckung, mit alleiniger Aus- nahme der Eskimo, p. 450. — Hohes Alter der Töpferei bei den Eskimo Nordwestamerika’s. Funde alter Topfscherben und Steinwerkzeuge im unteren Amur-Lande und auf Sachalin, einem ethnologisch nicht bestimmbaren Volke der Vorzeit angehörig, p. 451. Aino: Einfluss der geographischen Verhältnisse ihres Wohngebiets auf die Nahrung, p. 452.— Das Meer — Hauptquelle ihrer animalischen wie vegetabilischen Nahrungsmittel, p. 453. — Seetang- und Trepangfischerei. Aehnliche Benutzung des Bären und des Hundes zur Nahrung wie bei den Giljaken, p. 454. — Einfluss einer anderen, der japanischen Cultur bezüglich der Cerealien, p. 455.: Oroken: Durch das halbnomadische Leben den Aino und Giljaken gegenüber bedingte Mo- difikationen der Nahrungsverhältnisse: geringerer Bedarf an Wintervorräthen, grösseres Maass von Fleischnahrung, p. 455. Oltscha, Negda, Samagirn, Kile am Kur: Stetiges Wachsen der Fleisch- gegenüber der Fisch- nahrung, nach Maassgabe der stromaufwaärts und in die Nebenthäler des Amur hinein statthaben- den Abnahme des Fisch- und Zunahme des Wildreichthums, p. 456. Golde: Neben der Fisch- auch reichliche, den Amur wie den Ussuri aufwärts wachsende Fleischnahrung, in Folge der Menge grosser Jagdthiere. Verwendung der Amur-Schildkröte ( Trio- ny& Maackü) zur Nahrung. Die ersten Anfänge von Gemüse- und Cerealienbau. Die ersten eigens zur Nahrung gehaltenen Hausthiere, p. 457. — Die erste Schweine- und Geflügel-, speciell Hüh- nerzucht. Wachsender Gebrauch mannigfaltiger, von den Chinesen im Handel bezogener Cerea- lien, p. 458. Orotschen: Annäherung hinsichtlich der Nahrung im Norden ihres Wohngebiets an die Öltscha und Giljaken, im Süden an die Golde, p. 459. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Im Gegensatz zu den unteren Amur-Völkern starkes Ueber- wiegen der Fleisch- über die Fischnahrung, p. 460. — Desgl. der Gemüse- und Cerealiennahrung über die den wildwachsenden Pflanzen entnommene Nahrung, p. 461. — In Summa grössere Menge vegetabilischer Nahrungsbestandtheile und dem entsprechend auch grösserer Gebrauch von Salz zur Nahrung, p. 462. Genussmittel, insbesondere Branntwein und Tabak. Fehlen eines durch Aufguss oder ander- weitig aus Pflanzen bereiteten Getränkes bei den Giljaken. Nichtgebrauch des Thees. Allge- meine, seit der frühesten Berührung mit den Chinesen datirende Kenntniss des Branntweins bei Seite. VI Seite. den Amur-Völkern. Seine Verbreitung nach Sachalin und Bevorzugung vor dem japanischen Ssaki, p. 463. — Bereitung des Branntweins im Sungari-Lande und Vertrieb zu den Amur-Völ- kern. Ihre den Chinesen entnommene Art und Weise, ihn zu trinken, p. 46%. — Wohlthuender Einfluss der letzteren auf den Branntweinconsum. Anfängliche Mässigkeit der Giljaken im Branntweingenuss und dabei bekundete Energie, p. 465. — Durch den verstärkten Import und die russische Kolonisation bewirkte Veränderung, p. 466. Allgemeine Ueblichkeit des Tabakrauchens bei den Amur-Völkern. Verbreitung der Tabaks- pflanze und ihres Anbaus und Gebrauchs zum Rauchen aus Japan über Korea nach der Mandshu- rei und aus dieser nach China. Beliebtheit des mandshurischen Tabaks in China, p. 466.— Seine Verbreitung aus der Mandshurei zu den Amur-Völkern. Späteres Vordringen und besondere Be- liebtheit bei ihnen des russischen (tscherkasskischen) Tabaks. Allgemeiner Gebrauch chinesischer, in der Mandshurei fabrieirter Pfeifen bei ihnen, mit alleiniger Ausnahme der Aino, p. 468. — Art und Weise des Tabakrauchens bei den Giljaken. Ihre Tabakssurrogate, p. 469. Nichtüblich- keit des Tabakkauens und Tabakschnupfens bei den Amur-Völkern. Geringe Verbreitung des letz- teren in China. — Unbekanntschaft der Amur-Völker mit dem Opium, p. 470. — Beginn und rascher Fortgang des Opiumanbaus und Opiumrauchens im Sungari-Lande, gefahrdrohend für die Amur-Völker, p. 471. 7. Abschnitt. Mittel der Bewegung und Ortsveränderung zu Lande und zu Wasser: Schneeschuhe, Schlitten, Zug-, Reit- und Lastthiere, — Hund, Rennthier, Pferd; Böte und Kähne...... 472—515 Giljaken: Entfallen eines längeren Zeitraumes im Jahr auf die Ortsveränderung zu Lande als auf diejenige zu Wasser. Ermöglichung und Erweiterung der ersteren durch die Schneelage und die Eisdecke der Gewässer, p. 472. — Der im Sommer ungangbare und öde nordische Urwald — im Winter ein Tummelplatz für Jäger und Händler. Nothwendigkeit der Schneeschuhe. Zweierlei Ar- ten derselben. Form und lokale Verschiedenheit der kleinen Schneeschuhe, p. 473. — Ihre Ver- wendung zu verschiedenen Zwecken. Grosse Schneeschuhe, p. 474. — Ihre Hauptvorzüge und Mängel. Schneeschuhstock, p. 475. — Schneeschuhe der tungusischen Völker des Amur- Landes, insbesondere der Oltscha, Golde und Samagirn, p. 476. — Vorzüge der amur-tun- gusischen Schneeschuhe vor den giljakischen, p. 477. — Gebrauch der Schneeschuhe bis zur Südgrenze des unteren Amur-Landes und über diese hinaus am Ussuri und in Korea. Art und Weise grösserer Ortsveränderungen zu Lande. Die Giljaken — dasjenige Volk des Amur-Lan- des, das sich im ausgedehntesten Maasse der Hunde zum Fahren bedient, und bei welchem der Hund überhaupt die wichtigste Rolle spielt, p. 478. — Beschaffenheit und Nahrung der Hunde, p. 479.— Ihre Fütterung zu Hause und auf längeren Fahrten, p. 480. — Grössere Pflege der Welpen auf Sachalin und daherrührende Vorzüge der dortigen Hunde. Niedrige Culturstufe des Hundes als Zugthier, im Vergleich mit dem Jagd- oder Wächterhunde, p. 481. — Form und Beschaffenheit des giljakischen Schlittens, p. 481—483. — Leichtigkeit und Elastieität seine Grundzüge. Bela- dung und Zurüstung zur Reise. Giljakischer Hundeanspann, p. 484. — Seine Vorzüge und Mängel im Vergleich mit dem russisch-sibirischen Hundeanspann. Hemmen und Fixiren des Schlittens während der Fahrt, p. 485. — Art und Weise, die Hunde anzuspornen und ihnen bei Ermüdung oder schlechtem Wege zu Hülfe zu kommen, p. 486. — Behandlung der Hunde auf dem Nachtla- gerplatz. Das Halten von Hunden zum Anspann vor dem Schlitten — eine den Giljaken im Ge- gensatz zu den anderen Amur-Völkern ursprünglich eigene Sitte. Aehnlich bei anderen paläasiati- schen Völkern: Aino, Itälmenen, p. 487.—Desgl. bei den Jukagirn, den sesshaften Korjaken und den ebenfalls sesshaften Vorfahren der jetzigen Tschuktschen (Onkilon), p. 488. — Der Hund als einziges Haus- und zugleich Zugthier — Charakterform der paläasiatischen Völker. Ver- breitung des Zughundes mit den Eskimo nach Amerika. Erklärung der Thatsache, dass es in Amerika keine mit dem Halten zahmer Rennthiere sich abgebende Völker giebt. Undenkbarkeit der Zähmung des Rennthiers durch ein paläasiatisches Volk. Seine vermuthliche Zähmung durch die Tungusen. Das Rennthier — Charakterform der Tungusen und diese — das Rennthiervolk insonderheit, p. 489, 490. — Einzig dastehende Benutzung des Hundes als Lastthier bei den Eskimo Nordostamerika’s. Spätere Aneignung des Gebrauchs von Hunden zum Anspann seitens der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes im Gegensatz zu dessen paläasialischen Stäm- men, und Entlehnung desselben von den letzteren, p. 491. Oroken: Ein Zwittergebilde von Rennthiernomaden und sesshaften, Hunde haltenden Fischern. Aeltere Nachrichten über den Gebrauch des Rennthiers bei den Oroken als Zug- und Saumthier, p- 491. — Ein Zug orokischer, mit Rennthieren bespannter Schlitten auf Sachalin. Beschaffenheit der letzteren, p. 492. — Vergleich mit den Rennthierfahrten der Polarvölker, Tschuktschen, Korjaken, Samojeden, Lappen. Analogie zwischen dem äussersten Osten und Westen Asien- Europa’s. Bestätigung des zwiefachen Gebrauchs des Rennthiers zur Ortsveränderung bei den Oroken, zum Lastentragen und Reiten und zum Fahren, p. 493. — Der letztere Gebrauch erst seit ihrer Einwanderung nach Sachalin, unter dem Einfluss der Giljaken entstanden. Ineinander- greifen der Interessen beider Völker und daraus resultirender freundnachbarlicher Verkehr, p- 494. — Nothwendigkeit für die Oroken, sich auch der Hunde zum Fahren zu bedienen, und somit dreifache Art ihrer Ortsveränderung zu Lande. Geringe Zahl ihrer Rennthiere im Ver- gleich mit den Festlandsnomaden, p. 495. — Darin liegende Gefahr des Verlustes ihrer Eigenart, p- 496. Oltscha: Vollständige Uebereinstimmung hinsichtlich des Gebrauchs der Hunde zum Fahren mit den Giljaken, in Folge seiner Entlehnung von den letzteren, p. 496. Negda, Samagirn, Golde: Gleiche Uebereinstimmung mit den Giljaken, unter theilweiser Ver- mittelung der Oltscha, p. 496. — Zugleich geringere Zahl von Hunden, geringere Sorge um sie und dem entsprechend auch geringere Güte und Leistungsfähigkeit derselben. Gebrauch der Hunde zum Fahren im gesammten Wohngebiet der Golde. Die ersten Pferde am unteren Amur, stromaufwärts gegangen, und ihre Verbreitung als Reit- und Saumthiere durch die Manägirn und aus dem Sungari-Lande. Abnahme des Gebrauchs der Hunde zum Fahren bei den tungusischen Amur-Völkern stromaufwärts und daneben zunehmender Gebrauch derselben zur Jagd, p. 497.— Orotschen: Geringer, nach Süden abnehmender Gebrauch von Hunden zum Fahren. Südgrenze desselben, p. 498. Im Sungari-Lande und in den Kolonien der Mandshu, Chinesen und Dauren am mittleren Amur zur Ortsveränderung dienliche, dem unteren Amur-Lande fremde Reit-, Last- und Zug- Thiere und deren Gebrauch, p. 498. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Pferd- und Rennthiernomaden. Der Hund nur zu Jagdzwecken gehalten. Beschaffenheit und Behandlung der Pferde bei den Manägirn. Mongolischer Ursprung ihrer Bekanntschaft mit dem Pferde, p. 499. — Schlussfolgerung: in Betreff der Lokomotion das Pferd — Charakterform des oberen, der Hund diejenige des unteren Amur-Landes. Im gesammten west-nördlichen Umkreise des Amur- Landes, längs dem Grossen Chingan- und Stanowoi-Gebirge bis zum Ocholskischen Meer und nach Nordsachalin hinüber — das Rennthier im Gebrauch, dort nur als Reit- und Saum-, hier auch als Zugthier, p. 500. Mannigfaltigkeit der zur Bewegung auf dem Wasser dienlichen Fahrzeuge, darunter nur we- nige von nationaleigenthümlichem Gepräge, p. 500. Giljaken: Trotz vielem Aufenthalt auf dem Wasser keine kühnen und gewandten Seeleute und Seethierjäger, sondern nur um- und vorsichtige Fluss- und Küstenfahrer, p. 500. — Bau und Be- schaffenheit des giljakischen oder Amur-Bootes. Zum Bau dienliche Instrumente, p. 501 —503.— Ruder, Steuerruder, Mast, p. 503, 504. — Art und Weise des Segelns und Landens mit dem Amur-Boot, p. 505. — Maasse eines mittelgrossen giljakischen Bootes. Auf Sachalin übliches, aus einem Baumstamm ausgehöhltes Boot, p. 506. Oltscha, Golde: Gleiche Beschaffenheit des zum Befahren des Amur-Stromes dienlichen Boo- tes. Verschiedene Arten aus Baumstämmen ausgehöhlter, zum Befahren der Nebenflüsse dien- Seite. Vu vım Seite, licher Böte, p. 507. — Letztere besonders auch bei den Orotschen üblich, p. 508. — Die bei allen Völkern des Amur-Landes und bei den Oroken von Sachalin zum Aushöhlen von Baum- stämmen gebräuchliche Hohlaxt, p. 509. — Zweierlei Formen von Birkenrindenkähnen, p. 510.— Kühnheit und Gewandtheit der Amur-Tungusen und ihrer sibirischen Stammgenossen im Gebrauch derselben. Der Birkenrindenkahn — das typische und charakteristische Fahrzeug der Tungusen, p. 511. Biraren, Manägirn: Ausgehöhlte und aus Birkenrinde gemachte Böte von sehr ansehnlicher Grösse, p. 511. Beschränkung des goldisch-giljakischen Bootes auf das untere Amur-Land und sein völliges Fehlen im Amur oberhalb der Sungari-Mündung, p. 512. — Beschaffenheit des im Sungari- und unteren Amur-Lande üblichen mandshu-chinesischen Bootes und seine wesentliche Uebereinstim- mung mit dem goldisch-giljakischen, p. 512, 513. — Ursprung des letzteren aus dem ersteren. Geringer Antheil eigener Erfindung der unteren Amur-Völker an ihrem Boot, p. 514. — Grund des Fehlens des goldisch-giljakischen Bootes im oberen Amur-Lande. Rückblick und Schluss: grössere Entfaltung der zur Ortsveränderung dienlichen Mittel im unteren als im oberen Amur-Lande, p. 515. =. Abschnitt. Fischfang, insbesondere Stör-, Hausen- und Lachsfang. Fischereigeräth. Seethier- fang: Robbenschlag, Weisswalfang. ...„..-«“-.se 2.00 c-.eoennsneneen 00 —OAd Kurze Zusammenfassung des in den früheren Kapiteln gelegentlich auch über den Fischfang Gesagten und Bezeichnung der noch zu erörternden Fragen, p. 516. Giljaken: Die Zeit kurz vor Aufgang des Amur-Stromes die fischärmste und schwerste im Le- ben der Amur-Giljaken. Opferfahrt beim Aufgang des Stromes, p. 517. — Aehnliche Opfer- spendung bei seinem Zugang im Herbst. Stör (Acipenser Schrenckii) und Hausen (Ac. orientalis)— die grössten, von allen Amur-Völkern hochgeschätzten und eifrig verfolgten Fische des Amur- Stromes und seiner grossen Zuflüsse, p. 518. — Stör- und Hausenfang der Giljaken bei offenem Wasser, mit Netzen, p. 518, 519. — Derselbe Fang im Winter, unter dem Eise, p. 520. — Stör- und Hausenfang mit Angelhaken und Harpunen, p. 521. — Salmo Proteus und $. lagocephalus— im Amur-Lande die wichtigsten der in die Flüsse eintretenden Lachsarten. Ihr erstes Erscheinen an der Südküste des Ochotskischen und an den Küsten des Nordjapanischen Meeres, p. 522. — Ihre Zugzeiten im Kaiserhafen, p. 523.—Desgl. in der Bai de Castries und an der Südküste des Ochotski- schen Meeres, p. 524.— Desgl. an der Amur-Mündung, p. 525.— Bezeichnung der Monate Mai bis August nach der Zeit der Ankunft oder des Massenzuges der genannten Lachsarten, p. 526.— Zugzei- ten von S. Proteus und S.lagocephalus an der Ostküste Sachalin’s und demgemässe Verschiebung der Monatsnamen bei den Tymy-Giljaken, p. 527. — Fang der Zuglachse im Amur und seinen klei- neren Zuflüssen und die dazu gebräuchlichen Netze, p. 528. — Fang von Salmo lagocephalus im Amur vermittelst eigens errichteter Fischwehren, p. 529. — Lachsfang auf Sachalin im Tymy- Fluss und an seiner Mündung, p. 530. — Fang des Kangi-Fisches (Gadus Wachnja) an der West- und Ostküste Sachalin’s. Material der Fischernetze und seine Zubereitung, p. 531. — Die nach Grösse der Maschen und Dicke des Garns gangbarsten Grössenformen der Netze, p. 532. — Zum Stricken der Fischernetze dienliche Werkzeuge, p. 532, 533. — Anfertigung, endgültige Zu- rüstung und schonende Behandlung der Fischernetze bei ihrem Gebrauch, p. 534. Oltscha, Golde: Gültigkeit des über den Fischfang der Giljaken Gesagten auch für die ihnen benachbarten tungusischen Amur-Völker, mit einigen, durch die Lebensweise der letzteren und die Verbreitung der Fische bedingten Modifikationen. Stromaufwärts und in die Nebenthäler des Amur hinein abnehmende Stetigkeit, Sorgfalt und Energie in der Betreibung des Fischfangs; IX Seite. insbesondere Abnahme des Winterfischfanges stromauf, in Folge der im Winter erwachenden Jagd- leidenschaft. So gut wie gänzliches Aufhören des Winterfischfanges bei den Ussuri-G olde, p.535.— Stör und Hausen auch bei den Oltscha und Golde in ihrem gesammten Wohngebiet — die am meisten geschätzten und am eifrigsten verfolgten Fische, p. 536. — Beliebteste Arten des Stör- und Hausenfanges, besonders der vermittelst der Harpune betriebene Fang. Nutzen vom Stör und Hausen, p. 537. — Mehr oder minder wichtige Rolle. verschiedener Lachsarten im Haushalt der Oltscha und Golde. Verbreitung und Fang von Salmo Lycaodon, p. 538. — Zugzeit und Fang von S. lagocephalus im unteren Amur, p. 539. — Fang und Benutzung der ständig im Amur lebenden Fische. Mangel an Liebe zum Fischfang bei den Oltscha und Golde im Ver- gleich mit den Giljaken. Unterschied in den Anfertigungsmaterialien ihrer Fischernetze, p. 540. Untergeordnete Rolle des Fischfangs im Vergleich mit der Jagd bei den Völkern des oberen Amur-Landes. Abnahme der Lachsarten stromaufwärts. Grenze der Verbreitung von Salmo lago- cephalus, p. 541. — Letzterer — eine prägnante Charakterform des unteren Amur-Landes im Ge- gensatz zum oberen. Stör und Hausen — ein beiden gemeinsamer, sie unmittelbar mit einander verknüpfender Zug, p. 542. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Stör- und Hausenfang vermittelst der Harpune. Zerlegung und Vertheilung der Beute. Daran sich knüpfender Aberglauben. Anlage nur geringer Fischvorräthe für den Winter, p. 542. Seehunds- und Weisswalfang — charakteristische Beschäftigungen der unteren Amur- Völker im Gegensatz zu den oberen, p. 543. Giljaken: Seehundsfang nächst dem Fischfang die Hauptbeschäftigung, zumal bei den Küsten- und Liman-Giljaken, p. 543. — Des Seehundsfanges wegen besonders viel besuchte Lokalitäten. Seehundsarten des Amur-Limanes und Amur-Stromes und ihre Verwendung zur Kleidung, Nah- rung u. drgl. Seehundsfang bei beeistem Wasser, p. 544. — Seehundsfang bei offenem Wasser. Zei- » ten des ergiebigsten Betriebes des einen und des anderen, p. 545. — An den Seehundsfang sich knüpfender Aberglauben, p. 546. Aino: Aehnliche Art, den Seehundsfang zu betreiben, wie bei den Giljaken, p. 546. Orotschen: Ansehnlicher, sowohl zum eigenen Bedarf, wie zum Tauschhandel mit den Golde betriebener Seehundsfang, p. 547. Oltscha: Geringe Gelegenheit, sich innerhalb ihrer Gebietsgrenzen mit dem Seehundsfang zu beschäftigen, p. 547. Negda: Zeitweiser Seehundsfang im Ochotskischen Meer, p. 547. Ungefähres Zusammenfallen der Verbreitung des Weisswals (Delphinapterus Leucas) mit dem Wohngebiet der Giljaken, p. 547.— Diese— das einzige mit dem Weisswalfang sich beschäftigende Volk im Amur-Lande. Art und Weise, ihn zu betreiben. Dabei herrschender Aberglauben, p. 548.— Uebereinstimmung darin mit manchen Polarvölkern, Ostjaken, Samojeden, p. 549. 9. Abschnitt. Jagd auf die Thiere des Waldes. Jagdgeräth. Eiserne Jagd- und andere Waffen und deren Anfertigung. Schutz- und Ehrenbewaffnung ..... . . N RE ..550—589 In umgekehrtem Verhältniss zum Fischfang stromaufwärts zunehmende Wichtigkeit und Be- deutung der Jagd, p. 550. Giljaken: Das der Jagd auf die Thiere des Waldes am wenigsten zugethane Völk des Amur- Landes. Nach Zweck und Charakter fast ausschliessliche Beschränkung ihrer Jagd auf Pelzthier- Schrenck's Amur-Reise, Band II, II ri fang, p. 550. — Betrieb der Jagd nur im eigenen Wohngebiet, in einem bestimmten Umkreise um die Winterwohnungen. Die der Jagd unterliegenden, wichtigsten Pelzthiere. Zobelfang mit der Quetschfalle, p. 551. — Dsgl. mit der Klemmfalle und mit Schlingen, p. 552, 553. — Beschaf- fenheit des zum Pelzthierfang dienlichen Selbstschusses, p. 554. — Aufstellung desselben für den Zobel, die Flussotter, den Fuchs und den Hasen, p. 554, 555. — Nichtbenutzung des Selbst- schusses grösseren Thieren gegenüber, p. 556. — Zum Fange von Füchsen und Wölfen dien- liche Klemmfalle und Aussetzung von Giftpillen zu demselben Zweck, p. 556, 557. — Geringe Bekanntschaft mit dem Feuergewehr. Eigenthümliche Bezeichnungen für seine Bestandtheile und sein Zubehör, p. 557. — Bogen und Pfeile die einzige Schusswaffe der Giljaken. Materialien, aus denen die Bogen gemacht werden, p. 558. — Verschiedene Arten von Pfeilen und Pfeil- spitzen, p. 559. — Vergiftung der Pfeile, wie bei den meisten übrigen paläasiatischen Völkern, bei den Giljaken nicht üblich. Köcher, p. 560. — Stosswaffen: Bärenspiesse, Lanzen, Speere. Jagd auf Elenn- und Rennthiere vermittelst derselben, p. 561. — Bärenjagd und Gefangennahme, p. 562, 563. — Bezüglich des Zobelfanges herrschender Aberglauben. Jagd auf Federwild, p. 564. — Erbeutung und Aufziehung von Fischadlern (Haliaetos pelagieus und H. albieila), p. 565. — Be- stätigung der alten Nachrichten über kunstvoll gemachte Waffen und andere metallische Arbeiten der Giljaken, p. 566. — Ort, wo diese Arbeiten hauptsächlich gemacht werden. Art und Weise, das Eisen zu schmieden, p. 567. — Metalle, die ausser und neben dem Eisen verwendet werden. Japanischer Ursprung der Kenntniss des Eisens und seiner Bearbeitung bei den Giljaken und Oltscha, im Gegensatz zum mandshu-chinesischen bei den Golde, p. 568.— Aino als Vermitt- ler darin zwischen den Japanern und Giljaken, p. 569. — Späterer Rückgang der Schmiede- kunst bei den Aino und gedeihlicher Fortgang bei den Giljaken, p. 570. — Durch die Gi- ljaken und Aino den Oroken zugekommene Kenntniss des Eisenschmiedens. Die Oroken — gegenwärtig Rohlieferanten von Eisenwerk den Giljaken gegenüber, die Aino—nur Zwischen- träger des Rohmaterials. Itälmenen — das dritte palaasiatische Volk, das seine Kenntniss des Eisens aus Japan, und zwar ebenfalls durch Vermittelung der Aino (Kurilen) erhalten hat, p. 571. — Die Verbreitung der Eisenkenntniss aus Japan zu den Aino, Giljaken und Itälme- nen — eine Folge seiner geographischen Lage ihnen gegenüber und somit erst von der Zeit an dalirend, da diese zu Randvölkern geworden, p. 572. — Ehemalige Schutzbewaffnung der Giljaken: mandshurische Eisenpanzer von imaginärem hohen Werthe, p. 573. — Ihre hohe Werthschätzung seitens der Mandshu. Die Anfertigung derselben durch die Golde— ein Beweis der Entlehnung ihrer Schmiedekunst von den Mandshu-Chinesen. Netzpanzer, p. 574. — Höl- zerne Ehrenwaffe «Mungtsche», p. 575. Aino: Uebereinstimmung im Jagdbetriebe mit den Giljaken, p. 576. — Lähmender Einfluss des japanischen Joches auf den Pelzthierfang der Aino, p. 577. Oroken: Dem Hauptwesen und Charakter nach Jagdnomaden, eifrig den Pelzthierfang betrei- bend, zugleich geschickte Rennthier- und muthige Bärenjäger, p. 577. Tungusische Völker des unteren Amur-Landes: Stromaufwärts wachsende Neigung und Bega- bung der Anwohner des Amur und seiner Zuflüsse zur Jagd, unter begünstigenden Naturver- hältnissen, p. 577. — Bereicherung der Säugethierfauna von der Amur-Mündung stromauf- und landeinwärts, in den Gebieten der Negda, Oltscha, Samagirn und Golde. Das Gebiet der Orotschen hinsichtlich seiner Jagdthiere demjenigen der Giljaken gegenüber auch noch im Vortheil. In grösserem Umfange betriebener Pelzthierfang, p. 578. — Erstreckung der Jagd auch auf das zur Nahrung und Kleidung wichtige Roth-, Hoch- und Schwarzwild. Längere Dauer und grössere räumliche Ausdehnung der Jagden. Leben und Treiben der Jäger während derselben, p. 579. — Freie Wahl des Jagdterrains, unabhangig von etwaigen Völkergrenzen, Jagdstreifzüge der Rennthier- Tungusen, Oltscha und Samagirn in das giljakische, der Oltscha und Golde in das Orotschen-Gebiet, p. 580. — Internationales Jagdterrain am unte- ren Gorin. Ständige und wechselnde, grössere und kleinere Jagdzelte in demselben, p. 581. — Pelzthierfang daselbst und Besuch durch chinesische Händler. Hochwildjagd ebenda, besonders auf das Elenn, p. 582. — Dsgl. auf Edelhirsch, Reh, Moschusthier, Wildschwein. Jagdgründe der obe- ren Golde an den rechten Amur- und Ussuri-Zuflüssen. Gebrauch von Hunden zur Jagd, p. 583.— Jagd auf Canis procyonoides und andere dem nördlicheren Amur-Lande fehlende Thiere. Pelzthier- und Hochwildjagd an den Ussuri-Zuflüssen, p. 584. — Analogie der dortigen Rehjagd mit der Seite XI Seite. Rennthierjagd in den Polargegenden Sibirien’s. Vorsicht bei der Wildschweinjagd und nur gele- gentliche Erbeutung des Tigers. Gewinn von dem letzteren, p. 585. — Maassgebende Bedeutung der Jagd fürs gesammte Leben der Orotschen. Ständig besuchte Jagdreviere. Beschränkung der Jagd auf das eigene Wohngebiet, in Folge seiner Abgeschiedenheit und des Mangels an beque- men, durch die Eisdecke grosser Flüsse gebotenen Verkehrsstrassen. Aehnlicher Betrieb der Jagd wie bei den anderen tungusischen Stämmen. Erbeutung des Moschusthieres nach Art der Aino, p. 586. Schluss: Veränderung und Verschiebung der gesammten Lebensverhältnisse der unteren Amur-Völker nach Maassgabe ihrer Hauptbeschäftigung mit der Jagd, oder dem Fischfang, p. 537. v Gegensätze bezüglich der Jagd zwischen dem unteren und dem oberen Amur-Lande sowohl in Betreff der Hauptbeschäfligung und gesammten Lebensweise ihrer Volker, als auch der das Hauptobjekt der Jagd bildenden Thierarten. Abnahme der Pelzthiere und besonders des Zobels im oberen Amur-Lande, in Folge der stetigen und angestrengten Jagden sowohl als auch der häufigen Waldbrände, p. 588.—Allmählich im oberen Amur-Lande erfolgende und zum Theil be- reits erfolgte Wandlung des Zobelfanges in den Eichhörnchenbetrieb. Beschleunigung derselben durch die im Laufe der Zeit gewachsene Einfuhr und Einbürgerung handlicher Schiessgewehre. Mit der Besitznahme und Kolonisirung des Landes durch die Russen eingetretene Verbreitung des Feuergewehrs, nebst gleichzeitiger Zunahme der Jagerzahl im unteren Amur-Lande, und daraus erwachsende Gefahr fur den Wohlstand seiner indigenen Bevölkerung, p. 589. 10. Abschnitt. Handel. Werthschätzung der vornehmsten im Handel, Haushalt und sonstigen Leben vorkommenden Gegenstände. Handelsverkehr der Amur-Völker unter einander und mit den Mandshu-Chinesen, Japanern und Russen. Ein Blick in die jüngstvergangene Geschichte des Handels und der Herrschaft der Mandshu-Chinesen im unteren Amur-Lande. ......... 590 —630 Handel — die dritte, den Fischfang und die Jagd ergänzende Existenzquelle der Amur-Völ- ker, p. 590. Giljaken: Dasjenige unter den indigenen Völkern des Amur-Landes, das am meisten Sinn und Begabung für den Handel und die ausgebreitetsten Handelsbeziehungen hat, p. 590. — Centrale Stellung der Giljaken bezüglich des von den Amur-Völkern sowohl unter einander, wie mit den sie umgebenden Culturvölkern betriebenen Handels. Begünstigung durch die geographischen Verhältnisse ihres Landes. Reger Handelsgeist, p. 591. — Praktischer Sinn, Klugheit, Zahigkeit und Gewandtheit im Handel. Trotz des ausschliesslichen Tauschhandels, eine absolute Werth- schätzung aller im Handel vorkommenden Gegenstände und somit eine ihr zu Grunde liegende Wertheinheit vorhanden, p. 592. — Schwierigkeit, sie bei den Giljaken zu erkennen, und ihr deutliches Entgegentreten bei den Golde, p. 593. — Die den Chinesen entnommene, durch keine Münze repräsentirte Wertheinheit (Silberunze, gilj. ja) bei den Amur-Völkern eine imaginäre Grösse, p. 594. — Normirung des Tauschhandels durch dieselbe. Werthschätzung der vornehm- sten Waaren und anderen Gegenstände, p. 595—598. — Schlussfolgerungen daraus bezüglich ein- zelner Waaren und Gegenstände, p. 598, 599. — Vergleichung des giljakischen Preiscourants mit dem goldischen, p. 600.—Erselzung der Jagd bei den Giljaken durch den Handel mit ihren jagd- lustigeren und geübteren Nachbarn. Fernhaltung der chinesischen Händler von ihrem Gebiet. Uebernahme ihrer Rolle durch die Amur- und Tschomi-G iiljaken, p. 601. — Handelsfahrten der Amur-Giljaken zu den Negda am Amgunj und den Samagirn am Udyl-See, p. 602. — Desgl. 11° Xi zu ihren Landsleuten am Ochotskischen Meer. Fahrten der Amur- und Tschomi-Giljaken nach Sachalin zum Handel mit ihren dortigen Landsleuten und mit den Oroken und Aino, p. 603. — Handel der Sachalin-Giljaken mit den Nachbarstämmen der Insel. Chinesische Händler am unteren Amur und ihr Benehmen den Eingeborenen gegenüber, p. 604. Ihr geringer Erfolg bei den Giljaken, p. 605. — Handelsreisen der Giljaken «zu den Mandshu» am Sungari, p- 605, 606. — Ihr Benehmen der mandshu-chinesischen Regierung gegenüber. Behandlung der zum Handel nach Ssan-ssin kommenden Giljaken, Oltscha und Golde seitens der Mandshu-Beamten und chinesischen Kaufleute, p. 607. — Beiderseits in den Handel gebrachte Waaren. Rückreise vom Sungari, p. 608. — Aelteste Nachrichten über den Handel der Gilja- ken und Oltscha mit den Japanern, p. 609. — Handelsreisen der Giljaken «zu den Ssisam» (Japanern) auf Sachalin, p. 610. — Unterwegs, besonders zu Najoro betriebener Handel mit den Aino. Behandlung der Ssisam-Fahrer in Ssiranussi seitens der Japaner, p. 611. — Beiderseits in den Handel gebrachte Waaren. Oft verlängerter Aufenthalt der Ssisam-Fahrer auf Sachalin und Rückreise, p. 612. — Neuerliches Bestreben der Japaner, die Ssisam-Fahrer fernzuhalten. Rückblick und Schluss: die Giljaken — Handelsvermittler zwischen den Chinesen und Japanern. Parallele mit den Tschuktschen, als Handelsvermittlern im polaren Norden zwischen Europa- Asien und Amerika, p. 613. Oltscha: Aehnliche, zum Theil in denselben Bahnen sich bewegende Handelsthätigkeit wie diejenige der Giljaken. Handel mit den Orotschen und die ihm zu Grunde liegenden natürli- chen Strassen, p. 614. — Geringerer Umfang und geringere Ergiebigkeit ihres Zwischenhandels im Vergleich mit den Giljaken. Schmälerung desselben durch die Golde. Grössere Ausbeutung im Vergleich mit den Giljaken durch die in ihrem Gebiet sich aufhaltenden chinesischen Händ- ler. Handelsreisen zu den Mandshu-Chinesen am Sungari und den Japanern auf Sachalin, wie bei den Giljaken, p. 615. — Die unter den tungusischen Völkern einzig dastehende Handelsthätig- keit der Oltscha einem langjährigen Einfluss der Giljaken zuzuschreiben, p. 616. Golde: Ausbreitung des giljakischen Einflusses durch Vermittelung der Oltscha auch über die Golde und dem entsprechende, wenn auch viel geringere Handelsthätigkeit der letzteren. Lähmung derselben durch den Druck und die Ausbeutung von Seiten der Mandshu-Beamten und der chinesischen Kaufleute. Zunahme der Handelsthätigkeit bei den Völkern des unteren Amur- Landes nach Maassgabe ihrer Entfernung vom Haupthandelsmarkt am Sungari und ihrer grösse- ren Unabhängigkeit von den Mandshu-Chinesen, p. 616. — Vergleichung der geschilderten Handelsverhältnisse mit denen, die etwa ein halbes Jahrhundert zuvor im unleren Amur-Lande bestanden, und daraus ersichtliche Wandlung derselben, — einen Blick in die jüngstvergangene Geschichte des unteren Amur-Landes und seiner Völker eröffnend. Mamia Rinsö’s Besuch des Handelsortes Deren und seine Schilderung des Lebens und Treibens in demselben, p. 617, 618. — Gegenwärlige Beschaffenheit der Oertlichkeit, wo Deren lag. Auf- lösung des Handelsorts, Zurückziehung des officiellen mandshu-chinesischen Handels vom unteren Amur und seine Concentrirung am Sungari, p. 619. — Gleichzeitig erfolgter Rückzug der ge- sammten mandshu-chinesischen Herrschaft aus einem grossen Theile des unteren Amur-Landes. Mamia Rinsö’s Schilderung der Unterwerfung der Sachalin-Giljaken durch die Mandshu und ihrer Tributspflichtigkeit den letzteren gegenüber, p. 620. — Aehnliche Erzählung desselben Reisenden bezüglich der Sachalin-Aino, p. 621. — Bestätigung der Angaben Rinsö’s durch an- dere, europäische Reisende, p. 622. — Gegenwärlige, unabhängige Stellung der Aino, Giljaken und Oltscha den Mandshu gegenüber. Beweggründe der mandshu-chinesichen Regierung zur Zurückziehung ihrer Herrschaft von Sachalin und dem untersten Amur-Laufe, p. 623. — Ver- wüstung des Landes um Kidsi. Zerstörung der dortigen Porzellanindustrie, p. 624, 625. — Ver- ödung des gesammten oberen Oltscha-Gebietes, p. 626. Biraren, Manägirn, Orotschonen: Uebereinstimmung bezüglich der Handelsartikel mit den unte- ren Amur-Völkern, p. 626. — Durch geographische und politische Verhältnisse bedingte Abge- schiedenheit der oberen Amur-Völker von den unteren bezüglich des Handels. Wesentlich ver- Seite. schiedene Handelsbeziehungen zu den benachbarten Culturvölkern, p. 627. — Abfluss der Jagd- ausbeuten der Orotschonen nach dem russischen Daurien. Handel der Manägirn und Bira- ren mit den Jakuten, p. 628. — Hauptrichtung ihres Handels die Dseja und Bureja abwärts zum mittleren Amur und Concentrirung in Aigun, dem Ssan-ssin des oberen oder mittleren Amur-Stromes. Grosser Jahrmarkt in Tsitsikar, p. 629. Dauren: Haupthandelsvolk im oberen Amur-Lande gegenüber den Orotschonen des Grossen Chingan-Gebirges und den Manägirn und Biraren an der Dseja und Bureja bis zum Stanowoi- Gebirge hinauf, p. 629. — Berührung mit den Negda und Giljaken auf dem Handelsplatze Bu- rukan. Begünstigung durch die Mandshu den Chinesen gegenüber. Parallele zwischen den Dau- ren und Giljaken: jene bezüglich des Handels — die pragnanteste Charaktergestalt des oberen, diese — des unteren Amur-Landes, p. 630. Seite. XI VERZEICHNISS DER TAFELN. Da die Tafeln im Laufe mehrerer Jahre und geraume Zeit vor Abfassung des Textes angefertigt wurden, so entspricht die Reihenfolge der einzelnen Abbildungen keineswegs immer dem im Text eingehaltenen Gange. Aus diesem Grunde und um allen Wiederholungen bei Erklärung der Tafeln zu entgehen, ist für eine jede Abbildung der Ort angegeben, wo im Text von dem betreffenden Gegenstande die Rede ist. Tafel X. Das Innere einer giljakischen Erdjurte auf Sachalin (p. 321— 323). Tafel \I. Giljakische Winterhäuser, im Dorfe Tebach am Amur, zum Bärenfest ausgeschmückt (p- 326). Belustigungen vor denselben. Tafel XI. Das Innere eines giljakischen Winterhauses (p. 327, 328). Fütterung der Hunde in dem selben (p. 480). Tafel XIII. Giljakische Sommerjurte, im Dorfe Mäo am Amur (p. 355). Tafel XIV. 1 — Sommerjurte (Dauro) der Oltscha (p. 370). 2—Sommerjurte (Dauro) der Amur- Golde (p. 372). xV Tafel XV. 1 — Manägirn-Zelt (p. 381). 2 — Sommerzelt der Sungari-Golde (p. 373). Tafel XV. Sommerzelt der Orotschen im Kaiserhafen (p. 373). Tafel AV. Giljaken in Sommerkleidung, Mann und Weib (p. 387). Tafel XVII u. XIX. Giljaken in Winterkleidung (p. 388, 389). Tafel XX. Giljakische Kleidungsstücke: 1, 2 — Hut aus Birkenrinde (p. 387). 3, + — Fausthand- schuhe (p. 393) / 5 — Öhrenwärmer (p. 393). Tafel XXI. Wintermützen der Giljaken: 1 — Elegante Männermütze (p. 393). 2 — Gewöhnliche Weibermütze (p. 397). 3 — Elegante Weibermütze aus chinesischem Seidenzeug (p. 397). 4 — Dsgl. aus Luchsfell mit Zobelfellverbrämung (p. 397). Tafel XXl. Giljakische Kleidungsstücke: 1, 2 — Ohrenwärmer (p. 393). 2 — Brustlatz (p. 394). 4, 5 — Pelzärmelbinden (p. 393). Tafel XXI u. XIV. Giljakische Muster zu Nähereien und Stickereien (p. 399, 400). Tafel XXV, XAVI u. XV. Giljakische Muster mit Thierfiguren und Arabesken aus Birkenrinde (ebenda). Tafel XXVIH. Giljakische Utensilien (natürl. Gr.): 1, 2 — Pfeifenpurrer aus Eisen (p. 396). 3 — Dsgl. aus Knochen (p. 396). 4 — Feuerschwammdose aus Störhaut (p. 396). 5 — Feuerschwamm- täschchen aus Seehundsleder (p. 396). 6 — Tabaksöltäschehen (p. 469). XVI Tafel XXIN. Giljakische Utensilien und Schmucksachen (nat. Gr.): 1 — Feuerstahl (p. 396). 2 — Na- deldose (p. 401). 3— Hölzchen zum Glätten von Zeug (p. #02). %, 5 — Hemdsknopf aus Holz (p. 392). 6 — Grosser Ohrring (p. 416). 7 — Kleiner Ohrring (p. #16). 8, 9 — Arm- spangen (p. 418). Tafel XXX. Golde in Sommerkleidung (p. 407) vor einer sogen. Homord, einem halbeylinderförmi- gen Zelte (p. 375). Tafel XXX. Giljakische Messer: 1 — Gewöhnliches grosses Gürtelmesser (ngawla dshakko, p. 395). 2 — Gürtelmesser mit eingelegten Figuren aus Silber und Kupfer (p. 395, 567). 3 — Lederne Scheide zu demselben (p. 395). + — Messer zum Schneiden von Holz ete. (yi-dshakko, p. 395). 5 — Scheide aus Störhaut zu demselben (p. 395). 6 — Gewöhnliches Fischmesser der Wei- ber (tscho-mauwa, p. #26). Tafel XXAH. Giljakische Messer u. a. Utensilien; 1 — Messer zum Zerschneiden von Fisch (p. 426). 2— Messer «dan-dshakko», bei den Näharbeiten der Weiber gebräuchlich (p. 402). 3—Messer «kydr-dshakko», mit welchem feinere Holzarbeiten und namentlich auch die Querstreifen auf den Lanzen- und Messerstielen gemacht werden (p. 447, 575). #— Messer mit gebogener Klinge, zum Aushöhlen (p. 447). 5—Messer «Kysmrk- oder kyssk-dshalko», zum Zerschneiden der Nabelschnur. 6 — Grosser Bohrer (p. 502). 7 — Dazu gehöriges Eisenstäbchen (p. 502). 8 — Kleiner Bohrer (p. 502). Tafel XXXIM. Giljakisches Haus- und Tafelgeräth: 1 — Wassereimer aus Birkenrinde (p. 445). 2—Schul- terjoch zum Tragen der Eimer (p. 445). 3 — Eiserner Kessel von japanischer Arbeit (p. 446). 4 — Eiserner Kessel von chinesischer Arbeit (p. 446). 5 — Eiserner Schöpflöffel (p. 446). 6, 7 — Hölzerne Speiseschalen nebst Gabelstäbchen (p. 446, 447). 8 — Schale aus Birken- rinde zur Aufnahme von Speisen (p. 446). Tafel XX\M. Giljakisches Haus- und Tafelgeräth: 1 — Hölzerner Trog zum Auftragen von Speisen (p- 446). 2, 3— Grosse hölzerne Schale (p. #46). # — Hand- oder Schoosstischehen (p- 427, 4 446). 5, 6—Hölzerne Rühr- und Schöpflöflel (p. 446). 7—Gewöhnlicher Esslöflel. 8—Brett XV zum Zerschneiden des Tabaks (p. 469). 9 — Brett, das der Sauberkeit wegen unter die über der Sitzbank hängende Kinderwiege gelegt wird. Tafel XAXV. Schneeschuhe der unteren Amur-Völker: 1, 2, 3—Kleine giljakische Schneeschuhe (p. 473). 4,5, 6 — Grosse giljakische Schneeschuhe (p. 47%, 475). 7,8, 9 — Grosse amur-tungusische Schneeschuhe, der Samagirn, Oltscha, Golde (p. 476, 477). Tafel XXX. 1 — Giljakischer Schlitten (p. 481—483). 2, 3—Giljakischer Hundeanspann (p. 484). 4,5 — Elegante, mit Quasten aus rothgefärbter Schafs- oder Ziegenwolle versehene Hundehals- bänder (p. 485). Tafel XXAVI. Ein Giljake mit vollbeladenem Schlitten auf der Fahrt (p. 484— 486). Tafel AXAVIH. Böte der Amur-Völker: 1 — Gewöhnliches giljakisches oder goldisch-giljakisches Boot (p- 501— 506). 2, 3—Ruder und Steuerruder dazu (p. 503, 504). 4—Aus einem Baum- stamme ausgehöhltes Boot der Oltscha und Golde (p. 507). 5 — Birkenrindenkahn der Oltscha und Golde, und zwar die schmälere, vorn und hinten verdeckte Form desselben (p- 510). 6—Aus einem Baumstamme ausgehöhltes Boot der Biraren (p. 511). Tafel ANA. Opferfahrt der Giljaken beim Aufgang des Amur-Stromes (p. 517). Tafel XL. Giljakisches Fischereigeräth: 1—Angelhaken zum Fange von Gadus Wachnja (p. 531). 2—Stange mit eisernem Haken zum Herausziehen grosser Fische aus dem Wasser (p. 519). 3—Handnetz zum Reinigen der Eislöcher (p. 520). 4# — Spitze eines langen, zum Aufstellen des Netzes unter dem Eise dienlichen Stabes, gilj. odn-tschongr |p. 920). Tafel XL. Fischereigeräth der Giljaken, Oltscha und Golde: 1,2, 3, #— Filetnadeln und 5, 6— Maschenbrettchen zum Stricken von Fischernetzen (p. 533). 7 — Beim Netzstricken gebräuch- 1 Schrenck's Amur-Reise, Band III. XV liche Garnhaspel (p. 532). 8$—Dreizackige Fischharpune (p. 521). 9—Angelhaken zum Fangen von Stören und Hausen. 10— Dazu gehöriger Anker (p. 521). Tafel XL. Seehunds- und Weisswalfanggeräth der Giljaken: 1—Ende einer sehr langstieligen Har- pune (gilj. /ych) zum Erlegen von Seehunden. 2— Dazu gehörige, auch zum Stör- und Hau- senfange dienliche Harpunenspitze (p. 521, 545). 3, # — Harpune zum Erlegen von Weiss- walen (p. 548). Tafel XLIH. Giljakisches Jagdgeräth: 1 — Selbstschuss (p. 554). 2—Dazu gehöriges, den Schuss ver- mittelndes Hölzchen (p. 55%). 3—Zielstock zum Aufstellen des Selbstschusses für den Zobel, die Flussotter, den Fuchs und den Hasen (p. 555). #—Klemmfalle für den Zobel u. a. kleine Thiere (p. 552, 553). Tafel XLIV. Jagdgeräth und Schutzbewaflnung der Giljaken: 1 — Alter giljakischer Netzpanzer (p.574). 2, 3— Alter mandshurischer Eisenpanzer: Kopfstück oder Helm und (defektes) Brust- oder Rumpfstück (p. 573). 4, 5—Giljakischer Bogen mit Fischbeinbekleidung und Silberverzie- rungen (p. 999). Tafel XLV. Giljakisches Jagdgeräth: 1,2, 3— Eiserne Pfeilspitzen (p. 559). 4— Unteres, beschwingtes Ende eines Pfeilschaftes (p. 559). 5—Daumenring zum Spannen des Bogens (p. 418). 6, 7— Giljakische Köcher, aus Holz (p. 560). 8—Orotschen-Köcher, aus Fell (p. 560). Tafel XLVI. Giljakisches Jagdgeräth: 1 — Pfeil zum Schiessen von Vögeln (p. 559). 2—Bärenspiess oder Axt mit langem Schaft (p. 561). 3 — Hölzerne Ehrenwafle «Mungtsche» (p. 575). %, 5— Speerspitzen von giljakischer Arbeit mit eingravirten oder aus Silber, Kupfer und Mes- 5 5 UL sing eingelegten Arabesken und Thierfiguren (p. 561, 567). XIX Im Text enthaltene Holzschnitte. Seile fBlan einer giljakischen Erdjurte (boryf) . - .» » 2 22... 2.2000 ne nn. . 322 2. » » chinesischen Winterjurte der Giljaken (fschadryf) . » 2... . 9326 3.» Der ciljakıschen‘Sommerjurte (Köryfa) ul ad ne sn arena ae 396 Bes veines Siljakischen, Vorrathshauses (MO)... u... 20 u 0. ne en. 308 5.0 »5 einer klemen Wänterjurte der Oltscha. . 2.2... 222... .20000 0.869 BmeSchneeschulistockader, Gulfaken 2... lea 5 sl ne a ann nne #76 7. Ein mit dem Ryssk (eleganten Halsbande) geschmückter Hundekopf . . ..... . 485 8. Rennthierschlitten der Oroken . 192 2). (Billg/Ksalbsv Inoenkte ee ee) 10. Hohläxte der Oroken, der Otaheiti-Insulaner und der Papua. .. 2.2 .2......909 11. Breitere und flachere Form des Birkenrindenkahns (dsai) der Golde . .......510 12. Eine Lachswehr (gilj; myr) im Amur-Strome .. .. 2.22.0200 220000. 0929 13. Gebrauch des Zych's (einer sehr langen Harpune) zum Seehundsfange bei a Giljaken 546 Berichtigungen. Seite 515, Anmerk. 2 statt p. 64 lies p. 58 Tafel XV, Fig.1 » Manegir-Zelt » Manägirn-Zelt » XXXI » 1.» ngawta-dshakko » ngawla-dshakko » XLV » (Fig.) 6 » (Fig.) 6,7 » » » » 7; 8 » » 8 II. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. Erste Hälfte: Grundbedingungen und Bestandtheile des äusseren Lebens. i 4. Abschnitt. Geringe und ungleichmässige Dichtigkeit der indigenen Bevölkerung des Amur-Landes. Folgen ehemaliger Kriegsverheerungen und neuerlicher epidemischer Krankheiten. — Wahl und Wechsel der Wohnorte nach den Jahreszeiten. Winter- und Sommerwohnungen. Jagd- und Nachtlagerzelte. Vorrathshäuser und Niederlagen. Indem ich an die Schilderung des Lebens und Treibens der Amur-Völker gehe, muss ich zuvörderst eine auf die Behandlung des Stoffes bezügliche Bemerkung vorausschicken. Da es hier wesentlich auf eigene Beobachtungen und Erlebnisse ankommt, und meine Bekanntschaft mit den einzelnen Amur-Völkern, wie schon in der Einleitung erwähnt worden, eine sehr ungleiche ist, so muss die bisher, in den beiden ersten Theilen dieser Arbeit, streng durchge- führte parallele Nebeneinanderbetrachtung aller Amur-Völker hier insofern eine Einschränkung erfahren, als manche von ihnen, mit denen ich nur in allzuflüchtige Berührung gekommen, von der Einzelbetrachtung ausgeschlossen und nur gelegentlich und vergleichsweise erwähnt werden sollen. Das gilt namentlich von den Aino, deren Leben und Treiben in neuerer Zeit, seitdem Japan den Europäern allgemein zugänglich geworden, von mancher Seite recht eingehend geschildert worden sind, während ich dieselben nur im Vorübergehen auf Sachalin kennen gelernt habe. Nicht minder bezieht es sich auf die Sungari- und oberen Amur-Völker, die mir nur in einzelnen Individuen zu Gesicht gekommen sind, ja auch auf manche der Anwohner der linken Zuflüsse des unteren Amur-Stromes. So wird sich die Betrachtung in den nachstehenden Blättern mehr und mehr auf die Völker des unteren Amur-Landes und unter ihnen insbesondere auf die Giljaken concentriren. So gross auch die Verbreitungsgebiete einzelner Amur-Völker auf unserer Karte erscheinen, so ist die Gesammtzahl der respeetiven indigenen Einwohner doch immer nur eine geringe und die Schrenck's Amur-Reise, Band III. 40 312 Die Völker des Amur- Landes. Bevölkerung allenthalben eine mehr oder minder spärliche. Es verhält sich damit im Amur- Lande wie anderer Orten, denn bekanntlich sind Naturvölker niemals zahlreich. Man pflegt den Hauptgrund davon in den in einer oder der anderen Beziehung ungünstigen Verhältnissen der sie umgebenden Natur zu suchen '). Wo, wie im Amur-Lande, ein rauhes, nordisches Klima, mit lange dauerndem, hartem Winter herrscht, da bedarf der Mensch selbstverständlich mancher Gulturmittel, um der Unbill desselben erfolgreich widerstehen zu können. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass es zunächst nicht das Fehlen dieser äusseren Gultur- mittel, sondern vielmehr gewisse, allen Naturvölkern mehr oder weniger eigene Charaktereigen- thümlichkeiten und für ihre Lebensgestaltung maassgebende Anschauungen sind, welche ihren Kampf mit der Natur lähmen und trotz der Fähigkeit des Menschen, sich an jegliches Klima zu gewöhnen, ihrem rascheren Zuwachse hemmend entgegentreten. Solche Eigenschaften der Naturvölker sind die Sorglosigkeit und Trägheit, welche den Menschen davon abhalten, an die Beschaffung von Lebensmitteln für sich und die Seinigen über die nächste Zukunft hinaus zu denken und ihn somit dem Hunger und Elend oder gar dem Tode preisgeben, wenn ihm wider Erwarten die Natur ihre Gaben zeitweise versagt. Die haupt- sächlich vom Fischfang lebenden Völker des unteren Amur-Landes, insbesondere die Giljaken, Oltscha, Golde, trifft dieser Vorwurf in geringerem Grade, und doch habe ich, trotz des zeit- weise kolossalen Fischreiehthums des Amur-Stromes und seiner Zuflüsse oder des Tymy-Flusses auf Sachalin, zuweilen auch Glieder dieser Völker bei sehr mangelhaften Vorräthen angetroffen. Schlimmer steht es in dieser Hinsicht um die Völker, deren Existenz vornehmlich auf der Jagd beruht, da diese einerseits es mit einem von der Natur minder massenhaft und regelmässig zu bestimmten Zeiten dargebotenen Material zu thun hat, und andererseits eine unstäte, nomadische, dem Anlegen und Sammeln von Vorräthen ungünstige Lebensweise des Volkes mit sich bringt. Unter den Amur-Völkern habe ich dabei hauptsächlich die Orotschen des Küstengebietes und die Biraren, Manägirn und Orotscehonen im Auge. Einen noch grösseren, weil tiefer gehenden Einfluss auf die geringe Kopfzahl und den langsamen Zuwachs unter den Naturvölkern muss ich der unter ihnen so allgemeinen Miss- achtung und Misshandlung des weiblichen Geschlechts zuschreiben. Wird überhaupt der Bil- dungsgrad eines Volkes dadurch gekennzeichnet, welche Stellung es dem Weibe in seiner Mitte einräumt, so darf es nicht weiter Wunder nehmen, wenn alle rohen Völker in dem Weibe, weil- es physisch schwächer als der Mann ist, gewissermaassen ein Wesen niederer Art sehen und es auch darnach behandeln. In Folge abergläubischer Vorstellungen, die sich bei den Gilja- ken, wie bei allen Naturvölkern, hauptsächlich an die Geburt und den Tod des Menschen knüpfen, wird bei ihnen das Weib in der: Zeit, da es am meisten der Schonung und Pflege bedarf, während der Niederkunft und in den auf dieselbe folgenden Tagen, trotz Wind und Wetter unbarmherzig aus dem Hause gewiesen. Während der Mann die meiste Zeit seines 1) Vrgl. z. B. G. Gerland, Ueber das Aussterben der Naturvölker, Leipzig 1868, p. 82. Hauptursachen der geringen Kopfzahl der indigenen Amur-Völker. 313 Lebens in Nichtsthun verbringt, ruhen auf dem Weibe alle und selbst die schwersten Arbeiten im Bestellen des Hauswesens und in Allem, was drum und dran hängt. In Folge einer solchen, ihre Kräfte oft übersteigenden Arbeitslast haben die Weiber bei den Amur-Völkern meist ein gedrücktes und verkommenes Aussehen, altern frühzeitig und verlieren wohl auch vor der Zeit ihre Fruchtbarkeit. Es ist nicht wohl denkbar, dass eine solche Missachtung und Misshandlung des Weibes auf die Zahl und Kräftigkeit der Progenitur nicht von dem grössten und nachtheilig- sten Einfluss sein sollte, und, ohne die Bedeutung der Naturumgebung läugnen zu wollen, glaube ich, dass in diesen Verhältnissen ein Hauptgrund für die geringe Individuenzahl und den lang- samen Zuwachs unter den Naturvölkern zu suchen ist. Bei den obigen Betrachtungen habe ich nur solche Völker im Auge gehabt, die noch in ihren natürlichen Verhältnissen, ohne anhaltende Berührung oder Conflikt mit einem Gultur- volke dahinleben. Tritt jedoch ein solcher Gonflikt ein, so ändern sich rasch auch die ursprüng- lichen Bevölkerungsverhältnisse. Dann beginnt jener Zersetzungs- und Auflösungsprozess eines Naturvolkes, der in seinen einzelnen Phasen, wie Verarmung, Abnahme an Kopfzahl, physi- scher und moralischer Verfall, Verlust aller Eigenart und zuletzt sogar Hinsterben der Sprache und damit auch des Volkes, oben bereits besprochen worden ist!), — ein Prozess, der oft noch durch Kriege, immer aber durch verheerende epidemische Krankheiten beschleu- nigt wird. In einen solchen Prozess, sagte ich), sind gegenwärtig auch die Amur-Völker getreten. Zur Zeit meines Aufenthaltes im Amur-Lande war dies jedoch noch nicht der Fall. Allerdings hatte es schon lange vordem Berührungen und Conflikte zwischen ihnen und den sie umgebenden Culturvölkern, Russen, Chinesen, Japanern, gegeben und gab noch welche, allein theils waren diese Berührungen von anderer, friedlicherer Natur, theils hatten sie, wenn sie einen zerstörenden Charakter trugen, doch nur kurze Zeit stattgefunden und auch nicht alle Amur- Völker in gleichem Maasse betroffen. Daher ist auch ihr Einfluss auf die hier in Rede stehende Stärke der indigenen Bevölkerung des Amur-Landes in den verschiedenen Theilen desselben sehr ungleich gewesen. Ueber das untere Amur-Land gingen die Raubzüge der russischen Kosaken und Freibeuter im XVII. Jahrhundert nur wie ein blutiges Meteor hinweg, und die Insel Sachalin berührten sie gar nicht. Zwar mag die Bevölkerung einzelner Ortschaften, Golde (Natken), Oltscha (Atscha- nen) und Giljaken, durch dieselben nicht unerheblich vermindert worden sein, allein das völlige Ausbleiben der Friedensstörer in der Folgezeit gab ihr gewiss die Möglichkeit baldiger Erholung von den erlittenen Schlägen. Dass diese erste Berührung der unteren Amur-Völker mit Europäern — wenn man diese aus Sibirien einbrechenden Freibeuterschaaren noch so nennen darf — ihnen irgend welche verheerende Krankheit gebracht hätte, ist zum wenigsten nicht bekannt und übrigens auch nicht wahrscheinlich, — dazu scheint der Conflikt einen zu acuten Charakter gehabt zu haben. Erst zwei Jahrhunderte später, nach der zweiten, definitiven Besitz- 1) S. oben, p. 2 u. 203. 2) S. oben, p. 3. 40* 314 Die Völker des Amur-Landes. nahme des Amur-Landes durch die Russen, brachen epidemische Krankheiten unter den unteren Amur-Völkern aus. Im Spätherbst 1856, bereits nach meiner Abreise aus dem Amur-Lande, trat eine verheerende Typhus-Epidemie unter den Golde auf. Sie war ihnen durch die von Kidsi nach Transbaikalien zurückkehrenden russischen Truppen gebracht worden. In Köurmi, wo diese mehrere Tage gerastet hatten, durch Tausch von Kleidern und Effekten am Typhus ver- storbener Soldaten auf die Golde übertragen, wüthete die Krankheit besonders in der Umge- gend der Gorin-Mündung, verbreitete sich aber auch weit aufwärts, bis zur Sungari-Mündung !). Bald darauf wurde das ganze untere Amur-Land von einer heftigen Pocken-Epidemie heimgesucht. Diese war zwar nicht von den Russen importirt, sondern kam von Süden, aus der Mandshurei °), und nahm ihren Lauf in umgekehrter Richtung, vom Sungari den Amur abwärts, fand aber in der unteren Stromgegend und auf Sachalin, wo die Eingeborenen durch die russische Kolonisa- tion schon vielfach aus ihren natürlichen Verhältnissen hinausgetreten waren, einen äusserst fruchtbaren Boden. Gegen Ende des December 1856 fand sich die Epidemie, den Sungari abwärts schreitend, an der Mündung desselben ein®). Im Juni 1857 erreichte sie, dem unteren Amur folgend, Kidsi, im Juli Uchtr, im September Nikolajefsk, und in den Wintermonaten 1857/58 wüthete sie an der Amur-Mündung, am Liman, am Ochotskischen Meere, bis über Kulj hinaus, und auf Sachalin. Nach den Schilderungen, die ich dem Doctor Pfeiffer, einem Augenzeugen dieser Ereignisse, verdanke, trug die Krankheit durchaus den Charakter einer auf neuem Boden auftretenden, verheerenden Epidemie. Während einzelne Dörfer der Giljaken, wie Tebach, Allof, merkwürdigerweise ganz unberührt blieben, verloren andere, wie Kulj, Langr, ihre halbe Bevölkerung, und viele Jurten starben ganz aus. Die Zahl der Opfer war um so grösser, als die Kranken, mit dem unheimlichen Gaste noch ganz unbekannt, um der Fieber- hitze zu entgehen, oft halbnackt Kühlung auf dem Schnee und im Winde suchten. Dr. Pfeif- fer meint nach den von ihm gesammelten statistischen Nachrichten, dass etwa 20%, der gilja- kischen Bevölkerung dieser Epidemie erlegen seien. Wenige Jahre später, im Frühling 1863, brachen unter den Golde die Masern aus, doch hatten diese nach Dr. Pfeiffer’s Angabe keinen bösartigen Verlauf und fanden sich nur bei Kindern ein. Sehr verheerend sollen hin- gegen die Pocken-Epidemien gewesen sein, die in den Jahren 1877 und 1881 am Ussuri am Bikı, lieutenant Nadarof an Ort und Stelle eingezogenen Nachrichten die Zahl der Golde- und und seinen Zuflüssen, Ima u. a. grassirten, indem sie nach den vom Obrist- Die Pocken sollen dort zuweilen starke Verheerungen anrichten, selbst Greise von 70—80 1) Haprauesckiii, MHobaara aumn. nmyT. BBePxB no | am Ussuri entstehen. p- Amypy, cosepm. #5 1856—57 rr. (Bberu. Ham. Pycer. l'’eorp. O6m., 4. XXI, C. Herepö. 1858, Or. II, erp. 165, 167). Desgl. nach schriftlichen Mittheilungen, die ich von Dr. Pfeiffer aus Nikolajefsk erhielt. 2) In der Mandshurei sind die Pocken, wohl dank den Chinesen, schon lange heimisch. Der Missionär De la Bruniere zählt sie unter den Krankheiten auf, die nach ihm «durch die Hitze, welche die Fischnahrung dem Blute verleihb», im Sommer unter den «Jupi-Latse» (Golde) Jahren ergreifen und sich bei manchen Personen 4 und 5 Mal wiederholen (De la Bruniere, Excurs. en Man- dehourie, en 1845. — Nouy. Ann, des Voyages», V® Ser. T. XVI, 1848 [T. IV], p. 113). 3) Gerade zu der Zeit, als der Kaufmann Parga- tschefskij, den Amur aufwärts reisend, diesen Ort passirte, Bevölkerungsverhältnisse im oberen und unteren Amur-Lande. 315 Orotschen-Bevölkerung im nördlichen Ussuri-Lande auf etwa Y, bis Y, ihres früheren Bestandes redueirten !). Kehren wir jedoch von diesen späteren, nebenbei berührten Ereignissen wieder zum ersten Conflikt der Amur-Völker mit den Russen zurück. Viel grössere und nachhaltigere Folgen als im unteren Amur-Lande hat die russische Invasion im XVII. Jahrhundert für die Bevölkerungsver- hältnisse des oberen Amur-Landes gehabt. Oben, im 2. Abschnitt dieses Werkes ?), ist bereits geschildert worden, wie sehr die damals noch zahlreiche daurische Bevölkerung am oberen Amur von den russischen Kriegszügen mitgenommen wurde, wie blutige Opfer sie dem an Tapferkeit und Bewaflnung ihr weit überlegenen Feinde zu bringen hatte, ja, wie sie einem fast sicheren baldigen Verbluten entgegenging. Nicht besser istesden Gogulen und den bereits im unteren Amur-Lande, von der Sungari-Mündung abwärts sesshaften Djutscheren ergangen, bis die chinesische Regie- rung, um den russischen Raubzügen ein Ende zu machen, alle diese Völkerschaften vom Amur an den Nonni und Churcha versetzte ?). Anstatt derselben rückten nun nomadische Jagdvölker, wie Biraren, Manägirn, Orotschonen, in spärlicher Anzahl zum Amur hinab *), und wenn in der Folgezeit auch manche Dauren wieder hinzogen, so geschah dies doch nur in sehr beschränktem Maasse, wobei sie sich in der ehemals von ihnen eingenommenen Landschaft oberhalb der Dseja-Mündung nicht wieder ansiedeln durften). So haben sich in Folge jener Kriegszüge die Bevölkerungsverhältnisse am Amur-Strome gewissermaassen umgekehrt: während ehedem das obere Amur-Land der stärker bevölkerte Theil war und eine recht zahlreiche, sesshafte, acker- bautreibende Bevölkerung hatte, die sich von dort in ununterbrochener Folge bis über die Sungari- und Ussuri-Mündung hinzog und nur im untersten Laufe des Stromes einigen spar- samer vertretenen Fischervölkern Raum gab, bot später dieses ichthyophage untere Amur-Land noch den belebtesten Theil des Ganzen dar, stromaufwärts hingegen verödet die Landschaft mehr und mehr, und am oberen Strome begegnet man, von dem einzigen, übrigens auch erst 1)4U. Haaaposn, Cbepuo-Yceypiickiit kpait (3a. Hnn. Pycex. Teorp. O6. IIo o61. Teorp. T. XVII, X 1, erp. 25, 29, 73). In dieser Schrift, welche in ethnographi- scher Beziehung manche schätzenswerthe Mittheilungen über die Man-dse, Golde und Orotschen des Ussuri- Landes enthält, braucht Hr. Nadaroffür die letzteren stets den Namen «Orotschonem, obgleich sie, wie er selbst bemerkt, bei allen unseren Schriftstellern «Orotschen» heissen, und giebt zur Begründung seines Vorgehens an, dass einmal die Orotschen selbst sich «Orotschonem» nennen, und dass ferner auch einige Chinesen, sowie alle Golde und endlich alle Ussuri -Kosaken sie mit diesem Namen bezeichnen. Das Letztere will ich gern glauben, da der Name «Orotschem» zu sehr an den den Kosaken von der Schilka und dem Argunj her bekannten Namen «Örotschonem» anklingt, um von ihnen unter- schieden zu werden; die ersteren Angaben sind aber ganz irrthümlich, wie man sich schon aus meiner ausführlichen Erörterung dieses Gegenstandes (s. oben p. 136— 139) über- Nur gegenüber, und nur um von ihnen verstanden zu werden, zeugen kann. den Kosaken oder anderen Russen mögen sich gegenwärtig manche Orotschen selbst «Or o- tschonenm» nennen und auch von Chinesen und Golde so genannt werden. Ob aber eine im Munde der Kosaken verständliche und erklärliche Verwechselung die Berech- tigung giebt, zwei so verschiedene Völker oder Volks- zweige, wie die Orotschen des Ussuri und der Meeres- küste und die Orotschonen des oberen Amur und seiner Zuflüsse, schlechtweg unter einem Namen zusammen- zuwerfen, wie Hr. Nadarof es thut, darüber brauche ich mich nicht weiter auszulassen. . p. 172. . oben, p. 151, 157. i. oben, p. 175 MT. 5. oben, p. 173. 316 Die Völker des Amur-Landes. geraume Zeit nach jener Invasion entstandenen mandshu-chinesischen Culturstück abgesehen, nur unstäten, zeitweise an den Strom heranstreifenden Jagdvölkern. In ähnlicher, wenn auch lange nicht so rascher und handgreiflicher Weise musste auf die Stärke der indigenen Bevölkerung in verschiedenen Theilen des Amur-Landes ihre Berührung mit den Mandshu und Chinesen wirken. Von diesen wurden die Amur-Völker zwar nicht mit Krieg überzogen, dafür hatten sie aber ihren beständigen Druck, oft harte Tributerhebung und die noch schwereren ungesetzlichen Erpressungen und Beraubungen aller Art zu erdulden. Der Mandshu-Beamte, der im Wachtposten oder auf der Rundreise neben der Tributskasse seine eigne Tasche mit den besten Stücken bedachte, und der chinesische Kaufmann, der die Mittel kennt, seine naturwüchsigen Kunden auf scheinbar rechtlichem Wege um ihr Hab und Gut zu bringen, — beide haben sie den materiellen und moralischen Wohlstand der Amur- Völker nicht gefördert. Was dabei noch schlimmere Folgen für diese letzteren haben musste als der jeweilige materielle Verlust, eine etwaige Einbusse an ihrer Jagdausbeute, an schätz- barem Pelzwerk u. drgl., war das unvermeidlich sich einstellende Bewusstsein von der Unsicher- heit ihres Besitzes, von der Gefahr, ihn jederzeit verlieren zu können, — ein Bewusstsein, das die Freudigkeit am Erwerbe lähmen und die angeborene Trägheit und Indolenz steigern musste. Fügt man nun zur Verarmung und Niedergeschlagenheit noch manche Schädigungen ihrer Fami- lienverhältnisse durch die Fremdlinge hinzu, manche durch dieselben ihnen zugetragenen Krank- heiten und Laster, so wird man zugeben, dass diese Uebel, lange Zeit hindurch beständig gleich einer langsamen Vergiftung wirkend, auch das Maass des numerischen Wachsthums dieser Völker erheblich herabdrücken mussten. Je mehr daher diese letzteren dem mandshu-chinesi- schen Einflusse ausgesetzt waren oder noch sind, um so weniger darf man unter ihnen eine verhältnissmässig zahlreiche, dichte, wohlhabende und kräftige Bevölkerung zu finden o erwarten. Am meisten aber mussten natürlich diejenigen Völker darunter leiden, deren Gebiet am nächsten zu den Hauptsitzen der Mandshu und Chinesen, zum Sungari, zum oberen Ussuri- Lande und zu ihrem Culturstück am oberen Amur liegt, also sämmtliche Völker des oberen Amur- Landes, so wie die Golde und die Ta-dse oder südlichen Orotschen, während die entfernter wohnenden glimpflieher davon kamen, wie die Oltscha und Negda, deren Gebiet von den Mandshu unberührt blieb, und noch mehr die Giljaken, die nicht bloss den Mandshu-Beamten, sondern auch den chinesischen Kaufleuten den Eintritt in ihr Land verweigerten. So erklärt sich dureh die beiden oben besprochenen Thatsachen, den aceuten Gonllikt der Amur- Völker im XVII. Jahrhundert mit den Russen und den zum Theil noch fortdauernden chronischen mit den Mandshu und Chinesen, die auf den ersten Blick auflallende Erscheinung, dass der unterste Theil des Amur-Landes, trotz seiner rauheren und ungünstigeren klimatischen Verhältnisse, doch die meiste indigene Bevölkerung aufzuweisen hat, stromaufwärts hingegen und nach Süden, wo das Klima milder, die Vegetation mannigfaltiger und reicher, der Fischreichthum zwar geringer, der Wildreichthum aber zum Theil noch grösser ist, die Bevölkerung nichtsdestoweniger spärlicher wird und das Land mehr und mehr verödet. Verhältnissmässig am zahlreichsten und am mei- sten verdichtet, wenn auch immer noch spärlich, scheinen mir namentlich die Giljaken zu Bevölkerungsverhältnisse auf Sachalin. 317 sein, besonders am Amur-Strome, während sie am Liman und am Ochotskischen Meere stärker verstreut sind. Nächstdem die Oltscha, die jedoch überhaupt nur ein kleines Gebiet m Amur- Lande inne haben. Die in ihrer Gesammtheit gewiss zahlreicheren Golde sind über ein weites Gebiet verstreut und somit allenthalben nur sparsam vertreten, am sparsamsten zwischen der Ussuri- und Sungari-Mündung. Der südlichste Theil des Amur-Stromes, zwischen der Sungari- Mündung und dem Bureja-Gebirge, ist eine beinahe völlig menschenleere Prairiewildniss, und alsdann beginnt das obere Amur-Land, das, mit Ausnahme des von Mandshu, Chinesen, Dauren und gleich oberhalb des Bureja-Gebirges auch von sesshaften Biraren bebauten Theiles, nur zeitweise von nomadischen Jagdvölkern besucht wird. Im Allgemeinen anders als auf dem Festlande liegen die Bevölkerungsverhältnisse auf Sachalin. Hier scheint der südliche, von Aino besetzte Theil eine stärkere Bevölkerung als der nördliche, giljakische Theil der Insel zu haben. Allerdings ist jener südliche Theil, beiderseits von den Ausläufern einer warmen Strömung bespült, in klimatischer Beziehung auch weit bevor- zugt vor dem nördlichen, der, zumal an seiner dem Ochotskischen Meere zugekehrten Ostküste, ein äusserst rauhes, fast polares Klima hat; allein auch hier dürfte der Grund jener Erscheinung mehr in historischen und politischen als in den erwähnten physischen Verhältnissen liegen. Von den Japanern im südlichen Theile ihres Gebietes vor Jahrhunderten bekriegt und unterjocht, seitdem beständig gedrückt und bedrängt, haben sich die Aino mehr und mehr nordwärts gezogen und auf Sachalin eine Heimath gefunden, wo sie bis vor wenigen Jahrzehnten, von ihren Feinden "unbehelligt, ein freies und selbständiges Dasein führten '). Kein Wunder daher, dass auch ihre Zahl dort im Laufe der Zeit erheblich anwuchs. Im nördlichen, giljakischen Theile von Sachalın hat hingegen eine Abnahme der Bevölkerung stattgefunden. Ich glaube aus sprachlichen Gründen nach- gewiesen zu haben, dass ein Theil der Sachalin-Giljaken, vielleicht in Folge jenes Andranges der Aino, die Insel verliess und nach dem Continent, an den unteren Amur und die Küste des Ochotskischen Meeres sich hinzog°). Auf eine ehemals zahlreichere giljakische Bevölkerung der Insel weist unter Anderem auch der Umstand hin, dass es an ihrer Westküste zwei Dörfer giebt, die den Namen «Pilja-wo», d. h. grosses Dorf, tragen, das eine am Ochotskischen, das andere am Nordjapanischen Meere, und die beide gegenwärtig nur höchst unbedeutend sind ?). Dennoch ist diese dem Continent und der Amur-Mündung zugewendete Westküste Sachalin's auch gegenwärtig, nächst dem Tymy-Thale, noch der bevölkertste Theil der Insel; die klıma- tisch weit rauhere Ostküste ist begreillicherweise viel öder. t) S. oben, p. 73 ff., 123 fl. die in den 50-er Jahren verheerend aufgetreten seien, so 2) S. oben, p. 214. haben diese mit der hier in Rede stehenden Entvölkerung 3) Das erstere dieser Dörfer hat gegenwärtig, nach | nichts zu thun. Es ist dies die oben erwähnte Epidemie Glehn (Reiseber. von der Insel Sachalin. — Beitr. zur « e| < ® - - e © © je.) S' 77 6 = e7 © © & 5 © E& I=2 l Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 233), nur eine | niss war, während jenes Dorf schon lange vordem verödet Jurte; über das andere, das deren drei zählt, s. oben, p. 17, | war. Hingegen haben die Blattern andere Spuren der Ver- Anm, 4. Wenn übrigens Glehn bei Gelegenheit dieser | wüstung hinterlassen, von denen später die Rede sein Spuren einer ehemals stärkeren Bevölkerung des giljaki- | wird. schen Theiles von Sachalin auch der Blattern erwähnt, 318 Die Völker des Amur-Landes. Ich muss mich mit diesen allgemeinen Angaben über die mehr oder weniger starke Bevöl- kerung der einzelnen Theile des Amur-Landes begnügen und auf numerische Werthe aus Mangel an hinreichenden Daten verzichten. Allerdings begegnet man bisweilen Angaben über die ge- sammte Individuenzahl einzelner Amur-Völker, allein auf diese Zahlen ist nicht viel zu geben. Dass die in den älteren, chinesischen Bevölkerungstabellen verzeichneten , übrigens bei der dama- ligen Unkenntniss der einzelnen Völker nur sehr allgemein und unbestimmt gehaltenen Daten von keinem Werthe sind, versteht sich von selbst }). Werthvoller könnten etwaige Angaben europäischer Reisenden sein, die das Land zur Zeit seiner Besitznahme durch die Russen oder nur kurze Zeit nach derselben besuchten, bevor die Verhältnisse der indigenen Bevölkerung durch die russische Kolonisation stark verschoben oder verändert wurden. Es giebt einige Angaben der Art. So schätzt Gollins, der im Jahre 1857 den ganzen Amur abwärts schiflte, die Zahl der Eingeborenen verschiedener Nationalität in der unmittelbaren Uferlandschaft folgen- dermaassen ?): Giljakenn. ine cur. in 39 Dörfern (davon 26 am rechten und 13 am linken Ufer) 1400 Seelen Manguntsen (Oltscha) in 40 » » 36:5,» » 2 La » » 1300 » 3) Goldener. ren . in 114 » rl » Dee: 7 >) » » 3200 » Nomadische und zerstreute Stämme.» . oo cdoonooonnoneeeonk 2000 » Schmidt taxirte im Jahre 1862 die Gesammitzahl der Negda, am Amgunj sowohl wie an den Seen Orell und Tschlja, auf noch nicht 1000 Seelen ®). Die gesammte Bevölkerung der Aino auf Sachalin berechnete Rudanofskij nach seinen im Jahre 1854 gemachten und 1857 vervollständigten Notizen auf 2479 Seelen°). Brylkin gab sie im Jahre 1861 auf nicht über 2200 Seelen an®). Diese auf Sachalin bezüglichen Angaben beruhen auf ziemlich genauer, durch zahlreiche Reisen im Lande gewonnener Kenntniss desselben. Die uns mehr interessirenden Daten von Collins sind hingegen ganz unsicher. Zählungen liegen ihnen sicher- lich nicht zu Grunde; vielmehr sind sie augenscheinlich durch Erkundigungen bei den damals im Amur-Lande ansässigen Russen gewonnen worden, wie man schon aus der specifisch russi- 1) So giebt Takinf nach den chinesischen Bevölke- | bei derselben Anzahl von Dörfern, die Zahl der Giljaken rungstabellen von 1812 die Zahl der Tungusen des unteren Amur-Landes, ost- und nordostwärss vom Ussuri bis zur Amur-Mündung, darunter also auch der Gilja- ken, auf 2398 Familien an (larun»%, Kurai, C. Ilerep6. 1840, erp. 19; ero xe: Crarncr. Onuc. Kuraück. Unn. €. Herep6. 1842, 4. II, crp. 30). 2) Petermann, Geogr. Mittheil. 1859, p. 25. Aus dem Berichte, den Perry M°D. Collins der Regierung der Vereinigten Staaten einsandte (35'" Congress, 1° Session. Ex. Doc. N 98. Explor. of Amoor River. Letter from the Secret. of State, in answer to a resolution of the House, calling for inform. relat. to the explorat. of Amoor River. April 7, 1858). 3) An einem anderen Orte (im «San Francisco Herald», s. Petermann, Geogr. Mitth. 1858, p. 437) gab Collins, auf 1680, diejenige der Oltscha («Manguntsen») auf 1320 Seelen an. 4) Histor. Ber. über den Verlauf der Physikal. Abtheil. der Sibir. Exped. der Kais. Russ. Geogr. Gesellsch. in d. J. 1859—1862 (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 148). 5) Pyaauosckiir, 0630pp MberHoctn 0. (Bocrounoe Homoppe, 1866, cTp. 99). 6) Brylkin, Statist. u. topogr. Nachr. über das südl. Sachalin (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 279). Gleichzeitig gab Pemb. Hodgson (Account of four Excurs. in the Japanese Island of Jesso, in der Literary Gazette vom 16. März 1861; s. Petermann, Geogr. Mitthl. 1861, p. 241) die Zahl der Aino auf Jesso auf 80000 (!) an. Caxaanuna Giljaken. Lage der Dörfer. 319 schen Bezeichnung «Manguntsen» für die Oltscha schliessen darf. Zuverlässige Daten konnte man aber auf diesem Wege wohl um so weniger gewinnen, als, neben dem Mangel jeglicher Zählung, auch die Gebiete der genannten Völker, namentlich der Oltscha gegenüber ihren nörd- lichen und südlichen Nachbarn, russischerseits in der Regel falsch abgegrenzt wurden !). Des Umstandes ferner, dass es fast in jedem dieser Gebiete versprengte Dörfer anderer Nationalität giebt ?), war man sich damals noch gar nicht bewusst. Schon aus diesem Grunde, wie auch aus der Nothwendigkeit, Sommer- und Winterdörfer auseinanderzuhalten, lässt sich auch auf die von Gollins angegebene Zahl der Dörfer verschiedener Nationalität nichts geben. Uebrigens kann die Zahl der Dörfer schlechtweg auch keinen Maassstab für die Beurtheilung der Bevöl- kerungszahl abgeben, weil die Dörfer von äusserst verschiedener Grösse sind, und manche z. B. nur aus einem einzigen Hause bestehen °). Das einzige Moment, in welchem sich, in Ermange- lung einer direkten Zählung der einheimischen Bevölkerung, noch ein ziemlich sicherer Maass- stab für eine approximative Abschätzung ihrer Stärke finden liesse, ist die Zahl ihrer Winter- wohnungen, falls diese sicher ermittelt wäre. Von der Richtigkeit dieser Behauptung wird man sich leicht überzeugen bei näherer Kenntniss davon, wie die Wohnungen bei den Amur-Völkern überhaupt beschaffen sind. Gehen wir nunmehr zur Betrachtung dieser Verhältnisse bei den einzelnen Amur-Völkern über. Ein Volk wie die Giljaken, das der unmittelbaren Befriedigung seiner Bedürfnisse an Nahrung, Kleidung u. drgl. fast ausschliesslich durch Fischfang und Robbenschlag nachkommt, siedelt sich begreiflicherweise an den grössten, fischreichsten Gewässern seines Gebietes und dabei in möglichster Nähe vom Wasser an. So liegen alle Dörfer der Giljaken unmittelbar am Amur-Strom und Liman, an der Meeresküste oder am Tymy-Flusse, dieser Hauptader der nördlichen Hälfte von Sachalin; vergeblich würde man welche im Gebirge oder überhaupt in 1) Ausführliches darüber s. oben, p. 26 ff. 2) So z.B. im Giljaken-Gebiete die Oltscha-Dörfer Tschylwi und Tyr, s. oben, p. 16. 3) Obgleich alle späteren Angaben uber die Kopfzahl der einheimischen Völker des Amur-Landes, die in Folge der russischen Einnahme und Kolonisation desselben starke Veränderungen erfahren musste, ausserhalb des Rah- mens dieses Werkes liegen, so will ich einer dieser Anga- ben hier doch im Vorüubergehen erwähnen, weil sie sich spe- eiell auf die im Vordergrunde meiner Betrachtungen ste- henden Giljaken bezieht oder wenigstens beziehen soll. Ich meine die von Dr. N. Seeland in seinem Artikel «Die Ghiljaken, eine ethnographische Skizze» (Russische Revue, herausg. v. Carl Röttger, Bd. XXI, St. Petersb. 1882, p. 99) gemachte Schätzung ihrer Kopfzahl (aus den Jahren 1878—1880). Nachdem er für das Taxationen russischer Issprawniks (Kreischefs) in Betracht Festland die gezogen und hinsichtlich Sachalin’s reisende Pelzhändler befragt, gelangt er zu dem Schluss, dass «das ganze Gilja- ken-Volk sich auf 8000 Seelen beläuft». Die dabei gege- Schrenck's Amur-Reise, Band III, bene Specialisirung dieser Gesammtzahl nach den einzelnen Gebietstheilen erklärt ihre überaus ansehnliche Grösse, macht sie aber zugleich ganz und gar hinfallig. Denn eirca 4000 soll die Zahl Nikolajefschen der Meeresküste Amur aufwärts bis der Giljaken des Kreises den Mariinsk), der Bai de Castries und des Kaiserhafens betra- (von gen, 1000 diejenige der Giljaken des Sophijskischen Kreises (von Mariinsk bis zum Gorin), und auf gegen 3000 schätzt er die Zahl der Sachalin-Giljaken. Demnach rech- net Dr. Seeland zu den Giljaken nicht bloss sammt- liche Oltscha, die beim gemeinen russischen Mann am Amur in der Regel und darnach leider sehr oft auch bei russischen Reisenden (s. oben, p. 104 u. a.) schlechtweg für Giljaken gelten, sondern auch noch die Orotschen der Meeresküste von der Bai de Castries bis zum Kaiserhafen, Wie sonderbar muss es Einen aber berühren gleich am Eingange einer Schrift, die speciell über die Giljaken han- deln soll, einer solchen Vermengung derselben mit ihren sprachlich und zum Theil auch der Lebensweise nach ganz verschiedenen Nachbarstämmen zu begegnen! 4 320 Die Völker des Amur-Landes. grösserer Entfernung von den genannten Gewässern suchen. Immer ist zum Wohnort auch eine mehr oder minder günstige Localität gewählt, — am Meere eine durch Felsvorsprünge gegen die herrschenden Stürme gedeckte kleine Bai oder Küstenkrümmung, am Strom ein trockenes, über das Hochwasser emporragendes Ufer, mit hinlänglich tiefem Wasser zum Landen der Böte, mit hohem Wald oder dichtem Gebüsch zum Schutz gegen die winterlichen Schneestürme u. s. w. Wo die Localität eine nach allen Beziehungen günstige ist und den Anforderungen im Sommer und Winter entspricht, da sieht man beständig, wenn auch je nach der Jahreszeit in Häusern von verschiedener Bauart und Beschaffenheit, bewohnte Dörfer liegen. Bietet sie hingegen nur erhebliche Vorzüge in der einen Jahreszeit und beträchtliche Mängel in der anderen, so werden die Sommer- und Winterhäuser an verschiedenen Orten errichtet, und es giebt dann ein Sommer- und ein Winterdorf und dem entsprechend einen zweimal im Jahre stattfindenden Ortswechsel. Oft liegen die zusammengehörigen Sommer- und Winterdörfer, respective einzelnen Häuser, nur wenig weit auseinander; an der Meeresküste z. B. habe ich, auf dem Festlande wie auf Sachalin, die Sommerbehausungen meist dicht am Strande, die Winterhäuser hingegen etwas landeinwärts liegen sehen, wo Berg und Wald mehr Schutz gegen die häufigen Schnee- stürme bieten, und wo auch das unentbehrliche Feuerungsmaterial leichter zu beschaffen ist. Zuweilen jedoch ist der Abstand zwischen dem entsprechenden Sommer- und Winterdorf ein ganz ansehnlicher. Am Amur kommt es z. B. vor, dass das eine am einen, das andere am anderen Ufer des Stromes liegt. So ist das am rechten Ufer gelegene Mäo nur das Sommerdorf von Kuik (oder Kuögda, wie die Russen es nennen), das am linken Amur-Ufer liegt, oder dieses das Winterdorf von jenem. Sämmtliche Bewohner von Kuik siedeln zum Sommer nach Mäo über, das eine für den Fischfang günstigere Lage hat, indem es näher zur Stromrinne liegt, welcher die den Amur aufsteigenden Lachse folgen, auch das Ufer dort höher und zum Landen bequemer ist u. s. w. Im Herbst hingegen kehren sie wieder nach ihren schräge gegenüber liegenden Winterhäusern zurück, wo eine Einbuchtung des Ufers und ausgedehnte Waldungen Schutz gegen die im Winter herrschenden, schneidend kalten West- und Nordwestwinde und Schneestürme gewähren, und zugleich auch ein weiteres, bequemeres und ergiebigeres Jagd- terrain als an den Gebirgsabhängen des rechten Ufers sich ausbreitet!\. Zuweilen ziehen die im Winter in einem Dorfe zusammen wohnenden Giljaken zum Sommer nach verschiedenen Punkten auseinander, um sich im Herbst wieder zusammenzufinden. Liegen die Winter- und Sommerhäuser neben einander, wie z. B. in Wair (oder Wait, wie es bei den Russen heisst), so erscheint der Ort viel grösser und volkreicher, als er in der That ist. Mehr wie die Hälfte aller Häuser kommt alsdann auf die im Vergleich mit den ordentlichen, grossen Winterhäusern viel kleineren Sommerbehausungen, und leicht können auch manche grössere, den letzteren in 1) Im Herbst 1854 fand dieser Umzug der Giljaken | schon in ihren neben den Winterhäusern gelegenen von Mäo nach Kuik in der zweiten Woche des October (n. | Sommerwohnungen; in den weiter stromaufwarts gele- St.) statt, kurze Zeit bevor der Amur sich mit Eis bedeckte. | genen Dörfern aber, bis Tacht, hatten sie dieselben um Im Frühjahr 1855 traf ich die Giljaken im Dorfe Ssa- | diese Zeit noch nicht bezogen. bach, dem ersten oberhalb Nikolajefsk, am 16. (28.) Mai Giljaken. Winter- und Sommer-Dörfer und Behausungen. Erdjurte. 321 ihrer Bauart ähnliche Vorrathskammern für Wohnhäuser angesehen werden. So erklärt sich die übermässig grosse Zahl von Häusern, die von manchen Reisenden in einzelnen Giljaken- Dörfern angegeben werden). Liegen hingegen die Sommer- und Winterhäuser als besondere Dörfer auseinander, so erscheint dem uneingeweihten Reisenden die Zahl der einzelnen Ort- schaften grösser, und in einer anderen Weise gewinnt er wiederum den Eindruck einer stär- keren Bevölkerung des Landes, als sie diesem in Wirklichkeit zukommt. Ich werde auf die Häuser- zahl einzelner Dörfer der Giljaken später noch zurückkommen, nachdem wir zuvor die Bauart und Beschaffenheit ihrer Winter- und Sommerbehausungen näher kennen gelernt haben. Klimatische Gründe sind es hauptsächlich, welche die Giljaken nöthigen, sich für den Winter und den Sommer besondere Behausungen zu errichten. Im Winter gilt es, sich gegen die überaus strenge, oft von heftigen Stürmen und Schneegestöbern begleitete Kälte zu schützen, im Sommer hingegen der allzugrossen, durch die maritime Lage und die beständigen Seewinde, Nebel und Regen bedingten Feuchtigkeit entgegenzuarbeiten. Erfordert Ersteres möglichst geschlossene, von windfesten Wänden umgebene Räume, so kann Letzteres im Gegentheil nur durch luftigere, einem beständigen Luftwechsel ausgesetzte Wohnungen erreicht werden. Beides in entsprechendem Maasse in einem Bau zu vereinen, dürfte die Kräfte und Mittel eines Natur- volkes übersteigen. Sehen wir nun, wie die Giljaken diesen Erfordernissen nachkommen. Die Winterbehausung der Giljaken ist von doppelter Art: eine einfachere, eigenartige und primitive — die Erdjurte, und eine complieirtere, chinesischem Muster nachgebildete, die eher den Namen eines Hauses als einer Jurte?) verdient, und die ich schlechtweg Winterhaus oder auch chinesische Winterjurte nennen will. Die Erdjurte, Zoryf der Giljaken, ist genau nach dem Muster eines Zeltes erbaut: sie ist eigentlich nichts weiter als ein mehr oder weniger geräumiges, festes, halb in die Erde versenktes, von Gebälk überdachtes Zelt. Soll es eine grosse Jurte der Artgeben, so wird ein etwa 20— 22 Fuss im Quadrat grosses, ungefähr 3— 4 Fuss tiefes Loch in die Erde gegraben; die Wände desselben werden geglättet oder, mindestens im oberen Theile, sogar mit dünnen Balken ausgekleidet. Um dasselbe wird ein pyramidales, von allen Seiten f 4) Krusenstern (Reise um die Welt, St. Petersb. (s. Ahlgvist, Die Culturwörter der 1811, Bd. II, p. 162) zahlte in einem giljakischen (nach ihm «tatarischen») Dorfe, das am Nordende Sachalin’s zwi- schem Ursprung westfinnischen Sprachen, Helsingfors 1875, p. 105) bezeich- neten die Russen ursprünglich die zeltartigen Wohnungen schen den Caps Elisabeth und Maria lag, 27 Häuser. In einem anderen, in der Bai Nadeshda, giebt er 16—18 Hau- ser an, doch lässt die Beschreibung derselben deutlich Sommer- und Winterhäuser erkennen, welche letzteren zudem leer standen (l. c., p. 178, 182, 183). Orlof gab bei seiner ersten Fahrt zu den Giljaken am Ochotskischen Meer Juli 1849) die Zahl der Hauser Dorfe Kulj auf 46 an (vergl. Tuxmeue»®%, O603p. 06pa3. Pocc.-Anmepuxr. Komm. U, II, C. Ilerepö. 1863, crp. 64), worunter manche sicherlich nur Vorrathskammern (im im Herop. waren. 2) Mit diesem Wort (russ. ıopra) von finnisch-tatari- der sibirischen Eingeborenen. Allmählich jedoch wurde es bei ihnen fur alle Behausungen derselben, welcher Art sie auch sein mögen, gebrauchlich, im Gegensatz zum Block- oder Balkenhause russischer Bauern (russ. n36a) oder zu anderweitigen europäischen Häusern, und in diesem wei- auf Sibi- rien bezüglichen Reisebeschreibungen gebraucht. Dem ent- teren Sinne findet man es oft auch in den sprechend wird auch das Winterhaus der Giljaken von den Russen im Amur-Lande in der Regel Jurte genannt, und in demselben Sinne ist dieser Ausdruck auch in die- sem Werk aufzufassen. 41” 322 Die Völker des Amur- Landes. gleichmässig schräge aufsteigendes Dach errichtet, das aus dünnen, dicht nebeneinander gestell- ten Balken besteht, welche auf vier Querbalken ruhen, die ihrerseits wieder von vier im Innern der Jurte befindlichen Stützpfeilern (@) getragen werden. Nur an der Spitze des Daches bleibt eine als Rauchfang dienende Oeflnung zurück. Von aussen b wird das Dach, um es ganz luftdicht zu machen, noch mit trockenem Gras und Erde bedeckt. Fällt im Herbst der e Schnee darauf, so sieht die ganze Jurte von aussen nur wie ein verschneiter, an der Spitze durch den aufsteigen- 3 ARE den Rauch leicht geschwärzter Hügel aus. An der Seite 1 £ 2 L der Jurte, die von den herrschenden Winden abgewandt | « 6) Z oder überhaupt im meisten Windschutz liegt, befindet | | | h | sich der Eingang (b). Dieser führt jedoch nicht unmittel- | g bar in die Jurte, sondern zuerst in einen ziemlich langen, | { | $ | 5 niedrigen, ebenfalls von dünnem Gebälk oder Baumzwei- | | gen und trockenem Grase überdachten, langsam absteigen- ch 2 den Gang (c), in welchem beiderseits entweder einiges Haus- \ f e f ) geräth abgestellt ist, oder auch das Lager für die Hunde \_ 7 BL ee er sich befindet. Am Ende dieses Ganges erreicht man die i Thür (d), die entweder wie gewöhnlich vertikal in Angeln Plan einer giljakischen Erdjurte (toryf). geht, oder aber von einem horizontal gelegenen, seitwärts SINC iler. — Eingang. £ ® e - R 2 üzpielor 2 Eingang verschiebbaren Brett gebildet wird (Taf. X)!). Unmittelbar ce — Niedriger Gang. d — Thür. o° e — Pritschen. / — HintereEcken, hinter, resp. unter derselben führen einige Stufen zum ohne Pritsche. g — Herd. h— Steindreieck für den grossen Kes- Fussboden der Jurte hinab, der aus festgestampfter Erde o sel. © — Wasserbehälter. k — vor- dere Wand. 7 — Vordere Ecken der Jurte. besteht. In der Jurte läuft zu beiden Seiten und hinten, zwischen den Stützpfeilern und der Erdwand, eine ungefähr 1'/, Fuss hohe und 5—6 Fuss breite Sitz- und Schlafbank oder Pritsche (e) hin, die nur an den beiden Hinterecken der Jurte eine Unterbrechung erleidet. Diese Ecken (f,f) sind, gleich den vorderen, meist abgerundet und dienen zum Abstellen von verschiedenem Geräth, Kisten und Kasten, Handschlitten u. drgl. Dadurch entsteht zwischen den beiden Seitenbänken und der hinteren Bank, die für den besten und vornehmsten Platz in der Jurte gilt, eine, wenn auch nur sehr unvollständige, Scheidewand. Gegenüber dem Innenrande der Bänke, in etwas über Mannshöhe, laufen zwischen den Stützpfeilern wiederum Querstangen, welche zum Aufhängen von Rleidungsstücken u. drgl. dienen. Mitten in der Jurte, zwischen den drei Pritschen und nur etwa 3 Fuss von einer jeden derselben entfernt, liegt der Herd (g), eine etwa % Fuss breite und doppelt so lange Plattform von gleicher Höhe mit den Bänken. Sie ist von sehr ein- facher Beschaffenheit, indem sie nur aus einer hölzernen, ausBrettern zusammengefügten Umrah- 1) Auf dieser das Innere einer giljakischen Erdjurte darstellenden Tafel ist die Thür, durch die man nur in stark gebeugter Stellung gehen kann, zu hoch gerathen. Giljaken. Beschaffenheit der grossen und der kleinen Erdjurten. 323 mung besteht, die mit festgestampfter Erde ausgefüllt ist. Ueber dem Herde, in etwas über Mannshöhe, befinden sich mehrere Querstangen, zwei über dem vorderen, eine über dem hinteren Theile desselben, die von den oben erwähnten, zwischen den Stützpfeilern angebrachten Quer- stangen getragen werden. An diese Querstangen über dem Herde werden Stöcke befestigt, die an ihrem unteren Ende in Haken auslaufen, auf welche die Kessel über das auf dem Herde angemachte Feuer gehängt werden. Im vorderen Theile des Herdes ragen drei fest in die Masse desselben eingefügte, im Dreieck gestellte Steine hervor (Rh), auf welchen der grosse, zum Kochen der Suppe für die Hunde bestimmte Kessel steht. In den grossen Jurten giebt es bisweilen auch zwei solche, übrigens auch zum Gebrauch der Menschen dienende Kessel, wie es z. B. auch in der grossen Jurte von Tyk der Fall war, in der ich wiederholentlich und zu mehreren Tagen mich aufgehalten und wo ich auch den hier beigefügten Plan entworfen habe. Im hinteren Theile des Herdes und damit auch mehr in der Mitte zwischen den drei Pritschen wird das zur Erwärmung und Abends auch zur Beleuchtung der Jurte dienende Feuer angemacht. Vor dem Herde stehen ein oder mehrere grosse Gefässe, meist aus Birkenrinde gemachte Kübel (ö) mit Trinkwasser, und an der vorderen Wand (A), rechts und links vom Eingange, oder auch in einer der vorderen Ecken der Jurte (l, 2) ist stets ein Vorrath von trockenem Brennholz aufgeschichtet. In der Höhe, genau über dem Herde befindet sich endlich der Rauchfang, in Form eines läng- lichen Vierecks, das mit seinem Längs- und Querdurchmesser entweder mit dem Herde corre- spondirend, oder aber quer zu demselben gestellt ist. Von ganz ähnlicher Beschaffenheit sind auch die kleineren Erdjurten der Giljaken, nur sind bei diesen alle Dimensionen mehr oder weniger ansehnlich kleiner. Das zum Bau der Jurte in die Erde gegrabene Loch ist z. B. in manchen Fällen so wenig tief, dass hinter der Pritsche nichts von einer Wand mehr zu sehen ist, sondern sogleich das Gebälk des Daches beginnt. In solchen kleineren Jurten werden, um Raum zu gewinnen, auch die beiden Hinterecken mit Pritschen versehen, so dass sich, die vordere Wand und die beiden Vorderecken abgerechnet, ringsum eine fortlaufende Sitz- und Schlafbank erstreckt. Verkleinern sich die Dimensionen der Jurte noch mehr, so wird sie endlich ganz oberflächlich, und Herd und Pritschen, von schmalen, aufgerichteten Brettern umrahmt, erheben sich kaum über den Erdboden, die letzteren nur um so viel, als die Dieke der zum Lager dienenden Schicht von Baumzweigen beträgt; der Rauchfang liegt in geringer Höhe über dem Herde; der zur Thür führende Gang ist verschwunden, oder auf ein paar schützende Vorsprünge eingeschrumpft, — kurz, die Jurte hat sich in ein aus dünnen Holzbalken erbautes Zelt verwandelt. So war die kleine Jurte von Tafız-wo ım Tymy- Thale auf Sachalin beschaffen, in der ich die Nacht auf den 18. Febr. (1. März) 1856 zubrachte und am Morgen das Quecksilber im Thermometer gefroren fand. Ob es nur ein zeitweiliger Bau war, vermag ich nicht zu sagen; jedenfalls war er von einer giljakischen Familie, in der es auch an Kindern nicht fehlte, bewohnt, und daneben stand ihre Sommerjurte. Diese Winterjurte von Tafiz-wo unterschied sich nur durch ihr solideres Baumaterial und ihre grösseren Dimen- sionen von dem Nothzelt, dass sich die Giljaken unter Umständen zu errichten pflegen, wenn sie auf ihren Winterreisen von einem heftigen Schneesturm überrascht werden. Auf meiner 324 Die Völker des Amur-Landes. Winterreise 1855 war ich genöthigt, am 6./18. Febr. an der Westküste Sachalın’s, etwas südlich vom Cap Wangi), im Walde auf hohem Meeresufer zu nächtigen. Neben mir lagerten vier Tymy-Giljaken und einer aus dem Dorfe Tyk, die desselben Weges reisten. Bei mässigem Nordwinde fiel recht starker Schnee. Die Giljaken hatten sich im Schnee eine Grube ein paar Fuss tief ausgeschaufelt, Boden und Wände derselben mit Tannenreisig ausgekleidet, darüber von der Nordseite über schräg in den Schnee gesteckte Stäbe eine Decke aus Fischhäuten gebreitet und in der Mitte ein kleines Feuer angemacht, darüber der Kessel hing. Nachts wuchs der Wind, und am Morgen stürmte es so stark, dass an ein Weiterreisen nicht zu denken war. Die Giljaken machten sich sogleich daran, sich ein sturm- und schneefesteres Lager zu errichten. Dazu gruben sie zunächst eine kreisförmige Vertiefung in den Schnee, steckten rings um die- selbe konisch in einem Mittelpunkte zusammenlaufende Stäbe auf und spannten einige Fisch- hautdecken so über dieselben aus, dass nur eine für den Rauchfang bestimmte Oeflnung an der Spitze des Zeltes zurückblieb; als Thür diente ein zurückschlagbarer Zipfel der Decke. Alsdann wurden die Wände der Grube und der Boden rings um dieselben mit Tannenreisig belegt und darüber die zum Lager dienlichen Bärenhäute ausgebreitet, welche die Giljaken aufihren Winter- reisen stets mitzuführen pflegen. Jetzt wurde auch an die Herstellung eines Herdes in der kleinen Behausung geschritten. Es galt hier vor Allem, eine feste Unterlage für das Feuer zu schaffen, da dieses sonst, unmittelbar über dem Schnee angemacht, in kurzer Zeit tief in denselben hineinsinkt und die Umsitzenden nicht mehr wärmen kann. Zu dem Zweck wurden einige recht flache Holzstücke möglichst genau und dicht aneinandergelegt, an allen vier Seiten von anderen, diekeren, auf ihre Kante gestellten umrahmt und diese letzteren durch Holzpflöcke in ihrer Lage befestigt. So war eine länglich-viereckige Vertiefung für den Herd gewonnen. Auf den Boden derselben breiteten nun die Giljaken Stücke von Lärchenbaumrinde aus, brachten alsdann Klumpen gefrorenen Sandes von der die Meeresküste begleitenden hohen Uferwand herbei, zerkleinerten die- selben vermittelst ihrer Beile, die sie, schon um das nöthige Brennholz für das Nachtlagerfeuer zu beschaffen, auf solehen Reisen stets mit sich führen, und füllten damit die für den Herd bereitete Vertiefung bis an deren Rand aus. Beiläufig muss ich bemerken, dass die auch zum Bau der Häuser u. drgl. m. gebräuchlichen Beile der Giljaken und ihrer Nachbarn zur Zeit meines Aufenthalts unter ihnen entweder, auf Sachalin, von japanischer, oder, auf dem Festlande, von chinesischer Form und Provenienz waren, mit ziemlich langem, geradem Griff und diekem, bis nach unten fast gleich breitem Blatt, wie es auf Taf. XXX in der Hand eines Golde-Knaben abgebildet ist. Russische Beile, mit kurzem, etwas ausgeschweiftem Griff und nach unten stark sich verbrei- terndem Blatt, gab es bei ihnen dazumal noch so gut wie gar nicht. So war in kürzester Zeit eine Behausung entstanden, welche den Giljaken hinlänglichen Schutz gegen das Unwetter bot und ihrer Form und Bauart nach lebhaft an ihre Erdjurte erinnerte. Wie jene im Schnee, so sucht diese durch Einsenkung in die Erde Schutz gegen Wind und Wetter zu gewähren. Viel- 1) Die Giljaken nennen diesesCap «Pilja-Wangi», d.h. | an dem wir uns befanden, «Matsch-Wangi» — Klein- Gross-Wangi, und einen kleineren südlicheren Vorsprung, | Wangi. Giljaken. Vorzüge und Mängel der Erdjurten. 325 leicht ist auf diese Weise auch die Idee zur Errichtung solcher Erdjurten, wie wir sie bei den Giljaken finden, entstanden. Jedenfalls spricht aber die nach Form, Grundplan und Bauart vollkommene Aehnlichkeit derselben mit jenem Nothzelte für ihren ganz primitiven Charakter. So einfach und primitiv die giljakische Erdjurte ist, so bietet sie doch, namentlich wenn ihre Dimensionen etwas grösser sind, manche Vorzüge. Die Lage eines Theiles derselben in der Erde, das sorgfältig gebaute, fest schliessende, von aussen noch mit einer dieken Schneeschicht verse- hene Dach, die Abwesenheit jeglicher Fensteröfflnungen gewähren der kalten Aussenluft auch beim stärksten Winde, falls nur die Thür geschlossen ist, keinen seitlichen Zutritt zum Innenraum der Jurte, und das auf dem Herde beständig unterhaltene Feuer erwärmt und ventilirt den kleinen Raum und macht den Aufenthalt in demselben behaglich. Zugleich verleiht der im Mittelpunkt der Jurte gelegene Herd ihr einen einheitlichen Charakter: um die hier in gleicher Entfernung von allen drei Sitzbänken lodernde Flamme ist die ganze Gesellschaft gelagert, Alle einander zuge- kehrt, Alle aus derselben Quelle Wärme und Licht empfangend. Das führt unwillkürlich zu grösserer Mittheilsamkeit, zum gegenseitigen Austausch von Erlebnissen, Ansichten und Erfah- rungen, und ich habe oft die Giljaken bis in die Nacht hinein so im gemeinsamen Gespräch um das Feuer sitzen und die Tabakspfeife von Hand zu Hand gehen sehen, oft und nach Mög- lichkeit mich auch selbst an ihrem Gespräch betheiligt. Neben diesen Vorzügen bietet jedoch die Erdjurte auch eine Menge von Mängeln. Am empfindlichsten unter ihnen ist namentlich der häufige, starke und rasche Temperaturwechsel, dem sie ausgesetzt ist. Bei jedem Oeflnen der Thür dringt ein kalter Luftstrom in die Jurte und zieht sich längs dem Fussboden hin. Zwar wird er durch den überdachten Gang vor der Thür vermindert, jedoch keineswegs beseitigt, und bleibt die Thür geöffnet, so entsteht zwischen ihr und dem Rauchfang ein so starker, den ganzen Innenraum der Jurte erfassender Zugwind, dass letztere in kürzester Zeit aller ihrer Wärme beraubt wird und so ziemlich die Temperatur der Aussenluft erhält. Und doch muss dieses Experiment gerade bei sehr kaltem und stürmischem Wetter oft mehrmals am Tage wiederholt werden. Alsdann geschieht es nämlich leicht, dass eine Masse kalter Luft durch den Rauchfang niederfällt, oder der wirbelnde Wind hineinfährt, den Rauch niederschlägt und ihm den Ausgang zeitweise versperrt. In kürzester Zeit füllt sich dann der kleine Raum mit erstickendem, Augen, Kehle und Lungen affieirendem Rauch an, und es bleibt nichts Anderes übrig, als durch Oeffnen der Thür einen starken, die Luft wieder reinigenden Zugwind zu erzeugen. Daher ist auch sämmtliches Gebälk in der Jurte von Rauch geschwärzt und nach oben hin mit einer mehr oder minder dieken Russschicht bekleidet. Empfindlicher noch wird der Temperaturwechsel in den Erdjurten Nachts; denn ist erst das Feuer, bei dem man sich zur Ruhe begeben, erloschen, so füllt sich die Jurte bald mit kalter, durch den Rauchfang niederfallender Luft. Zwar soll dieser auch geschlossen werden können, allein so oft ich auch bei den Giljaken genächtigt, niemals habe ich es thun sehen. Und zwar ist dieser Uebelstand um so schlimmer, je kleiner die Jurte ist und je weniger hoch der Rauchfang über dem Herde und den Schlaf- bänken liegt. In der kleinen Zeltjurte von Tafiz-wo, an deren Rauchfang man mit der Hand heranreichen konnte, und die darum auch kein grosses, lange vorhaltendes Feuer anzumachen » Do 326 Die Völker des Amur- Landes. gestattete, hatten wir daher in der Nacht sehr bald die Temperatur der Aussenluft, die sich zu- dem unter empfindlichem Zugwinde einstellte. Wie sehr ist unter solehen Umständen, mag es auch noch so kalt sein, wofern es nur kein Schneegestöber giebt, ein Nachtlager im Freien bei beständig lodernder Flamme vorzuziehen! Von ganz anderer Beschaflenheit ist die nach chinesischem Muster erbaute Winterjurte, tschadryf der Giljaken. Sie hat immer das Aussehen eines mit Wänden und Dach versehenen Hauses. Es ist ein ungefähr quadratischer, gewöhnlich jedoch etwas längerer als breiter Bau, von etwa 6—7 Faden Länge und etwa 5—6 Faden Breite, mit niedrigen Wänden und einem grossen, nach den beiden Längsseiten flach abfallenden Dache (s. Taf. X1). '). Die Wände bestehen aus dünnen, horizontal gelegten Balken, die an ihren Enden nicht in einander gefügt, sondern zugespitzt und in seitliche Rinnen einiger dickerer, senkrecht aufgestellter Balken eingelassen sind. An den Querwän- den, die höher aufsteigen, und besonders in der Mitte derselben, sind diese senkrechten Balken von ganz ansehnlicher Dieke. Die Ritzen zwischen den Balken werden mit Moos verstopft und von aussen mit Lehm beworfen. Das grosse, recht flache Dach, das im Winter noch eine ansehn- liche Schneelast zu tragen hat, bedarf zu seiner Construction und Stütze eines recht eomplieirten Gebälks. Es hat einen ordentlichen, aus Längs- und Querbalken zusammenge- setzten Dachstuhl. Die Dachfirste wird ausser den mittleren, senkrecht gestellten Balken der beiden Querwände (s. Taf. XI) noch durch zwei im Innern des Hauses aufragende dicke Pfeiler (a auf dem beigefügten Plan) gestützt. Zuweilen erheben sich hier statt eines sogar je zwei in geringer Entfernung von ein- ander stehende Pfeiler. Aehnliche, jedoch viel kleinere und dünnere Pfeiler (b) er- heben sich zuweilen auch hie und da See 4 . von den Seiten und dienen, zugleich mi Plan einer chinesischen Winterjurte der Giljaken (tschadryf). 4 s i a — Grosse, D — kleinere Stützpfeiler des Dachstuhls. ce — den beiden nächsten senkrechten Balken Thür. d — Fenster. e — Herde. f — Oeflnung zum Heizen des NER D Herdes. g — Loch fur den grossen Kessel. ı — Sitz- und Schlaf- der Queı wand, zur Stütze des mittleren bankess =: Zum Erwarmen derselben dienliche Röhren. %k — Theiles des Daches, und ım unteren Schornstein. 2 — Hundetisch. m — Pfosten, auf denen die Tischplatte ruht. n — Räume zum Abstellen von Hausgeräth. Theile wird es durch die Längswände 0 — Wasserbehälter. e . der Jurte getragen. Zwischen den im Innern aufragenden Pfeilern laufen wiederum hie und da Längs- und Querbalken, desgleichen auch welche zum oberen Rande der Längswände, — ein Gebälk, das zur gegenseitigen Verbindung und 1) Diese Tafel soll zugleich zur Illustration der während | und einiger vor demselben stattfindenden Belustigungen des Bärenfestes üblichen Ausschmückungen des Hauses | dienen, von denen später die Rede sein wird. Giljaken. Deschaffenheit der chinesischen Winterjurte. 327 dadurch Festigung und Aufrechterhaltung der Wände dient. Daneben wird der unterste, nicht all- zuvielüber Mannshöhe erhabene Theil desselben auch zum Aufstapeln verschiedener Gegenstände, sowie zum Aufhängen von Kleidungsstücken u. drgl. benutzt. Auf unserer Tafel XI sieht man die Enden der obenerwähnten Längsbalken an der Querwand, sowie an der Firste und den Seitenrändern des Daches, recht lang vorragen, wobei die Seitenbalken des letzteren sich an den Giebeln unter einander und mit der Dachfirste weithin kreuzen. Das übrige, feinere Dachgitter wird aus dünneren, kreuz und quer angebrachten Stangen und Stöcken zusammengesetzt, alsdann mit Baum-, namentlich Tannenrinde und zuletzt mit einer Lage von trockenem Gras oder Stroh von Calamogrostis u. drgl. bedeckt, das durch ein paar Reihen mit der Dachfirste parallel gelegter Stangen angedrückt und festgehalten wird. An der einen Ecke des Hauses, und zwar, wenn man vor einer seiner Längsseiten steht, immer zur rechten Hand, befindet sich in der Quer- oder Längswand desselben der Eingang, mit einer gewöhnlichen Thür (ec), die aus mehreren durch ein paar breite Querleisten zusammengehaltenen Brettern besteht, und immer auch mit einer hohen Schwelle, durch welche das Zuströmen kalter Luft zum Fussboden, sowie das Eindringen von treibendem Schnee und abfliessendem Regen- wasser in das Haus nach Möglichkeit verhindert werden soll. Nach allen vier oder wenigstens nach drei Seiten ist das Haus mit Fenstern (d) versehen, und zwar haben die beiden Längs- wände und die hintere Querwand deren je zwei, die vordere Querwand eines. Mehr wie diese sieben Fenster habe ich auch an den geräumigsten giljakischen Häusern nie gesehen !); sehr oft hingegen fehlt das Fenster in der vorderen Querwand, wie z. B. auch an dem auf Taf. XI im Vordergrunde stehenden Hause von Tebach, und nicht selten haben auch die andere Quer- und die hintere Längswand nur je ein Fenster, welches alsdann stets unsymmetrisch, näher zu der einen oder der anderen Ecke des Hauses liegt, ja, an den kleineren Häusern fehlt auch das Fenster in der hinteren Längswand, so dass die Zahl der Fenster bei denselben sich sogar auf 3 redueirt. Dennoch erhellen auch diese, bei ihrer ansehnlichen Grösse, das Innere des Hauses noch ganz erträglich. Die Fenster sind bald quadratisch, 3—4 Fuss gross, bald etwas länger als breit oder umgekehrt. Ein Fensterkreuz haben sie nicht, sondern anstatt desselben nur eine Anzahl in gleicher Entfernung von einander befindlicher, vertikaler Stäbchen, und die Stelle des Glases zwischen denselben vertritt Fischhaut. Dazu werden namentlich Häute von Salmo lago- 9 cephalus (giljak. Zyghi- oder, auf Sachalin, laghi-tscho)?\, dieser häufigsten Lachsart des Amur-Stromes, durch Abschaben und Stampfen möglichst dünn und durchscheinend gemacht und dann so an einander genäht, dass die Nähte zahlreiche Längs- und ein paar im Ziekzack verlaufende Querlinien bilden. Oeffnen lassen sich die Fenster nicht, sondern nur mit dem ganzen Rahmen ausheben. Der Fussboden im Hause besteht aus festgestampfter lehmiger Erde. Rechts und links vom Eingange liegen die beiden aus Lehm geformten Herde (e, gilj. tschenk). Sie werden durch viereckige, an ihrer Vorderseite gelegene Oeflnungen (f) geheizt und haben oben 1) Bei den anderen Amur-Völkern ist es mir wohl | 2) Bei den Russen in ganz Sibirien unter dem Namen begegnet, doch darüber später. | keta bekannt. PS 157 Schrenck's Amur-Reise, Band III. 328 Die Völker des Amur-Landes. ein rundes Loch (g) für den grossen Kessel, in welchem die Fischbrühe für die Hunde und unter Umständen auch Speisen für die Menschen bereitet werden. Unmittelbar an die Herde, schliessen sich die ein wenig einspringenden und auch etwas niedrigeren, ungefähr 1'/, Fuss hohen und einen Faden breiten Sitz- und Schlafbänke oder Pritschen an (A, gilj. fikky), die rings um die Wände laufen. Ihr wesentlichster Charakter besteht darin, dass sie von unten erwärmt werden, durch hölzerne, mit Lehm ausgelegte Röhren (), die von beiden Herden ausgehen, unter den Bänken fortlaufen und in der dem Eingange diagonal entgegengesetzten Ecke des Hauses sich vereinigen; von hier läuft die den beiden Herden gemeinsame, zugleich zum Abzuge des Rauches dienende Röhre unterirdisch zum Hause hinaus und mündet unweit desselben in einen ebenso geformten, senkrecht stehenden, hohen, das Haus meist überragenden Schornstein (k, gilj. kla). Auf den Bänken sind meist von den Giljaken selbst aus einer Schilfart geflochtene Matten ausgebreitet, die nur den Rand der Bank freilassen, und nicht selten sind auch die Wände stellenweise mit solehen Matten belegt. In der Mitte des Hauses, zwischen den beiden die Dachfirste stützenden Pfeilern erhebt sich ein massiver, grosser, etwa zwei Faden langer und halb so breiter Tisch (l), auf welchem die Hunde gefüttert werden und den ich daher schlechtweg Hundetisch nennen werde (gilj. /yll). Die Platte desselben, die an ihren Längskanten meist in grobgeschnitzte, pyramidale, kegel- oder hakenförmige Fortsätze ausläuft, ruht auf vier fest in die Erde eingerammelten Pfosten (m) und kann nöthigenfalls, wenn Raum im Hause geschaflt werden soll, wie z. B. während der Bärenfestlichkeiten, von denselben abgehoben werden. Ueber den beiden Enden des Hundetisches hängen vom mittleren Längsbalken des Hauses zwei Querhölzer herab, zwi- schen die eine lange Stange gesteckt werden kann, an welche die Hunde während der Fütte- rung angebunden werden. Unsere Taf. XH, die diese später zu besprechende Hundefütterung darstellt, giebt auch einen Einblick in die Beschaffenheit des Innern eines giljakischen Winter- hauses; nur muss ich bemerken, dass der Hundetisch auf derselben etwas zu klein und hinge- gen der Raum zwischen demselben und der Pritsche zu gross angegeben ist. Spätere Bilder, die zur Wlustration der Bärenfestlichkeiten und der Leichenbestattung bei den Giljaken dienen sollen, treffen in dieser Beziehung ein riehtigeres Verhältniss und geben zugleich eine Vorstel- lung von manchem anderen oben berührten Detail im Bau und in der inneren Einrichtung eines giljakischen Winterhauses. Zum Schluss dieser Beschreibung muss ich noch erwähnen, dass an den Wänden (n) gleich rechts und links vom Eingange hie und da Wandbretter oder Reposi- torien zum Abstellen von Hausgeräth sich befinden, und hier ist auch der Platz für ein oder mehrere grosse Gefässe, die den nöthigen Bedarf an Wasser zum Trinken und zum Bereiten der Speisen enthalten. Desgleichen hängt längs der hinter dem Herde befindlichen Wand eine Etagere mit verschiedenem Koch- und Speisegeräth herab. Endlich sei noch bemerkt, dass in der vorderen Querwand des Hauses, nahe dem Dache ein rundes, durch eine ebensolche Strohmatte ver- schliessbares Loch sich befindet, dass zur Ventilation des Hauses dient, wenn dasselbe beim Bereiten der Fischbrühe für die Hunde sich mit Dampf und Qualm oder bei mangelhaften Zuge in den Ofenröhren mit Rauch angefüllt hat. Uebrigens habe ich es fast immer oflen stehen und nur zur Nacht schliessen sehen. Da in Folge des Rauchlochs die an der vorderen Giljaken. Vorzüge und Mängel der chinesischen Winterjurte, 329 Querwand gelegene Pritsche am meisten dem Zuge ausgesetzt ist, so giebt diese den schlechte- sten Platz im Hause ab und entbehrt in der Regel der Strohmatten, wogegen die an der vorderen Längs- und nächstdem die an der hinteren Querwand sich hinziehende Bank für die besten Plätze gelten, und hier wird einem Gaste zu Ehren auf die nie fehlende Strohmatte bisweilen noch ein kleiner, von den Chinesen erhandelter Teppich ausgebreitet. So unzweifelhafte Vorzüge die chinesische Winterjurte der Giljaken vor ihrer Erdjurte hat, insofern sie viel geräumiger, heller und, in Folge der Röhrenleitung unter den Pritschen, im Allgemeinen auch wärmer und keinem so raschen Temperaturwechsel ausgesetzt ist, so bietet sie doch auch manche Mängel, und zum Theil solche, welche die Erdjurte nieht oder wenigstens nicht in dem Grade kennt. Die dünnen Aussenwände und grossen Fenster vermögen den scharfen Frösten und heftigen Schneestürmen keinen vollen Widerstand zu leisten: es zieht an denselben oft in empfindlicher Weise, und an manchen Stellen dringt feiner Schneestaub ein, oder lagern sich Eisniederschläge ab. Stärker noch ist der Zug am Fussboden, namentlich weil die Thür unmittelbar nach draussen und nicht in einen schützenden Vorraum, wie bei der Erdjurte, mündet. Zudem muss sie auch bei diesen Winterjurten bisweilen eine Zeit lang ollen gehalten werden, um einen allzustarken Qualm oder Rauch aus denselben zu entfernen. Zug und Kälte am Fussboden sind hier um so empfindlicher, als die Pritschen im Gegentheil oft sehr warn sind. Die Giljaken freilich leiden weniger darunter, da sie meist mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen auf der Pritsche sitzen. Wie stark diese letzteren sich erhitzen und dadurch wiederum unbequem werden können, davon konnte ich mich überzeugen, als ich im Januar 1856 meh- rere Tage lang den Bärenfestlichkeiten in Tebach beiwohnte. Um die zahlreichen Gäste zu bewirthen, wurde in beiden Herden ununterbrochen ein starkes Feuer unterhalten, und in Folge dessen stieg die Temperatur der Pritschen so sehr, dass in meinem ledernen Handkofler, den ich neben mir hielt, einige vorräthige Stearinlichte vollständig schmolzen. Die heizbaren Schlafbänke haben übrigens auch noch den grossen Vebelstand, dass sie der Vermehrung von mancherlei Ungeziefer starken Vorschub leisten. Unter denselben, an unzugänglichen, verbor- genen Stellen, längs den Röhren u. s. w., nisten unzählige Ratten (Mus decumanus), die Nachts herauskommen, um ihrer Nahrung nachzugehen. Ich habe sie oft, wenn Alles zur Ruhe gegan- gen und ich noch an meinen Tagebüchern schrieb, aus ihren Schlupflöchern hervorkommen und in geringer Entfernung von mir ihr Wesen treiben sehen. Sie verschmähen es nicht, sich sogar auf das innere Gebälk des Hauses zu begeben; als ich mir einst, um anderem Ungezieler zu entgehen, dort eine Hängematte anbringen liess, warnten mich die Giljaken davor, dass die Ratten die Riemen zernagen und die Matte zum Fallen bringen würden. Noch lästiger aber ist das Ungeziefer, vor dem ich mich in solcher Weise zu schützen suchte: auf den warmen Prit- schen wimmelt es von Flöhen, die in den Ritzen und Fugen der groben Strohmatten einen vor- züglichen Aufenthaltsort finden. Betritt man im Sommer ein leerstehendes giljakisches Winter- haus, so ist man im Nu buchstäblich übersäht von ihnen. Ja, ich habe mich überzeugen müssen, dass es alsdann nicht gerathen ist, sein Zelt auch nur in der Nähe eines solehen Hauses, auf dem es umgebenden glatten und festen Erdboden aufzurichten. Ohne Zweifel liegt in dieser Menge 42 330 Die Völker des Amur-Landes. von Ungeziefer und insbesondere von Flöhen, so wie übrigens auch in der Unmöglichkeit, sich im Sommer auf erhitzten Pritschen aufzuhalten, ein Hauptgrund, wesshalb die Giljaken bei nahendem Frühling ihre Winterhäuser verlassen und anders eonstruirte Wohnungen beziehen. Es fragt sich nun, welche von den beiden oben beschriebenen Arten winterlicher Behau- sung bei den Giljaken in den verschiedenen Theilen ihres Wohngebietes üblich ist. Zur Zeit meines Aufenthaltes im Amur-Lande (1854—56) war die Erdjurte so gut wie ausschliesslich auf Sachalin beschränkt, dort aber herrschte sie bei Weitem über die chinesische Winterjurte vor. Die Ostküste der Insel und das Tymy-Thal kannten nur die Erdjurte '). Aufder Westküste, soweit sie vom Nordjapanischen Meere bespült wird, d. i. von Pilja-wo, dem südlichsten Punkte der Giljaken, bis nach Poghobi, gab es auch nur Erdjurten °). Allein von dort nordwärts, am Liman und am Ochotskischen Meer bis zur Nordspitze der Insel, lagen bald aus Erd-, bald aus chinesi- schen Jurten bestehende Dörfer, und zuweilen kamen auch beide Formen winterlicher Behausung neben einander vor. Ich bin in diesem Theile Sachalin’s selbst nicht gewesen, habe aber detaillirte Nachrichten über die in demselben gelegenen Dörfer, sowie über die Zahl und Beschaffenheit’ ihrer Jurten gesammelt, unter Anderem auch von dortigen Giljaken, die mich im Nikolajef- schen Posten in Gesellschaft von mir befreundeten Tscheharbach -Giljaken besuchten). Einige Jahre später (1861) bereiste Glehn einen Theil dieser Küste und gab ein Verzeichniss aller auf derselben befindlichen Dörfer, nebst der Zahl und Beschaffenheit ihrer Jurten *). Ver- gleiche ich meine Nachrichten mit den seinigen, so stimmen sie im Wesentlichen überein, zeigen jedoch auch einige Differenzen, die fast sämmtlich der Art sind, dass man auf eine in der Zwischen- zeit stattgehabte Abnahme der Bevölkerung in diesem Theile Sachalin’s schliessen möchte. So ist die Zahl der Dörfer, namentlich der kleinen, nur eine einzige Erdjurte zählenden, in meiner Liste grösser als bei Glehn, wobei jedoch die Namen derselben auch bei ihm vorkommen, aber mit anderen Bezeichnungen, als auf einen und denselben, nicht minder kleinen Ort bezüglich, zusam- mengezogen werden. Ebenso giebt meine Liste für die grösseren Ortschaften fast durchweg eine grössere Anzahl von Jurten als die Glehn’sche an. Und diese schon nach meiner Zeit einge- tretene Entvölkerung erklärt sich vollständig durch die oben erwähnte starke Pocken-Epidemie, die im Winter 1857/58 gerade diesen Theil des Amur-Landes verwüstete. Wie bereits bemerkt, starben dabei manche Jurten ganz aus, und von manchen kleinen Ortschaften, die deren nicht mehr als eine zählten, blieb daher nur der Name übrig, der von späteren Reisenden leicht als synonyme Bezeichnung auf eines der nächstgelegenen Dörfer bezogen werden konnte. Wo 1) Die Angabe Mizul’s (Ogepkt ocrp. Caxaımna »% | (oder 2°), die jedoch zu meiner Zeit noch nicht existirte, CEABCKO-X03. OTHom. C. Herepö. 1873, erp. 134), dass die | wie ich mit Bestimmtheit behaupten kann, da ich an die- Giljaken im Tymy-Thale in Häusern von chinesischer | sem Orte in den Jahren 1855 und 1856 nicht weniger als («mandshurischer») Bauart wohnen, ist ganz falsch und | viermal gewesen bin. kann nur auf sehr mangelhafter Erkundigung beruhen. 3) Es waren dies namentlich die Giljaken Jaftun und 2) Im J. 1861 fand Glehn (Reiseber. von der Ins. | Pryngan aus dem Dorfe Dshongi und Tanskin aus dem Sachalin. — Beitr. zur Kenntn. d. Russ. Reiches, Bd. XXV, | Dorfe Nganj-wo am Liman. p- 234) in Poghobi eine «grosse mandshurische» Jurte 4) A. a. O., p. 232 ff. Giljaken. Vertheilung der Erd- und der chinesischen Winterjurten auf Sachalin. 331 unsere Nachrichten in Beziehung auf die Beschaffenheit der Jurten — ob Erd- oder chinesische Jurten — auseinandergehen, da handelt es sich stets um solche Orte, die von Glehn nicht besucht worden sind und über die er daher auch nur nach Angaben der Eingeborenen berichten konnte. Aus diesem Grunde und weil ich bei allen vor- und nachstehenden Betrachtungen aus dem Amur-Lande stets die Zeit meines Aufenthalts daselbst im Auge habe, muss ich auch die Vertheilung der Erd- und chinesischen Winterjurten auf Sachalin nach den von mir selbst ein- gezogenen Nachrichten schildern. Demnach lagen zu jener Zeit nördlich von Poghobi zunächst noch drei aus je einzelnen Erdjurten bestehende Dörfer. In Dshongi traf man, von Süden gegan- gen, die erste chinesische Winterjurte, auf welche jedoch wiederum vier je eine Erdjurte zäh- lende Dörfer folgten. Nordwärts von Talvant-tigr-wo, das eine Erd- und eine chinesiche Jurte enthielt, beginnt mit Tulksj!) eine Reihe von Dörfern, die nur aus Häusern der letzteren Art bestehen. Es ist dies, wie schon erwähnt, mit der bevölkertste Theil von Sachalin, mit den grössten Dörfern, darunter auch das zu meiner Zeit durch seine räuberische Bevölkerung übelberüch- tigte Tamla-wo, das nach Angabe der Giljaken über 12 Häuser zählte°). Das letzte dieser in ununterbrochener Reihe gelegenen Tschadryf-Dörfer Sachalin’s ist Pomyr- oder Pomyt-wo, am Ochotskischen Meer. Glehn ist über dieses Dorf nach Norden nicht hinausgekommen und giebt für den übrigen Theil der Westküste Sachalin’s bis zur Nordspitze der Insel nur Erdjurten an. Nach meinen Erkundigungen aber überwiegt auch dort die chinesische Winterjurte; denn nach einem kleinen Toryf-Dorfe, Muisib-wo (Musjv bei Glehn), folgt das ehemals wohl grössere Pilja-wo, mit einer Erd- und einer chinesischen Jurte, und dann giebt es noch zwei Tschadryf- Dörfer, Tumi-wo und Ngywr-wo (bei Glehn Ngyd), von denen das letztere recht ansehnlich ist (5 Jurten) und von der Nordspitze der Insel (dem Mif-ych, wie die Giljaken es mir bezeich- neten) nicht mehr fern liegt. Nach seiner Lage in der kleinen Einbuchtung, die Krusenstern Bai Nadeshda nannte, muss Ngywr-wo dasselbe Dorf sein, welches dieser Seefahrer im Jahre 1305 besuchte. Aus seiner ziemlich ausführlichen Beschreibung desselben ersieht man, dass die Giljaken («Tatarem) zur Zeit — es war am 15./27. August — in ihren Sommerjurten wohn- ten; etwas abseits lagen aber andere, scheinbar besser gebaute, mit Feuerherden und Schorn- steinen versehene Häuser, die jedoch zu der Zeit leer standen ?), — oflenbar die oben beschriebe- nen Winterjurten der Giljaken. Hier hat man also einen anderen Beweis für das Vorhanden- sein von Tschadryf-Dörfern auch in diesem Theile Sachalin’s®). 1) Bei Glehn heisst es Jordent-ligr-wo. hier die ganze von mir erkundete Liste der auf Sachalin 2) Glehn fand deren nur 9. Auf die grosse Zahl der | nördlich von Poghobi gelegenen Dörfer mit Angabe der Häuser und Einwohner dieses Orts deutet auch sein Name, | Zahl und Beschaffenheit ihrer Jurten bei. Zwar haben denn tamla, tamlatsch oder tamlantsch bedeutet im Gilja- | wir die Namen der Dörfer nicht immer ganz gleich gehört, kischen «zahlreich». | doch fällt es nicht schwer, dieselben wiederzuerkennen. 3) Krusenstern, Reiseum die Welt, Bd. II.,p. 178,182. | In Klammern füge ich auch die von Glehn angegebene 4) Um meine obigen Angaben noch zu ergänzen | Jurtenzahl bei, da man aus derselben, namentlich für den und zu belegen und zugleich die Möglichkeit zu geben, | von Pomyr-wo an sudwärts sich erstreckenden Theil deı sie mit denen Glehn’s genauer zu vergleichen, füge ich , Küste, wo Glehn die meisten Punkte selbst besucht und > » ’ > i ’ 332 Die Völker des Amur-Landes. In viel höherem Grade noch als auf Sachalin die Erdjurte herrscht bei den Giljaken des Gon- tinents die chinesische Winterjurte vor. Ja, hier gab es zu meiner Zeit nur noch eine einzige Erdjurte, die seitdem vermuthlich auch verschwunden ist: es war dies die kleine Erdjurte von Pättach, am Liman gleich nördlich von der Amur-Mündung. Ich habe sie im März 1856 besucht; sie lag in einiger Entfernung von der chinesischen Winterjurte desselben Orts und war ganz ebenso wie die kleineren Erdjurten Sachalin’s beschaflen. Dass sie in der That die einzige ihrer Art auf dem Festlande war, lässt sich mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten. Im übrigen Liman, am Amur und am Ochotskischen Meere, vom Liman bis nach Kulj, dem grössten, 10 (?) Winter- jurten zählenden Dorfe an jener Küste, giebt es sicherlich keine Erdjurten mehr. Am Tugur- und Ulban-Busen, wo Middendorff die Giljaken kennen lernte, bewohnen sie im Winter, wie ich aus seinen handsehriftlichen Notizen ersehe '), ganz eben solche Häuser wie im Liman und am Amur. Es lässt sich daher nicht annehmen, dass es in dem Zwischenraume zwischen Kulj und dem Ulban-Busen, der einzigen Strecke, über die uns keine Augenzeugennachrichten vorliegen, anders wäre. Auch wussten mir die Giljaken, so oft ich sie darum befragte, von keiner Erdjurte auf dem Festlande, ausser der oben erwähnten von Pättach, zu berichten. Kurz zusammengefasst, bildet also gegenwärtig die chinesische Jurte bei den Giljaken auf dem Festlande, so weit deren Verbreitung reicht, die einzige Art der Winterbehausung ; auf der Insel Sachalin hingegen kommt sie nur auf der dem Festlande gegenüber liegenden Westküste, am Liman und am Ochotskischen Meere, mit der Erdjurte untermischt, vor, wäh- rend im ganzen übrigen giljakischen Theile der Insel diese letztere Form allein zu finden ist. Aus dieser Vertheilung beider Arten von Winterwohnungen lässt sich schon der Schluss ziehen, dass die Erdjurte die ursprüngliche, den Giljaken eigenartige Behausung ist, die bei ihnen ehemals auch auf dem Gontinent allgemein gebräuchlich war, später aber durch eine fremdartige, den Amur abwärts gekommene Form auf dem Festlande allmählich ganz und auf der ihm zunächst gelegenen Küste Sachalin’s zum grossen Theil verdrängt wurde und nur bei den entfernter woh- ihre Jurten gezählt hat, einigermaassen über die Entvöl- Nganj-wo .. . mit 4 (3) ehines. Jurten kerung urtheilen darf, welche die Pocken-Epidemie von Tylent-tigr-wo . » 1 (29 » 1857/58 daselbst hervorgerufen hat. Demnach liegen nörd- Matent-tigr-wo . » 3 (2) » lich von Poghobi folgende Dörfer: Tamla-wo ... » über 12 (9) » Wismeryf ... mit 1 Erdjurte Lyrkr-wo ... » 4 » VarsIue Pure. » 1 (1) » Wissk-wo . .. » 3 (5) » Neyithoagnsser » 1 (4) » Neyl-wor. - .. » 1 (1) » Dshongi . . . . » 1 chines. Jurte Pomyr-wo .. . » 3 (3) » Toktschie ... . » 1 (1) Erdjurte Muisib-wo . . - » 1 (2) Erdjurte Jügdama . . . . » 1 (1) » Pilja-wo ... ... » 1 (1) » undi Byrkigen 0.8. » 1 (1) » chines. Jurte Tscheghngi . . . » 1 (4) » Tumi-wo . E » 2 chin. Jurt. (1 Erdj.) Talvant-tigr-wo . » 1 (1) » und Neywr-wo . . . » 3» DE (3m) chines. Jurte 1) Auch in seinem Reiseberichte (s. Beitr. zur Kenntn. Tulksjzarerdr - » 2 (3) chines. Jurten des Russ. Reichs, Bd. IX, 2. Abthl., p. 619) erwähnt er Langri (Sommerdorf von Tulksj) der «zweekmässigen, unter den Schlafbanken fortgeleite- Matsch-wo . . . » 2 » ten Wärmeleitungsröhren in den Häusern» der dortigen Mangal-wo Mur » 1) » Giljaken. Giljaken. Erdjurten anderer paläasiat. Völker: Aino, Kamtschadalen. 333 nenden Insel-Giljaken sich erhalten hat. Dafür, dass die Erdjurte in der That die ursprüngliche Winterwohnung der Giljaken ist, spricht endlich, ausser dem obenerwähnten höchst einfachen und primitiven, dem Zelte nachgebildeten Bau derselben, auch der Umstand, dass sie, nur mit geringen Modifikationen, auch bei den übrigen paläasiatischen Völkern zu finden ist. Bei den nächsten Nachbarn der Giljaken, den Aino, ist sie in allgemeinem Gebrauch. Nach Mamia Rinsö's Schilderung!) graben die Aino von Südsachalin erst eine 3—4 Ken tiefe Grube in die Erde, schlagen dann Pfosten an den Ecken ein und errichten darüber ein aus Baumrinde und Zweigen zusammengeseiztes Dach, das über dem Eingange vorspringt und so einen Vorplatz bildet, von welchem aus eine Stiege in die Wohnung hinmabführt. Im Inneren derselben ist die Einrichtung auch ganz ähnlich wie in den giljakischen Erdjurten,, nur liegt der Herd seitwärts neben der Stiege und hat über sich eme Oeflnung im Dach, während im Mittelraume, zwischen den seitlichen Sitz- und Schlafplätzen, nur bisweilen, wenn es beson- ders kalt ist, ein Feuer zu ebener Erde angemacht wird; doch braucht dies nur selten zu ge- schehen, da diese Wohnungen, wie Mamia Rinsö ausdrücklich hervorhebt, durchgehends -äusserst warm sind. Rudanofskij”), Busse®), Dobrotworskij°) u. A. haben ausführlichere Beschreibungen derselben geliefert, aus denen man ersieht, dass die an den beiden Seiten der Jurte sich erstreckenden Schlafplätze niedrige Pritschen sind, wie bei den Giljaken, aber mit Schiebläden versehen, worin ich einen japanischen Einfluss sehen möchte; dass ferner jederseits, wo die Pritschen beginnen, ein Herd, in kleineren Jurten aber auch nur ein soleher in der Mitte der Wohnung, also genau wie in den giljakischen Erdjurten, liegt, und über jedem Herde eine Oeflnung im Dach zum Austritt des Rauches sich befindet; dass endlich zu letzterem Zwecke bisweilen auch eine Röhre vom Herde nach dem Vorhause läuft und etwa eine halbe Arschin hoch aus demselben emporragt, u. s. w. Gleichwie die Aino von Sachalin, bewohnen auch diejenigen von Jesso im Winter Erdjurten ®). Das nächste paläasiatische Volk, die Kamtschadalen, wohnte noch zur Zeit von Steller und Krascheninnikof den Winter über ausschliesslich in Erdjurten. Bei den genannten Rei- senden findet man eine ausführliche Beschreibung und bei Steller auch einen Plan und eine Ansicht vom Inneren derselben ’). Abgesehen von manchem Detail in ihrer inneren Einrichtung, Ama, HSBAICH. 135 EerO BOCHNO-MeAHU. oTueTa 3a 1868 vr. 1) Tö-tats kiko (Siebold, Nippon, VII, p. 18%). 2) Nach Siebold 6—8 Meter, was aber jedenfalls zu tief wäre. 3) In den mir zur Benutzung anheimgestellten schrift- lichen Aufzeichnungen von seiner Reise im Winter 185: durch das südliche Sachalin; desgl. in lHloaruru pycer. 1849— 1857 r., Heseapckaro, 134. NO0AD Ierepö. 1878 r., erp. 296. 4) H.Bycece, Ocrp. Caxanınp mn Ikcuea. 1853 u SA rr., Auesuukt cn 25. Apr. 1853—19. Mas 1854 r., C. Herepo. 1872, erp. 97, 98. 5) M. Aoöporsoperiit, Höskuaan uacın ocTp. Gaxa- MOPeR. OP. ma Kpalin. Bocrt. Pocein NOCMEPTHBIA 3al. AaaMmup. peaarıı. B. Baxruna, C. (Has. Cu6. Ora. Umn. Pycer. Veorp. O6m. T. I, N 2 u 3, Upsyrer» 1870, erp. 29); auch in desselben Aunero-pyc- eriit e.1orapp, Kasann 1875 (Hpırıosr. xp Vuen, 3arı, Hnn. Ka3. Yun. 1875 r.), 6) Vosrosrunun, y Sluonuere 8» 1811, 1812 u 1815 rr., €. IHerep6. 1816, 4. III, erp. 164. 7) Steller, Leipzig 1774, p. crp. 35. Jar. © NPMKMON. eroO BB Iabuy Beschr. von dem Lande Kamilschatka, Frankf. u. 212. Kpamennmunnukoßn, Onne. sem.ımn Ramuarkı (lo. co6op. yuen.nyrem,no Pocein, n3,1aR. Unn. Ara. Hayev, T. I, C. Ierep6. 1819, erp. 37). Die Völker des Amur-Leandes. bot die kamtschadalische Erdjurte die interessante Abweichung von der giljakischen, dass bei ihr der äussere, gedeckte, zur Thür führende Gang in einen Kanal sich verwandelt hatte, der, mit seiner inneren Mündung auf den in der Mitte der Jurte gelegenen Herd gerichtet, dazu diente, beim Feueranmachen einen starken Luftzug hervorzubringen, nachher aber, wenn das Feuer ausgegangen, an seinem äusseren Ende geschlossen wurde. Durch diesen Kanal aus der Jurte hinaus oder in dieselbe hinein zu kriechen, war nach Steller!) nur den Kindern gestattet °); den Erwachsenen hingegen diente zum Ein- und Ausgange das gerade über dem Herde befind- liche Rauchloch, von welchem ein schräg gestellter, mit tiefen Einkerbungen versehener Balken zum Boden der Jurte hinabführte. Wie Steller berichtet®), wurden die Kamtschadalen am Penshinischen (Ochotskischen) Meer wegen ihrer Erdjurten von ihren Nachbarn im Norden, den Rennthier-Korjaken, «Namalaw oder «Xamalam», d. h. in unterirdischen Behausungen Wohnende, genannt, — eine Bezeichnung, von welcher Gerland den Namen Namollo für die von Amerika nach der asiatischen Küste des Berings-Meeres zurück gewandertn Eskimo oder Juit — wie sie sich selbst nennen — ableitet’). Von den Korjaken, einem ebenfalls paläasiatischen Volke, hat ein Theil, die sesshaften Korjaken, so weit sie nicht bereits russische Sitten und damit auch russische Wohnungen ange- nommen haben, die Erdjurte noch bis auf den heutigen Tag beibehalten; so, nach Ditmar’), 1) L. c., p. 214. 2) Nach Krascheninnikof (l. c., p. Weibern Kojektschutsch (Steller, Nl!c., 40) auch den und oder Kojachtschitsch Weiber es hingegen ein Mann, so setzte er sich dem Hohn aller Anwesenden aus. In p- 351, Anm.), d. h. den als sich gerirenden Männern; that Folge von Verstummelung der kamtschadalischen Bezeich- nung für die aussere Oeffnung dieses Kanales (schopo- natsch) nannten die russischen Kosaken denselben shupan. 3) L. c., p. 8 und 240. 4) G. Gerland, Zur Ethnogr. des aussersten Nord- ostens von Asien (Zeitschr. der Gesell. für Erdkunde zu Berlin, Bd. XVIU, 1883, p. 221). Ob diese Ableitung be- gründet ist, vermag ich nicht zu entscheiden, die obigen Angaben Steller’s hat jedoch Gerland vollständig miss- verstanden, indem er meint, dass die Korjaken mit dem ersteren jener Namen (N amalau)die am Kamtschatka-Fluss wohnenden Kamtschadalen und mit dem letzteren (N a- malan) die Tungusen, ebenfalls ihrer Erdhütten wegen, Nach Steller beziehen weder auf die Einen, noch auf die Anderen, sondern beide bezeichnen. sich diese Namen gleicherweise auf die Kamtschadalen (Itälmenen) am Ochotskischen (Penshinischen) Meere. Von den am Kam- tschatka-Fluss wohnenden sagt er ausdrücklich, dass die Korjaken sie, ohne einenGrund dafur angeben zu können, «Jutilitam» nennen (p. 8); von den Tungusen aber — die übrigens gar keine Erdjurten haben — bemerkt er nur (p. 240), dass sie, trolz ihrer öfteren, bereils vor An- kunft der Russen bis an den Penshina-Fluss ausgedehnten Einfalle, von den Kamtschadalen nichts wüssten. Man kann sich ein solches Missverstehen Steller’scher An- gaben, wie es Gerland widerfahren, theils aus dem ver- alteten Stil Steller’s, theils aus der häufig (und auch am betreffenden Orte, p. 8) äusserst mangelhaften und incorrek- ten Interpunclion in dieser Ausgabe seines Werkes erklä- ren. Wie ich bereits an einem anderen Orte (Reis. u. Forsch. im Amur-Lande, Bd. II, p. 762, Anm. 3) hervorgehoben habe, sagte Pallas von derselben, dass sie «aus einer Kladde abge- druckt und unter den Händen des Herausgebers (J.B.S.) mit den unverantwortlichsten, eine grobe Unwissenheit verra- thenden Copir- und Druckfehlern überhäuft worden sei» (Neue Nord. Beytr. Bd. II,p.255). Von derRichligkeit dieses Urtheils von Pallas kann man sich beim Lesen des Stel- ler’schen Werkes auf Schritt und Tritt überzeugen. Aus diesem Grunde glaube ich, dass auch die scheinbare Diffe- renz jener beiden korjakischen Bezeichnungen fur die Kamtschadalen nur auf einen Druckfehler sich zurück- führen lasst. Steller giebt ausserdeman, dass dieam Ochots- kischen Meere ansässigen Korjaken von ihren mit Renn- thieren nomadisirenden Landsleuten «Numala akalila», d. h. Sitzende, Ruhige, genannt werden. Sollte aber dies «Numala» nicht auch wie jenes «Namalau» auf ihre unterirdischen Wohnungen Bezug haben? 5) Ueber die Koraken und die ihnen sehr nahe ver- wandten Tschuktschen (Bull. de la cl. hist.-phil. de l’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb., T. XII, p. 104, 107, 109; Mel. russes, T. III, p. 8, 12, 16). Giljaken. Erdjurten bei anderen paläasiat. Völkern: Korjaken, Tschuktschen. 339 namentlich die am Penshinsker Meerbusen ansässigen Kamenzen und Parenzen, nebst den nördlichsten Pallanzen (in Pusstorezk und Podkagernaja), und die meisten Olutorzen an der Nordostküste von Kamtschatka. Nach Ditmar ist die korjakische Erdjurte von sehr einfacher Beschaflenheit: eine Grube von etwa 2—3 Faden ım Quadrat, mit Holzklötzen ausgefüttert und überdacht und, wie die ehemalige kamtschadalische, mit dem Eingange durch’s Rauch- loch!). Nach Maydell hat übrigens die korjakische Erdjurte auch einen seitlichen Eingang, der durch einen engen, etwas absteigenden Kanal in das Innere führt, doch wird dieser nur einmal im Jahr benutzt: wenn nämlich der Wirth im Herbst seine Jurte bezieht, so kriecht er zuerst durch diesen Gang hinein, schliesst ihn aber dann sofort mit einer in einem Rahmen ausge- spannten Seehundshaut, worauf in der übrigen Zeit nur das Rauchloch zum Ein- und Ausgehen benutzt werden darf?). Die wandernden Korjaken haben natürlich keine Erdjurten. Sollten aber ihre Vorfahren nicht auch welche gehabt haben? In der Regel meint man zwar, dass die sess- haften Korjaken ehemals auch Rennthiernomaden gewesen seien und erst nach Verlust ihrer Heerden an der Meeresküste sich niedergelassen hätten, um hier von Thier- und Fischfang zu leben, — eine Umwandlung, wie sie zum Theil auch unter den Tsehuktschen stattgefunden hat und noch stattfindet °). Allein zwischen den sesshaften oder Küsten-Tsehuktschen und den sess- haften Korjaken besteht der grosse Unterschied, dass diese in der That sesshaft sind und feste Winter- und Sommerwohnungen haben, während jene auch nach Verlust ihrer Rennthiere und nach ihrer Niederlassung an der Meeresküste ein halbnomadisches Leben beibehalten und dem ent- sprechend auch keine festen Wohnungen, keine Erdjurten errichten, sondern nach wie vor in ihren transportablen Zelten wohnen ®). Jenes scheint mir eine althergebrachte, gewissermaassen ursprüng- Dasselbe von den Tschuktschen, verwechselte aber dabei die sesshaften Tschuktschen mit den Namollo. Dass die richtigen Küsten-Tschuktschen aus Nomaden 1)Krascheninnikof(Önne. semau Ramuarkı. — loan. coöp. nyrem. ı np., T. II, erp. 195), Müller (Geogr. und Verfass. von Kamtschatka; im Anhang zu Steller’s Be- schreib. von dem Lande Kamitsch., v. 24), Ditmar (l. c.), | desselben Stammes, die ihre Rennthiere verloren haben, Bush (Reindeer, dogs and snow-shoes; a journ. of siber. | entstanden sind und noch entstehen, unterliegt wohl travels and explor. made in the years 1865— 1867, London | keinem Zweifel und wird von Wrangell (Hyr. no eb». 1871, p. 352), Kennan (Tent life in Siberia and Adven- tures among the Koraks and oth. tribes in Kamtschatka öep. Cuö. ıı no leaos. mopr, 4. II, erp. 335), Ditmar (1. e.) u. A. angegeben. and North. Asia, London 1871, p. 153, 178) u. A. Letz- terer namentlich schildert das Ein- und Ausgehen durch’s Rauchloch in der korjakischen Jurte und all’ die damit verbundenen Ungelegenheiten in höchst drastischer Weise, 2) Laut mündlicher Mittheilung des Hrn.G.v.Maydell. 3) Schon Krascheninnikof(l.c.,Bd.II,p. 20%) meinte, dass die sesshaften Korjaken ehemals Rennthiernomaden gewesen seien. Ebenso sprechen sich Erman (Reise um die Erde, 1. Abth., Histor. Bericht, Bd. II, Berlin 1838, p- 423, Anm.), Ditmar (Bull. ete. 1. c., p. 103, 127; Mel. 1. c., p- 7, 36), Kennan (l. c., p. 159) aus. Nach Ditmar soll diese Verarmung schon in lange vergangener Zeit, der Sage nach in den Kampfen mit den Tschuktschen erfolgt sein. Ssarytschof (Hyrem. no Cbpepo-nocr. vacrn Cu- Gupu, ‚leaos. mopıo u Bocroun. Or., 4. I, erp. 105) meinte Schrenck's Amur-Reise, Band III. 4) Wrangell (Hyrem. u np., 4. II, erp. 336). Nor- denskjöld (Die Umsegel. Asiens und Europas auf der Vega, Deutsche Uebers. Leipzig 1882, Bd. II, p. 82). In Werke Photographie von L. dem letzteren findet man auch eine nach einer Palander wiedergegebene Abbil- dung von einem Zelte der Kusten- oder sesshaften Tschuk- tschen (Bd. I, p. 39%). Auch ist in demselben vielfach von Zahl Beschaffenheit Dörfern, welche die Mitglieder der Vega-Expedition auf ihren Winterfahrten im Winter bisweilen stattfindenden Umzuge der Kuüusten- Tschuktschen die Rede (so z. B. Bd. I, p. Ebenso bei Nordqvist (s. Petermann’s Geogr. Mittheil., 1881, p. 42). der und der einzelnen Zelte in den besuchten, sowie von dem auch 443 u. a.). 336 Die Völker des Amur-Landes. liche Lebensweise zu sein, dieses nur eine spätere, ja bisweilen bloss zeitweilige Rück- wandelung. Meiner Ansicht nach muss man sich daher jene Wandelung im Leben dieser Völker in umgekehrter Weise denken: gleich den noch jetzt sesshaften Korjaken hatten auch die Vorfahren der jetzigen wandernden Korjaken und ebenso auch die mit ihnen stammverwandten, nur dialektisch von ihnen verschiedenen Tschuktschen!) ehemals feste Wohnsitze, und zwar eben solche Erdjurten, bis sie von ihren Nachbarn, vermuthlich den auf sie eindrängenden Tungusen, das domesticirte Rennthier, ein den paläasiatischen Völkern noch fremdes Hausthier, kennen lernten und sich aneigneten; sobald dies geschehen, mussten sie ihre sesshafte Lebensweise aufgeben und ein Nomadenleben antreten, womit sie natürlich auch ihre feste Erdjurte gegen ein transportables Zelt zu vertauschen genöthigt waren. Und damit steht vollkommen im Einklange, wenn Wrangell?) zur Charakteristik der Tschuktschen sagt, dass sie trotz ihres Wanderlebens viel mehr Sesshaftes in ihrem ganzen Wesen als alle ande- ren Nomadenvölker haben: nur die Dürftigkeit der Weideplätze und der Mangel an Futter für ihre Rennthiere können sie zwingen einen Ort zu verlassen; ihre Neigung zur sesshaften Lebensweise tritt auch darin hervor, dass sie Vorräthe machen, sparsam, ja sogar geizig sind, — lauter Eigen- schaften, die den Nomadenvölkern ganz und gar abgehen; ja selbst ihre Kleidung, das breite, plumpe Pelzhemd und die langen Fellbeinkleider sind mehr für eine sesshafte Lebensweise geeignet). Ist dem aber so, haben ehemals alle Korjaken und Tschuktschen feste Wohnsitze, Erdjurten gehabt, so müssten sich im unberührten, meist gefrorenen Erdboden ihrer Heimath noch heutzutage Reste und Spuren derselben finden, namentlich von den Erdjurten der Tschuktschen, denn die Korjaken haben bekanntlich zum Theil noch jetzt solehe Wohnungen ; oder aber es müssten sich Spuren davon in den Sagen und Traditionen dieser Völker erhalten haben. Beides ist auch in der That der Fall, — nur wird es bisher anders gedeutet. Fast alle Reisen- den im Tschuktschen-Lande erwähnen der in demselben vorkommenden Reste alter Erdjurten, an denen das Holzwerk vielfach durch Walfischrippen ersetzt wird. Nach Wrangell kommen sie an der Eismeerküste auf der ganzen Strecke zwischen der Berings-Strasse und dem Cap Schelagskij vor *). Aufdieser Strecke, am Cap Irkaipij (Nordeap) und an anderen Orten traf sie auch die Vega-Expedition: manche derselben wurden geöffnet und alte Stein- und Knochenwerkzeuge aus denselben zu Tage gebracht; bisweilen sah man diese alten Wohnstätten von den jetzigen Tschuk- 1) Steller (l.c.,p. 8, Anm. a) und Krascheninnikof (. e., Bd. II, p. 197) wiesen schon auf die nahe Stammver- wandtschaft beider Völker hin, die spater vielfache Bestä- fand. So z. B. von Ssarytschof (Uyrem. rar, Buaaunrca upe3%b ÜyKOTckyIW 3eN.AW, WH3B.A. 13% PasH. :kypu., C. Herepö. 1811, erp. 67, Upumbu.), Lütke (Voyage ir o tigung aut. du monde, sur la corv. Le Seniavine, dans les ann. 1826— 1829, Partie hist., T. II, Paris 1835, p. 262; desel. in Erman’s Archiv für wiss. Kunde von Russland, Bd. II, 1843, p. 449) u. A. 2) L. c., p. 332. 3) Insbesondere hebt Wrangell diese Eigenthümlich- keiten der Tschuktschen den Tungusen gegenüber Nomaden insonderheit, von denen Adam Brandt (Neuverm. Beschreib. seiner gross. Chines. Reise, hervor, diesen welche er anno 1692 von Moscau aus über Gross-Ustiga, Siberien, Dauren und die grosse Tartarey bis in Chinam und von da wieder zurück nach Moscau innerhalb 3 Jahren voll- bracht, 3. Druck, Lübeck 1734, p. 99) den in dieser Bezie- hung charakteristischen Zuganfuhrt, dass sie keinen anderen Fluch kennen, als: «dass du unter den Russen wohnen, dass du den Acker bauen möchtest !» 4) Bpaure.ap, IHyrem, ı sp., 4. II, crp. 295, 333. Giljaken. Erdhüttenreste der «Onkilon» oder vormals sesshaften Tschuktschen. 337 tschen als Speckkeller benutzt }). Ssarytschof fand solche Reste auch noch westlicher, beim Bara- nof-Felsen °). Man schreibt sie den Onkilon zu. Was war das aber für ein Volk? Darüber sind die Ansichten verschieden. Wrangell meinte, dass die Onkilon, die der Sage zufolge ehemals bis zum Cap Schelagskij verbreitet waren, dieselben Eskimo seien, die noch heutzutage in ganz ähn- lichen Erdjurten an der asiatischen Küste der Berings-Strasse und des Berings-Meeres wohnen, also die Namollo oder Juit‘). Nordenskjöld bezeichnet sie bloss als ein von den Tschuk- tschen aus seinen Sitzen an der Eismeerküste vertriebenes Volk, das der Sage zufolge nach einigen weit hinaus im Polarmeere belegenen Inseln fortgezogen sei. Sollte man aber unter den Önkilon nicht die Vorfahren der Tschuktschen zu verstehen haben, aus der Zeit, da sie noch, gleich den Korjaken am Penshinsker Meerbusen und am Berings-Meere, in festen Erdjur- ten am Eismeere lebten? Folgende Gründe scheinen mir dafür zu sprechen. Wrangell hatte den Namen «Onkilom für die Bewohner jener Erdhütten von den Tseh uk- tschen gehört und glaubte ihn und damit auch jene Sage auf die asiatischen Eskimo beziehen zu müssen. Durch Nordqvist, der von allen Mitgliedern der Vega-Expedition die meiste Be- kanntschaft mit den Tsehuktschen und deren Sprache gemacht hat, erfahren wir aber *), dass der Name, mit welchem sie die asiatischen Eskimo bezeichnen «Aiguam lautet’); als «Ang- kadl, was mit «Onkıilon» ohne Zweifel identisch ist®) und auch dieselbe Bedeutung hat, nämlich «Seeanwohner», wie es auch Wrangell angiebt, bezeichnen sich hingegen die Küsten-Tschuk- tischen selbst, wobei sie sich jedoch, ebenso wie ihre wandernden Landsleute, für «Tschau- tschw (Tschuktschen) ausgeben ’). In den Angaben der Tschuktschen ist also durchaus kein Grund vorhanden, die Onkilon-Hütten den Eskimo zuzuschreiben; vielmehr geht aus denselben hervor, dass es die Wohnungen ihrer ehemals fest am Meere ansässigen Landsleute und Vorfahren waren. Von diesen ihren ehemaligen festen Wohnsitzen am Meere redet wohl auch jene Sage, deren Wrangell erwähnt. Sicherlich waren sie dabei auch über das Cap Sche- lagskij nach West verbreitet, wie die von Ssarytschof am Baranof-Felsen gefundenen Reste von Erdhütten beweisen. Nach Wrangell®) wohnten die Tschuktschen ehemals auch noch westlich von der Kolyma, und zwar noch zur Zeit, als die Russen bis in diese Gegenden vor- 1) Nordenskjöld, Die Umsegelung Asiens u. Europas | Geogr. Mitth., 1881, p. 41. auf der Vega. Autorisir. deutsche Ausgabe. Bd. I, Leipzig 5) Wie auch schon Maydell angab. S. oben, p. 244, 1882, p. 403—406, 456 u. a. Dort findet man auch eine | Anm. 3. Darstellung der Ueberreste einer solchen alten Hütte, nach 6) Nach Neumann (s. oben, p. 244, Anm. 3) lautet einer Zeichnung von Nordqvist, und mehrerer in der- | es «Ang-kali». 7) Nach den Gebrüdern Krause (Deutsche Geograph. Blätter, herausgegeb. von der Geogr. Gesellsch. in Bremen, 119) nennen die Rennthier-Tschuk- selben gefundenen Werkzeuge. 2) Capsıuer», llyrenm. no Cbpeponoer. vacru Cuönpn, Jeao». mopio u Bocr. oreany, 4. II, erp. 95, 96. Bd. V, 1881, p. 3) Oben (p. 251, Anm. 1.) ist von dieser Ansicht Wran- | tschen sich selbst «Tschautschuats», die Kuüstenbe- gell’s über die ehemalige Verbreitung der asiatischen | wohner aber «Ankadlian» oder «Aigwan», — ein Name, Eskimo ebenfalls die Rede gewesen, — einer Ansicht, | der jedoch, wie es ebenda (p. 132) heisst, mehr den Unter- die ich jedoch gegenwärtig, wie man aus dem Folgenden | schied in der Lebensweise und im Wohnort ({vrgl. Ang- ersehen wird, nicht mehr theile. kadli) als in der Nationalität ausdrückt. 4) Ose. Nordqvist, Bidrag till kannedomen am tschuk- 8) L. c., p. 331. tschorna (Ymer, 1882, p.29— 31). Vrgl. auch Peterman’s 338 Die Völker des Amur-Landes. drangen, also im XVH. Jahrhundert. Darauf weisen sowohl die russischen Namen für ein paar von links in die Kolyma-Mündung sich ergiessende Flüsse («Boljschaja» und «Malaja-Tschuko- tschj», d. h. Grosser und Kleiner Tschuktschen-Fluss), als insbesondere auch die unter den Einwohnern des Kolymsker Bezirkes verbreitete Tradition, dass die ersten Ansiedelungen der Russen unter häufigen und verheerenden Ueberfällen der Tschuktschen zu leiden hatten, wo- von einige Ortsnamen, wie «Pogromnoje» und «Ubijenno®, Zeugniss abgeben sollen. Zu dieser Zeit führten jedoch die Tsehuktschen ohne Zweifel schon ihre jetzige nomadische Lebens- weise. Eine fernere Stütze für meine Ansicht, dass die sogenannten Onkilon-Hütten den in alter Zeit ansässigen Tschuktschen und nicht den Eskimo angehörten, muss ich in dem Umstande sehen, dass diese Reste bis zur Berings-Strasse und also auch in dem Gebiete zu finden sind, wo das letztere Volk noch heutzutage in ähnlichen Erdjurten wohnt !). Gehörten sie den Eskımo an, so wäre gar nicht abzusehen, warum diese sie verlassen und sich daneben neue Erd- hütten errichtet hätten. Dies wird aber vollständig begreiflich, wenn man annimmt, dass diese Eskimo, wie ich es oben schon besprochen habe °), trotz des asiatischen Ursprunges des ganzen Stammes, erst in viel späterer Zeit über die Berings-Strasse nach Asien zurückgewandert seien, in Folge des Druckes, welchen die Entdeckung und Kolonisirung Amerika’s durch die Europäer auf die Indianer und durch diese auf die Eskimo ausübte °). Unbekümmert um jene alten Hütten- reste, bauten sie sich natürlich in dem Lande, nach welchem sie herüberkamen, ihre eigenen Wohnungen, die, nach demselben Princip, als Erdjurten, und aus denselben Materialien — Walfischrippen und Knochen — errichtet, jenen ersteren nicht unähnlich sein mussten. Ich werde ferner in meiner Ansicht über die Onkilon-Hütten dadurch bestärkt, dass die Vega-Expedition in der Nähe derselben auch alte, offenbar demselben Volke angehörige Opfer- plätze fand, welche nichtsdestoweniger auch von den jetzigen Rennthier-Tschuktschen als solche benutzt werden *). Dieses continuirliche Uebergehen der Opferplätze von den Onkilon auf die Küsten-Tschuktschen spricht sehr entschieden für die Identität beider Völker, denn es ist kaum denkbar, dass ein Volk die Opferplätze eines anderen, ihm feindlichen und von ihm bekriegten und schliesslich verdrängten Volkes benutzen sollte. Endlich muss ich zur Begründung meiner Ansicht über den Ursprung der Onkilon- Hütten noch einen Umstand zur Sprache bringen. Dall’) erwähnt einer Tradition, die er ım 1) So lagen z. B. die Reste einer lange verlassenen Erd- 2) S. oben, p. 249 und 250. jurte, die Hooper (Ten months among the tents of the Tuski, London 1853, p. 18) entdeckte, in der Plover-Bai, unweit von Cap Tschukotskij. Ebenda sah auch Why m- per (Travel and adventure in the territ. of Alaska, London 1868, p. 89) Reste ehemaliger Erdhütten («underground houses»), die einem jetzt nicht mehr vorhandenen Volke angehörten. Desgleichen Dall (Alaska and its resources, Boston 1870, p. 375). 3) Wie ich aus dem oben eitirten, mir bis dahin unbe- kannten Werke von Dall ersehe, vertritt er ebenfalls die Ansicht, dass die Eskimo in späterer Zeit, und zwar erst vor etwa drei Jahrhunderten nach Asien zurückgewan- dert seien. 4) Nordenskjöld, Die Umsegelung Asiens und Euro- pas, p- 406. 5) Alaska, p. 375. Giljaken. Ursprung der Onkilon-Hütten. 339 Tschuktschen-Lande in Erfahrung brachte, und die auf den ersten Blick meiner Ansicht direkt zu widersprechen scheint, bei genauerer Analyse aber dieselbe vollständig bestätigt. Da es dabei wesentlich darauf ankommt, von welcher der im Tschuktschen-Lande gegenwärtig einheimi- schen Nationalitäten er die Tradition hörte, muss ich vorausschicken, dass er sämmtliche in Amerika nördlich und westlich von den Indianern wohnenden und zum Theil auch nach Asien hinübergreifenden Völker in eine Gruppe zusammenfasst, die er ihrer Küstenverbreitung wegen als «Orariams-Gruppe bezeichnet !), und in welcher er drei Unterabtheilungen oder Völkerschaften unterscheidet: 1) die Innuit oder Eskimo, von Grönland bis zur Westküste Amerika’s und zu den in der Nähe der Berings-Strasse gelegenen Inseln ?); 2) die Aleuten oder Bewohner Aljaska’s und der Aleutischen Inseln, und 3) die Tuski oder Bewohner der Küsten des Tschuktschen-Landes, von der Koljutschin-Bai bis zum Anadyr-Golf. Hier fasst also Dall unter dem sehr unglücklich gewählten Namen «Tuskw°) die Küsten-Tschuktschen und die Namollo als ein Volk zusam- men. Ihrer eigenen Unterscheidung gemäss, bezeichnet er sie auch als «bowhead men», Walfisch- Männer, im Gegensatz zu den «deer men», d. h. Rennthier-Männern oder eigentlichen Tschuk- tschen. Einen solehen Tuski-Mann aus der Plover-Bai, Namens Nokum, fragte nun Dall, wer wohl die Erbauer der Steinhütten wären, deren Reste man an verschiedenen Orten im Lande findet, und die den Erdhütten der Innuit (Eskimo) am Norton-Sunde ähnlich sind? Die Ant- wort Nokum’s war, dass solcher Art die Hütten gewesen seien, in denen sein Volk vor langer Zeit gewohnt habe, so langer Zeit, dass sein Grossvater davon nur dureh Tradition wüsste; später hätten sie, da das Holz bei ihnen nur sparsam zu finden sei, eine andere Art von Woh- nungen angenommen, wie sie die Rennthier-Männer hätten, und die viel geeigneter für das Land sei. Was war nun dieser Tuski-Mann? Ein Küsten-Tschuktsche, oder ein Namollo? In letz- terem Falle würde seine Erzählung direkt wider meine oben entwickelte Ansicht von den On- kilon-Hütten sprechen. Auf den ersten Blick scheint dies in der That so zu sein, denn derselbe Nokum erzählte Dall, dass die Rennthier-Männer die ursprünglichen Bewohner des Landes, die Walfisch-Männer hingegen, zu denen auch er gehörte, vor langer Zeit von den Inseln (Dio- scheidet daher die «Tuski Proper», eigentliche oder Rennthier-Tschuktschen, und die «Alien Tuski», d. h. 1) Also «Küsten-» oder Randvölker, wie ich vom geo- graphischem Standpunkte diese und eine Reihe anderer, asiatischer, resp. europäischer Völker auch genannt habe | fremde oder Auslands-Tschuktschen, worunter er die (s. oben, p. 246 @.). 2) «Innuit» nennen sich die Eskimo selbst (Dall, Alaska, p. 136. H. Klutschak, Als Eskimo unter den Eskimo, eine Schilder. der Schwatka’schen-Franklin- Aufsuchungs-Exped., in den J. 1878—1880, Wien, Pest, Leipz. 1881, p. 201). 3) Diesen Namen wählte Dall, wie er sagt, aus dem Grunde, weil Hooper bestimmt behauptet, dass sie sich selbst so nennen. Allein Hooper (Ten months among the tents of the Tuski, p. 34 MM). bezieht ihn auf alle Tschuktschen letzteren Namen als «Tuski» lautend gehört haben will, und unter- | überhaupt, indem er diesen vor Zeiten vielleicht aus Amerika eingewanderte Küsten- Bevölkerung, also Küsten - Tschuktschen und Namollo zusammen versteht, die er auch nirgends von einander trennt. Warum Dall die Bezeichnung «Tuski» gerade für die letzteren beibehielt, da sie doch den ersteren viel mehr zukommt, ist unbegreiflich. Uebrigens hat Hooper, wie aus seinem ganzen Werke hervorgeht, immer nur mit Tschuktschen zu thun gehabt, die mitunter vielleicht mehr oder weniger stark mit Eskimo untermischt waren, nieht aber mit den Namollo selbst, welche sich sicherlich auch nicht «Tuski» genannt haben würden. 340 Die Völker des Amwur- Landes. medes-I.) herübergekommen seien, weil sie sich im Kriege mit dem Volke, das Knochenplatten in den Lippen trägt, als die Schwächeren erwiesen hätten. Die Uebereimstimmung dieser Er- zählung, fügt Dall hinzu, mit den Traditionen der Rennthier-Tschuktschen wurde ihm auch von einem dieser letzteren bestätigt. Indessen wäre es immerhin möglich, dass es ehemals auch auf den anliegenden Inseln Küsten-Tschuktschen gab, die von den Eskimo nach dem Fest- lande verdrängt wurden. Was mich aber definitiv nöthigt, den Tuski-Mann Nokum nicht für einen Namollo, sondern für emen Küsten-Tschuktschen zu halten und demnach auch seine Erzählung von den ehemaligen Wohnungen seines Volkes auf die Küsten-Tschuktschen zu beziehen, ist der Umstand, dass diese letzteren in der That seit langer Zeit auch im Winter ebensolehe Zelte (jaranga’s) wie ihre mit Rennthieren nomadisirenden Landsleute bewohnen, während die Namollo noch im Jahre 1828, als Lütke sie kennen lernte, durchweg in Erd- jurten wohnten. Sollten sie daher seitdem diese Jurten aufgegeben und sich ebenfalls Zelte ange- eignet haben, so wäre ein solches, in das Leben eines Volkes tief einschneidendes Ereigniss zu Dall’s Zeiten, nach etwa 37—38 Jahren), gewiss noch in- Jedermann’s frischer Erinnerung und gäbe unmöglich nur eine auf uralte Zeiten bezügliche Tradition ab. Es muss also Dall’s Berichterstatter ein Küsten-Tschuktsche gewesen sein, und dann bestätigt die von ihm mit- getheilte Tradition vollständig meine Meinung, dass auch dieses Volk ehemals in Erdjurten ge- wohnt hat und dieselben später, als es zur Rennthierzucht überging, gegen Zelte vertauschte. Westlich von den Tschuktschen finden wir noch ein paläasiatisches Volk, die im Aus- sterben begriffenen Jukagirn, die für die Nachkommen der bereits verschwundenen Omo- ken oder alten Jukagirn gehalten werden ?). Dass sie ebenfalls in Erdjurten wohnten, unter- liegt keinem Zweifel. Als der Kosak Jelissei Busa im J. 1639 vom Eismeer in die Jana kam und diesen Fluss aufwärts ging, trafer an der Einmündung der Tschendona in denselben Juka- girn, die in Erdhütten wohnten ®). An der Mündung der Indigirka fand Kosmin, der Beglei- ter Wrangell’s, eine Menge halbverfallener Erdjurten mit Feuerherden und Steinwerkzeugen, Resten, die den alten Jukagirn oder Omoken zugeschrieben werden ®). Unter dem Andrange der neueren sibirischen Völker, der Tungusen und Jakuten, und später der rasch vordrin- genden Russen wurden sie sogar genöthigt, das Festland zum Theil ganz zu verlassen. Einer in Ustjansk und an der Indigirka verbreiteten Sage zufolge sollen sie etwa um die Mitte des XV. Jahrhunderts, vor einer Pocken-Epidemie Nlüchtend, in grosser Zahl nach den vom Fest- lande nordwärts gelegenen Inseln gezogen sein), und in der That findet man sowohl auf den 1) Dall’s Forschungen fallen in die Jahre 1865 u. 1866. | richten vonSsannikofundPschenizyn(Cuöuper. Bbern., 2)Veacumrpoms, Uyrem. no Jeaosur. mopıo 1 | 1822, 4. 20, Ora. II, erp. 176), die aus dem J. 1811 stam- OETPOBAND OMATO, ACHRAm. OTB Yerba Aeusı %B BocT. | men,und in denen es heisst, dass die Auswanderung vor etwa (Enönper. Bberu., 1318. Ppur. Cnuacerum®s, 1822, 4.18, | 150 Jahren stattfand, was mit der Zeit der russischen Ein- Ora. II, erp. 105); ero ke, Orpsieku 0 Cuönpı, C. IHerepo. | wanderung an die Jana und Indigirka nahe zusammen- 1830, erp. 97. fallen würde. S. darüber auch meine Schrift: «Zur Vorge- 3) Bpaureas, Hyrem. u np., 4. I, erp. 6. schichte der von der Kais. Akad. der Wiss. ausgerüst. Exped. 4) Wrangell, 1. c., Bd. II, p. 141. nach den Neusib. Ins. und dem Jana-Lande (Beitr. zur Kennt. 5) Hedenström Il. ec. Desgleichen nach den Nach- | des Russ. Reiches, 3. Folge, Bd. II, p. 14). Giljaken. Erdjurten bei anderen paläasiat. Völkern: Eskimo. 341 Bären- (Medweshji-), wie auf den Neusibirischen Inseln Reste von Erdhütten und alte Werkzeuge aus Mammuthzahn oder Stein, die von den Russen schlechtweg als jukagirsche bezeichnet werden !). Wie bei den auf asiatischem Boden verbliebenen, so finden wir endlich die Erdjurte auch bei den nach Amerika hinübergedrängten paläasiatischen Völkern, den Eskimo und den Aleu- ten. Dass die wenigen in späterer Zeit nach Asien zurückgewanderten Eskimo solche Jurten bewohnen, ist oben schon mehrfach hervorgehoben worden. Sie werden bereits in den ältesten Berichten, die wir aus dem Tschuktschen-Lande haben, erwähnt), aber fälschlich den Küsten-Tschuktschen zugeschrieben, bis man in den Bewohnern derselben Eskimo erkannte ®), die sich selbst nach Lütke «Namollo®), nach Dall’) «Juib» nennen ®). Auf amerikanischem Boden fehlt die Erdjurte bei keinem der zahlreichen Eskimo-Völker vom Berings-Meer und Kadjak bis nach Grönland. Es würde mich zu weit führen, wollte ich sie auf dieser ganzen Strecke bei jedem Volke einzeln verfolgen. Ich begnüge mich daher nur auf einige derselben hin- zuweisen, namentlich solche, bei welchen sie kolossale Dimensionen und eine eigenthümliche Ent- wickelung und Complikation erreicht hat, oder wo ihr Vorhandensein von besonderem Interesse für die Kenntniss der Wanderungen und Verschiebungen des gesanımten Eskimo-Stammes ist, 1) Auf den Bären-Inseln wurden solche Reste schon | 07% bBepimurora upo.ampa 10 Hinknero.asiner. ocrpora, im J. 1724 vom Jakutskischen Ssyn-bojarskij Amossof | man.reu. 13% pasn. seypu., €. Herep6. 1811, erp. 5, 16, 67; (Müller, Samml. Russ. Gesch., Bd. II, p. 46), später, | und desselb. Hyrem. no Cbreposoer. vacrı Cnö., Je1os. 1763, vom Sergeanten Andrejef (Pallas, Neue Nord. | mopıo ıı Bocroun. oreany, 4. II, C. Herepö., erp. 105). Beytr. Bd. I, 1781, p. 234, 235. Dsgl. Cuönper. Bberu., 1822, 4) Lütke, Voyage aut. du monde , Partie hist., T. II, y. 19, Ora. IV, erp. 123; 1823, 4. 4, Ora. Veorp., erp. 64, | p. 260. Lütke traf übrigens auf der ganzen Strecke zwi- 67, 68) beobachtet und endlich auch von Wrangell (l. c., | schen dem Östcap und der Anadyr-Mündung nur Na- Bd. I, p. 100; Bd. II, p.45) bestätigt. Fur die Neusibirischen | mollo, die in Erdhutten wohnten, und gar keine Küsten- Inseln s. die auf der vorigen Seite in den Anmerk. 2und5 | Tschuktschen; er braucht daher für die ersteren bis- eitirten Quellen. weilen auch die Bezeichnung «ansässige Tschuktschem» 2) So z.B. in der zu Anadyrsk im J. 1711 niedergeschrie- | oder«Namollo-Tschuktschem» trotz seiner eigenen Be- benen «Aussage des Jakutskischen Kosaken Peter Iljin Ssyn | merkung, dass man ihnen den Namen «Tschuktschenm» Popow» und seiner beiden Dolmetscher (Müller, Samml. | mit Unrecht beilegt. Am Ostcap sah auch Kotzebue (Ent- Russ. Gesch., Bd. III, p. 58). deckungs-Reise, Bd. I, p. 156) viele unterirdische Woh- 3) Zwar hoben schon Billings und Ssarytschof her- | nungen in Gestalt kleiner, runder Hügel, neben welchen vor, dass die sogenannten «sesshaften Tschuktschem an | zahlreiche Walfischrippen aufgestellt waren. der Lorenz-, Metschigmen-Bai u. a. Punkten der Berings- 5) Proceed. of the Royal Geograph. Soc. of London, Strasse sprachlich von den Rennthier-Tschuktschen | Vol. XLIX,p.569). Desselben, On the so called Chuktchi and ganz verschieden und mit den Bewohnern von Kadjak | Namollo people of Eastern Siberia (The American Natura- (Eskimo) nahe verwandt seien, indessen blieben sie doch | list, 1881, p. 866). bei jener Bezeichnung, die eine Verwechselung mit den Küs- 6) Letzteren Namen brauchen fur die Namollo nach ten-Tschuktschen involvirte. (Vrgl. Cap. Jos. Billings’ | Dall’s Vorgange auch Nordqvist (Ymer,1882, p.31), Ger- Geogr.-astronom. Reise nach den nördl. Gegenden Russ- | land (Zeitschr. der Ges. für Erdk. zu Berlin, Bd. XVII, 1883, lands zur Unters. der Münd. des Kowima-Fl., der ganzen | p. 196, 202) u. A. Uebrigens bemerkt schon Sagoskin /Ile- Küste der Tschuktschen und der zwischen dem festen | mexoAnan onen yacrı PYCCK. BAaA. BB Amepurb, IPONSRE.. Lande von Asien und Amerika befindl. Inseln, in den J. | »» 1842— 1844 rr., 4. I, C. Herep6. 1847, crp. 10), dass er 1785 bis 1794, nach den Orig.-Pap. herausgeg. v. Sauer, aus | von verschiedenen nordwestamerikanischen Eskimo an dem Englisch. übers., Berlin 1802, p. 370, 377; dsgl. Capvı- | die Frage, wer sie seien, zur Antwort erhalten habe: «Jug- | veB», Iyrem, kan, Buaauurca upe3® Uykoreryio 3en.o | gyb, d.h. Menschen, Die Völker des Amur- Landes. Bei allen Eskimo-Völkern des nordwestlichen Amerika’s, wie z. B. den Kanjagen auf Kadjak, den Anwohnern des Kuskokwim, des Kwichpak oder Yukon und deren Zuflüssen, den Eskimo am Norton-Sunde, an der Berings-Strasse, ja selbst noch am Eismeer, findet man ausser den von einzelnen oder mehreren Familien bewohnten kleinen, hügelförmig aus der Erde hervorragenden Erdjurten, die mit einem Feuerherde in der Mitte, einem Rauchloch darüber und Schlafbänken längs den Wänden versehen sind, und in die man bald durch's Rauchloch, bald durch einen engen, ebenfalls halbunterirdischen Gang hinabsteigt, auch grössere, zum ge- meinsamen Gebrauch bestimmte Erdjurten. Es sind dies die sogen. Kashim’s, die allen Män- nern eines Ortes zur gemeinsamen Wohnung dienen, wo sie ihre Berathungen halten, gemein- same Bäder nehmen, und in denen auch die Belustigungen der gesammten örtlichen Bevölker u ng Tänze, Festspiele u. drgl. stattfinden. Dawydof erwähnt ihrer von Kadjak!), Wassil- 1) Apykpar. nyrem. 8b Amep. moper. own. XB0- Aassıaona, C. Merep6. 1810, 4. II, crp. 21. Nach Dawydof (l. c., p. 19, 20) haben die einzelnen Erd- croBra u hütten der Kanjagen ausser dem Mittelraum mit dem Feuerherde noch 2—3 kleine, ebenfalls unterirdische Nebenräume, in die man von jenem aus nur mit Mühe durch eine kleine, runde, verschliessbare Oeffnung hin- durchkriechen kann, und die von den Russen ebenso wie in Kamtschatka «shupan» genannt werden. Ein solcher Raum wird in der Regel von 2—3 Familien, seltner von einer bewohnt. Auch in älteren Nachrichten über Kadjak, so bei Bragin (Bericht von einer im J. 1772 angetretenen vierjahr. Seereise zu den zwischen Kamtschatka und Ame- rika geleg. Inseln, in Pallas’ Neuen Nord. Beytr., St. Petersb. und Leipz., Bd. II, 1781, p. 315), Schelechof (IHleproe erpanucrgoranie C5 1783 no 1787 r. 136 Oxorera uno Bocroum. Oreauy kb Amepuk. Öeper. ıı np. Bo rpaatb C». Herpa 1793 r., erp. 82; in deutscher Uebersetz. in Pallas’ Neuen Nord. Beytr., Bd. VI, 1793, p. 202), Billings (Geogr.-astron. Reise nach den nördl. Geg. Russl. etc.,p. 208), wird der Erdjur- ten der Kanjagen erwahnt. Desgleichen bei Langsdorff (Bemerk. auf einer Reise um die Welt, Bd. II, p. 56). Wenn ich mich hier unter Anderen auch auf Schelechof beziehe, so muss ich hinzufügen, dass die betreffende An- gabe sich in der ersten, von Pallas auch in deutscher Uebersetzung wiedergegebenen Hälfte seines obengenann- | ten Werkes befindet, welche allein beachtungswerth ist, indem sie die eigenen Wahrnehmungen des Reisenden ent- halt. Die zweite Hälfte hingegen, welche den Titel trägt: «Historische und geographische Beschreibung der Kurili- schen, Aleutischen, Andrejanofschen und Fuchs-Inseln, die sich von Kamtschatka nach Amerika hin im Oestlichen Ocean erstrecken», ist in wörtlicher Ueberselzung aus ver- schiedenen Quellen entlehnt, und da dies weder im Allge- meinen bemerkt, noch eine der Quellen genannt ist, son- dern die ganze Beschreibung als vom Reisenden selbst herrührend gedruckt ist, so muss sie als Plagiat bezeichnet werden. Hinsichtlich auf die Kurilen bezüglichen Theiles derselben habe ich schon bei einer früheren Gele- genheit darauf hingewiesen (s. meine Bemerk. über die Saugethierfauna Süd-Sachalin’s und der südl. Kurilen, im Bull. de ’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb. T. IV, p. 428, Anm. 47; Mel. biol. T. IV, p. 116, Anm. 47). Baer glaubte namlich in der Schelechof’schen Arbeit die Quelle ge- funden zu haben, nach welcher der in Pallas’ Neuen Nord. Beytr., Bd. IV, enthaltene Aufsatz «Neue Beschrei- bung der Kurilischen Inseln» entworfen sei. Das ist aber aus dem Grunde nicht möglich, weil der betreffende Band des der Pallas’schen Beiträge bereits in dem Jahre erschien, in welchem Schelechof erst seine Reise von Ochotsk aus antrat (1783), und ausserdem auch weil er mancherlei Angaben enthält, die in dem Schelechof’schen Werk (2. Hälfte) fehlen. Letzteres konnte daher entweder nach dem- selben russischen Original entworfen sein, welches auch dem Pallas’schen Aufsatz zu Grunde gelegen hat, oder aber nur eine blosse auszügliche Uebersetzung des in den Beiträgen publicirten Artikels sein. Gegenwärtig scheint es mir kaum einem Zweifel zu unterliegen, dass es in der That auf diesem letzteren Wege entstanden ist, denn auch der auf die Aleuten bezügliche Theil desselben ist nichts mehr als eine Uebersetzung von Auszügen aus den von verschiedenen russischen Seefahrern (Lasaref, Ssolo- wjof, Krenizyn und Lewaschof u. A.) gegebenen Be- Will. Coxe veröffentlicht wurden, sei es nun, dass dabei das englische Originalwerk richten, welche zuerst von des Letzteren (Account of the Russian Discoveries between Asia and America, London 1780), oder die deutsche Ueber- setzung desselben (Die neuen Entdeckungen der Russen zwischen Asien und Amerika, Frankf. u. Leipzig 1783) benutzt worden ist. Was aber das Plagiat noch schlimmer macht, ist der Umstand, dass die von den oben erwähnten russischen Seefahrern über die Bewohner der Aleutischen Gijaken. Erdjurten und Kashims der westamerikan. Eskimo. 343 jef'), Sagoskin®), Dall®), Jacobsen‘) geben ausführliche Beschreibungen der Kashims am Kuskokwim, Kwichpak und am Norton-Sunde. Dall fügt zur Erläuterung der inneren Beschaf- fenheit des Kashim’s auch einen senkrechten Durchschnitt durch denselben hinzu. Der Haupt- unterschied des Kashim’s von den gewöhnlichen Erdjurten der westamerikanischen Eskimo besteht, von seiner viel ansehnlieheren Grösse abgesehen, darin, dass in dem verdeckten Gange, durch den man zur Jurte hinabsteigt, kurz vor dem Eingange in dieselbe noch eine andere Oeflnung sich befindet, die in einen unter der bretternen Diele befindlichen Raum führt, aus welchem man durch eine Luke auf die letztere gelangt. Auf diesem Wege erscheinen namentlich bei den gemeinsamen Belustigungen die Auflührer von Festspielen und Tänzen vor den im Kashim ver- sammelten Zuschauern. Die bretterne Diele lässt sich aber auch ganz entfernen. Dies geschieht z. B., wenn die Männer ihr gemeinsames Bad nehmen, wobei auf dem Fussboden in der Mitte des Kashim’s eine gewaltige Flamme lodert. In den stärker bevölkerten Ortschaften, wo die Ka- shims eine grosse Anzahl von Menschen aufnehmen müssen, — und es giebt welche, die deren bis 500 beherbergen können °), — laufen längs den Wänden mehrere Reihen von Schlafbänken amphitheatralisch über einander hin. So bieten die Kashims, zumal am Kwichpak und Kusko- kwim, an Umfang und Complikation das Höchste, wozu es der für die paläasiatischen Völker so charakteristische Erdhüttenbau gebracht hat. Auch die übrigen Eskimo-Stämme des nordwestlichen Amerika’s haben zum Winter- aufenthalt ganz ebensolehe, von aussen hügelförmige Erdjurten, in die man durch einen engen, halbunterirdischen, überdachten Gang gelangt. So lauten im Wesentlichen ganz übereinstimmend mit einander die Erwähnungen oder Beschreibungen derselben, die wir z. B. von Port Clarence ®), Inseln und besonders Unalaschka’s, als der grössten dersel- ben, mitgetheilten Nachrichten von Schelechof schlecht- weg auch auf die Kanjagen von Kadjak bezogen werden, obgleich diese, zum Eskimo-Stamme gehörig, von jenen wesentlich verschieden sind. 1) Siehe Wrangell,Statist.und ethnogr. Nachr. über die Russ. Besitz. an der Nordwestküste von Amerika (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, herausg. v. Baer und Helmersen, Bd. I, St. Petersb. 1839, p. 129, 130). Auch Glasunof erwähnte der Kashims am Kwichpak (Wran- gell, 1. c., p. 146). 2) IHemexoA. onucn yacrıı Pycck. B.1a4. BB Amepurb, C. Derep6., I. I, 1847, crp. 95; I. II, 1848, crp. 9, 12. Auch die Construktion der einfachen Erdjurten der An- wohner des Kwichpak und Kuskokwim, die ganz mil denjenigen der Giljaken auf Sachalin übereinstimmen, ist von Sagoskin eingehend beschrieben worden (l. c., Bd. I, p. 55; Bd. II, p. 23). Bei den Mag-mjuten, Be- wohnern der Niederung zwischen dem Kishunjak und Kapnajak, zwei Armen des Kwichpak, soll man auch durch Jurte wie ehemals den Rauchfang in die hinabsteigen, Schrenck's Amur-Reise, Band III. bei den Kamtschadalen (Sagoskin, |. c., Bd. II, p. 18). 126, 127. Kwichpak 13, 65 und zwar sowohl wie sie sich von aussen | 3) Alaska and its resources, Boston 1870, p. Die gewöhnliche Erdjurte der Eskimo vom ! und vom Norton-Sunde ist bei Dall (l. c., p. eben- falls abgebildet, darstellt, als ein kleiner, im Winter schneebedeckter Hü- gel mit dem aus Balken gezimmerten Eingang und Vor- raum daneben, als auch in einem ideellen Durchschnitt. Desgleichen findet man Beschreibungen und eine Abbil- dung dieser Erdjurten bei Whymper (Travel and adven- ture in the territory of Alaska, London 1868, p. 131, 139, 152, 165) u. A. t) Capilain Jacobsen’s Reise an der Nordwestküste 1881— 1883, bearb. von A. Woldt, Leipzig 1884, p. 159, 260 u. a. In diesem Werke ist übrigens die Be- Amerika’s, zeichnung Kashim immer in etwas entstellter Form, als «Kassigim» oler «Kassigit» wiedergegeben. 5) Sagoskin, |. c., Bd. II, p. 23. 6 fic and Berings-Strait, perf. in H. M. S. Blossom, 1831, P. II, p. 542. F. W. Beechey, Narrat. of a Voyage to the Paeci- London 344 Die Völker des Amwur- Landes. von der Berings-Strasse!), von den Ssarytschof-Inseln?), vom Kotzebue-Sunde?) und von verschiedenen Punkten weiter nord- und ostwärts an der Eismeerküste Amerika’s, wie Point Hope ®), Eiscap°), Point Franklin‘), Cap Barrow ’), Point Toker auf der der Mackenzie- Die lichste Beschreibung und zugleich auch eine Abbildung (einen Längsdurchschnitt und einen Fluss-Mündung gegenüber gelegenen Richard’s-Insel®) u. drgl. m., haben. ausführ- Plan) dieser Erdjurten, wie sie bei den zwischen dem Colville-Fluss und dem Cap Bathurst wohnhaften Tschiglit-Eskimo gebräuchlich sind, hat uns Petitot gegeben °). Wirft man einen flüchtigen Blick auf diese Abbildung, so könnte man glauben, dass sie eine kleine Winterjurte der Sachalin-Giljaken wiedergiebt, so sehr stimmen diese Erdhütten im Grundplan und in allen wesentlichen Zügen mit einander überein. Nach demselben Grundplan errichten sich die Tschiglit-Eskimo auch im Schnee zum Nachtlager oder zu zeitweisem Aufenthalt dienende Hütten !®). Ausser und neben den Einzeljurten findet man auch bei den am Eismeer ansässigen Eskimo grössere, zu gemeinsamem Gebrauch, Tänzen, Festspielen u. drgl. dienende Erdjurten oder Kashims "'), nur sind dieselben, der dünneren Bevölkerung dieser Gegenden und dem spär- licheren Baumaterial entsprechend, welches das Treibholz im Vergleich mit den Waldungen am Kwichpak und Kuskokwim liefert, von geringeren Dimensionen als an jenen Hauptsitzen der nordwestamerikanischen Eskimo-Bevölkerung. Der letzte Kashim, ostwärts vom Mackenzie-River gegangen, ist nach Richardson bei Point Atkinson, etwas westlich vom Cap Bathurst zu finden. Bei den weiter nach Osten wohnenden Eskimo kommen keine mehr vor, obwohl die Bezeichnung dafür auch ihnen be- kannt ist!?). Auch die Erdhütte wird bei ihnen mehr und mehr und gegenwärtig schon fast allent- halben durch Schneehütten ersetzt, die, wie bereits erwähnt, ganz nach demselben Plan errichtet, jedoch statt des in der Mitte der Erdjurten der nordwestamerikanischen Eskimo und der anderen paläasiatischen Völker lodernden Feuers nur durch Thranlampen erwärmt und beleuchtet werden. 1) Berth. Seemann, Reise um die Welt und drei 8) Hooper,l. c., p. 343. Fahrten der kön.-brit. Freg. Herold nach dem nördl. Po- larmeere zur Aufs. Sir John Frankl. in d. J. 1845—1851, 2te Aufl., Hannover 1858, Bd. II, p. 20, 60, 62. Nach Se e- mann’s Schilderung ist der Aufenthalt in diesen Erdjur- ten im Winter ganz behaglich, wie ich es auf Sachalin auch fand; wenn jedoch zum Sommer hin der Schnee schmilzt, so bedeckt sich der Fussboden in denselben einige Zoll hoch mit Wasser und zwingt die Bewohner ihre Zu- flucht in Zelten zu suchen (l. c., p. 63). 2) ©. v. Kotzebue, Entdeckungs-Reise in die Süud-See und nach der Berings-Strasse, Bd. I, p. 139. 3) Bedford Pim, bei Seemann, ]. c., p. 145. 4) Beechey,l. c., P. I, p. 265. 3) Beechey,l. c., p. 272, 276, 304. 6) Beechey, ]. c., p. 274. 7) Hooper, Ten months among the tents ofthe Tuski, p- 227. 9) Monographie des Esquimaux Tehiglit du Mackenzie et de !’Anderson, Paris 1876, p. 13, 14. Petitot tritt in die- ser Schrift für den asiatischen Ursprung der Eskimo ein. 10) Petitot,l. c., p. 9, nebst Abbildung. 11) Beechey,l.c., P. I, p. 268; P. II, p. 550, 568. See- mann, 1. c., p. 62. Petitot,. c., p. 22. 12) Sir John Richardson, Arctic Searching Expedi- tion: a Journal of a boat-voyage through Ruperts Land 1851, Vol. I, p. 254. In der Beschreibung von Franklin's zweiter Polarreise (Narrat. and the arct. sea, London of a sec. Expedit. to the shores of the Polar sea in the | years 1825—1827, London 1828), an welcher bekanntlich auch Richardson theilnahm, indem er namentlich die Küstenstrecke zwischen dem Mackenzie- und dem Kupfer- minenflusse bereiste, ist auch ein Plan und eine Be- schreibung von dem Kashim von Atkinson-Point gegeben (p- 215 M.). Giljaken. Erd-, Schnee-, Stein- u. Knochenhütten der ostamerik. Eskimo. 345 Parry und Lyon, Hall, Klutschak u. A. haben ausführliche Beschreibungen und mehrfache Abbildungen von diesen Schneehütten, ihrer Beschaffenheit im Innern, der Art und Weise ihrer Herstellung u. drgl. m. gegeben '). Auf der Melville-Halbinsel und den anliegenden Inseln fanden Parry und Lyon die Eskimo fast nur in Schneehütten wohnen; doch gab es dort an manchen Punkten, so namentlich auf der Insel Iglulik in der Fury- und Hecla-Strasse, wo die Reisenden den Winter 1822/23 zubrachten, auch ständige, aus festeren Materialien, namentlich Erde, Steinen und Walfischknochen errichtete Wohnungen’), die man mit vollem Recht auch als Erdhütten bezeichnen darf, und an vielen anderen Orten, wie z. B. auf den Calthorpe-Inseln in derselben Strasse, auf der gegenüber liegenden Küste des Baflın- Landes u. a. m., fanden sich vielfache Reste und Spuren solcher Wohnungen ?). Zwar sind diese Stein- oder Knochenhütten, wie Parry sienennt, nicht in die Erde eingesenkt, was den Eskimo bei dem hier schon in geringer Tiefe beständig gefrorenen Erdboden und ihren nur mangelhaften Bauutensilien allzu schwer ausführbar wäre, allein ihr unterer Theil besteht doch aus einem kreisförmigen Stein- oder Erdwall, über welchen sich ein aus nach innen und oben convergi- rend aufgerichteten Walfisch- und Walrossknochen zusammengesetztes Dachgerüste erhebt ?); zu- dem wird dieses Gerüste sowohl wie alle Spalten und überhaupt das ganze Gebäude von aussen mit Erde, Torf, Rasen u. drgl. überdeckt, und endlich führt auch hier ein niedriger, enger, eben- falls überdachter Gang, durch den man nur auf allen Vieren hindurch kriechen kann, ins Innere der Hütte, so dass diese ganz den Charakter und die Beschaffenheit der Erdjurten gewinnt. Im Baffın-Lande, an der Frobisher-Bai wohnten die Eskimo, als Hall 1860 —62 sich unter ihnen aufhielt, erst seit einigen wenigen Jahren den Winter über ganz ausschliesslich in Schnee- hütten, und an manchen Punkten gab es noch Reste ihrer ehemaligen Knochen-, Stein- oder Erdhütten genau von der oben beschriebenen Beschaflenheit°). Auch im Cumberland-Sunde und an der Davis-Strasse sah Boas in den Jahren 1883 und 188% die Eskımo in Schnee- hütten wohnen, doch fand er an manchen Stellen Reihen alter Steinhütten, die von ihnen im Herbst mit neuen Dächern versehen und sehr gern ebenfalls als Wohnungen benutzt wurden °). 4) Will. Edw. Parry, Journal of a second voyage for the discov. of a North-West Passage from the Atlantic to the Pacific, perform. in the years 1821—1823 inH.M. S. Fury and Hecla, London 1824, p. 160, 187, 499 u. a., nebst den zugehörigen Tafeln. Ch. Fr. Hall, Life with the Esquimaux, London 1864, Vol. I, p. 207, 209, 292 u.a. Klutschak, Als Eskimo unter den Eskimo, p. 46, 47 u.a. Nach Letzterem (l. c., p. 151) errichten die Ne- tchillik-Eskimo von King-William’s-Land und der Ade- laid-Halbinsel zur Abhaltung von Festlichkeiten eine be- sondere, grosse Schneehütte, in der sich auf ein gegebe- nes Zeichen Alles versammelt, Weiber und Kinder. 2) Parry,l, c.,‘p. 279. 3) Parry,l.c., p. 285, 349. Auch Rae (Narrat. of an Männer, Exped. to the shores of the Artic Sea, London 1850, p. 133) fand am Christie-See, unweit der Repulse-Bai, Reste solcher alten Esk im o-Wohnungen. 4) Das dort nur spärlich vorhandene Treibholz wird von den Eskimo als Material zur Bereitung verschiede- ner Utensilien, wie Lanzenspitzen u. drgl., zu hoch ge- schätzt, um zum Häuserbau verwendet zu werden. Si/Halls lc. V01L:1,P:1345 VoL7IN p..90, 44457289: An den letzterwahnten Orten ist von den Resten ganz in die Erde eingesenkter und mit unterirdischen Eingängen versehener Eskim o-Hütten die Rede. 6) Dr. Franz Boas, Baflin-Land, Geograph. Ergebnisse einer 1883 und 1884 ausgeführten Forschungsreise (P e- termann’s Geograph. Mittheil., Ergänzungsheft N 80, p- 65, 77). Die Völker des Amur-Landes. Der Grund, der die Eskimo aller dieser Gebiete zur Errichtung von Schneehütten zwingt, liegt ollenbar darin, dass sie, um den verschiedenen zu ihrer Existenz erforderlichen Jagdzweigen mit Erfolg nachgehen zu können, genöthigt sind, ihre Wohnsitze auch im Winter mehrfach zu ändern, sie bald näher zur Seeeiskante vorzuschieben, bald mehr in den Schutz der Küste zu rücken, ja mitunter auch einen grösseren Ortswechsel vorzunehmen. Gewiss sind daher die Schneehütten bei den Eskimo schon seit alter Zeit neben und ausser den Stein- oder Erdhütten im Gebrauch. Wenn aber diese letzteren mehr und mehr vor jenen gewichen und gegenwärtig fast nur noch in zahlreichen Ueberresten zu finden sind, so möchte ieh mir dies dadurch erklä- ren, dass die Eskimo gerade in diesen, von Walfischfahrern so vielfach besuchten Gebieten, in Folge importirter Krankheiten u. drgl., ganz besonders stark gelichtet worden und bereits in raschem Aussterben begriffen sind), wobei es denn ganz natürlich ist, dass sie sich von den mühsam zu errichtenden Stein- und Knochenwohnungen ab- und hingegen solchen Behausun- gen zuwenden, die sich mit geringer Mühe und in kurzer Zeit aus einem überall in Menge vorhandenen Material herstellen lassen ?). { Von ähnlicher Beschaffenheit wie auf dem Festlande Amerika’s sind auch die Wohnungen der Eskimo auf Grönland. Als Hans Egede dahin kam (1721), wohnten sie an der Westküste im Winter durchweg in Stein- und Erdhütten, deren es bei der damals noch zahlreichen Be- völkerung bisweilen recht viele beisammen gab: an einem Orte z. B. bis 30, darunter ein Haus von besonders grossen Dimensionen, in welchem etwa 50 Männer mit Weibern und Kin- dern sich aufhielten ®). Cranz giebt eine ausführliche Beschreibung, sowie einen Grundriss und eine Abbildung von der inneren Beschaffenheit dieser Häuser *), die sich sowohl durch ihr Aeus- seres und ihren Aufbau aus Steinen, Erde, Torf, Rasen, als auch durch ihre innere Beschaflen- heit und besonders auch durch den langen, niedrigen und engen überdachten Gang, der zu den- » selben führt, ganz an die oben mehrfach erwähnten Stein- und Erdhütten der Eskimo des Festlandes von Amerika anschliessen. Ganz ähnlich, nur viel kleiner, von aussen in der Form halbkugelförmiger Stein- und Erdhaufen und gleichfalls mit einem langen, niedrigen, tunnelför- migen Eingange versehen sind die Winterbehausungen der Eskimo auf Prudhoe-Land oder dem von John Ross’) sogenannten «Arktischen Hochlande» Grönland’s, mit denen Kane und Hayes 1) Ueber das rasche Zusammenschmelzen der Eskimo | Erdhütten nachgebildet wurden, im Cumberland-Sunde und an der Davis-Strasse in der | 3) Hans Egede, Ausführliche und wahrhafte Nachricht letzten Zeit s. Boas, 1. c., p. 69 fl. ı vom Anfange und Fortgange der Grönländischen Mis- 2) Hall (l. e., Bd. II, p. 325, nebst zugehöriger Abbil- Eskimo zum Modell Schneehütten die Behausungen gedient hätten, welche die sion etc., Hamburg 1740, p. 27, 28. dung) meinte, dass den für ihre 4), David Cranz, Historie von Grönland, enthaltend die Beschreib. des Landes und der Einwohner etc., insbes. Seehunde zur Wurfzeit für ihre Jungen machen, und die | in kuppelförmigen Aushöhlungen der Schneedecke über ihren Eisiöchern Allein die Beschaffenheit der Schneehütten der Eskimo erklärt viel und natürlicher daraus, dass diese zeitweiligen Wohnungen bestehen. sich einfacher | schlechtweg den althergebrachten ständigen Stein- oder die Gesch. der dortigen evangel. Brüder, Barby und Leipzig 1770, 2. Thl., p. 185, Taf IV. 5) Entdeckungsreise mit den kön. Schiff. «Isabella» und «Alexander», um Baflins-Bay auszuforschen ete., aus dem übers. v. P. 1820, Englischen A. Nemnich, Leipzig p- 59. Giljaken. Erdhütten u. Hüttenreste in Ostgrönland u. im hocharkt. Amerika. 347 in den Jahren 1853—55 und 1860/61 von ihren Winterungsstationen (dem Rensselaer Hafen und Port Foulk) aus vielfach verkehrten). Genau von derselben Beschaffenheit, zum Theil sogar in die Erde eingesenkt und mit langem unterirdischen Eingange versehen waren die Hütten und Hüttenreste, welche Sceoresby der Jüngere?) an der Ostküste Grönland's, auf Jameson’s-Land, auf der Traill-Insel u. a. O. fand, so wie aller Wahrscheinlichkeit nach auch diejenigen, welche Clavering im Jahre 1823 auf der nach ihm benannten Insel antraf®?), und die 1870 von der zweiten Deutschen Nordpolar-Expedition sowohl dort, als auch an anderen Punkten der Ostküste Grönland’s constatirt wurden ®). Bekanntlich sind Hüttenreste und andere Spuren ehemaligen Menschenaufenthaltes auch auf den dem Festlande Amerika’s polwärts vorgelagerten Inseln bis in den höchsten Norden hin- auf, wo es gegenwärtig keine Bevölkerung mehr giebt, nachgewiesen worden. Markham hat die Fundorte dieser Hüttenreste im Jahre 1865 auf einer Karte zusammengestellt und daran weitreichende Schlüsse über Völkerwanderungen geknüpft, die seiner Meinung nach einst in den hocharktisehen Breiten Amerika’s und Asien’s stattgefunden haben’). Zwar ist er auch der An- sicht, dass die Eskimo von Asien über die Berings-Strasse nach Amerika gekommen seien und sich dort bis zu der Hudsons-Bai und den Küsten des Atlantischen Oceans verbreitet hät- ten, wo, in dem ehemaligen Winland, die von Grönland herübergekommenen Normannen sie zu- erst kennen lernten und ihnen ihres kleinen Wuchses wegen den Namen Skrällinger gaben; allein, dass sie von dort über die Davis-Strasse oder die Baffıns-Bai auch nach Grönland hinüber- gegangen sein können, davon will er durchaus nichts wissen ®). Das südliche Grönland soll viel- mehr seine indigene (Eskimo-) Bevölkerung von Norden, aus dem sogen. «Arktischen Hoch- lande», und dieses wiederum die seinige von Westen her, aus Sibirien erhalten haben. Der Weg, auf welchem dies geschehen, wird nach Markham von jenen obenerwähnten Hüttenresten deut- lich bezeichnet. Diese erstrecken sich nämlich von Banks-Land und der Melville-Insel in einem fortlaufenden Gürtel über den ganzen Parry-Archipel ostwärts bis zu der Baflins-Bai und dem Smith-Sunde gegenüber dem Arktischen Hochlande von Grönland. Geht man aber vom Parry- Archipel west- und südwärts, so stösst man auf den Theil der Eismeerküste Sibirien's, wo es zahlreiche, durch Wrangell u. A. uns überlieferte Traditionen von ehemals dort sesshaft ge- 1) Elisha Kent Kane (Arctic Explorations: the se- cond Grinnel Exped. in search of Sir John Franklin, London 1861, p. 72, 227, 242, 334) giebt ausführliche Beschreibungen und auch eine Abbildung von den Es- kimo-Hütten in Anoatok, Itah u. a. O. 2) Tagebuch einer Reise auf den Walfischfang, ver- bunden mit Untersuch. und Entdeck. an der Ostküste von Grönland, im Sommer 1822; aus dem Englisch. übersetzt und mit Zusätzen und Anmerk. versehen v. Friedr. Kries, Hamburg 1825, p. 231, 236, 328 u. a., nebst Taf. VIN Situationsplan des verlassenen Eskimo-Dorfes auf Ja- meson’s-Land). 3) Petermann’s Geogr. Mittheil., 1868, p. 223, nebst | Karte, Taf. 17; 1870, p. 325 und Taf. 21. 4) Petermann’s Geogr. Mittheil., 1870, p. 414, 418. CGlavering hatte dort auch noch einige Eingeborene an- getroffen, während die deutsche Polarexpedition keine mehr vorfand. 5) Clem. R. Markham, On the Origin and Migrations of the Greenland Esquimaux (The Journal of the Royal Geograph. Soc., London, Vol. XXXV, 1865, p. 87—99). 6) Aus welchen Gründen er es halt, erklärt Markham nicht weiter, — er sag! nur ganz kale- fur unzulässig gorisch: «the Esquimaux assuredly never erossed over to Greenland by navigating Davis-Strait or Baffins-Bay» ErC.#D.789): Die Völker des Amur-Landes. wesenen, gegenwärtig verschwundenen und kaum noch dem Namen nach bekannten Völkern giebt, wie die Omoken, Schelager, Jukagirn u. a., die sämmtlich nordwärts über das Eismeer fortgezogen sein sollen). Hier ist nach Markham die Wiege der Grönlands-Eskimo zu suchen und der Ausgangspunkt ihrer durch mehrere Jahrhunderte fortgesetzten Wanderung, welche sie schliesslich nach ihrer jetzigen Heimath brachte. Zur Beseitigung des gegen eine solche Wanderung etwa zu erhebenden Einwandes, dass der weite Raum zwischen Sibirien und den westlichsten Gliedern des Parry-Archipels bis heute noch unüberbrückt erscheint, wies Markham auf die Möglichkeit hin, dass in demselben ein grosses Festland oder eine Kette von Inseln liegen könne, auf denen man vielleicht mit der Zeit ähnliche Reste wie auf dem Parry- Archipel finden dürfte. Die noch mehr gegen seine obige Ansicht sprechende Thatsache hinge - gen, dass die Grönlands- und die amerikanischen Festlands-Eskimo nach Sprache, physischer Beschaffenheit, Sitte u. s. w. ganz unzweifelhaft zu einem und demselben Volke gehören, liess er merkwürdigerweise ganz unbeachtet. Neuerdings hat Dr. F. Boas eine noch ausführlichere und vollständigere Karte aller Reste und Spuren ehemaliger Bevölkerung des arktisch-amerika- nischen Archipels entworfen ?), ist aber dabei zu ganz anderen Resultaten als Markham ge- langt. Aus der Thatsache, dass diese Reste und Spuren von Hütten, Feuer- und Zelt- oder Lager- stellen, Knochen erschlagener Thiere, Waflen u. drgl. im westlichen Theile des bezeichneten Gebietes nur spärlich zu finden sind, auf der westlichsten Insel des Parry-Archipels, der Prince Patrick-Insel, sogar ganz zu fehlen scheinen, in der Osthälfte hingegen, wie auf der Bathurst-, CGornwallis-Insel, North-Devon, Ellesmere- und Grinnell-Land, ja auch im äussersten Nordwesten Grönland’s, zahlreich sind und überhaupt dort in grösster Anhäufung vorkommen, wo es in der Nähe noch heutzutage von Eskimo bewohnte Gegenden giebt, sowie auch aus dem Umstande, dass die vollständiger erhaltenen oder von den Reisenden ausführlicher beschriebenen dieser Hüttenreste®) und ebenso die Waflen und Werkzeuge ganz den Wohnungen, Waflen und Werkzeugen der benachbarten Eskimo ähnlich sind, zieht Boas gewiss mit vollem Rechte den Schluss, dass alle jene Ueberbleibsel den Eskimo angehören und nicht etwa Marksteine einer Wanderung derselben von Westen her, sondern nur Zeichen verschiedentlichen Ortswech- sels oder unregelmässiger Wanderungen sind, wie sie die Eskimo an den Grenzen der von ihnen bewohnten Gegenden aus verschiedenen Gründen, so z. B. zum Zweck der Veränderung ihrer Jagdgebiete, oder im Verkehr mit einander u. drgl. m., fast allenthalben auszuführen 1) Dass Markhamı (l. c., p. 91) unter diesen verschwun- denen und jetzt kaum noch dem Namen nach bekannten Völkern auch die Tungusen, diesen in seinen zahlreichen Verzweigungen noch heutzutage am weitesten verbrei- teten last nur für einen Lapsus calami halten, da es sonst eine voll- Volksstamm Sibirien’s, nennt, möchte man kommene Unkenntniss der ethnologischen Verhaitnisse dieses Landes verrathen würde. 2) Ueber die ehemalige Verbreitung der Eskimo im arktisch-amerikanischen Archipel (Zeitschr. der Gesellsch. für Erdkunde zu Berlin, XVII. Jahrg., 1883, p. 118—136, nebst Karte, Taf. 2). 3) So z.B. die beiden in der Bay of Mercy auf Banks- Land gefundenen Hütten, die Dachgerüste aus Walfisch- knochen hatten, oder die tief im Boden steckenden Stein- hütten in der Nähe von Point Palmer auf der Melville- Insel (Boas, 1. c., p. 126, 127) u.a. m. Giljaken. Nordwärtsbewegungen und Verschiebungen der Eskimo. 349 pflegen. Daneben ist jedoch nicht zu läugnen, dass in der Verbreitung der Eskimo im Laufe der Zeit eine Bewegung oder Verschiebung nach Norden stattgefunden hat. Das geht aus einem Ueberblick ihres gesammten Verbreitungsgebietes und namentlich aus der Erwägung der verhält- nissmässig südlichen Breiten, in denen die Normannen sie im XI. Jahrhundert zuerst kennen lernten, ihres damaligen Fehlens auf Grönland und ihrer jetzigen hochnordischen, ja zum Theil arktischen Sitze unzweifelhaft hervor. Diese Nordwärtsbewegung der Eskimo trat, wie ich oben bereits erwähnte!), durch das nothgedrungene Zurückweichen derselben vor dem steten, durch die europäische Kolonisation noch ansehnlich verstärkten Andrange der südwärts von ihnen wohnenden Indianerstämme ein, mit denen sie auf der ganzen Linie ihrer Südgrenze in bestän- diger, von Geschlecht auf Geschlecht sich forterbender und bis zum heutigen Tage andauernder blutiger Fehde stehen. Nirgends treten die Folgen dieser Bewegung der Eskimo sichtbarer als im äussersten Nordwesten und Nordosten des amerikanischen Festlandes hervor: wie dort ein Zweig derselben, die Namollo, durch diese Bewegung über die Berings-Strasse nach Asien zu- rückgeworfen wurde ?), so wurden hier die Eskimo aus den Hudsonsbai-Ländern nach Grönland hinüber geschoben. Und zwar kann der Uebergang der Eskimo dahin an verschiedenen Stellen zugleich, oder wahrscheinlicher nach einander erfolgt sein: einmal vom Baflin’s-Lande und von der Cumberland-Halbinsel über die schmalste Stelle der Davis-Strasse, etwa von Cap Walsingham nach der Südbai®), von wo sie sich längs der Westküste Grönland’s südwärts bis zur Südspitze desselben und dann längs der Ostküste nordwärts verbreiteten, und dann von North-Devon, Elles- mere- und Grinnell-Land über das Nordende der Baffın's-Bai und den Smith-Sund nach Prudhoe- Land oder dem sogen. Arktischen Hochlande Grönland’s, wo sie durch die Gletscher und Eıs- massen der Melville-Bai von ihren südlichen Stammgenossen getrennt blieben, nordwärts aber ihre Wanderungen bis zum äussersten bisher bekannten Nordrande Grönland’s, der Thank-God- Harbour und anderen Punkten am Robeson-Channel ausdehnten *). Zum Theil kann der Ueber- gang der Eskimo nach Grönland auch ein unfreiwilliger gewesen sein, indem es sich nach dem Zeugniss der Polarreisenden nicht selten ereignen soll, dass vom Eise besetzte Böte mit Eskimo oder Eisfelder, auf denen der Seehundsjagd nachgehende Eskimo sich befinden, nachdem sie durch hohen Wellengang vom Ufer abgelöst worden, von Wind und Strömung erfasst und nach anderen, mehr oder minder entfernten Küsten getragen werden’). 4) S. oben, p. 249. dass die Eskimo von Ostgrönland(Angmagsalikker)unı 2) S. oben, p. 250, 373. den Norden Grönland’s nach dessen Ostküste gelangt seien 3) Wie auch Cranz (Historie von Grönland, Bd. I, | (H. Rink, Die Ostgrönlander in ihrem Verhaältniss zu den p. 338) annimmt, 4) Boas, Ueber die ehem. Verbreitung derEskimo,l.c., p-134.Boas hält es, zumal nach den neuesten, durchGreely gewonnenen (bis dahin noch nicht veröffentlichten) That- sachen, nicht für unwahrscheinlich, dass die Eskimo vom Robeson-Channel aus Grönland im Norden umwanderten und so nach der Ostküste desselben gelangten (Peter- mann’s Geogr. Mittheil., Ergänzungsheft X 80, p. 90). Auch Capit. Holm und Rink neigen sich der Ansicht zu, übrigen Stämmen. — Deutsche Geograph. Blatter, Jahrg. IX, p. 239). 5) Hall (Life with the Esquimaux, London 1864, Vol. I, p. 264, 305), Kane (Arctic Explorations: the sec. Grinnell Exped., London 1861, p. 39%, Boas (Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. zu Berlin, Bd. XVII, 1883, p. 123 u. A. berichten von dergleichen Fallen. Hall. e.,1.,p. 255 sagt sogar, dass kein Winter vergehe, ohne dass ähnliche Falle unter den Eskimo sich ereigneten. 350 Die Völker des Amur-Landes. Es bleibt mir endlich — um auf die Winterwohnungen der paläasiatischen Völker zurück- zukommen — noch übrig, auf die Aleuten hinzuweisen. Auch sie wohnten, als man sie zuerst kennen lernte, allenthalben, sowohl auf den sogen. Fuchsinseln, Unalaschka, Umnak u. s. w., als auch auf den westlicher gelegenen Andrejanof’schen in Erdjurten, welche, wie es in den Berichten üher die alten russischen Schifflahrten im Berings-Meere heisst !), denjenigen der Kam- tschadalen, sesshaften Korjaken und Eskimo ähnlieh waren. Gleich diesen bestanden sie im Wesentlichen aus einer recht tief in die Erde gegrabenen Grube und einem aus Treibholz oder auch aus Walfischrippen erbauten, mit Rasen, Gras und Erde bedeekten Dache darüber, in welchem sich eine oder, bei ansehnlicher Grösse der Jurte, auch mehrere Oeflnungen befan- den, die als Rauchfang und Fenster dienten, und durch die man auf eingekerbten Balken in die Jurte hinabstieg. In dieser gab es ferner ausser dem Mittelraume bisweilen noch seitwärts in den Erdwänden angelegte Nebenräume, die durch einen engen Kanal nach aussen mündeten und den Bewohnern im Falle der Noth oder Gefahr einen anderen Ausgang aus der Jurte boten, also eine ganz ähnliche Einrichtung, wie jener an den Jurten der Kamtschadalen und der Kadjaker von den Russen sogenannte Shupan°). Bei Ssarytschof®), Sauer‘), Langsdorf°) findet man Beschreibungen dieser aleutischen Jurten und beim Ersteren auch eine Ansicht ihres Aeusseren. Die ausführlichste Beschreibung des Baues und der inneren Beschaffenheit derselben gab aber Weniaminof®), obgleich zur Zeit seines Aufenthaltes auf den Aleutischen Inseln (1824— 1834) dort keine Jurten von alter, ursprünglicher Form mehr zu finden waren, in- dem die Aleuten seit 1805, als eine Revision der Russisch-amerikanischen Companie durch den Kammerherrn Rjasanof stattfand, auf Befehl desselben ihre Jurten mehr nach dem Muster der russischen Blockhäuser, möglichst zu ebener Erde, mit eben solchen Thüren und Fen- stern ete., bauen mussten. Ferner sind bei ihnen seitdem an Stelle der ehemaligen, in der Regel sehr grossen Jurten, in denen mehrere Familien neben einander wohnten, allmählich mehr und mehr kleine, für einzelne Familien bestimmte Wohnungen getreten. Uebrigens waren auch die geräumigsten jener alten Jurten, in denen den ‘), doch immer nur Privatwohnungen und dienende Räumlichkeiten. Kashims hingegen, 1) So z. B. in den Berichten über die Fahrten von Lasa- ref, Puschkarjof,Korowin, Ssolowjof in den Jahren | 1761 — 1764. S.Coxe, Die neuen Entdeck. der Russen zwi- schen Asien und Amerika, aus d. Englischen übersetzt, Frankf. u. Leipzig 1783, p. 75, 85, 118, 178; desgl. Pallas, Erlauterungen über die im östl. Ocean zwischen Sibirien u. Amerika (Neue Nord. Beitr., Bd. I, St. Petersb. u. Leipz. 1781, p. 311), und desselben, Auszug aus dem Reiseber. des Russ. Steuermanns Sai- geschehenen Entdeckungen kof über eine bis an das feste Land von Amerika gesche- hene Schiflfahrt (Neue Nord. Beitr., Bd. III, 1782, p. 280). D) 2) S. oben, p. 334, Anm. 2, und p. 342, Anm. 1. gelegentlich auch Tänze und Festspiele stattfan- nicht ausschliesslich zu gemeinsamen Zwecken wie bei den nordamerikanischen Eskimo, hat ! 3) Uyremeersie no Cbrepogoer. yacrıı Cuöupu 11 Np., y. II, C. IIerepö., crp. 14, 157. 4) Billing’s Geogr.-astron. Reise nach den nördl. Geg. Russlands, aus d. Engl. übers., Berlin 1802, p. 294. 5) Bemerk. auf einer Reise um die Welt in den Jah- ren 1803—1807, Frankf. a. M., Bd. II, p. 30, 56. 6) 3anucku 00% 0CTPoOBax® Yna.zanır. OrAb.aa, C.lerepoö. 1840, 4. II, erp. 204— 211. 7) So wohnte z. B. auch Kotzebue (Entdeckungs-Reise in die Süud-See u.nach der Berings-Strasse, Weimar 1821, Bd. I, p. 167) auf Unalaschka dem Tanze zahlreich versammelter Aleuten in einer «grossen, unterirdischen Wohnung» bei. Giljaken. Chinesischer Ursprung ihres Winterhauses. 351 es nach Weniaminof bei den Aleuten niemals, weder zu seiner, noch in einer älteren Zeit gegeben '). Kehren wir nach dieser Abschweifung, welche uns die Erdjurte mit ihren mannigfachen Modifikationen als die ursprüngliche Winterbehausung aller paläasiatischen Völker bis nach Grön- land und dem äussersten Norden Amerika’s kennen lehrt, wieder zu unserem Ausgangspunkte, dem Amur-Lande und den Giljaken zurück. Wie die Erdjurte, das Toryf, die ursprüngliche, nationale Winterwohnung der Giljaken ist, so muss die zu ebener Erde errichtete, mit einer Röhrenheizung versehene Jurte, das 7schadryf, als eine spätere, ihnen von aussen her, im Ver- kehr mit anderen Völkern, namentlich durch chinesischen Einfluss zugetragene Form der Winter- behausung bezeichnet werden. Ich habe sie daher oben auch schlechtweg chinesische Winterjurte genannt. Glehn °), Schmidt®), Mizul‘) u. A. nennen sie «mandshurische» Jurte; allein, wenn dies nicht bloss eine jener häufigen Verwechselungen der Chinesen im Amur-Lande mit den Mandshu ist, von denen oben’) die Rede gewesen, wie ich in der That glaube, so ist dagegen anzuführen, dass auch die Mandshu diese Bauart ihrer Winterhäuser von den Chinesen entlehnt haben. Dass sie zu den Giljaken von Süden, den Amur abwärts gelangt ist, darauf weist, wie oben erwähnt, schon die Vertheilung der Erd- und der chinesischen Winterjurten in ihrem Gebiete hin, nament- lich die Thatsache, dass die letzteren auf Sachalin nur an der der Amur-Mündung gegenüber- liegenden Westküste der Insel zu finden sind. In der That lässt sich diese Bauart des Winter- hauses ununterbrochen bei allen von den Giljaken stromaufwärts wohnenden Völkern des unteren Amur-Landes bis zu den Chinesen am Ussuri und Sungari verfolgen. Dort ist sie allenthalben, bei den Mandshu, Chinesen, Dauren‘) üblich. So erzählt schon der Chinese U-tschen in der 1722 von ihm verfassten Beschreibung seiner Geburtsstadt Ninguta, dass die Häuser dort drei «Kangs», d. h. längs den Wänden sich hinziehende, durch darunter verlaufende Röhren erwärmte Sitz- und Schlafbänke oder Pritschen zu haben pflegen’). Auch der französische Missionär Ve- nault°) und der Koreaner Kimai-Kim°®) erwähnen des Kang’s in den Häusern von Ninguta, Girin, Ssan-ssin und anderen Orten, die sie auf ihren Reisen durch die Mandshurei berührten, 1) Weniaminof,l.c., p. 201. 2) Reisebericht von der Insel Sachalin (Beiträge zur | Kenntn. des Russischen Reichs, Bd. XXV, 1867, . 233 ff.). 3) Histor. Ber. etc. — Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reichs, Bd. XXV, p. 120. 4) Oyepk® o. Caxaımaa, C. Herep6. 1873, crp. 134. 5) S. dieses Werkes p. 71, nebst Anm. 2. 6) Von diesen letzteren wird weiter unten noch beson- ders gehandelt werden. 7) Nach U-tschen werden die etwa 6 Fuss breiten und 2 Faden, 5—6 Fuss langen Kangs an der Nord-, West- und Sudwand des Hauses angebracht; an der durch eine Scherwand vom übrigen Raum abgetrennten Ost- Schrenck's Amur-Reise, Band II. wand liegt das Frauengemach, das mithin zwei Kangs, längs der Nord- und längs der Südwand hat. Die Kangs sind mit Schilf- oder Strohmatten bedeckt, oft noch ein rother Filzteppich gebreitet wird. Vrgl. U-tschen’s Schrift in der Uebersetzung von Wassiljef: über die 3anucku o Huuryr$ (3an. Umn. Pycex. Teorp. O6m., kB. XII, 1857, crp. 98). 8) Excursion dans les parties inter. de la Mandchourie, 1850 (Nouv. Ann. des Voyages, Nouv. Ser., T. XXX, Annee 1852, T. II, p. 208). 9) Lettre ä Mar. Ferreol, eveque de Belline, 1844 (Nouv. Ann. des Voyages, Nouv. Ser., Annee 1847, T. 1, p- 71). Die Völker des Amur-Landes. und spätere Reisende, wie Williamson!), Barabasch?) u. A., fanden ihn überall, am Sun- gari, Nonni, Churcha oder Mutuan-ho u. s. w. im Gebrauche ?). Doch ist diese Bauart der Häuser, mit einer vom Herde ausgehenden, unter den Schlafbänken verlaufenden und in einen ausser- halb des Hauses stehenden Schornstein ausmündenden Röhrenleitung, keineswegs eine indigen mandshurische, sondern vielmehr von unzweifelhaft chinesischem Ursprung, durch die Chinesen nach der Mandshurei, wie nach ihren anderen Kolonien aus dem Mutterlande importirt. Denn dieselbe Bauart der Häuser findet sich in ganz Nordehina*) und in anderen, gleich der Man- dshurei mehr oder minder unter chinesischer Herrschaft stehenden Ländern, in der Mongolei’), Korea®) u. s. w. Dabei findet natürlich in grösseren und sauberer gebauten Häusern, zumal in den Städten, wie im übrigen Bau, so auch in der Beheizung der Häuser manche Modifikation und Complikation statt, indem z. B. die Zahl der Kangs je nach der Anzahl der Zimmer eine verschiedene ist”), und die erwärmenden Röhren nicht bloss unter den Sitz- und Schlafbänken, sondern auch unter der Diele und in den die Stuben von einander trennenden Wänden verlau- fen) u. Ss. w., wodurch in den Häusern eine solche Gleichmässigkeit der Temperatur erreicht wird, wie sie in jenen primitiven Wohnungen der Amur-Völker gar nicht denkbar ist. Auch der Umstand endlich, dass die warmen Schlafbänke von den Giljaken und allen übrigen Amur- Völkern ganz in derselben Weise wie von den Chinesen benutzt 1) Journeys in North China, Manchuria and eastern Mongolia, London 1870, Vol. II, p. 229. 2) Cyurapiiicraa oreneA. 1872 vr. (Boenn. Cöopn., T. XVII, 1874, N 2, crp. 332). 3) In der Mitte des Hauses, dort wo bei den Giljaken der Hundetisch steht, befindet sich eine aus Lehm oder Ziegelsteinen gemachte Erhöhung mit einer Höhlung von der Grösse einer ordentlichen Wanne. In dieser werden stets Holz und Holzkohlen gebrannt, so dass sie immer voll heisser Asche ist; da stehen Kessel mit heissem Was- ser zum Nachfüllen der Theetassen, da werden Branntwein und Bier in zinnernen Gefässen gewärmt u. s. w. Wil- liamson,l.c. 4) Obgleich es kaum ein Werk über China geben dürfte, in welchem nicht auch vom Kang als einer charakteristi- schen Eigenthümlichkeit der chinesischen Wohnungen die Rede wäre, so will ich hier doch auf einige, theils ältere, theils ausführlichere Erwähnungen oder Beschreibungen desselben hinweisen; so bei Du Halde (Descript. geogr., hist., chronol., polit. et liter. de l’Empire de la Chine et de la Tart. Chinoise, Paris 1735, T. II, p. 87), Van Braam Voyage de ’Ambassade de la Comp. des Indes orientales Hollandaises vers ’Empereur de la Chine en 1794 et 1795, publ. par Moreau de St. Mery, Paris, an VI (1798), T. I, p. 346), Davis (La Chine ou desceript. gener. des moeurs et des coutumes etc. de l’empire Chinois, trad. de l’Angl. par Pichard, Paris 1837, T. I, p. 331), Huc {L’Empire Chinois, Paris 1854, T. II, p. 380), Fleming (Travels on horseback in Mantchu Tartary, London 1863, p. 192—194, 251 u.a.), Poussielgue (Voyage en Chine et en Mongolie de M. et de M-me de Bourboulon, Paris 1866, p. 24), Girard (France et Chine, vie publ. et privee des Chinois, Paris 1869, T. II, p. 384) u. A. 5) Gmelin(Reise durch Sibirien von dem J. 1733— 1743, Göttingen 1751, Bd. I, p. 448), Pallas (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, Bd. III, St. Petersb. 1776, p. 116) u. A. gaben ausführliche Beschreibungen des Kangs und der ‚übrigen Bauart der chinesischen Häuser in Maima- tschin gegenüber Kjachta. Bei Huc (Souy. d’un Voyage dans la Tart.,le Thibet et la Chine, Paris 1850, T. I, p. 13) findet man eine ebensolche aus der Mongolei nahe der chinesischen Grenze. 6) Williamson, ]. ce. Vol. II, p. 304. Ipsweraaperii, Hyrei. 8% Vecypiück. kpab, C. llerepö. 1870, erp. 107. 7) Im Tai-Tsing hoei-tien ist es vorgeschrieben, wie viele Kangs es in den verschiedenen Gesandtschaftshotels geben soll. Pauthier, Chine moderne, Paris 1843, I. Partie, p. 218. 8) Van Braam, 1. c. Reise der Oesterr. Fregatte «No- vara» um die Erde in den J. 1857—1859 unter den Befeh- len des Kommod. B. v. Wüllerstorf-Urbair, Anthropol. Theil, 3. Abtheil.: Dr. Karl von Scherzer gesammelt. Materials bearb. von Friedr. Müller, Wien 1868, p. 158. In dem letzterwahn- ten Werke wird die Heizung durch Röhrenleitung «russi- Ethnographie, auf Grund des von sche Arb» genannt, was jedoch keineswegs eine national- russische Einrichtung ist. Giljaken. Benutzung der Schlaf bänke. Verschwinden der Erdjurte in Kamtschatla. 353 werden, spricht für den chinesischen Ursprung derselben. Nach U-tschen legen sich die Chinesen auf dem Kang stets der Quere nach hin!), die Füsse gegen die Wand gerichtet ?), und dasselbe wird auch von den Giljaken und den anderen Amur-Völkern mit aber- gläubischer Strenge beobachtet, während man in den Erdjurten in umgekehrter Lage, den Kopf gegen die Wand gekehrt, schläft. Als ich mich einmal in einem giljakischen Winterhause am Amur, um eine Stütze für das Kopfkissen zu haben, ebenso wie in der Erdjurte, den Kopf gegen die Wand gekehrt bettete, erregte es einen allgemeinen Unwillen der Gilja- ken, und von allen Seiten erscholl der Ruf: «witsch, witsch», was soviel wie «Unheib oder «unheilbringend, unerlaubw bedeutet. Der Grund, wesshalb die Chinesen stets jene Lage auf dem Kang einnehmen, soll darin liegen, dass der an die Wand stossende Theil der Schlafbank in Folge der darunter verlaufenden Röhre besonders stark erwärmt wird und sieh darum besser für die Füsse als für den Kopf eignet. In den Winterhäusern der Amur-Völker kommt noch ein anderer Umstand hinzu, der diese Sitte rechtfertigt. Legt man sieh nämlieh mit dem Kopf gegen die Wand, so setzt man sich dem aus, dass die Ratten, an denen diese Häuser überaus reich sind, und die stets längs der Wand hinlaufen, Einem beständig über das Gesicht rennen. Den- noch würde dies allein die Giljaken nicht bewegen, auch den Fremden diese Lage auf ihrem Kang nicht zu gestatten, wenn nicht der Aberglaube eine strenge Beobachtung der überlieferten Sitte verlangte und von einer jeden Verletzung derselben, durch wen es auch sei, Unheil für alle Inwohner des Hauses befürchtete. Wann die chinesische Winterjurte zu den Giljaken am Amur gelangt ist und in allmäh- licher Verbreitung stromabwärts, die Erdjurte verdrängend, den Amur-Liman, die Küste des Ochotskischen Meeres und die Limanküste der Insel Sachalin erreicht hat, lässt sich aus Mangel an historischen Daten nicht bestimmen. In den Berichten von Pojarkof und Nagıba, die 1644/45 und 1652 unter den Giljaken an der Amur-Mündung und am Ochotskischen Meere überwinterten ®), findet sich leider keinerlei Andeutung, die aufdie Beschaflenheit der giljakischen Häuser zu jener Zeit schliessen liesse. Bei einem anderen paläasiatischen Volke, den Kamtscha- dalen, sehen wir die ursprüngliche Erdjurte in dem kurzen Zeitraume von etwa 50 Jahren vollständig vor einer importirten, fremdartigen Bauart der Wohnungen verschwinden. Zu Kra- seheninnikof’s und Steller’s Zeiten (in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wohnten die Kamtschadalen noch sämmtlich in Erdjurten von der oben erwähnten Beschaflen- heit. Auch im Jahre 1779, als Clerke, der Nachfolger Cook's auf dessen dritten Reise, Kam- tschatka besuchte, gab es, wenigstens im Süden der Halbinsel, zwischen dem Peterpaulshafen und Bolscherezk, noch Erdwohnungen '). Nur wenig später, 1790, berichtete aber Ssary- 1) Vrgl. Wassiljef’s Uebersetzung von U-tschen’s | 4) Tagebuch einer Entdeckungsreise nach der Südsee Schrift, 1. e., p. 98. \in den Jahren 1776—1780, unter Anfuhr. der Capitäne 2) Pallas, I. c. Auch im Amur-Lande habe ich die Chi- | Cook, Clerke, Gore und King, übers. von J. R. For- nesen nie anders auf dem Kang liegen sehen. ster, Berlin 1781, p. 333. er - | 3) S. oben, p. 105, 107. | 354 Die Völker des Amur-Landes. tschof von seiner Reise durchs Land, dass es nirgends mehr Erdjurten gebe, und dass statt der- selben allenthalben Häuser nach russischem Muster (Blockhäuser, sogen. isba’s) erbaut seien; nur die ebenfalls eigenthümlichen Sommerwohnungen der Kamtschadalen hatten sich noch erhalten). Auf Grund einer Bemerkung Mamia Rinsö's auf seiner 1809 von Deren den Amur abwärts ausgeführten Reise könnte man auf den ersten Blick glauben, dass es in ähnlicher Weise auch bei den Giljaken am Amur zugegangen sei. Als er nämlich, aus dem Lande der S’janta (Oltseha) kommend, bei Horo (Chjare) das Gebiet der Smerenkur (Giljaken) betrat, bemerkte er, dass von dort ab Menschen, Wohnungen, Geräthe und Lebensweise anders und genau so wie auf Krafto (Sachalin) wurden °). Man könnte also meinen, dass die Giljaken am Amur da- mals noch in Erdjurten wie auf Sachalin wohnten. Allein das ist nicht möglich, denn, wie oben (p- 331) erwähnt, fand Krusenstern schon vier Jahre zuvor chinesische Winterjurten bei den Giljaken an der Nordspitze Sachalin’s, also bereits an dem äussersten Punkte, bis wohin man diese Wohnungen auch heutzutage antrifft. Erwägt man zudem, dass Mamia Rinsö im Sommer reiste, so bleibt kein Zweifel übrig, dass seine obige Bemerkung sich auf die Sommer- wohnungen bezieht, die in der That, wie wir sogleich sehen werden, bei den Giljaken am Amur ebenso wie auf Sachalin und ganz anders als bei ihren Nachbarn, den Oltscha, und den übrigen tungusischen Amur-Völkern sind. Die Verhältnisse lagen auch zu verschieden in Kamtschatka und im unteren Amur-Lande, um an beiden Orten ein gleich rasches Verschwin- den nationaler Eigenthümlichkeiten hervorzubringen. Dort siedelten sich die Russen nach Erobe- rung des Landes unter den durch die vorhergegangenen blutigen Kämpfe stark gelichteten Ein- geborenen bleibend an, indem sie Häuser nach ihrer eigenen Art bauten, und traten in bestän- digen, friedlichen Verkehr mit den Kamtschadalen, ja vermischten sich sogar mehr und mehr mit denselben. Kein Wunder daher, dass auch ihre Bauart der Häuser bald die allein übliche im ganzen Lande wurde. Anders mit den Chinesen und Mandshu im unteren Amur-Lande: eine öroberung und Kolonisation dieses Landes durch die genannten Völker hat niemals stattgefunden. Wie oben ausführlich erörtert”), wurde und wird es vielmehr nur zeitweise von einzelnen Man- dshu-Beamten und chinesischen Kaufleuten besucht, welche zudem, ein paar Punkte, an denen sie eigene Wohnungen haben, abgerechnet, ihren Aufenthalt stets in den Häusern der Eingebo- renen nehmen, und dies auch nur unter den tungusischen Amur-Völkern, während die Giljaken auch den chinesischen Händlern den Zutritt in ihr Land verwehrten. Ohne Zweifel muss es da- her lange gedauert haben, bis die chinesische Winterjurte von den Chinesen am Sungari, diesen Strom und den Amur abwärts von Volk zu Volk sich verbreitend, zu den Giljaken gelangte, und gewiss haben die Handelsreisen, welche Golde, Oltscha und Giljaken von Alters her alljähr- lich zu den Chinesen am Sungari auszuführen pllegen, und auf denen sie immer wieder Gelegen- heit hatten, die Bauart der chinesischen Häuser kennen und schätzen zu lernen, am meisten zur Einbürgerung und weiteren Verbreitung derselben unter den Amur-Völkern beigetragen. 1) Capsıuer», Iyrem. 10 Chbreposoer. vacrı Cuöupn, 2) Siebold(Nippon, VIL,p. 177). Vrgl.auch oben,p. 119. TS CcTp+179: | 3) Ss. oben, p. 58, 70—71. Giljaken. Nothwendigkeit des Umzuges im Frühling. Sommer wohnung. 355 Beim Anbruch des Frühlings, im April und Mai, sehen sich die Giljaken genöthigt, ihre Winterwohnungen zu verlassen und die Sommerwohnungen zu beziehen. Zuerst werden die Bewohner der Erdjurten aus ihren Behausungen getrieben, indem diese durch das in Folge der Schneeschmelze und des Aufthauens des Erdbodens sowohl von oben, wie von den Seiten eindrin- gende Wasser nass und unbewohnbar werden. Brauchbarer auch im Frühjahr und Sommer sind die zu ebener Erde gelegenen chinesischen Winterjurten, obwohl auch in diese bei rascher Schnee- schmelze oder starken Regengüssen zuweilen Wasser durch oder über die niedrige Thürschwelle eindringt und den Fussboden aufweicht. Doch machen sich auch diese Wohnungen durch ihre warmen Schlafbänke, die schon durch die Bereitung der Speisen unwillkürlich immer von Neuem erhitzt werden, sowie durch die oben erwähnte Menge von lästigem Ungeziefer im Som- mer unmöglich, und endlich verlangt auch der in dieser Jahreszeit zu betreibende Fischfang den Umzug in die für denselben günstiger und bequemer gelegenen Sommerwohnungen. Die Sommerwohnung der Giljaken ist allenthalben, auf dem Festlande wie auf Sachalın, von derselben Beschaffenheit und trägt hier wie dort auch dieselbe Bezeichnung: käryf. Der auffallendste Zug in ihrem Aeusseren ist, dass sie auf Pfählen ruht, die etwa 4 bis 5 Fuss über der Erde hervorragen. Nur an einzelnen Punkten der Westküste Sachalin’s, südlich vom Amur- Liman, namentlich in Tangi, Choji, Arkai und Dui, habe ich auch zu ebener Erde gelegene Sommerhäuser gesehen, die jedoch im Uebrigen ganz von derselben äusseren und inneren Be- schaflenheit wie die auf Pfählen ruhenden waren). Der Zweck, den die Giljaken bei diesen Pfahlbauten im Auge haben, kann ein doppelter sein: einmal der, ihre Wohnungen vor Ueber- schwemmungen zu schützen, da der Amur nicht selten in Folge lange anhaltender Regen stark anschwillt und die niedrigen Uferstrecken überschwemmt, und dann auch der, die Wohnungen dadurch, dass sie nicht unmittelbar auf dem feuchten Erdboden, sondern in einiger Höhe über demselben stehen und unter ihnen ein beständiger Luftzug stattfindet, der durch die Ritzen der Diele auch in das Haus selbst eindringt, luftiger und trockener zu machen, was um so nothwen- diger ist, als in denselben meist auch ein Theil der bereits gemachten Fischvorräthe aufbewahrt wird. Beides dürfte auch für die an der Meeresküste wohnenden Giljaken maassgebend sein, denn auch dort muss, je nach der Lokalität, ein plötzliches Ansteigen des Wassers in Folge stürmischer Seewinde im Auge behalten werden, und was die Feuchtigkeit der Luft betriflt, so ist sie dort in Folge der Meeresnähe und der äusserst zahlreichen Nebel und Regen eine noch grössere. Wenn daher die Giljaken auf Sachalin stellenweise ihre Sommerhäuser zu ebener Erde bauen, so müssen sie sich dort, dank den Lokalverhältnissen, vor jener ersterwähnten Ge- fahr sicher wissen und ausserdem andere gewichtige Gründe zur Errichtung solcher Wohnungen haben. Und einen solchen Grund glaube ich darin zu finden, dass diese dem Winde minder aus- gesetzten Wohnungen wärmer als die auf Pfählen ruhenden sind und darum schon früher im Jahre bezogen und längere Zeit in den Herbst hinein bewohnt werden können. Der erstere Umstand 1) Das grosse an der Nordspitze Sachalin’s in der Bai | Krusenstern besuchte, hatte auf Pfählen ruhende Som- Nadeshda gelegene Dorf (Ngywr-wo, s. oben, p. 331), das | merhäuser. S. dessen Reise um die Welt, Bd. II, p. 182. 356 Die Völker des Amwur-Landes. ist aber namentlich für den südlichen Theil des giljakischen Gebietes von Sachalin von Bedeu- tung, wo die Giljaken schon früher im Jahr durch die Schneeschmelze aus ihren Erdjurten vertrieben werden. In jenem südlicheren Theile war es auch, wo ich solche zu ebener Erde gele- gene Sommerhäuser antraf. In Tangi fand ich es schon am 8./20. Februar, in Arkai am 28. Febr. (11. März) bewohnt, als es noch völligen Winter gab. In Dui hingegen stand es am 27. Febr. (10. März) noch unbewohnt, doch logirte ich in demselben, weil die beiden Winter- jurten des Orts in Folge eines starken Gonlluxes von Giljaken allzu überfüllt waren. Dieses letztere Sommerhaus lag, ungleich mehreren anderen, hart am Strande erbauten, weiter ab vom Meere, neben den Winterjurten und sollte seinem Besitzer namentlich noch im späten Herbst zum Aufenthalt dienen und erst zum Winter hin verlassen werden. Auf Taf. XII ist eine Sommerwohnung der Amur- a Giljaken, und zwar eine Jurte von Mäo, des Sommer- Tau I: TER aufenthaltes der im Winter in Kuik wohnenden Giljaken, : 7 abgebildet. Es ist ein auf Pfählen ruhender, etwa 3 Faden E ' breiter und #— 5 Faden langer Bau von ziemlich plumpem | x i | Aussehen. Die Wände sind aus dünnen Balken aufge- { Di: ; | baut, die ebenso wie an den Winterhäusern an ihren © = Enden nicht in einander gefügt, sondern nur etwas zuge- spitzt und in die Rinnen senkrecht stehender Pfähle gesteckt sind. Das ziemlich flache Dach besteht aus roh zuge- hauenen Brettern, die durch quer befestigte Stangen zusam- mengehalten werden. Auf einem an der Vorderseite des BERGE I OFEN Hauses schräg aufgestellten, mit Einkerbungen versehenen Balken steigt man auf ein ebenes, schmales, längs der ganzen Facade des Hauses verlaufendes und durch das etwas vor- springende Dach zum Theil noch gedecktes Gesims, das Plan einer giljakischen Sommerjurte Dr = Ec Ta man einen schmalen Balkon nennen möchte }). Es ist der nach @— Gesims oder schmaler Balkon langs vorn durch eine punktirte Linie begrenzte Raum «a auf dem der Vorderseite der Jurte b, ce — wm RE a Thüren. d — Vorraum zum Abstellen beifolgenden Plan des giljakischen Sommerhauses. Genau von Geräth und Vorräthen. e — Eigent- . < E ie ee liches Wohngemach. f — Schlafbanke. in der Mitte der Vorderseite des Hauses oder auch, wie in — Herd. R — Steindreieck für de . nn . s ä 9 — Herd. h teindreieck für den Jer Abbildung auf Taf. XII, etwas zur Seite befindet sich grossen Kessel. © — Kramwinkel. o der Eingang zu demselben (b). Durch diesen gelangt man jedoch erst in einen ansehnlichen Vorraum (d), der zum Abstellen verschiedener Geräthe, wie zum Aufbewahren von Fischvorräthen u. drgl. m. dient, und erst hinter demselben befindet sich das 9 eigentliche Wohngemach (e) °). Dieses ist genau ebenso wie das Innere der Erdjurten beschaffen, 1) Krusenstern (l. ec.) nennt es eine Galerie. Vorstellungen über eine aus «Tataren» bestehende Be- 2) Krusenstern fand dieses Gemach verschlossen und | völkerung Nordsachalin’s passte, der Wirklichkeit aber gar hielt es für das Frauengemach, was zu seinen übrigen | nicht entspricht. Giljaken. Beschaffenheit der Sommerjurte. 357 indem längs drei Wänden desselben, zu beiden Seiten und hinten, der Eingangsthür (c) gegen- über, niedrige und breite Pritschen oder Schlafbänke (f) verlaufen, und in der Mitte, zwischen denselben, ein ebenso wie dort geformter Herd sich erhebt, über welchem im Dach eine Oeflnung sich befindet, die als Rauchfang dient und eigentlich aus zwei in den beiden Dachhälften gelegenen und am Giebelbalken zusammenstossenden Oeflnungen besteht. Unter derselben sind über dem Herde einige Längs- und Querstangen angebracht, auf welche das Hakenholz gehängt wird, dass den Kessel über dem Feuer zu tragen hat. Aehnliche Längs- und Querstangen laufen zum Theil auch über den Schlafbänken und dienen zum Aufhängen von Kleidungsstücken. In den Winkeln zwischen den seitlichen Schlafbänken und der Vorderwand, rechts und links von der Thür, stehen Etageren mit allerhand Geräth, ein grosses Gefäss mit Trinkwasser, ein kleiner Vorrath Brennholz für den Herd u. drgl. m. Da das ganze Gemach nicht hoch und das Dach ziemlich flach ist, so liegt auch die grosse Rauchfangöflnung nur in geringer Höhe über Einem, was zusammen mit den vielen Ritzen in den Wänden und der Diele das Haus in der That sehr luftig macht. Werden zudem auch die Thüren nach dem Vor- raum und aus diesem nach draussen geöflnet, so entsteht ein starker Zugwind. Die Sommer- wohnung ist daher in der Regel ganz frei von Rauch und, was sehr wichtig ist, auch ziemlich frei von Mücken. Auch der Vorraum (d) kann, wenn die in demselben lagernden Vor- räthe es erfordern, noch besonders ventilirt werden, indem seine Wände zum Theil nur aus senkrecht aufgerichteten Brettern bestehen, die in beliebiger Anzahl leicht herausgehoben wer- den können, wie es an der Jurte von Mäo zur Zeit, als sie abgebildet wurde, auch geschehen war. Endlich ist noch eines zwar unscheinbaren, aber in seinen Folgen für die Giljaken doch sehr wichtigen Umstandes beim Bau ihrer Sommerwohnungen zu erwähnen. Um diese den in den Winterjurten so zahlreichen Ratten unzugänglich zu machen, was bei der Menge der in ihnen sich ansammelnden Fischvorräthe äusserst nothwendig ist, wird auf das obere Ende eines jeden die Jurte tragenden Pfahles ein den Umfang desselben nach allen Seiten überragendes Birkenrindenstück gelegt, was erfahrungsgemäss vollkommen ausreichen soll, um die Ratten zu verhindern, durch Aufwärtssteigen längs den Pfählen in die Jurte einzudringen. Unter der Jurte, zwischen den Pfählen werden die Schlitten zum Schutz gegen den Regen aufgehängt, und unter demselben schirmenden Dach finden auch die Hunde einen passenden Aufenthaltsort. Die obige Beschreibung gilt, wenn man von dem speciell auf den Pfahlbau Bezüglichen absieht, auch für die an manchen Punkten Sachalin’s zu ebener Erde gelegenen und, wie bereits erwähnt, ganz ebenso beschaflenen Sommerwohnungen der Giljaken, und es genügt daher ihr nur noch folgende, speciell auf diese letzteren bezügliche Bemerkung hinzuzufügen. Steht die Jurte zu ebener Erde, so kommt auch das an ihrer Vorderseite vorspringende flache Gesims, der Raum a, auf dem Erdboden zu liegen. So lange noch der Winter währt, wird dieser Raum dazu benutzt, vor dem Eingange zur Jurte einen, wenn auch nur nothdürftigen Schirm zu errich- ten. Zu dem Zweck werden hier zu beiden Seiten und vorn, wo aufdem Plan die punktirte Linie sich befindet, einige Stangen und Bretter senkrecht aufgestellt und, mit Ausnahme eines Durch- ganges, durch ein Ruthengeflecht mit einander verbunden und die Zwischenräume noch mit 358 Die Völker des Amur-Landes. Gras und Reisig ausgefüllt, so dass eine Art Vorhaus entsteht. Dieses wird den Hunden zum Aufenthaltsort angewiesen, welche, zu beiden Seiten des Einganges zum Hause gelagert, eine gute Wache für dasselbe abgeben. Da die Hauptbeschäftigung der Giljaken während des Sommers im Fischfang und im Be- reiten von Fischvorräthen für den Winter besteht, so sieht man neben den Sommerwohnungen stets auch manche dem letzteren Zweck dienliche Vorrichtungen. So fehlen nirgends mehr oder minder zahlreiche oflene, zum Aufhängen und Dörren der Fische an der Sonne bestimmte Ge- rüste, und nicht selten findet man ein von Pfählen getragenes, ganz ebenso wie an den Sommer- jurten, nur noch roher gezimmertes Dach, mit Querstangen darunter, an welchen die reihen- weise aufgehängten Fische, gegen Regen und Sonne geschützt, im beständigen Luftzuge getrocknet werden (s. Taf. XII) '). Zur Aufbewahrung der im Sommer gemachten Vorräthe dienen beson- dere Vorrathshäuser, die aber, da der Verbrauch im Winter stattfindet, stets neben den Winterwohnungen liegen, so dass die Vorräthe, nach Maassgabe als sie anwachsen, dahin ab- geführt werden. Die Vorrathshäuser der Giljaken (mWö, im Tro- und Tymy-Dialekt njo) sehen auf den ersten Blick den Sommerwohnungen sehr ähnlich 7 aus, indem sie wie diese auf Pfählen (denen das oben- besprochene Birkenrindenstück nicht fehlen darf?), ruhen 5 und ebensolehe Wände und Dächer, ja auch ein eben- x “ solches balkonartiges Gesims an ihrer Vorderseite haben, zu welchem man auf einem mit Einkerbungen versehenen dünnen = 2% S Balken, den man leicht abheben kann, hinansteigt; nur sind auch Ic l die grössten unter ihnen stets kleiner als jene, und der Eingang R ebenfalls niedriger und enger, ja bisweilen nur eine ungefähr : ; quadratische Luke, die gerade gross genug ist, dass ein Mensch + b I in gebückter Stellung hindurchsteigen kann, und deren Ver- a schluss aus einem genau passenden Brett besteht, vor welches statt eines Riegels ein Querholz vorgeschoben wird?). Das Innere Plan eines giljakischen Vor- des Vorrathshauses ist meist durch eine Querwand in zwei rathshauses (nJö, NJ0). a — Balkonartiges Gesims an Abtheilungen getheilt, die durch eine Thür mit einander in Ver- der Vorderseite des Hauses. b — Eingangsluke.c — Vordere, d — hintere Abtheilung. e — Thür zwischen denselben. f bis —Die elf Wandflachen. bindung stehen, so dass es in demselben, wie der beifolgende Plan zeigt, elf gesonderte, grössere oder kleinere Wandllächen giebt, an denen die Fischvorräthe aufgehäuft werden. 1) Genaueres über die Behandlung der Fische vor dem Trocknen, sowie über die Verwerthung der einzelnen Theile derselben u. drgl. wird später, am entsprechenden Orte mitgetheilt werden. 2) Pallas (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reiches, Bd. III, p. 482) erzählt, dass die Tscheremissen an der Kama und Wjatka, gleich wie auch die meisten Kasan’schen Tataren, ihr vorrathiges Getreide in Garben zu runden zugespitzten Haufen über vier durch Balken verbundene und mit Rinden bedeckte Pfahle aufstellen, wodurch es den Mäusen unzugänglich gemacht wird. 3) Auf einer spater folgenden, einen Leichenzug der Giljaken darstellenden Tafel findet sich u. A. auch die Abbildung der Vorderseite eines solchen Vorrathshauses. Giljaken. Im Winter gewissermaassen Troglodyten, im Sommer Pfahlbaubewohner. 359 Wie die Erdjurte, so sind auch sämmtliche oben besprochene Pfahlbauten, die Sommer- jurte, das Vorrathshaus u. s. w., ursprüngliche, eigenartig giljakische Baulichkeiten, die den Nachbarn der Giljaken, den tungusischen Amur-Völkern fehlen, hingegen aber bei manchem anderen paläasiatischen Volke wiederkehren. So z. B. waren die Sommerwohnungen der Kam- tschadalen, nach Krascheninnikof’s und Steller's Beschreibungen und einer vom Letzte- ren mitgetheilten Abbildung, auf hohen Pfählen erbaute, pyramidale Hütten, die von den Russen mit dem Namen Dalagan belegt wurden }). Die nordwestamerikanischen Eskimo am Kwichpak, am Norton-Sunde und auch am Eismeere errichten ihre Vorrathshäuser auf hohen Pfählen über der Erde, um die in denselben während des Sommers aufbewahrten Fischvorräthe, Häute, Felle u. drgl. sowohl gegen die Feuchtigkeit, als auch gegen die Angrifle der Mäuse, Füchse, Wölfe und besonders der im Sommer allezeit hungrigen Hunde sicher zu stellen >). Somit kann man die Giljaken dort, wo sie noch ihre ursprünglichen Wohnungen und . oO Baulichkeiten beibehalten haben, und ebenso manche andere paläasiatische Völker im Winter gewissermaassen als Höhlenbewohner oder Troglodyten, im Sommer als Pfahlbaubewohner be- zeichnen. Sie stehen in dieser Beziehung noch auf einem Standpunkt, der aufeuropäischem Boden einer weit zurückliegenden, prähistorischen Zeit angehört. Auch von dieser Seite wird also die Bezeichnung paläasiatische Völker, welche ich für diese Ueberreste einer alten, ehemals auf asiatischem Boden weiter verbreiteten Bevölkerung vorgeschlagen habe, in gewissem Sinne ge- rechtfertigt. Bevor ich die Giljaken verlasse, muss ich noch auf die oben berührte Frage einer unge- fähren Bestimmung ihrer Gesammitzahl nach der Anzahl ihrer Winterwohnungen zurückkommen. Eine solche Schätzung kann nur auf Grundlage der Winter-, nicht der Sommerwohnungen vor- genommen werden, schon aus dem Grunde, weil die Zahl der ersteren sich weit leichter als diejenige der letzteren mit einiger Genauigkeit ermitteln lässt. Fallen die grossen Winterhäuser mit ihren gesondert nebenanstehenden, bisweilen gar Rauch ausströmenden Schornsteinen dem Reisenden jederzeit leichter in die Augen, so ist dies im Winter noch ganz besonders der Fall, denn auf der alsdann von Dorf zu Dorf gehenden Fahrt bringt ihn die mit Hunden bespannte 4) KpamenuunnkoBn, Onne. em.an Kanuarın (Moan. | and its resources, Boston 1870, p. 27. Jacobsen, Reise coöp. yuen. nyrem. no Poccin, T. II, C. Herep6. 1819, | an der Nordwestküste Amerikas, Leipzig 1884, p. 173. erp.37). Steller, Beschreib. von dem Lande Kamtschatka, | Seemann, Reise um die Welt, Bd. II, Hannover 1858, Frankf. u. Leipz. 1774, p. 215. Auch Steller giebt als | p. 62. Bei Dall (l. c., p. 13 und 65) finden sich auch Ab- zwingenden Grund für die Erbauung solcher «lüftigen | bildungen solcher, wie Seemann treffend sich ausdrückt, Wohnungen» die Feuchtigkeit der Luft und des Erdbodens | «taubenhausartigen» Gebäude. Die Bezeichnung Barabora in Kamtschatka an. Daraus lässt sich auch die Thatsache für dieselben (Sagoskin, 1. c.), welche Dall ubrigens auch erklären, dass diese eigenartigen Wohnungen sich noch | für die Sommer- und Winterwohnungen der Eskimo forterhielten, nachdem die Erdjurten, wie oben erwähnt, | braucht (l. e., p. 39, 65), ist nach Steller (l. c., p. 218, bei bereits durch Häuser von russischer Art verdrängt wor- den waren. ihm «Darabaran) durch Entstellung seitens der russischen Kosaken in Kanıschatka des Wortes «pasapar» entstanden, 2) 3Barockunn, MHemexoAan. onner vacru pycer. B.1aa. | worunter jedoch die Kamtschadalen eine zum Nachtla- »» Amepmeb, C. Herepö. 1847, 4. I, erp. 56. Dall, Alaska | ger aus langem Grase errichtete Hütte verstehen. Schrenck's Amur-Reise, Bund II. 46 360 Die Völker des Amur- Landes. Narte unmittelbar vor eines der Winterhäuser, während die abseits und bisweilen in ziemlich grosser Entfernung von denselben ohne Weg und Steg gelegenen Sommerhäuser leicht übersehen, oder auch mit den ihrem Baue nach sehr ähnlichen Vorrathshäusern verwechselt werden können. Zudem beziehen sich die Angaben der Giljaken selbst, auf die Frage nach der Anzahl der Häuser an diesem oder jenem Orte, stets nur auf die Winterwohnungen. Denn in diesen festen, geräumigen, mit einem grösseren Aufwande von Kraft und Mühe errichteten Behausungen con- centrirt sich das Leben der Giljaken während der längsten Zeit des Jahres, etwa von Mitte October bis Mitte Mai, also sieben Monate hindurch. Dort findet ein Jeder von ihnen auf seinen Winterfahrten und Reisen gastliche Aufnahme, Obdach und Nahrung für sich und seine Hunde, dort werden unter Conllux von nah und fern die Bärenfestlichkeiten begangen u. s. w., kurz, die Winterwohnungen sind die eigentlichen festen Wohnsitze der Giljaken, während im Som- mer schon der Fischfang und das Sammeln von Vorräthen aller Art die gesammte Bevölkerung in eine mehr oder minder [uetuirende Bewegung versetzen und über einen weiteren Raum zer- streuen, und zudem auch die mildere Jahreszeit das Haus weniger erforderlich macht. Desshalb ist der Winter, nebenbei bemerkt, auch die für ethnographische Forschungen unter den Giljaken geeignetste Jahreszeit. Uebrigens ist die Anzahl der Winterwohnungen der einzelnen giljakischen Ortschaften auch noch aus einem anderen Grunde von Interesse, denn sie giebt einen unmittelbaren Maassstab für die Grösse und Bedeutung derselben ab und lässt die Haupt- und Mittelpunkte des giljakischen Lebens sowohl im Ganzen, wie in den einzelnen Gebietstheilen erkennen. Solche Haupt- und Mittelpunkte sind aber für den Ethnographen stets von besonderer Wichtigkeit, weil dort der Nationalcharakter des Volkes in der Regel schärfer und prägnanter ausgeprägt erscheint und die eigenartigen Sitten und Gebräuche am längsten vor fremden Einflüssen be- wahrt bleiben, während es an kleinen Orten leichter dazu kommt, dass in Folge von persön- lichem Verkehr, von Mischehen der wenigen Insassen mit Angehörigen eines Nachbarstammes u. drgl. mancher nationale Charakterzug sich verwischt, ja ım Laufe der Zeit auch manche fremdartige Anschauung und Sitte Eingang findet, wofür ich in der Folge mehr als einen Beleg anzuführen Gelegenheit haben werde. Leider bin ich nicht im Stande, die Zahl der Winterwohnungen im gesammten Giljaken- Gebiete anzugeben. In den von mir bereisten Theilen desselben, wie auf dem Festlande am Amur-Strom und Liman, auf Sachalin an der Westküste von Poghobi bis Dui und im Innern längs dem ganzen Tymy-Fluss bis etwas nördlich über seine Mündung hinaus, habe ich sie durch eigenes Nachzählen, in anderen, anstossenden Theilen, wie an der Westküste Sachalin’s nördlich von Poghobi und südlich von Dui, durch vielfaches Nachfragen bei den Giljaken selbst ermit- teln können. Für die Ostküste Sachalin’s liegen einige Angaben Glehn’s vor!). Nur von dem am Ochotskischen Meer gelegenen Theile des Giljaken-Gebietes fehlen uns, die kleine, eben- t) Reiseber. von der Insel Sachalin (Beiträge zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 235). Giljaken. Zahl ihrer Winterwohnungen. 361 falls von mir besuchte Strecke zwischen Kulj und dem Amur-Liman abgerechnet, alle Daten }). Der Uebersichtlichkeit wegen und weil von vielen einzelnen Ortschaften der Giljaken im Verlaufe dieses Werks noch oftmals die Rede sein wird, theile ich nachstehend ein tabella- risches Verzeichniss sämmtlicher mir theils und zumeist aus eigener Erfahrung, theils aus den Angaben Glehn's bekannten Giljaken-Dörfer und der Zahl ihrer Winterwohnun- gen mit. 1) Middendorff wurde bei seinem Aufenthalt im grosse Giljaken-Dörfer gabe (Beitr. zur Kenntn, des Tugur-Busen (im J. 1844) erzählt, dass es vom Cap Ume- | Russ. Reiches, Bd. IX, 2. Abtheil., St. Petersb. 1855, longte (Muktelja), der am weitesten nordwärts vorsprin- | p. 618). genden Spitze dieser Küste, bis zur Amur-Mündung vier 16* 362 Linkes Tscheharbach . | Tschehyrkrach \ Patchä Kuik (Kuegri-wo | Ssabach Wair (Wail | \Kanatif . Magho . ‚ Kalgho a Pall-wo | Tschlja 2) . \Nykki ‚Tlals . | | Gesammtzahl | | Ufer. wyur N“ Gesammizahl am Die Völker des Amur-Landes. Amur-Strom von der Mündung aufwärts. Lauter chinesische Jurten. Rechtes Ufer. ‚ Ngale-wo 3 \ Wassj 3 | Pyghu 1 \Allof . 2 | Kaki 3 | Erli 2 Tebach At | Chessj 3 \ Tschylm Bi} Tacht s | Kaberazbach 1 Kuk 3 \ Angkalm 3 Kalm . 2 Hokk °) 3 | Taur-wo 2 Tylm . 2 | Achza L | Tschelmok 1 | Mchyl 3 Palych 1 Patt > | Chylk 2 Holm . 1 (? Pulmi 1 | Chjare 1 | Aure *®) 3 | Gesammtzahl 70 | Amur-Strom 119. Verzeichniss der Giljaken-Dörfer Amur-Liman von N nach S. Lauter chines. Jurten?). Langr 8 Puir 3 Pattach 2 Pronge 2 Nealu .- 1 Chusi 1 Tschori 1 My 4 Warki . 2 Tymi 1 Tschomi 11 darunter 1 Erd]. Gesammtzahl 36 | Weiterhin fehlt es Küste des Ochotsk. Meeres vom Liman westwarts. Lauter chinesische Jurten. Andar ct Ngywr-wo.. . ‚ Olgh-wo . A Tumi-wo Tägl | Pilja-wo Kulj(Kolj) . 10 6) Muisib-wo . Pomyr-wo Ngyl-wo Wissk-wo . Lyrkr-wo . an Daten. Tamla-wo . Matent-tigr-wo Nganj-wo Mangal-wo Matsch-wo Tulksj Talvant-tigr-wo Tscheghngi Pyrki Jugdama Loktschi Dshongi Ngyith Warsj Wismeryf . Poghobi Tyk W jachtu Choji . Tangi . Mygnai Arkäi . Duı Adngi- Ktheus® ) Chogranj Tylent-tigr-wo . Pilja-wo °) (Poro Gesammtzahl Westküste von N nach S. Chinesist Erdjurten 7). . 5chinas 2» 1 » 5. 42 . über 12 >» 3 » 1 » 4 m y 1 » 2 5 2 vo 1. i 1 Erdjurl 1 53 | 1 » ! 1 ' R 1 chim. J 1 Erdjur ı m 1 E: 2 H Be ı u | 2 = | 1 5 13 1 ® 2:@ 15 35 ee kotan) 3 » .. 48 chim. Giljaken. Verzeichniss der Dörfer und der Zahl der Winterwohnungen. 363 « Zahl ihrer Winterwohnungen ', Insel Sachalin. ıss von den Quellen abwärts. Lauter Ostküste von N nach S. ? ANMERKUNGEN. Erdjurten. Lauter Erdjurten. | s Ufer. Rechtes Ufer. Koibygr-wo !0) 1 1) Die meisten der hier angeführten kleinen Orte haben aufder Karte ) En Sjak wor. 1 | Chankes 2..=).4. [des beschränkten Raumes wegen nicht angegeben werden können. "og ER 2) Andem mit dem Amur in Verbindung stehenden See gleiches | Bar" Ud-wo'. . . Ba EN Eodm Namens gelegen (s. obe n E > | R B „samens gelegen (s. oben, p. 16). | 3 |Pud:wo a R 3 [ Urakt 1 3) Zwischen diesem und dem folgenden Dorfe liegen die beiden | a AERSULwoR. 27. 1,9 [:Käkı-wo ... .. 3 oben p. 16, 26) erwähnten Oltscha-Dörfer Tyr mit 2 und Tschilwi | we 4 | Tschlo-wo .. . Se NCharkı won. 222 ne Jurlen; Ger END: RL | £ Al Rechaiwo 10 N ondiesem etwasnördlich von Kidsi gelegenen Olt sch a-Dorfe, | 41, Udmk-wo . .... 7 rs das unter seinen 6 Häusern drei beständig von Giljaken bewohnte | =... 2 | Plub-wo 1a Ladzworgen., 23 hat, ist oben (p. 16) die Rede gewesen, | 59. awlahz- won... „ 41 Iyımz ..... 9 : 3) Mit alleiniger Ausnahme der einen, oben (p. 332) besprochenen | Tschechen ılNyi ..:.... 6 |Erdjurte, von Pättach. > | SCH SLZWOr wenn: 5 6) Nach den von Middendorffbei den Giljaken am Ulban-Bu- en Br; Eh ug EFF engei © 7° © [sen eingesammelten, mir handschriftiich mitgetheilten Nachrichten. | Kasengat-wo . . 1 7) Die langsdieser Küste Sachalin’sam Liman undam Ochotskischen 'sammitzahl | am Tymy-Fluss . 32, | Mandshubafd-wo 1 Meer gelegenen Dörfer sind oben (p- 332) schon aufgezählt worden, H Milk-wo behufs Vergleichung der Mittheilungen Glehn’s über dieselben Taoıi } 9 | mit den von mir gesammelten Nachrichten, welche mit jenen Anga- | ae ben in Beziehung auf die Zahl und Beschaffenheit der Winterwoh- Neabile. 2 22. 3 nungen, sowie zum Theil auch in Beziehung auf die Namen der Ort- Lub-wo .... ? [schaften nicht ganz harmoniren. Man möge es daher entschuldigen, Lung-wo. ... >» [| wenn sie der allgemeinen Uebersicht wegen hier nochmalsangefuhrt Pilnei”. j j „ [ werden. Da sich jedoch aus jener Vergleichung eine gewisse Ab- F ; x nahme der Bevölkerung dieser Küste in den Jahren 1857 bis 1861 Tschamr-wo . . ? Tergab, und es hier darauf ankommt, die noch vor derselben, zur | | E (ErrIFInReZeil meines Aufenthaltes im Amur-Lande gewesenen Verhältnisse | Gesammtzahl ohne zu conslatiren, so sind in diesem Verzeichnisse nur die von mir die Dörfer mit selbst ermittelten Daten berücksichtigt worden. 1 fraglicher Jurten- 8) Da dieses Dorf und das südlicher gelegene, ebenso viele Jurten ! zahl 42 [zahlende Pilja-wo eine halb aus Giljaken, halb aus Aino zusam- ‚ \ mengeselzte Bevölkerung haben, so sind bei der Summirung für | mit denselben, die beide Orte zusammen nur 3 Jurten gezahlt worden. | Zahl ihrer Jurten 9) Die Dörfer Pud-wo und Tschehar-wo liegen an beiden Ufern des | zu je zwei ange- Flusses mit der angegebenen Jurtenzahl. nommen(worüber 10) Glehn beginnt mit diesem Dorfe die Reihe derander Westküste | Enater 54 Sachalin’s gelegenen Ortschaften, giebt aber selbst an, dass es an der Nordspitze der Insel, zwischen den Caps Elisabeth und Maria liege,und meint,dass es dasselbe Dorfsei, welches Krusenstern inder«Nord- Bai» sah. Da letzteres jedoch ein sehr grosses Dorf war («mit 27 Hau- sern», darunter freilich manche gewiss nur Vorrathshäuser wa- ren), grosser als das spater in der Bai Nadeshda von ihm be- suchte (Krusenstern, 1. ec, pP. 162 u. 18%, und dieses Dort, Ngywr-wo, noch zu meiner Zeit 5 chinesische Jurten zahlte, so ist nicht wohl denkbar, dass das in der Nord-Bai gelegene Dorf nur wenige Jahre später, wie Glehn (l. c., p. 232, Anm. 1) meint, bis aufeine kleine Erdjurte zusammengeschmolzen sein sollte, 11) Vermuthlich ist dies dasselbe Dorf, welches Glehn unter dem Namen Takr-Nyi (d. h. jenseitiges Nyi) aufführt, im Gegensatz zu dem obigen Dorfe dieses letzteren Namens, das er als Tukr-) yi (d.h. diesseitiges Nyi) bezeichnet. Auf dieses Dorf Tagri und das ihm nordwärts benachbarte Milk-wo, die ersten südwärts oder, von Norden gegangen, jenseits der Tymy-Mündung gelegenen Dör- fer, muss ich daher auch die von Glehn für Takr-Nyi angegebene Jurtenzahl beziehen. 364 Die Völker des Amur- Landes. Wie man aus diesem Verzeichniss sieht, bestehen sehr viele giljakische Ortschaften nur aus einer einzigen Winterwohnung, sei es eine chinesische, oder eine Erdjurte. Nur zwei oder drei Winterjurten zählen die meisten Giljaken-Dörfer. Dies ist, wie man sich aus dem obigen Verzeichniss überzeugen kann, die mittlere Jurtenzahl in den Giljaken-Dörfern, und zwar kommen auf dem Continent, am Amur-Strom und Liman, im Durchschnitt je drei, auf der Insel Sachalin, an der Westküste und im Tymy-Thale, je zwei Jurten auf ein Dorf. Aus diesem Grunde habe ich oben bei Bestimmung der Gesammtzahl der Winterjurten an der Ostküste Sachalin’s für die sechs Dörfer, deren Jurtenzahl sowohl Glehn, wie mir unbekannt geblieben ist, je zwei Erdjurten auf das Dorf gerechnet. Dörfer von 4 und 5 Jurten gehören schon zu den ansehnlichen und sind in allen Einzelgebieten des von den Giljaken eingenommenen Lan- des nur in geringer Zahl anzutreflen; doch giebt es in jedem dieser Gebiete auch einzelne Orte mit noch grösserer Jurtenzahl, von 6 bis 10 und darüber, und diese lassen sich als die Haupt- und Mittelpunkte der einzelnen Gebietstheile, ja die grössten unter ihnen auch als die Haupt- und Gentralpunkte des gesammten Giljaken-Landes bezeichnen. Das grösste giljakische Dorf auf dem Festlande ist Wair oder Wait, wie die Russen es zu nennen pflegen. Im Mündungs- theile des Amur-Stromes gelegen, in ziemlich gleicher Entfernung sowohl von dem oberhalb seiner letzten Biegung sich erstreckenden Gebiete, als auch vom Amur-Liman, von Nordsachalin und der Küste des Ochotskischen Meeres, liegt Wair gewissermaassen im Mittelpunkte des ge- sammten, festländischen, wie insularen Wohngebietes der Giljaken. Mit seinen 16, etwas landeinwärts vom Strome in zwei Reihen gelegenen Winterhäusern, den vielen davor, dicht am Ufer sich erhebenden Sommerjurten, den zahlreichen, neben und zwischen verstreuten grossen und kleinen Vorrathshäusern, offenen oder überdachten Trockengerüsten u. drgl. macht es den Eindruck eines grossen, stark bevölkerten Dorfes, einer Metropole des giljakischen Lebens. Nur wenig oberhalb Wair’s liegt ein anderes grosses Giljaken-Dorf, das 11 Jurten zählende Magho, und schräg gegenüber das 7 Jurten starke Tebach, das, an der letzten Biegung des Stromes nach Osten gelegen, sowohl dem Mündungs-, wie dem nach aufwärts angrenzenden Theile desselben gehört. In diesem letzteren Stücke des Wohngebietes der Giljaken liegen die Dörfer am diehtesten zusammen, doch sind es fast lauter kleine Orte mit je 2 oder 3 Jurten, und nur die beiden Hauptpunkte Tacht und Patt gehen über jenes Maass hinaus. Am Liman nehmen Langr im Norden und Tschomi im Süden die dominirende Stellung ein, jenes als Hauptvermittelungspunkt zwischen der Amur-Mündung, der Küste des Ochotskischen \eeres und Nordsachalin, dieses im beständigen Verkehr sowohl mit der Westküste Sachalin’s, den Tymy- und Tro-Giljaken, als auch andererseits über das Gebirge hinweg mit den am Amur gelegenen Dörfern. An der Küste des Ochotskischen Meeres ist Kulj oder Kolj der Hauptort, von dessen Existenz Middendorff schon am Tugur-Busen Kunde erhielt’), und der den Schil- derungen der Giljaken zufolge dort eine ähnliche Rolle wie Wair am Amur-Strome zu spielen 1) Der Ort heisst in Middendorff’s handschriftlichen | «Kwob und in Baer’s Bericht über dessen Reise (Beitr. zur Aufzeichnungen über seinen Besuch bei den Giljaken | Kenntn.des Russ. Reiches, Bd. IX, 2. Abthl., p. 620) «K web». De — Giljaken. Hauptorte derselben. Bestimmung ihrer Gesammtzahl. 365 scheint. Dieselbe Bedeutung gebührt an der Liman-Küste Sachalin’s dem bereits oben erwähn- ten, durch den räuberischen Sinn seiner, wie schon der Name sagt, zahlreichen Bevölkerung übel berüchtigten Tamla-wo. Der vom Nordjapanischen Meer bespülte Theil der Westküste Sachalin’s hat fast nur kleine Dörfer aufzuweisen, indem das sechs Erdjurten starke Dorf Tyk der einzige grössere Ort und der Hauptpunkt der ganzen Küste ist. Im Tymy-Thale auf Sachalin, das namentlich in seinem obersten Theile eine Menge kleiner Ortschaften hat, geben Pud-wo und Udmk-wo die Hauptpunkte ab, und an der Ostküste Sachalin’s endlich sind Tschai-wo und Nyi die Hauptorte. Will man nun aus der Zahl der Winterwohnungen auf die Stärke der giljakischen Be- völkerung in ihren einzelnen Gebietstheilen, wie im Ganzen schliessen, so muss zuvörderst be- stimmt werden, wie viel ständige Bewohner im Durchschnitt auf eine chinesische und eine Erd- jurte gerechnet werden dürfen. Wie die giljakischen Häuser nicht von einem Einzelnen errichtet werden, sondern mehr oder minder unter Mithülfe und Betheiligung aller Ortsgenossen oder Angehörigen entstehen, so werden sie dem communistischen Geiste gemäss, der die Naturvölker auszeichnet, in der Regel auch nicht von einer einzelnen Familie, sondern von mehreren zugleich bewohnt. Wie man aus der obigen Beschreibung ersieht, bietet eine nach chinesischem Muster gebaute Winterjurte der Giljaken mit ihren vier langen Schlafbänken einen hinlänglichen und bequemen Raum für vier Familien dar. Rechnet man nun den Bestand einer Familie im Durch- schnitt auch nur auf vier Personen, Mann, Frau und zwei Kinder, so gäbe das schon je 16 In- sassen auf eine chinesische Winterjurte. Allerdings wird gewiss manche Jurte auch nur von einer oder ein paar Familien bewohnt, wie ich es selbst wiederholentlich gesehen habe, ja hier und da stösst man auch auf eine den ganzen Winter über leer stehende, anscheinend verlassene Jurte. Dafür finden aber in den Jurten neben und ausser den erwähnten Familiengliedern auch einzelnstehende Personen beiderlei Geschlechts, sei es aus verwandtschaftlichen Rücksichten, sei es gegen bestimmte Dienstleistungen, ein festes und beständiges Unterkommen. Auch ist jene oben angenommene Durchschnittszahl von nur je zwei Kindern auf eine Familie ohne Zweifel nicht allzu gross. Ich glaube daher gewiss nicht zu hoch zu greifen, wenn ich auf eine chinesi- sche Winterjurte im Durchschnitt 16 und auf eine Erdjurte, da sie nur je drei und dazu viel kürzere Schlafbänke als jene enthält und überhaupt ansehnlich weniger Raum bietet, nur halb so viel, also durchschnittlich nur 8 Personen rechne. Auf dieser Grundlage lassen sich annä- hernde Bevölkerungszahlen der einzelnen, oben besprochenen giljakischen Gebietstheile unschwer ermitteln. Nur für einen dieser Gebietstheile, die Küste des Ochotskischen Meeres, langen die vorhandenen Daten auch dazu nicht hin, da uns die Zahl der an dieser Küste gelegenen Winter- wohnungen der Giljaken, mit Ausnahme der kleinen Strecke zwischen dem Amur-Liman und dem Dorfe Kulj, noch unbekannt ist. Hier muss daher noch in einer anderen Weise annähernd gerechnet werden. Der uns unbekannte Theil dieser Küste, von Kulj bis zum Tugur-Busen, beträgt etwa das Sechs- bis Siebenfache der zwischen Kulj und dem Liman gelegenen Strecke; man braucht daher nur die für diese letztere nach der Anzahl ihrer Jurten ermittelte Bevölke- rungszahl 6—7 mal zu vergrössern, um eine annähernde Grösse für die Bevölkerung der ganzen 366 Die Völker des Amur-Landes. Küste bis zum Tugur-Busen zu erhalten. Da es jedoch nicht unwahrscheinlich ist, dass die Stärke der giljakischen Bevölkerung längs dieser Küste mit der Annäherung zu der Amur-Mün- dung, dem Amur-Liman und Sachalin wächst, und es in der That an derselben weiter westwärts, auch den Angaben der Giljaken zufolge, kein zweites Kulj mehr giebt, so glaube ich richtiger zu gehen und wiederum nicht zu hoch zu greifen, wenn ich zur Bestimmung der Gesammitzahl der giljakischen Bevölkerung an dieser Küste nicht das Sechs- bis Sieben-, sondern nur das Fünf- fache der für die Strecke zwischen Kulj und dem Amur-Liman ermittelten Zahl nehme. Demnach ergeben sich für die einzelnen Gebietstheile und das Gesammtgebiet der Gilja- ken folgende minimale Bevölkerungszahlen : Festland. Insel Sachaliın. AmMUr-STLOINE . 1904 Westküste var... ale ee 1016 Anur- man 568 Tyımy-Rlussertsee ne: 256 Küste des Ochotskischen Meeres. .... 1040 Ostküstenehe. an alas are 432 zZusammenwera 3512 zusammen ... 1704 Somit beträgt die Gesammtzahl der Giljaken auf dem Festlande und der Insel Sachalin zum wenigsten 5216 oder in runder Zahl etwa 5000 Seelen. Gehen wir von den Giljaken zu den tungusischen Amur-Völkern über, so muss zuvör- derst ein Blick auf die noch im Gebiet der Giljaken umherwandernden Oroken geworfen werden. Als Rennthiernomaden haben sie keine ständigen Wohnungen, sondern schlagen bei zeitweisem und selbst längere Zeit dauerndem Verweilen an einem Orte Zelte auf, die von sehr einfacher Construction sind. Lange, konisch zusammengestellte hölzerne Stangen bilden das Zelt- gerüste, über welches eine aus Fischhäuten zusammengestickte Decke so ausgebreitet wird, dass nur an der Spitze, wo die Stangen zusammenstossen, eine Oeflnung bleibt, die zum Entweichen des Rauches dient, wenn im Zelt ein Feuer angemacht wird. Da die Wanderungen der Oroken stets durch mehr oder minder bewaldete Gegenden vor sich gehen!) und sie nach gewissen Zeiträumen wieder zu denselben Punkten zurückführen, so lassen sie beim Aufbruch von einem Orte die Zeltgerüste stehen und nehmen nur die Zeltdecken mit. Ich bin daher auf meiner Reise im Winter 1356 im Tymy-Thale und auf dem Passübergange von dort nach der Westküste Sachalin’s wie- derholt auf Zeltgerüste der Oroken gestossen. Auch ihren Zügen bin ich begegnet, aber ein aufgerichtetes Zelt habe ich nicht zu sehen bekommen. Zur Bedachung der Zelte scheinen die Oroken sich zu jeder Jahreszeit nur der Fischhautdecken zu bedienen. Wenigstens trafen sie Glehn?) bei Käkr-wo, im nördlichen Sachalın, am 19. März (1860) und Schmidt im Tschogbo, am Golf der Geduld, zu Anfang des Februar (1861) in ihren «kegelförmigen Fischhautzelten» an, 1) S. oben, p. 19, 20. | 2) L. c., p. 196. Oroken. Beschaffenheit ihrer Zeltwohnungen. 367 trotzdem es am letzteren Orte zu der Zeit bis 30° R. Kälte gab, so dass es auch in den Oroken- zelten empfindlich kalt war!). Nach Mamia Rinsö°) gebrauchen die Oroken auch aus Fisch- häuten, die in Thran getränkt worden, und Stücken von Birken(«Kaba»)-Rinde zusammengenähte Zeltdecken. Bei starkem Schneefall sollen sie namentlich den Fischhautdecken den Vorzug geben, weil sie nicht so leicht wie die Rinde unter der Schneelast brechen. Rennthierfelldecken, wie sie die Orotschonen im oberen Amur-Lande und andere nordische Völker zum Bekleiden ihrer Zelte im Winter haben, scheinen bei den Oroken gar nicht im Gebrauch zu sein. Vielleicht liegt der Grund, wesshalb die Oroken sich immer nur mit Fischhautdecken für ihre Zelte begnügen, einmal in dem geringeren Gewicht dieser letzteren, das sie geeigneter zum Transport macht, und dann auch in der durch den grossen Reichthum Sachalin’s an Fischen und besonders an Salmo lagocephalus bedingten Leichtigkeit ihrer Herstellung. Sehr bemerkenswerth ist, dass dieOroken ausser dem kegelförmigen Zelte, das Schmidt und Glehn bei ihnen kennen lernten, und auf dessen Gerüste auch ich wiederholentlich stiess, noch eine andere, von jenem ganz verschiedene Zeltform haben. Poljakof, der im Winter 1882 einige Zeit unter den Oroken in Ater-wo und anderen Orten am Nyi-Busen, an der Ostküste Sachalin’s zubrachte®), sah sie in länglich-viereckigen Zelten wohnen, die nur von vorn und hinten gesehen kegelförmig, bei seitlicher Ansicht aber einfach dachförmig erschienen. Ihr Gerüst besteht aus zwei senkrecht in die Erde getriebenen Stangen, auf denen eine lange Querstange ruht; an diese werden jederseits andere, schräg in die Erde gesteckte Stangen angelehnt und diese von oben bis unten mit Baumrinde bekleidet, welche von aussen durch einige Reihen von Querstangen belastet und an das Gerüst gedrückt wird. An den beiden Querseiten, neben den Vertikalstangen befindet sich je eine Thür, doch wird nur die jeweilig im Windschutz befindliche zum Ein- und Ausgange benutzt, die andere aber unterdessen geschlossen gehalten. Im Innern ist in der Mitte des Zeltes durch eine Reihe kurzer, senkrechter, durch Querhölzer mit einander verbundener Stäbe ein länglich-viereckiger Raum abgesteckt, der zum Anmachen des Feuers dient. Gewöhnlich werden auf demselben zwei oder drei oder auch mehr Feuer, je nach der Anzahl der das Zelt bewohnenden Familien, angemacht. Auf den den Feuerplatz umgebenden Querstangen sieht man zum Dörren, Räuchern, oder zu anderweitiger Behandlung bestimmte Fische hängen, und hinter dieser Einfassung, längs den Wänden liegen die Lagerstätten der Zeltbewohner. So haben die Oroken, obgleich sie, wie oben?) dargethan, nur ein nach Sachalın hinüber- gewanderter Zweig der Oltscha sind, weder die Winter-, noch die Sommerwohnungen dieser letz- 1) Schmidt, I. c., p. 114, 116. Bei Erwähnung der | Nippon, VII, p. 204) sagt, dass es «Sommerwohnungen sind, Oroken-Zelte weist Schmidt auf die in Siebold’s Nip- | wie sie die Aino auf Krafto bauen». pon gegebene Abbildung derselben hin. Dies kann jedoch 2) Tö-tats ki ko (Siebold, Nippon, VI, p. 190). nur ein Versehen sein, indem er die auf Taf. XX, der ein- 3) 4. C. IHoaakorn , Iyremecrsie ua ocrp. Caxaııım zigen, die in dem genannten Werke den Oroken gewid- | »» 1881—1882 rr., C. Ierepö. 1883 r. (Upıraosx. wu XIX met ist, im Hintergrunde dargestellten Hütten für Oro- | romy Hasberiit HM. P. Deorp. O6m.), erp. 81. ken-Zelte genommen hat, während Siebold selbst (in 4) S. p. 20, 134, 279. seinen Anmerkungen zu Mamia Rinsö’s Tötats-ki ko — Ss -1 Schrenck's Amur-Reise, Band III. 368 Die Völker des Amur- Landes. teren, sondern halten sich, ihrer nomadischen Lebensweise entsprechend, stets in Zelten auf, die, wie wir in der Folge sehen werden, theils mit denen der ebenfalls nomadischen Orotscho- nen und Manjägirn des oberen Amur, theils mit denjenigen der meist als Jäger umherstrei- fenden Orotschen der Meeresküste Aehnlichkeit haben. Ausser ihren Zelten besitzen endlich die Oroken, wie Mamiıa Rinsö erzählt, an manchen Punkten, die sie auf ihren Wanderungen berühren, oder an denen sie sich längere Zeit aufhalten, feste, stets an Ort und Stelle verbleibende Vorrathshäuser. Es sind. dies kleine, oflenbar zum Schutz gegen die Raubthiere auf Pfählen in einiger Höhe über dem Erdboden errichtete Behäl- ter, — eine Bauart, die sie vielleicht von ihren Nachbarn, den Giljaken, abgesehen haben. Ganz anders verhält es sich mit den Wohnungen der auf dem Festlande den Giljaken benachbarten tungusischen Amur-Völker, der Oltscha, Negda, Samagirn, Golde und Orotschen. Von ähnlicher, ziemlich sesshafter Lebensweise wie jene, haben sie alle gleich den Gilja- ken im Sommer und im Winter verschiedene, zum grossen Theil ständige Wohnungen. In Betreff der Winterwohnungen namentlich ist oben schon hervorgehoben worden, dass die chine- sische Bauart der Häuser, mit längs den Wänden verlaufenden, durch eine Röhrenleitung erwärm- ten Schlafbänken, den Sungarı und Amur abwärts sich verbreitend, bei allen diesen Völkern Eingang gefunden hat. Bezüglich derselben genügt es daher für alle genannten Völker auf die oben entworfene Beschreibung der chinesischen Winterjurte der Giljaken zu verweisen und nur auf die etwaigen Abweichungen von derselben aufmerksam zu machen, die jedoch, wie ich sogleich bemerken muss, immer nur von untergeordneter Art sind, während das Grundprineip ihrer Construction stets dasselbe bleibt. Die Winterjurte (hagdı) der nächsten Nachbarn der Giljaken am Amur, der Oltscha ist im Allgemeinen der giljakischen so sehr ähnlich, dass wo, wie in Aure, Häuser beider Natio- nalitäten neben einander liegen, ein Unterschied zwischen ihnen schlechterdings nicht zu finden ist. An manchen Oltscha-Orten jedoch, namentlich wo ein chinesischer Kaufmann seinen zeit- weiligen Sitz hat, wie in Kidsi, Adı u. a., sieht man auch sauberer als bei den Giljaken gehal- tene Häuser, das Dachgesims mit einigem Schnitzwerk versehen, die Wände von aussen m Lehm beworfen, im Innern nicht bloss die Schlafbänke, sondern auch die Wände unmittelbar über denselben mit Schilfmatten bekleidet; auch werden Einem kleine chinesische Teppiche zum Sitzen auf der Bank ausgebreitet und Abends, zur Beleuchtung der Jurte, in den vier Ecken derselben in kleinen, mit Thran gefüllten Schalen ruhende Dochte angezündet. Die erwähnten Pritschen- und Wandmatten werden, wie ich im Dorfe Adı zu sehen Gelegenheit hatte, von den Oltscha-Weibern aus einer am Amur wachsenden Schilfart (Phragmites communis, oltschaisch und goldisch: holgochta) geflochten, nachdem die Schilfstengel zuvor an einer Seite der Länge nach geschlitzt, platt gepresst und getrocknet worden. Daneben giebt es aber bei den Oltscha, namentlich im südlichen, oberhalb Kidsı gelegenen Theile ihres Gebietes, auch besonders kleine Jurten, wie ich sie bei den Giljaken nie gesehen habe, und die ich nach der im Vergleich mit den gewöhnlichen Winterjurten nur halben Zahl der Herde, Schlafbänke und Fenster gewisser- maassen nur als Halbjurten bezeichnen möchte. In diesen giebt es nämlich, wie der beifolgende, Oltscha, Negda, Samagirn, Golde. Winterwohnumgen. 369 i ' 4 nach einer der beiden Jurten des Dorfes Pulssa entworfene Plan zeigt, nur zwei Schlafbänke, an der einen Längs- und der einen Querwand, und nur einen Herd, der im Beginne der ersteren, gleich neben dem Eingange steht. Der sonst in der Mitte dir der Jurte befindliche Hundetisch ıst nach einer Ecke @ versetzt, diagonal gegenüber derjenigen, in welcher die beiden Schlafbänke zusammenstossen. Nur in den Wän- den, an denen diese hinlaufen, befinden sich Fenster, und zwar zwei in der Längs- und eines in der Quer- wand. Der Raum, den diese Jurten bieten, ist sehr be- engt, und zu manchen Zwecken, wie z. B. zu dem bei den Giljaken so beliebten Halten und Umherführen von Bären in der Jurte, sind sie ganz unbrauchbar, und darin liegt vielleicht auch der Grund, wesshalb sie bei Plan einer kleinen Winterjurte der diesen nicht im Gebrauch sind. Oltscha. “nr . R : = «a — Thür. b — Fenster e — Herd. d — Dass die Negda am Amgunj ganz ähnliche Win- Oeffnung zum Heizen desselben. e — Loch ırrurte re die Giliake Il die anderen Völker für den grossen Kessel. f — Schlafbanke. terjurten wie die Giljaken und die anderen Völker , _ Röhren zum Erwärmen derselben. des unteren Amur-Landes haben, ist durch Schmidt, h, — Schornstein. # — Hundetisch. der sie im Frühling 1862 besuchte, bekannt‘). — Von den Samagirn weiss ich es aus eigener Erfahrung. Die drei Jurten in ihrem Dorfe Ngagha am Gorin waren bei der allge- mein üblichen Construction recht sauber gehalten und so gross und hell, wie ich sie sonst nirgends im Amur-Lande gesehen habe; jede von ihnen hatte 10 Fenster, und zwar je 3 in den Längs- und je 2 in den Querwänden. Eine im Oltscha-Dorf Pulu (oder Pulj) am Amur gelegene, einem Samagirn gehörige Jurte, in der übrigens drei chinesische Händ- ler ihren zeitweiligen Sitz aufgeschlagen hatten, war dadurch ausgezeichnet, dass der Ein- gang in der Mitte der einen Querwand lag und die beiden Herde in geraumer Entfernung, symmetrisch rechts und links von derselben, im Anfange der beiden Längswände standen. Dabei waren die Wände der Jurte von aussen und die beiden Querwände auch von innen mit einem Gemisch von Lehm und gehacktem Stroh beworfen. Mehr noch als bei den Oltscha und Samagirn findet man direkte Spuren chinesischen Einflusses an und in den Winterwohnungen der Golde, und zwar um so mehr, je weiter strom- aufwärts und je näher zur Sungari-Mündung. So sah ich in Turme an der Ussuri-Mündung ein Golde-Haus, dessen eine Wand fast ganz aus dicht neben einander stehenden Fenstern bestand, genau so, wie ich es schon an den Chinesen-Häusern in Zjanka an der Gorin-Mündung gesehen hatte. Auch fehlte der bei den Giljaken die Mitte der Wohnung einnehmende, geräumige Hunde- tisch hier gänzlich. Weiter oberhalb, in Sselgako sah ich in den Golde-Wohnungen auch schon manche chinesische Meublen, namentlich mit vielen kleinen Schiebfächern versehene Sehränkchen auf den Schlafbänken stehen, wie sie mir unterhalb nicht begegnet sind. Daneben kommen aber be! 1) Schmidt, Histor. Ber. ete., 1. e., p. 147. 370 Die Völker des Amur-Landes. den Golde sehr oft auch nur jene kleinen Jurten vor, deren ich oben bei den Oltscha erwähnt habe. Von ganz ähnlicher Beschaflenheit sind übrigens auch die Häuser der am Ussuri einzeln oder zu zweien und dreien zerstreut zwischen den Golde wohnenden Chinesen, die sich mit kleinem Handel oder, weiter südlich, mit dem Suchen der Ginseng-Wurzel beschäftigen. Eben so, nur wo möglich noch kleiner und stets ärmlicher und unsauberer sind endlich auch die Winterwohnungen der Orotschen im oberen Laufe der rechten Amur- und Ussuri- Zuflüsse beschaflen!). An den letzteren wohnen übrigens in solehen Winterjurten nur die wenigen Orotschen, welche nach dem Beispiel der unter ihnen sich aufhaltenden Chine- sen ein sesshafteres, auf etwas Feld- und namentlich Gemüsebau begründetes Leben führen. Die Zahl dieser Orotschen betrug zu Anfang der 80-ger Jahre, als der Obristlieut. Nada- rof die rechten Ussuri-Zuflüsse bereiste, nicht mehr als 20, die in 3 Winterhütten oder sogen. Fansen, davon 2 am Ima und eine am Biki, wohnten °). Das Gros der dortigen Orotschen- Bevölkerung hingegen hatte, dem nomadischen Jägerleben entsprechend, auch im Winter keine andere Behausung als Zelte, sog. tschukdi?), die weiter unten noch besprochen werden sollen. Dasselbe wurde mir auch von den am oberen Laufe der Amur-Zuflüsse, namentlich des Chongar, Munamu u. a. lebenden Orotschen erzählt. Natürlich wird dabei der niedrigen Wintertempe- ratur durch sorgfältigeres Umkleiden des Zeltes, am Dach wie an den Wänden, mit Baumrinden Rechnung getragen, so wie im Uebrigen auch durch das Unterhalten eines beständigen Feuers in demselben, wozu die ausgedehnten Waldungen, in denen die Orotschen sich stets bewegen, ein leicht zu beschaflendes und unerschöpfliches Material liefern. Auch auf die Schlafstätten im Zelt wird alsdann eine aus mehreren Schichten von Baumrinde zusammengesetzte Matte ge- breitet, welche als schlechter Wärmeleiter einen vorzüglichen Schutz gegen die Kälte des Erd- bodens abgiebt. So übereinstimmend die nach gemeinsamem, chinesischem Muster gebauten Winterwoh- nungen der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes unter einander und mit denen ihrer nördlichen Nachbarn, der Amur-Giljaken, sind, so grosse und durchgehende Verschiedenheiten bieten ihre Sommerwohnungen dar. Bei keinem dieser Völker kommen ständige, auf Pfählen in einiger Höhe über dem Erdboden, wie das Käryf der Giljaken, errichtete Sommerwohnungen vor. Immer sind es nur leichthin zu ebener Erde aufgestellte Zelte, die jedoch bei jedem dersel- ben von verschiedener Form und Gonstruetion sind. Am meisten einem Hause ähnlich ist die Sommerwohnung der Oltscha, das bei ihnen, wie bei den Samagirn und Golde sogen. Dauro. Auf Taf. XIV, Fig. 1, ist ein solches aus dem Dorfe Beller am Amur dargestellt. Es besteht aus einem recht dünnen und leichten, mit Birken- rinde überkleideten Holzgerüst. Behufs der Wände des ungefähr quadratischen Baues werden 1) BenwrorR%, O603p. pbrır Veypit u 3EMeAB KB BOCT. 2) U. Haraposv, Cbrepuo-Veeypiiierii kpait (Zar. oTL nen ao mopa (Bbern. Teorp. Oöim., 4.25, 1859, Ora. Il, | Hnnep. Pycer. Deorp. Oöut., no oO. reorp., T. XVII, N 1, Macıba. u Marep., cerp. 224); ero ;we, Ilyrem. no oxp. | erp. 73, 77). pyeer. Asin, C. Herepö. 1868, erp. 89 u ap. 3) Nadarof, 1. c., p. 74. Oltscha, Samagern. Sommerwohnungen. 371 dicke Stangen in der Entfernung von ungefähr je einem Fuss von einander in die Erde gesteckt und dureh etwa eben so weit von einander entfernte dünnere Querstangen, Stäbe und Ruthen mit einander verbunden, so dass eine Art grobmaschigen Netz- oder Fachwerks aus Stangen und Stäben entsteht. Vorn und hinten, an den beiden Querwänden sind die Stangen, oder wenigstens einige von ihnen, dieker, dünnen Pfeilern gleich und nehmen von den Seiten zur Mitte hin an Länge zu; auf ihnen ruhen einige dünne Streckbalken, die den Dachstuhl tragen, der im Uebrigen ebenso wie die Wände aus einem Fachwerk von Längs- und Querstangen und Stä- ben besteht. Dies ganze Holzgerüst wird an Wänden und Dach mit Birkenrinde überkleidet, deren einzelne Stücke auf dem Dach noch durch eine Reihe längs und quer gelegter Stangen zusammengehalten werden. Ein paar an den Längswänden unbekleidet gebliebene Fächer des Holzgerüstes geben die Fensteröffnungen ab, die durch Birkenrinden- oder Schilfmatten verhängt werden können, und eine grössere Oeflnung in der vorderen Querwand dient zum Eingang, der durch eine entweder ebenfalls aus Birkenrinde bestehende oder aber aus mehreren Brettern gemachte Thür geschlossen werden kann. Im Innern dieser Zeltjurte grenzen zwei, rechts und links von der Thür der Länge der Jurte nach auf den Erdboden gelegte dünne Balken die zum Aufenthalt, zum Sitzen und Schlafen dienenden Seitenräume derselben von dem Mittelraum ab. Bisweilen werden die Seitenräume auch von je einer etwa einen Fuss hohen, aus Brettern gemachten, nach innen mit erhöhtem Rande versehenen Schlafbank eingenommen. Im Mittelraum, an einer mit rohen Feldsteinen versehenen Stelle wird das Feuer angemacht, und über derselben befindet sich im Dach die zum Austritt des Rauches dienende Oeflnung. Zu demselben Zweck, der Luftreimigung, scheint mir auch eine in der vorderen Querwand, am Dachgiebel vorhandene Oeflnung bestimmt zu sein. Durch diese Oeflnungen und die in der Regel offenen Fensterlöcher wird zudem ein so leb- hafter Luftzug hervorgerufen, dass auch eine Ansammlung von Mücken im Zelt kaum statt- finden kann. Ganz von derselben Beschaflenheit ist das Dauro der Samagirn am Gorin. Ich habe in einem solchen, das den Samagirn von Ngagha gehörte und einige Werst vom Winterdorf ent- fernt lag, auf meiner Reise im Winter 1855 eine Nacht zugebracht. Bei ganz gleicher Form und Construction mit den Oltscha-Dauros war es doch solider gebaut und geräumiger als jene; der mittlere, von einer Querwand zur anderen laufende Streekbalken war noch durch einen im Innern der Zeltjurte stehenden Pfeiler gestützt. In der Nähe dieses letzteren lag die Feuerstelle mit der Rauchfangöflnung darüber. Alles war so geräumig, dass ein ordentliches Feuer mit lodern- der Flamme ohne Gefahr angemacht und unterhalten werden konnte. Dies hat wohl seinen Grund darin, dass diese in wald- und wildreicher Gegend gelegenen Dauros, deren es in der Umgegend von Ngagha mehrere giebt, auch zum Winter nicht abgetragen werden, sondern stehen bleiben und zu zeitweisem Aufenthalt in Jagdzwecken benutzt werden. Auch sah man am Fachwerk im Innern des Dauro's verschiedene Jagdgeräthschaften, wie Selbstschüsse, Bögen und Köcher mit Pfeilen, Lanzen u. drgl., und zahlreiche Jagdtrophäen, wie Schädel und Kopffelle von Rehen und Moschusthieren, ein Fellstück vom Elenn, Auerhahnflügel, einen Sägetaucher- , Die Völker des Amur-Landes. fuss u. drgl. m. hängen. Im Hintergrunde lagen aber auch Netze und andere Fischfangutensilien und draussen am Dauro ein Boot, zum Beweise seiner Bestimmung, als Sommerwohnung zu dienen. Die Schlafstellen waren mit Strohmatten versehen, die Fenster vermacht. So gab das Ganze bei lodernder Flamme auch im Winter einen gemächlichen Aufenthaltsort ab. Ganz ähnlich scheint mir nach Middendorff’s Beschreibung ! ) auch die Sommerwohnung der den Samagirn benachbarten und mit ihnen zunächst verwandten Negda am Amgun] zu sein. Den einzigen Unterschied kann ich nur darin sehen, dass in der letzteren dem durch eine vorhängende Rindentapete statt der Thür verschliessbaren Eingange gegenüber, an der Hinterseite der Jurte, noch eine zweite, ganz ebensolche Thür sich befindet. Das giebt die Mög- lichkeit, je nach der Richtung des Windes die eine oder die andere Thür zu öffnen, oder auch durch Oefinung beider einen starken Luftzug hervorzubringen. Ausserdem fand Middendorff in der Negda-Sommerwohnung eine rostartig aus vielen dünnen Stäben zusammengesetzte Lage, die zum Räuchern der Fische und besonders des Fischrogens diente, eine Vorrichtung, die viel- leicht nur zeitweise, zu dem genannten Zweck angebracht wird. Von ganz anderer Form sind dagegen die Dauros der Golde?°). Meist im Weidengebüsch der niedrigen Amur-Inseln an fischreichen Flussarmen gelegen, sehen sie in einiger Entfernung wie kleine rundliche Hügel oder riesige Ameisenhaufen aus. (S. Taf. XIV, Fig. 2). Ihr Bau ist im Vergleich zum Oltscha- oder Samagirn-Dauro viel einfacher und primitiver. Lange, dicke, halbkreisförmig gebogene Weidenruthen, die über einander in die Erde gesteckt und durch da- zwischen gellochtene dünnere Ruthen und Zweige unter einander verbunden werden, bilden das Gerüst des Golde-Dauro's. Dieses Gerüst wird allenthalben mit Ausnahme einer Eingangs- öflnung und einer anderen im Gipfel des Zeltes, die zum Austritt des Rauches dient, mit Birken- rinde bekleidet, deren Stücke durch darauf gelegte Querhölzer und längere, schräg in die Erde gesteckte Stangen gegen das Holzgerüst gedrückt und zusammengehalten werden. Denselben Dienst verrichten auch manche von aussen an das’Zelt gelehnte Utensilien wie Ruder, Netze und Körbe, hölzerne Götzen u. drgl. m. Die Eingangsöffnung mit dem an der Erde quer davor gelegten Klotz oder Brett ist nur gerade so gross, dass ein Mensch in sehr gebückter Stellung durch dieselbe ins Zelt hineinsteigen kann. Die Thür wird durch eine Birkenrindenmatte ver- treten, die sich nach oben aufrollen und in dieser Lage vermittelst einer Schnur befestigen lässt. Im Innern ist die Einrichtung dieselbe wie im Oltscha-Dauro, nur der Raum viel enger und kleiner: rechts und links vom Eingange liegen die Schlafplätze, in der Mitte, unter dem Rauchloch die Feuer- stelle. Doch lässt sich hier nur ein kleines Feuer anmachen, und es gehört sich nicht viel, um das Zelt mit Rauch anzufüllen, was seinen Bewohnern behufs Vertreibung der lästigen, im Weidenge- büsch der niedrigen und feuchten Amur-Inseln ganz besonders zahlreichen Mücken meist nicht uner- 1) Middendorff, Reise nach dem äuss. Norden und | mein üblich; oberhalb dieses Gebirges bis zum Ussuri und Osten Sibiriens, Bd. IV, Thl. 2, p. 1583. an diesem letzteren heisst sie gewöhnlich «anzo, und von 2) Die Bezeichnung dauro für die Sommerwohnung | den Amur-Golde oberhalb der Ussuri-Mündung habe ich ist bei den unteren Golde bis zum Geong-Gebirge allge- | sie auch Rjo nennen hören. Golde, Orotschen. Sommerwohnungen. 373 wünscht kommen mag. Allenthalben am Amur und Ussuri habe ich die Golde nur in solchen Dauros wohnen sehen, wenn sie es nicht vorziehen, wie es allerdings bisweilen vorkommt, auch den Sommer über in ihren Winterwohnungen zu bleiben und von diesen aus die in der Nähe gelegenen, zum Fischfang besonders geeigneten Lokalitäten zu besuchen. Anders scheint es sich aber mit den Sungari-Golde zu verhalten. Schon im Dorfe Gaidje, gleich unterhalb der Sungari-Mündung, sah ich neben den gewöhnlichen Winterwohnungen der Golde einige konische Strohzelte stehen. Die um ein konisches Stangengerüst gelegten Stroh- bündel durchkreuzten sich an der Spitze kelchartig, die Thür bestand ebenfalls aus einer Stroh- matte. Wie ich mich später überzeugte, waren diese Zelte ganz ebenso wie diejenigen in den kleinen mandshurischen Wachtposten oberhalb der Sungari-Mündung, so z. B. in Ssung-bira u. a., beschaffen. Ebensolche Strohzelte gab es ferner auch hie und da auf den mit Weidenge- büsch bewachsenen Inseln am Zusammenfluss des Sungari und des Amur-Stromes'!). Ein paar Tagereisen aufwärts am letzteren Strome, in der Prairie, die sich von den Vorbergen des Bureja-Gebirges abwärts zieht, traf ich am linken Amur-Ufer, an einem Ort, der mir Kudjurko genannt wurde, wiederum ein paar Zelte von Eingeborenen. Sie gehörten, wie mir die Insassen sagten, einigen Golde an, die vom Sungari, und zwar aus dem Dorfe Lachsso mit Weib und Kind herangewandert waren, um hier den Sommer über dem Fischfang und der Jagd nachzu- gehen. Diese Zelte waren, wie Taf. XV, Fig. 2, zeigt, ebenfalls von spitzkonischer Gestalt, aber statt des Strohs mit Birkenrindenmatten bekleidet; die Thür bestand aus einer geflochtenen Schilfmatte. Das Innere war ebenso wie in den früher beschriebenen Zeltwohnungen beschaffen. Auf Grund dieser Thatsachen vermuthe ich, dass bei den Sungari-Golde statt der niedrigen. halbkugelförmigen eine hohe, spitzkonische Dauro-Form im Gebrauch ist, die auch bei den dem Sungari zunächst wohnenden Amur-Golde Eingang gefunden hat. Noch einfacher und primitiver endlich als das Dauro der Golde ist die Sommerwohnung ihrer Nachbarn zur Meeresküste hin, der Orotschen. Auf Taf. XVI ist eine solche dargestellt, die ich in der Bai Hadshi oder dem Kaiserhafen im Sommer 185%, gleich nachdem ich von der Korvette «Olivuza» aus die Küste des Amur-Landes betrat, kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Es istein einfaches, dachförmiges Zelt, das aus einem mit viereckigen Lärchenrindenstücken bedeckten Stangengerüste besteht. Die Rindenstücke werden durch lange, schräg in die Erde gesteekte und ans Dach gelehnte Stangen gegen das Holzgerüst gedrückt und zusammengehalten. Die hintere Seite des Zeltes ist geschlossen, an der vorderen liegt der mit einer herabhängenden Rinden- matte als Thür versehene Eingang. Rechts und links, längs den Zeltwänden befinden sich die Schlaf- stätten, hinten, im Grunde, liegen allerhand Vorräthe und Utensilien, und in der Mitte die Feuer- stelle, mit dem darüber hängenden Kochkessel. Eine besondere, für den Austritt des Rauchs aus dem Zelte bestimmte Oeflnung im Dach giebt es hier nicht, indem derselbe schon hinlänglich durch den meist offenstehenden oder nur halbwegs geschlossenen Eingang und die vielen Ritzen 1) Maack (Ilyreim. na Amypo», C.lIerepö. 1859, erp. 143) | nisches, mit Schilfmatten gedecktes Zelt. sah in Ssilbi, nahe der Sungari-Mündung, ebenfalls ein ko- 374 Die Völker des Amur- Landes. und Spalten des Daches entweichen kann und übrigens als Schutz gegen die Mücken den Zelt- insassen bis zu einem gewissen Grade auch ganz erwünscht sein mag. Ich fand ihn allerdings so stark, dass ich immer nur kurze Zeit im Zelt aushalten konnte. Von ganz ähnlicher Beschaflen- heit sind nach Nadarof’s Beschreibung!) auch die im Sommer wie im Winter benutzten Zelt- wohnungen (fschuldi) der Orotschen des Binnenlandes, an den rechten Amur- und Ussuri-Zuflüssen, am Poor, Biki, Ima u. s. w. Nur dienen bei ihnen zur Bekleidung des Zelt- gerüstes in der Regel Birkenrindenmatten, über welche je nach Bedürfniss noch andere Baum- rinden gebreitet werden; namentlich wird längs der Dachfirste eme Reihe winklig gebogener Rindenstücke befestigt, jedoch so, dass über der Feuerstelle eine zum Austritt des Rauches die- nende Lücke übrig bleibt. Das Innere des Zeltes bildet entweder nur einen Raum (am Biki und Ima), oder ist durch Baumrinden in drei Räume getheilt (am Poor): zwei kleinere an den Schmal- seiten des Zeltes, die zum Eingang, resp. zum Aufbewahren von Hausgeräth u. drgl. dienen, und einen grösseren Mittelraum, der das eigentliche Wohngemach abgiebt, mit der Feuerstelle in der Mitte und den Schlafstätten zu beiden Seiten. Wie man aus dem Obigen sieht, sind die Sommerwohnungen der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes sämmtlich der Art, dass sie ohne viel Mühe aus Materialien hergestellt werden, die theils überall vorhanden sind, wie Holz- und besonders Weidenstangen und Ruthen, theils leicht transportirt werden können, wie Birkenrinden-, Stroh- oder Schilfmatten u. drgl. Es hält daher auch nieht schwer, dieselben, wenn erforderlich, wieder abzureissen und anderswohin zu versetzen. Und in der That wird der Ort des Sommeraufenthaltes von diesen Völkern oft genug gewechselt, und zwar nicht bloss von Jahr zu Jahr, sondern auch im Laufe eines und desselben Sommers. Wo in dem einen Jahre zahlreiche Sommerzelte neben einander standen, findet man vielleicht, wie es mir selbst begegnet ist, im Jahre darauf kein einziges Zelt, und Dauros, die man im Frühsommer kennen gelernt hat, trifft man einige Wochen oder ein paar Monate später, wenn auch im Allgemeinen in.derselben Gegend, doch an anderen Stellen, auf anderen Inseln oder an anderen Armen des mächtigen, vielgetheilten Stromes wieder. Der Haupt- grund dieser häufigen Ortswechsel liegt wohl darin, dass stets die für den Fischfang günstigsten Lokalitäten aufgesucht werden, die nicht bloss von Jahr zu Jahr verschieden sich gestalten können, sondern auch in den verschiedenen Monaten wechseln, je nachdem z. B., welche Lachsart gerade ihren Zug stromaufwärts hält, oder welcher Fischart überhaupt der vornehmlichste Fang zur Zeit gilt. Dennoch werden Dauros nur dann erbaut, wenn ein verhältnissmässig längerer Aufenthalt an einem Ort beabsichtigt wird. Wenn es sich hingegen nur um einen ganz kurzen Aufenthalt, vielleicht nur von ein paar Tagen oder einer Nacht, handelt, so werden, wenn die Umstände es erfor- dern, zum Schutz gegen Unwetter, Regen oder die überaus lästige Mückenplage, noch kleinere und primitivere Zelte errichtet. Oltscha wie Golde stellen sich dann eine sogen. Ho- 4) Nadarof, I. c., p. 75, 76. Golde. Kleine, provisorische Sommerzelte. 375 mord*) oder eine Adiangman-a’ungd her. Erstere besteht aus einem niedrigen, länglichen Zelt, das die Form eines der Länge nach durchschnittenen und mit der Schnittfläche auf den Erdboden gelegten Cylinders hat. Auf Taf. XXX ist das vordere Ende einer Homora der Golde abge- bildet. Mehrere halbkreisförmig gebogene und mit ihren Enden in einer Linie in der Entfernung von etwa einem Fuss von einander in die Erde gesteckte Weidenruthen, die durch andere, der Länge nach dazwischengeflochtene mit einander verbunden sind, bilden das Gerüst dersel- ben. Dieses wird mit Birkenrinden- oder dünnen Strohmatten, oder auch mit einer aus Fischhäuten zusammengestickten Decke überzogen, wobei, um die Umhüllung möglichst regendicht zu machen, die Matten so über einander gebreitet werden, dass stets die höher zu liegen kommende Matte mit ihrem Seitenrande den Rand der anstossenden niedri- ger gelegenen Matte deckt. Das hintere Ende der Homora ist vermittelst derselben Ma- terialien ganz verschlossen; vor dem oflenen vorderen aber hängt statt einer Thür eine Bir- kenrinden- oder Strohmatte herab, die aufgerollt und vermittelst einer Schnur in dieser Lage befestigt werden kann. Soll eine Homora eine ganze Familie und vielleicht gar län- gere Zeit hindurch an Stelle eines Dauro’s aufnehmen, so wird sie etwa mannshoch gemacht; alsdann kann in ihrer Mitte sogar ein kleines Feuer angemacht werden, und über der Feuer- stelle befindet sich als Rauchfang eine kleine Oeflnung im Dach. Ist sie aber nur für einen oder ein paar Menschen bestimmt, so fehlt die letztere und die Höhe ist nur gerade genügend, dass ein Mensch in gebückter Stellung hineintreten kann. Das Feuer wird alsdann draussen, vor dem Eingange angemacht, und der durch den Wind vorüber oder hinein treibende Rauch hält die Mücken von demselben fern. Die Adiangman-a’unga ist noch einfacher, — ein blosses Uebernachtungszelt, wie auch schon der Name besagt, dem Golde-Dauro nach Form und Construction ganz ähnlich, nur viel kleiner, bloss für einen oder zwei Menschen bestimmt und mit einer einzigen, zum Eingange dienenden Oeflnung versehen, die nicht einmal mit einer Thürmatte verhängt und vor welcher draussen das Feuer angemacht wird. Ebenso kunstlos und einfach ist das bei den Golde oberhalb der Ussuri-Mündung gebräuch- liche kleine Zelt, das sogen. Tschoro oder Tscholo. Wie die Adiangman-a"unga dem halbkugelför- migen, so ist das T'schoro dem konischen Golde-Dauro nachgebildet: einige kegelförmig zusammen- gestellte Weidenstangen bilden das Gerüst, welches von allen Seiten mit Stroh oder Heu, in der Regel von dem die Prairien weithin überziehenden Calamagrostis-Grase, bedeckt wird, so dass nur eine kleine, seitliche, so zu sagen, bienenlochähnliche Oeflnung übrig bleibt, durch die man in’s Zelt hineinkriechen kann. Ebensolche Tschoros findet man beiden Orotschen an den Ussuri-Zuflüs- sen, oder aber sie errichten sich auch ein ihrem Sommer- und Winterzelt, dem Tschukdi nach- geformtes Tschoro: gilt es sich zur Nacht einigen Schutz gegen Wind und Wetter zu schaflen, so werden zwei nach oben gabelförmige Stöcke in die Erde gesteckt, durch eine Querstange ver- 1) Bei den südlicheren Golde heisst sie, nach Maximowicz, auch Kombora. Schrenok's Amur-Reise, Band IH. 48 376 Die Völker des Amur-Landes. bunden, an diese von der einen Seite einige Stangen oder Ruthen in schräger Stellung angelehnt und über dieses Gerüst Birkenrinden ausgebreitet. Verlängert sich der Aufenthalt, oder ver- schlimmert sich das Wetter, so wird längs derselben Querstange auch nach der anderen Seite ein Schirmdach errichtet und so ein kleines, dachförmiges Zelt gewonnen !). Ich muss hier gelegentlich noch einer Vorrichtung erwähnen, welche unsere Führer, Oltscha und Golde, auf der Reise trafen, um sich beim Nächtigen im Freien besonders gegen die im Weidengebüsch der Amur-Inseln überaus zahlreichen Mücken zu schützen. Aus dem Calico- zeuge, das sie sich zum Voraus als Lohn erbaten, verfertigte sich ein Jeder von ihnen einen 2/,—3 Fuss tiefen Sack, dessen Boden aus einem etwa mannslangen und entsprechend breiten Rechteck bestand. In diesen Boden wurden an den Querseiten, um ihn zu spannen, entsprechend lange Stäbe gesteckt, und vermittelst dieser wurde der mit dem Boden zuoberst gekehrte Sack auf ein paar in die Erde gesteckte, oben gabelförmige Stöckehen aufgestellt, so dass ein niedri- ges, parallelipipedisches Schlafzelt entstand, in welches der Mann durch Aufheben einer der her- abhängenden Seitenwände unterkroch. Diese von ihnen sogenannte Maika wurde auch von unseren russischen Leuten sogleich nachgemacht. Da im Sommer und zumal zur Zeit des Aufsteigens der verschiedenen Lachsarten im Amur die zum Herbst und Winter erforderlichen Fischvorräthe gemacht werden, so sieht man neben den Dauros in der Regel auch die zum Trocknen der Fische an der Sonne dienlichen Gerüste und ab und zu auch ein zur zeitweisen Aufnahme der Vorräthe bestimmtes Häuschen stehen. Ein solches Vorrathshaus (gold. tachto) wird, um das darin zu Bergende gegen Feuchtigkeit und Angriffe durch Mäuse u. a. Thiere sicher zu stellen, in einiger Höhe über dem Erdboden errichtet. Auf 6 Pfähle, die etwa 4 Fuss über dem Erdboden emporragen und oben mit einem Birkenrindenstück bedeckt sind, werden Querstangen gelegt und darauf eine Diele errichtet, auf welche das an Wänden und Dach aus gebogenen Weidenruthen eonstruirte und mit Stroh oder Heu bedeckte Häuschen gestellt wird. Im Anschluss an die oben geschilderten Sommerzelte der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes muss ich hier endlich auch einiger, mehr oder minder ähnlicher Zelte erwähnen, die sie sich im Winter auf ihren nicht selten nach Raum und Zeit recht ausgedehnten Jagd- streifzügen zum Aufenthalt in den Waldwildnissen errichten. Bei den Oltscha, Samagirn und Golde tragen diese Jagdzelte allgemein die Bezeichnung Alko. Im Langysk (oder Adara)-Gebirge, zwischen dem Amur-Strom und Liman, stiess ich im Winter 1855 auf ein Alko, das von vier Oltscha vom Amur und einem Samagirn zeitweise bewohnt wurde. Es war von aussen und von innen ganz wie die obenbeschriebenen Sommerzelte der Orotschen beschaffen. Vor dem Eingange hing eine Fischhautdecke. In der Mitte des Zeltes wurde ein kleines Feuer unter- halten, an dem ein paar kleine Kessel standen, weiter ab lag verschiedenes Hausgeräth, einige hölzerne Schalen, Jagdutensilien, Selbstschüsse, Schneeschuhe u. drgl. In den von den genannten Völkern allwinterlich und oft aus grosser Ferne besuchten wildreichen Jagdgründen am Gorin 1) Nadarof, 1. c., p. 75. Oltscha, Samagirn, Golde. Winterjagdzelte. 377 giebt es zahlreiche, immer einzeln in der Waldwildniss gelegene Alkos. Ich habe selbst in manchen von ihnen einige Stunden der Mittagsrast oder eine Nacht über zugebracht. Gleich das erste der Art, das ich von der Gorin-Mündung aus erreichte, war von ungewöhnlich solider Construction und grossen Dimensionen. Es wurde mir Poijonge genannt und sollte den Golde von Bitschu am Amur gehören, doch gab es unter seinen gegenwärtigen, zeitweisen Bewohnern auch Golde von Chongar, Onmoi und dem noch weiter oberhalb gelegenen Zollazi, die der Jagd wegen dorthin gezogen waren. Dieses Alko hatte sogar Wände, die ein paar Fuss hoch aus horizontal über einander gelegten Balken gezimmert waren; in den beiden Querseiten standen je zwei Pfeiler, die oben durch Längsbalken verbunden waren und das aus Brettern zusammen- gesetzte Dach trugen. Zwei andere, dünnere Längsbalken liefen tiefer abwärts jenen parallel zwischen denselben Pfeilern hin und dienten zum Aufhängen von Kleidungsstücken und Trock- nen derselben am Feuer; am Boden endlich lagen die beiden Längsbalken, welche die Schlaf- stellen im Zelt abgrenzen. Ueber der Feuerstelle war eine mit einem Gitter versehene Oeflnung im Dach, und tiefer abwärts hing eine Stange herab, die mehrfache Zinken und Einkerbungen zum Aufhängen des Kessels über dem Feuer hatte. Im Zelt lag vielfaches Haus- und Jagdgeräth durcheinander, auch manche Fell- und Knochenstücke von verschiedenen Thieren, wie z. B. Beinknochen vom Moschusthier u. drgl. Draussen, an den umstehenden Bäumen und Gerüsten hing noch mehr der Art: Reh- und Moschusthierfelle, eine aufgespannte Elennshaut, ein mächtiges Hirschgeweih (von Gervus elaphus) u. s. w. Andere Alkos in derselben Gegend, wie z. B. das den Samagirn von Ngagha gehörige, in welchem ich übernachtete, und das den Namen Wai trug, waren zwar kleiner, so dass vier Menschen in demselben nur mit Mühe Raum finden konnten, im Uebrigen aber ganz ebenso beschaffen. Im Nothfall, wenn es gilt sich eiligst einen Schutz gegen das Unwetter zu schaffen, errichten sich die Jäger auch im Winter eine Homora, gross genug, um einen oder ein paar Menschen aufzunehmen, wie ich deren am Gorin mehrere gesehen habe. Diese winterliche Homora ist ganz wie die oben beschriebene, im Sommer übliche be- schaflen, nur mit dem Unterschiede, dass das im Schnee erbaute Gerüst an Stelle der Rinden- oder Strohmatten mit Tannenzweigen bedeckt wird. Bei gutem Wetter bedarf es jedoch im Winter zum Uebernachten im Freien auch keiner Homora: die Nacht wird am lodernden Feuer zugebracht und nur der Lagerplatz richtig gewählt und das Lager je nach Umständen mögliehst comfortabel eingerichtet. Dazu wird, wie es auch die Giljaken thun, zuerst der Schnee auf seine Tiefe hin sondirt und dann vermittelst der Schneeschuhe möglichst bis auf den Erdboden ausge- schaufelt, so dass hinten und zu den Seiten der Feuer- und der Lagerstätte mehr oder minder hohe, schützende Schneewände entstehen. Alsdann werden auf der Lagerstätte Tannenzweige in einer ansehnlieh dieken Schicht ausgebreitet und auch die umgebenden Schneewände, um sie vor dem Schmelzen durch die Feuerstrahlen zu schützen, mit solchen Zweigen bekleidet, und endlich wird ein für die Nacht genügender Vorrath an möglichst trocknem und gutem Brennholz herbeigeschaflt. Auf solehen, kürzlich verlassenen Nachtlagerstätten der Amur-Eingeborenen habe ich selbst manche Nacht, ungeachtet einer noch so niedrigen Temperatur, mit Bequemlichkeit zugebracht. 4s* 378 Die Völker des Amur-Landes. Gleichwie im unteren, so sind auch ım oberen Amur-Lande die nach chinesischer Ur- form gebauten Winterwohnungen in allgemeinem Gebrauch. Dass die im Culturstück des Amur-Stromes, unterhalb Aigun durcheinander gelegenen Dörfer der Chinesen, Mandshu und Dauren nur Häuser von solcher Bauart enthalten, ist selbstverständlieh. Dabei ist kein Unterschied zwischen den Häusern des einen oder des anderen dieser Völker zu finden: die dau- rischen in Chormoldin z. B. waren von aussen und innen ganz ebenso wie die angeblich man- dshurischen in Torell, Gulssoja u. a. Orten, die ich besuchte, beschaffen. Der Eingang führt stets in eine Art Vorzimmer, in welchem sich der Herd befindet, der zur Erwärmung der Schlaf- bänke im anstossenden Wohngemach dient. Im Herde ist über dem Feuer ein Kessel einge- mauert, der mit einem hölzernen Deckel geschlossen werden kann. Die Schlafbänke sind mit Schilfmatten und kleinen Teppichen versehen, auf welchen die bekannten niedrigen chinesischen Tischchen stehen; an den Wänden sind kleine Schränke mit zahlreichen Schiebfächern aufge- stellt. Die Fensterrahmen sind mit chinesischem Papier ausgekleidet und werden bei warmer Jahreszeit ganz ausgehoben; auf dem aus festgetretenem Lehm bestehenden Erdboden erhebt sich mitten im Zimmer ein gemauertes Kohlenbecken, das zum Anzünden der Pfeifen dient. Jedes Haus liegt in einem Gehöft, das theils von verschiedenen Nebengebäuden, Scheunen, Vor- rathshäusern, theils von dem den Gemüsegarten begrenzenden Zaun gebildet wird. Dieser besteht aus vertikalen, mit Stroh durchflochtenen Stangen und ist ab und zu mit Pforten versehen, die nach den in den Gemüsegärten und weiterhin zwischen den Feldern verlaufenden Fahrstrassen führen. Die Nebengebäude sind zum Theil ebenso wie die Wohnhäuser aus Holz, zum Theil nur aus Lehmpatzen mit eingeknetetem klein zerhackten Stroh aufgeführt und enthalten theils die zum Garten- und Feldbau dienlichen Utensilien, Pflüge, Harken, Schaufeln, zweiräderige Karren u. drgl., theils die bereits eingeernteten Feld- und Gartenfrüchte; daneben befinden sich um- zäumte Räume für Pferde, Rindvieh, Schweine, ein niedriger aus Stäben zusammengeschlagener Hühnerstall, ein von hohen Stangen getragenes Taubenhäuschen und andere wirthschaftliche Vorrichtungen. Wann die Dauren die chinesische Bauart der Wohnhäuser angenommen haben, lässt sich nicht genau bestimmen. Aus den Berichten der russischen Freibeuter und Kosaken, welche um die Mitte des XVII. Jahrhunderts die Dauren am oberen Amur und seinen Quellflüssen be- kriegten, ist leider nicht zu ersehen, von welcher Beschaffenheit ihre damaligen Wohnungen waren. Da sie jedoch schon damals ein sesshaftes, von Ackerbau und Viehzucht lebendes Volk waren, das in weiter Verbreitung ausser dem Amur auch am Nonni, einem Zufluss des Sungari, ansässig war und mit den Chinesen in lebhaftem Handelsverkehr stand, auch von Zeit zu Zeit der Tributserhebung halber von Beamten der chinesischen Regierung besucht wurde'), so ist es sehr möglich, ja wahrscheinlich, dass sie schon damals in Häusern von chinesischer Bauart wohnten. Noch mehr mussten sie dem Einfluss der Chinesen anheimfallen, als auf Befehl der chinesischen 1) S. oben, p. 159 N. Dauren, sesshafte Biraren. Winterwohnungen. 379 Regierung (im J. 1654) auch die am Amur wohnenden und von den Russen verschont geblie- benen Dauren jenen Strom verlassen und nach dem Nonni übersiedeln mussten!). Das wurde in Beziehung auf die Wohnung der Dauren nicht lange darauf auch durch europäische Reisende bestätigt. Als etwa 40 Jahre später (1693) Ysbrants Ides und Adam Brand die Dauren am Nonni besuchten, fanden sie dieselben in Häusern wohnen, die ganz mit denjenigen der Chinesen übereinstimmten, indem sie ebenfalls breite, niedrige, durch darunter laufende Röhren erwärmte und mit geflochtenen Schilfmatten bedeckte Schlafbänke längs den Wänden hatten u. drgl. m.°) In neuerer Zeit berichtete Kropotkin°) nach eigener Erfahrung, dass die an den oberen Zullüssen des Nonni, am Ganj, Gujuil u. s. w. wohnenden Dauren Häuser haben, die ganz nach Art der chinesischen erbaut sind. Als den Dauren später von der chinesischen Re- gierung, wenn auch unter einigen Beschränkungen, nach dem Amur zurückzukehren gestattet wurde, gewannen sie dort bald, dank ihrer Neigung und Befähigung zum Handel, besonders mit den ihnen von altersher bekannten und zum Theil stammverwandten tungusischen Völkern, eine hervorragende Stellung, und es fiel ihnen im oberen Amur-Lande gewissermaassen die Rolle zu, welche die Chinesen im unteren spielen®). Als unermüdliche, überallhin durchdringende Handelsleute haben sie mehr wie die letzteren zur Verbreitung chinesischer Waaren und Pro- dukte, chinesischer Sitten u. s. w. unter den tungusischen Völkern des oberen Amur-Landes beigetragen, und wenn sich unter diesen an manchen Orten ein sesshafteres Leben, mit Feld- und Gemüsebau, mit ständigen Wohnungen nach chinesischer Art u. drgl., entwickelt hat, so ist dies sicherlich zumeist dem Einfluss und der Vermittelung der Dauren zuzuschreiben. Ihr Werk ıst es z. B., dass die sonst so sehr dem umherstreifenden Jägerleben zugethanen Orotschonen am Ostabhange des Grossen Chingan-Gebirges, am Ganj, Gujuil u. a. Zuflüssen des Nonni stellenweise zu sesshaften Ackerbauern geworden sind und, in Dörfern zusammen- lebend, chinesische Feldeultur und Lebensweise angenommen haben’). Ganz ebenso ist es den Biraren am Amur ergangen, dort wo sie, gleich oberhalb des Bureja-Gebirges, unmittelbar an die Dauren stossen. Trotz ihres sonstigen Nomadensinnes sind sie hier zu einem sesshaften Leben mit Feld- und Gemüsebau übergegangen und haben auch die chinesische Bauart der Häuser angenommen. Ich habe ein solches Biraren-Haus im Dorfe Kalta besucht: die Wände desselben waren aus dünnen Balken ganz ebenso wie an den nach chinesischem Muster gebauten Winterwohnungen der unteren Amur-Völker gezimmert. Der in der Mitte einer Längswand gelegene Eingang führte in eine Art Vorzimmer, aus welchem man nach rechts und links durch je eine Thür in die beiden, unter einander ganz gleichen, ungefähr quadratischen eigentlichen Wohnräume gelangt. In jedem dieser letzteren stand ein 1) S. oben, p. 172. 3) Hobsara u3% Baoaıkaısa ma Amypv upess Maus- 2) Ysbrants Ides, Driejaar. Reize naar China, Amster- | wirypiro (Pycer. Bberu., T. LVII, 1865, Tions, erp. 669). dam 1704, p. 71. Ad. Brand, Neuvermehrte Beschreib. 4) S. oben, p. 38, 52, 174. seiner grossen Chines. Reise, welche er anno 1692 ete. 5) Kropotkin, |. c., p. 670. innerhalb 3 Jahren vollbracht hat, Lübeck 1734, p. 132. 380 Die Völker des Amur- Landes. niedriger Herd mit eingemauertem Kessel und liefen breite niedrige Schlafbänke längs allen vier Wänden hin, deren Fenster mit chinesischem Papier an Stelle von Glasscheiben versehen waren. Diesen beiden Abtheilungen entsprechend, ragte jederseits neben der Querwand des Hauses ein Schornstein aus der Erde empor. Im Vergleich mit den oben beschriebenen Winter- wohnungen der unteren Amur-Völker kann man also diese Biraren-Wohnung gewissermaassen als eine Doppeljurte bezeichnen. Ein von Nebengebäuden, die verschiedenes Feld- und Gartengeräth enthielten, und einem umzäumten Gemüsegarten gebildetes Gehöft umgab das Haus, ganz ebenso wie in den daurischen und mandshu-chinesischen Dörfern, die ich bald darauf weiter oberhalb am Amur kennen lernte. Vom oberen Amur aus haben die Dauren, in Handelsinteressen längs der Bureja, der Dseja, dem Ssilimdshi u. s. w. vordringend, ihren eivilisatorischen Einfluss noch weit nach Norden, bis zum Südabhange des Stanowoi-Gebirges geltend gemacht. Bemerkenswerth ist die Thatsache, dass man dort in den Wohnungen der zu gleichem Zweck wie die Dauren von Norden kommenden jakutischen Händler ebenfalls jene durch eine Röhrenleitung erwärmten Schlafbänke längs den Wänden findet, obwohl die Jakuten in ihrer Heimath nichts Derartiges in ihren Jurten haben. Middendorff meint zwar, indem er diese Thatsache mittheilt, dass dies Princip!) den Giljaken entlehnt sei, allein diese Ansicht erklärt sich daraus, dass er es nur bei den Giljaken (am Ochotskischen Meer) gesehen hat. Wir werden nicht irren, wenn wir nach dem, was oben über den chinesischen Ursprung der durch eine Röhrenleitung erwärmten Schlaf- bänke gesagt worden, die Uebertragung derselben auf die Jakuten nicht den Giljaken, sondern den mit den jakutischen Händlern am Südabhange des Stanowoi-Gebirges zusammenstossenden Dauren zuschreiben. Nur bei denjenigen, allerdings zahlreicheren Theilen der tungusischen Bevölkerung des oberen Amur-Landes, Biraren, Manägirn und Orotschonen, die ihrem angestammten Jäger- und Nomadenleben treu geblieben sind, hat die nach chinesischem Muster construirte Winter- wohnung bisher keinen Eingang gefunden. Diese behalten ihre inn Sommer bewohnten Zelte auch im Winter bei und begnügen sich nur damit, dieselben alsdann durch eine aus Thier- fellen gemachte, diekere und festere Umhüllung auch bei strenger Kälte brauchbar zu machen. Auf Zelte nomadischer Biraren bin ich im Sommer (Juli und August) 1856 am Amur oberhalb des Bureja-Gebirges wiederholentlich gestossen, da es noch die Jahreszeit war, in welcher sie sich des Fischfangs wegen an diesem Strome und seinen Zuflüssen aufhalten, wäh- rend sie später dieselben verlassen, um den Herbst und Winter über im Gebirge (dem Bureja- und dem südlich, zwischen den Amur- und den Sungari-Zuflüssen sich hinziehenden Morra- d. h. Pferde-Gebirge, wie die Biraren es mir nannten) der Jagd nachzugehen. Diese Zelte wa- 1) Middendorff (Reise ete., Bd. IV, Thl. 2, p. 1560) | unter ich nur jene durch Röhren erwärmte Schlafbänke sagl: «das Princip einer inmitten der rings um die Wand | verstehen kann. laufenden Lehmbank eingesetzten Röhrenleitung», wor- Nomadische Biraren, Manägirn. Zeltwohnungen. 381 ren von spitzkonischer Form und mit Birkenrindenmatten bekleidet, ganz so wie das oben be- schriebene und auf Taf. XV, Fig. 2, abgebildete Zelt der Sungari-Golde. Von derselben Art sind auch die Zelte (dshu) der nomadischen Manägirn. Maack, der sich auf seiner Reise an den Amur längere Zeit unter den Manägirn aufgehalten, giebt eine ausführliche Beschreibung derselben '). Das Gerüst eines Manägirn-Zeltes besteht, je nach der Grösse der Familie, für welche das Zelt bestimmt ist, aus 20—40 kegelförmig zusammenge- stellten Stangen. Darunter zeichnen sich sechs durch besondere Dicke und gabelförmige obere Enden aus. Vier dieser Hauptstangen werden paarweise geordnet, so dass der Abstand der betreflenden Stangen von einander nur gering ist, und diese beiden Paare einander diametral gegenüber gestellt; die beiden übrigen Hauptstangen stehen mit jenen ins Kreuz und einander ebenfalls diametral gegenüber. Indem diese sechs Hauptstan- gen mit den Zinken ihrer oben gabelförmigen Enden in einander greifen, geben sie den Haupthalt dem ganzen Gerüste. Die übrigen Stangen füllen die Zwischenräume zwi- schen denselben aus. Um dieses Gerüst werden Birkenrindenmatten, die aus grossen, ver- mittelst Elenns- oder Rennthiersehnen an einander genähten Stücken bestehen, so ausgebreitet, dass die obere Matte stets die Ränder der unteren deckt. Zur Befestigung der Zeltdecke an das Gerüst wird sie von aussen mit einigen Stangen beschwert, oder aber mit aus Rosshaar geflochtenen Seilen umwunden. Im Winter wird der untere Theil des Gerüstes statt der Birkenrinden mit Elennsfellen bekleidet und, um das Zelt noch luftdiehter zu machen, der Schnee ringsum aufgehäuft. Nur zwei Oeflnungen bleiben im Zelt: eine obere, an der Spitze desselben, zum Austritt des Rauches, und eine seitliche, zwischen den beiden Stücken eines Stangenpaares, die zum Eingange dient und mit einer Elennshaut oder Fischhautdecke als Thür verhängt wird. Im Innern des Zeltes laufen zwei einander parallele, von den vier paarweise gestellten Stangen getragene Querstangen hin, deren eine zum Aufhängen des Kessels über dem stets in der Mitte des Zeltes angemachten Feuer dient. Ist das Zelt aber nur für den Sommer bestimmt und von leichterer Bauart, so dass es weder jene sechs Haupt-, noch die bei- den Querstangen hat, so dient zum Aufhängen des Kessels über dem Feuer ein aus Stangen eigens dazu gemachter Dreifuss. In 2—3 Fuss Entfernung von der Feuerstelle, nach rechts, links und hinten liegen die durch Holzklötze gegen dieselbe abgegrenzten Schlaf- stellen, auf denen das aus Gras, kleinen Baumzweigen und einem kleinem Teppich beste- hende Lager aufgemacht wird. Jedes Familienglied hat seinen bestimmten Platz. Die Plätze zur linken Hand vom Eingang und vom Feuer gehören dem Besitzer des Zeltes und seiner Frau, diejenigen zur rechten den übrigen Familiengliedern. Der im Hintergrunde des Zeltes, dem Ein- gange gegenüber gelegene Platz gilt als Ehrenplatz und wird Gästen eingeräumt, darf aber nur von Männern benutzt werden. Ueber demselben findet in der Regel ein Götze Platz. Hart an der Thür, rechts und links von derselben, sind im Innern des Zeltes niedrige, von klei- 1) Maak», IHyrem. na Amyp» »% 1855 r., C. Ierepö. 1859, crp. 70. 382 Die Völker des Amur-Landes. nen, in die Erde geschlagenen Pfählen getragene Bänke errichtet, die zum Abstellen von allerhand im täglichen Gebrauch befindlichem Geräth dienen. Da die Manägirn ein ziemlich geregeltes Nomadenleben führen, indem sie zum Sommer des Fischfangs wegen an die Ufer des mächtigen, ihr Gebiet durchschneidenden Stromes ziehen und im Herbst der Jagd halber wiederum dem Gebirge zuwandern, so sind es hie wie da bestimmte, besonders günstig gelegene Punkte und Lokalitäten, an denen sie sich alljährlich und in grösserer Zahl einfinden. Solche Punkte lassen sich im Herbst auch nach Abzug der Nomaden an den zahlreichen stehengebliebenen soliden Zeltgerüsten, dem von Pferden, vermittelst welcher der Umzug stattfindet, ringsum zertretenen und abgeweideten Erdboden u. s. w. erkennen. Ich bin auf meiner Reise den Amur aufwärts an manchen derartigen Punkten vorübergekommen. Doch gelang es mir, auch bei der vorgerückten Jahreszeit stellenweise noch mit Manägirn zusam- menzutreflen, wo sie, durch Umstände verschiedener Art, wie durch eine unerwartet reiche Jagd- oder Fischfangbeute, das eine Mal z. B. durch den Fang eines kolossalen Störes, veran- lasst, einen zeitweiligen Aufenthalt genommen hatten. Alsdann wird, wie ich mich überzeugte, auch nur ein leichtes, provisorisches Zelt errichtet, wie es auf Taf. XV, Fig. 1, abgebildet ist. Es genügt alsdann ein konisches Gerüst aus einigen wenigen Stangen, um welche eine Birken- rindenmatte so geschlungen wird, dass sie hinlänglichen Schutz gegen Regen oder blendenden Sonnenschein bietet, und tritt Unwetter ein, oder verlängert sich der Aufenthalt, so können, je nach Bedürfniss, noch einige Rindenmatten mehr zu Hülfe genommen werden. Diese geben, wie man aus den obigen Schilderungen sieht, überhaupt allen tungusischen Völkern des unteren, wie des oberen Amur-Landes das wesentlichste und wichtigste Material zur Herstellung ihrer Sommerwohnungen ab, wenn sie nicht, wie es mitunter in der baumlosen Prairie geschieht durch das in Fülle vorhandene und noch leichter zu beschaffende Calamagrostis - Stroh oder Gras ersetzt werden. Die vom Baum abgeschälten Birkenrindenstücke werden, um sie zu Zelt- decken verwendbar zu machen, zunächst in einem grossen Kessel in Wasser gekocht, darauf mit trockenem Stroh oder Heu abgerieben, an der Sonne getrocknet und zu Matten von etwa 3 Faden Länge und einer Arschin Breite (eine Toiochssa der Golde, Tichssa der Manägirn und Orotschonen, Takja der Orotschen) aneinander genäht. Die Birkenrinde verliert bei soleher Behandlung ihre Brüchigkeit und wird lederartig weich und biegsam, so dass die Matten sich bequem und ohne zu leiden zusammenrollen lassen und stets auch in dieser Form aufbewahrt und transportirt werden. Dabei wird, um das Zerreissen der Matte zu ver- hüten, längs jedem Rande derselben ein schmaler Streifen von ebensoleher Rinde aufge- näht. Zu einem Manägirn-Zelte der oben beschriebenen Art sollen etwa 6 Stück oder Rollen solcher Birkenrindenmatten erforderlich sein. Aber auch ein einzelnes Stück kann, wie wir sahen, zur Noth noch hinlänglichen Schutz gewähren, und daher wird ein Amur-Tunguse, sei er Golde, Manägir oder was Anderes, im Sommer schwerlich auch nur eine kleine Fahrt unternehmen, ohne sich für alle Fälle mit einer Toiochssa (resp. Tichssa) zu versehen. Orotschonen. Zelte. — Gesammtrückblick auf die Wohnungen der Amur-Völker. 383 Ganz genau ebenso wie die Manägirn-Zelte sind endlich nach Maack’s, wie nach Gerst- feldt’s!) Zeugniss auch diejenigen der Orotschonen beschaffen, nur mit dem Unterschiede, dass diese zur Umhüllung der Gerüste im Winter nicht Elenns-, sondern Rennthierfelle gebrauchen, welche sie leicht haben können, da sie statt der Pferde Rennthiere halten und zum Reiten und Lastentragen auf ihren Streifereien und Umzügen gebrauchen. Vor den Zelten der Manägirn und Orotschonen sieht man in der Regel einzelne, aus senkrechten und horizontalen Stangen errichtete Gerüste stehen, die zum Dörren von Fisch oder Fleisch an der Sonne, zum Trocknen von Thierfellen u. drgl. dienen. Das Nomadenleben dieser Völker zwingt sie jedoch, nur das zur Nahrung, Kleidung oder Wohnung Nothwendigste mit sich zu führen, alles an Vorräthen, Kleidungsstücken u. drgl. zur Zeit Entbehrliche hingegen zu etwaigem künftigen Gebrauche an bestimmten Punkten, die sie auf ihren Wanderungen immer wieder berühren, niederzulegen und aufzubewahren. Zu diesem Zweek werden höchst primitive Vorrathsbehälter (dölkan) errichtet. Auf einigen in die Erde getriebenen Pfählen werden in der Höhe von 5—7 Fuss Bretter oder ein Ruthengellecht in horizontaler Lage an- gebracht. Auf dieses Gestell wird alles aufzubewahrende Hab und Gut niedergelegt, mit einer Birkenrindenmatte bedeckt und diese mit Stangen und Steinen von oben beschwert). So bleibt es sowohl gegen Nässe von oben wie von unten, als auch gegen Angriffe durch Thiere geschützt. Plünderung durch Menschenhand ist aber nicht zu befürchten, nicht bloss wegen der menschen- leeren Einöde, sondern auch weil die Vorstellung von der Unantastbarkeit solcher Niederlagen, sowie vielleicht auch eine abergläubische Furcht, an denselben zu rühren, allgemein und in weitem Umkreise auch bei den auf gleicher, kindlicher Culturstufe stehenden Nachbarvölkern verbreitet ist. Wirft man einen Gesammtrückblick auf die Wohnungen der indigenen Völker des Amur- Landes, also mit Ausschluss der Chinesen und der sich mit ihnen mehr und mehr assimilirenden Mandshu, Dauren, Solonen ete., so gelangt man zu dem Schluss, dass dieselben am meisten den Charakter beständiger, fester, solider und dabei eigenartiger Behausungen bei den Giljaken tragen, während sie bei den ringsum wohnenden tungusischen Völkern durchweg nur zeltartig, leicht aufführbar und transportabel und einem unstäten, mehr oder minder nomadischen oder umherstreifenden Leben angemessen erscheinen. So sieht man auf Sachalin neben den im Sommer wie im Winter in festen, bleibenden Wohnungen sich aufhaltenden Giljaken, ja zum Theil innerhalb ihres Gebietes, die Wanderzelte der mit ihren Rennthieren umherziehenden Oroken. Auf dem Festlande wird der Unterschied um so grösser, je mehr man sich von der Amur-Mündung stromaufwärts und von der Meeresküste ins Binnenland begiebt. Das tritt Einem besonders deutlich an den Sommerwohnungen der in dieser Richtung aufeinanderfolgen- den Völker entgegen. Man vergleiche nur in der That das auf Pfählen ruhende, aus Balken gezimmerte Sommerhaus der Giljaken mit den Dauros der anstossenden tungusischen Völker. Und sind ferner die Dauros der Oltscha, Negda, Samagirn, wenn auch nur aus leichten 1) lDepersean AB, O npnöpeskn, sruremmxıp Anmypa 2) Maack, ll. c., p. 71. Gerstfeldt, 1. c., p. 302. (Bberu, Pycex. l’eorp. O6un., 1857, Ora. II, crp. 298). Schrenck’s Amur-Reise, Band II. 49 384 Die Völker des Amur-Landes. Materialien, Holzstangen, darunter vielleicht ein paar von etwas grösserer Dicke, Birken- rinde u. drgl. erbaut, doch noch recht geräumig und von aussen einem Hause ähnlich, so schrumpfen diejenigen der Golde zu kleinen, nur aus Weidenruthen und Birkenrinden con- struirten und leicht von Ort zu Ort übertragbaren Zelten zusammen, und die Dauros der Örotschen gehen sogar nicht über die Dachform, die einfachste aller Zeltformen hinaus. Im oberen Amur-Lande, bei den nomadischen Biraren, Manägirn, Orotschonen treten zwar wiederum Zelte von konischer Form auf, allein diese sind ganz für ein Wanderleben eingerichtet und beschränken sich oft, bei kürzerem Aufenthalt an einem Orte, auch nur auf wenige Stangen und eine um dieselben geschlagene Rindenmatte. Zudem ist zu diesen Völkern, gleichwie zu den Oroken auf Sachalin, am diametral entgegengesetzten Ende des Amur-Landes, auch die im ganzen Zwischenraum verbreitete, bei den Giljaken auch am Ochotskischen Meer und an der Nordspitze Sachalin’s übliche, nach chinesischem Muster construirte Winterwohnung nicht ge- drungen, und das Zelt, nur mit Fellbekleidung versehen, bildet ungeachtet des harten Klima’s auch ihre Winterwohnung. In diesen Wohnungsverhältnissen der indigenen Amur-Völker spricht sich ein grundver- schiedener Zug zwischen den seit Alters sesshaften, paläasiatischen Giljaken und den sie umge- benden, später, ja zum Theil sogar in nicht gar weit zurückliegender Zeit herangewanderten und immer zum Wander- und Nomadenleben geneigt bleibenden tungusischen Völkern aus. Die angeführten Wohnungsdifferenzen stehen nämlich im innigsten Zusammenhange mit der gesammten Lebens- und Ernährungsweise der genannten Völker. Die Giljaken sind ganz vor- herrschend Fischer und an der Meeresküste auch Robbenschläger und dem entsprechend auch fast ausschliesslich ichthyophag, gleichwie auch ihr einziges Hausthier, der Hund. Um nun sich selbst und ihren zahlreichen, sowohl zur Ausführung der vielen winterlichen Fahrten und Handelsreisen, als auch zur Beschaffung der üblichen Winterkleidung erforderlichen Hunden in der fischarmen Zeit das Leben zu fristen, bedürfen sie ansehnlicher Fischvorräthe, und diese lassen sich am sicher- sten und besten bei stätem, beständigem Aufenthalt an einem durch die Erfahrung als günstig erkannten Orte, sei es an einem fischreichen Strome, wie der Amur, sei es an der Meeresküste erhalten. Die Jagd kommt bei den Giljaken nur insofern in Betracht, als sie ihnen das für den Handel mit den Chinesen und Japanern so nothwendige kostbare Pelzwerk liefert und im Tausch gegen dasselbe manche zur Kleidung nöthige Zeuge, Tabak, Branntwein und andere Luxusartikel zuführt. Anders verhält es sich mit den die Giljaken umgebenden tungusischen Stämmen. Bei ihnen wird die Jagd, und zwar um so mehr je weiter stromaufwärts und je tiefer ins Binnenland hin- ein, auch zu einem nothwendigen, ja wesentlichen Ernährungs- und Existenzmittel. Zudem nimmt bei dem geringeren Handelsgeiste dieser Völker im Vergleich mit den Giljaken, ihren minder häufigen und ausgedehnten Winterreisen und Fahrten auch die Zahl der zu ernährenden Hunde und damit das Bedürfniss nach grösseren Fischvorräthen ab. Auch wird mit der Ent- fernung vom Hauptstrome nach den seine Zuflüsse säumenden Gebirgen zu der Fischfang überhaupt minder lohnend, während der im selben Maasse wachsende Wildreichthum die Jagd Zusammenhang der Wohnungsverhältnisse mit dem gesammten Leben. 385 um so verlockender macht. Je mehr aber der Fischfang in den Hinter-, und die einen häufigen Ortswechsel verlangende Jagd in den Vordergrund tritt, um so unstäter gestaltet sich das Leben des Volkes. Dass die in den Wald- und Gebirgswildnissen an den linken Zuflüssen des Amur und Ussuri lebenden Orotschen bereits mehr Jäger als Fischer sind, ist oben mehrfach hervor- gehoben worden. Noch weit mehr aber ist dies mit den Völkern des oberen Amur-Landes, den no- madischen Biraren, Manägirn und Orotschonen der Fall. Bei ihnen wird, ganz im Gegen- satz zu den Giljaken, die Jagd zur ersten und vornehmliehsten Ernährungsquelle, während der Fischfang nur in untergeordnetem Grade in Betracht kommt, indem sie nur zeitweise, im Sommer ihre Jagdgründe verlassen und des Fischfangs wegen an den Amur, die Dseja oder Bureja heranziehen. Auch bedürfen sie keiner Fischvorräthe für ihre Hausthiere, da sie den Hund höchstens zur Jagd, nicht aber, wie es nur bei sesshaften Völkern möglich ist, als Zug- thier gebrauchen. Ihre Haus-, namentlich Reit- und Lastthiere, Pferd und Renn, sind da- gegen der Art, dass sie beim Wanderleben in Folge des Wechsels der Weidegründe nur um so reichlichere Nahrung finden und daher gewissermaassen Mitveranlassung zum Nomadenleben ihrer Besitzer geben. 49* 5. Abschnitt. Aeussere Haltung: Kleidung, Haartracht, Schmuck, Tätowirung. Mehr noch als die Wohnung steht die Kleidung der Naturvölker im innigsten Zusammen- hange mit ihrer gesammten Lebens- und Ernährungsweise. Denn sofern ihnen die zur Kleidung erforderlichen Stofle nicht durch ein Gulturvolk im Tauschhandel zugeführt werden, beziehen sie sie aus derselben Quelle, aus welcher sie auch ihre Nahrung schöpfen, sei es eben Fischfang, Jagd oder die Pflege nährender, resp. zur Ortsveränderung dienlicher Hausthiere, und geben ihnen auch einen ihrem Leben und Treiben, ihren Gewerben und Hantierungen angemessenen Zuschnitt. In Betrefl der Giljaken, mit denen wir wiederum unsere Betrachtung beginnen wollen, muss daher zuvörderst wiederholt werden, dass Fischfang und Robbenschlag ihre Hauptbeschäf- tigung bilden, die Jagd hingegen bei ihnen nur in zweiter Reihe in Betracht kommt, dass sie ferner nur ein Hausthier, den Hund, diesen aber in grosser Anzahl, als Zugthier um sich halten, und dass sie endlich, wie schon die älteste Kunde, welche die Russen von ihnen erhielten, besagt), in beständigem Handelsverkehr mit den Chinesen stehen. Dem entsprechend bilden neben Baum- wollenzeugen, welche sie seit Alters von den Chinesen und gegenwärtig auch von den Russen bezie- hen (giljakisch: p0ssj, russisch-sibirisch: dab«), Hunds- und Seehundsfelle und Fischhäute ihre Hauptkleidungsstofle, während die Felle der Waldthiere, Fuchs, Flussotter, Zobel, Eich- hörnchen u. s. w., nur zu Verbrämungen oder kleineren Kleidungsstücken, wie Mützen, Hand- schuhe, Halswärmer u. drgl. dienen, im Uebrigen aber die Hauptartikel im Tauschhandel mit den Chinesen abgeben. Da die Giljaken dabei ausser verschiedenen Zeugen, einfarbigen und gemusterten, auch manche fertige Kleidungsstücke eintauschen, so lässt sich schon daraus, wie überhaupt aus ihrem Verkehr mit diesem ihnen zunächst stehenden Gulturvolke der in ihrer Kleidung nach Form, Schnitt, Art und Muster der Stickereien und anderen Ver- zierungen erkennbare Einfluss chinesischer Sitte und chinesischen Geschmackes leicht erklären. 1) S. oben, p. 99. Giljaken. Sommerkleidung der Männer und Weiber. 387 Die dem Körper zunächst liegende Kleidung der Giljaken besteht in Calecons, welche auch Nachts nicht abgelegt werden, Beinkleidern (gilj. warsch), einem unteren und einem bis zu den Knien hinabreichenden Oberhemde (gilj. /arkch), das am Halse und auf der Brust stets von links nach rechts zugeknöpft wird. Diese Kleidungsstücke sind immer aus chinesischem, oder neuerdings auch russischem, blauem oder grauem Baumwollenzeuge gemacht, bisweilen auch aus weissem, welches jedoch, da die Giljaken ihre Kleidungsstücke niemals waschen, sehr bald eine mehr oder minder dunkle Schmutzfarbe annimmt. Eines Oberkleides bedarf es im Sommer in der Regel nicht; erfordert es aber die auch in dieser Jahreszeit nicht selten un- freundliche Witterung, so wird eines der Winterkleidungsstücke, namentlich der später zu beschreibende Hundsfellpelz zu Hülfe genommen. Zur Fussbekleidung dienen stets hohe Stiefel aus Seehundsleder und Fell. Und zwar wird in der Regel das untere oder Fussstück des Stiefels (gilj. %ö) nebst der Sohle aus der Haut der Phoca barbata (gilj. köghitsch u. kighitsch-langr) verfertigt, welche, zumal bei älteren Individuen, dieker und haltbarer ist als diejenige der anderen, in den Gewässern des Amur-Landes allgemein verbreiteten Seehundsart (Ph. nummularis, gilj. pyghi und pyghi-langr)‘) und zu dem Zweck ihres Haares beraubt wird. Der Fussbildung der Gi- ljaken entsprechend, ist das untere Stück des Stiefels klein und zierlich, mit hohem, längs der Mitte kielförmigem Rücken, und das zugespitzte und etwas nach auf- und rückwärts gekehrte Ende desselben macht den Einfluss chinesischer Muster unverkennbar. Die im Verhältniss zum Fussstück breiten und weiten Stiefelschäfte werden aus dem dünneren und geschmeidigeren, mit dem Haar nach aussen gekehrten Fell der letztgenannten Seehundsart gemacht; sie reichen fast bis ans Knie und werden, nachdem die Hosenenden hineingesteckt worden, unter demselben vermittelst eines ein- oder angenähten Riemens zusammengeschnürt. Eine Kopfbedeckung ist beim starken Haupthaarwuchs der Giljaken im Sommer meist entbehrlich. Doch bedienen sie sieh zum Schutz gegen Regen und Sonnenschein eines eigenthümlichen, ziemlich flach- konischen Hutes aus Birkenrinde (gilj. chib-hak, d. h. in wörtlicher Uebersetzung «Birken- rindenhub»), der in der Regel mit verschiedenartigen, strahlenförmig um die Spitze geordneten, schwarzen und rothen Arabesken verziert ist, welche ebenfalls aus dünner Birkenrinde ge- schnitten und vermittelst feiner Darmfäden auf den Hut aufgenäht sind (s. Taf XVII und Taf. XX, Fig. 1 und 2)?). q Die Weiber tragen ganz ähnliche Unterkleider, aber ein längeres, weit über die Knie hin- abreichendes Hemd und darüber einen mit Aermeln versehenen, vorn zum Knöpfen eingerich- teten Rock, der entweder aus ähnlichem Zeuge, oder aus Fischhäuten gemacht wird. Hemd und Rock haben meist einen breiten Saum von andersfarbigem Zeuge, über welchem, namentlich auf dem Rock, als Zierrath eine oder ein paar rundherum laufende Reihen von verschieden- förmigen, an kleinen Riemen herabhängenden Messingplättehen von chinesischer Arbeit oder auch 4) S. meine Reis. und Forsch. im Amur-Lande, Bd. I, | nicht abgewaschen. Ich vermuthe daher, dass sie durch p- 180 fl. Langr heisst «Seehund» schlechtweg. eine Mischung chinesischer Tusche, resp. Eisenocker mil 2) Die Farben (Schwarz und Roth) werden vom Regen | Fisch- oder Seehundsthran hervorgebracht werden. 388 Die Völker des Amur-Landes. von den bekannten, mit einem viereckigen Loch versehenen chinesischen Kupfermünzen angebracht sind (s. Taf. XV u. Taf. XVII). In Folge dessen werden alle Bewegungen der Weiber, jeder Schritt, den sie thun, von einem durch das Aneinanderschlagen der erwähnten Metallplättchen oder Münzen hervorgebrachten Geklapper begleitet. Diese Sitte ist, wie auch schon die Verzierungen selbst verrathen, ohne Zweifel von chinesischem Ursprung !). Zur Anfertigung der Fischhautröcke benutzen die Giljaken die in den Gewässern des Amur-Landes häufigste Lachsart, Salmo lago- cephalus (gilj. !yghi-, auf Sachalin laghi-tscho). Die abgestreiften Häute derselben werden zu dem Zweck ihrer Schuppen beraubt, was durch Stampfen der aufgeweichten Häute in einem Holz- geschirr geschieht, alsdann durch Schaben von den anhaftenden Muskel- und Fetttheilchen ge- reinigt, gepresst und geglättet und die einzelnen Stücke an einander genäht. Je nachdem, wie sorgfältig diese Operationen ausgeführt werden, erhält man einen Stoff von verschiedener Güte. An den zum Alltagsgebrauch oder zum Schutz gegen den Regen bestimmten Röcken der Art, die von gelblichgrauer Farbe und meist ohne allen Zierrath sind, lassen sich noch die Ansatz- stellen der Schuppen auf den einzelnen Häuten deutlich erkennen (Taf. XVII). Die eleganteren Röcke der Art sehen hingegen so aus, als seien sie aus einem feinen, gelblichweissen Leder ge- macht. Dieses hebt sich noch besonders scharf gegen die breiten schwarzen Säume ab, mit welchen das Rumpfstück des Rockes vorn, oben und unten, sowie die Aermel zur Schulter und zur Hand hin vermittelst Anstrichs mit der oben erwähnten Farbe versehen sind. In den Zwi- schenräumen sind verschiedenartige Stickereien angebracht, und ganz besonders zeichnet sich das Rückenstück durch hübsch verschlungene, mit verschiedenfarbigen Fäden gestickte Ara- besken aus, wie sie auf Taf. XXIII, Fig 2, 3 und 4, dargestellt sind. Dabei fehlt auch der oben erwähnte metallische Zierrath nie. 4) Unter diesem Zierrath fanden sich während meines Aufenthalts im Amur-Lande an einem Weiberrock aus dem Dorfe Wair oder einem der Nebendörfer ein paar messingne Kreuzchen mit der Inschrift «Souvenir de mis- sion» und eine das Bildniss des Heilands mit einer chine- sischen (?) Inschrift tragende bronzene Medaille. Diese Stücke rührten höchst wahrscheinlich vom französischen Missionar de la Bruniere her, der im Jahre 1846, nach- dem er den Winter in Wair zugebracht hatte, von den Giljaken ermordet und ausgeplündert wurde. Schon sein Amtsbruder Venault, der im Jahre 1850 im Auftrage des apostolischen Vikars der Mandshurei, um dem Verbrechen nachzuforschen, eine Reise von Ashe-ho am Sungari zu den Giljaken am Amur machte, sah viele Kinder der- selben solche Kreuzchen und Medaillen tragen (Nouv. Annales des Voyages, V® Ser. T. XXX, 1852 [T. II], p. 218). Zur Vervollständigung der von Venault über die Ermor- dung de la Bruni&re’s erkundeten Nachrichten sei hier gelegentlich bemerkt, dass dieselbe nach dem, was ich von den Giljaken erfahren, auf dem linken Amur-Ufer, zwi- schen den Dörfern Wair und Ssabach stattfand, an der Stelle, wo die Felsen mit einer eigenthümlichen Bildung, in der Form eines Thores, an den Strom herantreten. Ich habe dieselbe auf meiner Winterreise des Jahres 1855 am 29. März (10. April) besucht. Unter den Mördern wurde mir auch der bereits bejahrte Giljake genannt, in dessen Hause im Dorfe Wair ich abgestiegen war. Meinen Erkun- digungen über den Hergang der Sache gegenüber ver- hielt er sich ausweichend oder ablehnend. Da jedoch die Giljaken es für unheilbringend (witsch) halten, ein mit Schriftzeichen —gleichviel, ob geschriebenen, oder gedruck- ten — versehenes Papier zu vernichten, so hoffte ich durch ihn vielleicht in den Besitz etwaiger Tagebücher oder sonstiger schriftlicher Aufzeichnungen de la Bru- niere’s zu gelangen. Allein trotz der hohen Geldbeloh- nungen, welche ich den Giljaken für dieselben in Aus- sicht stellte, wurden mir von ihnen nach Verlauf von einiger Zeit, als ich bereits wieder nach dem Nikolajef- schen Posten zurückgekehrt war, doch nur einige Flicke einer der D’Anville’schen Karten von China gebracht. Giljaken. Winterkleidung. Beliebtheit des Hundspelzwerks. 389 Die Fussbekleidung der giljakischen Weiber ist ganz dieselbe wie bei den Männern; nur haben sie an ihren Stiefeln im Sommer fast immer, die Männer bloss bisweilen statt aus See- hundsfell ebenfalls aus Fischhaut, und zwar ausser von Salmo lagocepholus auch von Salmo proteus (gilj. tengi-tscho), gemachte Schäfte, die ohne Zweifel leichter und luftiger und ihnen darum, bei der vielen Bewegung, welche die Ausübung ihrer häuslichen Pflichten erfordert, in die- ser Jahreszeit auch zweckmässiger sind als jene. Eine eigens für den Sommer bestimmte, dem Birkenrindenhut der Männer entsprechende Kopfbekleidung haben die giljakischen Weiber nicht. Weit complieirter und vielfach auch eigenartiger ist die Winterkleidung der Giljaken. Auf Taf. XVIH ist ein Giljake in vollem Winteranzuge dargestellt, wie er im Begriff steht sich auf eine Reise zu begeben. Das Hauptkleidungsstück der Giljaken im Winter, das sie nur selten ablegen, ja mit welchem sie sich auch zur Nacht auf der warmen Schlafbank der Jurte, bis auf die Calecons entkleidet, bedecken, ist der breite, bis zu den Knien hinabreichende Pelz (gilja- kisch: okch) aus einer doppelten Lage von Hundsfellen, die äussere Lage mit dem Haar nach aussen, die innere mit dem Haar nach innen gekehrt. Wo möglich nehmen die Gilja- ken zum Pelz, namentlich für die Aussenseite desselben, lauter gleichfarbige, weisse, braune, graue oder andere Felle. Am meisten wird namentlich ein einförmig schwarzer oder dunkelbrauner, nächstdem ein weisser Pelz geschätzt. Aermere Leute begnügen sich jedoch auch mit buntscheckigen Pelzen, und an Kindern sieht man solche in der Regel (Taf. XIX). Sorgsame Mütter scheuen auch nicht die Mühe, ihren Kindern Pelze mit schachbrettartig aus weissen und schwarzen oder braunen Flicken zusammengesetztem Rückenstück zu machen (Taf. XI). Mit Vorliebe wird, namentlich für die Innenseite des Pelzes, auch das feine und geschmeidige Fell junger Thiere benutzt. Es lässt sich als allgemeingültige Regel aussprechen, dass die Giljaken nur aus Hunds- fellen gemachte Pelze tragen. Nur am Liman, wo sie hauptsächlich mit Seehundsfang sich be- schäftigen, sind mir einzelne Individuen begegnet, die ausnahmsweise statt der Hundspelze welche aus Seehundsfell trugen, und vielleicht geschieht Aehnliches hie und da auch an der Küste des Ochotskischen Meeres. Die Gründe, wesshalb die Giljaken für den eigenen Bedarf dem Hunds- pelzwerk in so hohem Maasse den Vorzug vor jedem anderen geben, mögen zum Theil dieselben sein, welche nach Steller’s Angabe!) auch die alten Itälmenen auf Kamtschatka bestimmten, sich mit Vorliebe des Hundspelzwerks zu ihrer Kleidung zu bedienen und es sogar dem Fuchs- und Zobelfell vorzuziehen. Gewiss mag, bei dem conservativen Sinne eines jeden Naturvolkes, das einmal gewohnte Herkommen, der durch Generationen fortgeerbte Brauch auch hiebei eine wich- tige Rolle spielen. Daneben kommen jedoch auch die durch Erfahrung erkannten Vorzüge dieses Pelzwerks in Betracht, seine «Wärme, Dauerhaftigkeit und die Festigkeit seines Haares, auch wenn es der Nässe ausgesetzt gewesen, — Eigenschaften, welche es dem gemeinen, fast immer der Unbill des Wetters ausgesetzten Manne besonders schätzenswerth machen müssen. Und zu all dem gesellt sich endlich noch ein Umstand — und darin dürfte vielleicht der Hauptgrund des allge- 1) Steller, Beschreibung von dem Lande Kamtschatka, Frankf. und Leipzig 1774, p. 137. 390 Die Völker des Amwur-Landes. meinen Gebrauchs des Hundspelzwerks bei den Giljaken liegen, — es ist die Leichtigkeit und Billigkeit seiner Beschaffung, indem die Giljaken Hunde als unumgängliches Zugthier in gros- ser Anzahl halten und die Felle derselben im Handel weder den Chinesen, noch den Japanern, noch auch den Russen gegenüber verwerthen können. Dennoch finden sich bei manchen Giljaken auch aus anderen Thierfellen bereitete Pelze. Diese dienen aber nicht zum Gebrauch, sondern werden nur als hohe und seltene Werthobjekte sorgfältig aufbewahrt. Eine solche Rolle spielt bei ihnen namentlich der Luchspelz (giljak. tschlyghi-okch). Wer einen Luchspelz besitzt, gilt bei den Giljaken für einen reichen und angesehenen Mann, und zur Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande konnten sie mir nur 3 ihrer Landsleute und einen Oltscha nahmhaft machen, welche sich eines solchen Besitzes er- freuten; es waren dies die Giljaken: Nenjdan im Dorfe Allof am Amur, Mesgun in Patt, die je einen Pelz der Art besassen, und Pawgun in Tamla-wo auf Sachalın, welcher deren zwei hatte, sowie der Oltscha Todo in Tschilwi, in dessen Besitz sich ebenfalls ein solcher Pelz befand. Den Grund, warum bei den Giljaken gerade das Luchsfell und umsomehr ein aus etwa sechs Fellen der Art zusammengesetzter Pelz einen so hohen conventionellen Werth hat, glaube ich in dem Einfluss chinesischer Vorstellungen suchen zu müssen. Allerdings hat das Luchsfell für die Giljaken auch einen ansehnlichen realen Werth, da es im Handel mit den Chinesen etwa zwei Flussotter- oder 10 Zobelfellen gleich geachtet wird '), indessen giebt es noch theurere Pelzwerke, ein schwarzes Fuchsfell z. B. kommt in demselben Handel 15 bis 20 Zobeln gleich, und doch wird es von den Giljaken nicht wie das Luchsfell zu Pelzen von ima- ginärem Werthe benutzt. Auch giebt es, wie eine später mitzutheilende Tabelle der Werth- schätzung verschiedener Gegenstände seitens der Giljaken zeigen wird, im Haushalt derselben manche Dinge, welche sie noch höher als einen Luchspelz schätzen, und welche ihrem Besitzer doch nicht einen solchen Nimbus von Reichthum und Ansehen wie dieser letztere verleihen. Hiebei müssen also noch Vorstellungen anderer-Art im Spiele sein. Bei dem regen, Jahrhunderte alten Handelsverkehr der Giljaken mit den Chinesen kann es ihnen nicht unbekannt sein, in welch’ hohen Ehren in China das Fell des Tigers, als des mächtigsten, reissendsten und gefähr- lichsten aller Thiere, sowie auch dasjenige seines Gattungsverwandten, des Panthers, bis zum Throne hinauf stehen: dass z. B. die Sessel der hohen chinesischen Beamten, Gouverneure, Mandarine, Heerführer u. drgl. bei feierlichen Gelegenheiten oder Aufzügen mit Tiger- und Pantherfellen behängt werden und die hinter ihnen getragenen Sitzkissen eben solche Fell- überzüge haben °); dass die Jagdzelte des Kaisers von aussen mit Tigerfellen bekleidet wer- den); dass von den Hellebarden und Lanzen der die Leibwache des Kaisers bildenden und bei 1) Schon zwei Beinstücke vom Luchsfell und der | Bürck, nebst Zusätzen und Verbess. von Fr. Neumann, Schwanz sind so viel wie zwei Zobel werth. Leipzig 1845, p. 318,319) erzählt, dass der von vier Elephan- 2) Ysbrants Ides, Driejaarige Reize naar China, | ten getragene Pavillon, in welchem der chinesische Kaiser Amsterdam 1704, p. 96. Du Halde, Description de ’Emp. | (Kublai-chan) auf seinen Jagden in der Provinz Liao-tong de la Chine et de la Tartarie Chinoise, Paris 1735, T. IV, | sich aufhielt, so wie die Jagdzelte, die für ihn dort errich- p- 29. tet wurden, von aussen mit Tiger- oder, wie es bei ihm 3) Schon Marco Polo (Reisen, deutsch von Aug. | heisst, «Löwem»-Fellen bedeckt waren. Güljaken. Gründe der Hochschätzung des Luchspelzes. 391 öffentlichen Prozessionen in seinem Gefolge schreitenden Offlieiere lange Tiger- und Panther- sehwänze herabhängen !) u. s. w.°). Ein ähnlicher ehrenvoller Gebrauch des Tigerfelles hat sich unter chinesischem Einfluss auch in Korea festgesetzt®). Die Handelsreisen der Giljaken nach Ssan-ssin am Sungari bieten ihnen Gelegenheit, selbst Zeugen der ausserordentlichen Furcht zu sein, welche die dortigen Chinesen (Man-dse) sowohl, wie die Golde vor dem Tiger haben, und der Ehrerbietungen, welche sie ihm, von dieser Furcht getrieben, überall erweisen, indem die Ersteren ihm kleine Kapellen oder Tempelchen errichten und in denselben Bildnisse von ihm an- bringen *), die Letzteren aber ihn «wmbanj», d. h. Herr, nennen und sich sogar vor seinem Leich- nam bis zur Erde verbeugen°’). Die Eindrücke, welche die Giljaken von diesen Fahrten in Betreff des Tigers heimbringen, insbesondere die durch Golde und Chinesen ihnen zu Ohren kommenden Erzählungen von den vielen, alljährlich ihm zur Beute fallenden Menschenleben ®) tragen gewiss nicht wenig zu der panischen Furcht und den abergläubischen Vorstellungen bei, welche sie selbst dem Tiger gegenüber beherrschen. Ueber diese habe ich mich bereits früher einmal ausgesprochen ’) und denke in der Folge gelegentlich noch Manches hinzuzufügen. Da 1) Ysbrants Ides, 1. c., p. 90. Gerbillon, bei Du Halde, 1. c., T. IV, p. 235. 2) Es liessen sich noch viele Belege für die Hoch- schätzung des Tigers und seines Felles in China beibrin- gen. Ich begnüge mich jedoch, hier nur noch auf einige ältere Zeugnisse der Art hinzuweisen. Wegen seines Furcht und Schrecken einflössenden Raubthiercharakters wird sein Bildniss in China namentlich auf den Gewändern von ÖOfficieren und anderen im Kriegsdienst stehenden Personen angebracht, wie schon Barrow (Reise durch China im Gefolge der Grossbritann. Gesandtschaft in den Jahren 1793 und 1794; aus dem Engl. übersetzt von Hüttner, Wien 1805, Bd. II, p. 31), Staunton (Des Grafen Macartney Gesandtschaftsreise nach China in den J. 1792—1794, nebst Nachr. über China und einen kleinen Theil der chines. Tartarey; aus dem Engl. über- setzt, Frankf. u. Leipzig 1798, Bd. I, p. 341) u. A. berich- teten. Ellis (Journal of the Proceed. ofthe late Embassy to China ete. Second Edit., London 1818, Vol. I, p. 130) sah auch einige Compagnien Soldaten, die vom Kopf bis zum Fuss in lange, gelb und schwarz gestreifte Gewänder gehüllt waren, welche ihnen zum Schrecken der Feinde das Ansehen von Tigern verleihen sollten. Andererseits scheint dem Tiger in China auch dort Raum gegeben zu werden, wo es sich um religiöse Ehrfurcht handelt. So erzählt Van-Braam (Voyage de l’ambassade de la Com- pagnie des Indes orientales Hollandaises vers ’Empereur de la Chine en 1794 et 1795, publ. par Moreau de St.Mery, Paris, an VI (1798), T. I, p. 270), dass in der Pagode Huin- on-tsu in Peking vor dem Altar vier ausgestopfte Tiger in sitzender Stellung aufgestellt waren. In ähnlicher Weise errichten die Chinesen (Man-dse) im Ussuri-Lande dem Schrencok's Amur-Reise, Band III. Tiger Kapellen, in denen sie ihm Opfer darbringen und Abbildungenvon ihm aufhängen (Apxun. Haıaariü, Veyp. Manpuapr. — Uasber. Teorp. Oöi., T. VII, 1871, Ora. II, crp. 376). Auf den Werth, welchen die Chinesen in aber- gläubischer Vorstellung ausser dem Fell des Tigers auch dem Fleisch, der Galle, den Sehnen, Knochen und Krallen desselben beimessen, werde ich bei einer anderen Gele- genheit zurückkommen. 3) So erzählt Przewalski (Ilyrem. »% Yeeypiick. xpab, 1867—1869 r., C. IIerepö. 1870, crp. 116), dass bei seinem Besuch der am Tumen-ula gelegenen koreanischen Grenzstadt Kygenpu der Gouverneur derselben auf einem Sessel getragen erschien, über den ein Tigerfell gebreitet war. Nachdem er abgestiegen war, wurde dieses auf die Erde gebreitet und der Reisende eingeladen, auf demselben Platz zu nehmen. 4) Apxnmauap. Masaariii, Manpuası (l.c.,p.377). Bapa6am%, Cyurap. IxeneA. 1872 r. (Boenaprii Coopn., 1874, N 2, erp. 347). 5) Haprauesckiir, Hlobaaka aumn. IyTem% BREPXT nO Yeypiiickie Amypy, cosepin. »& 1856—57 rr. (Bberu. Pycer. Veorp. O61n., I. XXI, 1858, Ora. Hacaba. u Marep., erp. 171). Palladij,l. c. 6) Przewalski berichtet (l. c., p. 233), dass am Zymu- che, einem Zufluss des oberen Ussuri, im J. 1867 nicht we- niger als 21 Man-dse vom Tiger zerrissen und 6 ver- wundet wurden. 7) S. meine Reisen und Forsch. im Amur-Lande, Bd. T, p- 90 — 97, wo bei Besprechung der Verbreitung des Tigers und Irbis’ im Amur - Lande auch die Ansichten der Giljaken und anderen Amur-Völker über dieselben mitgetheilt sind. 50 392 Die Völker des Amwur-Landes. jedoch der Tiger im Gebiet der Giljaken nur als ein höchst seltener Gast auf seinen Streifzügen von Süden her erscheint und auch kaum jemals von ihnen erlegt wird!), so gehört er, und in noch höherem Grade der Irbis, bei ihnen mehr zu den mythischen, nur ihre Phantasie beschäf- tigenden Thieren. Dahingegen stossen sie in ihren Wäldern, und nicht so gar selten, auf ein an- deres Thier, das durch seinen ausgesprochenen Raubthiercharakter und seine Gesammterschei- nung, den katzenartigen Habitus, die gefleckte und zum Theil gestreifte Zeichnung seines Felles, die schwarze Schwanzspitze u. drgl. an den Tiger, wie an den Panther erinnert), und dessen Fell zudem von den Chinesen hochgeschätzt und theuer bezahlt wird?). Ich meine den Luchs. Auf ihn wird daher von den Giljaken ein Theil jener Vorstellungen vom Tiger als einem beson- ders vornehmen, fürstlichen oder königlichen Thiere übertragen. Kein Wunder somit, dass nach dem Sprichwort: «Kleider machen Leute», das sich bei Naturvölkern ganz besonders bewahr- heitet, um denjenigen Giljaken, der sich gelegentlich in einem ganzen Pelz von Luchsfellen sehen lassen kann, und der also auch den Vortheil, welcher ihm aus dem Verkauf dieser Felle erwachsen würde, gering schätzen darf, in den Augen seiner Landsleute ein Nimbus von ausser- gewöhnlichem Ansehen und Reichthum sich verbreitet. Kehren wir darnach wieder zur gewöhnlichen Winterkleidung der Giljaken zurück. Wie das Hemd, wird von den Giljaken auch der Pelz auf der Brust stets von links nach rechts zu- geknöpft, bald mit ein paar metallischen Knöpfen von chinesischem oder russischem Ursprung, bald mit einem grossen hölzernen Knopf von giljakischer Arbeit (Taf. XXIX, Figg. %, 5), und ebenso werden auch die Pelzschösse über einander geschlagen. Zum Zusammenhalten derselben dient aber bei vollem Winteranzuge ausser dem Gürtel, von dem später besonders die Rede sein wird, zunächst noch ein besonderes Kleidungsstück, die sogen. Kossjkha, d. h. ein kurzer, rings um den Leib reichender Schurzrock aus Seehundsfell, der zur besseren Anschmiegung an die Taille, und um die Bewegungen des Körpers nicht zu hindern, oben mit einem breiten Saume aus Fischhaut versehen ist, durch welchen die zum Zuschnüren dienenden Riemen laufen (s. Taf. XVII u. XIX). Die Kossjkha scheint ein echtes, ursprünglich giljakisches Kleidungsstück zu sein, obgleich man sie zum Theil auch bei den den Giljaken benachbarten und in ähnlicher Weise wie diese lebenden tungusischen Völkern, den Oltscha, Negda u. a. findet. Dem stets rittlings 1) Mir wussten die Giljaken von keinem Falle der | und hörte die Letzteren sagen, dass er gleich den Tiger- Art zu erzählen. 2) Przewalski (l. c., p. 242) erzählt, dass die Einge- borenen des Ussuri-Landes (Golde und Orotschen oder Ta-dse) auf seine Nachfragen über den Charakter und die Lebensweise des Luchses stets zur Antwort gaben: «igajan Lau-masa», was so viel wie «dem Tiger gleich» bedeute. 3) Radde (Reisen im Süden von Ost-Sibirien in den J. 1855 — 1859, Bd. I. Die Saugethier-Fauna, St. Petersb. 1862, p. 93) konnte bei den Mandshu und Dauren selbst gegen Silbermünze keinen Luchsbalg erhandeln fellen nur von den hohen chinesischen Beamten acquirirt werde. Schon Gerbillon (bei Du Halde, Deser. de ’Emp. de la Chine, T. IV, p. 295) berichtete, dass das Thier Schulon (französ. «Ohoulon», von welchem der KaiserKang- hi auf der Jagd im J. 1692 ein Exemplar erlegte, und das er selbst für einen Luchs (doup cervier») halte, was der Beschreibung zufolge, auch in der That ganz richtig zu sein scheint, eines der geachtetsten Pelzwerke liefert, welches in Peking 15 bis 20 Dukaten das Sfuck kostet. An einer anderen Stelle bei Du Halde (l. c., p. 29) wird dieses Thier auch «Ohelason» genannt. Giljaken. Winterliche Kleidungsstücke. Pelzmütze der Männer. 393 auf seiner niedrigen Hundenarte fahrenden Giljaken giebt die Kossjkha einen vortrefllichen Schutz des Unterleibes gegen den entgegentreibenden Wind und Schnee oder Regen ab, und auch bei manchen anderen, wie wir in der Folge sehen werden, speciell durch die Sitten der Giljaken bedingten Gelegenheiten leistet sie ihnen treflliche Dienste. Um das Hineinfahren von Wind und Schnee in die Aermel zu verhüten, werden dieselben an der Handwurzel vermittelst einer breiten, aus Zeug oder auch aus Leder bestehenden Aermelbinde (gilj. torknbas, s. Taf. XXH, Fig. 4, 5) windelartig umwickelt und zugebunden. An die Aermelenden sind die Handschuhe (gilj. wom(a)ch) gebunden. Es sind in der Regel immer mit Fuchsfell ausgekleidete Fausthandschuhe (Taf. XX, Fig. 3, %), dadurch in ihrem Schnitt ausgezeichnet, dass an der Handwurzel in einiger Entfer- nung vom Daumen ein durch eine Klappe geschützter Schlitz sich befindet, durch welchen die Hand nöthigenfalls aus ihrer Bekleidung hinausgesteckt werden kann '). Eine auf dem Rücken zwischen den Schultern herabhängende, zum Schutz für den Kopf bestimmte Kapuze, wie sie bei allen mehr oder minder hochnordischen Völkern, Kamtscha- dalen, Korjaken, Tschuktsehen, Eskimo, ja auch Tungusen u. a. üblich ist, haben die Giljaken an ihrem Pelz niemals. Hals und Kopf haben vielmehr ihre besonderen Kleidungs- stücke. Zum Schutz des ersteren dient eine aus Schwanzfellen des Eichhörnchens gemachte Boa (gilj. tolp, Taf. XIX), welche übrigens zuweilen auch um den Kopf getragen wird, und zwar bei mildem Wetter an Stelle der Mütze, bei kaltem noch über derselben, zum Schutz für die Stirne (Taf. XVII). Auf einen Tolp von geringer Qualität gehen etwa 30— 40, auf einen hübsch dicht- haarigen und guten 50 und mehr Eichhörnchenschwänze. Andere Felle benutzen die Giljaken dazu nicht. Auf dem Kopf tragen die Giljaken auf weiteren Fahrten, bei strenger Kälte oder scharfem Winde zuvörderst Ohrenwärmer (gilj. Zapais), die aus zwei vorn und hinten durch einen Riemen oder ein Bändehen verbundenen Klappen bestehen. Diese sind entweder einfach aus Seehundsfell gemacht, oder von innen mit Fuchs- oder Flussotterfell ausgekleidet und von aussen mit einem Stück Zeug versehen, auf welchem verschiedenfarbige Arabesken ausgenäht sind (Taf. XX, Fig. 5 und Taf. XXI, Fig. 1 und 2). Darüber kommt eine grosse, den ganzen Kopf einhüllende Pelzmütze (gilj. tosn-hak)?). Sie ist von einfachem, unten geradem Schnitt und hat an den Vorderecken entweder zwei Bändchen (wie in der betreffenden Abbildung Taf. XXI, Fig. 1) zum Zuknüpfen unter dem Kinn, oder auch nur ein einziges, die Innenseiten beider Ecken verbindendes Bänd- chen, und in diesem letzteren, gewöhnlicheren Falle wird, um die Mütze aufzusetzen, erst das erwähnte Bändehen unters Kinn gebracht und dann die Mütze über den Kopf geschoben. Inwendig ist die Mütze stets mit Fuchsfell ausgekleidet, welches, nach vorn und aussen hervortretend, auch den Rand derselben bildet. Die Aussenseite besteht entweder durchweg aus gleichartigem Seehundsfell, oder aber aus verschiedenen, nicht selten kunst- und geschmackvoll zusammen- 4) An den Handschuhen der Tungusen und auch der | Hundsfell gemachten Handschuhen der Orotschen der Russen in Sibirien hat der zum Hinausstecken der Hand | Bai Hadshi hingegen ist dieselbe vorhanden. dienende Schlitz keine schützende Klappe; an den aus 2) Das s ist hier weich auszusprechen. Aa0%* 50 394 Die Völker des Amur-Landes. gestellten Fellstücken. Von solcher Art war z. B. der auf Taf. XXI, Fig. 1, dargestellte Tosn- hak eines Tschomi-Giljaken, der mich in Nikolajefsk besuchte. Das obere Mittelstück dieser Mütze, von brauner Farbe, besteht aus Rennthierfell, die weissen Arabesken darauf sind von kurzhaarigem Hundsfell, der durch ein blaues Band vom Mittelstück getrennte Rand ist aus ver- schiedengefleckten Seehundsfellstücken zusammengesetzt; der Vorderrand besteht wie immer aus dem von innen hervortretenden Fuchsfell, unten ist aber die Mütze rundum noch mit langhaa- rigem, weissem Hundsfell verbrämt. Diese letztere Verbrämung fehlt übrigens auch den minder eleganten, ja selbst den einfachsten Pelzmützen der Giljaken nicht und giebt ihnen insgesammt ein besonderes, eigenthümliches Gepräge. Je länger dabei das zum Nacken hinabreichende weisse oder graue Fellhaar der Mütze ist, für um so schöner wird es in den Augen der Giljaken er- achtet, gleichwie auch bei den alten Itälmenen auf Kamtschatka eine Einfassung der Pelze, mögen nun diese aus Rennthier- oder Fuchsfell gewesen sein, ringsum mit langen Hundshaaren nach Steller’s Ausdruck!) allezeit für die «grösste Zierrati» an denselben galt. Uebrigens mag diese Verbrämung der Mütze dem Nacken auch einen gewissen Schutz gegen Wind und Schnee bieten. Unter dem Pelz tragen die Giljaken auf weiten Fahrten und bei strenger Kälte noch mehrere Unterkleider. So namentlich demselben zunächst einen kurzen, wattirten Rock oder eine Jacke aus Baumwollenzeug oder auch aus Tuch, das giljakisch sogen. ssikky, ein Kleidungsstück von unverkennbar chinesischem Schnitt, das sie bei milderem Wetter oder auf Gängen auch ohne Pelz, nur mit dem 70/p um den Hals oder Kopf, oder auch mit der Pelzmütze versehen, tragen (s. Taf. XIX), und in welchem sie auch nach Abwerfung des Pelzes in der Jurte sitzen bleiben. Um ferner Brust und Bauch in der Gegend der Herzgrube besonders warm zu erhalten, wird daselbst noch unter dem Hemde, am blossen Körper ein mit Fell gefütterter Latz, der sogen. Koch-passj getragen, der an einem Bändehen um den Hals gehängt und unten durch zwei andere um den Leib geknöpft wird. Das auf Taf. XXI, Fig. 3, abgebildete Exemplar der Art, das ich beim Giljaken Judin in Tebach sah, war von goldischer Arbeit. Es war von fünf- eckiger, unten abgerundeter Form, auf der Innenseite mit Fuchsfell ausgekleidet, rundum mit Flussotterfell verbrämt, aussen aber auf schwarzem Baumwollenzeuge mit verschiedenfarbigen, zum Theil kunstvollen Stickereien versehen, auf die ich im der Folge noch zurückkommen werde, Hier muss noch eines eigenthümlichen unteren Kleidungsstückes erwähnt werden, das ich na- mentlich bei den Tro-Giljaken in Nyi sowohl bei Erwachsenen, als auch bei einem Knaben von etwa 7 Jahren sah; es ist dies ein um die Lenden gebundener, nur für das männliche Geschlecht brauchbarer Beutel. Von besonderer Wichtigkeit ist es den rittlings auf ihren Nar- ten sitzenden Giljaken, die Knie gegen Wind und Wetter zu schützen, und dazu dient eine aus Seehundsfell gemachte, ober- und unterhalb des Knies um das Bein festgebundene Knie- hose (gilj. pany). 1) Steller, Beschr. von dem Lande Kamtschatka, p. 138. GFiljaken. Fussbekleidung. Gürtel nebst Anhängseln. 395 Von der Fussbekleidung ist oben schon die Rede gewesen. Im Winter legen die Gilja- ken der Wärme halber etwas trockenes Gras in die Stiefel, wie dies mehr oder minder alle nordischen Naturvölker thun'!). Nach Angabe des Chinesen U-tschen, der im Jahre 1722 eine Beschreibung der Stadt Ninguta verfasste, ist Dasselbe auch unter den dortigen Mandshu üblich, und zwar gebrauchen diese dazu ein feines, weiches, längliches, in der Nähe von Wasser wachsendes Gras, welches sie «la nennen °), und das im Volksmunde neben dem Gin-seng und dem Zobel für einen der drei Schätze Ninguta’s gilt”). Ob die Giljaken zu dem erwähnten Zweck dieselbe oder überhaupt nur irgend eine bestimmte Grasart gebrauchen, vermag ich nicht zu sagen, so viel scheint mir aber unzweifelhaft zu sein, dass auch sie dabei nieht ohne einige Auswahl verfahren, denn als ich im Winter 1855 den Besitzer der Jurte von Poghobi auf Sachalın darum bat, mir etwas von dem Grase abzutreten, schlug er meine Bitte mit dem Bemerken ab, dass er selbst nur sehr wenig davon habe. Ein wichtiges Stück giljakischer Kleidung ist endlich der Gürtel, namentlich auch als Träger mancher, den Giljaken stets begleitender Utensilien. Dazu gehört zunächst und vor Allem ein grosses Messer, das sogen. Ngawla-dshakko, das sowohl beim Essen, wie nöthigen- falls auch als Schutz- oder Angriflswafle benutzt wird. Wie fast alle eisernen Utensilien, ist es stets von giljakischer Arbeit, meist einfach, mit grosser Klinge und kurzem, hölzernem, in der Regel schräg gestreiftem Stiel (Taf. XXXI, Fig. 1%), zuweilen auch ganz von Eisen mit einge- legten silbernen und kupfernen Arabesken und verschiedenen Gravirungen (ebenda, Fig. 2). Die Scheide ist immer von dickem Seehundsleder (von der Phoca barbata), mit verschiedenarti- gen darauf gepressten Arabesken geschmückt, und von sehr eonstanter Form, in der Mitte am breitesten, nach unten sich verjüngend, an der Spitze aber nicht geschlossen, sondern nur mit einem Büschel lederner Zipfel zum Schutz für die Klingenspitze versehen (ebenda, Fig. 3, desgl. Taf. XIX). Meist wird auch noch ein zweites Messer am Gürtel getragen: das dem Gil- jaken ganz unentbehrliche Yi-dshakko (Taf. XXXI, Fig. 4), mit kleiner, spitzer Klinge an einem starken, hölzernen Stiel, der behufs grösserer Festigkeit am unteren Ende mit einem knöchernen Ringe versehen ist. Es steckt stets in einer festen Scheide aus Störhaut, mit hölzer- ner oder knöcherner Spitze (ebenda, Fig. 5). Das Yi-dshakko wird zum Schneiden von Holz, zum Verfertigen von allerhand sowohl grober, wie feiner Gegenstände aus demselben u. drgl. m. gebraucht. Dabei ist zu bemerken, dass die Giljaken stets gegen sich, nicht von sich ab zu schneiden pflegen, wie es Mamia Rinsö auch von den Aino im Gegensatz zu den Japanern 1) So z. B. ausser den sibirischen Völkern auch die Eskimo Nordwestamerika’s und Grönland’s (Rob. Brown, Das Innere von Grönland, inPetermann’s Geogr.Mittheil., 1871, p. 384). 2) Nach Maximowicz (Primitiae florae amurensis, in d. Me&m. pres. ä l’Acad. des sc. de St. Petersb., T. IX, 1859, p. 500) wohl eine Cyperacee. Von den Eskimo in Nordwestamerika und Grönland werden nach R. Brown Ilierochloe alpina und ähnliche Grasarten dazu gebraucht. 3) U-tschen, in der Uebersetzung von Wassiljef: Banneru 0 Huuryrb (Zar. Pycer. Veorp. O6wm., 4. XII, 1857, erp. 95). Der Uebersetzer fügt in einer Anmerkung hinzu, dass auch in Peking Stiefel verkauft werden, deren Sohlen mit dieser Grasart ausgestopft seien. 4) Die betreffende Unterschrift «ngawta-dshakko» ist in ngawla-dshakko zu berichtigen. 5) Auf der Taf. XVIIL ist das nie fehlende grosse Gürtel- messer nur in Folge eines Versehens weggeblieben. 396 Die Völker des Amur- Landes. hervorhebt'!). Ebenso wenig wie die erwähnten Messer fehlt am Gürtel der Giljaken das Feuerzeug: ein Behälter für Schwamm und Feuerstein und ein Feuerstahl. Jener besteht ent- weder aus einem seehundsledernen, meist ebenfalls mit aufgepressten Arabesken oder kleinen aufgenähten Fellrosetten verzierten Täschehen ?) (gilj. tschondak, Taf. XXVII, Fig. 5), oder aber aus einer dem Material, wie der Form und Einrichtung nach sehr eigenthümlichen Dose #). Diese wird nämlich aus der zu dem Zweck zuvor aufgeweichten, (gilj. mio, ebenda, Fig. später holzartig erhartenden Haut einer Störart gemacht, am Amur aus der Haut des Tukki- tscho der Giljaken (Acipenser Schrencki Brandt), auf Sachalin aus derjenigen einer angeblich ähnlichen, im Nordjapanischen Meere vorkommenden und von den Giljaken okras genannten Art. Das Mlo besteht aus zwei einander ganz ähnlichen, über einander stülpbaren Stücken, die an ihren oberen, resp. unteren Enden spiralförmig umgebogen und derartig auf einen Riemen gereiht sind, dass nach Abschiebung einer auf diesem letzteren laufenden, knöchernen Röhre das obere Stück vom unteren abgehoben wer- den kann. Wie die Schwammdose, so hängt auch der Feuerstahl oft an einer langen mit verschiedenen Anhängseln versehenen Kette (gilj. kessj-kessj) vom Gürtel herab (Taf. XXVIN, Fig. 1 und Taf. XXIX, Fig. 1). An dieser befindet sich bisweilen auch ein gebogenes und nach unten zugespitztes eisernes Stäbchen (Taf. XXVIN, Fig. 1 und 2), das auch besonders getragen wird und zu allerhand Zwecken dient, bald ein Loch in einen Riemen zu bohren, bald einen Knoten zu lösen oder die Pfeife zu reinigen u. drel. Dasselbe Instrument (gilj. kedak) besteht nicht selten auch aus Horn oder Knochen, und so un- scheinbar und unwesentlich es an sich ist, pflegt es doch auch mit allerlei eingeschnitzten Fi- guren verziert zu sein (Taf. XXVII, Fig. 3). Endlich hängen am Gürtel des Giljaken meistens noch verschiedene andere Kleinigkeiten, wie sie der Zufall ihm in die Hände spielt, ein Eber- zahn oder Hauer, ein Stück eines Antilopenhorns oder Rehgeweihes u. drgl. m. Die Weiber der Giljaken tragen im Winter ebenfalls Hundsfellpelze, die auch wie die- jenigen der Männer beschaflen sind; doch sieht man sie bisweilen, wenngleich selten, auch in Pelzen von edlerem Fell. So sah ich im Winter 1856 in Tangi auf Sachalıin eines der Weiber des Giljaken Kombrein in einen mit dem Fell nach aussen gekehrten Fuchspelz gehüllt, unter welchem noch zwei Unterpelze, aus blauem und aus buntem chinesischen Zeuge mit Flussotter- und Zobelfellverbrämungen sichtbar waren. An sauber gekleideten Mädchen, Kindern wohlhabender Eltern, sieht man mitunter am Hundspelz einen schmalen Fuchsfellkragen, den giljak. sogen. Mungrusk, der um Nacken und Hals läuft, und von welchem zwei lange, mit Per- len ausgenähte Zipfel von den Schultern über die Brust herabhängen. 1) Vrgl. Mamia Rinsö, Töo-tats ki ko, in Siebold’s | verziert war, den ersten, die mir bis dahin von diesem Nippon, VII,p. 188, nebst Anmerkung des Letzteren, p. 202. | Thiere im Amur-Lande begegnet waren (s. dieses Werkes 2) Im Dorfe Tyk auf Sachalin sah ich z. B. ein Exemplar | Bd. I, p. 189). der Art, das mit kleinen Fellstückchen der Otaria ursina Giljaken. Wintermützen der Weiber. Luchsmütze. 397 Von eigenthümlieher und mannigfacher Art ist die winterliche Kopfbekleidung der gilja- kischen Weiber. Die Alltagsmütze, in der man sie auch bei ihren häuslichen Verrichtungen sieht, wenn sie Nahrungsmittel aus den Vorrathshäusern holen, Wasser aus dem Fluss oder Brenn- holz in die Jurte tragen, die Hunde besorgen u. drgl. m., ist der sogen. Tulv-hak, d. h. «Winter- mütze» schlechtweg (Taf. XX1. Fig. 2). Sie ist von einer eigenthümlichen, durch den erhöhten, meist mit einer Schnuragrafle versehenen Scheitel und die zum Schutz für Nacken und Ohren nach hinten und seitwärts herablaufenden Verlängerungen einem Helm nicht unähnlichen Form, wozu auch die der Form entsprechende, concentrische oder ausgeschweifte Stepperei der Ober- seite zum Theil beiträgt. Diese letztere besteht aus einfachem, chinesischem Zeuge, meist schwar- zem oder dunkelblauem Tuch. Von innen ist die Mütze mit Fuchsfell ausgekleidet und am Rande mit Flussotterfell verbrämt. Eleganter ist der auf weiteren Fahrten, bei festlichen Gelegenheiten u. drgl. gebräuchliche 7scharp-hak, d. h. «Seidenmütze» (Taf. XXI, Fig. 3). Diese ist ungefähr von der Form der Pelzmütze der Männer, nur mit einem etwas höheren Gipfel und tiefer über Ohren und Nacken hinabreichend. Der Bezeichnung entsprechend, wird sie aus chinesischem Seidenzeuge gemacht, auf welchem buntfarbige, stellenweise mit Goldfäden durchwirkte Drachen und andere Figuren dargestellt sind !). Inwendig ist diese Mütze ebenfalls mit Fuchsfell ausgekleidet, welches in einem breiten Streifen auch den Gesichtsrand der Mütze umgiebt, unten und hinten mit Flussotterfell verbrämt. Der Tscharp-hak bildet jedoch noch nicht den Gipfel der Eleganz bei den giljakischen Weibern. Das eleganteste und angesehenste Stück ihrer gesammten Winter- toilette ist die Luchsmütze (T'schlyghi-hak, Taf. XXI, Fig. %). Diese wird aus dem Kopf- und dem Schwanzstück eines Luchsfells gemacht. Das erstere, mit den aufgerichteten, gepinselten Ohren des Thieres, bildet den Scheitel der Mütze. Die Ohrmuscheln werden von innen mit rothem chinesischen Seidenzeuge ausgekleidet und am Rande mit kleinen Büscheln oder Pinseln von blauen Seiden- fäden oder auch von schwarzer Schafswolle ?) versehen. Eine Reihe ebensolcher Pinselchen zieht sich auch über die Mitte des Kopfstücks, von der Stirn zur Schnauzenspitze hin. Ringsum ist das Luchskopflell mit einem breiten Streifen von Zobelfell verbrämt, der nach unten zum Schutz für die Ohren jederseits in eine verlängerte Spitze ausläuft. Von dieser Verbrämung hängt hinten der Luchsschwanz zopfartig zum Rücken hinab und ist an seiner Spitze mit einem kleinen Ringe oder einem jener durchbrochenen messingnen Plättchen versehen, mit welchen die Weiber auch den Saum ihrer Röcke zu schmücken pflegen. Durch eine solche Verwendung sowohl des Luchskopf- 1) Bekanntlich ist die Drachenzeichnung auf Stoffen, | de ’editeur). Girard, France et Chine, vie publ. et priveo Meublen und sonstigen Gegenständen bei den Chinesen sehr beliebt, doch soll es nur dem Kaiser zustehen, auf seinen Kleidungsstücken und Utensilien fünfklauige Drachen zu führen, während alle übrigen Personen, von den kai- serlichen Prinzen und Mandarinen ab, sich mit vierklaui- gen Drachen begnügen müssen (Van-Braam, Voyage de l’Ambass. de la Comp. Holland. vers l’Emper. de la Chine en 1794 et 1795, publ. par Moreau de St. Mery, Paris, an VI, T. I, p, 237 [Note des Indes orientales des Chinois anc. et modernes, Paris 1869, T. I, p. 59). Von letzterer Art sind auch die auf dem oben abgebilde- ten, einem giljak. Weibe aus dem Dorfe Allof gehörigen Tscharp-hak dargestellten Drachen. 2) Als solche wurde mir von den Giljaken das Mate- rial der schwarzen Pinsel bezeichnet , welches , da die Giljaken selbst keine Schafe haben, ebenfalls von chine- sischem Ursprunge sein muss. 398 Die Völker des Amur-Landes. felles, als auch des Luchsschwanzes gewinnt der Tschlyghi-hak den Charakter einer Imitation des ganzen Thieres. Die innere Auskleidung der Luchsmütze besteht wiederum aus Fuchsfell. Obgleich der Eleganz und dem Ansehen nach gemissermaassen ein Analogon des Luchspelzes der Männer, wird die Luchsmütze von den Weibern doch nicht bloss aufbewahrt, sondern dank weiblicher Putzsucht und Eitelkeit auch wirklich getragen. So habe ich sie selbst bei Gelegen- heit eines Bärenfestes in Tebach an zwei Weibern gesehen, und nach einem dieser Exemplare ist auch die obige Abbildung gemacht worden !). Stets kennzeichnet aber die Luchsmütze das Weib eines reichen Giljaken, der entweder schon einen Luchspelz besitzt, oder auf dem besten Wege dazu begriffen ist. Eine ähnliche Benutzung des Kopflells eines besonders angesehenen Thieres zur Kopfbe- kleidung und gewissermaassen auch eine Imitation des ganzen Thieres mag sich bei manchen Naturvölkern wiederholen. Ich kann nicht umhin, hier nur auf einige Fälle der Art bei anderen paläasiatischen Völkern hinzuweisen. So tragen die wandernden Korjaken am Penshinsker Meerbusen, die am Wolf den gefährlichsten Feind ihrer Rennthierheerden haben, im Winter Mützen aus Wolfsfell, an welchen die Ohren dieses Thieres in aufrechter Stellung emporragen ?). Ganz Aehnliches findet nach Sagoskin auch bei vielen Eskimo-Stämmen des nordwestlichen Amerika’s statt. Die Männer des Volkes Kan-julit, von den nördlichsten Maleig-müt bis zu den Ugaschenzen hinab, tragen aus dem Kopflell des Wolfes gemachte Mützen und hinten am Gür- tel einen Wolfs- oder Vielfrassschwanz, an welchen auch noch die Schnauzenspitze dieses letz- teren Thieres befestigt ist. Die Weiber der Kuskokwim-Eskimo lassen von ihren eleganten, mit Flussotter- oder Vielfrassfell verbrämten Rennthierpelzmützen im Nacken einen Wolfs- oder Vielfrassschwanz zum Rücken hinabhängen®). Man wird, glaube ich, nicht irren, wenn man annimmt, dass solche auf Nachahmung von Thieren beruhende Kleidungsstücke von altnationa- lem Ursprunge innerhalb desjenigen Volkes selbst sind, bei welchem sie gebräuchlich und in dessen Leben die betreffenden Thiere, Schaden oder Nutzen bringend, von besonderer Bedeutung sind. Lag es doch dem Naturmenschen gewiss nahe, die Aehnlichkeit, die er mit einem be- stimmten Thiere dadurch gewonnen. dass er sich selbst in dessen Fell kleidete, auch weiter bis in die Einzelheiten zu verfolgen und auszuführen. Hie und da mögen zum Theil auch aber- gläubische Vorstellungen, der Art etwa, dass man durch Nachahmung eines Thieres in seiner Kleidung die Gunst desselben gewinnen, resp. es sich unschädlich machen könne, Veranlassung zur Entstehung thiernachbildender Kleidungsstücke gegeben haben. Kein Wunder daher, wenn sich an solche altnationale Kleidungsstücke auch die Vorstellung von besonderer Eleganz und hohem Anse- hen knüpft. Und dadurch erklärt sich auch die Thatsache, dass der Tschlyghi-hak der giljakischen 1) Und zwar, gleichwie auch die beiden anderen Wei- | among the Koraks and other tribes in Kamtschatka and bermülzen auf derselben Tafel, von meinem Collegen | Northern Asia, London 1871, p. 117. Maximowicz, wahrend unseres mehrtägigen Aufenthal- 3) Barockuun, HemexoAanan onuc»h yacrı PyCcK. Baa- tes in jenem Dorfe. Abnii 86 Amepukt,.C. Herep6. 1847 u 1848 rr., 4. II, 2) G. Kennan, Tent Life in Siberia and advenlures | crp. 21, 22. Giljaken. Thiernachahmung in der Kleidung. Charakter der Stickereien. 399 Weiber, obgleich aus lauter einheimischen Materialien gemacht, in ihren Augen für eleganter noch als der aus theurem chinesischen, mit Drachen gezeichneten Seidenstofl gefertigte Tscharp- hak gilt. Ich mag diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne mir noch eine einschlagende allgemei- nere Bemerkung zu erlauben. Sollte die bei allen in Thierfelle sich kleidenden Naturvölkern übliche Sitte, das Fell mit dem Haar nach aussen gekehrt zu tragen, nicht auch ursprünglich aus Thiernachahmung, aus dem Gedanken entstanden sein, das Fell in derselben Weise zum Schutz gegen die Unbill des Klimas zu verwenden, wie es dem Thier als natürliche Kleidung verliehen ist, bis die Erfahrung lehrte, dass dies in der That die den meisten Schutz gewährende Art der Verwendung des Thierfelles zur Kleidung ist? Ohne einen anderweitigen, möglichst luft- und wasserdichten Ueberzug, den die Naturvölker nicht kannten, schützt das Thierfell ge- wiss besser gegen Kälte, Wind und Regen, wenn es mit dem Haar nach aussen, als wenn es mit diesem nach innen gekehrt wird, und war es erst in jener Lage erprobt, so lag es nahe, demselben eine zweite Schicht desselben oder eines anderen Felles in umgekehrter Lage, mit dem Haar nach innen gekehrt, hinzuzufügen, um so, mit Umgehung eines fremdartigen Ueber- zuges, jene ohne Zweifel den besten Schutz gewährenden Doppelpelze zu erlangen, wie man sie bei allen nordischen und polaren Völkern findet. Die oben geschilderten, resp. abgebildeten Kleidungsstücke zeigen zur Genüge, dass die Giljaken ihre Kleidung gern mit allerhand verschiedenförmigen, buntfarbigen Stiekereien und anderem Zierrath versehen. Ich habe bei ihnen zuweilen ganze Sammlungen von Mustervorlagen zu Stickereien gesehen und auch welche mitgebracht. Diese bestehen aus Zeug- oder Fisehhaut- flicken, auf welchen Muster gestickt, oder aber verschiedene, aus dünner Birkenrinde ausge- schnittene, symmetrisch zusammengestellte Figuren aufgeklebt sind (Taf. XXI und XXIV). Darunter befinden sich aber auch grössere, nicht zur Stickerei dienende, zuweilen aus mehreren, verschiedenfarbigen Flieken zusammengesetzte Zeugstücke, auf denen Arabesken und Thier- figuren in verschiedenartigster Art bunt, aber stets symmetrisch neben und durch einander zu- sammengestellt sind (Taf. NNV—XXVID. Sehen wir zunächst von diesen letzteren ab, auf die ich später, namentlich in Betrefl der Thierfiguren zurückkommen werde, und behalten wir nur die zu Stickereien bestimmten, resp. auf den oben besprochenen Kleidungsstücken ausgeführten Muster im Auge, so tritt uns in denselben ein eigenartiger Charakter und Geschmack entgegen, durch welehen sie sich wesentlich von denjenigen der sibirischen Völker unterscheiden. Wäh- rend z. B. bei den sibirischen Tungusen, die ebenfalls ihre Kleidungsstücke mit Stickereien zu schmücken pflegen, die einfachsten Muster und Motive in grosser Einförmigkeit sich wiederholen und oft z. B. nur über oder neben einander verlaufende Reihen derselben einfachen Figuren, kleiner Dreiecke, Vierecke, Kreise, ungeschickter Kringelfiguren u. drgl. zu finden sind (wie es auch die auf Taf. XXI, Fig. 1, und Taf. XXIV, Fig. 5 und 6, abgebildeten tungusischen Stücke zeigen), herrschen in den giljakischen Mustern und Ornamenten durchweg schön ge- schwungene und verflochtene Linien, mannigfaltige, kunstvoll in einander greifende Arabesken und schneckenförmig gewundene Figuren vor. Schrenek's Amur-Reise, Band III. 51 100 Die Völker des Amur-Landes. Wie ihre Kleidungsstücke, so schmücken die Giljaken gern auch alle übrigen zu ihrem Leben und Haushalt gehörigen Gegenstände mit allerhand Zeichnungen und Ornamenten, wie wir es bereits an den obenerwähnten, am Gürtel getragenen Utensilien bemerkten und in der Folge noch häufig zu sehen Gelegenheit haben werden. Immer ist der allgemeine Charakter dieser Verzierungen derselbe, oben genauer bezeichnete, mögen nun die Gegenstände aus Holz, Baumrinde, Leder, Knochen oder Eisen sein, und nur die Ausführung wird bei grösserer Sprö- digkeit des Materials eine minder feine und saubere, obwohl wir bei jeder Art von Gegenstän- den auf welche stossen werden, die von grosser Fertigkeit und Geschicklichkeit der Giljaken im Handhaben der einfachsten Instrumente Zeugniss ablegen. In freiester und weitester Entfal- tung tritt uns aber der Sinn der Giljaken für Ornamentik in den Stickereien zur Verzierung ihrer Kleidung entgegen, zumal diesen ausser der leichteren Wiedergabe der mannichfaltigen Linien und Figuren auch der durch Zusammenstellung verschiedener Farben gewonnene Effekt zu Hülfe kommt. Und von diesem machen die Giljaken, so sehr sie bei ihrer Kleidung im All- gemeinen die auch bei dem chinesischen Volke beliebten düsteren Farben !), ein mehr oder min- der dunkles Blau oder Grau vorziehen, bei der Verzierung ihrer Kleidung, wie die obigen Ab- bildungen darthun, einen ausgiebigen, aber maass- und geschmackvollen Gebrauch. Die Mög- lichkeit dazu bietet ihnen das von den Chinesen erhandelte verschiedenfarbige Seiden- und Baumwollengarn. Ich habe vorhin den allgemeinen Charakter der giljakischen Ornamentik als einen eigen- artigen, von demjenigen der sibirischen Völkerschaften durchaus verschiedenen bezeichnet. Auch von national-russischen Einflüssen, wie sie bei den letzteren, in Folge des Jahrhunderte alten, vielfachen und beständigen Verkehrs mit den Russen ganz erklärlich sind, findet sich bei den Giljaken keine Spur. Hingegen lassen sich manche jener giljakischen Ornamente, spiralförmig gewundene Linien, kunstvolle Bandverschlingungen, mit mehrfachen Spitzen sich verjüngende Schildbegrenzungen u. drgl., auch auf altchinesischen Gegenständen, kostbaren Kleidungsstücken, Porzellan- und elfenbeinernen Sachen, wie sie u. a. auch unser Museum besitzt, erkennen. Zum Theil ganz ähnliche Ornamente finden sich ferner auch auf altjapanischen Gegenständen. So z. B. liegen uns welche auf den messingnen Beschlägen halb vermoderter hölzerner Waflen- scheiden vor, die wir durch Hrn. Poljakof aus alten Aino-Gräbern auf Südsachalin erhalten haben, und die unzweifelhaft japanischen Ursprungs sind. Es scheint mir demnach der Schluss gestattet, dass die giljakische Ornamentik sich vielfach unter dem Einfluss altehinesischer und zum Theil auch altjapanischer Vorbilder entwickelt hat, wie es übrigens bei dem altherkömm- lichen, beständigen Handelsverkehre der Giljaken auf dem Festlande, den Amur und Sungari aufwärts, mit den Chinesen und auf Sachalin mit den Japanern und den ihrem Einfluss ganz unterworfenen Aino auch kaum anders denkbar wäre ?). 1) Du Halde, Descr. del’Emp. de la Chine, T. II, p. 82. | 2) Von der Rolle, welche die Giljaken als Handels- Girard, France et Chine, vie publ. et privde des Chinois | vermittler zwischen den Chinesen und Japanern spielen, anc. et mod., Paris 1869, T. I, p. 59. | wird in der Folge noch die Rede sein. Giljaken. Reiche Entfaltung der Ornamentik. Nähutensilien. 401 So hat sich, gleichwie in anderen Dingen, auch in Beziehung auf Ornamentik chinesischer Cultureinfluss auf der natürlichen Verkehrsstrasse, den Sungari und Amur abwärts bis zu den Giljaken ergossen. Bedürfte es dafür, ausser dem oben Angeführten, noch eines direkteren Beweises, so liefert ihn die Thatsache, dass derselbe Charakter der Ornamentik an den Kleidungs- stücken und anderen Gegenständen auch bei allen übrigen Völkern des unteren Amur-Landes, von den Giljaken aufwärts, am Hauptstrom, wie an seinen Nebenflüssen bis zum Sungari hinauf zu finden ist. Trotzdem, dass diese Völker von tungusischem Stamme sind, haben sie doch in Bezug auf die bei ihnen üblichen Ornamente nichts mit den russisch-sibirischen Tungusen ge- mein, sondern schliessen sich an die Chinesen und Giljaken an. Dabei tritt uns jedoch die auffallende Erscheinung entgegen, dass der Sinn für Ornamentik und die Entfaltung der letzte- ren im Amur-Lande mit der Entfernung vom maassgebenden Culturvolke, den Chinesen, nicht ab-, sondern zunehmen und ihren Höhepunkt bei dem von diesen letzteren am weitesten ent- fernten Volke, den Giljaken erreichen. Und das hat, glaube ich, seinen Grund nicht etwa in den Naturanlagen der betreflenden Völker, sondern in politischen Verhältnissen. Die Giljaken haben es verstanden, sich von der Herrschaft der Mandshu-Chinesen unabhängig zu erhalten und direkte Besuche und Niederlassungen derselben in ihrem Gebiete zu verhindern }). Indem sie auf solche Weise einer beständigen Exploitation durch den Mandshu-Beamten und den chinesischen Kaufmann entgingen, konnten sie zu grösserer Wohlhabenheit als die den Man- «shu-Chinesen unterworfenen tungusischen Amur-Völker gelangen, und, in ihrem Besitz sicher- gestellt, mussten sie an demselben grössere Freude gewinnen und damit auch Lust und Antrieb empfinden, über die Beschaflung des bloss Nothwendigen hinaus, für Schmuck und Verschöne- rung der Kleidung und des sonstigen Geräths zu sorgen, wobei ihnen ferner der ihrerseits mit angeborener Schlauheit und Umsicht geführte Handel mit den Chinesen hülfreiche Hand bot. Speciell zur Kleidung der Giljaken zurückkehrend, muss ich einiger, zur Anfertigung derselben bei ihnen üblicher Utensilien erwähnen. Die Giljaken bedienen sich gegenwärtig zum Nähen und Stieken durchweg und ausschliesslich der Stahlnadeln, die sie auf dem Continent von den Chinesen, resp. neuerdings von den Russen, und auf Sachalin von den Japanern bezie- hen ?). Eigenartig ist der zum Aufbewahren der Nadeln dienende, von den Weibern am Gürtel getragene Behälter (gilj. nugsis, von ng die Nadel, s. Taf. XXIX, Fig. 2). Er besteht aus einer knöchernen Röhre, durch die ein mit zwei Stöpseln versehener Riemen läuft, in welchen die Nadeln gesteckt werden: während der untere Stöpsel fest an den Riemen geknüpft ist, lässt sich der obere längs demselben fortschieben; hat man den letzteren abgehoben und aufwärts gescho- ben, so lässt sich am unteren Stöpsel der Riemen mit den in demselben steckenden Nadeln aus der Röhre herausziehen. Diese sinnreiche Construction der Nadeldose findet man auch 1) S. oben, p. 71. daran geknüpfte falsche Erklarung ihrer Bezeichnung für 2) Steller’s Angabe, dass die Kamtschadalen die | die letzteren sind oben (p. 192 N.) ausführlich besprochen Stahlnadeln von den Japanern erhalten hätten, und die | worden. 31* 102 Die Völker des Amur-Landes. bei den Eskimo: Dall sah sie nämlich bei den Innuit am Norton-Sunde'). Und von den Giljaken haben sie alle ihre tungusischen Nachbarn, die Oroken®), Oltscha®) und Negda entlehnt. Bei den letzteren beobachtete sie Middendorff, und die von ihm gelieferte Abbildung *) lässt sogar genau dieselben Verzierungen auf der Knochenröhre erkennen, wie sie auch unsere giljakischen Exemplare tragen. Doch kann ich seiner Ansicht, dass diese Figuren sich den auf den Südsee-Inseln herrschenden nähern und als Ausläufer der dort beliebten Todtenkopflorm zu betrachten sind, welche mit dem Kannibalismus und den Trophäen von menschlichen Schädeln in Zusammenhang steht, nicht beistimmen. Aehnliche, ganz rohe und primitive Darstellungen eines Menschenantlitzes durch ein paar Kreise mit einem Punkt in der Mitte, einen senkrechten Strich zwischen, einen wagerechten unter denselben, als Augen, Nase, Mund, finden sich nicht selten auf den Utensilien der Giljaken und verdanken, glaube ich, ihre Entstehung der Vor- stellung, dass durch Anbringung derselben auf einem Gegenstande der Einfluss eines be- trellenden bösen Geistes beseitigt und der Gebrauch des Utensils von Erfolg begleitet sein werde, — einer Vorstellung, auf die ich an einem anderen Orte noch zu sprechen kommen werde. Je nach dem verschiedenen Stoff der Kleidungsstücke ist auch das Garn, mit dem sie ge- näht werden, ein verschiedenes. Fischhautröcke z. B. und Birkenrindenhüte werden mit Fisch- hautgarn, d. h. feinen, aus Fischhaut geschnittenen Fäden genäht, welche die Giljaken mydisk nennen und je nach der Fischart, von welcher sie entnommen, als pilengat-mydisk, mimk-myd., kych-myd. u. s. w. unterscheiden °), Pelze und ähnliche Kleidungsstücke mit dem Zwirn (gilj. /suba), welchen die Giljaken aus der gewöhnlichen Brennnessel zu bereiten wissen, und- der auch zur Anfertigung von Schnüren und Fischernetzen dient‘). Die aus Kattun oder Tuch be- stehenden Kleidungsstücke werden mit chinesischem Baumwollengarn genäht, und zu den man- nigfachen Steppereien sınd Stickereien gebrauchen die Giljaken, je nach der Feinheit und beab- sichtigten Eleganz der Arbeit, bald dies letztere, bald das ebenfalls von den Chinesen bezogene Seidengarn. Niemals habe ich die giljakischen Weiber bei ihren Näh- oder Stiekarbeiten eine Schere brauchen sehen, obgleich sie dieselbe dank den Chinesen kennen und für sie auch eine besondere Bezeichnung (chasa) haben; stets bedienen sie sich dabei nur eines Messers. Zum Glätten des Zeuges dient ihnen ein an einem Ende abgeschrägtes und geglättetes Hölzchen (pans), das natürlich auf der Oberseite und am Grifl, wie an der Spitze auch mit einigen Verzierungen versehen ist (Taf. XXIX, Fig. 3). 1) Dall, Alaska and its resources, Boston 1870, p. 142, | talmichthys Dybowskiü Herz.; auf welche Fischart der nebst Holzschnitt. ‚ Name kyeh sich bezieht, ist mir unbekannt geblieben. 2) Durch Hrn. Poljakof erhielt unser Museum meh- 6) Wie es auch von den sibirischen Völkern, den alten rere orokische, mit den giljakischen vollkommen überein- Kamtschadalen (Steller, 1. c., p. 83; Kraschenin- stimmende Stücke der Art. | nikof, 1. c., Bd. I, p. 332) u. a. Völkern bekannt ist. Von 3) Maaxvp, Ilyren. na Anypm. Arı., ra6.. 4, ©. 9. ‚ der giljakischen Art der Bereitung von Zwirn und Schnüren A ‘) Reise in den auss. Norden und Osten Sibir., Bd. IV, | aus den Nesselfasern wird in einem späteren, über den p- 1529. \ Fischfang handelnden Abschnitt dieses Werkes die Rede 5) Prlengat ist Oyprinus Carpio L., Mimk — Hypoph- | sein. Giljaken. Weben selbst keine Kleidungsstoffe. 403 Sehr auflällig auf den ersten Blick ist die Thatsache, dass die in Handarbeiten und Ver- richtungen aller Art so geschickten Giljaken, trotzdem, dass sie aus den Fasern einer bei ihnen einheimischen Pflanze Garn zu gewinnen und aus demselben Schnüre und Fischnetze zu bereiten wissen, dies Material doch keineswegs auch zur Anfertigung eines Kleidungsstofles zu verwenden verstehen, mit anderen Worten, dass ihnen die Webekunst so ganz und gar unbe- kannt zu sein scheint. Das muss um so mehr auffallen, als ihre nächsten paläasiatischen Nach- barn, die Aino auf Jesso, Sachalin und den Kurilen, in Stoffen gekleidet gehen, welche sie zum Theil selbst aus den Fasern der Nessel und dem Bast von Bäumen weben!), und man diese Kunst, und zwar ebenfalls mit Benutzung der Nesselfasern, auch bei vielen sibirischen Völkern, wie z. B. den Ostjaken, Kirgisen, Baschkiren, Wogulen am Ural u. a., als altbekannt antraf?). Zudem wird in China, von wo so mancher Cultureinfluss auf die Giljaken u. a. Amur-Völker ausgegangen ist, eine Nesselart (Urtica nivea) sogar auf Feldern gebaut, um zu Geweben verwendet zu werden?). Ich vermuthe daher, dass gleich den Aino ehemals auch die Giljaken sich rohe Kleidungsstofle aus den Fasern der Nessel zu bereiten verstanden, und ein altes, aus Schnüren und dazwischen eingelassenen Fischbeinfasern gellochtenes Stück, eine Art Panzerhemd (Taf. XLIV, Fig. 1), das ich von ihnen im Dorfe Ssabach acquirirte, und von welchem später die Rede sein wird, bestärkt mich in dieser Vermuthung. Während aber die Aino, durch den Druck und die Ausbeutung seitens der Japaner in Handel und Wandel zurückgehalten und geschädigt, aus Noth und Armuth vielfach bei ihren eigengefertigten rohen Kleidungsstücken verblieben, wussten die unabhängig gestellten Giljaken im Verkehr mit den Chinesen sehr bald auch deren feinere Kleidungsstoffe durch Tauschhandel sich zu eigen zu machen, und da es ihnen, zumal bei dem Reichthum ihres Landes an schätzbarem Pelzwerk, 1) Müller, Samml. Russ. Gesch., Bd. III, p. 86, 87, 9%. La P&erouse, Voyage aut. du monde, T. III, p. 39. und Briefe aus den J. 1845—49, St. Petersb. 1856, p. 55. Beanescriii, Hobaara xp Aeaosur,. mopio, Mocksa 1833, Broughton, A Voyage of discov. lo Ihe North Paeifie erp. 73, 77. A6Gpamos», Onuc. bepesoser. kpaa (Jan. Ocean, p. 88, 105. Krusenstern, Reise um die Welt, Bd. II, p. 76. Mamia Rinsö, Tö-tats ki ko (Siebold, Nippon, VII, p. 182, 188, 199, 200). Siebold, Aardr.-en | volkenkund. toelicht., 1858, p. 111, Anm. 1. Fr. Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Sachalin (Mem. de l’Acad.Imp.des sc.de St. Petersb., VII Ser., T. XII, N: 2,1868, p- 99, 210 fl). Ao6porsoperiii, IÖauan vacrs ocrp. Ga- xaaııma (Manberia Cuönper. Ora. Pycer. Teorp. O6n., T. 1, 1870, N 2 u 3, erp. 27). Hosonesiii, Rypmaecı (3arı. Unmn. Pycer.leorp.O61n., no OrA. Iruorp., T. IV, 1871, crp. 379, 390, 392, 500). H. Bycece, Ocrp. Caxaamnmn u Ikenea. 1853 n 54 rr., ©. Herep6. 1872, erp. 70). Muuy.asn, Ouepen oerp. Caxaanna, C. Herep6. 1873, erp. 31, 132. Neuer- dings hat Dr. Ssuprunenko unserem Museum meh- | rere von den Aino auf Sachalin aus Ulmenbast gewebte Kleidungsstücke zugestellt. 2) Witsen, Noord en Oost-Tartarye, Tweede Druk, 1705, p. 630, 632. J. B. Müller, Leben und Gewohnhei- ten der Ostjaken, Berlin 1720, p. 30. Castren, Reiseber. Pycex. Teorp. O6m., IT. XII, 1857, erp. 406). Archiman- drite Platon, Sur les Vogouls (Klaproth, Magasin Asiat., Paris, T. I, 1824, p. 251). 3) Barrow, Reise durch China im Gefolge der Gross- brit. Gesandtsch. in den J. 1793 und 1794, aus d. Engl. übersetzt von Hütltner, Wien 1805, Bd. I, p. 88. Bazin, Chine moderne, ou descı. hist., geogr. et litter. de ce vaste Emp., 2° Partie, Paris 1843 (L’Univers), p. 610. Huc, L’Emp. Chinois. Paris 1854, T. I, p. 317. Itier, Journ. d’un voyage en Chine en 1843—1846, Paris 1848, T. III, p-389. Letzterer hat die Urtica nivea zugleich mit anderen, ähnlichen Pflanzen in Frankreich zu acclimatisiren gesucht und giebt ihr darin den Vorzug vor allen, dass sie der ge- ringsten Pflege bedarf. Nach Richthofen (Zeitschr. der Berl. Gesellsch. für Erdkunde, Bd. V, p. 321 die Koreaner Kleidungsstoffe, welche, nach ihrem Glanz haben auch zu urtheilen, aus der Faser einer nesselartigen Pflanze gewebt zu sein scheinen. 404 Die Völker des Amur-Landes. an Material für einen solehen Handel nicht fehlen konnte, so gaben sie natürlich die mühsamere Verfertigung eigener und doch nur roher und schlechter Gewebe gänzlich auf. Dieselbe Kleidung wie die Giljaken haben im Allgemeinen auch alle übrigen Völker des unteren Amur-Landes. Doch machen sieh bei ihnen, nach Maassgabe als die Naturverhält- nisse des Landes, die Existenzquellen und Hauptbeschäftigungen des Volkes sich ändern, auch mehr oder minder ansehnliche Differenzen und Besonderheiten geltend, indem andere Kleidungs- stoffe mehr und mehr die Oberhand gewinnen, manches, den veränderten Bedürfnissen nicht mehr entsprechende Kleidungsstück abgeändert wird oder verschwindet und dagegen manches neue auftritt, u. Ss. w. Die meiste und in der That so gut wie vollkommene Uebereinstimmung in ihrer Kleidung mit den Giljaken zeigen deren nächste Nachbarn am Amur-Strome, die Oltscha, die unter denselben physischen Bedingungen und in gleicher Weise wie jene hauptsächlich vom Fisch- fang und in der Bai de Castries auch vom Robbenschlag leben und eben so wie die Giljaken zum winterlichen Verkehr und Handel mit den Nachbarvölkern als einziges Hausthier zahlreiche Hunde halten. In dem langen Neben- und zum Theil Durcheinanderleben mit den Giljaken haben sich die Oltscha unter Anderem auch die Kleidung dieser letzteren vollständig angeeig- net, und jedes der oben beschriebenen Kleidungsstücke, selbst die so eigenthümliche giljakische Luchsmütze nicht ausgenommen, so wie der zur Anfertigung derselben üblichen Uten- silien findet sich ganz ebenso bei den Oltscha wieder und hat seine oltscha-tungusische Be- zeichnung. Dennoch stösst man unter den Oltscha, namentlich im oberen Theile ihres Ver- breitungsgebietes, näher zur Samagirn- und Golde-Grenze, bisweilen auch aufein den Giljaken fremdartiges, von den letztgenannten Völkern herübergekommenes Kleidungsstück, wie einen hirsch- oder elennthierledernen Rock, eine Boa, die statt aus Eichhörnchenschwänzen aus Mo- schusthierfell gemacht ist, u. drgl. m. Ganz ebenso verhält es sich mit der Kleidung der Negda am Amgunj. Als Middendorff, von den Tugur-Tungusen kommend, dieselben besuchte, machte, trotz ihrer nur dialektisch vom Sibirisch-Tungusischen verschiedenen Sprache, Alles auf ihn den Eindruck, «als sei er unter eine neue Völkerschaft gerathen»: die Form und der Zuschnitt der einzelnen Kleidungs- stücke, die auf denselben gestickten Muster und Figuren, der angehängte metallische Zierrath, die zur Herstellung der Kleider üblichen Utensilien und sonstiges kleines Handgeräth, Alles verrieth sich «als Auslluss eines anderen Modecentrums®» '). Middendorff erkannte auch ganz richtig, dass dieses Centrum bei den Giljaken am Amur zu suchen sei und unter dem diesen Strom abwärts sich verbreitenden Einflusse der Chinesen sich gebildet habe. In der That sind die 1) Middendorff, Reise ete., Bd. IV, p. 1526 fl. Oroken. Rennthier-, Sechundsfell- und Fischhautkleidung. 405 in seinem Reisewerk mitgetheilten Abbildungen von Negda- oder «Nigidaler»-Kleidungsstücken und Utensilien, wie ich von einzelnen derselben oben schon erwähnt habe, der Art, als wären sie nach giljakischen Gegenständen gefertigt. Gleichwie in der Kleidung der Oltscha, spricht sich endlich auch in derjenigen der Negda die im Vergleich mit den Giljaken grössere Entfer- nung ihres Wohngebietes von der Meeresküste darin aus, dass sie statt der bei den letzteren üblichen Seehundsfellröcke welche aus Elennshaut tragen). Anders als mit den Amur-Oltscha, welche sich in ihrer Lebensweise, Haltung und Klei- dung ganz mit den Giljaken assimilirt haben, verhält es sich mit den nach Sachalin hinüber- gewanderten Oltscha — den Oroken. Diese sind Rennthiernomaden geblieben und haben daher auch in ihrer Kleidung eine wesentliche Differenz conservirt, indem ihnen die Rennthiere auch den Hauptkleidungsstoff liefern. Die Oroken, denen ich auf ihrer winterlichen Wanderung durch das Tymy-Thal und bei Nyi an der Ostküste Sachalin's begegnete, waren ganz in Renn- thierfell gekleidet, indem Pelze, Mützen und Stiefel aus demselben bestanden. Die ersteren wa- ren von demselben Schnitt wie die Hundsfellpelze der Giljaken, ohne Kapuze auf dem Rücken, die Stiefel dagegen hatten nicht die oben erwähnte, an die Chinesen erinnernde Form der gilja- kischen, sondern sahen mehr gleichmässig breit und plumper aus, und die Mützen zeichneten sich von den giljakischen dadurch aus, dass sie stets mit einem Augenschirm versehen waren, der aus einem bisweilen mit Stickereien geschmückten Zeugstück bestand. Letzterer mag ihnen von Nöthen sein, um bei ihrer anhaltenden Wanderung, zumal durch Gebirgsstriche und Gegenden, die minder bewaldet und reicher an dem für ihre Rennthiere nothwendigen Moose sind, dem Auge einen Schutz gegen die Schneeblendung zu gewähren. Ueber dem Pelze trugen die Oroken die bei den Giljaken übliche kurze Rundschürze aus Seehundsfell (kossjkha). Die Oroken-Weiber, die ich ebenfalls auf der Wanderung in Begleitung ihrer Männer sah, hatten mit blauem Oberzeuge versehene und von breiten, mit Metall ausgelegten Gürteln zusammengehaltene Pelze an und Mützen, die den gewöhnlichen Wintermützen (tulv-hak) der Giljakinnen ganz ähnlich aussahen. Ausser Rennthierfellen bilden, wie schon Mamia Rinsö berichtete ?), Seehundsfelle und Fischhäute die Hauptkleidungsstofle der Oroken, entsprechend ihrer Beschäftigung im Som- mer und Herbst mit Robbenschlag und Fischfang an der Ostküste Sachalin’s und besonders an der Mündung des fischreichen Tymy-Flusses; daneben endlich auch chinesische Baumwollen- zeuge, die sie durch Vermittelung der Giljaken erhalten. Aus letzterer Quelle beziehen sie auch die zur Verzierung der Weiberröcke üblichen chinesischen Kupfermünzen und Plättchen ®), sowie überhaupt alle Luxusartikel. Kein Wunder daher, wenn die Oroken, von jener oben be- sprochenen Rennthierfellkleidung abgesehen, im Uebrigen, was den Stoff und Zuschnitt der einzelnen Kleidungsstücke, die Stickereien und sonstigen Verzierungen auf denselben betriflt, ganz vom giljakischen Brauch und Geschmack beherrscht werden, ja sich auch genau derselben Utensilien sowohl bei den Näh-, wie bei anderen Handarbeiten und Verrichtungen bedienen. So 1) Middendorff, ]. c., p. 1531, 3) Mamia Rinsö,l,c. 2) Tö-tats ki ko, in Siebold’s Nippon, VII, p. 190. 106 Die Völker des Amur-Landes. zeigt der in Siebold's Nippon!) dargestellte orokische Fisehhautrock ganz ähnliche Stickereien Fig. fa— 1d), wie wir sie oben bei den Giljaken kennen gelernt haben, und ebenda (Fig. 10) ist auch eine genau ebenso wie das originelle giljakische Mlo geformte orokische Feuerzeugdose abgebildet. Ebenso lassen sich die Utensilien, welche ich von den Oroken bei meiner flüchti- gen Begegnung mit ihnen im Tymy-Thale aequirirte (Nadeldose, knöcherne Stocher u. drgl.), oder die uns Poljakof von seinem längeren Aufenthalte unter ihnen heimbraehte (Bohrer und andere Instrumente, von denen später die Rede sein wird), weder ihrer Form, noch ihren Ver- zierungen nach von giljakischen Stücken derselben Art unterscheiden. Zwar kommen die Oroken ausser mit Giljaken am Golf der Geduld auch in vielfache Berührung mit den Aino, und könnte man daher an ihrer Kleidung und sonstigen Haltung auch manche Ausflüsse eines anderen, in Japan liegenden Modecentrums zu finden erwarten, allein solehe machen sich bei ihnen, so viel mir bekannt, keineswegs geltend, oflenbar weil die ge- drückten und vielfach verarmten und verkommenen Aino nicht den Einfluss, wie die freien, verhältnissmässig wohlhabenden, rührigen und kräftigen, in beständigen Handelsverbindungen mit den Chinesen stehenden Giljaken auszuüben im Stande sind. Mit den Aino bin ich selbst zu wenig in Berührung gekommen, um zu dem, was von ver- schiedenen Seiten über ihre Kleidung bekannt gemacht worden, etwas Neues hinzufügen zu können. Es sei daher nur bemerkt, dass wenn ihre Kleidungsstofle auch vielfach dieselben wie diejenigen ihrer Nachbarn auf Sachalin, der Giljaken, sind, namentlich Hunds- und Seehunds- felle, Fischhäute, auch durch die Giljaken ihnen zugebrachte chinesische Baumwollenzeuge, an dem Schnitt ihrer Kleidung doch sofort zu erkennen ist, dass sie unter der Herrschaft eines anderen und zwar des japanischen Modecentrums stehen. Hauptsächlich ‘besteht nämlich die Kleidung der Aino aus zwei oder mehreren, über einander getragenen Schlafröcken, deren äusserster bisweilen aus dem oben erwähnten, von ihnen selbst aus Nesseln oder Baumbast ge- machten Gewebe, oder ım Winter aus Hundsfellen besteht. Hosen sind nieht immer ım Ge- brauch, eine Kopfbekleidung giebt es im Sommer in der Regel auch nicht, oder es dient dazu ein flachkonischer Strohut von japanischer Form. An den Füssen tragen die Aino Seehunds- oder Fisehhautstiefel mit Schäften aus demselben Material oder aus Hundsfell, und auf Fuss- touren aus Stroh oder Gras geflochtene Schuhe und bei kothigem Erdboden in den Dörfern auch Holzschuhe, wie sie weder bei den Giljaken, noch bei irgend einem anderen der Amur- Völker im Gebrauch sind ?). Kehren wir wieder aufs Festland, zu den am Amur und seinen Zuflüssen wohnenden Völkern zurück. Dass die einzelnen unter den Oltscha am Amur oder am Udyl-See in nächster Nähe und beständiger Verbindung mit ihnen lebenden Samagirn dieselbe Kleidung wie jene haben, versteht sich von selbst. AmGorin jedoch, wo sie isolirter, in compakterer Masse und unter wesent- lich anderen Bedingungen leben, zeigt auch ihre Kleidung nicht unerhebliche Verschiedenheiten. 1) Abth. VII, Tab. XXI, Fig. 1. Busse, 1. c., p. 70. Dobrotworskij, 1. c.,p. 27, 28 u. A. 2) Krusenstern, Reise um die Welt, Bd. II, p. 76 0. Samagirn. Abweichende Kleidung. — Golde. Uebereinstimmung mit den Oltscha. 407 Statt des Fischfangs spielt hier, in der ausgedehnten Waldwildniss, die Jagd die Hauptrolle und liefert dem Menschen die vornehmsten Mittel zur Nahrung und Kleidung. Gleich bei meiner Ankunft, im März 1855, in Ngagha, dem Hauptorte der Samagirn am Gorin, fiel mir die von den Oltscha und Giljaken abweichende Kleidung derselben auf: statt der Hundspelze und Seehundsröcke, war Alles in Röcke von Elenns- oder Hirschleder gekleidet, ja auch die Weiber hatten an Stelle der Fischhautröcke solche lederne Röcke an, meist mit grün gefärbten Hals- und Schulterstücken, die dem Rock, so lange er noch neu und weiss ist, ein hübsches und elegantes Ansehen verleihen. Darüber wird bei vollem Winteranzuge ein Pelz aus Reh-, Rennthier- oder Moschusthierfell getragen, den man bei den Giljaken niemals und bei den Oltscha nur sehr selten und ausnahmsweise sieht‘). Wie das Material, so ist auch der Schnitt der Kleidung bei den Samagirn, ihrer Lebensweise entsprechend, von dem der Amur-Anwoh- ner vielfach verschieden. Dem auf Schneeschuhen durch dichtes Unterholz und Gebüsch umher- streifenden Jäger ist ein kurzer Pelz- oder Lederrock mit knapp anschliessenden, gegen die Hand hin sich verengenden Aermeln erforderlich. Die füllige Pelzmütze wird zu einer den Kopf knapp umschliessenden Fellhaube. Die Beine dürfen an der Bewegung nicht gehindert sein, und so gute Dienste der steife Schurzrock aus Seehundsfell, die giljakische Kossjiha, dem meist auf seiner hundebespannten Narte hingleitenden Giljaken und Oltscha leistet, so nutzlos, ja hin- derlich wäre sie dem auf eigenes, leichtes Fortschreiten durch das Waldesdickieht angewiesenen Jäger. Während man daher die Giljaken und Oltscha im Winter fast nie ohne diesen Schurz- rock sieht, ist er mir beiden Samagirn am Gorin keinmal begegnet, womit allerdings nicht gesagt ist, dass sie ihn auf längeren Fahrten, zu den Golde, Oltscha oder chinesischen Händ- lern am Amur, nicht auch gebrauchen sollten. So auffallend die in Folge anderer Lebensweise von den Oltscha verschiedene Kleidung der Samagirn am Gorin ist, so wenig merklich ist ein Unterschied in der Kleidung, wenn man von den Oltscha den Amur aufwärts zu den Golde gelangt. Sieht man von ihrer später zu besprechenden Haartracht ab, so glaubt man sich unter demselben Volke zu befinden. Na- mentlich ist auch bei den Golde, ja vielleicht noch mehr als bei den Oltscha, die Fisch- hautkleidung bei Weibern und Kindern allgemein im Gebrauch. Dabei sind die Golde-Weiber besonders geschickt, die Fischhäute fein und sauber zu bereiten und die Röcke mit mannig- faltigen und buntfarbigen Stickereien genau von dem oben besprochenen Charakter der Formen und Figuren zu versehen. Die Kinder aber und namentlich die Knaben sieht man im Sommer in der Regel in ganz kunstlosen, hie und da zerrissenen oder geflickten kurzen Fischhautröcken gehen (Taf. XXX). Diese Bedeutung, als Hauptkleidungsstofl, behalten die Fischhäute (stets von Salmo lagocephalus) im ganzen Golde-Gebiet am Amur wie am Ussuri, und erst oberhalb der Sungari-Mündung, wo an den Ausläufern des Bureja-Gebirges die von der Jagd lebenden Biraren auftreten, verschwinden dieselben und machen dem Leder der Jagdthiere Platz. Somit sind 3) Ein Pelz aus Moschusthierfellen ist mir auch unter den Oltscha nicht begegnet. Sohrenck's Amur-Reise, Band III. [24 102 +08 Die Völker des Amur-Landes. die Golde das erste in Fischhäute gekleidete Volk, welchem die Chinesen, aus dem Sungari-Lande nord- und ostwärts vordringend, am Amur wie am Ussuri begegneten, und ohne Zweifel sind sie zunächst und hauptsächlich unter dem Volke zu verstehen, das die Chinesen mit dem Namen «Jupi-tatse», d. h. Fischhautbarbaren, bezeichneten, und des- sen auch die von der Pekinger Regierung nach dem unteren Amur-Lande abgesandten Jesuiten- Missionäre im vorigen Jahrhundert unter diesem Namen erwähnen). Erst bei grösserer Ent- fernung von den Oltscha den Amur aufwärts tritt Einem der Unterschied in der Gesammt- erscheinung und Haltung der Kleidung der Golde im Vergleich mit den Oltscha mehr und mehr entgegen. Die grosse, stromaufwärts stets wachsende Entfernung vom Meere setzt das Seehunds- fell mehr und mehr ausser Gebrauch °): die bei den Oltscha noch ganz allgemeine giljakische Kossj- cha verschwindet bei den Golde, und die geringere Anzahl von Hunden in ihren Haushaltungen macht auch den Hundsfellpelz weniger allgemein. Dagegen sieht man aber bei ihnen mehr und mehr andere Pelzwerke auftreten, die ihnen theils die eigene Jagd, theils der Verkehr mit ihren jagdtreibenden Nachbarn an den Nebenflüssen des Amur und Ussuri, den Samagirn, Kile am Kur und Orotschen, zahlreich und billig liefern, wie Edelhirsch, Reh, Moschusthier, Oanis pro- cyonoides u. drgl. Zugleich macht sich je weiter stromaufwärts, um so mehr auch der unmittel- bare Einfluss der Chinesen auf die Kleidung der Eingeborenen geltend, indem schlechtweg chine- sische Kleidungsstücke in Gebrauch kommen. So habe ich bei den Golde mitunter schwarze chinesiche Schafspelze mit einem Kattunüberzuge angetroffen; mit dem Geong-Gebirge, bei den oberen Golde hört auch der Gebrauch der oben beschriebenen Birkenrindenhüte auf, und werden dagegen breitkrämpige chinesische Strohhüte und mehr noch von eben daher stammende schwarze oder graue Filzhüte (s. Taf. XXX) allgemein gebräuchlich u. s. w. Ueberhaupt wird auch der Zuschnitt der einzelnen Stücke mehr und mehr rein chinesisch, und der auf der letzteren Tafel abgebildete Golde z. B. unterscheidet sich in seiner Kleidung durch nichts von einem chinesi- schen Arbeiter oder einem daurischen Holzllösser, wie sie mir am oberen Amur häufig begeg- net sind. Auch Nadarof?) hebt bei Beschreibung der Kleidung der am Ussuri und seinen rechten Zuflüssen lebenden Golde und Orotschen hervor, dass dieselbe sowohl ım Ganzen, wie in jedem einzelnen Stück von chinesischem Zuschnitt ist. Endlich lässt sich in der Kleidung der Golde im Vergleich mit derjenigen ihrer nördlichen Nachbarn am Amur-Strome, der Oltscha und zumal der Giljaken, im Allgemeinen auch der Unterschied wahrnehmen, dass sie, in Folge der unmittelbaren Bedrückung und Ausbeutung dieses Volkes durch die Mandshu und Chinesen, in der Regel dürftiger, ärmlicher und vernachlässigter als bei jenen ist. Letzteres ist in noch höherem Grade bei den Orotschen der Fall, namentlich im südlichen Theile ihres Verbreitungsgebietes, zwischen dem Ussuri und der Meeresküste, wo sie mit Chinesen 1) Vrgl. Du Halde, Descr. de l’Empire de la Chine | (bei Yrri, s. meine Reis. und Forsch. im Amur-Lande, et de la Tartarie Chinoise, T. IV, p. 10 fl. Grosier, | Bd. I, p. 180), noch ein gutes Stück nördlich von der Descr. gener. de la Chine, T. I, p. 142 fl. Golde-Grenze. 2) Die äusserste Grenze, bis zu welcher Seehunde den 3) L. c., p- 67 und 77. Amur aufwarts steigen, liegt auch noch im Oltscha-Gebiet Orotschen, Biraren, Manägirn, Orotschonen. Kleidung. 409 untermischt leben. Im nördlichen Theile hingegen, wohin die Chinesen nicht hinkommen, und wo die Orotschen mit ihnen nur durch Vermittelung der Golde und Oltscha im Verkehr stehen, schwindet auch der chinesische Einfluss mehr und mehr. In der Bai Hadshi z. B. schienen sie mir in der Kleidung von ihren stammverwandten Nachbarn am Amur nicht wesentlich zu differiren, nur mögen sie als eifrige Jäger verschiedene Thierfelle und als Küstenbewohner auch das Seehundsfell in grösserem Maasse gebrauchen, wie denn die Fuss- und Beinbekleidung bei ihnen fast durchweg aus letzterem bestand. Ueber die Kleidung der oberen Amur-Völker kann ich füglich hinweg gehen, da ich selbst mit ihnen nur in flüchtige Berührung, während meiner Reise im Sommer 1856 den Amur auf- wärts, gekommen bin. Es genüge daher die Bemerkung, dass im gesammten mandshu-chinesisch- daurischen Culturstücke des Amur-Stromes, zwischen dem Bureja-Gebirge und der Dseja-Mün- dung, mögen die Dörfer nun von Mandshu, Chinesen oder Dauren bewohnt sein, allenthalben ganz und gar dieselbe, chinesische Art und Weise der Kleidung herrscht. Dies ist auch bei den gleich oberhalb des Bureja-Gebirges am Amur sesshaften Biraren der Fall, die gleich jenen von Feld- und Gartenbau leben und sich auch in der Kleidung von ihren nächsten Nachbarn, den Dauren, nicht unterscheiden lassen. Anders verhält es sich mit den Nomadenvölkern des oberen Amur-Landes, den von der Jagd lebenden umherstreifenden Biraren, Manjägirn und Oro- tschonen. Hier schwindet nach Maassgabe der Entfernung von jenem Gulturtheil des Amur- Stromes auch der chinesische Einfluss mehr und mehr; die Kleidung gewinnt nach Stofl, Zu- schnitt und Verzierungen den allgemeinen sibirisch-tungusischen Charakter, und daneben macht sich von Norden her jakutischer und durch Vermittelung der den Nomaden als Händler nach- gehenden Jakuten auch russischer Einfluss geltend. Dem letzteren unterliegen ganz besonders die den Russen in Transbaikalien zunächst wohnenden und auch nach dem Nertschinsker Trak- tat faktisch unter russischer Botmässigkeit verbliebenen Orotschonen!). Darin, sowie in dem Umstande, dass die Orotschonen Rennthiernomaden sind, und dass demzufolge das Rennthier- fell und Leder in ihrem Haushalt eine hervorragende Rolle spielt, dürfte denn auch der Haupt- unterschied in ihrer Kleidung gegenüber derjenigen ihrer zur chinesisch-daurischen Welt gravi- tirenden Nachbarn, der Manjägirn und Biraren, liegen °). Wie aus den obigen Schilderungen zu ersehen ist, bietet die Kleidung der Amur-Völker zwar manches Prägnante und Originelle dar, aber keineswegs solche durchgehende Besonder- heiten und Verschiedenheiten bei den einzelnen Stämmen, dass man nach derselben sofort die 1) S. oben, p. 44—46, 79. Anyp®, C.Herep6.1858,crp. 50 n 71—73) und Gerstfeldt 2) Ausführliche Beschreibungen der Kleidung der Ma- | (O npnöpesen. scur. Amypa. — Bbern. Pycer. leorp. O6un., nägirn und Orotschonen s. bei Maack (Ilyreim. na | y. 20, 1857, Ora. Hacıta. n Marep., erp. 294). 52* 10 Die Völker des Amur-Landes. Zugehörigkeit einzelner Individuen zu diesem oder jenem Volke erkennen könnte. Die nach Abstammung und Sprache von allen übrigen Amur-Völkern grundverschiedenen Giljaken z. B. lassen sich in der Kleidung von ihren Nachbarn, den Oltscha, durchaus nicht unterscheiden, diese führen wieder unvermerkt zu den Golde hinüber u. s. w. Gleiche klimatische Verhält- nisse, gleiche Nahrungs- und Existenzbedingungen, gleiche Lebensweise, gleiche Cultureinflüsse und ein beständiger, wechselseitiger Verkehr haben im Laufe der Zeit auch auf die Kleidung dieser Völker ausgleichend gewirkt und die früher vermuthlich vorhandenen Differenzen theils gemildert, theils gänzlich verwischt. Nicht so verhält es sich mit einem anderen Moment ihrer äusseren Haltung, der Haar- tracht. In dieser haben sich ganz im Gegentheil aus der Gleichförmigkeit, die höchst wahrschein- lich ehemals geherrscht, im Laufe der Zeit, in Folge gewisser politischer Vorgänge, Differenzen herausgebildet, die heutzutage zum Theil sogar ganz nahe stammverwandte Völker des Amur- Landes von einander trennen und die Zugehörigkeit einzelner Individuen zu dem einen, oder dem anderen derselben sogleich erkennen lassen. Die Giljaken tragen langes, in der Mitte gescheiteltes und bei den Männern in einen, bei den Weibern in zwei über den Rücken hinabhängende Zöpfe geflochtenes Haupthaar. Ist es zum Flechten zu kurz oder zu spärlich, so hängt es auch wohl lose vom Kopf herab, was den betreffenden Individuen ein unordentliches und alten Weibern gar ein hexenartiges Ansehen verleiht. Ein üppiger Haarwuchs und langer Zopf werden als Schmuck erachtet, doch habe ich nicht gesehen, dass die Giljaken den Zopf, wie die Chinesen es thun, durch Einflechten von schwarzer Seide künstlich verlängerten. Kahlköpfigkeit hingegen unterliegt dem Spott. Kindern wird, um den Haarwuchs zu fördern, der Kopf von Zeit zu Zeit geschoren, wobei zuweilen, na- mentlich bei Knaben, irgendwo am Vorderkopf ein Büschel Haare ausgeschont, zusammengebun- den oder geflochten und an der Spitze mit einer zur Stirn herabhängenden Perlenrosette versehen wird). Erwachsene lassen jedoch ihr Haupt- oder Barthaar niemals scheren, ja es herrscht bei den Giljaken sogar der Glaube, dass wenn ein Erwachsener unter ihnen sich den Zopf abschnei- den und das Haar scheren liesse, dieses ihm Krankheit und Tod zuziehen würde. Nach dem Tode darf aber der Zopf von den Anverwandten des oder der Verstorbenen abgeschnitten und aufbewahrt werden. So zeigte mir der Giljake Kimrkan in Kalm die Zöpfe, welche er seiner ersten Frau und seiner Tochter nach deren Tode abgelöst hatte, und die er in Birkenrinde eingewickelt in dem den Manen der Verstorbenen errichteten Häuschen, dem sogen. Rakk, von welchem später die Rede sein wird, sorgfältig aufbewahrte. In der Haltung des Haares sind die Giljaken ebenso unsauber wie in ihrer Kleidung. Daher sieht man sie oft, um dem lästigen Ungeziefer Einhalt zu thun, sich mit der flachen Hand auf den Kopf schlagen, oder auch im Kopf kratzen, was charakteristischerweise stets mit dem Daumen geschieht, während die übrigen 1) Aehnliches sah ich später bei den Dauren im | tel, bald auf einer Seite ein Haarbüschel stehen lassen Dorfe Chormoldin: den Knaben war das Haar rasirt und | worden, was ihnen ein sehr komisches Ansehen gab. nur hie und da, ganz unsymmetrisch, bald auf dem Schei- | Vermuthlich thun es auch die Chinesen. Giljaken, Negda, Oltscha, Oroken, Aino. Haartracht. tl Finger auf dem Kopfe ruhen. Ja, die Giljaken halten sogar das Vorhandensein von Ungeziefer im Haupthaar für ein Zeichen guter Gesundheit. So geschah es zur Zeit meines Aufenthalts im Nikolajef’schen Posten, dass ein giljakischer Knabe von einem Russen zur Erziehung in sein Haus genommen wurde, als aber der Vater nach einiger Zeit den Knaben besuchte und in sei- nem Haar das Ungeziefer vermisste, erklärte er sich besorgt über dessen Gesundheitszustand und nahm ihn wieder zurück. Dabei herrscht auch bei den Giljaken, wie bei so vielen Natur- völkern, die Unsitte, das Kopf-, wie das Kleiderungeziefer im Munde zu. knacken. Mein ihnen gelegentlich ausgesprochener Ekel davor erschien ihnen lächerlich, und auf die Frage, warum sie es thäten, da es doch weder ein Nahrungs-, noch ein Genussmittel sein könne, erhielt ich zur Antwort, dass sie den Thierchen ebendamit vergelten, was diese an ihnen thun. Ganz dieselbe Haartracht wie die Giljaken haben auch ihre nächsten Nachbarn, die Negda, die Oltscha, und deren Stammgenossen — die Oroken auf Sachalin'). Man darf vermuthen, dass auch die Aino ehemals diese oder eine ähnliche, mehr oder minder natur- wüchsige Haartracht hatten, bis sie der Herrschaft der Japaner verfielen und unter deren Druck, zum Zeichen der Unterwerfung, ihre jetzige, der japanischen im Wesentlichen ähnliche Haar- tracht erhielten. Bekanntlich rasiren die Japaner das Haar auf dem Vorderkopf und Scheitel und lassen es auch am Hinterkopf nicht so lang wachsen wie die Chinesen, flechten es auch nicht in einen Zopf, sondern scheren es in einer gewissen Länge rundum und fassen es in einen Strähn, der, mit einem Bändchen zusammengebunden, auf dem Scheitel in der Richtung zur Stirne hin ruht. Mit Ausnahme nun dieses letzteren Punktes, der für ein Naturvolk allzugekünstelt und unbequem wäre und auch einer allzugrossen Sorgfalt und Pflege bedürfte?), machen es die Aino ihren Beherrschern nach. So berichtete schon der Pater Hieronymus de Angelis ım Jahre 1622, Schläfen kein Haar behalten, hinten aber so lang wie die Japaner (also ohne herabhängenden Zopf) tragen®), und Vries fügte hinzu, dass die dortigen Weiber es bald wie die Männer dass die Eingeborenen von Jesso das Haar am Vorderkopf scheren, so dass die rundum scheren, bald lang wachsen lassen und wie die Japanerinnen aufstecken *). Nach Brough- ton?) tragen die Weiber das Haar, wenn auch rundum verschnitten, doch länger als die Män- ner. Krascheninnikof°) zufolge rasiren auch die Aino der Kurilischen Inseln das Haar von der Stirn bis auf den Scheitel, die Weiber aber schneiden es vorn nur ab, dass es nicht in die Augen falle. Dass auch die Aino von Südsachalin, Männer wie Weiber, die oben erwähnte Haar- tracht haben, kann man schon aus den oben (Taf. IV) mitgetheilten Photographien derselben 3) Witsen, Noord en Oost Tartarye. Tweede Druk, Amsterdam 1705, U. Thl., p. 57. Siebold, Aardrijks en volkenkund. toelicht., Amsterd. 1858, p. 94. 4) Siebold, 1. c., p. 100. 1) Von den Oroken bemerkte schon Mamia Rinsö (Tötats-ki ko, in Siebold’s Nippon VII, p. 189), dass sie ihr Haar nicht abschneiden, sondern über die Schultern her- abhängen lassen, oder auch im Nacken gleich einem dicken Zopfe zusammengewunden tragen. 2) So z. B. bedienen sich die Japaner, um ihre Frisur beim Schlafen nicht in Unordnung zu bringen, an Stelle des Kopfkissens eines hölzernen Bänkchens, das mit einer der Kopfform entsprechenden Aushöhlung versehen ist. 5) A Voyage of discov. to the North Paeif. Ocean, London 1804, p. 105. 6) Onne. 3emau Kamuyarkı (MNo.au. co6p. yuen. nyrem. no Poceim, T. U, erp. 258). 12 Die Völker des Amur- Landes. sehen. Weiter nordwärts jedoch, wo die japanische Herrschaft aufhört, legen die Aino die ihnen von den Japanern aufgedrungene Haartracht ab und tragen das Haar ebenso wie die Giljaken, d. h. völlig ungeschoren und in einen zum Rücken hinabhängenden Zopf gellochten. Und zwar thun sie dies nicht etwa bloss in den Grenzorten, wo sie mit den Giljaken unter- mischt leben, wie in Ktheus (Ktausi), Porokotan (giljak. Pilja-wo) an der Westküste Sacha- lin’s), sondern auch an der Ostküste nördlich von Ussuro, bei Esturi u. s. w.°), wo es gar keine Giljaken giebt. Es ist eben nicht bloss eine Folge giljakischen Einflusses auf die Aino, wie in manchen Stücken ihrer Kleidung u. A., sondern ein Akt politischer Manifestation: zum Zeichen, dass sie sich von der Herrschaft der Japaner emaneipirt haben und von derselben hin- fort nichts wissen wollen, nehmen sie die Haartracht an, welche ihre vom japanischen Joch unberührt gebliebenen Nachbarn haben, und welche sie (wie ich vermuthe) — und vielleicht dürfte sich die Tradition davon unter ihnen erhalten haben — auch selbst hatten, bevor sie diesem Joch unterlagen. So gilt den Aino der im Nacken herabhängende Zopf als Zeichen der Freiheit und Unabhängigkeit von den Japanern. Uebrigens beschränkt sich der von diesen letz- teren auf die Aino in Betreff der Haartracht ausgeübte Druck auf das Haupthaar, den Bart hingegen brauchen sie nicht zu scheren, und dieser ist bei ihnen bekanntlich von ausnehmender Stärke, wesshalb Manche von ihnen, wie schon die alten Jesuiten-Missionäre erzählen ®), ein be- sonderes Stäbchen bei sich tragen, mit welchem sie beim Trinken den Schnurrbart in die Höhe heben, ein Instrument, dessen die übrigen, mit minder starkem oder mit schwachem Bartwuchs begabten Stämme Sachalin’s und des Amur-Landes nicht bedürfen. Aehnlich wie es den Aino mit ihrer Haartracht seitens der Japaner, ist es auf dem Fest- lande den von den Oltscha aufwärts am Amur und seinen Zuflüssen wohnenden Völkern von Seite der Chinesen ergangen. Die Samagirn am Gorin und die Golde unterscheiden sich von ihren stammverwandten Nachbarn, den Negda und den Oltscha, sehr scharf durch ihre Haartracht: auf dem ganzen Vorderkopf nämlich, von Schläfe zu Schläfe, wird das Haar rasirt oder kurz geschoren und das übrige in einen zum Rücken hinabhängenden Zopf gelloch- ten (s. Taf. II). So allgemein ist bei ihnen diese Haartracht, dass man sie auch an den unter den Oltscha verstreut lebenden Golde findet. Bekanntlich ist dies aber auch die gegenwärtige Haartracht der Chinesen. In alten Zeiten jedoch rasirten auch die Chinesen das Haar auf dem Vorderkopf nicht, sondern liessen es allenthalben wachsen und behandelten es mit grosser Sorg- falt, indem sie es auf dem Scheitel sammelten, mit Hülfe eines Zeugstreifens oder Bandes zu- sammenknoteten, mit Golddraht verzierten u. s. w. Ja, zur Zeit der Han-Dynastie (179—155 v. Chr.) soll sogar eine Strafe für Verbrechen darin bestanden haben, dass dem Betreflenden l) Fr. Schmidt, Histor. Ber. über den Verlauf der 3) So z. B. der Pater Aloisius Froes in einem Brief physik. Abtheil. der Exped. der Russ. Geogr. Gesellsch. | vom Jahre 1565, s. Siebold, Aardr. en volkenkund, toe- (Beiträge zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 65). | licht. ete., p. 93. Vrgl. auch Schmidt, Histor, Bericht 2) Muny.an, Ouepkv ocTrp. Caxa.ınna, C. Herepo. 1873, | etc., p. 93. erp. 129. ; Golde. Haartracht nach mandshu-chinesischer Art. 413 das Haupthaar rasirt wurde !). Erst als die jetzt regierende Mandshu-Dynastie den chinesischen Thron bestieg, ordnete ein Regierungsedikt die jetzige Haartracht nach Mandshu-Art an, — eine Maassregel, die vielfach auf den heftigsten Widerstand stiess, Aufstände und Empörungen hervorrief und zum Theil nur mit Waflengewalt durchgeführt werden konnte). Dieser Maass- regel mussten sich nun auch die unter mandshu-chinesischer Herrschaft stehenden Völker des Amur-Landes fügen, soweit jene Herrschaft eine faktische war. Im unteren Amur-Lande zuvör- derst die Golde, die am Sungari wie am Ussuri den Mandshu-Chinesen zunächst wohnen und in ihrem Gebiet eine Anzahl beständiger Sitze mandshu-chinesischer Beamten haben. Vielleicht fand die Mandshu-Art, das Haar zu tragen, bei den Golde auch um so leichter Aufnahme, als sie schon vor der Eroberung China’s durch die Mandshu mit einem Stamme dieser letzteren, den Djutscheren, in naher Beziehung gestanden und zum Theil sogar durcheinander gewohnt hatten °). Jedenfalls ist sie gegenwärtig unter ihnen ganz eingebürgert. In der Gegend der Sun- gari-Mündung sah Maack *) auch die Golde-Weiber, trotz dem besonders conservativen Sinne, der ihr Geschlecht auszeichnet, das Haar nach Art der Mandshu-Weiber tragen, d. h. mit oder ohne Scheitel nach hinten gekämmt, in zwei Zöpfe gellochten und diese in einen flachen oder thurmförmigen Haufen gewunden, der durch lange, knöcherne oder silberne, an einem Ende geschnitzte oder mit einem Stein geschmückte Haarnadeln (goldisch ssopcho) zusammengehal- ten wurde. Ja, auch die Sitte der Chinesen, zum Zeichen der Trauer über den Tod eines nahen Anverwandten sich den Zopf abzuschneiden °), hat bei den Golde Eingang gefunden °). Haupt- 1) Pauthier, Chine moderne ou descript. hist., geogr. et litter. de ce vaste emp., II. partie, Paris 1843 (L’Uni- vers), p. 231. 2) Neuhof, Die Gesandtsch. der Ost-Indisch. Gesellsch. in den verein. Niederländ. an den Tartar. Cham u. nun- mehr auch Sinisch. Kaiser etc., Amsterdam 1666, p. 125, 289, 405, 419, 422, 429. Vrgl. auch des Chinesen Diony- sius Kao, Kurze Beschreib. des Kaiserreichs China, in der Beilage zu Ysbrants Ides’ Driejaar. Reize naar China, Amsterdam 1704, p. 183. Zusätze zu des Joh. Bapt. Du Halde ausführl. Beschr. des Chines. Reiches u. der Gross. | Tartarei, aus d. Französ. übers., Rostock 1756, p. 91, 101, | 110, 157. Grosier,, Deser. gener. de la Chine, Paris 1787, T. I, p. 280. Pauthier et Bazin, Chine mod. etc., I. Part., p. 416, 227, 429. Davis, La Chine, trad. de l’Angl., 227, Paris 1837, T. I, p. 185. Plath, Die Völker der Mandshu- | rey, Goeltingen 1830, Bd. I, p. 270; Bd. II, p. 709. Pal- las (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reiches, Bd. III, p- 126) bemerkt auch von den Chinesen von Kjachta, dass sie selbst mit Unwillen bekennen, dass sie ihr Kopfhaar jetzt nach mandshurischer Art scheren. Wie an verschie- denen Orten China’s, so hat das obige Edikt der chinesi- schen Regierung auch unter den schon zur Zeit des ersten Kaisers der Mandshu-Dynastie den Mandshu zinspflichtigen Koreanern eine Empörung hervorgerufen (Plath, I. c., Bd. I. p. 297). Und noch heutzutage rasiren die Koreaner ihr Haupthaar nicht, sondern sammeln es nach oben und flechten es in einen aufwärts gerichteten Zopf; die Weiber aber schlingen es um den Kopf und binden es zusammen (Upsmeraaspcriis, Iyrem. »» Yceypiiccr. kpab,C. Herepö. 1870, crp. 108). Auch das kleine, in der Provinz Kuei-tschen wohnhafte Bergvolk der Miao-tseu hat sich, seine Un- abhängigkeit wahrend, dem Edikt zu entziehen gewusst Davis, l. c., T. I, p. 150, 188). 3) S. oben, p. 150. Leider ist uns über die Haartracht, welche die Djutscheren hatten, ehe sie an den Churcha versetzt wurden, nichts bekannt. Dass sie oder ihre Nach- kommen jetzt die allgemeine mandshu-chinesiche Haar- tracht haben, unterliegt keinem Zweifel. 4) Uyrem. na Amypp, €. Ierep6. 1859, erp. 141. 5) lakrun®%, Kuraii, ero ;kur., upaBbı, OÖBIyam, NPOo- erbın., C. Herepö. 1840, cerp. 177. Desgleichen wird bei den Chinesen zum Zeichen der Trauer das Kopf- und | Barthaar eine gewisse Zeit lang nicht rasirt (Pauthier, Chine mod. etc., II. Partie, p. 260). 6) So sah Wenjukof (O603p. p. Yeypu u 3omeAn KG BOCT. OTB mean 10 mopa. — Bberu. Pycer. Deorp. Oömm., 4. 25, 1859, Ora. Uscaba. u Marep., erp. 199) am Ussuri einen Golde, der in dieser Weise nach seiner verstorbe- nen Mutter trauerte, Die Völker des Amur-Landes. sächlich wohl durch Vermittelung der Golde hat dann die mandshu-chinesische Haartracht auch bei den Samagirn am Gorin Fuss gefasst, zumal da nahe der Mündung dieses Flusses in den Amur, in Zjanka, eine feste Niederlassung chinesischer Kaufleute und etwas oberhalb am Hauptstrom, in Mylki, auch ein ständiger Sitz mandshu-chinesischer Beamten sich befindet, von welchem aus die Samagirn stets an die chinesische Oberhoheit gemahnt werden konnten. Die weiter nord- und stromabwärts wohnenden Völker hingegen, die Oltscha, Negda und Giljaken, unter denen es keine solchen Beamten giebt, und die nur nominell unter chinesischer Herrschaft stehen, haben sich jenem mandshu-chinesischen Regierungsedikt, wenn es überhaupt bis zu ihnen gedrungen, entzogen und ihre alte Haartracht beibehalten. Diese Völker sind es denn auch, welche die Chinesen schlechtweg mit dem Namen der Langhaarigen bezeichnen, — «Tschang-Mao-tse» nach Venault, im Gegensatz zu den «Tuang- Mao-tse» oder Tataren (Barbaren) mit rasirtem Kopfhaar, den Golde u. a.'). Wie den Aino der Zopf, so gilt daher diesen Völkern das unrasirte und ungeschorene Haupthaar als Zeichen der Freiheit. Da- her denn auch die obenerwähnte, bis zum Aberglauben gesteigerte Abneigung der auf ihre Freiheit von den Mandshu-Chinesen besonders stolzen Giljaken, ihr Kopfhaar zu scheren, oder gar den aus der Gesammtheit desselben gellochtenen Zopf abzuschneiden. Wie sehr die Verbreitung der mandshu-chinesischen Haartracht unter den Amur-Völkern von der Ausbreitung der faktischen, nicht bloss nominellen Herrschaft des himmlischen Reichs abhing, lässt sich auch an den Orotschen ersehen. Im äussersten Süden ihres Wohngebietes, wo sie, mit dem Namen Ta-dse bezeichnet, unter starkem Druck der zahlreichen, untermischt mit ihnen lebenden Chinesen (Mandse) stehen, tragen sie auch ihr Haar ganz ebenso wie diese letzteren, nur dass es auf dem Vorderkopf, wie übrigens sehr oft auch bei den Golde und Samagirn, aus Mangel an den erforderlichen Utensilien nicht rasirt, sondern nur ganz kurz geschoren ist?). Weiter nordwärts, wie in der Bai Olga oder am oberen Poor, wo die Zahl der Chinesen geringer ist und die Orotschen sich schon etwas freier bewegen können, findet man in ihrer Haartracht den Unterschied von jenen, dass sie den Vorderkopf zwar ebenso be- handeln, das übrige Haar aber nicht in einen Zopf, sondern, Männer und Weiber gleich, ın zwei Zöpfe flechten, die, hinter den Ohren laufend, nach vorn fallen, und deren Enden durch eine Perlenschnur mit einander verbunden werden. Diese Eigenthümlichkeit, dass die Männer 1) Venault, Excursion dans les parties interieures de la Mandchourie, 1850 (Nouv. Annales des voyages, T. XXX, 1852 [II], p. 205, 214). In der That lassen sich auch in den von Venault angeführten Dörfern der Tschang- Mao-tse «Aki», dem ersten, stromabwärtls gegangen, «Pulo» und «Uktu» unschwer die Oltscha-Dörfer Adi, Pulu und Uchtr erkennen. Dass die ebenfalls zu den Tschang-Mao- | tse gehörenden «Kili-mi», die durch Ermordung de la Bruniere’s Veranlassung zu Venault’s Reise gegeben hatten, die Giljaken sind, ist oben (p. 103 und 499, Anm. 1) schon erwähnt worden. Venault bemerkt auch, dass die Tschang-Mao-tse sich in ihrer Physiognomie mehr dem europäischen Typus nähern als die Tuang-Mao-tse, was von den Giljaken und Oltscha den Golde, Orotschen u. a. gegenüber vollkommen richtig ist. (S. oben, p. 286, fT.). 2) Benumwko»», O6o3p. pbru Yeypu (Bberu. Pycer. l'eorp. O6in., 4. 25, 1859, Ora. Hac.rba. ıı Marep., crp. 234). Ero ;ke, Ilyrem. no okpann. Pycer. Asin u 3aı. 0 uuxXB, C. Ilerep6. 1868, crp. 88. Orotschen, Biraren, Manägirn, Orotschonen. Haartracht. 415 auch zwei Zöpfe tragen, ist mir bei keinem der übrigen Amur-Völker begegnet!). Noch weiter nordwärts endlich, wo die Orotschen ganz unberührt von den Chinesen leben, wie in der Bai Hadshi, tragen sie das Haar, wie ich es selbst gesehen, ganz ebenso wie die Oltscha und Giljaken, d. h. vollkommen ungeschoren und die Männer in einen, die Weiber in zwei zum Rücken hinabhängende Zöpfe geflochten. Wie den meisten Völkern des unteren Amur-Landes, ist es auch denjenigen des oberen mit ihrer Haartracht ergangen: von den Chinesen unterjocht, mussten sie sich zum Zeichen ihrer Unterwerfung auch deren Haartracht gefallen lassen. Ja, während dort einige entfernter woh- nende Stämme sich dem betreffenden Regierungsbefehl zu entziehen gewusst haben, mussten sich ihm im oberen Amur-Lande, in Folge der grösseren Anzahl und Concentration der Man- dshu-Chinesen, alle Stämme, bis auf eine unbedeutende Ausnahme, fügen. Dass die gegen- wärtig ganz nach Art der Chinesen wohnenden und sich kleidenden Dauren und sesshaften Biraren auch die Haartracht derselben sich ganz zu eigen gemacht haben, versteht sich von selbst. Dieselbe ist aber ferner auch auf die Nomadenstämme, auf die umherstreifenden Biraren und die Manägirn übertragen worden, und dass sie sich unter ihnen eingebürgert, dazu haben sicherlich zumeist die den Nomaden nachgehenden daurischen Kaufleute, so wie andererseits die alljährlich zur Tributserhebung und zur Revision der Grenzzeichen das Land durchziehenden und das Volk mit der Macht des himmlischen Reiches einschüchternden mandshu- chinesischen Beamten beigetragen. Ja, die Manägirn machen es auch darin den Chinesen nach, dass sie den Zopf, wenn die Mittel es erlauben, durch Einflechten schwarzer Seidenfäden ver- längern ?), so wie dass sie denselben zum Zeichen der Trauer über den Verlust eines Anver- wandten abschneiden und das Rasiren oder Scheren des Haars auf dem Vorderkopf eine Zeit lang unterlassen °). Die Manägirn sind übrigens das letzte Volk, den Amur aufwärts gegangen, bei welehem die mandshu-chinesische Haartracht durchweg üblich ist. Weiter westlich, bei den Orotschonen begegnen wir derselben Erscheinung, die wir schon beiden Orotschen im äusser- sten Osten des Amur-Landes kennen gelernt haben: während sie nämlich im Süden ihres Wohn- gebietes, an den Ostabhängen des grossen Chingan-Gebirges, um die Zuflüsse des Nonni, am Nomin, Ganj, Gujuil u. a., wo sie in völliger Abhängigkeit von den Dauren und mittelbar von den Chinesen leben ‘), sicherlich auch deren Haartracht theilen, schwindet diese, nordwärts ge- gangen, mehr und mehr, und am oberen Amur und seinen nördlichen Zuflüssen, wo sie trotz 1) Ich habe sie an einer Anzahl von Orotschen beob- | AInouer. mopb. — Moper. C6opn. 1861, N 1, 4. neo®., achtet, denen ich am Ussuri begegnete, und die in ihren | crp. 163) an den Ta-dse der Meeresküste, ohne nähere Böten den Poor abwärts gekommen waren. Frau Was- | Angabe der Lokalität. siljef schildert sie eben so an den Eingeborenen der Bai 2) Maak®%, lIyrem. na Amyp®, cTp. 72. Olga (Oanmniana Bacnapera, Tarann Cr. Oapru. — Hanb- 3) Middendorff (Reise in den auss. Nord. und Ost. eria Pycer. Veorp. O6m., T. VII, 1872, Ora. II, crp. 67) u. | Sibir., Bd. IV, p. 1505) beobachtete einen derartigen Fall. Beresin (Ouepk» pycer. nopr. 86 Taraper. npoa. u 4) S. oben, p. 45. / Schronok's Amur-Reise, Band III, 53 116 Die Völker des Amur-Landes. des Nertschinsker Traktats faktisch stets unter russischem Einfluss und russischer Herrschaft geblieben sind, haben sie auch ihre ursprüngliche und naturwüchsige Haartracht beibehalten, mit ganz ungeschorenem und entweder schlicht herabhängendem, oder auf dem Scheitel in einen Büschel aufgebundenem Haar !). So ist die Art, das Haupthaar zu tragen, bei allen indigenen Völkern des Amur-Landes ein Zeichen ihrer Ab- oder Unabhängigkeit von den Mandshu - Chinesen oder auf Sachalın von den Japanern. Die Grenze, bis wohin bei den Amur-Völkern die chinesische oder auf Sachalin die japanische Haartracht sich erstreckt, bezeichnet zugleich die Grenze der faktischen Herrschaft der Mandshu-Chinesen oder Japaner über diese Völker. Es ist eine politische, nicht eine ethnographische Grenzlinie: sie läuft im Westen, wie im Osten des Amur-Landes und Sachalin’s quer durch das Wohngebiet der betreffenden Völker (Orotschonen, Orotschen und Aino), scheidet nur stellenweise naheverwandte Stämme von einander (so die Oltscha von den Samagirn und Golde) und fällt nirgends mit der Grenze so grundverschiedener Völker wie die Giljaken einer- und die Amur-Tungusen oder Aino andererseits zusammen. In sofern jedoch das Maass der Abhängigkeit der Amur-Völker von den Mandshu-Chinesen oder Japanern von der grössten Bedeutung für ihr gesammtes Sein und Leben ist, hat diese Grenzlinie auch ein hohes ethnographisches Interesse. Wie die Haartracht, so giebt es noch ein anderes Moment der äusseren Haltung, welches zum Theil mehr als die Kleidung einzelne Völker des Amur-Landes kennzeichnet, — es ist der an manchen Körpertheilen getragene Schmuck. Allen Eingeborenen des Amur-Landes, und darunter auch den Giljaken, ist der Gebrauch von Ohrringen oder richtiger Ohrgehängen gemeinsam. Dieselben bestehen entweder nur aus einem am oberen Ende ringförmig gebogenen, am unteren spiralförmig gewundenen Silber- oder Kupferdrath (kleiner Ohrring, Taf. XXIX, Fig. 7), oder aus einem in Form eines grossen Ringes gebogenen Silberdraths, auf welchen im oberen wie im unteren Theile grosse Glasperlen oder kreisförmige, in der Mitte durchbohrte Scheiben von einem grau- oder grünlichweissem Stein (Jadegit) aufgereiht sind (grosser Ohrring, Taf. XXIX, Fig. 6). Die Männer tragen stets nur je einen Ohrring in jedem Ohrläppchen, die Weiber aber oft je zwei und drei grosse, bis- weilen mehrere Zoll lange Gehänge, von deren Last die Ohrläppehen stark abwärts gereckt werden. Bei giljakischen Kindern habe ich zuweilen am Ohrläppchen neben dem metallischen Ringe auch ein Büschel von Fuchshaaren angebracht gesehen, was vielleicht ausser dem Schmuck auch zum Schutz des Ohrläppchens gegen die Kälte dient. Bemerkenswerth ist nun, dass die 1) Veperrean ap, © mpnöpem. sure. Amypa | Anypekoms kpab (San. aan urenin, n3aas. Tpyonuko- (Bbern. Pycex. Veorp. O6m., 1. 20, 1857, Ora. Hacaba. n | Boımn, Aur.— Aex. 1869, erp. 116). Mar., crp. 296). ©. Bycce, Ouepk»p ycaoBiii 3em.aeA. Bb Schmuck: Ohr-, Nasen-, Fingerringe, Armspangen. 117 Giljaken, Oltscha, Oroken und, so viel ich weiss, auch die Negda ausser den Ohrringen keinen anderen Schmuck an einem Kopf- oder Gesichtstheile tragen. Bei den Samagirn am Gorin, den Golde und Orotschen kommt hingegen noch ein zweiter, ähnlicher Schmuck hinzu, der allerdings nur auf das weibliche Geschlecht beschränkt bleibt"), bei diesem jedoch niemals fehlt, so dass man an demselben sogleich die Weiber dieser Nationalitäten von denjenigen der Oltscha und Giljaken unterscheiden kann. Es ist dies ein Nasenring, ganz von der Form des oben beschriebenen kleinen Ohrringes, nur noch kleiner, der von der durchbohrten Nasenschei- dewand über die Oberlippe herabhängt, — ein höchst absonderlicher. hässlicher und zudem der Sauberkeit, an der es allen diesen Völkern ohnehin so sehr gebricht, im Wege stehender Schmuck. Bei den Orotschen endlich findet hinsichtlich der besprochenen Schmuckarten das- selbe Verhältniss wie hinsichtlich der Haartracht statt: die nördlichen Orotschen, wie z. B. diejenigen des Kaiserhafens (Bai Hadshi), stimmen darin mit den Oltscha und Giljaken überein, die südlichen oder Ta-dse hingegen, an der Meeresküste mindestens von der Bai Olga abwärts?) und an den rechten Ussuri-Zuflüssen, mit den Golde und Samagirn, d.h. jene (ragen nur Ohr-, diese, im weiblichen Geschlecht, auch Nasenringe. Ferner sieht man bei den Orotschen-Weibern oder Mädchen und bisweilen auch bei denjenigen der Golde am Ussuri und am Amur in der Nähe der Ussuri-Mündung einen eben solchen kleinen Ring in der rech- ten oder linken Nüster). Aus dem Gesagten ist leicht zu entnehmen, dass die Sitte, Nasenringe zu tragen, bei den Völkern des unteren Amur-Landes merkwürdigerweise nur so weit verbreitet ist, als die mandshu-chinesische Haartracht bei ihnen Eingang gefunden hat; wo diese von ihnen nicht angenommen worden ist, dagiebt es auch keine Nasenringe, weder in den Nüstern, noch in der Nasenscheidewand. Doch wüsste ich keine Erklärung für ein solches Zusammenfallen der chinesischen Haartracht und des seltsamen Gebrauches von Nasenringen bei den Eingeborenen des unteren Amur-Landes zu geben, denn bekanntlich tragen die Chinesen keinen solchen Schmuck. Auch findet man dies Zusammenfallen nur im unteren, nicht auch im oberen Amur-Lande. Zwar ist die mandshu-chinesische Haartracht auch in diesem und sogar weit mehr als in jenem gen Stämme Nasenringe, weder die Biraren, noch verbreitet, und doch trägt keiner der dorti dieManägirn, noch auch die Orotschonen. So bleibt diese Sitte im Ganzen nur auf einige wenige der zahlreichen Tungusen-Stämme des Amur-Landes beschränkt und dürfte vielleicht nur als Nachbleibsel aus früherer Zeit betrachtet werden, da ihr vermuthlich eine allgemeinere Verbreitung zukam. Ein gewöhnlicher, bei allen Völkern des Amur-Landes, namentlich beim weiblichen Ge- schleeht üblicher Schmuck sind silberne oder kupferne Fingerringe, deren bisweilen mehrere auf einem Finger stecken, und aus demselben Material oder auch aus Knochen gemachte Arm- 1) Nur einmal, ganz ausnahmsweise, sah Maack 2) Olympiada Wassiljewa,l. c., p. 67. (Iyrem. na Amypv, erp. 224) diesen Schmuck auch an 3) Nach Przewalski (l. e., p. 105) in der rechten, einem männlichen Individuum, einem Golde aus Mylki. | nach Nadarof (l. e., p. 78) und Maack (I. e., p. 179) in Mir ist kein solcher Fall begegnet. der einen oder der anderen Nuster, 53* % 18 Die Völker des Amur-Landes. spangen (gilj. Zyisj), die oberhalb des Handgelenks getragen werden. Auf Taf. XXIX, Fig. $ und 9, sind ein paar derartige, kupferne, mit eingelegten Silberplättchen und kleinen Gravirungen versehene Armspangen von giljakischer Arbeit dargestellt. Interessanter ist ein anderes, im Amur-Lande ebenfalls allgemein verbreitetes Stück, — es ist der grosse und starke, nur von Männern und zwar am Daumen der rechten Hand getragene Ring. Bei den Giljaken, die ihn aam nennen, ist er von der auf Taf. XLV, Fig. 5, angege- benen Form und Grösse, aus Kupfer oder Blei, mit verschiedenen eingravirten oder aus einge- legtem Messing und Silber bestehenden Figuren verziert, im inneren Umkreise auch wohl mit einem nach aussen übergreifenden, fest angelötheten silbernen Reif versehen. Dieser Ring ist übrigens kein blosser Schmuck, sondern hat einen bestimmten praktischen Zweck. La Pe- rouse, der ihn bei den Orotschen (oder Oltscha) der Bai de Castries sah, meinte, dass er Allein dies ist eine nicht den Männern, sondern den Weibern obliegende Arbeit. Wie ich es bei den Giljaken selbst gesehen habe und wie es auch von anderen Amur-Völkern (Oltscha, Manägirn, Orotscho- ihnen zum Gegenhalt beim Häuten und Zerschneiden von Fischen diene). nen) berichtet wird), dient der Daumenring zum Bogenspannen, um die Sehne besser zu fassen und beim starken Anziehen derselben die Haut am Finger vor Verletzung in Folge starker Rei- bung zu schützen ®). Neben seiner praktischen Bestimmung giebt aber der Daumenring auch einen besonderen Schmuck ab, da er als Zeichen der Männlichkeit, der Fähigkeit mit Bogen und Pfeil umzugehen, angesehen wird. Keinem halbwegs erwachsenen Giljaken fehlt daher der Aam, und ebenso ist es bei den anderen Amur-Völkern. Ja, auch wo bei ihnen der Bogen be- reits durch Feuergewehre, chinesische Luntenflinten oder russisch-jakutische Büchsen,, zum grossen Theil verdrängt worden ist, wie bei den Manägirn und Orotschonen, wird der Daumenring allgemein noch weiter getragen *). Hier wird er daher, von seinem Nutzen bei einem gelegentlichen Faustkampf abgesehen, mehr und mehr zum blossen Schmuck. Und noch mehr ist dies in China der Fall, wo man ihn mitunter von schöner Arbeit aus Elfenbein, Jaspis, Achat u. drgl. an der Hand hochgestellter Beamten und Mandarine sieht?). Ohne Zweifel findet eine 1) La Perouse, Voyage aut. du monde, redige par | der Ost-Indisch.-Gesellsch. in den verein. Niederländern Milet-Mureau, Paris, an V (1797), T. III, p. 64. 2) Maar», Iyrem. ua Amyp®, erp. 75, 207. Teper- DEeAbBAD, O upnöpesn. kur. Amypa (Bberu. IUmn. Pycer. Veorp. O6u., 4. 20, 1857, Ora. Usc.a. u Marep., crp. 296). 3) Nach Anutschin (Ayk® u erpbası, ApxeoA1oro- ITHOTPaPw. Oyepkt, Mocksa 1887, erp. 35) ist dies die für die Völker mongolischer Race besonders charakteristische und darum von Morse, in seiner Schrift: Ancient and modern Methods of Arrow-Release (Bullet. of the Essex Instit.), sogen. «Mongolische» Art der Bogenspannung. 4) Gerstfeldt und Maack, ll. cc. 5) Davis, La Chine, trad. de ’Anglais par Pichard, Paris 1837, T. I,p. 222. Nach Neuhof (Die Gesandtschaft an den Tartar. Cham und nunmehr auch Sinischen Kaiser, Amsterdam 1666, p. 64) trug der Vicekönig von Kanton zur Zeit, als die Niederländische Gesandtschaft dort war (1655), einen Daumenring aus Elfenbein. Fleming (Tra- vels on horseback in Mantchu Tartary, London 1863, p- 303, 317) sah Daumenringe aus grünlichweissem Jaspis an zwei Mandarinen, von denen der eine zum Militär gehörte, in der an der Meeresküste nahe der grossen Mauer gelegenen Stadt Schanhai-Kuan. Freiherr von Hüb- ner (Ein Spaziergang um die Welt, 2te Aufl., Leipzig 1875, Bd. III, p. 96) bemerkt, hochgestellte Männer in China trügen stels einen grossen Ring aus weissem oder grünem Jade am Daumen. % Färbung oder Tätowirung einzelner Körpertheile. 419 solche Achtung und Hochschätzung des Daumenringes in der oben besprochenen ursprünglichen Bestimmung desselben ihre Erklärung. Zum Schluss dieses Abschnitts muss ich noch die Frage berühren, ob und in wie weit die Sitte, einzelne Körpertheile zu färben, anzumalen oder zu tätowiren, auch bei den Völkern des Amur-Landes zu finden ist? Was zunächst die Giljaken betrifft, so glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu dürfen, dass bei ihnen heutzutage nichts der Art vorkommt. Wenigstens ist mir trotz mehrjährigem und vielfachem Verkehr mit denselben keine Spur einer solchen Sitte unter ihnen begegnet. Das ist insofern bemerkenswerth, als diese Sitte bei ihren unmittelbaren Nachbarn auf Sachalin, den Aino, und mehr oder minder auch bei allen übrigen paläasiatischen Völkern zu finden ist, wenn sie auch mehr und mehr dem Verschwinden entgegengehen mag. Im Aino-Gebiet wird das Färben oder Tätowiren bestimmter Körpertheile am meisten auf Jesso ausgeübt. In den jJapa- nischen Beschreibungen dieser Insel, den Jeso-ki’s von Kannemon (1652) und Arai Tsi- kugo-no-Kami (1720), wird erzählt, dass die Aino-Weiber ihre Lippen mit dem Saft der Kudsi-gusa (oder Mundpflanze) färben und rund um den Mund, sowie auch auf der Stirn, dem Gesicht, den Händen und Füssen vermittelst Nadelstichen und Einreibung eines schwärzlichen Stofles verschiedenartige, blumen- und wolkenähnliche Figuren hervorbringen '). Diese Tätowi- rungen werden an den Mädchen in der Kindheit von ihren Müttern ausgeführt. Auch von den europäischen oder nordamerikanischen Reisenden, welche Jesso besuchten, werden dieselben mehr oder minder besprochen °). Unter den Aino von Sachalin herrscht zwar dieselbe Sitte ?), jedoch bemerkte schon der japanische Reisende Mamia Rinsö (1808)‘), dass die dortigen Sachalin zugebracht hat. Ihm zufolge ist die Operation des Tätowirens, wie sie von den Aino an den Mädchen, 4) Deseriptions de la terre Jesso, traduites du Japo- nais par Titsingh (Annales des Voyages, T. XXIV, 1814, p- 155, 196). Vrgl. auch Klaproth, San kokf tsou ran to sets,ou Apergu gener. des trois royaumes, trad. de l’original japonais-chinois, Paris 1832, p. 231. 2) So z. B. schon von Vries (Siebold, Aardr. en vol- kenkund. toelicht., p. 100) und später von Broughton (A Voyage of discov. to the North Pacif, Ocean, p. 99, 105), Krusenstern (Reise um die Welt, Bd. II, p. 74), Langs- dorff (Bemerk. auf einer Reise um die Welt, Bd. I, p. 285), Bickmore (The Ainos or hairy men of Yesso, Saghalien and the Kurile islands. — Amer. Journ. of. Science, Sec. Ser., Vol. XLV, May 1868),St. John (The Ainos, Aborigines of Yeso. — Journ. of the Anthropol. Instit. of Great Bri- tain and Ireland, Vol. II, 1873, p. 249) u. A. 3) Unter den zahlreichen Nachrichten darüber verdient besonders diejenige von Dobrotworskij Beachtung, der über fünf Jahre (1867—1872) als Arzt in Aniwa auf von ihrem zehnten Jahre an, ein — bis viermal jähr- lich ausgeführt wird, lange nicht so leicht und ungefähr- lich, wie man sie sich in der Regel denkt. In Folge des Einreibens der durchstochenen oder geritzten Hautstellen mit dem ihren japanischen Kesseln entlehnten Thranruss schwellen die Lippen oft so stark an, dass der Mund nicht geöffnet werden kann und die Patientinnen genöthigt sind, 3—4 Tage nur von flüssiger Nahrung zu leben, die sie durch eine Röhre einsaugen. Die Tätowirung beginnt mit der Mitte der Oberlippe und schreitet von dort allmählich weiter. (A0o6porsoperiii, O;ku. yacrn ocTp. Caxa.sıma. — Hasberin Cuöuper. ora. Hnn. Pycer. l’eorp. Oöm., T. I, N 2 u 3, Hpkyrers, 1870, erp. 27. Ero se, Auncko-pycck. c1oBaps, Hpımiox. #5 Yuen. Zar. Hmm. Kasauer. Yını. 1875 r., eTp. 33). 4) To-tats ki ko (Siebold, Nippon, VII, p. 182). 420 Die Völker des Amur-Landes. Weiber sich schwächer als diejenigen von Jesso tätowiren, und dass diese Sitte dort überhaupı desto seltener wird, je weiter man ins Land hinein kommt, d. h. je mehr man sich von Aniwa nordwärts entfernt. Dieselbe Sitte herrscht endlich auch bei den Aino der Kurilischen Inseln, ja, nach Krascheninnikof!) erstreckt sie sich dort auf beide Geschlechter, die Männer begnügen sich aber damit die Mitte der Lippen zu schwärzen, während die Weiber dieselben rund um den Mund und ausserdem auch Hände und Arme fast bis zum Ellenbogen hinauf täto- wiren. Sehr bemerkenswerth ist die Thatsache, dass die alten Itälmenen auf Kamtschatka, ob- gleich von Stämmen umgeben, bei denen das Tätowiren gäng und gebe war, selbst dieser Sitte oder Unsitte nicht anhingen, sondern sich nur weiss und roth schminkten, was sie vor Ankunft der Russen allerdings in sehr starkem Maasse, nach Steller’s Ausdruck «wie die Allen», später aber «nach Art derer Kosaken-Weiber viel mässiger» betrieben °). Bei den weiter nach Norden und Osten wohnenden Völkern hingegen gehört die Tätowi- rung wiederum zu den landesüblichen Sitten. Bei den Korjaken beschränkt sie sich allerdings nur auf die Weiber und ist auch bei diesen nicht allgemein, da sie jedoch mit der Vermählung beginnt und alle Jahr neue Zeichnungen hinzugefügt werden, so erscheinen manche alte Frauen nach Ditmar's Zeugniss in Folge der Tätowirung über und über bunt?). Allgemeiner ist die Sitte des Tätowirens unter den Tsehuktschen verbreitet, da sie sich bei ihnen auch auf die Mädchen von ihrem 9. oder 10. Lebensjahr an und zum Theil sogar auf die Männer erstreckt. Letztere begnügen sich jedoch in der Regel nur mit einem oder ein paar kurzen Horizontal- strichen über der Nasenwurzel, einem Kreuz auf jedem Kinnbacken oder dergleichen, während die Weiber mehr oder minder das ganze Gesicht und die Arme vom Schulter- bis zum Hand- gelenk hinab tätowiren. Nach Nordgqvist*), der diesen Gegenstand ausführlicher besprochen und auch einige Muster tschuktschischer Tätowirung mitgetheilt hat, stimmen diese in den Grundzügen mit denjenigen überein, welche Dr. Stuxberg von den Eskimo der St. Lorenz- Insel entworfen hat°), nur sind sie viel einfacher als die letzteren. Die allgemeine Verbreitung der Sitte des Tätowirens unter den Eskimo, und zwar ebenfalls vornehmlich unter den Wei- bern, ist bekannt und lässt sich in ununterbrochener Folge durch alle Stämme derselben vom Berings-Meer und vom Jukon-Gebiet‘), längs den Küsten des Eismeers über den Mackenzie-, 1) Rpamenunuunkon%, ÖOnncanie zeman Ramuarkı 3) Ditmar, Ueber die Korjaken und die ihnen sehr (Hoanoe coöpanie nyrem. no Pocecin, T. II, C. IHerepö. 1819, crp. 258). 2) Steller, Beschreib. von dem Lande Kamtschatka, p- 300. Krascheninnikof, 1. c schminken bedienten sich die », P- 68. Zum Weiss- Italmenen entweder des faulen Holzes, oder eines in Kamtschatka hie und da vor- kommenden, von der Natur caleinirten Marienglases, zum Rothschminken aber eines mit Fisch- oder Seehundsthran zerriebenen Seelanges. nahe verwandten Tschuktschen (Bull. de la classe hist. philol. de V’Acad. Imper. des sc. de St. Petersb., T. XII, p. 102; Mel. russes, T. II, p. 5). 4) Bidrag till kännedomen om Tschuktscherna (Ymer, 1882, p. 38). 5) Nordenskjöld, Die Umsegelung Asiens und Euro- pas, Bd. II, p. 242, 243. 6) Dall, Alaska and its resources, Boston 1870, p. 140. Giljaken und Itälmenen die einzigen Paläasiaten ohne Tätowirung. 121 Anderson-, !) Grossen Fisch-Fluss °) u. s. w. bis zur Hudsonsbai®), Davis-Strasse ®) und Grön- land) verfolgen. Nicht minder endlich ist die Tätowirung auch eine unter den Aleuten heimi- sche Sitte. Als Ssarytschof die Insel Unalasehka besuchte (1790), scheirt sie dort unter den Weibern noch allgemein üblich gewesen zu sein®). Langsdorff’) fand sie aber im J. 1805 in Folge des russischen Einflusses schon stark zurückgedrängt, so dass meistens nur noch alte Weiber mit Tätowirungen zu sehen waren, und Weniaminof®) bezeichnet diese Sitte als be- reits ganz überwunden. Dennoch gelang es ihm noch (1825— 183%), einige aleutische Wei- ber mit tätowirtem Gesicht zu sehen und Nachrichten über die ehemals reiche und mannigfaltige Tätowirung der Aleuten einzusammeln ’). In der ganzen Reihe paläasiatischer Völker, von Jesso bis Grönland, begegnen uns somit nur zwei kleine Stämme, denen die Sitte des Tätowirens abgeht, — die Itälmenen auf Kam- tschatka und die Giljaken am Amur und auf Sachalin. Unter solehen Umständen läge der Gedanke nicht fern, dass auch bei diesen beiden Völkern die Sitte des Tätowirens ehedem hei- misch gewesen, im Laufe der Zeit aber verschwunden sei. Eine solche Vermuthung ist jedoch Steller’s stammen aus einer Zeit, da diese ihre nationalen Eigenthümlichkeiten noch keineswegs so weit nicht zulässig. und Krascheninnikof’s Nachrichten über die lJtälmenen eingebüsst hatten, dass eine so hervorragende und, wenn sie unter ihnen bestanden, jedenfalls altherkömmliche Sitte wie die Tätowirung bereits vollkommen verschwunden sein konnte, ohne Reste und Spuren, ja selbst ohne Nachrichten in der Tradition hinterlassen zu haben. Und die Giljaken vollends habe ich, wie gleich Eingangs dieser Schrift hervorgehoben worden, zu einer Zeit kennen gelernt, da sie noch im Vollbesitz ihrer Eigenart waren. Bei jenen wie bei diesen muss man daher, den anderen paläasiatischen Völkern gegenüber, das gänzliche Fehlen der Tätowirung als zu ihrer Eigenart gehörig betrachten. Auf den ersten Blick dürfte es übrigens scheinen, als ob diese Eigenart der Giljaken im Amur-Lande auch von anderen, namentlich von den den Giljaken zunächst wohnenden Völkern getheilt werde, denn auch die Oltscha, die Oroken auf Sachalin, die Negda und Samagirn ermangeln der Sitte des Tätowirens. Dennoch verhält es sich mit ihnen wesentlich anders. Dass bei den Oltscha das Tätowiren gegenwärtig gar nicht üblieh ist, glaube ich mit Bestimmtheit telte) oo {o) 1) Petitot, Monographie des Esquimaux Tchiglit du | Gnpw, 4. II, crp. 17. Mackenzie et de !’Anderson, Paris 1876, p. 7. 2) Back, Reise durch Nord-Amerika bis zur Münd. des Grossen Fisch-Flusses und an den Küsten des Polar- meeres in den J. 1833—1835, aus dem Engl. von Andree, Leipzig 1836, p. 320, nebst Abbild. 3) Parry, Journ. of a second Voyage for the discov. of a North-West Passage, London 1824, p. 498. 4) Hall, Life with the Esquimaux, London 1864, Vol. II, p. 315. 5) Cranz, Historie von Grönland, 1770, Bd. I, p. 185. 6) Capsıuer», Ilyrem. no Chpepopocrou. vacru Cu- 7) Bemerk. auf ein. Reise um die Welt, Bd. II, p. 38. 8) BeniamnunoB», 3ar. 00% OCTPp. VHadarnıkmuck. OT- Aab.aa, C. Herepö. 1840, 4. II, erp. 113. 9) Manche ihrer Schönheiten, so wie die Töchter ange- sehener und reicher Leute suchten z. B. in ihren Tätowi- rungen die Heldenthaten ihrer Ahnen, Väter, Onkel zu verherrlichen, indem die Zeichnungen auf ihrem Gesicht erkennen liessen, wie viele Feinde Jene im Kriege erschla- gen, wie viele mächtige Thiere sie auf der Jagd erlegt u. drgl. Weniaminof, I. ec. 122 Die Völker des Amur-Landes. sagen zu dürfen, da ich sie in ihrem ganzen Wohngebiet auf mehrfachen Reisen kennen gelernt habe. Mit den Samagirn am Gorin habe ich nur in Ngagha, allerdings dem grössten ihrer Dörfer, Bekanntschaft gemacht, und von den Oroken aufSachalin und den Negda sind mir bloss einzelne Individuen begegnet, allein auch andere Reisende, die mehr mit ihnen zusammengekom- men, haben keinerlei Tätowirungen bei ihnen bemerkt; so weder Middendorff und Schmidt bei den Negda, noch Poljakof, nach mehrwöchentlichen Aufenthalte an der Ostküste Sacha- lin’s, bei den dortigen Oroken. Das ist insofern sehr bemerkenswerth, als diese Völker sämmtlich zum Tungusen-Stamm gehören, bei welchem in anderen Theilen seines weiten Verbreitungs- gebietes die Sitte des Tätowirens allenthalben bestand und mehr oder weniger noch besteht. Wie man aus den alten Beschreibungen Sibirien’s') und den Mittheilungen der Reisenden des vorigen Jahrhunderts?) ersehen kann, war das Tätowiren bei keinem der sibirischen Völker so allgemein verbreitet und beliebt wie bei den Tungusen, ja es galt darnach fast für eine speci- fisch tungusische Sitte. Bei den sibirischen Völkern niehttungusischen Stammes, wie Ostjaken, Samojeden, Jakuten (von den oben besprochenen paläasiatischen Stämmen ist hier nicht die Rede), war es seit jeher weniger üblich ?). Aus den späteren und neueren Nachrichten über die- sen Gegenstand, welche jene Vorliebe der Tungusen bestätigen, lässt sich jedoch unzweifelhaft entnehmen, dass das Tätowiren auch bei ihnen in allmählicher Abnahme begriffen ist*). Bei- läufig sei bemerkt, dass ebenso übereinstimmend, wie die bei den paläasiatischen Völkern übliche Tätowirung als Acupunktion bezeichnet wird’), alle auf die Tätowirung der Tungusen und anderen sibirischen Völker bezüglichen Angaben fast ausnahmslos dahin lauten, dass sie durch Nähen geschieht, indem ein in Russ, zerriebener schwarzer Kreide, Kohle, chinesischer Tusche u. drgl. geschwärzter Zwirnfaden oder eine feine Thiersehne durch die Haut gezogen wird, daher denn auch der russische Ausdruck wwyschiwatj, d. h. Ausnähen, für Tätowiren entstanden ist®). 1) Der allerneueste Staat von Siberien, einer grossen und zuvor wenig bekannten Moscowilischen Provinz in kin(06% Ocrakaxp, Tyarycaxı u pou. unopoAu. Enuceück. okp. — 3a. Cu6uper. Ora.Pyeck. Veorp.O6m.,T. VI, 1863, Asien etc., Nürnberg 1725, p. 166. 2) Ysbrants Ides, Driejaar. Reize naar China, Am- sterdam 1704, p. 57. Messerschmidt, Wasserreise von Mangasea die Nishnaja Tunguska hinauf, im J. 1723. (Pal- las, Neue Nord. Beytr., Bd. III, 1782, p. 109). Bell d’An- termony, Voyage depuis St. Pet. en Russie dans diverses contrees de l’Asie, Paris 1746, trad. de l’Anglais par M***, p- 101. Gmelin, Reise durch Sibirien, Bd. I, p. 80, 358; Bd. II, p. 208, 645; Bd. III, p. 432. 3) Ueber beobachtete Fälle der Art s. Gmelin [(l. c., Bd. I, p. 79), Pallas (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, Bd. III, p. 41), Erman (Reise um die Erde, Histor. Ber., Bd. I, p. 637), Middendorff, Reise in den äuss. Nord. u. Ost. Sibir., Bd. IV, p. 1427, 1461) u. A. 4) Middendorff, 1. c., p. 1428. Nach Kostrof z. B. (Ouepku Typyxanck. kpaa. — 3an. Cu6. Ora. Pycer. Teorp. O6n., T.1V,1857, crp. 88) kommt es unter den Tungusen des Turuchansker Gebietes noch vor, nach Kriwoschap- crp. 66) hingegen nicht mehr, — es kann also nur selten und im Verschwinden begriffen sein. 5) Cranz (l. c.) beschreibt jedoch die Tatowirung bei den Grönländern als eine durch Nahen vor sich gehende Operation. 6) Erman(l. c., Bd. II,p. 36) widerspricht dem und führt die Tatowirung der Tungusen, Ostjaken u. a. eben- falls aufAcupunktion zurück, allein das ist der ausführlichen Beschreibung G melin’s (l. e.,Bd. II, p. 649— 652), welcher der Operation selbst beigewohnt hat, sowie den authen- tischen Nachrichten Stepanof’s (Eunceiickaa [’y6epnia, €. Herep6.1835, U. I, crp. 80), Middendorff’s (l. c., dsgl. p- 1478) u. A. gegenüber unhaltbar. Mir ist nur eine auf Tatowirung der Tungusen und Ostjaken durch Acu- punktion und Einreibung von Russ lautende Nachricht bekannt: es ist diejenige von Spasskij (Cu6nper. Bbern., 1820, U XII, Ora. I, crp. 45), doch weiss ich nicht, wie zuverlässig und authentisch sie ist. Reste von Tätowirung bei den Orotschonen und Golde. 423 Uebrigens spricht, wie ich gelegentlich bemerken muss, schon die Verschiedenheit des Vorgangs der Tätowirung gegen die so verbreitete Ansicht, dass diese Sitte in einem Lande der Erde und zwar, wie man gewöhnlich meint'!), am Stillen Ocean oder in Südasien ihren Ursprung genommen und sich von dort aus überall hin, wo sie nachweislich existirt hat oder noch existirt, — und das umfasst alle Welttheile und so ziemlich die ganze Erde — verbreitet habe. Mag sie nun, wie die bei Naturvölkern ebenfalls sehr verbreitete Hautmalerei, aus dem Bedürfniss der Menschen, den Eindruck der Nacktheit aufzuheben, oder aus seinem natürlichen Hange zum Schmuck entstanden sein, mag sie in genealogischen oder religiösen Zwecken und Motiven ihren Ursprung haben ?), — und jedes dieser Motive dürfte hier oder da maassgebend gewesen sein — immer müssen wir sie uns, gleich wie die Bekleidung, den Körperschmuck, die Herstellung religiöser Sinnbilder und andere Bethätigungen allgemein menschlicher Regun- gen, als an verschiedenen Orten autochthon entstanden denken, wobei der Modus ihrer Aus- führung immerhin auf ihre Verbreitung aus diesem oder jenem Centrum hinweisen mag. Von Sibirien lässt sich die Sitte des Tätowirens auch weiter ostwärts unter manchen tun- gusischen Stämmen des Amur-Landes verfolgen. So beobachtete Maack°) dieselbe, wenn auch nur selten, unter den Orotschonen am oberen Amur. Weiter abwärts, bei den Manägirn, bemerkte er keine Tätowirungen. Dagegen trat ihm diese Sitte wieder im unteren Amur-Lande, bei den Golde entgegen. Zuerst stiess er auf dieselbe im Dorfe Ssilbi am Amur nahe der Sungari-Mündung, wo fast alle Männer und Weiber tätowirt waren. Doch blieb sie nicht auf dieses Dorf beschränkt, und nach wiederholten Wahrnehmungen hält er dafür, dass sie in die- sem Theile des Amur-Stromes, vom Sungari bis zum Ussuri und vielleicht noch etwas unterhalb des letzteren, eine allgemeine Sitte der Golde sei. Die Tätowirung war hier nur eine geringe, niemals sah er so buntgezeichnete Gesichter, wie sie ihm am Jenissei begegnet waren. Meist beschränkte sie sich auf ein durch fünf blaue Punkte markirtes Kreuz zwischen den Augen, auf der Nasenwurzel, bisweilen auch auf ein derartiges Kreuz auf der Stirn und eine Reihe von Punkten auf der Nasenwurzel; bei Manchen trugen auch die Hände kleine Zeichnungen. Die Tätowirung soll in der Weise geschehen, dass ein in dem Safte der von den Golde dafaro genannten Pflanze, welche Hrn. Maack jedoch unbekannt blieb, oder auch in chinesischer Tusche gefärbter Zwirnfaden vermittelst einer Nadel an den betreffenden Stellen durch die Haut gezogen wird. Der Modus ist also ganz derselbe wie bei den sibirischen Tungusen. Unter den weiter abwärts vom Ussuri wohnenden Golde hat Maack keine tätowirten Individuen bemerkt, und ebensowenig sind dort Maximowiez oder mir welche begegnet, trotz unserer mehrfachen Reisen in diesem Theile des Amur-Landes. Die angeführten Thatsachen aus dem oberen und unteren Amur-Lande scheinen mir jedoch vollkommen zu genügen, um den Schluss zu ziehen, dass die Sitte des Tätowirens wie bei den sibirischen Tungusen, so ehemals auch bei allen 1) Vrgl.z.B.Middendorff, 1. c., p. 1427. (Mittheil. der Anthropol. Gesellsch. in Wien, Bd. XV, 2) Peschel, Völkerkunde, Leipzig 1874, p. 180. Franz | Febr. 1885). Heger, Ueber die Tatowirung bei den Südsee-Insulanern 3 Uyrem. na Anyp®, crp. 144. Schrenck’s Amur-Reise, Band III. 54 Dr Die Völker des Amur-Landes. tungusischen Stämmen des Amur-Landes bestand und erst im Laufe der Zeit bei den meisten derselben ausser Gebrauch kam. Wie und unter welchen Einflüssen dies geschah, scheint mir ebenfalls auf der Hand zu liegen. Dass die Orotschonen am oberen Amur und seinen Zuflüssen die Sitte des Tätowirens noch bewahrt haben, ist bei dem unmittelbaren Anschluss derselben an ihre sibirischen Stammgenossen ganz verständlich. Wenn daher bei ihren Nach- barn, den Manägirn und Biraren, diese Sitte in der That verschwunden sein sollte, so dürfte dies nur einer in Folge der chinesischen Herrschaft erfolgten Lockerung jener Beziehungen und dem mandshu-chinesischen und daurischen Einfluss zuzuschreiben sein, dem sie unterworfen worden, und der sich auch in der Kleidung, Haartracht, ja selbst in den Gesichtszügen und der Sprache dieser Völker den Orotschonen gegenüber kundgiebt. Anders muss man sich das allmähliche und fast gänzliche Verschwinden der Sitte des Tätowirens im unteren Amur-Lande denken. Dort besteht sie, wie wir sahen, nur noch bei den Golde und zwar auch nur im obersten Theile ihres Wohngebietes, trotzdem dieser Theil den Sitzen der Mandshu-Chinesen am näch- sten gelegen ist. Weiter stromabwärts schwindet sie, und bei den unteren Golde und ihren Nachbarn am Amur, den nach ihrem Gesammthabitus, mit alleiniger Ausnahme der Sprache, zu den Giljaken hinüberführenden Oltscha, ist sie sicher nicht mehr zu finden. Wie bei den Aino auf Sachalin, schwindet sie also auch auf dem Festlande nach Maassgabe der Annäherung an die Giljaken, denen die Sitte des Tätowirens von jeher fremd war. Erwägt man in der That, dass die an den unteren Amur, in die Nachbarschaft der Giljaken herangewanderten tungusischen Stämme, insbesondere die Oltscha, sich im Laufe der Zeit durch beständigen Verkehr, Mischehen u. s. w. so sehr mit den Giljaken assimilirt haben, dass sie im Aeusseren von ihnen meist gar nicht mehr zu unterscheiden sind, so ist es nicht anders denkbar, als dass sie dort auch ihre ursprüngliche, tungusische Sitte des Tätowirens einbüssen mussten. Theils direkt, theils durch Vermittelung der Oltscha drang ferner der Einfluss giljakischen Wesens auch zu den Golde und breitete sich weiter und weiter stromaufwärts aus, so dass bei ihnen endlich nur im. entlegentsten Theile ihres Wohngebietes noch einige spärliche Reste des Tätowirens zurückblieben. Ob der nach Sachalin hinübergewanderte Zweig der Oltscha, die Oroken, die Sitte des Tätowirens bereits auf dem Festlande, oder erst auf der Insel einbüsste, lässt sich nicht ermitteln, jedenfalls aber spricht der Mangel derselben bei ihnen für einen grösseren Ein- fluss auf sie der Giljaken als ihrer anderen Nachbarn, der sich tätowirenden Aino, wie wir es oben auch hinsichtlich ihrer Haartracht und Kleidung hervorgehoben haben und in der Folge noch in manchen anderen Beziehungen zu bemerken Gelegenheit haben werden. Nach alledem wird man den Schluss gerechtfertigt finden, dass unter den Völkern des Amur-Landes, ihrer gesammten äusseren Haltung nach, die Giljaken die eigenartigste und praegnanteste Erscheinung abgeben, die nicht ohne maassgebenden Einfluss auf die im Umkreise wohnenden tungusischen Stämme bleiben konnte. 6. Abschnitt. Nahrung. Animalische und vegetabilische Nahrungsmittel. Haus- und Tafelgeräth. Genussmittel: Brannt- wein, Tabak. Da die Völker des Amur-Landes sämmtlich Fischer oder Jäger sind und nur ein kleiner, in nächster Nähe von den Mandshu-Chinesen und Dauren wohnhafter Bruchtheil derselben etwas Feld- und Gemüsebau betreibt, so ist auch ihre Nahrung durchweg eine vorherrschend animalische, aus Fisch oder Fleisch bestehende. Vegetabilien spielen nur eine untergeordnete Rolle, indem sie mehr oder weniger nur eine Art Zukost abgeben, und zwar sind es entweder wilde Naturprodukte des Landes, die schlechtweg eingesammelt, oder aber einige Cerealien und Gemüse, die von den angrenzenden Culturvölkern, den Chinesen, Japanern und neuerdings auch Russen erhandelt werden. Die einzelnen Völker des Amur-Landes unterscheiden sich von einander bezüglich der Nahrung vornehmlich nur dadurch, dass je nach ihrer Hauptbeschäf- tigung bei den einen Fisch, bei den anderen Fleisch die Hauptnahrung bildet, und dass ferner, je nach ihren grösseren oder geringeren Verkehrs- und Handelsbeziehungen mit den Chinesen oder Japanern, auch das Verhältniss der pflanzlichen Kost zur animalischen ein verschiedenes ist. Die Giljaken sind unter allen Völkern des Amur-Landes die ausgesprochensten Ichthyo- phagen. Ohne Fisch lässt sich ihr Leben nicht wohl denken: er ist die conditio sine qua non ihrer eigenen Existenz sowohl, wie derjenigen ihres einzigen, ihnen ausser der Lokomotion und Kleidung auch zur Nahrung dienenden Hausthieres, des Hundes. Es giebt wohl kaum einen Fisch in ihrem Lande, den die Giljaken nöthigenfalls nicht zur Nahrung benutzen sollten. In erster Reihe stehen aber natürlich diejenigen Fische, die ihnen dureh ihr zeit- weise massenhaftes Auftreten die Möglichkeit bieten, grössere, namentlich zum Ueber- dauern des langen, fischarmen Winters erforderliche Vorräthe zu bereiten, also die aus dem Meere in die Flüsse steigenden Lachsarten, unter welchen wiederum Salmo lagoce- phalus Pall. (gilj. Zyghi- oder, auf Sachalin, Zaghi-tscho) und Salmo Proteus Pall. (gilj. 54* 426 Die Völker des Amur-Landes. tengi-tscho) die Hauptrolle spielen’). Zur Zeit des Aufsteigens dieser Fische im unteren Amur und seinen Zuflüssen, das für S. Proteus in den Juni, für $. lagocephalus in den August fällt, herrscht reges Leben unter den Giljaken, indem Alles sich mit dem Bereiten von Fisch- vorräthen für den Winter beschäftigt. Während die Männer in Netzen und Böten zahllose Mengen dieser Lachse, und besonders des letzteren, ans Land fördern, geben sich die Weiber mit dem Abhäuten und Zerkleinern derselben ab: mit der Tschomamwa, einem Messer mit langer und schmaler Klinge (Taf. XXX, Fig. 6, und Taf. XXXI, Fig. 1), wird an den Fischen jederseits ein Längsschnitt vom Kopf bis zum Schwanz in der Nähe des Rück- grats und ein anderer an der Bauchseite gemacht, darauf ein Querschnitt von oben bis unten gleich hinter dem Kopf; hierauf wird die Haut von den Flanken mit je einem Ruck abgerissen, das Fleisch von denselben in je einem Stück abgelöst und jedes derselben in zwei Längsstreifen zerschnitten, deren jeder an seinem oberen Ende einen Einschnitt erhält, worauf die Fleischstrei- fen auf eine Schnur gereiht und auf die oben erwähnten, in der Nähe der Sommerjurten befind- lichen Trockengerüste gehängt werden. Dies ist die hauptsächlich für die Menschen und nur zum geringeren Theil auch für die Hunde bestimmte Jukola °), die Ma der Giljaken, Makore der Oltscha und Golde. Der Kopf mit dem Rückgrat und dem daran gebliebenen Fleisch, das längs dem letzteren, um leichter zu trocknen, mit Quereinschnitten versehen wird, giebt die aus- schliesslich als Futtervorrath für die Hunde dienende Jukola, das C’hark der Giljaken, Dalong der Oltscha und Golde ab. Aus den besonders fettreichen Bauchstücken wird Thran gekocht, der ebenfalls ein höchst wichtiges Nahrungsmittel abgiebt und in Seehundsblasen und Mägen aufbewahrt wird. Die Eingeweide und die von den Giljaken prineipiell perhorreseirte Milch fallen den Hunden zu; der Rogen aber wird zwar gegessen und zu verschiedenen Speisen be- nutzt, jedoch nicht besonders geschätzt. Ausser den beiden genannten Lachsarten wird auch aus anderen Fischen Jukola bereitet, wie z. B. aus dem etwas vor dem Keta-Lachs im Amur aufsteigenden Salmo Lycaodon Pall. (gilj. well), Salmo callaris Pall. (gilj. longr[sch]), Salmo Leucomaenis Pall. (gilj. ssawong) u. a. Indessen steht die aus diesen und gelegentlich auch manchen anderen Fischen bereitete Jukola derjenigen, die aus den beiden erstgenannten Lachs- arten gewonnen wird, sowohl qualitativ, wie insbesondere quantitativ so sehr nach, dass sie neben jener nur wenig in Betracht kommt, und die Giljaken verstehen daher unter «ma» schlechtweg in der Regel nur jene erstere und unterscheiden sie je nach der Fischart, von welcher sie stammt, als /yghi- und tengi-ma, wobei sie wiederum der ersteren stets den Vorzug vor der letzteren geben. Ma ist nun die Hauptnahrung, gleichsam das Brod der Giljaken°), — das Fundament 1) Die russischen Bezeichnungen dieser beiden Lachs- | rien übliche Bezeichnung für zerschnittenen und gedörrten arten in ganz Ostsibirien bis nach Kamtschatka und Nord- | Fisch. weslamerika lauten keta und gorbuscha, wesshalb ich sie 3) Steller (Beschr. von dem Lande Kamtschatka, im Nachstehenden mitunter auch Keta- und Gorbuscha- | p. 157) bezeichnete schon die Jukola, und zwar ebenfalls Lachs nennen werde. hauptsächlich die vom Salmo lagocephalus gewonnene, 2) »Jukola» ist bekanntlich die ursprünglich wohl aus | als das «eigentliche kamtschadalische Brod». Kamtschatka stammende, bei den Russen durch ganz Sibi- Giüjaken. Jukola die Hauptnahrung der Menschen und Hunde. Anlage von Vorräthen. 427 ihres Haushalts und der rothe Faden, der sich durch ihren gesammten Nahrungsprocess zieht. Tritt ein angereister Giljake in die Jurte, und hat er auf einer der Schlafbänke Platz genom- men, so wird ihm sogleich von einem der Weiber ein kleines Handtischehen (gilj. chach- tschitsch, Taf. XXXIV, Fig. 4) mit einigen Streifen Ma und einer Schale mit Fischthran (gilj. tom), nebst einem kleinen hölzernen Löffel (Taf. XXXIV, Fig. 7) gereicht. Das Tischcehen auf dem Schooss, zerkleinert er auf demselben die Jukola mit seinem Gürtelmesser und verzehrt sie in der Art, dass er jedes Stück zuvor in den Thran tunkt, oder diesen abwechselnd hinzulöffelt, oder aber er tunkt das Ende des Jukolastreifens in den Thran, fasst es mit den Zähnen und schneidet den Bissen hart vor dem Munde von unten hinauf ab, mit seinem Messer dicht an den Lippen und der Nasenspitze vorbei fahrend, wie es auch bei so vielen anderen Naturvölkern beobachtet worden ist!). Begiebt sich der Giljake auf eine weitere Fahrt, so nimmt er, trotz- dem er sicher sein kann, in jedem Dorf seiner Landsleute eine gastfreie Aufnahme für sich und seine Hunde zu finden, doch ein Bündel Jukola für den Fall mit, dass ein Unwetter ihn zwin- gen sollte, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, in welchem Falle die am Nachtlager- feuer erwärmte oder leicht geröstete Ma ihm treflliche Dienste leistet. Uebrigens wird Jukola nicht bloss au naturel gegessen, sondern giebt auch einen wichtigen Bestandtheil mancher Spei- sen ab, auf deren Zusammensetzung und Bereitung ich später zurückkommen werde. Endlich giebt sie neben dem C'hark auch das Hauptfutter für die Hunde ab. Bei solcher Bedeutung der Jukola für die Giljaken ist es verständlich, dass diese, trotz der allen Naturvölkern mehr oder minder eigenen Trägheit und Sorglosigkeit, doch sehr darauf bedacht sind, sich möglichst grosse Vorräthe von derselben zu bereiten und zu dem Zweck selbst weitere Fahrten und zeitweise Um- züge nicht scheuen. So kommen z. B. zur Zeit des Aufsteigens jener Lachsarten in den Flüssen manche Liman-Giljaken an den Amur, um von seinem Ueberfluss zu profitiren; andere, wie manche Tschomi-Giljaken und die Bewohner einiger Ortschaften an der Westküste Sachalin’s, ziehen an den besonders fischreichen Tymy-Fluss im Innern der Insel, um erst im Winter mit den erlangten Vorräthen wieder zurückzukehren. Dagegen begeben sich aber zu anderen Zeiten, wenn z. B. der Kangi-tscho (Gadus Wachnja Pall.) in grossen Mengen längs der Meeresküste zieht, auch umgekehrt manche Tymy-Giljaken zu ihren Landsleuten an der Westküste Sacha- lin’s, um sich zeitweise an jenem Fisch zu laben. Es scheinen sich in diesem Punkt zwischen 1) So z. B. bei den Eskimo (Cranz, Hist. von Grön- land, Bd. I, p. 192. Parry, Sec. Voyage elc., p. 506. See- mann, Reise um die Welt, Bd. II, p. 66. Klutschak, Als Eskimo unter den Eskimos, p. 232), Burjaten (Paaae, Ozepo Baiikaap. — Bbern. Teorp. O6m., 4.21, 1857, Ora. Hac.rba.uMar.,crp. 140. Pae»s, Bypareı. — Bberu.Teorp. O6ın., 4. 24, 1858, Ora. Wacaba. u Mar., crp. 10), Ostja- ken (Pallas, Reise durch versch. Provy. des Russ. Reichs, Bd. III, p. 46), Samojeden (A.G.Schrenck, Reise nach dem Nordost. des europ. Russlands, Dorpat 1848, Bd. I, p- 311. Heaapune, CamobApı, C. IHerep6. 1847, erp. 35. A6pamos®, Onuc. bepesoser. kpaa. — 3an. Pycer. Teorp. O6m., I. XII, 1857, erp. 354. Middendorff, Reise etec., Bd. IV, p. 1453) u. a. Auch die tungusischen Stämme des Amur-Landes machen es ebenso. Die Nertscha-Tungusen nennen es «vom Messer essen» und behaupten, dass das Fleisch, so genossen, viel schmackhafter sei, als wenn es zu- vor in Stücke zerschnitten worden (Ycoab ner», Ilyrem. no aoanub pbem Hepum — Bberu. Hmm. Pycer. leorp. Oöun., 1857, 1., erp. 76). 428 Die Völker des Amur-Landes. den Bewohnern einzelner Ortschaften, so z. B. zwischen den Tschomi- und den Tymy-Giljaken oder zwischen diesen letzteren und den Giljaken von Dui, Arkai, Tangi und anderen Orten der Westküste Sachalin’s im Laufe der Zeit bestimmte, auf Gegenseitigkeit beruhende Wechselbe- ziehungen und Uebereinkünfte herausgebildet zu haben. So reichlich jedoch die Jukolavorräthe auch ausfallen mögen, immerhin würden sie nicht genügen, das Leben der Giljaken sicher zu stellen, wenn es nicht ausser jenen Lachsen fast zu jeder Jahreszeit, je nach der Lokalität, noch mehr oder minder viel andere Fischarten gäbe, welche die Giljaken in frischem Zustande verzehren. Die in dieser Beziehung meist begün- stigte Lokalität im giljakischen Lande ist natürlich der mächtige Amur-Strom, und an seinen Ufern findet man daher, wie oben schon dargethan, auch die grösste Verdichtung der Be- völkerung und die reichste Entfaltung der giljakischen Eigenart. Den Anwohnern des Amur- Stromes fehlt es kaum je an frischer Fischnahrung. Dass die oben genannten, zur Jukolabe- reitung dienenden Lachsarten von den Giljaken auch frisch gegessen werden und zur Zeit ihres massenhaften Aufsteigens sogar ihre Hauptnahrung bilden, versteht sich von selbst. Ausserdem aber bietet ihnen der Strom eine Fülle von frischer Nahrung in seinen mehr oder minder stän- digen Fischarten, wie Wels (Silurus asotus L., gilj. mub), Quappe (Lota vulgaris Guv., gilj. mad(r]sch), Hecht (Esox Lucius L., gilj. @wys) und besonders zahlreiche Cyprinoiden, unter denen der Pilengat (Oyprinus carpio L.) die Hauptrolle spielt). Wichtiger aber und schätzbarer für die Giljaken als alle diese Fische sind die beiden im Amur vorkommenden und bisweilen kolossale Dimensionen erreichenden Acipenser-Arten, der Tukki-tscho (Acipenser Schrenckü Brandt), der Amur-Stör, und der Patch-tscho (Acipenser orientalis Pall.), der Amur-Hausen °). Als ich am 6./18. März 1856, von Sachalin zurückkehrend, das Dorf Tscheharbach an der Amur- Mündung erreichte, waren die dortigen Giljaken mit ihren Fischvorräthen ziemlich zu Ende und sahen mit Ungeduld dem Aufgange des Stromes entgegen, da sich alsdann sogleich auch die Störe zahlreich einzufinden pflegen, um in den Strom zu steigen. Weiter oberhalb im Amur werden aber ziemlich zu jeder Jahreszeit und auch den ganzen Winter hindurch welche gefan- gen. Den Nikolajefschen Posten versorgten die Giljaken in den Jahren 1855 und 1856 so reichlich mit Störfleisch und Caviar, namentlich von dem ım unteren Amur, wie es scheint, häufigeren Tukki-tscho, dass es im Winter unsere hauptsächlichste und fast tägliche Nahrung 1) Beiläufig sei hier, auf Grund der von den Hrn. Her- zenstein und Warpachowski (Notizen über die Fisch- Uk oder Uk-tscho (Barbus Labeo Pall.), Koll (Pseudas pius leptocephalus Pall.), Kunung (Parabramis bramula fauna des Amur-Beckens, — in den «TpyAvı €. Ilerepo. Oö. Eereersouen. no 0TA. 3002», Bd. XVII, 1887) ge- machten Bestimmungen, noch eine Anzahl ständiger Amur- Fische genannt, von welchen die grösseren von den Gi- ljaken allgemein, die kleineren nur im Nothfall und wenn nichts Anderes vorhanden auch zur Nahrung benutzt wer- den. So die folgenden: Lering (Carassius vulgaris Nilss.), Val.), Mimk (Hypophtalmichthys Dybowski Herz.), Wa Culter erythropterus Basil.), Mykyk (Idus Walecki Dyb.), Isn-ngoch (Pseudogobio amurensis Dyb.), Markram (Ga- sterosteus pungitius L.) u. a. 2) Vrgl. J. Fr. Brandt, Einige Worte über die euro- päisch-asiatischen Störarten (Bull. de ’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb., T. XIV, p. 171 1. Giljaken. Stör u. Hausen als Nahrungsmit. Fischreichth. des Tymy-Fl. auf Sachalin. 429 ymy war, deren wir, trotz ihrer anfänglichen Schmackhaftigkeit, mit der Zeit sehr überdrüssig wur- den. Besonders gern setzten sie namentlich den Caviar ab, da er ihnen russischerseits gut be- zahlt wurde, während sie selbst ihn zwar ebenfalls zur Nahrung benutzen, jedoch nur wenig schätzen. Das Stör- und Hausenfleisch hingegen, das sie stets roh in der oben angegebenen Weise essen, gilt auch bei ihnen für eine der schmackhaftesten Speisen. Kolossale Mengen von Stören und Hausen werden namentlich während der im Winter statthabenden Bärenfestlichkeiten ver- zehrt. Ganze Reihen mächtig grosser Thiere sah ich bei solcher Gelegenheit auf dem Erdboden der zum Fest geschmückten Jurte liegen, obgleich sie nicht in den Speisezettel der eigentlichen Bärenfestmahlzeiten gehören und nur zwischen denselben, oder aber in den dem Fest vorausge- henden oder ihm folgenden Tagen genossen werden. Wie die Menschen, so erhalten auch die Hunde ihren Antheil an diesen Fischen, indem für dieselben aus den abfallenden, minder guten Stücken und namentlich aus dem Knorpelgerippe mit dem daran hängengebliebenen Fleische eine Suppe gekocht wird, wobei jedoch die Knorpel selbst aus dem Kessel herausgefischt werden, um, ge- reinigt und getrocknet, an die Chinesen verkauft zu werden. Nächst dem Amur ist der Tymy-Fluss auf Sachalin die fischreichste Lokalität der Giljaken. Er ist daher auch die belebende Ader der gesammten, giljakischen Nordhälfte der Insel, und an seinem oberen Laufe zumal, wo er auch im Winter trotz der niedrigen, bis unter den Gefrier- punkt des Quecksilbers sinkenden Lufttemperaturen nicht gefriert, liegen kleine Giljaken- Dörfer so dicht gedrängt wie kaum irgendwo sonst im Amur-Lande. Zwar gehen dem Tymy- Fluss die schmackhaftesten und grössten Fische des Amur-Stromes, die oben erwähnten Störe ab, dagegen ist er aber besonders reich an Lachsen, und zwar nicht bloss an jenen obengenann- ten, im Amur-Lande allgemein verbreiteten und in Folge ihrer grossen Menge hauptsächlich zur Jukolabereitung dienenden Arten, die alljährlich im Herbst, wie schon erwähnt, auch die Be- wohner entfernterer Lokalitäten an seine Ufer heranziehen !), sondern auch an verschiedenen anderen Arten, wie die Nem(a)lja (Salmo coregonoides Pall.), der Longr(sch) (S. Callaris Pall.), Njalych (vermuthlich S. sangwinolentus Pall.), Loömang (eine Forellenart) u. drgl. Ja, es giebt dort sogar Arten, die dem Amur-Strom fehlen, wie z. B. der Choi-tscho (Salmo orientalis Pall.), die Tschawytscha der Kamtschadalen, die grösste und geschätzteste Lachsart der Berings-Meer- und Ochotskischen Gestade °). Von Sachalin heimkehrende Festlands-Giljaken pflegen daher nicht selten Stücke vom Choi-tscho als einen besonderen Leckerbissen an den Amur zu bringen. Was endlich diejenigen Giljaken betrifft, die ihre Wohnsitze unmittelbar an der Meeres- küste haben, wo es keine Flussmündungen, oder nur unansehnliche Flüsschen giebt, so sind sie insofern schlimmer situirt, als ihnen die meisten jener oben genannten Fische fehlen und sie 1) Seit einigen Jahren kommen auch die Japaner zur | »% 1881—1882 rr., erp. 70—80) ausführlich berichteten. Zeit des Aufsteigens von Salmo lagocephalus an die Tymy- 2) Die Nyi-Giljaken, bei denen ich im Februar 1856 Mündung, um dort dem Fischfang obzuliegen, und kehren | zwei grosse Exemplare vom Ohot-tscho sah, meinten übri- mit reicher Beute heim, wie Mizzul (Ouepk» ocrp. Caxa.a. | gens, dass er nur an der Meeresküste Sachalin’s vorkomme , 1873, erp. 120) und Poljakof (Uyrem. ua oerp. Caxarumn | ohne in die Flüsse zu steigen. 130 Die Völker des Amur- Landes. auch nur geringere Fischvorräthe bereiten können, doch liefert ihnen das Meer selbst im Win- ter noch manche frische Fischnahrung. Von grösster Wichtigkeit ist ihnen namentlich ein an sich unansehnlicher und wenig schmackhafter Fisch, der sich aber zu einer Zeit, da ihre Herbst- vorräthe zur Neige zu gehen pflegen, in der Nähe der Küste schaarenweis dicht unter dem Eise einfindet und mit den primitivsten Mitteln in Menge gefangen werden kann. Es ist der oben bereits erwähnte Kangi-tscho, Gadus Wachnja Pall. Im Februar und März 1856 sah ich in Nyi an der Ost- und noch mehr in Dui, Arkai, Tangi und anderen Orten an der Westküste Sacha- lin’s Menschen und Hunde fast ausschliesslich von diesem Fisch leben. Er wird nur roh gegessen, und die Manipulation dabei ist stets dieselbe, indem zuerst längs dem Rücken eine dünne, die drei Rückenflossen enthaltende Scheibe abgeschnitten und bei Seite geworfen und alsdann mit je einem Schnitt das Fleisch von den Seiten abgelöst und verzehrt wird; der zurückbleibende Kopf mit dem Rückgrat giebt das Kangi-chark ab, das theils sogleich mit dem übrigen Abfall zusammen zur Suppe für die Hunde verkocht, theils als Futtervorrath für dieselben aufbewahrt wird, dem Laghi- und Tengi-chark aber natürlicherweise bei Weitem nachsteht. Bei solcher Wich- tigkeit des Kangi-Fisches für die Küsten-Giljaken knüpft sich an den Genuss und die Behand- lung desselben auch mehr Aberglauben als an den Gebrauch der meisten anderen Fische. So darf er nur ohne alle Zuthaten genossen, auch nur in einem offenen Gefäss, einer Schale oder einem Korbe, auf die Schlafbank der Jurte gelegt werden u. drgl. m. Uebrigens herrschen in diesen und ähnlichen Anschauungen auch manche Lokaldifferenzen unter den Giljaken. So hatten die Tro-Giljaken nichts dagegen, dass die für mich bestimmten Kangi-Fische am Spiess vor dem Herdfeuer geröstet wurden, während diejenigen von Arkai es für witsch und nur an einem im Freien lodernden Feuer ohne Schaden zulässig erklärten. Wie auf Sachalin, so kommt der Kangi-Fisch auch an der Festlandsküste des Ochotskischen Meeres, bei Kulj, Tägl, Hisska (Petrofskische Simowjo) u. s. w. vor. Dem Liman hingegen soll er nach Angabe der Giljaken fehlen, wesshalb die Tschomi-Giljaken alljährlich zum Fange desselben nach der am Nordjapa- nischen Meere gelegenen Westküste Sachalin’s gehen, wo ich im Winter 1856 auch welche von ihnen antraf. Vermuthlich dürfte sich jedoch diese Angabe nur auf den südlichen, geschlosseneren Theil des Limans beziehen, nicht auch auf den nördlichen, wo am breiten Ausgange zum Ochot- skischen Meere die Verhältnisse ganz ähnlich wie in diesem letzteren sich gestalten. Nächst den Fischen bilden Seehunde das Hauptnahrungsmittel der Giljaken, ein Nahrungs- mittel, das ihnen von der Natur, einzelne, vom Meere entferntere Lokalitäten, wie das Tymy- Thal, abgerechnet, an allen Orten ihres Wohngebietes mehr oder minder reichlich dargeboten wird. Denn ausser den Seeküsten, am Ochotskischen wie am Nordjapanischen Meere, und dem Liman, wo diese Nahrungsquelle natürlich am reichlichsten fliesst, steigen verschiedene See- hundsarten, wie ich an einem anderen Orte dargethan habe!), auch den Amur-Strom aufwärts durch das ganze giljakische Gebiet hindurch und weit in dasjenige der Oltscha hinein. Am ge- 1) S. dieses Werkes Bd. I, p. 180 ff. Giljaken. Sechunds- und Weisswal-Fleisch und Fett als Nahrungsmittel. 431 ringsten schätzen übrigens die Giljaken das Seehundsflleisch selbst als Nahrungsmittel. Sperk meint sogar, dass sie es selbst gar nicht essen, sondern nur an ihre Hunde verfüttern'). Dies ist allerdings der Hauptgebrauch, den sie von demselben machen, doch habe ich sie am Liman auch selbst Seehundsfleisch essen sehen und es bei der Gelegenheit ebenfalls gekostet. Wie alles Säugethierlleisch wird es nur gekocht, nieht roh gegessen, während Letzteres mit Fischen, wie wir schon sahen, oft und zum Theil sogar mit Vorliebe geschieht. Einen allgemeinen, abergläubischen Abscheu hingegen haben die Giljaken vor dem Braten von Fisch oder Fleisch, — ein Aberglauben, gegen den ich beim Aufenthalt in ihren Jurten oft anzukämpfen genöthigt war, denn allemal, wenn für mich ein Stück Fleisch gebraten wurde, liess sich beim ersten Auf- zischen der Butter oder des Fetts in der Pfanne von allen Seiten das Geschrei: «wufsch, witsch» (Unheil) vernehmen, und oft hielt es schwer, die Zubereitung zu Ende zu bringen °). So wenig die Giljaken das Seehundsfleisch schätzen, so grossen Geschmack finden sie hingegen am Seehundsfett oder Speck, das sie in Scheiben geschnitten essen, und am beliebtesten endlich ist der aus demselben gewonnene Thran, der bei ihnen in allgemeinem Gebrauche steht und in Seehundsmägen und Blasen unter den Vorräthen aufbewahrt wird, um, von seiner Verwen- dung zur Beleuchtung der Jurten abgesehen, bald zur Bereitung von mancherlei Speisen benutzt, bald auch gleich dem Fisehthran schlechtweg zur Jukola gelöflelt oder anderweitig genos- sen zu werden. Durch dieses Ingrediens, das, je näher zum Amur-Liman und zur Meeresküste, desto wesentlicher und allgemeiner wird, unterscheidet sich die Nahrung der Giljaken hauptsächlich von derjenigen der anderen, weiter stromauf- und landeinwärts wohnenden Amur-Völker. Neben den Seehunden bietet die Natur den Giljaken fast in demselben Umfange ein ande- res wichtiges und schätzbares Nahrungsmittel dar. Es ist der Weisswal, Delphinapterus Leucas Pall. (gilj. pomi-tscho), der, mit alleiniger Ausnahme der am Nordjapanischen Meere gele- genen Küste, ebenfalls im ganzen Umkreise des Wohngebiets der Giljaken vorkommt und auch im Amur-Strom ebensoweit wie die Seehunde hinaufgeht). So viel ich erfahren, wird er von den Giljaken auch ebenso wie diese zur Nahrung für Menschen und Hunde verwendet‘), doch steht er den Seehunden schon desshalb nach, weil die Jagd auf ihn, von der später die Rede sein wird, viel mühsamer und gefahrvoller ist und auch nur kürzere Zeit im Jahr, nur so lange als der Strom auf ist, betrieben werden kann, sowie ferner weil er auch im Uebrigen lange nicht so nutzbar wie die Seehunde ist, die ausser der Nahrung auch schätzbare Kleidungsstofle liefern. Nichtsdestoweniger geben die zahlreichen Weisswalschädel, die man an manchen Stellen am Ufer des Amur-Stromes an Baumstämmen und Aesten hängen sieht, Zeugniss davon ab, dass 1) 9a. Hinepxv, Teorparo-naroaor. ouepku Bocroun. | Jakuten. Cuönpu (MeAauko-ronorpar. Coopn., C. Herepo. 1870, 3) S. dieses Werkes Bd. I, p. 191. crp. 13). 4) Nach Steller (Beschr. von dem Lande Kamtschatka, 2) Steller (l. c., p. 323) hebt auch von den Itälmenen | p. 106) ist das Fett des Weisswals keineswegs thranig und und Korjaken hervor, dass sie keine Freunde von Ge- | auch das Fleisch von ziemlich gutem Geschmack. bratenem seien, im Gegensatz zu den Tungusen und Schrenck’s Amur-Reise, Band II. 55 132 Die Völker des Amur- Landes. der Weisswal von den Giljaken nicht selten erbeutet und seiner Bedeutung gemäss in her- kömmlicher, abergläubischer Weise behandelt wird. Ganz anders benehmen sich die Giljaken einer anderen Cetacee, dem von ihnen sogen. Keng (Balaenoptera longimana Rud.) gegenüber, der zuweilen im Bereiche ihrer Wohnsitze an den Küsten des Ochotskischen und des Nordjapanischen Meeres strandet. Zwar beuten sie solehe Thiere aus, um mit dem Fett und Fleisch derselben ihre Hunde zu füttern, allein selbst geniessen sie nichts davon. Ja, ihr physischer und moralischer Abscheu davor geht so weit, dass Keng-Fleisch oder Fett nicht einmal in die Jurte gebracht, sondern nur in den Vorrathskammern gehalten wer- den darf. Worauf dieser Abscheu beruht, konnte ich von ihnen selbst nicht in Erfahrung bringen. Die Thatsache aber ist um so auflallender, als bei allen anderen paläasiatischen Völkern Waltfisch- fleisch und Speck zu den beliebtesten Nahrungsmitteln gehören. Die Aino z. B. pflegen einen gestrandeten Walfisch nieht eher zu verlassen, als bis alles Fleisch und Fett an demselben ver- zehrt worden ist!). Steller?) und Krascheninnikof®) schildern eingehend die kolossale Be- deutung, welche die Walfische für die Nahrung und gesammte Haushaltung der Kurilen, Kamtschadalen, sesshaften Korjaken und Tschuktschen haben. Aehnlich verhält es sich damit bei den Aleuten*) und bei den Eskimo in verschiedenen Theilen ihres weiten Verbrei- tungsgebietes®). Dabei hat aber die Erfahrung diese Völker gelehrt, die zur Nahrung tauglichen Walarten von den schädlichen oder «giftigen» zu unterscheiden und vom Meer ausgeworfene todte Thiere nicht eher zur Nahrung zu benutzen, als bis sie sich von der Unschädlichkeit der- selben überzeugt haben). Denn oftmals soll ein voreiliger Genuss vom Fleisch oder Speck sol- cher Thiere verheerende Krankheiten unter der betreffenden Bevölkerung hervorgerufen und das Aussterben ganzer Ortschaften zur Folge gehabt haben ‘). Dergleichen Fälle können sich sehr wohl auch unter den Giljaken und ihren Grenznachbarn an der Meeresküste zugetragen °) und, traditionell in der Erinnerung aufbewahrt, jenen Abscheu und jene Furcht vor dem Genuss, ja selbst vor der Anwesenheit von Walfischlleisch oder Speck in ihren Jurten erzeugt haben. Auch stehen die Giljaken in diesem ihrem Abscheu nicht so isolirt da, denn die Koreaner’) 1) Nach schriftlichen Mittheilungen von Rudanefskij. Vrgl. auchDobrotworskij, Auneko-pycer. c.10Bape (Ilpır- ‚OK. Kb Yuen. 3an. Ka3. Yuusepc., 1875 r., ctp. 37). 2) L. c., p. 98—105. 3) Onne. Kamyarkı (1lo.ın. coöp. y ven. nyrem. 1o Pocein, T. I, crp. 420 u cabAa.). 4) BeniamnmnoB%, 3arl. 00% OCTp. Yuadammkmuck. OT- Ab.a, C. IIerepo6. 1840, 4. I, crp. 81, 82. 5) So z. B. an den beiden Endpunkten ihres Gebiets, auf Kadjak im Osten (Ja»Bbı AOBB, Ipykparnoe uyrem.Bb Anepuky MOpck. OruuepoBB XBocroBan ‚1a».,C. llerep6. 1812, 4. II, erp. 72) und in Grönland im Westen (Cranz, Hist. von Grönland, Bd. I, p. 189). 6) Und zwar indem sie zuvor beobachten, ob die Vogel und Raubthiere von dem Fleisch derselben fressen u. drgl. | (Dawydof, 1. c., p. 200. Vosornuune, 3Jambuanin o Kan- yarkb u Pyceroi Amepukb #% 1809—1811 rr. — Marep. AAA UCTOpIin Pycer. 3ace.a. no Öeper. Bocr. Oreana, Bbın. 2, Hpn.ose. x» Moper. C6opn. N 2, 1861 r., erp. 105). 7) Krascheninnikof (l. c., p. der Ostküste Kamtschatka’s selbst Zeuge solcher Todes- 529) ist in Alaun an falle gewesen und sucht die Ursache derselben darin, dass viele Walfische durch vergiftete Pfeile erlegt werden. 8) So z. B. berichtete die in Wladiwostok erscheinende Zeitung gleiches Namens von mehrfachen Fällen starker Epizootien auf Sachalin, darunter von einer im J. 1882 im Murawjofschen Posten,die in Folge von Benutzung des Fet- tes ausgeworfener Walfische entstanden seien (C. Ilerep6. Bbaon. 1883, Ns 272). 9) Witsen, Noord en Oost Tartarye, 1705, p. 47. Giljaken. Landsäugethiere als Nahrungsmittel. Beliebtheit von Bärenfleisch u. Fett. 433 z. B. und die Koljuschen'), mit alleiniger Ausnahme derjenigen von Jakutat, essen ebenfalls kein Walfischfleisch und keinen Walfischspeck oder Thran. Da die Giljaken kein Jägervolk sind und professionsmässig nur den Pelzthieren nach- stellen, um deren Felle im Handel zu verwerthen, so geben ihnen die Landsäugethiere im Vergleich mit den Fischen und Robben auch nur ein geringes Contingent zur Nahrung ab. Doch wird Alles, was ihnen davon gelegentlich in die Hände fällt, auch Raubthiere, wie Fuchs, Wolf, Vielfrass u. drgl. nicht ausgenommen, verzehrt. Nur ein Thier wird von ihnen standhaft verab- scheut, obwohl sie seiner in nächster Nähe und ohne viel Mühe habhaft werden könnten: es ist die in ihren Jurten in so ausserordentlicher Menge vorhandene Ratte (Mus deeumanus Pall., gilj. njagrsch). Man darf sich darüber um so mehr wundern, als die Ratte im Amur-Lande ohne Zweifel ein Geschenk China’s ist?) und bekanntlich von den für die Amur-Völker sonst so maassgebenden Chinesen als Nahrungsmittel keineswegs verschmäht wird?). Sollten daher die Giljaken in diesem Punkt vielleicht durch Erfahrung, in Folge vorgekommener Fälle von schmerzhafter oder gar tödtlicher Trichinose, eines Besseren belehrt worden sein? Unter allen Landsäugethieren giebt es nur zwei, die als Nahrungsmittel für die Giljaken von beson- derer Bedeutung sind, und zwar sowohl ihres allgemeinen und häufigen Gebrauchs halber, als auch wegen des grossen Gewichts, das sie auf dieselben legen. Es sind dies der Bär und der Hund. Bärenfleisch und Bärenfett sind die grössten Delikatessen, die es für einen Giljaken giebt. Der Bär wird zu dem Zweck, um verspeist zu werden, aus dem Lager gehoben und eine Zeit lang in der Gefangenschaft gehalten und gefüttert. Doch darf seine Verspeisung nach giljakischer Sitte nicht anders als zu gewissen Zeiten und unter Beobachtung vielfacher Ceremonien und Gebräuche geschehen, die in zahlreicher, ad hoc stattfindender festlicher Versammlung vorge- nommen werden. Ich habe Gelegenheit gehabt, diese Bärenfestlichkeiten, die im Leben der Gi- Ijaken eine höchst wichtige Rolle spielen, in allen ihren Einzelakten vom Anfang bis zum Ende als Augenzeuge kennen zu lernen und sehe mich daher genöthigt, sie in einem besonderen, späteren Abschnitt dieses Werkes zu besprechen. Daneben gewährten sie mir aber auch man- chen Einblick in die Nahrung und Küche der Giljaken überhaupt, denn zur Bewirthung der zahlreich versammelten Festgesellschaft müssen auch mancherlei Speisen bereitet werden, wie sie dem Gaumen der Giljaken zusagen. Und so ist das von ihren kulinarischen Erzeugnissen weiter unten Angeführte von mir meist bei soleher Gelesenheit beobachtet worden. D o 1) Langsdorff, Bemerk. auf einer Reise um die | des Chinois anc. et mod., Paris, 1869, T. II. p- 32. Andere; Welt, Bd. II, p. 112. Weniaminof, 1. c., Th. II, p. 60, 99. | wie der engl. Missionär Milne (s. Petermann’s Geoer. 2) S. dieses Werkes Bad. I, p. 128. Mittheil.,1857, p. 436) und Poussielgue (Voyage en Chine 3) Davis,La Chine etc. trad. de l’Angl. par Pichard, | et en Mongolie de Mr. et de Mme de Bourboulon. Paris Paris 1837, T. I, p. 312. John Bowring, Die Chinesen, | 1866, p. 272) läaugnen den Gebrauch von Ratten zur Nah ihre Sitten und Gebräuche (Petermann’sGeogr. Mittheil., | rung bei den Chinesen. 1855, p. 319). Girard, France et Chine, vie publ. et privee | Die Völker des Amur-Landes. Von ganz anderer, nicht sowohl socialer, als praktischer Bedeutung ist die Benutzung des Hundes zur Nahrung seitens der Giljaken. Begreiflicherweise müssen sie bestrebt sein, ihrem einzigen Hausthier, das sie zudem als Zugthier in grösserer Anzahl zu halten genöthigt sind, einen möglichst grossen Nutzen abzugewinnen. Das wird erreicht, indem sie es auch im Fall seines Unbrauchbarwerdens zur Lokomotion, in Folge von Entkräftung oder Beschädigung, noch dadurch verwerthen, dass sie sein Fell zur Kleidung und sein Fleisch zur Nahrung gebrauchen. Erst durch diese dreifache Nutzbarkeit gewinnt der Hund für die Giljaken dieselbe Bedeutung, welche das Rennthier für die Tungusen und andere Rennthiernomaden hat. Zudem finden die Giljaken am Hundelleisch grossen Wohlgeschmack, was insofern ganz verständlich ist, als das- selbe in Folge der fast ausschliesslichen Fischnahrung, welche die Hunde bei ihnen erhalten, eben- falls stark nach Fisch schmecken muss, und dies einem giljakischen Gaumen nicht anders als höchst angenehm sein kann !). Aus diesem Grunde waren die Giljaken auch stets bereit, mir die aufder Reise unbrauchbar gewordenen Hunde gegen ein Billiges abzunehmen. Ohne zwingenden Grund verzehren jedoch die Giljaken ihre Hunde nicht. Ein solcher Grund kann aber leicht genug durch Beschädigung und Unbrauchbarwerden einzelner Thiere, oder bei allzu grosser Zahl derselben und Mangel an entsprechendem Futtervorrath eintreten, ja selbst manche abergläu- bische Vorstellungen können Veranlassung dazu geben. So habe ich es z. B. gesehen, dass im Dorfe Tyk auf Sachalin, wo ich im Februar 1856 in Gesellschaft einiger angereister Tschomi- und Tymi-Giljaken mehrere Tage lang durch heftige Schneestürme zurückgehalten wurde, zur Besänftigung des Unwetters, nachdem andere Mittel bereits vergeblich versucht worden, drei junge Hunde erdrosselt und verzehrt wurden, was sich im Falle der Erfolglosigkeit am nächsten Tage wiederholen sollte. Fleisch und Eingeweide der Thiere wurden in den Kessel, ein Theil auch zu der für die Hunde bestimmten Jukola-Suppe gethan, und — charakteristisch genug — sah ich das mit diesen Anrichtungen beschäftigte Weib von dem blutigen Eingeweide zuvor selbst ein Stück abbeissen und ein anderes Päckchen davon einem Kinde reichen, das sich ebenfalls daran zu laben schien. Ein anderes Mal, im Dorfe Dui, war ich Zeuge der Bewirthung einer zahlreichen Giljaken-Gesellschaft mit Hundelleisch. Dieselbe geschah zur Nachfeier eines vor Kurzem dort begangenen Bärenfestes, von welchem noch Spuren in der äusseren und inneren Ausschmückung der Jurte zu sehen waren. Die Hunde, darunter auch ein paar von mir gelie- ferte Invaliden, wurden vor der Jurte getödtet, abgebalgt, ausgeweidet, das Fleisch und die Knochen zerkleinert und alle zu einem Individuum gehörige Stücke in das Fell desselben einge- findet man die Bemerkung, dass im Lande der Ichthyo- 1) Selbst vom Hundefleisch, das die Giljaken in meiner Gegenwart assen, zu kosten, habe ich nicht über mich bringen können, die Erfahrung aber, dass das Fleisch eines mit Fisch aufgefütlterten Thieres einen penetranten Fischbeigeschmack bekommt, habe ich an einem derar- tigen Schweinchen gemacht, das Maximowicz und ich von den Golde am Ussuri kauften, und von dessen Genuss wir, trotz lang entbehrter Fleischnahrung, aus dem erwähnten Grunde bald abstanden. Schon bei Strabo phagen (an der Küste des jetzigen Beludshistan) das Fleisch der Rinder nach Fisch schmecke (Tyler, Forsch. über die Urgesch. der Menschheit und die Entwickel. der Civilisa- tion, aus dem Englisch. von H. Müller, p. 269). In Kam- tschatka weiss man, dass auch die Milch der Kühe, wenn diese eine Zeitlang in Ermangelung von Heu mit Jukola gefültert worden, stets einen mehr oder minder starken Fischbeigeschmack gewinnt, Giljaken. Der Hund als Nahrungsmittel. Verbreitung der Kımophagie im Norden. 435 schlagen. In der Jurte war die Stelle zwischen der hinteren Sehlafbank und dem Herde, wo während des Bärenfestes das Gerüst mit dem Bärenkopf gestanden hatte), durch zwei Stäbe abgegrenzt, zwischen denen ein mit einem Büschel dünner, lockenförmig gekräuselter Holzspäne, dem sogen. Zach, über dessen Bedeutung in der Folge noch gehandelt werden soll, versehener Stock auf dem Erdboden lag. Jetzt wurden die das Fleisch und die Knochen der Hunde ent- haltenden Bündel in die Jurte gebracht und auf der hinteren Schlafbank in Reih und Glied auf- gestellt, worauf die Weiber daran gingen, Feuer unter den Kesseln auf dem Herde anzu- machen, um das Fleisch zu kochen und aus den Knochen eine Brühe zu bereiten. Diese Zu- bereitungen nahmen jedoch soviel Zeit in Anspruch, dass das Mahl erst spät Abends stait- finden konnte. Mittlerweile machten aber die auf dem Herde lodernden Flammen, der aus den Kesseln aufsteigende Dampf und Qualm und die Menge von Menschen, die nicht bloss alle Schlaf- bänke eingenommen, sondern auch auf dem Erdboden der kleinen Erdjurte sich gelagert hatten, den weiteren Aufenthalt in derselben bald so unerträglich, dass ich mieh genöthigt sah, sie noch vor dem eigentlichen Mahle zu verlassen und mir zur Nacht ein anderes Obdach zu suchen. Wollte man übrigens der im Süden, an verschiedenen Negerstämmen gemachten Erfah- rung, dass der Genuss von Hundefleisch der erste Schritt zur Anthropophagie und ihr Begleiter zu sein pllege °), auch für die nordischen Völker vermuthungsweise Raum geben, so dürfte man bei ihnen ganz vergeblich nach Belegen dafür suchen. Unter den so allgemein und ausgesprochen kynophagen Giljaken ist mir nie etwas begegnet, was eine derartige Vermuthung auch nur entfernt unterstützen könnte. Hingegen glaube ich für diese Völker in Betrefl' der Sitte, Hunde zu essen, als allgemeine Regel aussprechen zu können, dass sie nur bei denjenigen unter ihnen gäng und gebe ist, welche den Hund als einziges Haus- und zwar als Zugthier halten, denn nur in diesem Falle kann er als Nahrungsmittel auch quantitativ einigermaassen in Betracht kom- men und steht seinem Gebrauch als solches auch von moralischer Seite nichts im Wege, da der Zughund keineswegs in dem nahen, individuellen und gewissermaassen persönlichen Verhältniss zu seinem Besitzer steht, wie der Jagd- oder Haushund, der sich durch Treue, persönliche An- hängliehkeit und andere dem Zughunde abgehende Eigenschaften zum beständigen Gefährten und Freunde des Menschen macht. Dem entsprechend, findet man die Kynophagie gleichwie bei den Giljaken auch bei manchen anderen paläasiatischen Völkern. So bei den Aino von Sa- chalin®) und von Jesso, welche letzteren sogar Hunde mästen sollen, um sie nachher zu ver- zehren *). Auch die Eskimo essen Hunde’), doch mag es ihnen damit gegenwärtig an den meisten 1) Das Nähere hierüber wird in dem betreffenden, | auch Siebold, Nippon, VII, p. 204. diesem Gegenstande speciell gewidmeten Abschnitt zu 4) Nach Adam Laxmann, s. Hosoneriis, Rypıması finden sein. (3a. Pycer. Teorp. Odin., Ora. Jruorp., T. IV, 1871, 2) Schweinfurth, Das Volk der Monbuttu in Cen- | erp. 501). tral-Afrika (Zeitschr. für Ethnologie, Berlin, Bd. V, 1873, 5) Alois v. Becker, Arkt. Reise der engl. Yacht p- 10). Peschel, Völkerkunde, Leipz. 1874, p. 168). 3) A0o6porsoperiit, Anucko-pyeer. e.1oBaps (Hpım.ıo:k. ru Yuen. Zar. Uns. Ras. Yungepe., 1875 r., erp. 37). Vrgl. «Pandora» im J. 1876, unter dem Commando des Capit. Sir Allen Young (Ausland, 1879, p. 155). Die Völker des Amur-Landes. Orten, zumal im Norden und Osten ihres Verbreitungsgebietes, kaum besser als auf Grönland gehen, wo nach Rob. Brown!) das sehr geschätzte Hundefleisch wegen seines natürlich sehr hohen Preises nur noch ein seltener Leckerbissen ist. Eine auflallende und ganz einzeln dastehende Ausnahme aus jener Regel scheinen die alten Itälmenen auf Kamtschatka zu bilden, denn obschon sie auch Hunde zum Ziehen der Schlitten und daneben kein anderes Hausthier hatten, so waren doch, wie Steller ausdrücklich bemerkt, unter allen Thieren ihres Landes «nur Hunde, Mäuse und Eidechsen von ihrer Tafel ausgeschlossen ?). Oder sollten sie vielleicht das Hundeessen, bei ihrer, wie bekannt, überaus eifrigen Nachahmung der Russen ?), denen es ein besonderer Gräuel war, zu Steller’s Zeit bereits aufgegeben haben? Umsomehr, als es ihnen bei dem grossen Fischreichthum Kamtschatka’s in materieller Beziehung nicht einmal schwer fallen konnte‘). Solehe Völker hingegen, — so möchte ich die obige Regel weiter formuliren — welche den Hund nur zur Jagd oder zur Bewachung von Haus und Hof halten, zum Fahren, Reiten oder Lastentragen aber sich eines anderen Hausthieres, des Rennthiers oder Pferdes bedienen, wie die Oroken, die sibirischen Rennthier-Tungusen, Orotschonen, Manä- girn u. s. w., essen nicht nur kein Hundefleisch, sondern haben sogar einen mehr oder minder ausgesprochenen Abscheu davor. Von diesem Gesichtspunkte ist es bemerkenswerth, dass die Oltscha, die gegenwärtig ganz dieselbe Lebensweise wie die Giljaken haben und ebenfalls nur ein Hausthier, den Hund, und zwar als Zugthier besitzen, dennoch kein Hundelfleisch essen. Als Pargatschefskij im Dorfe Pulj sie darum befragte, drückten sie ihm ihren Abscheu vor einer solchen Kost aus und bezeichneten dies sogar als das sie von den Giljaken unter- scheidende Moment’). Man könnte darin auf den ersten Blick eine Widerlegung des ersten Theiles der oben von mir aufgestellten Regel sehen; genauer betrachtet, giebt es aber eine glänzende Bestätigung ihres zweiten Theiles ab. Denn, wie oben dargethan, sind die Oltscha ehemals Rennthiernomaden gewesen und erst durch den Verlust ihrer Rennthiere zur Nieder- lassung am Amur und zu einem Fischerleben gleich den Giljaken gedrängt worden‘). Und wie die Erinnerung an jenen Lebenswechsel in ihren Sagen fortleben soll, so darf es uns nicht wundern, dass auch der aus jener Nomadenzeit datirende Abscheu vor dem Genuss von Hunde- Nleisch sieh beiihnen erhalten hat. Man kann daher auch umgekehrt in diesem ihrem Abscheu einen Beweis mehr für ıhr früheres Rennthiernomadenthum sehen. Aehnlich dürfte es sich damit bei den Negda, Samagirn und Kile verhalten‘). Ja, auch von den Golde und Orotschen ist mir weder aus eigener Erfahrung, noch durch andere Reisende (Wenjukof, Przewalski, Na- 1) Die Säugethiere Grönlands und der Grönländ. Meere (Petermann’s Geogr. Mittheil., 1869, p. 464). 2) Steller, 1. c., p. 323. Krascheninnikof erwähnt dessen nicht. 3) Steller,l. c., p. 285 u. a. 4) Nach den von der Vega-Expedition gemachten Beob- achtungen verschmahten übrigens auch die Tschuk- tschen von Pitlekai und Jinretlen von dem Fleisch eines getödteten Hundes zu essen (Nordenskiöld, Die Umse- gelung Asiens und Europas, Bd. II, p. 96). Ob dies aber allgemein bei den Tschuktschen ist, bleibt noch dahin- gestellt. 5) Hapraueseriir, Hobsara anmunmG IYTeMB BRepx% no p. Auypy (Bberu. Um. Pycer. Teorp. O6., 4. 21, 1857, Ora. Usc.a. ıı Marep., crp. 162). 6) S. oben, p. 132, 144 u. a. 7) S. oben, p. Giljaken. Essbare und nmichtessbare Vögel. 437 J darof) bekannt, dass sie Hundelleisch ässen. So bleibt die Kynophagie im Amur-Lande, Sachalin mit einbegriffen, auf die beiden paläasiatischen Völker, Giljaken und Aino, be- schränkt und muss als eine ihnen seit uralter Zeit eigene Sitte betrachtet werden. Schon der Umstand, dass sie allen im Amur-Lande weiter stromaufwärts, zum Ussuri und Sungarı hin wohnenden Völkern abgeht, macht es unzweifelhaft, dass dabei an einen etwaigen Einfluss von Seiten der Chinesen, die bekanntlich alles Mögliche und darunter auch Hunde, Katzen, Ratten u. drgl. essen '), nicht im Entferntesten zu denken ist. Dahingegen dürfte der in Korea beliebte Genuss von Hundefleisch ?) vielleicht auf chinesischen Einfluss zurückzuführen sein. Weit weniger Nahrungsmittel als die Säugethiere liefern den Giljaken die Vögel. Schon aus dem Grunde, weil denselben ihres anderweitigen geringen Nutzens wegen nur wenig nach- gestellt wird und sie in der Regel auch weit schwerer zu erbeuten sind. Was jedoch davon den Giljakenin die Hände fällt, wird ohne Unterschied verzehrt, und manche Vögel, denen zeitweise leichter beizukommen ist, geben hie und da auch einen etwas grösseren, wenn auch immer nur geringen Beitrag zu ihrer Nahrung ab. So wird von ihnen z. B. an manchen Orten das Schnee- huhn (Zagopus albus Gm., gilj. parrä, auf Sachalin £schleola-nga) vermittelst einfacher Schlingen in Menge gefangen. An der Westküste Sachalin’s, von Tyk bis Dui, sah ich sie mit vielem Vergnügen die Phaleris ceristatella Pall. (gilj. nochla-nga) verzehren, die ihnen im Winter dadurch leicht zur Beute fällt, dass sie sich in der Nähe oflener Meeresstellen bald einzeln, bald in kleinen Schwärmen aufs Eis niederlässt und an dasselbe anfriert. Auch das Fleisch des Seeadlers, den die Giljaken aus dem Horst heben und mit Fisch auflüttern, um den Schwanz an die Japaner zu verhandeln, wird, wenn seine Todesstunde geschlagen, von ihnen verzehrt. Nur die Krähe (Corvus Corone L., gilj. karr) scheinen die Giljaken prineipiell nicht zu essen, obgleich oder vielleicht weil sie meistentheils von derselben Nahrung wie sie selbst lebt, denn sie hält sich gern und zahlreich in der Nähe ihrer Dörfer und Hütten auf, um vom Abfall des Fischfanges und der Jukolabereitung zu profitiren, und stellt sich auf dem Mittags- oder Nachtlagerplatze reisender Giljaken, noch ehe das Feuer auf demselben erloschen, ein, um die etwaigen Mahlzeitsreste zu verzehren; ja, sie kommt ihnen nicht selten mit dem Verspeisen 1) Und zwar wird Hundefleisch in China nicht etwa bloss vom niederen Volk, aus Mangel an anderweitiger Nahrung, sondern allgemein und selbst an den besten und elegantesten Tafeln gegessen. Unter den vielen älteren und neueren Nachrichten daruber möge hier nur auf folgende verwiesen werden: Neuhof, Die Gesandtsch. der Ost-Ind. Gesellsch. in den verein. Niederland. an den Tart. Cham, Amsterd. 1666, p. 275. Ysbrants Ides, Driejaar. Reize naar China, Amsterd. 1704, p. 103. Du Halde, Deser. de VEmp. de la Chine, Paris 1735, T. II, p. 138. Bell d’An- termony, Voyage dans div. contrees de V’Asie, trad. de l’Angl. par M’**, Paris 1746, p. 343, Staunton, Des Graf. Macartney Gesandtsch.nach China, aus dem Engl., Frankf. und Leipz. 1798, Bd. II, p. 173. Davis, La Chine etc. T. I, p- 312; T. I, p. 236. Taxuno%, Kırraii u np., C. Herepo. 1840, crp. 262, 369, 377. Itier, Chine, Paris 1848, T. I, p. 302; T. le-Vayer, Une Ambass. Franc. en Chine, Paris 1854, Journ. d’un Voyage en II, p. 50. Ferriere- p. 197. Bowring, Die Chinesen (Petermann’s Geogr. Mittheil., 1855, p. 319). Fleming, Travels on horseback in Mantchu Tartary, London 1863, p. 249. Girard, France et Chine, Paris 1869, T. II, p. 32. 2) Witsen, Noord en Oost Tartarye, 1705, p. 57. O. Genest, Capit. Jacobsen’s Besuch bei den Koreanern (Globus, Bd. LII, p. 61). 138 Die Völker des Amur-Landes. einer ans Meereseis festgelrorenen Nochla-nga oder eines in die Falle gerathenen Thieres noch zuvor. Vielleicht werden die Giljaken dabei auch noch von irgend welcher auf diesen Vogel be- züglichen abergläubischen Vorstellung beherrscht, wie etwa die Tschuktschen !) und die Eskimo (vom Kotzebue-Sunde), welche die Rabenkrähe für die Urheberin der Welt halten °). Jeden- falls sah ich sie auf Reisen bisweilen oben auf der mit Provision und Handelsgegenständen bela- denen Narte einen Krähenkopf mit sich führen, wie sie mir selbst sagten, als ein Glück bringen- des Mittel. Ganz ähnliche Vorstellungen wie über die Krähe herrschen übrigens bei den oben genannten Völkern, den Tschuktschen, den Eskimo von Kadjak, den Kenaiern und den Koljuschen auch in Beziehung auf den Raben, und die Letzteren essen diesen daher auch nicht). Bei der grossen Aechnlichkeit beider Vögel im Aeusseren wie in der Lebensweise, ist es sehr wohl möglich, dass auch die Giljaken sich gegen beide gleich verhalten und den Raben somit ebenfalls nicht essen. Unter den Reptilien und Amphibien giebt es kein einziges Thier, das die Giljaken ässen, da sie vor allen, insbesondere aber vor Schlangen und Kröten eine in abergläubischen Vorstel- lungen wurzelnde Furcht haben, von welcher in der Folge noch mehrfach die Rede sein wird ®). Endlich muss unter den animalischen Nahrungsmitteln der Giljaken auch einiger wirbel- losen Thiere Erwähnung geschehen, denn die Küsten-Giljaken verschmähen es nicht, manche von der See ausgeworfene oder von der Ebbe hinterlassene CGrustaceen und Weichthiere auf- zulesen und zu verzehren. So bezeichneten sie mir z. B. an der Westküste Sachalin’s die Tel- lina venulosa (gilj. kär wub)°), die Mactra sachalinensis (gilj. moghomi-wellach)°), noch eine dritte Muschel, die sie jotang-wellach nannten, und die mir unbekannt blieb, als solche Arten, deren Thier sie ässen, und rühmten ihnen zugleich nach, dass sie «süss wie Zucker» seien. Der animalischen Nahrung gegenüber tritt die vegetabilische bei den Giljaken stark zurück. In erster Reihe stehen hier, weil allgemein zugänglich und umsonst zu haben, die ein- heimischen wilden Naturprodukte, mancherlei Beeren, kleine Baumfrüchte, Wurzelknollen, Kräu- ter, Algen und Seetange. Alle diese Vegetabilien werden nur als Zukost zur animalischen Nah- rung oder mit dieser gemischt und zu verschiedenartigen Speisen bereitet genossen. Obenan unter ihnen steht namentlich die Preisselbeere, Vaccinium Vitis tdaea L. (gilj. myghr-als‘) oder auch 1) Kuösepn, 'ykun (Cuönper. Bbern., 1824, 4. II, | selbst Schlangen gegessen. Jakinf, l. c., p. 262, John Jrnorparia, erp. 119. 2) Berth, p- 30, 72. Bowring,l. c. 5) S. dieses Werkes Bd. II, p. 556—558. 6) Ebenda, p. 575—578. Wiea a. O. bereits erwähnt, Seemann, Reise um die Welt, Bd. I, 3) Lutke, Voyage aulour du monde, Paris 1835, T. I, p- 189, 214. Nach Asiens und Europas, Bd. IL, p. 96) hingegen hatten die Nordenskiöld (Die Umsegelung Tschuktschen von Pitllekai und Jinrellen gegen den | Genuss eines geschossenen Raben nichts einzuwenden. 4) In China werden auch Frösche, Schildkröten und heisst wellach eine Schnecken- oder Muschelschale über- haupt; das Thier der Moghomi-wellach aber soll nach Glehn pubk heissen. 7) Das s ist gleich dem französischen 2. in diesem Worte weich auszusprechen, Giljaken. Vegetabilische Nahrungsmittel, Beeren. 439 als, d. h. «Beere» schlechtweg genannt) !), sowohl was die Quantität ihrer Consumtion, als auch ihre vielfältige Verwendung und den Wohlgeschmaek betrifft, den die Giljaken am Genuss derselben finden. Alljährlich im Herbst werden daher grosse Vorräthe von dieser Beere für den Winter gemacht. Zu dem Zweck begeben sich ganze Familien, namentlich aber die Weiber und Kinder in den Wald, besonders die kleinen, zum Amur oder Liman mündenden Flüsse aufwärts. Dort wird an gelegener Stelle ein Zelt oder auch nur ein schräges, von vier Stangen getragenes Schutzdach errichtet, vor welchem ein Feuer lodert, und die ganze Zeit dem Sammeln von Beeren gewidmet. In der Umgegend des Nikolajefschen Postens bin ich am Kamr- und Litsch-Flusse wiederholt auf solche beerensammelnde Familien gestossen. Die Beeren werden in grosse, aus Birkenrinde gefertigte Taschen und Körbe geschüttet und zu Boot nach Hause gebracht, wo sie in den Vorrathskammern, mit Gras bedeckt, den Winter über in gefrorenem Zustande aufbewahrt werden. Die Giljaken um Nikolajefsk hatten davon so viel, dass sie ausser dem eigenen Bedarf den ganzen Winter hindurch auch die dortigen Russen damit ver- sorgten. Preisselbeeren, mit Fisch- oder Seehundsthran übergossen und umgerührt, bilden die ganz gewöhnliche Zukost zur Fisch-, namentlich Jukolanahrung der Giljaken. Ausserdem geben sie aber auch eine beliebte Zuthat für viele Speisen der Giljaken ab, so unter Anderem für eine der wichtigsten derselben, das sogen. Mossj. Dies ist ein Gemisch von zerriebenen Fisch- häuten oder in Ermangelung solcher auch von zerkleinerter Jukola mit Fischthran und Beeren. Die Fischhäute, vom Lyghi- oder vom Tengi-tscho, werden zur Bereitung von Mossj in kleine Stückehen zerschnitten, stark gekocht, zerrieben und mit Fischthran zu einem Brei von weisser Farbe zusammengemischt, in welchen zuletzt noch Preisselbeeren hineingerührt werden °). Das giebt eine diekflüssige Masse, gleich dieker Milchsahne (saurem Schmand). So habe ich das Mossj zum Bärenfest in Tebach bereiten sehen, da es nothwendig zu einem solchen gehört und sowohl von den Festtheilnehmern gegessen, als auch dem Bären gereicht wird. Zu anderen Zeiten habe ich es aber auch aus feinzerschnittener, gekochter und mit Fisehthran und Preisselbeeren zu- sammengerührter Jukola herstellen sehen. Kühlt sich die Masse hinlänglich ab, oder gefriert sie ein wenig, so lässt sie sich mit dem Messer in Scheiben schneiden. Je nach der benutzten Fischart unterscheiden die Giljaken Zyghi- und Tengi-mossj, von welchen sie dem ersteren den Vorzug geben. Ein kleiner Vorrath davon wird von ihnen gern auch auf Winterreisen mitgenom- men. Zum Mittagsmahl am lodernden Feuer habe ich sie dann mit ein paar Streifen an der Flamme erwärmter oder leicht gerösteter Jukola, einigen Scheiben Mossj und einem Trunk Schneewassers vollkommen Vorlieb nehmen sehen. Nächst der Preisselbeere ist Empetrum nigrum L. (gilj. yghych) die gebräuchlichste und beliebteste Beere bei den Giljaken. Sie wird ganz ebenso wie jene, ja oft an Stelle derselben sowohl als Zukost, wie als Zusatz zum Moss] und anderen Speisen 1) Die Giljaken von Tymy und der Ostküste Sacha- | riebenen Fischhauten mit Beimischung von zerstampften lin’s nennen die Preisselbeere itkt oder paghla(n)-als, | Cedernüssen, war nach Steller (l. c., p. 325) auch bei den d. h. rothe Beere. Kurilen auf der Südspitze Kamtschatka’s gebrauchlich. 2) Eine ganz ähnliche Speise, aus gekochten und zer- Schrenck’s Amur-Reise, Band III, 56 Die Völker des Amur-Landes. benutzt und auch ebenso in Menge gesammelt und aufbewahrt. Im Tymy-Thale auf Sachalin ist sie sogar häufiger und gebräuchlicher als die Preisselbeere. An anderen Orten, wie z. B. bei Tymi am Liman, wird die Kransbeere, Vaccinium Oxycoceus L. (gilj. tym-als) mit Vorliebe und in Menge gegessen, doch ohne jene beiden ersteren auch im Mossj zu ersetzen. Auch andere Beeren, wie Rubus Idaeus L. (gilj. kelam), R. Chamaemorus L. (gilj. edeni-als) u. a. werden gelegentlich gegessen, ohne jedoch von Bedeutung zu sein. Eine schmackhafte Speise liefert den Giljaken die Frucht der wilden Rose, Rosa cinnamo- meaL., giljakisch auf dem Festlande tityrsch und tsebi, auf Sachalin pilj-als, d.h. grosse Beere, genannt‘). Die im Herbst vorräthig eingesammelten Hagebutten werden, wie ich es in Tyk an der Westküste Sachalin’s wiederholentlich gesehen, noch gefroren in den Kessel gethan, er- wärmt, zerrieben und mit Seehundsthran zu einem Brei gerührt, der mit Löfleln gegessen wird. Charakteristisch für das vorzügliche Gebiss und die kräftigen Kauwerkzeuge der Giljaken ist der Gebrauch, den sie von den Früchten von Prunus Padus L. und von den Ceder- oder Zirbelnüssen (gilj. Zohrs), einem vornehmlichen Produkt Sachalin’s, machen). Beide habe ich sie handvollweise wie die weichsten Beeren verzehren sehen, ohne dass die Kerne oder die Nüsse zuvor zerstampft und die Schalen entfernt worden wären. Letzteres geschieht auch nicht, wenn aus ihnen eine Art Kuchen bereitet wird. Die Faulbaumfrüchte werden dabei nur zer- stampft und mit Hülfe von etwas Mehl und Thran zu einem Kuchen geformt, der bei den Gi- Ijaken auf dem Festlande Ayp, auf Sachalin kap heisst. Die Zirbelnusskerne und Schalen aber werden in eine aus der zerriebenen Rinde des Faulbaumes mit Hülfe von Seehundsthran ge- wonnene teigartige Masse von rothbrauner Farbe eingeknetet, welcher man die Form etwa span- nenlanger und ebenso breiter, auf der Oberseite mit einigen Figuren verzierter Kuchen oder Brödchen giebt. Nicht unansehnlieh ist die Zahl der Wurzeln, welche die Giljaken als Nahrungsmittel ge- brauchen. Leider bin ich von vielen nicht im Stande, den systematischen Namen der Pflanze an- zugeben, zu welcher sie gehören ®). Die meisten Wurzeln, namentlich diejenigen verschiedener Zwiebelgewächse, werden in Fisch- oder Seehundsthran gekocht genossen. So insbesondere die Zwiebeln von Fritillaria kamtschatkensis Gawl. (gilj. kark) und von Lilium spectabile Link. (gilj. nork), welche man auf Fäden aufgereiht in ihren Vorrathskammern hängen sieht; des- Heracleum dissectum Led. (gilj. vyghr) und manche andere, mir unbekannt gebliebene Wurzeln, wie Zuksj, udalak, gleichen die Wurzeln von Corydalis ambigua Cham. (gij. tschjurk), 1) Desgleichen auf Sachalin die Frucht der Rosa rugosa Thbg., bei den dortigen Giljaken nach Glehn pilja- latsch genannt; s. Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Sachalin (Mem.de Il’ Acad. des se. de St. Petersb., VII® Ser., T. XII, N 2, p. 213, 215). 2) Die entsprechenden Baume heissenbeiden Giljaken tass) (Prunus Padus) und chim (Pinus Cembra, pumila). 3) Die nachstehend mitgelheilten Namen beruhen auf den Bestimmungen, welche Maximowicz bei Ausarbei- tung seiner «Primitiae florae amurensis», St. Petersb. 1859 (Mem. pres. a ’Acad. Imp. des sc. par divers savants, T. IX) und Fr.Schmidt fur den botanischen Theil seiner «Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Sachalim, 1868 (Mem. de l’Acad. Imp. des Se. de St. Pet., VII® Ser., T. XII, N: 2, p. 212) nach den von ihm und Glehn gesammelten Materialien gemacht haben. Giljaken. Vegetabil. Nahrungsmittel: blattpflanzen, Flechten, Algen, Seetang. A441 mryu, plim, a(r)sj u. drgl. m. Manche Zwiebeln, wie die von den Giljaken ngyfli genannte, welche vermuthlich einer Allzum-Art angehört, werden in frischem Zustande zerschnitten und den Speisen als Würze beigefügt, und ebenso wird auch das zerschnittene und getrocknete Kraut mancher Laucharten, (gilj. hagi), auf dem Festlande wohl meist von Allium schoenopra- sum L., auf Sachalin von Allium vietoriale L., in die Brühen gethan, um sie schmackhafter zu machen, wesshalb die Giljaken sich zum Winter mit einem ansehnlichen Vorrath desselben versorgen !). Von manchen anderen Pflanzen werden die jungen Blätter und geschälten Blattstiele und Stengel zur Nahrung benutzt, indem man sie mit Fisch- oder Seehundsthran zu einer Suppe ver- kocht; so von Cacalia hastata L. (gilj. pytk), Epilobium angustifolium L. (gilj. tschola), nach Glehn auch von Polygonum Weyrichii Schm. (gilj. haps), Heracleum barbatum Led. (gilj. nukr), Senecio pseudo-arnica Less. (gilj. kengs) und Petasites japonieus S. et Z. (gilj. Zöllu und fol-achs) ?). Die erstere Pflanze namentlich scheint sehr gebräuchlich zu sein. Ich habe sie von den Giljaken im Dorfe Tyk auch im Winter essen sehen, nach einer sehr langwierigen und complieirten Zubereitung. Zunächst wurden von der trockenen, im Sommer vorräthig ein- gesammelten Pflanze die Blätter abgerupft und in einem Kessel in Wasser gekocht. Alsdann wurde der Inhalt in einen hölzernen Trog geschüttet und abgekühlt, worauf das Wasser aus den Blättern wie aus einem Stück Wäsche ausgerungen wurde. Die so entstandenen länglichen Blät- terballen wurden nun mit dem grossen Fischmesser in sehr kleine Stückchen zerschnitten, mit Lyghi-tscho-Rogen durcheinander gerührt und das Ganze nochmals in Wasser zu einer diekllüs- sigen Suppe gekocht, welche aus hölzernen Schalen halb gelöffelt und halb getrunken wurde. Ein paar Tage später sah ich dieselbe Speise nur mit dem Unterschiede bereiten, dass an Stelle des Fischrogens fein zerschnittener Seehundsspeck den Blättern beigemischt wurde. In ganz ähnlicher Weise verwenden die Giljaken auch verschiedene Flechten, namentlich die Rennthierllechte, Cetraria islandica L. (gilj. chitwyrk)?), und eine Baumflechte, Usnea (gilj. tschwalch, und zwar als kana (weisser)- und piula (blauer) -schwalch unterschieden), zur Nahrung, indem sie aus ihnen mit Hinzufügung von Fischrogen oder Seehundsthran Suppen bereiten. Wie der Wald, so liefert den Giljaken endlich auch das Meer einige vegetabilische Nah- rungsmittel, darunter namentlich eine essbare Alge, welche sie /schollach nennen ®), und die La- minaria esculenta (gilj. putsch). Letztere habe ich im Dorfe Tyk in ganz ähnlicher Weise wie die obenerwähnten Baumalgen und andere Pflanzen verzehren sehen, indem sie mit zerkleinerter Jukola vermischt in Wasser gekocht wurde, wobei sie, wenn ganz zerkocht, in der Suppe eine kleistrige, zähe Masse von weisser Farbe abgab. Die Giljaken sammeln und trocknen die La- minaria in kleinen Vorräthen für den Winter, was sie vielleicht den Aino abgesehen haben, 1) Vermuthlich von der Menge dieses Naturproduktes | fassenden Archipel ausgedehnt haben. hat eine der kleinen,imsüdlichen Theile des Amur-Limanes 2) Glehn, ]. c., p. 212— 214. gelegenen Inseln von den Giljaken den Namen Hagi-mif 3) Bei den Oltscha: chity. (mif heisst Land überhaupt) erhalten, eine Bezeichnung, 4) Glehn, 1. c., p. 214. welche die Russen auf den ganzen, acht kleine Inseln um- RS) Die Völker des Amur-Landes. die es nach Schmidt!) ihrerseits von den Japanern gelernt haben, welche die Aino dazu an- halten und alljährlich ganze Schiflsladungen von getrockneter und künstlich aufgerollter Lami- naria von Sachalin nach Hakodate und Matsmai senden. Sind die oben besprochenen vegetabilischen Naturprodukte den Giljaken insofern von grosser Bedeutung, als sie bei einiger Mühe und Vorsorge Allen zugänglich sind und, wenn auch an sich nur wenig nahrhaft, doch wesentlich zur grösseren Schmaekhaftigkeit und Mannig- faltigkeit ihrer Nahrung beitragen und sie in kargen Zeiten, wenn kein Fisch- und Thierfang stattfindet und die animalischen Vorräthe stark zur Neige gegangen, sogar vor Hungersnoth bewahren, so verhält es sich ganz anders mit denjenigen Vegetabilien, welche das Land selbst nicht produeirt, und welche die Giljaken nur im Handel mit den angrenzenden Culturvölkern, Chinesen, Japanern und Russen, sich verschaffen können. Diese Nahrungsmittel, einige Cerea- lien und Leguminosen, sind zwar weit nahrhafter, haben aber für sie im Ganzen eine geringere Bedeutung, ja können gewissermaassen als Luxusartikel bezeichnet werden, indem sie direkt nur den Bemittelteren unter ihnen zukommen und auch von diesen nicht beständig, sondern nur bei gewissen Gelegenheiten genossen werden. Im alltäglichen Leben werden sie von den Giljaken nur selten oder fast gar nicht gebraucht. Während der Bärenfestlichkeiten hingegen werden grosse Mengen derselben verzehrt, und da solche Feste nieht eben selten statthaben und beim communistischen Sinne der Giljaken zahlreiche Theilnehmer finden, so kommen allerdings die im Besitz eines Einzelnen angehäuften Nahrungsmittel der Art, sobald er als Gastgeber auf- tritt, stets auch einer mehr oder minder grossen Anzahl anderer und minder bemittelter Giljaken zu gute. Bei solchen Gelegenheiten habe ich denn auch die verschiedenen, bei den Giljaken üblichen Nahrungsmittel der Art und die Form, in welcher sie von ihnen genossen werden, näher kennen gelernt. Es sind ihrer, wie gesagt, nicht viele. In erster Reihe stehen die von den Chi- nesen bezogenen Cerealien. Am häufigsten und beliebtesten bei den Giljaken ist chinesische oder, wie sie stets sagen, mandshurische Hirse, Setaria italica (gilj. buda), und nächstdem chi- nesische Gerste (gilj. mudi). Weit seltener und auch weniger beliebt ist Sorghum vulgare L. (gilj. ssjussj)*). Sehr hoch geschätzt dagegen ist bei den Giljaken japanischer Reis doch ist er nur sehr selten bei ihnen zu finden. Judin, ein sehr angesehener Giljake, der Gastgeber des Bärenfestes, dem ich im Winter 1856 im Dorfe Tebach beiwohnte, besass noch den Rest eines Vorraths, den er sich vor Jahren von den Japanern (Sisam) auf Sachalin geholt hatte, doch war dieser zu klein, um den zahlreichen Gästen vorgesetzt zu werden. Sobald die Russen sich im unteren Amur-Lande, in Petrofskoje Simowjo, Nikolajefsk und Mariinsk niedergelassen hatten, begannen die Giljaken sich auch bei ihnen mit kleinen Quantitäten verschiedener Ce- realien zu versorgen. Namentlich fanden Buchweizengraupen bei ihnen den grössten Beifall, so dass ich diese auf dem erwähnten Bärenfeste 1856 schon in grosser Menge auftischen sah. Des- (b) gleichen sagte ihnen das billige russische Roggenmehl (gilj. owa) sehr zu, da sie von den Chi- 1) 1: C51P. 98: dieselbe Bezeichnung, das letztere heisst bei ihnen und bei 2) Die beiden ersteren haben auch bei den Oltscha | den Golde ssjussw. Giljaken. Vegetabil. Nahrungsmittel: Cerealien, Gemüse. Abschew vor Salz. 443 J Y h nesen für einen hohen Preis nur geringe Quantitäten von Weizenmehl (gilj. rhak) beziehen konnten. Alle oben erwähnten Cerealien werden von den Giljaken zu einem dicken, trockenen Brei gekocht und mit Fischthran genossen, der, wie bei uns die geschmolzene Butter, in eine vermittelst des Löffels oder eines Stäbchens in die Grütze gemachte Vertiefung gegossen wird. Das Mehl findet bei ihnen eine verschiedene Verwendung. Die hauptsächlichste besteht in der Bereitung einer Art Kuchen oder Brödehen. Zu dem Zweck wird es mit Fischthran übergossen und zu einem Teig geknetet, — eine Arbeit, welche die Weiber in der Art ausführen, dass sie den Mund voll Wasser nehmen und davon beim Kneten des Teiges so viel als nöthig in den- selben herabfliessen lassen. Aus diesem Teige werden flache, längliche und runde Brödehen ge- formt, im grossen Kessel des Herdes in Wasser gekocht und schliesslich hin und her zerbrochen und mit Fischthran übergossen. Eine andere, dem Gaumen der Giljaken sehr zusagende Speise erhalten sie dadurch, dass das Mehl mit halbzerquetschten Preissel- oder Rauschbeeren (YUmpe- trum nigrum) und Fischthran vermischt und zu einem Brei umgerührt wird. Von Gemüsen ist bei ihnen nur eines und auch dieses fast nur bei festlichen Gelegenheiten im Gebrauch. Es sind dies gewöhnliche, weisse oder gelbliche Bohnen (Phaseolus vulgaris L., gilj. tursch), die sie von den weiter oberhalb am Amur und am Sungarı wohnenden Chinesen beziehen. Diese werden zu- nächst gekocht und alsdann mit Fischthran, zerkleinertem Kyp (s. oben) und fein geschnittenem trockenen Lauch (hagi), ja bisweilen auch noch mit Beeren von Eimpetrum nigrum durehge- rührt, — eine durch ihre seltsamen Zusammenstellungen in der That eigenthümliche kulina- rische Leistung. So werden nicht bloss die mancherlei einheimischen, mehr als Zukost dienlichen, sondern auch die wenigen, wirklich nahrhaften exotischen Vegetabilien, welche die Giljaken als Nah- rungsmittel gebrauchen, von ihnen nicht anders als mit einem mehr oder minder starken Zusatz von Fischthran genossen. Die ichthyophage Natur der Giljaken bleibt sich eben auch hiebei treu. Und somit bildet, trotz der nicht wenigen oben aufgezählten vegetabilischen Nahrungsmittel, die animalische und speciell Fischnahrung im Grossen und Ganzen doch die Basis und Grund- bedingung der Existenz der Giljaken. Eines hinsichtlich der Nahrung der Giljaken beachtenswerthen Umstandes muss hier noch gedacht werden. Es ist die Thatsache, dass sie bei ihrer Nahrung gar kein Salz gebrauchen, ja sogar einen gewissen Abscheu vor demselben haben. Ich erlaube mir hier zunächst zu wieder- holen, was ich darüber bereits vor einigen Jahren dem Hrn. Dr. Gustav Bunge!) briellich mit- getheilt habe, und was von ihm auch gedruckt wiedergegeben worden ist”). Trotz meines län- geren Aufenthältes unter den Giljaken und manches Einbliekes in ihre Nahrung und Speisebe- reitung, habe ich nie gesehen, dass sie zu irgend welcher Speise Salz hinzufügten, oder es sonst wie genössen. Ich bin auch nie von ihnen um welches angegangen worden und wüsste nicht, 1) Damals Docent in Dorpat, gegenwärtig Professor | handlung über die Bedeutung des Kochsalzes und das Ver- in Basel. halten der Kalisalze im menschlichen Organismus» (Zeit- 2) In seinem Artikel «Ethnologischer Nachtrag zur Ab- | schrift für Biologie, Bd. X, München 1874, p. 115). Die Völker des Amur-Landes. PS on PS dass sie in Nikolajefsk, wo es käuflich zu haben war, je darnach gefragt hätten. Einen sprechen- den Beleg dafür, wie wenig es zu ihren Bedürfnissen gehört, lieferte mir ferner folgendes Erleb- niss: da mir gegen Ende meiner Reise im Winter 1856 das Salz ausgegangen war, erkundigte ich mich darnach in jedem Giljaken-Dorfe der Westküste Sachalin’s und des Amur-Liman’s, das ich passirte, jedoch stets vergeblich, bis mir endlich im Pronge an der Amur-Mündung ein hasel- nussgrosses, in ein schmutziges Läppchen eingewickeltes Klümpchen davon gebracht wurde, das der Besitzer einmal zufällig erhalten hatte und als werthloses Curiosum aufbewahrte. Wiederholt äusserten mir auch die Giljaken, wenn sie mich Salz essen sahen, ihren Widerwillen dagegen. Aus zahlreichen ähnlichen Aufzeichnungen über den Gebrauch oder Nichtgebrauch des Salzes bei verschiedenen Völkern zieht Dr. Bunge den gewiss ganz richtigen Schluss, «das alle dieje- nigen Völker, welche fast ausschliesslich von animalischer Nahrung leben, — Jäger, Fischer, Nomaden (und dazu gehören auch die Giljaken) — das Salz entweder gar nicht kennen, oder, wo sie es kennen lernen, verabscheuen, während die vorherrschend von Vegetabilien sich nährenden Völker ein unwiderstehliches Verlangen darnach tragen und es als unentbehrliches Lebensmittel betrachten», — ein Verhalten, das sich nach seinen trefflichen Auseinandersetzun- gen vom chemiseh-physiologischen Gesichtspunkte als ganz begründet erweist!). Hinsicht- lich der Giljaken aber sehe ich mich durch die erwähnten Auseinandersetzungen Dr. Bunge’s zu einigen ferneren Bemerkungen über den Gebrauch oder vielmehr Nichtgebrauch des Salzes bei ihnen veranlasst. Die einzige Gelegenheit nämlich, bei welcher die Giljaken, wie aus den obigen Mittheilungen zu ersehen ist, pllanzliche Nahrungsmittel und zwar Cerealien und Legu- minosen in grösseren Quantitäten zu sich nehmen, sind die Bärenfeste. Ist es daher nicht auf- fallend, dass der Abscheu der Giljaken vor dem Salz alsdann nicht nur nieht schwindet, sondern im Gegentheil ganz besonders praegnant zu Tage tritt, indem es beim Bärenfest sogar für witsch (unheilbringend) gilt, Salz zu den Speisen hinzuzufügen? Dennoch scheint mir dies jener Schluss- folgerung Dr. Bunge’s und ihrer ehemisch-physiologischen Begründung nicht zu widerstreiten. Denn einmal finden die Bärenfeste doch nur zeitweise hier oder da statt, was den im Ganzen sehr vorwiegend animalischen Charakter der giljakischeu Nahrung nicht alterirt; zweitens sind die auf denselben zur Verspeisung kommenden Mengen pflanzlicher Nahrung auch nur in dem l’alle erheblich, wenn der Gastgeber ein sehr bemittelter, im Handel mit Chinesen, Russen oder Japanern stehender Mann ist, während sie sonst und für gewöhnlich der Menge animalischer Nah- rung, namentlich an Bärenlleisch und Fett, doch nachstehen dürften; und drittens endlich sind die Bärenfeste eine altnationale, wie wir sehen werden, mit manchem tiefwurzelnden Aberglau- ben durchdrungene Sitte der Giljaken, bei welcher eine jede Neuerung auf besonders hart- näckigen Widerstand stossen musste. Sie hat sicherlich bei ihnen bestanden, lange bevor sie das Salz kennen gelernt hatten, wie man schon aus dem Umstande schliessen möchte, dass sie für dieses letztere keine selbständige, sondern nur eine etwas modifieirte fremdländische Bezeich- nung haben. Denn die giljakische Bezeichnung taftsch für das Salz dürfte doch wohl aus dem 1) Vrgl. auch sein Lehrbuch der physiolog. und patholog. Chemie, Leipzig 1887, p. 109 fl. Giljaken. Verschiedenes Verhalten dem Salz und dem Zucker gegenüber. Hausgeräth. 7445 mandshurischen dabssun (mongolisch: dabassır) ') entnommen sein. Aufdiese Etymologie gestützt, möchte ich auch vermuthen, dass die Giljaken das Salz zuerst in der Zeit kennen lernten, als ein Mandshu-Stamm, die Djutscheren, mit Ackerbau, Viehzucht u. drgl. beschäftigt, am unte- ren Amur von der Sungari- bis unterhalb der Ussuri-Mündung wohnten, von wo sie um die Mitte des XVII. Jahrhunderts auf Geheiss der chinesischen Regierung an den Churcha versetzt wurden). In den zwei seitdem vergangenen Jahrhunderten hat also das Salz keinen Eingang bei den Giljaken finden können, — gewiss ein sprechender Beweis dafür, dass kein physiologi- gisches Bedürfniss darnach vorlag. So ausgesprochen und allgemein die Abneigung der Giljaken gegen das Salz ist, so grossen Beifall findet bei ihnen hingegen der Zueker (gilj. ssäta), und zwar in der Form, wie sie ihn von den Russen kennen gelernt haben ®). Der ihnen schon früher bekannte chinesische Zucker von brauner Farbe und nur schwach süssem Geschmack hat für sie keine Attraction, und da er zudem nur für einen hohen Preis und auch nur ausnahmsweise von den chinesischen Händlern am Amur, die meist nur kleine Quantitäten davon zum eigenen Bedarf bei sich füh- ren, zu haben ist, so kennen ihn die wenigsten Giljaken ‘). Nach russischem Zueker sind sie hingegen sehr begierig: er bildete zur Zeit meines Aufenthaltes unter ihnen nächst dem Tabak den Hauptgegenstand ihrer häufigen und sehr zudringlichen Betteleien, bei welchen sie in der Regel Kinder vorschoben und an denselben, um Mitleid zu erregen, Augenkrankheiten vor- schützten, mit der Behauptung, dass gegen diese nur Zucker zu helfen im Stande sei. Nicht selten kauften sie sich auch welchen in Nikolajefsk, um denselben ihren Speisen, namentlich den oben erwähnten Mehlkuchen und solchen, zu deren Bereitung Preissel- oder Rauschbeeren u. drgl. gehörten, beizufügen. Ja, sie erklärten sich nicht abgeneigt, dies auch mit den zum Bärenfest bereiteten Speisen zu thun, falls er in genügender Menge vorhanden wäre, was ihre ganz ver- schiedene Stellung dem Zucker und dem Salz gegenüber kennzeichnet. Zum Schluss unserer Mittheilungen über die Nahrung der Giljaken möge hier eine kurze Besprechung ihrer wichtigsten, zur Aufnahme der Nahrungsmittel, wie zur Bereitung und Ver- zehrung der Speisen dienlichen Geräthschaften und Utensilien folgen. Es sollen zunächst nur die gewöhnlichen, im alltäglichen Leben gebrauchten Gegenstände der Art Erwähnung finden, wäh- rend das besondere, beim Bärenfest übliche Geräth später, am betreffenden Ort besprochen werden wird. Wie oben schon angegeben, steht in der Jurte gleich am Eingange ein mit Wasser gefüllter, aus Birkenrinde gemachter Kübel, an welchem ein paar zum Schöpfen und Trinken bestimmte Schalen hängen. Das Wasser für denselben wie für den übrigen Hausbedarf wird von den Weibern in ebenfalls aus Birkenrinde gemachten, an ein Schulterjoeh gehängten Ei- mern (Taf. XXXII, Fig. 1 und 2, gilj. kormulk, vesp. dshamda) aus dem Fluss gebracht. Des- 1) Klaproth, Asia polyglotta, p. 298; Sprachatlas, 4) Mamia Rinsö (Siebold, Nippon, VII, p. 1953) er p. XXXXVI. zählt, dass die Giljaken (Smerenkur) auf Sachalin den 2) S. oben, p. 150. japanischen Zucker, von welchem er ihnen zu kosten gab, 3) Sollte nicht auch die angeführte giljakische Bezeich- | zwar sehr schmackhaft fanden, jedoch nicht mehr davon nung desselben aus der russischen («ssachar») entlehntsein? | verlangten. 446 Die Völker des Amur-Landes. (2) gleichen ist oben des grossen eisernen Kessels (gilj. ormotsch-wunj) gedacht worden, der im Winterhause in jeden der beiden, rechts und links vom Eingange befindlichen Herde eingemauert, in der Erd- und in der Sommerjurte aber auf der Plattform des Herdes über drei Steinen aufge- stellt ist. Er ist stets von chinesischer Provenienz und dient zum Bereiten der Fischbrühe für die Hunde und auch mancher Speisen für die Menschen. Daneben haben aber die Giljaken auch kleinere Kessel, die sie je nach Umständen, sei es in der Erd- oder Sommerjurte, im Jagdzelt oder beim Campiren im Freien brauchen, und die theils ebenfalls chinesischen, theils japanischen Ursprungs sind, wie die auf Taf. XXXII, Fig. 4 und 3, abgebildeten: matsch-wunj (d. h. klei- ner Kessel) und Aughi-wun) (d.h. Aino-Kessel). Zum Umrühren und Schöpfen der im grossen Kessel bereiteten Brühe dienen grosse hölzerne Löffel (Taf. XXXIV, Fig. 5 und 6, gilj. myich und mifyr) und bei kleineren Kesseln auch kleinere Schöpflöflel von Eisen (Taf. XXXII, Fig. 5, silj. komb). Zum Bereiten und Auftragen breiartiger Speisen, wie die oben erwähnten Grützen u. dgl., bedienen sich die Giljaken je nach Bedürfniss grösserer oder kleinerer hölzerner Tröge (gilj. odong und orong),die denjenigen, aus welchen die Hunde gefüttert werden, in der Form ganz ähnlieh sind und bisweilen auch dazu gebraucht werden. Ein an den Enden mit einge- schnitzten Arabesken verziertes Stück der Art aus dem Dorfe Tebach ist auf Taf. XXXIV, Fig. 1, abgebildet. Andere Nahrungsmittel und Speisen, wie die oben beschriebenen Mehlkuchen, Boh- nen, verschiedene Beeren u. drgl., sah ich in niedrigen, ungefähr quadratischen Schalen aus Birkenrinde auftischen, deren Boden und Ränder mit verschiedenartigen Arabesken verziert waren; es sind dies die giljakisch sogen. Tottangr (Taf. XXX, Fig. 8). Wie diese Gefässe, die man ihrer Bestimmung nach als die Schüsseln des giljakischen Services bezeichnen könnte, so sind auch die für den Gebrauch des Einzelnen bestimmten, als Tassen und Teller dienenden Gefässe je nach der Natur der einzunehmenden Speise von verschiedener Beschaffenheit. Handelt es sich nur um einige Streifen Jukola, so genügt, wie schon erwähnt), ein kleines, hölzernes Handtischehen (chachtschitsch), auf welchem sie zerschnitten wird, um, in Fischthran getunkt, verzehrt zu werden. Flüssige Speisen, wie die oben erwähnten Brühen, werden aus hölzernen Schalen, gilj. mumk-ngir°) (Taf. NXXIN, Fig. 6), genossen, und zwar mehr geschlürft als ge- löfelt. Zum Genuss fester Speisen, Fisch, Fleisch, Speck u. drgl., bedient man sich länglich vier- eckiger, wenig tiefer Schalen, gilj. es-nger?) (ebenda, Fig. 7). Demselben Zweck dienen auch hölzerne, kreisrunde, ziemlich flache Schalen oder Teller (Taf. XXXIV, Fig. 2 und 3) von etwa einem Fuss im Durchmesser, die bei den Giljaken, offenbar wegen ihrer runden, dem oben be- sprochenen Daumenringe (aam) ähnlichen Form, den bezeichnenden Namen aam-ngir, Ring- oder Daumenringschalen tragen). Die Giljaken machen sie jedoch nicht selbst, sondern beziehen sie von den Golde, welche sich mit dem Drechseln derselben beschäftigen. Auf den Bärenfesten sowohl bei den Giljaken, wie bei den Oltscha werden sie in grosser Zahl, namentlich zum Ver- speisen der oben erwähnten Grützarten benutzt, doch gehören sie keineswegs zu den ausschliess- 1) S. oben, p. 427. 2) Ngir heisst Schale überhaupt. -sischen 2 auszusprechen. 4) Beiden Oltscha heissen sie kota. 3) Das s ist in diesem Wort weich, gleich dem franzö- Giljaken. Tafelgeräth — nur aus Holz oder baumrinde, Kein Thongeschirr. 447 lich bei diesen Festlichkeiten gebrauchten Geräthen, wie man schon aus ihrem exotischen Ur- sprunge und dem vollkommenen Mangel an irgend welchen Ornamenten und Schnitzereien schlies- sen darf. Auch habe ich sie von den Giljaken im Alltagsleben oft genug benutzen sehen. Diesen schmucklosen, von den Golde fabrikmässig gedrechselten Schalen gegenüber heben sich alle an- deren oben besprochenen, von den Giljaken selbst aus freier Hand gemachten Gefässe stets durch allerlei an denselben angebrachte Verzierungen ab, welche jedoch weit hinter den kunst- vollen Schnitzereien zurückbleiben, die wir an den ausschliesslich bei Bärenfesten gebräuch- lichen Geräthschaften kennen lernen werden. Zum Verfertigen aller oben angeführten Gefässe, Schalen, Löffel u. drgl., sowie zum Ausführen der Schnitzereien an denselben, wie an anderen Utensilien bedienen sich die Giljaken ausser dem schon erwähnten Yi-dshakko noch einiger beson- ders geformten Messer. So dient zum Aushöhlen von Holz ein Messer mit rinnenförmig gebogener Klinge von verschiedener Grösse, das Us(ö)r-wossj der Giljaken (Taf. XXXH, Fig. 4), zum feineren Schnitzen das Kydr-dshakko, ein Messer mit sehr schmaler und spitzer Klinge (ebenda, Fig. 3) u. drgl. m. Endlich müssen unter den Tafelutensilien der Giljaken auch die den chinesischen nachgebildeten Gabelstäbehen (gilj. tschawkr) ') erwähnt werden, davon auf Taf. XXXIN, Fig. 6, ein aus dem Dorfe Wassj herstammendes Exemplar abgebildet ist. Doch verdanken diese ihre Entstehung bei den Giljaken mehr dem Nachahmungstriebe, der sich namentlich allem Chine- sischen gegenüber gern geltend macht, als einem wirklichen Bedürfniss, denn im Gebrauch findet man sie bei.ihnen so gut wie gar nicht. Wie man aus dem Obigen ersieht, ist alles von den Giljaken selbst gemachte Haus- und Tafelgeräth ausschliesslich aus Holz oder Birkenrinde. Irdenes Geschirr findet man bei ihnen gar nicht, ja, weder machen sie selbst welches, noch steht bei ihnen, trotz ihres Verkehrs mit den Chinesen und Japanern, das von diesen Völkern fabrizirte Porzellan im Gebrauch, denn höchstens wird davon hie und da von einem bemittelten Giljaken ein einzelnes Stück, meist eines oder ein paar jener kleinen von den Chinesen zum Branntweintrinken gebrauchten Porzellanschälchen, sei es als Werthobjekt, oder als Curiosum aufbewahrt. Diese Thatsache, dass den Giljaken, trotzdem sie in anderen Dingen, so im Holzschnitzen und, wie wir später sehen werden, auch im Schmiede- handwerk äusserst geschickt sind, die Töpferei selbst in ihren Anfängen ganz und gar fremd ist, verdient gewiss alle Beachtung, und ich erlaube mir daher noch einige darauf bezügliche Bemerkungen. Um zunächst die Thatsache selbst noch mehr ausser Zweifel zu stellen, muss ich ausdrücklich hervorheben, dass ich trotz des langen und. vielfältigen Aufenthalts unter ihnen, nie ein Thongeschirr irgend welcher Art in ihrem Haushalte gesehen, noch auch durch Andere von einem solchen gehört habe. Um so auflallender mussten mir daher einige ganz anders lau- tende Angaben in Mamia Rinsö’s Bericht über seine Reisen auf Sachalın (Krafto) und im Amur-Lande sein. Er fand, dass das irdene Geschirr und Porzellan der Giljaken (Sme- renkur) auf Sachalin in seiner Form mit dem chinesischen und japanischen Aehnlichkeit hatte ?). 4) Vermuthlich aus dem mandshurischen tschabcha 2) Mamia Rinsö, Tötats kiko (Siebold, Nippon, entnommen. Bei den Oltscha: alako. VII, p. 194). Schronck's Amur-Reise, Band III, 57 +48 Die Völker des Amur- Landes. Man könnte meinen, der Reisende habe es nicht mit ursprünglich giljakischem, sondern nur mit importirtem chinesischen und japanischen Thongeschirr, das er bei den Giljaken ge- sehen, zu thun gehabt, allein damit würde der Widerspruch mit meinen obigen Angaben doch nicht gehoben sein, denn weiterhin erzählt Mamia Rinsö, dass es am Amur (Mankö) bei Kidsi besonders viel Porzellanfabriken gebe). Dies bezieht sich nun allerdings nicht mehr auf die Giljaken, deren Gebiet erst eine Strecke stromabwärts von Kidsi beginnt, allein auch bei den Oltscha, auf die es Bezug haben müsste, und noch weiter aufwärts bei den Golde, wenigstens bis zum Ussuri hinauf, ist mir weder von solchen Fabriken, noch von deren Erzeugnissen irgend etwas zu Gesicht gekommen. Ebenso ist es auch Maack gegangen. Nur in dem Golde-Dorfe Ssilbi sah er unter dem Hausgeräth der Eingeborenen auch irdene Töpfe °). Dieses Dorf liegt jedoch schon ganz in der Nähe des Sungari, an welchem, wie wir sogleich sehen werden, auch in dieser Beziehung ganz andere Verhältnisse herrschen. Will man daher den Angaben Mamia Rinsö's Glauben schenken, und das verdienen sie nach meinen Erfahrungen vollkommen, so ist man genöthigt anzunehmen, dass die Oltscha und vermuthlieh auch die unteren Golde noch zu Anfang dieses Jahrhunderts die Thongeschirr- und Porzellanfabrikation betrieben und die Erzeugnisse derselben auch unter den Giljaken bis nach Sachalın hin absetzten, ja, dass diese letzteren jene Industrie ebenfalls kannten, eine Industrie, die ihnen fünfzig Jahre später, als ich das Amur-Land kennen lernte, völlig abhanden gekommen war. Wie und wodurch dies geschehen konnte, soll in einem der nächsten Capitel, bei Besprechung der Handelsbeziehungen der Amur-Völker und insbesondere der Giljaken mit den angrenzenden Culturvölkern, soweit möglich, beleuchtet werden. Hier genüge vorerst die allgemeine Bemerkung, dass es höchst wahrscheinlich durch gewaltsame Eingriffe und Verwüstungen zu Wege gebracht worden ist, die aus politischen Gründen von der mandshu-chinesischen Regierung selbst ausgingen, und zu welchen jene Reise Mamia Rinsö’s mit Veranlassung gegeben haben kann. Durch den zerstö- renden Schlag, den die von den Eingeborenen gefürchtete Regierung unter Anderem auch gegen die Thon- und Porzellanfabrikation der Oltscha am Amur ausführte, wurden diese, wie ihre Nachbarn stromauf- und abwärts, die unteren Golde und Giljaken, auf ihre althergebrachte Holzindustrie zurückverwiesen und gegen alles Thon- und Porzellangeräth so stark und nach- haltig eingenommen, dass fernerhin auch die in China oder Japan verfertigten Gegenstände der Art keinen Beifall und Eingang bei ihnen finden konnten. Andererseits hat vielleicht diese Zer- störung der Thongeräthfabrikation im unteren Amur-Lande den Golde zur fabrikmässigen Her- stellung von Holzgeräth Veranlassung gegeben, zum Drechseln jener grossen Schalen und Teller, welche bis heutzutage bei den Giljaken und Oltscha, unter den resp. Bezeichnungen aam- ngir und kota, in allgemeinem Gebrauch stehen. Während die Thon- und Porzellangeschirr-Industrie am unteren Amur von den Mandshu vernichtet wurde, nahm sie in der südlichen Mandshurei, sowie am Sungari und seinen Zuflüssen 1) L. c., p. 172. 2) Maaxp, Uyrem. ua Amyp®, crp. 143. pP y pP Giljaken. Neuere, nur vorübergehende Kenntniss der Töpferei. 449 einen ungestörten und raschen Fortgang. Nach den Aufzeichnungen des Chinesen U-tschen im Jahre 1722 hatten die Mandshu damals noch kein Thongeschirr, sondern nur hölzerne Schüs- seln, Schalen und Teller !). Mit der wachsenden Kolonisation des Landes durch die Chinesen ent- standen aber in demselben auch zahlreiche Thon- und Porzellangeschirrfabriken. Williamson °) sah bei Sur-mu-tsching in Liao-tong viel derartige Fabriken und verschiedenes, dort produ- eirtes Geräth, darunter welches von sehr guter Qualität, das weithin versandt wird, und nach Barabasch?) giebt es deren je eine oder mehrere in allen Sungari-Städten. Vom Sungari stammte wohl auch das Thongeräth her, welches Maack in Ssilbi am Amur antraf. Dass es aber nicht auch weiter den Amur abwärts, zu den unteren Golde, Oltscha und Giljaken gelangt, trotz ihrer alljährlichen Handelsfahrten nach dem Sungari, zeugt nur allzudeutlich von der Abneigung, welche sie gegen ein solches Geräth hegen. Muss man aus den oben angeführten Angaben Mamia Rinsö’s den Schluss ziehen, dass die Giljaken und Oltscha, trotzdem sie heutzutage kein Thongeschirr in ihrem Haushalte ge- brauchen, doch ehemals und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts welches hatten und sogar selbst verfertigten, so lässt sich aus denselben andererseits auch entnehmen, dass dies bei ihnen keines- wegs eine seit uralter Zeit geübte Kunst war, sondern dass sie dieselbe erst in verhältnissmässig neuer Zeit durch die Chinesen und Japaner kennen gelernt hatten. Die auf Sachalin von ihm gesehenen Stücke fand er, wie gesagt, den chinesischen und japanischen ähnlich, und dass die zahlreichen bei Kidsi gelegenen Porzellanfabriken, deren er erwähnt, unter chinesischem Einfluss und chinesischer Mitwirkung entstanden waren, ist im höchsten Grade wahrscheinlich. Und weil neu und fremdartig, konnte diese Kunst bei den Giljaken und Oltscha unter den in der Folge eingetretenen ungünstigen Verhältnissen auch so leicht wieder ganz und gar verschwin- den, ohne eine andere Spur als die Abneigung gegen ihre Erzeugnisse hinterlassen zu haben. In dieser Ansicht, dass die Anfertigung von Thongeräthen den Giljaken ursprünglich fremd war und ihnen nur in neuerer Zeit durch die Chinesen vorübergehend beigebracht worden, werde ich endlich auch durch die Thatsache unterstützt, dass diese Kunst, gleich wie den Giljaken, auch allen anderen paläasiatischen Völkern, mit einer einzigen Ausnahme, abgeht oder noch vor Kurzem abging. Allerdings berichtet Mamia Rinsö®) von den Aino auf Südsachalin, dass sie Thongefässe und zwar von zweierlei Art verfertigen, die einen von etwa 6—7 Zoll im Durch- messer mit Ohren an zwei Seiten, Zojes’ju, d. h. irdene Pfannen, die anderen kamui'sju, d.h. göttliche Pfannen genannt, doch wird man den recenten, japanischen Ursprung dieser ihrer Kunst nicht verkennen. Als Vries und seine Begleiter im XVH. Jahrhundert Jesso und die an- liegenden Kurilen entdeckten, sahen sie die Bewohner derselben aus lackirten hölzernen Schalen 1) Bacu. ver, Bannern 0 Hnuryrb (an. Han. pycer. 3) Bapaoanın , Cynrap. oreneanmia 1872 vr. (Boennsnii Veorp. Oön., T. XII, 1857, erp. 96). Coopn., 1874, N 2, erp. 351). 2) Journeys in North China, Manchuria and Eastern »12C., Pp218% Mongolia, London 1870, Vol. II, p. 187. [23 1 x 450 Die Völker des Amur- Landes. und vierkantigen Trögen essen !), und eben solche Schalen, aber keinerlei Thongefässe finden sich unter den Gegenständen, welche Poljakof nebst Sehädeln und Knochen in alten Aino- Gräbern auf Sachalin gefunden und unserem Museum zugestellt hat. Bezüglich der alten Kam- tschadalen findet man zwar in dem von Witsen?) veröffentlichten Berichte des Kosaken At- lassof die Nachricht, dass sie zu ihrem Gebrauch irdene und hölzerne Gefässe verfertigen, allein die ersteren sind mehr als fraglich. Steller und Krascheninnikof sahen bei ihnen nur höl- zerne Gefässe, und Ditmar?) stiess bei seinen Nachgrabungen an den Stellen, wo einst ihre Jurten gestanden, unter zahlreichen Steinwerkzeugen nur einmal auf ein kleines Thongeschirr, das ihm unter den Händen zerfiel, weil es nicht oder höchstens nur ganz schwach gebrannt worden war, und das er für eine mit der Hand geformte Thranlampe hält. Auch hinsichtlich der Ko- rjaken und Tschuktschen wissen sowohl die genannten Reisenden, als auch Nordenskjöld u.A. aber von welchen aus gebranntem Thon zu berichten. Die irdenen Töpfe, welche die Mitglieder nur über Anfertigung von Ess- und Trinkgefässen aus Holz, Knochen u. drgl., nicht der Vega-Expedition bei den Tsehuktschen sahen, waren von amerikanischem oder europäi- schem Ursprunge *). Ebenso bemerkt Weniaminof von den Aleuten, dass sie an irdenem Ge- schirr nur solche Stücke, Tassen, Teller u. drgl., besitzen, die sie gelegentlich von den Russen erhal- ten haben °). Nur von einem paläasiatischen Volke, den Eskimo Nordwestamerika’s, wird die Anfertigung von Thongeschirr wie eine althergebrachte Kunst betrieben; so auf der Insel Kadjak °), am Kuskokwim und Kwichpak ”), am Norton- und Kotzebue-Sunde®) u. a. ©. Dall bemerkt, dass unter den von Eskimo gemachten Thongefässen, die er am Jukon (Kwichpak) sah, und deren einige in seinem Werke über Alaska auch abgebildet sind, eines offenbar nach einem rus- sischen Modell geformt worden war. Das mag sein, denn seit der Ansiedelung der Russen in diesem Lande ist ohne Zweifel auch manches russische Ess- und Trinkgefäss zu den dortigen Eingeborenen gelangt. Dennoch rührt die Thongeräthfabrikation der amerikanischen Eskimo kei- neswegs von den Russen her. Diese fanden sie dort vielmehr schon vor, und sowohl Dawydof, wie Sagoskin bemerken, dass die Bekanntschaft, welche die Eskimo dank den Russen mit eiser- nen und kupfernen Kesseln und sonstigen Geräthen machten, der ehemals allgemeinen Verbrei- tung von Thongefässen eigener Fabrikation unter ihnen manchen Abbruch that, womit auch Dall übereinstimmt. Für das hohe Alter der Töpferkunst bei den Eskimo Nordwestamerika’s XBocro»ra u 104. 1) Siebold, Aardr. en volkenkund. toelicht. tot de Aastıaopa, C. Merepö6. 1812, T. II, ontdekk. van Vries, p. 108. 2) Noord en Oost Tartarye, Ausg. von 1705, p. 673. 3) Reisen und Aufenthalt in Kamtschatka in den Jahren 1851—1855 (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, 3te Folge, Bd. VII, p. 246). . 4) Nordenskiöld, Die Umsegelung Asiens und Euro- pas auf der Vega, Leipzig 1882, Bd. II, p. 122. 5) Beniamunor», 3a. 00% OCTPOB. Yuadamıkumckaro orabaa, U. II, crp. 238. 6) Asysparn. ıyrem. 86 Amepuky MOPCKR. OPHNEep. eTp. 7) Wrangell, Statist. und ethnogr. Nachrichten über die Russ. Besitz. an der Nordwestküste von Amerika (Beitr. zur Kennt. des Russ. Reichs, herausg. von Baer und Hel- mersen, Bd. I, p. 147). Barockuut, HemexoAanan onuch yacrn pycer. Ba1aA. Bn Amepurb, C. Herep6. 1847, 4. I, erp. 58. Dall, Alaska and p- 218. 8) Woldt, Cap. Jacobsen’s Reise an der Nordwest- küste Amerika’s, Leipzig 1884, p. 214, 215, 299. its resources, Boston 1870, Topfscherben und Steinwerkzeuge der Vorzeit im Amur-Lande. 451 spricht endlich auch die einfache und primitive Art, in welcher sie ausgeübt wird: die Gefässe werden nämlich aus freier Hand geformt, wesshalb sie nicht ganz kreisrund oder symme- trisch sind '), und alsdann vermittelst eigenartiger und ebenfalls sehr einfacher Instrumente ge- glättet und mit Verzierungen versehen ?). Ohne daher den Zeitpunkt und die Art und Weise der Entstehung der Töpferkunst unter den Eskimo näher bestimmen zu wollen, glaube ich aus den obigen Betrachtungen über die paläasiatischen Völker den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Eskimo ihre asiatische Heimath noch ohne Kenntniss der Töpferkunst verliessen und diese erst in Amerika, vermuthlich in Folge von Süden her an sie herangetretener Einflüsse kennen lernten. Um auf das Amur-Land zurückzukonmmen, wiederhole ich, dass die Töpferkunst der Gil- jaken, Oltscha und Aino, von welcher Mamia Rinsö spricht, nur von modernem Ursprunge war, resp. ist und bei den beiden ersteren Völkern nach kurzem Bestehen in Folge später zu erörternder gewaltsamer Vorgänge der Mandshu-Chinesen wieder verschwand. Sollte man sie aber, meiner Ansicht entgegen, auch weiter zurückdatiren wollen, so hat sie doch jedenfalls nichts mit den Thonscherben zu thun, welche man neuerdings an verschiedenen Punkten des Amur-Landes und Sachalin’s, namentlich am Patehä-Flusse und in Taraika, mit Stemwerkzeugen zusammen im Erdboden gefunden hat?). Diese Gefässscherben, deren mir auch welche vorgelegen haben ®), und die mit den in anderen Ländern unter ähnlichen Verhältnissen gefundenen Stücken der Art im Wesentlichen ganz übereinstimmen, gehören auch hier einer Vorzeit an, die so weit zurück- liegt, dass sie mit der Jetztzeit in keinen ethnologischen Zusammenhang gebracht werden kann. Dennoch muss ich hier hinzufügen, dass man die am Patehä-Fluss gefundenen Gegenstände (s. die 1) Wie man dies auch an den in Jacobsen’s Reise- | gefässen(Kropotkin, nach Mittheilungen von Lopatin in beschreibung (p. 214 und 215) mitgetheilten Abbildungen | den Hanber. Um. Pycex. Deorp.Oöu., T. V, 1869, Ora. II, sehen kann. crp. 307, 308). Aehnliche Funde wurden in der Folge 2) Diese Instrumente sind bei Jacobsen (l. e., p. 299) | mehrfach an der Südspilze Sachalin’s gemacht. Im Jahre ebenfalls abgebildet. 1881 endlich gelang es Poljakof, an der Stelle des russi- 3) Im Jahre 1865 wurden an dem etwa 10 Werst von | schen Postens bei Dui an der Westküste Sachalin’s eine Nikolajefsk entfernten, nur wenig oberhalb des Caps | reiche Ausbeute von Steinwerkzeugen und alten Topf- Tschehyrkrach oder Tschnyrrach (wie die Russen es zu | scherben zu machen. Die letzteren waren nicht selten mit nennen pflegen) in den Amur mündenden Patchä-Flusse | Mustern gezeichnet, welche an diejenigen erinnerlen, die beim Aufgraben der Erde auf dem Boden einiger Gru- | er im Olonez’schen Gouvernement und im Oka-Thale im ben, welche Reste ehemaliger Erdwohnungen zu sein | europäischen Russland gefunden halle (MHo.AsakoB%, schienen, in der Tiefe von drei Fuss Thonscherben nebst | Hyren. na oerp. Caxanımn 85 1881— 1882 rr. Hpıros. Spuren von Holzkohle und an einer anderen Stelle in | x» XIX romy Han. Pyeex, Teorp. O6m., erp. 19). 6 Fuss Tiefe verschiedene Steinwerkzeuge gefunden (Bo- 4) Die theils vom Patchä-Fluss und theils von Naipu- erounoe llomopne, 1866 r., 1. To, erp. 58). Dank der Ver- mittelung des Dr. Pfeiffer in Nikolajefsk sind die meisten dieser Gegenstände der Kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften zugeschickt worden und befinden sich in unserem Museum. Drei Jahre später fand Lopalin beim Dorfe Taraika auf Sachalin ebenfalls auf dem Boden von Gruben, welche das Ansehen von Erdhüttenresten hatten, zahl- reiche steinerne Werkzeuge und Bruchstücke von Thon- tschi auf Sudsachalin stammenden Topfscherben, die ich in Händen gehabt, bestanden aus einem groben, röthlich-gel- ben bis schwärzlichen Thon, der stellenweise feinen Kies, kleine Quarzkörnchen und mitunter erbsengrosse Geröll- stückchen enthielt. Sie waren bald mit reihenförmig zusam- menstehenden feinen Eindrucken,bald mit geraden, wellen- oder ziekzackförmigen, bald auch in Art eines Geflechts sich durchkreuzenden Streifen und Bändern versehen. 452 Die Völker des Amur-Landes. Anmerk. 3, auf der vorigen Seite) vielen Giljaken zeigte '), um von ihnen in Erfahrung zu bringen, ob sie nicht noch dergleichen Werkzeuge, oder aber irgend welche auf die- selben bezügliche Traditionen hätten, — sie waren ihnen aber ganz unbekannt. Ueber die in Taraika gefundenen Steinwerkzeuge und Topfscherben befragte Lopatin die dortigen Aıno und Oroken. Die letzteren meinten zwar, dass ın den ehemals an Stelle der Gruben gewesenen Erdhütten die Aino sich während der Kriege verborgen gehalten hätten, allein den Aino selbst waren die Steinwerkzeuge ganz unbekannt. Hingegen erzählten ihm diese von einer Sage, welche jene Gegenstände einem Volke Namens Toissi zuschreibt, das ehemals diese Ge- genden bewohnt, später aber sich nach Norden zurückgezogen habe. Ihm werden auch die bei Mogunkotan am Golfe der Geduld, beim Cap Ssiraroro und an anderen Orten Sachalin’s befind- lichen Reste von Erdhütten zugeschrieben. Diese Sage fand Lopatin über den ganzen von ihm bereisten Theil Südsachalin’s verbreitet °). Indem ich nach dieser Abschweifung zur Besprechung der Nahrung der Amur-Völker zu- rückkehre und von den Giljaken zu ihren näheren und ferneren Nachbarn übergehe, muss ich vorausschicken, dass ich mich bezüglich derselben hauptsächlich darauf beschränken werde, auf die bei ihnen in der Nahrung den Giljaken gegenüber statthabenden Abweichungen und Ver- schiedenheiten hinzuweisen, wie solche durch andere Naturverhältnisse, eine andere Lebensweise und andere Beziehungen zu den angrenzenden Culturvölkern bedingt werden. Die nächsten Nachbarn der Giljaken auf Sachalin, die Aino, sind im Allgemeinen nicht minder ausgesprochene Ichthyophagen wie jene, doch macht sich dabei der durch die Natur ihres Landes bedingte, für die Nahrung bedeutsame Umstand geltend, dass sie in ihrem Gebiet keinen einzigen grösseren Fluss haben, an welchem die Bevölkerung sich im Innern des Landes concentriren könnte, sondern allenthalben nur mehr oder minder unmittelbare Küstenbewohner: sind. In der That gehört von den beiden grössten Flüssen Sachalin’s der eine, der oft genannte fischreiche Tymy-Fluss, ganz den Giljaken an, und von dem anderen, dem Plyi oder Poro- nai (d. h. auf Ainisch grosser Fluss), haben die Aino nur die Mündung und auch diese nur in Gemeinschaft mit den Oroken und Giljaken inne. Sieht man ferner von ein paar etwas ansehnlicheren, in den Golf von Anıwa sich ergiessenden Flüssen, wie Ssussuja und Truo- taga, ab, so giebt es im gesammten Aino-Gebiet Sachalin’s nur kleine Küstenflüsse. So besteht 1) Wie in der oben erwähnten Zeitung (Bocrounoe | Wörterverzeichnissen und Wörterbüchern der Aino- Ilomoppe) a. a. O. ausdrücklich berichtet wird. 2) Da der angebliche Name des Volkes, von welchem der Sage nach jene Steinwerkzeuge und alten Topfscherben herrühren sollen, wie man sich aus der oben erwähnten Angabe Mamia Rinsö’s über die Töpferarbeiten der und aus den Aino («tojes’jw, d. h. irdene Pfannen) Sprache (Klaproth, Asia polyglotta, p. 305, 313; Dobro- tworskij, l. c., p. 326, 327) überzeugen kann, nur so viel wie Thongeschirr bedeutet, so scheint mir die Möglichkeit eines durch mangelhafte Kenntniss der Aino- Sprache veranlassten Missverständnisses in der obigen Mittheilung Lopatin’s nicht ausgeschlossen zu sein. Aino. Animalische und vegetabilische Nahrungsmittel. das eigentliche Wohngebiet der Aino auf Sachalin nur aus einer doppelten, im Westen und im Osten der Insel sich hinziehenden und am Südende durch die Zweitheilung derselben noch um ein ansehnliches Stück verlängerten Küstenstrecke. Ueberall am Meere wohnend, schöpfen die Aino aus demselben auch ihre Hauptnahrung. Diese besteht wie bei den Giljaken aus Fisch, und zwar sind es wiederum die Salmoniden und zum Theil sogar dieselben Arten, Salmo lagocephalus und S. Proteus, welche dabei die Hauptrolle spielen, indem sie, selbst in die klei- nen Küstenflüsse in Menge eintretend, das Material zur Bereitung von Wintervorräthen an Jukola und Thran bieten. Nicht minder sind auch die zu Zeiten in grossen Schaaren längs der Küste hinziehenden und in die Buchten und Baien eintretenden Häringe von grösster Bedeutung. Der ausserordentliche Fischreichthum dieser Küsten wird übrigens auch von den Japanern aus- genutzt, und zwar geschah dies zur Zeit meiner Reisen im Amur-Lande, als Südsachalin noch unter japanischer Herrschaft stand, insofern sehr zum Naechtheil der Aino, als diese genöthigt waren, den Fischfang für die Japaner zu betreiben, und während die letzteren, ausser dem gleich am Ort des Fanges bereiteten Thran, ganze Schiflsladungen von Fischen nach ihrer Heimath sandten, wo sie hauptsächlich zur Düngung des Bodens benutzt wurden, sahen die Aino sich ausser Stande, für ihre eigenen Bedürfnisse durch Bereitung von entsprechenden Wintervor- räthen zu sorgen !). Nächst den Fischen geben auch den Aino die grossen Seesäugethiere das Hauptnahrungsmittel ab, und zwar spielen hier neben den Seehunden auch die Seebären (Otaria ursina 1.) und Seelöwen (O. Stelleri Schleg.)°), deren Fleisch und Fett von den Aino nicht minder wie das der Seehunde geschätzt wird, eine Hauptrolle. Ausserdem liefern endlich vom Meere ausgeworfene Walfische, die von den Giljaken verschmäht werden, den Aino stets einen erwünschten Beitrag zu ihren Nahrungsmitteln °). Ist namentlich hinsichtlich der letztgenannten Pinnipedien und, wie es scheint, auch der Getaceen der äusserste Süden Sachalin’s besonders bevorzugt, so findet dagegen der reichste Robbenschlag seitens der Aino im nördlichen Theile ihres Gebiets, im Golfe der Geduld statt. Nach Taraika kommen daher nicht selten auch Tymy- Giljaken, um sich bei den Aino mit Seehundsthran zu versorgen *). Minder wesentlich, aber doch auch sehr wichtig für die Aino sind die ihnen an niederen Thieren und Seetangen vom Meere zufliessenden Nahrungsmittel. In Folge der südlicheren Breiten, welche die in Meridian- richtung langgestreckte Insel mit ihrer Südhälfte erreicht, sowie des mit der Entfernung vom oO D Amur-Liman rasch wachsenden Salzgehalts der See und der von der Korea-Strasse zum Süd- 1) Ueber diese Ausbeutung der Aino durch die Japa- ner s. oben p. 74—77. Nachdem die Japaner im Traktat von 1875 auf Sachalin verzichtet hatten, wurde sie in dem Maasse nicht mehr möglich. Indess hörte ihr Fisch- fang an den Küsten Sachalin’s damit noch nicht auf, ja sie dehnten ihn noch weiter nordwarls, bis nach Nyi an der Tymy-Mündung aus, wo Poljakof sie im Jahre 1881 antraf; doch bedienten sie sich jetzt nicht mehr der Aino, sondern japanischer Arbeiter beim Fischfang (Io.ıakon», IUyrem. ua ocrp. Caxaıunp 8% 1881—1882 rr. Upiao;k. x» XIX T. Has. Hmm. Pycer. l’eorp. Oöut., erp. 69 u crb.a.). 2) Fr. Schmidt, Histor. Ber. über den Verlauf der physik. Abtheil. der Sibir. Exped. der Kais.-Russ. Geogr. Gesellsch. (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p- 83). kpaiim, nocr. Pocein, C, Heseaperoü, Ioar. pycer. MOoper. orum. 11a IIerep6. 1878, erp. 290. (Nach Rudanofskij). 3) S. oben, p. 432. 4) Schmidt, 1. c., p. 115. ES o En Die Völker des Amur-Landes. ende Sachalin’s verlaufenden warmen Tsu-sima-Strömung (eines Zweiges des Kuro-siwo)!) ist der Süden der Insel weit reicher an verschiedenartigen wirbellosen Seethieren und an Seetangen als der Norden. Und dem entsprechend, spielen diese wie jene unter den Nahrungsmitteln der Aino eine weit grössere Rolle als unter denjenigen der Giljaken. Alles, was die See an der- artigen Produkten liefert und gelegentlich auch in Menge an der Küste auswirft, wird von den Aino zur Nahrung verwendet, insbesondere die grossen Austern und Kammmuscheln, ein Octo- pus von ansehnlicher Grösse (bei den Aino achkoipa genannt), dessen Arme für einen beson- deren Leckerbissen gelten, Seeigel und Seesterne, Aetinien und Holothurien, der sogen. Tre- pang, u. drgl. m.?). Um den Trepang und ähnliche Thiere vom Meeresgrunde zu heben, sollen die Aino von Jesso, wie der Japaner Rinsifee im Jahre 1786 berichtete, von ihrem zehnten Jahre an im Tauchen geübt werden). In der Folge haben sie aber, ebenso wie für die Seetang- fischerei ®), auch für den Fang des Trepangs zweckmässigere Methoden von den Japanern ken- nen gelernt, welche diesen Erwerbsquellen in den Gewässern Sachalin’s und Jesso’s mit dem- selben Eifer wie die Chinesen (Man-dse) an der gegenüberliegenden mandshurischen Küste, etwa von der Bai Wladimir bis zur koreanischen Grenze, nachgehen). So sehr aber das Meer auch die Hauptnahrungsquelle der Aino ist, so sind doch auch manche Erzeugnisse des festen Landes für sie von grösster Bedeutung. So schenken sie, gleich den Giljaken, unter allen Landthieren die grösste Beachtung dem auf Sachalin wie auf Jesso häufig vorkommenden Bären, dessen Fleisch und Fett von ihnen hochgeschätzt und nicht anders als in festlichen Versamm- lungen verzehrt werden, auf welche ich in der Folge, bei Besprechung des Bärenfestes der Gilja- ken, noch zurückkommen werde. Dass die Aino auch Hunde, ihr einziges, zum Schlittenziehen dienendes Hausthier, essen, ist oben schon erwähnt worden. Wie in dem Obigen, so stimmen endlich die Aino hinsichtlich ihrer Nahrung auch darin mit den Giljaken überein, dass sie zahlreiche Vegetabilien ihres Landes, Beeren, Wurzeln, Kräuter — zum grössten Theil sogar die- 1) Vrgl.meine Schrift: «Strömungsverhalte. im Ochols- kischen und Japanischen Meere» (Mem. de l’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb., VII® Ser., T. XXI, N 3, p. 25 IT, nebst Karte, Taf. XM. 2) Schmidt, I. c., p. 97. Dobrotworskij, in der Vorrede zum Aino-Wörterbuch, 1. e., p. 37. 3) San kokf tsou ran lo sets, ou Apercu gen6r. des trois royaumes, trad. de P’original japonais-chinois par Klap- roth, Paris 1832, p. 229. 4) S. oben, p. 441. 5) Das Centrum der Seelangfischerei an der mandshuri- schen Küste ist die Bai Nachodka (Bocrounoe Iomoppe, 1866, erp. 16). Zwischen ihr undder Bai Olga wird der meiste und beste Seetang gefischt. Der aus der Umgegend der Bai Possjet stammende ist schlechter als jener, ge- schweige denn als der japanische (l. c., p. 79, Anmerk., u. p. 89). Wladiwostok ist bei den Man-dse wegen des in seiner Umgegend stattfindenden Trepangfanges berühmt (l. e., p. 16). Näheres über die Art und Weise der Seetang- und Trepangfischerei der Man-dse, über den Umfang und Absatz der Ausbeute u.drgl. m. ist ausser der genannten Zeitschrift bei Lopatin (O630p% tosru. uacru IIPuMOpcK. o6aacrı BocT, Cu6.3ap. Cyirynomp. — Ban, Cu6. Ora, Unn. Pycer. T’eorp. O6m., zu. VII, 1864, erp. 191), Busse (Ouepk» yCcAoB.3eM.1eA.BBb ANYpek.kpab. — Zar. aaa yrenin, usaan. Tpyöuukossımp, Asr.—Aer. 1869, cerp. 124. Desgl. in Petermann’s Geogr, Mittheil., 1871, p. 91), Przewalski (Iyrem. 8% Yceypiück. kpab, crp. 86 u caba.) u. A. zu finden. Oroken. Zunahme der Fleischnahrung den Giljaken gegenüber. 155 selben Arten ') — und ebenfalls stets mit einem Zusatz von Seehundsthran verzehren °). Dahingegen spricht sich in der Thatsache, dass den Aino die oben genannten, den Giljaken vielfach zum Bedürfniss gewordenen mandshu-chinesischen Cerealien so gut wie gänzlich fehlen und anstatt derselben japanischer Reis ein häuliges, ja bei den im Dienste der Japaner stehenden Arbeitern zeitweise sogar das vornehmste und nebst etwas Fisch und Thran fast ausschliessliche Nahrungs- mittel bildet?), deutlich aus, dass die Aino sich unter dem Einfluss einer anderen Cultur als die Giljaken befinden. Das dritte Volk Sachalin’s, die Oroken, ist zwar auch hauptsächlich ichthyophag und in Folge der Lage seines Wohngebietes an der Meeresküste darauf angewiesen, seine Hauptnahrung aus der See zu schöpfen, allein der Umstand, dass es ausser dem Hunde noch ein anderes Haus- und Zugthier, das Renn, hält und vermittelst desselben ein halbnomadisches Leben führt, ruft auch in seinen Nahrungsverhältnissen den Aino und Giljaken gegenüber nicht unwe- sentliche Modifikationen hervor. Im Sommer und Herbst, den Jahreszeiten, welche die Oroken an der Meeresküste zubringen, um dem Fischfange und der Seehundsjagd nachzugehen und Vor- räthe für den Winter, hauptsächlich wiederum an Jukola, Seehundsthran und verschiedenarti- gen Beeren und Wurzeln, zu bereiten, besteht ihre Nahrung fast ausschliesslich aus Fisch. Po- ljakof, der im Sommer 1881 einige Wochen unter den Oroken in der Gegend der Tymy- Mündung zubrachte, welche sie ihres Fischreichthums wegen alljährlich aufsuchen, schildert ihre tägliche Nahrung zu dieser Zeit des regsten Fischfanges in folgender Weise: die erste, früh Morgens eingenommene Mahlzeit besteht aus je einem fetten Lachskopf (von Salmo lagoce- phalus); alsdann folgen im Laufe des Tages: am Feuer geröstete Jukola mit Seehundsthran und Fisch mit verschiedenen pflanzlichen Zuthaten, wie Wurzeln, Gedernüsse und insbesondere Beeren, welche mit dem feinzerstückelten oder gar vorläufig zerkauten (!) Fisch durcheinander Das Wanderleben der Oroken und die ihnen genügende geringere Anzahl von Hunden mindern übrigens ihren gerührt werden, und den Schluss des Tages bildet wieder ein Lachskopf‘). Bedarf an Wintervorräthen sehr ansehnlich, und zwar um so mehr, als ihnen andererseits ıhr zweites und eigentliches Zugthier, das Renn, trotzdem sie es nur in verhältnissmässig ge- ringer Zahl zu halten im Stande sind, doch immerhin auch einen Beitrag an Nahrungsmitteln liefert und der mit Jagd verbundene Aufenthalt in den Waldungen, durch welche ihre winter- lichen Wanderungen vor sich gehen, sie mit mancherlei Fleischnahrung versorgen muss. Zudem endlich können die Oroken ihre Wanderungen, auf deren ganz eigenartigen Charakter ich im 1) Vrgl. Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Sachalin, Botanischer Theil (Mem. de !’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb., VII® Ser., T. XII, N 2, p. 98, 210 fl.). Unter Anderem bemerkten z. B. schon die alten holländi- schen Seefahrer (Siebold, Aardr. en volkenk. toelich., p- 108), dass die Aino auf Jesso Vorräthe von Hagebutten für den Winter machen, wie wir es oben auch bei den Giljaken, besonders auf Sachalin, gesehen haben. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 2) Mamia Rinso (l. c., p. 183) sagt: die Aino «fügen überall Thran hinzu, in der Meinung, dass sie dann von allen Leibschmerzen befreit bleiben, selbst wenn sie etwas Giftiges genossen hätten». 3) Indem sie für ihre Arbeit von den Japanern mit ein paar Handvoll Reis täglich bezahlt werden, 4) HoankoRrn, xb XIX romy Has. Hamm. Pycer. l’eorp. O6m., erp. 89). 58 Hyreimm, na oerp. Caxaııan (Ipmaosk. 456 Die Völker des Amwur-Landes. folgenden Abschnitt näher eingehen werde, nicht anders ausführen, als indem sie mit den Gi- Ijaken, deren Gebiet sie durchstreifen, in stetem Connex bleiben und sich durch Tauschhandel einen Theil ihrer Nahrungsvorräthe zu eigen machen. Die nächsten Stammgenossen der Oroken auf dem Festlande, die Oltscha, stimmen hin- sichtlich ihrer Nahrung vollkommen mit den Amur-Giljaken überein. Aus vielfacher eigener Erfahrung kann ich bezeugen, dass sie sowohl im Alltagsleben, wie bei festlichen Gelegenheiten, so z. B. auf dem Bärenfeste, welchem ich auch bei ihnen beizuwohnen Gelegenheit gehabt, ganz ebenso zusammengesetzte und bereitete Speisen geniessen und sich dabei auch ganz eben solcher Geräthschaften wie die Giljaken bedienen. Der einzige Unterschied, den ich hinsichtlich der Nahrung der Oltscha den Giljaken gegenüber habe wahrnehmen können, besteht, von jenem schon erwähnten Abscheu vor Hundelleisch, der aber als negatives Verhalten nicht eben augen- fällig ist, abgesehen, darin, dass bei ihnen, zumal im oberen Theile ihres Verbreitungsgebietes oberhalb Kidsi), die Jagd eine hervorragende Rolle auch zur unmittelbaren Beschaffung der Nahrung zu spielen beginnt, indem sie sich nicht bloss auf die Pelzthiere, wie bei den Gilja- ken, beschränkt, sondern auch gegen solche Thiere richtet, deren Hauptwerth in ihrem Fleische liegt. Manche dieser Thiere, wie Edelhirsch und Wildschwein, kommen auch bei den Giljaken gar nicht vor, sondern stellen sich, stromaufwärts gegangen, erst im Oltscha-Gebiet ein), andere, wie Reh, Moschusthier, Elenn, nehmen in derselben Richtung an Häufigkeit zu). So bricht sieh bei den Oltscha, von den Naturverhältnissen begünstigt, die tungusische Neigung zur Jagd wieder Bahn und bewirkt, dass sie, wenn auch vornehmlich ebenfalls ichthyophag, es doeh lange nicht in dem hohen und fast ausschliesslichen Grade wie die Giljaken sind, son- dern auch ein gut Theil Fleischnahrung zu sich nehmen. Dieses bei den Oltscha im oberen Theile ihres Wohngebietes durehbrechende Verhältniss der Fisch- und der Fleischnahrung steigert sich nun bei den Anwohnern der linken Zuflüsse des unteren Amur-Stromes, den Negda, Samagirn und Kile am Kur, in raschen Zügen zu Gunsten der letzteren. Werden jene durch den Umstand, dass sie unmittelbar an den Ufern eines mäch- tigen, fischreichen Stromes wohnen, der ihr Gebiet seiner ganzen Länge nach durchzieht, und mit einem Fuss, in der Bai de Castries, an der Meeresküste stehen, gleich ihren Nachbarn, den Giljaken, unwillkürlich zur Iehthyophagie gedrängt, so verhält es sich mit den letztgenannten Völkern anders. Die Flüsse, an denen diese wohnen, sind zwar nicht fischarm, können sich aber doch mit dem Amur an Fischreiehthum lange nicht messen; namentlich fehlen ihnen die grössten und schönsten Fische des letzteren, die grossen Störe und Hausen, desgleichen die Karpfen und wohl noch manche andere Gyprinoiden u. s. w. Dahingegen breiten sich an den- selben ausgedehnte Waldwildnisse aus, die, von den Pelzthieren abgesehen, einen unerschöpfli- chen Reichthum an Wildpret aller Art bergen und dem Jäger eine reichliche Fleischnahrung gewähren. Bei den Samagirn, welche ich inmitten ihrer Jagdgründe am Gorin kennen gelernt 1) S. dieses Werkes Bd. I, p. 154, 173. 2) S. ebenda, p. 162 — 166, 174. Golde. Fisch- u. Fleischnahrung. Anfänge von Gemüse- u. Cerealienbau. 457 habe, verräth schon die Kleidung, die hirsch- und elennsledernen Röcke, die Reh- und Moschus- thierpelze u. drgl., dass jene Jagdthiere und insbesondere das grösste und häufigste derselben, das Elenn, von ihnen buju, d. h. das Thier schlechtweg, genannt, für ihre Existenz von we- sentlicher Bedeutung sind. Weiter stromaufwärts von den Oltscha, bei den Golde, als Amur-Anwohnern, steht zwar die Fischnahrung wieder obenan, jedoch lange nicht in der exelusiven Weise wie bei jenen, geschweige denn bei den Giljaken. Vielmehr gesellt sich zu derselben ein nicht geringes und je weiter nach Süden, desto mehr wachsendes Maass von Fleischnahrung hinzu. Das erklärt sich schon aus dem Umstande, dass manche und mit die ansehnlichsten der obenerwähnten jagdbaren Thiere, wie der Edelhirsch und das Wildschwein, je weiter südwärts am Amur-Strom, um so häufiger werden und in den üppigen Laubholzwaldungen, auf den zahlreichen niedrigen, mit Weiden und hohem Grase bewachsenen Inseln des Stromes, sowie in den sumpfreichen, oft mit Schilfdickichten bestandenen Prairien nahe der Ussuri- und Sungari-Mündungen das Maxi- mum ihrer Häufigkeit im unteren Amur-Lande erreichen. Zudem erstreckt sich die Golde- Bevölkerung auch in die Thäler der rechten Zuflüsse des Amur-Stromes, des Pächssa, Naiche, Chongar hinein, wo es sicherlich nicht an ergiebigen Jagdgründen fehlt, welche gelegentlich wohl auch von den Amur-Anwohnern besucht werden. Bin ich doch auch am Gorin mehrfach Golde begegnet, die der Jagd wegen von Zollazi und anderen am Amur gelegenen Orten hin- gekommen waren und jetzt ihre mit Elennfleisch beladenen Narten heimwärts lenkten. Ausser dem Fleisch bildet natürlich auch das Fett der grossen Jagdthiere ein wichtiges Nahrungsmittel der Golde und ersetzt ihnen den den Giljaken und Aino so unentbehrlichen und auch bei den Oltscha zum grossen Theil noch gebräuchlichen Seehundsthran. Bei Gelegenheit der Fleisch- nahrung der Golde sei hier ferner erwähnt, dass ihnen in Folge der südlicheren Lage ihres Wohngebiets auch der Amur-Strom ein Nahrungsmittel liefert, welches den vorgenannten, nördlicher wohnenden Völkern abgeht, und das an sich zwar unbedeutend, aber seiner Einzig- artigkeit wegen doch bemerkenswerth ist. Es ist die Amur-Schildkröte, Trionyr Maackit Brandt, deren Fleisch und Eier die Golde essen, — wohl das einzige im Amur-Lande zur Nah- rung verwendete Reptil '). Ein in Beziehung auf die Nahrung sehr wichtiges und für die Golde den vorgenannten Völkern gegenüber besonders charakteristisches Moment besteht endlich darin, dass sich bei ihnen, stromaufwärts gegangen, die ersten eigens zur Nahrung gehaltenen Hausthiere und desgleichen die ersten Anfänge von Gemüse- und CGerealienbau finden. Beides ist ohne Zweifel eine Folge ihrer näheren Beziehungen zum Sungari-Lande und zu den Chinesen, welche sich unter den Golde am Amur und insbesondere am Ussuri an verschiedenen Punkten des Handels wegen ständig aufhalten und dabei kleine Garten- und Feldwirthsehaften haben. Sieht man von dem Hunde und der bei den Golde, Oltscha und Giljaken ab und zu vorkommen- 1) Die Schildkröte wird von den Golde am Amur «jr, am Ussuri Zeile genannt. 58*+ 458 Die Völker des Amur-Landes. den und nur als Luxusartikel behandelten Hauskatze ab '), so ist das erste Hausthier, welchem man bei den Amur-Völkern, stromaufwärts gegangen, begegnet, das Schwein. Wie im ersten Bande dieses Werkes (p. 155) ausführlich dargethan, trifft man einzelne Exemplare desselben schon bei den Oltscha an°); eine ständige Schweinezucht aber findet erst bei den Golde, etwa von Ssargu und Naiche an aufwärts am Amur wie am Ussuri statt. Die mit Fisch aufgefütterten Thiere werden von den Golde ihren Landsleuten oder chinesischen Händlern verkauft, durch deren Vermittelung sie weiter stromabwärts, zu den Oltscha gelangen. Die Zuchtthiere aber beziehen die Golde theils von den Man-dse (Chinesen) am oberen Ussuri®), theils und zumeist aus dem Sungari-Lande, wo das Schwein allenthalben von Chinesen und Mandshu in grosser Zahl gezüchtet wird‘) und gleichwie in China die hauptsächlichste Fleischnahrung der Bevölkerung bildet). Ist doch das Schwein nach Wassiljef®) das älteste aller Hausthiere in der Mandshurei und dieses Land, nach Palladij, selbst in China seit jeher durch seine Schweimezucht berühmt ’). Ausser dem Hausschwein findet man bei den Golde auch das erste zahme Geflügel, und zwar zunächst Hühner (goldisch fscheko), welche ebenfalls aus dem Sungari- Lande stammen. Maack°) traf welche in Chula am Amur, etwas oberhalb Da an, und ich selbst habe die Golde in Chaizo am Ussuri ganz ebenso wie die neben ihnen wohnenden Chinesen Hühner züchten sehen "). Von den Chinesen endlich haben die Golde auch den bei ihnen aller- dings erst ganz im Anfange begriflenen Gemüse- und Cerealienbau gelernt. Der nördlichste Punkt am Amur-Strome, wo es zur Zeit meiner Reise noch einen kleinen, von Chinesen bestell- ten Gemüsegarten gab, war das auf einer Insel in der Nähe der Gorin-Mündung gelegene, aus einem chinesischen und zwei Golde-Häusern bestehende Dorf Zjanka, wie es die Chinesen, oder Otza, wie es die Golde nannten. An solchen Orten, deren Zahl stromaufwärts und den Ussuri hinauf wächst, konnten und mussten die Golde die Pflege mancher Gemüse und Cerealien aus erster Hand lernen, und bereits in der Nähe der Ussuri-Mündung, in Messur, Turme und noch 1) Ueber die Verbreitung der Hauskatze im Amur- Lande und ihre Stellung bei den Amur-Völkern s. das im I. Bande dieses Werkes, p. 98— 100, Gesagle. 2) Beiden Giljaken gab es zu meiner Zeit noch keine. Später, als es in Nikolajefsk schon von den Russen gezüch- tete Schweine gab, kauften auch die Giljaken sich ab und zu welche, um sie in festlicher Weise zu verzehren (Bocerounoe IHomoppe, 1866, crp. 59). 3) 0. Bycce, Ouepkb yCcAoB. 3eM.IeA. BB AÄNYPpceK. kpab (Jan. Asa urenin, 13AaB. Aur.— ex. 1869 r., erp. 122). 4) Williamson, Journ. in North China, Manchuria and East. Mongolia, London 1870, Vol. II, p. 69. Bapa6am®, Cyurap. Iken. 1872 r. (Boen. C6opn., 1874, N 2, crp. 343). 5) Schon bei Witsen (Noord en Oost Tartarye, 1705, p- 39, 92) findet man die Nachricht, dass die Njutschiam Sungari und Nonni (Mandshu und Dauren) gern und viel Schweinefleisch und Speck essen. Tpyöunkonsnn, 6) Onmeanie Mansuskypiu (3am. Hmm. Pycex. Teorp. O6m., XII, 1857, erp. 52). 7) Hasaariir, Aoposku. aan. ua nyru 0or% llernua a0 B.ıarogbmeucka, ype3b6 Manpuskypim »B 1870 r. (3an. Uno. Pyccer. Teorp. O6m., T. IV, 1871, erp. 351). Auch Wassiljef bemerkt a. a. O., dass Peking seine besten Schweine aus der Mandshurei bezieht, und dass fast ganz Nordchina mit mandshurischem Schweinefleisch versorgt wird. 8) L. c., p. 230. 9) Diese in meinem Reisetagebuch verzeichnete That- sache ist von mir bei Besprechung des Haushuhns im ersten Bande dieses Werkes (p. 40%) übersehen worden; dagegen ist dort erwähnt, dass das Huhn den Golde, Oltscha und Giljaken von den Chinesen her dem Ansehen nach bekannt ist oder und von ihnen in Holzschnitzereien metallischen Arbeiten gern dargestellt wird. Orotschen. Stimmen bezügl.d. Nahrung theils mitd. Oltscha,theils m.d.Golde überein. 459 mehr an diesem letzteren Strome sahen wir sie in eigenen Gärten Bohnen, Kürbisse, Gurken, Kohl, Zwiebeln u. drgl., ja auch Mais bauen. Natürlich wächst beiden Golde zugleich, in Folge grösse- rer Nähe zu den ackerbauenden Chinesen am Ussuri und Sungari und eines regeren Verkehres mit denselben, auch der Gebrauch der von diesen im Handel vertriebenen Cerealien, wie Hirse, Gerste, Sorghum, Weizen u. drgl. So gestaltet sich die Nahrung der im Grunde ebenfalls ich- thyophagen Golde, dank dem Wildreiehthum ihres Landes und dem Einflusse eines näher be- nachbarten Culturvolkes, zu einer weit mannigfaltigeren und gemischteren als bei den weiter stromabwärts wohnenden Amur-Völkern. Was endlich die mit den Oltscha und Golde auf der ganzen Strecke von der Bai de Castries bis zu den Ussuri-Quellen nach Osten, zum Meere hin benachbarten Orotschen betriflt, so stimmen diese hinsichtlich ihrer Nahrung im nördlichen Theile ihres langgestreckten Verbrei- tungsgebietes mehr mit den ersteren, im südlichen mit den letzteren überein. Allenthalben bildet Fisch, namentlich die aus dem Meere in die Küstenflüsse und aus dem Amur und Ussuri in die rechten Zuflüsse derselben aufsteigenden Lachsarten, unter denen Salmo lagocephalus und S. Proteus wiederum die Hauptrolle spielen, den Grundbestandtheil ihrer Nahrung und ermög- licht ihnen auch die Erhaltung ihres einzigen Hausthieres, des Hundes. Daneben liefert ihnen jedoch die stets mit Vorliebe betriebene Jagd auch ein erkleckliches, ja nach Süden, mit dem zunehmenden Wild- und abnehmenden Fischreichthum, im Verhältniss zum Fisch mehr und mehr wachsendes Quantum an Fleischnahrung. Die pflanzliche Nahrung der Orotschen ist hingegen allenthalben gering und beschränkt sich im Norden ihres Verbreitungsgebietes fast ganz auf die Naturprodukte ihres Landes, einige auch bei ihren Nachbarn gebräuchliche, oben ange- führte Beeren, Wurzeln u. drgl. Von allen Völkern des unteren Amur-Landes am meisten ab- gelegen vom Amur, der Hauptstrasse ihres Handelsverkehrs mit den Chinesen, bekommen die nördlichen Orotschen am wenigsten von den vegetabilischen Nahrungsmitteln, den verschiede- nen Cerealien, Leguminosen u. drgl., welche aus den chinesischen Ackerbaukolonien am Sungari den Amur abwärts exportirt werden. Im südlichen Theile ihres Wohngebietes, an den rechten Zuflüssen des Ussuri und an der entsprechenden Meeresküste, ändert sich dies, indem die Oro- tschen dort mit Chinesen, den sogen. Ussuri-Man-dse, untermiseht wohnen, die sich mit dem Anbau verschiedener Gemüse und Cerealien beschäftigen, von welchen ein: Theil im Tausch- handel oder als Zahlung für Arbeitsleistungen den Orotschen zufliesst. Ja, Manche dieser letzteren haben auch ihre eigenen kleinen Gemüsegärten!). Dennoch bleibt auch bei den südlichen Orotschen die vegetabilische Nahrung im Vergleich mit der animalischen nur sehr gering und viel geringer als bei den ihnen benachbarten Ussuri-Golde°). Im Ganzen verändert sich also die Nahrung in ihren Hauptbestandtheilen bei den Orotschen von Nord nach Süd, wenn auch in 1) Hanapo»n, Cbsepno-Vecyp.kpai (Ban. Una. Pycer. | den Schluss, dass die Orotschen etwa dreimal wenigeıi Deorp. Oöun., no 061m. Deorp., T. XVII, 1887, N 1, crp. 80). | Cerealiennahrung als die Golde gebrauchen. 2) Nadarof (l. e., p. 79) zieht aus seinen Erfahrungen 460 Die Völker des Amur-Landes. engeren Grenzen, doch ganz ähnlich wie bei den Amur-Anwohnern von der Mündung des Stromes zum Ussuri und Sungarı hinauf. Sahen wir schon bei den Anwohnern der linken Zuflüsse des unteren Amur-Stromes, den Negda, Samagirn und Kileam Kur, die Jagd und mit ihr die Fleischnahrung dem Fischfang und der Fischnahrung gegenüber eine wichtigere Rolle als bei den Anwohnern des Hauptstro- mes spielen, so steigert sich dieses Verhältniss weiter west- und landeinwärts noch mehr, und die an den West- und Südabfällen des Bureja- und Stanowoi-Gebirges und an den linken Zu- flüssen des oberen Amur-Stromes wohnenden Biraren, Manägirn und Orotschonen treten uns ihrer Hauptexistenzquelle nach nicht mehr, wie die Völker des unteren Amur-Landes, als mehr oder minder sesshafte Fischer, sondern als umherstreifende Jäger entgegen. Auf dieses oben!) bereits besprochene Verhältniss muss hier wiederum hingewiesen werden, da es nicht minder als für die Wohnung auch für die Nahrung der betreffenden Völker von maassgebender Bedeu- tung ist. In Folge desselben werden die Rollen, welche Fisch und Fleisch unter ihren Nahrungs- bestandtheilen hier und dort spielen, direkt ausgetauscht: wie bei den unteren Amur-Völkern die Fisch-, so steht bei den oberen die Fleischnahrung obenan, und wie jenen die Jagd, so giebt diesen der Fischfang nur eine untergeordnete, zeitweise etwas stärker fliessende Hülfsquelle der Ernährung ab. Zu diesem verschiedenen Verhältniss der Hauptnahrungsbestandtheile bei den Völkern des unteren und des oberen Amur-Landes tragen nicht wenig auch die sie begleiten- den, ihrer Natur und Dienstleistung nach grundverschiedenen Hausthiere bei: dort der Hund, zu dessen Unterhalt in grösserer Anzahl, als Zugthier, ansehnliche Fischvorräthe erforderlich sind, und der seinem Ernährer — wenn man von den kynophagen Giljaken und Aino ab- sieht — kein Nahrungsmittel entgegenbringt; hier, bei den Biraren, Manägirn und Oro- tschonen, Pferd und Rennthier, die jener Vorräthe nicht bedürfen und dagegen selbst ihren Besitzern Nahrungsmittel liefern. Denn nicht nur werden die in Folge von Verletzungen zur Ortsveränderung unbrauchbar gewordenen und im Falle der Noth oder bei besonderen &elegen- heiten auch ganz kräftige und gesunde Thiere verzehrt, sondern die Orotschonen geniessen mit Vorliebe auch die Rennthiermileh?), was insofern besonders beachtenswerth ist, als es bei keinem anderen Rennthiervolke Sibirien’s und nur noch im äussersten Nordwesten Europa’s, bei den Lappen geschieht ?). Hinsichtlich der im Verhältniss zur animalischen wie dort, so auch hier nur ge- ringen vegetabilischen Nahrung scheint mir zwischen den Völkern des unteren und des oberen Amur-Landes ebenfalls ein nicht unwesentlicher und jenem gewissermaassen analo- ger Unterschied zu bestehen. Denn wie bei ihnen unter den animalischen Nahrungsmitteln Fisch und Fleisch ihre Rollen wechseln, so thun es unter den vegetabilischen die einheimischen 1) S. 385. nen zuweilen die Rennthiermilch sogar direkt aus den 2) Veoan nes, Wyrem. no Aoanıb pbru Hepum | Eutern des Thieres. (Bbern. MHnn. Pycer. Deorp. Odm., 1. XX, 1857, OrA. II, 3) Pallas, Zoogr. Rosso-asiat., Vol. I, p. 209. A. G. erp. 91). Nach Tscherkassof (Ban. oxorumsa Bocroun. | Schrenck , Reise nach dem Nordosten des europ. Russ- Cuönpn ,C. Herepo. 1867, erp. 588) saugen die Orotscho- | lands, Dorpat 1854, Bd. II, p. 387. Gegensätze zwischen den oberen u. unteren Amur-Völkern bezügl. der Nahrung. A614 Naturprodukte einer- und die von den angrenzenden Gulturvölkern bezogenen Vegetabilien ande- rerseits. Während für den Haushalt der unteren Amur-Völker die ersteren Nahrungsmittel ihrer allgemeinen Verbreitung und Zugänglichkeit wegen im Ganzen von grösserer Wichtigkeit als die letzteren sind, kehrt sich dies bei den Völkern des oberen Amur-Landes um: die einhei- mischen vegetabilischen Naturprodukte haben für sie, jenen Völkern gegenüber, an Bedeutung verloren, die importirten Gulturprodukte, insbesondere Cerealien, Mehl, Graupen u. drgl., dagegen ansehnlich gewonnen. Ersteres hängt wohl mit ihrem Nomadenleben zusammen, welches zum Sammeln und Anlegen von Vorräthen, zumal wenig nahrhafter und also in grösserer Menge erforderlicher Pllanzenprodukte, Beeren, Wurzeln u. drgl., überhaupt nicht geeignet ist, und das sie ausserdem gerade in der dazu günstigsten Jahreszeit in solehen Lokalitäten verwei- len lässt, welche, wie die unmittelbaren Ufer des Amur-Stromes, von jenen Nutzpflanzen nur sehr wenig bieten, und wo sie dagegen ihre gesammte Zeit einer wichtigeren Beschäf- tigung, dem Fischfange, widmen müssen. Nebenbei bemerkt, sind es übrigens zum Theil auch andere Pflanzenarten, denen sie ihre grösste Vorliebe zuwenden: während die Eingebore- nen des unteren Amur-Landes verschiedene nahe dem Boden wachsende Beeren, namentlich die Preissel- und die Rauschbeere besonders gern mögen und in grossen Vorräthen für den Winter einsammeln, erfreuen sich bei allen Nomadenstämmen des oberen Amur-Landes, Biraren, Manägirn und Orotschonen, die mit geringerer Mühe zu erlangenden Trauben- oder Vogel- kirschen (Prunus Padus) der grössten Beliebtheit‘). Der Grund hingegen, wesshalb bei diesen Völkern umgekehrt die vegetabilischen Culturprodukte, wie Mehl, Graupen verschiedener Art u. drgl., eine grössere Bedeutung als bei den Eingeborenen des unteren Amur-Landes haben, liegt ohne Zweifel darin, dass ihnen diese Nahrungsmittel von verschiedenen Seiten, aus zahl- reicheren, näher gelegenen Quellen und darum im Ganzen wohl auch in reichlicherem Maasse als den unteren Amur-Völkern zulfliessen. Die letzteren konnten solche Gulturprodukte, bevor die russische Kolonisirung ihres Landes (in den 50-er Jahren) begann °), nur vom Sungari oder oberen Ussuri beziehen, sei es durch Vermittelung chinesischer Kaufleute, sei es auf eigens zu Handelszwecken unternommenen, immerhin weiten und beschwerlichen Reisen. Im oberen Amur-Lande hingegen spielt gewissermaassen die Rolle des Sungarı das sog. Gulturstück des Amur-Stromes, wo im Angesicht der Bureja- und Dseja-Mündungen und in der unmittelbaren 1) Ich habe gesehen, wie die Biraren grosse Mengen von Traubenkirschen auf Schilfmatten über einem kleinen Die- selben werden von ihnen spaler, ebenso wie von den Feuer trocknelten, um sie aufbewahren zu können. ’ Manägirn (Maax’e, Ilyrenm. na Amyp®», crp. 78), theils einfach verzehrt, theils mit einem Mehlteig und etwas Oel oder Fett zu Kuchen verbacken, theils endlich zu einem Pulver zerstampft, das als Zuthat zu verschiedenen Speisen dient. Dabei werden die Kerne und deren Schalen stets mitgenossen, wie ich es auch bei den Giljaken gesehen habe (s. oben, p. 440), und wie es bei ähnlicher Verwendung dieser Fruchte auch bei den Negda am Amgunj (Middendorff, Reise ete., Bd. IV, p. 1535), nach Erman (Reise um die Erde, 1. Abtheil., Histor. Ber., III, p. 415) auf Kamtschatka, nach Pallas (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, Bd. III, p. 350) bei den Ssagaiischen Tataren, welche das durch Zerstampfen der Traubenkirschen gewonnene grobe Pulver unter die Milch mengen, und anderen sibirischen Völkern geschieht. 2) Und — ich wiederhole es — nur diese Zeit kommt hier in Betracht. 162 Die Völker des Amur- Landes. Nachbarschaft der Wohn- und Wandergebiete der Biraren und Manägirn grosse, mit Acker- bau und Viehzucht beschäftigte Dörfer von Mandshu, Chinesen, Dauren, ja sogar von sess- haften Biraren liegen, in denen jene Nomaden sich leicht mit mancherlei Cerealien und Gemüse versorgen können. Von dort sowohl, als auch vom Nonni und Komar werden ihnen diese Artikel durch die betriebsamen daurischen Kaufleute auch bis weit in die Gebirgsthäler ihrer Heimath hinein zugetragen. Ferner erhalten diese Völker, und insbesondere die Orotschonen und Ma- nägirn am oberen Amur und seinen Nebenflüssen einen, beständigen Zufluss an Cerealien durch ihren Verkehr mit den vom Argunj und von der Schilka herabkommenden russischen Kosaken und sonstigen Jagd und Handel treibenden Leuten. Endlich dringen von Nordwesten auch jaku- tische Händler zu den Nomadenvölkern des oberen Amur-Landes vor und tragen ihnen unter anderen Waaren auch russische Cerealien, Mehl, Graupen u. drgl. zu. Sollte es daher bei diesen Völkern auch nicht vorkommen, dass mit einem Male so grosse Mengen dieser Nah- rungsmittel wie bei den Oltscha oder Giljaken zur Zeit ihrer Bärenfestlichkeiten verzehrt werden, so ist der Gebrauch derselben bei ihnen doch weit mehr verbreitet und allgemeiner und somit auch der Gesammtverbrauch grösser. Erwägt man nun auch die weit grössere Nahrhaftigkeit dieser Vegetabilien im Vergleich mit den besonders bei den Eingeborenen des unteren Amur-Landes zur Nahrung gebräuchlichen wildwachsenden Pflanzen, so gelangt man nothwendig zu dem Schlusse, dass die Nahrung der oberen Amur-Völker sich in einem höheren Grade als diejenige der unteren Amur-Völker neben den animalischen auch aus vegetabilischen Bestandtheilen zusammensetzt. Und damit steht auch die Thatsache im Einklange, dass die obe- ren Amur-Völker zu ihrer Nahrung weit mehr Salz als die unteren gebrauchen. Bei den Gi- Ijaken fanden wir einen ausgesprochenen Abscheu vor demselben. Die Golde und Orotschen gebrauchen es nur sehr wenig '). Von den Manägirn hingegen berichtet Maack°), dass jeder Bemitteltere unter ihnen in seinem Haushalte auch Salz hat. Sie kaufen es von den Dauren und haben für dasselbe eine aus dem Daurischen («atä») entlehnte Bezeichnung: katachan. Ver- muthlich haben sie es daher auch durch die Dauren zuerst kennen gelernt, und zwar zur Zeit, als diese, noch vor der russischen Invasion, am ganzen oberen Amur und seinen Quell- llüssen, Schilka und Argunj, mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigt, wohnten und mit den von der Jagd lebenden Stämmen im Norden in Tauschhandelsbeziehungen standen ?). Schon da- mals mögen also die Stämme des oberen Amur-Landes von den Dauren mancherlei Cerealien zu ihrer Nahrung bezogen haben. 1) Haaapos», Cbe.-Yecyp. kpaii (3am. Unmm. Pycex. 2) L. c., p. 79. leeorp. Oöun., 110 06. l’eorp., T. XVII, |: 1, crp. 80). 3) S. oben, p. 160. Giljaken. Genussmittel. Branntwein. 463 An die Betrachtung der Nahrung der Amur-Völker mögen sich einige Bemerkungen über die bei ihnen gebräuchlichen Genussmittel, insbesondere Branntwein und Tabak, schliessen. Die Giljaken verstehen es nicht, sei es durch Aufguss von Wasser auf die Blätter, Sten- gel, Rinden oder andere Theile bestimmter Pflanzenarten, sei es aus dem Safte von Beeren und anderweitigen Früchten ihres Landes sich irgend welche dem Genuss dienende Getränke zu be- reiten, wie es nach Steller’s') und Krascheninnikof’s°) Zeugniss die Itälmenen auf Kam- tschatka in so hohem Grade verstanden. Ebenso wenig ist mir bei den Oltseha und Golde etwas Derartiges begegnet°). Auch der Thee, den diese Völker durch ihren Verkehr mit den Chinesen seit langer Zeit kennen müssen‘), und den sie seit der russischen Besitznahme des Landes (in den 50-er Jahren) in Nikolajefsk wie in Mariinsk beziehen konnten, hatte bei ihnen zur Zeit meines Aufenthalts im’ Amur-Lande noch gar keine Aufnahme gefunden ’). Den Kaflee kannten sie gar nicht und hielten ihn, als sie wich welehen trinken sahen, für «sehr starken Thee». Dahingegen war der Branntwein im Amur-Lande natürlich allgemein bekannt, und zwar den Giljaken sowohl, wie den übrigen Völkern des Festlandes unter dem auch bei den Man- dshu und bei allen tungusischen, mongolischen und türk-tatarischen Völkern Sibiriens üblichen Namen (von malayisch-chinesischem Ursprunge) arali oder arki®). Ohne Zweifel datirt die Kenntniss des Branntweins bei den Amur-Völkern aus der Zeit ihrer frühesten Berührung mit den Chinesen her und hat sich seitdem rasch verbreitet. Durch die Handelsfahrten der Golde, Oltscha und insbesondere der Amur-Giljaken nach Sachalin musste der chinesische Brannt- wein alsbald auch bei den dortigen Giljaken Eingang finden. Diese hatten allerdings Gelegen- heit, den Branntwein auch von einer anderen Seite, und zwar von den Japanern kennen zu lernen, von welchen die Aino ihren Branntwein, den sogen. Ssaki, beziehen und auch selbst einen schwachen Ssaki zu bereiten gelernt haben’); allein der bei ihnen bereits eingebürgerte stärkere und vermuthlich auch billigere chinesische Branntwein gab der Verbreitung des Japa- nischen Getränkes unter ihnen keinen Raum. Mamia Rinsö°) berichtete im J. 1808, dass die Smerenkur (Giljaken) auf Sachalin den japanischen Ssaki fast gar nicht kennen, geschweige 1) Beschreib. von dem Lande Kamtschatka, p. 76—89. | berichtete vom Jahre 1881, dass die Oroken auf Sachalin 2) Onuc. Kamyarkı (Hoss. co6p. yuen. nyrem. 1o | den Thee in hohem Grade schätzen und, wenn nur welcher Pocein, T. I, crp. 308 n caba.). 3) Ich habe dabei nur die zum Genuss, nicht aber als Arzneimittel dienenden Getränke im Auge. Die Manä- girn am oberen Amur sah ich eine Flechte, die sie im Walde sammeln und mogo nennen, auf Birkenrindenmat- ten an der Sonne trocknen. So viel ich von ihnen er- fuhr, bringen sie dieselbe nach der Stadt Aigun, wo sie von den Bewohnern theuer bezahit wird, um in einem Aufguss, wie Thee, genossen zu werden. Vermuthlich dient jedoch dieser Aufguss nur als Arznei bei irgend welchen Gebrechen. 4) Die Giljaken haben fur denselben die Bezeich- nung pyncht. } 5) Poljakof (llyrem. na oerp. Caxaaumn, p. 88—90) Schrenck's Amur-Reise, Band III. vorhanden, regelmässig gegen Abend geniessen. Allein das kann nur seit der russischen Kolonisirung der Insel, also erst ganz neuerdings eingetreten sein, — zur Zeit meiner, sowie Schmidt’s und Glehn’s Reisen auf derselben war es noch keineswegs der Fall. 6) S. die Wörterverzeichnisse der genannten Völker in Klaproth’s Asia polyglotta. Dabei kommen natürlich vielfache Modifikationen dieser allgemeinen, für Korn- wie für Milchbranntwein geltenden Bezeichnung, wie araka, araku, airaki u. Ss. w., Vor. 7) Muuy.ap, Ouepr» ocrp. Caxaauna, erp. 132. Ao- 6poTBOopckiis, Anncko-pyCck. cA0BApb., IPeAHC.A., CTp. 38. 8) Tö-tats kiko (Siebold, Nippon, VII, p. 192). 59 164 Die Völker des Amur- Landes. denn selbst welchen bereiten, dagegen aber «eine Art desselben, arka genannt, von den Man- kös (Amur-Anwohnern) erhalten, der im Geschmack sehr viel Aehnlichkeit mit japan. Sötsu hab. Wie alle Culturprodukte, so fliesst auch der Branntwein den Giljaken und allen übrigen Völkern des unteren Amur-Stromes hauptsächlich aus dem Sungari-Lande zu, wo es zahlreiche und darunter sehr grosse, von Chinesen angelegte und geleitete Brennereien giebt'), und zum Theil auch vom Ussuri, wo die Branntweinsproduetion ebenfalls von den Chinesen und zwar ausschliesslich des Handels wegen betrieben wird. Der von ihnen bereitete Branntwein ist von verschiedener Qualität, je nach dem, aus welchem Getreide er gewonnen wird, ob aus dem Kao-ljan, Sorghum vulgare, das besonders zu diesem Zweck gebraucht wird?), oder aus einer der von den Chinesen angebauten Hirsearten (Setaria italica, Panicum meliaceum u. a.), oder auch aus einem Gemisch der letzteren unter einander und mit Gerste °). Der Branntwein wird von den Chinesen je nach der Quantität und dem Ort seiner Bestimmung theils in grossen, aus Weiden- ruthen gellochtenen und von innen mit diekem Papier ausgekleideten Korbflaschen, theils in vier- eckigen, aus 6 Brettern gemachten und inwendig ebenfalls mit Papier beklebten Kasten verkauft, an welchen sich oben an einem der Ränder eine durch einen Schieber verschliessbare Oeflnung befindet). Solch’ einen Kasten (gilj. Aylmr-wakke’) mit araki zu kaufen, gehört mit zu den Zwecken einer Sungari-Fahrt der Giljaken, Oltscha oder Golde, denn am Ort seiner Produk- tion ist der Branntwein natürlich viel billiger als bei den chinesischen Kleinhändlern am Amur. Mit dem Branntwein haben die Giljaken und die übrigen Völker des unteren die Art und Weise Denn gleich wie diese trinken sie ihn stets warm‘), aus ganz kleinen Porzellanschälchen, Amur-Landes auch ıhn zu trinken von den Chinesen entnommen. welche sie sich zu dem Zweck ebenfalls von den Chinesen kaufen, gleichwie auch die metallische Kanne, in welcher der Branntwein zuvor dadurch erwärmt wird, dass man die Kanne in heisses Wasser oder in die heisse Asche eines zu dem Zweck wie auch zum Anzünden der Pfeife stets zur Hand stehenden, mit glühenden Kohlen gefüllten Beckens stellt ?). So macht es der chinesische Kaufmann am Amur, indem er mit seinen Kunden verhandelt und ihnen ab und zu einen Schluck aus seinem Schälchen zukommen lässt; so machen es ıhm alle bemittelteren Golde, Ssamagirn, Oltscha oder Giljaken nach, die sich mit dem ge- sehätzten Trank und den zum Genuss desselben erforderlichen Utensilien zu versorgen vermoch- ten, und genau so schildert Mamia Rinsö auch die Art und Weise, wie die Smerenkur auf 1) Williamson, Journ. in North China, Manchuria and East. Mongolia, Vol. II, p. 67. Bapa6am», Cynrap. IreneA. 1872 r. (Boenn. Cöopn., 1874, N 2, erp. 351). 2) Ausgedehnte mit Kao-ljan bestandene Felder am unteren Sungari, sagt Barabasch (l. c.), deuten immer auf in der Nähe befindliche Brennereien. über den chinesischen Branntwein und seine Bereitung speciell im Ussuri-Gebiet s. bei Nadarof, Cbpepno-Vecyp. kpaü, p. 105 f. 4) Williamson, 1. c., p. 68. Nadarof,1. c., p. 113. 3) Genaueres Maack,l.c., p. 196. 5) Wakke heisst Kasten oder Kiste überhaupt. 6) Marco Polo bemerkt bereits, dass die Chinesen den «Rak» (Arak) nicht anders trinken, als nachdem sie ihn zuvor heiss gemacht haben (Marco Polo’s Reisen, deutsch von Bürck, p. 341, Anm. 284). 7) Die ganze Art und Weise, wie die Chinesen den Branntwein trinken, ist oft geschildert worden, so z. B. von Huec (L’Empire Chinois, Paris 1854, T. II, p. 390) u. A. Giljaken. Anfängliche Mässigkeit im Branntweingenuss. 465 Sachalın ihren vom Amur gebrachten «Arkav zu trinken pflegen. Auch die dem Trunk voraus- gehende Libation, die darin besteht, dass zuvor die Spitzen des Daumens und Zeigefingers mit Branntwein benetzt und einige Tropfen nach rechts und links, nach oben und unten und zur eige- nen Brust hin gespritzt werden, habe ich, ebenso wie vonden Mandshu und Chinesen am Amur, auch von Giljaken, Oltscha, Golde und selbst Orotschen in der Bai Hadshi mehr oder minder sorgfältig ausführen sehen. So geschieht der Genuss des Branntweins bei diesen Völ- kern in bestimmter, durch den Usus sanetionirter Weise, aus eigens dazu erforderlichem, fremd- ländischem Geräth und unter Beobachtung gewisser, durch den Aberglauben eingegebener For- malitäten. Ohne Zweifel musste auch dieser Umstand, neben den anderen, oben erwähnten, der Beschaffung des Branntweins aus weiter Ferne und seinem hohen Preise im Detailhandel der chinesischen Kaufleute am Amur, auf den Consum des Branntweins bei den Amur-Völkern in wohlthätig erschwerender und beschränkender ‘Weise wirken und sie zur Mässigkeit im Genusse desselben erziehen. Und in der That muss ich ihnen und speeciell den mir am meisten bekann- ten Giljaken für die Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande das Zeugniss solcher Mässig- keit ausstellen. Trotzdem sich ihnen mit der Niederlassung der Russen am unteren Amur, in Nikolajefsk und Mariinsk, eine neue, in nächster Nähe gelegene Quelle für dieses geschätzte und beliebte Getränk eröflnete, gab es doch in den ersten Jahren darnach so wenig Trunkenheit unter den Giljaken, dass mir ungeachtet meines vielfachen Verkehrs mit ihnen kein einziger Fall der Art begegnet ist, und zwar nicht einmal auf den mehrfachen Bärenfestlichkeiten, denen ich bei- gewohnt habe. Letzteres erschien mir besonders auffallend, erklärt sich aber daraus, dass ihren eigenen Mittheilungen zufolge das Branntweintrinken während des Bärenfestes bei ihnen für witsch (unheilbringend) gilt, — eine Vorstellung, die ihre Entstehung vielleicht auch dem den Giljaken in hohem Grade eigenen Sinn für Wahrung und Mehrung ihres Eigen- thums verdanken mag; denn bei der grossen Zahl von Theilnehmern an solchen Festen wäre, von sonstigen Fährlichkeiten abgesehen, der theuer erkaufte Vorrath des Gastgebers an arakı in kurzer Zeit der Vernichtung preisgegeben. Dank ferner jener Eigenschaft der Giljaken und einer immerhin seltenen Energie ihres Charakters trat gleich zu Anfang ihres Verkehrs mit den Russen eine Erscheinung ein, die in der Geschichte der Beziehungen zwischen Natur- und Cul- turvölkern kaum ihres gleichen haben dürfte: statt sich von den Russen vermittelst des Brannt- weins ausnutzen und um Hab’ und Gut bringen zu lassen, verstanden sie es, im Gegentheil mit ihren kleinen Vorräthen an chinesischem Branntwein den russischen Matrosen und Kosaken manchen Vortheil abzugewinnen. Allerdings kam ihrer Mässigkeit und Widerstandskraft auch der Umstand wesentlich zu Hülfe, dass in den ersten Jahren der russischen Oceupation des Amur-Landes nur sehr wenig Branntwein importirt wurde, während die Zahl der russischen Consumenten desselben ansehnlich wuchs). Später jedoch, als nach Beendigung des Krim- krieges der durch zahlreiche, insbesondere nordamerikanische und Hamburger Handelsschiffe 1) So kamen im J. 1855 zur früheren Besatzung des | aus Kamtschatka angelangter Kriegsschiffe und einige De- unteren Amur-Landes noch die Mannschaften mehrerer | tachements von Kosaken aus Transbaikalien hinzu. 59* +66 Die Völker des Amur-Landes. vermittelte Branntweinimport in Nikolajefsk stark zunahm, und gleichzeitig, unter dem An- drange der russischen Einwanderung und Kolonisation, die alten, ursprünglichen Lebensformen und Anschauungen der Giljaken mehr und mehr erschüttert wurden und hinschwanden, war es auch mit ihrer Mässigkeit und Widerstandskraft dem Branntwein gegenüber zu Ende, und bereits in den 60-er Jahren konnte man in der Lokalpresse, wie in den Berichten zurück- gekehrter Reisenden und sonstiger Augenzeugen von der unter den Giljaken mehr und mehr zunehmenden und zumal auf ihren Bären- und sonstigen Festlichkeiten zu Tage tretenden Trun- kenheit und Völlerei lesen }). Bei allen Völkern des Amur-Landes ist das Tabakrauchen gäng und gebe, und zwar rauchen sowohl Männer wie Weiber, und den Kindern wird schon frühzeitig Gelegenheit gege- ben, sich ebenfalls daran zu gewöhnen. Von woher diese Völker zuerst das Tabakskraut und dessen Gebrauch kennen gelernt haben, scheint mir auf der Hand zu liegen. Bekanntlich ist die Mandshurei das Land, aus welchem China, zum wenigsten das nördliche, die Tabakspflanze und die Sitte des Tabakrauchens erhalten hat, und zwar soll dies erst vor etwa 2V/, Jahrhun- derten geschehen sein, als die jetzt regierende Mandshu-Dynastie den Thron bestieg (1644), auf deren Befehl die Einführung des Tabaks in China stattfand), und unter deren Schutz der Tabaksbau sich rasch im ganzen Lande verbreitete ®). Nach der Mandshurei gelangte der Tabak aus Korea und nach Korea aus Japan‘), wohin er zu Anfang des XVH. Jahrhunderts von den Portugiesen gebracht worden war, und wo er ebenfalls in kurzer Zeit eine allgemeine Verbrei- tung fand’). In Korea wie in der Mandshurei fand der Tabak den günstigsten Boden und wurde bald ein Gegenstand allgemeinen und eifrigen Anbaues. Noch heute liefern diese Länder, und insbesondere die Mandshurei, den renommirtesten Tabak nach China, der dem chinesischen vor- gezogen und auch theurer als der letztere bezahlt wird). Namentlich gilt der im Girin-Gebiet gebaute Tabak für den besten nicht bloss in China, sondern auch in der ganzen Mandshurei, und in der Stadt Girin am Sungari versammeln sich im Winter die chinesischen Kaufleute, um Engros-Einkäufe von Tabak zu machen: «alle Gasthäuser der Stadb, sagt ein Augenzeuge, der B. Arth. Nordmann, Ueber den Fisch- Giljaken 1) Vrgl. z. fang und die Jagd der am Amur wohnenden (Bullet. de la Soc. Imp. des Natural. de Moscou, T. XXXIV, 2. Part., 1861, p.254); desgl. Bocrounoe Homopbe, 1866, crp. DIMLZAL 2) Huc,L’Empire Chinois, Paris 1854, T.I, p. 222— 224. Poussielgue, Voyage en Chine et en Mongolie de Mr. et de Mme. de Bourboulon, Paris 1866, p. 198. Wil- liamson, Journeys in North China, Manchuria and East. Mongolia, London 1870, Vol. II, p. 66. Wassiljef (Onnca- nie Maunweypim. — 3arı. Unm. Pyeer.leorp. O6un., Ku. XII, 1857, erp. 52, 53) sagt: darf man einem chinesischen Drama Glauben schenken, so kannten die Chinesen bis zur Mandshu-Dynastie das Tabakrauchen nicht. 3) Unter dem Kaiser Kia-king (1796—1820) wurde zwar der Versuch gemacht, den Gebrauch des Tabaks | (gleichwie auch des Opiums) in China zu verbieten, allein das Verbot blieb erfolglos, da der Tabak bereits ein unent- behrlicher Artikel für die Chinesen geworden war (Plath, Die Völker der Mandshurey, Bd. II, p. 948). 4) Klaproth (Asia polygl. p. 341) giebt nach Wilsen an, dass der Tabak bei den Koreanern panggamk-sio heisst, d. i. Kraut, das aus Süden kommt; weil sie es von den Japanern erhalten haben. 5) Schouw, Die Erde, die Pflanzen und der Mensch, aus dem Dänischen von Zeise, Leipzig 1851, p. 264. 6) Huc, Wassiljef, Williamson, ll. cc. Ueber die Beliebtheit des koreanischen Tabaks in China sprach sich schon Lange (Journal de la resid. de Sieur Lange de S. M. I. de la grande Russie a la cour de la Chine, dans les ann. 1721 et 1722, Leyde 1726, p. 65) aus. Verbreitung des Tabakrauchens u. des Tabaksbaues im Amur-Lande. 467 Archimandrit Palladij, «sind alsdann von solehen Kaufleuten überfüllt und ihre geräumigen Höfe von Tabakcollis eingenommen. «Dieses Kraut», fährt derselbe Reisende fort, «das nach den Worten chinesischer Aerzte einen Trunkenen nüchtern und einen Nüchternen trunken, einen Hungrigen satt und einen Satten hungrig macht, findet Absatz in ganz China unter dem Namen guanj-dun-ädsy, d. h. Blätter der Mandshurei» '). Wie südwärts, nach China, so hat sich der Tabak aus der Mandshurei auch nord- und ostwärts, zu allen Völkern des Amur-Landes verbrei- tet. Und zwar muss dies ziemlich um dieselbe Zeit, oder doch auch schon im XV. Jahrhundert stattgefunden haben. Als Ysbrants Ides im J. 1693 nach Tsitsikar (bei ihm Naunkoton) am Nonni kam, sah er die Dauren der Umgegend allerhand Feldfrüchte und viel Tabak bauen, den sie, neben anderen Waaren, blauem Kattun u. drgl., zum Tauschhandel mit den nordwärts wohnenden Tun gusen-Stämmen gebrauchten °), einem Handel, den sie später noch mehr und mehr ausdehnten und bis heutzutage forttreiben®). Man darf ferner mit Sicherheit annehmen, dass, gleichwie die Dauren und Mandshu im Sungari-Lande, auch die ehemals vom Sungari aus längs dem südlichen Amur-Strome bis weit unterhalb der Ussuri-Mündung, etwa bis zum jetzigen Golde-Dorfe Dondon verbreiteten Stammgenossen der Mandshu, die Djutscheren, die in grossen, mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigten Dörfern wohnten ‘), unter Anderem auch Tabaksbau betrieben. Endlich musste sich letzterer vom Sungari und von Korea aus auch an den oberen Ussuri und diesen Strom abwärts zum Amur verbreiten. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass die Golde bereits vor den russischen Kriegszügen im XVH. Jahrhun- dert von den ihnen benachbarten, ja zum Theil sogar mit ihnen untermischt lebenden Mand- shu (Djutscheren) den Tabak und dessen Anbau kennen gelernt hatten. Auch gegenwärtig wird der Tabaksbau nicht bloss von einzelnen, in ihrem Gebiet ansässigen Chinesen, sondern auch von ihnen selbst am Ussuri wie am Amur betrieben, und zwar am letzteren merkwürdiger- weise genau so weit, als ehemals die Wohnsitze der Djutscheren sich erstreekten. Denn, stromaufwärts gegangen, trafen wir den ersten Tabaksbau der Golde im Dorfe Da, welches dem oben erwähnten, auf einer Insel gelegenen Dondon gegenüber am rechten Amur-Ufer liegt. Gleichwie die Golde, erhielten den Tabak auf diesem Wege auch die an den Ussuri-Quellen und Zuflüssen wohnenden Orotschen. Im Verkehr mit den Golde sowohl, wie mit den Mandshu und Chinesen am Amur und Sungari mussten ferner auch die übrigen Völker des unteren Amur-Landes, die Oltscha, Samagirn, Negda und Giljaken schon im XVH. Jahr- hundert den Gebrauch des Tabaks kennen lernen, wenn auch der Anbau der Tabakspflanze sich bei ihnen schon aus klimatischen und anderen Gründen verbot. Durch die Giljaken und Oltscha des Festlandes gelangte endlich der Tabak auch zu ihren Landsleuten, den Giljaken und Oroken von Sachalin, während das dritte Volk der Insel, die Aino, ihn wohl aus einer 1) Apxnmanapırn Maraariii, Aopossn. sambrem ma 2) Ysbrants Ides, Driejaarige Reize naar China, nyru oT» Meruua ao Baaropbınenera, upean Mannwikypim, | p. 70, 129. »% 1870 vr. (Zar. Hmm. Pycer. Deorp. O6ur., 1o 06m. Veorp., 3) S. oben, p. 38. T. IV, 1871, crp. 398). 4) S. oben, p. 149 fl. 468 Die Völker des Amur-Landes. anderen Quelle, direkt von den Japanern erhielt!). Später, nachdem der mandshurische Tabak sich bereits unter allen Amur-Völkern verbreitet hatte und ihnen zum unentbehrlichen Bedürf- niss geworden war, drang von Westen und Norden auch russischer Tabak in das Amur-Land ein, sowohl in Folge des beständigen Verkehrs, den russische Kosaken, Jäger und Händler mit den Orotschonen, Manägirn und anderen Stämmen des oberen Amur-Landes unterhielten, als auch durch Vermittelung jakutischer Kaufleute, welche theils jenen Nomaden nachzogen, theils bestimmte Handelspunkte besuchten, an denen sie mit ihnen, sowie mit manchen Völkern des unteren Amur-Landes in Verkehr traten °). Nichtsdestoweniger herrschte bis zur russischen Öceupation des Amur-Landes in den 50-er Jahren bei allen Völkern desselben der mandshuri- sche Tabak entschieden vor, und erst seit diesem Ereigniss begann der russische (tscherkasskische) Tabak rasch an die Stelle jenes ersteren zu treten, zunächst und besonders natürlich bei denje- nigen Völkern, die selbst keinen Tabak bauen, also bei den Giljaken, Oltscha u. s. w. Was ihn bei denselben besonders beliebt macht, ist seine im Vergleich mit dem mandshurischen Tabak viel grössere Stärke oder Herbigkeit, sowie auch seine weit grössere Billigkeit. Die grosse Beliebtheit des russischen Tabaks und die allgemeine und starke Nachfrage nach dem- selben unter den genannten Völkern machten ihn bald zum allerwichtigsten und nothwendigsten Handelsartikel im Verkehr mit ihnen. 3 Wie den Tabak, so haben die Giljaken und die übrigen Völker des Amur-Landes von den Mandshu auch die übrigens auch in ganz China verbreitete Form der Pfeife (gilj. fax) an- genommen, die aus zwei durch ein dünnes, schwarz gefärbtes hölzernes Stück mit einander verbundenen metallischen Stücken besteht. Das untere Stück läuft bogenförmig in einen kleinen, nach oben gekehrten, schalenförmigen Kopf aus. Das obere oder Mundstück ist nur bein ge- meinen Manne aus Metall (Messing); jeder Bemitteltere Giljake sucht es den Chinesen nachzu- machen und sich für seine Pfeife ein steinernes Mundstück, aus Jadegit oder gar aus Chalcedon, Carneol oder Nephrit, wie solche im Sungari-Lande, namentlich in Tsitsikar u. a. Orten fabri- eirt werden ?), zu verschaffen ®). In der Form der Pfeife herrscht bei allen Völkern des Amur- Landes die grösste Uebereinstimmung, da die sie zusammensetzenden Stücke stets aus dem Sungari- Lande stammen, wo sie fabrikmässig gemacht werden. Nur die Aino auf Sachalin haben anders- geformte Pfeifen, weil sie dieselben aus einer anderen Quelle, von den Japanern beziehen. Ich habe bei ihnen Pfeifen von zweierlei Form gesehen: einmal mit ganz kleinem, rechtwinklig nach oben abgesetztem Köpfchen, in welches kaum die Spitze des kleinen Fingers hineinpasst, und dann auch welche mit grösserem, schalenförmigem Kopfe. Ausserdem aber machen sie sich 1) Die Bezeichnung für den Tabak ist, wie bei den 2) S. oben, p. 79—82. Mandshu(dambagu) undMongolen (tamachi),so auch bei allen Amur-Völkern stets dieselbe; so bei den Golde und Oltscha: damche, tamche und tamache, bei den Giljaken: tamta)ch, bei den mit ganz geringen Modifikationen Aino: tambaku u. s. w. 3) Bapadamın, Gyuraper. owen. (Boen, C6opn., 1874, N 2, erp. 351). 4) Das untere metallische Stück, mit dem Pfeifenkopf, heisst giljakisch kott, das Mundstück zimf, das sie verbin- dende hölzerne Mittelstück toamdasir. Giljaken. Art und Weise des Tabakrauchens. Tabakssurrogate. 169 auch selbst Pfeifenköpfe, und zwar aus dem Holz der Hydrangea paniculata Sieb. et Zuce., welche namentlich bei den Weibern im Gebrauch sind }). Der auf einem besonderen Brett (Taf. XXXIV, Fig. 8) fein zerschnittene und, wenn trocken, fast zu Pulver zerfallende Tabak wird bei den Giljaken in einem Beutel gehalten, der eben- falls immer von einer und derselben, überall im Amur-Lande angenommenen, mandshu-chine- sischen Form zu sein scheint, lang und schmal und in der Nähe seines oberen Endes mit einem seitlichen Schlitz versehen, durch welchen die Pfeife hineingesteckt wird, um innerhalb des Beutels mit Tabak gestopft zu werden. In dieser Lage wird sie stets auch mit dem Beutel zu- sammen getragen, der in der Regel an einen der obersten Pelz- oder Hemdknöpfe befestigt wird und von dort in den Busen herabhängt. Meist ist er aus Fischhaut, Leder oder einem Fellstück gemacht, an den Rändern mit chinesischem Kattun oder Seide eingekantet, oben mit einigen gestickten oder gemalten Arabesken verziert und bisweilen auch ganz aus einem jener Stofle verfertigt. Gern theilt der Giljake den Genuss des Tabakrauchens mit Anderen. Doch findet das nie in der Weise statt, dass die Pfeife unter allen um den Herd oder um ein im Freien lodern- des Feuer Herumsitzenden von Hand zu Hand in die Runde geht. Das verbietet sich schon durch das geringe Maass der Pfeife, so wie auch durch meist vorhandene sociale oder moralische Diffe- renzen zwischen den Anwesenden. In der Regel sieht man aber die Pfeife zwischen zwei Neben- einandersitzenden hin und her gehen. Tritt namentlich ein Angereister in die Jurte, so reicht ihm der Wirth, nachdem er neben ihm Platz genommen, seine eben angerauchte Pfeife, welche dieser, nachdem er einen Zug aus derselben gethan, wieder dem ersteren zurückgiebt, um sie nochmals von ihm zu erhalten, und so fort, bis die Pfeife zu Ende ist, worauf der Gast seiner- seits mit Gleichem erwidert. Immer ist dies ein Zeichen freundlichen Willkommens und guten Einvernehmens oder einer gewissen Achtung und Gleichstellung. Ich habe die chinesischen Kaufleute am Amur es oft ebenso mit den in die Jurte ein- und an sie herantretenden Einge- borenen thun sehen, was ohne Zweifel den Zweck hatte, sie durch ein solches, für sie sehr schmeichelhaftes Entgegenkommen zu gewinnen und für den Handel günstiger zu stimmen. Geht den Giljaken der Tabak aus, so greifen sie zu verschiedenen Ersatzmitteln für den- selben. Das gewöhnlichste dieser Surrogate ist ein feines und trockenes Holzschabsel, gleichviel von welcher, immer aber von einer weichen Holzart, vermuthlich vorzugsweise von Weiden- holz. Solch ein Holzschabsel wird schon dem Tabak beigemischt, wenn er auf die Neige zu gehen beginnt. Ist er zu Ende gegangen, so wird an Stelle desselben das mit Tabaksoel ver- mischte Holzschabsel geraucht. Zu dem Zweck wird das Tabaksoel von Zeit zu Zeit aus den Pfeifen gekratzt und in einem besonderen Täschehen (gilj. nöryghsis) aufbewahrt, das aus 1) Fr. Schmidt, dem ich diese Angabe entnehme, fügt | doch noch in Kussunai und Manue im Gebrauch gesehen hinzu, dass er diese Pfeifenköpfe, trotzdem, dass die | habe. $. dessen Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Hydrangea paniculata nur in der Aniwa-Bai und an der | Sachalin (M&m. de l’Acad. Imp. des sc. de St. Pötersb., VII® Westküste Sachalin’s südlich von Notosama vorkommt, | Ser., T. XII, N 2, p. 99). 470 Die Völker des Amur-Landes. ein paar zwischen zwei Seehundsfellstücken befestigten Lederläppehen besteht (Taf. XXVIH, Fig. 6), auf welche das Tabaksoel geschmiert wird, um, wenn nöthig, abgekratzt zu werden und, mit dem Holzschabsel vermischt, wieder in die Pfeife zu wandern !). Ausserdem benutzen die Giljaken auch manches ihrer einheimischen Kräuter als Tabakssurrogat; so z. B. ein Kraut, das sie mir in Allof am Amur /schomr, in Tyk auf Sachalin wurpi nannten, und das, nach den mir zu Gesicht gekommenen trockenen Bruchstücken zu urtheilen, ein Farrenkraut zu sein scheint. Bei den Golde, in Köurmi am Amur, sah ich ebenfalls Bündel eines Krautes hängen, das sie toina nennen und als Surrogat für Tabak gebrauchen. Die systematischen Namen dieser Pflan- zen müssen zunächst unbekannt bleiben. Das Tabakschnupfen und Tabakkauen findet man bei den Amur-Völkern, zum wenigsten im unteren Amur-Lande, gar nicht). Beides liegt auch nicht in den Sitten der Chinesen. Das Tabakschnupfen findet sich zwar bei diesen ®), soll aber auch nur in den höheren Ständen, unter den gelehrten Mandarinen und hohen Beamten gebräuchlich sein und von den alten französi- schen Jesuitenmissionären her datiren, die ihm durch ihr Beispiel Eingang am Hof und in der Aristokratie von Peking verschaflten, an welchem Orte man auch heutzutage noch den meisten Tabaksehnupfern in China begegnen soll‘). Bei so geringer Verbreitung dieser Sitte in China ist es vollkommen begreiflich, dass sie sich bisher auch nieht von dort aus nach dem Sungari- Lande und so zu den Amur-Völkern hat verbreiten können. Dahingegen darf man sich wundern, dass die Amur-Völker bisher noch nicht von einem anderen, auf dem erwähnten Wege zu ihnen vordringenden Narcoticum heimgesucht worden sind, — ich meine vom Opium. Zur Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande war das Opium dort noch völlig unbekannt und auch nichts von einem etwaigen Anbau desselben bei den Mandshu oder Chinesen am Sungari zu hören ®). Im J. 1866, als Williamson die Mandshu- rei bereiste, wurde ihm dort versichert, dass vor wenigen Jahren noch das Opium dem Lande ganz fremd war; jetzt sah er es aber allenthalben in Anbau. Beim Dorfe Fata-mun z. B., etwas nördlich von Girin, wo es nach Angabe der Eingeborenen vor 3—5 Jahren noch gar kein 1) Ganz dasselbe Tabakssurrogat ist auch bei den ] skiöld, Die Umsegel. Asiens und Europas auf der Vega, Tschuktschen im Gebrauch, die es aber in der Weise | Bd. II, p. 114). gewinnen, dass sie das Holzschabsel in das an ihren Pfeifen 3) Staunton,Des Grafen Macartney Gesandtschafts- viel diekere Rohr oberhalb des Pfeifenkopfs stecken, wo | reise nach China, aus dem Englisch., Frankf. und Leip- es vom durchziehenden Tabaksrauch allmählich mit Nico- | zig 1798, Bd. II, p. 71. tin durchtrankt wird (Bush, Reindeer, dogs and snow- 4) Huc (L’Empire Chinois, 1. c.) erzählt ferner, dass shoes, London 1872, p. 429. Dall, Alaska and its resources, | die Missionäre sich zu ihrem Gebrauch französischen Ta- Boston 1870, p. 81). bak aus Europa bringen liessen, und da dieser damals als 2) Bei den Aleuten, die den Tabak von den Russen | Stempel ein Wappen mit drei Lilien trug, so wurde letz- kennen gelernt haben, wird er am allermeisten gekaut, | teres Zeichen zum einzigen Schilde für Schnupftabak ver- seschnupft nur wenig und geraucht gar nicht (Beniamn- | kauf in Peking und ist es noch heutzutage. HORB, Zar. 005 OCTp. Yuaramk, OTA., 4. 11, 1840, erp. 236). 5) Maack (llyreun. na Amyp®#, erp. 243) sah übrigens Die Tschuktschen sollen ihn oft erst kauen, dann hin- | am Amur, in der Nähe der Sungari-Mündung, einen Man- ter dem Ohre trocknen und in einem besonderen Beutel | dshu-Beamten einen Stoff rauchen, den er für Opium hal- aufbewahren, um ihn spater noch zu rauchen (Norden- | ten zu dürfen glaubt. Vordringen des Opiums zu den Amur- Völkern. 171 Opium gegeben, standen 130—160 Aecres Landes unter der Mohnpllanze. Der Opiumbau, hiess es, sei viel vortheilhafter als der Anbau irgend eines Getreides; zwar sei er gesetzlich verboten, allein die betreflenden Regierungsbeamten liessen sich durch Geld oder eine Abgabe an Opium erkaufen. Ansehnliche Quantitäten von Opium wurden bereits aus der Mandshurei nach Peking verführt, und auch im Lande selbst hatte das Opiumrauchen schon bedauerliche Dimensionen erreicht, indem die Mehrzahl der männlichen Jugend ihm ergeben war'). Dass unter solehen Umständen und dank den chinesischen Kaufleuten auch die Amur-Völker in Zu- kunft davon nicht verschont bleiben werden, ist gewiss zu befürchten. 1) Williamson, Journeys etc. Vol. II, p. 65, 230 u. a. Schrenck's Amur-Keise, Band Ill 60 7. Abschnitt. Mittel der Bewegung und Ortsveränderung zu Lande und zu Wasser: Schneeschuhe, Schlitten, Zug-, Reit- und Lastthiere, — Hund, Rennthier, Pferd; Böte und Kähne. Wie schon mehrfach erwähnt, sind die drei Hauptbeschäftigungen, welche den Amur- Völkern sowohl Kleidung und Nahrung, als auch die zum Bedürfniss gewordenen Genussmittel gewähren, Fischfang, Jagd und Handel, — Beschäftigungen, die nicht anders als unter mancher- lei, mehr oder minder ansehnlichen Ortsveränderungen stattfinden können. Bevor ich daher an die Betrachtung dieser ihrer Hauptbesehäftigungen gehe, halte ich es für geboten, die Art und Weise der Ortsveränderung bei den Amur-Völkern und die ihr dienenden Mittel einer besonde- ren Besprechung zu unterwerfen. Diese wird naturgemäss in zwei Theile zerfallen, indem sie sich einerseits der zu Lande oder auf der Eisdecke der Gewässer und andererseits der zu Wasser vor sich gehenden Ortsveränderung zuzuwenden hat. Ein Fischervolk wie die Giljaken, das seine Wohnsitze stets in nächster Nähe von dem es fast ausschliesslich ernährenden Wasser aufschlägt, und vor welchem ferner auf dem Amur-Strom wie längs der Westküste Sachalin’s direkte Wasserstrassen zum Handel und Verkehr mit den Nachbarstämmen und mit den nächsten Culturvölkern, den Man- dshu-Chinesen am Sungari und den Japanern aufSüdsachalin, sich ausbreiten, ein solches Volk muss natürlich einen grossen Theil seines Lebens in Bewegung und Ortsveränderung auf dem Wasser zubringen. Indessen sind die klimatischen Verhältnisse des Amur-Landes der Art, dass die Ortsveränderung zu Wasser nur während etwa fünf Monaten, vom Mai bis zum September möglich ist, — die übrige und längste Zeit des Jahres muss sie zu Lande geschehen. Und indem der Winter die Gewässer in Fesseln schlägt und die Erdoberfläche mit einer dieken Schneeschicht überkleidet, ermöglicht er den Giljaken die Bewegung und Ortsveränderung zu Lande, resp. auf der Eisdecke der Gewässer und eröflnet ihnen neue Gebiete und Verkehrsstrassen. Der im Giljaken. Mittel winterlicher Lokomotion. Kleine Schneeschuhe. 473 Sommer in Folge seines dichten Unterholzes, der vielen umgestürzten, halbvermoderten und übermoosten Bäume ungangbare nordische Urwald wird dank der hohen, alle Unebenhei- ten seines Bodens ausgleichenden Schneelage unter gewissen Bedingungen für Fussgänger wie für leichte Gefährte zugänglich, gerade zu der Zeit, da er die Pelzthiere in ihrem kostbaren Winter- haar birgt. In Folge dessen wird der im Sommer menschenöde, höchstens nur hie und da, an seinem Rande von Beeren- und Wurzelnsammelnden Weibern und Kindern besuchte Wald im Winter zum Tummelplatz der Jäger. Von Jägern und Händlern werden durch ungang- bare Wald- und Gebirgswildnisse Pfade und Wege gebahnt, die sonst entlegene Ortschaften zeitweise mit einander verbinden. Das Eis des Amur-Limanes ferner hebt auf Monate die insu- lare Lage Sachalin’s auf, und insonderheit endlich bietet die ebene Eisdecke des Amur-Stromes den Giljaken eine Hauptverkehrsstrasse vom Liman bis zum Sungari hinauf. Betrachten wir nun genauer die Mittel, welche den Giljaken zur winterlichen Lokomo- tion dienen. Bei aller Aehnlichkeit, ja theilweisen Uebereinstimmung mit denjenigen anderer nordischen Völker bieten sie des Abweichenden und Eigenartigen genug dar. Der grosse Schnee- reichthum des unteren Amur-Landes nöthigt die Giljaken, sich auf Schritt und Tritt der Schnee- schuhe zu bedienen. Gilt es auch nur einen kleinen Gang vom Hause, ja sogar nur einige Schritte vom eingelrampelten oder eingefahrenen Pfade abseits zu machen, so sind Schneeschuhe erfor- derlich, wenn man nicht bis zum Gürtel und tiefer in den Schnee einsinken will. Noch unumgäng- licher sind sie natürlich auf weiteren Gängen durch den Wald, wo der Schnee besonders hoch und locker liegt, oder aber nach Schneestürmen, da er, vom Winde getrieben, sich stellenweise und zumal an Bergabhängen, in Thälern und Schluchten in so kolossalen Mengen anhäuft, dass an ein Ueberschreiten derselben ohne Schneeschuhe gar nicht zu denken ist. Für solche Gänge, wie sie der Giljake zum Aufstellen oder Besichtigen seiner Thierfallen und zu anderen Jagdzwecken, oder auf Reisen, wenn ihn Schneestürme überraschen, oft genug zu machen hat, ist es aber zum leichteren und rascheren Vorwärtskommen erforderlich, dass die Schneeschuhe nicht bloss das Einsinken in den Schnee möglichst verhindern, sondern auch ein gewisses Fortgleiten über denselben gestatten. Um nun diesen verschiedenen Bedürfnissen nachzukommen, haben die Giljaken zwei Arten von Schneeschuhen: kleine — lakk und grosse — en). Die kleinen Schneeschuhe der Giljaken bestehen aus zwei dünnen Brettchen, ohne Fell- überzug. Sie sind etwa 4, Fuss lang und 5—6 Zoll breit, dabei mit Ausnahme des vorderen, sanft aufwärts gekrümmten und mehr oder minder rasch zugespitzten Endes vollkommen flach und eben. Je nach dem Maass dieser Zuspitzung des vorderen Endes lassen sich mehrere, in gewissen Gegenden bei den Giljaken übliche Formen der kleinen Schneeschuhe unterscheiden. So herrscht am Amur-Strome bis nach Wair hinab die auf Taf. XXXV, Fig. 1 und 2, abgebil- dete Form, mit langsamerer Verjüngung der Spitze. Unterhalb Wair’s, an der Amur-Mündung, am Liman und auf der gegenüberliegenden Küste Sachalin’s haben die Schneeschuhe die in Fig. 3 wiedergegebene Form, mit rascherer Zuspitzung, und auf Sachalin endlich giebt es eine dritte Form, mit noch rascherer Verjüngung des Vorderendes, zu deren Abbildung ich leider keine Gelegenheit fand. Diese kleinen Schneeschuhe sind dem Giljaken ein ganz unentbehr- 60* 474 Die Völker des Amur-Landes. liches Stück, ohne welches man ihn im Winter fast nur in der Jurte sieht. Denn er braucht sie nicht bloss zu jedem noch so kleinen Gange, sondern behält sie auch beim Fahren, rittlings auf der Narte sitzend, an den Füssen bei, sowohl um nöthigenfalls, wenn es z. B. am Anspann der Hunde etwas zu ordnen giebt, absteigen und einige Schritte durch den Schnee machen zu können, als auch um die Fortbewegung des Schlittens zu erleichtern, worauf ich später noch zurück- kommen werde. Ist der Ort, wo im Freien genächtigt werden soll, erreicht, so dient ihm der Schnee- schuh mit seinem ebenen hinteren Ende als Schaufel, um den Nachtlagerplatz wie erforderlich zu bereiten!) und den übers Feuer gehängten Kessel mit Schnee zu füllen, und hat er sich endlich auf dem Tannenreisig vor dem lodernden Feuer niedergelassen, die Beine kreuz- weise untergeschlagen, so giebt ihm ein quer über die Kniee gelegter Schneeschuh das an Stelle des Chachtschitsch in der Jurte?) dienende Tischehen zur Einnahme des Abendessens ab. So wesentliche Dienste aber die kleinen Schneeschuhe den Giljaken auch leisten, so sind sie doch für weitere Gänge über tiefen und lockeren Schnee auf unebenem Waldesboden wenig geeignet. Denn bei ihrer geringen Grösse heben sie das Einsinken nur in einer sehr unvollkom- menen Weise auf, sind auch nur wenig elastisch und in Folge des fehlenden Fellüberzuges nur sehr wenig glatt; ja, bei nassem Wetter macht der anhaftende Schnee das Gehen auf denselben sogar recht beschwerlich. Zu ihren Jagdexeursionen und sonstigen weiteren Gängen bedienen sich daher die Giljaken nicht der kleinen, sondern der grossen Schneeschuhe, — enj (Taf. XXXV, Fig. 4—6). Diese werden, gleichwie die kleinen Schneeschuhe, in der Regel aus Lärchenholz (gilj. koi) gemacht, welches die Giljaken daher auch als Zakk-tschchar, d. h. Schneeschuhholz, bezeichnen °), ‚sind aber erheblich länger und breiter und mit einem Fellüberzuge versehen, im Uebrigen jedoch ziemlich von derselben Form wie jene, namentlich ebenfalls bis auf das sanft aufwärts gekrümmte Vorderende in ihrer ganzen Länge flach und eben. Der Ueberzug ist von Seehundsfell, das, mit dem Haar nach hinten gerichtet, vermittelst Fischleims möglichst glatt über die ganze untere Seite des Schneeschuhes geklebt und an den beiden Rändern nach oben umgeschlagen wird. Ausserdem dienen zur Befestigung desselben zwei lange, schienenartig längs den Rändern des Schneeschuhes verlaufende, durch hölzerne Stifte an das Schneeschuhbrett be- festigte Streifen von Fischbein oder von sorgfältig geglättetem Holz. Das zur Aufnahme des Fusses dienende Riemenwerk ist ebenso wie bei den kleinen Schneeschuhen beschaffen, nur durchweg breiter und kräftiger: unter die vordere, an zwei durch den Schneeschuh und dessen Ueberzug gehende Riemen befestigte Schlinge wird die Fussspitze bis über die Zehen gesteckt; die hintere Schlinge kommt über dem Hacken zu liegen, und dort werden auch die beiden seit- lichen, mit mehreren Löchern versehenen Riemen zusammengeknüpft, und zwar indem ein 1) S. oben, p. 377. lin. — Mem. de l’Acad. des sc. de St. Pet., VII® Ser. T. XII, 2) S. oben, p. 427 und 446. N 2, p. 99. Muny.an, Ouepk» ocrp. Caxaııma, erp. 33), 3) Die Aino auf Sachalin machen ihre Schneeschuhe | die Golde aus Eschenholz (Byanume»%, Ornne,. abe. am liebsten aus dem Holze von Sorbus aueuparia | sacrn Wpnmoper. 061. — 3an. Cn6. Ora. Hnu. Pycer. (Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der Insel Sacha- Treorp. Oöin., Ku. IX, X, erp. 128). Giljaken. Beschaffenheit der grossen Schneeschuhe und des Schneeschuhstockes. 475 Riemen durch den anderen gezogen und ein Holzpflöckchen gegen das Abrutschen vorgesteckt wird. Bei solcher Anheftung des Schneeschuhes an den Fuss behält der Hacken seine volle freie Beweg- lichkeit nach auf- und abwärts, wie nach rechts und links, und die Fortbewegung geschieht ledig- lich durch ein Vorwärtsschieben des Schneeschuhes mit der Fussspitze. Die Leichtigkeit und Schnel- ligkeit der Bewegung hängt somit wesentlich von dem leichten Fortgleiten der Schneeschuhe über die Schneefläche ab, und dies wird an den giljakischen Schneeschuhen in hohem Grade durch den Ueberzug mit dem kurzhaarigen und glatten Seehundsfell und die Fischbein-, resp. die nach aussen abgerundeten und geglätteten Holzschienen bewirkt. In dieser ausnehmenden Glätte liegt der Haupt- vorzug der giljakischen Schneeschuhe. Die Schienen, ob aus Fischbein oder Holz, dienen zugleich dazu, ein Ausgleiten nach der einen oder der anderen Seite zu verhüten. Je leichter aber die giljakischen Schneeschuhe aus den erwähnten Gründen über den Schnee fortgleiten, um so we- niger sind sie zum Bergansteigen geeignet, denn das nur wenig widerhaarige Seehundsfell kann dem Zurückrutschen schon an sich einen nur allzu geringen Widerstand leisten, und dieser Widerstand wird noch durch die glatten, über das Fell vorragenden Fischbein- oder Holz- schienen paralysirt. Wie bei den grossen Terrainunebenheiten, so tritt ferner ein wesentlicher Mangel der giljakischen Schneeschuhe auch den kleinen Bodenunebenheiten gegenüber, wie sie der nordische Urwald allenthalben aufweist, zu Tage. Dieser Mangel besteht in ihrer geringen Elastieität. Denn die Giljaken nehmen zu ihren Schneeschuhen, vielleicht der grösseren Dauer- haftigkeit wegen und indem sie auf die ihnen durch den Fellüberzug und die Schienen zu ver- leihende Glätte rechnen, kein besonders dünnes Brett und machen sie zudem, wie bereits erwähnt, so flach und eben, dass sie, unbeschwert auf den Boden gelegt, denselben, von dem vorderen, aufwärts gekrümmten Ende abgesehen, mit ihrer gesammten unteren Fläche berühren. In Folge ihrer geringen Elastieität können sie sich aber den Unebenheiten des Bodens nicht genügend fügen und sinken daher tiefer ein, was den Gang auf solchem Boden begreiflicherweise sehr erschwert und verlangsamt. Alles zusammengenommen, sind die Schneeschuhe der Giljaken ihrem Bau und ihrer gesammten Beschaffenheit nach weniger zum Durchstreifen unebener Berg- und Waldwildnisse, als zum raschen Dahingleiten über weite, tief verschneite Flächen geeignet, wie sie die Eisdecke des Amur-Stromes, des Amur-Limanes, der vielen Meeresbuchten und Baien und manche sonstige ebene Strecken ihrer Heimath darbieten. Zum Schluss muss hier noch des Stockes Erwähnung geschehen, dessen sich, gleich anderen nordischen Völkern, auch die Giljaken beim Gehen auf Schneeschuhen bedienen, und der sowohl als Steuer beim Bergabrutschen, wie als Stütze bei gewöhnlicher Fortbewegung dient. Letzteres wird namentlich dadurch ermöglicht, dass an den Stock etwas oberhalb seines unteren, in eine gerade oder gekrümmte Spitze auslau- fenden Endes ein hölzerner Reif angebracht ist, der mit ihm durch mehrere von seiner Peripherie speichenartig zum Stock und durch denselben gezogene Riemen in etwas beweglicher Verbin- dung steht. Dank demselben findet der Stock im Schnee einen hinreichenden Widerstand, um einen gewissen Halt zu bieten, während seine Beweglichkeit das Wiederherausziehen des Stockes aus dem Schnee erleichtert und somit auch dabei einen unnützen Kraftaufwand verhindert. Das obere, etwas schauflelförmig erweiterte Ende des Stockes endlich dient dazu, den unter Schn eeschuhstock , gilj. kyssj:a—oberes, schau- felförmiges Ende,b—beweg - licher Reif, gilj. tschrop, c— untere Endspitze, gilj. itusp. Die Völker des Amur-Landes. dem Fusse sich ansammelnden und zusammenballenden Schnee zu ent- fernen. Beide Arten von Schneeschuhen, die kleinen wie die grossen, sind auch bei den den Giljaken benachbarten tungusischen Völkern des Amur- Landes im Gebrauch. Die kleinen Schneeschuhe, von den Oltseha und Golde kangulta genannt, behalten auch bei ihnen dieselbe Form und Be- schaffenheit wie bei den Giljaken. Die grossen Schneeschuhe hingegen (oltschaiseh und goldisch ssultt oder auch ssoch-ssult«) zeigen bei ihnen den giljakischen gegenüber sehr erhebliche und charakteristische Differenzen, auf welche ich hier etwas näher eingehen muss. Im Ganzen stimmen sie mit den von Middendorff ausführlich besprochenen Schnee- schuhen «der nomadischen Jäger Sibirien» überein, unter welcher allge- meinen Bezeichnung in diesem Falle, wie ich aus der betreffenden Be- schreibung und Abbildung!) mit Bestimmtheit schliessen zu dürfen glaube, sibirische Rennthier-Tungusen gemeint sind, in deren Gesell- schaft Middendorff seine Reise längs dem Südabhange des Stanowoi- Gebirges vom Ochotskischen Meer bis zum oberen Amur ausführte, und auf die jene allgemeine Bezeichnung unter allen Völkern Sibiriens am meisten passt. Entsprechend jedoch dem höheren Wohlstande und Schlifle der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes jenen ihren sibirischen Stammgenossen gegenüber, sind auch ihre Schneeschuhe, insbesondere diejenigen der Golde und Samagirn, noch feiner, geschickter und kunst- voller gemacht, so dass sie wohl den höchsten Grad der Vollendung dieses Utensils, der überhaupt erreicht worden ist, darstellen. Sie sind länger und im Verhältniss auch breiter als die grossen giljakischen Schneeschuhe. Die Länge lässt sich jedoch nur im Allgemeinen auf etwa 5—6 Fuss angeben, denn als Regel gilt, dass sie stets von der Länge desjenigen Individuums sein müssen, für welches sie bestimmt sind, — eine Regel, an die man sich natürlich nicht immer hält. Trotz ihrer ansehnlicheren Dimensionen sind die amur-tungusischen Schneeschuhe, wie ich sie schlechtweg nennen will, — von den Giljaken werden sie Rdhy-enj, d.h. Samagir-Schnee- schuhe, genannt — doch viel leichter als die giljakischen, in Folge der ausnehmenden Dünnheit des Brettes. Diese Dünnheit des Brettes und die eigenartige, leicht gewellte Form, die ihm beim Troeknen gegeben wird, bedingen die ausserordentliche Rlastieität dieser Schneesehuhe. Wie man aus den auf Taf. XXXV, Fig. 7—9, gegebenen Abbildungen ersehen kann, welche nach einem Paar goldischer Schneeschuhe entworfen sind, das ich im Dorfe Ssamahagdu am Amur acquirirte und, gleich wie auch 1) Middendorff, Reise in den Nord. und Ost. Sibir., Bd. IV, p. 1349. Giljaken. Vorzüge der amur-tungusischen Schneeschuhe vor den giljakischen. W77 die daneben abgebildeten giljakischen, während meines Aufenthalts im Amur-Lande selbst ge- braucht habe, verläuft das Brett der amur-tungusischen Schneeschuhe in einer doppelten Wellen- linie. An der Stelle nämlich, wo der Fuss zu stehen kommt, und die nieht etwa genau in der Mitte des Schneeschuhes, sondern im Anfang seiner hinteren Hälfte liegt, ist das Brett sanft aufwärts gewölbt und fällt von dort nach vorn wie nach hinten ab, um an beiden Enden, und zwar am hinteren nur schwach, am vorderen aber recht stark wieder anzusteigen. Legt man daher die- sen Schneeschuh ohne Belastung auf einen ebenen Boden, so berührt er ihn nicht, wie der gilja- kische, mit seiner ganzen unteren Fläche, sondern nur an den beiden Stellen derselben, wo sie nach den Enden hin anzusteigen beginnt. Erst wenn der Fuss auftritt, kommt auch der zwischenliegende, mittlere Theil der Schneeschuhsohle in Berührung mit dem Boden. In Folge der erwähnten Eigenschaften fügen sich diese Schneeschuhe weit mehr den kleinen Unebenhei- ten des Bodens an und verhindern das Einsinken in den Schnee viel vollständiger als die gilja- kischen Schneeschuhe. Zur Bekleidung der amur-tungusischen Schneeschuhe werden Beinfelle vom Elenn oder vom Rennthier genommen; bisweilen besteht auch der Mittelstreifen aus den ersteren, das Uebrige aus den letzteren. Die Felle werden längs den Rändern nach oben umge- schlagen und hier ausser durch Fischleim noch vermittelst einiger, durchs Brett genähter, Nacher Riemen befestigt. Schienen, sei es aus Fischbein oder aus Holz, haben die amur-tungusischen Schneeschuhe niemals; dagegen ist aber bei ihnen der Mittelstreifen der Fellbekleidung stets von den Seitenstücken etwas abgesetzt, wodurch das seitliche Ausgleiten der Schuhe hinläng- lich verhindert wird. In Folge einer solchen Bekleidung sind die amur-tungusischen Schneeschuhe zwar minder glatt als die giljakischen, leisten aber, dank der grösseren Widerhaarigkeit der genannten Felle, einen weit stärkeren Widerstand beim Bergansteigen. Um ferner das dünne, an der Fussstelle etwas nach oben gewölbte Brett vor Beschädigung durch den Druck des Fusses zu schützen, ist es an dieser Stelle noch mit einem zweiten dünnen Brettchen, oder auch mit einer Rinden- oder feinen Knochenplatte bekleidet, auf welche der Fuss zu stehen kommt. Was endlich das Riemenwerk betrifft, so ist es zwar, wie man sich aus den Abbildungen überzeugen kann, demjenigen der giljakischen Schneeschuhe sehr ähnlich, allein insofern auch zwecekmässi- ger, als das An- und Abthun der Schuhe vermittelst desselben kein jedesmaliges Bücken und Nachhelfen mit der Hand erfordert: ist nämlich der hintere, längs den Seitenriemen verschieb- bare Riemen einmal an der richtigen Stelle, je nach der Grösse des Fusses, befestigt, so braucht man, um die Schneeschuhe anzuthun, den Fuss nur derart ins Riemenwerk zu stecken, dass der hintere Riemen über dem Hacken zu liegen kommt, und alsdann durch eine seitliche Bewe- gung des Fusses die Spitze desselben unter den breiten vorderen Riemen zu bringen. Das Ab- thun der Schneeschuhe geschieht nicht minder leicht, indem man nur mit dem Schneeschuh- stock den hinteren Riemen über den Hacken hinabzuschieben braucht. Aus dem Obigen ist ersichtlich, wie grosse Vorzüge die Schneeschuhe der tungusischen Völker des unteren Amur-Landes, der Oltscha, Golde, Samagirn, vor den giljakischen haben, und wie viel geeigneter sie namentlich zum winterlichen Durchstreifen von Wald- und Gebirgswild- nissen sind. Wie die Kleidung und Nahrung, so beweist mithin auch die Beschaflenheit dieses 478 Die Völker des Amur- Landes. wichtigen Lokomotionsmittels, dass bei diesen Völkern, trotzdem sie heutzutage im Allge- meinen ebenfalls sesshafte Fischer sind, die Jagd doch eine weit grössere Rolle als bei den Giljaken spielt. Und insbesondere bemerkenswerth ist der Umstand, dass die Oltscha, die sich im Uebrigen so viel vom giljakischen Wesen zu eigen gemacht haben, dass man sie in ihrer äusseren Haltung von den Giljaken nicht zu unterscheiden vermag, hinsichtlich der Schneeschuhe doch bei ihrem althergebrachten, im Amur-Lande allerdings noch vervollkommneten, tungusischen Typus geblieben sind. Der Schneereichthum des unteren Amur-Landes macht den Gebrauch der Schneeschuhe in seinem ganzen Bereich bis zur Südgrenze nothwendig. So erwähnt z. B. der Missionär de la Bruniere!) der Schnelligkeit und Gewandtheit, mit welcher sich die Golde («Jupi-tatse») am Ussuri auf ihren Schneeschuhen bewegen. Ja, sie sind auch noch südlich vom unteren Amur- Lande im Gebrauch. Denn schon der alte Witsen°) berichtete nach Erzählungen der um die Mitte des XVII. Jahrhunderts in Korea gefangen gewesenen Holländer, dass man sich dort im Winter kleine Bretter unter die Füsse binde, um über den Schnee weggehen zu können, ohne in denselben einzusinken. Von höchster Bedeutung für den Haushalt und das gesammte Leben und Treiben der Naturvölker ist die Art und Weise, wie sie ihre grösseren Ortsveränderungen zu Lande aus- führen, und in dieser Beziehung treten uns im Amur-Lande sehr verschiedene und für die ein- zelnen Völker charakteristische Erscheinungen entgegen. Die Giljaken sind unter allen Völkern des Amur-Landes dasjenige, welches sich im aus- gedehntesten Maasse der Hunde zum Fahren bedient, und bei welehem überhaupt der Hund eine so wichtige Rolle im Haushalte und gesammten Leben wie bei keinem anderen dieser Völker spielt. Denn neben seiner Hauptbestimmung als Zugthier liefert er, wie wir sahen, den Gilja- ken das allgemein beliebteste und gebräuchlichste Pelzwerk zur Kleidung und dient ihnen sogar zur Nahrung, was sich, von den Aino abgesehen, bei keinem anderen Volk im Amur-Lande wiederholt. Nirgend ist auch das Halten von Hunden für winterliche Fahrten durch die Natur- verhältnisse, wie durch die Lebensweise und die Bedürfnisse des Volkes in solehem Maasse ge- boten, wie bei den Giljaken. Soll der Hund als Zugthier dienen, so muss er, bei seiner gerin- gen Körperkraft, in grösserer Anzahl gehalten werden, und dazu sind bei seiner Raubthiernatur ansehnliche, nie ausbleibende Vorräthe animalischer Nahrung erforderlich, wie sie nicht der umherschweifende Jäger, wohl aber der an einem fischreichen Flusse oder an der Meeresküste sesshafte Fischer zu beschaffen im Stande ist. Diese Erfordernisse treffen, wie oben?) schon dargethan, am meisten bei den Giljaken zusammen, die den fischreichsten Theil des Amur- Landes inne haben und das sesshafteste, dem Fischfang am meisten ergebene seiner Völker sind, und die zudem dureh ihren regen Handelsgeist mehr als andere zu winterlichen Fahrten und Reisen gedrängt werden. t) Excurs. en Mandchourie en 1845 (Nouv. Annales 2) Noord en Oost Tartarye, 1705, p. 48. des Voyages, V°® Serie, T. XVI, 1848 [T. IV], p. 110). 3) S. p. 426 fl. Güljaken. Beschaffenheit und Nahrung ihrer Hunde. 479 Die Hunde der Giljaken sind von derselben Race wie die durch ganz Sibirien und mit den Eskimo auch nach Nordamerika hinüber verbreiteten Zughunde: wolfsähnlich, langhaarig, mit kurzen, aufgerichteten Ohren und von allen möglichen Färbungen, schwarz, weiss, braun, fuchsroth, scheckig und besonders oft von auflallend wolfsähnlicher, gelblichgrauer Farbe. Im Vergleich mit den Hunden der Polargegenden Ostsibirien’s, des Jana-, Indigirka-Landes, oder auch mit denjenigen Kamtschatka’s, wie sie ehemals waren und in einzelnen Exemplaren noch vorkommen '), sind die giljakischen Hunde nur klein. Es geschieht bei den Giljaken auch nichts, um die Race zu heben: weder werden besonders grosswüchsige und starke Individuen als Zuchtthiere verwandt, noch die Welpen daraufhin gesichtet und gepflegt. Ein Umstand zumal trägt wesentlich zur Deteriorirung der Hunderace bei ihnen bei: es ist die schlechte Behandlung, welche sie den Hündinnen zu Theil kommen lassen. Denn da sie dieselben nicht zum Anspann benutzen, so gönnen sie ihnen in kurzsichtiger Weise auch nicht dasselbe Quantum von Nah- rung wie den männlichen Hunden. Während diese, sofern die Umstände es gestatten, mit grosser Regelmässigkeit im Winter täglich, im Sommer all’ anderen Tag gefüttert werden, blei- ben jene von diesen Mahlzeiten ausgeschlossen und erhalten im Winter nur von Zeit zu Zeit einiges Futter, und auch nur so viel, dass sie nicht verhungern, im Sommer aber kümmert man sich um dieselben gar nicht und überlässt es ihnen ganz, sich ihre Nahrung selbst zu suchen. Elend und abgezehrt sieht man sie daher um die Jurten und auch in denselben umherschleichen und heisshungrig nach jedem Abfall schnappen. Die Nahrung der giljakischen Hunde besteht, wie diejenige ihrer Herren, fast ausschliess- lich aus Fisch. Das Hauptfutter für dieselben liefern namentlich dieselben, an den Küsten und in den Flüssen zu gewissen Zeiten schaarenweise auftretenden Fische, auf denen auch die Exi- stenz der Giljaken hauptsächlich beruht, also die verschiedenen Lachsarten, insbesondere der Lyghi- und Tengi-tscho (Salmo lagocephalus und 5. Proteus) und an der Meeresküste im Win- ter der Kangi-Fisch (Gadus Wachnja), der jedoch schon seiner Kleinheit wegen auch als Hunde- futter weit hinter jenen ersteren zurücksteht. Der speciell und ausschliesslich für die Hunde bestimmte Theil jener Fische ist das oben erwähnte), gilj. sogen. Ohark, das aus dem Kopf und Rückgrat nebst einigem daranhängenden Fleisch bestehende Stück®). Nur wenn davon nichts mehr vorhanden, wird auch die für die Menschen bestimmte Jukola als Hundefutter ge- braucht. Nächstdem dienen Seehunds- und Weisswalfleisch und an der Meeresküste nicht selten auch Fleisch und Speck gestrandeter Walfische zu demselben Zweck. Mit Ausnahme der letzte- ren, welche, wie schon erwähnt, giljakischem Aberglauben gemäss nicht in die Jurte gebracht 1) Ich sah im Sommer 1854 im Peterpaulshafen noch | Hals bis zum Widerrist kamen, und an diesem letzteren zwei ausnehmend grosse Hunde, die dem Gouverneur aus | 71/,—8 Decim. hoch. dem Innern der Halbinsel gebracht worden waren, Ein eben- 2) S. p. 426. falls zum grossen, allkamtschatskischen Schlage gehöriges, 3) Die Russen im Amur-Lande und in ganz Sibirien jedoch noch junges, nicht ganz voll erwachsenes Thier, | nennen es sehr bezeichnend kosstj, d. h. Knochen, was das ich vermaass, war von der Schnauzenspitze bis zur | es auch in der That nur ist. Schwanzwurzel 11 Decim. lang, davon 4 auf den Kopf und Schroenok's Amur-Reise, Band II, 61 180 Die Völker des Amur-Landes. werden dürfen, wird alles Futter den Hunden nicht in rohem Zustande verabfolgt, wie es die Russen thun, sondern zu einer Brühe verkocht. Auch findet die Fütterung nicht draussen, son- dern stets in der Jurte statt. Wie alle Hausarbeit, fällt auch sie den Weibern anheim. Im Tscha- dryf dient dazu der in der Mitte oder in der Ecke befindliche Tisch (gilj. /yll)'), im Toryf die Platform des Herdes. Ist die in einem der grossen Herdkessel aus den erwähnten Materialien gekochte Suppe bereitet, was stets eine der ersten Tagesarbeiten der Weiber ist, so werden ein paar lange Tröge längs dem Rande des Hundetisches, resp. der Herdesplatform aufgestellt, die Thür der Jurte geöffnet und die draussen an Riemen oder Ketten liegenden Hunde losgeknüpft. Sobald dies geschehen, stürzen die bereits ungeduldigen Thiere spornstracks, oft an und über einander wegsetzend, in die Jurte und stellen sich auf dem Kyll, resp. auf dem Erdboden vor den Trögen auf. Die Weiber haben inzwischen vermittelst grosser Schöpflöflel °) mehrere Eimer mit der im Kessel brodelnden und dampfenden Suppe gefüllt und giessen sie nun in die Tröge. Heisshungrig und gierig stürzt sich im Moment die ganze Meute übers Essen her, und indem jedes Thier dem anderen zuvorzukommen und Alles für sich zu erhaschen bestrebt ist, entsteht meist zwischen den Nachbarn ein wüthender Zank und Kampf, der von Seiten der davor- stehenden und die Hunde an Riemen oder Ketten haltenden Weiber und Kinder dureh Stock- schläge auf den Kopf der Thiere beschwichtigt wird. Auf Taf. XI ist die in einer grossen chinesischen Winterjurte der Giljaken vor sich gehende Hundefütterung dargestellt. In der Erdjurte, wo die niedrigen Sitz- und Schlafbänke nur durch einen schmalen Gang von der Platform des Her- des getrennt sind, findet dieselbe in so unmittelbarer Nähe vor Einem statt, dass man sich von der wilden Meute fast umringt sieht. Denkt man sich dazu die durch die geöffnete Thür am Fussboden einströmende Kälte und den von der heissen Fischbrühe aufsteigenden Dampf und Qualm, so wird man leicht begreifen, dass die ganze Prozedur nicht gerade zum Comfort des Aufenthaltes in den Erdjurten beiträgt. Ausser dieser Mahlzeit bekommen die giljakischen Hunde, wenn sie sieh in Ruhe zu Hause befinden, nichts zu fressen. In kargen Zeiten fällt aber auch diese Mahlzeit sehr mager aus; so habe ich es z. B. im Dorfe Tyk auf Sachalin gesehen, dass die Hunde nur eine aus etwas Jukola, Rennthiermoos und einem geringen Zusatz von Seehunds- thran gekochte Suppe erhielten, und werden die Zeiten noch schwerer, so erfolgt auch die Füt- terung noch seltener, nur etwa all’ anderen Tag. Auf längeren Fahrten hingegen, pflegen die Giljaken, wenn sie nicht etwa um Mittagszeit ein Dorf erreichen, in welchem die Hunde ihr gewohntes Mahl erhalten, denselben zweimal etwas Chark oder Ma vorzuwerfen, um Mittag und zur Nacht, während die Russen ihre Hunde auch dann nur einmal, und zwar nur auf dem Nachtlagerplatz und immer nur mit trockener Jukola füttern. Die russischen Hunde sind daher vielleicht noch ausschliesslicher ichthyophag als die giljakischen. Ich habe ihnen einmal in Er- mangelung von Jukola Elennslleisch geben lassen, und sie liessen es unberührt liegen. Erst stär- kerer Hunger macht die Hunde omnivor, wie man denn im Sommer am Amur seine Effekten 1) S. oben, p. 326, 328, 369. | 2) S. oben, p. 446, nebst Abbildung. Giljaken. Fütterung der Hunde. Niedrige Culturstufe des Zughundes. 481 vor den hungernden und darum Alles, was von animalischer Natur ist, wie Fischhaut- und Fell- decken, Stiefel u. drgl., angreifenden Hunden der Eingeborenen nicht genug schützen kann. Wie die erwachsenen Thiere, so werden auch die Welpen in der Jurte gefüttert. Ja, auf Sachalin werden diese oft auch sonst im Hause gehalten und zwar ganz hinten auf den Schlaf- bänken, wo diese an das Dach stossen. In dieser grösseren Pflege der Welpen auf Sachalin liegt vielleicht auch der Grund, wesshalb die dortigen Hunde, und namentlich diejenigen der Tymy- Giljaken, die grössten und besten im ganzen Lande sein sollen. Da der eigentliche Herr und Besitzer der Hunde, sobald er von einer Fahrt zurückgekom- men, sich gar nicht mehr um sie kümmert und die ganze Verpflegung und Fütterung derselben von den weiblichen Insassen der Jurte, unter Assistenz der Kinder, besorgt wird, so sind sie eigentlich so gut wie herrenlos, und die den Hund sonst, wenn er mehr oder minder einzeln als Begleiter und Gefährte des Menschen gehalten wird, charakterisirenden Eigenschaften, persön- liche Anhänglichkeit, Treue und Wachsamkeit, gehen ihnen ab oder kommen bei ihnen nicht zur Entfaltung. Nicht anders verhält es sich übrigens auch mit den russisch-sibirischen Zug- hunden, so dass man von den zum Anspann in Menge gehaltenen und mehr oder minder stets in Bausch und Bogen behandelten Hunden wohl ziemlich im Allgemeinen sagen darf, sie seien im Vergleich mit dem Jagd- oder Wächterhunde gleichsam auf einer niedrigeren Cultur- stufe stehen geblieben oder zu einer solchen wieder herabgesunken. Nur eine gewisse Anhäng- lichkeit an den Ort und das Haus, wo sie ihre Nahrung erhalten, dürfte sich auch bei ihnen finden, so dass sie, auch losgeknüpft, demselben nicht leicht entlaufen, und wenn sie sich im Anspann einmal in Folge Umfallens des Schlittens ihres Lenkers entledigt haben, ihren Weg in der Regel heimwärts oder auch nach dem nächsten Dorfe nehmen !). Die zwar von den Giljaken gekauften, aber, wie oben erwähnt, anders gehaltenen und namentlich nur draussen gefütterten Hunde der Russen am Amur dürften den giljakischen in dieser Beziehung noch nachstehen. Von eigenthümlicher Form und Beschaflenheit ist der giljakische Schlitten (fie). Im Vergleich mit der russisch-sibirischen Narte, wie der zum Fahren mit Hunden dienliche Schlitten von den Russen genannt wird, ist der giljakische Schlitten sehr leicht, fein und zierlich gebaut, dabei jedoch in Folge seiner Elastieität nicht minder dauerhaft. Seine Form und Construction ist immer dieselbe, wenn auch die Grösse schwankt, so dass bei Anfertigung desselben ein gewisses Ver- hältniss der einzelnen Dimensionen und Theile stets eingehalten zu werden scheint. Da die Gi- ljaken mein Haus in Nikolajefsk als Absteigequartier benutzten und sogar die Erlaubniss hat- ten, ihre Schlitten, nachdem die Hunde abgespannt worden, in einem Corridor desselben abzu- stellen, so lange sie ihre Angelegenheiten im Ort besorgten, so hatte ich vielfache Gelegenheit, mich mit dem Bau und den Maassverhältnissen dieser Gefährte näher bekannt zu machen. Ein gewöhnlicher, auf Taf. XXXVI, Fig. 1, abgebildeter Schlitten, den ich vermessen, hatte folgende 1) Nach Sujef (s. Pallas, Reise durch versch. Prov. | ken am unteren Obj ihre Zughunde zwar draussen zu des Russ. Reichs, Bd. III, p. 44) pflegen auch die Ostja- | halten, aber stets in der Jurte zu füttern. 61* 482 Die Völker des Amur-Landes. Grössenverhältnisse: die Länge, von einem Ende zum anderen, betrug 1% Fuss, 8 Zoll (russ. oder engl.), die Breite 17 4”, die Höhe, in der Mitte (mit den gleich zu besprechenden Sehutz- sohlen), 11”. Der Schlitten war also genau 11 mal so lang als breit und 16 mal so lang als hoch. Sein Bau ist, im Ganzen und in den einzelnen Theilen betrachtet, folgender: die schma- len und dünnen Sohlen (gilj. Zusskrj, a der Abbild.) sind nur in ihrem mittleren Theile horizon- tal, nach den Enden hin aber stetig und sanft aufwärts gerichtet. Bei ihrer Dünnheit würden sie sich leicht abnutzen; um sie davor zu schützen und ihnen zugleich die richtige Aufwärts- krümmung nach den Enden zu geben, werden sie daher unten im ganzen horizontalen Mittel- stück mit Beschlägen oder, wenn man die ansehnliche Länge dieser letzteren in Betracht zieht, gewissermaassen mit einem zweiten Sohlenpaar, den Schutzsohlen (gilj. motassj, b der Abbild.) versehen, welche vermittelst hölzerner Stifte und an ihren stark verdünnten Enden auch dureh Riemen an die Hauptsohlen befestigt werden. Die Sohlenbeschläge sind gewöhnlich ebenfalls aus Holz und können, wenn abgenutzt, leicht gewechselt werden. Im Frühling aber, wenn der an der Sonne schmelzende Schnee an der hölzernen Sohle haftet und dadurch die Fahrt sehr erschwert, werden statt der hölzernen Beschläge auch welche aus Walfischknochen an die Schlitten befestigt, oder aber die hölzernen Schutzsohlen noch mit einer Fischbeinplatte bekleidet, wie ich es namentlich auf Sachalin mehrfach gesehen habe, wo dieses Material leich- ter zu haben ist!). Ein sehr charakteristischer Zug des giljakischen Schlittens besteht darin, dass derselbe, wenn er, mit den Schutzsohlen versehen, aufebenen festen Erdboden gestellt wird, die- sen nur mit einem geringen, etwa einem Viertel der ganzen Schlittenlänge gleichkommenden Stücke der Sohlen berührt, während die beiden Enden ganz ansehnlich hoch über denselben emporragen. An dem von mir vermessenen Exemplar z. B. betrug ihr Abstand vom Erdboden 1 Fuss, 10 Zoll. Zwischen den beiden Enden der solchergestalt flach bogenförmigen Sohlen verlaufen als Sehnen die beiden Längsseitenstäbe des Schlittens (gilj. Aögi, ce der Abbild.), welche den Rahmen des zum Sitz und zur Aufnahme von Eflekten dienenden, allerdings nur sehr flachen Schlittenkorbes bilden. Sie ruhen auf einigen, in die Sohlen von oben eingelassenen flachen Säulehen (gilj. ich, d der Abbild.) und sind ausserdem an ihren Enden durch je ein perfori- rendes Querholz (gilj. kernghi, h der Abbild.) mit den Sohlen verbunden. Die /chs, deren ein 1) Wie im ersten Bande dieses Werkes (p. 193) darge- than, rühren solche, ansehnlich lange Fischbeinplatten von einer Walfischart her, welche die Giljaken kalm nennen, und in der man Balaena australis Desmoul. vermuthen darf, die Knochenplatten aber werden wohl in der Regel dem Unterkiefer oder den Rippen der am häu- figsten an den Küsten des Ochotskischen Meeres stranden- den Balaenoptera longimana R ud. (gilj. keng) entnommen. Auch oder Fischbeinbeschläge an den Narten vielfach im Gebrauch, bei den Russen in Sibirien sind Knochen- zumal bei Fahrten über Meereseis, das mit ausgeschie- denen Salzkrystallen bedeckt ist (Bpaure.ap, Iyren. no cbB. 6ep. Cnö. nm ro Aeaor. mopro, T. II, crp. 238). Nach Mittheilungen von A.Schroot, im «Leipziger Tageblatt», sind knöcherne Schlittenbeschläage (Schlittenläufe), gleich- wie auch knöcherne Schlittschuhe, ehemals in vielen Ge- genden Deutschlands, z. B. in der Provinz Brandenburg, in einzelnen bayerischen See-Distrikten, im Salzkammer- gut u. a. O. im Gebrauch gewesen, und durch Ausgrabun- gen sind dergleichen Knochen in Skandinavien, auf Island, den Seeländischen Inseln, in Friesland, Pommern, in der Mark, in Mähren, ja selbst in den Pfahlbauten der Schwei- zer Seen vielfach zu Tage gefördert worden (St. Petersb. Zeitg., 1880, N 58). Giljaken. Form und Beschaffenheit des Hundeschlittens. 483 giljakischer Schlitten von gewöhnlicher Grösse, wie der abgebildete, jederseits 5, ein kleinerer auch nur 4 zählt, sind an ihren Enden recht breit und solid, zur Mitte hin etwas verdünnt, und ihre Stellung und Entfernung von einander und von den Schlittenenden scheinen ebenfalls durch ein ganz bestimmtes Grössenverhältniss normirt zu sein. Sind ihrer nämlich 5. so steht das mittlere genau in der Mitte der ganzen Schlittenlänge, die übrigen befinden sich alle in einem Abstande von je 1’ 10”, also genau einem Achtel der Schlittenlänge von einander, und die Entfernung der beiden äussersten (des vorderen und des hinteren /ch's) jederseits vom Schlitten- ende beträgt das Doppelte davon, also 3° 8” oder je %/, der Schlittenlänge. Nur mit dem Theile der Sohlen, der sich zwischen den beiden dem mittleren /ch zunächst stehenden Säulchen belin- det, d. i. also nur mit einem Viertel seiner Gesammtlänge, berührt der Schlitten einen ebenen und festen Erdboden, die übrigen drei Viertel ragen, unbelastet, mehr oder weniger über den- selben empor, und erst in Folge der Belastung kommen die Sohlen auch weiter nach vorn und nach hinten hin mit dem Erdboden in Berührung. Die ihnen zum Schutz dienenden Beschläge er- strecken sich wenigstens bis über die äussersten /chs hinaus, sehr oft aber auch fast bis zum Ende der Sohlen. Die einander gegenüberstehenden /chs sind oben durch Querhölzer (gilj. fynyss), e der Abbild.) verbunden. Auf diesen ruhen die langen Ruthen (gilj. turssj, f der Abbild.), welche den Boden des Schlittens bilden; sie werden an jedes der Querhölzer mit Riemen fest- gebunden, im vorderen und hinteren Schlittenviertel, wo es kein solches Querholz giebt, auch mit einem Paar durch die Längsseitenhölzer gesteckter Riemen quer durchflochten, und ihre Spitzen endlich durch ein zu dem Zweck durchbohrtes Querholz gesteckt (gilj. warr(o's, g der Abbild.), das kurz vor dem oben besprochenen Kernghi die beiden Längsseitenhölzer des Sehlittens mit einander verbindet. An jedem Ende des Schlittens befindet sich endlich en Krumm- holz (gilj. mich, i der Abb.), das in sanft aufgerichteter Lage sowohl an die Längsseitenstäbe, als auch an die über das letzte Querholz vorragenden Enden der Sohlen gebunden ist. An diese letz- teren, dicht unter dem am vorderen Ende befindlichen Krummholz, wird auch die zum An- spannen der Hunde dienende Zugleine befestigt. Das Krummholz am hinteren Ende dient dazu, um einen Riemen daran zu knüpfen, den der Giljake in dem Falle, wenn er seinem Schlitten auf Schneeschuhen folgt, in die Hand nimmt oder an seinen Gürtel befestigt, um sich so von den Hunden mit fortziehen zu lassen und zu verhindern, dass sie ohne ihn fortlaufen. Bisweilen jedoch fehlt dieses hintere Krummholz, und dann sind vorderes und hinteres Ende des Schlittens verschieden, während sie sonst keinen Unterschied darbieten. Alle Stücke des Schlittens verfer- tigen die Giljaken aus Birkenholz (sowohl von der Betula alba L., gilj. chtws, wie von der D. Ermani Cham., gilj. kedras'), welches sie mir daher auf Sachalin insonderheit als das «tu- !ytynt-tschehar», d. h. «Sehlittenbauholz», bezeichneten, mit alleiniger Ausnahme der Krumm- hölzer an den beiden Enden des Schlittens, die aus dem besonders elastischen Holze des Faul- baums gemacht werden, und des zum Sitzen dienenden Schlittenbodens, der entweder ebenfalls aus Faulbaum-, oder auch aus Weidenruthen besteht. 1) In beiden giljakischen Worten ist das s am Ende weich, gleich dem französischen 2 auszusprechen, Die Völker des Amur-Landes. vs Wie aus der obigen Beschreibung zu ersehen, ist Leichtigkeit der Grundzug des giljaki- schen Schlittens: er ist ohne alles Eisen, durchweg nur aus dünnen, sorgfältig gewählten und aneinander gefügten, zum Theil auch durch Riemen zusammengebundenen Holzstücken ge- macht. Der daraus folgenden Elastieität verdankt er seine Widerstandskraft auch bei unebenem Wege, wie ihn der Wald oder das Fluss- und Meereseis nur allzu oft darbieten. Viel Gepäck und schwere Lasten aufzunehmen, ist er jedoch nicht geeignet. Darin steht er der russisch-sibi- rischen Narte bei Weitem nach. Diese, überhaupt von grösseren Dimensionen und mit breiten Sohlen versehen, beruht auf demselben Prineip wie die Schneeschuhe, der Vertheilung der Last auf eine möglichst grosse Fläche und einer möglichst vollen Beseitigung des Reibungswiderstan- des bei der Bewegung, zu welchem letzteren Zweck die Sohlen vor einer Fahrt durch Bestreichen mit einem nassen Tuch mit einer dünnen Eisschicht versehen werden, welche gewissermaassen den Fellüberzug der Schneeschuhe ersetzt‘). Die schmalen Sohlen der giljakischen Schlitten stossen auf einen geringeren Reibungswiderstand und bedürfen daher nicht des Eisüberzuges; dagegen bewirken sie aber auch nicht eine Vertheilung der Last über eine grössere Fläche und schneiden daher schon bei geringerer Belastung allzutief in den Schnee ein, um leicht fort- gleiten zu können. Seiner Leichtigkeit und immerhin nur geringen Grösse entsprechend, hat der giljakische Schlitten auch nur wenig Raum für Gepäck, denn der dazu bestimmte Korb ist, wie bereits erwähnt, sehr flach, nur so tief, als die Längsseitenhölzer über die den Schlittenboden bildenden Ruthen emporragen, und das ist sehr wenig. Damit das Gepäck nicht herausfalle, wird daher zunächst eine aus Fischhäuten gemachte Decke (gilj. mytsch) über den Sehlittenboden gebreitet, das Gepäck darauf gelegt, eingehüllt und vermittelst eines langen Riemens mehrfach ins Kreuz zusammen und an den Schlitten geschnürt. Darüber werden, wenn eine längere Fahrt unternommen wird, ein paar der nothwendigsten Waflen, eine Lanze oder ein Bärenspiess unter die Riemen gesteckt. Vorn, etwa über dem äussersten /ch, wird beim Aufladen des Gepäcks eine sattelförmige Vertiefung hinterlassen, welche, mit einem ebenfalls an den Schlitten befestig- ten Fellstück (gilj. Zyws)?), und zwar entweder einem Bären-, oder einem Elennskopffellstück (gilj. kotr-ngar-tyws, resp. toch-tschongr-tyws) bedeckt, zum Sitz für den auf die Fahrt sich begebenden Giljaken dient, der, mit kleinen Schneeschuhen an den Füssen, sich rittlings hinein setzt (s. Taf. XXXVM). Der giljakische Hunde-Anspann ist sehr einfach und primitiv: an die oben erwähnte lange, aus Seehundsriemen zusammengellochtene Zugschnur (gilj. nygtsch, Taf. XXXVI, Fig. 2) wer- den in gleichen Intervallen und alternirend nach der einen und der anderen Seite seehundsle- derne Halsbänder oder Kummets (gilj. chall), von der Form, wie in Fig. 3 der letzterwähnten Tafel dargestellt, und ein eben solches, nur ohne den beweglichen eisernen Ring, auch an das Ende des zur Verlängerung der Zugsehnur dienenden Riemens (gilj. /at) befestigt. Dieses letz- 1) Demselben Zweck dient auch das oben besprochene 2) Das s wird hier weich, wie das französische 2 aus- Bekleiden der Schlittensohlen mit Knochen- oder Fisch- | gesprochen. beinplatten. Giljaken. Hundeanspann. Vorzüge und Mängel desselben. 485 tere Halsband wird dem Leithunde, die anderen werden den übrigen Hunden über den Kopf ge- zogen, und das Gefährt steht fertig bespannt da. Das Anspannen der Hunde ist daher bei den Giljaken das Werk nur weniger Minuten. Bei feierlichen und festlichen Gelegenheiten, wie Brautwerbungsfahrten oder die während des Bärenfestes veranstalteten Hunderennen u. drgl., werden den Hunden auch statt der gewöhnlichen elegante Kummets, mit aufwärts gerichteten chinesischen Rosshaarllechten und Quasten aus rothgefärbter Schafs- oder Ziegenwolle, angelegt, gilj. sogen. rüssk’s, wie deren auf Taf. XXXV1, Fig. 4 und 5, welche abgebildet sind. Um die Art, wie ein solches Kummmet dem Hunde angelegt wird, zu veranschaulichen, diene der hier bei- folgende Holzschnitt. Der Hauptmangel des giljakischen Anspanns besteht darin, dass die Hunde mit dem Halse ziehen müssen und sich daher bei grösserer An- strengung und in leidenschaftlicher Aufregung allzu leicht die Kehle zuschnüren. Darin steht er dem bei den Russen, wie in ganz Ostsibirien, so auch am Amur gebräuchlichen An- spanne, der die Hunde mit der Brust zu ziehen nöthigt, sehr nach, und vielleicht liegt darin auch mit ein Grund, wesshalb die giljakischen Hunde leichter als die russischen ermüden und sich erschöpfen. Dagegen hat er vor dem letzteren den Vor- zug, dass er nicht so leicht in Unordnung geräth und, wenn dies geschehen, sogleich wieder zurecht gestellt werden kann. Beim russischen Anspann laufen die Hunde, mit Ausnahme des vordersten, nicht einzeln, sondern paarweise und ist jedes Thier durch zwei Riemen an die zwischenlaufende lange Zug- Ein mit dem Rüssl: geschmückter schnur befestigt: vermittelst des hinteren Riemens zieht der Hundekopf. Hund am Schlitten, der vordere aber soll ıhn daran verhindern, seitwärts zu laufen. Bei so com- plieirtem Anspann entsteht in Folge der Leidenschaftlichkeit der Hunde nur gar zu leicht eine Unordnung in demselben: bald begeben sich beide Hunde eines Paares nach derselben Seite, bald springt hie und da ein Thier über seinen Anspannriemen, der ihm zwischen den Beinen stecken bleibt, u. s. w. Begegnen sich gar zwei Schlitten, besonders ein russischer und ein gilja- kischer, ohne rechtzeitig Halt zu machen, so stürzen sich die Hunde beider Gefährte wüthend über einander, und es entsteht ein Knäuel von etlichen zwanzig und mehr sich beissenden Hun- den, der nur durch heftiges Auseinanderzerren und Reissen der streitenden Parteien, unter beiderseits herabregnenden Stockschlägen, entwirrt werden kann und eine arge Verwirrung und Verwüstung im Anspann, namentlich der russischen Hunde, verursacht. Giljaken wie Russen suchen daher sorgsam, solchen Begegnungen durch rechtzeitiges Ausweichen, Hemmen und Fixiren des Schlittens und Festhalten der Meute und namentlich des Leithundes zu entgehen. Das Hemmen und Fixiren des Schlittens geschieht bei den Giljaken nicht durch einen, sondern durch zwei einfache, mit einer eisernen Spitze versehene Stöcke (gilj. kaur, russisch-sibi- risch oschtoll), die jederseits vor den Schlitten in den Schnee gestossen werden. Schellen an das obere Ende eines solchen Stockes anzubringen, wie es die Russen in Kamtschatka und in anderen 186 Die Völker des Amur-Landes. Theilen Sibirien’s thun, ist bei ihnen durchaus nicht üblich, und ihren Hunden bleibt daher die Anspornung durch Schellengeklingel unbekannt, wesshalb es im Amur-Lande auch die ihre Hunde von den Giljaken und anderen Eingeborenen beziehenden Russen zu thun unterlassen. Die Letzteren pflegen aber ihre Hunde bei beginnender Ermüdung in mancherlei anderer Art anzuspornen, welche den Giljaken ebenfalls fremd ist. So schleudern sie bisweilen den Hemmstab nach einem oder dem anderen der ihnen allzuträg erscheinenden Thiere, was der Giljake schon aus dem Grunde nicht thun kann, weil er, rittlings auf dem Schlitten sitzend, nicht wie jene während der Fahrt abspringen, den weggeschleuderten Stock aufnehmen und sich wieder auf den Schlitten schwingen kann). Ebenso wenig macht er die russische Art, die Hunde bei sehr starker Ermüdung durch Vorausschleudern kleiner Jukolastücke anzuspornen, nach. Er ist zu sehr um seine Hunde besorgt, um sie über die Maassen anzustrengen. Genügen die Zurufe («tach, tach») nicht mehr, um sie zum Laufen zu bewegen, so steigt er ab, setzt seinen Weg auf Schneeschuhen fort und zieht die Hunde mit dem Schlitten hinter sich her. Dank übrigens dem Umstande, dass er rittlings sitzt und Schneeschuhe an hat, vermag er ihnen auch während der Fahrt mehr oder minder behülflich zu sein: stockt nämlich die Bewegung, indem die Schlittensohlen allzutief in den Schnee einschneiden oder sonst auf ein Hinderniss stossen, so richtet er sich auf den Schnee- schuhen auf, um sich erst, wenn die Hunde den dadurch von seiner Hauptbürde entlasteten Schlitten von Neuem in Bewegung gebracht haben, wieder auf denselben herabzulassen. Bei allzu tiefem und lockerem Schnee, in welchen die Hunde einsinken, kommt der Giljake ihnen dadurch zu Hülfe, dass er auf Schneeschuhen vorausgeht und ihnen einen festeren Weg bahnt?). Ist aber der Schlit- ten dabei noch ansehnlich beladen und der Weg uneben und bald nach der einen, bald nach der anderen Seite geneigt, so spannt er sich wohl auch selbst mit vor den Schlitten, um ihn theils ziehen zu helfen und theils vor dem Umstürzen in den tiefen Schnee zu bewahren. Und zwar geschieht dies in folgender Weise: quer über das vordere Ende des Schlittens wird em Hemm- stab oder ein ähnlicher Stock gebunden und vermittelst desselben zwei lange, sanft aufwärts gerichtete Stangen an den Schlitten befestigt. Zwischen diesen Pfiemerstangen (gilj. tädf) steht der Giljake auf Schneeschuhen, die Stangen mit den Armen umfassend, um durch rechtzeiti- ges Heben der einen oder der anderen derselben dem Umwerfen des Schlittens zu wehren und ihn zugleich mit ziehen zu helfen, während die Zugsehnur, an welcher die Hunde gespannt sind, ihm zwischen den Beinen läuft oder, wie ich es ebenfalls gesehen habe, an seinen Gürtel geknüpft ist. 1) Die russischen Hundelenker oder «Kajuren», wie sie am Amur, in Kamtschatka und auch anderwärts in Sibirien genannt werden, sitzen bekanntlich stets seitwärts (rechts) auf ihren Narten und können leicht abspringen, was sie schon darum öfters zu thun genöthigt sind, um den Schlit- ten durch einen Ruck nach der einen oder der anderen Seite davor zu bewahren, dass die Sohlen über die frischen Excremente der Hunde weggehen und dadurch ihre Glätte verlieren. Ist dies einmal versaumt worden, so muss man nach kurzer Zeit halten und die Narte nach einer Seite umstürzen, um die Sohlen abzuschaben und wo möglich auch mit einem neuen Eisüberzuge zu versehen. 2) Dasselbe muss oft genug auch bei den breitsohligen russischen Narten geschehen, und auf Sachalin bin ich selbst in der Lage gewesen, meiner Narte auf Schneeschu- hen vorausgehen zu müssen, um den durch Schneestürme verwehten Weg mit einem langen Stock herauszusondiren und neu zu bahnen. Gebrauch der Hunde zum Anspann bei anderen Paläasiaten: Aino, Itälmenen. 487 In ähnlicher Weise lässt sich übrigens der Giljake bisweilen auch ohne Schlitten, auf Schneeschuhen stehend, durch ein paar Hunde, die er an einer Leine in der Hand hält und zum Laufen anspornt, über eine ebene Eis- oder Schneefläche fortziehen, wobei er zumal in dem Falle, wenn es heimwärts geht, äusserst rasch vorwärts kommt. Wie der Giljake auf Reisen seinen Hunden die Arbeit während der Fahrt zu erleichtern sucht, so ıst er endlich auch stets bedacht, ihnen Nachts die nöthige Erholung und Ruhe zu schaffen. Lässt sich zur Nacht kein Dorf erreichen, und muss unter freiem Himmel genächtigt werden, so bereitet er den Hunden ein ähnliches Nachtlager wie für sich selbst. Die vom Schlitten abgelöste Zugleine wird an einen Baumstamm befestigt und für jeden der Hunde in entsprechender Entfernung von einander eine Vertiefung in den Schnee gemacht und mit Tannenreisig ausgekleidet. Aus diesen Spuren kann man daher sogleich ersehen, wie viel giljakische Schlitten an einem Nachtlagerplatz gehalten und mit wie viel Hunden ein jeder von ihnen bespannt war. Ohne Zweifel ist das gegenwärtig so tief in das Leben der Giljaken eingreifende Halten von Hunden zum Anspann vor dem Schlitten nicht etwa eine verhältnissmässig neue, von einem der anderen Amur-Völker entlehnte, sondern im Gegentheil eine ihnen den letzteren gegenüber ursprünglich eigene, in die entferntesten Zeiten zurückreichende Sitte. Aehnlich verhält es sich auch mit den anderen paläasiatischen Völkern ihren respectiven Nachbarstämmen gegenüber: alle sind oder waren sie seit Alters her Fischer, die ihr einziges Hausthier, den Hund, haupt- sächlich zur Ortsveränderung gebrauchen, ohne dass eine Entlehnung dieser ihrer Sitte von einem der Nachbarvölker nachzuweisen oder auch nur aus irgend welchen Gründen als wahr- scheinlich anzunehmen wäre. Bei den Aino auf Sachalin spielt der Hund im Allgemeinen ganz dieselbe Rolle wie bei den Giljaken; auch der Bau des Schlittens, der Anspann der Hunde und die Art und Weise ihrer Behandlung und Lenkung sollen dieselben sein '). Nur machen die Aino lange keinen so weiten und ausgiebigen Gebrauch von diesem Mittel der Ortsveränderung wie die Giljaken, was, wie wir in der Folge sehen werden, nicht bloss in der für Schlittenfahrten und Reisen minder günstigen Lage ihres Landes, sondern ganz besonders auch in dem auf ihnen lasten- den, Handel und Wandel des Volkes lähmenden Druck der japanischen Herrschaft seinen Grund hat. Dass die Itälmenen auf Kamtschatka seit unnachweislich alter Zeit sich der Hunde zum Fahren bedienten, wobei sie die grössten und stärksten zu dem Zweck aussuchten und abrich- teten und Schlitten von eigenartiger Form und Construction bauten, ist aus den eingehenden Schilderungen Steller’s*) und Krascheninnikof’s bekannt. Gleich den giljakischen Sehlit- ten zeichneten sich auch die kamtschadalischen durch grosse Leichtigkeit, Elastieität und Dauer- 4) H.B ycce, Ocrp. Caxasuae mn Ikene4.1853 u 185Arr., | dung von Pfiemerstangen bei besonders beschwerlichem C. IIerep6. 1872, crp. 54. Wie ich aus Hrn. Rudanof- | Wege ganz gebräuchlich. skij’s handschriftlichem Reisejournal ersehe, ist bei den 2) Beschr, von dem Lande Kamtschatka, p. 132 f., Aino auf Sachalin auch die oben beschriebene Anwen- | 370 fl. Schrencok's Amur-Reise, Band III, 62 488 Die Völker des Amur-Landes. haftigkeit aus; während aber jene flach und niedrig sind, hatten diese einen verhältnissmässig hochgestellten und tiefen Schlittenkorb, auf welchem der Hundelenker meist seitwärts und nur bisweilen auch rittlings aufsass. Nachmals eigneten sich auch die Russen in Kamtschatka diese Art von Schlitten an und haben sie noch heutzutage!). Daneben bedienten sie sich aber, namentlich zum Transport grösserer Lasten, schon zu Steller’s Zeiten auch der oben erwähn- ten langen und breitsohligen Hundeschlitten oder Narten?), wie sie auch im übrigen Sibirien üblich sind. Diese dürften ihnen daher wohl schon vor ihrer Ankunft in Kamtschatka bekannt gewesen sein. Ueberhaupt liegt kein Grund vor mit Matjuschkin°) anzunehmen, dass die Russen den Gebrauch der Hunde zum Anspann erst durch die Kamtschadalen kennen gelernt hätten. Denn bevor sie Kamtschatka erreichten, kamen sie schon mit manchen anderen Völ- kern in Berührung, bei welchen jener Gebrauch, sei es in althergebrachter, sei es in einer später von einem der Nachbarstämme überkommenen Weise herrschte. Ohne die Frage, von welchem Volk die Russen den Gebrauch der Hunde zum Anspann kennen gelernt haben entscheiden zu wollen, muss ich hier darauf hinweisen, dass sie im XVII. Jahrhundert an der Jana, Indigirka und Kolyma auf die Juk agirn stiessen, ein paläasiatisches Volk, dass sich ebenfalls seit Alters her der Hunde zum Fahren bediente und zu dem Zweck Schlitten von eigenartiger Form con- struirte, wie man aus einem auf der Insel Kotelnyi gefundenen Stücke der Art, über welches ich mich an einem anderen Orte *) ausführlicher ausgelassen habe, schliessen darf°). Dort, an der Jana und Indigirka finden sich auch später, gleich wie in Kamtschatka, die grössten und stärk- sten Zughunde®) und entfaltet sich auch bei den Russen der grösste und ausgiebigste Gebrauch derselben, zu den weitesten Fahrten, wie z. B. nach den Neusibirischen Inseln u. s. w. Nordwärts von Kamtschatka finden wir ferner ein anderes paläasiatisches Volk, die am Penshinsker Meerbusen und am Berings-Meer in festen Sitzen wohnenden Korjaken, die ebenfalls nur den Hund als Haus- und zugleich Zugthier haben. Oben’) glaube ich bereits dargethan zu haben, dass ehemals auch die Vorfahren der gegenwärtig umherwandernden Ko- rjaken und der mit ihnen nahe verwandten Tschuktschen (die Onkilon) feste Wohnsitze und zwar Erdjurten wie jene hatten, und dem entsprechend können sie gleich jenen, als Fischer, Robbenschläger und drgl., auch nur den Hund zum Gefährten gehabt haben, bis sie, vermuth- lich durch die von Süden und Westen auf sie herandrängenden Tungusen, das domestieirte Rennthier kennen lernten und mit demselben ihr gegenwärtiges Nomadenleben annahmen. 1) Im Anthropologisch-ethnographischen Museum der Akademie werden mehrere noch im vorigen Jahrhundert aus Kamtschatka gebrachte Schlitten der Art aufbewahrt. 2) Steller (l. c., p. 370) nennt sie «Narden». 3) Bpanre.as, Ilyrem. ıo cbB. Öep. Cuöupu m no ‚Je ıor. vopmw, 4. II, erp. 110, npnmbu. * 4) Zur Vorgesch. der von der Akad. der Wiss. ausge- rüsteten Exped. nach den Neusib. Ins. und dem Jana- Lande (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reichs, 3. Folge, Bd. III, p. 11—13). 5) Auch Ssarytschof (Ilyrem. no CEBeposocr. yacrn Cu6öupu, T. I, crp. 65) erwahnt des Gebrauches von Hun- den zum Fahren bei den Jukagirn. 6) Middendorff, Reise etc., Bd. IV, p. 1296. Am besten sollen namentlich die Hunde von der Jana, nächst- dem diejenigen von der Indigirka und dann erst diejenigen von der Kolyma sein. Teaeumrpom»#, Cn6. B&crn., 1822, y. 19, Ora. III, crp. 156. Vrgl. auch meine oben erwähnte Schrift (Beitr. 1. c., p. 29). 7) S. 337 fl. Verbreitung des Zughundes mit den Eskimo nach Amerika. 489 So müssen wir den Hund, dieses älteste aller vom Menschen domesticirten Thiere, als einziges Hausthier und darum, namentlich in seiner Eigenschaft als Zugthier, gewissermaassen als Charak- terform der paläasiatischen Völker, dieser ältesten Völkerformation Nordostasien’s, bezeichnen. Wo sich bei ihnen in der Folge ein anderes Hausthier einfindet, wie z. B. im oben erwähnten Fall, bei den wandernden Korjaken und Tschuktschen das Rennthier, da ist es stets ein ihnen in späterer Zeit von einer jüngeren Völkerfamilie, mit der sie in Berührung getreten, zugelragenes Geschenk. Ohne Zweifel darf man annehmen, dass gleich anderen paläasiatischen Völkern auch die Eskimo, als sie noch auf ihrem ursprünglichen, asiatischen Boden weilten, den Hund als ein- ziges Hausthier besassen und zum Anspann gebrauchten. Mit diesem ihrem Hausthier sind sie nach Amerika hinübergegangen, und da sie sich dort, in derselben Weise von Fischfang, Robben- schlag u. drgl. weiter lebend, quer über den ganzen Norden des Welttheils, vom Berings-Meer bis nach Grönland ausbreiteten, so erklärt sich daraus die auf den ersten Blick auffallende That- sache, dass es in Amerika gar keine mit dem Halten zahmer Rennthiere sich abgebenden Völker, wie in der alten Welt, giebt, obgleich es an den physischen Bedingungen dazu auch dort nicht fehlt, und das Rennthier im wilden Zustande dort vielfach und häufig genug vorkommt und auch von den Eskimo der Nahrung und Kleidung wegen gejagd wird. Amerika erhielt eben seine gesammte Bevölkerung in der Rennthierzone aus einer Völkergruppe Asien’s, welche das dome- stieirte Rennthier noch nicht kannte und nur den Hund als Hausthier besass, und zwar zum Zweck des Anspanns, also nothwendig in grösserer Zahl gehalten und in einem Stadium der Domestieirung, bei welchem ihm die edleren Eigenschaften der persönlichen Anhänglichkeit, Treue und Wach- samkeit noch abgehen und hingegen seine Raubthiernatur bei jeder Gelegenheit wieder zu Tage tritt. Schon dieser letztere Umstand macht eine selbständige Domestieirung eines anderen, dem Hunde gegenüber wehrlosen Thieres, wie das Rennthier, durch solche Völker ganz undenkbar !). Und wie sollte ferner auch ein Fischervolk, wie die Eskimo und alle Paläasiaten, darauf kom- men ein Thier zu zähmen, für welches es keine Nahrung hat, und dessentwegen es seine festen Wohnsitze aufgeben und seine gesammte Lebensweise ändern müsste? Die Vorfahren der wan- dernden Tsehuktschen und Korjaken haben sicherlich das Rennthier auch nicht selbst ge- zähmt, sondern es bereits im domestieirten Zustande von einem zu ihnen herangewanderten Nomadenstamme — wie oben erwähnt, vermuthlich von den Tungusen — erhalten. Ob und wie diese letzteren es gethan, lässt sich nicht feststellen, doch erscheint es insofern denk- barer, als sie, ihrem ursprünglichen und eigensten Charakter als umherstreifende Jäger gemäss, den Hund nieht wie die paläasiatischen Völker in grosser Zahl, zum Anspann, sondern nur je ein- zeln, als treuen Begleiter und Jagdgehülfen um sich hatten, der sich sehr wohl auch zum Wächter 1) Middendorff (Reise, Bd. IV, p. 1302) bemerkt, | Hausgeflügel, sondern auch Schweine und Kühe seitens dass an den Orten in Sibirien, wo die Anspannhunde herr- | der Hunde ausgesetzt sind, mit Veranlassung dazu, die schen, weder Schafe, noch Federvieh Fuss zu fassen ver- | letzteren, wie es jetzt geschieht, für den Sommer aus dem mögen und auch den Kaälbern beständige Gefahr droht. | Peterpaulshafen zu entfernen und an einem anderen Orte In Kamtschatka gaben die Angriffe, denen nicht bloss das | zu halten. 62* 490 Die Völker des Amur-Landes. und Beschützer der Rennthierheerde seines Herrn eignete. Als unstäten Jägern, musste es ihnen ferner von grösstem Nutzen sein, sich der Lokomotion wegen ein Thier dienstbar zu machen, das gleich ihnen selbst zu seiner Erhaltung eines häufigen Ortswechsels bedarf. Vielleicht hat end- lich zur Domestieirung des Rennthiers durch die Tungusen auch der Umstand beigetragen, dass sie an dem Nord- und Ostrande Hochasien’s in Berührung und Verkehr mit den nomadischen Hirtenvölkern des letzteren standen, denen Pferd oder Kameel zur Ortsveränderung dienen. Das erstere haben sich bekanntlich, und zwar vermuthlich auf diesem Wege, auch manche tun- gusische Stämme angeeignet, wie man denn auch im oberen Amur-Lande einem solchen Stamme, den Manägirn, begegnet. Und das konnte wiederum andere ihrer Stammgenossen, die weiter nordwärts oder höher nach dem Gebirge zu wohnten, dazu bewegen, anstatt des Pferdes ein anderes, in ihrem Lande einheimisches und seiner Natur gewachsenes Thier, das Rennthier, und zwar zunächst ganz in derselben Weise, als Reit- und Lastthier zu gebrauchen. Uebrigens, wie dem auch sei, jedenfalls kann man das Rennthier als das eigenste Hausthier, die Charakterform der Tungusen und diese als das Rennthiervolk insonderheit bezeichnen, das durch seine ausser- ordentliche Ausbreitung nach allen Weltgegenden dem Rennthier eine entsprechend weite Cul- turheimath bereitete und auch die Einbürgerung desselben bei seinen Nachbarstämmen bis zu den Korjaken und Tschuktschen einer- und den Samojeden und Lappen andererseits vermittelte. Wie oben erwähnt!) und in der Folge zum Theil noch näher besprochen werden soll, drangen einzelne Wellen dieser Rennthiernomaden-Bewegung auch bis nach Sachalin und Kamtschatka; Amerika aber war und blieb ihnen unerreichbar. So scheint mir die Thatsache, dass dieser Welttheil, trotz weiter Verbreitung des wilden Rennthiers in demselben, doch keine Rennthiernomaden unter seinen Völkern hat, in den oben besprochenen, im Vergleich zur alten Welt wesentlich verschiedenen geographischen und ethnographischen Verhältnissen eine genü- gende Erklärung zu finden. Bevor ich weiter gehe, sei es mir gestattet, noch eine Bemerkung in Bezug auf die hunde- haltenden Paläasiaten Amerika’s, die Eskimo, einzuschalten. Von so wesentlichem Nutzen ihnen der Hund im gesammten Bereich ihrer Verbreitung ist?), so hat doch sein Gebrauch zum Anspann sich nirgends bei ihnen zu der Höhe wie in der alten Welt entwickelt?). Am meisten ist dies noch an dem ihrer ursprünglichen Heimath zunächst gelegenen amerikanischen Ge- stade des Bering-Meeres, in den fischreichen Stromgebieten des Kwichpack und Kuskokwim der Fall‘), wo die Eskimo überhaupt zur reichsten Entfaltung ihrer Eigenart gelangten. Je kärg- licher und schwerer, unter der Ungunst der Naturverhältnisse, ihr Leben im Westen und 1) S. p. 248. 2) Sehr bezeichnend sagt z. B. R. Brown (Peter- mann’s Geogr.Mittheil., 1869, p.463): «Wenn der grönlän- dische Hund ausstirbt, muss der Grönländer zu Grunde gehen, sicherer, als dies bei dem Prairie-Indianer der Fall sein wird, wenn der letzte Büflel weggeschossen sein wird». 3) Barocknnp, MemexoAn. onmceh TacTı PYCck. BAaA, »5 Anep., 1847, 4. I, erp. 59. Middendorff, Reise etc. Bd. IV, p. 1266. 4) Vrgl. Wrangell (Statist. u. die Russ. Besitz. an der Nordwestküste von Amerika. — Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reichs, Bd. I, p. 130, 147 u. a.), Whymper (Travel and Adventure in the territory of Alaska) und Dall (Alaska and its resources, passim). ethnogr. Nachr. über Oroken. Frühere Nachrichten über den Gebrauch des Rennthiers bei ihnen. 491 Norden ihres Wohngebietes sich gestaltet, um so mehr muss der Mensch sieh auch selbst an den Mühen betheiligen, die dem Hunde als Zugthier zufallen. Mitunter wird dort, wenn der Gebrauch von Schlitten allzu beschwerlich oder unmöglich wird), der Hund auch als Lastthier benutzt, wie es z. B, Klutschak auf seiner Reise mit Schwatka nach dem King-Williamslande erfah- ren hat?), — eine Verwendung, die der Natur des Thieres gewiss nicht entspricht und in der alten Welt weder bei den Giljaken, noch, soviel ich weiss, bei irgend welchem anderen Volke vorkommt. Kehren wir nach dieser Abschweifung wieder zum Amur-Lande zurück, so muss zunächst auf den Gegensatz hingewiesen werden, der uns in Betrefl des Gebrauches des Hundes zum An- spann zwischen den beiden paläasiatischen Stämmen , Aino und Giljaken, und den übrigen, sämmtlich zum tungusischen Stamme gehörigen Völkern des unteren Amur-Landes entgegen- tritt: während er bei jenen in die entfernteste Zeit zurückreicht, ihnen gewissermaassen ur- sprünglich angehört, haben diese sich denselben erst in späterer, verhältnissmässig neuer Zeit, und zwar erst durch direkte oder indirekte Vermittelung der Giljaken zu eigen gemacht. Eines dieser Völker, die Oroken auf Sachalin, ist noch heutzutage ein Zwittergebilde von Rennthiernomaden und sesshaften, Hunde haltenden Fischern, eine seltsame, aus dem Con- takt verschiedenartiger Völker auf dieser Insel resultirende Erscheinung. Wie oben bereits erwähnt, giebt schon die älteste, aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts datirende Nachricht über die Oroken davon Kunde, dass sie statt der Pferde «eine Art zahmer Hirsche halten, die sie zum Ziehen der Schlitten gebrauchen» ®). Ein Jahrhundert später (1808) berichtete der japanische Reisende Mamia Rinsö‘), dass die Orotsko auf Krafto (Oroken von Sachalin) statt der Hunde andere Thiere, genannt Tonakai (die Aino-Bezeichnung für Rennthier), mit sich führen und auf ihren Wanderungen mit ihrem Hausgeräth, Lebensmitteln u. drgl. beladen, und in solcher Gestalt, als Saumthiere, giebt sie auch die von Siebold nach Zeichnungen des Reisenden zusammengestellte Tafel (XX) wieder. Demnach dürften die Oroken das Rennthier in zwie- facher Weise, als Saum- oder Last-und als Anspannthier gebrauchen. Das Erstere namentlich erscheint durch das Zeugniss Mamia Rinsö’s als sicher verbürgt und sowohl den Naturver- hältnissen, dem gebirgigen und waldreichen Charakter der Insel, als auch den Sitten und Ge- wohnheiten des tungusischen Stammes angemessen, denn auch auf dem Festlande Asien's bedienen sich die tungusischen Völker, wie die Orotschonen und alle sonstigen Rennthier-Tungusen, des Rennthiers zum Reiten und Lastentragen. Ja, angesichts dieser Thatsachen und Erwä- gungen könnte man fast geneigt sein, die Glaubwürdigkeit jener älteren, von den Man- dshu herrührenden Angabe über den Gebrauch des Rennthiers bei den Oroken zum Anspann in 4) In Grönland geht der Hund zwar ebenso weit nörd- 2) H. W. Klutschak, Als Eskimo unter den Eskimos, lich wie der Mensch, wird aber von den Eskimo nicht | Wien, Pest, Leipzig 1881, p. 23, nebst Abbildungen auf südlicher als Holsteinborg zum Fahren verwendet, da das | p. 22 und 109. Meer im Winter nicht genug gefriert, um darauf in 3) S. oben, p. 130. Schlitten fahren zu können (R. Brown, l. ec. .p. 463). 4) To-tats kiko, in Siebold’s Nippon, VII, p. 190. +92 Die Völker des Amur-Landes. Zweifel zu ziehen. Dennoch habe ich selbst gerade diesen Gebrauch des Rennthiers bei ihnen beobachtet. Auf meiner Reise im Winter 1856 durch Sachalin begegnete ich am 17./29. Februar im Tymy-Thale einem Zuge der Oroken. Als wir beim giljakischen Dorfe Plub-wo den Fluss überschritten, sahen wir im Weidengestrüpp an seinem Ufer drei mit Hunden bespannte Schlitten stehen, deren Lenker abgestiegen waren und ihre Hunde hielten. Sie theilten uns so- gleich mit, dass ein orokischer Rennthierzug sich nähere und wir daher unsere Hunde ebenfalls festhalten müssten. Zwei dieser Männer waren schon an ihrer Kleidung, den Rennthierpelzen, Mützen und Stiefeln, als Oroken zu erkennen; der dritte war ganz giljakisch gekleidet, in einem Pelz aus Hundsfellen, mit Seehundsfellstiefeln und Schürzrock (kossjkcha), welcher letz- tere übrigens auch den beiden anderen nicht fehlte. Nicht minder verschieden als die Kleidung waren auch ihre Schlitten: zwei derselben waren von den giljakischen nicht zu unterscheiden, der dritte aber, ein national-orokischer Rennthierschlitten, hatte eine ganz andere Beschaffenheit. Die beifolgende Abbildung, die nach einer in meinem Tagebuch flüchtig entworfenen Skizze gemacht worden ist, mag eine an- ur ner) u Z) ge, 7 9:,) >“ r I I ; nähernde Vorstellung von demselben geben. Im Vergleich mit den giljaki- schen war er, bei gleich geringer Oroken-Schlitten. Höhe, weit kürzer und etwas brei- ter; die Sohlen waren ebenfalls breiter als bei jenen, im Durchschnitt dreieckig, nach oben mit einer scharfen Kante versehen. Nach hinten verliefen sie bis zum abgestumpf- ten Ende ganz horizontal, vorn waren sie sanft aufwärts gekrümmt, um sich mit denLängs- seitenstäben des Schlittens in spitzem Winkel zu vereinigen; doch fehlte ein die beider- seitigen Sohlen und Längsstäbe verbindendes Krummholz, so dass der Schlitten vorn gleich- sam klaflend erschien. Zwei der haltenden Schlitten waren mit Rennthiermoos beladen, der dritte enthielt einiges Hausgeräth, Schneeschuhe, Lanzen, Bögen u. drgl. Es dauerte nicht lange, so liess sich auch der Rennthierzug der Oroken sehen und bewegte sich in einem Bogen an uns vorüber. Er bestand aus 5—7 Schlitten genau von der Art wie der oben beschriebene. Jeder derselben war mit einem Rennthier bespannt, das an einem einzigen Riemen den Schlitten zog. Der Zugriemen lief vom Geweih des Thieres ihm unter Hals und Brust hinab und zwischen den Beinen durch und war etwa in der Mitte des Schlittens an ein Querholz desselben befestigt. Ein Mann sass in jedem Schlitten, ziemlich weit nach hinten, eine lange Ruthe in der Hand, mit weleher er das Thier antrieb. Da der Zugriemen in der Nähe seines Sitzes an den Schlitten be- festigt ist, so kann er vermittelst desselben ohne aufzustehen das Thier zurückhalten und das Gefährt zum Stehen bringen. Hinter jedem Schlitten gingen ein oder ein paar Rennthiere, bald an denselben gebunden, bald ganz frei und sämmtlich unbelastet. Sobald der Zug verschwun- den war, setzten sich auch die mit Hunden bespannten Schlitten hinter ihm her in Be- wegung. Auch wir machten uns wieder auf, und da wir desselben Weges fahren mussten, auf welchem die Oroken eben gekommen waren, so liefen unsere Hunde, beständig die Rennthier- spuren witternd, trotzdem sie nicht mehr bei frischen Kräften waren, doch in ununterbroche- Oroken. Zwiefacher Gebrauch des Renntliers zur Ortsveränderung. 493 ner rasender Eile, bis wir zur Nacht hielten, fort, durch ihre Leidenschaftliehkeit in uns eine Vor- stellung davon erweckend, was wohl bei einem plötzlichen und unerwarteten Zusammenstossen derselben mit einem orokischen Rennthierzuge erfolgt wäre. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die Oroken das Rennthier zum Fahren gebrauchen, gleich den Polarvölkern, Tschuktschen, Korjaken, Samojeden. Das verleiht Sachalin einen Zug polaren Charakters, wie ihn auch die Natur der weit ins Ochotskische Meer vorgeschobenen Nordhälfte der Insel trägt. Während jedoch jene Polarvölker mehrere Rennthiere neben ein- ander vor ihre grossen und hochgestellten Schlitten spannen, nöthigen Wald und Gebirge sei- ner Heimath den Oroken, gleich dem Lappen am entgegengesetzten Ende des asiatisch-euro- päischen Welttheils, das Thier nur einspännig vor einem kleinen und niedrigen Gefährte zu ver- wenden. So verschieden der plumpe Schlittentrog des Lappen von dem leichtgezimmerten, vorn nicht einmal durch ein Krummholz geschlossenen Schlitten des Oroken ist, die Analogie dieser Erscheinungen im Völkerbilde des äussersten Ostens und Westens von Asien-Europa ist augenfällig. Und sie ist um so bemerkenswerther, als die Oroken unter allen, so sehr zahlreichen und weit verbreiteten tungusischen Stämmen die einzigen sind, die das Rennthier zum Fahren gebrauchen. Wie verhält es sich jedoch dieser Thatsache gegenüber mit der obenerwähnten Angabe Mamia Rinsö’s, dass das Rennthier bei den Oroken als Saumthier zum Lastentragen dient? Ielı habe es zwar selbst nicht gesehen und kenne auch keine neuere Nachricht, welche es bestä- tigte, dennoch glaube ich jene Angabe nicht schleehtweg ablehnen zu dürfen, sowohl aus den oben bereits angeführten inneren Wahrscheinlichkeitsgründen, als auch weil Mamia Rinsö selbst auf Sachalin gewesen und dort vielleicht auch mit Oroken zusammengetroflen ist, jeden- falls aber von den dortigen Aino und Giljaken zuverlässige Nachrichten über dieselben hat sammeln können. Andererseits erscheint es mir aber auch unzulässig, aus dem Gegeneinander- halten jener Angabe und dessen, was ich selbst gesehen, etwa folgern zu wollen, dass nach Mamia Rinsö bei den Oroken eine Veränderung im Gebrauch des Rennthiers stattgefunden habe, denn dazu dürfte der Zeitraum von nicht voll 50 Jahren, der zwischen Rinsö’s und meiner Reise liegt, doch wohl zu kurz sein. Und so bleibt mir kein anderer Schluss übrig, als der, dass die Oroken bei ihren Wanderungen sich des Rennthiers sowohl zum Fahren, wie zum Lastentragen und Reiten bedienen, so vereinzelt ein derartiger zwiefacher Gebrauch eines Hausthiers zur Ortsveränderung unter den Naturvölkern auch stehen mag. Und zwar dürften die Oroken sich des einen, oder des anderen Modus der Lokomotion bedienen, je nach dem, welche Gegenden und Lokalitäten der Insel sie durchwandern. Wenn sie, der Jagd auf Pelzthiere nachgehend, die öden, von ihnen allein betretenen Gebirgswildnisse im Osten und Westen vom Tymy-Thale durchstreifen, so dürfte sie dort, gleichwie unter ähnlichen Verhältnissen auch ihre Stammgenossen auf dem Festlande, das Rennthier als unentbehrliches, zum Lastentragen und Reiten dienendes Saumthier begleiten. Auf diese Wanderungen der Oroken beziehen sich offenbar die Angaben Mamia Rinso’s, wenn er vom Gebrauch des Rennthiers bei denselben spricht. Das geht auch aus seiner ferneren Bemerkung hervor, «das Tonakai sei von Na- tur äusserst sanft und zahm, doch sehr angst vor den Hunden, wesshalb man es aufkeine Weise 194 Die Völker des Amur-Landes. in Ortschaften hineinbringen könne, in denen sich solche in Menge aufhalten» '). Von den Wan- derungen der Oroken durch das mit giljakischen Dörfern, in denen es zahlreiche Hunde giebt, besetzte Tymy-Thal hatte er keine Kunde. Und auf diesen nach ihrer Richtung und ihren End- zielen oben bereits besprochenen ?), zum Zweck des Handels mit den Giljaken, Aino, Chinesen und Japanern allwinterlich stattfindenden Wanderungen bedienen sich die Oroken, wie soeben ausführlich geschildert worden, des Rennthiers zum Anspann vor dem Schlitten. Wenn ich vorhin den Gedanken, dass seit Mamıa Rinsö’s Reise auf Sachalin bei den Oroken eine Veränderung in der Art und Weise, das Rennthier zu gebrauchen, stattgefunden haben könnte, zurückweisen musste, so scheint mir hingegen eine solche für weiter zurücklie- gende Zeiten ganz unleugbar zu sein. Denn ohne Zweifel haben die Oroken ehemals, als sie noch mit ihren Stammgenossen, den Oltscha, zusammen auf dem Festlande nomadisirten, das Rennthier gleich anderen tungusischen Stämmen nur zum Lastentragen und Reiten benutzt. Erst nachdem sie nach Sachalin hinübergegangen, lernten sie es daneben auch als Anspannthier vor dem Schlitten zu verwenden. Wie und wodurch kann dies aber gekommen sein? Ich glaube es nur dem Einfluss dieser ihrer neuen Heimath, namentlich dem unvermeidlichen Verkehr mit den sie dort allenthalben umgebenden Giljaken zuschreiben zu müssen. Fanden die Oroken, als sie mit ihren Rennthieren vom Festlande nach Nordsachalin hinüberwanderten, in den an Flechten und Moosen reichen Nadelholzwaldungen desselben auch günstige Naturbedingungen zum Fortführen ihres Nomadenlebens, so konnten sie doch nur dann für die Dauer festen Fuss auf der Insel fassen, wenn sie in freundnachbarlichen Verkehr mit den dortigen Völkern traten, und diese auch ihren Vortheil von den neuen Ankömmlingen erhielten. Namentlich war dies den Giljaken gegenüber unbedingt nothwendig, da diese beide Küsten im Norden der Insel und das ganze Tymy-Thal inne hatten, und es bei ihrer grösseren Zahl und Energie stets in ihrer Macht lag, die von ihnen umschlossenen Eindringlinge aller Existenzmittel zu berauben und zu vernichten. Zum Glück für die Oroken liess jedoch der weniger auf Krieg als auf Gewinn und Bereicherung gerichtete Sinn der Giljaken diese bald erkennen, dass sie von den eingewander- ten Nomaden keine Schmälerung ihrer Interessen zu befürchten hätten, sondern im Gegentheil beträchtlichen Nutzen ziehen könnten. Denn die Schätze an kostbarem Pelzwerk, welche jene als geübte Jäger auf ihren Wanderungen in den entlegenen Gebirgswaldungen der Insel zu Tage fördern, mussten, und sogar zum grössten Theil, auch ihnen als den ersten Abnehmern und unvermeidlichen Vermittlern des Handels mit den Chinesen und Japanern zu gute kommen. Ich werde auf diesen Handel später noch zurückkommen. Der Vortheil, den die Gilja- ken durch denselben von den Oroken beziehen, erklärt hinlänglich die Duldung und Scho- nung, welche sie diesen letzteren zu Theil kommen lassen, wenn sie dieselben, trotz mancher Ungelegenheit, die es ihnen selbst bereitet, unbehindert mit ihren Rennthieren auf dem von 4) Mamia Rinsö, |]. c., p. 192. und 170. 2) S. oben, p. 20; desgl. dieses Werkes Bd. I, p. 169 Oroken. Dreierlei Arten von Ortsveränderung zu Lande. 495 ihren Hundeschlitten gebahnten Wege durch das Tymy-Thal ziehen lassen. Die solehergestalt den Oroken aus ihrem guten Einvernehmen mit den Giljaken erwachsende Möglichkeit, durchs ganze Tymy-Thal und weiter übers Gebirge und den Liman bis zum Amur, sowie dem Poronai entlang bis zum Golf der Geduld die von den giljakischen Schlitten gebahnten Pfade benutzen zu können, mag sie dazu bewogen haben, sich auf diesen ihren Wanderungen ihrer Rennthiere in derselben Weise zu bedienen, wie die Giljaken und Aino es mit ihren Hunden thun, d. h. zum Anspann vor entsprechend eonstruirten Schlitten. Ja, sie mussten um so mehr darauf ge- bracht werden, als sie des Verkehrs mit den Giljaken wegen genöthigt waren, bisweilen, wenn sie z. B. des Handels halber ın die Dörfer der letzteren kamen, sich auch der Hunde zum Fahren zu bedienen. Einige mit Hunden bespannte Schlitten sind ihnen ferner auch bei jenen ihren Wan- derungen unumgänglich, um dem Rennthierzuge vorauszueilen und plötzlichen Begegnungen mit giljakischen oder anderen Hundegespannen vorzubeugen. Der Art waren die Schlitten, denen ich bei Plub-wo begegnete. Später habe ich bei Nyi und in der Gegend der Tymy-Mündung noch wiederholt Oroken auf hundebespannten Schlitten fahren sehen. So bieten uns die Oro- ken auf Sachalin, dank ihrem CGontakt und Verkehr mit den Giljaken, den gewiss sehr seltenen, wenn nicht ganz vereinzelt dastehenden Fall eines Naturvolkes dar, das nicht weniger als dreierlei Arten von Ortsveränderung zu Lande hat, indem es einmal auf Rennthieren reitet und fährt und daneben sich auch der Hunde zum Fahren bedient. Letzteres haben sie schlechtweg von den Giljaken entlehnt, und darum sind bei dieser Art der Lokomotion auch Sehlitten und Anspann bei ihnen ganz dieselben wie bei jenen. Vermuthlich dürften jedoch ihre von klein auf neben den Rennthieren gehaltenen Hunde sich soweit an dieselben gewöhnt haben, dass sie ihnen nicht so gefährlich wie die giljakischen Hunde sind und daher zum Eskortiren der Rennthierzüge gebraucht werden können. Um die ihnen kaum minder als die Rennthiere nothwendigen Hunde ernähren zu können, sind aber die Oroken genöthigt, während eines Theiles des Jahres, und zwar, wie oben schon erwähnt worden, im Sommer und Herbst, eın sesshaftes Fischerleben an der Ostküste Sachalın's zu führen, um erst, wenn die Pelzthiere ıhr kostbares Winterkleid angethan haben, ihre der Jagd und dem Handel dienenden Wanderungen mit Hülfe der Rennthiere wieder anzutreten. Wie übrigens der Raum, den die Oroken durchwandern, nur ein sehr beschränkter ist und sich mit den Wandergebieten der Festlandsnomaden nieht im Entferntesten messen kann, so ist auch die Zahl der ihnen zu Gebote stehenden Rennthiere nur gering. Mamia Rinsö be- richtete im Jahre 1808, dass ein reicher Oroke deren oft 12 und darüber habe. Boschnjak, der dies Volk 1852 in der Gegend von Nyi und der Tymy-Mündung kennen lernte, meint, dass die Zahl der Rennthiere beim reichsten Oroken nicht mehr wie 30 betrage '). Etwa dreissig Jahre später (1881) besuchte sie Poljakof in derselben Gegend, und seine Schätzung bleibt noch hinter derjenigen seines Vorgängers zurück, denn nach ihm besitzt ein Oroke von 1) Bomuarp, Iren. 85 Ipn-Amyper. xpab (Mopexr. C6opn., 1858, N 11, 4. neow., erp. 189). Schrenck's Amur-Reise, Band III, 63 496 Die Völker des Amur-Landes. mittlerem Wohlstande etwa 10-15 Rennthiere, nur sehr Wenige haben deren über 20, arme Leute aber auch nur zwei oder drei Thiere'). In der Umgegend von Taraika am Golfe der Ge- duld wurden zur Zeit von Schmidt's Reise (1861) nur noch im Dorfe Walendsä einige Renn- thiere gehalten, an allen anderen Orten waren sie in Folge von Futtermangel umgekommen, da der tiefe Schnee jener Gegenden die Erhaltung dieser Thiere sehr erschwert °). Bei so schwachem Bestande der orokischen Rennthierheerden erscheint ihre Zukunft wenig gesichert und liegt die Befürchtung nahe, dass sie unter ungünstigen Verhältnissen, wie Seuchen, Verwüstungen durch Wölfe u. drgl., leicht ganz hinschwinden könnten. Mit dem Verluste ihrer Rennthiere werden aber die Oroken, ihres vornehmlichsten Existenzmittels beraubt, entweder eben- falls zu Grunde gehen, oder aber im besten Falle, wenn ferner noch von den Giljaken gedul- det, demselben Schicksale wie ihre Stammgenossen auf dem Festlande, die Oltscha, anheim- fallen, d. h. alle Eigenart ihres Lebens und Treibens einbüssen und sich ganz und gar der Lebensweise und den Sitten ihrer mächtigeren Nachbarn, der Giljaken, anbequemen müssen. Wie weit Letzteres bei den Amur-Oltscha sich vollzogen hat, haben wir bereits mehr- mals, bei Besprechung ihrer Nahrung, Kleidung, Haltung, hervorzuheben Gelegenheit gehabt. Ein Gleiches lässt sich nun auch in Betreff der bei ihnen üblichen Art und Weise der Ortsver- änderung bemerken. Die Benutzung des Hundes als Zugthier, die Behandlung desselben, die Art und Weise des Anspanns, die Form und Beschaffenheit des Schlittens, Alles ist genau wie bei den Giljaken. Ohne Zweifel aber haben die Oltscha es von den Giljaken entlehnt, und nicht umgekehrt, denn, wie oben ausführlich dargethan’), haben die Oltscha ehedem als Rennthiernomaden gelebt und sind erst nach Verlust ihrer Rennthiere zu sesshaften Fischern am Amur-Strome in unmittelbarer Nachbarschaft der seit Alters her Hunde haltenden Gilja- ken geworden. Eine ebensolehe Lebenswandelung haben höchst wahrscheinlich auch die übrigen tungusi- schen Völker des unteren Amur-Landes, namentlieh die Negda, Samagirn und Golde durch- zumachen gehabt, wenn sie bei ihnen auch minder nachweisbar als bei den Oltscha ist, die an den Oroken einen noch heutzutage sein Nomadenleben fortsetzenden Zweig besitzen. Gleich den Oltscha und vermuthlich zum Theil durch Vermittelung derselben haben sie denn auch die siljakische Art und Weise der winterlichen Ortsveränderung, mit allen, auch bei ihnen sich wiederholenden, auf den Hundeanspann, die Schlittenform u. s. w. bezüglichen Eigenheiten der- selben, angenommen '). Indessen lässt sich nicht verkennen, dass bei allen diesen Völkern, nach Maassgabe als sie im Vergleich mit den Giljaken mehr Jäger als Fischer sind und keine so 1) Hoasakonn, Ilyrem. na ocrp. Caxanıma (Hpınıose. | Eingeborenen des Amur-Landes sei der Art, dass die x» XIX. T. Has. Hmm. Pycer. DTeorp. O6m., erp. 82). Thiere paarweise laufen, so ist das ganz und gar falsch, 2) Fr. Schmidt, Histor. Ber. etc., 1. c., p. 119. und darf darin kein etwaiger Unterschied zwischen den 3) S. oben, p. 133 — 144. Golde und Giljaken erblickt werden: bei allen werden 4) Wenn Maack (Hyrem. na p. Amypp, erp. 202), von | vielmehr die Hunde ganz gleich und zwar alternirend an- den Golde ausgehend, angiebt, der Hundeanspann bei den | gespannt, wie oben ausführlich geschildert worden ist. Golde. Gleichzeitiger Gebrauch von Hunden zum Fahren und Pferden zum Reiten. 497 ausgedehnten Handelsbeziehungen wie die letzteren haben, das Hunde-Halten und Benutzen we- niger im Vordergrunde des Lebens steht, indem die Zahl der Thiere, die Sorge um dieselben und damit auch ihre Güte und Leistungsfähigkeit weit geringer als bei den Giljaken sind. Doch ist das Fahren mit Hunden auch bei den Golde noch in ihrem gesammten Verbreitungs- gebiet, den Amur, wie den Ussuri und Sungari hinauf, im Gebrauch }). Daneben sieht man aber bei ihnen am Amur oberhalb der Ussuri-Mündung und an diesem letzteren Fluss bisweilen auch Pferde. Auf meiner Reise im Sommer 1855 hörte ich von den Golde in Turme an der Ussuri- Mündung, dass es bei ihnen Pferde gegeben habe, welche jedoch kurz zuvor von Tigern ver- nichtet worden seien °). Ich begegnete, stromaufwärts gegangen, den ersten Pferden im Dorfe Sselgako am Amur. Nach Angabe der Golde werden sie ihnen von einem weit oberhalb woh- nenden Volke zugeführt, in welchem ich später die Manägırn erkannte®). Dort sah ich auch die zum Reiten auf den Pferden dienlichen, vermuthlich aus derselben Quelle stammenden, plum- pen, hölzernen Sättel. Daneben standen aber auch die zum Fahren im Winter landesüblichen Hundeschlitten, die ganz wie die giljakischen beschafllen waren. Denn die Pferde dienen, hier wie bei den Manägirn, nur zum Reiten. So konnte man bei den Golde von Sselgako nebenein- ander Lokomotionsmittel sehen, die zwei grundverschiedenen und so weit von einander wohnenden Völkern, wie die Giljaken und Manägırn, entlehnt worden sind. Zu den Ussuri-Golde gelangen die Pferde aus dem Sungari-Lande durch Vermittelung der unter ihnen wohnenden Chinesen, welche dieselben, zum Theil unter Mitwirkung der in ihrem Dienste stehenden oder von ihnen abhän- gigen Golde, hauptsächlich zum Waarentransport von und nach den Sungari-Städten auf der vom Ussuri nach Ssan-ssin führenden Strasse gebrauchen, wobei die Pferde im Sommer als Saumthiere unmittelbar belastet, im Winter aber vor Schlitten gespannt werden ®), — ein Gebrauch, aufden ich in der Folge nochmals zurückkommen werde. Ausserdem aber benutzen die Golde ihre Pferde im Frühjahr, nachdem der Schnee geschmolzen, zuweilen auch dazu, um in Jagdzwecken längs dem Ima, Waku und anderen rechten Nebenllüssen des Ussuri aufwärts zu gehen. Nimmt die Bedeutung des Hundes als Zugthier bei den tungusischen Völkern des Amur- Landes nach Maassgabe der Entfernung von den Giljaken ab, so stellt sich bei ihnen dagegen ein anderer, den Giljaken fremder Gebrauch desselben, derjenige als Begleiter und Gehülfe des Menschen auf der Jagd ein. So halten die Ussuri-Golde nicht selten neben Zughunden auch Jagdhunde, die zwar von derselben Race wie jene sind, aber nur zur Jagd, nicht zum Fahren gebraucht werden?). In höherem Grade noch findet dasselbe bei den Qrotschen statt. Diese 1) Dela Bruniere, Excursion en Maändchourie, en | 2) S. dieses Werkes Bd. 1, p. 177. Dasselbe wurde auch 1845 (Nouv. Ann. des Voyages, Annce 1548 [T. IV |,p. 11%). | Maack erzahlt (s. dessen Hyrem. na Amyp®, erp. 170). Vrgl. auch Wenjukof (O6oap. p. Yeeypar. — Bberu. Hnı. 3) S. oben, p. 48. Pycer.leorp. O6m., 1.25, 1859, Or. Hac.r. u Mar., erp. 230, 4) Korsun, s. Byammenn, Onne, abe, vacru Ipı- J9- . IQ N | - r 1.2 x 7 » 237; ero ske Hyreim, no orpanu. Pycer. Asiı, 1868, erp. St), | moper. 00.1. (San. Cuo. Ora. Han. Pycer. leorp. Oöin., Ru. Przewalski (Hyrem. »% Yecyp. xpab, erp. 100) u. A. | IX ır X, 1867, erp. 374). | Ich habe auch selbst bei den Ussuri-Golde im Sommer 5) Benwronn», O6oSp. p. Veeypu (Bberu. Inn. Pycer. 1855 abgestellte Hundeschlitten gesehen, die mit den gi- | Deorp. Oöm., 4. 25, 1859, Ora. Hac.ı. u Mar., erp. 237). ljakischen vollkommen übereinstimmten. 63° 198 Die Völker des Amur-Landes. gebrauchen im nördlichen Theile ihres Wohngebietes, in der Bai Hadshi und an den rechten Amur-Zullüssen, ganz in der Artihrer Nachbarn, der Oltscha und Golde, Hunde zum Fahren; im Süden ihres Gebiets hingegen, an den rechten Zuflüssen des Ussuri, wo sie fast ganz von der Jagd leben, sind sie schon aus Fischmangel meist nicht im Stande Zughunde zu halten, die ihnen übrigens in den Gebirgswildnissen ihrer Heimath auch kaum von Nutzen wären, und be- schränken sich daher auf das Halten von Jagdhunden, welche sie mit dem Abfall von den erleg- ten Thieren, insbesondere mit einer aus den Knochen derselben bereiteten Brühe füttern, die Com- muniecation aber unter ihnen findet im Winter nur zu Fuss, auf Schneeschuhen statt). Gleich- wohl lässt es sich noch als Rellex des auch dort im Allgemeinen herrschenden Landesbrauchs ansehen, dass die unter den Orotschen und Golde wohnenden, sesshaften und bemittelteren Chinesen Hunde zum Fahren halten ?). Mit der Südgrenze der Orotschen im Ussuri-Gebiet und der Golde am Sungari hört der Gebrauch von Hunden zum Anspann gänzlich auf, und im Sungari-Lande, bei den Acker- bau und Viehzucht treibenden Mandshu, Chinesen und Dauren giebt es eine ganze Anzahl den Eingeborenen des unteren Amur-Landes fremder, zur Ortsveränderung dienender Haus- thiere, wie Pferd, Maulthier, Esel, Rind, auf deren Besprechung wir hier nicht weiter einzugehen haben. Indem ich bezüglich derselben auf die Mittheilungen, die im zoologischen Theile dieses Werkes gemacht worden, verweise ®), füge ich in Betreff ihres Gebrauches zur Ortsveränderung nur hinzu, dass die drei ersteren bei den genannten Völkern sowohl im Sungari-Lande, als auch in ihren Kolonien im sogen. Gulturstück des Amur-Stromes zwar meist zum Reiten und Lasten- tragen gebraucht werden, das Pferd aber auch im Sommer vor Karren und im Winter vor Schlitten gespannt wird, gleichwie auch das Rind ®). Der mehrfach erwähnte, im Sungari-Lande geborene und aufgewachsene Chinese U-tschen fügt, indem er in seiner Schrift über Ninguta des im Lande üblichen Fahrens in Schlitten erwähnt, erläuternd hinzu, der Schlitten (pa-l:) sei ein dem Karren ähnliches Fuhrwerk, aber ohne Räder, und der Uebersetzer seiner Schrift, der Sinolog Wassiljef, bemerkt dazu, eine solche Erläuterung sei den Chinesen gegenüber noth- da diese in ihrer Heimath keinen Begriff von Schlitten hätten). Wenn daher die Chi- wendig, 1) Nach Korsun, s. Budistschef, I. c., p. 355. | in einem von Ochsen gezogenen Schlitten nach der Stadt | 2) Byauıner», ramn ske, erp. 414. Hpskesa.spckiü, | Aigun. Nach seiner wie nach Maack’s Beschreibung (Uyrem. na Amyp®, erp. 303) sind diese Schlitten der Art, dass die dieken Sohlen sich nach vorn unmittelbar in die Iyreu. »» Yccyp. kpab, erp. 139. 3) Bd. I, p. 160 und 175—179. 4) So reiste z. B. der Missionar Kimai-Kim 1844 | Pfiemerstangen verlängern, was sie sehr plump und unbe- von Kuang-tschen-dse über Girin und Ninguta nach Hun- | holfen macht. tschun in einem von Pferden gezogenen Schlitten (Nouv. 5) Bacuıpes%, 3anneru 0 Hnaryrb (3ar. Unn. Pycer. Ann. des Voyages, Ann. 1847, T. I, p. 66 seq.), und in dersel- | Teorp. O6in., T. XI, 1857, crp. 96). Beiläufig sei bemerkt, dass schon John Barrow (Reise durch China von Peking nach Canton im Gefolge der Grossbritann. Gesandtschaft ben Weise trat Venault 1850 in Ssan-ssin seineReise zum Ussuri an (Nouv. Ann. des Voyages, Ann. 1852, T.I, p. 209). Pargatschefskij (llobsaka 3umn. NyTeM% BBepXBb NO p. | in den J. 1793 und 1794, aus dem Engl. von Hültner, Anypy. — Bberu. Inn. Pycer. Veorp. Oöi., 4. 21, 1857, | Wien 1805, Bd. II, p. 160) sein Verwundern darüber aus- Ora. Hac.a. ı Mar., erp. 175) kam, von Mandshu geleitet, | sprach, dass der Scharfsinn der Chinesen sich nicht bis zur Biraren, Manägirn, Orotschonen: Pferd- u. Rennthier-Nomaden. 499 nesen und Mandshu im Sungari-Lande sich der Schlitten zum Fahren bedienen, so darf man darin eine Folge ihres alten und vielfachen Verkehrs mit den Golde und anderen Eingeborenen des unteren Amur-Landes sehen, obgleich das Anspannthier bei diesen ein anderes ist. Dem unteren Amur-Lande gegenüber steht das obere, von der Sungari-Mündung auf- wärts, hinsichtlich der Art der zu Lande stattfindenden Ortsveränderung seiner indigenen Stämme im Allgemeinen in einem schroflen Gegensatze: denn während alle Völker des ersteren, von Sachalin, der Küste des Ochotskischen Meeres und der Amur-Mündung bis zum Sungari hin- auf, sich der Hunde zum Fahren bedienen, ist diese Art der Ortsveränderung bei keinem ein- zigen Volke des letzteren im Gebrauch, — eine Thatsache, die besser als alles Andere den gegen- sätzlichen Charakter sesshafter Fischerbevölkerung in dem einen und nomadischer Jägerbevöl- kerung in dem anderen kennzeichnet. Mit Ausnahme der wenigen, gleich oberhalb des Bureja- Gebirges wohnenden sesshaften Biraren, die sich in ihrer gesammten Lebensweise und somit auch in der Art der Ortsveränderung mit ihren Nachbarn, den Dauren, Mandshu und Chine- sen, völlig assimilirt haben, giebt es in der That im oberen Amur-Lande nur Jagdnomaden, die entweder, wie die Manägirn und wandernden Biraren, auf Pferden, oder, wie die meisten Orotschonen, auf Rennthieren umherziehen, den Hund aber nur in einzelnen Individuen zu Jagdzwecken halten '). Pferd wie Rennthier werden dabei nur als Reit- und Lastthiere gebraucht. Die Manägirn-Pferde stimmen mit den transbaikalischen wie mit den mandshurischen ganz und gar überein, sind nicht gross, aber stark und von ausnehmender Ausdauer. Beständig unter freiem Himmel gehalten, sind sie jeder Unbill des Klimas gewachsen und müssen sich im Win- ter mit dem Futter begnügen, das sie sich unter dem Schnee aufscharren, — ein Umstand, der allein schon genügen würde ihre Existenz im schneereichen unteren Amur-Lande unter gleichen Bedingungen unmöglich zu machen. Auch wären sie bei dem grossen Schneereichthum des letz- teren den dortigen Eingeborenen lange nicht so brauchbar wie die Hunde, die zu allem Uebri- gen noch den Vortheil gleicher Nahrung mit ihren ichthyophagen Herren gewähren. Wie die bei allen tungusischen Stämmen nahe gleichlautende, aus dem Mongolischen entlehnte Bezeich- nung für das Pferd beweist’), verdanken sie übrigens die erste Kenntniss dieses Thieres und seines Gebrauches ihren nach Gentralasien hin anstossenden Nachbarn, den Mongolen , — eine Thatsache, die in dem von Maack®) hervorgehobenen Umstande, dass auch die auf die Fär- bung, Gangart und andere Eigenschaften des Pferdes und auf die einzelnen Stücke des Pferde- geschirrs bezüglichen Bezeichnungen bei den Manägirn wie bei den Mandshu von mongoli- schem Ursprunge sind, eine weitere Bestätigung findet. Die eigentliche Charakterform der Tun- Erfindung von Schlitten oder anderen zum Reisen über | publ. par Moreau de St. Mery, Paris, an VI (1798), I, p. 187—189; T. II, p. 271— 277). 1) Maaxın, Iyrem. ua Amyp®», erp. 310. 2) Vrel. Klaproth (Asia polyglotta, p. 267, 287), (Pal Eis und Schnee tauglichen Fuhrwerken erstreckt hat. Doch | T. indisch-hollandischen Gesell- 1794 sah die Gesandtschaft der schaft an den Pekinger Hof in den Jahren und 1795, dass auf Schlittensohlen gestellte Sessel von Men- schen über das Eis der Teiche geschoben oder gezo- gen wurden (van-Braam, Voyage de ’Ambass. de la Comp. des Indes orient. Holland. vers P’Emper. de la Chine, las (Zoogr. rosso-asial., Vol. I, p. 256) und meine Reisen und Forsch. im Amur-Lande, Bd. I, p. 175. 3) Iyrem. ua Anyp®s, erp. 77. 500 Die Völker des Amur- Landes. gusen ist und bleibt aber, wie schon erwähnt !), das Rennthier, und auch die Manägirn machen davon insofern keine Ausnahme, als sie, wie oben ausführlich dargethan ?), ehemals ebenfalls Rennthiernomaden waren und erst später, nach Maassgabe als sie aus dem Gebirge in die Prairien am Amur und an der Dseja vordrangen, das Rennthier gegen das Pferd vertausch- ten, gleichwie es auch diejenigen Orotschonen machten, die aus dem Chingan-Gebirge süd- und ostwärts in die zum Nonni führenden Flussthäler hinabstiegen. Nord- und ostwärts aber schliessen sich an die Orotschonen des oberen Amur-Stromes und seiner Zullüsse die in ganz gleicher Weise lebenden russischen Rennihier-Tungusen an, die sich längs dem Stanowoi- Gebirge und seinen nördlichen Abzweigungen bis zum Ochotskischen Meere hinziehen. Im Allge- meinen lassen sich also in Betreff der Lokomotionsmittel der Amur-Völker Hund und Pferd in recht scharfer Abgrenzung als die Charakterformen jener des unteren und dieses des oberen Amur- Landes bezeichnen. Der Gebrauch des Rennthiers aber zieht sich im gesammten nördlichen Um- kreise des Amur-Landes längs dem Chingan- und Stanowoi-Gebirge bis zum Ochotskischen Meere und von dort nach dem nördlichen und östlichen Sachalin bis zum Golf der Geduld fort, wobei jedoch zwischen dem Festlande und der Insel Sachalin der oben besprochene Unterschied besteht, dass dort, beiden Orotschonen und Rennthier-Tungusen, das Rennthier nur als Reit- und Lastthier, hier aber, bei den Oroken, dasselbe auch als Anspannthier dient und in dieser seiner Verwendung mit dem Hunde zusammenstösst. Als Anwohner eines grossen Stromes und seiner Zullüsse oder auch des Meeres und seiner Küstenflüsse sind alle Völker des Amur-Landes des Fischfangs und der Jagd, des Handels und Verkehrs wegen mehr oder weniger auch auf Bewegung und Ortsveränderung zu Wasser ange- wiesen. Die verschiedene Beschaffenheit der Gewässer, an denen sie wohnen, bedingt aber noth- wendig auch eine Mannigfaltigkeit der zum Aufenthalt und zur Bewegung auf denselben dien- lichen Fahrzeuge. Im Vergleich mit den stets nach einem und demselben Muster gebauten Hunde- schlitten sind die bei den Amur-Völkern gebräuchlichen Böte von sehr verschiedener Form und Beschaffenheit; doch muss von vornherein bemerkt werden, dass die jeweiligen, dem Charak- ter der Gewässer angemessenen Formen mit geringen Modifikationen sich bei allen diesen Völ- kern wiederholen und nur wenige von ihnen ein national eigenthümliches Gepräge tragen. Keines der Amur-Völker hält sich so viel auf dem Wasser auf, wie die am meisten vom Fischfang lebenden und durch ihren Handelsgeist zum Unternehmen weiter Fluss- und Seefahr- ten geneigten Gillaken, Doch sind sie, trotzdem sie zum grossen Theil am Meere leben und aus demselben ihre Nahrung beziehen, keineswegs kühne und gewandte Seeleute und Seethier- Jäger, die in kleinem, leicht beweglichem Fahrzeuge, etwa wie die Aleuten in ihren Baidarken, 1) S. oben, p. 490. 2) S. oben, p. 177 fl. Giljaken. Nur Fluss- u. Küstenfahrer. Bau u. Beschaffenheit des Amur-Bootes. 501 den Kampf mit den hohen Meereswogen aufzunehmen geneigt und geschickt wären. Hauptsäch- lich um den unteren Lauf des Amur-Stromes concentrirt, der ihnen neben ausserordentlichem Fischreichthum auch einen natürlichen und leichten Verkehrsweg mit ihren näheren und ferne- ren Nachbarn bis zu den Mandshu-Chinesen am Sungarı bietet, und andererseits dureh die Nähe einer grossen, der Amur-Mündung unmittelbar vorgelagerten Insel begünstigt, die sie vom ollenen Meere abscheidet und in ihrer langen Meridianerstreckung ihnen gewissermaassen eine Brücke bis nach Japan hinüber schlägt, sind die Giljaken im Gegentheil ihrem gesammten, zur Exi- stenz dienlichen Betriebe, wie ihrem Wesen und Charakter nach nur ängstliche, um- und vor- sichtige Fluss- und Küstenfahrer. Und dem entspricht auch das einzige, den Amur- wie den Küsten-Giljaken zum Fischfang wie zu ihren Verkehrs- und Handelsreisen dienende Fahrzeug. Es ıst dies ein den hohen Meereswogen durchaus nicht gewachsenes, kielloses und Nachgehendes Boot, das im Wesentlichen nur aus drei langen, den Boden und die beiden Seitenwände bilden- den Brettern besteht, an welche sich zum Abschluss des vorderen wıe des hinteren Endes meh- rere kleine Brettchen anschliessen. Der prägnanteste und eigenthümlichste Zug desselben besteht darin, dass das Bodenbrett nach vorn noch um ein guies Stück über den Bootssehnabel hinaus- ragt (s. Taf, XXXVIH, Fig. 1). Dabei ist es nicht eben, sondern derartig gekrümmt, dass es in der Mitte am tiefsten hinabreicht, nach beiden Enden hin aber langsam ansteigt. Um den Bau des Bootes näher kennen zu lernen, wollen wir es in seiner Entstehung unter den Händen der Giljaken verfolgen. Sind die drei langen, nothwendig aus je einem Stück be- stehenden Bretter, aus denen das Boot zusammengefügt werden soll, vermittelst des Beiles aus Stäm- men der Picca ajanensis Fisch. (gilj. heissji) oder auch der Lärche (gilj. koi) gefertigt und ihre Oberflächen mit dem Messer gehörig geglättet, so geht man daran, dem etwa 3—5 Faden langen und einen bis anderthalb Fuss breiten Bodenbrett (gilj. noch) die oben erwähnte, durchaus erforderliche Krümmung zu geben. Zu dem Zweck wird es mit seinen Enden auf zwei niedrige, auf ebenem Boden errichtete Böcke gelegt, welche aus je zwei in schräger Riehtung gekreuzt in die Erde eingeschlagenen Stangen bestehen. Die nicht unterstützte Mitte des Brettes sinkt nieder, muss aber, damit die richtige Krümmung erlangt werde, noch so weit heruntergedrückt werden, dass sie den Boden berührt, was entweder durch Besehweren mit Steinen, oder noch einfacher da- durch geschieht, dass ein oder ein paar Menschen sich aufs Breit setzen. In dieser Lage wird es dureh ein paar jederseits in die Erde eingeschlagene, das Brett von oben umfassende Kniehölzer befestigt. Jetzt müssen die beiden, je etwa zwei Fuss breiten Seitenbretter (gilj. arp) mit ihren unte- ren, dem Bodenbrett entsprechend abgeschrägten Rändern diesem letzteren unter einem bestimmten stumpfen Winkel genau angepasst und in dieser Stellung provisorisch fixirt werden. Dazu werden jederseits mehrere, einander gegenüber stehende Stäbe in die Erde geschlagen, welche den Brettern zur Stütze dienen, worauf um die oberen Enden je zweier, einander gegenüberstehender Stäbe ein Riemen oder eine Sehnur gesehlungen wird (s. den umstehenden Holzschnitt), «dureh deren stärkeres oder schwächeres Anziehen, die Seitenbretter genau in die Stellung gebracht werden können, bei welcher ihre unteren Ränder sich mit denjenigen des Bodenbrettes deeken. Steht das Boot so fertig zusammengebunden da, so kann an seine definitive Verfestigung ge- 502 Die Völker des Amur-Landes. sehritten werden. Zunächst werden zwischen den Seitenbrettern mehrere, dieselben mit einander verbindende Querhölzer (gilj. tschylch) angebracht. Ein solcher Verbindungsstab befindet sich im hinteren Ende des Bootes, ein anderer in der Mitte und ein dritter kurz vor dem Schna- bel desselben. Die Befestigung der Seitenbret- ter an das Bodenbrett und ebenso aller übrigen Bretter unter einander geschieht durch Holz- stifte, welehe mit Hülfe eines eigens dazu dien- lichen eisernen Stäbehens (gilj. offawws, Taf. Giljakischer Bootsbau. XXX, Fig. 7) in die zuvor mit dem grossen Bohrer (gilj. lung, ebenda, Fig. 6) längs den betreflenden Bretträndern bereiteten Löcher hin- eingetrieben werden. Beiläufig bemerkt, sind diese nicht bloss bei Anfertigung von Böten, sondern auch bei anderen Gelegenheiten, so z. B. zur Befestigung der oben besprochenen Sohlenbeschläge an den Sehlit- ten u. drgl., gebräuchlichen Instrumente, nach giljakischer Art stets sauber gearbeitet und eben- falls mit vielen Ornamenten, das eiserne Stäbchen mit feinen Streifen von eingelegtem Kupfer und Silber, der hölzerne Stiel des Bohrers mit zahlreichen, zierlichen Schnitzereien versehen. Zum Arbeiten mit diesem Bohrer gehören sich übrigens zwei Menschen, indem der Eine ıhn vermit- telst eines Holzstückes von oben, wo sich ein in den Stiel eingesetztes eisernes Stiftchen befin- det, gegen den Punkt, wo das Loch kommen soll, andrückt und der Andere ihn durch rasches Anziehen eines um den Stiel desselben mehrfach geschlungenen Riemens in rotirende Bewegung versetzt, — ein Verfahren, das ich auch bei dem später und bei anderer Gelegenheit zu besprechen- den giljakischen Modus, Feuer durch Reibung zu erzeugen, beobachtet habe. Aus diesem Grunde möchte ich den Zung, sowie einen zweiten, ganz ähnlichen und auch ebenso gehandhabten, nur etwas schlankeren Bohrer, den die Giljaken pisk nennen, für althergebrachte, vielleicht von ihnen selbst erfundene Instrumente halten, während der für feinere Arbeiten dienliche, unseren Instrumenten der Art ganz ähnliche kleine Bohrer (ebenda, Fig. 8), dessen giljakische Bezeich- nung mir unbekannt geblieben ist, und der ganz aus Eisen besteht, jedenfalls von späterem und fremdem Ursprunge sein dürfte '). Letzteres gilt ohne Zweifel auch für ein anderes Instrument, die Säge. Dieser bin ich selbst bei den Giljaken nie begegnet; Hr. Maximowiez aber sah ein Exemplar derselben im Dorfe Tylm, das mit unserer gewöhnlichen Tischlersäge vollkommen übereinstimmte und von den Giljaken puf, von den Oltscha pofo genannt wurde, — eine Uebereinstimmung der Bezeichnungen, welche ebenfalls auf eine beiden Völkern gemeinsame, fremdländische Entlehnung des betreflenden Objeets hinweist. Doch kehren wir nach dieser Abschweifung zum Bau des Bootes zurück. Das hintere Ende desselben wird durch ein senkrechtes Spiegelbrett abgeschlossen und darüber und zwischen 1) Die Oltscha-tungusische Bezeichnung für diesen | und sseldschefo. kleinen Bohrer lautet nach Hrn. Maximowiez sselgefo Güjaken. Bau und Beschaffenheit des Amur-Bootes. 503 den beiden Bordbrettern ein horizontales, nach hinten etwas vorragendes, zum Sitz für den Steuermann bestimmtes Brett (gilj. otf(o)ms) angebracht. Vorn wird das Boot durch zwei schräg gestellte Bretter (gilj. a/p) geschlossen, von denen das linke stets ein wenig über das rechte emporragt, wodurch der Bootsschnabel eine spitze Form erhält. Alle Fugen und insbesondere die beiden längsten, zwischen dem Boden und den beiden Seitenbrettern des Bootes, werden kalfaltert; doch muss dies sehr zart und vorsichtig geschehen, um die nur durch Holzstifte zu- sammengehaltenen Bretter nicht auseinanderzutreiben. Es wird daher nur mit Hülfe eines Mes- sers von innen aus etwas Moos in die Fugen gestopft, wo diese es zulassen, und dann, ebenfalls vermittelst kleiner Holzstifte, eine schmale Holzleiste über denselben befestigt. Ueber den beiden Längsfugen werden aber ausserdem auch von aussen, und zwar stärkere und breitere, durch Spalten dieker Weidenruthen gewonnene Leisten angeschlagen, so dass das Boot auf dem Lande gewissermaassen auf zwei nach aussen convexen Sohlen ruht, welche ausser dem Schutz der Fugen noch den Nutzen gewähren, dass sie beim Hineinziehen des Bootes ins Wasser oder Her- ausziehen aus demselben die Reibung des Bodenbretts am Ufersand und Kies vermindern und es somit gegen Beschädigung schützen. Die Analogie dieser äusseren Bootsbeschläge mit den Sohlen oder mehr noch mit den Sohlenbeschlägen der Schlitten fällt so sehr in die Augen, dass sogar die Giljaken, trotz des Mangels an Generalisirung in ihrer Sprache, sie mit demselben Wort wie diese letzteren (motassj) bezeichnen, während sie für die im Innern des Bootes über den Fugen angebrachten Leisten ein eigenes Wort (ty) haben. Zum Schluss werden im vor- deren Theile des Bootes an den Bordrändern zwei oder an grösseren Böten auch drei Paar Ruderpinnen (gilj. misgyr), d.h. kleiner, mit je einer emporragenden Zinke versehener Brettchen angebracht. Die Befestigung derselben an die Bordbretter geschieht ebenfalls durch Holzstifte, so dass am gesammten Boot der Giljaken, gleichwie auch an ihrem Schlitten, kein einziger Nagel, überhaupt kein Eisenstück irgend welcher Art zur Verwendung kommt. Natürlich ermangeln die Giljaken nicht, auch ihre Böte mit einigem Zierrath zu schmücken. So läuft die Spitze des unter dem Bootsschnabel vorragenden Bodenbrettes gewöhnlich in einen grob gemeisselten Schlangen-, Vogel- oder sonstigen Thierkopf aus, die beiden Schnabelbretter tragen stets auf ihrer Innenfläche einige geschnitzte Arabesken, und auf der Rückseite des Spiegelbretts befindet sich in der Regel ebenfalls eine eingeschnitzte, schwarz oder bunt bemalte Figur, ein Viereck, Stern oder drgl. Bevor man das Boot ins Wasser bringt, wird es endlich, zum Schutz gegen Fäulniss, am Boden und unteren Theile der Seitenbretter von aussen leicht verkohlt, was in der Weise geschieht, dass es auf ein paar höhere Böcke gehoben und das darunter gebreitete Strauchwerk angezündet wird. Die Ruder (gilj. yon) sind mit einer breiten, abgerundeten, zur Spitze hin sich verjün- genden Schaufel und an einer verdiekten Stelle ihres Grifls mit einem Loch zum Aufsetzen auf die Ruderpinne versehen (Taf. XXXVIH, Fig. 2)'). Feste, an die Seitenwände des Bootes 1) Diese Abbildung hat den wesentlichen Fehler, dass | nicht senkrecht auf die Schaufel, sondern in derselben man sich die Richtung, in welcher der Rudergriff durch- | Ebene mit dieser denken muss. bohrt ist, um einen Winkel von 90° verschoben, d. h. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 64 504 Die Völker des Amur-Landes. gelehnte Ruderbänke hat das giljakische Boot nicht, da diese durch ihren Druck die Seitenbret- ter vom Bodenbrett abtreiben würden. Anstatt derselben bedienen sich die Giljaken kleiner, abhebbarer Schemel, die nur auf dem Bodenbrett ruhen, ohne die Seitenbretter zu berühren. Aus demselben Grunde wird auch bei Belastung des Bootes sorgfältig darauf geachtet, dass die ganze Last auf dem Bodenbrett ruhe und keinen Druck auf die Seitenbretter ausübe. Zu dem Zweck werden quer über das erstere zuvor einige seiner Breite ansehnlich nachstehende Holz- stücke gelegt und auf diese der Länge des Bootes nach mehrere Bretter gebreitet, welche die Lasten zu tragen bestimmt sind, — eine Maassregel, die nebenbei auch dazu dient, die zu trans- portirenden Gegenstände vor Durchnässung im Boden des Bootes zu bewahren. Wie sehr eine solehe zarte und vorsichtige Behandlung des giljakischen Bootes nothwendig ist, davon habe ich mich aus eigener Erfahrung überzeugen können. Als ich im Frühjahr 1855 meine erste Sommerreise, den Amur und Ussuri aufwärts, antreten sollte, erstand ich von den Giljaken zwei anscheinend nur wenig gebrauchte Böte. Mit ihrem Bau noch unbekannt, glaubte ich am besten zu fahren, wenn ich sie zuvor einer Durchsicht und zweckdienlichen Zuriehtung im Hafen von Nikolajefsk unterwürfe. Durch Vermittelung eines Marineoflieiers wurden sie nun von einem der besten Bootsleute des Hafens in der Weise wie gewöhnliche Schaluppen kalfatert und mit Ruderbänken und einer zur Aufrichtung eines Mastes dienenden Bank verse- hen. Als ich mich aber einschiflen wollte und die Böte ins Wasser gebracht wurden, erwiesen sich beide als ganz und gar leck, und alle Bemühungen der Leute, sie noch in Stand zu setzen, blieben erfolglos. Die Seitenbretter waren, wie ich jetzt sah, durch die rohe und falsche Behandlung ihrer ganzen Länge nach vom Bodenbrett mehr oder minder abgetrieben und abge- löst, alles Zuhämmern, Verstopfen und Verschmieren der Fugen half nun nichts mehr, — eines der Böte musste völlig aufgegeben werden, und auf dem anderen gelangte ich nur mit vieler Mühe und unter beständigem angesirengten Ausschöpfen bis zum nächsten giljakischen Dorf. Dort, in Ssabach, kaufte ich ein neues, etwas grösseres Boot, das ich hinfort seinem Baue gemäss behandelte und betreflendenfalls nur giljakischen Händen zur Reparatur anvertraute. Und dieses that mir die besten Dienste, denn mit ihm bin ich nicht bloss im genannten Jahr den Amur und Ussuri hinauf und wieder zurück nach Nikolajefsk, sondern im Jahre darauf auch den ganzen Amur und einen grossen Theil des Argunj aufwärts gegangen, bis ich durch Eisgang und Frost genöthigt ward, es beim Dorfe Mulatscha im Argunj zu verlassen. Ganz abweichend von den Rudern, ist das giljakische Steuerruder (gilj. menj) mit einer länglichen, schmalen Schaufel und am oberen Ende mit einem kurzen Quergriff versehen (ebenda Fig. 3). In der Regel steuern die Giljaken aus freier Hand. Um jedoch dem Steuer bei hohem Wellengange oder starker Strömung mehr Halt zu geben, befindet sich am Hinterrande des Bretts, das dem Steuermann zum Sitz dient, eine kurze Schnursehlinge oder auch eine aufrechtstehende halbkreisförmige Leiste, durch welche das Steuerruder gesteckt werden kann. Einen Mast hat das giljakische Boot nicht. Anstatt desselben bedienen sich die Giljaken, wenn gesegelt werden soll, was nur selten geschieht, zweier schräg ins Kreuz zusammengebundener Stangen (gilj. /yrsh), welehe mit ihren unteren Enden in entsprechende Gijaken. Art und Weise des Segelns und Landens mit dem Amur-Doot. 505 Löcher der Seitenbretter des Bootes gesteckt werden, während von den oberen Enden zwei lange Schnüre auslaufen, die man um das hinterste Querholz im Boote schlingt. Das Segel (gilj. fulatsch) besteht aus einem aus Fischhäuten zusammengestickten, viereckigen Stück, das mit seinen beiden oberen Ecken an die oberen Enden des erwähnten Kreuzmastes befestigt wird, an den unteren aber mit je einer Schote zum Anholen und beliebigen Spannen oder Lockern des Segels versehen ist. Bei so mangelhafter Vorrichtung ist es verständlich, dass die Giljaken keine Meister und Helden im Segeln sind und es sorgsam vermeiden, bei einigermaassen frischem oder ungleichmässigem Winde das Segel zu gebrauchen. Auch sah ich die Giljaken und ebenso die Oltscha und Golde, die mich als Führer oder Ruderer auf meinem Boot begleiteten, stets in Todesangst gerathen, wenn bei frischem Winde gesegelt wurde: trotzdem mein Boot einen Mast‘) und ein ordentliches Segel hatte, sassen sie meist leichenblass da und flehten nur um Einziehen des Segels und baldmöglichstes Landen. Dass das kiellose Boot, zumal wenn es stark belastet ist, bei hohem Wellengange und ungeschicktem Steuern leicht Wasser schöpfen und sogar umschlagen kann, unterliegt allerdings keinem Zweifel. Um dem seitlichen Wasserschöpfen des Bootes vorzubeugen, wird übrigens der Bord desselben bisweilen jederseits durch ein an die Seitenwand befestigtes Brett erhöht. Namentlich versehen die Giljaken ihre Böte mit einem solehen Falsehbort (gilj. ardsch), wenn sie See- fahrten, wie z. B. längs der Küste Sachalin’s zu den Japanern u. drgl., unternehmen. Von vorzüglichem Nutzen am giljakischem Boot ist der unter dem Schnabel desselben sich erstreckende Fortsatz des Bodenbrettes, denn nicht nur schützt er jenen vor dem unmittelbaren Anprall der Wellen und eventuell auch vor starkem Anstoss an steile Uferfelsen, an andere Fahr- zeuge u. drgl., sondern er lässt das Boot auch leichter die Wellen hinan gleiten. In Folge des Aufsitzens der Ruder auf festen Zinken bedarf das giljakische Boot nur geringer Kraftanstrengung zur Fortbewegung, wenn es nicht eine starke Strömung und einen hohen Wellengang wider sich hat. Gegen diese anzukämpfen, ist es aber wenig geeignet und verlangt eine geschickte und kräftige Handhabung des Steuerruders. Es ist mir beim Umfahren vorspringender Felsen und Caps im Amur-Strome mehr als einmal passirt, dass das Boot, von der starken Gegenströmung erfasst, plötzlich umgewendet und unaufhaltsam zurückgetrieben wurde. Ohne Zweifel trägt zur schwer- fälligen Bewegung des giljakischen Bootes gegen die Strömung nicht wenig auch der oben- erwähnte, in anderen Beziehungen so sehr nützliche vordere Fortsatz seines Bodenbrettes bei- Durch denselben wird endlich auch die bei den Giljaken, Oltscha, Golde und überhaupt bei allen dasselbe Boot besitzenden Amur-Völkern übliche Art des Landens bedingt: dieses geschieht nämlich stets mit dem Hinterende des Bootes, was bei hohen, ans Ufer schlagenden Wellen nicht ganz leicht ist, indem das Boot alsdann erst mit dem Bug gegen die Wellen gestellt wer- den muss, um von diesen ans Ufer getragen und gehoben zu werden. Der Giljake, resp- 1) Für diesen liess ich natürlich, nach meinen oben er- | Mastwangen am Bodenbrett selbst anbringen. wähnten Erfahrungen am giljakischen Boote, hinlangliche | 64* 506 Die Völker des Amur-Landes. Oltscha ete., landet also in der Weise, dass er sich gewissermaassen buchstäblich mit seinem Boot aufs Land setzt. Zum Schluss dieser Betrachtungen theile ich die Maasse eines gewöhnlichen, mittelgrossen giljakischen Bootes mit, wie ich sie einem Exemplar im Dorfe Kalgho entnahm, nach welchem auch die obenerwähnte Abbildung gefertigt wurde: Länge von der Spitze bis zum hinteren Rande des Steuermannssitzes . . . . . 25 — Breite am Steuermannssitz. 222.2... ER KERN ER San ». von »BordzusBordanudersMittee Ba, 2. » » » » » am Bug, unmittelbar vor den Sehnabelbrettern .. 2’ 2” breiterdeszbodenbrettese rs ak RR NEE," —: » DERSTELETINANNSSILZESIER A EN. 7 — Tiefe des Boots in der Mitte, wo sie am grössten... 2... ..... Ei Die Länge eines mittelgrossen Ruders beträgt etwa 7 Fuss, diejenige des Steuerruders 6", Fuss, die Breite der Schaufel am letzteren 4 Zoll. Böte von anderer Art als die geschilderte habe ich bei den Giljaken weder am Amur- Strom und Liman, noch an der Westküste Sachalin’s gesehen, und ebensowenig erwähnt Mid- dendorff welcher von der Küste des Ochotskischen Meeres. Im Innern Sachalin’s hingegen, am reissenden, stellenweise seichten Tymy-Fluss ist ein ganz anderes Fahrzeug, und zwar ein aus einem einzelnen Baumstamm ausgehöhltes Boot im Gebrauch. Ich sah ein solches Boot (gilj. mlo-ma)') im Winter im Dorfe Yıkyrn, vom Schnee sorgfältig gereinigt, auf einem Gerüst neben der Jurte stehen. Es war etwa 20 Fuss lang, in der Mitte am breitesten, nach beiden Enden hin verschmälert, — das Hinterende zuletzt senkrecht, brettförmig abgestumpft, das vordere mit einer kleinen Spitze versehen. Auf den Bordrand war jederseits eine mit der Seitenwand gleich dicke Leiste geschlagen, an welche von Bord zu Bord in der Entfernung von etwa zwei Fuss von einander Querleisten befestigt waren, welche ohne Zweifel, ebenso wie die im Innern des Bootes zwischen dem Boden und den Seitenwänden an mehreren Stellen befind- lichen Kniehölzer, dazu dienten, den Seitenwänden mehr Halt und Widerstandskraft zu geben. Vielleicht war das Boot auch nieht mehr ganz neu und bedurfte daher einer solchen nachträglichen Festigung. Ruderzinken an den Bordrändern, wie die Amur-Böte, hatte es nicht, und dem ent- sprechend fehlte auch den dabei liegenden Rudern das zum Aufsetzen derselben dienliche Loch; sonst waren sie aber von ganz ähnlicher Form wie am Amur, nur mit einer minder breiten Schau- fel. Sicherlich werden diese Böte mitunter, namentlich über seichte Stellen des Flusses, auch nur mit Hülfe von Stangen fortgestossen, wieesdie Kamtschadalen mit ihren ganz ähnlich geform- ten, sogen. Batt’s (hun, und wie es auch bei den tungusischen Völkern des Amur-Landes mit dergleichen Fahrzeugen geschieht. Gleichwie dort, werden endlich auch hier zum Anfertigen 1) Mu heisst im Giljakischen «Boot» überhaupt. Giljaken, Oltscha, Golde. Gezimmerte und ausgehöhlte Böte. 507 solcher Böte nur Baumarten mit weichem Holz, und zwar Pappeln benutzt). Die Tymy-Giljaken bedienen sich dazu namentlich der Balsampappel (Populus suaveolens Fisch., gilj. musskrj), welehe sie mir daher auch speciell als «mu-tschchar», d. h. Boots-Holz, bezeichneten. Aus Stämmen desselben Baumes höhlen sich, nach Schmidt, auch die Aino von Sachalin Canoes aus, die sie zur Communikation auf den Flüssen und kleinen Fahrten an der Meeresküste ge- brauchen, während sie zu grösseren Fahrten gewöhnlich gezimmerte japanische Böte benutzen ?). Ganz dasselbe Boot wie bei den Giljaken ist auch bei ihren nächsten Nachbarn am Amur- Strome, den Oltscha und Golde in allgemeinem Gebrauch. Dem Ansehen nach bietet es in seiner Form und Construktion keinerlei Differenzen von jenem ersteren. Die Giljaken behaup- teten jedoch, ihre Böte seien zum Schnabelende hin weniger aufwärts gekrümmt und darum zur Fahrt gegen die Strömung geeigneter als diejenigen ihrer Nachbarn, — eine Behauptung, deren Richtigkeit ich dahingestellt lassen muss, obgleich sie mit manchen meiner eigenen Erfahrungen übereinstimmt. Durchgehends verschieden von einander sind sie aber nach der Holzart, aus welcher sie angefertigt werden. Denn während die Giljaken ihre Böte aus dem Holz der Tanne (Picea ajanensis, gilj. twissjk, oltsch. und gold. chassjchta) machen, gebrauchen die OÖltscha und Golde dazu stets die Geder (Pinus Cembra, var. excelsa, Pinus mandshurica Rupr., bei den Oltscha und Golde koldong). Als wir daher auf unserer Sommerreise 1855 beim Oltscha-Dorfe Adı landeten, erkannten die herangekommenen Bewohner des Orts, die sich u. A. hauptsächlich auch mit dem Bau von Böten beschäftigen und die unsrigen daher auf- merksam musterten, am Holz derselben sogleich, dass das eine von ihnen (das meinige) von giljakischem, das andere (des Hrn. Maximowicz) von oltschaischem Ursprunge sei, wie es auch in der That der Fall war. Während man aber bei den Giljaken am Amur nur Böte von dieser einen Art sieht, haben die Oltscha und Golde auch welche von ganz anderer Form und Construktion. Das wird schon durch den Umstand bedingt, dass sie ausser dem Amur auch viele seiner reissenden und stellenweise seichten Nebenflüsse befahren, an denen sie theils der Jagd nachgehen und theils auch ständige Wohnsitze haben. Für solche Gewässer eignet sich aber, wie wir sahen, jenes Amur-Boot nicht. So besitzen sie verschiedenartige aus Baum- stämmen ausgehöhlte Böte. Diese werden stets aus Stämmen einer in den Nebenthälern des unteren Amur-Stromes, sowie an der Meeresküste wachsenden Weidenart, der Salix praecor Hoppe (oltsch. und gold. hammagda)?), gemacht. Das eigenartigste und interessan- teste unter ihnen ist dasjenige, welches die Oltscha unj- oder unni-magda, die unteren Golde ebenfalls onni-magda *) und die oberen Golde awarpe nennen (Tab. XXXVIN, Fig. 4). 1) Vrgl. Steller, l.c., p. 56, 75; Krascheninnikof, | ä l’Acad. Imp. des sc. de St. Petersb. par divers sav., T. IX, l. c., Bd. I, p. 257. p- 242). 2) Fr. Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der 4) Unj oder unni bei den Oltscha und onni bei den Insel Sachalin(Mem de l’Acad. Imp. des sc., VII® Ser, T. XII, | Golde heisst «Fluss» überhaupt, namentlich ein kleinerer N 2, p. 99). oder Nebenfluss des Amur-Stromes. 3) Maximowicz, Prim, florae amurensis (Mem. pres. 508 Die Völker des Amur-Landes. Es scheint dem Amur-Boot nachgebildet zu sein; zum wenigsten hat es ebenfalls den am meisten charakteristischen Zug dieses letzteren, den am Schnabelende vorspringenden Bodenfortsatz. Im Uebrigen aber sind beide Enden des Boots stumpf abgestutzt. Mehrere Querstäbe dienen dazu, den dünnen Bordwänden mehr Halt zu geben. Gegen die Strömung wird es durch Stangen fort- gestossen, flussabwärts auch gerudert. Die Maasse eines solchen Bootes, das ich in Dshare bei den oberen Golde sah, und das in seiner Form vollständig mit demjenigen übereinstimmte, auf welchem ich mit den Oltscha von Pädanj den reissenden Pä-Fluss eine Strecke lang aufwärts gegangen bin, waren folgende: Länge.... 24), Fuss, davon 2, auf den vorderen Bodenvorsprung. Breite. 2 1 » 8 Zoll. Höher... » ko» Ruder und Steuerruder waren nur von geringer Grösse, je 4 8”. Viel einfacher und primitiver sind die kleinen, ebenfalls aus dem Hammagda-Baum aus- gehöhlten, vorn und hinten spitz auslaufenden Kähne, die nach kleinen Differenzen in den Maassverhältnissen von den Oltscha und Golde als ofongo und gulba unterschieden werden. Beide sind im Allgemeinen von derselben, vorn und hinten gleich zugespitzten Form, die Gulba aber im Verhältniss zur Länge weniger breit und dagegen tiefer ausgehöhlt und mit diekeren Wänden als das Ofongo, daher besser als dieses geeignet, auch bei hohem Wellengange oder in stein- und klippenreichem Wasser gebraucht zu werden. Diese Kähne werden vermit- telst eines abwechselnd nach der einen und nach der anderen Seite geschwungenen, lang- und schmalschaufeligen Doppelruders (gold. ssoje), stellenweise, über flaches und stilles Wasser, ‚auch nur durch ein Paar kleine, mit kurzen Stielen versehene Ruderschaufen (gold. mylpku) fortbewegt, und über ganz seichte Stellen schiebt man sich mit Hülfe zweier kurzen Stöcke (gold. gao) vorwärts, die jederseits gegen den Grund gestemmt werden. Hauptsächlich sind die aus Stämmen des Hammagda-Baumes ausgehöhlten Böte verschie- dener Art bei den Orotschen der Meeresküste und der vom Küstengebirge zum Meer oder zum unteren Amur oder Ussuri strömenden Flüsse im Gebrauch und gelangen diese letzteren Flüsse abwärts auch zu den Golde und Oltscha am Hauptstrome. So war auch die oben beschriebene und abgebildete Awarpe von den Orotschen am oberen Munamu-Flusse gemacht und diesen abwärts in den Amur gebracht worden. Umgekehrt findet bisweilen, wenn auch des langen Weges halber nur selten, ein am Amur von Golde, Oltscha oder Giljaken aus Brettern ge- zimmertes Boot seinen Weg zu den Orotschen an der Meeresküste. Doch fertigen sich diese zu ihren Fahrten längs der Meeresküste auch selbst genau eben solche Böte, wie sie bei den Golde, Oltscha und Giljaken im Gebrauch sind. Zum Fischfang in den Flüssen dienen ihnen aber jene ausgehöhlten Böte. Während meines Besuches des Kaiserhafens sah ich vor dem Orotschen-Zelt an der Mündung des Hadshi-Flusses zwei Unj-magda’s von etwas verschie- dener Grösse liegen (Taf. XVD). Von den beiderseits zugespitzten Holzkähnen ist bei ihnen na- mentlich die solidere Gulba, von ihnen momä genannt, im Gebrauch. Giljaken, Oroken, Oltscha, Golde. Hohläxte. 509 Das Aushöhlen von Baumstämmen zu Böten geschieht bei allen Völkern des unteren to} Amur-Landes, Giljaken, Oroken, Oltscha ete. Hohlaxt, die im beistehenden Holzschnitt (Fig. Hr. Poljakof von den Oroken Sachalin’s für unser Museum erstand, abgebildet ist, und die in folgen- der Weise hergestellt wird. An das obere Ende einer mehr oder weniger spitzwinkligen Astgabel wird an Stelle der einen Zinke und vermittelst ihres allein stehen gebliebenen oberen Theiles ein scharf geschliffenes eisernes Blatt befestigt, während die andere Zinke den zum Handhaben der Axt dienlichen Stiel abgiebt. Diese Hohlaxt ist im We- sentlichen von derselben Form und Construktion wie diejenigen, welche die Bewohner verschiedener Südsee-Inseln zu ähnlichen Zwecken ehemals ge- brauchten und zum Theil noch gebrauchen. Ver- gleichs halber sind hier zwei der interessantesten Stücke der Art aus unserem Museum neben jenem orokischen abgebildet: Fig. b — eine Hohlaxt der Otaheiti-Insulaner, die noch aus Cook’s dritter Reise stammt), und Fig. c — eine durch Mi- klucho-Maklaı von den Admiralitäts-Inseln ge- brachte Papua-Hohlaxt. Beide gehören aber noch der Steinzeit an, denn jene hat ein steinernes und diese ein aus der Schale einer Meeresschnecke (ver- ‚ vermittelst einer eigens dazu dienlichen a) nach einem der Exemplare, welche Hohläxte: « — der Oroken von Sachalin, b — der Otaheiti-Insulaner, e — der Papua auf den Admirali- täts-Inseln. muthlich der Terebra maculata) gefertigtes Blatt. Und von ähnlicher Beschaffenheit darf man sich natürlicherweise auch die Hohläxte denken, welche in der weiter zurückliegenden Steinzeit anderer Länder üblich waren. Weit mehr und allgemeiner als die Holzkähne werden von den Oltscha und Golde die auch bei anderen tungusischen Stämmen sowohl an den Amur-Zuflüssen, als auch im Stanowoi- 1) Beiläufig mag hier erwähnt sein, wie dieses Stück, nebst manchen anderen auf derselben Reise gesammelten Gegenständen, in den Besitz unseres Museums gelangte. | Bekanntlich ging Capit. Clerke, der nach Gook’s Tode an die Spitze der Expedition trat, von den Sand wich-Inseln nach dem Peterpaulshafen in Kamtschatka und fand dort eine sehr gastliche und freundliche Aufnahme. Zum Dank dafür schenkte er dem damaligen Befehlshaber Kamtschal- ka’s, Major Behm, einen Theil der «Merkwürdigkeiten», | welche die Expedition auf verschiedenen Inseln der Sud- see gesammelt hatte (vrgl. Tagebuch einer Entdeckungs- Reise nach der Südsee in den J. 1776-1780 unter Anführ. der Cap. Cook, Clerke, Gore und King, übersetzt v. I.R. Forster, wurden von Behm, mit Etiquetten von seiner Hand ver erlin 1781, p. 321). Diese Gegenstände sehen, der Russischen Regierung in St. Petersburg zuge- stellt, welche sie der Akademie der Wissenschaften uber mittelte, 510 Die Völker des Amur-Landes. Gebirge!) und andererorten üblichen Birkenrindenkähne gebraucht, die nur aus einem dünnen, mit Birkenrinde überzogenen Holzgerüste bestehen. Im Allgemeinen allenthalben von gleicher Beschaffenheit und von derselben, beiderseits zugespitzten Form, bieten diese von den Oltscha und Golde dsai genannten Kähne in den Form- und Maassverhältnissen, wie in einzelnen Zügen doch manche Verschiedenheiten dar. So giebt es, ungefähr der Gulba und dem Otongo entsprechend, eine im Verhältniss zur Länge schmälere und tiefere Form, meist mit ebenfalls dureh Birkenrinde von oben verdecktem Vorder- und Hintertheil und mit nur wenig gekrümm- ten Spitzen, und eine breitere, flachere, dabei ganz oder fast ganz offene Form, mit stark auf- wärts gekrümmten Spitzen. Von jener giebt die auf Taf. XXXVII, Fig. 5, nach einem Exem- plar aus dem Oltscha-Dorf Mongole gefertigte Zeichnung, von dieser der beifolgende, einen Amur- Golde von oberhalb der Ussuri-Mündung in seinem Dsai darstellende Holzschnitt einen Begriff. Breitere u. flachere, dabei ganz offene Form desBirkenrindenkahns (dsai)der Golde (Originalskizze von Hrn.Poliwanof). Jene ist durch ihre gesammte Form, wie durch das gegen das Einschlagen des Wassers schützende Verdeck an den Enden geeigneter zum Gebrauch auch bei hohem Wellengange, diese bietet da- 2) Vrgl. Middendorff, Sib. Reise, Bd. IV, p. 1357 (nebst Abbild.) u. A. Oltscha, Golde. Rindenkähne. — Piraren, Manägirn. Ausgehöhlte Böte Bu gegen mehr Raum zum Unterbringen der Fischerei- oder Jagdgeräthe und der betreflenden Aus- beute. Stets ist längs der Aussenseite des Dsai auch eine langstielige Harpune eingehängt. Die Handhabung dieser Rindenkähne ist genau dieselbe wie diejenige der oben erwähnten Holzkähne, des Otongo oder der Gulba. Die Maasse des oben abgebildeten Dsai aus Mongole waren folgende: Länge von einer Spitze bis zur anderen. ......... . 181, Fuss. Breite in der Mitte, wo sie am grössten „2.2.2.2... 2 Di, Höohevodersliefesiebendasr ss set ar zoll: Auf diesen schwanken und leichten Rindenkähnen entwickeln nun die Amur-Tungusen, Oltscha, Golde u. a., gleich ihren sibirischen Stammgenossen, eine Geschicklichkeit und Ge- wandtheit, die, zumal bei hohem Wellengange des Riesenstromes, nicht selten an die Kühnheit und Fertigkeit der Aleuten in ihren Baidaren erinnert und sehr im Gontrast zur Schwerfällig- keit und bedächtigen Vorsicht der Giljaken steht. Was die Schneeschuhe im Winter, das sind den Tungusen diese Birkenrindenkähne, sobald die Gewässer ihre Eisdecke abgeworfen haben. Ihr geringes Gewicht gestattet zudem, sie nöthigenfalls mit Leichtigkeit auch eine Strecke weit über Land zu tragen, um nach einem anderen Gewässer zu gelangen, was sie zu Jagdstreifzügen, zeitweisen Umzügen u. drgl. noch zweckdienlicher macht. So giebt der Birkenrindenkahn das eigenste, typische und charakteristische Fahrzeug des leicht beweglichen, auch als Fischer noch stets jagd- und wanderlustigen Tungusen ab. Die oben geschilderten, aus einem Baumstamm ausgehöhlten und beiderseits zugespitzten Böte, sowie die Birkenrindenkähne finden sich auch bei allen eingeborenen Stämmen des oberen Amur-Landes. Da diese hauptsächlich von der Jagd lebende Nomaden sind, die nur zeitweise aus ihren Jagdgründen und von den Amur-Zullüssen an den Hauptstrom herabsteigen, um hier dem Fischfang nachzugehen, so genügen jene einfachen, leicht herstellbaren und zum Theil auch leicht transportablen Fahrzeuge, die auch auf rasch fliessenden und seichten Gewässern noch brauchbar sind, ihren Bedürfnissen vollständig. Und zwar findet man bei ihnen beiderlei Fahrzeuge, sowohl die aus einem Baumstamm ausgehöhlten, wie die aus Birkenrinde gemachten Böte, nicht bloss von der geringen Grösse des Otongo oder Dsai, sondern auch von ganz ansehnlichen Dimensionen. In solchen Böten führen sie namentlich ihre Umzüge von den Winter- nach den Sommeraufenthaltsorten und umgekehrt aus, auf denen es ausser Weib und Kind auch mancher- lei Vorräthe und Utensilien mitzunehmen giebt. So sah ich bei den Biraren von Ossika am Amur ein aus einem Stamm ausgehöhltes Boot, bei ihnen mango genannt (s. Taf. XXXVI, Fig. 6), das 28 Fuss lang, 3° breit und einen Fuss hoch oder tief war, und ein anderes Mal traf ich ein noch viel grösseres, in welchem Biraren vom Aar-Fluss von ihren sommerlichen Fischereigründen am Amur nach ihren Wintersitzen zurückkehrten. Dieses war stark beladen und trug sogar einen Mast und ein Segel, das aus einem Leinwandstück bestand und an seinen unteren Enden statt der Schoten mit der Hand festgehalten wurde. Nach Angabe der Biraren werden diese Böte aus Stämmen des im oberen Laufe des Aar und anderer Zullüsse des Amur-Stro- mes und weiter aufwärts auch an diesem selbst häufig wachsenden Dshagda-Baumes, d. i. der Kiefer (Pinus sylvestris L.), ausgehöhlt. Ebenso haben die Biraren und die Manägirn Birken- Schrenck's Amur-Reise, Band III. 65 512 Die Völker des Amur- Landes. rindenböte, die ganz von der Form und Beschaflenheit des Dsai, aber von doppelt so grosser 8 H Länge sind, während die Breite ziemlich dieselbe bleibt. So sah ich bei den letzteren ein derartiges Boot, das 35, Fuss lang und dabei nur 2 Fuss und 2 Zoll breit war. Ein solches Boot wird 2 8 h gleich den mehrsitzigen aleutischen Baidaren und übrigens auch gleich den grossen Mango's, wenn diese nicht etwa durch Stangen fortgestossen werden, von zwei oder drei, mit Doppel- rudern versehenen und gleichmässig nach der einen und nach der anderen Seite rudernden Menschen fortbewegt und schiesst dann mit grosser Geschwindigkeit vorwärts. Sehr bemerkenswerth ist es, dass das oben beschriebene, aus Brettern gemachte Boot, das le} ’ im ganzen unteren Amur-Lande, bei den Golde, Oltscha, Giljaken und Orotschen ver- 8 , J breitet ist, dem oberen Amur-Lande gänzlich fehlt. Wenigstens habe ich dort nie welche ge- > o o ko) sehen, und Maack traf, den Amur von der Schilka an abwärts fahrend, das erste Boot der Art auch nicht früher als an der Ussuri-Mündung'). Und dem entsprechend, scheint im oberen Amur-Lande auch diejenige Form ausgehöhlter Böte, welche diesem Boote nachgebildet ist, die 8 B B D Unjmagda oder Awarpe, ebenfalls zu fehlen. Ich muss somit dieses in eigenthümlicher Art aus Brettern gefertigte Boot als allein und ausschliesslich dem unteren Amur-Lande eigen und für dasselbe charakteristisch bezeichnen. Trotzdem darf man es, glaube ich, nicht für eine von jenen ie) J Völkern oder einem derselben ganz und gar ausgegangene Erlindung halten. Während jene aus- ie 5 sezanz B J gehöhlten oder aus Birkenrinde gemachten Böte den Stempel der Ursprüngliehkeit an sieh tra- gen, verräth das Amur- oder, wie ich es nach dem Obigen lieber nennen möchte, das goldisch- giljakische Boot durch seine künstlichere Form und Construktion einen gewissen Gultureinfluss, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich diesen auf die Mandshu-Chinesen am Sungarı zurück- führe. Seit Jahrhunderten befahren chinesische Kaufleute und mitunter auch Mandshu-Beamte vom Sungari aus das untere Amur-Land, jene, um Handel mit seinen Völkern zu treiben, diese, um von ihnen den der chinesischen Regierung schuldigen Tribut zu erheben. Die Böte, in denen sie diese Fahrten machen, sind zwar viel grösser und eomplieirter als die goldisch-giljakischen, allein im Wesentlichen und Allgemeinen von ganz ähnlicher Form und Gonstruktion. So be- steht, gleich den letzteren, auch das mandshu-chinesische Boot der Hauptsache nach aus drei langen Brettern, — einem Bodenbrett, das noch um ein gutes Stück über den Bootsschnabel vorragt, und zwei Seiten- oder Bordbrettern, die hinten stumpf, durch ein senkrechtes Spiegel- breit, vorn vermittelst zweier Brettehen von ungleicher Länge zu einem spitzen Bootsschnabel abgeschlossen werden. Die Art und Weise ferner, wie die Bretter mit einander verbunden und aneinander befestigt, wie die Fugen mit Moos ausgestopft und von innen und aussen mit Leisten verdeckt werden u, drgl. m., ist hier wie da ganz und gar dieselbe. Die weit grösseren Dimen- sionen der mandshu-chinesischen Böte (von 7 bis 9'/, Faden Länge des Bodenbretts) gestatten jedoch oder bedingen auch manche Zusätze und Modifikationen den goldiseh-giljakischen gegen- über. So wird der Bord an denselben stets noch durch ein zweites Brett jederseits erhöht, das 2) Maax»#, Ilyrem, na Amyp®», cerp. 178. Beschaffenheit des mandshu-chinesischen Bootes. Ursprung des goldisch-giljakischen. 513 von aussen an das erste befestigt wird, was bei den Golde und Giljaken nur ausnahmsweise, in den Fällen geschieht, wenn ein Boot zu Seefahrten dienen soll. Diese oberen Bordbretter ragen nach hinten etwa um einen Faden über das ihnen zur Stütze dienende Spiegelbrett hin- aus und werden an ihrem hinteren Ende durch eine Planke mit einander verbunden, von oben aber mit Brettern der Quere nach bedeckt, so dass am Hinterende des Bootes eine breite Brücke oder Platform entsteht. Auf dieser sind am Hinterrande zwei senkrechte Stäbe angebracht, zwi- schen welche das Steuerruder gesteckt wird, um von dem auf der Platform stehenden Steuer- mann regiert zu werden. Die sowohl durch die ansehnliche Breite der unteren, als auch durch die hinzugekommenen oberen Bordbretter bedingte grössere Tiefe des Bootes gestattet ferner im Hintertheile desselben eine aus lose aneinander gereihten Querbrettern zusammengesetzte Diele zu legen, über welcher ein aus mehreren halbkreisförmig gebogenen und einigen horizontal ver- laufenden Stäben gebildetes Geflecht errichtet wird, das, mit Schilf- oder Strohmatten bedeckt, eine Art Zelt oder Kajüte abgiebt, in welcher man gegen Regen und Unwetter geschützt sitzen oder auch gebückt stehen kann. Ein ähnliches, jedoch viel kleineres und niedrigeres Verdeck, unter das nöthigenfalls einige Mann unterkriechen können, befindet sich im vordersten Theile des Bootes. Dort wird zu dem Zweck eine lange und starke Ruthe in den Fortsatz des Boden- bretts gesteckt, nach hinten über den Bootsschnabel gebogen und ebenfalls mit einem Geflecht aus halbkreisförmigen und horizontalen Ruthen versehen, über welches Schilf- oder Birkenrinden- matten ausgebreitet werden. Ungleich dem goldisch-giljakischen Boot, hat ferner das mandshu- chinesische feste, auf dem Rande der unteren Bordbretter ruhende Ruderbänke und eine eben- solehe Mastbank, durch welche der Mast mit seinem viereckigen Fussende in die darunter auf dem Bodenbrett angebrachten Mastwangen gesteckt wird, um zum Ueberfluss noch vermittelst einer Schnur an das nach hinten zunächstliegende, die unteren Bordbretter mit einander verbin- dende Querholz befestigt zu werden. Endlich ist auch der Ansatz der Ruder am mandshu-chi- nesischen Boot ein anderer, indem sie nicht auf Zinken gesteckt und demgemäss auch nicht durehbohrt sind, sondern in entsprechende tiefe Einkerbungen eines an den oberen Bordrand befestigten Brettes gesteckt werden. Sie haben verhältnissmässig nur schmale Schaufeln und am oberen Ende einen Quergrifl, der von dem stets nur einerseits Rudernden mit beiden Händen umfasst wird. Einen ebensolchen Quergrifl hat auch das lange, mit einer nach unten bauchigen Schaufel versehene Steuerruder. Dieses letztere ist schwer und scheint beim Fahren für gewöhn- lich fast unbeweglich zu ruhen, doch genügt eine geringe Drehung desselben nach rechts oder links, um dem Boote die entsprechende Richtung zu geben. Diese Schilderung genügt, um darzuthun, dass das Boot der Anwohner des unteren Amur- Stromes und dasjenige der Mandshu und Chinesen am Sungari in ihren Grundzügen und ihrem Bau vollkommen mit einander übereinstimmen, und dass das erstere gleichsam nur den aus dem letzteren entnommenen, ich möchte sagen, herausgeschälten und verkleinerten Kern bildet. Es ist nun nieht wohl anzunehmen, dass die am alten Brauch festhaltenden Chinesen ihr Boot nach einem von den tief unter ihnen stehenden Amur-Völkern entlehnten Muster geformt und nur mit den ihren Bedürfnissen entsprechenden Zuthaten und Verbesserungen versehen hätten. Und so 65* 514 Die Völker des Amur-Landes. bleibt nur der in der That viel wahrscheinlichere Schluss übrig, dass umgekehrt die Eingebore- nen des unteren Amur-Ländes, zuerst die den Mandshu-Chinesen zunächst wohnenden Golde und dann durch deren Vermittelung auch die weiter stromabwärts sesshaften Oltscha und Gilja- ken, nachdem sie am Sungarı wie am Amur das mandshu-chinesische Boot kennen gelernt, ihre Fahrzeuge nach demselben Prineip und in derselben Form zu bauen begannen, und zwar indem sie jenem Boot nur das ihren Bedürfnissen genügende Kern- und Grundstück entnahmen und diesem die ihren Mitteln und Kräften entsprechenden, geringeren Dimensionen gaben. Ja, dieser Vorgang ist um so wahrscheinlicher, als die Sungari-Chinesen, auf die Ausnutzung der Arbeitskraft der Eingeborenen zum eigenen Vortheil bedacht, wohl schon frühzeitig auf den Gedanken kamen, ihre Böte nicht selbst zu bauen, sondern nach gegebenem Muster und gegen eine geringe Bezahlung von den letzteren verfertigen zu lassen, wie es noch heutzutage geschieht. Namentlich geben die unteren Golde und die ihnen zunächst wohnenden Oltscha (wie z. B. diejenigen von Adi), in deren Lande auch das erforderliche Bauholz, hochstämmige CGedern, reichlich zu finden ist, die meisten und geschicktesten Baumeister sowohl für die mandshu- chinesischen, ‘wie für die von ihren Landsleuten und von anderen Völkern des unteren Amur-Landes gebrauchten Fahrzeuge ab. So sah Maximowiez ein von den unteren Golde auf Bestellung verfertigtes mandshu-chinesisches Boot, von 8 Faden Gesammtlänge und 1, Faden Oeflnung an seiner breitesten Stelle, für welches der chinesische Kaufmann einen Krug Branntwein von 2 Fuss Höhe und einem Fuss Breite, 3 Faden Baumwollenzeug und 4 Säcke mit Hirsegrütze bezahlt hatte. Nur in einem Punkte findet, wie man aus dem Obigen ersieht, zwischen dem goldisch-giljakischen und dem mandshu-chinesischen Boote ein erheblicher, wenngleich zum Theil durch die verschiedene Grösse derselben bedingter Unterschied statt. Er betrifli den Ansatzmodus der Ruder, denn jenes hat durchbohrte, auf Zinken steckende, dieses hingegen gewöhnliche, in entsprechenden Bordausschnitten ruhende Ruder. Ich wüsste nicht, dass jener erstere Modus auch bei den Chinesen, oder bei einem der angrenzenden sibirischen Völker vorkomme; hingegen wiederholt er sich allgemein bei den Aino von Sachalin und Jesso !) und dürfte daher vielleicht eine aino-giljakische oder überhaupt paläasiatische Erfindung oder Eigenthümlichkeit sein, welche durch die Giljaken auch ihren tungusischen Nachbarn am Amur, den Oltscha und Golde mitgetheilt und ihrer Zweekmässigkeit wegen auch auf das den Mandshu-Chinesen nachgebildete Boot übertragen wurde. Der Antheil eigener Erfindung der unteren Amur-Völker an ihrem Boot ist mithin lange nicht so gross, wie es auf den ersten Blick scheinen dürfte, — vielmehr sehen wir, dass, gleich wie im Bau der Winterhäuser und in so vielen anderen Dingen, auch in Beziehung auf die Beschaffenheit der Flussfahrzeuge chine- sischer Einfluss sich vom Sungari aus über das ganze untere Amur-Land ergossen hat. Wie konnte es jedoch kommen, dass das so praktische und zweckmässige, nach mandshu- chinesischem Muster entstandene und im ganzen unteren Amur-Lande verbreitete Boot dem 1) Siebold, Nippon, VII, Taf. XXI. Grund des Fehlens des gold.-giljak. Bootes im oberen Amur-Lande. Rückblick. 515 unter derselben Herrschaft stehenden und von stammverwandten Völkern bewohnten oberen Amur-Lande ganz und gar fremd blieb? Die Erklärung dafür muss ohne Zweifel in der oben mehrfach erwähnten Politik gesucht werden, welche die chinesische Regierung nach dem Abzuge der Russen im XVH. Jahrhundert vom Amur in diesem Lande beobachtete, und die darin be- stand, seinen oberen Theil möglichst veröden zu lassen und durch weite, unbewohnte Strecken von dem ihr besonders wichtigen Sungari-Lande zu isoliren !). Zu dem Zweck wurde ihrerseits den Eingeborenen des unteren Amur-Landes und, wie es scheint, auch den chinesischen Kauf- leuten am Sungari verboten, über die Mündung dieses letzteren hinaus den Amur stromauf zu gehen und behufs Aufrechterhaltung dieses Verbots ein beständiger Wachtposten an der Sun- gari-Mündung gegründet °). So wurde ein Verkehr zwischen den oberen und den unteren Amur- Völkern auf der sie verbindenden Wasserstrasse und damit auch ein Ausgleich in den demsel- ben dienenden Mitteln durch die politischen Maassnahmen der chinesischen Regierung verhin- dert. Zu einer etwaigen selbständigen Nachbildung des mandshu-chinesischen Bootes seitens der äingeborenen fehlten aber im oberen Amur-Lande alle Bedingungen. Zwar giebt es auch dort mandshu-chinesische Böte, die von Mandshu-Beamten und daurischen Kaufleuten benutzt wer- den, ja, vor der Stadt Aigun liegt sogar beständig eine Anzahl grosser Böte der Art, — ich selbst zählte deren, in drei Gruppen vertheilt, 37 — allein diese alten, schwarz und roth angestrichenen und am Spiegel mit grobgeschnitzten und ebenfalls bunt bemalten Drachen verzierten Böte, welche die Kriegsmacht China’s repräsentiren und den Amur-Völkern Respekt vor derselben einllössen sollen, sind den letzteren natürlich vollständig unnahbar. Zudem finden diese mehr auf die Nebenflüsse angewiesenen Jagdnomaden, wie schon erwähnt, an ihren primitiven Kähnen vollkommen Genüge, und endlich fehlt es dort auch an einer ähn- liehen vermittelnden Thätigkeit gewinnsüchtiger chinesischer Kaufleute, wie sie sich am Sungari und unteren Amur geltend macht. Wirft man einen Gesammtrückbliek auf die den Amur-Völkern zur Bewegung und Orts- veränderung auf dem Lande wie auf dem Wasser dienlichen Mittel, so erschemt der Schluss gerechtfertigt, dass dieselben im oberen und im unteren Amur-Lande sehr wesentliche und charakteristische Verschiedenheiten zeigen und in dem letzteren im Ganzen zu grösserer Ent- faltung als im ersteren gelangt sind, — eine Thatsache, die schon darauf hinweist, dass hier auch die Ziele und Zwecke, denen sie dienen, weitergehende sein müssen, und dass namentlich der Handelsverkehr, den die Amur-Völker sowohl unter einander, als auch mit den an- grenzenden Gulturvölkern unterhalten, hier bei Weitem reger und ausgebreiteter ist als dort, wofür sich uns in der Folge, bei näherer Betrachtung dieser Verhältnisse, in der That zahlreiche Belege und Bestätigungen darbieten werden. 1) S. oben, p. 157, 173. 2) S. oben, p. 35, 61. =. Abschnitt. Fischfang, insbesondere Stör-, Hausen- und Lachsfang. Fischereigeräth. Seethierfang: Robbenschlag, Weisswalfang. In den vorhergehenden Kapiteln ist bereits mehrfach hervorgehoben worden, dass der Fischfang bei allen Völkern des Amur-Landes eine mehr oder minder wichtige Rolle spielt, und dass namentlich seine Bedeutung, je weiter stromabwärts, um so mehr zunimmt, bis er zuletzt im Mündungslaufe des Amur-Stromes, bei den Giljaken zur conditio sine qua non für ihre gesammte Existenz wird. Das Ineinandergreifen der einzelnen Lebensbedingungen und Er- scheinungen nöthigte uns, in den obigen Schilderungen der Wohnang, Kleidung und Ortsver- änderung der Amur-Völker auch schon manches direkt auf den Fischfang sich Beziehende oder aus demselben Resultirende zu besprechen. So musste schon des Einflusses gedacht werden, den der Fischfang auf die grössere oder geringere Sesshaftigkeit der einzelnen Völker im Amur- Lande ausübt, indem er ihnen zwar im Allgemeinen im Gegensatz zur Jagd ein sesshafteres Leben verleiht, dabei jedoch meist einen zweimal im Jahre stattfindenden Orts- und Wohnungs- wechsel und im Sommer häufig sich wiederholende Umzüge längs den Gewässern bedingt. Es musste ferner der mehr oder minder überwiegende Antheil, den der Fischfang an der Beschaf- fung ihrer Nahrung, Kleidung und anderer Lebenserfordernisse hat, erörtert werden. Hiebei sind auch schon die den Amur-Völkern wichtigsten Fischarten namhaft gemacht und sowohl die Art und Weise ihres Genusses, als auch die Zubereitung von Vorräthen aus denselben zum Gebrauch für Menschen und Hunde ausführlich besprochen worden. Und so bleibt uns denn nach alledem nur noch übrig, die Art und Weise, wie und mit welchen Mitteln der Fang zum wenigsten der wichtigsten Fische von den Amur-Völkern betrieben wird, so wie die Zeiten, wann es geschieht, und manches drum und dran Hängende kennen zu lernen. Giljaken. Opferfahrt beim Aufgang des Amur-Stromes. 517 Wie stets, beginnen wir wiederum mit den Giljaken, und zwar mit den unter ihren Lands- leuten in jeder Beziehung obenan stehenden Amur-Giljaken. Zwar wird der Fischfang im Amur auch im Winter betrieben, allein er ist alsdann verhältnissmässig nur wenig ergiebig und hört zum Frühling hin, sobald das Eis sich so stark gelockert hat, dass es nicht mehr ohne Gefahr betreten werden kann, oder sich gar mit Aufwasser bedeckt, vollständig auf, — es tritt die kärglichste und schwerste Zeit für die Anwohner des Stromes ein, da Menschen und Hunde nur noch von den spärlichen Resten der Wintervorräthe zehren. Zudem hört alsdann auch aller Verkehr zwischen den am Amur gelegenen Ortschaften auf. Mit Ungeduld harrt daher der Gi- h] ljake des Aufgangs des Stromes, da dieser sich von Neuem belebt und Fischfang und Verkehr auf demselben wieder möglich werden. Der Aufgang des Amur-Stromes ist somit stets ein freu- diges und wichtiges Ereigniss im Leben der Giljaken und wird von ihnen auch dem ent- sprechend begrüsst. Von jedem etwas grösseren Dorfe begiebt sich, sobald der Strom ganz eis- frei geworden, ein mit möglichst viel Ruderern bemanntes Boot in denselben hinaus, um ihm in rascher Fahrt und unter lautem Freudengeschrei die üblichen Opferspenden darzubringen, d. h. zerstückelte Jukola, Beeren, Hirse, Tabak u. drgl. ins Wasser zu werfen. Ich hatte das Glück, am 1%#./26. Mai 1856, gleich nach Antritt meiner Rückreise von Nikolajefsk stromaufwärts, zwischen den Dörfern Wair und Magho einem solchen, auf der Opferfahrt begriflenen Boote zu begegnen (s. Taf. XXXIX). Es war ein langes, mit einem Steuermann und 13 Ruderern besetz- tes Boot. Die Letzteren, mit je zwei Rudern versehen, sassen in einer Reihe bis in den Schnabel des Bootes hinein. Ueber ihnen erhoben sich drei leichte, aus je zwei aufrechten, oben durch ein Querholz mit einander verbundenen Stäben bestehende Gerüste. Die Leute ruderten voll- kommen ım Takt und aus voller Kraft, und der Steuermann kam seinerseits jedem Ruderschlage durch einen gewaltigen Stoss mit dem Steuerruder zu Hülfe. So glitt das Boot unter wildem Geschrei seiner Insassen pfeilschnell an uns vorüber. Es wäre daher nicht unmöglich, dass mir Manches an seiner Ausstattung entgangen ist. So habe ich namentlich nichts von seinen Gerüsten herabhängen sehen, und doch müssen diese den Zweck haben, etwas zu tragen, wenn es bei ihrer sehr dünnen Beschaffenheit auch nur ganz leichte Gegenstände sein könnten. Und so drängt sich mir unwillkürlich die Vermuthung auf, dass sie dazu bestimmt sind, die sogen. Zach's, d. h. lange, dünne, gekräuselte Holz- oder Hobelspähne zu tragen, wie sie bei allen mit aber- gläubischen Vorstellungen verknüpften Vorgängen im Leben der Giljaken, den Bärenfestlich- keiten, Leichenbegängnissen u. drgl. m. üblich sind‘). Bei der Ausfahrt vermuthlieh nur locker über die Gerüste gehängt, können sie auf der raschen und wilden Fahrt nur allzu leicht her- abgefallen und vom Winde in den Strom fortgetragen worden sein. Ja, dies Letztere kann sogar direkt in der Absicht der Opferspendenden gelegen haben, denn die ganze Opferfahrt soll dazu dienen, die Gunst des Stromes oder Stromgeistes durch die genannten Spenden zu gewinnen und sich dadurch Glück und Erfolg beim Fischfang und bei allen Stromfahrten im bevorstehen- 1) S. oben, p. 435. 518 Die Völker des Amur-Landes. den Sommer und Herbst zu sichern. In dieser Ansicht bezüglich der Zach’s bei der Opferfahrt auf dem Amur werde ich auch dadureh bestärkt, dass im Herbst, sobald eine neue Eisdecke auf dem Strome sich gebildet hat, ebenfalls eine Feier mit Opferspenden und Zach's stattfindet. Die Giljaken begeben sich alsdann aufs Eis vor ihrem Dorf: hier ist ein Loch in die Eisdecke geschlagen und an demselben eine mit Zach’s geschmückte Stange errichtet. Durch dieses Loch werden nun in den Strom jene obenerwähnten Spenden geworfen, offenbar um seine Gunst für den winterlichen Fischfang und vielleicht auch für den Verkehr auf der Eisdecke zu gewinnen. Gleich nach dem Aufgang des Amur-Stromes steigen in denselben aus dem Meere die besten und grössten Fische hinein, die er überhaupt aufzuweisen hat, — der Amur-Stör (deipenser Schrenckii, gilj. tukki-tscho) und der noch grössere Amur-Hausen (de. orien- talis, gilj. patch-tscho). Beide gehen im Amur und in seinen grossen Zullüssen, im Ussuri, Sungari u. a. hoch hinauf, ja, vom letzteren, der Kalvga der Russen, berichtete schon Pallas, dass er auch in den Quellllüssen des Amur, in der Schilka und im Argunj vorkomme!). Wie sehr die Giljaken den Stör und den Hausen schätzen, ist oben schon erwähnt worden. Aehnlich verhält es sich damit auch bei den anderen Amur-Völkern. Allenthalben wird ihnen daher mit Eifer nachgestellt, und die Fangarten sind im Allgemeinen überall dieselben. Doch geben die einzelnen Völker, je nach ihrem Naturell und den Lokalverhältnissen ihres Strom- antheiles, der einen oder der anderen Fangart den Vorzug. Die Giljaken fangen sie hauptsäch- lich mit Netzen, die grobmaschig und aus sehr festen Schnüren gestrickt sind, um unter dem Widerstande der grossen Thiere nicht zu reissen. Die Form dieser Netze und die Art ihrer Handhabung sind jedoch verschieden, wobei namentlich auch die Jahreszeit ein bestimmendes Moment abgiebt, je nachdem z. B., ob die Fische in grösserer oder geringerer Anzahl vorhanden sind, ob sie sich näher zur Oberfläche, oder in grösseren Tiefen halten, ob der Strom offen, oder beeist ist u. drgl. m. önde Mai und im Juni, wenn die aus dem Meere aufsteigenden Störe und Hausen im Mündungstheile des Stromes am häufigsten sind und sich, zumal bei stillem Wetter, in der Nähe der Oberfläche halten, genügt den Giljaken ein einfaches, länglich-viereckiges Netz, an dessen oberem Rande einige hölzerne Schwimmer und am unteren ab und zu kleine Steine be- festigt sind. In zwei Böter begeben sich die Giljaken mit diesem Netz ins Fahrwasser des 1) Pallas, Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, | bei Gelegenheit der in den Flüssen desselben vorkommen- Bd. III, p. 207. Desselb. Zoogr. Rosso-asiat., T. III, p. 107. | den Fischarten auch vom Hausen (Öb.ıyra) und Stör (ocerp%) Georgi, der die erste, auch von Pallas benutzte Be- | schlechtweg die Rede ist, wie z. B. bei Hedenström schreibung dieses Fisches entwarf, nannte ihn de. dauricus, wie esauch Brandt (Bull. de P’Acad. Imp. des sc. de St. P6- tersb., T. XIV, p. 172) wieder thut. Von den Quellflüssen der Schilka hat ihn besonders zahlreich der Onon, wäh- rend die Ingoda, wie schon Georgi (Bemerk. einer Reise im Russ. Reich im J. 1772, Bd. I, p. 353) und neuerdings Maack (llyrem. na Anyp®, erp. 27) bemerken, ihm zu seicht und steinig ist. Wenn in anderen, älteren und neue- ren, hauptsächlich russischen Nachrichten über Daurien (Orpsiekn 0 Cuönpu, 1830, erp. 146), Parschin (IHobs3ara 5 3adalkaaseriii kpaii, Mockna 1844, erp. 117), Hage- meister (Crarucr. 0603p. Cuönpu, C. Herepo. 1854, T.T, erp. 351), Kaschin (HbckoAarko CA0BB 06% Apryuu.— an. Cu6. Ora. Hnn. Pycer. l’eorp. O6un., zu. VI, Upryrer® 1863, erp. 103), Middendorff (Reise etc., Bd. IV, p- 1367) u. A., so sind darunter ohne Zweifel stets die beiden genannten, aus dem Amur in seine Quellflüsse steigenden Acipenser-Arten zu verstehen. Giljaken. Stör- und Hausenfang mit Netzen. 519 Stromes, werfen es quer über dasselbe und lassen sich, die oberen Enden des Netzes haltend, von der Strömung abwärts und den aufsteigenden Fischen entgegen treiben. Bei ruhiger Wasser- oberfläche erkennen sie mit scharfem und geübtem Blick das Nahen eines grossen Fisches schon von Weitem, an einer leichten Kräuselung des Wassers u. drgl., und lenken ihre Böte mit dem dazwischen befindlichen Netze ihm entgegen. Hat er das Netz erreicht und sich in demselben verwickelt, so giebt der betreffende hölzerne Schwimmer Kunde davon, und nun begeben sich beide Böte zur Stelle, wo sich der Fisch befindet, das Netz wird gehoben und der in demselben verwickelte Fisch vermittelst eines an eine Stange befestigten eisernen Hakens (gilj. schab- tschamrch, Taf. XL, Fig. 2) ins Boot gezogen und durch einen Keulenschlag auf den Kopf ge- tödtet. Ist der Fisch sehr gross und das Boot nur klein, so wird er auch wohl vermittelst eines Hakens und einer tüchtigen Leine ins Schlepptau genommen und ans Land gebracht, um erst dort todtgeschlagen zu werden. Die eigens dazu dienliche Keule ist aus einer verästelten Baum- wurzel gemacht und mit einem steinernen Endstück versehen, — ein Umstand, der ohne Zweifel auf den altherkömmlichen, noch aus der Steinzeit herrührenden Gebrauch dieser Wafle hinweist !). Bei bewegterem Wasser und wenn die Störe oder Hausen sich in grösserer Tiefe hal- ten, wird das Netz, zumal an seinen unteren Enden, um tiefer hinabzusinken, mit grösseren Steinen beschwert und zugleich die Einrichtung getroflen, dass von den beiden unteren Netzenden je eine Schnur durch mehrere am Seitenrande des Netzes befindliche, aus Weidenbast geflochtene Ringe hindurch zu Händen der Fischer läuft. Da ferner der Eintritt eines grossen Fisches ins Netz bei bewegterem Wasser an den hölzernen Schwimmern weniger leicht wahrnehmbar wird, so sind an die hintere Wand desselben mehrere dünne Schnüre (gilj. sogen. umyssj) befestigt, deren Enden sich ebenfalls in den Händen der Fischer befinden, und die durch ihre ruckweise erfolgende Anspannung die Anwesenheit des Fisches im Netz verrathen. Sobald nun diese er- kannt ist, wird das Netz durch Anziehen der beiden oben erwähnten Schnüre gehoben und so dem Fisch der Rücktritt aus demselben abgeschnitten, worauf ihm in der bereits beschriebenen Art ein Ende gemacht wird. Endlich bedienen sich die Giljaken zum Stör- und Hausenfang auch eines Sacknetzes. Dieses ist am unteren Rande seiner Oeflnung ebenfalls mit Steinen, am oberen mit hölzernen Schwimmern versehen. An den Stellen, wo die einen aufhören und die anderen anfangen, befin- den sich je ein aus Weidenbast geflochtener Ring und ein paar Schnüre, welche zum Halten, resp. Befestigen des Netzes dienen. Der Fischfang mit diesem Sacknetz geschieht in derselben Weise wie mit dem vorher erwähnten Netz, indem die Fischer in zwei Böten ausfahren, das Netz auswerfen und, es an den Seiten zwischen sich haltend, stromab, den aufsteigenden Fischen entgegen treiben. Sobald die Bewegung eines Schwimmhölzchens oder die ruckweise Anspan- nung einer der von der Sackwandung ausgehenden Signalschnüre (umyssj) den eingetretenen 1) Ich habe sie selbst bei den Giljaken nicht gese- | zum Einschlagen der Bärenschädel dienlichen Instrument hen, wohl aber durch einen meiner Bekannten in Nikola- | erhalten, welche auf einer späteren Tafel mitgetheilt jefsk eine Abbildung von ihr, so wie von einem ähnlichen, | werden sollen. Schronck's Amur-Reise, Band II. 66 520 Die Völker des Amur-Landes. Fisch verräth, wird das Netz zusammengezogen, und der Fisch ist gefangen. Dieses Sacknetz wird bisweilen auch stetig im Strome aufgestellt, indem zwei Pfähle möglichst fest in den Fluss- boden eingerammelt werden, so weit von einander, als der Durchmesser der Sacköflnung beträgt, und das Netz vermittelst der an seinem Rande jederseits befindlichen Ringe und Schnüre an dieselben befestigt wird. Ein im Boot sitzender Giljake fasst Posto an einem der Pfähle und hält die Signalschnüre in der Hand, um, sobald ein Fisch ins Netz gegangen, ihn entweder selbst definitiv einzufangen und zu bergen, oder aber sich die dazu nöthige Hülfe zu schaflen. Die beiden letzterwähnten Netze werden auch zum Fischfang im Winter gebraucht, nur macht die Eisdecke des Stromes alsdann noch einige andere Vorrichtungen und Manipulationen nothwendig. Zunächst müssen für jedes Netz zwei Löcher in einer der Länge desselben, oder beim Sacknetz dem Durchmesser seiner Oeflnung entsprechenden Entfernung von einander ge- schlagen werden. Zum Ausschöpfen der abgelösten, im Eisloch schwimmenden Eisstückchen be- dienen sich die Giljaken des auf Taf. XL, Fig. 3, abgebildeten Handnetzes (gilj. chuntulk) '). in besonderes Instrument dient dazu, das Netz unter dem Eise aufzustellen: es ist ein langer flacher, zur Spitze hin sanft aufwärts gekrümmter hölzerner Stab, der sog. Odn, der am Ende in eine ungefähr dreieckige, mit zwei nach rückwärts gerichteten Spitzen versehene Scheibe ausläuft, auf welcher in primitiver Weise zwei Augen eingeschnitzt sind, und die den Namen odn-tschongr, d. h. Odn-Kopf, trägt (s. Taf. XL, Fig. 4). Mit diesem Stabe fährt man in eines der Eislöcher hinein und schiebt ihn dicht unter dem Eise so lange vorwärts, bis er mit der Spitze, dem Odn-tschongr, zum anderen Eisloch herauskommt. Hier wird nun die eine der bei- den oberen Ecken des Netzes, oder beim Sacknetz die eine der mit dem Ringe und den Schnü- ren versehenen Partien der Sacköflnung, in die Zinken des Odn-tschongr’s eingehakt, während man die andere Ecke des Netzes, resp. die Sacköffnung an der jener ersteren diametral gegen- über gelegenen Stelle, an eine quer über das Eisloch gelegte Stange befestigt und das übrige, an seinem unteren Rande durch Steine beschwerte Netz ins Wasser senkt. Jetzt wird der Odn zurückgezogen und die mit ihm zum andıren Eisloch herausgekommene Netzecke ebenso wie die erstere an einen Stock befestigt. Damit ist das Netz dicht unter dem Eise wandförmig zwi- schen den beiden Eislöchern aufgestellt. Aus diesen heraus reichen auch die Schnüre, an denen es gehoben werden kann, und nach einem derselben führen endlich auch die Signalschnüre von der Netz- oder Sackwandung, so dass hier auf die Anwesenheit des Fisches im Netz aufgepasst werden muss. Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, dass die durch die Grösse des Netzes und die Entfernung der Eislöcher von einander bedingte Länge des Odn eine sehr ansehnliche ist. Er kann daher auch aus mehreren Stücken zusammengesetzt werden. Die Darstellung eines Gesichts auf dem Odn-tschongr ist aber nach giljakischem Glauben stets erforderlich und von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg des Stör- und Hausenfanges. Hiebei sei auch eines ande- 1) Das im Reifen desselben ausgespannte Netz heisst | gelegentlich auch das im Eisloch etwa entstandene junge im Giljakischen «ssj, der Querstock im unteren Theile des | Eis wieder zerbrochen wird, — kıp. Reifens —lott, der lange und derbe Griflstock, mit welchem Giljaken. Stör- und Hausenfang mit Angelhaken und Harpunen. 921 o ren, speciell auf den Stör- und Hausenfang mit Netzen bezüglichen Aberglaubens der Giljaken ge- dacht. Dieser besteht darin, dass eine an das Netz befestigte Kuckuksfeder den Fang ergiebig macht, — ein Aberglauben, auf dessen Gonsequenzen ich später noch zurückkommen werde. Eine andere, bei den Giljaken jedoch weit weniger übliche Art des Stör- und Hausen- fanges ist die durch ausgesetzte Angelhaken. Es ist dieselbe Art des Fischfanges, die in Sibirien unter dem Namen Ssamolowy (Selbstfänge) bekannt ist und schon von Pallas in den ver- schiedenen Modifikationen, wie sie am unteren Obj, am Irtysch, Jaik und an der Wolga ausgeübt wird, beschrieben worden ist'). Bei den Giljaken geschieht dieser Fang in folgender Weise. Ein aus einer verästelten Baumwurzel oder drei in der Art, wie auf Taf. XL1, Fig. 10, dargestellt, mit einander verbundenen Holzpflöcken und einem zwischen denselben befestigten Steine bestehender Anker (gilj. tschabch) wird an einem viele Faden langen, aus Weidenbast gellochtenen Seile (gilj. ?y%)”) ins tiefe Fahrwasser des Stromes versenkt. Von diesem dieken Seile gehen in bestimmten Intervallen dünnere und kürzere Bastschnüre aus, an deren Ende je ein mit einem spitzen und scharf geschliffenen eisernen Haken versehener Holzknüttel (gilj. kita, ebenda, Fig. 9) befestigt ist. Vom oberen Ende eines jeden dieser Knüttel läuft eine dünne Schnur bis an die Wasseroberfläche, wo sie einen Holz- oder Borkschwimmer trägt. An das Hauptseil werden in gewissen Zwischenräumen auch noch Steine gebunden, so dass es auf dem Grunde liegen bleibt, während die Angelhakenknüttel in einiger Höhe über demselben im Wasser flottiren und dabei dank den Schwimmhölzern eine mehr oder minder senkrechte oder schiefe Stellung annehmen. Ans äusserste Ende des Hauptseiles endlich, das beim Aufstellen des Apparates zuletzt ins Wasser hinabgelassen wird, ist als Schwimmer ein ganz tüchtiger Holzklotz gebunden, welcher das Ende des Seiles stets leicht aufzufinden gestattet. Die auf- steigenden Fische stossen nun auf die Knüttel, drängen sich an ihnen vorbei, spielen auch wohl mit denselben, verwunden sich dabei, schlagen um sich und bleiben nur immer fester an den Haken hängen, was durch die Bewegungen der entsprechenden Schwimmhölzer verra- then wird. Sobald die Giljaken dies bemerken, kommen sie im Boote herbei, winden vom schwimmenden Holzklotz aus das Seil auf und heben die Fische vermittelst der oben beschrie- benen Haken ins Boot. Ebenfalls seltener als der Netze bedienen sich die Giljaken zum Stör- und Hausenfang der Harpune, schon aus dem Grunde, weil sie sich, wie oben bereits erwähnt, stets vorsichtig und nicht allzu leicht und kühn auf dem Wasser bewegen. Die bei ihnen üblichen Fischharpunen sind von doppelter Art: die eine besteht aus einer einfachen, mit ein paar Widerhaken versehe- nen eisernen Spitze, die auch zum Robbenschlage gebraucht wird und in der Folge, bei Be- sprechung dieses letzteren, noch beschrieben werden soll; die andere ist ein mit Widerhaken an jeder Zinke besetzter Dreizack (gilj. {schak, Taf. XLI, Fig. 8). Die eine wie die andere wird 1) Pallas, Reise durch versch. Proy. des Russ. Reichs, 2) Vielleicht bedeutet Zyk auch nur «Seil» über- Bd. II, p. 339, 444; Bd. III, p. 88. haupt. 66* 522 Die Völker des Amur- Landes. zum Schleudern auf die Spitze einer hölzernen Stange gesteckt und ist ausserdem noch an das Ende eines langen, in der Hand des Fischers ruhenden Riemens geknüpft, vermittelst dessen der getroffene Fisch heran- und aus dem Wasser herausgezogen wird. Die erstere Wafle ist bei den Giljaken üblicher als die letztere und trägt den Namen fugngy. Endlich kommt es nicht gar selten vor, dass Störe oder Hausen in die für Lachse ausge- stellten Fangnetze gerathen und mit den letzteren zusammen gefangen werden, oder aber und zumal im Hochsommer bei fallendem Wasser, wie ich es auch selbst gesehen habe, auf Untiefen stranden und alsdann nur schlechtweg geknüppelt zu werden brauchen. Bald nach dem Aufgange des Stromes beginnt auch das Aufsteigen der Lachsarten im Amur und seinen Nebenflüssen, das, insgesammt genommen, den ganzen Sommer und Frühherbst über bis in den Oktober hinein dauert, ja, auch nachdem eine neue Eisdecke sich gebildet, nicht sogleich ganz und gar aufhört. Manche Arten gehen nur einzeln oder in kleinen Partien, an- dere in mächtigen, mit mehrfachen Intervallen sich wiederholenden Zügen stromauf, und na- mentlich sind es zwei Arten, welche durch die kolossale Menge, in der sie erscheinen, den Giljaken von der grössten Wichtigkeit sind. Es sind dies der Tengi oder Tengi-tscho, Salmo Proteus, und noch mehr der Lyghi- oder, auf Sachalin, Laghi-tscho, 5. lagocephalus. Wie wesentlich und unentbehrlich sie für die Nahrung und den gesammten Haushalt der Giljaken sind, ist oben schon ausführlich dargethan worden. Auf den Fang dieser Fische und nament- lich des letzteren werden wir daher etwas näher eingehen müssen. Zuvor jedoch mögen hier einige Bemerkungen über die Zugzeiten derselben sowohl im Amur, wie an den nördlich und südlieh angrenzenden Meeresküsten Raum finden. Salmo Proteus, die Gorbuscha der Russen !), ist an der Südküste des Ochotskischen Meeres nordwestlich vom Amur-Liman und an den Küsten des Nordjapanischen Meeres, südlich von demselben, nicht bloss eine der am zahlreichsten, sondern auch eine der am frühesten in die Flüsse eintretenden Lachsarten. Sie geht hier stets um einige Wochen dem Salmo lagoce- phalus (vussisch Keta) voraus. Nach Mizul erscheint sie an der Westküste Sachalin’s im Juni und geht ohne Wahl und in grosser Menge in alle Flüsse und Flüsschen derselben hinein ?); die Keta dagegen tritt in demselben etwas später und in geringerer Zahl auf?). Aehnlich scheint es sich an der gegenüberliegenden Festlandsküste zu verhalten *), mit dem Unterschiede jedoch, dass dort, zum wenigsten an der Ausmündung grösserer Flüsse, auch die Keta in grosser Menge sich einfindet. Von einem Punkte dieser Küste, dem an der Mündung des Flusses Hadshi gele- genen Kaiserhafen, hat man eingehendere Nachrichten über die Zeit des Erscheinens daselbst der beiden genannten, auch dort die Hauptrolle spielenden Lachsarten. Margaritof, der zum 1) D. h. so viel wie Buckelfisch oder -Lachs. Bekannt- 4) Im Ssuifun soll nach Barabasch (Cyarap. Iken.- lich so genannt wegen des am laichenden Fisch sich aus- | Boen. C6opu., 1874, N 1, erp. 167) hauptsächlich die Gor- bildenden Rückenbuckels. buscha gefangen und von den chinesischen Fischern nach 2) Muuy.as, Ouepk» ocrp. Caxa.ınua BR Ce.IBCKO-Xo- | den im Innern des Landes gelegenen Goldwäschereien, 3alictB. ornom., C. Herep6. 1873, erp. 46. zum Theil sogar nach Ningula abgesetzt werden. 3) Mizul,l. c., p. 49. Giljaken. Zugzeiten von Salmo Proteus u. S. lagocephalus an der Meeresküste. 523 Zweck ethnographischer Forschung unter den Orotschen einen ganzen Sommer im Kai- serhafen zubrachte, berichtet, dass dort die Gorbuscha (bei den Orotschen 0%k0) sowohl, als die Keta (bei den Orotschen daxwa) je drei Zugzeiten haben, während welcher sie in grösseren Mengen in die Bai und in die zu derselben mündenden Flüsse eintreten, und die in Intervallen von je einem halben Monat mit einander alterniren, indem die Gorbuscha dort während der ersten, die Keta aber während der zweiten Hälfte der drei Sommermonate zieht. Bezüglich der Keta giebt er noch näher an, dass ihr erster Zug um die Mitte des Juni beginnt und bis in die ersten Tage des Juli anhält, worauf eine Pause von etwa 10 Tagen eintritt, nach deren Verlauf, ungefähr um den 20. Juli (die Angaben sind nach altem Stil), sie sich von Neuem einfindet und bis zum Anfang des August zu ziehen fortfährt; alsdann tritt wiederum eine Unterbrechung von ein paar Wochen ein, nach welcher, gegen Ende des August, die dritte Zugzeit beginnt, die bis weit in den September hinein reicht. Die erste dieser Zugzeiten verdient jedoch, für die eine wie für die andere Art, kaum den Namen einer solchen: die Fische erscheinen nur in geringer An- zahl und steigen nicht die Flüsse aufwärts, sondern finden sich nur an ihren Mündungen ein und so weit die Fluth und Ebbe in denselben reicht. Während der zweiten Zugzeit drängen sie sich bereits schaarenweise flussaufwärts, und in der dritten endlich erreichen sie das Maximum ihrer Zahl, wobei sie jedoch in Folge von Erschöpfung und dem in ihrem Organismus vor sich gehenden, bekanntlich auch durch manche Veränderungen im Aeusseren sich manifestiren- den Prozesse in demselben Verhältniss an Güte abnehmen, so dass die während der dritten Zug- zeit gemachten Jukolavorräthe zwar am leichtesten beschafft, aber zugleich auch von der ge- ringsten Qualität sind. Uebrigens sollen die Orotschen, trotz der grösseren Schmackhaftigkeit der Keta, bei Bereitung ihrer Jukolavorräthe häufig der Gorbuscha den Vorzug geben, sowohl ihrer übergrossen Menge wegen, als auch weil sie sich, in Folge ihrer geringeren Körpergrösse, leichter trocknen oder räuchern lässt und sich daher auch besser conservirt!). Dass die obigen, auf Erkundigungen an Ort und Stelle und den Erfahrungen eines Sommers beruhenden Daten nur einen annähernden Werth haben können, und dass in einzelnen Jahren mehr oder minder ansehnliche Verschiebungen in den Zugzeiten der einen wie der anderen Art vorkommen dürf- ten, versteht sich von selbst. So habe ich im Jahre 1854 am 25.— 28. Juli (a. St.) die Oro- 4)B. II. Mapraputorn, 06% Opouax® Umnepar. ra- saun, C. Herep6. 1888, erp. 15—21. Bei dieser Gelegen- doch nur eines Blickes auf die dem Werke beigegebene ethnographische Karte bedurft hätte, und leugnet sogar heit kann ich nicht umhin zu bemerken, dass die angeführte Schrift Margaritof’s manche schätzenswerthe Mitthei- lung über die Orotschen des Kaiserhafens, insbesondere über ihren Fisch- und Thierfang enthält, wogegen seine Auslassungen über ihr Verhältniss zu den Oltscha total verfehlt sind und Zeugniss davon ablegen, dass er das von mir in der ersten Lieferung dieses Werkes darüber Gesagte, trotzdem dies auch in russischer Sprache er- schienen ist, ganz und gar missverstanden hat. So weiss er nicht einmal, wo die Oltscha zu suchen sind, wozu es gänzlich die Existenz der Oltscha als eines besonderen Zweiges der Amur-Tungusen, und zwar bloss aus dem Grunde, weil ein Orotsche auf die an ihn gerichtete Frage, ob er ein Oltscha sei, wie natürlich nicht anders zu erwarten stand, verneinend antwortete. Zudem endlich entstellt er auch den Namen dieses Volkes, indem er ihn beständig «Olitschi» lauten lasst, und das angeblich mir zuf\ lge («Schrenck’s Olitschi», I. c., p. 3), während bei mir eine solche Entstellung nirgends zu finden ist. 524 Die Völker des Amur-Landes. tschen im Kaiserhafen mit Zubereitung von Wintervorräthen aus dem noch zahlreich vorhan- denen S. Proteus beschäftigt gefunden, S. lagocephalus aber liess sich noch nicht sehen. In gleicher Menge erscheinen diese Lachsarten und namentlich $. Proteus auch in der Bai de Castries. Als La Perouse diese im Jahre 1787 entdeckte und 5 Tage (vom 28. Juli bis zum 2. August — 17. bis 22. Juli) in derselben verweilte, fand er die in ihrem Grunde gele- gene Bucht so angefüllt von Lachsen, dass er sie Lachsbucht (Baie des saumons) nannte. Die Fische gingen in die Mündungen der kleinen Flüsschen hinein oder schnellten sich massenhaft aus den durch die Ebbe entblössten Seetangen des Meeresgrundes empor, und es hielt nicht schwer, an einem Tage über zwei tausend derselben zu fangen. Auch wurden sie von den Ein- geborenen in grossen Mengen geräuchert und getrocknet zum Wintervorrath'). La Perouse nennt die Art, welcher diese Lachse angehörten, nicht, doch lässt sich aus ihrer geringen Grösse und ihrem unbedeutenden Gewicht (von je 3 oder 4 Pfund) mit ziemlicher Sicherheit entneh- men, dass es $. Proteus war. Daneben erwähnt er aber auch einer grösseren Art (von je 30 und 40 Pfund Gewicht), welche die von den Eingeborenen zur Anfertigung von Kleidungs- stücken gebrauchten Häute liefert, und fügt hinzu, dass diese nicht im Sommer gefischt wird ?). Wir wissen), dass die bei allen Völkern des unteren Amur-Landes zu dem obigen Zweck die- nende Lachsart der S. lagocephalus ist, und müssen daher aus der erwähnten Angabe La Pe- rouse's schliessen, dass dieser letztere in der Bai de Castries erst im Herbst, also wohl frühe- stens zu Ende des August und im September in grösserer Menge auftritt. Weiter nördlich, im Amur-Liman, erfuhr ich von den Tschomi-Giljaken, leider ohne Zeitangabe, dass bei ihnen zwar beide Arten, der Tengi- wie der Lyghi-tscho, sich einfinden, der letztere jedoch in einer ihren Bedürfnissen nicht genügenden Anzahl, so dass sie sich, wie schon erwähnt‘), gleich den Giljaken von Tangi, Arkai und anderen an der Westküste Sachalin’s gelegenen Orten, zur Zugzeit dieses Fisches an den Tymy-Fluss auf Sachalin zu be- geben pflegen, um sich dort mit grösseren Wintervorräthen zu versorgen. Für die nordwestlich vom Amur-Liman gelegene Südküste des Ochotskischen Meeres fin- den sich bei Middendorff einige Daten. In dem von ihm zusammengestellten Verzeichnisse der Zugzeiten verschiedener Fische und insbesondere der Lachsarten an den Flussmündungen Sibi- rien's und Nordwestamerika’s ist als Ankunftszeit von S. Proteus an der Udj-Mündung der 22. Juni und als diejenige von S. lagocephalus an derselben Küste der 9. Juli angegeben’). Von 1) La Perouse, Voyage aultour du monde, T. III, p- 61—63. 2) La Perouse,|. c., p. 69. 3) S. oben, p. 388,407 u. a. 4) S. oben, p. 427. 5) Middendorff, Reise, Bd. IV, p. 1226 u. 1227. Die in demselben Werke (p. 1192, Anm. 2) enthaltene, in das oben erwähnte Verzeichniss jedoch nicht aufgenommene und mit den Daten desselben im Widerspruch stehende Angabe, dass S. lagocephalus an der Ala-, wie an der Uda- (soll heissen Udj-) Mündung ziemlich regelmässig um den 10. Juni und 7—10 Tage später auch an der Tugur-Mün- dungankomme, scheint mir nicht glaubwürdig zu sein und wird übrigens a. a. O. auch nur mit der Reserve «wie es hiess» angeführt. Zu bedauern ist, wie ich hier gelegent- lich bemerken muss, dass die Erklärung der Abkürzungen, welche zur Bezeichnung der für das oben erwähnte Ver- zeichniss der Zugzeiten der Fische benutzten Quellen ge- braucht worden (l. c., p. 1228), sich nur auf einen Theil derselben beschränkt und viele ganz unverständlich ge- blieben sind. Giljaken. Zugzeiten von Salmo Proteus und S. lagocephalus an der Amur-Mündung. 525 Interesse für unseren Zweck ist ferner auch die Angabe, dass in den Gewässern der Grossen Schan- tar-Insel 5. lagocephalus nicht vorzukommen scheint, während $. Proteus dort gefangen wird!). Was endlich die Mündung des Amur-Stromes betriflt, so tritt S. Proteus in dieselbe schon im Mai, also sehr bald nach dem Eisgange ein. Doch erscheint er dann nur in gerin- ger Zahl, gewissermassen nur als Vorhut eines zweiten, starken Zuges, der im Juni stattfindet. In diesem letzteren Monat wird er von den Giljaken eifrig gefangen, um zur Bereitung von Jukolavorräthen verwandt zu werden, und steigt auch den ersten grösseren Amur-Zufluss, den Amgunj aufwärts, wo er mit S. Zagocephalus zusammen eine Hauptgrundlage zum Haushalt der Negda abgiebt?). Im Juli endlich erscheinen noch einige Nachzügler im Mündungslaufe des Amur-Stromes, doch sind diese kaum der Rede werth. Es wäre daher foreirt, wenn man von drei Zugzeiten von S. Proteus im Amur reden wollte: richtiger ist es einen ersten, schwachen Zug im Mai und einen zweiten, starken oder Hauptzug im Juni anzunehmen. Salmo lagocepha- lus erscheint in der Amur-Mündung erst im August, und zwar beginnt, von einigen Vorläufern abgesehen, das eigentliche, starke, schaarenweise Aufsteigen desselben im Strome um die Mitte des August, erreicht zu Ende dieses Monats und im Anfang des September seinen Höhe- punkt und dauert dann mit abnehmender Energie noch diesen ganzen Monat hindurch und bis zur Bildung der Eisdecke im Oktober fort. Middendorff schien diese ihm durch Przewal- ski's Schrift?), — der jedoch selbst an der Amur-Mündung nicht gewesen ist — bekannt ge- wordene Zugzeit von S. lagocephalus im Amur (Ende August) zu derjenigen derselben Art an der Südküste des Ochotskischen Meeres nicht zu stimmen *). Doch hatte er dabei nur jene von mir angezweifelte und, man kann fast mit Bestimmtheit sagen, irrthümliche Angabe über die Zugzeit von S. lagocephalus an der Udj-Mündung im Auge, von welcher oben (p. 52%, Anm. 5) die Rede gewesen ist. Aus dem viel später, als Middendorff vermuthete°), erfolgenden Ein- tritt von S. lZagocephalus in den Amur erklärt sich vielmehr ganz einfach und ungezwungen die von ihm ®) mitgetheilte Thatsache, dass die den Tugur aufwärts steigenden Keta-Lachse viel früher als die den Amur und Amgunj aufwärts ziehenden zu der Stelle gelangen, wo das Tugur- und das Amur-System, in Folge einer Biegung der Flussbetten des Tugur und Nemilen, sich nahe berühren, so dass die Tungusen volle Zeit haben, ihren Fischfang an der Tugur-Biegung (bei Burukan) abzuhalten, und dann auf den ganz nahe gelegenen Nemilen übergehen, um dort den Keta-Lachs von Neuem zu fischen. Die hier angegebenen Zugzeiten von S. Proteus und S. lagocephalus an der Amur-Mün- dung stimmen sehr gut zu den oben von verschiedenen Punkten des Nordjapanischen Meeres angeführten Daten, zumal wenn man, wie nach den vorhandenen Thatsachen erforderlich, das mehrfache, in Intervallen mehr oder minder stark erfolgende Ziehen oder Aufsteigen einer und 1) Middendorff, ]. c., p. 1261. 5) L. c., p. 1220, wo es heisst, dass der Keta-Lachs in 2) Middendorff, l. c.,p. 1524. den Amur wenigstens gleichzeitig, wahrscheinlich sogar 3) Iyremeers. »% Yecypiück. kpab, crp. 97. früher einsteigt als in den Tugur (17.—20. Juni). 4) Middendorff, 1. c., p. 1261, 6) L. c., p. 1220 u, 1485, 526 Die Völker des Amur-Landes. derselben Art im Auge behält. Nimmt man zugleich auch die grössere oder geringere Menge, in welcher sie an den oben erwähnten Punkten erscheinen, in Betracht, so gelangt man zu dem Schluss, dass S. Proteus und S. lagocephalus aus dem Nordjapanischen Meere, nordwärts ziehend, in den Amur-Liman und zur Mündung des Amur-Stromes gelangen, wobei der erstere, zumal gegen Ende seiner Zugzeit, in grosser Zahl in alle Baien und Buchten und selbst in die kleinsten Flüsse beider Küsten eintritt, während der letztere nur die grösseren und ansehn- licheren unter ihnen besucht, die kleineren aber meidet und in seiner Hauptmasse, der aus dem Liman kommenden, stark mit süssem Wasser versetzten Strömung entgegenziehend, dem mäch- tigen Amur-Strome zustrebt, um in dem weit ausgebreiteten Flussnetze desselben und insbeson- dere in den grossen Zuflüssen seines unteren Laufes hoch hinauf zu steigen. Wir werden ihm auf dieser seiner Wanderung in der Folge, bei Besprechung des Fischfangs auch der anderen, von den Giljaken stromaufwärts wohnenden Völker des Amur-Landes, noch mehrfach begegnen. Zunächst bleiben wir jedoch noch einen Augenblick beim Erscheinen von S. Proteus und S. lagocephalus im giljakischen Gebiete stehen. Die Ankunft und der Massenzug dieser beiden, für den Haushalt der Giljaken besonders wichtigen Fische sind für sie natürlich Erscheinungen von so hervorragender Bedeutung, dass sie von ihnen auch zur Bezeichnung der Jahresabschnitte, der Monate, in welchen sie stattfin- den, benutzt werden. So heisst bei ihnen der Mai, als der Monat, in welchem der Tengi-tscho (S. Proteus) zuerst aufsteigt, walten-tengi-long, und der Juni, in welchem sein Massenzug stattfindet, tengi-wota-long'). Der August, in welchem der Lyghi-tscho (S. lagocephalus) in kolossalen Mengen im Amur-Strom aufsteigt und die Thätigkeit der gesammten Bevölkerung zur Bereitung von Wintervorräthen in Anspruch nimmt, heisst bei den Giljaken /yghi-wota- long oder pilja-tschrar-*), oder auch schlechtweg pilja-long, d. h. der «grosse Fischmonat», oder auch «grosse Monat» schlechtweg. Diese letztere Bezeichnung giebt ein besonders beredtes Zeug- niss von der grossen Bedeutung ab, welche 5. lagocephalus für den gesammten Haushalt der Giljaken hat. Im Vergleich mit dem Juni und besonders mit dem August ist der Juli nur fischarm. Unter den ihm eigenen Fischarten ist $. Lycaodon (gilj. well, die Nerka der Russen) noch die hervorragendste. Indessen spielt diese Lachsart nur weiter aufwärts, bei den Oltscha und Golde eine gewisse Rolle, von der am betreffenden Ort die Rede sein wird, für die Gilja- ken aber ist sie insofern von keinem besonderen Werth, als sielange nicht in der Menge wie $. Proteus oder gar S. lagocephalus erscheint und auch keine so gute und haltbare Jukola wie diese abgiebt; ja, angesichts der bald und sicher zu erwartenden Lyghi-tscho-Mengen, halten die Giljaken es überhaupt für unnütz und der Mühe nicht lohnend, auch aus dem Well Jukola- 1) Long heisst im Giljakischen «Monat»; eine nähere | letztere auf das Haupt- oder massenhafte Erscheinen der Erklarung der Ausdrücke «walten» und «wota» vermag | betreffenden Fische Bezug hat. ich nicht zu geben, doch scheint mir aus diesen wie aus 2) Das Wort «tschrar» hängt ohne Zweifel mit «tscho», den folgenden Monatsbezeichnungen hervorzugehen, dass | Fisch, zusammen. der erstere Ausdruck auf das erste, noch sparsame, der Giljaken. Zugzeiten von Salmo Proteus u. S. lagocephalus an der Ostküste Sachalin’s. 527 Vorräthe zu bereiten. Im Gegensatz zum August, dem «grossen Fischmonat», heisst daher der Juli bei den Giljaken matschn-tschrar-long, — «der kleine Fischmonat»!). Etwas anders als im Nordjapanischen Meere, im Liman und an der Amur-Mündung scheint es sich mit der Zugrichtung und der Zugzeit von $. Proteus und S. lagocephalus an der Ost- küste Sachalin’s zu verhalten. Nach Mizul zieht der erstere längs dieser Küste von Süd nach Nord, erreicht den Golf der Geduld etwa um die Mitte des Juni und steigt im Juli und bis weit in den August hinein den Plyi oder Poro-nai und seine Nebenflüsse aufwärts. In der ersten Hälfte des August erscheint er ferner auch an der nördlich vom Golf der Geduld gelegenen Küste der Insel, steigt in den Tymy-Fluss hinein und ist bereits um die Mitte dieses Monats und bis zum Spätherbst im oberen Laufe und in den Nebenflüssen desselben zu finden. S. lagocephalus twitt etwas später als 5. Proteus auf, dabei, wie Mizul ausdrücklich be- merkt, zuerst im nördlichen und dann erst ım südlichen Theile Südsachalin’s, so dass sein Zug hier, demjenigen von 5. Proteus entgegengesetzt, von Nord nach Süd zu gehen scheint; auch kommt er dort in geringerer Menge und nicht in allen, sondern nur in bestimmten Flüssen, in diesen aber alljährlich, wenn auch in verschiedener Anzahl vor?). Hauptsächlich scheint er daher auch an der Ostküste Sachalin’s den grösseren Flüssen, also dem Poro-nai und insbeson- dere dem Tymy zuzustreben. An der Mündung dieses letzteren, im Nyi-Busen, war Poljakof im J. 1881 Zeuge des massenhaften Erscheinens und Einsteigens von S. lagocephalus in den Fluss, das die ganze zweite Hälfte des August fortdauerte und erst am 30. nachliess®). Für die am Tymy-Fluss und besonders an seinem oberen Laufe in grösserer Dichtigkeit wohnenden Giljaken ist daher hauptsächlich der September derjenige Monat, der ihnen die grössten Men- gen des in ihrem Haushalte so unentbehrlichen Laghi-tscho zuführt, und in welchem sie, dem aufsteigenden Fisch entgegenfahrend, sich ganz und gar dem Fischfang und der Bereitung von Fischvorräthen für den Winter widmen. Daraus erklärt sich denn die mir von den Tymy- Giljaken wiederholt mitgetheilte Thatsache, dass bei ihnen nicht der August, sondern der Sep- tember den Namen pilja-long, «grosser Monat», trägt, während der im Vergleich mit ihm minder fischreiche August nur als matschki-long, «kleiner Monat», bezeichnet wird. Somit findet dort, in Folge etwas anders liegender Naturverhältnisse, eine Verschiebung der bei den Amur- Giljaken üblichen Monatsbezeichnungen statt‘). Ob dieselbe sich auch auf die Tro-Giljaken erstreckt, für welche die am Amur üblichen Namen eigentlich passender wären, vermag ich nicht zu sagen, da ich mit ihnen zu wenig verkehrt habe. Unmöglich wäre es jedoch nicht, da die Tymy-Giljaken denselben Sprachdialekt wie jene reden und zu ihnen überhaupt in einer 4) Von den aus anderen Motiven als die Zugzeiten der | 1882 rr. (Ipmaor. x% XIX r. Has. U. P. Tleorp. O6ut., Fische abgeleiteten Bezeichnungen, welche die Monate | erp. 97). Mai— August sonst noch bei den Giljaken tragen, so wie 4) Die auch hinsichtlich der übrigen Monatsnamen bei von den für die übrigen Monate bei ihnen üblichen Namen | den Tymy-Giljaken ihren Landsleuten am Amur ge- wird in der Folge, am betreffenden Ort die Rede sein. genüber statthabenden Verschiebungen oder sonstigen 2) Mizul. c. p. 46—49. Differenzen werden in der Folge, wo gehörig, zur Sprache 3) Hoaakose, Iyrem. na o. Caxarunn »» 1881— | kommen, Schrenck's Amur-Reise, Band III. 67 528 Die Völker des Amur- Landes. ähnliehen, nahen und zum Theil maassgebenden Beziehung wie die Amur-Giljaken zu denje- nigen des Limans, der Westküste Sachalin’s und der Südküste des Ochotskischen Meeres stehen. Die grosse Menge, in welcher die Lachse und insbesondere die beiden mehrfach genannten Arten den Amur und seine Nebenflüsse aufwärts steigen, machen den Giljaken den Fang der- selben in den grössten Quantitäten nicht schwer. In den kleinen Zuflüssen, wie Litsch, Kamr u. a., drängen und schieben sich die Fische fast selbst ans Ufer und können aus dem seichten Wasser einfach mit Händen gegriffen, aus dem tieferen mit Netzhamen geschöpft oder mit Haken herausgezogen und ins Boot geworfen werden. Weiber und Kinder betheiligen sich an dieser Arbeit, und in kurzer Zeit kehrt ein Boot nach dem anderen mit Fischen ange- füllt heim, wo die oben bereits beschriebene, mühsamere Arbeit des Abhäutens, Zergliederns und Aufhängens der Fische auf die Trockengerüste vorgenommen wird. Während die Weiber dies besorgen, schaffen die Männer immer neues Material heran. In den kleineren Flüssen wird oft auch ein Netz quer über die ganze Breite des Flusses gezogen und damit die gesammte zur Zeit aufsteigende Fischschaar, so weit es nur das Netz ohne zu reissen gestattet, abgefangen. Im grossen Strom, wo der Fischfang ausschliesslich den Männern anheimfällt, sind die Schaaren der aufsteigenden Fische ebenfalls so dicht gedrängt, dass die einfachsten Netze genügen, um in kurzer Zeit kolossale Mengen zu fangen. Die Fischer treiben in zwei Böten, ein Netz zwischen sich haltend, den aufsteigenden Fischen stromabwärts entgegen und ziehen das gefüllte Netz bald in das eine, bald in das andere Boot hinein, bis beide vollauf haben. Oder aber es fahren ein paar Mann, das eine Ende eines Netzes haltend, in einiger Entfernung vom Ufer den Fischen entgegen stromab, während ein dritter, mit dem anderen Netzende in der Hand, in derselben Richtung dem Ufer entlang geht. Merken sie, dass das Netz sich hinlänglich angefüllt hat, so wenden die im Boot sitzenden Fischer ihr Fahrzeug und rudern rasch dem am Ufer gehenden zu, um in der Nähe desselben aus dem Boot zu springen und vereint das Netz ans Land zu ziehen. Die zum Lachsfang dienlichen Netze werden von den Giljaken zum Theil nach kleinen Differenzen der Form und der Art ihres Gebrauches mit verschiedenen Namen belegt und ausser- dem noch je nach der Lachsart, für welche sie nach der Grösse ihrer Maschen bestimmt sind, unterschieden. So heisst das oben erwähnte einfach viereckige Netz tschessk und ist je nach der Grösse seiner Maschen ein /yghi- oder tengi-tschessk; ein anderes wurde mir kyrn-kä genannt und gleichfalls als /yghi- und tengi-kyrn-kä*) unterschieden, u. s. w. Um ferner ohne viel Mühe grössere Quantitäten der aufsteigenden Fische zu fangen, wer- den Fischwehren vom Ufer aus in den Strom hinein errichtet, die den Zweck haben, die Fische von ihrer Zugrichtung abzulenken und in ein daneben aufgestelltes Sacknetz eintreten zu lassen. Dazu werden an höheren Ufern, in der Nähe vorspringender Landzungen gelegene Stellen ge- wählt, wo es eine stärkere Strömung giebt und die Fische erfahrungsmässig in grosser Menge 1) Kä heisst im Giljakischen «Netz» überhaupt. Giljaken. Fang von Salmo lagocephalus im Amur-Strom. 529 aufzusteigen pflegen. Die Beschaffenheit einer solchen, bei den Giljaken »myr genannten Lachs- wehr ist folgende. Vom Ufer aus wird eine Reihe von Pfählen in der Entfernung von je einem Faden von einander quer in den Fluss hinein und vom Ende derselben eine zweite, kürzere unter rechtem Winkel eine Strecke stromabwärts in den Flussboden eingeschlagen. Die Zwi- schenräume zwischen den Pfählen werden darauf von der Oberfläche des Wassers an bis mög- lichst tief hinab mit Weidenruthen so dieht durchflochten, dass die Fische keinen Durchgang finden können. Zwischen dem unteren Ende der stromabwärts gerichteten Pfahlreihe und einem in einiger Entfernung von demselben näher zum Ufer hin einzeln stehenden Pfahle wird das Sacknetz, myrch-kä der Giljaken, befestigt. Dieses hat die Form eines langen, nach unten sehr allmählich sich verengenden Trichters: ein aus dem Dorfe Tscheharbach stammendes Exem- plar, das ich vermaass, hatte, auf dem Erdboden ausgebreitet, eine Länge von 6%, Metern und eine Breite am oberen Ende von 3, am unteren von 1'/, Metern. Von dem oberen, mit zwei parallelen Weidenbastschnüren versehenen Rande dieses trichterförmigen Netzes läuft an einer Seite ein etwa 12 Decim. langer Schlitz ins Netz herab, und an den beiden am Triehterrande dadurch entstehenden Zipfeln sind je zwei Schnüre angebracht, welche, gleich wie auch eine ähnliche, ihnen diametral gegenüber befindliche Schnur, zur Befestigung des Netzes an die dazu bestimmten Pfähle dienen. Von einem der erwähnten Zipfel geht ferner auch die Signalschnur (gilj. umyssj) aus, eine dünne, anfangs einfache Schnur, die sich aber sehr bald in drei Schnüre theilt, welche sich mit ihren Enden etwa in der halben Länge des Netzes an die gegenüberlie- gende Wand desselben ansetzen. Soll nun das Netz aufgestellt werden, so wird es an seinem unteren Ende durch einen Riemen zu einem Sack zugeschnürt, oben, am unteren Rande der Sacköflnung mit Steinen beschwert und vermittelst der an ihr befindlichen Schnüre an die er- wähnten Myr-Pfähle befestigt, wobei die in ihrem oberen Theile mit dem Schlitz versehene Eine Lachswehr (gilj. myr) im Amur-Strome. Seite des Netzes der Strommitte, die gegenüberliegende aber dem Ufer zugekehrt wird. Um dem Netz noch mehr Halt zu geben, so wie um es später herauszuziehen, wird endlich von der Sack- öffnung noch eine dieke und lange Schnur ans Ufer gezogen und dort an einen Pfahl befestigt. 67* 530 Die Völker des Amur-Landes. Ist das Netz aufgestellt, so setzt sich ein Giljake im Boot an seiner äusseren, am Ende der zweiten Pfahlreihe befindlichen Befestigungsstelle auf und hält die Signalschnur, deren ein- zelne Theile er zwischen je zwei Finger geschoben, in der Hand. Die längs dem Ufer aufstei- genden Lachse stossen nun auf das ihnen quer vorgebaate Ruthengeflecht, finden keinen Durch- gang und drängen sich, um es zu umgehen, längs dem stromabwärts gerichteten Gellechte hin, wobei sie in das Netz gerathen. Dies Letztere thut sich dem wachthabenden Giljaken durch ein Rupfen und Zerren an den Signalschnüren kund, und sobald er aus der wiederholten und starken Anspannung derselben entnehmen darf, dass das Netz sich mit Fischen gefüllt hat, lässt er die Signalschnur fallen und schnürt die Oeflnung des Sackes zusammen, worauf dieser mit der Beute ans Land gezogen wird. In diese Sacknetze gerathen natürlich ausser den jeweilig aufsteigenden Lachsen auch manche andere Fische, mitunter sogar Störe und Hausen. Da die Herstellung eines Myr’s mit einiger Arbeit und Mühe verbunden ist, so pflegen die Giljaken, dieselben nur zum Fange ihrer wichtigsten und zugleich in der allergrössten Menge aufsteigen- den Lachsart, des Lyghi-tscho, zu errichten. Von diesem Fisch können sie nicht genug haben, und zur Zeit seines Aufsteigens sind daher die Myr’s im gesammten giljakischen Gebiet des Amur-Stromes nicht selten zu sehen. In derselben Art und mit nicht geringerem Eifer gehen die Giljaken dem Lachsfang im Tymy-Fluss auf Sachalin nach. Doch ist dieser seiner geringeren Grösse und theilweisen Seich- tigkeit wegen zur Errichtung von Myr’s weniger geeignet. In seinem unteren Laufe und nahe seiner Ausmündung zum Nyi-Busen sind gleichwohl auch diese im Gebrauch. Hier ist es, wo sich zur Zugzeit des S. /agocephalus neben den Giljaken auch die Oroken eifrig mit dem Fischfang und der Zubereitung von Fischvorräthen beschäftigen. Ja, seit den letzten Decennien pflegen auch die Japaner, nachdem sie zuvor mit Hülfe der Aino der Häringsfischerei an den Küsten Südsachalin’s und dem Fange von S. Proteus an der Poronai-Mündung obgelegen, zur Zugzeit des S. lagocephalus sich noch an der Tymy-Mündung einzufinden und den Fang dessel- ben mit grosser Energie und Rücksichtslosigkeit zu betreiben. Poljakof, der sie dort im August 1881 bei dieser Beschäftigung antraf, berichtet unter Anderem), dass sie anfangs eine quer über den ganzen Fluss reichende Fischwehr, in der Art der oben beschriebenen, errichtet hatten und erst in Folge seiner drohenden Forderung ',, der Flussbreite freigaben, darauf aber sogleich oberhalb der ersten eine zweite, nicht weniger als ”/,, des Flusses sperrende Fischwehr errich- teten. Dass sie unter solchen Umständen alljährlich kolossale Mengen dieser Lachsart aus dem Tymy-Fluss ausführen, ist begreiflich; nicht minder begreiflich ist aber auch die Schädigung, welche sie dadurch den Oroken sowohl, wie insbesondere auch den auf den Fischreichthum ihres Flusses angewiesenen Giljaken des gesammten Tymy-Thales zufügen. Ueber den Fang der ständig im Amur lebenden Fische, wie Karpfen, Quappe, Wels, Hecht u. a., ist nichts Besonderes zu sagen, da er mit gewöhnlichen Netzen betrieben wird, in den 1) L. c., p. 70—79 u. p. 99. Giljaken. Fang von Gadus Wachnja. Material der Fischernetze. 931 Zeiten, da es keinen wichtigeren Fischfang giebt, insbesondere daher auch im Winter, unter dem Eise, in derselben Art, wie alsdann auch die Störe gefangen werden. In den stillen, mit schlammigem Boden versehenen, seeenartigen Erweiterungen, deren es viele an den Ufern des Amur-Stromes giebt, und die mit demselben stets durch einen mehr oder minder versumpften Flussarm oder ein kleines Gerinsel in Verbindung stehen, habe ich die Giljaken sackförmige Netze an Stangen aufstellen sehen, zum Fange von Karauschen und ähnlichen Fischen, an denen diese kleinen Bassins reich sind. Eines Fischfangs muss noch besonders gedacht werden, sowohl wegen der grossen Bedeu- tung, die er für einen Theil der Giljaken hat, als auch wegen der charakteristisch ursprüng- lichen Art, in welcher er betrieben wird. Es ist der Kangi-Fischfang an der West- und Ost- küste Sachalin’s. Von der Wichtigkeit des Kangi-Fisches (Gadus Wachnja Pall.) für die Gilja- ken und der Art und Weise seiner Verwendung ist oben (S. #30) schon die Rede gewesen. Die kolossale Menge, in welcher er sich dicht unter dem Meereseise einfindet, gestattet es den Giljaken, sich des einfachsten Mittels zum erfolgreichen Fange desselben zu bedienen. Es ge- nügt ihnen dazu ein spannenlanger eiserner Haken (gilj. kätsch-kossj, Taf. XL, Fig. 1), der an eine etwa drei Fuss lange Schnur gehängt wird, welche vermittelst eines hölzernen Handgrifls auf und ab bewegt werden kann. Mit dieser kurzen, eines jeglichen Köders ermangelnden An- gel wirft der am Eisloch sitzende Giljake, indem er sie ins Wasser hinablässt und sogleich wieder zurückzieht, einen Fisch nach dem anderen aufs Eis heraus. In den wenigen Minuten, die ich — es war am 27. Febr. (10. März) 1856 bei Arkai an der Westküste Sachalin’s — dabeistand, zog mein Giljake ein paar Dutzend Fische heraus, welche der Haken bald am Kiemen- deckel, bald am Unterkiefer oder am Maul gefasst hatte. Einige Tannenzweige, die hinter ihm, an einen seitwärts umgekehrten Schlitten gelehnt, in den Schnee gesteckt waren, dienten als Wind- schutz. So sah man in einiger Entfernung von einander noch mehrere Fischer auf dem Eise sitzen. Sobald eine ausehnliche Menge von Fischen gefangen war, wurden sie auf dem Schlitten fortge- bracht. Es muss auflallen, dass die Giljaken keine zweckmässigeren Mittel zum Fange dieses Fisches anwenden: schon ein einfacher Hamen würde ohne Zweifel weit erfolgreicher wirken, Es scheint aber, dass der vielfache an den Kangi-Fisch sich knüpfende Aberglaube, von dem oben die Rede gewesen, darunter z. B. auch derjenige, dass man ihn nicht in einen Sack stecken darf, sie bestimmt, bei der althergebrachten und traditionellen Fangart desselben zu verharren. Zum Schluss bleibt mir noch übrig, einige Worte über die Anfertigung der Fischernetze bei den Giljaken zu sagen. Das Material zu denselben liefert die um ihre Wohnstätten, auf einem durch Abfall aller Art gedüngten Boden in Gesellschaft mannshoher Artemisien und an- derer Schuttpflanzen in grösster Ueppigkeit wuchernde Nessel, Urtica dioica L. (gilj. chisk:, oltseh. und gold. pikta). Die Stengel derselben werden im Herbst geschnitten und im Wasser geweicht; im Winter trocknet und bindet man sie in Bündel, und zeitig im Frühjahr beginnt die Bereitung von Zwirn und Schnüren, so wie das Flechten und Ausbessern von Netzen, daran es im Sommer einen grossen Bedarf giebt. Der erste Theil dieser Arbeiten, die vorläufige Zu- richtung der Nesselstengel und die Zwirnbereitung, fällt den Weibern anheim, das Drehen der 532 Die Völker des Amur-Landes. Schnüre hingegen und das Stricken der Netze werden in der Regel von den Männern besorgt. Am 18./30. April 1855 bin ich im Dorfe Kuik Zeuge der Zwirnbereitung gewesen. Die trocke- nen Stengel werden vermittelst eines glatten, am Ende zugespitzten hölzernen Falzmessers, gilj. chukka genannt, platt gedrückt, der Länge nach gespalten und an einer Stelle gebrochen, worauf die Epidermis abgestreift und so lange gestrichen wird, bis sie ganz zerfasert und alle Holztheile beseitigt sind. Aus den so gewonnenen Fasern wird mit Hülfe von Handspindeln ein feiner Zwirn gesponnen, davon ein Theil den Weibern selbst für ihre Näharbeiten zufällt, der andere und grössere aber zur Bereitung von Schnur von verschiedener Dicke (gilj. puksj) für die Netze dient. Hr. Maximowiez hat Gelegenheit gehabt, diese Arbeit anzusehen, und beschreibt sie folgendermaassen !). «Der zur Schnur bestimmte Faden wird auf so viel Spindeln gewickelt, als die Schnur Stränge haben soll; die Spindeln werden auf der Jurtenbank festgestellt, ein Stück Faden wird von jeder derselben durch eine an einem Deckenbalken befestigte Oese beinahe bis zur Erde hinabgeleitet und der übrige Faden vor dem Sichabwickeln geschützt. Die durch die Oese geleiteten Fäden werden an eine schwebende Spindel gebunden, die so lange in kreiselför- miger Bewegung erhalten wird, bis die Schnur genügend fest zusammengedreht und in Folge dessen die kreiselnde Spindel fast bis zur Decke hinaufgerückt ist. Das sehr zusammengedrehte Stück Schnur wird nun auf die schwebende Spindel gewickelt und vor dem Sichabwickeln ge- schützt. Darauf wird neuer Faden von den feststehenden Spindeln abgelassen, der übrige be- festigt und die Arbeit in derselben Weise fortgesetzt». So werden Schnüre gewonnen, die an Festigkeit und Gleichmässigkeit guten Sorten unserer Hanfschnüre um nichts nachstehen. Bei der ansehnlichen Grössenverschiedenheit auch nur der Hauptfische, denen die Gilja- ken nachstellen, etwa von den kleineren Cyprinoiden oder dem Tengi-tscho, Salmo Proteus, ab bis zu den kolossalen Hausen hinauf, sind auch die zum Fange derselben dienenden Netze von sehr verschiedener Grösse der Maschen und aus Schnur von verschiedener Dicke bereitet. Und dem entsprechend, sind auch die den Giljaken zum Strieken der Netze dienlichen Instru- mente bei gleicher Form von sehr verschiedener Grösse. Dennoch lassen sich unter ihnen, wie wir sogleich sehen werden, nach den Hauptfischarten einige wenige, etwa vier, als die wichtig- sten und gangbarsten Grössenformen unterscheiden. Bevor wir jedoch auf diese näher eingehen, muss eines Instruments gedacht werden, das von den Giljaken beim Stricken aller Netze, gleichviel wie fein oder grob sie sein mögen, behufs eines ungestörteren und gleichmässigeren Fortganges der Arbeit gebraucht wird. Es ist dies das sogen. Pork (Taf. XLI, Fig. 7), — eine oben und unten zweiarmige, um ihre Achse drehbare hölzerne Haspel, auf welche die fürs Netz bestimmte Schnur gewickelt, und die mit ihrem unteren Griflende an einen Deckenbalken der 1) Bullet. de la Classe phys.-math. de l’Acad. Imp. des | ist zwar nicht gesagt, ob bei den Giljaken, oder bei den sc., T. XV, p. 230, Anm. 5; Mel. biolog., T. U, p. 501, | Oltscha, indess ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Anm. 5. Die Beobachtung wurde von Hrn. Maximowicz | erwähnte Arbeit bei diesen beiden Völkern genau in der- auf einer Reise im unteren Amur-Lande zwischen dem | selben Weise geschieht. Nikolajefschen und Mariinskischen Posten gemacht; es Güjaken. Zum Netzstricken dienliche Werkzeuge. 533 Jurte oder sonst wo aufgehängt wird, damit der zum Fortschritt der Arbeit erforderliche Faden dem Strickenden stets leicht und ungehindert zulaufe. Die beiden wichtigsten den Giljaken zum Netzstricken dienlichen Werkzeuge sind eine eigenthümliche Filetnadel, gilj. Aelks') (Tab. XLI, Fig. 1—%), und ein länglich viereckiges Brettchen, Aöwu genannt?), (ebenda, Fig. 5 u. 6). Die erstere besteht aus einem langen, schma- len und dünnen Holzplättchen, dessen unteres Ende in Folge eines Ausschnittes zweizinkig ist, während in der oberen Hälfte zwei lange, den Rändern parallel laufende und kurz vor der Spitze zusammenfliessende Ausschnitte eine lange, fast bis zur Spitze reichende Zinke zwischen sich lassen, welche ich zum Unterschiede von den beiden am unteren Ende befindlichen die obere Zinke nennen will. Um diese drei Zinken wird die zum Anfertigen des Netzes dienende, von der oben erwähnten Haspel ablaufende Schnur geschlungen, und zwar in der Weise, dass sie abwechselnd um die eine und die andere der beiden unteren Zinken und dazwischen stets um die obere Zinke geschlagen wird. So umsponnen, wandert das Külks, gleich einem Webeschifl- chen, von einer Seite zur anderen und wieder zurück, das Material zum Netz liefernd und zu- gleich die Maschen desselben knüpfend. Um aber diese letzteren aufzuschlagen und ihnen zu- gleich eine bestimmte, unveränderliche Grösse zu geben, dient das Kiwu, ein länglich vierecki- ges, oben und unten geradlinig und horizontal, an den Seiten ausgeschweift begrenztes Brett- chen mit zwei ungefähr dreieckigen Ausschnitten, welche jedoch nur den Zweck zu haben scheinen, die Brettchen auf eine Schnur aufreihen und so, wie einen Schlüsselbund, bequemer aufbewahren zu können. Je grossmaschiger nun das Netz werden soll, desto grösser müssen auch die zur Anfertigung desselben benutzten Instrumente, Kilks wie Kiwu, sein. Die grössten Maschen hat das zum Fange von Hausen (patch-tscho), gelegentlich auch von Seehunden, dienende Netz — gilj. patch-kä, das dem entsprechend auch aus der dicksten Schnur bereitet wird. Zu seiner Anfertigung dienen daher die grössten Instrumente: die Filetnadel Fig. 4, gilj. patch-kä-kilks (auch tolles-kilks und kerwagn- kä-kilks) genannt, und das ihm entsprechende Maschenbrettchen patch-kä-kiwu, Fig. 6 der ange- führten Tafel. Nächstdem folgen der Grösse nach die zum Stricken des Störnetzes, gilj. fulki-kä, dienenden Geräthe: tukki-kä-kılks (auch jaghsin-kä-kilks), Fig. 3, und tukki-kä-kiwu, Fig. 5 der genannten Tafel. Die nächstkleinere, dritte Filetnadel, Fig. 2, anga-kä-kilks oder auch nokn-kä-kilks genannt, dient zum Anfertigen solcher Netze, mit denen Fische wie Pilen- gat (Cyprinus OCarpio), Mimk (Hypophthalmichthys Dybowskii), Kych u. a. gefangen werden, Eine vierte, noch kleinere Filetnadel, Fig. 1, wurde mir von den Giljaken als myrch-kä-kilks, d. h. als diejenige Nadel bezeichnet, welche zur Bereitung des in den oben beschriebenen Lachs- wehren gebräuchlichen Sacknetzes (myrch-kä) dient. Dabei fügten sie jedoch hinzu, dass die mit dieser Nadel gestrickten Netze auch zum Fange des Tengi, S. Proteus, gebraucht würden. 1) Bei den Oltscha heisst sie ssarpol und bei den | zusprechen, Bei den Oltscha heisst das Krwu keror oder Golde ssarfo. kerul. 2) Das w ist in diesem Wort wie das englische wo aus- 534 Die Völker des Amur-Landes. Daraus darf man schliessen, dass die Sacknetze der hauptsächlich, ja, so viel ich gesehen, aus- schliesslich zum Fange von $. lagocephalus dienenden Lachswehren verhältnissmässig fein- maschig sind, indem auch weit kleinere Fische als S. lagocephalus, wie namentlich $. Proteus, keines feineren Netzes bedürfen. Und das ist wohl erfahrungsmässig dadurch motivirt, dass bei grösseren Maschen des Sacknetzes die in denselben zahlreich eintretenden und sich stark drän- genden Fische leicht durchschlüpfen könnten, was den durch die Errichtung von Myr’s beab- sichtigten Massenfang des wichtigsten aller Fische ansehnlich schmälern oder gar vereiteln würde. Zudem braucht dieses Sacknetz auch nicht aus einer sehr dieken Schnur gemacht zu sein, da es, wenn angefüllt, sogleich an das nur wenig entfernte Ufer gezogen wird. Die zu den beiden letzteren Filetnadeln gehörigen Maschenbrettchen, die im Vergleich mit den früher besprochenen natürlich ebenfalls von entsprechend geringerer Grösse sind, habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Da die Giljaken übrigens auch feinere Netze als das Myrch-kä haben, wie z. B. die in kleineren Flussarmen und Seen zum Fange von Karauschen und ähnlichen Fischen gebräuchlichen Sacknetze, so dürften sie sicherlich auch noch kleinere Filetnadeln und Maschenbrettchen als die zuletzt erwähnten, wenn auch stets von derselben Form, haben; doch treten diese an Bedeutung so sehr hinter jenen zurück, dass sie mir dieselben, bei Gelegenheit meiner auf diesen Gegenstand bezüglichen Erkundigungen, weder zu zeigen, noch mit besonde- ren Namen zu bezeichnen vermochten. Soll nun das Stricken eines Netzes mit den beschriebenen Instrumenten vor sich gehen, so wird an die Jurtenbank, an den Bordrand des Bootes, oder wo sonst die Arbeit vorgenom- men wird, eine eigens zu dem Zweck bestimmte hölzerne Gabel befestigt, deren eine Zinke dazu dient, das Netz, an welchem gestrickt wird, zu halten, während über die andere die bereits fer- liggestellten Stücke gehängt werden). Ist die Strickerei vollendet, so wird das Netz ringsum mit einer aus Weidenbast gedrehten Schnur besäumt und an seinem oberen und unteren Ende nach aussen hin noch mit einer zweiten derartigen Schnur versehen, die in naher Entfernung von jener verläuft und nur an einzelnen Punkten mit ihr in Verbindung steht. Zwischen diese beiden Schnüre werden beim Fischen je nach Bedürfniss kleine Steine, oder aber die oben er- wähnten, aus Holz oder Bork gemachten Schwimmer befestigt. Stets werden die Netze von den Giljaken mit grosser Sorgfalt und Schonung behandelt, beim geringsten Schaden ausgebessert und nach jedem Fischzuge an der Sonne getrocknet. Dazu werden sie über eigens vorhandene mehr als mannshohe Gerüste ausgebreitet, und der Aberglauben verlangt es, dass wenn die trocknenden Netze Einem im Wege stehen, man nicht unter ihnen durch, sondern stets um dieselben herumgehe. Nicht eher endlich, als bis die Netze ganz trocken geworden, dürfen sie von Neuem benutzt werden. So behandelt, hält ein Netz bei den Giljaken mehrere Jahre vor und lohnt vielfältig die auf die Anfertigung desselben verwendete Mühe und Arbeit. 1) Die giljakische Bezeichnung für diese Gabel ist mir | (l. c., p. 130), chalang. unbekannt geblieben, die Golde nennen sie, nach Maack Oltscha, Golde. Abnahme des Winterfischfanges stromauf. 5335 Das vorstehend über den Fischfang der Giljaken Gesagte lässt sich im Allgemeinen auch auf die ihnen mehr oder minder benachbarten tungusischen Völker des unteren Amur-Landes ausdehnen, allerdings mit einigen Einschränkungen und Modifikationen, die theils durch die Lebensweise und den Charakter dieser Völker und theils durch die Verbreitung der hauptsäch- lich dem Fange unterliegenden Fischarten bedingt werden. Zunächst ist hervorzuheben, dass sämmtliche tungusische Völker des unteren Amur-Landes sich von den Giljaken bezüglich des Fischfanges nicht sowohl durch etwaige neue, den letzteren nicht bekannte Arten ihn zu betrei- ben, als vielmehr durch den wesentlichen, allgemein maassgebenden Umstand unterscheiden, dass keines von ihnen in dem Grade ichthyophag und überhaupt mit seinem ganzen Haushalt auf den Fischfang angewiesen ist wie die Giljaken, und dass somit auch keines von ihnen den Fischfang in dem Umfange und mit der Stetigkeit, Sorgfalt und Energie wie diese letzteren betreibt. Bei allen diesen Völkern, auch die den Giljaken nach ihrer gesammten äusseren Hal- tung und Lebensweise am nächsten stehenden Oltseha nicht ausgenommen, spielt die Jagd, als Mittel zur direkten und unmittelbaren Befriedigung der unabweislichsten Bedürfnisse der Nahrung und Kleidung, eine weit wichtigere Rolle als bei den Giljaken, und zwar ist dies je weiter stromauf und in die Nebenthäler des Amur-Stromes hinein, desto mehr und allgemeiner der Fall. Dem entsprechend, muss sie aber auch mehr Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, resp. dem Fischfange entziehen. Namentlich macht sie dem Winterfischfang einen starken Abbruch. In keiner Jahreszeit tritt der grundverschiedene Charakter zwischen den Giljaken und den tungusischen Völkern des unteren Amur-Landes deutlicher zu Tage als im Winter, indem jene auch dann noch, trotz mancherlei eifrigen und betriebsamen Thierfanges, doch dieselben sess- haften Fischer bleiben, während in diesen mit dem Eintritt des Winters eine durch das Fischer- leben nicht ganz unterdrückte Leidenschaft zu erwachen scheint, welche sie zeitweise gewisser- maassen in Jagdnomaden verwandelt. Dennoch darf man nicht meinen, dass unter den Amur- Völkern die Giljaken allein sich auch im Winter mit dem Fischfange beschäftigen '). Die Oltscha betreiben ihn ebenfalls in ganz ansehnlichem Maasse, und der inmitten ihres Gebietes gelegene Mariinskische Posten wurde von ihnen in den Wintern 1855 und 56 reichlich mit frischen Fischen versorgt. Auch die Amur-Golde geben sich noch mit demselben ab, doch nimmt er bei ihnen stromaufwärts mehr und mehr ab: wie ich es selbst erfahren, wird dem im Winter in dieser Richtung Reisenden immer häufiger statt frischen Fisches, Reh-, Elenns- und Wildschweinfleisch oder Fett angeboten. Von den Ussuri-Anwohnern vollends erzählt Przewalski?°), dass bei ihnen der Fischfang im Winter so gut wie ganz aufhört, indem alle rüstigen Männer alsdann zur Jagd fortziehen und nur die zurückgebliebenen Greise und Weiber sich mit dem Angeln von Fischen abgeben. Stundenlang amı Eisloch sitzend, bewegen sie un- aufhörlich die statt des Köders nur mit einem rothen Zeugläppchen oder einem Fellstückehen 1) Wie z. B. Arth. Nordmann (Ueber den Fischfang | Partie, 1861, p. 230) angiebt. und die Jagd der am Amur wohnenden Giljaken. — Bull. 2) Iyrem. 8% Yccyp. kpab, erp. 98. de la Soc. Imp. des Natural. de Moscou, T. XXXIV, 2-e Schrenck's Amur-keise, Band II, 68 536 Die Völker des Amur-Landes. versehene Angel auf und nieder, und trotz dieses einfachen Verfahrens soll es ihnen an glück- lichen Tagen gelingen, bis zwei und drei Pud Fische, hauptsächlich Karpfen (Oyprinus carpio) und Lachsforellen (Salmo fluviatilis Pall.) zu erbeuten. Die Samagirn am Gorin fand ich im Winter, in den allerdings nur wenigen Tagen, die ich unter ihnen zubrachte, ebenfalls nur mit der Jagd und gar nieht mit Fischfang beschäftigt. Gleichwie den Giljaken, so stehen auch den Oltscha und den Golde obenan unter allen Fischen der Stör und der Hausen, Acip. Schrenckii und Ac. orientalis, von denen jener bei ihnen kundo, resp. kongdo unterhalb des Geong-Gebirges, ssura oberhalb desselben und kilfu oder körfi am Ussuri und oberhalb der Ussuri-Mündung, dieser aber bis zur Ussuri- Mündung adi, oberhalb derselben und am Ussuri adsi genannt wird. Beide sind im gesammten Golde-Gebiet verbreitet, indem sie aus dem Amur auch in die beiden grossen südlichen Zu- Nüsse desselben, den Ussuri und Sungari, und manche ihrer Nebenllüsse hineinsteigen. Im Ussuri und in dem durch den Ssungatschi-Fluss mit ihm in Verbindung stehenden Kengka-(oder Chanka-) See kommen sie nach Przewalski') zwar das ganze Jahr über vor, finden sich jedoch beson- ders zahlreich gleich nach vollendetem Eisgange ein. Bei niedrigem Wasser, im Herbst sollen sie wieder flussabwärts, dem Amur zuziehen und sich dabeı stets an dieselben Flussarme halten, durch welche sie gekommen, — ein Umstand, der von den in der Reggl bei niedrigem Wasser dem Fischfang nachgehenden Golde im Auge behalten wird®). Aehnlich wie im Ussuri mag es sich mit dem Vorkommen dieser Fische im Sungarı verhalten. Dass es im Churcha oder Mutwan-ho (nach russ. Lesart Mudan-dsan), dem letzten grossen rechten Sungari-Zuflusse, zahl- reiche Störe oder, nach der chinesischen Bezeichnung zin-jui zu urtheilen ?), Hausen giebt, die im Winter in Eislöchern mit eisernen Fischhaken gestochen werden, berichtete schon der Chi- nese U-tschen in seinem 1722 verfassten Memoire über Ninguta‘). Am fischreichsten unter allen Sungari-Zullüssen soll jedoch der Nonni sein’). Vom Sungari oder Ussuri dürfte auch der grosse Stör oder Hausen hergerührt haben, mit welchem der Pater Paranin im Winter 1721 den russischen Gesandten Ismailof und sein Gefolge in Peking bewirthete, und der angeblich vom Amur, gefroren und in Schnee verpackt, gebracht worden war‘). Die Methoden, Störe und Hausen zu fangen, sind, von etwaigen kleinen Detaildifferenzen abgesehen, bei den Oltscha und Golde ganz dieselben wie bei den Giljaken, doch bringt es der auch ihnen, wie allen tungusischen Stämmen, innewohnende Hang zur Jagd mit sich, dass sie gewissen, bei den Giljaken minder üblichen Fangarten den Vorzug geben. So ist die oben 1) L. c., p. 62, 95 u. 204. 2) Benumwron%, O603p. p. Yeypu (Bbern. Teorp. Oöm., 4. 25, 1859, Ora. Hzcaba. n Marep., crp. 231). Ero ;xe Hyrem. no orp. Pycex. Aaiı, C.-IIerepö., 1868, erp. 82. Maar, Hyrem, »5 aoaımb p. Yeypm, erp. 200— 203. 3) Nach Maack (l. e., p. 201) heisst Acip. orientalis bei den Chinesen zing-huan. 4) Bacuapenn, Jan. 0 Huuryrb (3an. Pycer. leorp. Oöım,., Ru. XI, 1857, erp. 88). 5) Bapa6amt, Cyurap. Irenea. (Boen. C6opm., 18974, N 4, erp. 149; N 2, crp. 346). 6) Belld’Antermony, Voyage depuis St.-Petersb. en Russie dans diverses contrees de l’Asie, Paris 1746, trad. de l’Anglais par M***, p. 366. Nach Maack (l. c., p. 201) bringen chinesische Kaufleute vom Ussuri alljährlich Hau- sen und andere Fische nach Peking zum Verkauf. Oltscha, Golde. Meistbeliebte Arten des Stör- und Hausenfanges. 537 erwähnte, bei den Giljaken nur wenig gebräuchliche Fangart vermittelst an Holzknüttel befestigter Angelhaken bei den Oltscha und noch mehr bei den Golde sowohl am Amur, wie insbesondere auch am Ussuri sehr beliebt, und, nach den auflallend übereinstimmenden Bezeichnungen der einzelnen Stücke dieses Fangapparates bei diesen wie bei jenen zu urtheilen !), möchte ich fast glauben, dass die Giljaken, trotzdem man sie in den meisten auf o den Fischfang bezüglichen Dingen als Lehrmeister ihrer tungusischen Nachbarn betrachten darf, diese Fangart von den letzteren entlehnt haben. Grösser noch und den Giljaken gesen- o J [ob e) über charakteristischer ist die Vorliebe der Oltscha und besonders der Golde für das Er- beuten von Stören und Hausen vermittelst der oben besprochenen und abgebildeten (Taf. XLI. o \ Fig. 8) dreizackigen Schleuderharpune, und auch hier scheint mir der Umstand, dass die gilja- kische Bezeichnung dieser Walfle (fschak) der oltscha-goldischen (dshogbo) sehr nahe kommt, o / o ß für eine Entlehnung derselben seitens der Giljaken von ihren tungusischen Nachbarn zu sprechen, wogegen die viel einfachere einzinkige Harpune, das Trrgngy, ihnen selbst eigenthüm- lich sein dürfte. In der Vorliebe der Oltscha und Golde für diese Art des Fischfanges, welche o der Jagd am nächsten steht, ja in der That mehr Fischjagd als Fischfang ist, tritt ihre tungu- sische Jägernatur deutlich zum Vorschein. Sie hängt auch aufs Innigste mit der Kühnheit, Leichtigkeit und Gewandtheit zusammen, mit welcher sie selbst bei hohem Wellengange im kleinen Birkenrindenkahne über das Wasser hingleiten. Sobald der so Dahinfahrende einen o grossen Fisch erblickt, legt er sein Doppelruder zur Seite und greift zu den kurzen Ruder- schaufeln, um sich mit Hülfe derselben lautlos dem Thiere so weit zu nähern, dass er die stets ’ bereit liegende und nie fehlende Harpune nach ihm schleudern kann. Ist diese tief genug ins Fleisch gedrungen, so wird der Fisch an dem von ihr auslaufenden Riemen herangezogen und ö 020: Do=20s je nach seiner Grösse entweder ins Boot gehoben, oder ins Schlepptau genommen und so ans Land gebracht. Erwägt man, dass mancher Amur-Lausen ein Gewicht von 30—40 Pud o io) und eine Länge von über zwei Faden erreicht), so darf man sich den Kampf, den der einzelne Jäger oder Fischer im leichten Rindenkahn mit einem solchen Koloss zu bestehen hat, nicht allzu leicht denken. Der Lohn, den der Stör- und Hausenfang den Oltscha und Golde bietet, liegt übrigens nicht bloss in dem zur Nahrung dienenden Fleisch und Fett der Thiere, sowie in o ko) > dem aus der Hausenblase gewonnenen Fischleim, sondern in sehr beträchtlichem Grade auch in den Knorpeln und dem Rückenstrange (Chorda dorsalis) des Thieres, die von den Chinesen hoch geschätzt und darum von den Eingeborenen, sorgfältig gereinigt und in Bündel gebunden, ım Handel mit denselben verwerthet werden. 1) So heisst der zu diesem Apparat gehörige Anker | 2) Przewalski [l. c., p. 63) erzählt von einem an der I 1-3 > bei den Giljaken tschabch, bei den Oltscha und Golde | Mündung des Ussuri gefangenen Exemplar, das 47 Pud J ’ > © - j tschaghbe, das durch denselben an den Boden geknüpfte | wog, so dass die Angabe der dortigen Chinesen, dass es Hauptseil bei jenen tyk, bei diesen dyka, der mit dem An- | selbst 50 Pud schwere Thiere gebe, nicht übertrieben er- gelhaken versehene Knuttel bei jenen Zita, bei diesen | scheint. kuital und kuitzale. 68" 538 Die Völker des Amwur-Landes. So gern die Oltscha und Golde dem Stör- und Hausenfang nachgehen, so bleibt ihr Haushalt im Wesentlichen doch, gleich demjenigen der Giljaken, auf dem Fange der in Massen aufsteigenden Lachse begründet. Denn auch sie bedürfen für sich sowohl wie für ihre Hunde der winterlichen, aus gedörrtem oder geräuchertem Lachs (makore und dalong, s. oben p. 426) bestehenden Fischvorräthe. Da sie jedoch den Winter zum grossen Theil auf der Jagd zu- bringen, die ihnen einen ansehnlichen Beitrag an unmittelbaren Nahrungsmitteln liefert, und in Folge minder regen und ausgebreiteten Handelsverkehrs mit einer geringeren Anzahl von Hunden als die Giljaken fürlieb nehmen, so ist auch ihr Bedarf an winterlichen Fisch- vorräthen minder gross als bei den letzteren. Und das lässt sie natürlich auch einen geringeren Fleiss und Eifer an die Beschaffung und Bereitung derselben wenden. Zu diesen gewissermaassen nur quantitativen Differenzen im Lachsfang der Oltscha und Golde, demjenigen der Giljaken gegenüber, gesellen sich insofern auch qualitative, als die einzelnen Lachsarten in verschiedener Ausdehnung und Häufigkeit den Amur und seine Nebenflüsse hinaufsteigen und darum für die resp. Anwohner derselben zum Theil von verschiedener Bedeutung sind. So verliert der bei den Orotschen, den Giljaken an der Meeresküste und am Amur und den Negda am Amgun] seiner massenhaften Züge wegen hochangesehene Salmo Proteus weiter stromauf sehr bald an Bedeutung. Zwar kommt er noch im gesammten Oltscha-Gebiete vor und soll z. B. den beim Dorfe Kada mündenden kleinen Fluss bis zu dem in seinem oberen Laufe gelegenen See hinauf steigen, ja ein bei ihnen wie bei den unteren Golde zum Fangen kleinerer Fische ge- braüchliches feinmaschiges Netz trägt nach ihm die Bezeichnung oko-magda, allein unter den Gorin-Fischen wurde er mir von den Samagirn in Ngagha nicht genannt, und eben so wenig wird er von Maack, Przewalski u. A. vom Ussuri erwähnt. Dagegen findet eine andere, den Giljaken minder wichtige Lachsart, S. Lycaodon, bei den Oltscha und Golde grössere Be- achtung. Während sie im Mündungstheil des Amur-Stromes den grossen Massen von 5. Proteus und S. lagocephalus gegenüber, zwischen deren Zügen sie in ungleich geringerer Zahl erscheint, nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, fällt ihr Erscheinen weiter stromauf, indem der erstere mehr und mehr zurückbleibt und der letztere später eintriflt, in eine verhältnissmässig fischarme Zeit und kommt somit einem fühlbaren Bedürfniss der Stromanwohner entgegen. Am 3./15. Juli 1855 sah ich die Oltscha von Adı und in den folgenden Tagen auch die Golde von Köurmi und der stromaufwärts nächstgelegenen Dörfer mit dem Fange der Chelke oder Sselke, wie sie $. Lycaodon nennen, beschäftigt: nicht nur labten sie sich am Genuss der frischgefan- genen Fische, sondern sie benutzten die reichliche Menge, in welcher dieselben zogen, auch zur Bereitung von Vorräthen, was die Giljaken mit dieser Lachsart (ihrem Well) in der Regel zu thun verschmähen. Trotzdem jedoch die genannten Oltscha- und Golde-Dörfer, wo ich $. Ly- caodon zahlreich gesehen habe, ganz nahe von der Gorin-Mündung liegen, scheint er in diesen letzteren Fluss nicht hineinzugehen, denn unter den von den Samagirn mir aufgezählten Fischen desselben fehlte die Chelke. Im Amur aber kommt er auch weiter stromauf vor und wird von den Golde oberhalb des Geong-Gebirges mit dem Namen «ur bezeichnet. Den Ussuri scheint er gleichwohl nicht zu erreichen; zum wenigsten habe ich dort keinerlei Kunde von ihm erhalten, Oltscha, Golde. Zugzeit und Fang von Salmo lagocephalus im unteren Amur. 5339 und in den späteren Mittheilungen Maack's und Przewalski’s über die Fischfauna dieses Flusses wird er auch nicht erwähnt. Bei Weitem die wichtigste aller Lachsarten ist jedoch für alle tungusischen Stämme des unteren Amur-Landes, gleich wie auch für die Giljaken, S. lagocephalus, bei allen daua oder dawa') genannt. Dieser Lachs geht aus dem unteren Amur in alle Nebenflüsse desselben, den Am- gunj, Gorin, Chongar, Ussuri hinein und steigt bis zu ihren obersten Zuflüssen hinauf. Im Gebiete des letzteren vermeidet er merkwürdigerweise nur den sonst so fischreichen Kengka-See und zwar, wie Przewalski?) vermuthet, wegen des allzu trüben Wassers desselben. Sein Zug den Ussuri aufwärts soll etwa 14 Tage, von der Mitte des Septembers an, dauern. Als ich im Spätsommer 1855 den Amur von der Ussuri-Mündung abwärts fuhr, begegnete ich den ersten Exemplaren des aufsteigenden S. lagocephalus am 25. und 26. Aug. (6. und 7. Sept.) bei Ssoja und Emmero am Ausgange des Geong-Gebirges. Drei Tage später traf ich ihn bei Chongar und Onmoi sehon in massenhaftem Zuge und die Golde ganz und gar vom Fange desselben in Anspruch genommen. Ein bejahrter und sehr verständiger Mann im letztgenannten Dorfe, wo ich ein paar Tage rastete, theilte mir mit, dass der Massenzug der Daua daselbst etwa 10 Tage lang währe, worauf sie zwar spärlicher werde, aber doch noch etwa 20 weitere Tage zu ziehen fortfahre. Weiter stromabwärts drehte sich Alles ausschliesslich um den Fang und die Be- reitung von Wintervorräthen aus diesem Fisch, Alles schwelgte im Genusse desselben, die um die Jurten stehenden Trockengerüste waren mit dichten Reihen zerstückelter Fische, gleich breiten rothen Bändern, behängt, und der die Luft verpestende Abfall bot Hunden, Krähen und Schmeissfliegen reichliche Nahrung. In Mongole, nahe der Nordgrenze der Oltscha, meinten die Leute am 13./25. Sept., der Massenzug der Daua sei schon zu Ende, und es stiegen nur noch die Nachzügler stromauf. Dennoch fand ich die Giljaken bis nach Nikolajefsk noch allenthalben eifrig mit dem Fange des Lyghi-tscho, sei es an den Lachswehren, sei es mit Hülfe gewöhnlicher Netze beschäftigt. Der Fang des 5. lagocephalus geschieht übrigens bei den Oltscha und Golde genau in derselben Weise wie bei den Giljaken, theils mit gewöhn- lichen Netzen, die, von bestimmter Maschengrösse, nach diesem Hauptfisch den Namen daua- magda tragen, theils mit Hülfe der oben beschriebenen, von ihnen mynga genannten Lachs- wehren. Das saekförmige Netz an diesen letzteren (adıle) ist auch genau wie das myrch-kä der Giljaken beschaffen, ebenfalls mit Signalschnüren (gilj. umyssj, oltsch. und gold. ssöracha) versehen und wird auch ebenso gehandhabt. Doch sind die Lachswehren bei den Oltscha und Golde, den obigen allgemeinen Bemerkungen über ihren Fischfang im Vergleich mit demjenigen der Giljaken entsprechend, in der Regel kleiner, minder sorgfältig gemacht und auch minder zahlreich als bei den letzteren. Dem mit dem Erscheinen von S. /agocephalus sich einstellenden Ueberllusse an Fisch geht eine längere verhältnissmässig fischarme Zeit voraus, in welcher die Oltscha und Golde auf 1) Das 20 ist hier wie das englische ww auszusprechen. | 2) L. c., p. 97, Anmerk. 540 Die Völker des Amur-Landes. die ständig im Amur lebenden Fische angewiesen sind. Unter diesen spielen bei ihnen, von den bereits besprochenen Acipenser-Arten abgesehen, einige Cyprinoiden, wie Cyprinus Carpio (oltsch. uja, gold. kyzzi), Carassius vulgaris (oltsch. und gold. changu), Pseudaspius leptoce- phalus (oltsch. und gold. ssowa und ssua), Hypophtalmichthys Dybowskii (oltsch. und gold. takko und tawo), Oulter erythropterus (oltsch. und gold. dsads’chi) u. a., sowie Salmo fluviatilis (bei den Oltscha und Golde dshäl, beiden Samagirn am Gorin dshölt), der Wels, Silurus asotus (oltseh. und gold. Zacha), und der Hecht (oltsch. koro, gold. guzza, samagır. gutscha) die Haupt- rolle. Aus den beiden letzteren habe ich sie sogar Jukola bereiten sehen, wenn auch nur in geringer Quantität und bloss für die nächste Zukunft. Gewiss dürfte ein so fischreicher Strom wie der Amur seinen Anwohnern auch in der Zeit, da er nicht von aufsteigenden Lachsarten angefüllt ist, einen reichen Ertrag an Fischen liefern, wofern sie nur mit Fleiss und Energie den Fang derselben betreiben wollten, aber in dieser Beziehung stehen die Oltscha und Golde den Giljaken weit nach. Ich habe die Golde bisweilen mitten im Sommer arg darben sehen; statt aber energisch an den Fischfang zu gehen, der ihre Mühe, wenn auch nicht in dem Maasse wie zur Zeit der aufsteigenden Lachse, doch sicher mit Erfolg gekrönt hätte, begnügten sie sich damit, in der Nähe des Ufers in fauler und bequemer Weise kleine Fischehen zu angeln, die der augenblicklichen Noth abhelfen sollten. Es fehlt ihnen eben, um die natürliche Indolenz zu be-_ siegen, an der den Giljaken eigenen Liebe zum Fischfang, wenn dieser nicht, wie beim Stör- und Hausenfang, vermittelst der Harpune betrieben, den Charakter der Jagd trägt. Bezüglich der Fischernetze der Oltscha und Golde ist zu bemerken, dass dieselben, bei gleicher Beschaffenheit mit den giljakischen, doch hinsichtlich der Anfertigungsmaterialien eine gewisse Verschiedenheit darbieten: denn sie werden nicht bloss aus der Nessel, sondern, und zwar je höher stromauf um so häufiger, auch aus den Stengeln der Hanfpllanze (Cannabis sa- fiva L., oltsch. und gold. onochto) verfertigt, die mit Nesseln und Artemisien in grosser Menge um ihre Jurten wuchert. An Stelle der Steine ferner, mit denen die Giljaken unter Umständen ihre Netze beschweren, gebrauchen sie eigens zu dem Zweck bestimmte Lehmstücke (übicha) von länglich-parallelipipedischer Form, die genau zwischen die beiden das Netz umrahmenden Weidenbastschnüre (oltsch. und gold. bartoche) passen und mit entsprechenden Riemen zur Be- festigung an dieselben versehen sind. Zur Anfertigung dieser Netzbeschwerer dient eine aus zwei einzelnen Hälften bestehende hölzerne Form: diese wird zuvor mit Fischthran ausgeschmiert, darauf der Lehm hineingestampft, und alles über die Form Hinausragende mit dem Messer abgeschnit- ten. Gebrannt aber werden diese Lehmstücke, nachdem sie aus der Form herausgenommen worden, nicht, sondern nur auf den warmen Sitzbänken oder vor dem Herdfeuer der Jurte ge- trocknet und leicht gehärtet. Anstatt der bei den Giljaken üblichen, aus Holz oder Borke be- stehenden Schwimmer gebrauchen endlich die Oltscha und Golde an ihren Netzen parallelipi- pedisch zurechtgeschnittene Korkstücke (oltsch. und gold. kolto und kochto) von der dem Amur- Lande eigenen Baumart P’hellondendron amurense Rupr., und zwar findet man sie bei den ersteren schon unterhalb Kidsi im Gebrauch, obgleich der betreflende Baum erst viel weiter stromaufwärts, etwa von der Chongar-Mündung und Onmoi an auftritt. Solche Korkstücke an Zurücktreten des Fischfanges und geringerer Fischreichthum im oberen Amur-Lande. 544 den Fischernetzen der Eingeborenen waren es auch, die uns zuerst auf das Vorkommen eines korkbildenden Baumes im Amur-Lande aufmerksam machten. Bleibt bei den tungusischen Völkern des unteren Amur-Landes, trotz der ihnen innewohnenden Neigung zur Jagd, der Fischfang doch als Hauptbeschäftigung bestehen, welche ihnen sowohl wie ihrem einzigen Hausthier, dem zum Anspann in grosser Anzahl gehaltenen Hunde, die Existenz sichert, so kehrt sich dies Verhältniss bei ihren Stammgenossen im oberen Amur-Lande vollständig um. Während jene, an den fischreichen Riesenstrom und seine grossen Zullüsse gelangt, ihr Jäger- leben aufgaben und zu mehr oder minder sesshaften Fischern wurden, die je weiter stromab- wärts, um so mehr die Lebensweise ihrer Lehrmeister im Fischfang, der altangesessenen Gilja- ken annahmen, sind die tungusischen Völker des oberen Amur-Landes bis auf den heutigen Tag Jagdnomaden geblieben, die nur zeitweise, im Sommer, aus ihren Jagdgründen an den Amur herabziehen, um sich den Fischreichthum desselben zu Nutzen zu machen, und zwar nur behufs ihrer eigenen Nahrung, da ihre Haus- oder richtiger Wanderthiere, Renn und Pferd, von her- bivorer Natur sind. Der Fischfang spielt bei ihnen daher, der Jagd gegenüber, nur eine ganz untergeordnete Rolle, indem er nur einen Zuschuss zu ihrer Nahrung liefert und eine gewisse Abwechselung in dieselbe bringt. Mit dieser Erscheinung im Leben und in der Geschichte der Amur-Völker steht auch die Thatsache in causalem Zusammenhange, dass der Amur-Strom in seinem oberen Laufe lange nicht den Fischreichthum wie im unteren hat. Diejenigen Fische namentlich, die dureh ihr regelmässiges und massenhaftes Aufsteigen aus dem Meere in den unteren Amur-Strom und seine Zuflüsse den Anwohnern derselben eine sichere und ergiebige Existenzquelle bieten, die verschie- denen, oben besprochenen Lachsarten und unter ihnen insbesondere der im gesammten unteren Amur-Lande an erster Stelle stehende Salmo lagocephalus, gehen dem oberen Amur-Laufe mehr oder minder ab. Middendorff wurde, vermuthlich von den ihn begleitenden Tungusen, ange- geben, dass der Keta-Lachs die Bureja nicht mehr erreiche; der Unmü, ein Fluss, den ich jedoch mit keinem der mir bekannten zu identilieiren weiss, sei der höchste Zufluss des Amur, bis zu dem er hinaufsteige'). Maack giebt an, dass er bis zur Mündung des Komar und dann diesen Fluss hinaufsteige, im Amur aber oberhalb dieser Mündung nur sehr selten vorkomme°). Das Erstere erscheint mir noch sehr fraglich, das Letztere hingegen ganz glaubwürdig. In den Quellllüssen des Amur-Stromes, Schilka und Argunj, fehlt er jedenfalls gänzlich, und die von dort gekom- menen Ansiedler am oberen Amur mochten ihn daher, nach Schmidt's®) Bemerkung, als einen 1) Middendorff, Reise, Bd. IV, p. 1261. Auf der von ihm nach chinesischen Quellen zusammengestellten, | Stanowoi-Gebirges» findet sich dieser Fluss nicht. 2) Maak®ı, lIyreu., erp. 74. aber nicht erschienenen «Uydrographischen Karte des | 3) Histor. Bericht ete., p. 20. 542 Die Völker des Amur-Landes. ihnen unbekannten Fisch, gar nicht essen. So darf Salmo lagocephalus, dank seiner auf das un- tere Amur-Land beschränkten Verbreitung und der grossen Bedeutung, die er für dessen ge- sammte Bevölkerung hat, vom ethnologischen Gesichtspunkte als eine prägnante Charakterform des unteren Amur-Landes im Gegensatz zum oberen bezeichnet werden. Wird durch die oben erwähnte Verbreitung der Lachse und insbesondere des S. lagoce- phalus ein wesentlicher und charakteristischer Unterschied zwischen dem oberen und dem unteren Amur-Lande in Betrefl des Fischfanges bedingt, so geben hingegen die dem gesammten Amur- Strom bis in seine daurischen Quellllüsse hinein eigenen Acipenser-Arten einen gemeinsamen, beide Theile unmittelbar mit einander verknüpfenden Zug ab. Wie ihre Stammgenossen im unteren Amur-Lande, so gehen auch die Biraren, Manägirn und Orotschonen mit beson- derer Vorliebe dem Fange dieser grössten Fische des Amur-Stromes, namentlich des riesigen Amur-Hausens nach und betreiben denselben zumeist, nicht etwa wie die Giljaken mit Fischer- netzen, sondern, wie es Jägervölkern nahe liegt und geziemt, mit der vom leichten Rindenkahn aus zu schleudernden Harpune'). Jede einzelne Beute der Art liefert den Jägern, gleich ihren grösseren Waldthieren, wie Elenn, Hirsch und drgl., ein beträchtliches Quantum an Fleisch zur Nahrung und ausserdem noch eine Menge des im Handel mit den Chinesen sehr vortheilhaft zu verwerthenden Knorpels. Als ich auf meiner Reise den Amur aufwärts durchs Manägir- Gebiet ging und mich am 17./29. August an der Stelle befand, wo das alte Albasin gestanden hatte, und wo jetzt zwei Manägir-Zelte sich befanden, war ich Zeuge davon, wie ein eben erlegter grosser Hausen im Schlepptau eines Rindenkahnes ans Land gebracht wurde, um zerlegt und zwischen allen Zeltinsassen vertheilt zu werden. Zuerst wurde der Kopf vom Rumpfe abgetrennt und, wie es hiess, zum Schutz vor Fäulniss und vor den sich ansammelnden Fliegen, wahr- scheinlicherweise jedoch einem auch bei den Eingeborenen des unteren Amur-Landes hinsicht- lich mancher Jagdthiere herrschenden Aberglauben zufolge, auf den ich später noch zurück- kommen werde, ins Wasser unfern vom Ufer versenkt. Alsdann wurden die Schilderreihen ent- fernt, das Thier ausgeweidet und der Magen und Darm desselben weggeworfen, die übrigen Weichtheile aber, wie Herz und Leber und alles Fleisch, so zergliedert und zerstückelt, dass ein Jeder einen ungefähr gleichen Antheil vom Fisch erhielt, mit dem er nach Belieben walten konnte. Leider fiel meine Reise durch das Gebiet der Manägirn und Orotschonen in eine Jahreszeit, da die meisten derselben den Amur bereits verlassen hatten und ihren herbst- und winterlichen Jagdgründen zugezogen waren. In Folge dessen bin ich nicht im Stande, aus eigener Erfahrung Näheres über die Art und Weise ihres Fischfanges mitzutheilen. Die an den verlassenen Zeltstellen hie und da stehen gebliebenen, zum Trocknen von Fischen dienlichen Holzgerüste gaben aber Zeugniss davon, dass der Fischfang im Amur ihnen nicht bloss zur zeit- weiligen Nahrung, während des Aufenthalts am Strome, sondern auch zur Bereitung von man- 1) Auch die Bezeichnungen dieser Fische lauten bei | den Orotschonen Aec. orientalis—adsin, Ac. Schrencki — | den oberen Amur-Völkern sehr ähnlich wie bei den obe- | külemma. ren Golde: so heisst, nach Maack (l. c., p. 58 u. 60), bei Giljaken. Seehundsfang nächst dem Fischfang die Hauptbeschäftigung. 543 chen Vorräthen für die Zukunft dient. Doch können diese schon der mangelhaften, den Noma- den zu Gebote stehenden Transportmittel wegen nur gering sein, nicht grösser, als sie auch beim Wechsel ihrer einzelnen Jagdgründe sein dürfen. Fassen wir es zum Schluss kurz zusam- men, so ist der Fischfang bei diesen Völkern nicht, wie bei denjenigen des unteren Amur-Lan- des, eine stetige, für die gesammte Haushaltung unbedingt nothwendige Existenzquelle, die sie zu einer mehr oder minder festen Sesshaftigkeit zwingt, sondern nur eine zeitweise geübte, in ihr sonstiges Nomadenleben als Jäger sich einfügende Nebenbeschäftigung. In dieser verschie- denen Bedeutung des Fischfangs und der Jagd für die Völker des oberen und des unteren Amur-Landes liegt der wesentlichste, Ausschlag gebende Unterschied ihres gesammten Seins und Lebens. Bevor ich zur speciellen Besprechung der Jagd bei den Amur-Völkern übergehe, muss ich noch zweier Arten von Thierfang erwähnen, welche, auf Grund der bestehenden Naturverhältnisse, nur im unteren Amur-Lande betrieben werden und daher neben den oben besprochenen Ver- hältnissen des Fischfanges wesentlich verschiedene Züge im Lebensbilde der unteren und der oberen Amur-Völker abgeben. Ich meine den Seehundsfang und den Delphin- oder Weiss- walfang. Gleichwie im Fischfange, so stehen auch in diesen beiden Betriebszweigen unter allen Völkern des Amur-Landes obenan die Giljaken. Wie gross und vielfältig bei ihnen die un- mittelbare Verwendung der Seehunde zur Nahrung und Kleidung, zur Erhaltung der Hunde, Bereitung der Lokomotionsmittel und anderer Bedürfnisse des täglichen Lebens sind, kann man aus den vorhergehenden Schilderungen zur Genüge ersehen. Nächst dem Fischfang ist daher der Seehundsfang ihre Hauptbeschäftigung, der sie dank der geographischen Lage ihres Wohngebietes allenthalben nachgehen können: an den Küsten des Ochotskischen Meeres, auf dem Festlande wie auf der Insel Sachalin, am Amur-Liman und Amur-Strom, in welchem die Seehunde, wie schon erwähnt, bis in das Oltseha-Gebiet hinein aufsteigen. Ja, bei den Küsten- Giljaken, am Ochotskischen Meer und im Liman, geht der Seehundsfang vielfach sogar dem Fischfange vor. Diesen Giljaken sieht man es auch schon an ihrer in höherem Maasse, ja oft ganz aus Seehundsfellen bestehenden Kleidung an, dass der Seehundsfang bei ihnen eine noch weit wichtigere Rolle als bei den Amur-Giljaken spielt. Hiebei sei bemerkt, dass es im Amur- Liman auch zwei Ortschaften giebt, die den Namen «Langr-wo» oder abgekürzt «Lang und «Langri», d. h. Seehundsdorf, tragen, sei es nun, weil sie für den Seehundsfang besonders gün- stig gelegen sind, oder weil ihre Bewohner denselben mit besonderem, traditionell gewordenem Geschick und Erfolg betreiben. Ueber den einen dieser Orte, das an der Westküste Sa- chalin’s gelegene Langri, welches nach Glehn') nur das Sommerdorf der Giljaken von Tulksj 1) S. oben, p. 332. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 69 zı = En _ Die Völker des Amur-Landes. ist, vermag ich nichts weiter zu sagen. Der andere aber, das am Eingange aus dem Ochotski- schen Meer in den Amur-Liman auf einer kleinen Insel gelegene Langr, das ich selbst be- sucht habe, scheint seinen Namen und die an denselben geknüpften Vermuthungen vollständig zu rechtfertigen. Es ist eines der grössten Dörfer des Amur-Limanes, und seine Bewohner stehen in lebhaftem Handelsverkehr mit den Amur-Giljaken, wobei ihnen namentlich die Ergebnisse ihres Robbenschlages, Seehundsfelle und -Häute und Seehundsthran, als Tauschartikel den letz- teren gegenüber dienen. Dieselbe Rolle, die Langr im nördlichen, spielt Tschomi im südlichen Theile des Amur-Limanes. Dort giebt namentlich die kleine Gruppe der Hagimif-Inseln eine von allen zunächst wohnenden Festlands-Giljaken des Seehundsfanges wegen vielfach besuchte Lokalität ab. Die rührigen Tschomi-Giljaken begeben sich jedoch, um den Seehundsfang zu betreiben, auch südlich vom Amur-Liman, in die Mamia-Rinsö-Strasse und an das Nordende des Nordjapanischen Meeres, sowie nach der gegenüberliegenden Küste Sachalin’s, wo ich sie z. B. in Poghobi zu dem Zweck habe weilen sehen. In kaum geringerem Umfange wie im übrigen Amur-Liman wird der Seehundsfang auch an der unmittelbaren Mündung des Amur-Stromes, in Tscheharbach, Ngale-wo, Pronge betrieben, wo namentlich die kleine Insel Uisut einen beson- ders günstigen Punkt für denselben darbietet. Nach Angabe der Giljaken gehen alle Seehundsarten des Amur-Limanes auch in den Amur- Strom hinein, mit alleiniger Ausnahme des «Alch», Phoca equestris Pall., doch sollen die alten Thiere sich nur wenig von der Mündung entfernen, während die jüngeren höher hinaufsteigen. Am weitesten stromaufwärts geht jedenfalls die Ph. nummularis Schleg., die im erwachsenen Zu- stande von den Giljaken pyghi-langr, von den Oltscha gjäuchssa genannt wird. Dies ist daher die wichtigste Seehundsart für die Amur-Giljaken. Ihrem mehr oder minder stark gelleckten Fell begegnet man bei ihnen allenthalben und in der mannigfachsten Verwendung, an Kleidungs- stücken, wie sie oben genauer besprochen worden, Schneescehuhen, Handsäcken und Täschehen u. dgl. m. Kaum minder wichtig ist ihnen aber auch der im Strome seltnere Kighitsch, die Ph. barbata Müll., deren diekere, ihres Haares entkleidete Haut zur Anfertigung der Fussstücke und Sohlen an den Stiefeln, des Hundeanspannes und der überall nothwendigen Riemen dient. In den beiden grössten Flüssen Sachalin’s, dem Tymy und Plyi oder Poron-ai, sollen die Seehunde etwa 60 Werst aufwärts steigen !), doch ist über das Verhalten der einzelnen Arten dabei bisher noch nichts bekannt. An der Meeresküste und im Amur-Liman findet der Seehundsfang zu allen Jahreszeiten statt. Im Winter und überhaupt so lange die Eisdecke besteht, lauern die Giljaken den Seehunden an den Stellen auf, wo sie zum Athmen an die Eısoberfläche kommen, um sie mit der gewöhn- lichen, auch zum Stechen von Stören und Hausen dienlichen Harpune, dem Tugngy°) (Taf. XL, Fig. 2), zu erlegen oder auch, wenn sie auf das Eis selbst herausgekrochen sind, vom Wasser 4) Mnuy.s, Ouepkrs ocrp. Caxa.ı., C.-IIerep6. 1873, | gebildeten eisernen Spitze, wird aber auch für die ganze, erp. 48. mit einer Stange zum Schleudern versehene Harpune 2) Diese Bezeichnung gilt zunächst der beifolgend ab- | gebraucht. Giljaken. Verschiedene Arten des Seehundsfunges. >45 abzuschneiden und einfach zu knüppeln. Letzteres kann namentlich zum Frühling hin häufiger und in grösserem Umfange ausgeführt werden, weil die Seehunde sich alsdann gern zum Son- nen auf die Eisoberfläche begeben sollen. Sowohl die Tschomi-Giljaken, die ich in Poghobi traf, als auch die Bewohner von Tägl an der Festlandsküste des Ochotskischen Meeres nannten mir daher übereinstimmend den April, arkail-long, als denjenigen Monat, mit welchem der er- giebigere Seehundsfang an der Meeresküste und im Liman beginnt. Im Amur hingegen wird der Seehundsfang nur in der Zeit betrieben, da der Strom unbeeist ist, und zwar hauptsächlich im August, dem pilja-tschrar-long, weil die Seehunde sich alsdann in grösster Anzahl in den Strom begeben, um sich von den in demselben massenhaft aufsteigenden Keta-Lachsen (5. lagocephalus) zu nähren. Aehnliches findet auch an der Tymy-Mündung auf Sachalin statt, wo sich alsdann nicht bloss die anwohnenden Giljaken und Oroken, sondern auch die zum Zweck des Fischfanges vom oberen Tymy-Lauf gekommenen Giljaken neben dem Fisch- auch mit dem Seehundsfange abgeben. Zum letzteren bedienen sich die Giljaken bei offenem Was- ser allenthalben, in der See sowohl, wie im Amur-Liman und Amur-Strom, theils der gewöhn- lichen Harpune (tugngy, Taf. NLU, Fig. 2), die vom Boot aus geschleudert wird, theils und zu- meist einer anderen, eigens zum Seehundsfange bestimmten Wafle, die bei ihnen /ych heisst. Diese besteht aus einem etwa einen Fuss langen Brettchen, das nach vorn hin ein wenig aul- steigt und in eine horizontal gerichtete Zinke ausläuft (ebenda, Fig. 1), auf welche die gewöhn- liche, mit einem langen Riemen versehene Harpunenspitze (tugngy) aufgesetzt wird. Mit seinem hinteren Ende dagegen, wo sich eine tief eingeschnittene Rinne befindet, wird das Brettchen an eine 10—13 Faden lange, aus mehreren Stücken zusammengesetzte Stange (gilj. ta) befestigt). Dank einer solchen Länge des Griflstockes kann der Angrill auf die scheuen und vorsichtigen Thiere mit dieser Wafle aus ansehnlicher Entfernung geschehen. Die ganze Walle wird zu dem Zweck aufs Wasser herabgelassen und von dem im Boot oder am Ufer möglichst versteckt liegenden Jäger mit ihrer Spitze voran so lange langsam und vorsichtig gegen den auf einem Stein ruhenden oder sonst wie zum Vorschein gekommenen Seehund vorgeschoben, bis sie sich demselben so weit genähert hat, dass ein plötzlicher kräftiger Stoss genügt, sie in den Leib des Thieres zu treiben, worauf dieses vermittelst des langen, an die Harpune befestigten Riemens ans Boot oder Ufer herangezogen und geknüppelt wird. Die Amur-Giljaken pflegen wohl auch an gelegenen, von Seehunden oft besuchten Lokalitäten hie und da, in entsprechender Entfernung vom Ufer einen oder ein paar schwimmende Balken an einen in den Grund getriebenen Pfllock zu befestigen, um die Seehunde zum Herauskommen aus dem Wasser zu veranlassen und sie alsdann aus dem Versteck mit dem bereitgehaltenen Lych zu erlegen °). 1) Auf der Insel Uisut, von welcher aus viel Seehunds- | Russow, Iheils nach den von meinem Reisebegleiter, fang betrieben wird, sah ich eine solche Stange liegen, die | Hrn. Poliwanof, an Ort und Stelle gemachten oder in 40 Schritte lang war. meinem Reisetagebuch enthaltenen Originalskizzen, theils 2) Die Zeichnungen sowohl zu dem umstehenden Holz- | nach den betreffenden Gegenständen unseres Museums schnitt, als auch zu denjenigen, die auf S. 485, 492, 502, | angefertigt worden. Ich nehme daher Gelegenheit, ihm 509 und 529 mitgetheilt worden, sind vom Custos unse- | meinen verbindlichsten Dank dafür auszusprechen. res Anthropologisch-ethnographischen Museums, Hrn. Fr. 69* 546 Die Völker des Amur-Landes. Selbstverständlich knüpft sieh bei den Giljaken auch an den Seehundsfang mancher Aber- elauben. So trägt stets, gleich dem oben besprochenen Odn-tschongr '), auch das Lych auf seiner Gebrauch des Lych’s zum Seehundsfang bei den Giljaken. oberen Seite, nahe der Spitze, ein roh eingeschnitztes Gesicht, dessen Vorhandensein zum erfolgreichen Gebrauch der Wafle für wesentlich gehalten wird. Ferner verlangt es der Aber- glauben, dass dem erlegten Seehunde zuallererst, und bevor noch an seine Verwendung gegan- gen wird, die Augen mit einem Messer ausgestochen werden, wobei man die mit der Hohlhand aufgefangene Augenflüssigkeit ins Wasser wirft, und dass ferner die Schnauzenspitze, oder aber, um Beides zugleich zu erreichen, auch der ganze Kopf abgehauen und ins Wasser versenkt wird. Der leitende Gedanke dabei ist, das erschlagene Thier in Unkenntniss über seinen Mörder zu lassen und somit einer etwaigen, künftighin Misserfolge in der Seehundsjagd bewirkenden Rache sei- ner Manen zu entgehen. Offenbar dürfte dieselbe Vorstellung auch dem oben erwähnten, ähn- lichen Verfahren der Manägirn mit den erschlagenen Hausen und Stören zu Grunde liegen. Die Giljaken jedoch schätzen diese Fische zu sehr, um allemal ihre Köpfe zu opfern, und mögen sich daher in einer anderen und billigeren Weise mit dem Aberglauben abfinden. Viel- leicht begnügen sie sich damit, ihnen die Augen auszustechen, doch habe ich auch dieses selbst nicht gesehen. Ihr oben angeführtes Verfahren mit den Seehunden war mir übrigens insofern g, ganz vollständige und intakte Bälge sehr ungelegen, als es mir in Folge desselben nicht gelan von den Seehunden des Amur-Landes zu erhalten. Wie bei den Giljaken, so spielt der Seehundsfang auch bei den an beiden Küsten Sacha- lin’s wohnenden Aino eine wichtige Rolle und wird von diesen auch in ganz ähnlicher Weise betrieben. So ist, den Mittheilungen Mizul’s zufolge), auch bei ihnen die oben beschriebene langstielige Harpune, das giljakische Lych, im Gebrauch, und Mamia Rinsö erwähnt bereits 1) S. oben, p. 520. | w = 1. c., p. 130. Orotschen, Oltscha, Negda. Seehundsfang. — Giljaken. Weisswalfang. 547 dass sie kleine Holzflösse im Wasser treiben lassen, auf welche die Seehunde heraufzukriechen pflegen, und diese alsdann mit Wurfspiessen erlegen '). Unter den tungusischen Völkern des Amur-Landes sind nur einige wenige durch die Lage ihres Wohngebietes unter anderen Existenzquellen auch auf den Seehundsfang angewiesen, oder aber denselben überhaupt nur zu betreiben ermöglicht. Das Erstere ist namentlich bei den Orotschen der Meeresküste der Fall, die den Seehundsfang nicht bloss zur Befriedigung ihres eigenen Bedarfes an Seehundsfellen, -Häuten und -Thran betreiben, sondern demselben auch wichtige Tauschartikel zum Handel mit ihren westlichen Nachbarn, den Golde, entnehmen. Dennoch tritt auch bei den Orotschen der Seehundsfang weit hinter die mit Vorliebe betriebene Jagd auf die Thiere des Waldes zurück. Auch die Oltscha ferner haben, wenn auch in geringerem Grade, Gelegenheit, sich in den eigenen Grenzen mit dem Seehunds- fange abzugeben, dank einerseits ihren Wohnsitzen an der Bai de Castries und andererseits dem Aufsteigen der Seehunde im Amur-Strome bis weit in ihr Gebiet hinein. Dass sie denselben ganz nach Art der Giljaken betreiben, an denen sie auch darin ihre Lehrmeister haben, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Negda endlich, obgleich entfernt vom Meere wohnend, begeben sich doch alljährlich in einiger Anzahl vom Amgunj und insbesondere von ihren nordöstlichsten Wohnsitzen an den Seen Orell und Tschlja übers Gebirge ans Ochotskische Meer, um sich dort eine Zeit lang mit dem Seehundsfange zu beschäftigen °). Von den übrigen tungusischen Völkern des Amur-Landes kann bezüglich des Seehunds- fanges keine Rede sein. In engeren Grenzen noch als der Seehundsfang kommt für das Amur-Land der Weiss- walfang in Betracht. Die Verbreitung des Weisswals (Delphinapterus Leucas Pall. gilj. pomi-tscho, oltsch. malta) im Amur-Lande fällt ziemlich mit dem Wohngebiet der Giljaken zusammen; nur an der Ostküste Sachalin’s und im Amur-Strome geht sie etwas über dasselbe nach Süden hinaus, während sie an der Westküste der Insel hinter demselben nordwärts zurück- bleibt. Ein Bewohner hochnordischer Meere, zu denen auch das Ochotskische seinem Gesammt- charakter nach gehört, steigt der Weisswal an der Ostküste Sachalin’s bis zu ihrem Südende hinab und kommt namentlich noch in grosser Zahl im Golfe der Geduld und an der Poronai- Mündung vor?). Dem wärmeren Nordjapanischen Meere bleibt er hingegen fern. Wie im ersten 1) Mamia Rinsö, Tö-tats kiko (Siebold, Nippon, | Ero ke, Oruern 06% uacaba. na oerp. Caxaammb, 8% TO :Ruo- VIT, p. 185). 91 | Veeypiiter. xpab u »u Anonin (Hpmaoon. wu XLVIN r. 2) Nach Boschnjak u. Schmidt, s. oben, p. 15 u. 30. 3ar. Inn. Acan. Hayes, N 6, erp. 5—7). An dem letzte- 3) Hoaakonn, Hyrem, na ocrp. Caxasmın (Ipıaose. | ren Orte berichtet Poljakof, dass der Weisswal sich vor xp XIX r. Has. Hann, Pycer. Deorp. Oö, erp. 107, 111). | der Mündung des Poro-nai in grossen Schaaren einfindet, 548 Die Völker des Amur-Landes. Bande dieses Werkes!) bereits ausführlich dargethan, geht er aus dem Ochotskischen Meere in den Amur-Liman und Amur-Strom hinein und steigt im letzteren bis zu einer ansehnlichen Entfernung von der Mündung aufwärts, durch das ganze Wohngebiet der Giljaken hindurch und bis in dasjenige ihrer südlichen Nachbarn, der Oltscha, hinein, wobei er sich stets an das tiefste Fahrwasser des Stromes hält und daher meist längs dem hohen rechten Ufer desselben zieht. Besonders zahlreich sieht man ihn namentlich im untersten, giljakischen Theile des Amur- Stromes, und zwar im August und September, wenn er den in Menge aufsteigenden Lachsen (S. lagocephalus) entgegen dem Meere zuzieht. Dort lenkten die beständig im Strome auf- und untertauchenden kolossalen, blendend weissen Thiere auch schon die Aufmerksamkeit des japa- nischen Reisenden Mamia Rinsö auf sich ?). Bei solcher Verbreitung des Weisswales im Amur-Lande sind die Giljaken ziemlich das einzige seiner Völker, das sich mit dem Fange desselben beschäftigt. Die Aino an der Ostküste Sachalin’s hätten zwar auch Gelegenheit dazu, allein bei keinem der Reisenden, die sie kennen gelernt, ist von einer solchen Beschäftigung derselben die Rede. Wenig "geneigt zu kühneren Jagdunternehmungen, begnügen sie sich vermuthlich auch den Weisswalen gegenüber nur da- mit, die an der Küste gestrandeten Individuen auszubeuten, gleich wie sie es mit den grösseren, eigentlichen Walfischen thun. Mit den letzteren machen es auch die Giljaken nicht anders, den Weisswalen dagegen stellen sie mit bewaflneter Hand nach, und zwar dient ihnen dazu eine eigens zu dem Zweck bestimmte Harpune, das bei ihnen sogen. Parr (Taf. XL, Fig. 3 u. 4). Dieses besteht aus einer kurzen und dieken knöchernen Röhre, in welche eine dolehför- mig zweischneidige und spitze, hinten jederseits mit einem Widerhaken versehene eiserne La- melle eingefügt ist. Dieses Stück wird auf einen zum Schleudern dienenden hölzernen Schaft (gilj. wer!) aufgesetzt und ist ausserdem noch mit einem langen und kräftigen Riemen versehen, an welchem das verwundete Thier, je nachdem wo der Jäger sich befindet, entweder ans Boot, oder auch direkt ans Land herangezogen wird, um vollends todtgeschlagen zu werden. Auch hier, wie bei der Seehundsjagd, verlangt es der Aberglauben, und vermuthlich auch in Folge einer ähnlichen Vorstellung, dass dem erlegten Thiere zuallererst der Kopf abgetrennt werde; doch wird derselbe nicht ins Wasser versenkt, sondern an einen am Ufer stehenden Baum Mir sind an verschiedenen Stellen des rechten Amur-Ufers derartige mit zahlreichen Weiss- gehängt, nachdem alles Muskellleisch und drgl. von ihm zuvor entfernt worden ist. walschädeln behängte Bäume begegnet, die zugleich von ergiebigen Jagden der Giljaken noch bevor der Fluss seine Eisdecke abgeworfen hat, und zur Ebbezeit unter derselben Nlussaufwärls steigt, wo- bei ihm die zwischen ihr und der alsdann niedrigeren Flussoberflache enthaltene Luftschicht das Athmen er- möglicht. Tritt aber die Fluth ein, so kehren alle Indivi- duen, oft mit ihren Jungen auf dem Rücken, wieder ins Meer zurück. Dieses Verschwinden und Wiedererscheinen der Weisswale vor der Poronai-Mundung wiederholte sich mit der Regelmässigkeit der Fluth- und Ebbeerscheinung, und von den Bewegungen der Thiere unter der Eisdecke gaben die auf derselben aufgeregt schnuffelnden und bel- lenden Hunde Zeugniss. 1) Saugethiere des Amur-Landes, p. 191. 2) «Sira-kuzira», weisse Walfische, nennt sie der Rei- sende (Tötats-ki ko in Siebold, Nippon, VII, p. 177). Gijaken. Die Weisswaljagd ein charakteristischer Zug ihres Lebens. >49 auf den Weisswal Zeugniss gaben. Ob die Oltscha, in deren Gebiet der Weisswal viel seltner ist, die Jagd auf denselben ebenfalls betreiben, vermag ich nicht zu sagen, doch können sie, im Falle es sein sollte, darin nur die Giljaken zu ihren Lehrmeistern haben. So giebt die Jagd auf den Weisswal einen charakteristischen Zug im Lebensbilde der Giljaken den anderen Amur-Völkern gegenüber ab und nähert sie zugleich, bei der hochnordischen Natur dieses Thie- res, den Polarvölkern. Und merkwürdig genug, herrscht auch bei manchen von diesen die Sitte, die Schädel der erlegten Weisswale auf einen Baum oder in Ermangelung eines solchen auf senkrecht in den Erdboden eingetriebene Pfähle zu stecken, wie es z.B. Pallas') von den Sa- mojeden und Ostjaken am Obj-Strom erzählt. 1) Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, Bd. III, p. 85; Zoographia rosso-asiat., T. I, p. 275. 9. Abschnitt. Jagd auf die Thiere des Waldes. Jagdgeräth. Eiserne Jagd- und andere Waffen und deren Anfertigung. Schutz und Ehrenbewaffnung. Wenden wir uns nunmehr der zweiten Hauptexistenzquelle der Amur-Völker, der Jagd auf die Thiere des Waldes zu, so muss ich zuvor, die oben mehrfach gethanen Aeusserungen kurz und allgemein recapitulirend, hervorheben, dass dieselbe, dem Fischfang direkt entgegen, je weiter von der Amur-Mündung stromauf und in die Nebenflüsse hinein, desto mehr an unmittelbarer Wichtigkeit und Bedeutung zunimmt und im oberen Amur-Lande endlich, gleiehwie der.Fisch- fang im unteren, zur ersten und wesentlichsten Existenzbedingung seiner Völker wird. Die Giljaken, mit denen wir wiederum unsere Betrachtung beginnen, sind demgemäss, als das sesshafteste, ichthyophagste und überhaupt ausgesprochenste Fischervolk des Amur-Landes, am wenigsten unter allen seinen Völkern der Jagd auf die Thiere des Waldes zugethan. Wäh- rend ihnen der Fisch-, Seehunds- und Weisswalfang zur unmittelbaren Befriedigung ihrer Be- dürfnisse an Kleidung und an Nahrung für sich selbst und ihre Hunde dient, kommt bei ihnen die Jagd diesen Zwecken im Grossen und Ganzen nur in mittelbarer Weise nach, insofern sie ihnen nämlich diejenigen Artikel liefert, mit deren Hülfe sie sich im Handel mit den angren- zenden Gulturvölkern die ihnen zum Bedürfniss gewordenen fremdländischen Kleidungs-, Nah- rungs- und Genussmittel verschaffen können. Die Jagd richtet sich daher bei ihnen hauptsäch- lich gegen diejenigen Thiere, deren Felle bei ihren Haupthandelsherren, den Chinesen, einen sicheren und guten Absatz finden, und da sie, schon aus dem Grunde, um die Felle möglichst unverletzt zu erhalten, meist vermittelst verschiedenartiger Fallen, Schlingen, Giftpillen u. drgl. betrieben wird, so kann man sie ihrem weitaus vorherrschenden Zweck und Charakter nach als Pelzthierfang bezeichnen. Giljaken. Die wichtigsten Pelzthiere. Zobelfang mit der Quetschfalle. 351 Selbstverständlich betreiben die Giljaken die Jagd nur im Winter, da sie alsdann, vom Fischfang nur wenig in Anspruch genommen, hinlänglich Zeit dazu haben und andererseits die Thiere in ihrem vollen, kostbaren Winterhaar stehen. Zudem erleichtert alsdann auch der tiefe, das Unterholzdiekicht im Walde deckende Schnee in hohem Grade die Bewegung durch densel- ben, so dass es auch für die Giljaken erfahrungsgemäss keinem Zweifel unterliegt, dass je schneereicher der Winter ist, desto ergiebiger und erfolgreicher auch die Jagd ausfällt. Den- noch geben sich die Giljaken der Jagd auch im Winter lange nicht in dem Maasse wie ihre tungusischen Nachbarn hin. Während die letzteren, wie wir sehen werden, alsdann nicht selten aus dem eigenen Wohngebiet fort in weit entlegene Wald- und Gebirgswildnisse ziehen, um dort wochenlang ganz und gar der Jagd zu leben, begnügen sich die Giljaken damit, dieselbe nur im eigenen Gebiet, in einem gewissen, je nach der Lokalität grösseren oder geringeren Umkreise um ihre Winterwohnungen zu betreiben. Diese werden aber zu dem Zweck oft ge- trennt und mitunter sogar weit entfernt von den Sommerwohnungen an solchen Orten errichtet, welche eine für die Jagd besonders günstige Lage haben. Die wichtigsten, weil im Handel allgemein hochgeschätzten und im Amur-Lande noch zahlreich vorhandenen Pelzthiere sind für die Giljaken der Zobel (gilj. /umr, bei den Tymy- und Tro-Giljaken oghrob und myghr-nga, d. h. braunes Thier), die Flussotter (gilj. ngıy, bei den Tymy- und Tro-Giljaken pchyik) und der Fuchs (gilj. käkch, bei den Tymy- und Tro- Giljaken paghlant und paghlantsch, d. h. der Rothe) in seinen verschiedenen Farbenvarie- täten ?). Dem an Wichtigkeit unstreitig obenan stehenden Zobel stellen die Giljaken zumeist mit Fallen nach. Die gebräuchlichste derselben ist das bei ihnen sogen. Ha, eine Quetschfalle, die in folgender Weise errichtet wird. In den Stamm eines Baumes wird in der Höhe von etwa 3—4 Fuss über dem Erdboden eine Höhlung gemacht und in diese das Ende eines Balkens von entsprechender Dicke hineingesteckt und durch ein Stäbchen gestützt, das auf einem anderen Holzstäbehen oder Plättchen ruht, welches von einem im Grunde der Höhlung befindlichen Köder ausgeht. Sobald nun das vom Köder, einem Stückehen Fisch (Jukola) oder Seehundsspeck, angelockte Thier an demselben zupft, so gleitet das Stützstäbehen von seiner Grundlage ab und lässt den Balken niederfallen. Damit aber dieser letztere das Thier siche- rer und fester quetsche, ist der unter ihm liegende Rand der Höhlung mit einem Quer- stöckehen eingefasst. Das Aa wird natürlich an solchen Stellen angebracht, welche der Zobel gern besucht, namentlich in Thalgründen, am Ufer kleiner Flüsschen, wobei der Quetschbalken wohl auch über den Bach gelegt wird, da der Zobel mit Vorliebe umgestürzte Baumstämme als Brücken benutzt, um von einem Thalabhange zum anderen zu wechseln °). So bin ich in 1) Ueber die Bezeichnungen dieser Farbenvarietäten des | noch zu erwähnenden Säugethiere ist meine betreffende Fuchses bei denGiljaken und den übrigen Amur-Völkern, | Abhandlung im ersten Bande dieses Werkes einzusehen. sowie über die Beschaffenheit und geographische Ver- 2) Przewalski (l. c., p. 101) behauptet sogar und will breitung sowohl der genannten, als auch der in der Folge | es vielfach an den Spuren des Thieres beobachtet haben, Schrenck's Amur-Reise, Band II. 70 552 Die Völker des Amur-Landes. den kleinen Nebenthälern des oberen Tymy-Flusses auf Sachalin wiederholentlich bald auf noch aufgestellte Zobelfallen der Art, bald auf die an den Bäumen hinterbliebenen Spuren derselben gestossen. Zum Aerger der Giljaken verfangen sich aber im Ha nicht selten statt des Zobels andere kleine, mehr oder minder werthlose Thiere, Eichhörnchen (gilj. /akr und lakrs, im Innern und an der Ostküste Sachalin’s /afkor), Hermelime (gilj. Zymr und tymrsch, im Innern und an der Ostküste Sachalin’s Zchymr) und auf dem Festlande ganz besonders oft die mit dem Zobel in ihrer Lebensweise so sehr übereinstimmende, auf Sachalin fehlende Mustela sibirica (gilj. zongrsk), ja, im Dorfe Warki am Liman brachten mir die Giljaken sogar einen Eichel- häher (Garrulus glandarius), der im Ha gefunden worden war und am Halse die Spuren der Quetschung trug. Originell ist übrigens diese Zobelfalle der Giljaken keineswegs, da sie sich, von den Amur-Tungusen abgesehen, in derselben oder einer ganz ähnlichen Construction bei manchen sibirischen Völkern, so z. B. bei den sesshaften Korjaken am Penshinsker Meer- busen, im Norden Kamtschatka’s'), bei den russischen Tungusen im Stanowoi-Gebirge’) u.a. wiederholt und im Allgemeinen auf demselben Prineip beruht, das den im ganzen polaren Nor- den Sibirien’s zum Fangen von Eisfüchsen, Hasen und drg]. dienlichen Fallen zu Grunde liegt). Dasselbe gilt auch von einer zweiten bei den Giljaken zum Zobelfange üblichen Vorrich- tung, einer mit Hülfe des Bogens construirten Klemmfalle. Diese durch ganz Sibirien verbrei- tete Falle ist von den Reisenden bereits mehrfach beschrieben und auch abgebildet worden ®), wesshalb ich kurz darüber hinweggehen könnte, wenn es mir nicht von Interesse erschiene, neben ihrem zum Theil eigenartigen Gebrauche bei den Giljaken, auch auf die für ihre einzel- nen Bestandtheile im Vergleich mit denjenigen eines anderen, gleich nachher zu besprechenden Apparates bei ihnen üblichen, zum Theil gleichlautenden Bezeichnungen hinzuweisen, was sich mit Hülfe von Abbildungen weit kürzer und anschaulicher machen lässt. Die in Rede stehende, auf Taf. XLIN, Fig. 4, abgebildete Klemmfalle trägt bei den Giljaken den Namen klai und hat folgende Beschaflenheit: ein einfacher hölzerner Bogen (gilj. puntsch, a der Abbildung) ist in entsprechende seitliche Einschnitte zweier gabelförmig zusammengestellten, oben mit einander verbundenen Stäbe (gilj. assj, b der Abb.) gesetzt. Diese sind oberhalb des in einiger Entfernung von ihren unteren, zugespitzten Enden sie verbindenden Querbrettchens (d, gilj. yms) mit läng- lichen Aussehnitten versehen, in welchen der untere, aus einem ebensolchen Querbrettchen be- stehende Theil des oben mit der Bogensehne in Verbindung stehenden Holzstückes c steckt und sich je nach der Spannung des Bogens auf und ab bewegen lässt. Dieses Holzstück c wird von den Giljaken merkwürdigerweise nur ku, d. h. «Pfeil», genannt, — eine auflallende, bei ihnen dass der Zobel niemals einen umgefallenen Baumstamm 3) Eine ausführliche Beschreibung und Abbildung die- umgeht, sondern stets der Länge nach über denselben | ser letzteren Falle ist u. A. beiMiddendorff (Sibir. Reise, weglauft. Bd. IV, p. 1387) zu finden. 1) Kennan, Tent-Life in Siberia, London, 1871, 4) So unlangst noch von Bush (Reindeer, dogs and p- 108. Snowshoes, London, 1872, p. 316) u. von Middendorff 2) Sievers, Briefe aus Sibirien (Pallas, Neue Nord. | (Sibir. Reise, Bd. IV, p. 1388). Beytr., Bd. VII, p. 212). Giljaken. Zobelfang mit der Klemmfalle und mit Schlingen. 553 sonst nicht leicht vorkommende Verallgemeinerung, und dem entsprechend heisst ein oberes, die beiden Seitenstäbe mit einander verbindendes und mit einem Ausschnitt für die Bewegung des Ku versehenes Querholz (e) kurschofgr)tsch'). Ein kleines, an die Seitenstäbe, wie an die Bo- gensehne befestigtes Stöckchen (f, gilj. fschymrch) dient dazu den Bogen zu spannen und ein anderes (h, gilj. ksull), das mit jenem durch ein Schnürchen (9, kswull-puks) verbunden ist, ihn in gespanntem Zustande zu erhalten, was jedoch nur so lange möglich ist, als es sich selbst mit seinem unteren Ende an ein dünnes, in die Ausschnitte der Seitenstäbehen zwischen /vı und Iyms gestecktes Stöckchen (£, gilj. taghr-tschissj) stützt. Der geringste Druck auf dieses letztere genügt das Stöckchen h abspringen zu lassen, worauf die gespannte Bogensehne losschnellt und das Ku zum Lyms hinabschiesst, alles Zwischenbelindliche festklemmend. Um das Alar aufzu- stellen, machen die Giljaken zuvor in einen Baumstamm unmittelbar über dem Schnee eine Höhlung, in welche sie etwas Jukola oder Seehundsspeck als Köder legen, und stecken darauf die genannte Falle so vor derselben in den Schnee, dass das Thier nieht anders als über das Tritthölzchen © zum Köder gelangen kann und somit unfehlbar geklemmt werden muss. Auch im Klai verfangen sich ausser dem Zobel nur allzu oft die oben genannten werthlosen kleinen Thiere. Nach Angabe der Giljaken gebrauchen sie aber diese Falle mitunter auch in ihren Wohnungen, um die in denselben so zahlreichen und lästigen Ratten (Mus decumanıs, gilj. njagrsch) wegzufangen, die übrigens keinerlei Verwendung bei ihnen finden. Die oben erwähnte Liebhaberei des Zobels, längs den quer über einen Bach gefallenen Baumstämmen hinzulaufen, benutzend, pllegen die Giljaken auf denselben auch Schlingen zum Fange des Thierchens aufzustellen. Zu dem Zweck wird etwa in der Mitte des Stammes eine Querreihe aufrechter, durch Baumzweige mehr oder minder verdeckter Stäbe errichtet, zwischen denen nur eine einzige, zum Durchschlüpfen des Zobels gerade hinreichende Oeflnung bleibt. Unfern davon wird in den Grund des Baches ein gerader, elastischer Baumast gesteckt und die Spitze desselben vermittelst einer in eine Schlinge auslaufenden Schnur bis an den horizontal liegenden Baumstamm niedergebeugt und in der zwischen den Querstäben für den Zobel hin- terlassenen Oeflnung, in welcher sich auch die Schlinge befindet, mit Hülfe eines kleinen Häk- ehens befestigt. Dieses muss, da die Oeflnung nur klein ist, beim Eintreten des Zobels in die- selbe unvermeidlich abspringen, worauf der niedergebeugte Baumast emporschnellt, die Schlinge um das Thierchen zuschnürt und es selbst vom Balken abhebt, so dass es in der Luft über dem Bache hängen und in dieser Lage vor Raubthieren bewahrt bleibt. Der Jäger geht daher auch bei eventuell verspäteter Besichtigung der von ihm aufgestellten Fallen seiner Beute nicht verlustig. So üblich diese auch bei anderen Amur- und sibirischen Völkern gebräuchliche Art des Zobelfanges bei den Giljaken sein mag, so bin ich ihr doch zufälliger Weise selbst nicht begegnet und vermag auch ihre Bezeichnung für dieselbe nicht anzugeben. Ferner stellen die Giljaken sowohl den vorhin genannten, besonders werthvollen, als auch einigen anderen Thieren durch einen Apparat nach, welcher mit der oben beschriebenen 1) Die eingeklammerten Buchstaben werden nur kaum, einem leichten Schnarren gleich ausgesprochen. 70* 554 Die Völker des Amur- Landes. Klemmfalle viel Gemeinsames hat und, obwohl ebenfalls durch ganz Sibirien bekannt, aus dem bereits angeführten Grunde hier näher besprochen werden muss. Es ist der sogen. Selbstschuss (russ. ssamostrel)”, ein Bogen, der beim geringsten Anstoss von selbst einen Pfeil entsendet. (2) Bei den Giljaken heisst er ngarchotsch und hat folgende Beschaffenheit. Ein einfacher hölzerner Bogen, wie beider Klemmfalle, ist in seiner Mitte an ein Querholz (Taf. XLIN, Fig. 1, c, gilj. ksıll?) befestigt, auf welchem der abzusendende Pfeil (d) zu liegen kommt. Vermittelst einer im oberen Theile desselben angebrachten Ringschnur und eines ebenfalls an denselben befestigten, recht- 0) winklig gebogenen (aus einem Aststück geschnittenen) Stöckchens f (gilj. tschymrch) wird der Bogen gespannt und durch das letztere zugleich das obere Ende des vor der gespannten Sehne liegenden Pfeiles so stark gegen seine Unterlage angedrückt, dass er auch bei geneigter Stellung des ganzen Apparates nicht von derselben abgleiten kann. Endlich wird, wenn der Bogen ge- spannt ist, am oberen Ende des Spannstöckehens zwischen dasselbe und die Ringschnur ein kleines, mit einer langen und möglichst feinen Schnur versehenes Hölzehen (gilj. wett(a)k, g und Fig. 2, ebenda, in natürlicher Grösse)?’ mit seinem oberen, flach zugespitzten und geglätteten Ende eingeschoben. Es genügt nun ein kleiner Ruck an der Schnur dieses Hölzchens (Rh, gilj. tschoch), um es abspringen zu lassen, worauf auch die Ringschnur vom Spannstöckchen ab- gleitet und in Folge dessen der Pfeil abgeschossen wird. Der Bogenselbstschuss wird auf einem Baumstamm oder einem eigens zu dem Zweck in den Schnee gesteckten Pfahl (gilj. köps) in einer mehr oder minder geneigten Lage aufgestellt und die oben erwähnte dünne Schnur in ge- spanntem Zustande quer über die Stelle, wo sich eine Thierfährte befindet oder wo man erwar- ten darf, dass ein Thier des Weges gegangen kommen wird, gezogen. Die Hauptsache ist dabei, ihm die richtige Neigung zu geben, damit der Pfeil nicht über das Thier weg oder vor oder unter demselben in den Boden schiesse. Die Neigung ist natürlich verschieden, je nach dem, von welcher Art das erwartete Thier ist, und je nach der Entfernung, in welcher der Selbst- schuss von seinem muthmaasslichen Wege aufgestellt wird. Für eine jede Thierart muss daher beim Aufstellen des Selbstschusses und Richten des Pfeiles besonders gezielt werden, und dazu dient den Giljaken ein durch die Erfahrung als richtig erkannter Zielstock, das von ihnen sogen. Tschraff (ebenda, Fig. 3). Dieses wird beim Aufstellen des Selbstschusses auf den Punkt gestellt, wo das Thier erlegt werden soll, und der Pfeil je nach der erwarteten Thierart gegen einen der auf demselben markirten Querstreifen gerichtet. Mir ist nur der für die drei wichtig- sten Pelzthiere, Zobel, Flussotter und Fuchs, sowie für den Hasen (gilj. chut und chuik, an der Ostküste und im Innern Sachalin’s ossjk und kanak, d. i. der Weisse) dienliche Zielstock zu 1) Sehr bezeichnend fur das gemeinsame Princip die- 2) Die Identifieirung dieses Stückes in der Benennung ser beiden Apparate ist der Umstand, dass die Klemmfalle, |, mit dem kleinen Hölzchen h im Klai ist höchst auffallend: die russisch allgemein tscherkan heisst, im Orenburger | wir würden eher eine solche mit den Gabelstäben (assj) Gouvernement nach Tscherkassof (3anueru oxoruuka | des Klai erwarten. Bocroynoü Cuönpu, C.-Ierepö. 1867, crp. 336) auch ssa- 3) In dieser Figur ist es in umgekehrter Lage, die mostrel genannt wird. obere Seite nach unten gewandt, dargestellt. Giljaken. Zobel-, Otter-, Fuchs- und Hasenfang mit dem Selbstschuss. 355 Gesicht gekommen. Auf diesem sind drei zwischen je zwei Querstrichen enthaltene Streifen oder Bänder verzeichnet: wird ein Fuchs erwartet, so richtet man den Pfeil gegen den obersten Streifen, Punkt « der Abbildung; wird der Schuss für einen Hasen bereitet, so zielt man nach dem zweiten Streifen, Punkt b; für den Zobel richtet man den Pfeil gegen den dritten Streifen, Punkt c, und für die Flussotter endlich gegen die Basis des Zielstocks, Punkt d. Die Höhe die- ser Querstriche und Streifen über der Basis des Zielstocks ist folgende: Höhe des Querstrichs ef. über der Basis (rs) ) ......». 2222222 cc20er en. 245 Millim. Zielhöhen für den Fuchs » » » gh » » » er 240 » MittlerewZielhöhestür den Kuchs, Punkt, @ 00.0... cccco ocean 2421), BionewdesaQuerstriehse 2i über. der Basis I. 2.2..2c.c2ceece een 188 » U Zielhöhen für den Hasen » » » Im » » » | ee RE EEE ee 150 » Aittlererzielhohe für:den Hasen, Punkt b .. 2... ....crcce. Nennen 184 » Hohe®dessQuerstrichs #0: über. der Basis 1 2.2... .2cccenceenecnaen 118 » U Zielhöhen für den Zobel » » » Ya» » » | RS IE pe 112 » Miuttlererzielhöhe für.den Zobel, Punkt e..2...... 22.22.22 a ai) » Die Länge oder Höhe des ganzen Zielstocks beträgt . ... 2... 22eccceeeenen 260 » Der beim Selbstschuss für die genannten Thiere gebräuchliche Pfeil (gilj. kor) hat eine im Vergleich mit gewöhnlichen Pfeilen ganz eigenartige, aus zwei an ihrer Innenseite mit je einem Widerhaken versehenen Zinken bestehende eiserne Spitze'). Damit das durch den Pfeil möglicherweise nicht tödtlich getroffene, sondern nur verwundete Thier nicht entlliehe, wird der Pfeil durch eine locker herabhängende Schnur (gilj. foghr-puks) an den Pfahl, auf welchem der Selbstschuss ruht, befestigt. Der hohe Werth des Zobel-, Fuchs- und Otterpelzwerks macht den Gebrauch des Selbst- schusses in der erwähnten Form bei den Giljaken sehr allgemein, und in den um ihre Woh- nungen gelegenen Wäldern kann man leicht auf aufgestellte Apparate der Art stossen, was zu einiger Vorsicht beim Umherstreifen in denselben nöthigt. Auffallend ist es, dass auf dem oben beschriebenen Zielstock neben den drei geschätztesten Pelzthieren auch der werthlose Hase Beachtung gefunden hat. Es dürfte sich vielleicht dadurch erklären, dass er im gesammten un- teren Amur-Lande und auf Sachalin sehr häufig ist und sich darum oft, in Ermangelung ande- rer Thierfährten, als Beute für den Selbstschuss darbietet, wobei dem Jäger immerhin ein gutes Stück Fleisch und ein zum eigenen Bedarf dienliches Fell zufallen. 1) Es ist bemerkenswerth, dass während am Klai das | «Pfeil», bezeichnet wird, dieser richtige, nur durch die hinunterschiessende, in seiner Form keineswegs pfeilahn- | Form seiner Spitze ausgezeichnete Pfeil bei den Gilja- liche Holzstück in generalisirender Weise nur als ku, | ken eine besondere Bezeichnung hat. 556 Die Völker des Amur-Landes. Hingegen habe ich nicht gehört, dass die Giljaken sich des Selbstschusses zur Erlegung man- cher anderen, mehr oder minder werthvollen, aber grösseren Thiere, wie Luchs, Wolf, Alpenwolf, Moschus-, Renn- und Elennthier, bedienen sollten. Es dürfte dies auf verschiedenen Gründen beruhen. Im Allgemeinen sind die Giljaken zu wenig Jäger, und liegt es ihnen auch zu wenig an der Erbeutung anderer Thiere als solcher mit geschätztem Fell, um grosse und mühsame Jagden auf einem weiten Terrain anzustrengen, etwa Verhacke anzulegen und in den Durchgängen der- selben Selbstschüsse mit horizontal gerichteten Pfeilen aufzustellen, wie es z. B. bei den tungusi- schen Völkern üblich und u. A. von Middendorff ausführlich besprochen worden ist !). Grössere Thiere werden daher von ihnen meist nur zufällig mit den später zu beschreibenden Waflen erlegt. Einige der obengenannten Thiere, wie namentlich der Luchs, der Wolf und der Alpenwolf, bieten aber conventionell so hochgeschätzte Felle, dass man eine regelmässigere Verfolgung derselben seitens der Giljaken erwarten dürfte, und doch stellen diese, so viel ich weiss, keine Selbstschüsse für dieselben auf. Dem liegen ohne Zweifel zum Theil auch abergläubische Vorstel- lungen zu Grunde. Bezüglich des Luchses (gilj. /schlyghr) ist oben schon erwähnt worden ?), dass die Giljaken in demselben gewissermaassen ein Abbild vom Tiger erblieken, vor welchem sie eine so panische Furcht haben, dass sie ihn kaum zu nennen oder mit lauter Stimme von ihm zu sprechen wagen). Diese Scheu dürfte ihnen schon verbieten, ihm in vorbedachter Weise und mit denselben Apparaten wie anderen Thieren nachzustellen, und es nur gestatten, ihm bei gelegentlicher Be- gegnung und gleichsam aus Nothwehr an den mit kostbarem Fell geschmückten Leib zu gehen. Aehnlieh verhält es sich mit dem Alpenwolf (Canis alpinus, gilj. tschoramlatsch, auf Sacha- lin ischchodamlatsch), dem die Giljaken aus abergläubischer Furcht gar nicht nachstellen, und der sich zudem nur in entlegeneren Gebirgswildnissen aufhält, wohin sie bei ihrer geringen Neigung zur Jagd nur selten kommen mögen. Was endlich den gemeinen Wolf (gilj. ligs, an der Ostküste und im Innern Sachalin’s «att/) betrifft, so wird derselbe von den Giljaken aller- dings in regelmässigerer Weise verfolgt, jedoch nicht mit dem Selbstschuss, sondern vermittelst einer Vorrichtung, auf die ich sogleich zu sprechen kommen werde. Somit hat der Selbstschuss, der in Sibirien in mehr oder minder verschiedener Form sowohl von den eingeborenen Stäm- men, Tungusen, Jakuten, Ostjaken, Samojeden, als auch von den Russen zur Erlegung aller möglichen Thiere, von den grössten, wie Bär und Elenn, bis zum Zobel und Eichhörnchen hinab, gebraucht wird, bei den Giljaken eine sehr viel geringere, nur auf die wichtigsten Pelz- thiere beschränkte Verwendung, — ein Umstand, der ebenfalls von ihrer geringen Neigung zur Jagd und dem dabei vorwiegenden und maassgebenden Handelsinteresse Zeugniss abgiebt. Der grosse Nutzen, den die Giljaken vom Fuchsfell sowohl im Handel, als auch zum eigenen Gebrauch ziehen, veranlasst sie, diesem Thier nieht bloss mit dem Selbstschuss, sondern auch in anderer Weise nachzustellen. So bedienen sie sich zum Fange desselben ebenfalls einer Klemmfalle, welche, ganz ebenso und nur in etwas grösserem Maassstabe construirt, auch ge- 1) Sibir. Reise, Bd. IV, p. 1382 f., nebst Holzschnilt. | 3) S. dieses Werkes Bd. I, p. 94. 2) S. oben, p. 392. Giljaken. Fuchs- und Wolfsfang mit der Klemmfalle. Kein Fenergewehr. "557 gen Wölfe gebraucht wird. Es ist das bei ihnen sogen. Kasma'). Dieses besteht aus einem in den Erdboden gesteckten, nach oben in eine zweizinkige Gabel auslaufenden Pllock. Die beiden, von ihrer gemeinsamen Basis nur ganz allmählich auseinanderlaufenden Zinken sind von un- gleicher Länge. Die kürzere (gilj. wa genannt) ist an ihrer Innenseite zugeschärft, die längere abgerundet. An dieser letzteren befindet sich unfern von ihrer Spitze ein Querstäbehen (gilj. tabs-tigrsch) ?), auf welches der Köder, ein Stück Jukola oder Fleisch, eine todte Krähe oder drgl., angebracht wird. Der Fuchs oder Wolf springt gegen den Pflock, um die Lockspeise mit der Pfote zu erhaschen, wobei der Fuss vom Querstäbehen abgleitet und zwischen den beiden Zinken eingeklemmt bleibt. Die Höhe des Kasma’s ist für den Fuchs und den Wolf verschie- den: für den ersteren muss es etwa 3'/,, für den letzteren 4', Fuss über den Schnee emporragen. Endlich setzen die Giljaken zum Fange von Füchsen und Wölfen auch Giftpillen aus, und zwar scheint das Gift Strychnin zu sein, das sie zu dem Zweck um einen hohen Preis von den Chinesen kaufen und dem Gebrauche, den sie davon machen, entsprechend ZAälch-ocht, d.h. Fuchsgift, nennen °). Feuergewehre waren bei den Giljaken zu meiner Zeit noch gar nicht im Gebrauch, ob- wohl sie mit denselben bekannt waren, und zwar von zwei Seiten her: einmal durch ihre nörd- lichen und westlichen Nachbarn, die russischen Tungusen, Negda und Samagirn, bei denen sich dank der Vermittelung jakutischer Händler ab und zu eine der bekannten, kleinkalibrigen, russisch-sibirischen Büchsen (ein sogen. Erbsrohr) findet‘), und andererseits durch ihre südli- chen Nachbarn, die Oltscha und Golde, zu denen hin und wieder, wenn auch ebenfalls nur selten, eine jener oft beschriebenen langen und plumpen chinesischen Luntenflinten vordringt’). Die Giljaken haben auch für das Feuergewehr, seine einzelnen Bestandtheile und den verschie- denen Schiessbedarf ihre eigenen, zum Theil sehr charakteristisch gebildeten Bezeichnungen. So heisst bei ihnen ein Feuergewehr, gleichviel von welcher Art, mäotscha, der Lauf desselben — kolm°), das Pulver — müäotscha-ocht, d. h. «Flintenstof» oder, nach der obigen Anmerkung, in Betracht seiner tödtlichen Wirkung, vielleicht auch «Flintengift», die Kugel — mäotscha-ku, d. h. «Flintenpfeib, Schrot — matschi-ku (abgekürzt für matschi-mäotscha-ku), d. h. «kleine Pfeile», und das Piston — pachlan-tur, d. h. «Kupferfeuer» ‘). Auflallend war es, wie wenig 1) Das s ist hier weich, wie das französische 2 auszu- | entlehnte Bezeichnung: poroke. sprechen. 2) Das s wiederum weich auszusprechen. Tüyrsch heisst «Holz» überhaupt. 3) Ocht bedeutet bei den Giljaken soviel wie «Stoll» im Allgemeinen, — eine Bedeutung, der wir in der Folge noch mehrmals begegnen werden, dann aber auch «Arznei» und im betreffenden Falle wohl «Gift», — eine naiv-inslink- tive Identifieirung von Heil- und Tödtungsmitteln, Arznei und Gift! 4) Dem entsprechend, hatte bei den Samagirn am Go- rin auch das Pulver eine aus dem Russischen (nopox®) 5) Diese sind nach Barrow (Reise durch China im Ge- folge der grossbrit. Gesandtsch. in d. J. 1793 u. 1794, aus dem Englischen von Huttner, Wien 1805, Bd. I, p. 302; Bd. II, p. 58) genaue Copien der alten, nach Makao ein- geführten portugisischen Luntengewehre und also keines- wegs von sehr hohem Alter. 6) Demzufolge wird eine einlaufige Flinte als njakr- kolm-mäotscha, eine doppelläufige als mjakr-kolm-mäotsch« bezeichnet. 7) Die bei der russisch-jakutischen Buchse an den Lauf beweglich befestigte, zum Stützen des Gewehrs beim 358 Die Völker des Amur-Landes. Gefallen die Giljaken an einer Flinte zeigten, während der Tunguse beim Anblick eines sau- beren Gewehrs in ein lautes Entzücken und Frohlocken geräth, — oflenbar fehlte es ihnen nicht bloss an praktischer Bekanntschaft mit dem Dinge, sondern auch am richtigen Jägerherzen. Da- bei verriethen sie jedoch auch keine besondere Scheu oder Angst vor der Flinte, während eine Pistole ihnen eine grosse, fast abergläubische Furcht einflösste. So oft ich mich genöthigt sah, ihnen verschiedener Widersetzlichkeiten wegen mit der Pistole zu drohen, baten sie mich flehent- lich, ja keinen Gebrauch von derselben zu machen, da dies Unheil über das ganze Haus, auch über die Weiber und Kinder in demselben bringen würde. Sollte diese Furcht nur auf der noch grösseren praktischen Unbekanntsehaft mit diesem Gewehr, auf der Einsicht, dass es in näch- ster Nähe plötzlich und unvermerkt in Action gebracht werden könne, oder aber, wie ich fast glauben möchte, auch noch auf irgend einer anderweitigen, abergläubischen Vorstellung oder Ideenverbindung beruhen ?'). Die einzige Schusswafle der Giljaken waren zu meiner Zeit Bogen und Pfeil, deren sie sich gelegentlich gegen grosse, wie gegen kleine Thiere bedienten. Der Bogen (gilj. puntsch, auf Sachalin punt) ist von derselben Beschaffenheit wie bei den Tungusen und anderen sibiri- schen Völkern. Er wird aus dem Holz junger Eschen oder in Ermangelung derselben auch aus gutem Birkerholz gemacht. Im Tymy-Thal auf Sachalin bezeichneten mir die Giljaken die von ihnen per genannte Holzart, d. i. nach Schmidt und Glehn Evonymus macropterus Rupr., Schiessen dienende Gabel nennen die Giljaken schlecht- weg ngytscheh (d. h. Fuss oder Füsse), und fur das Pul- verhorn brauchen sie den Ausdruck notross), dessen Ety- mologie mir nicht bekannt ist. 1) Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit noch einer anderen, ähnlichen abergläubischen Furcht der Gil- jaken zu erwähnen, die mir anfangs ganz räthselhaft er- schien und zu deren Erklärung ich später ganz zufälliger- weise den Schlüssel erhielt. Der Fall ist auch aus dem Grunde bemerkenswerth, weil er einen Beleg dafür ab- giebt, wie tief manche, durch ungewöhnliche Erlebnisse erhaltene Eindrücke im Gemüth und in der Erinnerung eines Naturvolkes haften, und wie leicht sie sich, von Mund zu Mund wandernd, im gesammten Bereich desselben ver- breiten. Ich besass namlich einen jener Spazierstöcke, aus denen sich eine lange Angelruthe herausstülpen lässt, und wollte ihn gelegentlich einem im Nikolajefschen Posten bei mir anwesenden Giljaken zeigen, in der Meinung ihn damit zu erfreuen, zumal der Apparat zum Fischefan- gen diente. Kaum hatte ich jedoch die Spilze herausge- zogen, als der Mann sich entsetzt abwandte und mich be- schwor, das Ding wegzustellen und kein Unheil anzurich- ten. Genau dasselbe wiederholte sich spater noch mehr- mals mit anderen Giljaken aus den verschiedensten Dör- fern des Amur-Stromes und Limanes, so dass es mir kein Mal gelang, meinen Stock vor ihnen zu produeiren, und ich fernerhin ganz davon abstand, vergeblich nach einem Grunde dieses ihres sonderbaren, im höchsten Grade auf- geregt angstvollen Benehmens einem so harmlosen Ge- gensfande wie eine Angelruthe gegenüber nachsinnend. Wie gross war daher meine Ueberraschung, als ich nach meiner Rückkehr, bereits in St. Petersburg, Hrn. v. Mid- dendorff, der zehn Jahre vor mir die Giljaken und zwar in ihren entlegensten Wohnsitzen, am Ulban-Busen des Ochotskischen Meeres besucht halte, einmal gelegent- lich erzahlen hörte, er habe sich ihnen gegenüber folgen- den Spass erlaubt. Als er in ihrer Gesellschaft vor einem Seeadler stand, der angekettet auf einem der Fischtrocken- gerüste sass, — eine in ihren Dörfern sehr gewöhnliche Erscheinung, von welcher in der Folge noch die Rede sein wird, — schnitt er vor ihren Augen eine dünne Wei- denruthe ab, steckte ihre Spitze unvermerkt in ein Flasch- chen mit Blausäure, das er bei sich führte, und hielt sie dem Adler vor die Nase. Das Thier brach augenblicklich todt zusammen, der Giljaken aber bemaächtigten sich Schrecken und Furcht, und unser Reisende galt bei ihnen hinfort für einen gewaltigen Zauberer. Mir blieb jetzt kein Zweifel: offenbar hatte sich die Kunde von diesem Ereig- niss vom Ulban-Busen bis zum Amur-Strom und Liman verbreitet und die Giljaken befürchten lassen, dass ich im Besitz einer ähnlichen Zauberruthe sei. Giljaken. Bogen und Pfeile als Schusswaffe. 959 als ihr «punt-tschchar» (Bogenholz) ”, gleichwie es auch bei den Aino der Fall ist?). Um das Holz vor Feuchtigkeit zu schützen und ihm seine Elastieität zu erhalten, wird der Bogen mit feiner Birkenborke beklebt oder, wie ich es an besonders schönen Stücken der Art, so z. B. an dem auf Taf. XLIV, Fig. 4 und 5, abgebildeten Bogen aus Tebach gesehen habe, von innen, d. h. auf der beim Schiessen vom Schützen abgewendeten Seite, mit feiner Elennshaut, auf der äusseren, dem Schützen zugewendeten Seite aber mit Fischbein (gilj. asm)” bekleidet, das auf dem abgebildeten Exemplar noch feine Silberverzierungen trägt. Bisweilen werden zu dem Zweck auch dünne Platten von chinesischem Büffelhorn verwendet, welches die Gilja- ken aus dem Grunde puntsch-ngynif, d. h. Bogenknochen, nennen, oder auch von den Nasenaufsätzen des Zrhinoceros tichorhinus, die vermuthlich durch Tungusen und Jakuten nach dem Amur-Lande gelangen. Die Bogensehne (gilj. %öch) wird aus feinen Haut- oder Darmstreifen des Weisswals zusammengedreht. Zum Schutz des Bogens, zumal auf Fahrten, dient ein aus Fell oder Fischhäuten gemachtes Futteral (gilj. puntsch-chal). Die Pfeile (ku) haben hölzerne, im unteren Theil von zwei, einander gegenüberliegenden Seiten mit Fahnen der Schwanzfedern des Fischadlers (Haliaötos albicilla) besetzte Schäfte (Taf. XLV, Fig. 4) und Spitzen von verschiedener Form, je nachdem, für welche Thiere sie bestimmt sind. Zu meiner Zeit waren bei den Giljaken fast nur eiserne Pfeilspitzen (gilj. Zuch) im Gebrauch, doch gab es auch noch knöcherne (gilj. krangeh), die besonders aus den Beinknochen des Moschusthieres gemacht werden sollen. Ein paar solcher eisernen, für grössere Thiere, Elenn, Rennthier und drgl. bestimmten, jederseits mit einem mehr oder minder grossen und meist auch noch mit einer Reihe kleinerer Widerhaken oder Einkerbungen versehenen Pfeilspitzen sind auf Taf. XLV, Fig. 1—3, abgebildet. Der zur Erlegung kleinerer Thiere, Zobel, Otter, Fuchs u. a., sowohl an Bogen-, wie an Selbstschusspfeilen gebräuchlichen zweizinkigen Spitze (kor) ist oben schon ge- dacht worden. Ein ganz besonders geformter, von den Giljaken yghli oder orkai genannter Pfeil (Taf. XLVI, Fig. 1) dient zum Erlegen von Federwild, Enten, Gänsen und drgl. Dieser besteht fast nur aus Holz, indem der Schaft nach oben in einen mit einer Spitze gekrönten Kolben ausläuft, in welchem sich drei eiserne, nach verschiedenen Richtungen gekehrte, jedoch nur stumpfe Spitzen befinden’). Von einer Vergiftung der Pfeile, wie sie bei den Aino von 4) Oder, wie sie in der Regel sagten, «punt-Iytynt- tschchar», d. h. Bogenanfertigungsholz. 2) Schmidt, Reisen im Amur-Lande und auf der Ins, Sachalin, Botan, Theil. (Mem. de l’Acad. Imp. des sc. VII® Serie, T. XII, N 2, p. 99, 213, 215). 3) Das s ist hier weich, gleich dem französischen 2. 4) Schon durch diese Beschaffenheit unterscheiden sie sich wesentlich von den einfachen Schäften der zum Selbstschuss gebräuchlichen Pfeile und haben demgemäss auch eine besondere Bezeichnung, indem sie uch, die letz- teren aber zwwinngyr heissen. Die Adlerfedern am Pfeil- schaft werden giljakisch /ıyla-ngar, der zum Aufsetzen des Pfeiles auf die Bogensehne dienliche Einschnitt am unte- Schrenck's Amur-Reise, Band III, ren Schaftende wird korm genannt. 5) Von ähnlichen, kolbenförmigen Pfeilen bei verschie- denen Völkern Sibirien’s ist zum Theil schon in den älte- sten Nachrichten über dasselbe die Rede, So sagt Georg Adam Schleissing in seinem Werk «Neuentdecktes Sie- weria, worinnen die Zobel gefangen werden» etc. (Danzig 1692, p. 49), dass die Leute dort nicht mit spitzigen Pfei- len schiessen, sondern, «damit das rare Fell nicht zerlästert werde, hat der Pfeil anstatt der Spitze eine eiserne dicke Kolbe, damit schiessen sie den Zobel vom Baum herab, dass er betaumelt, alsdann laufen sie hinzu und schlagen ihn vollends todt». Pallas (Reise durch versch. Prov. des Russ. Reichs, Bd. I, p. 323) erwähnt der hölzernen Pfeile 71 560 Die Völker des Amur-Landes. Sachalin und Jesso statt hat!) und nach Steller?) und Krascheninnikof?) auch bei den Kuri- len, Itälmenen, Korjaken und Tschuktschen üblich gewesen sein soll und vielleicht zum Theil noch ist, habe ich bei den Giljaken niemals etwas gehört. Middendorff*) sagt zwar, dass derselbe Gebrauch auch auf die Tungusen der Mandshurei übergegangen sein soll, giebt aber keine Quelle zur Stütze dieser seiner Aeusserung an. Allerdings führt Maack°) von den Manägirn an, dass sie ihre Pfeile mit einem als Gift wirkenden faulen Fett bestreichen, von den tungusischen Stämmen des unteren Amur-Landes ist mir aber nichts Derartiges bekannt. Der zum Aufbewahren der Pfeile dienliche Köcher (gilj. 9%) ist bei den Giljaken in der Regel von Holz, mit eingeschnitzten Arabesken und sonstigen Figuren verziert und oben zum Schutz der Pfeilspitzen mit einem Fellbesatz oder auch mit einer Fellklappe versehen (Taf. XLV, Fig. 6 und 7). Charakteristisch an ihm ist, dass er verhältnissmässig plump und schwer und dadurch wenig geeignet ist, vom Jäger auf dem Rücken getragen zu werden, was wohl auch nur selten und in sehr beschränktem Maasse geschehen mag. Hält man dagegen den überaus leichten und portativen, nur aus Thierfellen gemachten Köcher der Orotschen aus dem Kai- serhafen (ebenda, Fig. 8)®, so erkennt man schon aus diesem Umstande, dass bei den Gilja- ken die Jagd, im Vergleich mit ihren tungusischen Nachbarn, stark zurücktritt. Ich zweifle sehr, dass die Giljaken gute Bogenschützen sind, doch fehlt es mir an Erfah- rung, um Bestimmteres darüber sagen zu können. Das einzige Mal, dass ich sie habe schiessen sehen, geschah dies unter Umständen, die noch keinen Schluss über ihre Geschicklichkeit zu ziehen gestatteten. Es war auf dem Bärenfest in Tebach, als die drei an der Kette gehaltenen und umhergeführten Bären schliesslich erschossen wurden. Der jeweilige Schütze trat dem auf- recht stehenden Thiere von der rechten Seite etwa auf fünf Schritt nahe. Die beiden ersten Bären stürzten nach dem ersten Schuss, in die rechte Lunge getroffen, mit lautem Aufbrüllen nieder; in den einen war der Pfeil bis zur Mitte des Schaftes eingedrungen. Der dritte Schütze hatte sein Opfer zu niedrig, in die Bauchhöhle getroffen und musste noch einen zweiten Pfeil nachschicken, der das Thier niederstreckte und langsam verenden liess. Weit beliebter zur Jagd auf die grossen Thiere des Waldes als der Bogen sind bei den Giljaken die Stosswaflen, Bärenspiesse, Speere und Lanzen, und diese handhaben sie jedenfalls mit kolbiger Spitze, deren sich die Kalmükken zum Erle- gen von Vögeln und kleinen Thieren bedienen. Sujef (bei Pallas, 1. c., Bd. III, p. 49) berichtet von den bei den Ostjaken am Obj zum Schiessen kleiner Thiere gebräuch- lichen Pfeilen mit einem stumpfen knöchernen Kolben, und in Middendorff’s Reisewerk (Bd. IV, p. 1376, Holz- schnitt e und d) findet sich eine Abbildung von einer sol- chen kolbenförmigen ostjakischen Pfeilspitze. 1) Siebold, Aardr. en volkenk. toelicht. etc., p. 95, 96, 112, nach den Nachrichten von Hieron. de Angelis, Joan Saris und Vries; desgl. Nippon, VII, p. 185 und 201, nach Mamia Rinsö; desgl. Fauna Japon., Mamma- lia, p. 29. Langsdorf, Bemerk. auf einer Reise um die Welt, Bd. I, p. 287. v. Brandt (Verhandl. der Ges. für Anthrop., Ethnol. u. Vorgesch., Jahrg. 1872, p. 28). Ao- 6porsoperiii, Aumero-pyceck. caoBaps, Ipeanc.a. (Ipn- AO:K. kp Yyen,. 3au. Uns, Rasancr. Yunsepc. 1875 r., CTp. 45) u. A. 2) Beschreib. von dem Lande Kamtschatka, p. 27, 95, 236. 3) Onuc. Kamyarkın (Ilo.ın. co6p. yuen. myrem. no Poc- ciu, T. I, erp. 334). 4) Reise, Bd. IV, p. 1377. 5) IIyrem. na Amyp®, crp. 75. 6) Er ist aus Rennthier- und Elennsbeinfellstücken ge- macht, das Querband in der Mitte besteht aus Otterfell. Giljaken. Elenn- und Rennthierjagd mit Stosswaffen. 61 auch viel geschickter als die Schusswafle. Der durchgängig bei ihnen gebräuchliche Bärenspiess (gilj. Zachtsch, Tab. XLVI, Fig. 2) ist von derselben Beschaffenheit wie bei den tungusischen und anderen sibirischen Völkern, — eine grosse, breite, einschneidige, spitz zulaufende Messer- klinge, die an einen derben, 5—6 Fuss langen hölzernen Stiel befestigt ist. Die Lanzen (gilj. kach)” sind von noch grösserer Länge. Ihr Stiel ist gleichmässig dick und beginnt erst etwa zwei Fuss vor der Spitze sich nach dieser hin zu verjüngen. Die auf diesem Stiel sitzenden Speere sind zweischneidig, lang, schmal und haben längs ihrer Mittellinie einen hervorragen- den, abgerundeten, zur Spitze hin allmählich sich verflachenden Kiel. Die im Alltagsleben ge- bräuchlichen Speere sind von grober, schmuckloser Arbeit; es giebt aber auch elegante, sehr sauber und fein gearbeitete Stücke, auf denen allerhand Thierfiguren, Arabesken und drgl. in Silber, Kupfer und Messing eingelegt sind, wie z. B. die auf Taf. XLVI, Fig. 4 und 5, abgebil- deten Exemplare, die ich in Tebach zu sehen bekam, resp. acquirirte?). Solche Stücke kommen jedoch in der Regel nicht in den Gebrauch, sondern werden, sorgfältig in Birkenborke einge- wickelt, von ihrem Besitzer als Zeichen grossen Reichthums aufbewahrt. Bärenspiesse und Lanzen sind die allergebräuchlichsten Waffen der Giljaken gegen Elenn- thiere, Rennthiere, Bären und drgl. In der ersten Zeit meines Aufenthalts im Nikolajefschen Posten, als derselbe nur aus ein paar am Rande des noch völlig ungelichteten Waldes errichte- ten Blockhäusern bestand, ereignete es sich fast vor meinen Augen, dass ein Elennthier aus dem Walde auf den Strom herausgelaufen kam und, da es dort auf eine Gruppe lagernder Gilja- ken stiess, durch Schwimmen weiter zu kommen suchte; die Giljaken setzten ihm jedoch so- gleich im Boot nach und erstachen es im Wasser mit ihren Lanzen, worauf ich das Fell des Thieres erhielt. Im Winter, wenn der allzu tiefe Schnee dem Elenn wie dem Rennthier die Be- wegung stark erschwert, verfolgen die Giljaken sie auf Schneeschuhen, um sie schliesslich mit ihren Spiessen und Lanzen zu erlegen. Dem Rennthier, das auf den waldlosen Flächen Nordsachalin’s besonders häufig ist und sich in kleinen Rudeln auf das Limaneis begiebt, kom- men sie noch in anderer Weise bei. Wenn sich nämlich im Beginn des Frühjahrs, unter dem Einfluss der Mittagssonne und der Nachtfröste, über dem Schnee eine dünne Eiskruste gebildet hat, welche zwar stark genug ist, um Hunde zu tragen, unter dem Rennthier aber zerbricht, setzen sie ihm auf einem leichten, mit Hunden bespannten Schlitten nach, bis sie es mit ihren Spiessen und Lanzen angreifen können. Am häufigsten jedoch bringen sie diese Waflen dem Bären gegenüber in Anwendung. Ist er doch, von dem seiner grossen Seltenheit wegen fast nur mythischen Tiger und dem nicht 1) So hörte ich die Giljaken baid die ganze Lanze und 2) Die Abbildungen wurden von Hrn. Maximowiez bald nur die eiserne Lanzenspitze nennen, gleichwie es im | an Ort und Stelle gemacht. Auf dem einen dieser Speere Deutschen mit dem Worte «Speer» geschieht. Dennoch | (Fig. 4) finden sich unter den beiderseits ganz gleichen dürften sie sicherlich verschiedene Bezeichnungen dafür | Figuren auch vorzügliche Darstellungen vom Zobel, wie haben, gleich wie wir es oben für die Harpune und deren | er in einen Fisch beisst, u. drgl. m. Spitzen gesehen haben. 562 Die Völker des Amur-Landes. minder unbekannten Irbis, welche die Giljaken aus abergläubischer Furcht kaum bei ihrem Namen zu nennen wagen), abgesehen, das grösste und mächtigste Raubthier ihres Landes und zugleich dasjenige Thier, das ihren Gaumen am meisten reizt, und das, dank den an seine Ver- speisung sich knüpfenden Festlichkeiten, auch in ihrem socialen Leben eine besonders wichtige Rolle spielt. Vor Allem bestrebt, das Thier lebendig in ihre Hände zu bekommen, spüren sie nach ausgefallenem Schnee eifrig nach, wo ein Bär sein Winterlager genommen haben könnte. Ist ein solches aufgefunden, so thut sich eine Anzahl muthiger und kräftiger Männer zusammen, um, mit dem nöthigen Zubehör an Stricken, Ketten, Spiessen und drgl. versehen, den Schläfer in seinem Lager zu überraschen, aus der Ruhe aufzustören, zu fesseln und in die Gefangenschaft abzuführen. Ohne Kampf geht es dabei selbstverständlich nicht ab, und so ge- schiekt die darin meist schon geübten Bärenfänger sein mögen, setzt es doch nicht selten auch mehr oder minder ernste Verwundungen ab, die jedoch von den Giljaken leichter als andere hingenommen werden, da sie für besonders ehrenvoll gelten und dem Betroffenen den Nimbus männlichen Muthes verleihen. Dass aber der Kampf gleichwohl meist oder oft erfolgreich ab- läuft, dafür sprieht die Häufigkeit in der Gefangenschaft gehaltener Bären bei den Giljaken: kaum dürfte sich ein etwas grösseres Dorf finden, in welchem man auf einer Reise durchs Land nicht ein oder ein paar solcher Thiere zu sehen bekommt. Liegt die Stelle, wo der Bär aus sei- nem Lager gehoben und gefesselt worden, nicht weit von dem Ort, dem seine Bezwinger ange- hören, so wird er in seinen Fesseln an Stricken schlechtweg nach diesem geführt und in den bereit gehaltenen Kerker gesteckt. Bei grösseren Entfernungen aber dienen die Schlitten, in de- nen die Jäger gekommen, auch dazu, ihre Beute heimzuführen. Der gefesselte Bär wird auf einen oder, wenn der Weg es gestattet, auch auf zwei neben einander gestellte und zusammen- gebundene Schlitten gesetzt und im Triumphzuge unter lauten Jubelrufen der Schlittenlenker und dem Gebell der zahlreichen, leidenschaftlich aufgeregten Hunde nach seiner neuen Woh- nung gebracht. Von der Beschaffenheit des Bärenkerkers und der Behandlung des gefangenen Thieres wird später, bei Besprechung der Bärenfestlichkeiten der Giljaken die Rede sein, jetzt handelt es sich zunächst nur um seine Erbeutung. Nicht immer endigt der Kampf mit dem aus seinem Lager aufgestörten Bären mit einer Fesselung desselben. Oft setzt er sich so anhaltend und kräftig zur Wehr und wird seinen Gegnern so gefährlich, dass diese sich genöthigt sehen, ihm mit ihren Spiessen und Lanzen ein Ende zu bereiten. Ja, Letzteres geschieht sogar in der Regel, wenn eine alte Bärin mit ihren ein- oder zweijährigen Jungen im Lager gefunden wird. In diesem Falle wird der allzugefährliche Kampf zur Gefangennahme des alten Thieres meist gar nicht unternommen, vielmehr begnügt man sich damit, dieses sogleich zu erstechen und nur die Jungen zu fesseln und in die Gefangenschaft abzuführen. Die auf solche oder irgend welche andere Weise in der Wildniss erlegten Bären werden von den Giljaken zwar ebenfalls 4) Hierüber habe ich mich bereits im ersten Bande | eingehend ausgelassen. Auf die ebenda berührten Tiger- dieses Werkes (p. 90—96), bei Besprechung des Vorkom- | und Irbisgötzen komme ich in der Folge noch zurück. mens und der Verbreitung dieser Thiere im Amur-Lande, Giljaken. Bärenjagd und Gefangennahme. 563 verzehrt, allein, so viel ich weiss, ohne besondere Festlichkeiten, und dies nicht bloss aus dem Grunde, weil die dabei so sehr wesentlichen Umzüge, die mit den gefangen gehaltenen Bären vorgenommen werden, selbstverständlich unterbleiben müssten, sondern vielleicht auch weil die erlegten Bären für einen giljakischen Gaumen lange nicht den Wohlgeschmack und auch nicht die dicke Specklage der längere Zeit hindurch gefangen gehaltenen und mit Fischnahrung gemäste- ten Thiere haben dürften. An der Küste des Ochotskischen Meeres erfuhr Middendorff!) von einer anderen Art der Giljaken, den Bären lebendig zu erbeuten, welche jedoch im Amur- Lande und auf Sachalin, bei anderer Naturbeschaflenheit, kaum vorkommen dürfte. Diese be- steht darin, dass man an solchen Stellen, wo tief eingetretene Wildstege von der Höhe der Steilküste zum Meere hinab und zwischen zwei nahe von einander stehenden Bäumen hindurch- führen, an diesen letzteren grosse Riemenschlingen anbringt, in welchen sich der Bär, da er weder rechts, noch links einen anderen Weg findet, nothwendig verfangen muss. Im Amur- Lande sind mir keine derartigen Lokalitäten bekannt, und dem entsprechend habe ich dort auch nie von einer solchen Art, den Bären zu fangen, gehört. Sicherlich knüpfen sich bei den Giljaken an die Jagd auf den Bären auch manche aber- gläubische Vorstellungen und Gebräuche, deren Beachtung für nothwendig gehalten wird, um die Gefahren des Kampfes mit ihm glücklich bestehen und sich des gewaltigen Thieres unbe- schadet bemächtigen, im Falle seines Todes aber der Rache seiner Manen entgehen zu können. Dennoch kann ich der Angabe Nordmann’s, dass dem in seinem Lager aufgespürten Bären zuerst von einigen Schamanen «liebliche Lieder» vorgetragen werden, die ihn zum Herauskom- men aus seinem Versteck bewegen sollen), keineswegs beistimmen. Denn die Schamanen haben bei den Giljaken, ganz abgesehen von dem ihren Gesängen hier zugeschriebenen, in Wirklichkeit ihnen nie und nimmermehr zukommenden Charakter, mit der Jagd, sei es auf Bären oder auf andere Thiere, ganz und gar nichts zu thun. Sie greifen überhaupt bei diesem zwar abergläubischen, aber thatkräftigen und erwerbslustigen Volke in die Beschäftigungen des praktischen Lebens, Fischfang, Jagd, Handel, niemals ein, sondern üben ihre Künste, wie wir in der Folge sehen werden, bei ganz anderen Veranlassungen und Gelegenheiten aus. Uebri- gens halten die Giljaken die Gefangennahme eines Bären noch nicht für eine an demselben verübte Frevelthat, da er durch dieselbe einem Leben mit reichlicher Nahrung, guter Wohnung und mancherlei Ehrenbezeugungen entgegengeführt wird. Erst durch seine Tödtung und Ver- speisung könnten die Rachegeister wachgerufen werden, und darum sind die zu diesem Aus- gange führenden Bärenfestlichkeiten mit einer Menge vom Aberglauben eingegebener Verhal- tungsregeln umstellt, deren Beobachtung das Unheil abwenden soll. Die anderen Thiere kommen weniger in Betracht, doch dürfen auch bezüglich ihrer manche Regeln nicht missachtet werden, ohne dass in Zukunft Misserfolge in der betreflenden Jagd und somit, je nach der Thierart, um die es sich handelt, auch mehr oder minder empfindliche Schädigungen im Erwerbe verursacht 1) Reise etc., Bd. IV, p. 1381. Imp. des Natur. de Moscou, 1861, T. XXXIV, Sec. Part., 2) Arth. Nordmann, Ueber den Fischfang und die | p. 251). Jagd der am Amur wohnenden Giljaken (Bull. de la Soc. 564 Die Völker des Amur-Landes. werden. So liess mich der Zufall auf folgenden Aberglauben bezüglich des Zobelfanges stossen. Als ich am unteren Tymy auf Sachalin in die Jurte von Miwwach trat, sah ich am Wandge- bälk einen noch ganz intakten, oflenbar eben aus der Falle gebrachten Zobel hängen. Während ich ihn betrachtete, trat die Frau des abwesenden Hauswirths ein: sichtlich bestürzt darüber, dass ich das Thier gesehen, grifl sie nach einer Pelzmütze und hing sie über dasselbe, worauf es nach einiger Zeit von der Wand abgehoben, in Birkenborke eingewickelt und unter die übri- gen Habseligkeiten des Hauses gethan wurde. Meine Bemühungen, es zu kaufen, scheiterten, ungeachtet des hohen Preises, den ich bot, vollständig: kategorisch wurde mir erklärt, es sei schon «itsch» (unheilbringend) gewesen, dass ich, ein Fremder, das Thier unabgebalgt gesehen hätte, noch schlimmere Folgen aber für den künftigen Zobelfang würde es geben, wenn sie es mir in dem intakten Zustande verkaufen wollte‘). Ebenso verhalten sich die Giljaken wahr- scheinlich auch den übrigen schätzbaren Pelzthieren gegenüber, wobei sie offenbar von dersel- ben abergläubischen Vorstellung beherrscht werden, deren ich oben (S. 546) bei Besprechung des Seehundsfanges bereits gedacht habe. Der utilitarische Gesichtspunkt bei diesem Aberglau- ben tritt auch darin zu Tage, dass derselbe sich auf werthlose Thiere, an deren Fange den Giljaken nichts liegt, nicht erstreckt, denn frische, eben aus der Falle gebrachte Exem- plare vom Eichhörnchen und von Mustela sibirica wurden mir von den Giljaken ohne Wei- teres abgetreten. Wenn übrigens dem Reisenden von dem auf die Jagd und die einzelnen Jagd- thiere bezüglichen Aberglauben der Giljaken, im Ganzen genommen, weit weniger entgegen tritt, als es beim Fisch- oder Seehundsfang der Fall ist, so findet dies seine natürliche Erklä- rung in dem eingangs schon hervorgehobenen Umstande, dass die Jagd bei ihnen lange nicht in dem Maasse wie der Fisch- und Seehundsfang im Vordergrunde des Lebens steht. Bei Besprechung der verschiedenartigen, bei den Giljaken gebräuchlichen Pfeilarten ist oben im Vorübergehen auch der Jagd auf Federwild gedacht worden. Es mögen nun noch einige dahin gehörige Bemerkungen folgen. Die bei Weitem grösste Menge von Enten, Gänsen und anderen Wasservögeln erliegt nicht jenen kolbenförmigen Pfeilen, die im Ganzen nur we- nig gebraucht werden, sondern wird zur Zeit der Mauser von den Giljaken mit Netzen ge- fangen und einfach geknüppelt. Nur zufälligerweise, aber nicht selten erbeuten sie dabei auch solche Vögel, die tauchend ihrer Beute im Wasser nachstellen und sich in den Netzen verfan- gen. Unter diesen schenken sie eine besondere Aufmerksamkeit den Tauchern, Colymbus sep- tentrionalis L. und ©. arcticus L. (gilj. ugn), was jedoch nicht aus praktisch-utilitarischen, sondern aus Gründen des Aberglaubens geschieht, auf die ich später, gelegentlich der Betrachtung ihrer Arten der Leichenbestattung, zu sprechen kommen werde. Haselhühner (gilj. Rang) und Schnee- fe) hühner (gilj. parrä, am Tymy auf Sachalin tschleola-nga), mit denen die Giljaken den Nikolajef- 1) Dieser Aberglauben, auf den ich auch beiden Golde | von Kirenskoi Ostrog: «sobald ein Zobel gefangen wird, stiess, herrscht nicht minder unter den sibirischen Tun- | muss er gehöriger Maassen verwahrt werden, ohne dass gusen und ist von ihnen auch auf russische Jäger in Sibi- | ihn Jemand ansieht; denn sie meinen, dass wenn man von rien übergegangen. So erzählt Gmelin (Reise durch Sibi- | dem gefangenen Zobel gut oder schlecht spricht, der rien, Göttingen 1752, Bd. II, p. 278) von den in Gesell- | übrige Fang verdorben sei». schaft auf den Zobelfang ausziehenden russischen Jägern Giljaken. Erbeutung und Aufziehung von Fischadlern. 565 schen Posten in den Wintern 1855 — 57 reichlich versorgten, werden von ihnen in Schlingen (gilj. kusi) gefangen. In Betreff des Schneehuhns, das man bei den Giljaken auch auf Amuletten, wenn auch in ganz unkenntlicher, nur symbolischer Weise dargestellt findet, bemerkte ich bei ihnen ebenfalls jenen oben erwähnten, auf den Kopf des Thieres bezüglichen Aberglauben, in- dem sie beim Verkauf dieses Vogels sehr gern den Kopf zuvor zu beseitigen suchten. Am wichtigsten unter allen Vögeln sind für die Giljaken die Fischadler: Haliaötos pela- gieus Pall. (gilj. tscharngai-tscham) und H. albieilla Briss. (gilj. myghr-tscham, im Innern Sachalin’s ach-tscham). Der erstere kommt jedoch in ihrem Gebiet nur selten und vornehmlich an der Meeresküste, der letztere hingegen häufig und im ganzen Lande vor, und dieser ist daher stets gemeint, wenn vom T'scham (Adler) schlechtweg die Rede ist. Der Nutzen, den die Giljaken von ihnen ziehen, besteht darin, dass ihre Steuerfedern einen wichtigen Artikel im Handel mit den Japanern abgeben, bei denen sie, wie mir jene erzählten, dazu dienen, die Fenster in den Wohnungen vornehmer Personen auszuschmücken und sie dadurch vor denjeni- gen gemeiner Leute kenntlich zu machen. Ausserdem gebrauchen die Giljaken Adlerfedern zum Beschwingen ihrer Pfeile und zum Herstellen einiger Gegenstände von symbolischer Be- deutung für ihre Leiehenhäuschen. Um sich in den Besitz von mögliehst unbeschädigten Steuer- federn der Adler zu setzen, heben die Giljaken die jungen Vögel aus dem Neste aus, wobei sie hohe und schwer erkletterbare Bäume, in deren Gipfel sich ein Nest befindet, bevor die Jungen flügge geworden, fällen. Die gefangenen jungen Adler werden auf den Fischtrockenge- rüsten angekettet gehalten und mit Fischabfällen gefüttert, bis sie ihr volles Gefieder erlangt haben, worauf sie getödtet, ihre Schwanzfedern aber sorgfältig zwischen Birkenborkplatten aus- gebreitet und so für den Handel aufbewahrt werden. Die Zahl der von den Giljaken alljähr- lich erbeuteten und aufgezogenen Adler muss ganz beträchtlich sein, denn kaum dürfte man ein giljakisches Dorf treffen, in welchen auf den Fischtrockengerüsten nicht mehrere derselben zu sehen wären. Insbesondere gilt jedoch die Südküste des Ochotskischen Meeres für das eigent- liche Adlerland, da dort ausser dem Myghr- auch der Tscharngai-tscham erbeutet wird, des- sen Schwanzfedern von den Japanern besonders hoch geschätzt werden. Es geschieht daher nicht gar selten, dass Amur- und Liman-Giljaken sich zu mehrjährigem Aufenthalt nach der Küste des Ochotskischen Meeres begeben, um dort dem Gewinn von Adlerschwänzen nachzu- gehen. Gleich den Giljaken befassen sich auch ihre näheren und ferneren Nachbarn am Amur, die Oltscha und Golde, mit dem Aufziehen junger Fischadler von derselben Art (Hal. albi- cilla, oltsch. gussi, gold. käktscha), und zwar nicht etwa, wie Maack') meint, um ihnen eine religiöse Verehrung zu erweisen, oder andere Vögel von den auf den Trockengerüsten hängen- den Fischen fernzuhalten sondern ebenfalls nur um ihre Schwänze an die Japaner zu verkau- fen, was entweder direkt, oder durch Vermittelung der Giljaken geschieht. Dasselbe thun end- o\ lich auch die Aino von Jesso und den Kurilen, wie es schon Vries®), Steller”), Broughton ‘) 1) Hyreu, ua Anyps, erp. 143, 170, 206. | 3) Beschreib. von dem Lande Kamitschatka, p. 194. 2) Siebold, Aardr. en volkenkund. toelicht., p. 101. | 4) Voyage of discovery to the North Pacif. Oc., p. 107. 566 Die Völker des Amur-Landes. u. A. berichteten. Einer besonderen Beliebtheit zum Beschwingen von Pfeilen erfreuen sich aber die Adlerfedern auch noch bei den Eskimo von Nordwestamerika, am Kwichpak, Norton- Sunde u. s. w.)). Im Vorstehenden ist an verschiedenen Orten von eisernen Utensilien und eisernen Waflen der Giljaken die Rede gewesen, wobei uns, zumal unter den letzteren, auch Stücke von recht kunstvoller Arbeit begegnet sind. Es ist hier daher am Ort, nach dem Ursprung und eventuell nach der Art der Anfertigung dieser Gegenstände zu fragen. Der Umstand, dass die Giljaken beim äusseren oder inneren Ausbau ihrer Häuser kein Eisen gebrauchen und ebenso bei der Anfertigung von Böten, Schlitten und drgl. zur Verbindung der einzelnen Stücke mit einander sich stets statt eiserner Nägel nur hölzerner Stifte bedienen, lässt nicht erwarten, dass sie Mei- ster im Schmiedehandwerk seien, und ruft auf den ersten Blick die Vermuthung hervor, dass die zahlreichen und zum Theil sauber und kunstvoll gearbeiteten eisernen Utensilien und Waf- fen, die man bei ihnen findet, von fremdem Ursprunge sein dürften. Letzteres ist jedoch keines- wegs der Fall. Bereits in einer der ältesten Nachrichten werden sie als geschickte Waflen- schmiede bezeichnet. Strahlenberg wurde nämlich während seiner Gefangenschaft in Sibirien, im Anfange des vorigen Jahrhunderts erzählt, dass ein an der Mündung des Amur-Stromes wohnendes Volk, die Kilani, welches die Russen «Kilaki» nennen, «ein vortrefllich schön Ge- wehr, darunter auch die besten Bögen mache und in Eisen arbeite» °), — eine Nachricht, die hauptsächlich wohl wegen der allerdings sehr abenteuerlichen Combination, welche er durch Zusammenstellung der Kilani mit der persischen Provinz Gilan und den Awaren an dieselbe knüpfte, bei dem späteren Reisenden Gmelin so wenig Glauben fand, dass er die Existenz eines solchen Volkes überhaupt in Zweifel ziehen zu müssen glaubte?). Gäbe es dort ein Volk, meinte Gmelin, das sich durch Gewehrmachen besonders auszeichnete, so müsste ganz Sibirien davon voll sein und würde man auch längst, wenn nicht von ihm selbst, doch durch die Chine- sen dergleichen Gewehr bekommen haben‘). Dennoch bestätigt sich jetzt die vor mehr als 1Y/, Jahrhunderten zu Strahlenberg’s Ohr gedrungene Nachricht. Denn sowohl die oben er- wähnten, mit Büffelhorn ausgekleideten und mit Silber verzierten Bögen, als auch die schönen, mit eingelegten Figuren aus Kupfer, Messing und Silber versehenen Lanzen, Speere und Messer, die ihresgleichen bei keinem der sibirischen Völker haben, sind von giljakischer Arbeit. Wenn aber diese schönen Waflenstücke zu Gmelin’s Zeiten in Sibirien unbekannt waren und auch heutzutage kaum über das Amur-Land hinaus dringen, so liegt dies einerseits in der geringen Menge des den Giljaken zur Verfügung stehenden Metallmaterials und andererseits, und noch mehr, in dem hohen Werthe, den sie selbst den besonders schön gearbeiteten Stücken zuschreiben, und der sie veranlasst, solche Stücke weder zu gebrauchen, noch zu veräussern, sondern gewisser- 1) Barocknuu®, HemexoAau. onnch yacrm pycck. BA1aA. 3) S. oben, p. 98. »5 Anepnkb, 4. I, erp. 61. 4) J. G.Gmelin, Reise durch Sibirien, Göttingen 1752, 2) Ph. Joh. v.Strahlenberg, Das Nord- und Östliche | Bd. II, Vorrede. Theil von Europa und Asia, Stockholm 1730, p. 386. Giljaken. Kunstvolle Metallarbeiten. Art und Weise das Eisen zu schmieden. 567 maassen als ein Kapital sorgfältig aufzubewahren und zu vererben, oder aber höchstens zum Kaufe eines Weibes zu verwenden, wodurch sie zwar ihren Besitzer wechseln, aber doch im Bereich der Giljaken bleiben. Zudem mag bei der Unzulänglichkeit ihrer Hülfsmittel auf die Herstellung jedes einzelnen Stückes der Art viel Zeit hingehen und, wie stets und allenthal- ben, eine grössere Kunstfertigkeit auch nicht Jedem zu eigen sein. Zur Zeit meines Aufenthaltes im Amur-Lande galt namentlich das gleich oberhalb von Patt am Amur gelegene Dorf Chylk !) für den Ort, wo die schönsten Speere, Lanzen und Messer verfertigt wurden, und dort sollen auch die auf Taf. XXXI, Fig. 2, und Taf. XLVI, Fig. 4 und 5, abgebildeten Stücke gemacht worden sein, die dem reichen Giljaken Judin in Tebach und dessen Söhnen gehörten, und die ich gegen verschiedene Waaren zu einem hohen Preise von ihnen aequirirte. Leider bin ich an diesem dem Anschein nach unansehnlichen, nur aus zwei Häusern bestehenden Orte zu einer Zeit vorübergekommen, als ich von dessen industrieller Bedeutung für die Giljaken noch nichts wusste. Im Sommer 1855 wurde unmittelbar daneben, ja fast an derselben Stelle die russische Ansiedelung Michailofskoje begründet°), was die Giljaken später vermuthlich zum Verlassen dieser ihrer Wohnstätte bewogen haben wird. Hingegen habe ich im Dorfe Tyk auf Sachalın Gelegenheit gehabt, die Giljaken beim Schmie- den des Eisens zu beobachten. Die Schmiede war im hintersten, dem Eingange gegenüber gelegenen Raume der Erdjurte aufgeschlagen. Dazu waren dort einige Bretter der Schlafbank fortgeräumt, so dass der unter derselben befindliche Erdboden entblösst war. Hier lagen zwei aus Seehundsfell gemachte, längliche Blasebälge (gilj. chigr), deren lange Röhren sich gegen ihr Ende zu einem gemeinsamen Rohr vereinigten. Vor der Mündung dieses letzteren war ein halbkreisförmiger, aus hartem, trockenem Lehm gefertigter Klotz (gilj. chugn) aufgestellt, der auf seiner unteren Seite mit einem Ausschnitt versehen war, dessen Grösse genau der Mündung des Blasebalgrohrs entsprach, und unmittelbar davor befand sich das Feuer, in welches die zu schmiedenden Eisen- stücke gesteckt wurden. Um das Blasebalgrohr unbeweglich an seinem Ort zu erhalten, waren die beiden Arme desselben durch einige über einander gestellte längliche und schmale Kasten, wie sie bei den Giljaken im Gebrauche sind, beschwert. Ein Junge bewegte die beiden Blase- bälge, indem er abwechselnd den einen hob und den anderen senkte, und ein anderer, erwach- sener Giljake nahm mit einer Zange (gilj. watsch)” die zu schmiedenden Eisenstücke aus dem Feuer heraus, um sie auf einem daneben stehenden kleinen, dreieckigen, eisernen Ambos (gilj. mik) zu hämmern. Diese Zangen sind von verschiedener Grösse, je nach der Grösse der zu be- arbeitenden Eisenstücke. In meiner Gegenwart wurde die Klinge zu einem gewöhnlichen, zum Schneiden von Holz und drgl. dienlichen Messer, einem sogen. Yi-dshakko*), und ein zweites, feineres Stück verfertigt, ein sogen. Kessj-kessj, d.h. eine jener mitunter recht complieirten Ketten, 1) Auf der diesem Bande beigegebenen ethnographi- | dieses Werkes beigegebenen Karte des Amur-Landes. schen Karte des Amur-Landes ist die Lage dieses Dorfes 3) Das w ist hier wie das englische w auszusprechen. zwar angegeben, sein Name aber nicht eingetragen. 4) S. oben, p. 395 und Taf. XXXI, Fig. 4. 2) Diese findet sich auch auf der dem ersten Bande 7; > - Schrenck's Amur-Reise, Band III, 568 Die Völker des Amur-Landes. welche, mit verschiedenen kleinen Anhängseln, einem eisernen Purrer, einem Feuerstahl und drgl. versehen, von den Giljaken am Gürtel getragen werden '). Ausser dem Eisen (gilj. wytsch) kommen bei diesen Arbeiten der Giljaken, wie erwähnt, auch andere Metalle, namentlich Kupfer (gilj. paghla, d. h. roth), Messing (gAj. tussj) und Silber (gilj. Zotta)® zur Verwendung. Je mehr von diesem letzteren in einen Speer oder ein Messer eingelegt ist, um so höher wird das Stück geschätzt. Da sie es nur zu diesem Zweck oder zur Anfertigung von Schmucksachen, wie Ringe, Ohrgehänge, Spangen und drgl., ge- brauchen, so ziehen sie das weichste, weil reine, und darum zu ihren Zwecken am leichtesten verwendbare chinesische Silber allem anderen vor?). Der hohe Grad von Kunstfertigkeit, der sich in den oben besprochenen giljakischen Spee- ren, Messern und drgl. ausspricht, zeugt dafür, dass das Schmieden von Eisen und anderen Metallen eine von den Giljaken seit langer Zeit geübte Kunst ist, und die oben erwähnte Nach- richt von Strahlenberg steht im Einklange damit. Ohne Zweifel werden sie aber diese Kunst von einem der beiden ihnen benachbarten Gulturvölker Ostasien’s entlehnt haben. Es fragt sich nur, ob von den Chinesen, oder von den Japanern. Der Umstand, dass ihre Beziehungen zu den letzteren in eine ältere Zeit als diejenigen zu den ersteren zurückreichen dürften, indem sie, wie ich aus anderen Gründen nachzuweisen versucht habe *), bevor sie in das Mündungs- land des Amur-Stromes kamen, schon auf Sachalın eine Heimstätte hatten, wo sie unmittelbar mit den Aino und daher mittelbar auch mit den Japanern in Berührung standen, — dieser Umstand weist auf die letzteren als Urheber der Bekanntschaft der Giljaken mit dem Eisen und anderen Metallen und als ıhre, wenn auch nur indirekten Lehrmeister in der Schmiede- kunst hin. Und eine Reihe von Thatsachen bestärkt mich in dieser Ansicht. Wären der Gebrauch und die Bearbeitung des Eisens den Giljaken von den Chinesen, also durch Vermittelung der Mandshu und Golde den Sungari und Amur abwärts zugekommen, so dürfte man, in umgekehrter Richtung, stromaufwärts von den Giljaken gegangen, eine Steigerung in der Kunstfertigkeit des Eisenschmiedens erwarten. In Wirklichkeit findet jedoch in der erwähnten Richtung nicht nur keine Steigerung, sondern im Gegentheil eine Abnahme in der Feinheit und Sauberkeit der Metallarbeiten statt. Denn die Oltscha dürften zwar kaum minder geschickte Eisen- und speciell Waflenschmiede als ihre Lehrmeister, die Giljaken, sein, die Golde aber stehen den Oltscha darin weit nach’), obwohl sie in manchen anderen Dingen, wie z. B. im Bauen von Böten, in Näh-, Stick- und Flechtarbeiten, eine ausserordent- liche Geschicklichkeit besitzen. Dabei haben sie ein anderes Benehmen beim Schmieden als die Giljaken, indem sie sich nur eines Blasebalges bedienen, und auch ein nicht unwesentlich ver- 1) S. oben, p. 396 und Tab. XXVII, Fig. 1. unbekannten Gebrauch von Silber- und Goldmünzen im 2) Das Quecksilber, das sie bei mir sahen, war ihnen | Handel werden im nächsten Kapitel am betreffenden Ort ganz neu und erregte bei ihnen eine grosse Verwunde- | einige Worte gesagt werden. rung; sie gaben ihm aber sogleich die charakteristische 4) S. oben, p. 214. Bezeichnung «totta-tschach», d. h. Silberwasser. 5) So lautet auch Maack’s Urtheil (s. dessen Ilyreı. 3) Ueber den den Giljaken zu meiner Zeit noch fast | na Amypv, erp. 175 u 207). Giljaken. Japanischer Ursprung ihrer Kenntniss des Eisens u. seiner Bearbeitung. 569 schiedenes Zubehör, so z. B. einen ganz anders geformten Ambos und drgl.). Endlich ist nicht zu übersehen, dass auch die goldischen Bezeichnungen für diese Dinge nichts Gemeinsames mit den giljakischen haben. Nach alledem liegt der Gedanke nahe, dass die Golde ihre Schmiede- kunst von einer anderen Seite als die Giljaken und durch diese die Oltscha, nämlich von den ihnen zunächst angrenzenden Mandshu-Chinesen bezogen haben. Dass hingegen die Giljaken ihre Kenntniss des Eisens und seiner Behandlung den Japa- nern verdanken, dafür sprechen ferner folgende Thatsachen. Ganz dieselbe Art und Weise, das Eisen zu schmieden, wie bei den Giljaken, findet sich auch bei den Aino auf Sa- chalin. Mamia-Rinsö widmet diesem Gegenstande einen besonderen Abschnitt in der Re- schreibung seiner Reise durch Krafto (Sachalin) und einen Theil des unteren Amur-Landes?). Zu seiner Zeit (1808) wurde allerdings das Eisenschmieden von den Aino auf Sachalın nur sehr wenig, ja nur noch hie und da von einigen alten Leuten ausgeübt, weil die aus Japan eingeführten Eisengeräthe, die natürlich von viel besserer Arbeit waren, bereits eine all- gemeine Verbreitung unter ihnen gefunden hatten. Vordem jedoch waren sie beflissen, sich ihren Bedarf an eisernen Waflen und Utensilien selbst herzustellen, und zwar aus Eisen, das sie von den Japanern in Ssiranussi eintauschten. Mamia-Rinsö beschreibt nun ihr Verfah- ren beim Schmieden des Eisens, und dieses stimmt mit dem oben geschilderten der Gilja- ken vollständig überein: er erwähnt der beiden, auf dem Boden neben einander liegenden, aus Seehundsfellen oder Fischhäuten»gemachten Blasebälge, der bis auf die gemeinsame Mündung mit Erde bedeekten oder beschwerten Blasebalgröhren, der gleichzeitigen Betheiligung zweier Männer an der Arbeit u. s. w. In der Folge®), bei Besprechung der Smerenkur (Giljaken) von Sachalin, hebt er auch ausdrücklich hervor, dass diese dieselbe Art des Eisenschmiedens wie die Aino haben. Allerdings zieht Mamia-Rinsö, trotzdem er ferner bemerkt, dass die Aino die Schneide an ihren Waflen auf japanische Weise machen, und dass überhaupt ihre Art des Schmiedens «ungefähr dieselbe wie in Japam» ist, doch nicht den naheliegenden Schluss, dass die Aino ihre Kenntniss des Eisens und anderer Metalle und deren Bearbeitung den Japa- nern zu verdanken hätten, ja, er spricht sich vielmehr dahin aus, dass sie ihre Art und Weise, das Eisen zu schmieden, von keinem anderen Volke erlernt, sondern selbst ersonnen zu haben scheinen. Dies darf uns jedoch keineswegs befremden, da der vorsichtige Reisende in seinem knapp und nüchtern gehaltenen Bericht nur von ihm selbst Gesehenes und Erlebtes mittheilt und sich von allen Combinationen und Schlüssen fern hält. Es stellt daher nur noch mehr ausser Zweifel, dass die Verbreitung des Eisens und der Kunst seiner Bearbeitung aus Japan zu den Aino von Jesso und Sachalin und durch diese zu den Giljaken in einer sehr alten Zeit stattgefunden hat, einer Zeit, die zu weit zurücklag, als dass sich unter den Aino zu Rinsö’s Zeit noch irgend welche auf jenes Ereigniss bezügliche Erzählungen und Traditio- nen hätten erhalten können. 1) Vrgl. Maack, 1. c. p. 207, nebst Taf. II, Fig. 11,12, 2) Siebold, Nippon, VII, p. 187. 13 u. 24, 3) Ebenda, p. 194. 1 570 Die Völker des Amur-Landes. Auch die Thatsache endlich, dass die giljakischen eisernen Utensilien und Waffen, Messer, Speere und drgl., meist von derselben Form wie diejenigen der Aino sind, und dass die auf den eleganteren Waflenstücken eingravirten oder aus anderen Metallen eingelegten Figuren vielfach an japanische Muster erinnern, gleich wie es oben !) auch von den Verzierungen aufihren Kleidungs- stücken und auf mancherlei hölzernen und knöchernen Geräthschaften bemerkt werden musste, — auch diese Thatsache steht im Einklange oder wenigstens nicht im Widerspruch mit dem japanischen Ursprunge der Bekanntschaft der Giljaken mit dem Eisen und seiner Bearbeitung. Eines nur könnte dabei auf den ersten Blick befremdend erscheinen, es ist der Umstand, dass die grösste Kunstfertigkeit der Giljaken im Eisenschmieden nicht auf Sachalin, sondern am Amur und also in demjenigen Theile ihres Wohngebietes zu finden ist, der von Japan mit am weitesten entle- gen und dagegen dem mandshu-chinesischen Einflusse am meisten geöffnet ist. Dieser Umstand lässt sich aber aus politischen Verhältnissen erklären. Nach Mamia-Rinsö’s Zeugniss büssten die Aino auf Sachalin ihre Fertigkeit im Schmieden des Eisens allmählich mehr und mehr ein und gaben es endlich so gut wie gänzlich auf, wie er meint, in Folge von Ueberfluthung durch japa- nisches Eisenwerk. Wir müssen hinzufügen, dass dieser Rückschritt der Aino sicherlich noch einen anderen, tiefer liegenden Grund hatte, den der japanische Reisende wohl nicht nennen mochte oder durfte, — es war die drückende Knechtschaft, in welcher sie sich den Japanern gegenüber befanden, verbunden mit einer rücksichtslosen Ausbeutung seitens der letzteren, unter der sie mehr und mehr in Armuth, Elend und Indolenz verfallen mussten. Die Gilja- ken von Sachalin hingegen waren schon durch die grössere Entfernung ihrer.Wohnsitze von den Japanern in einer günstigeren Lage. Dank diesem Umstande und zugleich ihrer grösseren Energie und Klugheit vermochten sie sich unabhängig von denselben zu erhalten. Ja, die Furcht vor den Japanern und dem traurigen Schicksal, das ihre Nachbarn, die Aino, betroffen, mag sie vielleicht hauptsächlich dazu gedrängt haben, sich auf Sachalin mehr und mehr nordwärts zurückzuziehen und schliesslich sogar zum grossen Theil nach dem gegenüberliegenden Fest- lande aus- oder, in Erwägung einer noch weiter zurückliegenden Zeit vielleicht richtiger ge- sagt, zurückzuwandern ?). Jedenfalls musste die politische Unabhängigkeit, in der sie sich auf Sachalin den Japanern und im Amur-Lande den Mandshu-Chinesen gegenüber zu behaupten verstanden, einen mächtigen Hebel zur Erhaltung und Mehrung ihres Wohlstandes, sowie zur Weiterentfaltung einmal gewonnener Fertigkeiten und darunter auch der Kunst des Metall- schmiedens abgeben, und zwar um so mehr, je reichlicher ihnen die Existenzquellen flossen, wie dies am grossen und fischreichen Amur-Strome insbesondere der Fall war. Wie die Aino und Giljaken, so verdankt ferner auch das dritte Volk Sachalin’s, die Oroken, die Bekanntschaft mit dem Eisen und seiner Bearbeitung den Japanern, wenn sie ihm auch nicht direkt von diesen, sondern vermittelst jener beiden Völker zukam, zwischen welche es sich auf der Insel vorgeschoben hat. Gewiss ist schon die Thatsache bemerkenswerth, dass 1) S. p. 400. ken von Sachalin nach dem Festlande s. oben, p. 214 u. 2) Ueber diese Aus- oder Rückwanderung der Gilja- | 247. Giljaken. Gleiche Bezugsquelle des Eisens mit den Oroken und Itälmenen. 571 ein armes und wenig zahlreiches Nomadenvolk, wie die Oroken, seinen geringen Bedarf an eisernen Utensilien nicht von den sesshaften Nachbarvölkern bezieht, sondern selbst anfertigt. Noch merkwürdiger aber ist es, dass die Oroken diese Gegenstände in so grosser Menge an- fertigen, dass sie ihnen sogar als Tauschartikel im Handel mit den Giljaken dienen, die doch selbst des Schmiedehandwerks kundig, ja kundiger als die Oroken sind, und von denen die letzteren, nicht minder wie ihre Stammgenossen auf dem Festlande, die Amur-Oltscha, es vermuthlich einst selbst gelernt haben. In Ytkyrn im Tymy-Thale sah ich eine Anzahl von Messerklingen verschiedener Art (vom Gürtel-, Fischmesser u. a.), welche die Giljaken von den Oroken am Poro-nai gegen Tabak (für je ein paar Blättchen das Stück) erhandelt hatten. Sie waren nur roh gearbeitet und sämmtlich ohne Griff, gewissermaassen nur das grundlegende grobe Material, das noch der Ueberarbeitung im Einzelnen, der Glättung, Politur, Fassung und Verzierung durch die Giljaken bedurfte, um zu seiner endgültigen Bestimmung zu gelangen. So spielen die Oroken bei der Anfertigung eiserner Werkzeuge den Giljaken gegenüber ge- wissermaassen die Rolle von Rohlieferanten, — ein Verhältniss, das einerseits auf dem grossen Bedarf der Giljaken an solchen Werkzeugen, bei einem verhältnissmässig nur geringen Quan- tum an Rohmaterial, und andererseits auf der den Oroken gebotenen Möglichkeit beruht, sich dieses Material in grösserer Menge von den nicht allzu entfernten Japanern, sei es direkt, sei es durch Vermittelung der Aino zu verschaffen. Nehmen die Oroken in diesem ganzen Ver- hältniss den Giljaken gegenüber auch nur eine untergeordnete Stellung ein, so bekunden sie doch andererseits eine unzweifelhafte Ueberlegenheit im Vergleich mit den höchstens nur als Zwischenträger des Rohmaterials fungirenden Aino, und dem entspricht auch ihre weit grössere politische Unabhängigkeit den Japanern gegenüber. Ausser den Aino und Giljaken giebt es noch ein paläasiatisches Volk, das seine erste Kenntniss vom Eisen aus Japan erhalten hat. Es sind die Itälmenen oder Kamtschadalen, und zwar ist das Eisen, gleichwie den Giljaken, auch ihnen durch die Aino zugetragen wor- den. Steller‘) und Krascheninnikof°) berichten ausdrücklich, dass das erste Eisengeräth der Kamtschadalen, das sie schon vor Ankunft der Russen in ihrem Lande kannten und ge- brauchten, grosse japanische eiserne Nadeln waren, und auf diesen Ursprung der letzteren weist auch ihr kamtschadalischer Name hin, da «sühse» (nach Steller) oder «schisch» (nach Krascheninnikof), wie ich oben °) dargethan habe, nach der den Kamtschadalen durch die Aino der kurilischen Inseln überlieferten Bezeichnung für die Japaner nur so viel wie «japa- nisch» heisst. An diesen Nadeln verstanden die Kamtschadalen, wie Steller weiter berichtet, auch etwas Schmiedearbeit zu verrichten, welche sie vermuthlich von denselben Aino, die ihnen die Nadeln zutrugen, abgelernt hatten. Brach nämlich beim Gebrauch das Oehr an der Nadel ab, so machten sie diese glühend, gaben ihr durch Hämmern mit einem Stein eine der 1) Beschr. von dem Lande Kamtschatka, p. 249, Anm. a | no Poceim, T. II, erp. 49). u. p- 320. 3) Vrgl. p. 192—194. 2) Onme, semau Kamyarkır (Mod, coöp. yuen. nyrem. 572 Die Völker des Amur-Landes. früheren ähnliche Form und bohrten vermittelst einer anderen Nadel ein neues Loch hinein. Durch die kurilischen Aino erhielten sie ferner bisweilen, ebenfalls noch vor Ankunft der Russen, auch Stücke von japanischem Eisenerz. Diesen wussten sie jedoch keine andere Ver- wendung zu geben, als dass sie dieselben, wenn sie, wie Steller erzählt, etwa 2—3 Zoll lang waren und ungefähr die Form eines Messers hatten, an die Spitze einer Stange befestigten und so vor ihrem Hause als Zeichen hohen Ansehens und Reichthums aufpflanzten. Sicherlich be- ruhte diese Hochachtung der Kamtschadalen vor einem so unscheinbaren und an sich ihnen ganz nutzlosen Dinge auf der Mittheilung der Aino, dass dies das Material sei, aus welchem die in ihren Augen verständlicherweise mit dem Nimbus grossen Reichthums und Ansehens umgebenen Ssisan (Japaner) jene Messer, Schwerter und drgl. machten, welche sie selbst (die Aino) so hochschätzten und im Handel mit ihnen so theuer bezahlten. Wie sehr aber Letzteres der Fall war, lässt sich aus Steller’s Mittheilung ersehen, dass die kurilischen Aino für einen alten japanischen Säbel gern 20 Seebiber gaben und dabei einen sehr guten Tausch gemacht zu haben glaubten, solche Säbel aber nur an Feiertagen oder bei festlichen Aufzügen trugen und «beim Willkommen die wunderlichsten Figuren» mit denselben machten. Ob die vorhin erwähnten eisernen Nadeln, die als erstes Eisengeräth aus Japan zu den Kamtschadalen drangen, sich von diesen auch zu ihren Nachbarn, den Korjaken und Tschuktschen, verbreiteten, noch bevor das Eisen diesen Völkern durch die Russen gebracht wurde, muss zunächst dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber haben drei paläasiatische Völker, die Aino, die Giljaken und die Kamtschadalen, das Eisen aus Japan erhalten, und das war eine natürliche Folge der geographischen Lage dieses letzteren in der Nähe jener Völker, denn an Nippon, die Hauptinsel Japan’s, schliesst sich im Norden Jesso, das Hauptland der Aino, an), das wiederum einerseits nach dem halbgiljakischen Sachalin und andererseits über die Kette der Kurilen nach Kamtschatka hinüberführt. Man darf daher auch den weiteren Schluss ziehen, dass diese Völker in der Zeit, da sie, wie sich aus verschiedenen Gründen vermuthen lässt, weiter nach dem Innern des Continents zu wohnten ?), noch keine Kenntniss vom Eisen hatten und diese erst erhielten, nachdem sie zu Randvölkern geworden, d. h. nachdem sie bis zur äusser- sten Ostküste des Festlandes und auf die derselben vorgelagerten Inseln und Halbinseln ver- drängt worden und so in die Nähe von Japan gelangt waren °). Kehren wir nach dieser Abschweifung zu den Giljaken zurück, so ist hier der Ort, im Anschluss an die oben abgehandelten, zur Jagd auf dem Wasser wie auf dem Lande dienlichen Waflen derselben noch einige andere zu ihrer Bewaflnung gehörige Stücke zu besprechen. Zu- nächst sind hier zwei nach Form, Material und Ursprung ganz verschiedene Panzer (gilj. petsch) 1) Die hauptsächlich durch Ph. Siebold aufgebrachte | Thl., p. 5 ff.) bekämpft worden. Ansicht, dass die Aino ehemals auch den Norden von 2) S. oben, p. 247. Nippon bewohnten (vrgl. oben, p. 123), ist neuerdings von 3) Die Frage über den Ursprung und die Entwickelung Brauns (Die Bewohner des Japanischen Inselreichs, im | des Eisenhandwerks in Japan liegt selbstverständlich Jahresber. des Frankfurter Vereins für Geogr. u. Statist., | ausserhalb des Rahmens dieser Schrift. 48. u. 49. Jahrg., 1883—84 u. 1884—85, Wissenschafll. Giljaken. Schutzbewaffnung. Mandshurische Eisenpanzer. 373 zu erwähnen, die zwar gegenwärtig nicht mehr im Gebrauch, allein von nicht geringem histo- risch-ethnographischen Interesse sind. Der eine derselben ist ein Eisenpanzer (gilj. wytsch-petsch). Dieser besteht aus dünnen, länglichen eisernen Plättehen, die mit Löchern versehen sind, vermittelst welcher sie durch Riemen dicht neben einander an eine Thier- oder Fischhaut geheftet werden. Das Kopfstück dieses Panzers (Taf. XLIV, Fig. 2) hat die Form eines Helmes. Die oberen, abgerundeten Enden seiner Eisenplättchen sind etwas zurückgebogen und mit einem Riemen umbunden; vom unte- ren Rande desselben hängt ein zum Schutz für den Hals bestimmtes Stück herab. Das Brust- oder Rumpfstück (ebenda, Fig. 3), von dem ich nur einzelne Stücke (im Dorfe Tebach) gesehen habe, besteht aus mehreren Reihen von oben nach unten über einander greifender Eisenplätt- chen, die breiter und länger als diejenigen des Kopfstückes sind. Mamia-Rinsö!) erwähnt bei Besprechung der Smerenkur (Giljaken) von Sachalin dieses eisernen Panzers und sagt, er sei unter dem Namen «bettsi» bekannt, worin sich unschwer die oben angeführte, nach japani- scher Weise entstellte giljakische Bezeichnung «petsch» wiedererkennen lässt. Er sagt von ihm, dass er, obgleich wenig gebraucht, doch sehr hochgeschätzt wird und im Kriege den Haupt- schmuck desjenigen bildet, der zum Anführer gewählt worden ist. Bei der letzteren Behauptung mag die Phantasie des Reisenden mitgeredet haben, die erstere ist aber vollständig richtig: zu meiner Zeit waren diese Panzer vollkommen ausser Gebrauch, wurden aber, obgleich meist nur in defektem Zustande, ja oft bloss in einzelnen Bruchstücken vorhanden, für so werthvolle Ob- jekte gehalten, dass sie dem Besitzer einen Nimbus von ausserordentlichem Reichthum und Ansehen verliehen, und dass ein paar von ihnen zum Kauf eines Weibes genügten. Es sind also heutzutage nur noch seltene Antiquitäten von imaginärem hohen Werthe. Diesen verdanken sie aber ihrem fremdländischen Ursprung, denn nach einstimmiger Angabe der Giljaken stammen sie von den Mandshu her und werden, wie übrigens auch Mamia-Rinsö anführt, von diesen selbst hochgeschätzt. Dass bereits die alten Mandshu (Njutschi) Panzer und Helme besassen, die gleich den oben beschriebenen aus schuppenförmig über einander gelegten und durch Stifte mit einander verbundenen oder auch auf eine lederne Unterlage befestigten eisernen Plättchen bestanden, ist aus den ältesten europäischen Nachrichten über dieselben bekannt). Nach der Eroberung China’s durch die Mandshu wurden solche Panzer und Helme auch von den chinesischen Soldaten, Officieren und vom Kaiser selbst getragen °). Interessant für unseren Zweck ist auch die Angabe lakinf’s, des bekannten Mitgliedes der russischen Mission in Peking in den Jahren 1807 —20, nach welcher unter den vom Gesetz vorgeschriebenen Geschenken, die der chinesiche Kaiser 1) L. c.; p. 194. Tweede Druk, Amsterdam 1705, p. 3, 6, 13. 2) Vrgl. Neuhof, Die Gesantschaft der Ost-Indisch. 3) Gerbillon bei Du Halde, Desecript. de !’Empire de Gesellsch. in den vereinigt. Niederländern an den Tarta- | la Chine et de la Tartarie Chinoise, Paris 1735, T. IV, risch. Cham u. nunmehr auch Sinisch. Keiser, Amsterdam | p. 273. 1666, p. 394. Desgl. Witsen, Noord en Oost Tartarye, dr2 574 Die Völker des Amur-Landes. bei seiner Verlobung und Heirath dem Vater seiner Braut, resp. jungen Frau zu schicken hatte, auch eine bestimmte Anzahl von Panzern und Helmen sich befand !). Unter solchen Umständen ist es ganz verständlich, dass diese Gegenstände auch in den Augen der unter der Herrschaft oder wenigstens dem Einflusse der Mandshu-Chinesen stehenden Völker des unteren Amur-Lan- des, bis zu den Giljaken hinab, als ein höchst werth- und ehrenvoller Besitz erscheinen müssen und von den letzteren demgemäss auch bei ihrer wichtigsten socialen Transaktion, dem Kaufe eines Weibes, verwendet werden, Von den Mandshu-Chinesen ging die Kunst der Anfertigung von Eisenpanzern auch auf die ihnen im Sungari- und unteren Amur-Lande zunächst benachbarten Golde über, und Mamia- Rinsö führt direkt diese letzteren, ihren Volksnamen in japanischer Weise als «Kordekke» entstellend?), als Anfertiger jener Eisenpanzer an. Selbstverständlich werden das nicht die ersten und einzigen Gegenstände sein, welche die Golde von ihren südlichen Nachbarn zu bereiten gelernt haben. Hier sehen wir also die Kunst, das Eisen zu schmieden, auch auf einem anderen Wege, von den Mandshu-Chinesen den Sungari und Amur abwärts zu den Völkern des unteren Amur-Landes dringen, doch scheint sie auf diesem Wege nicht über die Golde hinaus gelangt zu sein, während die weiter unterhalb am Amur und auf Sachalin wohnenden Völker, die Aino, Giljaken und Oltscha, sie, wie oben dargethan, schon früher von den Japanern erhalten hatten. In den letzten Decennien endlich haben die Völker des unteren Amur-Landes Gelegen- heit gehabt, auch mit der russischen Art, das Eisen zu schmieden, Bekanntschaft zu machen. Von ganz anderer Beschaffenheit als jener eiserne ist der Netzpanzer (gilj. kä-petsch). Er besteht aus einem ärmellosen Kamisol oder kurzen Hemde (Taf. XLIV, Fig. 1), das aus viel- fach zusammengenommenen Nesselgarnschnüren, wie sie auch zum Stricken von Fischernetzen dienen, und einzeln hie und da hinzugethanen Fischbeinstreifen geflochten ist. Der Halsaus- schnitt ist mit langhaarigem Hundsfell verbrämt und mit einem Knopf und einer Oehse zum Zu- knöpfen versehen; im Uebrigen blieb der über den gewöhnlichen Hundsfellpelz angezogene Pan- zer vorn offen. In Folge des groben, massenhaftes Material enthaltenden Geflechts ist der Netz- panzer sehr schwer; das beifolgend abgebildete Stück, das ich von dem Giljaken Mradamn in Ssabach kaufte, ist 2’ 4” lang, 1’ 10” breit und wiegt 28, Pfund (russ.). Während die eisernen Panzer von mandshu-chinesischem Ursprunge sind, ist der Netzpanzer genuin gilja- kisch. Nach Angabe der Giljaken wurden die Netzpanzer von ihnen ehemals bei grösseren Fehden gebraucht, wenn in Folge eines Mordes, Weiberraubes oder drgl. ein Dorf gegen ein anderes zu Felde zog. Zu meiner Zeit waren sie jedoch bereits ganz ausser Gebrauch gekom- men und sollten nur noch in wenigen Exemplaren zu finden sein. Das von mir acquirirte Stück trägt in der That die Spuren hohen Alters an sich, und sein hochbejahrter ehemaliger Besitzer meinte, dass weder sein Vater, noch sein Grossvater den Ursprung desselben gesehen habe. Trotzdem legen die Giljaken diesen Panzern, da sie aus werthlosem Material und von ihnen 1) Jakııme%, Kuraii, ero skureAan, upaBbı, 00b14au, IPO- 2) S. oben, p. 148, erbın., C.-Ierep6. 1840, erp. 164. Giljaken. Hölzerne Ehrenwaffe «Mungtsche». 575 selbst gemacht sind, nur einen geringen Werth bei, ganz unvergleichlich mit jenen ersteren, oft zerstückelten und verrosteten mandshurischen Panzern '). Zum Schluss der Bemerkungen über die Bewaffnung der Giljaken muss ich noch eines Stückes derselben gedenken, das zwar nur von harmloser Natur, darum aber nieht minder in- teressant und charakteristisch ist. Es ist das von ihnen sogen. Mungtsche (Taf. XLVI, Fig. 3), ein gegen fünf Fuss langer, rundlicher oder schwachkantiger Stock aus hartem Holz, der von oben bis unten jene charakteristische, kaum vertiefte Spiralzeichnung trägt, die man an allen ihren Lanzen-, Spiess- und Harpunenschäften findet, und die bei aller Glätte der letzteren der ange- drückten Handfläche gegenüber doch einen gewissen Widerstand leistet. Das obere Ende des Mungtsche ist knopf- oder richtiger eichelförmig abgerundet; im unteren Drittel ist es entweder nur gleichmässig verjüngt, oder etwas säbelförmig abgeflacht und auf der Rückseite stets mit einer tiefen Rinne versehen. Von den Giljaken ist diese sonderbare Wafle auch zu den Negda am Amgunj gedrungen, bei denen sie, offenbar durch Entstellung ihrer giljakischen Be- zeichnung, muketschi heisst und allgemein verbreitet ist. Bei diesen lernte sie Middendorff kennen. Er giebt in seinem Reisewerk eine Abbildung von derselben und nennt sie dabei Holz- säbel?) und «Ehrenprügel». Seiner Meinung nach dient sie nur zum Austragen von Ehrensachen durch Fechten, wobei sie mit beiden Händen gefasst wird, und die Hiebe durch Hin- und Her- bewegung der Wafle parirt werden. So zeigte ihm sein Gastgeber am Nemilen (einem Zufluss des Amgunj), der alte Negda Oltungab, den Gebrauch dieser Wafle. Und damit stimmt im We- sentlichen überein, was ich über dieselbe von den Giljaken erfahren habe. In der ersten Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande stellte sich der Patchä-Giljake Jutschin, ein sehr intel- ligenter Mensch, dem ich die erste Grundlage meines giljakischen Vokabulariums verdanke, nur mit dem Mungtsche bewaffnet, im Nikolajefschen Posten ein. Er machte mir auf meine bezüg- lichen Fragen auch jene Fechtbewegungen mit seiner hölzernen Wafle vor. Doch war aus seiner gesammten Handhabung derselben unzweifelhaft zu entnehmen, dass sie mehr als einen ein- fachen Rappierstock oder «Prügeb vorstellen sollte. Denn wie er sie mit ausgestrecktem rech- ten Arm, einer Hellebarde gleich auf den Boden gestützt, vor sich hin hielt, trug er eine ge- machte Würde zur Schau, als sei er der Vornehmsten Einer. Auch mochte er sich selbst beim Sitzen nicht von ihr trennen. Die Achtung und Rücksicht, die er seinem Mungtsche zollte, sprachen sich endlich auch darin aus, dass dieses 4) Zum Theil aus demselben oder einem ähnlichen Ma- terial wie das giljakische Kä-petsch sind auch die Panzer zweier anderen, im Süden und im Norden von den Gilja- ken wohnenden Randvölker Östasien’s gemacht. In den blutigen Fehden, welche die Nordamerikaner im J. 1871 mit den Koreanern hatten, sahen sie diese mit Panzern bekleidet, die aus einem starken Baumwollenzeuge von 40-facher Dicke bestanden und fur Sabel und Bajonnet fast waren 1871, N: 214, nach einer der «Times» von ihrem Berichterstatter Schrenck's Amur-Reise, Band III. undurchdringlich (Nordische Presse, an mehreren Stellen, wo es Schaden genommen, aus Schanghai zugekommenen Nachricht). Andererseits er- zahlt Ditmar (Ueber die Koraken und Tschuktschen. — Bull. de la cl. hist.-phil. de !’ Acad. Imp. des sc. de St.-Pe- tersb., T. XIII, p. 131; Mel. russes, T. III, p. 41), Tschuktschen sich aus Fischbein und dicken Thierhau- dass die ten geferligler Panzer bedienen. 2) Bd. IV, p. 1535. Das von ihm mitgebrachte, gegen- waärlig in unserem Museum befindliche Exemplar ist in der That im letzten Drittel, wie oben erwahnt, etwas sa- belförmig abgeflacht. 73 576 Die Völker des Amwur-Landes. sorgfältig mit Birkenrinde überklebt war und dadureh in den Augen seines Besitzers nicht nur nicht gelitten, sondern an Werth noch gewonnen hatte. Alles in Allem machte das Mungtsche auf mich den Eindruck einer conventionellen Ehrenwalle, die in alter Zeit, vielleicht in Nach- ahmung japanischer Lanzen entstanden ist und sich mit dieser ihr traditionell verbliebenen Bedeutung fortgeerbt hat. Auf ein solches Urbild weist auch die Middendorff unerklärlich gebliebene, auf der Rückseite des Mungtsche stets vorhandene tiefe Rinne hin, die offenbar eine Blutrinne darstellen soll. Dem oben geschilderten Jagdbetriebe der Giljaken gegenüber bietet derjenige der anderen Völker des unteren Amur-Landes manche sowohl im Einzelnen, wie hinsichtlich seines Umfan- ısche Differenzen dar. ges und seiner Bedeutung für das Gesammtleben derselben charakteris Dass zwischen den beiden auf Sachalin unmittelbar mit einander benachbarten paläasiati- schen Völkern, den Giljaken und den Aino, die grösste Uebereinstimmung im Jagdbetriebe herrseht, versteht sich beinahe von selbst. Auch findet man bereits in Mamia-Rinsö's Reise- beschreibung!) für die «Kraftöer» oder Aino von Sachalin fast alle jene Thierfangmethoden kurz erwähnt, die wir beim Jagdbetriebe der Giljaken ausführlich kennen gelernt haben: so z.B. jene auf einem brückenartig über einen Bach gelegten Balken zum Fange von Zobeln und Fluss- ottern aufgestellten Schlingen, die für Füchse und Wölfe bestimmten Klemmgabeln (gilj. kasma), die beim Anstoss an einen gespannten Faden von selbst einen Pfeil entsendenden Bogen u. s. w. Von diesen letzteren berichtet der japanische Reisende, dass sie den Aino auch zum Erlegen von Seeottern dienen, mit einem Fisch als Köder, — eine Angabe, die an sich etwas zweifelhaft ist und heutzutage jedenfalls nur von historischem Interesse sein kann, da die Seeotter (Zinhy- dris marina Schreb., ainisch rakko) nach den von mir und späteren Reisenden gesammelten Nachrichten °) an den Küsten Sachalin’s jetzt kaum mehr vorkommen und den Bewohnern der- selben nur noch dem Namen nach bekannt sein dürfte. Glaubwürdiger und von grösserem In- teresse hinsichtlieh des Jagdbetriebes der Aino ist die Angabe desselben Reisenden, dass sie ähnliche Schlingen wie für die Flussotter und den Zobel auch für das Moschusthier (ain. lilsun-kamoi), und zwar, dem Wohnort desselben entsprechend, in den Gebirgsschluchten auf- stellen. Darnach möchte ich vermuthen, dass dieses Thier auch von den Giljaken in ähnlicher Weise gefangen wird, obgleich ich bei ihnen nichts davon gehört habe. Die Art der Aino, ge- gen grössere Thiere, wie Rennthier und Bär, vorzugehen, ist ebenfalls dieselbe wie bei den Giljaken, nur bedienen sie sich auch vergifteter Pfeile, welche bei den letzteren, wie oben 1) To-tats kiko (Siebold, Nippon VII, p. 185). (Hpmaoss. 0» LX-my rony 3an. HUnnm. Araa. Haykı, N 5, 2) S. d. I. Bd. dieses Werkes, p. 44. Dsgl. Huxo.s- | crp. 147). erii, Ocrpor» Caxaaınn u ETO Payna NO3BOHOM. ZKIBOTH. Aino, Oroken, Tungusische Stämme des unteren Amur-Landes. Jagdbetrieb. 577 erwähnt, nicht vorkommen. Die zur Jagd erforderlichen Bärenspiesse, Speere und Lanzen wer- den ihnen aber seit dem völligen Niedergange ihrer eigenen Schmiedekunst von den Giljaken im Tauschhandel geliefert, wobei jene eleganten, mit eingelegten silbernen, kupfernen und g, die von den Giljaken aus Eigennutz erhalten und genährt werden mag. Alles in Allem sind jedoch die messingnen Figuren versehenen Lanzen für mandshurische gelten, — eine Anschauun Aino noch weniger Jäger als die Giljaken, und zwar nicht bloss weil sie gleich diesen haupt- sächlich vom Fisch- und Seehundsfang leben, die ihre Existenz nothdürftig sicher stellen, son- dern auch weil sie zu träge und in Folge des auf ihnen lastenden japanischen Joches zu apa- thisch sind, um sich durch einen regeren, im Handel mit den Giljaken leicht zu verwerthen- den Betrieb der Pelzthierjagd die Mittel zu einer reichlicheren und besseren Existenz zu ver- schaflen. Anders verhält es sich mit den anderen Nachbarn der Giljaken auf Sachalin, den Oroken. Bei ihnen tritt uns die allen tungusischen Stämmen eigene Neigung zur Jagd in sehr augenfälli- ger und charakteristischer Weise entgegen. Denn obgleich nur in geringer Zahl zwischen zwei mächtigeren, sesshaften Fischervölkern eingeschoben, sind sie, wie oben ausführlich dargethan, ihrem Hauptwesen und Charakter nach doch Jagdnomaden geblieben. Die Jagd ist ihnen zum Lebensunterhalt auch ganz unumgänglich nothwendig, denn obgleich sie sich eine Zeit lang im Jahr auch selbst mit. Fisch- und Seehundsfang an der Meeresküste und den Flussmündungen beschäftigen, so genügen diese doch lange nicht zu ihrer Existenz, und erst die in den Gebirgs- wildnissen, wie in den ausgedehnten nördlichen Niederungen der Insel eifrig betriebene Jagd sichert ihnen dieselbe, indem sie ihnen theils unmittelbar manche Nahrungsmittel und Klei- dungsstofle, insbesondere Rennthierlleisch und Felle zuführt und theils die Mittel zum Tausch- handel mit den Giljaken und damit auch zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse liefert. Auf diesen Handel werde ich noch zurückkommen, hier aber sei nur im Allgemeinen be- merkt, dass die Oroken sich die Hauptmittel zu demselben, die schätzbaren Zobel-, Fuchs- und Otterfelle mit vielem Erfolg zu verschaflen verstehen, und nicht minder werden sie von den Giljaken als geschiekte Rennthier- und muthige Bärenjäger gerühmt. In grösserem Maasse und in weiteren und mannigfaltigeren Zügen als auf dem beschränk- ten Raume Sachalin’s tritt uns die überwiegende Neigung und Begabung zur Jagd bei den Tun- gusischen Nachbarstämmen der Giljaken auf dem Festlande entgegen. Oben ist schon hervor- gehoben worden, dass im Allgemeinen, je weiter von der Mündung des Amur stromauf und in die linken Zuflüsse desselben gegangen, um so mehr die Jagd dem Fischfange gegenüber an Umfang und Bedeutung im Leben der anwohnenden Völker zunimmt. So weit Naturverhältnisse maassgebend für die Lebensgestaltung der Völker sind, beruht dies auf dem Umstande, dass in der angegebenen Richtung einerseits der Fischreichthum des Amur-Stromes abnimmt und an- dererseits die Zahl und Häufigkeit der jagdbaren Thierarten sich rasch steigern. So nimmt na- mentlich das grösste Säugethier des Amur-Landes, das der Insel Sachalin völlig abgehende Elenn, auf dem Festlande in der bezeichneten Richtung rasch an Häufigkeit zu, um in den aus- gedehnten Waldungen am Amgunj und Gorin und am Amur noch über die Mündung des letz- 73* 18 Die Völker des Amur-Landes. teren hinaus das Maximum derselben zu erreichen. Mit der Amgunj-Mündung stellt sich ferner, den Amur stromaufwärts gegangen, das Reh, mit der Ghaselach-Mündung, an der Südgrenze des Giljaken-Gebietes, das Wildschwein und mit der Chelasso- und Gorin-Mündung der Edel- hirsch ein, — drei Thierarten, die weiter aufwärts, nach Maassgabe als die Waldungen und die gesammte Vegetation ein südlicheres Gepräge gewinnen, immer häufiger werden. An dieser durch die orographischen und klimatischen Verhältnisse des unteren Amur-Landes bedingten raschen Bereicherung seiner Säugethierfauna von der Amur-Mündung stromauf- und landein- wärts haben besonders die Gebiete der Negda, Samagırn, Oltscha und Golde Theil. Zur Meeresküste hin findet zwar, in Folge der grossen winterlichen Schneemengen, welche für die Nahrung und Bewegung der genannten Thiere ungünstig sind, eine Depression ihrer Polar- grenzen nach Süden statt!), doch ist auch das Gebiet der Orotschen hinsichtlich seiner Jagd- thiere demjenigen der Giljaken gegenüber noch ansehnlieh im Vortheil. Daneben stehen die Wohngebiete sämmtlicher genannten tungusischen Stämme des unteren Amur-Landes in Betreff der im Handel besonders hochgeschätzten Pelzthiere dem giljakischen keineswegs nach, — ja, das wichtigste dieser Thiere, der Zobel, besitzt dort zum Theil sogar eine grössere Güte und Schönheit des Felles als hier. Ist er auf Sachalin, vermuthlich in Folge des Fehlens der auf gleiche Nahrung mit ihm angewiesenen Mustela sibirica, auch häufiger als auf dem Festlande, so trägt er dort doch nur ein hellfarbigeres und darum minder schätzbares Fell. Auf dem Festlande aber nimmt dieses von der Meeresküste landeinwärts noch an Güte zu, so dass die Zobel der rech- ten Amur-Zuflüsse im Allgemeinen denjenigen der linken nachstehen, und unter den letzteren namentlich die Amgunj- und Gorin-Zobel ihrer Dichthaarigkeit und dunklen Farbe wegen für die besten gelten ?). Bei so viel günstigeren Naturbedingungen und der allen Tungusen tief innewohnenden Leidenschaft zur Jagd ist es ganz begreiflich, dass diese bei allen tungusischen Völkern des unteren Amur-Landes einen weit grösseren Umfang gewinnen und für ihr gesamm- tes Leben von wesentlicherer Bedeutung werden musste, als es bei den Giljaken der Fall ist. In erster Reihe steht auch bei den tungusischen Völkern des unteren Amur-Landes, gleich wie bei den Giljaken, der Fang schätzbarer Pelzthiere, insbesondere des Zobels, der Flussotter und des Fuchses, schon aus dem Grunde, weil sie durch denselben im Handel nicht bloss manche Kleidungsstofle und Nahrungsmittel, sondern auch die allgemein beliebten Genussmittel und namentlich den ihnen unentbehrlich gewordenen Tabak erhalten. Er wird auch in dersel- ben Weise und mit denselben Mitteln, nur auf grösserem Raume und mit mehr Gewandtheit und Geschick und daher auch mit mehr Erfolg betrieben. Während aber die Jagd bei den Giljaken sich fast nur auf den Pelzthierfang beschränkt und somit ganz im Dienste des Handels steht, erstreckt sie sich bei den tungusischen Amur- 1) Eine ausführlichere und zum Theil auch graphische | den Charakter der Saugelhierfauna des Amur-Landes Darstellung dieser Verhältnisse ist im ersten Bande dieses | (p. 195 u. fl.) und auf der beigefügten Karte gegeben wor- Werkes sowohl bei Besprechung der einzelnen Thierar- | den. ten, als auch in den allgemeinen Schlussfolgerungen über 2) S. dieses Werkes Bd. I, p. 30 und 31. Untere Amur-Tungusen. Längere Dauer u. grössere räumliche Ausdehnung d. Jagden. 579 Völkern nicht minder auch auf die oben erwähnten Arten von Roth-, Hoch- und Schwarzwild, und zwar werden diese nicht etwa bloss gelegentlich erlegt und ausgenutzt, wie es bei den Giljaken geschieht, sondern regelmässig und eifrig verfolgt, weil sie unmittelbar und ganz wesentlich zu ihrer Kleidung und Nahrung dienen. Darauf ist oben, bei Besprechung dieser bei- den Punkte auch schon hingewiesen worden. Hinsichtlich der Nahrung muss aber der Jagd bei den tungusischen Amur-Völkern eine um so grössere Bedeutung zugeschrieben werden, als sie auch viel mehr Zeit als bei den Giljaken in Anspruch nimmt und je weiter stromauf- und landeinwärts, desto mehr und ausschliesslicher den ganzen Winter und einen Theil des Herbstes und Frühjahrs ausfüllt. Mit der grösseren Zeitdauer der Jagd bei den tungusischen Amur-Völkern geht ferner auch ihre Ausbreitung über einen weit grösseren Raum Hand in Hand. Während der Giljake sich mit einem verhältnissmässig geringen Umkreise für seine Jagd begnügt, dort, in den ihm aus Erfahrung als günstig bekannten Lokalitäten und an den durch die Thierfährten im Schnee in- dieirten Stellen seine Fallen und Selbstschüsse errichtet, dieselben von Zeit zu Zeit besichtigt und zur Nacht immer wieder nach seiner ständigen Winterwohnung am Strome oder an der Meeresküste zurückkehrt, unternehmen die Amur-Tungusen nicht selten weite, viele Tage, ja Wochen lang dauernde Jagdausflüge. Hierin sprieht sich ihre überwiegende Jägernatur den Giljaken gegenüber am prägnantesten aus. Trotzdem sie im Ganzen ebenfalls sesshafte Fischer geworden sind, hat ihr ursprünglicher Hang zum Jagdnomadenleben sich doch nicht ganz unter- drücken lassen und bricht von Zeit zu Zeit immer wieder siegreich und unabweislich durch. In kleinen Partien, zu zwei bis fünf Mann, begeben sie sich auf Schneeschuhen, das nöthige Jagd- geräth, einige der nothwendigsten Utensilien, wie kleine Kochkessel und drgl., und etwas Mund- vorrath für die erste Zeit auf leichten, mit wenigen Hunden bespannten Schlitten mit sich füh- rend, in das von ihnen erwählte Jagdterrain. Dort angelangt, errichten sie sich an einer passen- den Stelle im Walde ein Jagdzelt von der Art, wie oben beschrieben worden, ein sogen. Alko, das ihnen zur gemeinsamen Wohnung dient, und von welchem aus sie ihre ferneren Jagdstreif- züge nach verschiedenen Seiten im näheren und weiteren Umkreise ausführen. Tags über geht ein Jeder der Jagd und Besichtigung der von ihm aufgestellten Fallen und Selbstschüsse nach, und gegen Abend findet sich die kleine Gesellschaft wieder im Zelt am lodernden Feuer ein, um das aus dem Fleisch der erbeuteten Thiere bereitete Mahl einzunehmen. Wird aber ein Jäger durch die Verfolgung einer Thierfährte zu weit abgelenkt oder auch durch ein besonderes Jagdereig- niss oder Abenteuer zu lange aufgehalten, um rechtzeitig zurückkehren zu können, so bereitet er sich je nach dem Wetter aus Tannenzweigen entweder ein kleines gewölbartiges Zelt, eine sogen. Homorä, wie ich sie oben ebenfalls besprochen habe, oder auch ein einfaches Lager im Schnee, um darauf an einem kleinen Feuer sein Mahl und seine Nachtruhe zu halten. Erscheint es im Interesse der Jagd geboten, so wird das Standquartier gewechselt und die Jagd somit auf ein anderes, minder begangenes und ergiebigeres Terrain übertragen, und hat sich endlich genug der Beute angehäuft und die Jagdlust hinlänglich abgekühlt, so wird der Rückweg zu den in den Winterwohnungen hinterbliebenen Angehörigen, zu Weib und Kind angetreten, wobei die 580 Die Völker des Amur-Landes. Jäger theils auf Schneeschuhen den mit der Jagdbeute beladenen Schlitten vorangehen und ihnen einen Weg durch den tiefen Schnee bahnen und theils gemeinsam mit den Hunden an denselben ziehen. Zu Hause angelangt, pllegen die Jäger vor Allem der Ruhe und des Nichts- thuns, ergehen sich an der veränderten Kost und suchen sich durch Veräusserung ihrer Jagd- ausbeute an chinesische oder andere Händler in den Besitz der für sie und die Ihrigen nöthigen Kleidungs-, Nahrungs- und Genussmittel, insbesondere auch des geschmälerten oder ganz einge- schmolzenen Tabaksvorrathes zu setzen. Nicht selten wird jedoch nach einer gewissen, längeren oder kürzeren Erholungsfrist ein neuer Jagdausflug unternommen und so fort, so lange die Jah- reszeil es gestaltet. Die Wahl des Jagdterrains scheint bei den tungusischen Stämmen des unteren Amur-Lan- des ziemlich frei und ohne Berücksichtigung etwaiger Völkergrenzen stattzufinden, so dass sie der Jagd wegen nicht selten Gegenden besuchen, die, streng genommen, nicht mehr in ihrem eigenen Wohngebiete, sondern in demjenigen eines Nachbarstammes liegen, was jedoch bei ihren communistischen Anschauungen und weil es stets unbewohnte Wildnisse sind, keinerlei Streitigkeiten oder Fehden zwischen ihnen veranlasst. Namentlich streifen die tungusischen Nachbarstämme der Giljaken gern in das Gebiet der letzteren hinein, weil diese selbst keine ausgedehnteren Jagden ausführen. So gehen im Norden russische Rennthier-Tungusen vom Tugur und Negda vom Amgunj der Jagd in dem zwischen dem Amur und dem Ochotskischen Meere, also ganz im giljakischen Gebiete sich hinziehenden Mäwatschan-Gebirge nach, und ebenso machen es die Oltscha im Süden. Als ich im Februar 1855 vom Amur-Liman längs dem kleinen Tymi-Flusse dem Gebirge zufuhr, um über dieses hinweg durch das Chaselach- Thal an den Amur-Strom zu gelangen, vernahm ich plötzlich in der Wildniss Hundegebell und stiess, diesem folgend, auf ein etwas abseits von unserem Wege, mitten im hohen Walde gele- genes Zelt, das fünf Jägern zum zeitweiligen Standquartier diente, Vier von ihnen waren Oltscha, darunter einer aus dem Dorfe Koim am Amur, der fünfte ein Samagir aus Pulj. Sie jagten hier auf dem östlichen, dem Amur-Liman zugekehrten Abhange des Gebirges und also auf einem ganz unstreitig im giljakischen Gebiet gelegenen Terrain und zeigten mir manche Thier- und namentlich Zobelfelle, die sie erbeutet hatten. Dennoch fand mein Führer, ein Tschomi- Giljake, der mir den Oltscha gegenüber auch als Dolmetscher diente, es ganz in der Ordnung und sah darin keineswegs einen Eingriff in die Rechte seiner Landsleute. Jetzt schickten sich der Samagir und einer der Oltscha bereits zur Heimkehr an, die jener zu Fuss auf Schnee- sehuhen, dieser ım Schlitten mit Hülfe seiner Hunde auszuführen gedachte, und da ich dessel- ben Weges fuhr, so schlossen sie sich mir an, um den von meinen breitsohligen russischen Narten im tiefen Schnee gebahnten Weg zu benutzen. Ebenso führen die oberhalb Kidsi am Amur wohnenden Oltscha häufig Jagdstreifzüge und Ausflüge in das Orotschen-Gebiet, an den oberen Tumdshi und seine Zullüsse aus, und ähnlich machen es den Orotschen gegenüber auch die Golde, um so mehr als ihre Wohnsitze sich auch an den von rechts in den Amur fallenden Flüssen mehr oder minder weit hinaufziehen und dort an diejenigen der Orotschen grenzen. Untere Amur-Tungusen. Internationales Jagdterrain am Gorin. 381 Am meisten aber tritt Einem die Freiheit in der Wahl des Jagdterrains am unteren Gorin entgegen. Hier breitet sich ein weites, durchaus internationales Jagdgebiet aus, auf welchem man fast allen tungusischen Stämmen des unteren Amur-Landes begegnen kann. Während im oberen Laufe des Gorin und an seinen nördlichen, dem Amgunj-System genäherten Zuflüssen desselben Samagirn- und Negda-Jäger sich begegnen, werden die ausgedehnten Wald- und Gebirgswildnisse an seinem unteren Laufe ausser den Samagirn auch von Oltseha und Golde durchstreift. Die letzteren namentlich kommen sehr oft und zahlreich und zum Theil von weit entlegenen Orten des Amur-Stromes hin. So habe ich dort selbst welche aus Onmoi, Chongar und sogar aus Zollazi getroflen, das etwa 150 Werst von der Gorin-Mündung entfernt liegt. Dieser Fluss bietet im Winter den Golde vom Amur aus eine ebenso bequeme Strasse in das erwähnte Jagdterrain, wie den an seinem Oberlaufe wohnenden Samagirn. An seinen Ufern liegen daher auch die meisten und grössten zeitweiligen Standquartiere der Jäger der einen wie der anderen Nationalität, und zwar befinden sich diejenigen der Golde mehr im un- teren Laufe des Flusses und diejenigen der Samagirn höher hinauf und näher nach Ngagha zu, ihrem ersten beständigen Wohnsitze an demselben. Solche Alko’s werden nach dem Abzuge der Jäger auch nicht niedergerissen, sondern bleiben stehen, um neuen Ankömmlingen dessel- ben oder auch eines anderen Stammes zum Aufenthalt zu dienen. So wechseln sie im Laufe der Jagdsaison vielfach ihre Bewohner. Gelegentlich steigen in denselben auch durehziehende Jäger oder chinesische Händler ab, gleichwie ich auch selbst in den Alko's von Poionge und von Wai Mittagsrast gehalten oder Nachtlager genommen habe. Trifft man die derzeitigen Bewoh- ner des Jagdzeltes auch nicht daheim, so findet man es doch oflen und sieht sogleich seinem Aeusseren wie seinem Inneren an, dass es bewohnt wird. Darauf weisen die vor dem Zelt an den Baumstämmen oder auf Stangen zum Trocknen aushängenden Thierfelle, so wie die an das- selbe gelehbnten Schlitten, Schneeschuhe, Stöcke, Lanzen, Bogen, Selbstschüsse und sonstigen Jagdgeräthe hin. Im Innern des Zeltes aber geben die hie und da umherliegenden oder herab- hängenden Jagdabfälle und Jagdtrophäen, wie Fellstücke, Geweihe, Schädel und Knochen ver- schiedener Thiere, so wie die an der Herdstelle stehenden Kessel und Schalen und das ın der Asche vielleicht noch glimmende Feuer von der nur momentanen Abwesenheit seiner Bewohner Zeugniss. Die Benutzung des Zeltes und seines wirthschaftlichen Zubehörs steht Jedermann frei, die Unantastbarkeit aber der in und an demselben niedergelegten Jagdausbeuten und Jagduten- silien wird als selbstverständlich vorausgesetzt, — ein Vertrauen, das niemals missbraucht wer- den soll und somit ganz berechtigt erscheint. Ausser diesen mehr oder minder geräumigen und gewissermaassen ständigen Jagdzelten oder Alko’s stösst man in den Gorin-Waldungen sehr oft auch auf jene aus Weidenruthen und Tan- nenzweigen gewölbartig errichteten Nachtlagerzelte einzelner Jäger, sogenannte Homora’s, oder auch auf kleine Alko’s, die in ihrer Form und ihrem Bau den grossen nachgebildet, aber so klein sind, dass sie offenbar bloss für einen Jäger bestimmt sind, und zwei nur zur Noth in denselben Platz finden können. Sie sind entweder von einzeln umherstreifenden Jägern errich- tet, oder dienen dazu, bei Ausnutzung eines weiten Umkreises durch eine kleine Jägergesell- 582 Die Völker des Amur-Landes. schaft die Besichtigung der entfernteren Fallen und Selbstschüsse durch ihre einzelnen Mitglie- der leichter und bequemer zu machen. In einem solchen Alko, aus welchem jedoch der Schnee zuvor ausgeschaufelt werden musste, habe ich auf meiner Gorin-Fahrt ebenfalls eine Nacht zuge- bracht. Mein goldischer Führer nannte es ein «Ssäfa-, Mudu-, Ssole-ware-alkov, d. h. ein Zo- bel-, Otter- und Fuchs-Jagdzelt, — eine Bezeichnung, welche ebenfalls direkt auf den oben her- vorgehobenen Zweck desselben, der leichteren Besichtigung der zum Fange dieser Thiere auf- gestellten Apparate zu dienen, hinwies. Ohne Zweifel steht auch hier die Jagd auf die genannten, im Handel allgemein hochge- schätzten Pelzthiere obenan. Und wie sehr sie mit Erfolg betrieben wird, beweist schon der Umstand, dass manche der am Amur zeitweilig ansässigen chinesischen Kaufleute die Mühen der Fahrt hieher und bis zu den Samagirn-Sitzen am oberen Gorin nicht scheuen, um die kost- bare Waare an Ort und Stelle und gelegentlich wohl auch mit Ausnutzung einer etwaigen Nothlage der Jäger zu möglichst niedrigem Preise zu erhandeln. Wiederholentlich begegneten mir ihre mit verschiedenen Waaren beladenen Schlitten, die von ihnen selbst ganz nach Art der Einge- borenen gelenkt wurden. Im Alko von Wai aber kam ich zweien von ihnen zuvor, und da ich mit meinen Leuten, einem Kosaken und einem Führer, das Zelt eingenommen hatte, so schlu- gen sie ihr Nachtlager, ebenfalls ganz in der Weise, wie es die Eingeborenen thun, neben dem- selben auf. Es waren ein chinesischer Kaufmann aus Köurmi am Amur mit einem bis an die Fersen herabhängenden Zopfe und sein Handlungsdiener oder Führer, und während der erstere sich ostentativ als Herr benahm und in sehr lauter Weise seine Befehle ertheilte, machte der letztere dienstbeflissen das Feuer an, bereitete das Essen u. s. w. Nicht minder als der Pelzthierfang wird in den Gorin-Wildnissen auch die Jagd auf Hoch- wild betrieben. Darunter steht das grösste der Säugethiere des Amur-Landes, das Elenn, un- streitig obenan. Seine Häufigkeit und die allgemeine und wichtige Verwendung, die es bei den Samagirn wie bei den anderen tungusischen Stämmen des unteren Amur-Landes zur Nah- rung und Kleidung findet, erheben es hier zum Jagdthier insonderheit und machen es ganz be- greillich, dass es von ihnen ausser seinem specifischen Namen (fo und Zoke) auch noch mit dem anderen: «Dujr», d.h. Thier schlechtweg, bezeichnet wird. Nicht bloss vor den Jagdzelten sieht man Felle desselben zum Trocknen aushängen, sondern auch mitten im Walde oder im Gebüsch der Gorin-Inseln stösst man bisweilen auf ein solches, das von einem Jäger deponirt worden, um gelegentlich abgeholt zu werden. Immer wieder kreuzten wir die Spuren des Thieres im Schnee, und mehrmals kamen wir auch an solchen Stellen vorüber, wo, wie mein Führer aus dem stark zerstampften Schnee schloss, ein Thier erlegt worden war. Von besonderem Interesse aber war mir eine Stelle im Walde, wo der Schädel und die Gebeine des Thieres, auf eine Reihe von Stangen gesteckt, über den Schnee emporragten, — ein Anblick, der mich an die mit Schä- deln von Weisswalen behängten Bäume bei den Giljaken, so wie an ein paar grosse Bären- schädelstätten erinnerte, die ich vor Kurzem in der nächsten Umgebung von Ngagha gesehen hatte, und auf die ich an einem anderen Ort noch zurückkommen werde. So schliesst sich hier das Elenn denjenigen Thieren an, die bei ihrer hervorragenden Bedeutung im Leben eines Vol- Untere Amur-Tungusen. Jagdgründe an den rechten Amur- und Ussuri-Zuflüssen. 583 kes auch eine besondere, durch den Aberglauben diktirte Behandlung nach ihrem Tode erhei- schen. Für die erfolgreichen Elennsjagden im Gorin-Gebiet sprachen ferner die zahlreichen, mit Elennsfleisch und Fellen beladenen Schlitten zurückkehrender Jäger, die uns auf der Fahrt be- gegneten. Von besonderem Werth für alle tungusischen Stämme sind namentlich auch die Bein- fellstücke des Elenns, da sie zum Bekleiden der ihnen so unumgänglichen Schneesehuhe dienen. Diese Stücke setzen die Amur-Golde sogar bei ihren Landsleuten am Ussuri ab, da das Elenn- thier dort nur selten vorkommt und noch etwas südlicher, am Ssuifun, seine Aequatorialgrenze erreicht !). Nächst dem Elennthier giebt der Edelhirsch das grösste und von den Jägern am meisten gesuchte Hochwild in den Gorin-Wildnissen ab, und zwar um so mehr, als er neben seiner Verwendung zur Nahrung und Kleidung in seinem frisch aufgesetzten und noch nicht erhärte- ten Geweih einen von den Chinesen seiner angeblich eonfortativen Wirkung wegen hoch ge- schätzten und theuer bezahlten Artikel liefert. Doch bleibt er im Gorin-Gebiet, nahe seiner Po- largrenze, an Häufigkeit weit hinter dem Elenn zurück und gelangt, gleich dem Reh und dem Wildschwein, erst weiter süd- und westwärts zu seiner vollen Geltung. Dass auch das Moschusthier von den Jägern am unteren Gorin häufig erbeutet wird, be- wiesen mir die Felle, Schädel und Knochen dieses Thieres, die in oder vor den Jagdzelten zu sehen waren. Es bildet auch eine dem Jäger stets erwünschte Beute, da sein Fell bei den Samagirn und Golde zu kleineren Kleidungsstücken und Teppichen dient, das Fleisch von ihnen gern gegessen wird, aus den Beinknochen Pfeilspitzen geschnitzt werden, und der Moschusbeutel des Männchens endlich einen von den Chinesen gut bezahlten Handesartikel abgiebt. Den weiter hinauf, oberhalb des Geong-Gebirges am Amur wohnenden Golde liegt das Gorin-Gebiet zu fern, um regelmässig von ihnen besucht zu werden. Dagegen haben sie sowohl wie ihre Landsleute am Ussuri ergiebige Jagdgründe an den vom Küstengebirge nach diesen Strömen herabkommenden Zuflüssen, die letzteren namentlich und besonders am oberen Biki, Ima und Waku. Auch nimmt die Beschäftigung mit der Jagd bei den Golde in der angegebe- nen Richtung, den Amur und Ussuri aufwärts nur immer zu, Am letzteren zieht, sobald der herbstliche Fischfang sein Ende erreicht und eine Schneedecke sich eingestellt hat, die gesammte rüstige männliche Bevölkerung zur Jagd fort, um sich den ganzen Winter über mit derselben zu beschäftigen, ja Manche beeilen sich der Beeisung der Nebenllüsse zuvorzukommen und ihre Wanderung nach den Jagdgründen noch zu Boot auszuführen °). Die Meisten jedoch bege- ben sich dahin schon auf Schneeschuhen, wobei sie das nöthige Jagd- und Hausgeräth auf einem mit einigen Hunden bespannten Schlitten hinter sich her ziehen. Und zwar thun sie dies um so lieber, als ihnen die Hunde vielfach auch zur Jagd dienen. So lange nämlich der Schnee nur von geringer Tiefe ist, stellen sie dem Zobel nicht bloss mit Fallen und Selbstschüssen, son- dern auch vermittelst der Hunde nach. Diese folgen dem von Baum zu Baum flüchtenden Zobel 1) Ipskeraaseriii, Iyrem. 8% Yecypiiickonnp kpab, | 2) Przewalski,l. c., p. 99. erp. 262. | PS Sehrenck's Amur-Reise, Band III, 584 Die Völker des Amur-Landes. auf dem Erdboden nach, ohne ihn aus dem Auge zu verlieren, bis sie ihn unter lautem Gebell gestellt haben, worauf er vom Jäger geschossen wird. Gelingt es ihm in einen hohlen Baum zu schlüpfen, so wird dieser gefällt, verkriecht er sich aber unter eine Baumwurzel, einen Stein oder drgl., so wird er ausgeräuchert und vermittelst eines davor aufgestellten Sacknetzes gefan- gen. Nicht minder werden die Hunde auch zur Jagd auf den im Ussuri-Lande häufigen, von den Golde, Oltscha und Samagirn Jandako genannten Canis procyonoides Gray benutzt, dessen Fleisch und Fett von ihnen gegessen, das Fell aber an die Chinesen abgesetzt wird. Da dies Thier eine nächtliche Lebensweise hat, so gehen die Jäger, nach Nadarof's Mittheilung!), Nachts mit je einem oder ein paar Hunden auf dessen Erbeutung aus, wobei sie denselben kleine Schel- len um den Hals binden, um durch deren stärkeres Geklingel sogleich davon avertirt zu werden, wann und wo eine Beute von ihnen erfasst worden ist. Da der Jandako im Herbst sehr feist und in Folge dessen träge und nur schwer beweglich ist, so ereilen ihn die Hunde, nachdem sie auf seine Spur gekommen, sehr bald und beissen ihn nach kurzem Kampfe todt. Noch andere im nördlichen unteren Amur-Lande fehlende oder nur ganz ausnahmsweise vorkommende Thier- arten, wie Ursus tnbetanus Guv., Mustela flavigula Bodd., Antilope erispa Temm., Oervus Axis Erx1.?), bieten sich den Jägern im Ussuri-Gebiet als mehr oder minder willkommene Beute dar. Das Hauptaugenmerk derselben bleibt jedoch auch hier auf die bereits vielfach genannten, allgemein verbreiteten und geschätzten Pelzthiere, Zobel, Flussotter und Fuchs ge- richtet, wobei ihnen die Häufigkeit dieser Thiere in den erwähnten Wald- und Gebirgswild- nissen einen Ersatz für ihre zum Theil geringere Qualität bietet. Denn der Zobel hat im oberen Ussuri-Gebiet, wo er sich seiner Aequatorialgrenze nähert, ein weit minder schönes, kurzhaa- rigeres und helleres Fell als am Amur®), und der Fuchs kommt dort auch meist nur in seinen helleren Färbungen und nur äusserst selten als Kreuz- oder schwarzer Fuchs vor‘). Ferner sind es hier auch dieselben Fleischthiere wie am Amur ober- und unterhalb der Ussuri-Mün- dung, Edelhirsch, Reh und Wildschwein, welche die Hauptaufmerksamkeit der Jäger in An- spruch nehmen und ihnen durch ihre Menge einen reichlichen Lohn abwerfen. Die Jagd auf dieselben wird von den Golde je nach der Jahreszeit in verschiedener Weise betrieben, indem sie bald in Fanggruben gefangen, bald durch Selbstschüsse erlegt, bald aus dem Versteck ge- schossen und bald mit Hunden verfolgt werden, welche das Thier dem Jäger zum Schuss oder zum Angriff mit der Lanze stellen. Dieser letztere Jagdmodus wird namentlich mit dem gröss- ten Erfolge dem Edelhirsch gegenüber im ersten Frühjahr angewendet, sobald über dem Schnee eine dünne Eisschicht sich gebildet hat, da diese den Lauf des stets durehbrechenden schweren Thieres hemmt und der auf Schneeschuhen hingleitende Jäger es leicht einholen kann, — eine 1) 1. Haaaposs, Cbrepno-yccypiiicrii pair (3an. | 1862, p. 12, 21, 262, 286. Przewalski, l. c., p. 245, 247, Inn. Pycex. Teorp. O6in., mo o6m. reorp., T. XVIT, N: 1, | 265. erp. 118). 3) Przewalski, l. c., p. 249. 2) Vrgl. Radde, Reisen im Süden von Ost-Sibirien in 4) Przewalski, ]. c., p. 252. den J. 1855— 1859, Bd. I, Die Saugethierfauna, St. Petersb. Untere Amur-Tungusen. Jagden der Golde im Ussuri-Gebiet. 585 Jagdart, die auch weiter abwärts, am Amur und Gorin von Golde und Samagırn geübt wird und an die ähnlichen Verfolgungen des Elenn- und Rennthiers bei den Giljaken erinnert. Be- merkenswerther noch ist die Analogie, die sich in der ergiebigsten Art der Ussuri-Golde, das Reh zu jagen, darbietet. Mit den regelmässigen Wanderungen, welche die Rehe, zu grossen Heerden geschaart, zweimal alljährlich zwischen den rechten Ussuri- und Sungari-Zullüssen aus- führen, genau bekannt, lauern sie denselben an den Stellen auf, wo sie über den Ussuri zu setzen pllegen. Hat eine Heerde sich daran gemacht und etwa die Mitte des Stromes erreicht, so schiessen von allerwärts aus dem Versteck leichte, mit je einem Mann besetzte Rindenkähne heran. Im Nu sind die Thiere von dem einen wie vom anderen Ufer abgeschnitten, und nun beginnt unter lautem Jubelgeschrei ein Gemetzel derselben, wobei sie nur je einen Lanzenstich durch den Hals erhalten, um langsam zu verbluten und von den mittlerweile in grösseren Böten ‚ heranrudernden Weibern und Kindern aus dem Wasser gehoben zu werden '). Wer denkt dabei nicht an die ganz ähnlichen, in den Polargegenden Sibirien’s statthabenden Niedermetzelungen der Rennthiere, wenn diese auf ihren Wanderungen zwischen der Eismeertundra und der Wald- region über die ihnen im Wege liegenden Flüsse setzen ?°) In weit geringerer Zahl als der Edelhirsch oder das Reh fällt den Golde das Wildschwein zur Beute, von dem sie in der Regel nur die weiblichen und jungen Thiere direkt jagen, die erwachsenen Eber hingegen fast ebenso wenig anzugreifen oder zu verfolgen wagen, wie den Tiger. Dieser letztere wird von ihnen nur gelegentlich oder aus Nothwehr erlegt, wenn er, um Hunde oder Schweine zu rauben, bis zu ihren Behausungen vordringt oder gar ihnen selbst begegnet und den Angriff unvermeidlich macht. Die Furcht vor solchen Besuchen und Begegnungen beherrscht sie beständig und veranlasst sie, zur Abwendung derselben jene Holz- figuren, Götzen und Amulete von ihm anzufertigen, welche ich an einem anderen Orte?) bereits besprochen habe, und auf die ich in der Folge gelegentlich noch zurückkommen werde. Dasselbe gilt auch vom «Jerga» (Irbis), der zwar weit seltener ist, darum aber in den aber- gläubischen Gemüthern eine nur um so grössere Furcht erzeugt. Gelingt es ihnen übrigens einmal einen Tiger zu erlegen, so ist ihr Gewinn von demselben nicht gering, indem nicht bloss das bei den Chinesen in hohem Ansehen stehende Fell des Thieres') von den Kaufleuten gut bezahlt wird, sondern auch seine übrigen Theile, wie Krallen, Knochen, Muskeln, Sehnen, ja sogar die Galle, in China wie in der Mandshurei ihrer oflieinellen Verwendung wegen einen guten Absatz bei ihnen finden °). 1) Vrgl. Przewalski, |. c., p. 267. 2) Vrgl. z.B. Pallas (Zoogr., Vol. I, p. 212; desgl. Neue Wrangell eb». 6ep. Cn6. u no Avaon. mopro, 4. II, crp. 87), Midden- dorff (Sibir. Reise, Bd. IV, p. 1147) u. A. 3) S. dieses Werkes Bd. I, p. 92 u. folg. 4) Darüber s. oben, p. 391, Anm. 2. Nord. Beytraäge, Bd. I, p. 244), Hyreim. no >= ’ ’ « 5) Angaben uber den Gebrauch der einzelnen Körper- theile des Tigers als Heilmittel bei den Chinesen, Mandshu 8 ’ und Golde, sowie uber deren vermeintliche Wirkung fif- det man bereits bei Gerbillon (inDu Halde’s Descer. de "Empire de la Chine et de la Tartarie chinoise, T. IV, p- 248 u. 301 l. c., p. 235), Palladij (Veyp. Manpıraeı.— Hasber. Veorp. O6m., T. VII, und spater bei Przewalski 1871, Ora. II, erp. 377), Barabasch (Cyurap. Inenea.— Boenusrit C6opu., 1874, N 2, der erp. 347) u. A. So soll z. B. Genuss von Tigerflleisch oder gepulverten Tiger- knochen Muth und Verwegenheit erzeugen u. drgl. m. > > > ro 147 586 Die Völker des Amur-Landes. Viel wesentlicher und maassgebender noch fürs gesammte Leben als bei den Golde ist die Jagd bei ihren östlichen Nachbarn, den Orotschen. Darf man jene, trotz ihrer grossen Vorliebe für die Jagd, welche den männlichen Theil der Bevölkerung sogar die meiste Zeit des Jahres beschäftigt, ihrem Grundwesen nach immer noch als ein Fischervolk bezeichnen, da sie feste Wohnsitze an den Flüssen, dem Amur, dem Ussuri und ihren rechten Zuflüssen haben, und der Fischfang in denselben immerhin die Basis ihrer Existenz bildet, so lässt sieh dies mit den Orotschen nieht mehr thun. Sie sind vielmehr ihrem gesammten Leben und Wesen nach in überwiegendem Maasse Jäger. Der Fischfang sinkt bei ihnen im Vergleich zur Jagd ganz und gar zu einer Nebenbeschäftigung herab, denn nur während einer kurzen Zeit des Jahres halten sie sich in ihren Zeltwohnungen an der Meeresküste und den Flussmündungen auf, um theils einige Fischvorräthe einzusammeln und theils auch dem Seehundsfange obzuliegen. Die ganze übrige, weitaus grösste Zeit des Jahres, vom ersten Schneefall bis zum Sommer, führt der Orotsche ein ausschliessliches Jägerleben, streift in den Flussthälern und Waldungen des Küstengebirges umher und schlägt, bald einzeln, bald von Weib und Kind begleitet, sein Jagd- zelt je nach Umständen hier oder dort auf. Meist hat ein Jeder sein Jagdrevier, indem er die in einem nicht allzufernen Umkreise gelegenen, seit je von ihm begangenen und als wildreich ihm bekannten Flussthäler und sonstigen Lokalitäten alljährlich wieder aufsucht; doch bleibt dabei, in Folge der dünnen Bevölkerung und der weit ausgedehnten Wildnisse, dem Einzelnen immer noch ein weiter Spielraum vorbehalten. Entfernte, im Bereich der Nachbarstämme gelegene Jagdgebiete besuchen die Orotschen nicht, sowohl weil es ihnen, bei der durch das Küsten- gebirge abgeschiedenen Lage ihrer Heimath, an einer so leichten und bequemen Verkehrsstrasse wie die Eisdecke des Amur-Stromes und seiner grossen Zuflüsse fehlt, als auch weil sie immer nur wenige, hauptsächlich zu Jagdzwecken benutzte Hunde halten. Dass die Jagd auch hier vornehmlich den beliebten Pelzthieren, Zobel, Flussotter, Fuchs, so wie denselben zur Nahrung und Kleidung dienlichen Fleischthieren gilt und auch in derselben Weise, vermittelst Fallen, Selbstschüssen, Bogen und Pfeilen, Spiessen und Lanzen betrieben wird, bedarf kaum der Erwähnung. Nur eines Thieres sei bei dieser Gelegenheit noch besonders gedacht, weil es von den Orotschen, entsprechend der Gebirgsnatur ihres Landes, eifriger verfolgt und in grösserer Anzahl erlegt zu werden scheint als von ihren Nachbarn, — ich meine das Moschusthier, das sie in ähnlicher Weise wie die Aino meist vermittelst aufgestellter Schlingen fangen '), und von welchem sie namentlich den Inhalt der Moschusbeutel im Handel mit den Chinesen verwerthen. In Beziehung auf die Verwerthung ihrer Jagdausbeute überhaupt befinden sich jedoch die Oro- tschen in Folge der grossen Abgeschiedenheit ihrer Heimath allen übrigen Völkern des unteren Amur-Landes gegenüber sehr im Nachtheil. Im südlichen Theile ihres Gebietes, wo sie, als sogen. Ta-dse, mit Chinesen untermischt leben, finden sie zwar bei diesen letzteren einen leichten Absatz für ihre gesammte Jagdausbeute, doch werden sie von ihnen dabei in der Regel stark 1) Maprapnrtoss, 06% Opouaxp Hnneparoperoit ravann, C.-Ilerepö. 1888, erp. 13, Taö.ı. II, wur. 2. Einfluss der Jagd, resp. des Fischfangs auf das gesammte Leben der mt. Amur-Völker. 587 ausgenutzt und durch vorgestreckte Zahlungen nicht selten zu ihren lebenslänglichen Schuldnern gemacht. Weiter im Norden aber, wo das chinesische Element fehlt, sind die fast ausschliess- lich der Jagd lebenden Orotschen zur Verwerthung ihrer Ausbeute auf die Vermittelung ihrer Nachbarn, der Golde und Oltscha, angewiesen. Zum Schluss der obigen Betrachtungen über den Jagdbetrieb bei den Völkern des unteren Amur-Landes und seine grössere oder geringere Bedeutung für die Gesammigestaltung ihres Lebens kann ich nicht umhin, einer Bemerkung Raum zu geben, die sich dem Reisenden, der ethnographische Zwecke im Auge hat, ganz unwillkürlich aufdrängt. Ist für ethnographische Forschungen unter den Giljaken bei Weitem die günstigste Jahreszeit der Winter, die ungün- stigste der Sommer, so kehrt sich das, den Amur und seine rechten Zuflüsse aufwärts, zu den Golde und Orotschen gegangen, mehr und mehr in das direkte Gegentheil um. Im Sommer nehmen Fischfang und Bereitung von Fischvorräthen für den Winter die Giljaken ganz und gar in Anspruch und tragen sogar etwas Nomadisches in ihr Leben hinein, insofern Viele als- dann, um für den Fischfang günstigere Lokalitäten aufzusuchen, ihren Wohnort zeitweise wechseln und vielfach, auf den Strominseln und an den Nebenflüssen zerstreut, auch nur in Zel- ten campiren. Mit dem Eintritt des Winters hingegen sammelt sich Alles wieder in den gemäch- licheren und geräumigeren Winterwohnungen, und es beginnt eine lange Zeit ruhigeren und stetigeren Lebens, das in seinem regelmässigen Verlaufe, mit der nur in der Nähe betriebe- nen Jagd, dem Störfang auf dem Eise, dem Handel und Verkehr, den mannigfachen Haus- und Handarbeiten, den eigenartigen, langandauernden Bärenfestlichkeiten und drgl. m., dem Ethnographen ein reiches Feld der Beobachtung und des Studiums bietet. Fast ebenso verhält es sich mit den Oltscha. Doch nimmt bei ihnen und in noch höherem Grade bei den Golde das Leben im Sommer, in Folge der alsdann allein üblichen, leicht transportablen Zeltwoh- nungen, einen noch nomadischeren Charakter an, und je weiter stromaufwärts, desto mehr entvölkern sich die Winterwohnungen, weil ein Theil der Männer zur Jagd auf mehr oder minder entlegenen Gebieten fortzieht. Bei den Ussuri-Golde sind in denselben, wie wir sahen, im Winter nur noch Weiber, Kinder und Greise zu finden, da alle rüstigen Männer zur Jagd fortziehen, und die Orotschen endlich nehmen nicht selten auch Weib und Kind auf ihre den ganzen Winter ausfüllenden Jagden in die Wildniss mit. Hinsichtlich dieser giebt daher der Sommer, indem er sie aus den Wäldern zurückruft und zum Fisch- und Seehundsfang in den, wenn auch ebenfalls nur zeltförmigen, doch an bestimmten Punkten der Meeresküste und der Flussmündungen gelegenen Sommerwohnungen versammelt, dem Reisenden die beste, ja fast einzig mögliche Zeit für ethnographische Forschungen ab. So sehr verändern und ver- schieben sich bei den Völkern des unteren Amur-Landes alle Lebensverhältnisse, je nach dem, ob und in wie weit bei ihnen der Fischfang oder die Jagd die Hauptrolle spielt. 588 Die Völker des Amur- Landes. Auf den Jagdbetrieb der Völker des oberen Amur-Landes, der Biraren, Manägirn und Orotschonen, kann ich nicht näher eingehen, weil ich mit ihnen nur in ganz llüchtige Berüh- rung gekommen bin, und zwar zu einer Zeit, da sie, fern von ihren Jagdgründen, zum Theil noch mit dem Fischfang im Amur-Strome beschäftigt waren. Es bleibt mir daher bezüglich der- selben nur übrig, auf die Schilderungen von Maack'), Gerstfeldt°), Ussolzef°) u. A. zu ver- weisen. Das Bild, das sie von dem Jagdbetriebe dieser Völker entwerfen, zeigt übrigens die grösste Uebereinstimmung mit demjenigen, welches ihre Nachbarn im Norden und Westen, die auch geographisch keineswegs streng von ihnen abgegrenzten russisch-sibirischen Tungusen bieten. Wie ganz anders hingegen die oberen Amur-Völker nach dieser Seite, als Jäger und Jagdnoma- den, den mehr oder minder sesshaften Fischervölkern des unteren Amur-Landes gegenüber- stehen, ist im Zusammenhange der Erscheinungen oben, bei Besprechung ihrer Wohnung, KRlei- dung, Nahrung, Lokomotion und besonders auch ihres Fischfanges, bereits mehrfach hervorge- hoben worden. Gewissermaassen als Ergänzung dazu möge hier, zum Schluss unserer Betrachtungen über die Jagd der Amur-Völker noch auf den Gegensatz hingewiesen werden, der sich zwischen den Insassen des oberen und des unteren Amur-Landes auch in Beziehung auf die den Hauptgegenstand ihrer Jagd bildenden Thierarten wahrnehmen lässt. Während im unteren Amur-Lande und be- sonders bei dem typischsten und ichthyophagsten seiner Völker, den Giljaken, die Jagd sich in erster Reihe und ganz vornehmlich gegen die schätzbaren Pelzthiere richtet, so dass man sie ihrem Hauptzweck und Charakter gemäss als Pelzthier- oder nach dem zahlreichsten und allge- mein beliebtesten dieser Thiere auch schlechtweg als Zobelfang bezeichnen kann, stehen bei den mit ihrer Nahrung und grösstentheils auch ihrer Kleidung fast ganz auf die Jagd angewie- senen Völkern des oberen Amur-Landes die Fleischthiere, Elenn, Edelhirsch, Reh, Wildschwein, als Jagdobjekt obenan. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass die beiden erstgenannten, grossen Thiere auch zur Tributzahlung an die Mandshu-Beamten verwendet werden) und die jungen und noch frischen Hirschgeweihe einen wichtigen Handelsartikel bilden. Die hochgeschätzten Pelzthiere und insbesondere der Zobel werden zwar auch von den oberen Amur-Völkern als höchst begehrenswerthe Beute angesehen und dem entsprechend eifrig verfolgt, allein ihre Zahl hat im Laufe der Zeit sowohl durch die stetigen und angestrengten Jagden, als auch in Folge der häufigen und ausgedehnten, theils durch Nachlässigkeit und theils auch absichtlich hervor- gebrachten Waldbrände so sehr abgenommen, dass neben ihnen andere, früher für werthlos gehaltene und unbeachtet gelassene Thiere Geltung gewonnen haben. Namentlich sind nach Maassgabe des Verschwindens des Zobels die ihm hauptsächlich zur Nahrung dienenden Eich- hörnchen so sehr viel häufiger und zahlreicher geworden, dass sie am oberen Amur und seinen 1) Hyrem. ua Amyp®, erp. 49, 75 u. 76. 4) Ich erinnere hier nochmals daran, dass meine Schil- 2) O npnöpesku. skur. Amypa (Bbern. Hmo. Pycer.l’eorp. | derungen die 50-er Jahre und also eine Zeit im Auge haben, Oö, 4. 20, 1857 r., Ora. Mac.ıba. u mar., erp. 307). in der fast das ganze Amur-Land noch unter chinesischer 3) Hyrem. no ao.1nuBb p. Hepun (ramg ıwe, erp. 77 uc.ıbA.). | Herrschaft stand. Gegensätze bezüglich der Jagd zwischen dem oberen und dem unteren Amur-Lande. 589 beiderseitigen Zuflüssen bereits das Hauptaugenmerk der Jäger bilden und, wenn auch einzeln nur von geringem Werth, durch ihre grosse Zahl die Mühen und Kosten derselben lohnen. Die Schilka- und Argunj-Kosaken, die alljährlich im Herbst, in kleine Gesellschaften (Artell’s) orga- nisirt, weite, Wochen und Monate lang dauernde Jagdzüge in das Orotschonen- und Manä- girn-Gebiet ausführen, nennen daher diese ihre Jagden nach ihrem Hauptzweck schlechtweg «belkowjo» '), d. h. Eiehhörnchenbetrieb. In dem Zobelfange einer- und dem Eichhörnchenbe- triebe andererseits bietet sich somit wiederum ein charakteristischer Gegensatz zwischen den Jagdverhältnissen des unteren und des oberen Amur-Landes dar. Zur Wandlung des ersteren in den letzteren im oberen Amur-Lande hat aber ausser den oben angeführten Ursachen sehr wesentlich auch die von Sibirien ausgegangene und im Laufe der Zeit mehr und mehr gewachsene Einfuhr und Einbürgerung handlicher Schiessgewehre, der kleinkalibrigen russisch-sibirischen Büchsen beigetragen. Während es im unteren Amur- Lande zur Zeit meines Aufenthalts daselbst, mit einigen wenigen Ausnahmen ?), noch gar keine Schiessgewehre gab, waren bei den Orotschonen, dank ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und ihrem langjährigen Verkehr mit den Russen, jene Büchsen schon in allgemeinem Gebrauch, und bei den Manägirn verdrängten sie auch bereits mehr und mehr die zur Jagd wenig brauch- baren langen und plumpen chinesischen Luntengewehre. Seit der Besitznahme und Kolonisirung des ganzen Amur-Landes durch die Russen hat die Verbreitung guter oder wenigstens brauch- barer Feuergewehre auch in seinem unteren Theile rasche Fortschritte gemacht, was im Verein mit der wachsenden Zahl von Jägern in Zukunft einen starken Niedergang in seinem Zobel- und sonstigen Thierreichthum bewirken muss. Von wie verhängnissvollen Folgen aber dies für die von diesem Reichthum zehrende indigene Bevölkerung des Landes sein wird, ist leicht be- greiflich und wird sich im Einzelnen noch mehr aus der nächstfolgenden Betrachtung ermessen lassen. 1) Darnach auch das Verbum «bellowatj», d. h. Eich- 2) S. oben, p. 557. hörnchenjagd betreiben. 10. Abschnitt. Handel. Werthschätzung der vornehmsten im Handel, Haushalt und sonstigen Leben vorkommenden Ge- genstände. Handelsverkehr der Amur-Völker unter einander und mit den Mandshu-Chinesen, Japanern und Russen. Ein Blick in die jüngstvergangene Geschichte des Handels und der Herrschaft der Mandshu- Chinesen im unteren Amur-Lande. So wesentlich der Fischfang und die Jagd zur Existenz der Amur-Völker sind, so vermö- gen sie doch nicht alle ihre Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen: manche Erfordernisse der Nahrung und Kleidung, so wie die ihnen nicht minder zum Bedürfniss gewordenen Genussmit- tel können sie sich nicht anders als durch Veräusserung eines Theiles ihrer Jagd- und Fisch- fangergebnisse an die benachbarten Culturvölker, also vermittelst des Handels verschaffen. In diesem letzteren eröflnet sich ihnen daher eine dritte Existenzquelle, durch welche jene beiden wesentlich ergänzt und erst zu ihrer vollen Bedeutung gebracht werden. Mehr noch als bei den früheren Abschnitten ist es indieirt, die Betrachtungen über den Handel der Amur-Völker mit den Giljaken zu beginnen. Keines der indigenen Völker des unte- ren Amur-Landes hat so viel Sinn und Begabung für den Handel und so ausgebreitete Handels- beziehungen wie die Giljaken. Es ist charakteristisch für dieselben, dass sie bereits in der ersten Kunde, welche die Russen von ihnen erhielten, —ich meine jene oben erwähnte Erzählung, die der Kosakenanführer Perfiljef in den Jahren 1639 und 1640 von den Witim-Tungusen vernahm '),— als ein an der Amur (Schilka)-Mündung wohnendes, mit den Chinesen in Handels- verbindungen stehendes Volk bezeichnet werden. In der That treiben sie mehr Handel mit den Chinesen und den Japanern als alle anderen Völker des unteren Amur-Landes, obgleich sie am 1) S. oben, p. 99. Giljaken. Centrale Stellung bezüglich des Handels. Reger Handelssinn. 591 weitesten entfernt von denselben wohnen, und vermitteln vielfach auch den Handel sowohl die- ser letzteren mit jenen, als auch denjenigen der beiden genannten Gulturvölker unter einander. So stehen sie gewissermaassen im Mittelpunkte aller internationalen Handelsbeziehungen im unteren Amur-Lande. Dies gilt namentlich von den Amur-Giljaken, während diejenigen Sa- chalin’s und der Südküste des Ochotskischen Meeres in dieser Beziehung eine kaum minder peripherische Stellung als die übrigen Völker des Landes einnehmen, Jene sind aber auch dureh ihre geographische Lage vor den beiden letzteren begünstigt, indem sie ausser dem Seewege durch den Liman und längs der Westküste Sachalın’s zu den Japanern noch eine zweite Was- serstrasse an dem Amur-Strom besitzen, welche sie zu den an diesem selbst wie am Sungari wohnenden Chinesen geleitet. Auch im Handel mit den Russen endlich nehmen die Giljaken, und zwar wiederum diejenigen des Amur-Stromes, den benachbarten Völkern gegenüber ge- wissermaassen eine centrale und vermittelnde Stellung ein, schon in Folge dessen, dass die Be- sitznahme des Amur-Landes in den 50-er Jahren durch die Russen von der Amur-Mündung ausging und im giljakischen Gebiet die ersten Ansiedelungen gegründet wurden, darunter na- mentlich der Nikolajefsche Posten, der längere Zeit hindurch der Hauptsitz der russischen Ver- waltung blieb, und von welchem aus die fernere Erschliessung des unteren Amur-Landes und Sachalin’s erfolgte. Gedenkt man des starken und blutigen Widerstandes, den die Giljaken im XVII. Jahrhundert den russischen Freibeutern entgegensetzten !), und erwägt man, dass sie von Natur keineswegs gutmüthig, gefügig und indolent wie die Tungusen, sondern im Gegentheil weit eher bösartig, tückisch und hinterlistig, dabei energisch und, wenn Kränkung oder Habsucht ins Spiel kom- men, sogar leicht zu blutiger That entschlossen sind), so darf man sich wundern, dass die russischerseits anfangs nur mit ganz geringen Mitteln ins Werk gesetzte Occupation ihres Lan- des in so friedlicher Weise, ohne jeglichen Blutverlust verlief. Dazu hat ohne Zweifel der den Giljaken in hohem Grade innewohnende Handelssinn sehr wesentlich beigetragen. Die Mög- lichkeit, eine Menge von Produkten, die sie im Ueberfluss besassen, und für welche sie sonst keinen Absatz fanden, wie Fische, Wild, Beeren und drgl., in den russischen Niederlassungen gegen mancherlei für sie hochbegehrliche Gegenstände, insbesondere Kleidungsstofle und Tabak vertauschen zu können, musste sie friedfertig gegen dieselben stimmen, und der grosse Vortheil, den sie bei ihrer Rührigkeit, Klugheit und Gewandtheit aus diesem Handel zu ziehen wussten, drängte den Argwohn und die Furcht, welche die neuen Ankömmlinge und ihre rasch wach- sende Zahl und Macht bei ihnen erregten, immer wieder zurück. Der Nikolajefsche Posten wurde bald zum wichtigsten Handelspunkt der Amur-Giljaken, und dank dem regen Verkehr, 1) S. oben, p. 106— 110. 2) Einen Beleg dafür giebt u. A. die oben (p. 388, An- merk. 1) besprochene Ermordung de laBruniere’s durch die Giljaken ab. Kurz vor meiner Ankunft im Amur- Lande wurde auch die Mannschaft eines in der Nahe der Nordwestspitze Sachalin’s gestrandeten Waltischfahrers von Schrenck's Amur-Reise, Band III, den besonders ubelberuchtigten Giljaken von Tammla- wo ermordet und das Schiff ausgeplundert. Einen ver- muthlich von daher ruhrenden, mit einer Nummer und einer englischen Inschrift versehenen Eimer sah ich 1855 bei den Giljaken von Poghobi. =} 592 Die Völker des Amur-Landes. den diese mit ihren Stammgenossen am Ochotskischen Meer und auf Sachalin, sowie mit den Aıno und den tungusischen Amur-Völkern unterhalten, fanden manche russische Waaren in Kurzem eine weite Verbreitung im Lande. Gleichwohl herrschte zu meiner Zeit unter den Gilja- ken von Sachalin, wo es, von dem bereits wieder aufgehobenen Murawjofschen Posten in der Aniwa-Bai abgesehen, noch keine russischen Niederlassungen gab, eine den Russen gegenüber argwöhnische und feindliche Stimmung, welche den Reisenden stets vor thätlichen Angriffen auf seiner Hut zu sein nöthigte. Wiederholt hörte ich sie, wenn sie Abends um das in der Jurte lodernde Feuer sassen, über die in ihr Land gekommenen Russen raisoniren und in der Ueber- zeugung, dass ich sie nicht verstände, den Argwohn äussern, dass dieselben jetzt vorerst das Land auskundschafteten, wie ich es auch thäte, um es nachmals in Besitz zu nehmen und alle Giljaken aus demselben zu verdrängen und zu vernichten. An manchen Orten, wie in Tyk, Dui und den obersten Tymy-Dörfern, traten sie mir mitunter sogar direkt widersetzlich und feindlich ent- gegen, indem sie es nicht dulden wollten, dass ich in ihren Jurten Wohnung nähme oder auf ihrem Herde ein Feuer zur Bereitung meines Essens anmachte, und sich weigerten, mir aus ihren Vorräthen das für meine Hunde erforderliche Futter zu verkaufen. Diese letztere Weige- rung war schlimmer noch als die beiden ersteren, denn sie konnte nicht wie jene durch Drohung mit der Pistole in der Hand bezwungen werden. Dank jedoch ihrer Handelsleidenschaft gelang es mir, sie allemal zu beseitigen: den scheinbar ohne Absicht zum Vorschein gebrachten Tausch- objekten, die ich mit mir führte, vermochte sicherlich Einer oder der Andere von ihnen nicht zu widerstehen, und gab erst Einer der Versuchung nach und schloss einen kleinen Handel ab, so war das Eis gebrochen, und nun regnete es Anerbietungen von allen Seiten, so dass ich bald mehr als genug des Gewünschten hatte. Mit der Eröffnung des Handels trat aber stets auch ein Einver- nehmen in allen anderen Dingen ein. Beim Handel verrathen die Giljaken viel praktischen Sinn, Klugheit, Zähigkeit und Gewandtheit. Nur Gegenstände von bekanntem praktischen Nutzen reizen ihre Kauflust, alles Neue oder Ungewohnte dagegen, wenn es auch noch so sehr in die Augen fällt, wird zwar angestaunt und bewundert (mit dem oft wiederholten, von einem Schlage mit der flachen Hand auf den Kopf begleiteten Ausrufe «tsa-tsa-ä»), auch wohl als Geschenk ange- nommen, aber nie gekauft. Immer bieten sie von ihrer Waare zuerst die minder guten Stücke an und steigen zu den besseren auf, wobei sie dieselbe rühmen und bei der einmal gestellten Forderung beharren. Kurz, Alles weist auf ein im Handel wohlgeübtes und routinirtes Volk hin, und wie sehr sie das in der That sind, wird man aus den nachstehenden Darstellungen des Näheren ersehen können. Trotzdem aller Handel im Amur-Lande und somit auch derjenige der Giljaken nur Tauschhandel ist und keinerlei Geld unter ihnen im Umlauf ist, so hat sich bei ihnen doch eine nicht bloss relative, sondern absolute, numerisch bestimmbare Werthschätzung aller im Han- del oder auch sonst in ihrem Leben und Haushalt eine gewisse Rolle spielenden Gegenstände ausgebildet. Das setzt aber nothwendig auch die Existenz bei ihnen einer allgemein angenom- menen, absoluten Wertheinheit voraus, durch deren Vervielfältigung die Schätzung der Gegen- stände ausgeführt oder ihr Preis normirt wird. Was ist oder worin besteht nun diese Werth- Giljaken. Die ihren Werthschätzungen zu Grunde liegende Einheit. 593 einheit? Das zu ermitteln, fiel mir, wie man aus den nachstehenden Gründen ersehen wird, nieht leicht. Da die Giljaken nur Tauschhandel kennen, so pllegen sie auf die Frage nach dem Preise eines Gegenstandes in der Regel nur die Menge der dagegen gewünschten Waare (wie z. B. 3 Bündel Tabak, 2 Faden Zeug und drgl.) anzugeben. Die Frage nach der auch dem Tauschhandel zu Grunde liegenden absoluten Werthschätzung der vornehmsten Waaren und Gegenstände, ihrem Preise an sich, findet selten und nur bei den Intelligenteren Verständniss, und auch dann besteht die Antwort nur in einem dem Zeitwort «kosten, werth seim (gilj. Zschal- hatsch) vorgesetzten Zahlwort, ohne Angabe irgend welcher Wertheinheit. Stets wird aber da- bei diejenige Form der Zahlwörter gebraucht, deren man sich beim Zählen belebter Gegenstände bedient. Aus welchem Grunde, weiss ich nicht zu sagen. Auf die im obigen Sinne richtig ver- standene Frage, wie viel ein Gegenstand koste, giebt daher der Giljake zur Antwort: enjun), mor, tschor‘) ete. tschalhatsch oder — mit Hinzufügung des so viel wie «sb» bedeutenden Sullixes ra—tschalhara» °), d.h. er kostet ein, zwei, drei ete., und nichts mehr. Die dabei gedachte Wertheinheit bleibt stets unausgesprochen, gleichsam als von selbst verständlich, als bedürfe sie keiner besonderen Bezeichnung. Ich konnte mir daher ein numerisches Werthverzeichniss oder einen Preiscourant aller im Handel oder im Leben und Haushalt der Giljaken eine mehr oder minder wichtige Rolle spielenden Gegenstände anfertigen, lange bevor ich die Einheit, auf welche die Zahlen Bezug haben, kannte. Erst unter den Oltscha und dank dem Umstande, dass ich dort einen Führer fand, der neben seiner Muttersprache auch des Giljakischen mächtig war, gelangte ich auf die richtige Fährte, und der Aufenthalt unter den Golde verhalf mir vollends zur Gewissheit in Bezug auf die fragliche, auch bei den Giljaken allgemein gültige Werthein- heit. Chossiambo, so hiess mein Führer ?), bezeichnete nämlich die Werthe verschiedener Ge- genstände ganz in derselben Weise wie die Giljaken, indem er nur das betreffende Zahlwort vor dem Verbum «ssale» (kosten, gilj. fschalhatsch) nannte; mitunter jedoch sagte er statt «omu (ein) ssale» auch «omı jan ssal& u. s. w. Nach Entfernung des offenbar nur aus lautlichen Gründen eingeschobenen n erwies sich also, dass die der Werthschätzung der Objekte bei den Öltscha und Giljaken zu Grunde liegende Einheit das «Ja» ist, — wie zu vermuthen war, eine Werthgrösse von chinesischem Ursprung. Die weiteren, bestätigenden und erläuternden Auskünfte bezüglich derselben liessen sich ohne Mühe bei den Golde erhalten. Ihnen ist die Bezeichnung «ja» für die Wertheinheit bei der Schätzung von Handels- und sonstigen Gegen- ständen ganz geläufig; auch wussten sie zu sagen, dass die Chinesen das Ja in 10 Theile thei- len, bei ihnen (den Golde) dicha genannt, auf welche je 100 chinesische Messingmünzen (goldisch ziörikta dicha) kommen, so dass 1000 Stück dieser letzteren gleich einem Ja sind. Dieses ıst also eine chinesise he Silberunze (Lieng oder Tael), nahe gleich 2 russ. Rubeln in 1) Nicht enjakr, mjakr, tschakr» ete., wie die gewöhn- | deutet. liche, zum Zählen lebloser Dinge dienliche Form der Zahl- 3) Derselbe stammte aus dem Oltscha-Dorfe Uda und wörter lautet. verdankte seine Kenntniss des Giljakischen hauptsächlich 2) Analog dem, wie kauk «nichb, kaulkra «ist nich, | dem Umstande, dass er eine Giljakin aus Tebach zur oder ngalskotsch «schlechb, ngalskora «ist schlecht» be- | Frau hatte. 75* Die Völker des Amur-Landes. Silber. Die Thatsache, dass die Wertheinheit der Chinesen auch den Völkern des unteren Amur- Landes zur allgemeinen Grundlage bei der Abschätzung ihrer Handelsprodukte und sonstigen Habseligkeiten dient, kennzeichnet besser als alles Andere die dominirende, ja fast allein maass- gebende Stellung, welche jene im Handel ihnen gegenüber einnehmen. Bei den Golde, die den Sungari-Chinesen am nächsten wohnen und mit ihnen in beständigem Kleinhandelsverkehr stehen, kommen natürlich auch die Zehntel, ja vielleicht sogar die Hundertstel des Ja oder der Silberunze in Betracht, wesshalb sie genöthigt sind, bei ihren Preisangaben stets auch die be- trellende Wertheinheit (Ja oder Dieha) zu nennen. Für die entfernter wohnenden Oltscha und Giljaken hingegen, welche, wie wir sehen werden, ihren Bedarf an chinesischen Waaren meist in grösseren Quantitäten in Ssan-ssin am Sungari beziehen, sind die Zehntel und Hundertstel des Ja von keimer praktischen Bedeutung mehr, — für sie handelt es sich stets nur um die eine, ganze Werthemheit und ihre Vervielfältigungen, und darum bedarf es bei ihnen auch kei- ner ausdrücklichen Nennung derselben bei den Werthschätzungen, sondern es genügt, nur die betreffende Zahl anzugeben. Hätte ich somit meine Nachforschungen in dieser Frage, statt von den Giljaken zu den Golde, in umgekehrter Richtung, von diesen zu jenen vorschreitend, an- gestellt, so wäre mir die ihren Schätzungen zu Grunde liegende Wertheinheit ohne alle Mühe, gleichsam von selbst entgegengetreten. Uebrigens bleibt die den Chinesen entnommene Werth- einheit, da sie bei diesen nicht auch durch eine Münze repräsentirt wird, für die Amur-Völker immer nur eine imaginäre Grösse, von welcher sie sich nur eine annähernde Vorstellung nach der Zahl oder Menge der ihr entsprechenden Waarenstücke oder sonstigen Gegenstände machen können. Bekanntlich sind in China nur die Tausendstel der Silberunze in geprägter Form in Umlauf, — jene messingenen, runden, mit einem viereckigen Loch in der Mitte versehenen Münzen (gilj. tschcha), welche man zu 10 und 1000 auf einen Faden zu reihen pflegt. Diese werden aber von den Giljaken, ihrem geringen Werthe gemäss, gar nicht geachtet und gleich verschieden geformten Messingplättchen nur zur Verzierung von Weiberröcken oder ab und zu auch als Hemd- oder Gürtelknöpfe benutzt. Russische Münzen, von den Giljaken ebenfalls tschcha (d. h. wohl «Münze» überhaupt) genannt, wurden zu meiner Zeit weder von ihnen, noch von anderen Eingeborenen des unteren Amur-Landes angenommen, sowohl aus völliger Unbe- kanntschaft mit ihrem Werthe, als auch weil die chinesischen Kaufleute sie ebenfalls nicht entge- gennahmen !). Indessen lernten die Giljaken durch Verkehr mit den Russen sehr bald auch den Gebrauch ihrer Münzen kennen °). 1) Die einzigen Münzen, welche zu meiner Zeit im Amur-Lande den chinesischen Kaufleuten gegenuber eine Verwendung finden konnten, waren spanische (mexikani- sche) Piaster, sogen. Colonnados, und auch diese wurden von ihnen immer erst aufs Sorgfaltigste vermittelst einer Handwage auf ihr Gewicht geprüft. 2) Ja, gegenwartig sollen sie sogar russische Creditbil- lete als Zahlung entgegennehmen. Als Beleg fur ihre grosse Findigkeit in Geld- und Handelssachen mag hier auch fol- gender, noch zu meiner Zeit stattgehabter Fall Erwäh- nung finden. Der mehrfach genannte Giljake Poswein aus Kulj, der den Russen seit ihrem ersten Erscheinen im Lande nahe gestanden, machte nur zu dem Zweck eine Fahrt von Nikolajefsk nach Sachalin, um von seinen dor- tigen Landsleuten allerhand Werthsachen und besonders Gold- und Silbermünzen, welche sie von einem gestrande- ten amerikanischen Walfischfahrer nach Ermordung eines Theiles der Mannschaft geraubt hatten, gegen verschie- dene Kleinigkeiten einzutauschen und alsdann den Russen gegenüber mit Vortheil zu verwerthen. Giljaken. Werthschätzung der vornehmsten Waaren u. a. Gegenstände. 395 Durch die allen Völkern des unteren Amur-Landes gemeinsame, von den Chinesen ent- lehnte Wertheinheit gewinnt der Tauschhandel, den sie unter einander und mit den letzteren betreiben, ım Grossen und Ganzen eine feste Norm, indem die in demselben vorkommenden, zum Theil sehr heterogenen Waaren nur in dem Verhältniss an Menge, Grösse, Güte und drgl., als sie eine gleiche Anzahl von Wertheinheiten enthalten oder repräsentiren, als gleichwerthig erscheinen und ohne Schaden für den Käufer oder Verkäufer gegen einander vertauscht werden können. Maassgebend für den Preis oder die Werthschätzung der Handelswaaren ist dabei einer- seits die grössere oder geringere Nachfrage, deren sie sich bei den Chinesen erfreuen, und ande- rerseits das mehr oder minder starke Bedürfniss, das sich nach denselben bei den Giljaken, Oltscha und Golde findet, und das selbst wieder zum grossen Theil durch ihre Verwendbar- keit in dem von diesen unter einander und mit den Japanern betriebenen Zwischenhandel be- stimmt wird. Grosse Veränderungen in den Preisen mancher Waaren mussten entstehen, als die Giljaken und nach ihnen auch die anderen Völker des unteren Amur-Landes neben den Chinesen und Japanern, mit denen sie in alten Handelsverbindungen stehen, auch mit den Rus- sen in Berührung traten und die Waaren derselben den chinesischen und japanischen zum Theil sehr erfolgreich Coneurrenz zu machen begannen. Mehr noch wie sonst muss daher in Be- ziehung auf die Handelsverhältnisse der Amur-Völker im Auge behalten werden, dass meine Schilderungen der Zeit gelten, da diese Berührung eben erst eingetreten war und noch nicht die Folgen wie heutzutage nach sich gezogen hatte. Was endlich die Werthschätzung der ausser- halb des Handels stehenden, auf ihren Haushalt und ihr sonstiges Leben und Treiben Bezug habenden Gegenstände bei den Giljaken betrifft, so sind die maassgebenden Momente in ihren Sitten, Vorstellungen und Anschauungen zu suchen, wofür nachstehend manche Belege gegeben werden sollen. Durch vielfache und wiederholte Erkundigungen bei den Giljaken und durch eigenen Handels- und sonstigen Verkehr mit denselben habe ich ihre in der folgenden Tabelle wieder- gegebene Werthschätzung sowohl der wichtigsten in ihrem Handel mit den Chinesen, Japanern und zum Theil auch mit den Russen zur Geltung kommenden Waaren, als auch der vornehm- sten, in den obigen Schilderungen besprochenen und zum Theil abgebildeten, zu ihrem Leben und Haushalt gehörigen Gegenstände in Erfahrung bringen können. So gilt bei ihnen: Ein Zobelfell, je nach seiner Güte, -. 2. .......... gleich 1—3 Ja Derkell' vom rothen Fuehs (pas’-nga). . ... 2:0...» a DD >= schwarzgrauen Fuchs (pladf). :». 2.02...» 3» » » » schwarzen Fuchs (hädf), je nach seiner Güte)... » 10 » und darüber » Luchsfell mit dem Kopf, den Beinstücken u. dem Schwanz » S—10 » » » ohne Kopf, Beinstücke und Schwanz. . . ... » 9: 1) Das s weich, wie das französische 2 ausgesprochen. 596 Die Völker des Amur-Landes. Ein Flussotterfell wird nach seiner Grösse geschätzt, indem jede Fingerspanne dessel- ben. gleich. ist. 2.022 0. 20.2 a er ya generell » Seehundsfell, gleichviel ob Phoca nummularis (pyghi) oder Ph. barbata (kighitsch), wenn es:nur sehr gut ist, gilt gleich“... nm. ne 2.2.2 2 rer Vier Faden!) gewöhnlichen Baumwollenzeugs (9055j) kosten... 2... ...... 1» (tsch) Zwei » Halbsammet (porbröz=paoss7) 2 2 2 2 > Anderthalb Faden Tuch (dshangta) ......... 9» 1 Vier Faden mandshurischen °) (sehr bunten) Seidenzeugs (tscharp) sind gleich . . . . 3» Nach der Güte und dem Preise der Stoffe richtet sieh auch der Werth, den die Giljaken ihren einzelnen Kleidungsstücken zuschreiben; so kostet: Ein langer, breitärmeliger Rock aus mandshurischem Seidenzeuge (ucht) . 2. .... 9 Ja”) 3 Eine Weibermütze aus demselben Zeuge (ischarp-hak). » 2:2... 2 20. » » » aus dem Kopffell des Luchses (tschlyghi-hah) . » .».:........2» » gute Boa aus Eichhörnchenschwänzen (tolp). . ». u a2 22 cn nn Ein Weiberrock aus Fischhäuten (fschurk), mit viel Suckerei darauf ........ 1» » Pelz aus Luchsfellen (auf den etwa 6 Felle gehen), . .. 2.2.2... .22.2.2.2..080» in Pelz aus Hundsfellen wird vornehmlich nach der Farbe und demnächst nach der Güte derselben geschätzt, ob diese nämlich von erwachsenen Thieren, oder von Welpen stammen; so kostet: Ein graubräunlich-gelber Hundsfellpelz (tschabr-okch) . . ...:........... 1» » scheckiger oder braun und weiss gemischter Hundsfellpelz (alchalch-okch). . . .. 1» W/ WEISSER I kukaı Ana ne ee ger » (tschang-okch)..... 2 » » schwarzer oder sehr dunkel brauner . . . . » (yghr-okch): aus Fellen erwachsener Thiere. 2 „a... u urn 2 och onen. er > 9 VON Welpen... geil ne re ee 2 Die übrigen Kleidungsstücke der Giljaken, wie Hemde aus gewöhnlichem Baumwollen- zeuge, kurze Halbröcke aus Tuch oder Halbsammet, Beinkleider, Schurzröcke aus Seehundsfell, gewöhnliche Wintermützen, Sommerhüte aus Birkenrinde, Aermelbinden, Ohrenwärmer, Hand- schuhe und drgl., erreichen, trotzdem die drei letzteren in der Regel mit Stickereien versehen sind, nicht den Werth eines Ja. Ferner schätzen die Giljaken: Einen: Sack,.Mehlfgleich 22. 00.20: 2. 2 ne el Du fa Vier mandshurische Säcke (welche recht hoch, aber schmal sind) mit Hirse gleich 4 -Zobeln, also etwa 6 oder, „. . „un zu. nu. 0028 1) D. h. Armspannen, da die Giljaken kein anderes | bilden ein Stück. Maass als Arm- und Fingerspannen haben. 3) Vielleicht etwas zu niedrig gegrillen. 2) Richtiger gesagt, chinesischen. Vier Faden davon Giljaken. Werthschätzung der vornehmsten Waaren u. a. Gegenstände. Ein Brettkasten (kylmr-wakke) mit Branntwein gilt gleich. Pi o o Zehn Bündel Tabaksblättter und in Zeiten des Mangels daran auch nur 5 kosten . Ein sehr grosser Stör (tukki-tscho) gilt gleich... . 2... 2. 3222200. »» Dee Hansen?( pasch-tscho) giltigleich 2 . ne: ne » lebendiger, noch junger und kleiner Bär gilt gleich... . . . » » erwachsener Bär gilt, je nach seiner Grösse, gleich. » Hund von gewöhnlicher Grösse und Güte gilt >» » Schlitten von gewöhnlicher Art » » Paar tungusische Schneeschuhe, mit Elennsfellbekleidung (gilj. Adhy-en), d. h. Samagirn-Schneeschuhe), gilt gleich Die eigenen, mit Seehundsfell ausgekleideten Schneeschuhe dagegen erreichen nicht den Werth eines Ja. Ein kleines bis mittelgrosses Boot gilt, je nach seiner Grösse, gleich... . » - Serossesmeues Boot. 2. . „ec enter gilt » Dseselraus Eischhäuten . 2... . 2.2 u...» » Rmntkischnetzikommen je 10 Faden gleich... .. vv. ne 2... san Ein mit einer Fischbeipplatte belegter Bogen gilt gleich... .. 2.2.2.2... » » » Büffel- oder Nashornplatte belegter und mit silbernen Klammern versehener Bogen (ngynif-puntsch) gilt, je nach der Anzahl dieser letz- IEHEHSROTEICH We Le) EN Eine Flinte mit einem Lauf schätzen die Giljaken gleich... ... . » russisch-sibirische Büchse » » » » Einen Doppellauf N) » EL MER Ein Speer von etwa Ellenlänge ohne eingelegte silberne Figuren gilt gleich. » ebensoleher Speer mit eingelegten Figuren aus Silber » » Eine etwa armlange Lanzenspitze ohne silberne Verzierungen » » » ebenso grosse Lanzenspitze mit silbernen und anderen Verzierungen wird, je geschätzt als gleich . nach der Menge dieser letzteren, Ein mandshurisches Beil gilt gleich... .. 2.2... Einen alten mandshurischen Eisenpanzer (wytsch-petsch) schätzen die Gilj. gleich » » Netzpanzer von eigener Arbeit (kä-petsch) hingegen schätzen sienur » Der Werth der in den Herden eingemauerten und der Handkessel richtet sich zum Theil nach der Grösse, zum Theil und hauptsächlich aber nach ihrem Ursprung, indem die mandshurischen (chinesischen) Kessel von weit geringerer Güte als die japanischen sind: jene platzen leicht über dem Feuer, wenn sie kein Wasser enthalten, diese aber nicht; dem- nach kostet: (tsch) Ein grosser mandshurischer Herdkessel (ormoz-wun]) » » » >» vr rer. PaS » » 598 Die Völker des Amur-Landes. Ein kleinerer mandshurischer Herdkessela 2 sr Er Sara » mandshurischer Handkessel (matsch-wung) mit Henkeln, je nach der Grösse, 3b) » kleiner japanischer Kessel (gilj. Kughi-wunj, d.h. Aino-Kessel). .. .... 7—8 » » grosser. Kessel vongderselben Art. ur ea 20 » » » japanischer Kessel: mutzdrei Henkelna Wlrn ze ne er 0m) Sehr eigenthümlich ist die bei den Giljaken angenommene Werthschätzung ihrer Behau- sungen, denn es kostet: ine Winterjurte (fschadryf) mit zwei Herden nur... .... 4 Ja ». Sommerjurte (karyf)mur.un ve uote a euere 2 in Vorrathshaus (njö) hingegen, je nach der Anzahl seiner Abtheilungen, « 7. . land oe fee jean una LOS nundedanmrag Aus dieser Tabelle lassen sich sowohl manche Schlussfolgerungen über den Handel der Giljaken, als auch sprechende numerische Belege für manche Sitten und Anschauungen der- selben entnehmen, die theils in den vorigen Abschnitten schon besprochen worden sind, theils in der Folge noch zur Sprache kommen sollen. Es genüge zunächst nur auf folgende Punkte aufmerksam zu machen: 1) Das wichtigste Tauschobjekt der Giljaken im Handel mit den Chinesen, das Pelzwerk, hat einen verhältnissmässig geringen Preis, was sich ohne Zweifel aus seiner grossen Menge, aus dem bis dahin noch ungeschwächten Thierreichthum des unteren Amur-Landes erklären lässt. Nur zwei Pelzwerke ragen mit ihrem hohen Preise ganz erheblich über alle anderen her- vor: der schwarze Fuchs und der Luchs. Jener verdankt seinen hohen Preis, neben der unbe- dingten, auch von den Chinesen anerkannten und hochgeschätzten Schönheit seines Felles, sicherlich auch seiner weit grösseren Seltenheit. Das Luchsfell hingegen hat, wie oben ausführ- lich dargethan, in den Augen der Giljaken selbst einen zu hohen, imaginären Werth, um in grösserer Menge in den Handel gebracht zu werden. 2) Gleich dem Luchspelz zeichnen sich in der obigen Tabelle noch mehrere andere Gegen- stände durch ihren sehr hohen, ihrem reellen Werthe keineswegs entsprechenden Preis aus. Dahin gehören namentlich die oben eingehend besprochenen alten mandshurischen Eisenpanzer und Helme und die mir leider nicht zu Gesicht gekommenen, mit drei Henkeln versehenen ja- panischen Kessel, denn schwerlich dürften diese die von ebendaher stammenden zweihenkligen oder sonst in der Form von ihnen etwas verschiedenen Kessel so sehr an Güte übertreffen, um den grossen Preisunterschied zwischen denselben zu rechtfertigen. In diesen Dingen spricht sich das auch bei den sonst praktischen Giljaken vorhandene Bedürfniss nach besonderen Abzeichen von Reichthum und Ansehen aus. 3) Aus demselben Motiv, der Eitelkeit, erklärt sich auch die hohe Werthschätzung eines lebendigen Bären bei den Giljaken. Denn dieser bringt seinem Besitzer nicht nur keinen ma- Giljaken. Werthschätzung der vornehmsten Waaren u. a. Gegenstände. 399 teriellen Vortheil, sondern sogar Schaden, da seine Tödtung und Verspeisung nur in festlicher, mit Unkosten für den Besitzer und Gastgeber verbundenen Weise stattfinden kann; dafür trägt er ihm aber den schmeichelhaften Ruf eines reichen und angesehenen Mannes ein. 4) Unter den verschiedenen Kleidungsstoflen, welche das Haupttauschobjekt der Chinesen den Giljaken gegenüber bilden, schätzen diese am höchsten die bunten, mit Drachen und an- deren chinesischen Mustern, so wie oft auch mit Gold und Silber durehwirkten Seidenzeuge, jedoch nieht etwa weil sie selbst ein besonderes Gefallen an denselben fänden und mit ihnen Luxus trieben, — man sieht sie bei ihnen vielmehr fast nur in kleinen Stücken zu eleganten Weibermützen verwendet — sondern weil sie dieselben zum Handel mit den Japanern gebrau- chen, — eine Thatsache, auf die ich in der Folge zurückkonımen werde, und die den besten Beweis für ihre eminente Handelsbegabung abgiebt. >) Aehnliches liegt auch ihrer sehr hohen Werthschätzung des Branntweins (araki) im Tauschhandel mit den Chinesen zu Grunde. Man würde sehr irren, wollte man aus dieser ihrer Werthschätzung des Branntweins den Schluss ziehen, dass sie dem Genuss desselben in hohem Grade ergeben seien und sich daher vermittelst desselben leicht ausplündern liessen. Zwar sind sie dem Branntwein nicht abgeneigt, allein sie gebrauchten ihn, wie oben schon hervorgehoben worden‘), zur Zeit meines Aufenthaltes unter ihnen nur in mässiger Weise. Dagegen konnte ihrem beständig auf Vortheil und Gewinn ausschauenden Bliek der Werth einer so allgemein beliebten Waare im Handelsverkehr sowohl mit ihren von den Bezugsquellen derselben ent- fernter wohnenden Landsleuten, als insbesondere auch mit ihren minder energischen tungusi- schen Nachbarn nicht entgehen. Ihr Handelsgeist bewährt sich somit auch dem Branntwein gegenüber und, wie bereits erwähnt, verstanden sie vermittelst des letzteren sogar den russi- sehen Kosaken und Matrosen manchen Vortheil im Tauschhandel abzugewinnen. 6) Die von ihnen selbst verfertigten, zu ihrem Haushalt und sonstigen Leben und Treiben gehörigen Gegenstände, wie Utensilien aller Art, Kleidungsstücke u. s. w., mögen sie noch so sauber gemacht und mit Verzierungen ausgeschmückt sein, werden von den Giljaken nur gering geschätzt, es sei denn, dass sie ein kostbares, von den Chinesen erworbenes Material enthalten, wie z. B. die mit Büflelhorn ausgekleideten Bogen, oder die mit eingelegten Figuren aus Silber versehenen Lanzen und drgl. Nicht die Feinheit und Schönheit der Arbeit oder die auf dieselbe verwendete Zeit und Mühe, sondern das Bisschen Silber oder Horn ist es also, was diesen Gegenständen in den Augen der Giljaken einen hohen Werth verleiht. 7) Sehr irrationell erscheint auf den ersten Blick die in der Tabelle angegebene Werth- sehätzung ihrer verschiedenen Behausungen seitens der Giljaken; denn dass ein so grosser und verhältnissmässig complieirter Bau wie ihre nach chinesischem Muster errichteten, mit zwei Herden, vier breiten, durch eine Röhrenleitung erwärmten Schlafbänken und grossen Fenstern versehenen Winterwohnungen nur etwa halb so viel werth sein sollte als ein aller 1) S. oben, p. 465. Schronck's Amur-Reise, Band IH. 76 600 Die Völker des Amur-Landes. dieser Beigaben entbehrendes Vorrathshaus, möchte man in der That kaum glauben. Dennoch muss ich die obigen, mir von den Giljaken wiederholt bestätigten Zahlen aufrecht erhalten und hofle denselben in der Folge, bei Besprechung der socialen Verhältnisse der Giljaken und ihres u. A. auch beim Bau und bei der Benutzung der Behausungen zu Tage tretenden social- kommunistischen Sinnes eine hinreichende Erklärung geben zu können, wie ich sie von ihnen selbst erhalten habe. 8) Vergleiche ich endlich die Preistabelle der Giljaken mit derjenigen, welche Maximo- wiez!) in ganz ähnlicher Weise unter den Golde entworfen hat, so finde ich in den meisten Dingen eine fast völlige Uebereinstimmung, oflenbar weil für beide die bei den Sungari-Chine- sen herrschenden Preise maassgebend sind. Dennoch lassen sich in denselben auch manche für Land und Volk charakteristische Differenzen erkennen. So scheint alles Pelzwerk bei den Golde einen höheren Preis als bei den Giljaken zu haben (ein guter Zobel z. B. wird von ihnen auf 4—5, ein rother Fuchs auf 3, ein schwarzer sogar auf 30—60 Ja geschätzt), ohne Zweifel weil die betreffenden Thiere in ihrem Gebiet minder häufig als im waldreichen Norden sind, und vielleicht auch weil die Giljaken durch ihren eifrigen Zwischenhandel mit den Nachbar- völkern eine grössere Menge derselben zusammenbringen. Dabei finden bei den Golde auch die kleineren Thiere, wie Eichhörnchen, Hermelin, Mustela sibirica und drgl., Beachtung (10 Stück vom ersteren z. B. kosten '/, Ja, ein ganzer Pelz aus Eichhörnchenfellen 7 Ja), während die Giljaken bei ihrem grösseren Reichthum an kostbarem Pelzwerk diesem werthlosen Kleinzeug keine Beachtung schenken. Im Gegensatz ferner zu den fast nur auf Pelzthierfang und Pelzwerk- handel sich beschränkenden Giljaken, bringen die Golde auch Felle und Häute der eifrig von ihnen gejagten hirschartigen Thiere in den Handel mit den Chinesen (ein Rehfell z. B. kostet bei ihnen '/, Ja, ein Edelhirsch- oder Elennsfell ungegerbt 1, gegerbt 2 Ja). Gleichwie das Pelzwerk, haben auch die Hauptprodukte des Fischfangs bei den Golde einen höheren Preis als bei den Giljaken (ein grosser Stör z. B. kostet bei den ersteren 10 Ja), einestheils weil der Fisch- reichthum im Amur-Strome aufwärts abnimmt, und anderentheils weil sie in dieser Beziehung lange nicht so viel produciren wie die dem Fischfange ganz und gar ergebenen Giljaken. Hingegen scheinen ihnen die Gerealien und Gemüse (Bohnen von verschiedener Art) billiger als den letzteren zu stehen zu kommen, sowohl wegen ihrer grösseren Nähe zu den ackerbauenden Chinesen, als auch weil sie selbst bereits etwas Gemüsebau betreiben. Dasselbe ist endlich ganz entschieden auch mit dem Tabak der Fall, indem eine «Schnur» davon, gleich 300 Bündeln, von ihnen auf 20 Ja geschätzt wird °). Der Werth des chinesischen (mandshurischen) Tabaks sank übrigens in den Augen der Giljaken sogleich nach Ankunft der Russen stark herab, da der weit stärkere russische (tscherkasskische) Tabak viel mehr nach ihrem Geschmack ist. Da die Hauptwaare der Amur-Völker im Handel mit den Chinesen in Thier- und namentlich Zobel-, Fuchs- und Otterfellen besteht, und die Giljaken, wie wir oben gesehen, im Ganzen nur 1) In seinen, mir zur Benutzung anheimgestellten hand- 2) Von den Giljaken, nach der obigen Tabelle, auf schriftlichen Aufzeichnungen. 30 Ja. Giljaken. Handel mit den anderen Völkern des unteren Amur-Landes. 601 schwerfällige und wenig betriebsame Jäger sind, so müssen sie, um diesen Handel in grösserem Maasse betreiben zu können, vor Allem darauf bedacht sein, sich diese Waare ausser durch die Jagd auch auf anderem, ihrer Natur mehr zusagendem Wege in möglichst grosser Menge zu verschaflen. Zu dem Ende treiben sie Handel mit ihren in der Jagd beweglicheren und geschiekteren tungusischen Nachbarn, und die Amur-Giljaken, welche mit den Chinesen am meisten verkehren, ausserdem auch mit ihren entfernter, an der Küste des Ochotskischen Meeres und auf Sachalın wohnenden Landsleuten, und kaufen von ihnen das erwünschte Pelzwerk auf. Die Seele dieses ganzen Handelsverkehrs, durch welchen chinesische Waaren im gesammten Gebiet der Giljaken und der ihnen unmittelbar benachbarten Stämme, der Negda, Rennthier- Tungusen, Oroken, ja sogar der Aino, in Umlauf gebracht werden, bilden die Amur- und zum Theil auch die Tschomi-Giljaken, und sie sind es auch, die den grössten Vortheil von demselben ziehen. In diesem ganzen Gebiet giebt es keinen einzigen chinesischen Kaufmann. Der nördlichste und östlichste Punkt im unteren Amur-Lande, wo sich ein solcher zeitweise aufhält, ist das noch im Oltscha-Gebiet am Amur, nahe der giljakischen Grenze gelegene Dorf Pulj, das im Winter auf der mehrfach erwähnten, vom Liman herüberführenden Tymi-Chase- lach-Strasse auch von Tschomi aus leicht erreicht werden kann). Von Pulj soll sich bisweilen ein chinesischer Händler längs dem menschenleeren linken Amur-ÜUfer zu den Negda am Amgun] durchschleichen, das von den Giljaken bewohnte rechte Ufer hingegen sorgfältig meiden, da diese, wie sie mir selbst erzählten, in ihrem Gebiet keinen chinesischen Kaufmann dulden und vor etwa 25 Jahren sogar einen, der sich dennoch zu ihnen gewagt habe, ermordet hätten. Ob sie diese feindliche Haltung den chinesischen Kaufleuten gegenüber aus dem Grunde ein- genommen, um sich gegen die Herrschaft der Mandshu-Chinesen zu wehren, oder um die- selbe abzuschütteln, mag zunächst dahingestellt bleiben, jedenfalls gereicht sie ihnen in com- merzieller Beziehung sehr zum Vortheil. Denn die Rolle, welche die weiter oberhalb, unter den Oltscha, Golde, Samagirn u. a. Völkern des unteren Amur-Landes sich aufhaltenden oder dieselben besuchenden chinesischen Kaufleute spielen, indem sie den Handel zwischen ihnen und den mandshu-chinesischen Grosshändlern am Sungari vermitteln, fällt in jenem giljakisch- tungusischen Gebiete, wohin sie nicht kommen dürfen, den Amur-Giljaken selbst anheim. Und diese führen ihre Handelsvermittlerrolle mit grossem Geschick und Erfolg für sich selbst durch. Die Rührigkeit, Beweglichkeit und Unternehmungslust, welche ihnen als Jäger im Ver- gleich mit den tungusischen Stämmen abgehen, kommen ihnen als Händler in hohem Maasse zu. Nicht zufrieden damit, dass manche Negda, Tungusen, Giljaken vom Ochotskischen Meere, vom Liman und von Sachalin zu ihnen kommen, um von ihren Vorräthen an chinesi- schen und neuerdings auch russischen Waaren, Tabak, Branntwein, Cerealien, Kleidungsstollen und drgl., im Tausch gegen Pelzwerk zu profitiren, unternehmen sie auch selbst, mit jenen fremdländischen Artikeln und auch mit manchem eigenen Produkt, wie Stör- oder Hausen- » 1) S. oben, p. 71 u. 580. 602 Die Völker des Amwr-Landes. Nleisch und drel., versehen, Handelsfahrten nach den genannten Orten. Das geschieht namentlich im Winter, da es nur wenig Fischfang giebt, und dazu dienen ihnen die zahlreichen Hunde, welche sie dank dem Fischreichthum des Amur-Stromes zu halten im Stande sind. Mit Hülfe derselben sind sie den ganzen Winter über fast in beständiger Bewegung, um ihren Handelsin- teressen nachzukommen. Sind es auch immer nur geringe Waarenmengen, welche ihnen die erwähnte Art der Lokomotion jedesmal mitzunehmen gestattet, so bringt die Häufigkeit und Allgemeimüblichkeit solcher Handelsfahrten unter ihnen im Ganzen doch einen beträchtlichen Waarenumsatz zu Wege, und da der Hauptzweck dieser Fahrten immer derselbe, die Erwer- bung des zum Handel mit den Chinesen erforderlichen Pelzwerks ist, so bieten sie ihren Unter- nehmern in Summa einen reichlichen Ersatz für die statt der Jagd auf dieselben verwendete Zeit und Mühe. Denn auch hier bewährt sich die Erfahrung, dass der Producent einer Waare stets einen geringeren Vortheil als der sie gewandt benutzende Handelsvermittler hat. Die dem erwähnten Zweck dienlichen Handelsfahrten der Amur-Giljaken gehen haupt- sächlich nach drei Richtungen hin: westwärts, zu den Negda am Amgunj (gilj. Hynk) und den Samagirn am Udyl-See, nordwärts, zu ihren eigenen Landsleuten am Ochotskischen Meer und ostwärts, nach Sachalin. Der Verkehr der Giljaken mit den Negda ist ein sehr alter, wie man schon aus dem Umstande schliessen darf, dass diese unter allen tungusischen Stämmen des Amur-Landes nächst den Oltscha in ihrem gesammten Sein und Leben am meisten mit den Giljaken sich assimilirt haben oder, so zu sagen, giljakisirt worden sind. Allein eben desshalb sind sie, gleich den Oltseha, auch mehr als andere tungusische Stämme auf Bereicherung durch Handel bedacht, und bei der geographischen Lage ihrer Wohnsitze fehlt es ihnen dazu nicht an Gelegenheit. Denn erstens bietet ihnen der Amgunj eine direkte und bequeme Strasse zu den chinesischen Kaulleuten am Amur, zweitens trennt sie im Winter nur eine geringe Strecke von den Samagirn am Gorin, die ebenfalls von chinesischen Kaufleuten besucht wer- den, und drittens endlich liegt hart an der nördlichen Grenze ihres Wohngebiets, nur durch eine niedrige Wasserscheide vom Nemilen, dem nördlichen Hauptzuflusse des Amgunj, getrennt, der Handelsplatz Burukan, wo sich alljährlich im December russische und jakutische Kaufleute speciell zu dem Zweck einfinden, um mit den umwohnenden tungusischen Stämmen und darun- ter besonders auch mit den Negda Handel zu treiben). Unter solchen Umständen sind die Chancen der giljakischen Zwischenhändler auf Erfolg bei den Negda nicht sehr gross, mit Ausnahme etwa derjenigen Orte, wo die letzteren, von jenen Handelsgelegenheiten fern, in näch- ster Nähe der Giljaken wohnen, nämlich an den Seen Orell und Tschlja, wo es auch ein gilja- kisches Dorf giebt, und die zudem an der Strasse vom Amur nach der Südküste des Ochotski- schen Meeres liegen. Wie die Negda, so haben auch die Samagirn ausser ihrem Hauptgebiet, am Gorin (gilj. Ayr), noch andere, von jenem entfernte und den Giljaken genäherte Wohn- sitze, — es sind ihre Niederlassungen am Udyl-See, und gleich jenen Negda-Seen werden auch 1) S. oben, p. 82. Vrgl. auch Fr. Schmidt, Histor. | (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 134 sericht über die Sibir. Exp. der Russ. Geogr. Gesellsch. | und 150). Giljaken. Handelsfahrten zum Ochotskischen Meer und nach Sachalin. 603 diese von den Amur-Giljaken des Handels wegen besucht, und zwar im Winter wie im Som- mer. So traf ich am 18. (30.) Mai 1856 den Giljaken Mesgun in Patt in dem Augenblick, als er im Begrifl stand, in einem mit verschiedenen chinesischen Waaren beladenen Boot zu den am Udyl-See wohnenden «Rdhy» (Samagirn) zu reisen. Doch liegt dieser letztere im Ganzen sowohl räumlich, als auch nach der sprachlichen Verwandtschaft seiner Anwohner den Oltscha näher als den Giljaken. Ein weit günstigeres Feld für ihre Zwischenhandelsoperationen als bei den Negda und Sama- girn finden die Amur-Giljaken bei ihren eigenen Landsleuten an der Küste des Ochotskischen Meeres, welche sie, sei es von Pall-wo über die erwähnten Seen nach Kulj, oder von Wair nach Hisska, oder auch durch den Amur-Liman in kurzer Zeit erreichen, und wo sie die einzigen Zuträger chinesischer und, seit dem der Petrofskische Posten eingegangen, auch russischer Waaren sind. Im Tausch gegen dieselben fliessen ihnen die Thierfelle zu, welche die dortigen Giljaken theils selbst im Küstengebiet und auf den Schantarischen Inseln erbeuten, theils von den am Tugur und im Mäwatschan-Gebirge der Jagd nachgehenden Tungusen gegen die Ausbeute ihres Fisch- und Seethierfanges und manche zuvor von den Amur-Giljaken bezogene Gegenstände erhandeln. Ferner kaufen sie ihren Landsleuten Adlerschwänze ab, um sie im Handel mit den Japanern zu verwerthen, und endlich versorgen sie sich dort in billiger Weise mit Seehunds- thran und Fellen sowohl zum eigenen Gebrauch, als auch zum Handel mit ihren südlichen Nach- barn am Amur, den Oltscha und Golde. Die grösste Ausbeute an Thierfellen zum Handel mit den Chinesen machen aber die Amur- und zum Theil auch die Tschomi-Giljaken auf Sachalin, und zwar jene hauptsächlich im nörd- lichen Theile der Insel, an der Liman-, wie an der Tro-Küste, und diese an der Westküste süd- lieh von Poghobi und im oberen Laufe des Tymy-Flusses, ohne dass jedoch eine strenge Ab- grenzung dieser Handelsgebiete zwischen ihnen stattfände. Es ist eigenthümlich, dass die Sachalin-Giljaken, ungleich ihren oben genannten Landsleuten, wenig beweglich sind und selbst fast nie auf den Gontinent kommen, geschweige denn weitere Handelsfahrten unterneh- men, sondern sich damit begnügen, ihre nächsten Nachbarn auf der Insel, die Oroken und Aino auszubeuten und sich dagegen mit den auch ihnen begehrlichen chinesischen Waaren, Tabak. Branntwein, Zeuge und drgl., durch die zu ihnen herüberkommenden Continental- Giljaken versorgen lassen. Die Oroken wandern ebenfalls nur selten über den Liman, um sich längs der Tymi-Chaselach-Strasse den chinesischen Händlern in Pulj zu nähern, und den Aino endlich bleibt das Festland ganz fern. So ruht der Handel mit chinesischen Waaren auf Sachalıin fast ausschliesslich in den Händen der Gontinental-Giljaken. Und diese wissen aus demselben zu ihren Zwecken grossen Voriheil zu ziehen. Denn die Insel ist, wie wir schon sahen, überaus reich an den von ihnen besonders gesuchten Pelzthieren, welche von allen drei Stämmen derselben mit Erfolg gejagt werden, hauptsächlich aber in den Händen der Sachalin- Giljaken sich anhäufen. Die grösste Menge von Pelzthieren wird ohne Zweifel von den den ganzen Winter hindurch wandernden und jagenden Oroken erbeutet, welche jedoch, durch ihr Wanderleben, wie durch ihre im Ganzen sorglose und leichtlebige tungusische Natur ge- 604 Die Völker des Amur-Landes. trieben oder genöthigt, den grössten Theil derselben an die sesshaften und betriebsamen Tymy- und andere Sachalin-Giljaken übergehen lassen. Die letzteren verstehen es nämlich die bei jenen ihren unsteten Nachbarn nicht selten sich einstellende Noth an Nahrungs- und Genuss- mitteln für sich oder an Futter für ihre Hunde auszunutzen, indem sie mit Hülfe ihrer von den Amur-Giljaken eingetauschten, oder auch von ihnen selbst angelegten Vorräthe einen äusserst vortheilhaften Handel mit ihnen betreiben, ja dieselben durch Vorschüsse bisweilen sogar mit grossem Gewinn zu ihren Schuldnern machen. Aehnlichen Nutzen ziehen sie auch von den Aino, welche sich mit ihrer Jagdausbeute, wo sie es können, schon aus dem Grunde lieber an sie als an die Japaner wenden, weil sie von diesen stets unter Gebühr, nur mit etwas Reis und Ssaki, ja nicht selten auch gar nicht bezahlt werden. So verläugnen auch die Sachalın-Gilja- ken, obgleich ihnen der Unternehmungsgeist ihrer Landsleute vom Continent abgeht, keines- wegs die ihrem Stamme eigene Handels- und Gewinnsucht. Indem sie aber die von ihnen selbst erbeuteten oder von ihren Nachbarn erhandelten Thierfelle jenen verkaufen, liefern sie ihnen die Mittel, den auch ihnen zu Gute kommenden Handel mit den Chinesen in grösserem Maasse zu betreiben. Uebrigens machen die Gontinental-Giljaken ihre Einkäufe auf der Insel nicht allein bei ihren Landsleuten oder durch Vermittelung derselben, sondern schliessen, namentlich im Norden und Süden der Insel, ausserhalb des Tymy-Gebietes, manchen Handel gelegentlich auch direkt mit den Oroken und Aino ab. Ja, einen grossen Theil der begehrten Thierfelle erhalten sie auch von den Japanern. Doch von diesem ihrem Handel wird später besonders die Rede sein, nachdem wir uns zuvor mit demjenigen bekannt gemacht haben werden, den sie mit den Chinesen betreiben, und der ihnen die Mittel zu jenem liefert. Wie oben!) ausführlich dargethan, giebt es am unteren Amur, im Oltscha- und Golde- Gebiet eine Reihe von Punkten, an denen chinesische Kaufleute zeitweilig oder auch mehr oder minder beständig sich aufhalten, und die von ihnen sehr klug gewählt sind, um mit den angrenzenden indigenen Stämmen Handel zu treiben und ihnen namentlich das geschätzte Pelz- werk abzunehmen. Es sind schlaue und geriebene Händler, die keine Mühen und Entbehrungen und auch keine Mittel scheuen, um in ihrem oder ihres Prinzipals Interesse den grösstmöglichen Gewinn von ihrem Geschäft zu erzielen. Aeusserlich treten sie den Eingeborenen gegenüber, um ihre Gunst zu gewinnen, sehr leutselig und zuvorkommend auf: als ich mich im oben erwähnten Dorfe Pulj in der Jurte befand, in welcher einer der drei beständig an dem Ort sich aufhaltenden Chinesen sein Domicil hatte, und die Oltscha und Giljaken, in deren Gesellschaft ich vom Liman gekommen, in dieselbe eintraten, war der Chinese sogleich bemüht, ihnen beim Ab- schütteln des Schnees von ihren Pelzen behülflich zu sein, und überreichte dann einem Jeden von ihnen ein Tabaksblatt. Nachdem er darauf seinen früheren Sitz auf der Pritsche wieder einge- nommen, forderte er die Neueingetretenen auf, ebenfalls Platz zu nehmen, rauchte seine Pfeife an dem neben ihm stehenden, mit glimmenden Kohlen gefüllten Becken an und liess sie von 1) S. p. 70 u. 71. Giljaken. Verkehr mit den chinesischen Kaufleuten am Amur. 605 Hand zu Hand gehen. Das Gespräch war bald im Fluss, und es dauerte nicht lange, so hob der Chinese ein mit Branntwein gefülltes Känncher vom Kohlenbecken ab, setzte mehrere kleine Porzellanschälchen auf das neben ihm stehende niedrige Tischcehen, füllte sie an und reichte sie den Gästen. In der Unterredung führte der Chinese das grosse Wort und bemühte sich sei- nen Zuhörern und auch mir darzuthun, dass seine Landsleute, die Nekan, die besten Freunde der Oltscha, Golde, Giljaken u. A. seien, indem sie für ihre Bedürfnisse sorgten und ihnen für jedes Stück Pelzwerk, je nach ihrem Wunsch, mit Kleidungsstoffen, Hirse, Tabak, Brannt- wein oder dergleichen zahlten und stets freundlich mit ihnen umgingen, während die Mandshu ihre gemeinsamen Feinde seien und sie nur ausplünderten und misshandelten. Aehnliche, bis- weilen von sehr freigiebigen Traktamenten mit Branntwein unterstützte Betheuerungen der chinesischen Kaufleute den Eingeborenen gegenüber habe ich im unteren Amur-Lande oft ge- hört, und sie verfehlen ihren Zweck nicht, zumal bei den Golde, welche, in nächster Nähe und völliger Abhängigkeit von den Mandshu lebend, deren Härte und Habsucht oft persönlich er- fahren haben und ihnen selbst den Spottnamen «ssöngare», Ratten, geben, um damit zu bezeich- nen, dass dieselben sie gleich diesen um ihre Vorräthe und Habseligkeiten bringen. Auf die Giljaken aber, zu welchen die Tribut erhebenden und Erpressungen aller Art ausführenden Mandshu-Beamten nicht kommen, macht das schmeichlerisch-verführerische Benehmen der chinesischen Kaufleute wenig Eindruck. Dagegen leuchtet ihrem kaufmännischen Sinne der grosse Profit ein, den diese sich dadurch machen, dass sie die am Sungari en gros billig einge- kauften Waaren den Amur-Völkern en detail für einen sehr hohen Preis verkaufen, und, wenig geneigt, demselben auf ihre Kosten Vorschub zu leisten, suchen sie es ihnen nachzumachen und den Gewinn selbst zu erhalten. Daher ihr oben erwähnter Widerstand, den chinesischen Kaufleuten Einlass in ihr Gebiet zu gewähren, und der geringe Zuspruch, den diese überhaupt bei ihnen finden. Der chinesische Handelspunkt an ihrer Grenze, in Pulj, wird, von den Oltscha, Samagirn, Oroken abgesehen, ihrerseits fast nur von den Tschomi-Giljaken besucht, welche, vom Amur-Strom abgelegen, dort die Mittel für ihren Handel mit ihren Landsleuten auf Sacha- lin und besonders am Tymy-Fluss finden. Die Amur-Giljaken hingegen suchen, die ihnen von der Natur gebotene Strasse zu benutzen und, mit Umgehung der an derselben gelagerten gewinn- süchtigen Zwischenhändler, sich den zum eigenen Gebrauch sowohl, wie zum weiteren Handel erforderlichen Bedarf an chinesischen Waaren selbst vom Sungari zu holen. ine Handelsreise nach dem Sungari oder, wie die Giljaken sich auszudrücken pflegen, «zu den Mandshuw» unternehmen zu können, ist das Ziel ihrer sehnlichsten Wünsche und unaus- gesetzten praktischen Bestrebungen. Zu dem Zweck hauptsächlich wird die Jagd auf Zobel, Öttern und Füchse betrieben und werden die zum Ankauf von kostbarem Pelzwerk dienlichen Fahrten zu den Nachbarstämmen ausgeführt. Denn ohne einen beträchtlichen Vorrath an dieser bei den Chinesen am Sungari so gut wie allein in Betracht kommenden Tauschwaare wäre die weite Reise nieht nur nicht lohnend und somit zwecklos, sondern bei den unvermeidlichen Tri- buts- oder Bestechungszahlungen an die Mandshu-Beamten auch kaum ausführbar. Da aber ein solcher Vorrath anfänglich nur schwer zu beschaflen ist, so thun sich meist Mehrere unter An- 606 Die Völker des Amur- Landes. führung eines schon bereisten und erfahrenen Mannes zu einer solchen Reise zusammen. Oder aber sie geht auch von einem schon bewanderten Manne aus, der andere und jüngere gegen eine entsprechende Theilnahme am Gewinn oder einen bestimmten Lohn zur Betheiligung an derselben heranzieht. Immer ist zu ihrer Ausführung das Zusammentreten mehrerer Personen erforderlich. Denn eine Sungari-Reise kann nicht, wie jene kleineren Handelsfahrten, im Winter auf mit Hunden bespannten Schlitten, wobei ein Jeder sein eigener Herr bleibt, ausgeführt werden. Das verbietet sich den Giljaken schon durch die Länge der Reise, so wie durch den Umstand, dass dieselbe durch das Gebiet nicht bloss ihrer Nachbarn, der Oltscha, sondern auch der ent- fernter wohnenden Golde führt, bei denen sie nieht immer auf gastliche Aufnahme für sich und ihre Hunde rechnen dürfen, und vom Ussuri bis zum Sungari sogar ein wenig bevölkertes Gebiet durehschneidet, wo sie ihre Hunde leicht ganz verlieren und dadurch in die grösste Ver- legenheit gerathen könnten. Ausserdem liesse sich auf diese Weise im besten Falle nur ein so geringes Quantum von Waaren transportiren, dass die Reise sich doch nur wenig oder gar nicht bezahlt machen würde. Die einzige Art, dieselbe sicher und zweckentsprechend auszu- führen, ist zu Boot, den Amur- und Sungari aufwärts. Dazu ist aber eine Anzahl von Menschen nöthig, um das durch Pelzwerk und etwas Mundvorrath, wenn auch nicht stark belastete Fahr- zeug je nach Umständen bald durch Rudern und bald durch Ziehen an der Leine gegen die mitunter sehr reissende Strömung fortzubewegen. Somit gehört sich zur Ausführung der Reise immer eine, wenn auch nur kleine, aber doch gut organisirte Gesellschaft, mit einem bestimmen- den und befehlenden Haupte an der Spitze. Das Ziel der Sungari-Reisen der Giljaken ist stets die an der Mündung des Churcha- oder Mutuan-ho in den Sungari gelegene Stadt Ssan-ssin oder Itscha-choton, wie ihre bei allen Amur- Völkern gebräuchliche Bezeichnung lautet. Weiter hinauf zu gehen, wird ihnen von der mandshu- chinesischen Regierung nicht gestattet, gleichwie es ihnen und allen übrigen Völkern des unte- ren Amur-Landes auch verboten ist, in den Amur oberhalb der Sungari-Mündung, den sogen. Sachali-Strom einzutreten, — ein Verbot, über dessen Beachtung die in Dshang-dshu am Zu- sammenfluss beider Ströme stationirten Mandshu-Beamten streng zu wachen haben !). Hier liegt daher auch die äusserste West- und Südgrenze des den Giljaken durch Autopsie bekannten Theiles vom Amur- und Sungari-Lande. Was sie von den oberhalb Itscha-choton’s am Sungari, resp. an seinem oben genannten Zuflusse, den sie «la» nennen (was aber im Mandshu und Tungusischen bekanntlich nur so viel wie «Fluss» heisst), gelegenen Städten «Kirchk-choton» und «Nungdy-choton» (Ninguta?), so wie von der «grossen» Stadt «Aicho» (Aigun) am Sa- chali-Strome zu erzählen wissen, beruht nur auf Hörensagen, auf Erzählungen, die sie theils von den Chinesen am Sungari und Amur und theils vielleicht durch daurisch-jakutische Ueber- lieferungen in Burukan gehört haben mögen. Dass die mandshu-chinesische Regierung den Gi- ljaken den Eintritt in den Sungari gestattet, der doch allen Fremdlingen untersagt ist, beweist, 1) Vrgl. oben, p. 35 und 5159. Giljaken. Handelsreisen zu den Mandshu-Chinesen am Sungari. 607 dass sie dieselben als ihr unterthan ansieht, obgleich sie in deren Lande nichts zur Bethätigung ihrer Herrschaft über sie thut und weder militärische, noch Tribut sammelnde Beamte zu ihnen sendet, in Folge dessen die Giljaken selbst sich für unabhängig von derselben halten. Vielleicht begeht sie diese Unterlassung aus Klugheitsgründen, um sich nicht einem Widerstande auszusetzen, dessen Beseitigung ihr mehr Kosten verursachen als Nutzen bringen würde. Dagegen sucht sie dieselbe dadurch nachzuholen, dass sie von den zum Handel in Ssan-ssin sich einfindenden Giljaken für die zuvor von ihr einzuholende Erlaubniss dazu einen möglichst hoch bemessenen Tribut erhebt. Den Giljaken aber bleibt nichts übrig, als sich jeg- licher Forderung zu fügen, wenn sie nicht des gehofften Handelsgewinnes verlustig gehen und die ganze, lange Reise umsonst gemacht haben wollen. Dabei müssen sie es sich auch gefallen lassen, ganz ebenso wie die Golde und andere den Mandshu-Chinesen direkt unterworfene Völker behandelt zu werden. Und um ihren Handelszweck zu erreichen, benehmen sie sich, wie sie mir selbst erzählten, ihnen gegenüber auch ihrerseits ganz wie die letzteren, indem sie zum Gruss oder bei Bittgesuchen das Knie vor ihnen beugen, was doch sonst bei ihnen keineswegs gebräuchlich ist. So heucheln die Giljaken in Ssan-ssin der mandshu-chinesischen Regierung gegenüber eine völlige Unterwürfigkeit, und diese begnügt sich damit, so wie mit den in Form von Tribut von ihnen erhobenen und wahrscheinlich in die Taschen der Lokalbeamten wan- dernden Geschenken und lässt sie im Uebrigen in Frieden. Die Behandlung der alljährlich am Sungari zum Handeln sich einfindenden Eingeborenen des unteren Amur-Landes seitens der dortigen Mandshu-Beamten und chinesischen Kaufleute ist äusserst hart, rücksichtslos und demüthigend, und insbesondere haben die ihnen zunächst woh- nenden und unmittelbar unterworfenen sanften und schüchternen Golde unter derselben zu leiden. Nach den Schilderungen von Chilkofskij!) und Barabasch?), welche in den Jahren 1866 und 1872 den Sungari bis nach Pe-tune (Bo-dune) aufwärts befuhren, müssen sie sich zuerst Erlaubnissscheine zur Fahrt nach Ssan-ssin und zum Handel daselbst einlösen, was in dem etwas unterhalb von diesem gelegenen Dorfe Ssussu durch Zahlung eines beträchtlichen Quantums von Stör- und Hausenknorpeln und -Leim an den dort stationirten Mandshu-Beamten geschieht. In Ssan-ssin angelangt, haben sie Allem zuvor den der chinesischen Krone schuldigen Tribut (alban) zu entrichten, der aus je einem und zwar dem besten Zobel pro Mann besteht. Um aber diesen herauszufinden, durchwühlen und durchmustern die damit betrauten Beamten den ganzen Zobelvorrath eines Jeden der Ankömmlinge, — eine Prozedur, während welcher der betreflende Eigenthümer stets in Ehrfurcht niederknieen muss, und Mancher bleibt eine Stunde und länger auf den Knieen liegen, ehe der beste Zobel aus seinem Vorrath herausge- funden wird. Dass es dabei in der Regel nicht bei dem Einen bleibt, versteht sich von selbst, und doch hilft hier kein Sichweigern und Widerstreben, denn für das geringste Vergehen der 1) Xuakoseriä (Harber. Pycer. Deorp. Oö6m., T. II, 2) 4. Bapa6amın, Cynrapiiier. IxeneAa. 1872 r. (Boeumn. 1866, Ora. II, erp. 227. Im Auszuge in Petermann’s | Coopu., 1874, N: 3, erp. 141). Geograph. Mittheil., 1868, p. 345). Schrenck’s Amur-Reise, Band III, -1 1 608 Die Völker des Amur-Landes. Art wird der Betreflende noch unbarmherzig mit Bambusstreichen abgestraft. Haben die Beam- ten sich gesättigt, so kommt die Reihe des Plünderns an die Kaufleute, und diesen steht u. A. ein so gewaltiges Mittel wie der Branntwein zu Gebote, dem kein Tunguse so leicht zu wider- stehen vermag. Nicht selten sollen die chinesischen Händler auch mit erfundenen oder gefälsch- ten Schuldforderungen an die Golde herantreten und von einem oder dem anderen von ihnen die Rückerstattung von so und so vielen angeblich vom Vater oder Grossvater desselben schul- dig gebliebenen Zobelfellen verlangen, — Forderungen, welchen die Golde aus Angst vor den angedrohten Strafen und besonders vor Entziehung der Handelserlaubniss durch die mit den Händlern im Einvernehmen stehenden Beamten meist nachzukommen pflegen. Gegen Pelzwerk, namentlich Zobel-, Otter- und Fuchsfelle, und Stör- und Hausen-Knor- pel, -Rückensaiten und -Leim, die einzigen Produkte ihres Landes, welche die Giljaken nach Ssan-ssin bringen, tauschen sie von den Chinesen verschiedene, ihnen theils zum eigenen Leben, theils zum Handel mit den Nachbarvölkern erforderliche Waaren ein. Dahin gehören die oben erwähnten, zumal bei den Bärenfesten in grosser Menge zur Verwendung kommenden Cerealien und Gemüse, wie Hirse, Gerste, Weizenmehl, weisse und gelbe Bohnen, ferner Branntwein und Tabak, nebst den zum Genuss derselben üblichen Utensilien, den klei- nen Porzellanschälchen und den allerwärts verbreiteten, mit messingnen, Glas- oder Stein- (Achat- und Chalcedon-) Mundstücken versehenen chinesischen Pfeifen. Von äusserster Wich- tigkeit für die Giljaken sind ferner die Kleidungsstoffe, welche sie von den Chinesen beziehen: die unentbehrlichen, von Mann und Weib getragenen, blauen und grauen Baumwollenzeuge, schwarze Wollen- und Sammetstofle, Seidenzeuge, buntfarbiges Seidengarn, Nähnadeln, Knöpfe und eine Menge chinesischer Schmucksachen: silberne Ohrgehänge, Ringe und Armspangen, Glaskorallen, Messingblechfiguren zum Verzieren der Weiberröcke und drgl. m., sowie endlich auch manche zum Haushalt gehörige Gegenstände, wie grosse und kleine Kessel u. s. w. Ist die Menge der in Ssan-ssin eingetauschten, zum Theil schweren und voluminösen Waaren zu gross, um in den kleinen Böten, in denen die Giljaken die mühsame Bergfahrt nach und auf dem Sun- garı zu machen pflegen, unbeschadet transportirt werden zu können, so wird ein von den dortigen Golde gezimmertes, sogen. Mandshu-Boot gekauft, in welchem die Rückreise stromabwärts leicht und rasch vollbracht werden kann. Und da man sich hiebei, um eine stärkere Flussströ- mung für sich zu haben, meist weit von den Ufern hält, so entgeht man zugleich der Gefahr, nachträglich noch von den hie und da stationirten, resp. zeitweise oder beständig sich aufhal- tenden Mandshu-Beamten und chinesischen Händlern gerupft zu werden. Das Boot aber kann nach vollbrachter Heimreise noch bei einer zweiten Art von Handelsreisen zur Verwendung kommen, — den Reisen zu den Ssisam (Japanern), zu deren Betrachtung wir nunmehr über- gehen müssen. Unter den oben genannten Waaren, welche die Giljaken in Ssan-ssin eintauschen, spielt ein Artikel eine besonders wichtige Rolle. Es sind dies die buntfarbigen, mit Drachen und an- deren Figuren gezeichneten und oft mit Gold und Silber durchwirkten chinesischen Seidenzeuge, welche theils in ganzen Stücken, theils zu langen und breitärmeligen Schlafröcken verarbeitet, Giljaken. Aelteste Nachrichten über ihren Handel mit den Japanern. 609 in den Handel gebracht werden. Denn während die anderen Waaren den Giljaken ausschliess- lich zum eigenen Gebrauch oder zum Handel mit ihren Nachbarn dienen, finden diese ihre vor- nehmlichsten und besten Abnehmer ausserhalb des Amur-Landes, an den Japanern und geben ihnen daher die Hauptveranlassung zum direkten Handel mit diesen letzteren. Von diesem Han- del, der jedoch nicht in Japan, sondern in den japanischen Ansiedelungen auf Sachalin stattlin- det, ist schon in den ältesten Nachrichten, welche uns von japanischer Seite über diese Insel zugekommen sind, die Rede. Der japanische Dolmetscher Kannemon, der vor 1652 Jesso besuchte, spricht bereits von besonderen Zeugen, welche die Bewohner dieser “Insel von «Krato» oder «Kraft» (Sachalin) beziehen, und die er daher «Kraft-orw nennt!). Bestimmter noch lautet die Angabe in Rinsifee's im J. 1785 oder 86 zu Jedo erschienenen Werke «San kokf tsou ran to sets», wo es heisst, dass die Bewohner von Jesso (Matsmai) ihre Produkte zu Kara- futo den «Mantsiu» gegen blaue Glaskorallen, Adlerflügel, Tabakspfeifen, seidene Zeuge mit gestickten Drachen, bunte Lein- und Baumwollenzeuge vertauschen°). Ganz ohne Zweifel ist hier der Handel gemeint, den die Mandshu-Chinesen, Giljaken und Oltscha mit den ange- führten, zumeist chinesischen Waaren, zum Theil aber auch indigenen Produkten des Amur- Landes (wie die Adlerschwänze) auf Sachalin mit den Japanern und Aino dieser Insel und durch deren Vermittelung auch mit den Bewohnern von Jesso betrieben und die letztge- nannten indigenen Völker des unteren Amur-Landes, sowie manche Golde noch betreiben. Zwar werden sie dabei nicht genannt, allein das ist bei der damaligen Unkenntniss der Völker des unteren Amur-Landes seitens der Japaner auch nicht zu erwarten und vielmehr anzuneh- men, dass diese unter «Mantsiw in eolleetivem Sinne alle jenen Handel mit mandshu-chinesi- schen Waaren betreibenden Völker desselben verstanden. Werden doch die zum Handel mit den Japanern nach Sachalin kommenden Giljaken und Oltscha sogar von manchen neueren, russischen Berichterstattern schlechtweg als «Mandshw bezeichnet?), obgleich gegenwärtig weder diese, noch die russischerseits in der Regel unter diesem Namen verstandenen chinesischen Kaufleute Sachalin besuchen. Fast ebenso alt wie die letzterwähnte japanische Nachricht ist auch die erste russischerseits über den in Rede stehenden Handel erhaltene Kunde. Im J. 1792 hörte nämlich Adam Laxmann die Japaner auf Jesso von «Sandan-aino» reden, welche Perlen und Zeuge nach «Karap» (Krafto, Sachalin) bringen und gegen Thierfelle, Zobel, Füchse u. drgl., vertauschen ®). Er glaubte zwar, unter diesen «Sandan-Leuten» Koreaner verstehen zu müssen, allein da «Santan», wie oben ausführlich dargethan ’), die Bezeichnung der Japaner und Aino 1) Jesoki, ou Deser. de l’ile de Jesso, traduit du japo- | Herop. 0603p. oöpasorania Poceiitcro-amepue. Rommanim u nais par feu M. Titsingh (Annales des Voyages, publ. | abücrs. ea ao nacroam. spevm., 4. II, C.-Herepö. 1863, par Malte-Brun, T. XXIV, Paris 1814, p. 162, 164). Vrgl. | erp. 127), Busse (Ocrpo»s Caxa.ının m IneneA. 1853 r., auch oben, p. 125, Anmerk. 3. C.-Ierepo. 1872, crp. 62, 72, 85) u. A. 2) Klaproth, San kokf tsou ran to sets, ou Apercu 4) Vrgl. Hoaonckii, Kypması (3am. Unmm. Pycer. general des trois royaumes, Paris 1832, p. 190. Vrgl. auch | Teorp. Oöm., no ora. Iruorp., T. IV, erp. 493, 541). Desgl. Ritter, Asien, Bd. III, p. 487. s. oben, p. 118. 3) So z. B. von Rudanofskij (vrgl. I. Taxmenuens, 5) S. p- 118 u. 119, nebst Anmerk. 1 1 610 Die Völker des Amur-Landes. für das untere Amur-Land ist, so unterliegt es keinem Zweifel, dass darunter die nach Sachalin handelnden Giljaken, Oltscha und Golde gemeint waren. Der Hauptort, wo der Handel der Giljaken mit den Japanern stattfindet, ist Ssiranussi, die vornehmste, nahe der Südwestspitze der Insel gelegene Niederlassung der letzteren '). Dies ist also auch das äusserste Ziel der «Ssisam-Reisen der Giljaken, auf welchen übri- gens nicht bloss mit den Japanern, sondern auch mit den Aino Handel getrieben wird. Die Reisen werden im Sommer und im Winter, zu Boot und in Schlitten gemacht. Zur Seereise dahin bedienen sich die Giljaken bald der oben erwähnten, vom Sungari gebrachten Mandshu- Böte, bald und zumeist ihrer oben beschriebenen gewöhnlichen Flussböte, an denen sie nur zum Schutz gegen die höheren Seewellen die Bordseiten durch ein jederseits angebrachtes Brett erhöhen. Diesen ihren kiellosen Fahrzeugen Rechnung tragend, vermeiden sie auf der Fahrt sorgfältig die hohe See und halten sich, nachdem sie die Mamia Rinsö-Strasse an ihrer schmal- sten Stelle, vom Cap Lasaref (gilj. Piljan-kthy?), d. h. Grosses Cap, oltsch. Wasfun) nach Poghobi, wo sie etwa 4 Seemeilen breit ist, bei stillem Wetter gekreuzt und so die Westküste Sachalin’s erreicht haben, stets in möglichster Nähe von derselben. Doch bietet auch die See- fahrt der Küste entlang, die stellenweise und namentlich südlich von Dui bis Pilja-wo steilfelsig ist, manche Gefahren, denen die Giljaken dadurch zu entgehen suchen, dass sie nur bei stillem Wetter oder schwachem Winde in See gehen. Dadurch sowohl, wie durch den Umstand, dass sie, um ihre Böte nicht zu sehr zu belasten, nur wenig Mundvorräthe mitnehmen und sich in Betreff ihres Lebensunterhaltes fast ganz auf ihre Fischnetze verlassen °), zieht sich die Seefahrt bisweilen längere Zeit hin. Unter günstigen Umständen sollen sie jedoch die schlimmste Strecke, von Dui bis Kussunai, oft in «—5 Tagen zurücklegen. Den Winterreisen zu den Ssisam, die in hundebespannten Schlitten gemacht werden, setzt die oben erwähnte steilfelsige Küsten- strecke grössere Hindernisse in den Weg. Denn nicht immer friert das Meer an derselben zu, und wenn sich auch ein Eissaum gebildet hat, so wird er bei stärkerem Winde durch den hohen Wellengang der See oft und zuweilen ganz plötzlich und unerwartet wieder zerbrochen und fortgeschwemmt. Die Reisenden sehen sich daher genöthigt, diese Strecke über Land zu um- fahren, und das kann der dahinter liegenden Gebirge halber nur auf einem weiten Umwege ge- schehen: sie verlassen nämlich bei Arkai, kurz vor Dui die Meeresküste, wenden sich landein- wärts über niedrige Pässe den Tymy-Quellen zu, gehen von diesen an den Plyi- oder Poronai- Fluss hinüber und folgen dem Laufe desselben bis zu seiner im Golf der Geduld befindlichen Mündung, an welcher es Ansiedelungen aller drei auf Sachalin vertretenen Völkerschaften, der Giljaken, Oroken und Aino giebt. Von dort fahren sie längs der Ostküste der Insel bis nach Manu@ und dann einem niedrigen und bequemen, auf der schmalsten Stelle Sachalin’s gelege- 1) Ueber die Zeit der Begründung und den Charakter 2) Das th ist wie im Englischen auszusprechen. der japanischen Niederlassungen auf Sachalin s. oben, 3) Fr. Schmidt, Histor. Ber. etc., l. c., p. 54. p- 72—77. Güjaken. Handelsreisen zu den Japanern auf Sachalin. 611 nen Passe entlang wieder zur Westküste hinüber, welche sie bei Kussunai erreichen, und der sie nun bis nach Ssiranussi folgen !). Wie schon erwähnt, liegt es im Zweck der Ssisam-Reisen der Giljaken auch mit den Aino zu handeln und von ihnen gegen Baumwollenzeuge, Tabak, Pfeifen, Glaskorallen u. a. mandshu-chinesische Artikel Pelzwerk einzutauschen. Das geschieht allenthalben, wo sie mit ihnen zusammentreflen, an der Ost- wie an der Westküste Sachalin’s. Ein Hauptpunkt für die- sen Handel ist aber das unweit von Kussunai gelegene Dorf Najoro, wohin die Aino zu diesem Zweck selbst aus ansehnlicher Ferne, aus der Bai Aniwa u. a. O. kommen ?). Die Japaner sehen diesen Handel aus egoistischen Gründen nur sehr ungern und suchen ihn nach Möglichkeit zu hintertreiben, weil sie sich gern selbst in den Besitz des von den Aino erbeuteten Pelzwerks setzen. Da sie dies aber in einer die letzteren stark schädigenden Weise thun, indem sie ihnen ihre Waare zum Theil unter Strafandrohungen und anderen Zwangsmaassregeln nur sehr unter ihrem Preise, ja mitunter auch umsonst, als Zahlung für angebliche Schulden abzunehmen plle- gen ?), so entziehen sich die Aino, wo sie nur können, dem Handel mit ihnen und suchen ihre vor jenen geheim gehaltenen Pelzwaaren den Sachalin- oder noch lieber den angereisten Amur- Giljaken und Oltscha zu verkaufen. Diese sollen ihnen für ein Zobelfell, je nach seiner Güte, 2—3 Faden (Armspannen) chinesischen Baumwollenzeugs zahlen, und eben so viel für eine jede Viertelarschin (Fingerspanne) vom Flussotterfell, so dass letzteres bei einer Länge von /, Arschin, die in Folge unvermeidlichen Reckens des Felles beim Abbalgen leicht erreicht wird, etwa auf 10 Faden des genannten Zeuges zu stehen kommt ®), — Preise, welehe mit dem oben angeführten Werthe dieser Gegenstände bei den Giljaken ziemlich übereinstimmen. In Ssiranussi angelangt, müssen sich die Ssisam-Fahrer, bevor sie den Handel mit den Japanern beginnen dürfen, einer von diesen eingeführten Ceremonie unterziehen, die darin be- steht, dass ein Jeder von ihnen, zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit, vom obersten japanischen Beamten zwei oder drei Schläge mit einem Stock über den Rücken erhält. Nachdem dies ge- schehen, werden ihnen die Waaren abgenommen und in ein amtliches Haus der Japaner, das ausser diesen von Niemand betreten werden darf, gebracht, um einer eingehen-len Durchsicht unterworfen zu werden). Dass von hier aus manche und gewiss nicht die schlechtesten Stücke den Rückweg zu ihren rechtmässigen Eigenthümern nicht mehr finden, darf wohl kaum bezweifelt werden. Indessen erlauben sich die Japaner nicht, die angereisten Giljaken und Oltscha in derselben rücksichtslosen und räuberischen Weise wie die Aino zu behandeln, schon aus dem Grunde, weil sie sie sonst leicht ganz vom Handel mit ihnen zurückschreeken und dadureh selbst der begehrenswerthen Waaren, die sie ihnen zuführen, verlustig gehen könnten. Zudem 1) Fr. Schmidt, Histor. Ber. etc., 1. c., p. 110. o603p. oßpason. Poceiitero-anepur. Ronmani, 4. 1, erp. 2) Busse, l. c., p. 84. Schmidt, 1. c., p. 92. 127. In dieser Schrift wird übrigens der Haupthandelsort 3) Busse, 1. c., p. 71. der Japaner auf Sachalin stets falschlich «Ssirakussi», statt 4) Busse, l. c., p. 84. Ssiranussi genannt. 5) Nach Rudanofski, in Tichmenef’s Heropmt. 612 Die Völker des Amur- Landes. ist ihnen dieser Handel um so vortheilhafter, als sie dabei hauptsächlich Zobel-, Fuchs- und Flussotterfelle verwerthen, Artikel, die sie sich dank ihrem an den Aıno auf Sachalın wie auf Jesso geübten Erpressungssystem in grosser Menge und fast ohne Unkosten verschaffen, und für welche sie in Japan bei der bekannten Abneigung seiner Bewohner gegen Pelzwerk keinen Absatz finden. Einen grossen Gewinn verdanken sie ferner der Beliebtheit ihrer eisernen, mit Henkeln versehenen Kessel bei den Giljaken. Endlich geben ihnen auch Reis, Tabak, Ssaki, porzellanene und lakirte hölzerne Schalen und drgl. gangbare Tauschartikel in diesem Han- del ab, wogegen die Hauptgegenstände, welche sie von den Giljaken und Oltscha einzutau- schen trachten, jene buntfarbigen, rothen und blauen chinesischen Seidenstofle und die ebenfalls mehrfach erwähnten Adlerschwänze sind. Wie beliebt die einen wie die anderen bei ihnen sind, kann man aus den hohen Preisen ersehen, welche sie für dieselben zahlen. Nach Angabe des Giljaken Poswein aus Kulj geben die Japaner für ein Stück Seidenstoff von 7 Faden Länge und einer Arschin Breite 5 Flussotter-, 5 Fuchs- und 5 Zobelfelle und für einen Adlerschwanz von Haliaötos pelagicus 12 Otterfelle und vom weit weniger geschätzten Hal. albieilla eine beliebige Menge von Reis. Die gesammte Anzahl der von den Ssisam-Fahrern alljährlich in Ssiranussi von den Japanern erhandelten Thierfelle aber taxirt Furuhjelm, der damalige Chef der Faktoreien der russisch-amerikanischen Handelscompagnie in Ajan, Nikolajefsk und dem Murawjofschen Posten, auf etwa 2400 Otter-, 1300 Zobel- und 640 Fuchsfelle'). Diese reiche Ausbeute an Pelzwerk, das die Giljaken und Oltscha von ihren Ssisam-Reisen heimbringen, wird von ihnen im Handel mit den Chinesen am Amur sowohl, wie insbesondere am Sungari in der oben angegebenen Weise verwerthet und trägt somit wesentlich zur Erhal- tung, Belebung und Vermehrung ihrer gesammten Handelsoperationen bei. Der Aufenthalt der Ssisam-Fahrer auf Sachalin zum Zweck des Handels mit den Aino und Japanern dehnt sich indess oft über eine ansehnlich lange Zeit aus. Namentlich die im Sommer Angereisten warten entweder den Winter ab, um mit Hunden auf dem oben erwähn- ten Wege über Kussunai, Manu, den Poro-nai und die Tymy-Quellen zurückzukehren, oder bleiben sogar den ganzen Winter im Süden der Insel und treten erst im nächsten Frühling oder Sommer die Rückreise zu Boot längs der Westküste Sachalin’s an. Auf dieser Fahrt treiben sie noch, so weit es geht, Handel mit den Aino und sind, wie Fr. Schmidt berichtet °), besonders beflissen junge Bären einzufangen, um sie in der Heimath grosszuziehen. Ueber Ssiranussi hinaus zu gehen und etwa auch die japanische Niederlassung Kussun- kotan in der Aniwa-Bai zu besuchen, ist den Ssisam-Fahrern von den Japanern untersagt. Hier liegt daher, gleichwie in Ssan-ssin, die äusserste Südgrenze der den Giljaken durch Autopsie bekannten Welt, und über Japan, die Heimath der Ssisam, wissen sie nur zu sagen, dass es ein über Sachalin (Zär-mif) hinaus liegendes und durch ein «kleines Meer» (matsch-kerchk) von 1) Tuxmenue»e, Herop. 0603p. oöpason. Pocciiicko- 2) Histor. Ber. ete., I. c., p. 5% avepuxr. Konnanim, 4. II, erp. 128. Giljaken. Handelsvermittler zwischen den Chinesen und Japanern. 613 ihm getrenntes Land sei. In den auf die Besitznahme des Amur-Landes durch die Russen unmittelbar folgenden Jahren suchten aber die Japaner die von dort kommenden Händler auch von Ssiranussi und Endungomo, ihrer zweitgrössten Ansiedelung an der Westküste Sachalin’s, fernzuhalten und zugleich ihre Kolonisation der Insel möglichst nach Norden auszudehnen, um einer etwaigen Ausbreitung der russischen Macht über dieselbe und besonders einem Abspen- stigmachen der ihnen unterworfenen und von ihnen ausgebeuteten Aino entgegen zu wirken). So wurden im J. 1859 die nach Sachalin zum Handel herübergekommenen Giljaken von den Japanern nicht mehr nach Ssiranussi, sondern nur bis Endungomo vorgelassen, und im Jahre darauf wurde den Oltscha-Händlern auch das Betreten dieses Orts untersagt, so dass sie theils in Kussunai blieben und theils nach Taraika, an die Ostküste gingen). Ja selbst den Gilja- ken Judin aus Tebach traf dieses Verbot, obgleich er in früheren Jahren oft in Ssiranussi ge- wesen und dort gut bekannt, ja, dank seiner Kenntniss der Aino-Sprache, die ihm von seiner aus diesem Volke stammenden Mutter her geläufig war, nicht selten sogar als Dolmetscher be- nutzt worden war. Doch diese wie alle späteren, in Folge der Besitznahme des Amur-Landes durch die Russen in den Handelsverhältnissen desselben eingetretenen Veränderungen und Um- wälzungen gehören nieht mehr in den Rahmen unserer Betrachtungen. Ueberbliekt man die gesammte, oben geschilderte Handelsthätigkeit der Giljaken, so wird man nicht anstehen, sie für ein von der Natur zum Handel ausserordentlich beanlagtes und demselben von Grund aus ergebenes Volk anzuerkennen. Zu schwerfällig, um sich die Mittel zu einem ihren Neigungen entsprechenden grösseren Handel mit den benachbarten Gul- turvölkern durch die Jagd zu verschaffen, verstehen sie, dieselben ihren jagdgeübteren Nach- barstämmen durch einen von kleinen Anfängen an unermüdlich fortgeführten Handel abzuge- winnen. Also bereichert, unternehmen sie, trotz ihrer primitiven Lokomotionsmittel, weite Han- delsreisen nach dem Sungarı und nach Südsachalin, zu den «Mandshw und zu den «Ssisam», und indem sie die Waaren und Produkte der Einen gegen diejenigen der Anderen eintauschen, dienen sie als Handelsvermittler zwischen den beiden grössten Culturvölkern Ostasien’s, den Chinesen und Japanern. Diese letztere Thätigkeit der Giljaken gestattet, sie mit einem anderen paläasiatischen Volke in Parallele zu stellen, nämlich mit den Tschuktschen, die, ebenfalls nur schlechte Jäger, aber von gewaltigem Handelsgeist beseelt, die nordische Tundra durchwan- dern und die Berings-Strasse überschreiten, um das von den Eskimo im Jukon-Gebiet erbeutete Pelzwerk gegen die Waaren russisch-sibirischer Kaufleute und am Anjui umgekehrt diese gegen jenes einzutauschen und so im polaren Norden den Handel zwischen Europa-Asien und Amerika zu vermitteln ®). Keines der sibirischen Völker kann sich in Beziehung auf seine Handelsthätigkeit 1) Ueber diese Vorgänge s. oben, p. 75—77. eingehenden und ausführlichen Mittheilungen von Ma- 2) Bpsrakum®, Ilnenma cn Caxaaıma (Zau. Cn6. Ora. | tjuschkin (in Wrangell’s Reisebeschreibung, russ. Unn. Pycer. Teorp. O6, Ku. VII, erp. 22, 26). Desgl. | Ausgabe, Bd. TI, p. 331 f.), Ditmar (Bull. de la cl. hist.- Schmidt, Hist. Ber. ete., 1. c., p. 107 u. 108. philol. de l’Acad. Imp. des sc. de St.-Petersb., T. XII, 3) Ueber diesen Handel der Tschuktschen s. die | 1856, p. 129 11,; Mel. russes, T, III, p. 39 fl.) u, A, 614 Die Völker des Amur-Landes. mit diesen beiden paläasiatischen Völkern vergleichen, es seien denn die Oltscha, deren stark ausgebildeter Handelsgeist jedoch, wie wir sogleich sehen werden, auf den Einfluss der Gilja- ken zurückgeführt werden muss. Nächst den Giljaken treiben die Oltscha den ausgebreitetsten Handel im unteren Amur- Lande, und zwar in ganz ähnlicher Weise wie jene und zum Theil sogar in denselben Bahnen. Obgleich eifrigere und geschicktere Jäger als die Giljaken, begnügen sie sich doch auch nicht damit, nur die Ergebnisse der eigenen Jagd den chinesischen Kaufleuten am Amur und Sungari gegenüber in Handel zu bringen, sondern suchen ebenfalls, sich zu dem Zweck durch zwischen- händlerische Thätigkeit auch von den Jagdausbeuten ihrer Nachbarn in Besitz zu setzen. Das Gebiet ihres Zwischenhandels ist jedoch von demjenigen der Amur-Giljaken scharf geschieden. Denn mit Ausnahme der Samagir-Sitze am Udyl-See, die von beiden des Handels wegen be- sucht werden, üben die Amur-Giljaken ihre zwischenhändlerische Tbätigkeit, wie oben dar- gethan, unter den Negda und hauptsächlich nord- und ostwärts, unter ihren eigenen Landsleu- ten an der Küste des Ochotskischen Meeres und auf Sachalın, so wie unter den Oroken und Aino aus, während das Gebiet des Zwischenhandels der Oltscha südwärts, bei den Orotschen der Meeresküste und der dahin mündenden Flüsse liegt. Bemerkenswerth ist hiebei, dass die Oroken nicht in die Handelssphäre ihrer nächsten Stammgenossen auf dem Festlande, der Oltscha, sondern, in Folge der geographischen Lage ihrer Wohnsitze im Nordosten Sachalin’s, in diejenige der ihnen dem Stamme wie der Sprache nach fremden Giljaken gehören, deren Einflusse sie auch in anderen Dingen ausser dem Handel unterliegen. Dem Verkehr der Oltscha mit den Orotschen liegen ebenfalls natürliche, durch die geo- graphische Lage ihrer Wohnsitze bedingte Strassen zu Grunde. Von der Bai de Castries, ihrem einzigen Sitz am Meere, fahren die Oltscha, Handel treibend, längs der von Orotschen be- wohnten Festlandsküste südwärts bis zu den an derselben gelegenen Niederlassungen der Chine- sen hin. Als Ditmar im Mai 1855 diese Baı besuchte, sah er viele von ihnen in ihren leichten Böten, die ganz wie die giljakischen gebaut sind, von einer solchen Handelsreise zurückkeh- ren !). Nördlich von de Castries, an der kleinen Bai Taba mündet die natürliche und kürzeste Strasse, welche sich den Oltscha im Mittelpunkt ihres Verbreitungsgebiets vom Amur-Strom zur Meeresküste darbietet. Sie wird durch den vom Amur-Strom weithin nach Osten sich ab- zweigenden Kidsi-See und das von Nordost in denselben fallende Taba-Flüsschen gebildet, das nur durch eine schmale und zum Theil sumpfige Landstrecke von der Meeresbai Taba getrennt ist. Hier ist bereits in alter Zeit und vermuthlich von den Oltscha selbst eine Querreihe von 1) K. v. Ditmar, Reisen u. Aufenthalt in Kamtschatka | Russ. Reiches, 3. Folge, Bd. VII, p. 818). in den J. 1851—1855, I, Theil (Beitr, zur Kenntn, des Oltscha. Aehnliche, aber geringere Handelsthätigkeit wie die der Giljaken. 615 Balken auf den Erdboden gelegt worden, über welche die Böte aus dem Taba-Flüsschen ins Meer hinübergezogen werden. Auf diesem Wege waren auch jene «Bitschi» (Golde von Bi- tschu) vom Amur nach der Bai de CGastries gekommen, aus deren Erzählungen La Perouse den falschen Schluss zog, dass die Insel Sachalin am Nordende der Meerenge der Tartarei durch Sandbänke, welche von der Ebbe trocken gelegt würden, mit dem Festlande in Verbindung stehe). Dieselbe Strasse benutzte auch Mamia Rinsö, als er im J. 1809 von Krafto (Sacha- lin) nach dem Santan- oder unteren Amur-Lande reiste). Im Winter giebt der ansehnliche Tumdshi-Fluss den Oltscha die Hauptstrasse zum Handelsverkehr mit den Orotschen ab, indem sie vom Amur aus, bald in Schlitten fahrend, bald auf Schneeschuhen gehend und die mit Hunden bespannten Schlitten hinter sich herziehend, die am Pä, Jai, Miäta und Chelasso gelegenen Gebirgspässe zum Tumdshi hin überschreiten und alsdann diesem Flusse bis zu seiner in der Nähe des Kaiserhafens gelegenen Mündung folgen. Ist das Gebiet, auf welchem die Oltscha einen Zwischenhandel mit ihren Nachbarn be- treiben, nach den obigen Schilderungen auch recht gross, so steht es doch demjenigen der Giljaken an Umfang wie an Ergiebigkeit erheblich nach. Die letztere wird namentlich durch den Umstand stark geschmälert, dass die Orotschen ausser den Oltscha auch von den Golde zu Handelszwecken besucht und ausgebeutet werden. Ja, diese sind dazu durch die geographischen Verhältnisse insofern noch mehr vor jenen begünstigt, als sie am Chongar, Naiche, Munamu und allen rechten Ussuri-Zuflüssen unmittelbare Nachbarn der Orotschen sind und mehr oder minder bequeme Strassen zur Meeresküste haben, wogegen ihnen aber allerdings der oben er- wähnte Seeweg zu denselhen ferner liegt. Das durch die eigene Jagd und durch den Handel mit den Nachbarstämmen gewonnene Pelzwerk verwerthen die Oltscha gleich den Giljaken im Handel mit den Chinesen. Doch ist der Gewinn, den sie aus diesem Handel ziehen, im Vergleich mit demjenigen der Giljaken auch nur geringer, und zwar aus dem Grunde, weil sie sich dabei vielfach, statt der langen und beschwerlichen Sungari-Reisen, an die in ihrem Lande an vielen Punkten, so in Pulj, Mon- gole, Kidsi, Adi u. a. Orten, mehr oder minder beständig sich aufhaltenden chinesischen Kauf- leute wenden, welche, selbst nur Zwischenhändler, ihren Vortheil stets meisterhaft zu wahren wissen. Diesen sie ausbeutenden Zwischenhändlern ihr Land zu verschliessen, wie es die Gilja- ken gethan, hat es den Oltscha an Muth und Energie gefehlt. Dennoch stehen sie keineswegs, wie etwa manche Golde oder auch die Orotschen (Ta-dse) im südlichen Theile ihres Wohn- gebiets, ganz in den Händen derselben, sondern suchen vielmehr ebenfalls, sie nach Möglichkeit zu umgehen und ihren Handel direkt mit den Sungari-Chinesen zu betreiben. Bezüglich der Sungari-Reisen der Oltscha muss ich auf das oben Mitgetheilte verwei- sen, da sie mit denjenigen der Giljaken vollkommen übereinstimmen, sowohl ihrer Aus- führung, wie ihrem Zweck nach, der im Ankauf chinesischer Seidenstofle behufs des Handels 1) S. dieses Werkes Bd. II, p. 733 u. Bd. III, p. 139. | 2) Tö-tats kiko (Siebold, Nippon VII, p. 171). Schrenck's Amur-Reise, Band III. 78 616 Die Völker des Amur-Landes. mit den Japanern auf Sachalin gipfelt. Zur Reise nach diesem benutzen die Oltscha die oben erwähnte Kidsi-Taba-Strasse, und ihre Handelsthätigkeit auf der Insel ist ganz dieselbe wie diejenige der Giljaken auf ihren Ssisam-Reisen, so dass sie oben bei Gelegenheit der letzteren bereits besprochen werden konnte. Bleiben somit die Oltscha in ihrer gesammten Handelsthätigkeit auch erheblich hin- ter den Giljaken zurück, so ist diese Thätigkeit ihrer Ausdehnung, Complication und mehr noch ihres zwischen zwei Gulturvölkern, den Chinesen und Japanern, vermittelnden Charakters wegen immerhin als eine sehr hervorragende zu bezeichnen. Und ganz besonders ist die That- sache auffallend, dass eine solche Handelsthätigkeit von einem Volke von rein tungusischem Stamme ausgeübt wird, einem Stamme, der sich allenthalben, wo man ihm auch begegnet, durch seinen leichten, um die Zukunft unbekümmerten Sinn und seinen leidenschaftlichen Hang zu einem umherstreifenden Jägerleben auszeichnet und nirgends eine auch nur mässige specielle Neigung und Befähigung zum Handel zeigt. Erwägt man aber dieser Thatsache gegenüber, dass die Oltscha sich durch langjähriges Nebeneinanderleben und vielfache Vermischung mit den Giljaken in ihrer Lebensweise, ihren Sitten und Gebräuchen, kurz in ihrem gesammten We- sen sehr stark mit diesen ihren Nachbarn assimilirt haben, so wird man gewiss nicht anstehen können, auch ihren hochentwickelten Handelssinn und ihre rege Handelsthätigkeit für eine Folge des von den Giljaken auf sie ausgeübten Einflusses zu halten. Durch die Oltscha ist dieser Einfluss, wenn auch in abgeschwächtem Grade, auch auf ihre nächsten Nachbarn stromaufwärts, die Golde übertragen worden. Im Öbigen ist bereits der Handelsverbindungen Erwähnung geschehen, welche diese mit den Orotschen der Meeres- küste, mit den Chinesen am Sungari und, wenn auch in weit geringerem Maasse als die Oltscha und Giljaken, sogar mit den Japanern auf Sachalin unterhalten. Was die Handelsthätigkeit der Golde ganz besonders lähmt, ist die auf ihnen lastende mandshu-chinesische Herrschaft, der beständige Druck und die rücksichtslose Ausbeutung, denen sie von Seiten der Mandshu-Bean- ten und der chinesischen Kaufleute ausgesetzt sind. Die Unsicherheit des Besitzes und die häu- fige Schmälerung des Eigenthums rauben ihnen die Freude und den Eifer an der Mehrung des- selben, und die, wie allen tungusischen Stämmen, so auch ihnen nur in sehr geringem Grade eigene Widerstandskraft und Energie machen mehr und mehr der Niedergeschlagenheit und Indolenz Raum. Dies wird um so augenscheinlicher, je mehr man sich dem Sungari, als dem Sitz und Ausgangspunkte der mandshu-chinesischen Herrschaft über das untere Amur-Land nähert. Trotzdem also, dass am Sungari der Haupthandelsmarkt für die Völker des unteren Amur-Landes liegt, nimmt ihre Handelsthätigkeit nach Maassgabe der Entfernung von demsel- ben, in Folge ihrer gleichzeitig wachsenden Unabhängigkeit von den Mandshu-Chinesen, zu, um schliesslich unter den am freisten und selbständigsten gebliebenen Giljaken ihren Höhepunkt zu erreichen. Ehemalige Handelsverhältnisse am unteren Amur. Handelsort Deren. 617 So viel über die Handelsverhältnisse im unteren Amur-Lande zur Zeit meines Aufenthalts daselbst. Ein Vergleich mit früheren Nachrichten über dieselben lehrt jedoch, dass sie nur kurze Zeit, nicht mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor sehr wesentlich anders lagen. Diesen Vergleich an- zustellen, ist um so mehr von Interesse, als sich dabei auch ein Stück der jüngstvergangenen Geschichte des unteren Amur-Landes und seiner Völker vor unseren Augen aufthun wird. Das Material dazu liefern Mamia Rinsö’s Nachrichten über das untere Amur-Land aus den Jahren 1808 und 1809. Wie schon erwähnt), geschah seine Reise dahin im Auftrage der japanischen Regierung, die in der Befürchtung, dass die 1807 russischerseits verübte Zerstörung der japanischen Ansiedelungen in der Aniwa-Bai sich wiederholen dürfte, Sachalin und das Amur- Land mit besonderer Rücksicht auf die Haltung der Russen daselbst genauer auszukundschaften wünschte. Bereits auf der Insel erfuhr er, dass es auf dem gegenüber gelegenen Festlande nahe von der Küste einen vielbesuchten Handelsort Namens Deren gebe?). Dieses machte er nun zum Zielpunkt seiner Reise, und nachdem er von Kidsi, das er auf der oben bezeichneten Strasse über den gleichnamigen See erreicht hatte, drei Tage den Amur-Strom aufwärts gegan- gen war, langte er am 10. August in Deren an und nahm dort, anfangs als Fremder vom Volk belästigt, später aber von den Mandshu-Beamten und nach deren Vorgange auch von allen Uebrigen mit Achtung behandelt, einen Aufenthalt von nicht weniger als sieben Tagen. Aus seiner ausführlichen Beschreibung dieses Orts und des Lebens und Treibens in demselben ®) seien hier einige Hauptzüge angeführt. Ihr zufolge lag Deren am rechten Ufer des Amur-Stro- mes auf einer in der Ferne in dichtes Gebüsch sich verlierenden Ebene. Der Handelsplatz war ein grosses, von einer Doppelreihe von Pallisaden umgebenes Viereck, in welchem zu beiden Seiten und im Grunde zum Handel dienliche Hütten errichtet waren. In der Mitte aber befand sich ein ebenso umgrenzter und nur mit einem einzigen Thor versehener Raum, in welchem das Wachthaus stand und von Seiten der Fremden sowohl wie der Mandshu-Beamten die Han- delsartikel und gegenseitigen Geschenke aufbewahrt wurden. Diese Beamten hielten sich nicht beständig in Deren auf, sondern kamen dahin nur im Sommer für die Zeit der Handelsdauer aus «Itsjö-fotto», einem Ort, von dem Mamia Rinsö meinte, dass er nur einige «Ri» oberhalb Deren’s liege, in welchem man aber unschwer Itscha-choton, d.ı. Ssan-ssin, erkennt‘). Mamia Rinsö unterschied drei Klassen von Beamten: zur ersten, vornehmsten gehörten nur drei Perso- nen, die in Damast und Atlas gekleidet waren und aus «Rotting» (Stroh) gellochtene, mit einem messingenen Knopf und einem herabhängenden seidenen Quast versehene Hüte trugen; zur zwei- ten Klasse gehörten 50—60 Mann, deren Kleidung aus Kattun bestand, und die dritte endlich umfasste so viele Leute, dass er ihre Zahl nicht genau anzugeben weiss, zumal sie ganz ebenso wie die «Santaner» (Oltscha und Gilaken) und «Kordekke» (Golde) gekleidet waren. Von diesen niederen «Beamten», die oflenbar nur Polizeidiener, Wächter und drgl. waren, blie- 1) S. oben, p. 73 u. 74. 3)L. c., p. 173—176. 2) Mamia Rinsö, Tö-tats ki ko (Sieboid, Nippon, VII, 4) Dahin, «nach Sansei» sah er auch einen der Mandshu p- 169). von Deren verreisen. 78* 618 Die Völker des Amur- Landes. ben einige auch zur Nacht im Wachthause, die oberen dagegen kamen nur des Morgens hin und kehrten nach dem Schluss der Geschäfte, zur Nacht in ihre Wohnungen zurück, die sich auf ihren ans Ufer gezogenen Böten befanden, welche zu dem Zweck auf ihrem Hintertheile entweder ein Verdeck aus Baumrinde, oder eine kleine bretterne Hütte trugen. Die zahlreichen, in Handelszwecken gekommenen Fremden (Eingeborenen) wohnten, wie es auch Mamia Rinsö that, in Rindenzelten, die ebenfalls am Ufer des Stromes vor dem Handelsplatze errichtet waren. Der vorschriftsmässige Brauch forderte es, dass jeder neuangelangte Handelsmann zweimal im Wachthause vor den Mandshu-Beamten erscheine: das erste Mal gleich nach seiner Ankunft, um sie zu begrüssen, wobei er sich entblössten Hauptes dreimal vor ihnen verbeugen (d. h. wohl niederknieen) musste und ihm zur Bewillkommnung Branntwein !), Reis und Hirse ge- reicht wurden; das zweite Mal, um ihnen seine «Geschenke» zu überreichen, die meistens aus Zobelfellen bestanden, und von ihnen ein Gegengeschenk zu empfangen, das in der Regel aus Seidenstofflen und für gemeine Schiflsleute aus Kattun u. drgl. bestand. Auch diesmal musste er sich, den Hut in der Hand, dreimal vor den drei oberen Mandshu-Beamten verbeugen und alsdann auf dem Erdboden vor ihnen Platz nehmen, während sie auf Stühlen (oder vermuthlich erhöhten Bänken) sassen. Diese Maassregeln erstreckten sich jedoch bloss auf die fremden Han- delsleute, nicht auch auf die Chinesen ?), welche frei und eigenmächtig, ohne Anmeldung bei den oberen Beamten handeln durften. Ohne Zweifel waren also jene nur von den Fremdlingen (Ein- geborenen) geforderten «Geschenke» nichts weiter als der Tribut, den sie zu leisten hatten, um die Erlaubniss zum Handeln zu erhalten. War diesen Forderungen genügt, so konnten sie im Uebrigen ungenirt ihrem Handel nachgehen, und bei der grossen Menge von Käufern und Verkäufern, die sich täglich versammelten, ging es, wie der Reisende bemerkt, «oft toll genug her: Zwist und Diebstahl sind bei den durcheinander gemengten Fremden an der Tages- ordnung; zwar schlägt man von Zeit zu Zeit an eine Glocke (wohl einen Gong), um Ruhe und Ordnung zu gebieten, doch hilft dies in der That nur wenig, und das Gewühl und Gedränge dauert bis tief in die Nacht hinein fort». Bei alledem wurde jedoch, wenn es sich um die Beob- achtung alter, von der Regierung vorgeschriebener Gesetze und Gebräuche handelte, unbeding- ter Gehorsam verlangt und allgemein geleistet. Mamia Rinsö sah einen der obersten Beamten einen Fremden, der sich den Gebräuchen nicht fügen wollte, tüchtig mit dem Stock schlagen; nachdem aber die Züchtigung erfolgt und gefruchtet, durfte derselbe seinem Handelsgeschäft wie zuvor nachgehen. Meistens brachten die nach Deren kommenden Fremdlinge Thierfelle zum Verkauf, die sie zusammengepackt unter den Armen trugen und ausboten, und tauschten dagegen Branntwein, Tabak, Kleidungsstofle, Eisenwaaren und drgl. m. ein. Man ersieht aus dieser Schilderung, dass es zu jener Zeit am unteren Amur nur etwa drei Tagereisen oberhalb Kidsi’s einen Ort gab, wo sich alljährlich im Sommer chinesische Kaufleute und zahlreiche Eingeborene des unteren Amur-Landes versammelten und unter der Aufsicht und 1) Der Japaner nennt das Getränk nach seiner Weise 2) Bei Mamia Rinsö heissen diese ebenfalls Mandshu, «ssakin». wie die Beamten. Auflösung Deren's u. des officiellen mandshu-chinesischen Handels am unteren Amur. 619 Administration von Ssan-ssin abgeordneter Mandshu-Beamten einen lebhaften Handel betrieben, wobei es ungefähr ebenso herging wie heutzutage in Ssan-ssin, und auch dieselbe demüthigende Behandlung, dieselben Tributserhebungen, Erpressungen u. drgl. von den Mandshu den Einge- borenen gegenüber geübt wurden. Der Ort, wo Deren lag, lässt sich mit Sicherheit bestimmen, obwohl von dem Wachthause, dessen Mamia Rinsö erwähnt, keine Spur hinterblieben ist: es ist die etwas erhöhte Ebene am rechten Amur-Ufer, auf welcher sich heutzutage das aus zwei etwa eine Werst auseinander gelegenen Jurten bestehende Dorf Dyra befindet. Ich habe sie beide zu wiederholten Malen, im Sommer wie im Winter besucht. Die eine derselben liegt im Grunde einer lachen Bucht, die andere etwas oberhalb auf einem höher ansteigenden Ufer, in der Nähe eines kleinen Caps. Obgleich der Ort noch im Oltscha-Gebiet liegt, waren die Inhaber beider Jurten Golde, und die Einen wie die Anderen bezeichneten sowohl ihre, als auch die nahe benachbarte Behausung mit dem Namen Dyra, so dass dieser offenbar der ganzen Lokalität zukommt !), — der gesamm- ten Uferstrecke und anstossenden Ebene, auf welcher der ehemalige Handelsort Deren lag. Zum Beweise dafür, dass dieser sich in der That dort befand, dient übrigens, ausser dem noch jetzt nahe gleichlautenden Namen der bezeichneten Lokalität und ihrer den Angaben Mamia Rin- sö’s entsprechenden Beschaffenheit und Entfernung von Kidsi, auch der Umstand, dass alle vom Reisenden bis dahin passirten Ortschaften sich auch heutzutage genau wiedererkennen lassen; denn unter «Sjai, Horupe, Kuwore, Urug&, wie er sie nennt, sind ohne Zweifel die in Ss derselben Reihenfolge gelegenen Oltscha-Dörfer Dh Borbi°), Kuwty und Yrri gemeint. Wo es aber noch vor einem halben Jahrhundert ein reges Handelsleben, «ein Gewühl und Gedränge durcheinander gemengter» Mandshu, Chinesen und verschiedener Eingeborenen des Landes gab, die von Zeit zu Zeit, wenn es gar zu toll herging, von den befehligenden Man- dshu-Beamten durch die lauten Klänge des Gong zur Ruhe und Ordnung gerufen wurden, breitet sich jetzt eine bis auf ein paar ärmliche Hütten vollkommen öde und todte Grasebene aus. Fügt man hinzu, dass es gegenwärtig — ich meine die Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande auch weiterhin am unteren Amur, von einzelnen handeltreibenden Chinesen und Mandshu abge- sehen, keinen offieiellen, von der mandshu-chinesischen Regierung inaugurirten oder admini- strirten Handelsort giebt, und der nächste und einzige Ort der Art für die Völker des unteren Amur-Landes das am Sungari gelegene Ssan-ssin ist, so unterliegt es keinem Zweifel, dass im letzten halben Jahrhundert, zwischen Mamia Rinsö’s und meinem Besuch des Amur-Landes ein Rückgang des oflieiellen mandshu-chinesischen Handels, eine Zurückziehung desselben vom unteren Amur und CGoneentrirung am Sungari stattgefunden hat. Gleichzeitig und Hand in Hand mit dem Handel hat aber auch ein Rückzug der gesamm- 1) Mein Führer, ebenfalls ein Golde, hatte jedoch für 2) Die Lokalität an diesem Ort ist im Reisebericht des die oberhalb gelegene Jurte zum Unterschiede von der | Japaner's (l. c., p. 172) auch ganz richtig als eine felsige unteren auch einen zweiten Namen — Monglomai. bezeichnet. 620 Die Völker des Amur-Landes. ten mandshu-chinesischen Herrschaft aus einem grossen Theil des unteren Amur-Landes statt- gefunden. Die Belege dafür lassen sich ebenfalls aus Mamia Rinsö's Reisebericht entnehmen !). Zur Zeit seines Aufenthalts auf Sachalin (1808) waren die Völker desselben, die Aino wie die Giljaken, den Mandshu tributspflichtig, indem die von den letzteren unter dem Namen Harata und Aasinta ernannten Oberhäupter oder Aeltesten derselben alljährlich einen aus Pelzwerk bestehenden Tribut («Geschenke, wie der Reisende ihn nennt) den Mandshu-Beamten in Deren überbringen mussten, gleichwie es auch die zum Handeln dorthin kommenden Eingeborenen des un- teren Amur-Landes thaten. Einige dieser Aeltesten lernte Mamia Rinsö während seines Aufent- halts in Deren auch selbst kennen; so z. B. diejenigen von «Damurawo» und «Pohokanw, Ort- schaften, in denen man unschwer das giljakische Dorf Tammla-wo und das aino-giljakische Poro-kotan °) oder Pilja-wo wiedererkennt. Auf seine Fragen, wie es zu dieser ihrer Zinspflich- tigkeit gekommen sei, erhielt er von einigen Einwohnern der Insel folgende Auskunft. «In frü- heren Zeiten, sagten sie, als sie noch nicht zinspllichtig gewesen, kamen alljährlich einige Man- dshu-Fahrzeuge zu ihnen, um Pelzwerk einzukaufen. Das Schiflsvolk betrug sich aber den Ein- wohnern der Insel gegenüber unfreundlich und ausschweifend, so dass es häufig zu Zwistigkeiten und Schlägereien zwischen ihnen kam, woraufeines Tages eine Menge Mandshu landete, die Insel überall besichtigte und sie in Besitz nahm. Die meisten Einwohner flüchteten sich aus Furcht in die Gebirge, von den an der Küste zurückgebliebenen aber beriefen die Mandshu einige zu sich, unterredeten sich mit ihnen und ernannten einen von ihnen zum Harata, d.h. Oberhaupt oder Aeltesten. Dieses Ereigniss hatte auf der Westküste der Insel bei Itoi (Itoikotan, Itoje) statt. Desgleichen bekleideten sie zwei Männer der nördlichen Ostküste mit dieser Würde °), und in derselben Weise stellten sie auch Kasinta’s oder Nächstälteste an. Als jährliches Geschenk (Tribut), das die Aeltesten den Mandshu zu überbringen hatten, wurde dabei ein schwarzes Seeotterfell bestimmt, wogegen die Mandshu ihnen als Gegengeschenk ein Stück mit Gold durchwirkten Seidenstofles gaben und alle übrigen Handelsartikel zu sehr billigem Preise hefern zu wollen versprachen». Jenes «ltoi, Itoikotan oder Itoje», das zufolge der von Siebold nach den Origimalaufzeichnungen von Mogami Tok'nai und Mamia Rinsö entworfenen Karte ‘) beim Gap Otsisi (Südspitze der Bai de la Jonquiere) liegt, ist ohne Zweifel das giljakische Dorf Dui, und somit hat der ganze oben erzählte Vorgang auf die Unterwerfung oder das Zins- pflichtigmachen der Sachalin-Giljaken durch die Mandshu Bezug. Eine ganz ähnliche Erzählung hörte Rinsö auch in Bezug auf die Sachalin-Aino, denn bei den ferneren Erkundigungen, die er über diesen Gegenstand bei «würdigen und mit der Sache gut bekannten Männerm, vier Greisen von 70—75 Jahren (deren Namen er nennt) an- stellte, erfuhr er Folgendes. «In ihrer Jugend, so erzählten sie, war zu Najoro ein Oberhaupt 4) L. c., p. 179—181. kennen und es stets durch r ersetzen. 2) Dem vermuthlich aus «Poro-kotan» entstellten Na- 3) Mamia Rinsö weiss auch die Namen dieser drei men Pohokanu ist in Mamia Rinsö’s Bericht ein Frage- | ersternannten Harata’s zu nennen, zeichen beigefügt. Dass «Damurawo» nur Tammla-wo sein | 4) Atlas zu Siebold’s Nippon, Tab. XXV. kann, unterliegt keinem Zweifel, da die Japaner das / nicht Unterwerfung der Sachalin-Aino durch die Mandshu, nach Rinsö. 621 Namens Jajebirakan, ein sehr hitziger und böser Mann, der die zu den Mandshu gehörenden Smerenkur und Santaner (Giljaken und Oltscha), als sie zu handeln kamen, ermorden liess und sieh ihrer mitgebrachten Handelsgüter bemächtigte. Doch einige derselben waren ihm glücklich entkommen und brachten ihre Klage zu den Mandshu nach Deren. Im darauflolgen- den Jahre kamen drei mit Santanern und Smerenkurn bemannte Mandshu-Fahrzeuge und nahmen diejenigen, welche an der erwähnten Greuelthat Theil genommen hatten, gefangen, so wie auch einige Oberhäupter der umliegenden Ortschaften, weil sie den unglücklichen Sme- renkurn und Santanern nicht zu Hülfe gekommen waren. Die Gefangenen erboten sich, all’ ihr Vermögen als Busse hinzugeben, und die Mandshu nahmen dies endlich auch an; doch war des Jajebirakan Missethat zu gross, als dass er mit einer solchen Strafe hätte davonkommen sollen; sie nahmen daher seine beiden Söhne als Geisseln mit sich und stellten die Bedingung fest, die Kraftoör (Sachalin-Aino) sollten sich den Mandshu unterworfen erklären und in Zukunft einen jährlichen Tribut, in Pelzwerk bestehend, ihnen in Deren abliefern, wohingegen sie auch ein Geschenk und die anderen Handelsartikel zu billigen Preisen erhalten würden und Schutz gegen alle Misshandlungen bei ihrer Ankunft zu Deren zugesichert bekämen. Von dieser Zeit an, wo die beiden Söhne des Oberhauptes als Geisseln nach der Mandshu-Tatarei geführt wurden, ist es herkömmlich, dass die Mandshu die Söhne oder Geschwister derjenigen, welche ihre Schuld nicht entrichten können, mit sich fortführen. Da nun die Kraftoär ihren Tribut pünktlich alle Jahre entrichteten, so wurden die Geisseln wieder zurückgegeben und als Harata’s und Kasinta’s von den Mandshu angestellt und mit schriftlichen Weisungen versehen». Diese Schriftstücke sah Rinsö noch beim Oberhaupt von Najoro, Jajenkur, aufbewahrt, konnte sie aber, da sie in der Mandshu-Sprache geschrieben waren, nicht verstehen. «Die Nachfolger jener ersten Harata’s und Kasinta’s, fährt Rinsö in seinem Bericht fort, brachten von nun an Jähr- lich, von anderen Einwohnern begleitet, die bestimmten Geschenke nach Deren an die dortigen Beamten. Gegenwärtignoch werden als Harata’s und Kasinta’s die verständigsten und tauglichsten von den Einwohnern der Insel durch die Mandshu angestellt. Ihre Zahl beschränkt sich jetzt auf 8: einen Harata, in Najoro, und 7 Kasinta’s, davon 3 auf der West- und # auf der Ost- küste (folgen die Namen derselben und ihrer Aufenthaltsorte, die sämmtlich im Aino-Gebiet liegen). Weil vor einigen Jahren das Pelzwerk auf Krafto seltner wurde, brachten die Vorsteher nur alle drei Jahre ihre Geschenke nach Deren, und bei noch grösserer Abnahme desselben nur alle —5 Jahre. Da aber liessen die Mandshu durch Santaner die festgesetzten Geschenke abfordern, und in Folge dessen brachten in diesem Jahre die Kasinta’s von Usijoro, Najoro und Raitsiska in Person die Geschenke nach Deren». Diese Leute traf Rinsö auf ihrer Reise dorthin und fragte sie über die Art und Weise, wie die Geschenke dargebracht werden, aus. Sie bestätig- ten ihm, dass das Geschenk in einem schwarzen Seeotterfelle bestände, und eröffneten ihm zu- gleich, die Mandshu-Beamten hätten es übel aufgenommen, dass sie einige Jahre die Entrich- tung der Geschenke versäumt, und ihnen bedeutet, in Zukunft die Gunst, die sie bisher von den Mandshu empfangen, besser zu schätzen und sorgfältiger auf die Darbringung der festge- setzten Geschenke bedacht zu sein. 622 Die Völker des Amur- Landes. Diesen Mittheilungen zufolge dehnten die Mandshu, die zuvor nur des Handels wegen nach Sachalin kamen, das Verhältniss der Tributspflichtigkeit, in welchem die Völker des unte- ren Amur-Landes und darunter auch die Oltscha und Giljaken zu ihnen standen, etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auch auf die Sachalin-Giljaken und -Aino aus, indem sie auch dort an verschiedenen Orten Oberhäupter oder Aelteste ernannten und diesen die Ver- pllichtung auferlegten, ihnen alljährlich einen aus Pelzwerk bestehenden Tribut nach Deren zu überbringen, — eine Verpflichtung, die zwar nicht immer pünktlich eingehalten wurde, allein noch zu Mamia Rinsö’'s Zeit in voller Kraft bestand. Zur Bestätigung dieser an sich ganz glaubwürdigen Mittheilungen des, wie oben bereits mehrfach bemerkt, ausserordentlich genauen und zuverlässigen japanischen Reisenden lassen sich auch einige von europäischen Reisenden aufgezeichnete Thatsachen anführen. So berichtete Krusenstern!), dass bei seiner Begegnung mit den Giljaken («Tataren») in der Bai Nadeshda, in der Nähe der Nordspitze Sachalın’s (1805) — es wird, wie oben (p. 331) dargethan, wohl im Dorf Ngywr-wo gewesen sein — Einer unter ihnen durch seine Kleidung, die in einem rothseidenen, mit goldenen Blumen durch- wirkten Rock von chinesischem Zuschnitt bestand, vor den Uebrigen sich auszeichnete und «ohne Zweifeb ihr Oberhaupt war, — offenbar also einer von jenen durch die Mandshu er- nannten Harata’s oder Kasinta’s, von denen bei Mamia Rinsö die Rede ist. Von weit grösserem Belange noch ist eine zweite, sehr bestimmt lautende Nachricht, die wir Fr. Schmidt?) ver- danken. Er lernte im J. 1860 in Najoro einen der angesehensten Aino, den Greis Ssetaku- rero kennen, der auch von den Japanern als Aino-Aeltester mit einem Säbel beliehen worden ist. Dieser verwahrte noch bei sich ein in der Mandshu-Sprache abgefasstes Schreiben, das sein Vater ehemals auf einer Tributsreise nach Ssan-ssin am Sungari von der Mandshu-Obrigkeit erhalten hatte, und wodurch er zu einem Aeltesten der Aino bestellt war. Durch diese Nach- richt wird die Richtigkeit jener Angaben Mamia Rinsö’s über die damalige Tributspflichtigkeit der Aino den Mandshu gegenüber und die Art und Weise, wie sie derselben nachzukommen hatten, ausser allen Zweifel gestellt. Nur kann ich nicht umhin, die Vermuthung auszusprechen, dass hinsichtlich des Orts, wohin Ssetakurero's Vater seine Tributsreise ausführte, bei der obigen Nachricht seitens des Erzählers oder des Hörers ein Missverständniss stattgefunden habe, indem diese Reise nicht nach Ssan-ssin am Sungari, sondern, wie man der Zeitangabe ent- sprechend annehmen muss, nach Deren am Amur gemacht wurde. Ein solches Missverständniss konnte um so leichter entstehen, als Ssetakurero, seinen eigenen Worten zufolge, selbst nie im Mandshu-Lande gewesen ist. Halten wir nun den von Mamia Rinsö geschilderten Zuständen die Stellung entgegen, welche die Mandshu-Chinesen ein halbes Jahrhundert später, zur Zeit meiner Reisen den indi- genen Völkern des unteren Amur-Landes gegenüber einnahmen. Sie ist im Vorhergehenden schon bei verschiedenen Gelegenheiten besprochen worden, und ich fasse daher jetzt des leich- 1) Reise um die Welt, Bd. II, p. 176. 2) Histor. Bericht etc., p. 94. Rückzug der mandshu-chines. Herrschaft von Sachalin u. dem untersten Amur-Lauf. 623 teren Vergleiches halber nur die Hauptzüge derselben kurz zusammen. Handelsreisen nach Sachalin machten die Mandshu oder Chinesen zu meiner Zeit gar nicht mehr‘). Eine Tributs- pflichtigkeit der Sachalin-Aino und -Giljaken den Mandshu gegenüber bestand ebenfalls nicht, und damit gab es unter ihnen auch keine von jenen ernannte Oberhäupter oder Aelteste. Fast ganz ebenso verhielt es sich auch mit den Amur-Giljaken und Oltscha: die ersteren wurden weder von Mandshu, noch von chinesischen Kaufleuten besucht, unter den letzteren hielten sich zwar hie und da chinesische Händler auf, diese betrieben aber ihr Geschäft ganz und gar auf eigene Hand, und ein Tribut, oder richtiger eine bestimmte Abgabe in Pelzwerk, wurde von den Einen wie von den Anderen nur in Ssan-ssin für die Gewährung der Handelserlaubniss erhoben. Tributspflichtig der mandshu-chinesischen Obrigkeit gegenüber waren dagegen die Golde, und in ihrem Gebiet gab es, in Mylkiı nahe der Gorin-Mündung, auch einen beständigen Sitz von Mandshu-Beamten, die mit dem Empfangen des Tributs betraut waren. Aus diesem Vergleich ist man genöthigt den Schluss zu ziehen, dass in der Zeit zwischen Mamiıa Rinsö’s Reisen im Amur-Lande und den meinigen ein Rückzug der mandshu-chinesischen Herrschaft von Sachalin und dem untersten Theile des Amur-Laufes, aus den Gebieten der Aino, Giljaken und Oltscha stattgefunden hat. Es fragt sich nun, wie und wodurch derselbe sich vollzogen haben kann. Dass er in gewalt- samer Weise, in Folge kriegerischer Angriffe der mandshu-chinesischen Herrschaft seitens der indigenen Stämme des Amur-Landes oder der Japaner oder Russen hervorgebracht worden sei, ist aus vollkommenem Mangel an dafür sprechenden Beweisen oder Indicien entschieden zu verneinen. Er kann nur in ganz friedlicher Weise, auf eigenen Wunsch und Beschluss der mandshu-chinesischen Regierung erfolgt sein. Die Veranlassung dazu kann aber wohl in der Furcht vor einem kriegerischen Angriff oder einer Invasion seitens der Nachbarvölker, nament- lich der Russen gelegen haben. Bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts waren europäische Schiffe, diejenigen von La P&rouse und Broughton, in der Meerenge der Tartarei erschienen und hatten mit den Eingeborenen der Westküste von Sachalin und der Bai de Castries verkehrt; 1805 stand Krusenstern mit der «Nadeshda» an der Nordspitze der Insel und vor dem nörd- lichen Eingange in den Amur-Liman, und in den folgenden Jahren (1806 und 1807) zerstörten Chwostof und Dawydof die japanischen Ansiedelungen in der Aniwa-Bai auf Sachalin. Von diesem letzteren Ereigniss musste die mandshu-chinesische Regierung, wenn es ihr nicht schon früher bekannt geworden, jedenfalls durch Mamia Rinsö Kenntniss erhalten, da es seine Reise nach Sachalin und dem Amur-Lande veranlasst hatte und er mit den Mandshu-Beamten in Deren viel verkehrte. Zudem endlich liessen sich, wie wir durch ihn erfahren, zuweilen russische Fahrzeuge, vom Amgunj («Hongo») kommend, im Amur sehen und gelangten auch bis nach Deren. Nach alledem ist es nicht unwahrscheinlich, dass die chinesische Regierung, 1) Auch der oben erwähnte, von Hrn. Schmidt be- | «Ssanta» (Oltscha) oder «Ssumeri» (Giljaken), die in fragte Ssetakurero erinnerte sich nicht Mandshu bei | Handelsangelegenheiten hinkamen (Schmidt, 1. c., p. 9%). sich (in Najoro) gesehen zu haben: es waren immer nur Sohrenok's Amur-Reise, Band III, 79 624 Die Völker des Amur-Landes. hinsichtlich des Amur-Landes von besonderem Misstrauen gegen die Russen beseelt, ihre Herr- schaft auf Sachalin und am unteren Amur von dieser Seite stark gefährdet glaubte und, um einem Conflikt und einer etwaigen feindlichen Invasion von dort aus, die sich leicht bis ins Herz des Landes erstrecken könnte, vorzubeugen, zu derselben Politik grifl, welche sie schon einmal, im XVII. Jahrhundert am oberen Amur den Russen gegenüber geübt hatte, — einer Politik, die darin bestand, sich aus dem unmittelbar gefährdeten Bereich zurückzuziehen und zwischen sich und dem Feinde ein möglichst verwüstetes und ödes Land zu hinterlassen. Diesmal bedurfte es jedoch, da es sich nur erst um eine Befürchtung handelte, nicht eines so radikalen Eingreifens wie damals, als die Dauren und Djutscheren vom Amur an den Nonni und Churcha versetzt und die weiten, von ihnen ehemals bewohnten und bebauten Strecken am Amur der Verödung preisgegeben wurden !). Es dürfte für genügend erachtet worden sein, die officiellen Beziehungen zu Sachalin und dem untersten Theile des Amur-Landes abzubrechen, die Absendung von Beamten dahin zur Ueberwachung des Handels und Entgegennahme des Tributs von den Aino, Giljaken und Oltscha einzustellen, — wofür man sich vielleicht durch Tributserhebung und Erpressungen an den zum Handel nach Ssan-ssin kommenden Eingebo- renen schadlos halten wollte, — und die Strecke Landes endlich, auf welcher ein Angriff zunächst und am meisten zu befürchten war, zu entvölkern und veröden zu lassen. Diese Strecke lag an dem direkten und kürzesten Wege zwischen Deren und Sachalin, den auch die Mandshu ehemals benutzt hatten, und der den Amur abwärts bis Kidsi und dann über den Kidsi-See und das Taba-Flüsschen ans Meer führte. Dass die beiden ersteren Maassregeln von der chinesischen Regierung in der That ausgeführt wurden, ist oben bereits dargethan worden, und es bleibt mir daher nur übrig, auch die gleichzeitig erfolgte Verwüstung des Landes auf der oben erwähnten Strecke nachzuweisen. Zu dem Zweck muss ich wieder auf Mamia Rinsö zurückgreifen, dessen Reise gerade durch den oben bezeichneten Landestheil vor sich ging. Halte ich nun seinen, allerdings nur spärlichen Angaben über den letzteren den Zustand gegenüber, in welchem ich ihn 50 Jahre später fand, so drängt sich mir der Gedanke an eine seitdem erfolgte Verödung desselben unwill- kürlich entgegen. Auf den Umstand, dass Rinsö an dem zu meiner Zeit völlig öden Kidsi-See einen Ort, Namens Nukkurankata, nennt, will ich kein Gewicht legen, da er nicht angiebt, ob dies ein Dorf, oder etwa nur ein beliebter Ankerplatz war. Wichtiger ist, was er über das Dorf Kidsi sagt. Für diesen Ort giebt er im Vergleich mit dem, was ich gesehen habe, die doppelte Anzahl von Häusern an (etwa 20). Dort wohnten Mandshu-Beamten, von denen einer den Titel Harata und zwei den von Kasinta’s führten, dort liessen sich, auch während Rinsö’s Aufenthalt, chinesische Kaufleute sehen und wurden, wie es zum Schluss bei ihm heisst, «verschiedene Lustbarkeiten und Trinkgelage mit Musik von Leier und Trommel veranstaltet», kurz, es war ein ansehnlicher und belebter Ort. Dahingegen war ich erstaunt, unmittelbar vor 1) S. oben, p. 172. von den Vorraths- oder Packhäusern. 2) Dabei unterschied er sehr wohl die Wohnhäuser Untergang der Porzellanindustrie und Verödung des Landes um Kidsi. 625 diesem Dorf, auf einer zu demselben sanft ansteigenden Abdachung ein mit zahlreichen mensch- lichen Schädeln und Gebeinen besäetes Feld zu sehen, dergleichen mir sonst nirgends im Amur- Lande begegnet war. Woher dieselben rührten, konnte ich nicht erfahren. Sollten sie aus zerstörten Grabstätten des Orts (kleinen Häuschen, in denen die Leichen beigesetzt werden) entnommen worden sein, so ist die Zahl dieser letzteren jedenfalls sehr ansehnlich gewesen. Doch waren keinerlei Reste weder von diesen, noch von der Kleidung der Leichen oder anderweitigen Gegen- ständen, die man ihnen beizugeben pflegt, auf der Knochenstätte zu sehen, und gegen die etwaige Vermuthung, die Zerstörung der Grabstätten könne durch die Mannschaft des unlängst in der Nähe errichteten Mariinskischen Postens vollbracht worden sein, sprach der Umstand, dass die Leichenhäuschen der beiden dicht neben dem letzteren gelegenen Jurten von Choto vollkommen unberührt da standen !). Auch machte der Zustand, in welchem diese Gebeine sich befanden, auf mich den Eindruck, als hätten sie schon längere Zeit an dem Ort ungeschützt vor dem Ein- fluss der Atmosphärilien gelegen. Vielleicht steht aber dies Beinfeld mit einer anderen That- sache im Zusammenhange, auf die ich sogleich zu sprechen komme. Von grösstem Belange scheint mir Rinsö’s Angabe zu sein, dass es in oder bei Kidsi «besonders viel Porzellanfabriken» gab. Oben?) habe ich schon ausführlich berichtet, dass es zu meiner Zeit weder dort, noch irgend wo sonst im unteren Amur-Lande eine Thongeräth- fabrikation gab, und dass die Oltscha und Giljaken in ihrem Haushalt überhaupt weder eigen- gemachtes, noch chinesisches oder japanisches, vom Sungari oder aus Südsachalin importirtes Thongeschirr gebrauchen, mit alleiniger Ausnahme der, übrigens auch nur seltenen, zum Branntweintrinken gebräuchlichen kleinen chinesischen Porzellanschälchen. Der Untergang der Porzellanindustrie im unteren Amur-Lande fällt also der Zeit nach mit jenen oben besprochenen Vorgängen seitens der mandshu-chinesischen Regierung, der Aufhebung ihrer Handelsverwal- tung und ihrer übrigen administrativ-politischen Thätigkeit in demselben zusammen, und es liegt nahe, darin nicht einen blossen Zufall, sondern einen causalen Zusammenhang zu erblicken. Diesen muss man sich nun, in Ermangelung positiver Thatsachen, in folgender Weise denken. Ohne Zweifel ist die uralt-chinesische, im Sungari-Lande allgemein verbreitete) Porzellanin- dustrie nach dem Amur-Lande von den Chinesen importirt und dort entweder von ihnen selbst, oder doch unter ihrer thätigen Betheiligung und Leitung betrieben worden. Als daher jener von der mandshu-chinesischen Regierung zur Vermeidung eines befürchteten Conflikts mit den Russen beschlossene Rückzug ihrer Verwaltung aus dem untersten Amur-Lande statt- fand, haben vermuthlich auch die an der Porzellanindustrie betheiligten Chinesen einen Befehl zum Abbruch ihrer Thätigkeit und zum Abzuge nach dem Sungari erhalten. Möge nun diesem Befehle allgemein Folge geleistet worden sein, wie mir aus dem gänzlichen Untergange der o erwähnten Industrie im Amur-Lande wahrscheinlicher dünkt, oder mögen Einzelne wider den- 1) Aus einem derselben entnahm ich selbst den oben | 2) S. p. 447 u. : (p- 294, Fig. 6 der Taf. V—IX) beschriebenen und abge- | bildeten Schädel. | 79* 626 Die Völker des Amur- Landes. selben und alsdann ohne Schutz von Seiten der Regierung im Lande verblieben sein, immer kann die Sache, da an ihr auch die eingeborene Bevölkerung betheiligt war, nicht ohne man- cherlei Zerstörungen, Verwüstungen und selbst blutige Conflikte vor sich gegangen sein, und darum ist vielleicht gerade an dem Ort, wo sich ehemals «besonders viel Porzellanfabriken» befanden, gegenwärtig ein mit zahlreichen Menschengebeinen besäetes Feld zu finden. Selbstverständlich mussten derartige gewaltsame Vorgänge, so wie die durch Aufhebung des einzigen Orts mit geordnetem Handelsverkehr bewirkte Lahmlegung von Handel und Wandel im Lande zur Verarmung, Entvölkerung und Verödung desselben führen. Und in der That ist das am Kidsi-See und oberhalb desselben gelegene, ehemals durch Handel und Verkehr belebte Land gegenwärtig der ödeste Theil des Oltscha-Gebietes und des untersten Amur-Landes überhaupt. Während nördlich von Kidsi zahlreiche und meist grosse Oltscha-Dörfer am Amur liegen, und sogar mitten im Giljaken-Gebiet noch welche eingesprengt zu finden sind '), giebt es südwärts von demselben, auf der ganzen Strecke zwischen Kidsi und Adi, dem letzten Oltscha-Dorfe, nur kleine, meist aus 2—3 Häusern, ja oft nur aus einem Hause bestehende Orte, und unter diesen sind manche nicht einmal von Oltscha, sondern von Golde bewohnt ?). Offenbar haben jene Vorgänge viele Oltscha aus dem südlichen Theile ihres Gebietes nordwärts fortgedrängt, und dagegen sind manche Golde, um dem Druck der Mandshu zu entgehen, in den verödeten Landestheil eingezogen, — eine Bewegung, die auch zu meiner Zeit noch fortdauerte®). Kein Wunder daher, dass die Einwohner von Dyra, ebensolche später eingewanderte Golde, auf meine Nachfragen über den Handelsort Deren, der einst daselbst bestanden, keinerlei Auskunft zu geben wussten. Bezüglich des Handels im oberen Amur-Lande, das ich nur auf einer dem Hauptstrom entlang ausgeführten Durchreise kennen gelernt habe, muss ich mich darauf beschränken, nur einige allgemeine, dem unteren Amur-Lande gegenüber besonders charakteristische Züge her- vorzuheben. Fassen wir zunächst die den indigenen Stämmen des letzteren analogen Völker des ersteren, die Biraren, Manägirn und Orotschonen ins Auge, so sind sowohl die Artikel, welche sie in den Handel bringen, als auch diejenigen, welche sie im Tausch entgegennehmen, bei den Einen ziemlich dieselben wie bei den Anderen. Denn die ersteren, welche hier wie dort allein durch die Jagd gewonnen werden, weisen nur die oben, bei Besprechung dieser letzteren her- 1) Wie Tschylwi und Tyr, s. oben, p. 16. derselben von Golde bewohnt waren, und dass der Ort 2) So die Orte Dyra, Chywwunda, Ssamahagdu u. a., s. | Ssamahagdu nicht etwas ober-, sondern etwas unterhalb oben, p. 27. Gelegentlich berichtige ich hier die a. a. OÖ. | von Chywwunda liegt. enthaltene Angabe dahin, dass zu meiner Zeit beide 3) Darüber s. ebenfalls oben, p. 27. zum Dorf Dyra gehörige Häuser und nicht bloss eines Abgeschiedenheit der oberen Amur-Völker von den unteren bezüglich des Handels. 627 vorgehobenen kleinen, fast ausschliesslich quantitativen Differenzen und Modifikationen auf, und was die letzteren betrifft, so sind es im Allgemeinen auch dieselben, in den obigen Betrach- tungen oft genannten, den einen wie den anderen Naturvölkern unentbehrlich gewordenen Kleidungs-, Nahrungs- und Genussmittel. Eine wesentliche und charakteristische Differenz zwischen den oberen und den unteren Amur-Völkern bezüglich des Handels ist hingegen in ihren durch die Lage und die sonstigen geographischen und politischen Verhältnisse des Landes bedingten, verschiedenen Beziehungen zu den benachbarten Culturvölkern zu finden. Wie oben dargethan, haben die Völker des unteren Amur-Landes bis zur Besitznahme desselben durch die Russen mit diesen, von der nur geringen Berührung am Tugur abgesehen, so gut wie gar keinen Handelsverkehr gehabt. Ein soleher fand vielmehr nur mit den Japanern und den Chi- nesen statt, und der letztere hatte seinen Gravitationspunkt am Sungari, von wo die chinesischen Waaren durch Vermittelung sowohl der chinesischen Kaufleute, als auch der Golde, Oltscha und Giljaken den Amur abwärts bis zur Küste des Ochotskischen Meeres und der Insel Sachalin entlang bis zu den Japanern sich verbreiteten. In Beziehung auf den Handel war also das untere Amur-Land ein nach Westen geschlossenes, ganz vom Sungari beherrschtes Land, gewissermaassen eine bis ans Meer reichende und dort auch die vorgelagerte Insel Sachalin umfassende Fortsetzung des Sungari-Landes. Anders verhält es sich mit dem oberen Amur-Lande. Dem Verkehr mit den Japanern ist es durch seine continentale Lage und grosse Entfernung vom Meere entrückt, und vom unteren Amur und Sungari wird seine Bevölkerung durch politische Maassregeln der chinesischen Regie- rung ferngehalten. Consequent an der im XVII. Jahrhundert zur Abwehr der russischen Inva- sion eingeschlagenen Politik der Absperrung des Sungari vom oberen Amur festhaltend, gestattet sie keine direkte Handels- und Schiflfahrtsverbindung zwischen denselben und wehrt auch den Anwohnern des oberen und des unteren Amur den gegenseitigen freien Verkehr auf dem sie verbindenden Strome. In Folge dieser geographischen und politischen Verhältnisse wendet sich der Handel der oberen Amur-Völker, der Biraren, Manägirn und Orotschonen, nach Westen und Norden, d. i. zunächst dem Quelllande des Amur-Stromes oder sogen. russischen Daurien und dem Lena-Gebiet zu und eoncentrirt sich im Süden, dem obersten Amur, der Dseja und der Bureja abwärts folgend, an dem zwischen den Mündungen dieser beiden letzteren Flüsse gelegenen, von Mandshu, Chinesen und Dauren besetzten Culturstück des Amur- Stromes, in welchem Aigun, das Ssan-ssin des oberen oder richtiger mittleren Amur, liegt, das selbst wieder nach Tsitsikar, dem administrativen Mittelpunkte des das obere Amur-Land umfassenden chinesischen Gouvernements Helong-kiang gravitirt. Nicht die Sungari-Mündung, sondern das am Nonni gelegene Tsitsikar giebt also das Verbindungsglied im Handel zwischen dem oberen Amur- und dem Sungari-Lande ab. Wie zahlreich und vielfach verschlungen die Handelsfäden sind, welche die Orotschonen, Manägirn und Biraren mit den Russen und Jakuten der angrenzenden Theile Sibirien’s ver- binden, ist bereits oben, bei Erörterung der unbestimmten, in einander greifenden, schwankenden und wechselnden Grenzen angedeutet worden, welche diese Völker sowohl von einander, wie 628 Die Völker des Amur-Landes. von den nordwärts benachbarten russischen Rennthier-Tungusen scheiden. Bei der faktischen Niehtexistenz einer bestimmten Grenze zwischen den nach China oder nach Russland hingehö- rigen oder tributspllichtigen Tungusen-Stämmen im Stanowoi-Gebirge und der Unmöglichkeit, eine solche Grenze inmitten einer stets der Jagd nach umherstreifenden Nomadenbevölkerung durch politische Traktate ohne entsprechende Machtmittel festzustellen und aufrecht zu erhalten, fliesst die Ausbeute der Jäger ganz natürlich zumeist nach derjenigen Seite ab, auf welcher sie mehr dem Handel entgegenkommende Elemente und somit leichtere und bequemere Bahnen findet. Ohne diese im Detail gegen einander abwägen zu wollen, kann ich nicht umhin, hier in wenigen Worten auf die wichtigsten der dem Handel der genannten Völker beiderseits entge- genkommenden Elemente hinzuweisen. Die Lage des grössten Theils des Wohngebietes der Orotschonen in unmittelbarer Nach- barschaft und direkter Stromverbindung mit einem der bevölkertsten Theile von Ostsibirien, dem russischen Daurien, macht ihren Anschluss an dasselbe auch in Beziehung auf den Handel, den Abfluss ihrer Jagdausbeuten dahin zum Umsatz gegen russische Produkte ganz verständlich. Dem kommt auch die im Pelzhandel durch ganz Sibirien bewährte und hier, am Eingangsthor zum Amur-Lande, das seit den Freibeuterzügen des XVII. Jahrhunderts für ein unerschöpfliches Pelzwerks-Eldorado galt, besonders rege Thätigkeit und Rührigkeit der Russen zu Hülfe. Zu den obigen !), aufdiesen Punkt bezüglichen Mittheilungen über das stetige Vordringen russischer Pelz- händler, Jäger, Kosaken und anderer Leute den Amur abwärts in das O rotschonen-Gebiet und durch dieses hindurch auch zu den Manägirn ist hinzuzufügen, dass es im ersteren, ausser manchen unregelmässig, je nach Umständen hie und da entstehenden und nach kurzer Zeit wieder verschwindenden Handelspunkten, an der Mündung des Flüsschens Ajan in den Oldoi auch einen Ort giebt, wo sich alljährlich im December russische Kosaken und Handelsleute versammeln, um den Orotschonen ihre Pelzwaaren abzunehmen °). In solchen Handelsverbin- dungen mit den Russen stehen jedoch nur die am Amur und nordwärts von demselben woh- nenden Orotschonen. Diejenigen des grossen Chingan-Gebirges hingegen, das mit seiner Ost- abdachung dem Nonni zugekehrt ist, setzen ihre Pelzwaaren bei den dortigen Chinesen und Dauren ab, welche letzteren sie oft sogar auf ihren Jagdzügen begleiten, um sich der eventuellen Ausbeuten sogleich zu bemächtigen. Viel weniger und seltener als die Orotschonen besuchen unternehmende russische Pelz- händler oder Jäger die von ihnen entfernter wohnenden Manägirn und Biraren?°). Dafür tritt aber an diese von Norden, aus dem Lena- Gebiet oder auch vom Udj her ein anderes Element, die Jakuten, heran, — gewandte, im Umgange mit den Tungusen erfahrene und geriebene Händler, die sich bald an einem Ort unter ihnen niederlassen, bald in ihrem Gefolge umher- streifen und vermittelst ihrer Waaren das von jenen erbeutete Pelzwerk an sich bringen. Zahl- reiche, durch Middendorff aus dem Dseja-, wie aus dem Bureja-Gebiet erkundete Vorgänge 1) S. oben, p. 80. 3) Ueber derartige Besuche s. oben, p. 81. 2) Maak’, Ilyrem. ua Amyp®, crp. 316. Biraren, Manägirn, Orotschonen. Handel mit den Jakuten und Dauren. 629 der Art sind bereits oben angeführt worden'). Mit den Bedürfnissen, wie mit den Schwächen der Jagdnomaden genau bekannt, verstehen sie dieselben mit allem Nöthigen und Begehrlichen zu versorgen, zugleich aber auch sie auszubeuten und nicht selten durch gelegentlich gemachte Vorschüsse zu ihren bleibenden, beständig zum Zahlen sich verpflichtet fühlenden Schuldnern zu machen ?). Von ihnen erhalten die Manägirn und Biraren unter anderen russisch-sibiri- schen Waaren auch jene hochgeschätzten kleinkalibrigen Büchsen, die ihren Weg auch zu den Samagirn im unteren Amur-Lande, wenn auch erst in wenigen Exemplaren, gefunden haben, und mit denen die langen und schweren chinesischen Luntengewehre nicht concurriren können. Fliesst auch ein Theil des von den Manägirn und Biraren im Dseja- und Bureja-Gebiet erbeuteten Pelzwerks dank den Jakuten nach Norden, ins Lena-Gebiet ab, so bleibt doch ihr Haupthandel naturgemäss südwärts, dem Amur-Strom zugewandt, wohin ein grosser Theil derselben im Sommer auch schon des Fischfangs wegen sich begiebt, und wo sie Gelegenheit finden, in den Feld-, Gemüse-, Tabaksbau u. drgl. betreibenden Dörfern der Mandshu, Chinesen und Dauren, so wie besonders in der Stadt Aigun alle ihnen erforderlichen Kleidungs-, Nahrungs- und Genussmittel mehr oder weniger aus erster Hand und zu weit billigeren Preisen als von den sie in ihren Wohnsitzen besuchenden Kaufleuten zu erhandeln. Dass andererseits auch die mandshu-chinesische Regierung bedacht ist, von den in Aigun zum Handel Sicheinfindenden einen ähnlichen Tribut an Pelzwerk zu erheben, wie es den Eingeborenen des unteren Amur- Landes gegenüber in Ssan-ssin geschieht und ehemals auch zu Deren geschah, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Und dasselbe findet auch in Tsitsikar den «Butchani», d. h. tributspflichtigen Solonen, Dauren, Orotschonen u.a. Eingeborenen des Landes gegenüber statt. Dem Berichte Palladij’s zufolge wird dort alljährlich im Juni—Juli der «Tschulchanj» oder grosse Jahrmarkt abgehalten, zu welchem viel Volk aus den genannten Stämmen sich versammelt und in Zelten rings um die Stadt lagert; allein erst nachdem Alle den schuldigen Tribut in Zobelfellen abge- tragen und dagegen einige Geschenke an Cerealien, Geld und anderen Sachen erhalten haben, wird der Jahrmarkt eröffnet und beginnt der Handel mit Pelzwerk, Vieh und drgl., wobei die chinesischen Kaufleute die Hauptrolle spielen °). Im oberen Amur-Lande jedoch fällt die Hauptrolle im Handel mit den indigenen Stämmen keineswegs den Chinesen, sondern den Dauren zu. Sie haben den Handel mit den Manägirn am Komar-Fluss und den Orotschonen im Grossen Chingan-Gebirge in ihrer Hand, und sie sind es, die theils mit eigenen, theils mit chinesischen Produkten längs der Dseja und Bureja und ihren Nebenflüssen bis zu den Abdachungen und in die Thäler des Stanowoi-Gebirges hin- auf ziehen, um mit den Manägirn, Biraren und sonstigen Tungusen-Stämmen Handel zu treiben, wobei sie erfolgreich mit den von Norden dorthin kommenden Jakuten concurriren ®). 1) S. oben, p. 38; desgl. Schmidt, Histor. Ber. etc. | (3an. Uno. Pycex. Teorp. Oöm., no o6m. Teorp., T. IV, (Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Bd. XXV, p. 36). 1871, erp. 429). Die Gesammtzahl der bei dieser Gelegen- 2) Schmidt, |. c., p. 133. heit als Tribut eingezahlten Zobelfelle giebt Palladij auf 3) Apxmmanapure Naraariü, Aoposu. zambreu na | 5500 Stück an. uyru 07% IWeruna ao Baarorbın. yepesp Maupwrypiro | 4) S. oben, p. 38 u. 52, 630 Die Völker des Amur-Landes. Ja, wie oben‘) erwähnt, gelangen sie zuweilen von den Quellen der Bureja oder des Ssilimdshi über das Jam-alin-Gebirge sogar nach dem am Tugur gelegenen, von Negda und Giljaken besuchten Handelsplatz Burukan. An den Dauren hätte man also ausnahmsweise ein Volk von tungusischem Stanıme, das eine besondere Vorliebe und Befähigung zum Handel besitzt. Indessen ist nicht zu vergessen, dass sie in Folge ihrer Versetzung vom oberen Amur an den Nonni eine starke Vermischung mit Mongolen und Chinesen erfahren und durch das Zusammenleben mit den letzteren Vieles von dem Wesen und den Eigenschaften derselben und Jarunter wohl auch ihre Betriebsamkeit und Gewandtheit im Handel sich angeeignet haben. Zudem trägt zu ihren Handelserfolgen im oberen Amur-Lande auch die ihnen, wie es scheint, in höherem Maasse als den Chinesen zugewandte Gunst der dortigen Mandshu-Beamten bei, indem ihnen von letzteren das Recht des Tributeinsammelns unter den Manägirn und Biraren ertheilt wird, wenn auch vermuth- lich nur gegen eine entsprechende Caution und hohe Zahlung, für welche sie sich jedoch durch den Handel hinreichend schadlos zu halten wissen. Fasst man ihre gesammte, oben kurz ange- deutete Handelsthätigkeit ins Auge, so lassen sie sich einerseits mit den im unteren Amur- Lande handeltreibenden Chinesen, andererseits und in noch zutreflenderer Weise mit den Giljaken in Parallele stellen. Denn gleich diesen tragen sie eigene und noch mehr chinesische Waaren und Produkte weithin zu den angrenzenden Stämmen und nutzen durch Handel die Jagd- ausbeuten derselben zu ihrem eigenen Vortheil aus. Jedenfalls sind diese beiden Völker, die Dau- ren und die Giljaken, bezüglich des Handels die hervorragendsten und prägnantesten Charakter- gestalten des Amur-Landes, — jene des oberen und diese des unteren Theiles desselben. Bemer- kenswerth ist aber, dass diese beiden Völker, mit Ausnahme jenes einen, ausserhalb des Amur- Landes gelegenen Punktes am Tugur, nirgends in direkte Berührung mit einander kommen, — eine Folge der oben besprochenen, durch geographische und politische Verhältnisse bedingten gegenseitigen Abgeschiedenheit, in welcher das obere und das untere Amur-Land in Beziehung auf den Handelsverkehr ihrer Völker sich befinden, und die wesentlich zur Gestaltung und Er- haltung eigenartiger ethnographischer Verhältnisse in denselben beigetragen hat. ul[EyDBS In® ejunlusyumy uoyosıyeljib Jsule Slauu]| Se] ZISHURT PI WI Jena pj 0A sZZIyg Jaur2 yacyy ir fr » 2 YA ER 2 BOT? HSODPE: ET EDER es a, EPG: 1 ?YVWIG : PETER 9 FLLdE 7C9HL 0040927) £ [7 d ve c an A BÄE erg AN. 1% B TorrR 321€ zz . ZZ ech zutlä 7, 4 TE Dada Ho , RN N N N x) ed: ec: 7 Br 24 . To FVPEFPEEH < UISPIYIODN RUR U2, RD JPFRBLLAUO a A —_ AMT. ) erkdladtung ken Zd der 4 a ee AR. f dung ) 7 Zerhel: Hr gaken un; Y !! / GIS GRYLEE 4 L JH L / / ( j | f PPRZE, LIHLIL Ft. / DIITRER, e / CULCLD LO; D 7 ? / ; JIIIITVP // 4 Ye. SRH DIDI DE, VLILYIJ DL rel Wa Hy ID JEDE 1 LD BAG Ga N III ISS SID DET IP IE PY ZURD 77 C: % REGEN) ’%. eG JH. RL SEI LLO RR 374 2a 0 IrLLL I Qt 7 FARM z VI FE) BD DY # / 5 $ / i IHK / Een A. = \ Nr K = X S \ ' 8 I W > 7 I Ss a Er HI. 9. Infukasiche. Ausler zul Aaefgunen BEER RE EZE ZZ Dr en RE A. AV. N IK ande a 0 Pepe ah P / 4 LEHE / d WAS ISOr (las 2 N N \\ N x N . a NV N a x RN ENEN y N x \ N \ N EN N DN, N N, \ N NS N NEAR, N N N R VO “ eLttich PT [2 ao aus Lo 7 Tr c 7 ( , # LOIEr.dMI Hoshau Eye | MX. —T FR FW ze OT 2 Oo) . 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De liiet: Decembre, 1891. 2. 122 % II, & ER & SR & FR 8. ERTRTTERTTR 7 color. Tafeln. 1860. Pr. 3 R. 65 K.= 12 Mk. 20 Pf. II, (geschlossen). Zoologie: Lepidopteren, Coleopteren, Mollusken. Mit 28 color. Tafeln und 3 Karten 1859—1867. Pr. 12 R. 95 K.—43 Mk. 10 Pf. Bestehend aus folgenden, einzeln zu habenden Lieferungen: Lepidopteres de la Siberie orientale et en partieulier des rives de l’Amour. Par E. Menetries. Avec 5 planches. 1859. Pr. 1 R. 30 K.— 4 Mk. 30 Pf. Coleopteres de la Siberie orientale et en particulier des rives de l’Amour. Par V. de Motschulsky. Avec 6 planches et une carte. 1860. Pr.22 Rı65-K.— 8 Mk S07Ppr. . Mollusken des Amur-Landes und des Nordjapanischen Meeres. Bear- beitet von Dr. Leop. v. Schrenck. Mit 17 color. Tafeln und 2 Karten. 1867. Pr. 9 R.—= 30 Mk. Die Völker des Amur-Landes. Von Dr. Leop. v. Schrenck. Geographisch- historischer und anthropologisch-ethnologischer Theil. Mit einer Karte, 3 lithogr. und 5 phototypischen Tafeln. 1881. Pr. 4 R. 65 K.— 15 Mk. 50 Pf. . Die Völker des Amur-Landes. Von. Dr. Leop. v. Schrenck. Ethno- graphischer Theil. Erste Hälfte. Mit 37 lithographischen, zum Theil farbigen Tafeln und 13 Holzschnitten im Text. 1891. Pr. 14 R.—=35 Mk. Meteorologische Beobachtungen im Amur-Lande und Resultate aus denselben. Von Dr. Leop.v. Schrenck, Dr. W. Köppen und Dr. H. Fritsche. 1376. Pr. 2R. 70 K.—=9 Mk. . Ueber das Klima Ostasien’s, insbesondere des Amur-Landes, China’s und Japan’s. Von Dr. H. Fritsche. Mit 13 Isothermenkarten. 1877. Br-32Rr 33K. EMRK SI0SPR —— ir —— Imprim& par ordre de l’Acad&mie Imp&riale des sciences. A. Strauch, Seeretaire perpötuel. Imprimerie de ’Acad&ömie Imperiale des sciences. (Vass. Ostr., 9° ligne, N 12.) IR ? STELLT UL = & P & & & et & Br & oe & ER E SILILITLLERTZTTTZERD 2% eu „DS ON CN 3 c ZERKRERERN SELERE R R ———— g g e & g NI ® ON: 9 6) Mn Se are De ERS a en