LIBRARY OF THE UNIVERSITY OF ILLINOIS AT URBANA-CHAMPAIGN a570.9518 Seh’r Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from University of Illinois Urbana-Champaign http://www.archive.org/details/reisenundforschu33schr ER RR TERETLS EEE, BEZLZELLLLILTLL INNE KADE REISEN UND FORSCHUNGEN AMUR-LANDE in den Jahren 18541—18s536 im Auftrage der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg | ausgeführt und in Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben —>—- Me. Kr. f u Me I A ff # 5 are di N Fe Var 5 Ei IERTT.. er a, - $ Ä r 2 ha Sl un, EN Dar ER u un % ur y e 22, Mr Pr BUS De E gr, = ) & 2 u. v } 2 > ‘ 22.7 Pe, 1 s“ fi ._ - Ey = > u f 3 X x 2 ; ir 7 f u EP ne < - RI _ : h i ( TEL Sr “= it = z N ri 5 N WE et - 2 e - z j . — 3 a 2 — - , m — — x N arte ee A R ı j en >72 eh, De ® EREETER Es BAND IH. Dritte Lieferung. % DIE VÖLKER DES AMUR-LANDES. | ETHNOGRAPHISCHER THEIL. ZWEITE. HÄLFTE, Mit 24 lithographischen, zum Theil farbigen Tafeln und 11 Holzschnitten im Text. & ® ® @ * “ Dr. N Schreneck. ® : h % ® : ® \ ————— ST. PETERSBURG, 1895. Zu haben bei den Commissionären der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften: Eggers u. Comp.,C. Ricker und ?: Glasunof in St. Petersburg; N. Kymmel in Riga; Voss’ Sortiment (G. Haessel) in Leipzig. —— 2 Preis dieser Zelegunge 44 R. — 35-M. 5 Ser SE ae hcserssuur.gh, ee nn en x u... ae TEN e er + 2: NETT pP E R ‚ # h NN S Bl Kat Ne A D". 1. v. SCHRENCHK’S REISEN UND FORSCHUNGEN IM AMUR-LANDE. BAND II. DRITTE LIEFERUNG DIE VÖLKER DES AMUR-LANDES. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. — ZWEITE HÄLFTE. Mit 24 lithographischen, zum Theil farbigen Tafeln und 7 Holzschnitten im Text. ‚Gedruckt auf- Verfügung der Kaiserlichen Alam der Wissenschaften. | St. Petersburg, Dear a i AN Dubrowin, bestä Secre Buchdruckerei der Kaiserlichen Fireadens jr Wise. Wass. Ostr., 9. Lu N 12. ai RR Em rt + ie G 570, 7518 V S 3 7m V\ { ‚@ DIE VÖLKER DES AMUR-LANDEN, voN Dr. Leop. v. Schrenck. ETHNOGRAPHISCHER TUEIL. — ZWEITE HÄLFTE. AN ARERINA Ad BO z BP. V 48 Ba hi urleiie 1 5 w > * Pu treazn Iralan er VORBEMERKUNG. Es ist dem Verfasser der «Reisen und Forschungen im Amur-Lande» nicht vergönnt ge- wesen, sein Werk vollständig zu Ende zu führen. Immerhin hat er es kurz vor seinem Tode noch so weit gefördert, dass es mit dem vorliegenden Abdruck des hinterlassenen Manuscripts nahezu zum Abschluss gebracht ist. Wenn auch vorgefundene Notizen darauf schliessen lassen, dass vom Verfasser noch mehrere Abschnitte, u. A. so wesentliche, wie über religiöse Vorstellun- gen, Anschauungen über Krankheit und Tod, die sich daran knüpfenden Gebräuche u. drgl. in Aussicht genommen waren, so hat man doch geglaubt, von einer Fortsetzung des Werkes, an der Hand der demselben zu Grunde liegenden Reise-Notiz- und Tagebücher, um so eher ab- sehen zu können, als die Anhaltspunkte dafür fehlen, wie der Verfasser selbst sich zu den be- züglichen, vor Jahrzehnten gemachten Aufzeichnungen kritisch gestellt haben würde. Da in- dessen auch noch für den unbearbeitet gebliebenen Rest im Voraus eine Reihe von lithographi- schen Tafeln fertig gestellt worden ist, die ohne erläuternden Text zwecklos würden, so er- schien es räthlich, so weit zum Verständniss der Abbildungen nöthig, im Rahmen jener fehlen- den Abschnitte Auszüge aus den Notiz- und Tagebüchern als Anhang folgen zu lassen, dessen Zusammenstellung von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften dem Unterzeichneten übertragen wurde. Die Auszüge zerfallen nach den behandelten Stoffen in folgende zwei Hauptgruppen: I. Religiöse Vorstellungen der Amur-Völker. — Götzen. Amulete. Scha- manen. I. Vorstellungen vom Fortleben nach dem Tode und dementsprechende Behandlung der Todten. Der Text der Notiz- und Tagebücher, welche vierzehn engbeschriebene Octav-Hefte mit feinster Schrift füllen, ist bis auf unwesentliche redactionelle Modificationen wortgetreu wieder- gegeben. Die zugefügten Fussnoten sind, zum Unterschiede von denen des Verfassers, mit =® bezeichnet. Schrenk's Amur-Reise, Band III. I u Am Schlusse jedes einzelnen Auszuges ist (für etwaige künftige Bearbeiter) auf die be- treffenden Stellen in den Heften hingewiesen, welche die nachfolgenden, vollständigen und abgekürzten Bezeichnungen von der Hand des Verfassers tragen: Naturhistorische und ethnographische Bemerkungen während des Aufenthalts im Nikolajew’schen Posten 1854— 1856. Heft I (1854— 55). Heft II (1856). Reise nach der Insel Sachalin und durch einen Theil der Mandshurei, aus- geführt im Winter 1855 (Jan. 27—März 23). Heft I Reise nach Sachalın. Heft II Reise durch die Mandshurei. 1 Bm. I, H. \:$ Reise durch verschiedene Theile der Mandshurei ausgeführt im Sommer | 1855. | Heft I (Mai 13—Juli 2) ne Heft II (Juli 3— 25). Heft III (Juli 26—Aug. 23) Heft IV (Aug. 23—Sept. 17). Reise nach der Insel Sachalin, ausgeführt im Winter 1856. Heft I (Jan. 30—Febr. 20). Heft II (Febr. 20— März i2). Reise den Amur-Strom aufwärts (Rückreise nach St. Petersburg), ausge- f 2W.R.L1. führt im Sommer 1856. Heft I (Mai 13—Juli 8). Heft II (Juli S—Aug. 10). Heft II (Aug. 10—Sept. 10). Heft IV (Sept. 10. 1856—Jan. 7. 1857). 28S.R.I—W. Fr. Russow, Custos am akademischen Museum für Anthropologie und Eihnographie. BIN ART III. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. Zweite Hälfte: Grundzüge des Familien-, socialen und inneren Lebens. 11. Abschnitt. Familienverhältnisse: Ehe, Weiberkauf und Weiberraub. Sittlichkeit. Häusliche Arbeiten Seite. und Beschäftigungen von Mann und Weib. Kinder-Geburt, -Ernährung, -Behandlung und -Er- ziehung. Stellung der Sklaven und Sklavinnen im Hause. Familienerbrecht. Blutrache ...631—662 Giljaken: Vorherrschende Monogamie, p. 631. — Weiberkauf, hohe Brautpreise, — Poly- gamie häufiger bei den wohlhabenderen Amur-Giljaken, p. 632, 633. — Weiberraub, zumeist seitens der weniger bemittelten Giljaken am Liman und Ochotskischen Meer, p. 634, 635. — Geringe Beschränkung der Eheschliessungen durch Blutsverwandtschaft und Verschiedenheit der Nationalität; — Hochzeitsfeier, p. 636. — Zusammenwohnen mehrerer Familien in einem Hause. — Sittenstrenge der Giljaken im Vergleich zu anderen Amurvölkern. — Seltene Ehelösungen, p- 637, 638. — Verhältnissmässig gute Behandlung der Frauen; deren Wirkungskreis, p. 639, 640. — Liebe der Giljaken zu den Kindern neben harter Behandlung der Wöchnerinnen und Neu- geborenen, p. 640—642. — Auf den Geburtsakt bezügliche Gebräuche. Namengebung p.642, 643. — Wiege nebst Zubehör, p. 643. — Langes Säugen und mangelhafte hygienische Pflege der Kin- der; deren Kleidung, p. 643, 644. — Kinderspiele, Spielzeug, p. 645. — Stellung der Frauen in polygamischen Ehen, p. 645, 646. — Haltung von Sklaven, zumeist weiblichen, ausschliesslich fremder Nationalität p, 646 —648. —Durch den Japanischen Reisenden MamiaRinsö veranlasste irrthümliche Voraussetzung der Polyandrie, p. 648—650. Aino: Sklavenhandel. Sklaverei bei anderen paläasiatischen Völkern, p. 651—652. Giljaken: Erbrecht. Vorrechte des Kall, der Gesammtheit der väterlicherseits Verwandten, p. 652—654. Vererbung der Wittwen und Töchter, p. 654. — Ähnliches Erbrecht bei den Ko- rjaken, p. 65%. — Verpflichtung der Glieder des Kall zur Blutrache und abergläubische Furcht vor deren Unterlassung, p. 655 —697. Oltscha: Verbreitung giljakischer Familiensitte und -Ordnung in abgeschwächter Form p. 658, 659. — Abweichende Form der Kinderwiege p. 659. Golde: Lockerung der Familienverhältnisse und Sitten durch die Chinesen, p. 660, 661. Orotschen: Höchster Grad verderblichen chinesischen Einflusses auf die Familien- und über- haupt alle Lebensverhältnisse, p. 661, 662. 1r IV Seite. 12. Abschnitt. Sociale Verhältnisse: Politische und rechtliche Stellung. Sociale Gliederung auf Grund des Wohlstandes. Nationaler Communismus. Unantastbarkeit des Eigenthums. Gastfreiheit. Vorsicht und Unentschlossenheit auf Reisen: Wind- und Wetterprüfung. Abergläubische Sturmbeschwichtigungen. Gruss und Danksagung. Sitte einander Geschenke und Gegenge- schenke zu machen. Zuverlässigkeit in Geschäftsangelegenheiten. Zeitrechnung. Kalender. Kosmische Vorstellungen. Belustigungen: Gesang, Musik, Tanz, Spiee............663—695 Giljaken: Factische politische Unabhängigkeit derselben zur Zeit der Reise des Verf. Völlige rechtliche Gleichheit. Aufrechterhaltung der Ordnung durch Beobachtung des Herkommens, p.663, 664. — Sociale Gliederung nach dem Wohlstande, p. 665, 666. — Communismus und Unantast- barkeit des Eigenthums, auf nationalem Prineip beruhend, p. 666— 669. — Ebenso die Gastfreiheit, p- 669, 670. — Bedächtige Art zu reisen. Kenntniss der Wetterzeichen. Mittel zur Besänftigung des Sturmes, p. 670, 671. — Ungebräuchlichkeit der Begrüssung und Danksagung, p. 671, 672. — Austausch kleiner Geschenke. Zugaben beim Handel, p. 672, 673. — Ehrlichkeit und Zuver- lässigkeit, p. 673. — Ungenauigkeit in der Zeitbestimmung, p. 674, 675. — Zeitrechnung. Mo- natsnamen und Vertheilung der Monate auf die Jahreszeiten, p. 675—678. — Kosmische Vor- stellungen, p. 678, 679. — Gesang. Melodien-Proben, p. 679—682. — Instrumental-Musik, p. 683. — Ungebräuchlichkeit von Tanz, Mummenspielen und theatralischen Vorstellungen, p. 684. — Gebrauch chinesischer Spielkarten, p. 685. Oltscha: Nachwirkungen mandshu-chinesischer Herrschaft. Geringere Energie und Betriebsam- keit. Geringerer Einfluss des Besitzes auf die sociale Gliederung, p. 686. — Nationaler Commu- nismus, dessen Ausdehnung über die engen Grenzen der Stammesangehörigkeit hinaus. Überhaupt milderer und humanerer Geist als beiden Giljaken. Derselbe Character des Communismus bei den Golde, Samagirn u. a. Achtung vor dem Eigenthum des Fremden, p. 687. — Weniger national gefärbte Gastfreiheit; Dienstfertigkeit und Gefälligkeit dem Fremden gegenüber. Bequemerer per- söhnlicher Verkehr in Folge geringerer Beschränkung durch abergläubische Gebräuche, p. 688. Golde: Gliederung nach väterlichen Geschlechtern (hala) p. 688. — Einsetzung von Stammes- ältesten (halada) durch die mandschu-chinesische Regierung zum Zweck der Tributerhebung, p. 689, 690. — Aussaugung des Volkes durch die chinesischen Beamten und Händler, begleitet von der Zerrüttungder Familienverhältnisse durch letztere. Eigene Sorglosigkeit und Trägheit. Daher gerin- gerer Woblstand und mangelndes Selbstgefühl im Vergleich zu den Giljaken, p. 690, 691. — Gutmüthigkeit. Ehrlichkeit. Leichtlebigkeit. Zeitvertrieb: Spiele u. Gesang. p. 691—693. — Zeit- rechnung der Oltscha und Golde. Die 13 Monate der letzteren, p. 693, 694. — Kosmische Vorstellungen der Golde, p. 695. — 13. Abschnitt. Die Bärenfeste. Deren cultueller Character und sociale Bedeutung. — Die Bärenfeste bei den Amur-Giljaken. Feierlichkeiten und Belustigungen vor und bei der Tödtung der Bä- ren, sowie bei deren Verspeisung, Beisetzung der Gebeine und Schädel der Bären. Modifi- cationen bei den Oltscha, sowie bei den Giljaken auf Sachalin und den Aino.........696— 737 Giljaken: Hervorragende Rolle des Bären im Leben aller Amur-Völker, besonders der Gi- ljaken. Glaube an den Übergang der Seele eines vom Bären Getödteten in denLeib eines solchen. Dem Bären gewidmeter Cultus, um sich Straflosigkeit für dessen Tödtung zu sichern. Feierliche Überführung des Bären in die Gefangenschaft (vrgl. p. 561, 562). Der Bärenkäfig. Ernährung des Bären durch sämmtliche Dorfgenossen. Communislischer Charakter und sociale Bedeu- \ tung der Bärenfeste, p. 696, 697. — Jeweilige Überführung des Bären in die Jurte, p. 698. — Dauer der Gefangenschaft des Bären und gebräuchliche Jahreszeit der Bärenfeste, p. 699. Von zwei Bärenbesitzern gemeinschaftlich veranstaltetes Bärenfest am Amur, 699—723. — Erste Abtheilung des Bärenfestes, p. 699—714. — Häuserschmuck. Vor- läufige Festspiele, p. 700. — Aufstellung von 3 gefesselten Bären im Hause. Belustigung inner- halb desselben, p. 701. — Hauptbelustigung des Festes — das Umherziehen mit den Bären von Haus zu Haus. Nachträgliche Sicherung der Fesseln an einem Bären, p. 702—704. — Beschäfti- gung der männlichen Jugend mit der Anfertigung von angehobelten Stöcken mit Holzlocken (Zachs), dem bei allen religiösen Handlungen gebräuchlichen Symbol, und Zubereitung von Mossj durch die Frauen, p. 704, 705. — Fortsetzung des Bärenumzuges, 705. — Bereitung des für die Tödtung der Bären bestimmten Platzes. Errichtung eines kleinen Bretterhäuschens (läsng) zur Aufstellung der Bärenköpfe mit den Bälgen, p. 705, 706. — Hunderennen, begleitet vom Trom- meln der Weiber auf einen freihängenden Balken, p. 706, 707. — Fortgesetzte Umzüge mit den Bären und deren Fütterung in den Häusern, auch durch Knaben jüngsten Alters, p. 707. — Zug mit den Bären beim Mondschein zum Strom hinab, begleitet vom Balkengetrommel der Weiber, und zurück, p. 707, 708. — Nach einer durch Spiele im Hause ausgeführten Pause erneutes Bären- führen durch die Häuser bis in die Nacht hinein, die, als die letzte vor dem Tödten der Bären durchwacht wird, p. 707, 708. — Die bei den Festmahlzeiten gebräuchlichen Speisen und deren Zubereitung an einem besonderen Herde, p. 708, 709.—Abführung der Bären zum Tödtungsplatze. Erstes grosses officielles Festmahl in dem Hause des Hauptfestgebers. Hunderennen, p. 709, 710. — Feierliche Vorbereitungen zum Tödtungsakte. Nochmaliger Zug mit den Bären zum Strom und zurück. Tödtung der Bären (vrgl. p. 560). Niederlegung der einzelnen Cadaver auf die für sie bestimmten Lager von angehobelten Stöcken, p. 710, 711.— Das Abbalgen und Zerstückeln der Cadaver. Aufstellung der Köpfe mit den darangebliebenen Bälgen im Läsng, p. 712, 713. Zweite Abtheilung des Bärenfestes, p. 714—723. — Aufstellung der Bärenköpfe nebst Bälgen in den beiden Festhäusern. Auf die Abwendung der Rache der Bären bezügliche sym- bolische Darstellungen einer Kröte, so wie eines Bären in giljakischer Kleidung, p. 714, 715. — Das Zerlegen und Kochen des Bärenfleisches. Dazwischen Hunderennen, p. 716. — Besonderes Festgeschirr, p. 717. — Fortgesetztes Kochen von Bärenfleisch. Unzulässigkeit des Gebrauches von Salz bei allen Speisen während des Bärenfestes. Bravourfahrt des Festgebers mit Hunden, p- 718. — Weitere Vorbereitungen zum Hauptfestmahl. Hunderennen, p. 718, 719. — Symbo- lische Ausschmückung der Bärenköpfe mit Kopfbinden, p. 719, 720. — Officielles vorläufiges Festmahl bei jedem der beiden Festgeber, p. 720, 721. — Die ohne Beobachtung von Formali- täten verlaufende Hauptmahlzeit, bei der das erste Bärenfleisch während des Festes genossen wird, p. 721. 722. — Tanz der Weiber unter Balkengetrommel, p. 722. — Unzulässigkeit eines Schamanenactes im Bärenfesthause, p. 722. Oltscha. Zweiter Theil des Bärenfestes. Aufstellung des Bärenkopfes nebst Fell im Festhause, und dessen sonstige Ausstatlung für das Festmahl. Festspeisen, p. 723. — Das unter Beobachtung eines bestimmten Cermoniels in 5 Abschnitten veriaufende Festmahl, p. 724—728. — Abschnitt 1. 3 Gänge vegetabilischer Kost, p. 724, 725. — Abschnitt 2. Dsgl. mit Hinzufü- gung von Fischthran, p. 725. — Abschnitt 3. Dsgl. mit Gesangsvorträgen und musikalischen Pro- ductionen junger Männer auf dem Trommelbalken, p. 725, 726. — Abschnitt 4. Zum ersten Mal Bärenspeckstriemen mit flüssigem kalten Bärenfett, p. 726. — Abschnitt 5. Hauptgang — der Kopf des Bären, zunächst für die Ehrengäste. Festliche Beleuchtung des Hauses. Dauer des Mahles, p. 726—728. — Der Character des Überkommenen, nicht Ursprünglichen beim Bärenfest der Oltscha. Mangelnder religiöser Untergrund. Ausschliesslicher Gebrauch importirter, mand- “ shu-chinesischer Producte zu den Festspeisen, p. 728, 729. Giljaken. Schlussakt des Festes. Das Spalten des Schädels und Beisetzung des Schädels und der übrigen Gebeine des Bären. Ähnliches bei den Oltscha und Samagirn, p. 729—731. Bei den Golde. — Aufhängen des nichtgespaltenen Schädels nebst Gebeinen auf Bäume, p. 731. Giljaken auf Sachalin. Hauptsächlich durch die engere Behausung bedingte Abweichungen in den Festgebräuchen. Unzulässigkeit des Aufstellung der Bären in der Jurte und der Umzüge mit den Bären durch die Häuser, p. 731—733. — Überführung der Bärenköpfe nebst Fellen aus dem Läsng in die Jurte durch den Rauchfang, statt des Fensters wie beiden Amur-Giljaken. Seite, VI Verwendung des Rauchfanges auch zum Aushängen des Bärenfelles über einer Stange nach dem Festmahl. Auschmückung der Jurte durch zahlreiche Zachs, p. 733, 734. — Hauptfestmahl in Tyk, ohne Verwendung von Speisen aus mandshu-chinesischen Producten. Verwendung von Hundefleisch bei der Nachfeier eines Bärenfestes in Dui. Ungebräuchlichkeit von Hunderennen, allerhand Spielen und drgl. auf Sachalin, p. 734. Aino. Bärenfeste auf Sachalin und Jesso. Das Aufziehen junger Bären. Angebliche Bärenammen, p- 735, 736.—Reiche Verwendung von Zachs beim Bärenfeste: am Bärenkäfig, in der Jurte und auf dem Platze, wo der Bär getödtet wird, p. 736. — Absägen der Eckzähne bei jungen Bären, p. 736, 737. — Trankopfer vor der Tödtung des Bären. Tanz der Frauen und Mädchen vor dem Käfig desselben, p. 737. Seite. ANHANG. I Keligiöse Vorstellungen der Amur-WVölker. Götzen und Amulete. Schamanen. BeligidsenVorstellungene ern ange ae e te a en ele eeee ere 739—742 1. Giljaken. Die Vorstellung von einem höchsten guten Wesen — eine völlig abstracle, inhalt- leere, ausser aller Beziehung zu dem Leben und den Sitten der Giljaken stehend. — Daneben; auf dem Gefühl der Ohnmacht den Naturkräften gegenüber beruhende Vorstellungen von feind- lichen, dämonischen Mächten, welche bildlich dargestellt werden und, mit dem Zwecke der Ab- wehr von Gefahr und Schaden, den Gegenstand gewisser cultueller Handlungen bilden. Götzen und Amulete in menschlicher Gestalt... ... 22 zz oo e 22222222... 742 — 746 2. Giljaken. Bestimmte Plätze in den Häusern für die Aufstellung der Götzen. Das Tragen der- selben am Körper als Amulete gegen Krankheiten, p. 742. 3. (Gilj.). Ergänzung zu 2. Verwendung von Zachs gegen Krankheiten, p. 742. 4. (Gilj.). Einarmiger Götze. Götzenhäuschen. Schutzgeister (Laren.), p. 743. 5. (Gilj.). Aufstellung von Götzen im Freien, am Vorrathshause und im Innern des Wohn- hauses. Stetig abnehmende Schätzung der Götzen je weiter den Amur abwärts, p. 743. 6. (Gilj.). Auf verschiedene, durch die Figur selbst angedeutete Krankheiten bezügliche Amulete in menschlicher Gestalt. Kopf- und Halsring mit Amuleten, p. 744. 7. Oltscha, Golde, Samagirn. Gleichartige Aufstellung der Götzen im Hause, p. 745. 8. Golde. Am Halse getragene Götzen, p. 745. 9. Samagirn, Halsgötze. Bedeutung des Wortes säwa, p. 745. Thier-Götzen und -Amulete ........ 2 c ce onen eeeneeneeerenener nen. 746 — 749 10. Giljaken. Götzen vom Bären, Tiger und Irbis; Amulete mit Darstellungen der Kröte und Eidechse, p. 746. 11. (Gilj.). Darstellungen von Fischen, p. 747. 12. Oltscha. Götzen vom Tiger, p. 747. 13. (Olt.). Phantasie-Thier, das ein menschliches Herz im Munde hält, p. 748. 14. Golde. Tigergötzen, p. 748. 15. (Gold.). Gölze vom Irbis (?), p. 748. 16. (Gold.). Götzen vom Tiger und Irbis, p. 749. VI Seite. 17. (Gold.). Kleine Götzen des Tiger und Irbis, zum Schutze gegen diese, am Aermel ge- tragen, p. 749. 18. Manägirn. Götzen in Gestalt von phantastischen Vögeln und Drachen, dergleichen auch am unteren Amur, p. 749. Aus Menschen- und Thiergestalten und auch sonst combinirte Götzen und Amulete . .749— 752 19. Giljaken. Halsgötze — Combination von Mensch und Bär, p. 749. 20. (Gilj.). Combination von Mensch, Tiger und Bär; von Mensch und Tiger. — Götze eines an ein Krokodil erinnernden Phantasiethieres (Chaz), p. 749, 750. 21. (Gilj.). Combinationen der Menschengestalt mit Tiger, Bär, Wolf, Seebär, Weisswal, Eule und Rabe. — Götzen mit Zachs umwunden, andere mit Bärenfell bekleidet. — Combinationen mit menschlichen Herzen. — Schalen für die den Götzen vorgeselzten Speisen, p. 750. 22. (Gilj.). Combination von Mensch und Fisch (oder Vogel?), als Grabzeichen für Ermordete gebräuchlich (Wagn). Darauf bezügliche Sage, p. 751. 23. (Gilj.). Der Wagn, mit dem Kopfe nach dem Wohnort des Mörders gerichtet, p. 751. 24. Oltscha. Der Wagn (nach der Mittheilung eines Oltscha) eine Combination der Menschen- gestalt mit dem sagenhaften Todtenvogel Köro, p. 752. 25. (Olt.). Götzengürtel (Amulet), daran eine Darstellung des Khasj (Gilj. Cha2). Ueberein- stimmung der Säwa’s mit den Kägn’s der Giljaken, p. 752. Schamanen ......... ur REIT NN DELL EEE 8.7 26. Giljaken. Selleneres Vorkommen des von den tungusischen Nachbarn überkommenen Scha- manens bei den Giljaken, p. 752. 27. (Gilj.). Geringe Anzahl der Schamanen von Ruf. Unverfänglichkeit des Schamanens durch beliebige andere Personen. Die Bedeutung der Schamanen weniger eine religiöse als vielmehr praktische, daher deren Gleichstellung mit Arzt und Apotheker, p. 753. 28. (Gilj.). Schamanenakt für guten Fischfang, gutes Wetter u. s. w., p. 753. 29. (Gilj.). Schamanenakte bei Krankheiten, p. 753. 30. (Gilj.). Schamanenkünste: Unsichtbare Lösung der Fesseln des gebundenen Schamanen — im Finstern — durch einen mit Zaubergesängen herbeigerufenen tanzenden Kägn. Zusammen- hang dieser Vorstellung mit den Schamanentlänzen, p. 754. " 31. (Gilj.). Complieirte Productionen eines gebundenen Schamanen, p. 755. 32. (Gilj.). Analoges Schamanenthum am Amur wie auf Sachalin, p. 756. 33. Samagirn. Schamanenakt für eine Kranke. Die Zaubergeräthe der Schamanen, p. 756. 34. Oltscha. Kleidung und Geräthe des Schamanen. Seine mit einem Weibe vorgenommene mystische Ceremonie, p- 797, 798. 35. (Olt.\.. Schamanenakt für eine Kranke, p. 759. 36. (Olt.). Schamanenakt in einem giljakischen Dorfe für ein krankes Kind, ausgeführt durch ein Oltscha-Weib, p. 759. 37. (Olt.). Unterscheidung zwischen eigentlichen und uneigentlichen Schamanen, von denen letztere gelegentlich nur Schamanenkünste produciren, p. 759. 38. Golde. Schamanenakt ausgeführt von einem Weibe bei einer Leiche, p. 760. 39. (Gold.). Der Storch wird nur von Schamanen gegessen, p. 760. Manägirn. Kurze Erwähnung des Vorhandenseins von Schamanen. 40. Dauren. Schamanenkostüm, p. 760. 41. Mandshu. Das Vorhandensein von Schamanen trotz des herrschenden Buddhismus, p. 761. IX II. Vorstellungen der Amur-Völker vom Fortleben nach dem Tode und dementsprechende Behandlung der 'Todten. Seite. Schicksale der Seelen nach dem Tode . ... 2.2... 2222 eeseenenennnn en 7161 76% 42. Giljaken. Abhängigkeit des Schicksals der Seele eines Verstorbenen von der Todesart, p. 761. 43. (Gilj.). Der Ort, zu dem die Seelen der eines natürlichen Todes Verstorbenen wandern (Mlyghwo). Verwandlung der durch Bären Verunglückten in Bären, p. 761. 44. (Gilj.). Verwandlung Ertrunkener in Seehunde; ein mit dieser Vorstellung zusammen- hängender Brauch beim Seehundsfange. Das Jenseits der Ermordeten — der über die Sterne hinaus liegende Himmel (tlö), p. 762. 45. Oltscha. Das Jenseits der eines natürlichen Todes Verstorbenen (das Land Bun), wohin sich nur die eigentlichen Schamanen zu begeben vermögen. Die für die Wanderung in’s Bun-Land erforderliche Zeit. Die dem irdischen Leben analogen Lebensverhältnisse des Bun-Landes. Sterb- lichkeit der Bun-Bewohner. Verwandlung eines solchen bei gewaltsamem Tode in eine irdische Pflanze, somit Wiederkehr auf die Erde in anderer Gestalt. Verwandlung der ertrunkenen Bun- Bewohner in Wasserthiere und der von Bären Getödteten in Bären, analog dem Schicksal der demselben Tode Verfallenden auf Erden, p. 762—764. Leichenbegängniss und Trauer ........-.eerseeeereenn EEE HERE 764—767 46. Giljaken, Abergläubische Bedenken gegen die Behandlung, eines Kranken im Hospital. Leichenverbrennung, p. 764. 47. (Gilj.). Versorgung der Todten mit Speisen vor und nach der Verbrennung. Letzierer Vorgang, in Kürze angegeben, p. 764. 48. (Gilj.). Ausführliche Schilderung eines Leichenbegängnisses: Aufbahrung der Leiche im Sterbehause, p. 764. Zug zur Verbrennungsstätte. Niederlegung der Leiche auf den vorläufig lagerartig geschichteten Scheiterhaufen. Hundeopfer, p. 765, 766. Pyramidale Aufschichtung des Scheiterhaufens über der Leiche. Für das Anzünden des Scheiterhaufens obligatorische Gewinnung des Feuers mittelst des Feuerbohrens statt auf gewöhnlichem Wege. Das Anlegen des Feuers zunächst durch die Wittwe des Verstorbenen. Oeffnung der Thür eines naheliegenden, in Form eines kleinen Häuschens errichteten Grabmals (Raff) für den Einzug der Seele des Todten in diese vorläufige Behausung. Verwendung der Felle der geopferten Hunde zu einem Pelz für die Wittwe, p. 766, 767. 49. Golde. Klagegeschrei einer Wittwe, p. 767. Grabmäler ....... anche ER re De EEE er .767— 776 50. Giljaken. Das Leichenhäuschen (Raff) über der Asche des verbrannten Leichnam’s errichtet. Andere Grabzeichen, p. 767. 51. (Gilj.). Begräbrissplatz mit Rafl’s über der Asche der Leichname. Brauch beim Begräbniss von Kindern, welche an einer Seuche gestorben, p. 768. 52. (Gilj.). Unverletzlichkeit des Grabes, p. 768. 53. (Gilj.). Innere Ausstattung des Rafl’s mit verschiedenen auf die Wanderung der Seele in’s Jenseits bezüglichen Symbolen, p. 768. 54. (Gilj.). Erklärung der Symbole, p. 769. 55. (Gilj.). Weitere Erklärungen der Symbole, p. 769. 56. (Gilj.). Ein Raff mit einem dazu gehörigen Vorrathshäuschen für die dem Todten dar- gebrachten Speisen. Ein luxuriös ausgestattetes Raff. Die zu einem Raff gehörige Brandstätte mit der Asche des Verstorbenen (vergl. 47, 48, 50, 51). Errichtung des Vorrathshäuschens nur in dem Falle, wenn beim Tode des Betreffenden noch kein Schnee gefallen ist, p. 769. 57. (Gilj.). Bestattung sehr kleiner Kinder — ohne Verbrennung und Raff; von Ertrunkenen — nach der Verbrennung, mit Bezeichnung des Grabes durch einen neben einem Boote in die Erde 11 gesteckten Stock; Beisetzung der Leiche eines vom Bären Getödeten (ohne vorherige Ver- brennung) in einem besonderen Leichenhäauschen mit den üblichen Spenden an Nahrungsmitteln, die in diesem Falle besondere Heilkraft gegen allerlei Krankheiten erlangen, p. 770. 58. (Gilj.). Die Grabzeichen von Ertrunkenen — ein Leichenhäuschen nebst Boot. Uebliche Bezeichnung der Grabstätten von Menschen und Thieren durch Aufhängen von Gefässen am Gebüsch, p. 771. 59. (Gilj.). Die Leichenverbrennung nicht durchweg Sitte, p. 771. 60. (Gilj.). Beschreibung einer Leichenbrandstätte, p. 771. 61. (Gilj.). Errichtung eines Wagn über der Asche eines Ermordeten. Fertigstellung eines Wagn. Falle, in denen kein Wagn gesetzt wird. Bei dem Wagn mit einem Vogelkopf—angebliche Nachbildung des heilig gehaltenen ugn (Colymbus arcticus). Das Fehlen von Grabspenden beim Wagn, weil die gen Himmel fliegende Seele eines Ermordeten keine Bedürfnisse hat, wie eine in’s Jenseits wandernde Seele, p. 771. 62. 63. (Gilj.). Analoge Bestattungsweise auf Sachalin wie bei den Continental-Giljaken, p- 772. 64. (Gllj.). Verbreitungsgrenzen der Leichenyerbrennung auf Sachalin, gegenüber der von den tungusischen Nachbarn überkommenen Sitte der Beisetzung von Todten in Särgen in beson- deren Leichenhäuschen, p. 772. > 65. Oltscha. Zierlich gearbeitete und bemalte Leichenhäuschen, p. 773. 66. (Olt.). Ausführliche Beschreibung der Grabstätte eines Ertrunkenen, p. 773. 67. (Olt.). Ergänzungen zu 66. Hinweise auf die Vorstellungen von der Seelenwanderung. Spuren einer Gedächtnissfeier. Die Grösse der Leichenhäuschen davon abhängig, ob sie eine Leiche zu bergen haben, während im anderen Fall, wenn die Leiche nicht gefunden wird, ein ähnliches kleineres Häuschen nur zum Gedächtniss errichtet wisd, p. 773, 774. 68. Orotschen. Analoge Grabstätten wie bei Oltscha, p, 775. 69. (Orotsch.). Beschaffenheit der Särge, p. 775. 70. Orotschen und Oltscha. Beschreibung einer Orotschen-Grabstätte mit freier Aufstellung des Sarges in gewisser Höhe über der Erde (ohne Leichenhäuschen). Eine solche Bestattungs- weise auch in Fällen gewaltsamen Todes üblich, abweichend von der Sitte der Oltscha, welche sie nur in letzteren Fällen anwenden, sonst aber Leichenhäuschen errichten, p. 775. Beisetzung der durch Bären Verunglückten, bei beiden Völkern, in frei auf den Erdboden gestellten Särgen, p. 775. n Das Bestimmende für die Richtung des Kopfes bei der Beisetzung der Leichen — bei den Küstenbewohnern das Meer, bei den Bewohnern des Amur der Strom. Abweichungen hievon, Bei den Giljaken der Strom das Maassgebende für die Stellung des Rafl, p. 776. Seite. VERZEICHNISS DER TAFELN. (Diejenigen Gegenstände, bei denen ein Hinweis auf den Text fehlt, sind von dem Verfasser nicht ausdrücklich erwähnt oder besprochen worden). Tafel ALVH. Bärenfest*) der Amur-Giljaken, Aufstellung der Bären im Hause und Umzug mit denselben von Haus zu Haus (p. 702). Tafel ALVID. Bärenfest der Giljaken. Umzug mit den Bären zum Amur-Flusse und um das Schöpf- loch im Eise, begleitet vom Getrommel der Weiber auf einen freihängenden Balken (p. 711). Tafel XLIX. Bärenfest der Giljaken. Aufstellung der Bärenköpfe nebst -Bälgen im Hause und Fest- mahl (p. 714 u. ff.) Tafel L. Beim Bärenfest der Giljaken gebräuchliches Geräth: 1, 2—Schalen für Bärenfleischbrühe. 3 — Schale für Bärenfleisch und -Speck (p. 717). #— Wohl gleich 1 u. 2. 5 — gleich 3 (p- 721). 6 — Hakenholz zum Abheben des Kessels vom Feuer. *) Die Reihe der auf das Bärenfest bezüglichen Zeich- nungen beginnt mit Tafel XI (p. 700), auch gehört dazu Taf LXIM. Fig. 3. und der Holzschnitt auf p. 326 d. W. I Xu Tafel LI. Beim Bärenfest der Giljaken gebräuchliches Geräth: 1 — Schale zum Einsammeln von Bärenfleisch und -Speck (p. 721). 2—Langer Löffel zum Füttern der Bären (p. 698). 3— Messer zum Schneiden von Bärenfleisch und -Speck (p. 717). 4 — Keule zum Tödten von Stören und Hausen (p. 730 Anm. 1). 5 — Spitzaxt zum Spalten des Bärenschädels (p. 730). 6 — Löflel (p- 717). Tafel LH. Beim Bärenfest der Giljaken gebräuchliche Löflel (p. 717). Tafel LIN. Götzen*) in menschlicher Gestalt: 1 —-.der Giljaken. Hausgötze (Anhang 2). 2 — desgl. (Anh. 4). 3 — Behausung der Götzen (Anh. 4). 4 — Einarmiger Götze (Anh. 4). 5 — Halsgötze (Anh. 2). 6, 7, 8— der Golde. Hausgötzen in menschlicher Gestalt (Anh. 7). Tafel LIV. Götzen in menschlicher Gestalt: 1 —.der Golde. Halsgötze (Anh. 8). 2 — der Samagirn. desgl. (Anh. 9). 3, 4, 5, 6, 7—der Giljaken. Götzen auf besondere, durch die Figuren angedeutete Zustände oder Krankheiten bezüglich (Anh. 6; ad 6 s. p. 642. — Bartels Fig. 112, 119). Tafel LV. 1, 2, 3, #— Giljakische Götzen in menschlicher Gestalt, auf verschiedene durch die Figuren angedeutete Krankheiten bezüglich (Anh. 6; ad 1 s. p. 643, Bartels Fig. 133, 134). 5 — Giljakisches Amulet (Anh. 21; Bartels Fig. 109, 110). Tafel LWI. Giljakische Götzen, aus Menschen- und Thiergestalten combinirt: 1 — Mensch und Tiger. 2— Mensch, Tiger und Bär (Anh. 20). 3 — Mensch mit einem Bären auf dem Kopf (analog Fig. 4). #4 — Mensch mit einer Eule auf dem Kopf (Anh. 21). 5 — Mensch und Weisswal (Anh. 21). Tafel LVN. Giljakische Götzen, aus Menschen- und Thiergestalten combinirt: 1—Mensch und Tiger (Anh. 21). 2 — Mensch mit gekröntem Tigerkopf (Anh. 20. — Bartels Fig. 82). *) In Bezug auf die medicinale Bedeutung der hier | Die Medicin der Naturvölker, Leipzig 1893, mit Illustra- und auf den folgenden Tafeln abgebildeten Götzen und | tionen, auf welche bei analogen Darsteliungen hier noch Amulete, sowie der Schamanen, vergl.: Dr. Max Bartels, | besonders hingewiesen ist. XIU 3— Mensch mit Bärenkopf (Anh. 21). 4 — Mensch mit Bärenkopf. 5 — Mensch mit Eulen- kopf (Anh. 21). 6 — menschliches Kreuzgelenk mit Bärenkopf und -Fuss (Bartels Fig. 127). 7, 8— Giljakische Amulete mit Menschen- und Bärenköpfen (Anh. 19). 9 — dsgl. Bogen mit menschlichem Kopf (Anh. 2). Tafel LVIM. Giljakische Götzen in Thiergestalt: 1, 2—-Bär; auf dem Gürtel vorn eine Kröte, hinten eine Eidechse und 2 Schlangen (Anh. 10. — Bartels Fig. 113), 3 — Bär, gelenkig, in Fischhaut gekleidet (p. 715, Anh. 6). 4, 5, 6 — Tiger (Anh. 10). Tafel LIX. Götzen in Thiergesalt: 1—.der Golde. Tiger (Anh. 16). 2 — Irbis (Anh. 16. — Bartels Fig. 129). 3 — Irbis (Anh. 15). 4 — der Oltscha. Seehund. 5 — Unbestimmtes Thier, mit einem menschlichen Herzen im Munde, Amulet (Anh. 13). 6—-der Giljaken, Weisswal. 7, 8 — Kröte (Anh. 10, 29). 9 — Chaz (Anh. 20). Tafel IX. Amulete der Giljaken: 1 — eiserner Reif mit Thierfiguren, gegen Kopfschmerz getragen (Anh. 6). 2— eiserner Halbring mit Menschen- und Thier-Figuren, gegen Krankheiten um den Hals getragen (Anh. 6). 3— der Oltscha. Amulet-Gürtel mit menschlichen und Thier- figuren (Anh. 25). 4, 5—Giljakische in Holz geschnitzte Fische (Anh. 11; ad 5 s. p. 645). 6 — Giljakisches Kinderspielzeug einen Hund darstellend (p. 645). Tafel LXI. CGultus-Gegenstände der Giljaken: 1 —-Götzenschale (Anh. 21). 2 — Schamanen- gürtel (Anh. 32). 3—-Altar zum Räuchern beim Schamanen-Act. Den menschlichen Figuren oben entsprechen 2 Kröten an den beiden dem Beschauer zugewandten Füssen des Altars und eine Eidechse an dem dritten Fuss. Die menschliche Figur rechts ist, soweit man an dem be- schädigten Original erkennen kann, sorgfältiger ausgearbeitet gewesen. Auch die Arme sind angedeutet, die auf der Zeichnung fehlen. In Bezug auf die beiden anderen Figuren vergl. Taf. LVI Fig. 7, 8. 4 — Schamanenakt an einer Kranken (Gilj.? Oltsch.? s. Anh. 34). Tafel LAN. Eine giljakische Leiche in der Jurte (Anh. 48, p. 764). xıv Tafel LXM. Giljakisches Leichenbegängniss: Zug zur Verbrennungsstätte des Todten (Anh. 48, p- 765). Tafel LXIV. Giljakisches Leichenbegängniss: Vorbereitungen zur Verbrennung der Leiche (Anh. 48, p. 765, 766). Tafel LXV. Giljakisches Leichenbegängniss: das Anzünden des Scheiterhaufens (Anh. 48, p- 766, 767. — 56, p. 770). Tafel LXVI, 1 — Grabzeichen eines ermordeten Giljaken, Wagn (Anh. 22). 2, 3 — kleiner Holztrog nebst Stampfer aus dem Grabmal eines ertrunkenen Oltscha (Anh. 67). Tafel LÄVN. Grabmal eines ertrunkenen Oltscha (Anh. 66, 67). Tafel LYXI. 1-Giljakisches Grabmal(Raff) nebst darin befindlichen Gegenständen von symbolischer Bedeutung (Anh. 43, 50, 51, 53, 54, 55,56, p. 770). 2—-mit Zeug umwickeltes Brett, in der Mitte ein Stück von dem Schädel und Haar der verbrannten Leiche enthaltend (Anh. 53). 3 — Stöckchen mit 2 Zinken und einem Vogelkopf an der Spitze, eine Taube oder einen Kukkuk darstellend, je nachdem das Zeichen einem Manne oder einer Frau gilt. 4 — Wander- stab für die Seele des Verstorbenen, mit aufgestellter kleiner Schale (Anh. 53). 5 — Stäbchen mit Adlerfedern, um die wandernde Seele zu beflügeln. Tafel LXIX. Ein aussergewöhnlich reiches giljakisches Grabmal (Anh. 56). Tafel LXX. 1 — Oltscha-(Golde-?)Grabmal (Anh. 65). 2—-Inneres desselben mit den darin auf- gestellten Särgen (Anh. 68, 69). DD nn mw XV Im Text enthaltene Holzschnitte. . Giljakischer Zauberpfeil zur Beschwörung des Sturmes..... 2222222 eceeeeen. 671 . Giljakische Maultrommeln oder Brummeisen a) aus Messingblech, b) aus Holz, c) aus Eisen 683 Auf das Bärenfest der Giljaken bezüglich: Blasltunesstafterder Batemin s e ee eeeen n eelen a een nenn 712 . Aufstellung der Bärenköpfe nebst Bälgen daselbst ............er20ereeeeennn 713 . Kröte, aus Birkenrinde geschnitten ............. ee SR 716 . Bärenkopfbinden mit einer Krötenfigur und Achatkugeln: a) mit einer Kugel mitten auf der Stirn, b) mit einer zweiten über dem rechten Scheitelbein, ce) mit 2 Kugeln mbereinanderlaußers Stunt re ae aletn ereaeraletn een anne efele Blerarale oe 720 Im Text enthaltene Gesangsnoten. Begakensenligalsischen+Melodieeny.. „u... Shen seen seen ee nn 681 Behrkirit au V Y 4 | hal I A ku ‚e Milde hl a j 2a a0 Lohrt Ve ee Abe ka AR L ır KA vl j 1; Pr.» T 5 mu! wr j ı . N NEN 77 a wa ul 17%, Da) def: GR u) NE - u wre Bis ‚ont ie ag wu valı Der va I a ET." WE { re ee «ER ‘ real ak res fx ei dir! " ach rd . ui 3 BErT, ae ha Aazis %- ik 4 EAN u. zr II. ETHNOGRAPHISCHER THEIL. Zweite Hälfte: Grundzüge des Familien-, socialen und inneren Lebens, 11. Abschnitt. Familienverhältnisse: Ehe. Weiberkauf und Weiberraub. Sittlichkeit. Häusliche Arbeiten und Beschäfti- gungen von Mann und Weib. Kinder-Geburt, -Ernährung, -Behandiung und -Erziehung. Stellung der Sklaven und Sklavinnen im Hause. Familienerbrecht. Blutrache. War ich schon bei Besprechung der Grundbedingungen und Bestandtheile des äusseren Le- bens der Amur-Völker genöthigt, mich in mehr oder weniger eingehender Weise nur bei den Völkern des unteren Amur-Landes aufzuhalten, bezüglich derjenigen des oberen Stromlaufes aber nur in allgemein gehaltenen Zügen auf die, jenen gegenüber, besonders typischen und cha- rakteristischen Differenzen hinzuweisen, so ist dies bei den nachstehenden, mehr und mehr dem inneren Leben sich zuwendenden Betrachtungen in noch höherem Grade der Fall. Ja, hier muss ich mich sogar fast ganz und gar auf die Giljaken und die von giljakischem Wesen durchdrunge- nen, bis auf die Sprache und manche zum Theil vielleicht in Stammeseigenthünlichkeiten wur- zelnde Anschauungen und Gebräuche fast ganz giljakisirten Oltscha beschränken und selbst die ihnen zunächst benachbarten Völker des unteren Amur-Landes nur vergleichsweise streifen. Denn nur mit jenen habe ich einigermassen lange genug verkehrt, um in Beziehung auf die hier zur Sprache kommenden Fragen einige, wenn auch immer nur oberflächliche Einblicke gewinnen zu können, Die bis dahin möglichst vergleichend gehaltene Betrachtung der Amur- Völker wird daher in diesem ihrem letzten Theile einen mehr monographischen Charakter an- nehmen und sich fast ausschliesslich auf dasjenige Volk concentriren, das auch bei allen unseren früheren Auseinandersetzungen den Mittel- und Ausgangspunkt bildete. Die Giljaken sind durch Sitte und Religion an keine bestimmte Form der Ehe gebunden. Thatsächlich jedoch leben bei Weitem die meisten von ihnen in Monogamie. Ja, diese herrscht Schrenck’s Amur-Reise, Band III. s0 632 Die Völker des Amur-Landes. unter ihnen so sehr vor, dass man sie als allgemeine Regel, die Polygamie hingegen nur als unter gewissen Bedingungen vorkommende, im Ganzen seltene Ausnahme bezeichen darf. Na- mentlich soll die letztere, nach Angabe der Giljaken, auf Sachalin, am Liman und an der Küste des Ochotskischen Meeres so gut wie gar nicht zu finden sein, während sie unter den Amur-Giljaken häufiger vorkommt. Eine Erklärung dafür wird sich aus dem in der Folge Mitzutheilenden ergeben. Meist beschränkt sich bei polygamischer Ehe die Zahl der Weiber auf zwei. Solcher Ehen habe ich unter den Amur-Giljaken selbst mehrere kennen gelernt‘). Ehen mit drei bis fünf Weibern sind sehr selten, und solche mit noch mehr als fünf Weibern soll es nach Angabe der Giljaken unter ihnen gar nicht geben. Ausser der freiwilligen giebt es aber bei den Giljaken auch eine durch das Erbrecht oder richtiger durch Erbverpflichtung verur- sachte Polygamie, von der später die Rede sein wird. Das Hauptmotiv, das die Giljaken zur Monogamie treibt, ist die auch bei ihnen, gleich- wie bei den meisten Naturvölkern und namentlich bei allen indigenen Völkern Sibiriens, herr- schende Sitte, ihre Eheweiber zu kaufen?). «Umgu genytsch», ein Weib kaufen, ist der giljaki- sche Ausdruck für «heirathen». Will ein Giljake in friedlicher, rechtmässiger Weise heirathen, so muss er dem Vater oder, wenn dieser nicht mehr am Leben, den Brüdern des von ihm zur Ehe begehrten Mädchens eine bestimmte, durch beiderseitige Uebereinkunft festgestellte Zah- lung leisten. Diese besteht je nach Umständen sowohl aus verschiedenen zum Leben und Haus- halt nöthigen Gegenständen, wie Kleidungsstofle, Kochkessel, Bote, Schlitten, Hunde ete., als auch aus manchen Luxusgegenständen von imaginärem Werth, wie sauber gearbeitete, mit ein- gelegten Silberplättchen versehene Speere, alte mandshurische Eisenpanzer und dergl. m. Um einen Begriff von der Höhe des Brautpreises bei den Giljaken zu geben, füge ich hier die Zahlungen bei, die ein paar mir nahe bekannte Giljaken für ihre respectiven Weiber zu leisten hatten. So hatte der Giljake Ssogin in Kuik (Mäo) für sein zweites Weib, Malguk aus Langr, folgenden Preis zu zahlen: 6 grosse Speere mit eingelegtem Silber, zu je 10 Ja das Stück?), zusammen 60 Ja 2 grosse chinesische Herdkessel DEE) » S» 3 japanische Kessel (Kughr-wun,) DE En » 27» 4 grosse Bote »»10» » » » 40 » 20 Hunde Den I Dep) » 20 » Summa 155 Ja=etwa 310Rub. 14) So hatte z.B. der Giljake Ssogin in Kuik (Mäo) zwei Frauen: Keüguk und Malguk; desgleichen der Gil- jake Tschjegun zwei: Chumsisk und Tyisuk.u.s. w. 2) So bei den Tungusen, Ostjaken, Samojeden, Tataren, Tscheremissen, Tschuwaschen, Wot- jaken u.a. (s. Anmerk. 1 auf der folgenden Seite). Auch bei den Chinesen herrscht derselbe Brauch (Grosier, Deser. gener. de la Chine ‚Paris 1787, T. II, p. 261. Ba- zin, Chine moderne, 2° Part., Paris 1843, p. 482). Ja auch bei den allen Deutschen war die Ehe ursprünglich ein Kauf, sowie in Island, Norwegen und bei den Angelsachsen (Peschel, Völkerkunde, Leipzig 1874, p. 237). 3) Die im Folgenden angeführten Preise können zu- gleich als theilweise Bestätigung und Ergänzung der oben (p- 595 — 598) unabhängig von denselben zusammenge- stellten Preistabelle der Giljaken dienen. Giljaken. Weiberkauf. Brautpreise. Monogamie vorherrschend. 633 Mein Führer Chossiambo, der zwar selbst ein Oltscha war, aber eine Giljakin, eine Tochter des mehrfach erwähnten Judin in Tebach, geheirathet hatte, musste nach seinem und seiner Frau Zeugniss für dieselbe folgenden Preis zahlen: 5 Stück chinesischer Seide zu je 4 Ja, zusammen 20 Ja 1 grossen chinesischen Herdkessel ........93» 1 japanischen Kessel mit drei Henken ...... 30 » 1 mandshurischen Eisenpanzer .... 2.2... 930» AnssusserBaren.. Mn ee 0 5 besonders gute Hunde (kyla-kan), zu je4 Ja . 20 » Summa 133 Ja= etwa 266 Rub. Der Brautpreis ist also bei den Giljaken recht hoch, was auf einen verhältnissmässigen Wohlstand des Volkes deutet!). Dabei erheischt es der Brauch, dass er mit einem Mal und nicht ratenweise bezahlt werde, Bei dem schon in meinen früheren Schilderungen hervorgeho- benen umsichtig sparsamen, auf stetige Mehrung der Güter bedachten Wesen dieses Volkes wird daher selbst ein bemittelter Mann nicht so leicht daran gehen, zu dem einen Weibe sich noch ein zweites oder gar drittes zu kaufen. Nur ein besonders reges Verlangen, seinen Reich- thum von seinen Landsleuten auch anerkannt zu sehen und dadurch zu besonderem Ansehen unter ihnen zu gelangen, vermag ihn dazu zu bewegen. Daher ist die Polygamie auch häufiger unter den im Allgemeinen reicheren und dichter zusammen wohnenden Amur -Giljaken als bei ihren Landsleuten am Liman, auf Sachalin und an der Küste des Ochotskischen Meeres. Aus dem Vorstehenden ist zum Theil schon zu ersehen, dass die Sitte des Weiberkaufes im Ganzen von wohlthätigem Einfluss auf ein Naturvolk ist. Mag sie auch eine für unser Ge- fühl verletzende Nichtachtung der menschlichen Würde und der persönlichen Rechte des Wei- 4) Des Vergleichs halber führe ich hier den Brautpreis einiger sibirischen Völker in älterer und neuerer Zeit an. Bei den Tungusen an der Werchnaja Tunguska be- trug er zu Adam Brand’s Zeiten (Neuverm. Beschr. seiner grossen Chinesisch. Reise, welche er anno 1692 etc. Lü- beck 1734, p. 99) 10—15 Rennthiere. Ein reiches Ostja- ken-Mädchen am Obj wurde zu Pallas’ Zeiten nicht leicht unter 100 Rennthieren und einer Menge allerlei Pelzwerks verheirathet (Sujef, in Pallas, Reise durch versch. Proyv. des Russ. Reichs, St. Petersb. Bd. III, 1776, p- 52). Bei den Ostjaken am Irtysch beträgt der gangbare Preis einer gewöhnlichen Ehefrau nach Castren (Reiseber. und Briefe aus d. J. 1845 — 1849, St. Petersb. 1856, p. 56) 200—300 Rub. an Geld, ein Pferd, eine Kuh und einen Ochsen, 7 — 10 verschiedene Kleidungsstücke, ein Pud Mehl, einen Eimer Branntwein und etwas Hopfen zum An- richten der Hochzeitsfeier. Die hohen Brautpreise, die Middendorff (Reise in d. Nord. und Ost. Sibirien’s, Bd. IV, p- 1459) für die Assja-Samojedinnen anführt, werden zum Theil durch die Mitgift verringert, welche die Braut mitbringt, so dass es unter Umständen fast nur auf einen Tausch herauskommt, was bei den Giljaken nie der Fall ist. Sehr gering war dagegen der Brautpreis bei den Wot- Jaken, Tscheremissen und Tschuwaschen: bei den ersteren, die am ärmsten waren, betrug er nur 5—15 Rub,., bei den beiden letzteren 10—30 Rub., und bei den Kun- gurschen Tscheremissen, die am reichsten waren, 100 Rub. und mehr (Müller, Samnıl. Russ. Gesch. Bd. II, p- 369). 80* 634 Die Völker des Amur-Landes. bes in sich schliessen, indem sie es dem Manne gegenüber schlechtweg als Waare hinstellt, so übt sie dagegen doch einen gewissen moralischen Zwang auf die Männer aus. Denn vor Allem nöthigt sie diese, durch Thätigkeit und Arbeit die Mittel zu erwerben, um ein Weib kaufen und einen eigenen Hausstand gründen zu können, und setzt damit auch allzufrühen Ehe- schliessungen einen wirksamen Damm entgegen. Ferner thut sie, wie wir schon sahen, durch die materiellen Hindernisse, die sie der Vielweiberei in den Weg legt, der Monogamie Vor- schub. Und endlich bietet sie dem Weibe sowohl eine Garantie guter Behandlung seitens der Eltern, indem ein wohlgenährtes und gut gehaltenes Mädchen leichter und theurer verheirathet werden kann, als besonders auch einen gewissen Schutz gegen rohe Misshandlungen seitens des Mannes, denn das mühsam und theuer Erkaufte pflegt, zumal beim Naturmenschen, in der Regel auch höher geschätzt und besser gehütet zu werden als das nur mühelos und billig Erlangte oder gar Geschenkte. So bildet der Brautpreis bei den Naturvölkern gewissermaassen ein Correctiv für die ihnen noch abgehende geistige Schätzung und Hochachtung des Weibes, und je höher er ist, desto grössere Wirkung lässt sich von ihm erwarten und ein desto besse- res Prognostikon stellt er den ehelichen und Familienverhältnissen des betreffenden Volkes aus. Dass und in wie weit dies bei den Giljaken zutrifft, werden wir, ausser dem schon erwähn- ten Vorherrschen der Monogamie bei ihnen, in den nachstehenden Betrachtungen noch mehr- fach kennen zu lernen Gelegenheit haben. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass je höher der Brautpreis, desto grösser für unbe- mittelte, aber unternehmende junge Männer auch die Versuchung ist, sich der Zahlung dessel- ben zu entziehen und durch List oder Gewalt in den Besitz eines Weibes zu setzen. In der That kommt Weiberraub bei den Giljaken keineswegs selten vor. Ihren eigenen Angaben zufolge findet er fast immer nach vorausgegangener Uebereinkunft zwischen beiden Theilen, dem Ent- führer und der zu Entführenden, statt. Um ihn auszuführen, stellt sich der Mann wie von un- gefähr im Hause der Eltern des begehrten Mädchens ein, macht dort unbefangen vom üblichen Gastrecht Gebrauch und nimmt dabei einen gelegenen Zeitpunkt wahr, da die Wirthe sehr be- schäftigt sind oder sich entfernt haben, um mit dem Mädchen auf dem bereit gehaltenen Schlit- ten oder Boot zu entfliehen. Ebenso macht er es, um eine ihrem Manne untreu werdende Frau zu entführen. Sobald der geschädigte Vater oder Ehemann den Raub bemerkt, setzt er mit eini- gen Verwandten oder Dorfgenossen den Flüchtlingen nach. Gelingt es, sie einzuholen, so kann die Geraubte wieder zurück gebracht werden, jedoch nicht ohne blutigen Kampf mit dem Räu- ber und seinen Helfern, falls er für welche gesorgt, da beiderseits mit Messern und Spiessen vorgegangen wird. Meist weiss jedoch der Räuber es so schlau einzurichten, dass er mit seiner dienstfertigen Beute entkommt. Dann bleibt die Fehde bestehen und kann sich Jahre lang hin- ziehen, da in Folge der, wie später besprochen werden soll, bei den Giljaken üblichen Blut- rache sowohl die durch den Raub direkt Geschädigten, als auch die gelegentlich im Kampf Ver- wundeten auf Rache bedacht bleiben und nach einer Gelegenheit zu ihrer Ausübung suchen. Ganze Dörfer können dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, so dass die Bewohner dersel- ben, um der Gefahr eines unerwarteten Angrifls zu entgehen, einander sorgfältig meiden und Giljaken. Weiberraub. | 635 der Verkehr zwischen den Dörfern ganz aufhört!). Angesichts solcher Verwickelungen und Gefahren begehen die Giljaken selten einen Weiberraub in einem benachbarten Dorfe, sondern suchen sich dazu in der Regel einen entfernteren Schauplatz aus. Am häufigsten geschieht es namentlich, dass Giljaken vom Öchotskischen Meer und von der Liman-Küste Sachalin’s ihren Landsleuten am Amur Töchter oder Frauen entführen, sei es weil sie bei ihren entlege- nen Wohnsitzen die Rache derselben weniger zu fürchten brauchen, oder weil sie in Folge ihres geringeren Wohlstandes den hohen Brautpreis der Amur-Giljaken nicht zahlen mögen oder können. Und ganz besonders übelberüchtigt und gefürchtet ihrer räuberischen Gesinnung wegen sind bei den letzteren die Tammla-wo-Giljaken. So übel jedoch der Weiberraub vielen Giljaken mitspielt und so blutige Folgen er bei ihrem leidenschaftlichen und jähzornigen Temperament in der Regel nach sich zieht, so tritt uns in den ihn veranlassenden Motiven doch auch eine lichtere und edlere Seite entgegen. Da er nämlich, wie schon gesagt, fast immer unter Zustimmung des weiblichen Theiles stattfindet, so dürften dabei nicht selten auch andere Beweggründe als rohe männliche Raubsucht, namentlich eine Auflehnung des weiblichen Stolzes gegen die Behandlung des Weibes als blosses Kauf- object, ja mitunter sogar tiefere, allen Hindernissen und Gefahren Trotz bietende Herzens- neigungen in entscheidender Weise mitwirken. Daher wohnt dem Weiberraube auch ein romantisch-poetisches Moment inne, welches der Eheschliessung durch Kauf abgeht, und gewiss ist es kein blosser Zufall, dass unter den wenigen giljakischen Liedern, die ich erhielt und die mir leider bis auf einzelne Worte unverständlich sind, zwei solche sich befinden, die an- geblich von giljakischen Männern (Orkin und Largun) ihren durch Raub erlangten Frauen (Rschywguk und Nymguk) gesungen worden sind. Noch ein auf den Weiberraub bezüglicher Punkt muss hier berührt werden. Dr. Awgus- tinowitsch, der als Arzt ein Jahr (1871/72) im giljakischen Theile Sachalin’s zugebracht hat, giebt an, dass die Giljaken, um zu heirathen, durchaus verpflichtet seien, das erwählte Mädchen zu stehlen, was fast immer mit ihrer und der Eltern Einwilligung geschehe: die Entführung der Braut bilde bei ihnen das ganze Ceremonial der Eheschliessung; später bringe der Mann seinen Schwiegereltern ein Geschenk dar, das meist aus einer zum Fischfange oder zur Jagd dienlichen Waffe bestehe?). Sofern sich diese Angabe auf wirklichen obligatorischen Weiber- raub beziehen sollte, bedarf sie nach dem oben Gesagten keiner nochmaligen, besonderen Wider- legung. Dass aber die Giljaken bei ihren Eheschliessungen stets einen scheinbaren Braut- oder Mädchenraub ausführen müssen, der sich als Ueberrest eines ehemals bei ihnen bestandenen obligatorischen Weiberraubes betrachten liesse, muss ich nach Allem, was ich von ihnen da- rüber gehört, ebenfalls in Abrede stellen. Der Weiberraub ist bei ihnen nie und nimmer eine 1) In solcher Fehde mit einander lagen z. B.zu meiner | ersteren zu hülen halten. Zeit die Dörfer Tammla-wo und Talwantigr-wo, an 2) ©. Asryerunosuys, AAusun Pyceruxp nn uuopoAueRb der Liman-Küste Sachalin’s, so dass die Bewohner des,| na ocrp. Caxaauns, C.-Ierep6. 1874, crp, 38. letzteren, als des viel kleineren, sich sehr vor denen des 636 Die Völker des Amur-Landes. Spielerei, sondern, wie schon erwähnt, als eine Schädigung des Eigenthums, stets eine Sache von blutigem Ernst. Kehren wir jedoch zur rechtmässigen Eheschliessung bei den Giljaken zurück. Bluts- verwandtschaft giebt nur in sehr beschränktem Maasse ein Ehehinderniss ab, indem nur Ge- schwister und Brüderkinder einander nicht heirathen dürfen. Diese werden auch in der Sprache nicht unterschieden von einander, indem «ykyn» und «atschek» sowohl älterer und jüngerer Bruder, als auch älterer und jüngerer Vetter väterlicherseits und «ansh» ebenso Schwester, wie Cousine väterlicherseits bedeutet, und dem entsprechend auch der Bruder und die Schwester des Vaters mit demselben Wort wie Vater und Mutter, nämlich «ytyk» und «ymyk» bezeichnet werden. Darüber hinaus aber bildet die Zugehörigkeit beider Theile zum selben väterlichen Geschlecht, die in anderen Beziehungen, wie wir später sehen werden, auch von den Giljaken beachtet wird, bei ihnen kein Hinderniss für die Ehe, wie bei manchen sibirischen Völkern '), und andererseits bei den Chinesen?) und durch deren Vermittelung in wesentlich entstellter Art auch bei den Golde°). Auch die Verschiedenheit der Nationalität ist bei den Eheschliessungen der Giljaken lange nicht so maassgebend, wie man nach der Grundverschiedenheit ihrer Sprache von derjenigen aller ihrer Nachbarn erwarten sollte. Auf dem Continent finden namentlich häufige Eheverbindungen zwischen den Giljaken und ihren nächsten Nachbarn am Amur, den Oltscha, statt, und vornehmlich diesem Umstande ist wohl auch die schon mehrfach hervor- gehobene Ausgleichung der Sitten und Gebräuche beider Völker oder, mit anderen Worten, die Giljakisirung der Oltscha zuzuschreiben. In geringerem Grade findet dasselbe auch den Negda gegenüber statt. Zuweilen bringt sich ein Amur-Giljake von seinen Handelsreisen zu den Japanern auch eine Ehefrau aus dem Aino-Volk heim‘). Dass hingegen umgekehrt eine Amur-Giljakin einen Aino heirathete, dürfte kaum vorkommen, weil diese ihre Insel nicht zu verlassen pflegen und, wenn dies ausnahmsweise geschehen sollte, auch den hohen Brautpreis der Giljaken zu zahlen nicht im Stande sein dürften. Wo aber, wie auf Sachalin, beide Völker unmittelbar neben einander wohnen und auch der Brautpreis geringer ist, da finden, wie schon Mamia Rinsö berichtete?), häufige Ehen zwischen ihnen statt und ist auch die Assimilirung zwischen beiden Stämmen ganz ansehnlich. Sobald der Brautpreis bezahlt worden ist, gilt die Ehe für geschlossen und kann der Mann seine Frau in Empfang nehmen und heimführen. Dies geschieht auch oft ohne Weiteres. Bemitteltere Leute pflegen jedoch zur Feier der Hochzeit ihrer Tochter oder Schwester ein Festmahl auszurichten, an welchem ausser den Angehörigen auch Dorfgenossen und Freunde 1) So z.B. bei den Ostjaken, Samojeden, Lappen | (.-Herepö. 1840, erp. 198. (Tyler, Forsch. über die Urgesch. der Mensch. und die 3) Darüber wird in der Folge nähere Aufklärung ge- Entwick. der Civilis., aus dem Engl. v.H. Müller, p. 359). | geben werden. 2) Du Halde, Descer. de ’Emp. de la Chine et de la 4) So war, wie schon oben (p. 224) angegeben, die Mul- Tart. Chinoise, Paris 1735, T. III, p. 133. Pauthier, Chine | ter des reichen Giljaken Judin in Tebach ein Aino- mod. ou deser. de ce vaste Emp. d’apr&es des docum. chi- ‚Weib. nois, I. parl., p, 25, 275; 2. parl. p. 238. lJarıuo%, Kurai, 5) Siebold, Nippon, VII, p. 195. Giljaken. Ehen unter Blutsverwandten. Sittenstrenge. 637 theilnehmen. Desgleichen wird dem abziehenden Ehepaar ein Vorrath an verschiedenen Lebens- mitteln, Fisch, Mossj, Beeren, Hirse und drgl. mitgegeben, damit die junge Frau, im Domicil ihres Mannes angelangt, auch dort den Angehörigen, sowie den Haus- und Dorfgenossen ein Festmahl anrichten könne. In der Regel zieht das junge Ehepaar nach dem Ort, wo der Mann zu Hause ist, d. h. wo seine Eltern oder Brüder leben, und lässt sich je nach Umständen auch bei den einen oder anderen nieder, da die Wohnungen der Giljaken, wie oben geschildert worden, der Art sind, dass sie mehreren Familien Raum bieten. Doch wird das Haus keineswegs immer nur von Verwandten bewohnt, sondern oft auch von manchen anderen Angehörigen des Orts, die etwa an seinem Bau betheiligt gewesen sind, oder in irgend welchen sonstigen Beziehungen zu seinem Besitzer stehen. Die Hausgenossen bleiben zusammen bis durch Anwuchs der Familien der Raum zu eng wird und die Mittel einem Theil derselben gestatten, sich ein anderes Haus, sei es am selben Ort, sei es wo anders zu errichten. Ausser dem allen Hausgenossen gemein- samen Mittelraum, mit dem Herde in der Erdjurte oder dem Hundetisch in dem nach chinesischem Muster gebauten Winterhause, hat jede Familie ihren besonderen Antheil an den ringsum laufenden Schlafbänken und auch jeder Einzelnstehende seinen bestimmten Platz auf denselben. Doch sind diese Einzeltheile niemals in irgend welcher Weise durch Schirme, Vorhänge oder dergleichen von einander abgegrenzt, und das ganze Innere des Hauses macht stets den Ein- druck eines von Allen gemeinsam bewohnten Raumes. So wenig ein solches Zusammenwohnen aller Hausgenossen in einem Raume der Sittlichkeit im Allgemeinen förderlich sein kann, so muss ich den Giljaken in Beziehung auf letztere doch ein gutes Zeugniss geben. Ja, ich stehe nicht an, sie ihren Nachbarn, den Golde, Orotschen, Aino und noch mehr den übrigen paläasiatischen Völkern gegenüber als ein sittenstrenges Volk zu bezeichnen. Gewiss hängt die grössere Sittenstrenge der Giljaken mit Charaktereigenschaften zusammen, die sie vor jenen Völkern voraus haben, namentlich ihrer grösseren Energie, Selbst- beherrschung und Mässigung, welche sie, wie oben erwähnt!), auch beim Branntweingenuss an den Tag legen. Andererseits aber standen die Giljaken im Vergleich mit den anderen Amur-Völkern in sittlicher Beziehung insofern auch stets unter günstigeren Verhältnissen, als ihre Wohnsitze am entferntesten von den beiden ostasiatischen Culturvölkern, den Japanern und Chinesen liegen und diese auch keine Niederlassungen im giljakischen Gebiet haben. Wie demoralisirend diese auf die Eingeborenen wirken, kann man daraus ersehen, dass die Japaner und Chinesen stets ohne ihre Weiber, jene nach Sachalin und diese in das Ussuri- und untere Amur-Land kommen und, mit Branntwein und anderen verführerischen Waaren versehen, unter den Frauen und Töchtern der Aino resp. der Orotschen, Golde und Oltscha sich Coneubinen anzuwerben pflegen. Es ist daher nicht bloss in Betreff des Handels, sondern auch in sittlicher Beziehung von wohlthätigen Folgen für die Giljaken gewesen, dass sie den chinesischen Händlern den Eintritt in ihr Land verweigerten, wie es auch ein Zeugniss von ihrer weit- 1) S. oben, p. 465. 638 Die Völker des Amur-Landes. sichtigen Klugheit und Energie war '). Mit der Besitznahme des Amur-Landes durch die Russen in den 50-er Jahren änderten sich die Verhältnisse sehr zu Ungunsten der Giljaken, indem diese Besitznahme gerade mit ihrem Gebiet begann und sie zuerst und zumeist in die nächste Berührung mit dem neuen, von Norden an sie herangetretenen Culturvolke gezogen wurden, eine Berührung, die, wie es einem Naturvolk in dergleichen Fällen stets zu ergehen pflegt, in sittlicher Beziehung für sie nur von nachtheiligem Einfluss sein konnte, wie es die späteren Nach- richten von dort auch genugsam bezeugen. Doch ich kehre zu den Verhältnissen und Zuständen zurück, deren ich selbst Zeuge war. Die Sittenstrenge der Giljaken tritt auch in dem durchweg decenten Betragen der beiden Geschlechter gegen einander, so wie in der Schamhaftigkeit ihrer Weiber und Mädchen zu Tage. Niemals treten einem im Zusammenleben mit ihnen in ihren Häusern unanständige Körper- entblössungen, wie sie unter den Aino häufig vorkommen °), oder sonstige anstössige Scenen entgegen. Vergehen gegen die Keuschheit, namentlich unter unverheiratheten Leuten, sind natürlich nicht ausgeschlossen, werden aber von den Eltern des Mädchens, das zu Fall gebracht worden ist und einem Kinde das Leben gegeben hat, auf’s strengste gerügt. Nach Angabe der Giljaken pflegt die Mutter des Mädchens ihre Tochter in einem solchen Falle körperlich zu züchtigen, während der Vater das Aergerniss dadurch zu beseitigen sucht, dass er das neuge- borne Kind tödtet und heimlicherweise bei Seite schaflt. Letzteres geschieht namentlich stets, wenn das Kind ein Mädchen ist, ein Knabe hingegen findet noch unter Umständen Erbarmen, und die Chancen des Mädchens, darnach noch an den Mann zu kommen, leiden in diesem Falle auch nur in geringerem Grade. Obgleich und, wie schon aus dem Vorhingesagten ersichtlich, zum Theil auch weil käuflich geschlossen, nehmen die Ehen der Giljaken meist einen glücklieben oder doch befriedigenden Verlauf. Die eheliche Treue wird streng gehalten. Der Mann wacht eifersüchtig über die Treue seiner Frau, zumal so lange sie jung ist, und diese hütet sich wohl, ihrem Manne Veranlassung zu Argwohn und Verdacht zu geben und seinen Zorn zu wecken. Von sehr heilsamem, die Leidenschaften auf beiden Seiten zügelndem und hemmendem Einfluss ist auch der Umstand, dass der Mann, wenn er seine Frau aus irgend welchen Gründen verstösst und ihren Eltern zurückgiebt, damit keineswegs ein Recht auf Zurückerstattung der für sie gezahlten Gegen- stände erlangt, und dass er hingegen eine solche Zurückerstattung wohl beanspruchen darf, wenn die Frau ihn aus eigenem Antriebe verlässt. Diese darf somit in einem solchen Falle keineswegs auf eine freundliche Aufnahme bei ihren Eltern rechnen. Schon aus materiellen Gründen, die bei den Giljaken stets in hohem Grade maassgebend sind, hütet sich daher jeder der beiden Theile die Initiative zur Lösung der Ehe zu ergreifen. Aehnliche utilitarische Gesichtspunkte liegen zum grossen Theil auch dem friedlichen Zu- sammenleben von Mann und Weib und der guten Behandlung, welche dieses von jenem erfährt, 1) S. oben, p. 71 und 605. | C.-Uerep6. 1372, erp. 55, 56, 70. 2) H. Bycce, Ocrp. Caxarung u IxcneA. 1853—54 rr. | Giljaken. Stellung und Wirkungskreis der Frauen. 639 zu Grunde. Der Giljake ist zu praktisch angelegt und zu sehr auf Erhaltung und Mehrung seines Hab und Guts bedacht, um nicht den grossen Nutzen, den ihm die Frau dabei leistet, zu erkennen, und ihre durch emsigen Fleiss, Geschick, Geduld und Erfahrung bedingte kolos- sale Arbeitsleistung zu schätzen. Fällt ihr doch bei der Theilung der Arbeit zwischen Mann und Frau für das gemeinsame Hauswesen bei Weitem der grösste Theil zu. Der Mann hat im All- gemeinen nur für die Beschaffung der wichtigsten Existenzmittel zu sorgen. Die Jagd, der Stör- und Hausenfang, der Seehunds- und Delphinen-Schlag, sowie der Handel, und namentlich die dazu erforderlichen vielfachen Fahrten und Reisen bilden das Feld seiner ausschliesslichen Thätigkeit. Zwar giebt er sich auch mit dem übrigen Fischfang ab, und zur Zeit des Massen- zuges der verschiedenen Lachsarten geschieht dies sogar in einer sehr energischen Weise, allein hiebei kommen ihm schon die Weiber sehr wesentlich zu Hülfe, und die mühsame Arbeit, die kolossale Menge der ans Land gebrachten Fische zu reinigen, zu zergliedern und zum Dörren in der Sonne auf die Gerüste zu hängen, fällt ganz und gar ihnen anheim. Sie bringen, zum Theil mit Hülfe der Kinder, auch alle Wintervorräthe an vegetabilischen Nahrungsmitteln, so weit diese der einheimischen Flora angehören, die verschiedenen essbaren Beeren, Wurzeln, Kräuter, Moose und dergl. zusammen. Das Weib hat ferner den ganzen Haushalt mit Allem, was drum und dran hängt, zu besorgen. Das Einzige, was der Mann unmittelbar dazu thut, ist dass er das erforderliche Brennholz im nächstgelegenen Walde zurecht haut, spaltet und bis vors Haus bringt. Es nach Bedarf ins Haus zu tragen, bleibt aber wiederum den Weibern überlassen, gleichwie sie auch das zum Trinken und Kochen nöthige Wasser herbeitragen müssen, — eine Arbeit, die im Winter und bei schlechtem Wetter in den Dörfern, die in ansehnlicher Höhe über dem Strome liegen, mit vieler Mühe und Anstrengung verbunden ist. Dies sind in der Regel auch die ersten Arbeiten des Tages, da man des Morgens die in der Nacht abgekühlte Be- hausung wieder erwärmen, die Fischbrühe für die Hunde kochen und diese füttern muss, um sie zu etwaigen Ausfahrten der Männer bereit zu halten. Die Aufbewahrung sämmtlicher Nahrungs- vorräthe und die Bereitung der Speisen für die Hausbewohner fällt natürlich ebenfalls ganz den Weibern anheim. Doch nehmen die Giljaken am Morgen und während des Tages meist nur kalte Nahrung zu sich. Die Hauptmahlzeit, zu der es auch warme Speisen zu bereiten giebt, findet erst gegen Abend statt, denn alsdann kehren die Männer von ihren auswärtigen Beschäftigungen zurück und langen bisweilen auch durchreisende Leute an, die mit einem der Hausbewohner in gastfreundlichen Beziehungen stehen und Nachtherberge beanspruchen. Zudem wird durch die Vorbereitungen zu dieser Mahlzeit die Jurte auch in den Wärmezustand versetzt, den der Giljake zur Nacht gern haben mag. Mehr noch als die Bestellung der Nahrung für Menschen und Hunde nimmt die Bereitung der Kleidung für die ganze Familie die Weiber in Anspruch. Zunächst gilt es, die dazu dien- lichen Materialien in den erforderlichen Zustand zu versetzen oder zu beschaflen: die Thierfelle und Häute zu gerben, die ausser zur Kleidung auch zum Ersatz des Fensterglases üblichen Fischhäute zu reinigen, zu stampfen und zu trocknen, das zum Nähen dienliche Garn aus Nes- selfasern oder aus Thier- und Fischhäuten zu bereiten u. s. w. Dann folgt das Zuschneiden, s1 640 Die Völker des Amur-Landes. Nähen und Steppen der mannigfaltigen Kleidungsstücke, die nach giljakischem Geschmack, wie wir sahen, stets mit allerhand bunt verschlungenen Stickereien und sonstigem Schmuck und Zierrath versehen werden. Dazu kommen noch manche andere häusliche Arbeiten, wie Be- reitung von Hausgeschirr, Schalen, Körben, Eimern aus Birkenrinde, Nähen von Decken und von grossen und kleinen Taschen und Beuteln aus Zeug oder Thierfellen und Häuten zu ver- schiedenem Gebrauch und dergl. m. So sieht man die giljakischen Weiber buchstäblich keinen Augenblick ohne Arbeit, während der Mann, von der Jagd oder dem Fischfang zurückgekehrt, viel Zeit in Ruhe und Nichtsthun verbringt und zu Hause überhaupt keine andere Arbeit, als die Anfertigung des zu seinen eigenen Beschäftigungen erforderlichen Geräthes kennt. Da nun dieses auch recht zahl- reich und complieirt ist, indem dazu unter Anderem auch all die mannigfaltigen und zum Theil kunstvoll aus Eisen gearbeiteten Lanzen, Messer, Harpunen und dergl. gehören, so sollte man denken, dass es auch dem Manne an häuslicher Arbeit niemals fehlen könne. Allein diese Ge- genstände werden keineswegs überall-und von jedermann, sondern nur an einigen Orten von sachkundigen Giljaken gemacht und in den Handel gebracht!), so dass man nur einen hölzernen Griff oder Schaft zu machen und das Eisen daran zu befestigen braucht, um die Wafle ganz herzustellen. Aehnlich verhält es sich mit den Bogen, Booten und anderem speciell oder zumeist von den Männern gebrauchten Geräth. Die häuslichen Beschäftigungen des Mannes sind daher bei den Giljaken nicht sehr zahlreich und beschränken sich zumeist auf einige Handarbeiten mit dem Messer oder Bohrer zur Herstellung von Schlitten, Schneeschuhen, Thierfallen und anderem Geräth aus Holz oder Knochen, wobei ihm immer noch viel Zeit zum Nichtsthun, Rauchen und Schlafen übrig bleibt. Die häuslichen Arbeiten und Verrichtungen des Weibes sind aber mit dem, was angeführt worden ist, noch lange nicht erschöpft, denn zu alledem kommen noch die Mutterpflichten, die Pflege und Beschickung der Kinder hinzu. Die Giljaken, Mann wie Weib, finden grosses Wohlgefallen an Kindern und geben ihm nicht selten Ausdruck, obgleich sie im Allgemeinen sehr zurückhaltend in der Aeusserung ihrer Gefühle sind. Niemals habe ich einen Giljaken seiner Frau einen Kuss geben sehen, selbst nicht, wenn er im Begriff stand eine Reise anzu- treten, oder von einer solchen zurückkehrte. Hingegen habe ich öfters giljakische Männer, von den Weibern garnicht zu reden, kleine Kinder zärtlich streicheln und küssen sehen. Jeder verheirathete Giljake wünscht sich auch eine möglichst grosse Kinderschaar, und wer sie hat rühmt sich ihrer. In Xyi that Einer mir gegenüber sehr gross mit seinen zahlreichen Kindern, obgleich er auf meine Frage, wie viele ihrer denn seien, nicht mehr zu antworten wusste als: tammla, tammläa, d. h. viele, viele. In diese Freude mischt sich jedoch auch ein egoistisch utilitarischer Gesichtspunkt ein, denn an den heranwachsenden Söhnen hat er bald Gehülfen in seinem lukrativen Jagd-, Fischfangs- und Handelsbetriebe, und die Töchter verheissen, von der 4) Ein grosser Theil davon wird auch, wie oben (p. 571) | und von den Giljaken nur überarbeitet. schon erwähnt, in roher Form von den Oroken gekauft Güjaken. Kinderliebend. Barbarische Sitte in Bezug auf Wöchnerinnen und Neugeborene. 641 Hülfe, die sie im Haushalt leisten, ganz abgesehen, einst einen schönen Brautpreis. Ein unfrucht- bares Weib ist daher leicht der Gefahr ausgesetzt, dass der Mann sie verstösst, oder auch neben ihr eine zweite Frau nimmt, die, wenn mit Kindern gesegnet, sie bald ganz in den Hintergrund drängt. Selbstverständlich theilt auch die Frau den Wunsch des Mannes und verschmäht daher kein Mittel, das zu seiner Erfüllung dienen könnte, und der herrschende Aberglaube giebt ihr manche Mittel der Art an die Hand. So habe ich z. B. manche Weiber einen Hündinnenzahn um den Hals tragen sehen, in dem Glauben, dass dies ihnen Fruchtbarkeit verleihen dürfte. Ver- muthlich werden auch andere, eigens zu dem Zweck geschnitzte Amulette von den Weibern getragen, doch wüsste ich kein Stück der Art näher zu bezeichnen. Nach alledem ist es um so auflallender, dass bei den Giljaken in Beziehung auf die Ge- burt von Kindern eine unmenschlich grausame Sitte besteht, die Sitte nämlich, dass das Weib niemals im Hause niederkommen darf, sondern es dazu, ungeachtet des Wetters und der Tages- und Jahreszeit, stets verlassen muss. Ich habe daran nicht glauben wollen, bin aber selbst Zeuge davon gewesen. Als ich am 24. April (6. Mai) 1855 das Dorf Kuik besuchte und in eines seiner Häuser trat, sah ich ein Weib sich äusserst schwer und mühsam hinausbewegen und auf ein in der Nähe bereitetes Strohlager hinsinken, wo es sogleich von Geburtswehen er- griffen wurde. Der Mann stand vor der Thür, sah eine Weile gelassen hin und ging dann in's Haus zurück, worauf auch ich mich entfernte. Einige Stunden später hörte ich durch einen Giljaken desselben Dorfes, dass die Geburt glücklich erfolgt, das Kind aber bald darnach gestorben sei. Die Mutter blieb am Leben. Die mittlere Temperatur dieses Tages betrug im nahe- bei gelegenen Nikolajefsk 278 R., das Thermometer zeigte um 7 Uhr Morgens nur 171, stieg um 2 Uhr Nachmittags auf 693 und fiel um 9 Uhr Abends wieder auf 250 hinab. Der Strom hatte seine morsche Eisdecke noch nicht abgeworfen, und bei meist leicht bewölktem Himmel wehte ein mässiger Ostwind vom Liman herauf'!). In den kälteren Jahreszeiten, im Spätherbst und Winter findet die Niederkunft nicht ganz im Freien, sondern in einem zu dem Zweck in der Nähe des Hauses aus Birkenrinde errichteten Zelte statt, wo auch ein kleines Feuer unterhalten werden kann. Bei den niedrigen Wintertemperaturen und argen Schnee- stürmen im Giljaken-Lande bleibt es aber immerhin eine starke Zumuthung für Mutter und Kind, und ich zweifle nicht, dass die grosse Sterblichkeit unter den giljakischen Kindern und überhaupt die geringe Kopfzahl der Giljaken zum grossen Theil in dieser Unsitte ihren Grund haben. Aus was für Vorstellungen sie entstanden sein könnte, weiss ich nicht zu sagen. Dass sie auf dem Aberglauben beruhe, dem Weibe wohne bei der Niederkunft etwas Unreines inne, ist nicht wahrscheinlich, da es, wie auch Dr. Seeland?) und Deniker”) bemerken, nach derselben keiner besonderen Reinigung unterworfen wird, sondern nach etwa 8S—12 Tagen ohne Weiteres wieder in das Haus zurückziehen darf. Der Erstgenannte meint hingegen, jene 4) Vrgl. dieses Werkes Bd. IV, p. 30. 3) Vrgl. Dr. H. Ploss, das Weib in der Natur- und 2) Die Ghiliaken, eine ethnographische Skizze (Rus- | Völkerkunde, 3. Aufl. bearb. und herausg. von Dr. Max sische Revue, herausgegeben von Carl Röttger, XXI Bd. | Bartels, Leipzig 1891, Bd. II, p. 43. St. Petersburg 1882, p. 129. s1* 642 Die Völker des Amur-Landes. Sitte könne mit der Vorstellung der Giljaken zusammenhängen, dass dem Hause, in welchem ein Todesfall sich ereignet, Unglück gebracht werde und es daher abgebrochen werden müsse, wesshalb sie auch Sterbende aus dem Hause hinaustrügen und dort liegen lassen, bis sie todt sind '). Möglich, dass sie eine solche Vorstellung haben, es bleibt jedoch noch zu constatiren, dass sie in der That ein Haus, in dem Jemand gestorben ist, abbrechen oder wenigstens ver- lassen, was namentlich hinsichtlich der grossen und ceomplieirten chinesischen Winterhäuser (Tschadryfs), die durch gemeinsame Arbeit der Dorfgenossen errichtet und meist von mehreren Familien bewohnt werden, noch sehr fraglich erscheint. Ich kann es aus eigener Erfahrung nicht behaupten: während meines Aufenthalts im Nikolajef’schen Posten ereigneten sich zwar im nahebei gelegenen Dorfe Kuik mehrere Todesfälle, ohne dass eines der Häuser verlassen, geschweige denn abgebrochen worden wäre, allein die Betreffenden können auch ausserhalb derselben gestorben sein. Andererseits habe ich einmal auch eine Leiche im Hause liegen sehen, von welcher später gelegentlich des Bestattungsmodus der Giljaken noch die Rede sein wird, allein diese kann auch erst nach dem ausserbalb des Hauses erfolgten Tode wieder herein- gebracht worden sein. Findet der von Dr. Seeland vermuthete Zusammenhang der Vorstellungen bei den Giljaken statt, so gäbe dies den Beweis, dass sie bei jeder Geburt zunächst an den wahrscheinlichen Tod, sei es der Mutter oder des Kindes denken, wozu sie ihre eigne barba- rische Behandlung der Wöchnerin allerdings auch vollkommen berechtigt. Daneben greifen sie jedoch zu allerhand anderen abergläubischen Handlungen, um eine leichte und glückliche Ge- burt zu bewerkstelligen. So wird bei Zeiten eine auf den Geburtsakt bezügliche Figur aus Holz geschnitzt (s. Taf, LIV. Fig. 6) und mit kleinen Opfergaben an Nahrungsmitteln, Tabak und dergl. bedacht, um die bösen Geister, die auf die Geburt Einfluss haben könnten, ihr günstig zu stimmen und zu besänftigen. Der Zutritt zum Zelt, wo die Wöchnerin sich befindet, ist Niemandem gestattet, mit Aus- nahme der Wehmutter und sonstiger Hülfe leistender Weiber. Die Durchschneidung der Nabel- schnur wird mit einem eigens dazu bestimmten Messer ausgeführt (gil. kysmrk- oder kyssk- dshakko, Taf. XXXI, Fig. 5), dessen Stiel mit Schnitzereien besonders reich versehen ist, und das zu nichts Anderem gebraucht werden darf?). Offenbar erkennen die Giljaken dieser Handlung eine besonders wichtige Bedeutung zu. An der Stelle, wo das Kind geboren worden, wird es von den Weibern gewaschen und besorgt und bleibt dort überhaupt so lange, bis es, wenn es nicht inzwischen gestorben ist, mit der Mutter ins Haus zieht, wo es ihrer alleinigen Pflege anheimfällt. Gleich oder wenigstens sehr bald nach seiner Geburt erhält das Kind einen Namen: ge- wöhnlich schon gegen Abend desselben oder am Morgen des folgenden Tages, je nachdem, ob es am Tage oder in der Nacht geboren worden ist. Das geschieht ohne irgend welche Feierlichkeit, indem der Vater schlechtweg den von ihm oder der Mutter gewünschten Namen nennt, oder 1 Dr. Seeland, l. c. p. 223. Exemplar erhielt ich aus demselben Dorf Kuik, 2) Das abgebildete, unserem Museum einverleible Giljaken. Namengebung. Wiege. 643 auch ein zufällig anwesender Giljake einen Namen vorschlägt und der Vater ihn gutheisst und für sein Kind annimmt. Ausdrücklich muss noch hervorgehoben werden, dass weder bei der Geburt, noch bei der Namengebung irgend welche Schamanenkünste produeirt werden. In den meisten Fällen wird die Geburt eines Kindes auch nicht besonders gefeiert. Bemittelte Leute geben jedoch mitunter ihrer Freude über den Zuwachs der Familie auch durch ein Festmahl Ausdruck, das sie mit einigen Dorfgenossen und Freunden theilen. Ist das Kind etwas grösser geworden, so wird es in eine Wiege (gilj. Zschjakk) gethan. Diese ist von ganz eigenthümlicher Beschaffenheit: sie besteht nämlich aus einem kahn- oder rinnenförmig ausgehöhlten Holzstück von der Länge und Breite, dass es den Oberkörper des Kindes bis zum Kopf hinan bequem in sich fassen kann. Während sein oberes meist zugespitztes Ende offen bleibt, ist das untere durch ein Querbrettchen geschlossen, das mit mehreren in ein centrales Loch ausmündenden Rinnen versehen ist. Auf dieses Brettchen wird das bis auf das nackte Gesäss in Decken gehüllte Kind gesetzt, so dass der Oberkörper in der Höhlung zu ruhen kommt, worauf ein paar Riemen von einem Rande derselben zum anderen gezogen werden, um es am Herausfallen zu verhindern. Unter der Oeflnung im Sitzbrettchen wird ein zur Hälfte mit Moos oder feinen Hobelspähnen gefülltes Körbehen angebracht und darauf die Wiege an einen Querbalken des Hauses über der Schlafbank aufgehängt (s. Taf. XII). Um aber auch diese vor Beschmutzung durch den aus dem Körbchen etwa durchsickernden Unrath zu bewahren, wird auf dieselbe unter die Wiege ein längliches, mit erhöhten Rändern und mehrfachen, mit Längs- und Querrinnen versehenes Brett (gilj. mu, Taf. XXXIV, Fig. 9) gelegt. Die langen Riemen, an denen die Wiege hängt, sind so geschickt gezogen und geschlungen, dass diese nach Belieben in eine höhere oder niedrigere, senkrechte, schräge oder horizontale Lage gebracht werden kann. Zur Beruhigung oder Belustigung des Kindes wird an die Rückseite der Wiege ein Bündel verschiedener kleiner Gegenstände (Blech- und Holzstücke) gehängt, die beim Schaukeln an einander und an die Wiege schlagen und dadurch Lärm und Geklirr verursachen. Zum Theil demselben Zweck dient auch ein zweites Bündel ähnlicher Sächelchen, das so vor die Wiege gehängt wird, dass das Kind darnach greifen kann. Darunter sah ich, im Dorfe Wassj, auch ein Bündel feiner Hobelspähne, ein sogen. Zach hängen, das offenbar noch eine besondere Bestimmung hatte, diejenige nämlich, das Kind vor dem Einflusse böser Geister zu bewahren. Endlich wird an einer dem Kinde in der Wiege sichtbaren Stelle ein bei seiner Geburt geschnitztes Tschaltscha-tschngai oder genauer matscherlagu (Kinder)-tschaltscha-tschngai, d. h. eine Holz- figur mit durchweg beweglichen Gelenken (Taf. LV. Fig. 1) aufgehängt, damit das Kind durch Ansehen desselben an allen Gelenken gesund und beweglich bleibe. Die grosse Beweglichkeit der Wiege macht es der Mutter möglich, das Kind an die Brust zu nehmen, ohne es aus der Wiege zu heben. Die giljakischen Mütter säugen ihre Kinder sehr lange, bis zum 4-ten, 5-ten Jahr und länger, und brechen damit auch nicht auf einmal ab, sondern gestatten es den Kindern, nachdem sie sich bereits an eine andere Kost gewöhnt haben, von Zeit zu Zeit, so oft es ihnen einfällt, wieder an die Mutterbrust zu kommen. So sah ich in Nyi einen Knaben, der angeblich 5 Jahre alt war, nach seinem Wuchs und Benehmen zu ur- 644 Die Völker des Amur-Landes. theilen aber auch bereits gegen 7 Jahre zählen mochte, und sowohl Hosen, wie den bei den Giljaken männlichen Geschlechts darunter üblichen Beutel trug, plötzlich seine Beschäftigungen abbrechen und zur Mutter eilen. Diese sass auf der Schlafbank und nähte, der Range blieb auf dem Erdboden vor ihr stehen und erreichte durch sein stürmisches Verlangen, dass sie ihm die Brust reichte. Es erinnerte mich daran, was La P&rouse bei den Orotschen in der Bai de Castries erlebte: er sah dort einen Knaben einen Bogen spannen, einen Pfeil recht gut ab- schiessen, einen Hund mit dem Stock schlagen und darauf sich auf die Brust der Mutter werfen und wie ein 5—6-monatliches Kind sich benehmen!). Daher kommt es bei den Giljaken nicht selten vor, dass ausser dem richtigen Säugling noch ein paar ältere Kinder an der Mutter zehren°). Das übermässig lange Stillen der Kinder ist ohne Zweifel auch der Hauptgrund, wesshalb die giljakischen Weiber so frühe altern und verfallen. Ich habe unter ihnen welche gesehen, denen man ihrem runzligen und verfallenen Aussehen nach reichliche 50—60 Jahre geben konnte, und die doch noch ihre Kinder stillten und demnach vermuthlich nur einige 30—40 Jahre alt waren. Und darin liegt sicherlich auch ein Grund der geringen Kopfzahl und des langsamen Anwuchses der giljakischen Bevölkerung. Wie in der Wiege, so werden die Kinder auch im späteren Alter nur unsauber gehalten, ja sind sie der Wiege entwachsen und laufen sie erst frei umher, so hört auch das Wenige an Säuberung und hygieinische Pflege, das ihnen bis dahin zu gut kam, in der Regel ganz auf. Nur äusserst selten sieht man eine Mutter ihr etwas grösseres Kind waschen, und zwar in der Weise, wie ich es oben?) als Augenzeuge an einem Jungen geschildert habe; die Widerspenstigkeit aber, die dieser dabei an den Tag legte und das Geheul, das er von sich gab, bewiesen nur zu deutlich, wie ungewohnt und lästig ihm die ganze Procedur war. Trotz der ungewaschenen Gesichter und oft auch ungekämmten Haare gehen,die gilja- kischen Kinder doch meist gut und im Winter auch sehr vollständig gekleidet. An der für sie oft bis ins kleinste Detail und mit allem Schmuck und Zierrath in verkleinertem Maassstab aus- geführten Copie der Kleidungsstücke der Erwachsenen sieht man, dass die Mütter es in dieser Beziehung an Mühe und Arbeit für ihre Kinder nicht fehlen lassen und dabei wohl auch der mütterlichen Eitelkeit nicht baar sind. Der Umstand aber, dass man an manchen kleinen Knaben den Pelz und Schurzrock von einem Gürtel zusammengehalten sieht, an dem all’ die zahlreichen Utensilien, die der Erwachsene bei sich trägt, Ngawla- und Yi-dshakko, Feuerstahl, Schwammdose, Pfeifenpurrer u. s. w., nur sämmtlich en miniature aus Holz geschnitzt, hängen, beweist, dass auch die Väter es nicht verschmähen, sich in den Mussestunden mit ihren Kindern abzugeben und unwillkürlich auch ihren Nachahmungstrieb zu wecken. Sonst kann von einer Erziehung 1) La Perouse, Voyage aut. du monde, T. III, p. 68. | p. 1496) u. a. Auch die sibirischen Völker säugen ihre Kinder bis ins 2) Bei den Tungusen kommt es nach Middendorff 4-te und 5-te Jahr; so z. B.die Ostjaken (Sujef, in Pallas’ | (l. c.) sogar vor, dass «ein zehnjahriger Bengel ganz unbe- Reise durch versch. Proy. des Russ. Reichs, Bd. Ill, p. 53), | fangen der Mutter den Milchrest des jüngstens Bruders die Kalmücken (Pallas, Samml. histor. Nachrichten über | absaugb». ‚die Mongolischen Völkersch., St. Petersb. 1776, Bd. I, 3) S. oben, p. 222. p- 167), die Tungusen (Middendorfl, Reise etc., Bd. IV, Giljaken. Langes Säugen der Kinder, deren körperliche Pflege, Spiele, Beschäftigungen. 645 der Kinder, von einem Anhalten derselben zum Gehorsam, zur Ehrfurcht gegen die Eltern und drgl. m. nicht wohl die Rede sein; sie wachsen eben, ohne dass man sich um sie bekümmerte, nach den Mustern, die sie an den Eltern, Geschwistern und Anderen vor Augen haben, auf. Wie alle Kinder, so ahmen und äflen auch die giljakischen in ihren Spielen gern die Beschäftigungen, Arbeiten und Unterhaltungen der Eltern und Erwachsenen nach. Zu den frühesten, allgemeinsten und beliebtesten Spielen der giljakischen Kinder gehört das Hin- und Herschieben hölzerner Figuren, die Hunde vorstellen sollen. Bemerkenswerth dabei ist, dass diese Figuren, die nicht im Entferntesten an einen Hund erinnern, allenthalben bei den Gil- jaken ganz sterotyp dieselben (s. Taf. LX, Fig. 6) und nur hie und da von verschiedener Grösse sind. Ob sie nun von den Eltern oder von älteren Brüdern der Kleinen gemacht werden, eine Nachbildung der Hundegestalt wird bei ihrer Anfertigung oflenbar garnicht beabsichtigt. Die Beine des Thieres z. B. sind auch nicht im Geringsten angedeutet — es ist vielmehr nur die conventionell' angenommene Darstellung des Hundes als Kinderspielzeug. Oder sollte sie viel- leicht, wie man bei ihrer allgemeinen Ueblichkeit unter den Giljaken fast vermuthen möchte, ein Stück alter conventioneller Bildersprache unter ihnen sein? Andere angeblich ebenfalls zur Freude und Kurzweil der Kinder geschnitzte Thierfiguren, wie z. B. diejenige vom Karpfen (gilj. pilengat, Taf. LX, Fig. 5.) tragen einen ganz anderen Charakter, indem sie das Bestreben ver- rathen, ein wirklich ähnliches Bild von dem Thier zu geben. Sobald die Knaben sich frei um- hertummeln können, so vergnügen sie sich mit kleinen Bogen und Pfeilen ins Ziel oder auf vermeintliche Thiere zu schiessen, mit den Hundewelpen auf kleinen Schlitten zu fahren, oder alle Manipulationen, weiche sie die Erwachsenen an Bären ausführen sehen, getreulich nachzu- machen, wobei ein Knabe den Bären vorstellt und sich wie dieser benimmt, die anderen aber ihn genau in der Weise, wie es auf den Bärenfesten bei den Umzügen mit dem Thier geschieht, zu zerren, zu bändigen und wegzuführen suchen, u. s. w. Sehr bald werden sie auch vom Vater oder älteren Bruder zum Aufstellen oder Besichtigen der Thierfallen im Walde, zum Fischfang und drgl. mitgenommen und lernen ihnen die betreffenden Kunstgriffe und was über- haupt dabei zu thun oder zu vermeiden ist ab. Nicht minder machens die Mädchen in ihren Spielen und Beschäftigungen den Müttern und ältern Schwestern nach und sind bald im Stande, ihnen bei den Handarbeiten und allen Verrichtungen im Haushalt hülfreich an die Hand zu gehen. Bei polygamischer Ehe wohnen alle Frauen in demselben Hause mit ihrem Manne, und eine jede von ihnen hat für sich und für ihre Kinder einen bestimmten Theil der Schlafbänke inne. Die Frauen stehen sich rechtlich ganz gleich und haben auch gemeinsam den Haushalt zu besorgen. Indessen fällt die Arbeitstheilung zwischen ihnen in der Regel doch nicht ganz gleich aus, denn fast immer wird die eine oder die andere der Frauen vom Manne bevorzugt, und dieser fallen dann nur leichtere Arbeiten zu, während alle schwereren von den anderen verrichtet werden müssen. Dabei ist jedoch keineswegs die letztgekaufte oder jüngste Frau allemal die bevorzugte, denn zuweilen soll, wie Jutschin und andre Giljaken mir erzählten, der Mann auch nur deshalb eine zweite oder dritte Frau nehmen, um der ersten, respect. einer von den beiden Frauen, die er schon hatte, das Leben dadurch zu erleichtern, dass er ihr eine 646 Die Völker des Amur-Landes. neue, tüchtige Arbeitskraft an die Seite stellt. Ob er seinen Zweck erreicht, hängt dann freilich noch davon ab, ob und wie sich auch die Frauen in die neue Ordnung zu finden und unter einander zu vertragen verstehen. Denn mögen sie noch so wenig eifersüchtig sein, immerhin ist ein friedliches Walten mehrerer Frauen um einen Mann in demselben Raum und im gemein- samen Haushalt für die Dauer kaum denkbar. Sehr reiche Giljaken, die von der Eitelkeit, mit ihrem Reichthum zu prunken, getrieben, sich den Luxus der Vielweiberei erlauben, greifen daher nicht selten noch zu einem anderen Mittel, ihren Weibern die Arbeit zu erleichtern und ohne den Frieden zu stören die eine oder andere von ihnen bevorzugen zu dürfen. Dieses Mittel besteht darin, zum Zweck der Verrichtung der schwersten Arbeiten im Hause, sich Sklaven, meist weiblichen, mitunter aber auch männlichen Geschlechts zu halten. Darunter sind jedoch keineswegs einzeln stehende Giljaken oder Giljakinnen zu verstehen, die sich einer Familie anschliessen und gegen freie Wohnung und Kost die Verpflichtung übernehmen, die schwersten Arbeiten für's Haus, wie Wassertragen, Brennholzfällen und -spalten und drgl. m. zu verrichten. Solche gewissermaassen in Miethlohn befindliche dienstbare Personen giebt es bei den Giljaken ebenfalls, allein das Verhältniss, in dem sie stehen, ist von ihnen freiwillig geschlossen, kann nach Belieben wieder gelöst werden und raubt ihnen keineswegs die Achtung ihrer Landsleute, noch thut es ihrer gleichberechtigten socialen Stellung unter denselben Abbruch. Ganz anders verhält es sich mit den Sklaven. Für diese haben die Giljaken eine eigene Bezeichnung: kryghryss oder, mit Angabe des Geschlechts, kryghryss-umgu — Sklavinnen und kr.-utgu — Sklaven männlichen Geschlechts. Znnächst ist hervorzuheben, dass es nie und nim- mermehr Giljaken, sondern stets aus den benachbarten Stämmen, Aino und Golde, von ihnen gekaufte Isdividuen sind. Die meisten Sklaven und besonders Sklavinnen liefern den Giljaken namentlich die Aino (Kughi), in geringerer Zahl die Golde und zwar die «Jant» sowohl wie die «Tscholdok», also die unteren wie die oberen Golde. Noch andere ihnen Sklaven liefernde Stämme wussten mir die Giljaken nicht zu nennen. Bezeichnend genug wird also der schmähliche Verkauf von Mädchen und Knaben ihres Stammes in die Sklaverei nur von den beiden Völkern des Amur-Landes betrieben, die den beiden Culturvölkern Ostasiens, den Japanern und Chinesen unmittelbar benachbart sind und am meisten von ihnen beherrscht und gedrückt werden. Ge- wiss ist es auch kein blosser Zufall, dass dasjenige Volk, welches selbst das härteste Joch zu erdulden hat, die Aino, dem Sklavenhandel am meisten zugethan ist. Dafür, dass diese Unsitte der Aino und Golde in der sittlichen Verkommenheit wurzelt, in die sie durch das auf ihnen lastende Joch der Japaner und Chinesen gebracht worden sind, spricht endlich auch die That- sache, dass diese mitunter auch selbst den Verkauf von Aino- und Goldeweibern als Skla- vinnen an die Giljaken vermitteln, wozu ihnen die Handelsreisen der letzteren zu ihnen Gele- genheit bieten. Die Giljaken hingegen, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit diesen Völkern gegenüber am meisten zu bewahren gewusst haben, kaufen zwar Sklaven von den Aino und Golde und verkaufen sie unter Umständen auch weiter, allein Leute aus ihrem Volk als Sklaven bei sich zu halten oder gar Anderen als solehe zu verkaufen verabscheuen sie auf das Ent- schiedenste. Ja, sie meinten, dass wenn Jemand von ihnen es thun wollte, er damit einen Giljaken. Polygamie. Sklavinnen, seltener Sklaven. 647 solchen Unwillen unter seinen Landsleuten erregen würde, dass er keinen Augenblick seines Lebens sicher sein könnte. Im Ganzen ist die Zahl der Sklaven sowohl, als auch der immer noch häufigeren Skla- vinnen unter den Giljaken nur gering. Die Ursache davon liegt in dem hohen Preise, den sie sowohl bei direktem Handel mit den Aino oder Golde, als besonders auch bei ihrem Weiterver- kauf durch die Giljaken, kosten. Eine Sklavin zu erhandeln ist viel kostspieliger als eine Frau zu kaufen. So hatte der Giljake Ssogin in Kuik für seine Sklavin, ein Aino-Weib Namens Kot, weit mehr als für seine zweite Frau, Malguk aus Langr, gezahlt: diese hatte er, wie oben angeführt, für 155 Ja= etwa 310 R. gekauft, jene aber kostete ihn, von anderen Dingen ab- gesehen, 40 Stück chinesischen Seidenzeuges, also an diesem allein 200 Ja oder etwa 400 R. Dabei stand sie an Aeusserem seinen beiden Ehefrauen weit nach. Doch darauf kommt es bei der socialen Stellung der Sklavinnen unter den Giljaken, wie man aus dem Folgenden sehen wird, keineswegs an. Bei so hohem Preise der Sklavinnen können nur sehr reiche Giljaken sich erlauben, welche zu halten, und wer eine hat, der pflegt sehr gross damit zu thun, wie es auch Ssogin that. So beneidenswerth erscheint ihnen ein solcher Besitz, dass mancher Giljake, um ihn zu erlangen, keinen Anstoss darin findet, seinem Landsmann gegen eine Sklavin seine Tochter als Eheweib zu verkaufen und das am Kaufpreise Fehlende in anderer Form zuzuzah- len. Sklaven männlichen Geschlechts sind billiger, aber auch minder begehrt, hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil sie minder anstellig und träger und darum auch weniger nützlich fürs Haus als die Sklavinnen sind, und daneben vielleicht auch weil sie, trotz der ihnen beschiedenen inferioren Stellung, doch Veranlassung zur Eifersucht des Hausherrn geben könnten. Die Sklaven und Sklavinnen stehen bei den Giljaken ihren Herrn gegenüber in dem Verhältniss einer vollkommen rechtlosen Leibeigenschaft: sie sind nichts mehr als Hausthiere in menschlicher Gestalt, die man nur aus dem Grunde menschlich behandelt, um sie leistungs- fähig zu erhalten und seinen Besitz nicht zu schmälern, nach Belieben aber auch veräussert. Natürlich fallen ihnen alle schweren Arbeiten im Hause zu, wie Holzfällen und -spalten, Was- sertragen, Hundefüttern und was ihnen sonst anbefohlen wird, denn sie haben überhaupt nur zu gehorchen und zu dienen. Wo daher eine Sklavin im Hause ist, wird die Haushaltung fast ausschliesslich von ihr besorgt, die Frauen des Hausherrn hingegen geben sich nach Belieben nur mit Handarbeiten, Pflege der Kinder oder sonstigen Beschäftigungen ab. Nicht die viele und schwere Arbeit ist es jedoch, was das Loos der Sklaven und besonders der Sklavinnen unter den Giljaken so schwer macht, sondern ihre völlige Rechtslosigkeit, sowie die Verach- tung, der sie allenthalben begegnen und die sich u. A. auch darin ausspricht, dass sie grund- sätzlich und consequent von jeder Gemeinschaft mit ihrer Umgebung ausgeschlossen bleiben. Kein Giljake darf eine Sklavin heirathen, ja er darf auch einem anderen Giljaken keine Sklavin verkaufen, wenn dieser die Absicht äussert sie zu heirathen. Nicht minder ist auch die Benutzung einer Sklavin als Concubine bei den Giljaken streng verpönt: wollte Einer sich so etwas erlauben, so würde er nicht bloss das ganze Ansehen, das ihm der Besitz einer Sklavin,, Schrenck’s Amur-Reise, Band IH. 82 648 Die Völker des Amur-Landes. als Zeichen grossen Reichthums, einträgt, vollkommen einbüssen, sondern auch einen allgemei- nen Sturm der Entrüstung unter seinen Landsleuten hervorrufen. Gewiss spricht dies auch für die Sittenstrenge der Giljaken. Andrerseits macht es die Sklavinnen dem Hause erst recht nützlich, denn bei solcher Stellung können sie die Eifersucht der Frau oder der Frauen ihres Besitzers nicht erregen und somit ihrerseits auch keinen Unfrieden in’s Haus tragen, wie er bei der Polygamie nur allzuhäufig vorkommt. Vielleicht ist das auch mit ein Grund, wesshalb ihr Besitz den Giljaken so beneidenswerth erscheint und ihr Kaufpreis bei ihnen so hoch steht. Uebrigens wird ein Giljake auf die Frage, wie viel Weiber (umgu) er habe, nicht er- mangeln seine Sklavin mitzuzählen, um so mehr als er für diese mehr als für die Frau oder eine seiner Frauen gezahlt hat und sie auch mehr zu seinem Ansehen beiträgt. Das kann leicht zu falschen Vorstellungen über den Umfang der Polygamie bei ihnen führen, und es bedarf daher stets der weiteren Fragen: wie viele der Weiber seine wanch (Ehefrauen) oder dshangi-mutsch-umgu (herrenmässige Weiber oder Frauen) und wie viele nur kryghryss- umgu (Sklavinnen) seien, um zu einem richtigen Verständniss seines Ehestandes zu ge- langen. So streng auch die Sitte der Giljaken den geschlechtlichen Umgang mit einer Sklavin verurtheilt, so wird sie, namentlich von jüngeren und unverheiratheten Leuten, doch nicht immer beobachtet. Nie und nimmermehr wird jedoch ein Giljake, wenn eine Sklavin einem Kinde das Leben giebt, sich als Vater desselben zu erkennen geben, und den Worten der Skla- vin wird natürlich kein Glauben geschenkt. So gilt das Kind als dem Stamme der Mutter ange- hörig und fällt, ebenfalls als kryghryss, ihrem Besitzer anheim, der es neben der Mutter auf- wachsen lässt und, wenn es erwachsen, als kryghryss verkauft. Ereignet sich hingegen der viel seltenere Fall, dass ein giljakisches Mädchen mit einem Sklaven Umgang pflegt und ein Kind zur Welt bringt, so wird der Vater ignorirt, die Mutter aber gezüchtigt und das Kind als unehelich umgebracht und beseitigt. Dagegen gestattet der Giljake nicht ungern eine Ehe zwischen seinen männlichen und weiblichen kryghryss, ja wenn er eine Sklavin besitzt, so kauft er wohl auch selbst einen Sklaven hinzu und lässt sie eine Ehe eingehen, weil die etwai- gen Kinder aus derselben ihm als kryghryss zufallen und als solche verwerthet werden können. So hat der Giljake zwar nichts gegen eine Assimilirung mit den Nachbarvölkern durch Misch- ehen, sein Nationalstolz weigert sich aber entschieden gegen eine Vermischung mit den aus diesen Völkern hervorgegangenen Sklaven und die Entstehung von solchen aus seiner eigenen Mitte, und gefällt sich hingegen, von der Gewinnsucht kräftig unterstützt, im Besitz und in der Ausnutzung von Sklaven aus den benachbarten Stämmen. Hier muss bemerkt werden, dass der japanische Reisende Mamia Rinsö die eben geschil- derten Verhältnisse und namentlich die Stellung der Sklaven unter den Giljaken entweder nicht durchschaut, oder absichtlich in einem anderen Lichte dargestellt und dadurch Veran- lassung zu ganz falschen Vorstellungen über ihren Haus- und Ehestand gegeben hat. Gelegent- lich seines Aufenthalts unter den Smerenkur (Giljaken) am Cap Noteito an der Westküste Giljaken. Irrthümliche Voraussetzung der Polyandrie. 649 Sachalin’s!) sagt er nämlich «es sei dort zu Lande Gebrauch, dass die Frauen über die Männer befehlen, diese gleichsam wie ihre Diener behandeln und durch sie alle Arbeiten verrichten lassen. Er selbst, heisst es weiter, habe sich auch unter das Joch der Hausfrau beugen müssen und sich von ihr gleich den übrigen sein Tagewerk auflegen lassen; doch da die Hausfrau sich gegen ihn besonders wohlgeneigt zeigte, so wurden ihre übrigen Männer eifersüchtig, und er, der dies sehr gut merkte, hütete sich wohl, sich in Dinge einzulassen, die er hätte geheim hal- ten müssen, sondern beschäftigte sich bloss mit häuslichen Arbeiten unter den Augen der andern Männer, und gewann sich durch diese Bescheidenheit das Vertrauen und die Achtung jener, die ihn mit Fleisch und Fischen beschenkten» ?). Wie Siebold°) auf Grund dieser Angaben Rinsö’s die Vermuthung aussprechen konnte, dass die durch Steller und Krascheninnikof bekannten Kojektschutsch oder Kojachtschitsch der Kamtschadalen, d. i. an Stelle von Weibern sich gebrauchen lassende Männer *), auch unter den Giljaken zu finden seien, ist nicht zu verstehen. Es genüge daher die Bemerkung, dass weder mir, noch, so viel ich weiss, einem andern Reisenden im Amur-Lande irgend welche Anzeichen von der Existenz dieser Unsitte unter den Giljaken begegnet sind, und dass Sie- bold’s Vermuthung somit vollkommen hinfällig ist. Berechtigter erscheint auf den ersten Blick seine aus derselben Angabe Rinsö’s gezogene Schlussfolgerung, dass bei den Smerenkur auf Krafto (Giljaken Sachalin’s) Polyandrie bestehe. «Die Nordwestküste von Krafto, fügt er hinzu, wäre demnach das einzige Land der Erde, in welchem Polyandrie nach Gesetz oder Sitte dermalen in Uebung wäre». Dennoch trifft, wie man aus den obigen Schilderungen ersehen kann, auch diese Schlussfolgerung keineswegs zu: nirgends, weder auf Sachalin, noch auf dem Festlande, herrscht unter den Giljaken Polyandrie. Wie lässt sich aber dann die oben ange- führte Nachricht des japanischen Reisenden, die von den «übrigen» und den «andern Männern» der giljakischen «Hausfraw zu Noteito spricht, erklären? Die auch in diesen Blättern mehrfach hervorgehobene Glaubwürdigkeit Mamia Rinsö’s gestattet nicht, die in Rede stehende Nach- richt schlechtweg als Erfindung abzuweisen. Giebt er doch auch bei Besprechung des uns im Augenblick beschäftigenden Hausstandes der Giljaken einen neuen Beleg von seiner Glaub- würdigkeit, indem er die bei ihnen übliche eigenartige Kinderwiege genau so beschreibt°), wie es auch hier geschehen). Unabweislich drängt sich mir aber die Annahme entgegen, dass in dem Falle, um-den es sich jetzt handelt, persönliche Motive von Seiten des Reisenden im Spiele waren und die unklare, verschiedener Deutung fähige Fassung der Nachricht veranlasst haben. Genöthigt unter den Smerenkur (Giljaken) am Cap Noteito auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um die beabsichtigte, im Jahre vorher misslungene Reise nach Tötats (dem gegenüber- 4) Das Cap Nolteito ist auf der von Siebold (l. c. Taf. | VII, p. 169. XXV) wiedergegebenen Karte Mamia Rinsö’s garnicht, 3) L. c. p. 198. auf derjenigen Mogami Tok’nai’s aber etwa schräg 4) Steller, 1. c. p. 351, Anm. Krascheninnikof, I. gegenüber der Taba-Bucht oder dem Eingange in die | c. p. 40. S. aucb oben. p. 334, Anm. 2. Taba-Kidsi-Strasse (s. oben, p. 614) angegeben. 5) L. c. p. 191. 2) Mamia Rinsö, Tö-tatskiko, in Siebold’s Nippon, 6) S. oben, p. 643. 82* 650 Die Völker des Amur-Landes. liegenden Festlande) auszuführen, und aller Lebensmittel baar, sah Mamia Rinsö sich ge- zwungen, um sein Leben zu fristen, in dem Hause, wo er Unterkunft fand, allerhand Arbeiten, wie Holzhauen und drgl. zu verrichten. Er trat also zeitweise in die Reihe der gegen Wohnung und Beköstigung dem Hause zu Dienstleistungen verpflichteten Personen ein und musste sich bequemen, gleich den «andern» und «übrigen» in ähnlicher Stellung befindlichen Männern, darunter auch den Sklaven, nach den Befehlen der im Hause schaltenden Frau zu handeln und von ihr «wie ein Diener» behandelt zu werden. Hiebei ist weder an Polyandrie, noch an eine befehlende Stellung der Frau ihrem Manne gegenüber zu denken. Stolz und Eitelkeit und viel- leicht auch Furcht vor seiner Regierung verhinderten aber wohl den Reisenden, die unwürdige und demüthigende Stellung und Behandlung, die er sich unter den Smerenkur hatte gefallen lassen, in seinem Bericht voll und unumwunden einzugestehen und bewogen ihn, die Sache in einem durch die angebliche Sitte des Volks gemilderten Lichte darzustellen. Schildert er doch auch die Frauen der Smerenkur in einem idealeren Licht, indem er sagt, dass «ihr Angesicht und ihre Haut durch tägliches Waschen ausnehmend zart und schön» seien, während in Wirk- lichkeit die giljakischen Weiber auf Sachalin in Folge ihres Aufenthalts in den engeren, dunk- leren und russigeren Erdhütten eher noch schmutziger als auf dem Festlande aussehen. Wenn aber Mamia Rinsö es auch vermeidet, gelegentlich seiner dienstbaren Stellung unter den Smerenkur von Sklaven zu reden, so weiss er doch recht gut von der Existenz solcher bei ihnen. Denn von den Bewohnern des südlichen Krafto (Aino) erzählt er!) dass sie im Handel mit den Santanern, also Giljaken, Oltscha und Golde, «häufig sogar Menschen verkaufen, und zwar Wittwen und Wittwer, ledige Leute, Waisen und Bedürftige; für einen Kopf werden 3—4, oft 6—7 Stück Goldstoff gezahlt, junge und dumme Leute aber, die man zu keinem Dienst gebrauchen kann, werden für grobe Güter eingelauschw. Auch die Aino von Jesso und der Insel Risiri kommen ihm zufolge nach Sachalin herüber, um dort Menschen der erwähnten Stände zu verkaufen. «Daher kommt es, fügt er hinzu, dass man im Lande der Smerenkur tätowirte Frauen antriff» — ein ganz richtiger Schluss, denn bei den Giljaken ist, wie schon dargethan ?), die Tätowirung keineswegs üblich. Diese Mittheilungen Rinsö’s über den Skla- venhandel der Aino stimmen mit unseren obigen vollkommen überein und ergänzen sie wesentlich, seine letztere Bemerkung aber macht es unzweifelhaft, dass nicht bloss die Giljaken des Fest- landes, sondern auch diejenigen Sachalin’s Sklaven oder doch Sklavinnen bei sich halten, welche die letzteren wohl ausschliesslich von den Aino beziehen. Ausser durch Kauf setzen sich jedoch die Santaner, wie Rinsö erzählt, auch auf andere, gewaltsamere Weise in den Besitz von Sklaven, indem sie die Brüder, Schwestern und Kinder solcher Aino, die ihnen im Handel die Zahlung schuldig geblieben sind und diese Schuld auch im folgenden Jahre, wenn sie wieder- kommen, nicht entrichten können, als Unterpfand in ihr Land wegführen. Dass sie dort zu Sklaven werden, ist selbstverständlich. Die japanische Regierung, welche die unbeschränkte Herrschaft über das südliche Sachalin und seinen Haupthandelsort Ssiranussi hatte, sah sich 1) L. c. p. 186 und 187. | 2) S. oben, p. 419 N. Sklaverei bei anderen paläasiatischen Völkern. 651 nicht verpflichtet, diesem Unwesen Einhalt zu thun, das erst mit dem Uebergange der Insel in russischen Besitz aufgehört hat. Bevor ich in der Schilderung der Familienverhältnisse der Giljaken weiter gehe, sei es mir gestattet, zur Vergleichung einige Data über die Sklaverei bei anderen paläasiatischen Völkern einzuschalten. So schmachvoll der von den Aino geübte Verkauf von Stammgenossen als Sklaven an die Giljaken und Oltscha ist, so verlautet doch nichts darüber, weder durch Rinsö, noch durch andere Reisende, dass sie auch selbst Leute aus ihrem Stamm als Sklaven bei sich hielten. Was sie daran verhinderte, ob eigene Gutmüthigkeit und Schwachheit, oder ein Verbot der als Alleinherrscher sich benehmenden Japaner, mag dahingestellt bleiben. Schlimmer stand und steht es, wie es scheint, noch jetzt in dieser Beziehung bei den Kore- anern. Witsen!) theilte nach den Erzählungen der gefangenen Holländer mit, dass sie viele Sklaven und Sklavinnen halten, manche Herren einige Hundert, die sämmtlich aus ihrem eigenen Volke stammen. Nach Dallet?) hat sich ihre Zahl in der Folgezeit mehr und mehr vermindert, aber die Unsitte besteht noch, indem arme Leute sich selbst oder ihre Kinder als Sklaven verkaufen, ferner die von einer Sklavin geborenen, sowie die ausgesetzten Kinder dem Sklavenstande ver- fallen, und es endlich auch dem Staate gehörige Sklaven giebt. Man wird hierin den Einfluss des unmittelbar benachbarten China’s nicht verkennen, wo es bekanntlich ganz ebenso hergeht°). Bei den nördlicheren paläasiatischen Völkern ist die Sklaverei in der Regel dadurch entstanden, dass Kriegsgefangene und also Individuen fremden Stammes zu Sklaven gemacht und besonders Weiber und Mädchen dem Feinde geraubt wurden, um als Frauen und Coneubinen zu dienen. So war es bei den Itälmenen, Korjaken‘) und Aleuten, bevor sie von den Russen unterworfen wurden. Die Aleuten zeichneten sich dabei besonders durch Unmenschlichkeit gegen ihre Sklaven aus, indem sie bei festlichen Gelegenheiten zuweilen eine Menge von ihnen hinschlachteten°). Von den Tschuktschen, die ihre Unabhängigkeit und Eigenart am längsten bewahrt haben, berichtete noch Wrangell‘), dass es bei ihnen, und zwar den wandernden sowohl wie bei den an der Meeresküste sesshaften, eine Art Leibeigenschaft oder Sklaverei giebt, indem die Wohlhaben- deren von Alters her ganze Knechtsfamilien besitzen, die sich von ihnen nicht entfernen dürfen, kein Eigenthum haben, und ganz von der Willkür ihrer Gebieter abhängen, welche sie zu den schwersten Dienstleistungen und Arbeiten gebrauchen und dafür ernähren und kleiden. Ueber den Ursprung dieser Sklaven konnte Wrangell zwar nichts Positives erfahren, hält es aber für wahrscheinlich, dass sie Abkömmlinge ehemaliger Kriegsgefangenen und also fremden Stammes sind. Aus dem Umstande aber, dass sie von Alters her und in ganzen Familien be- 4) Noord en Oost Tartarye, Amsterdam 1705, p. 59. etc. Amsterdam 1666, p. 293. Du Halde, Deseript. de 2) Histoire de l’Eglise de Cor&e precedee d’une introd. | l’Emp. de la Chine, Paris 1735, T. III, p. 128. Takınev, sur l’'hist., les institut., la langue, les moeurs et cost. cor&- | Kuraii, C.-Herep6. 1840, erp. 337, 338. u. A. ennes, Paris 1874. Angezeigt in Petermann’s Geogr. 4) Steller, 1. c. p. 235. Mittheil., 1875, p. 113. 5) Beuiamunos®%, 3an. 06% octp. Yuaaamır. Ora. u. II, 3) Vrgl. z. B. Neuhof, Die Gesantsch. der Ost-Indich, | erp. 83—89. Geselsch. in den verein. Niederländen an dem Tartar. Cham 6) Oyrem. no cbe. Gep. Cuö. u np., u. II, crp. 339, 340 652 Die Völker des Amur-Landes. stehen, darf man folgern, dass die Tschuktschen sich auch von der Vermischung mit ihnen fern halten und weder Ehen, noch CGoncubinate mit ihren Sklavinnen eingehen. Bei den Tsehuktschen scheint somit ein ähnliches Verhalten den Sklaven gegenüber wie bei den Giljaken zu bestehen, und es bietet sich daher in diesem Verhalten wie in den Motiven dazu, dem lebhafteren Nationalbewusstsein und Freiheitssinn, eine ähnliche Parallele zwischen diesen beiden Völkern dar, wie in ihrem oben (p. 613) besprochenen unternehmenden Handelsgeist und ihrer ausgebreiteten Handelsthätigkeit. Einen ferneren Einblick in die Familienverhältnisse der Giljaken gewährt uns das bei ihnen bestehende Erbrecht. Dass es nur die männlichen Familienglieder bedenkt, die weiblichen aber nicht bloss leer ausgehen lässt, sondern sogar als Erbschaftsobjekt behandelt, versteht sich nach dem, was oben über die Ehe gesagt worden, fast von selbst. Die nächsten und, wenn sie vorhanden, einzigen Erben eines Giljaken sind seine Söhne, und zwar fällt ihnen das Gut des Vaters ohne Rücksicht auf ihre Altersfolge in ganz gleichen Theilen zu, — eine Gepflogenheit, die insofern besonders bemerkenswerth ist, als die giljakische Sprache für den ältesten der Brüder eine besondere Bezeichnung (ykkyn) im Gegensatz zu den jüngeren (atschek) hat. Die Frau und die Töchter, ob verheirathet oder unverheirathet, haben keinen Antheil am Erbe. Die erstere fällt, wenn sie durch ihr Alter der Eventualität einer nochmaligen Heirath entrückt ist, der Fürsorge ihrer Söhne anheim; die verheiratheten Töchter sind in den Verband anderer Familien getreten, nachdem sie durch den ihrem Vater für sie gezahlten Kaufpreis das nunmehr ihren Brüdern zufallende Erbe vermehrt haben, und die unverheiratheten Töchter werden fortan Eigenthum ihrer Brüder und müssen, wenn ein Freier sich findet, von ihnen gekauft und der Kaufpreis zwischen diesen wiederum gleich getheilt werden. Stirbt einer der Brüder unver- heirathet, so beerben ihn die übrig gebliebenen ebenfalls zu gleichen Antheilen. Dasselbe ge- schieht auch, wenn unter mehreren selbständig gewordenen Söhnen eines Giljaken einer noch zu Lebzeiten des Vaters unverheirathet stirbt; dem letzteren kommt nichts zu gut, denn unter keinen Umständen darf ein Vater seinen Sohn beerben. Anders lautet das Erbrecht, wenn von mehreren Brüdern einer stirbt, der verheirathet gewesen ist und ein Weib oder auch Weib und Kind, und zwar noch unerwachsene Töchter und Söhne hinterlässt. Ist nur eine Wittwe hinterblieben, so fällt sie mit Allem, was ihr Mann und sie hatten, dem nächstfolgenden Bruder ihres verstorbenen Mannes und zwar als Frau anheim, gleichviel ob dieser noch unverheirathet ist, oder auch schon eine oder mehrere Frauen hat. Dies beweist am besten, dass die Giljaken der Polygamie principiell keineswegs abgeneigt sind und nur aus praktisch-ökonomischen Gründen meist in monogamischer Ehe leben. Dasselbe geschieht auch, wenn eine Wittwe mit unerwachsenen Töchtern oder auch diese allein hinter- bleiben: letztere werden gewissermaassen als auch zum Vermögen ihrer Eltern gehörig ange- sehen, sie fallen somit auch dem nunmehrigen zweiten Manne ihrer Mutter als Erbe zu und können, wenn sie mannbar geworden und Freier sich einstellen, nur gegen Zahlung an ihn ge- kauft werden. Sind hingegen mit der Wittwe auch unerwachsene Söhne hinterblieben, so erbt ihr Schwager zwar sie und die Töchter, das Vermögen ihres verstorbenen Mannes aber fällt Giljaken. Erbrecht. Der kall. 653 ihm nur zeitweilig, zur Nutzniessung anheim und muss ihren Söhnen, sobald sie erwachsen sind, als ihr Eigenthum überliefert werden. Die Ehe der Wittwe mit ihrem Schwager ist übrigens nicht durchaus obligatorisch: findet sich ein Mann, der sie heirathen möchte, so kann er sie unter Einwilligung ihres Schwagers und gegen Entrichtung einer von diesem bestimmten Zahlung bekommen und, wie es in der Regel bei den Giljaken geschieht, auch ihre Kinder mitnehmen. Doch darf er diese, wenn sie erwachsen sind und von ihren väterlichen Verwandten zurückverlangt werden, nicht zurück- halten, sondern ist verpflichtet, sie ohne irgend welche Entschädigung oder Beeinträchtigung ziehen zu lassen. War jedoch der Verstorbene der jüngste von den Brüdern, so erben seine älteren Brüder zwar sein Vermögen, die Wittwe aber fällt keinem von ihnen anheim, sondern darf nach ihrem Belieben jeden etwaigen Bewerber heirathen, ohne dass dieser ihren Schwägern für sie etwas zu zahlen hätte. In Beziehung auf ihre Kinder aus erster Ehe gelten aber die oben erwähnten Bestimmungen. In den letzterwähnten Fällen, wo Weib und Kind wenigstens zum Theil das Erbschaftsob- jekt bilden und daher das Prineip der Gleichtheilung zwischen allen Brüdern nicht wohl einge- halten werden kann, giebt somit das giljakische Erbrecht nicht dem älteren, sondern dem jün- geren Bruder den Vorzug. Trotzdem also der älteste Bruder durch eine besondere Bezeichnung von den jüngeren unterschieden wird, sind diese beim Erbrecht thatsächlich doch die Bevor- zuglen. Wenn endlich ein Giljake stirbt und weder Söhne, noch Brüder da sind, welche die Erbschaft antreten könnten, so geht diese auf die nächsten männlichen Verwandten des Ver- “ storbenen, also Bruders- und Vaterbruderssöhne, oder Neffen und Vettern ersten und zweiten Grades, jedoch immer nur väterlicherseits, über. Die Giljaken sagen, das Erbe käme in die- sem Falle dem %all des Verstorbenen zu. Zur Erklärung dafür muss ich anführen, dass sie einen wesentlichen Unterschied zwischen den Verwandten von väterlicher und denen von müt- terlicher Seite machen: jene heissen ngafk und werden allein für blutsverwandt gehalten, diese dagegen werden nur dmal oder ärmal genannt, was auch so viel wie «Freunde» bedeutet. Daher ist der Vokativ amald, Freund, die gewöhnliche Anrede, deren sich die Giljaken sowohl un- ter einander, als auch Fremden gegenüber bedienen und die man auch ihnen gegenüber ge- braucht, während das viel mehr sagende naifkd nur selten zu hören ist, und auch nur wenn sie mit einander sprechen. Die Gesammtheit der ngafk’s, der väterlicherseits Verwandten eines Giljaken, bildet seinen kall. Dieses Wort bedeutet jedoch nicht bloss Stamm, Geschlecht, Sippe, sondern auch Name. Ein kall ist somit genau dasselbe wie bei uns ein denselben vä- terliehen oder Familiennamen tragendes Geschlecht. Es ist das goldische hala, das ursprüng- lich auch nur ein Familienverhältniss bezeichnete, später aber, durch die Mandshu-Regierung zu administrativen Zwecken benutzt, eine weit über die Familie hinaus gehende Bedeutung er- hielt, die im nächsten Abschnitt ausführlicher auseinandergesetzt werden soll. Die Giljaken jedoch, die der Mandshu-Herrschaft stets ferner standen, sind davon nur kaum betroffen wor- 654 Die Völker des Amur-Landes. den und halten an ihrem ursprünglichen auf die Familie in der oben bezeichneten Weise beschränkten Begriffe des kall fest. Demnach liesse sich erwarten, dass sie auch besondere Namen für ihre verschiedenen Geschlechter besitzen, und ich zweifle in der That nicht, dass sie welche haben. Dennoch habe ich sie nie einen solchen brauchen hören. Das liegt aber vielleicht daran, dass in der Regel nur die nächsten Glieder eines kall in persönlichen Beziehungen zu einander stehen, und diese sind sich ihrer Zugehörigkeit zum selben Geschlecht auch ohne den gemeinsamen Geschlechtsnamen bewusst. Zudem wird die praktische Bedeutung dieser Zugehörigkeit für die Giljaken noch dadurch erheblich geschmälert, dass sie bei einer der wichtigsten Familienangelegenheiten, der Eheschliessung, gar keine Rolle spielt, indem bei ihnen, wie schon erwähnt!), anders als bei manchen anderen Völkern, auch Glieder eines und desselben kall einander heirathen dürfen. Aus den angeführten Bestimmungen des Erbrechts der Giljaken geht zur Evidenz hervor, wie sehr bei ihnen das männliche Geschlecht über das weibliche gesetzt und vor diesem bevorzugt wird. Hat doch das Weib nach Jiesen Bestimmungen nicht bloss kein Recht auf ein Erbe, sondern wird selbst noch vererbt, zuerst als Mädchen vom Vater auf die Brüder und dann als Wittwe auf den nächstfolgenden Bruder ihres verstorbenen Mannes, so dass sie somit niemals selbst über ihre Hand verfügen kann. Es bleibt ihr daher nur übrig, sich als Frau und Mutter durch die ihr von der Natur verliehenen Mittel und Gaben eine einflussreiche und geachtete Stellung im Hause zu erobern, und das gelingt ihr auch unter den Giljaken in nicht unbe- trächtlichem Maasse. Ein sehr ähnliches Erbrecht wie bei den Giljaken findet sich auch bei einem anderen paläasiatischen Volke, den wandernden Korjaken, deren Hauptbesitz in ihren Rennthierheerden besteht. Nach Ditmar°) erben auch bei ihnen nur die Söhne, und zwar in gleichen Theilen, das Vermögen des Vaters, Jen Töchtern aber werden nur die Rennthiere ausgehefert, die von den bei ihrer Geburt ihnen geschenkten Thieren abstammen. Auch bei ihnen theilen sich ferner beim Tode eines unverhejratheten Bruders die übrig gebliebenen zu gleichen Theilen in seinen Nachlass. War aber der Verstorbene verheirathet und hinterlässt er eine Wittwe, so fällt sie seinem jüngsten Bruder als Frau zu, wenn er unverheirathet oder Wittwer ist, und wenn dies nicht der Fall ist, dem zweitjüngsten, dem drittjüngsten, und s. f., immer unter derselben Be- dingung. Niemals hingegen darf sie das Weib eines älteren oder bereits verheiratheten Bruders ihres verstorbenen Mannes werden. Findet sich daher unter ihren Schwägern keiner, der diesen beiden Bedingungen entspricht, so wird sie frei und darf einen beliebigen Fremden heirathen?). 4) S. oben, p. 636. schen Gebiels (kpusomankuns, Enuceiick. oxp. 3an. 2) Bull. de la cl. hist.-phil. de l’Acad. Imp. des sc. de | Hm. Pycex. Teorp. O6. 1863, I, Hsca. un Mar. crp. 178. St. Petersb., T. XI, p. 125; Mel. russes lires du Bull. | Tpersako»t, Typyxancr. kpaii. 3an. Pycer. Teorp. O6. T. III, p. 33. Io om. Teorp. T. 1, 1869, erp. 403), bei den Jakuten 3) Die Sitte, dass die Wittwe des älteren Bruders dem | (Sauer, Kap. Billing's Geogr. astronom. Reise nach den Jüngeren zufällt, diejenige des jüngeren aber frei wird, | nördl. Geg. Russlands, p. 164) u. a. Völkern Sibiriens. findet sich auch bei den Samojeden des Turuchanski- Giljaken. Blutrache, abergläubische Furcht vor deren Unterlassung. 655 Principiell stimmt also das giljakische Erbrecht mit dem korjakischen sehr überein, ist aber bei alledem doch noch um einige Grade ungünstiger für das weibliche Geschlecht. Sahen wir vorhin die väterlicherseits Verwandten bei den Giljaken Rechte geniessen, die den mütterlicherseits Verwandten nicht zukommen, so liegen ihnen andererseits auch Pflichten ob, welche die letzteren nicht haben, und sie erst recht als blutsverwandt kennzeichnen. Diese Verpflichtung tritt bei Ausübung der unter den Giljaken herrschenden Blutrache ein. Wie alle Naturvölker halten auch die Giljaken an dem Grundsatze fest, dass eine jede Blutthat, die an einem Menschen verübt worden, eine Vergeltung in ebenfalls blutiger Weise, sei es von ihm selbst oder von seinen Angehörigen erfordert. Und nicht minder sind sie des festen Glaubens, dass, wenn dieser Forderung nicht entsprochen wird, der oder diejenigen, die sich der Unterlassung schuldig gemacht haben, zur Strafe dafür mit Unglück, Ungemach aller Art, ja gar mit dem Tode zu büssen haben werden. Diese allgemein unter ihnen verbreitete Vorstellung übt bei Verübung von Blutthaten auf das Verhalten beider Theile, des aktiven wie des passiven, einen mächtigen, maassgebenden und nachhaltigen Einfluss aus, Im Interesse des Angreifenden liegt es daher, seine That aus dem Hinterhalte, in möglichst unerwarteter und überraschender Weise auszuführen und darauf in schleuniger Flucht ein sicheres, Schutz bietendes Versteck zu er- reichen, um auf diese Weise nicht bloss der sofortigen Rache zu entgehen, sondern dem Gegner die Ausführung derselben auch in Zukunft zu erschweren oder gar unmöglich zu machen und ihn dadurch den unvermeidlichen, bösen Folgen einer unterlassenen Blutrache preiszugeben. Meistens führt daher der Giljake eine im Herzen beschlossene Blutthat in der hinterlistigsten Weise mit dem ngawla-dshakko, dem grossen Messer aus, das beständig am Gürtel getragen, den wenigsten Verdacht erregt und das er am leichtesten dem Gegner, während er in scheinbarem Frieden neben ihm sitzt und eine Mahlzeit verzehrt oder auch eine Pfeife raucht, unvermerkt in die Seite stossen kann. In sein Heimathsdorf geflüchtet, vermeidet er hinfort, den Ort, wo er die Blutthat verübt, wieder zu betreten und geht seinen Insassen auch andrer Orten sorgsam aus dem Wege. Der Geschädigte aber, wenn er mit dem Leben davongekommen, denkt fortan nur daran, wie er sich ohne Verzug an seinem Feinde rächen könnte, denn je mehr Zeit darüber vergeht, desto schlimmere Folgen hat er für die Versäumniss zu erwarten und desto gefahrdrohender gestaltet sich vor seinen Augen die Zukunft. Welch’ eine Macht diese beständig genährte abergläubische Furcht über das Gemüth und das gesammte Sein eines Naturmenschen gewinnen kann, ist mir in einem Fall anschaulich entgegengetreten. Der Gil- jake Nenjdan, ein in seinem Dorfe (Allof) angesehener Mann, der mich bisweilen in Nikola- jefsk besuchte und dem ich manche interessante Mittheilung über sein Volk verdankte, war eines Tages, als er sich nach längerer Pause wieder einmal bei mir einfand, in auffallend nie- dergeschlagener und gedrückter Stimmung: die sonst gerade und ganz stattliche Gestalt, wie ich sie bei den Giljaken nur selten gefunden, erschien etwas gebeugt, das Auge blickte starr und trübselig vor sich hin, und die Sprache wollte auch nicht recht heraus. Da ich nicht ab- liess verschiedene Fragen an ihn zu richten, brach er endlich in die Worte aus: «ich muss bald sterben», und als ich nun fragte, ob er denn krank sei und was ihm fehle, lautete die Ant- Sohrenck’s Amur-Reise, Band III. 83 656 Die Völker des Amur-Landes. wort: «krank nicht, und dennoch muss ich bald sterben». Dieser Gedanke schien ihn ganz und gar zu beherrschen, und nun erzählte er mir Folgendes. Auf einer Reise zu den Mandshu sei er während des Handels mit ihnen mit einem Giljaken aus Kaki in Streit gerathen. Die Sache sei jedoch zuletzt friedlich verlaufen, und er habe sie für abgethan gehalten und soweit ver- gessen, dass er nach ihrer Rückkehr in die Heimath einmal aus Allof nach Kaki gefahren und in einem der dortigen Häuser abgestiegen sei. Die ihm bekannten Hauswirthe seien ihm auch ganz freundlich begegnet; des Abends jedoch, als er die ihm gereichte Mahlzeit verzehrte, habe ein auf der Schlafbank neben ihm liegender Mann, eben jener, mit dem er den Streit gehabt, ihm plötzlich sein Messer in die Seite gebohrt. Nach Allof zurückgekehrt, sei er von der Ver- wundung bald wieder genesen, sein Blutfeind aber habe sich in der Nacht darauf in Begleitung eines Verwandten nach Langr aufgemacht und lasse sich nicht wieder sehen. Zwei Jahre seien seit dem vergangen, während welcher er sich vergeblich die grösste Mühe gegeben, ihm irgend wo auf die Spur zu kommen, nach Langr selbst aber dürfe er nicht gehen, da er dort fremd sei, sein Blutfeind dagegen im sicheren Schutz seiner Angehörigen stehe. So habe er auch in Zukunft keinerlei Aussicht und Hoflnung von der auf ihm lastenden Schuld der Blutrache los- zukommen «und muss daher ich, so schloss er, bald sterben». Wie es ihm später ergangen, weiss ich nicht, da ich ihn nachher nicht wiedergesehen, noch von ihm was gehört habe. Ohne Zweifel aber kann der psychische Zustand, in den eine solche abergläubische Todes- furcht den Naturmenschen versetzt, schon durch Einfluss auf sein physisches Befinden und sein Benehmen in den mannigfachen Gefahren, zwischen denen sein Leben sich bewegt, von verderblicher Wirkung sein. Und dadurch, so wie in Folge der überall üblichen Logik des posthoc, ergo propter hoc, gewinnt der an die Blutrache geknüpfte Aberglaube immer neue Nahrung und Verbreitung. Die Ausführung der Blutrache wird dem Einzelnen theils erleichtert und theils erschwert durch den Umstand, dass sie nicht auf die an der Blutthat unmittelbar Betheiligten beschränkt bleibt, sondern auch deren Angehörige mehr oder minder in Mitleidenschaft zieht und ihnen gewisse Verpflichtungen auferlegt. Diese Verpflichtungen erstrecken sich jedoch bei den Gil- jaken nicht auf alle Angehörigen, sondern nur auf die Ngafk’s, die väterlicherseits Verwandten. Ganz unbedingt und mit allen Consequenzen tritt an sie die Forderung blutiger Rache in dem Fall, wenn der durch die Blutthat Betroffene, sei es sofort, oder in Folge der erhaltenen Ver- letzungen, sein Jeben eingebüsst hat und also selbst die Rache nicht mehr ausüben kann: je nach dem Verwandtschaftsgrade hat sie dann der Sohn, der Bruder, der Bruderssohn, der Enkel u. s. w. auszuführen. Kein Ngafk des Gefallenen darf, wenn die Reihe an ihn kommt, sich dieser Verpflichtung entziehen. Kommt hingegen der bei der Blutthat Verwundete mit dem Leben davon, so bleibt die Ausführung der Blutrache zwar ihm selbst vorbehalten, seine Ngafks haben aber die Verpflichtung, ihm dabei behülflich zu sein, indem sie den Aufenthaltsort seines Feindes auskundschaften, ein Zusammentreffen mit ihm zu bewirken suchen und ihrem Parten bei Ausübung der Rache nach Möglichkeit beistehen, ja nöthigenfalls sogar für ihn eintreten. Ganz ähnliche Verpflichtungen liegen andrerseits auch den Ngafks des Urhebers der Blutthat Giljaken. Die Blutrache obligatorisch; deren wohlthätige Wirkungen. 657 ob. Sie haben Alles zu thun, um die Anschläge ihrer Gegner zu durchkreuzen und ihren Ver- wandten vor der ihm drohenden Blutrache zu schützen. So giebt die Blutrache mit den aus ihr erwachsenden Forderungen und Verpflichtungen ein starkes Familienband ab, das in allen Gliedern desselben väterlichen Geschlechts das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und So- lidarität wachruft und erhält. Je zahlreicher daher ein Geschlecht und je lebendiger in ihm dies Bewusstsein ist, desto mehr Schutz und Hülfe kann es jedem Einzelnen seiner Glieder bieten. Darum ist es verständlich, dass die Angehörigen eines väterlichen Geschlechts gern an einem Ort oder in leicht erreichbarer Nähe von einander wohnen bleiben und auch solche ihrer Glieder, die in der Kindheit, in Folge einer zweiten Heirath ihrer verwittweten Mutter, mit dem Stiefvater davongegangen sind, sich nicht entfremden lassen mögen '). Die Solidarität aller Ngafks unter einander in Beziehung auf die Blutrache bietet ferner jedem Einzelnen und besonders den Angehörigen grösserer Geschlechter auch eine gewisse Garantie gegen allzu leichtfertige blutige Angriffe. Und das ist bei dem leicht verletzbaren, rach- süchtigen, hinterlistig zurückhaltenden, im günstigen Moment aber rasch zu blutiger That ent- schlossenen Sinn der Giljaken von nicht geringer Bedeutung. Die meisten ihrer Blutfehden werden allerdings durch ernste Motive veranlasst, ganz besonders durch den bei ihnen so häufig vorkommenden Weiberraub und die dadurch hervorgerufenen Collisionen. Oft sind es aber auch nur kleinliche Motive, eine vermeintliche Ehrenkränkung oder eine unbedeutende Schädigung des Eigenthums oder Gewinns, wie z. B. auch in dem oben erzählten Falle Nenjdan’s, die zur Blutthat treiben, und da dürfte der Selbsterhaltungstrieb doch Manchen davon zurückhalten, in das Wespennest eines starken und zahlreichen Geschlechts zu stossen. Andrerseits können freilich streit- und raublustige Glieder eines solchen Geschlechts durch das Vertrauen auf die hinter ihnen stehende Schutzwacht noch mehr in ihrem Uebermuth angestachelt werden und sich zu Handlungen hinreissen lassen, die zu Blutfehden führen oder auch unmittelbar die Blut- rache herausfordern, wie es z. B. den Tammla-wo-Giljaken auf Sachalin von ihren Landsleuten am Amur in der That nachgesagt wird. Im Ganzen jedoch hebt dieser Missbrauch die wohl- thätigen Wirkungen nicht auf, welche die Blutrache mit ihren Satzungen auch unter den Gil- jaken dadurch ausübt, dass sie bei noch ungeregelten Rechtsverhältnissen dem Einzelnen einen gewissen Schutz gewährt, und zwar indem sie die Grundlage jeder socialen Ordnung und Ent- wickelung, die Familie, festigt. In Betreff der Familienverhältnisse der den Giljaken zunächst wohnenden Amur-Völker, von denen, wie Eingangs dieses Abschnitts bereits gesagt worden, hier allein die Rede sein kann, muss ich mich auf einige an die obigen Auslassungen über die Giljaken geknüpfte Bemerkungen beschränken. | 1) S. oben, p. 652. 33* 658 Die Völker des Amur- Landes. In den vorigen Capiteln ist die nach allen Seiten des äusseren Lebens in hohem Grade erfolgte Ausgleichung zwischen den Oltscha und den Giljaken dargethan worden, — eine Ausgleichung, die man als eine Assimilirung jener durch diese aufzufassen hat. Eine solche Ausgleichung hat auch in Beziehung auf die Familienverhältnisse beider Völker stattgefunden, ja damit war erst die Basis gewonnen, von welcher aus die Assimilirung sich am eindringlichsten und nachhaltigsten nach aussen und innen hat bethätigen können. Und das Mittel, das zu dieser Ausgleichung gedient hat und noch immer dient, liegt offen zu Tage: es sind die häufigen Mischehen, die zwischen diesen beiden Völkern von da an stattfanden, als die Oltscha an den Amur heranwanderten und sich dort, nach Verlust ihrer Rennthiere, als Fischer in unmittel- barer Nachbarschaft der Giljaken niederliessen, Ehen, die auch jetzt noch fort und fort zwischen ihnen geschlossen werden. Dadurch wurde und wird die giljakische Familien-Sitte und Ordnung beständig auch zu den Oltscha getragen und hat sich im Laufe der Zeit so ziemlich in der- selben Form auch bei ihnen eingewurzeli und verbreitet. Einige Modifikationen in ihrem allge- meinen Charakter musste sie aber dabei doch erleiden, indem sie auf dem Boden eines seinen Naturanlagen nach sehr anders gearteten Volks verpflanzt wurde. Die Oltscha, ein Zweig des grossen, über ganz Sibirien und das Amur-Land ausgebreiteten tungusischen Stammes, sind von Natur viel gutmüthiger, weicher, biegsamer, sorgloser und leichtlebiger als die Giljaken. Es fehlen ihnen die Beharrlichkeit und Energie der letzteren, aber es liegen ihnen andererseits auch deren Habsucht, Hinterlist und Rachsucht fern. Diese ursprünglichen Charakterzüge der Oltscha unterliegen zwar, in Folge der Assimilirung dieses Volks durch die Giljaken, eben- falls der Veränderung, — und diese ist zum Theil auch schon erfolgt, — machen sich aber dennoch immer wieder und so u. A. auch in ihren Familienverhältnissen geltend. So kommt zwar bei den Oltscha neben dem allgemein üblichen Weiberkauf auch Wei- berraub vor, allein lange nicht so häufig und meist, wie bei den Giljaken, vornehmlich wohl aus dem Grunde, weil sie unter einander und mit ihren Nachbarn von tungusischem Stamme, bei mässigeren Forderungen, leichter im Handel übereinkommen, alsdann auch weil zum Rauben ein rasches und entschlossenes Handeln erforderlich ist, das nicht in ihrer Natur liegt, und endlich wohl auch aus natürlicher Friedensliebe und Scheu vor den bösen und blutigen Folgen, die der Weiberraub nach sich zu ziehen pflegt. Merkwürdigerweise jedoch führen sie ihn noch am öftesten gerade nach der Seite aus, von wo sie am meisten einer nachhaltigen Rache gewärtig sein können, nämlich unter den Giljaken, sei es nun, weil sie mit diesen ihren Nachbarn im allerregsten Verkehr stehen, oder weil die giljakischen,Weiber für sie eine be- sondere Attraction haben und dagegen die hohen Forderungen der Giljaken für ihre Töchter, zumal wenn sie ausser Landes gehen sollen, ein friedliches Uebereinkommen oft unmöglich machen. In solchen Fällen, von denen mir die Giljaken mehrfach erzählten, sind denn auch blutige Conflikte unvermeidlich, doch erreichen sie lange nicht den Umfang, den die durch Wei- berraub und die ihn begleitenden Unthaten zwischen den Giljaken selbst hervorgerufenen Blutfehden nicht selten annehmen. Und das ist wiederum der friedliebenderen tungusischen Naturanlage der Oltscha zuzuschreiben. Oltscha. Die Blutrache seltener. Korbwiege. 659 Ueberhaupt sind jegliche und besonders in unerwarteter, hinterlistiger Weise verübte Blutthaten unter ihnen weit seltener als unter den Giljaken und damit auch die Veranlassungen zur Blutrache sehr viel geringer. Bezeichnender für sie ist es aber noch, dass in Fällen, wo eine solche Veranlassung vorliegt, die Sache zuweilen doch einen friedlichen Ausgang nehmen kann, indem sie sich durch eine Zahlung bewegen lassen von der Blutrache abzustehen, was bei den Giljaken kaum oder nur in den seltensten Fällen vorkommen dürfte. So liessen sich z. B. die Oltscha von Pulssa von dem Giljaken Judin in Tebach für eine Blutthat, die sein Bruder unter ihnen begangen hatte, durch Zahlung abfinden, während er selbst unablässig dar- nach trachtete, an einem Oltscha von Uchtr für die Entführung seiner Tochter Rache zu nehmen. Werden, wie man aus dem Angeführten sieht, manche Härten der giljakischen Familien- verhältnisse bei den Oltscha durch ihr sanftmüthigeres Naturell gemildert, so erfährt bei ihnen andererseits auch die unter den Giljaken herrschende Sittenstrenge eine erhebliche Abschwächung. Und daran ist zum grossen Theil auch der Umstand schuld, dass sie nicht die Energie der Gil- jaken gehabt haben, den-chinesischen Kaufleuten und Händlern den Zutritt in ihr Land, ge- schweige denn einen mehr oder weniger ständigen Aufenthalt in demselben zu verweigern. Wie schon erwähnt!), giebt es im Gebiet der Oltscha viele Punkte, wo sich chinesische Händler zeitweise oder auch fast beständig unter ihnen aufhalten, und diese wirken um so depravirender auf sie ein, als sie keine eignen Wohnungen haben, sondern mit ihren aus den Eingeborenen selbst entnommenen Concubinen, in ihren Häusern und mitten unter ihnen ihr Domicıl auf- schlagen. Zugleich trägt der diesen Händlern stets zur Verfügung stehende Branntwein nicht wenig zur Sittenverderbniss bei. Dem entsprechend ist auch die sittliche Stellung der Oltscha zu ihren Sklaven und Sklavinnen, die sie sich, ebenso wie die Giljaken, wenn auch seltener und in geringerer Zahl, auf ihren Handelsreisen nach Sachalin durch Kauf aus dem Aino- Volk verschaffen, weniger streng und rigoristisch. Dabei halten sie jedoch an dem Grundsatze der Giljaken fest, keine Individuen aus dem eigenen Volk als Sklaven zu halten, geschweige denn anderen Völkern zu verkaufen. Endlich muss ich bemerken, dass es auch im äusseren Zubehör ihres Familienlebens, trotz der grossen Uebereinstimmung mit den Giljaken, einzelne kleine Züge giebt, in denen sich ihre ursprürglich verschiedene tungusische Eigenart bekundet. So hat die oben beschriebene, so charakteristische giljakische Kinderwiege bei ihnen keinen Eingang gefunden. Anstatt ihrer bedienen sich die Oltscha eines aus feinen Holzruthen geflochtenen länglichen, am Kopfende etwas höheren Korbes, der an einen Querbalken der Jurte gehängt wird und vermittelst eines an ihn befestigten langen Bandes auch aus einiger Entfernung hin und her geschaukelt werden kann. Diese einfachere und leichtere Kinderwiege mag sich bei ihnen, in Folge des besonders conservativen Sinnes des weiblichen Geschlechtes, noch aus der Zeit ihres Nomadenlebens er- halten haben. Anders verhält es sich mit den Golde. Hier ist von einer Assimilirung durch die Giljaken 4) S. oben, p. 71, 604. 660 Die Völker des Amur-Landes. gar keine Rede, obgleich durch den direkten Verkehr beider Völker mit einander, und haupt- sächlich durch Vermittelung der zwischen ihnen wohnenden, den Golde stammverwandten Oltseha Manches vom giljakischen Wesen auch auf sie übertragen worden ist. Hingegen stehen sie unter sehr starkem chinesischen Einflusse, der, den unteren Amur stromaufwärts gegangen, mehr und mehr wächst und am Ussuri und Sungari sein Maximum erreicht. Sind sie doch auch faktisch und nicht bloss nominell, wie ihre nördlichen Nachbarn am Amur, der chinesischen Herrschaft unterworfen, indem es in ihrem Lande mehrere beständige Sitze mandshu-chinesischer, Tribut erhebender und Gewalt ausübender Regierungsbeamten giebt!), und haben sie sich doch u, A, auch der von der Mandshu-Dynastie allen Unterthanen des himmlischen Reichs vor- geschriebenen Haartracht anbequemen müssen, während die ferner wohnenden Oltscha und Giljaken sich dem entziehen durften ?). Vom Ussuri und besondes vom Sungari kommen auch beständig und in weit grösserer Zahl als zu den Oltscha chinesische Händler in das unterhalb gelegene Gebiet der Golde hinab und nisten sich unter ihnen ein, um sich nach Möglichkeit an ihnen zu bereichern. Der verderbliche Einfluss, den diese Eindringlinge, wie oben erwähnt, auf die Familienverhältnisse und die Sittlichkeit der Oltscha ausüben, macht sich daher in noch weit höherem Maasse unter den Golde geltend. Ja bei diesen haben sie ein um so leich- teres Spiel, als sie noch gutmüthiger als die Oltscha sind und ihnen auch die Widerstandskraft abgeht, welche den letzteren, dank der im Laufe der Zeit erfolgten Beimischung giljakischen Blutes, innewohnt. Hand in Hand mit der Lockerung der Familienverhältnisse und mit der Sittenverderbniss geht auch die materielle Ausbeutung der Golde durch die Chinesen. Durch Branntwein und andere Mittel um ihren Besitz gebracht und in Schulden gestürzt, verlieren sie die Lust am Erwerbe, sowie die dazu erforderliche Energie und verfallen mehr und mehr in Trägheit und Indolenz, die unvermeidlich zu völliger Verarmung und Verkommenheit führt. Noch sind sie natürlich lange nicht alle und nicht allenthalben so weit, aber wo sie auch am günstigsten gestellt sind, wie im untersten Theil ihres Wohngebietes, am Amur, zwischen der Gorin-Mündung und dem Geong-Gebirge, lässt sich an ihnen der verderbliche Einfluss der mandshu-chinesischen Herrschaft und Ausbeutung in der angegebenen Richtung doch nicht verkennen. Es fehlt ihnen die freie und selbstbewusste Haltung der Giljaken und zum Theil auch der Oltscha, sowie deren Trieb nach Erwerb und Gewinn, der sich dem Fremden gegenüber nicht selten sogar in zudringlicher Weise äussert, und dagegen haben sie stets etwas Gedrücktes, Zurückhaltendes, Aengstliches und sogar Scheues in ihrem Wesen. Wie tief ihr Nationalbe- wusstsein bereits niedergedrückt worden ist, kann man aus dem Umstande ersehen, dass sie zwar mit der verachteten Stellung der Sklaven und Sklavinnen bei den Giljaken bekannt sind und gleich ihnen bisweilen auch selbst eine aus Sachalin mitgebrachte Aino-Sklavinn im Hause halten, und es dennoch nicht verschmähen, Individuen aus ihrem eigenen Volke den Giljaken in die Sklaverei zu verkaufen, was bei diesen nie vorkommt und als ruchlos gebrandmarkt werden 1) Nochmals erinnere ich daran, dass hier nur von den | in den Jahren 1854—56 vorfand. Zuständen die Rede ist, die ich selbst im Amur-Lande 2) S. oben, p. 412 — 414. Golde und Orotschen. Verderblicher chinesischer Einfluss. 661 würde. Am allerzerstörendsten natürlich wirken die Mandshu-Beamten und chinesischen Händler auf die Familienverhältnisse der Golde dadurch ein, dass sie sie durch Bedrohung, Einschüch- terung und Erkaufung dazu bewegen, ihnen die Benutzung ihrer Weiber und Töchter als Con- cubinen zu gestatten. Damit ist die Lockerung und Lösung aller Familienbande eigentlich schon besiegelt und muss sich auch ohne anderweitiges Hinzuthun der Chinesen allmählich voll- ziehen. So musste dadurch das bei den Giljaken so feste Band, das alle Glieder eines und desselben väterlichen Geschlechts, des giljakischen Kall oder Hala, wie es bei den Golde heisst, mit einander verknüpft, stark gelockert werden, so dass es der chinesischen Regierung nicht schwer fallen konnte, ihm statt des verwandtschaftlichen ein lokal-bezirklisches Substrat zu geben, um es so zu ihren administrativen Zwecken zu benutzen, wie es in der Folge noch näher angegeben werden soll. In Folge dessen konnte aber auch die Satzung, welche die Ehe zwischen Angehörigen eines und desselben väterlichen Geschlechts (hala) verbietet, wenn sie bei den Golde ursprünglich bestand !), ihren Zweck, Heirathen zwischen allzu nahen Blutsver- wandten zu verhindern, nicht mehr erreichen. Ein anderes bei den Giljaken ebenfalls sehr kräftiges Familienband, das aus den Satzungen der Blutrache entspringt, besteht bei den Ussuri- Golde auch nicht mehr, da die letztere aus ihren Sitten bereits geschwunden sein soll?). Endlich scheint auch die feste Familienordnung, die bei den Giljaken, Korjaken und sibirischen Völ- kern das Verhältniss der Brüder eines Verstorbenen zu ihrer verwittweten Schwägerin in be- stimmter Weise regelt®), bei den Golde durchbrochen zu sein. Wenjukof) erzählt nämlich von einem Ussuri-Golde, einem Familienvater von etwa 30 Jahren, der drei Frauen hatte, von denen ihm zwei nach dem Tode seiner jüngeren Brüder zugefallen waren. Wie wir schon sahen (pP- ), ist bei den Giljaken, Korjaken und anderen sibirischen Völkern Solches nicht gestattet, sondern immer nur das Umgekehrte üblich, dass nämlich die Wittwe einem der jüngeren Brüder ihres verstorbenen Mannes und zwar in bestimmter Reihenfolge derselben, zufällt. Da nun das Letztere sicherlich auch bei den Golde nicht ausgeschlossen ist, so bleibt nur der Schluss übrig, dass bei ihnen sowohl die älteren, wie die jüngeren Brüder eines Verstorbenen ein Recht auf seine hinterbliebene Wittwe haben, ein Uebelstand, der vermuthlich nur aus Missachtung der ursprünglichen bestimmten Familienordnung entsprungen ist und nur zu leicht Zwist und Streit zwischen den Brüdern veranlassen kann. Den höchsten Grad von verderblicher Wirkung auf die Familienverhältnisse der Amur- Völker erreicht der chinesische Einfluss bei den Orotschen oder Ta-dse der obersten Ussuri- Zuflüsse und der anstossenden Meeresküste. Dort ist das bereits erreicht, was wir den Golde in der obigen Schilderung erst in Aussicht stellen mussten: Vernichtung aller Familienbande und die grösste materielle und moralische Verkommenheit. Dort sind aber auch die Chinesen in grösster, den Orotschen gegenüber überwiegender Anzahl vorhanden, theils als beständig der 4) S. oben, p. 3) S. oben, p. 2) Beumwko»%, O603p. p. Yeypu u 3eme.ib Kb BOCT. OTBb 4) L. c. p. 200, desgl. Hyrem. no orpaus. Pycex. Asiu Hea 40 mopa (Bbcra. Umn. Pycer. Teorp. O6m. 4. XXV, | u aan. o nuxe, C.-IIerep6. 1868, crp. 27. 1859, Ora. II, crp. 239). 662 Die Völker des Amur-Landes. indigenen Bevölkerung untermischte Händler, kleine Feld- und Gartenbauer, Ginseng-Sucher und drgl., theils als alljährlich, zum Seetangfischen, Goldwaschen und zu anderen Gewerben in Menge zusammen strömendes Gesindel aller Art, wie es oben bereits geschildert worden ist!). Geht man daher von der Amur-Mündung fast beständig in Meridianrichtung den Amur und Ussuri aufwärts und von den Quellflüssen des letzteren an die benachbarte Meeresküste, durch das Gebiet der Giljaken, Oltscha, Golde und Orotschen, so kann man einen stetigen und raschen Niedergang in der Familiensitte und Ordnung der indigenen Bevölkerung be- obachten, bis man endlich statt der wenn auch rohen aber doch fest geordneten und in ihrer Art gesitteten Familienverhältnisse der Giljaken, am anderen Endpunkte, bei den Orotschen, das Bild ihrer vollständigen Auflösung und Zerstörung vor sich hat. Und diese Wandlung voll- zieht sich unter dem Einflusse eines (allerdings asiatischen) Kulturvolkes, das selbst, in seiner Heimath, dem Ahnencultus ergeben ist. 1) S. oben, p. 68. 12. Abschnitt. Sociale Verhältnisse: Politische und rechtliche Stellung. Sociale Gliederung auf Grund des Wohlstandes. Nationaler Communismus. Unantastbarkeit des Eigenthums. Gastfreiheit. Vorsicht und Unentschlossenheit auf Reisen: Wind- und Wetterprüfung. Abergläubische Sturmbeschwichtigungen. Gruss und Danksagung. Sitte einander Geschenke und Gegengeschenke zu machen. Zuverlässigkeit in Geschäftsangelegenheiten. Zeitrechnung. Kalender. Kosmische Vorstellungen. Belustigungen: Gesang, Musik, Tanz, Spiele. Im Zusammenhange mit der Familie, der Grundlage aller socialen Ordnung, sind im vorigen Abschnitt auch schon die wesentlichsten und wichtigsten Grundzüge dieser letzteren bei den Giljaken und den ihnen benachbarten Völkern des unteren Amur-Landes besprochen worden: die Sittlichkeit, die Sklaverei, die Blutrache. Es bleibt uns nunmehr noch übrig, auch die in minder direkter und unmittelbarer Beziehung zur Familie stehenden Momente ihres socialen Lebens in Betrachtung zu ziehen. Zur Zeit meines Aufenthalts im Amur-Lande waren die Giljaken weder China noch Russ- land unterthan oder tributpflichtig. Im Anfang des Jahrhunderts hatte die chinesische Regierung noch eine gewisse Herrschaft über sie am Amur wie auf Sachalin ausgeübt und an mehreren Orten aus ihrer Mitte Aelteste ernannt, die einen gewissen Tribut in ihrem Bezirk einzusammeln und nach Deren abzuführen hatten. In den zwanziger Jahren jedoch hob sie, wie oben aus- führlich dargethan worden), diese Herrschaft auf und beschränkte sie auf die weiter strom- aufwärts zum Sungari hin gelegenen Theile des unteren Amur-Landes, so dass die Giljaken und Oltscha ihr nur noch nominell unterworfen blieben, und da es fortan keinen Tribut mehr einzusammeln und an die mandshu-chinesische Regierung abzufübren gab, so gingen unter ihnen auch die von ihr creirten Stellungen von Dorf- oder Bezirksältesten von selbst ein. Den ihrer Freiheit bewussteren Giljaken zumal waren sie zu meiner Zeit schon so weit aus dem 1) S. oben, p. 619 fi. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 84 664 Die Völker des Amur-Landes. Gedächtniss entschwunden, dass ich sie nie von denselben habe reden hören und auch keine giljakische Bezeichnung dafür kennen gelernt habe. Russischerseits aber hatte man zu meiner Zeit, Anfang der fünfziger Jahre, zwar festen Fuss an einzelnen Punkten des untersten Amur- Landes, so in Petrowskoje, Nikolajefsk, Mariinsk, gefasst), kümmerte sich aber um die Einge- borenen noch garnicht und überliess sie ganz und gar ihren eigenen Einrichtungen und Gepflo- genheiten, wofern sie nur die Ordnung in den russischen Ansiedelungen nicht störten?). So waren zu meiner Zeit die von mandshu-chinesischer Seite zur Administration der Giljaken getroffenen Einrichtungen bereits verschwunden, von russischer Seite aber noch keine eingeführt worden: das Volk war sich selbst überlassen und konnte in den angeführten Grenzen thun und lassen, was es wollte. Und diesen zum Studium seiner Eigenart gewiss sehr günstigen Zeit- punkt haben auch die nachstehenden Bemerkungen allein im Auge. Die Giljaken haben über die Familie und die väterlichen Geschlechter hinaus keinerlei der Selbstverwaltung dienende rechtlich-administrative Gliederung oder Organisation: es giebt unter ihnen keine etwa zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Schlichtung von Streitigkeiten und drgl. von ihnen selbst mit einer autoritativen Gewalt versehenen Individuen. Und es scheint bei ihnen auch kein Bedürfniss darnach zu bestehen. Da sie keine Kriege mit ihren Nachbarn oder unter einander führen, keine irgend gemeinsame Raubzügen in fremde Gebiete unternehmen, keinerlei Tribut zu sammeln und irgendwo abzuliefern haben u. s. w., so brauchen sie auch keine Anführer, Häuptlinge, Aelteste oder drgl. Die Ordnung wird durch Beachtung des altherkömm- lichen Brauches und der angestammten Sitte aufrecht erhalten, und bei Zwist und Streitigkeiten tritt Selbsthülfe ein, unterstützt von den Satzungen der Blutrache. So haben die Giljaken kei- nerlei Vorgesetzte oder Herren unter sich, sondern sind rechtlich alle unter einander gleich, mit Ausnahme natürlich der Sklaven, die aber, wie schon gesagt, keine Giljaken, sondern in Leibeigenschaft bei ihnen befindliche Fremdlinge sind. Für den Begriff «Herr», den sie zuerst durch die Mandshu-Chinesen kennen gelernt haben, brauchen sie daher, sowohl diesen wie den Russen gegenüber, auch den chinesischen Ausdruck dshangin?). Nur einmal hörte ich einen Giljaken sich auch als solchen bezeichnen: es war in der auf Sachalin am Ausgang des Tymy- Thales einsam gelegenen und von einem Ehepaar bewohnten Jurte von Miwwach, deren Wirth sich mir als «dshangin von Miwwach» vorstellte, wodurch er sich aber oflenbar nur als allei- niger Besitzer der Jurte zu erkennen geben wollte. 1) S. oben, p. 86—88. 2) Erst nach Abschluss des Traktats von Aigun (1858) und der definitiven Besitznahme des Amur-Landes durch die Russen wurden auch ihrerseits unter den Giljaken und den a. Eingeborenen aus deren Mitte Dorfälteste (russ. Starosta) ernannt und dem im nächsten Posten residirenden Kreischef (russ. Isprawnik) unterstellt. Dr. Seeland, der in den Jahren 1878—80 bereits solche Dorfälteste unter den Giljaken antraf, (Russische Revue, Bd. XXI, p. 233) verkennt den ganz und gar russischen Ursprung dieser Einrichtung, wie denn überhaupt die mangelhafte Unter- scheidung dessen, was den Giljaken ursprünglich eigen war und was sie von den Russen angenommen haben—und das halte zu jener Zeit schon sehr weit und tief um sich gegriffen — seiner Schilderung derselben fast allen Werth benimmt. 3) Gerbillon (bei Dukalde, Deser. de l’Empire de la Chine, T. IV, p. 385) führt die Bezeichnung «tschanghin» für einen hohen, das besondere Vertrauen des Kaisers ge- niessenden Beamten an. Gihjaken. Fact. polit. Unabhängigkeit. Völlige rechtliche Gleichheit. 665 Giebt es unter den Giljaken keine Ueber- und Unterordnung der Individuen in recht- licher Beziehung, so macht sich bei ihnen dagegen eine durch Unterschiede im Wohlstande be- dingte sociale Gliederung sehr merklich geltend. Bei einem Volke, das so allgemein und in so hohem Grade dem Handel ergeben ist, wie die Giljaken, kann es nicht anders sein, als dass der Reichthum eine grosse Rolle im socialen Leben spielt und maassgebend für Ansehen, moralische Macht und Einfluss der einzelnen Individuen wird. Der reiche Mann unter ihnen, der sich auf Handelsreisen zu den Mandshu und den Ssisam mit einem Vorrath an Allem ver- sorgt, was seinen Landsleuten nöthig ist oder begehrenswerth erscheint, ist für die Minder- bemittelten, die keine solche Reisen machen können, eine wichtige und unentbehrliche Person : bei ihm können sie jederzeit die kostbaren Thierfelle, die sie selbst erbeutet haben, gegen die ihnen erforderlichen Kleidungs-, Lebens- oder Genussmittel absetzen, und im Falle der Noth auch auf eine Aushülfe rechnen und Manches vielleicht auf Schuld, Anderes und das Noth- wendigste aber auch umsonst bekommen. Dank seinen Handelsreisen und seinem ausgebreiteten Verkehr ist ferner der reiche Giljake seinen unbemittelten Landsleuten in der Regel auch an Umblick, Erfahrung, Einsicht und Urtheil überlegen und gewinnt daher leicht neben dem materiellen auch einen moralischen Einfluss auf dieselben. Endlich gestatten ihm seine Mittel, sich ab und zu auch direkt in den Mittelpunkt des ganzen socialen Lebens und Treibens zu stellen und sein Haus zum Schauplatz geselliger Freuden, namentlich der grossen Bärenfeste und der sie begleitenden reichlichen Festmahlzeiten zu machen, an denen auch seine unbemit- telten Dorfgenossen und Geschäftsfreunde theilnehmen können. Unter diesen Umständen findet bei den Giljaken eine ganz spontane Ueber- oder Unterordnung der einzelnen Individuen in soeialer Beziehung auf Grund ihres grösseren oder geringeren Wohlstandes statt. Befragt man sie daher, wie ich es oft gethan, nach dieser oder jener Persönlichkeit unter ihnen, so werden sie es nie unterlassen, sich an erster Stelle über die Vermögensverhältnisse des Betreflenden zu äussern, indem sie kurz angeben, ob es ein Zscholla nibach, d. h. ein unbemittelter Mann, oder aber ein kolla- reicher oder mykstschr-kolla nibach, d. i. sehr reicher Mann sei, womit zugleich seine sociale Stellung und das Ansehen, dass er unter ihnen geniesst, im Allgemeinen angedeutet sind. Für reich kolla und darum angesehen gilt bei den Giljaken der Mann, der häufige Reisen zu den Mandshu und Ssisam macht, einen ausgebreiteten Handelsverkehr mit seinen Landsleuten und den Nachbarstämmen unterhält und überhaupt in sichtbarem Wohlstande lebt. Zur höheren Stufe gehörig, als mykstschr-kolla nibach, sehr reicher und hochangesehener Mann, wird er aber erst dann betrachtet, wenn er ausserdem auch den folgenden Bedingungen entspricht: 1) wenn er viele der oben erwähnten), in den Augen der Giljaken besonders werthvollen Gegenstände, wie einen Luchsfellpelz, alte mandshurische Eisenpanzer, mit Büflel- oder Nashornplatten belegte Bogen, dreihenklige japanische Kochkessel und drgl. m. besitzt, denn dass er diese an sich nutzlosen und doch sehr kostbaren Gegenstände nicht verkauft und 4) S. oben, p. 595 —598. 84* 666 Die Völker des Amur-Landes. somit praktisch verwerthet, sondern nur als todtes Kapital und Erbgut für seine Söhne bei sich aufbewahrt, beweist eben seinen grossen Reichthum; oder 2) wenn er von Zeit zu Zeit grosse Bärenfeste mit opulenten Festmahlzeiten und unter Hinzuziehung zahlreicher Gäste veranstaltet; oder endlich 3) wenn er einen besonders grossen Hausstand entfaltet und 3—5 Frauen nebst mehreren Sklaven oder Sklavinnen hat. Doch ist es nicht durchaus erforderlich, dass alle drei Bedingungen bei einer Person zutreflen, — es reicht hin, dass der einen, oder der anderen von ihnen Genüge geleistet wird, wenn es nur in einem besonders hohen Grade geschieht. So besass z.B. Ssogin in Kuik-Mäo manche Luxusgegenstände und hatte auch zwei Frauen und eine Sklavin, galt aber dennoch nur für einen kolla nibach. Als mykstschr-kolla hingegen wurden mir Numkwin in Wair!), Ansin in Kaki, Ssondon und sein Sohn Libgun in Tschylm, Jondom in Kalm, Pysgun und Mesgun?) in Patt und ganz besonders Judin in Tebach bezeichnet. Der letztere war ausser Anderem namentlich auch durch seine reichen und vielbesuchten Bärenfeste, an deren einem ich auch theilgenommen, sehr angesehen und populär unter seinen Landsleuten. Sein Ansehen, erzählten sie, ginge so weit, dass die Chinesen in Ssan-sin und die Japaner auf Sachalin ihn sogar als Giljaken-Dshangin bezeichneten und demgemäss auch behandelten, was Einige von ihnen veranlasst habe, ihn zuweilen auch so zu nennen, und dennoch, meinten sie, sei er kein dshangin, deren es unter ihnen überhaupt keine gebe, sondern nur ein mykstschr- kolla nibach. So sehr halten sie, selbst bei grosser Differenz der Mittel und demgemäss auch der socialen Stellung, an ihrer völligen Gleichheit unter einander in rechtlicher Beziehung fest. Wenn ich vorhin sagte, dass die unbemittelten Giljaken im Falle der Noth auf die Hülfe ihrer reicheren Landsleute rechnen und von ihnen Manches vieileicht auf Schuld, Andres aber auch umsonst zu erhalten hoflen dürfen, so bedarf dies einer Erläuterung. Man könnte nämlich darnach meinen, dass diese es mit jenen ungefähr ebenso wie die chinesischen Händler machen, welche den Golde, Orotschen und anderen Eingeborenen des Landes, unter denen sie sich aufhalten, im Nothfalle das Erforderliche, zu sehr hohem Preise gerechnet, in Schuld vorausgeben, um sie nachmals durch wiederholte, uncontrolirte Schuldverschreibungen zeitlebens nieht mehr aus ihren Schulden herauskommen, ja diese sich sogar auf ihre Kinder vererben zu lassen. Der- gleichen findet jedoch unter den Giljaken keineswegs statt. So viel ich auch mit Reichen und Armen unter ihnen verkehrt habe, so ist mir doch nie etwas zu Gehör gekommen, was über- haupt auf das Vorhandensein von irgend erheblichen Schuldverhältnissen zwischen den Einen und den Anderen zu schliessen erlaubte. Beide sind wohl auch zu umsichtig und praktisch ange- legt; zu fein und klug berechnend, um sich in solche, Beiden nachtheilige, die Einen an ihrem Ansehen und ihrer Popularität, die Anderen an ihrer Existenz schädigende Verhältnisse einzu- lassen. Nicht dass sie überhaupt keine Schulden unter einander machten, — es dürften aber immer nur kleine, im Bereich.ihrer Mittel liegende Vorschüsse an den Einen oder Anderen sein, deren gelegentliche Wiedererstattung für selbstverständlich gilt, oft aber, und bei ungleicheren Mitteln 1) Derselbe, von dem oben (p. 388, Anm. 1.) als einem 2) Das s ist in allen hier erwähnten Giljaken-Namen der Mörder de la Bruni&re’s geredet worden ist. ı weich, gleich dem französischen 2. Giljaken. Sociale Gliederung nach dem Wohlstande. Nationaler Communismus. 667 wohl zumeist, garnicht beansprucht wird, so dass davon auch nicht viel Rede gemacht wird. Damit mag es vielleicht zusammenhängen, dass sowohl Glehn, wie mir, trotz unseres sonst ziemlich reichlichen Wörterverzeichnisses, der giljakische Ausdruck für «schuldig sein» oder «Schulden haben» entgangen ist, — einen Begriff. der den Giljaken gleichwohl nach den bei ihren Nachbarn, den Golde und Aino, herrschenden Zuständen in vollem Maasse geläufig sein muss. Uebrigens wie dem auch sei, jedenfalls besteht die Aushülfe, die den unbemittelten Gil- jaken in der Noth durch ihre reicheren Dorfgenossen, Geschäftsfreunde oder sonstigen Be- kannten zu Theil wird, nicht darin, dass sie Dies oder Jenes auf Schuld erhalten, sondern, dass ihnen das zur Fristung des Lebens Nothwendigste umsonst (gilj. pai) verabfolgt wird. Und zwar geschieht dies in Folge des national-communistischen Geistes, der, allen Naturvölkern mehr oder weniger eigen, auch den Giljaken in immerhin nicht geringem Grade innewohnt. Mehr jedoch als bei manchen anderen Völkern, z. B. den tungusischen Stämmen, ist der Com- munismus der Giljaken streng national, d. h. auf eine Bethätigung nur innerhalb der Stam- mesgrenzen bedacht, was durch ihre scharfe sprachliche Absonderung von allen ihren Nachbar- stämmen und ihr reges Nationalbewusstsein bedingt und genährt wird. Ferner weist ihm der so sehr auf Handel, Gewinn und Mehrung der Güter gerichtete Sinn der Giljaken gewisse Schranken an, indem er ihm keineswegs alle Güter ohne Unterschied dienstbar macht, sondern nur solche, die ihnen die Natur selbst in ausreichender Menge und in einem zum Gebrauch so gut wie fertigen Zustande bietet, und welche sie daher gewissermaassen selbst zum Gemeingut stempelt. Als solches betrachten die Giljaken vornehmlich die Produkte, die ihnen das Meer und die Flüsse in Menge liefern, Fisch, Seehund und drgl., sowie nächst dem die ausschliesslich von diesen Produkten sich nährenden, durch ihr Fell auch dem Aermsten unentbehrlichen Hunde, endlich auch was ihnen der einheimische Wald an nährenden oder erquickenden Wurzeln, Beeren und sonstigen Vegetabilien liefert. Es gilt ihnen daher als selbstverständlich, dass in Nothfällen der reiche Giljake seinen unbemittelten Dorf- und anderen Stammgenossen, die ihn um Hülfe angehen, von seinem Vorrathe an den erwähnten Produkten (Fisch, Seehund etc. und Hundefellen) so viel zukommen lässt, als zur Befriedigung ihrer nothwendigsten Be- dürfnisse an Nahrung und Kleidung erforderlich ist. Und so lange seine Vorräthe daran nicht erschöpft sind, wird gewiss Niemand von ihnen an Hunger oder Frost umkommen. Ganz anders aber steht es um solche Güter, die die Natur dem Menschen nur spärlich bietet und die ihr mit Mühe und Anstrengung gewissermaassen nur abgerungen werden müssen, wie z. B. Zobel- und andere kostbare Thierfelle, so wie um Alles, was hauptsächlich vermittelst der letzteren von den Chinesen, Japanern oder Russen erhandelt wird. Keinem Giljaken, sei er reich oder arm, fällt es ein, sie ebenfalls als Gemeingut zu betrachten und sie demgemäss in Nothfällen dem Gemeinwohl zu opfern, resp. zu beanspruchen, dass dies geschähe. Zudem sind diese Güter für den Giljaken, im Vergleich mit jenen ersteren sämmtlich, auch die Cerealien, den Tabak und die einfachsten chinesischen oder russischen Kleidungsstoffe nicht ausgenommen, doch nur Luxus- güter, ohne die er im Nothfall sein Leben immer noch sehr wohl fristen kann. So bilden der ausserordentlich rege Handels- und Erwerbstrieb der Giljaken, ihr Streben nach Erhaltung 668 Die Völker des Amur- Landes. und Mehrung des Besitzes ein wirksames Gegengewicht dem Communismus gegenüber, und verhindern, dass der Faule und darum Arme auf Kosten des Arbeitsamen und Reichen lebt, ohne ihm jedoch in der Noth das zur Lebensfristung durchaus Erforderliche zu versagen. Ferner tragen die Giljaken dem communistischen Prineip auch in Betreff des Obdachs oder der Wohnung Rechnung, die in einem Lande mit langem und strengem Winter, wie ihre Heimath, zur Erhaltung des Lebens von nicht geringerer Bedeutung als Nahrung und Kleidung sind. Wie und in welchem Maasse das geschieht, kann man aus dem Nachstehenden entnehmen. Oben wurde schon erwähnt, dass die Giljaken in scheinbar ganz irrationeller Weise einen so grossen und zum Theil complieirten Bau, wie ihr nach chinesischem Muster errichtetes Wim- terhaus nicht halb so hoch an Werth wie ein einfaches, immer viel kleineres Vorrathshaus schätzen !). Das erklärt sich jedoch dadurch, dass das erstere trotz seiner Grösse viel geringere direkte Einnahmen bringt als das letztere, und dies wiederum beruht darauf, dass das Wohn- haus zum Theil communistischen Ursprungs ist und daher auch in seiner Benutzung bis zu einem gewissen Grade dem communistischen Prineip unterworfen bleibt, was beim Vorraths- haus ganz und gar nicht der Fall ist. Jenes kann nämlich eben seiner Grösse und complieirten Beschaffenheit wegen nicht wie dieses von einem Einzelnen errichtet werden: es bedarf viel- mehr zu seiner Entstehung der gemeinsamen Arbeit vieler Personen, die der Unternehmer, falls er sie nicht unter seinen Angehörigen findet, gegen ein geringes Entgelt aus der Zahl seiner Dorfgenossen oder Nachbarn heranzieht. Wenn es nun später auch dem- oder denjenigen gehört, die den Bau unternommen und sich die Anderen zur Mitarbeit willig zu machen gewusst haben, so bleibt es doch immer unvergessen, dass es seine Entstehung gemeinsamer Arbeit verdankt und dem entsprechend wird es auch stets gewissermaassen als Gemeingut betrachtet: es darf kei- nem Dorf- oder sonstigem Stammgenossen Schutz und Obdach verwehren, und es wider- spräche durchaus den Anschauungen und dem Usus eines giljakischen Hausbesitzers, wenn er von einem beständig bei ihm domicilirenden Individuum einen hohen Miethlohn, und zwar in einer anderen Form als durch Verpflichtung zu Hülfsleistungen für das Hauswesen, erheben wollte. Daher ist der direkte Ertrag eines Winter- und nicht minder auch eines Sommerhauses nur sehr gering. Anders verhält es sich mit einem Vorrathshause, das vom Besitzer selbst erbaut ist. Dieses steht ihm ausschliesslich zu eigen, und nur die bemittelteren Giljaken haben in sofern ein Interesse daran, als sie Vorräthe und andere Dinge besitzen und dafür keine Unterkunft finden. Doch ist es so praktisch eingerichtet, dass zu deren Niederlage auch nur eine Wand und, wenn es an dieser nicht genügt, eine zweite und eine dritte vermiethet werden kann, bis die Mittel zur Herstellung eines ganzen Vorrathshauses langen °). Da sich nun vom bemittelten Giljaken auch mehr fordern lässt, so beträgt ein Wandstück, auch nur zu einem Ja gerechnet, immer noch gegen 10 Ja an unmittelbaren Einnahmen. 1) S. oben, p. 598—601. mit seinen 11 Wandstücken (f—q) und 2 Miltelräumen 2) Vrgl. die Einrichtung eines Vorrathshauses (p. 358) | (ce und d). Giljaken. Unantastbarkeit des Bigenthum’s. Gastfreiheit. 669 Endlich huldigen sie auch darin dem communistischen Princip, dass sie mit Ausnahme der Stellen am Strom, wo ihre Lachswehren sich befinden, und der Punkte im Walde, wo ihre Fallen und Selbstschüsse aufgestellt sind, keinerlei Einschränkungen und Beengungen im Be- triebe des Fisch- und Thierfanges kennen. So dulden sie ganz unbeschränkt, dass die Liman- Giljaken zum Fischfang an den Amur-Strom, so wie dass die Tschomi-Giljaken sich zum Lachsfang weit abwärts an den Tymy-Fluss begeben und diese wiederum zum Kangi-Fang an die Meeresküste ziehen. Allerdings sind die Tschomi- und die Tymy- Giljaken durch Gast- freundschaft mit einander verbunden. Auch im weithin ausgebreiteten Walde lassen die Gil- jaken selbst Oltscha und Samagirn in ihr Gebiet eindringen, ohne einander zu behelligen. Gleich wie der Communismus so beruht ferner auch die Unantastbarkeit des Eigenthums auf dem nationalen Princip. Ich habe selbst alte und ehrwürdige Giljaken gesehen, die sich eines kleinen Diebstahls, so z. B. von einem Stück Butter oder dergleichen, nicht erwehren konnten, von jüngeren Leuten natürlich, ganz abgesehen, die sich das Aufschneiden und Aus- plündern von Reisesäcken u. drgl. erlaubten, wie es mir z. B. im Dorfe My im Amur-Liman selbst begegnet ist. Auch vor den Bewohnern des aım Eingange in den letzteren gelegenen Dorfes Langr bin ich von den Amur-Giljaken wiederholt gewarnt worden. Der entgegengesetzte Fall, dass Russen von den Giljaken stehlen, kommt aber allerdings viel häufiger vor, und die Ver- suchung, eine lose vorgeschobene Thür oder ein vorgehängtes Fischernetz zu beseitigen, um in ein Vorrathshaus zu dringen und es auszurauben, ist in der That viel grösser. Ja selbst die kleinen Leichenhäuschen waren ihres Inhalts nicht sicher, obgleich sie nichts Anderes als ein paar Gegenstände von symbolischer Bedeutung enthielten. So kam es, dass ich die haupt- sächlichste internationale Beziehung zwischen beiden Völkern aus der giljakisirten russischen Bezeichnung für «stehlen» (ukradntsch, russ. ukrastj) kennen lernte, und das giljakische Wort (enngarsitsch) mir erst viel später bekannt wurde. Hingegen dürfte es kaum vorkommen, dass ein Giljake einem Anderen etwas entwendet. Ja, mir sind auch Persönlichkeiten vorgekommen, wie z. B. ein Judin in Tebach, ein Mradamn in Ssabach u. A., denen ich auch vom interna- tionalen Standpunkte vollkommenes Vertrauen schenken durfte. Der erstere brachte mir z. B. eine Cigarren-Dose, die ich in seiner Jurte hatte liegen lassen, nach Verlauf von einigen Tagen zurück, ohne dass in derselben auch nur eine Cigarre gefehlt hätte. Dem letzteren schenkte ich ein noch grösseres Vertrauen. Da ich die Gefahr vor Augen haben musste, die mir eine in der unmittelbaren Nachbarschaft von meinem Hause errichtete mechanische Werkstatt bereitete, indem sie aus ihrem Schornstein fast beständig Funken über mein nur mit Baumrinde gedecktes Haus trug, so dass dieses leicht in Flammen aufgehen konnte, so beschloss ich meine Manu- skripte und Sammlungen zum Sommer, da ich eine Reise vorhatte, nach dem Dorfe Ssabach zu bringen und sie dem Giljaken Mradamn anzuvertrauen. Die Kisten wurden mit einem Deckel versehen, vermittelst eines Strickes in's Kreuz zugebunden und in der Sommerwohnung des Giljaken abgestellt. Mein Vertrauen aber hat sich vollständig bewährt. Auch die Gastfreiheit endlich wird vom nationalen Princip getragen. Anfangs schien es, dass die Giljaken mich ungastlich empfangen wollten, Sie sind zu misstrauisch, zu habgierig, 670 Die Völker des Amur-Landes. zu sehr auf ihren Vortheil bedacht, um sich umbefangen gehen zu lassen. Auf Sachalin wollten sie mir, bei meinem ersten Besuch der Insel, den Gebrauch des Feuers in ihrer Jurte entziehen, und drohten mir sogar mit dem Messer, so dass ich zu ernster Drohung mit der Pistole meine Zuflucht nehmen musste, um meinen Willen durchzusetzen. Dabei muss ich jedoch bemerken, dass vor meiner ersten Reise nach Sachalin unter den Giljaken das Gerücht sich verbreitet hatte, die Russen wollten die Insel für sich haben und darum alle Giljaken ermorden. Mittler- weile aber, als ich einen Winter im Amur-Lande verbracht und zahlreiche Verbindungen an- geknüpft hatte, aus denen sie ersehen konnten, dass ich es gut mit ihnen meinte und ihnen stets freundlich entgegen kam, traten sie auch selbst freundlich und gastfrei mir entgegen, so dass sich zwischen uns ein sehr gutes Verhältniss entspann, und ich mich sogar eines gewissen Ver- trauens ihrerseits erfreute. Dennoch gab es allemal einen grossen Unterschied, ob es nur einen Russen (lotscha) oder einen nibach (Giljaken) zu beherbergen gab: sobald der Ruf «nibach pritsch» erscholl, prasselte die von Weibern geschürte Flamme lebhafter auf, dem Eintretenden wurde der Schnee mit einem säbelförmigen Holzstücke (gil. warwars) abgeschabt und geklopft, eine Schale mit Fischthran und ma zum Willkomm dargereicht, und so spät es auch war noch ein Mahlzeit bereitet. Darauf liessen sich der Wirth und sein Gast an der lodernden Flamme nieder, es wurden die Erlebnisse des Tages besprochen, woran auch die Weiber theilnahmen, und bis spät in die Nacht hinein wurde eine kleine Pfeife nach der anderen geraucht, indem sie stets in derselben ruhig bedächtigen Weise von Hand zu Hand wanderte. Sodann verlangt es auch die Gastfreiheit, dass die Hunde, bevor sie Tags darauf an die Weiterreise gehen, noch gefüttert werden. Der Giljake reist daher immer nur in kleinen Tagereisen, von Dorf zu Dorf. Wird er bei grösserer Entfernung der Dörfer von einander oder wenn ihn ein Unwetter überrascht, ein- mal genöthigt, die Nacht im Freien zuzubringen und erreicht er das nächste Dorf nachdem die regelmässig vor sich gehende Hundefütterung dort bereits stattgefunden hat, so wird das Feuer unter den Kesseln ohne Weiteres von Neuem angemacht und für die Hunde des neu angekom- menen Gastes eine besondere Mahlzeit bereitet. Selbstverständlich bleibt er dann auch über Nacht im Ort und setzt seine Reise erst am nächsten Morgen nach wiederum vollzogener Hunde- fütterung fort. Jedenfalls aber werden die Wetterzeichen auch dann erst sorgfältig geprüft, zumal an den längs der Meeresküste gelegenen Orten, wo starke Winde und Schneegestöber sich besonders oft ereignen und dem Reisenden manche Gefahr bringen. Während der mehrtägigen Unwetter, die mich im Februar der Jahre 1855 und 56 im Dorfe Tyk an der Westküste Sachalin’s fest- hielten, bin ich oft Zeuge der Unentschlossenheit gewesen, die sich der Giljaken bemächtigt, wenn das Wetter noch etwas zweifelhaft ist und es sich um die Frage handelt, ob die Weiter- reise unter solchen Umständen zu riskiren sei. Meist liefen allerdings die Verhandlungen dahin aus, dass noch ein Tag der Ruhe zuzugeben sei, denn Eile liegt den Giljaken durchaus fern und eine fast übergrosse Umsicht leitet sie stets auf Land-, wie auf Seereisen. Mehrmals hatte ich aber auch Gelegenheit, die Einsicht, die sie in die klimatischen Verhältnisse ihres Landes Giljaken. Kurze Tagereisen. Mittel zur Besänftigung der Sturmgeister. 671 und die Erfahrungen, die sie darüber hatten, zu bewundern, denn einmal hatte ich mich bereits zur Weiterreise aufgemacht und sah mich doch genöthigt, nach dem mir verhassten Dorf, wo ich so ungastlich aufgenommen worden war, wieder zurückzukehren. Ein anderes Mal erreichte ich zwar die 5—7 Werst vom Dorf entfernte Meeresküste und setzte meine Reise längs der- selben fort, hatte aber auch ein arges Unwetter mit Schneegestöber zu bestehen. Besonders fürchteten die Giljaken, von einem über das Ochotskische Meer streichenden und fast immer mit Schneegestöber verbundenen Ady (Nord- und Nordwest)- oder Tehlangi (Ost- und Nordost)- Sturme überrascht zu werden, während der Ladwilantsch (Südostwind), der Tungyrsch und Ngaluws') (West- und Südwestwind) und der Kongrsch (Südwind) sie weniger besorgt machen?). Hingegen sind die letzteren besonders gefährlich, wenn es gilt eine Fahrt von Dui nach den an derselben Küste südwärts gelegenen Dörfern zu machen, da das Meereseis alsdann bis- weilen unmittelbar vor den Schutten der Reisenden zerbricht. Im Dorf selbst wurden verschiedene Mittel zur Besänftigung der entfesselten Sturmgeister angewandt. An der Spitze einer langen, in den Schnee gesteckten Stange war ein viereckiges Stück Seehundsfell angebracht, das offenbar die Bestimmung hatte, dem Unwetter als Opfergabe zu dienen. Denselben Zweck, aber in viel hübscherer Form erfüllte auch ein zweites Mittel. Es wurde ein an der Spitze zweizinkiger, am Schaft mit zwei Quirlen angeschnitzter Löckchen versehener Pfeil von gewöhnlicher Grösse bereitet, zwischen die beiden, ebenfalls kleine Holzlöckchen tragende Zinken der starke Mittel- nerv eines Tabaksblattes und ein Stückchen glimmenden Zunders gesteckt und der Pfeil dem stürmischen Ady-Winde entgegengeschossen. Ein drittes Mittel endlich besteht darin, dass dem Zauberpfeil zur Beschwörung des Sturmes. Unwetter eine Anzahl Hundewelpen geopfert werden. Im Dorfe Tyk belief sich deren Zahl auf drei und ihnen sollten, wenn der Sturm am nächsten Tage nicht aufhörte, noch drei andere folgen °). Dieses Mittel war jedenfalls zweckmässiger, indem es die Nahrungsmittel der Menschen vermehrte und, bei dem zur Zeit sich bereits fühlbar machenden Mangel, dem Hundefutter zu Gute kam. Niemals habe ich gehört oder gesehen, dass die Giljaken beim Betreten eines Hauses den Wirth, die Wirthin oder sonstige Bekannte mit einem Wort oder einer Geberde begrüssten, und eben so wenig geschieht es beim Verlassen desselben. Wie ich aus Middendorff’s handschrift- lichen, mir zur Benutzung überlassenen Aufzeichnungen ersehe, erregte dieses Kommen und Gehen ohne jeglichen Gruss auch schon sein Erstaunen. Bei mir gingen sie ebenfalls be- ständig ohne Gruss oder in letzter Zeit höchstens mit einem den Russen abgelernten «sdrastwuw und «proschtschai» ein und aus. Nur den Mandshu und Chinesen gegenüber machen sie es den —h — — 1) Weich, wie das französische z auszusprechen. Tschlangi, Kongrsch und Tungyrsch (N, O, Sund W), 2) Am Amur werden die Winde in der Regel minder | unterschieden. genau, und nur nach den vier Hauptrichtuugen: Ady, 3) Darüber s. oben, p. 434. 85 - 672 Die Völker des Amur-Landes. tungusischen Amur-Völkern nach, indem sie sich vor ihnen auf ein Knie niederlassen und mit dem Kopf verbeugen, und das geschieht auch nur, um deren Wohlwollen zu gewinnen und sich einer Bestrafung von ihrer Seite zu entziehen, da die Mandshu-Beamten in Ssan-ssin und auch anderer Orten auf eine derartige Ehrenerweisung streng halten. Was mich aber noch weit mehr wundert, ist die Thatsache, dass das Wort «danken» in ihrem Lexikon gänzlich zu fehlen scheint: weder unter einander, noch mir gegenüber habe ich es jemals von ihnen brauchen hören. Nicht anders ist es auch Middendorff und Glehn er- gangen. Ich möchte es der Lückenhaftigkeit unseres Wörterverzeichnisses zuschreiben, das an Ausdrücken für abstrakte Begriffe und Gemüthsbewegungen überhaupt nur arm ist. Andrerseits ist kaum anzunehmen, dass wenn das Danken ihnen wirklich im Herzen läge, sie kein Wort dafür haben sollten und dass uns dieses nur allemal entgangen sei. Haben wir sie doch in den verschiedensten Lagen empfangener Dienst- und Hülfsleistungen und fast bis zum Ueber- mass dargebotener Gastfreundschaft gesehen. Sollte es in der That möglich sein, dass Gäste, die man bei notorisch kärglichen Mitteln, in Folge eingetretener Unwetter, Tage lang bei sich aufnimmt und mit sammt ihren Hunden ernährt, wie die Giljaken es unter einander thun, abreisen, ohne ein Wort des Dankes gesagt zu haben? Beruht Alles nur auf nationalem Com- munismus oder auf der sicheren Voraussetzung einer in ähnlichen Fällen selbstverständlich entsprechenden Gegenleistung? Mir gegenüber fiel jedenfalls das Eine wie das Andere fort, und dennoch habe auch ich niemals einen Dank von den Giljaken erhalten. Ich habe dabei nicht etwa die Gaben im Auge, die infolge des Bettelns gereicht werden, das in den giljakischen Behausungen dem Reisenden sehr lästig werden kann und zu welchem hauptsächlich Kinder vorgeschoben werden. Diese mögen das Danken nicht gelernt oder in neugieriger Anstaunung des Reisenden vergessen haben, Aber ich habe den Giljaken oft genug auch grössere Dienste erwiesen. So fanden sie in meinem Hause stets eine gastliche Aufnahme, wobei für die Sicherheit ihres Hab’ und Guts, ihrer Hunde und des ganzen übrigen Gefährts Sorge getragen war, so dass sie ruhig ihren Handelsgeschäften im Ort nachgehen konnten. Unter Anderem veranlasste ich einmal, dank dem strengen Gerechtigkeitssinn des damaligen Gouverneurs, Contre-Admi- rals Sawoiko, auch eine Untersuchung über die Entwendung eines ganzen mit verschiedenen Waaren beladenen Gefährtes, die dem Giljaken Judin zugestossen war, wobei der Schuldige überwiesen und Judin zur Entschädigung eine namhafte Summe ausgezahlt wurde. Dennoch blieb der Dank, obwohl ich es mit einem der besten und angesehensten Giljaken zu thun hatte, auch in diesem Falle aus. Hingegen ist es bei den Giljaken üblich, sich zum Zeichen, dass man in nähere, vielleicht gar geschäftliche Beziehungen zu einander treten möchte, gegenseitig kleine Geschenke zu machen. Als ich zum ersten Mal ein solches erhielt, erkundigte ich mich nach dem Preise des- selben, bekam aber zur Antwort, dass das Wörtchen pai, d. h. umsonst oder unentgeltlich, hinzugefügt worden sei und dass ich es also als Geschenk zu betrachten habe, wobei der mir bereits bekannte Giljake Jutschin mich zugleich darüber belehrte, dass ich ihrer Sitte ge- mäss nunmehr ein Gegengeschenk zu machen hätte, unter Wiederholung desselben Wörtchens Giljaken. Gruss u. Dank ungebräuchlich. Austausch kl. Geschenke. Zugaben b. Handel. 673 pai. Unterblieb das Letztere, so wurden auch die dagegen dargebotenen Gegenstände zurück- gewiesen und das Wörtchen pai nochmals betont. Zuweilen wurde mir dann auch bedeutet, in welcher Form man das Gegengeschenk zu haben wünsche, ob es z. B. aus einigen Tabaks- blättchen, etwas Brod, einigen Knöpfen oder drgl. zu bestehen habe. Doch verlangt es die Sitte, dass man beim Empfange des Gegengeschenkes die Zahl der Gegenstände nicht näher prüfe, und ich muss zur Ehre der Giljaken bekennen, dass von dieser Sitte nie abgewichen wurde und dass sie, wie das Gegengeschenk auch ausgefallen, stets damit zufrieden waren. Das hinderte sie jedoch keineswegs ihrem habsüchtigen Naturell gemäss später beim Handel ihre Preisforderungen unter Umständen recht hoch zu stellen. Vielleicht ist diese Sitte in Folge des langen Handelsverkehrs der Giljaken mit den Mandshu-Chinesen und Japanern entstanden, die in Ssan-ssin, wie in Ssiranussi ihre Beamten und Handelsagenten haben, welche im eigenen Interesse und zum Nachtheil des Fiskus, resp. der betrefienden Handelshäuser, eine solche captatio benevolentiae beanspruchen. Ausserdem pflegen aber die Giljaken auch keinen Handel abzuschliessen, ohne den Wunsch oder die Bitte zu äussern, noch etwas über den abgemachten Preis hinaus, als unent- geltliche Gabe pai zu erhalten. Und genau so machte es auch Judin, als er sich in der Handlung der russisch-amerikanischen Companie für die ansehnliche Entschädigungssumme, die er erhalten, verschiedene kostspielige Zeuge und andere Luxusartikel verabfolgen liess. Uebrigens muss ich den Giljaken nachrühmen, dass man sich bei geschäftlichen Ab- machungen mit ihnen, z. B. der Zustellung vorausbezahlter Waaren oder sonstiger Gegen- stände, auf ihr Wort und ihre Ehrlichkeit in der Regel verlassen kann. Auch als Führer sind sie meist zuverlässig, ja Manche von ihnen identificirten sich so weit mit meinen Interessen, dass sie mich mitunter sogar vor den diebischen Gelüsten der Bewohner dieses oder jenes in ihren Augen übel berüchtigten Dorfes warnten. Meist hält es sehr schwer, besonders in entle- generen Gegenden, Führer zur Reise zu bekommen, da die Giljaken in der Regel zu ängstlich und misstrauisch sind, um sich ihrer Freiheit zu begeben und ihr Schicksal an dasjenige des Reisenden zu binden. Mehr als einmal ist es auch mir vollkommen misslungen, erhielt ich aber welche, so hatte ich meist Grund, mit ihrer Bestimmtheit, genauen Lokalkenntniss und Abends, beim lodernden Feuer, auch mit ihrer Mittheilsamkeit und Klugheit zufrieden zu sein. Hat es doch unter den vielen Führern, die ich auf meinen Reisen gehabt, nur zwei gegeben, die mich im Stich gelassen haben. Und das geschah unter Umständen, die ihre Treulosigkeit zum Theil erklärlich machten. Das eine Mal, als ich längs der Küste des Ochotskischen Meeres fuhr, überraschte mich ein arger Schneesturm. Der breitsohlige russische Schlitten haftete hart- näckig am nassen Schnee, und die Hunde waren bereits so müde, dass sie beständig zusammen- fielen und durch keine Schläge mehr in Bewegung gesetzt werden konnten: es blieb uns nichts übrig, als Hunde und Schlitten die mässige Uferanhöhe hinanzuziehen, die, mit kleinen Krüppel- lärchen bestanden, nicht einmal Aussicht auf ein lustiges Lagerfeuer eröffnete. Was Wunder, wenn unter solchen Umständen mein Führer, der sich infolge der vorausgegangenen Schneegestöber nur auf Schneeschuhen von Tägl aus aufgemacht hatte, seinen Weg ganz ohne uns zu be- 85* 67% Die Völker des Amur-Landes. achten fortsetzte, in der Hoffnung, sein nahes Heimathsdorf Kullj noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Er fand sich auch am nächsten Tage nicht wieder ein und verzichtete somit auf den ihm gebührenden Lohn. Der andere Führer, ein aus Lub-wo gebürtiger Tro-Giljake, Namens Eospin, der mich durch einen Theil des Tymy-Thales geleitete, machte es schlimmer: genöthigt in Tafiz-wo, in einer kleinen Zeltjurte zu übernachten, wo es nach dem Erlöschen des Feuers bis zum Gefrieren des Quecksilbers kam, schlich er sich aus derselben hinaus, durchschnitt die Riemen an einem meiner Packschlitten, durchwühlte die Sachen und machte sich mit ein paar Kleidungsstücken meiner Leute davon. Nur in einer Beziehung darf man sich auf die Giljaken garnicht verlassen: wenn es sich nämlich um die Feststellung eines Zeitpunktes handelt, wann etwas geschehen, wann sich z. B. ein Führer oder sonst Jemand von ihnen bei Einem einfinden soll und drgl. m. Das liegt ohne Zweifel daran, dass sie überhaupt keinen rechten Begriff von der Zeit und eine nur sehr unge- naue Zeitbestimmung und Zeitrechnung haben. Von allgemeinen Bezeichnungen, wie Tag (mu) und Nacht (ur%), Morgen (fyt) und Abend (padf), abgesehen, werden die Tageszeiten nur dar- nach bestimmt, ob die Sonne (keng) im Auf- oder Untergange begriffen ist (k. myrtsch oder padntsch, wird geboren, resp. k. jugtsch oder mutsch, stirbt), ob sie steigt (k. &ytyrach bokartsch) oder sinkt (k. kotretsch), und ob sie ihren ungefähren höchsten Stand, ihre Mittagshöhe erreicht hat (k. muwutytsch). In Beziehung auf die Aufeinanderfolge der Tage haben sie auch nur für die beiden dem Heute (nych) zunächst liegenden Tage besondere Bezeichnungen, wie gestern (nymr) und morgen (pyt oder pat), vorgestern (nymrynk) und übermorgen (possjch). Die Wochentage haben natürlich keine Benennungen, und die Monatstage werden auch nicht gezählt. Um einen über die beiden nächsten Tage zurück- oder hinausliegenden Tag zu fixiren, begnügen sich daher die Giljaken damit, die Anzahl der inzwischen gehaltenen oder noch zu haltenden Nachtruhen anzugeben. Auf Reisen kommen ihnen noch die aus Erfahrung wohlbekannten räumlichen Entfernungen zu Hülfe, indem sie genau wissen, welche Strecke sie unter normalen Verhältnissen zu Boot oder Schlitten, ohne sich oder ihre Hunde allzusehr zu ermüden, tags- über bewältigen können und wo sie ihr Nachtlager aufzuschlagen haben. Solche Lokalitäten tragen bei ihnen denn auch in der Regel, auch ohne bewohnt zu sein, besondere Benennungen. Die Bestimmung der räumlichen Entfernungen nach Tagesreisen oder nach der Anzahl der Nachtruhen pflegt daher, unter uormalen Witterungsverhältnissen, recht zuverlässig zu sein, Dieses Modus der Raumbestimmung, durch die auf Zurücklegung der Strecke erforderliche Zeit, bedienten sich die Giljaken natürlich auch in der ersten Zeit ihres Verkehrs mit den Russen, wenn sie um Auskunft über die Entfernungen in ihrem Lande befragt wurden. Auch hier begegnete es mir daher, noch ehe ich den giljakischen Ausdruck für «schlafen» (k(ch)otsch oder k(ch)ontsch kennen gelernt hatte, auf das aus dem Russischen entnommene und nur entsprechend giljakisirte Wort esspanytsch (vom russ. sspatj) mit den abgeleiteten Verbalformen esspara, essparor u. 5. W. zu stossen. Unter ungünstigen Verhältnissen, bei stürmischem Wetter, starken Scbneever- wehungen und drgl., ist aber auch die Bestimmung nach Tagesreisen sehr schwankend und unsicher, denn sie hängt dann nur davon ab, wie viel Einer sich oder seinen Hunden an Güjaken. Ehrlichkeit u. Zuverlässigkeit. Ungenaue Zeitbestimmung u. Zeitrechnung. 675 Leistungsfähigkeit zutraut, und das ist immer nur sehr wenig, weil die Giljaken sich alsdann überhaupt nicht vom Fleck rühren mögen. Am schwersten hält es bei den Giljaken, einen etwas weiter hinausliegenden Tag, an dem etwas geschehen soll, zu fixiren, wenn sie an Ort und Stelle ungestört ihren Beschäftigungen nachgehen, denn diese verlaufen meist in so gleichmässiger Weise, dass ein Versehen in der Zahl der inzwischen vergangenen Nachtruhen nur allzu leicht möglich und immer wahrscheinlicher als das Gegentheil ist. Allerdings beachten die Giljaken auch die verschiedenen Mondphasen und zwar in recht eingehender Weise, indem sie besondere Bezeichnungen für den Voll- und Neumond (long tscharntsch — ist voll und !. mutsch — ist gestorben), den zu- und abnehmenden Mond (padywu-l. und muiw-l.), den Halbmond und das Mondviertel (2. putytsch und I. per(ch)kotsch) und das Zu- oder Abnehmen dieser Mondphasen (padywu-l. putytsch und muwiw-l. putytsch, resp. padywu-l. per(ch)kotsch und muiw-l. per(ch)kotsch) haben, — allein für den obigen Zweck, die Vorausfixirung eines bestimmten Tages, giebt dies doch nur ein annäherndes Mittel ab und bei längere Zeit hindurch bewölktem Himmel, wie er im Amur-Lande keineswegs selten ist, versagt es vollends seine Dienste. Das Jahr theilen die Giljaken in 12 Monate ein‘). Diese aber haben nicht bloss an einem und demselben Ort mehrere, sondern auch in verschiedenen Theilen des giljakischen Gebietes verschiedene Bezeichnungen. Namentlich sind die einen bei den Giljaken des Amur-Stroms und Amur-Limans, der Westküste Sachalin’s und der Südküste des Ochotskischen Meeres und die anderen hingegen im Innern und an der Ostküste der Insel, bei den Tymy- und Tro-Giljaken im Gebrauch. Ich gebe sie hier zunächst so wieder, wie ich sie selbst nach mehrfacher Er- kundigung notirt habe, um später einige Bemerkungen daran zu knüpfen: Verzeichniss der Monatsnamen der Giljaken: auf dem Festlande und der Westküste im Innern und auf der Ostküste von Sachalin von Sachalin. Panarıs .... Zscham-Iong. hast. a AN Klu-Tong: Kolrsanı, 7... Kam-long.... na. ee, Win Zscham-long. Dez. n. Machradzlong = ala sel... VKarr-long: Apııl . . .. Arkail-long. . . 0. Tschrad-long. Mai. . . . Walten tengi-long, auch na “ ar Kirtä gtsch-1. 5 Pittun-long. 1) Bei den Eskimo hat es 13 Monate, und die Zeit | Dr. Grube zusammengestellten giljakischen Wörlerver- von einem Neumond zum anderen wird, wie der Mond | zeichniss irrthümlicherweise statt auf den Mai auf den selbst Zaktuk genannt. Klutschak, Als Eskimo unter | April bezogen worden.s. Anhang zum III Bde dieses Werks den Eskimos, Wien, Pest, Leipzig, 1881, p. 208. p- 44, 58, 59 und 120, und ebenso falschlich ist der tschrad- 2) Die beiden letzteren Bezeichnungen sind in dem von | long (März) mil dem Juli identificirt worden (l. c. p. 108). 676 Die Völker:des Amur-Landes. Juni. . . . Tengi-wota-long auch Pota-long. . .» =... Arkail-long. Juli. . . . Matschn-tschrar-long. . . . Tscho-taghr-long. August. . . Lygi-wota-l.auch Pilja-tschrar- 1 u. schlechtiwes Pia -l. Matschki-long. September . . Ngarwi-long, auch Tschitsch-ngar-long. .» » . . Pilja-long. October. . . Oni-lami-long, auch Pottschawo-long . . . . . Ngadgho-long. November;...1, 5 :Zlo-Tongina Ankaıa ul ode Beine ME Hinzekor or December; i.;.,. Ay-Alonginn ham TE ART IO=-long} Glehn giebt leider nicht an, in welchem der beiden oben genannten Gebietstheile der Giljaken er ihre Monatsnamen erkundet hat. Nach ihm lauten sie folgendermassen: Januar Februar } ebenso wie nach mir. März April. . Pitul-long. Mai . . Arschkai-long. Juni . . Tingi-long und Tingivata-long. , Juli August sind nicht angegeben. September October . . . . Iging-long. und Mugiti-long. November . . . Klu-long und Anj-long (im Norden). December . . . Tschlo-long. Aus dem Umstande, dass die drei ersten Monate bei Glehn genau dieselben Namen {ragen, wie ich sie nach Angabe der Giljaken des Festlandes und der Westküste Sachalin’s notirt habe, möchte ich schliessen, dass er sie ebenfalls dort erfragt hat. Dasselbe gilt auch vom Juni, dessen Name sich auf den Massenzug des Tengi-tscho (Salmo-Proteus) bezieht, der nach ihm Tingi-tscho heisst. Die übrigen Monatsnamen, die sich bei Glehn finden, scheinen mir hingegen eher bei den Tro-Giljaken erkundet zu sein Meine Kenntniss des Giljakischen reicht lange nicht bin, um alle vorhin angeführten Monatsnamen erklären zu können. Nur über einige von ihnen darf ich mir ein paar erläuternde Worte erlauben. Es liegt nahe anzunehmen, dass sie auf besonders augenfällige, den betreffenden Monat kennzeichnende Naturerscheinungen und Verhältnisse begründet sind, die jedoch der Zeit nach hie und da im Wohngebiet der Giljaken nicht unbeträchtlich auseinanderfallen können. Das findet namentlich beim massenhaften Aufsteigen des Salmo lagocephalus im Amur und im Tymy-Fluss auf Sachalin statt und ruft bei den Anwohnern des letzteren eine ent- sprechende Verschiebung der Monatsbezeichnungen den Amur-Giljaken gegenül'er hervor, wie ich sie oben!) bei anderer Gelegenheit bereits ausführlich besprochen habe. In ähnlicher Weise 1) S. 526—528. Giljaken. Monatsnamen. 677 verschieben die Tymy-Giljaken auch die am Amur gebräuchlichen Bezeichnungen des Januar, Februar und März um je einen Monat, — eine Verschiebung, für die ich jedoch keine Erklärung finde. Dem Wortlaut nach bedeutet tscham-long (Januar, resp. Februar) Adler-, karrlong (Fe- bruar resp. März) Krähen-Monat, indem jener nach dem Seeadler (Haliaötos Albicilla), dieser nach der Rabenkrähe (Corvus Corone) benannt zu sein scheint. Allerdings spielen beide Vögel in den abergläubischen Vorstellungen der Giljaken und der erstere ausserdem auch in ihrem Handel mit den Japanern eine nicht unwichtige Rolle!), dennoch ist mir unerfindlich, warum gerade diese Monate nach ihnen benannt sind. Den festländischen und nördlichsten Theil des giljakischen Gebietes pflegt der Seeadler im Winter, aus Mangel an der ihm besonders zu- kommenden Fischnahrung, sogar zu verlassen, und nur an den Küsten des Nordjapanischen Meeres, wo das Eis oft durch Stürme zerbrochen wird, und im Innern Sachalin’s, an dem auch im Winter nicht gefrierenden oberen Tymy-Flusse, harrt er auch zu dieser Jahreszeit aus?). Dort bildet er daher inmitten der Schneelandschaft, und bei einer unter den Gefrierpunkt des Quecksilbers sinkenden Temperatur, in der That eine prägnante Erscheinung. Doch bleiben sich Januar und Februar in dieser Beziehung gleich, und somit ist die Verschiebung der am Amur gebräuchlichen Bezeichnung des ersteren Monats bei den Tymy-Giljaken auf den letzteren da- durch noch keineswegs erklärt. Sollte der Name «Adlermonat» nicht überhaupt fremdländischen, vielleicht chinesischen Ursprungs sein??) Im Tymy-Thale hörte ich den Januar klu-long nennen, — eine Bezeichnung, die jedoch Glehn, offenbar irrthümlicher Weise, gleich wie auch diejenige für den December (anj-long), dem November zuschreibt. Nach meinen Erkundigungen wird hingegen der auf dem Continent und an der Westküste Sachalin’s für den letzteren Monat übliche Name tlo-long bei den Tymy- und Tro-Giljaken auf den December verlegt, womit auch Glehn, der ihn ?schlo-long nennt, übereinzustimmen scheint, und was den vorhin er- wähnten Namensverschiebungen ganz analog wäre. Der Name anj-long aber, d. h. «Jahres-» oder vielleicht «Jahresschluss-Monat», den ich die Amur-Giljaken für den December gebrauchen hörte, liesse sich leicht aus der vermuthlich auch ihnen nicht entgangenen Beobachtung er- klären, dass in diesem Monat die Sonne ihren niedrigsten Stand über dem Horizont erreicht und von nun ab wieder zu steigen beginnt. Am schwankendsten und unsichersten endlich ist der mir unverständlich gebliebene Name arka:l, der nach meinen Erkundigungen auf dem Festlande und an der Westküste Sachalin’s den April, im Innern und an der Ostküste der Insel den Juni, nach Glehn’s Ermittelung aber den Mai bezeichnen soll. Die beiden letzteren Angaben beruhen jedoch offenbar auf einem Irrthum, denn sie stehen im Widerspruch mit den Naturereignissen, welche mir die Giljaken selbst als charakteristisch für einzelne Monate anführten. So hiess es 1) S. oben, p. 437, 438 und 565. p- 557 und 539),’gleichwie auch bei den Samojeden der 2) S. Bd. I, dieses Werkes, p. 226 und 227. Grosstundra (lembi-jirij, s. A. G. Schrenck, Reise nach 3) Beiden Tschulymschen Tataren und den Ba- | dem Nordosten des europ. Russlands, Dorpat 1848, Bd. I, raba-Bewohnern heisst der März «Adlermonat» (kut- | p. 537), wo der Adler als frühester Zugvogel ankommt, bei schugen-ai, resp. kutschigar-ai, (Falk, Beytr. zur topo- | den Ostjaken der Januar (Falk, l. c. p. 466). graph. Kenntn, des Russ. Reichs, Bd, III, St, Petersb, 1786, 678 Die Völker des Amur-Landes. bei ihnen, der arkazl-long (April) sei der Monat, da das Eis auf dem Amur bricht, der Mai, der- jenige, — da der Strom eisfrei wird, der September, — da die Gänse kalchalch (Anser grandis) ziehen, und der November, — da sich auf dem Amur wiederum eine Eisdecke bildet und viel Schnee fällt. Die Ungewissheit, in der die Giljaken im Allgemeinen in Betreff des laufenden Monats leben, macht natürlich die Feststellung eines weiter hinausliegenden Zeitpunktes bei ihnen noch besonders schwer. Die zwölf Monate des Jahres werden von den Giljaken in sehr ungleichmässiger Weise auf die einzelnen Jahreszeiten vertheilt. Eigentlich unterscheiden sie nur zwei Jahreszeiten: Winter (tulf oder tulv-anj) und Sommer (tolf oder tolv-anj) wobei ihnen hauptsächlich wohl der Umstand massgebend ist, ob sie in ihren Winter- oder Sommerbehausungen wohnen. Auf jenen kommen demnach 7 Monate (October bis April), auf diesen 5 (Mai bis September). Der Herbst (tylf oder tylv-anj) und der Frühling (chonf oder chonv-anj) kommen eigentlich gar- nicht in Betracht, und nur sehr selten hört man ihrer erwähnen. Geschieht aber diese Unter- scheidung, so fällt auf jede dieser Jahreszeiten nur je ein Monat, — es sind die Monate des gewöhnlichen Umzuges aus den Sommer- in die Winterwohnungen und umgekehrt: dort der October und hier der April. In diesem Falle kommen also bei den Giljaken: auf den Winter 5 Monate — November bis März. » » Frühling 1 Monat — April. » » Sommer 5 Monate — Mai bis September. » » Herbst 1 Monat — October. Bei Gelegenheit der Zeitrechnung mögen auch einige Worte über die kosmischen Vor- stellungen der Giljaken eingeschaltet werden. In Folge des sichtbaren Auf- und Unterganges der Sonne stellen sich die Giljaken natürlich vor, dass die Erde (mif) fest steht und die Sonne (keng) sich um sie bewegt. Auf Grundlage des kreisförmigen Horizonts denken sie sich ferner die Erde in Gestalt einer kreisförmigen Scheibe. Darüber, wo die Sonne bleibt, wenn sie unter- gegangen und es Nacht geworden ist, geben sie sich in der Regel keine Rechenschaft, und auf meine darauf bezügliche Frage antworteten sie unter Lächeln mit der Gegenfrage, ob ich sie denn alsdann gesehen hätte. Den Weiterdenkenden unter ihnen, wie IJutschin, Ruigun u. A., drängte sich übrigens aus der steten Aufeinanderfolge von Tag und Nacht auch der Gedanke einer continuirlichen Bewegung der Sonne um die Erde und damit eines Alternirens von Tag und Nacht auf der ihr gerade zu- oder von ihr abgewandten Seite der Erde auf, — ein Gedanke, der sich sogleich in der Frage, ob es auf jener Seite der Erde auch Thiere und Menschen gäbe, Luft machte. Leichter, als ich mir gedacht hatte, fand bei ihnen übrigens die Vorstellung, dass die Erde keine scheiben-, sondern eine kugelförmige Gestalt habe, Eingang. Gleich wie die Sonne, so bewegen sich ihrer Ansicht nach auch die Sterne um die Erde. Von diesen haben sie jedoch eine kosmisch insofern fortgeschrittene Vorstellung, als sie sie für ähnliche Weltkörper wie die Erde halten, die ihnen nur in Folge der grossen Entfernung so klein erschienen. Das ging Giljaken. Kosmische Vorstellungen. Gesang. 679 unzweifelhaft schon aus den unterschiedslos von ihnen gebrauchten Bezeichnungen unghyr «Stern» und unghyr-mif «Stero-Erde» hervor. Manche Sternbilder tragen bei ihnen auch besondere Namen. So heissen die drei Sterne im Schwanze des Grossen Bären tscharw(u)kritsch, die vier im Rumpfe desselben njagrıjo!), d. h. Rattenvorrathshaus; ein Sternbild mit zahlreichen Sternen in der Nähe des Grossen Bären, vielleicht die Plejaden(?), trägt am Amur den Namen lumr (Zobel) und auf Sachalin taghr-njo, d. h. Vorrathshaus von Tamias striatus oder auch tamml-unghyr, (viele Sterne); das Schwert des Orion heisst Zschechwak, die Milchstrasse taighonantif, das ist wohl soviel wie «unbekannte Strasse», u. s. w. Eine ihrer ersten und häufigsten Fragen war dabei, ob es auf den Sternen auch Menschen gäbe. Auf meine Antwort, dass solche Gegen- stände zu klein seien, um bei der grossen Entfernung der Sterne selbst durch das Fernrohr ge- sehen zu werden, entgegneten sie mit grosser Bestimmtheit, ihre Schamanen hätten sie aber dennoch gesehen und ihren Erzählungen zufolge glaubten sie fest, dass es auf den Sternen hohe Bäume und ausgedehnte Waldungen, mannigfache Thiere, wie Zobel, Ottern, Füchse, Bären, Hunde etc. und endlich auch Menschen gäbe. Diese Menschen, die sie wiederum unterschiedslos bald als unghyr-nibäch (Sternmenschen) und bald als unghyr-mif-nibach (Stern-Erdenmenschen) bezeichneten, seien von besonders riesigem Wuchs, die Augenbrauen buschig behaart, die Nase lang und stark u. s. w. Bisweilen fände auch ein Zusammentreffen eines Erden- mit einem Sternmenschen statt, und dann wüssten die Schamanen, wie man sich dem gegenüber zu be- nehmen habe. Es folgte darauf die Erzählung von einem solchen Zusammentreffen, der ich aber in ihrem phantastischen und verworrenen Detail leider nicht mehr zu folgen vermochte. Sehen wir jedoch von den Schamanen, ihren Künsten, Geisterbeschwörungen, Tänzen und Gesängen, denen ein späterer Abschnitt dieses Werks gewidmet werden soll, zunächst ab, und verweilen wir noch bei den Erscheinungen des socialen Alltagslebens der Giljaken, so bleiben mir noch einige Bemerkungen über deren Belustigungen, Gesang, Musik, Tanz und Spiele übrig. Die Giljaken sind von zu nüchterner, ernster, praktischen Zwecken, wie Erwerb, Handel und Gewinn, zugewandter Sinnesart, um sich viel und gft mit Gesang abzugeben. Na- mentlich habe ich sie auf den Bärenfesten und bei anderen gelegentlichen Versammlungen niemals zu dem Zweck singen hören, um sich und Andere damit zu belustigen oder zu er- freuen. Nur wenn der Giljake sich allein und unbeobachtet weiss und in der Stille der ihn umgebenden Natur eine wehmüthige Stimmung ihn überkommt, wenn er z. B. am verglim- mendem Feuer im lautlosen Walde sitzt oder bei Windstille im leichten Boot ohne Ruderschlag den Strom abwärts treibt, — nur in solehen und ähnlichen Fällen habe ich ihn auch am Tage singen hören, und so einförmig und melancholisch klingen dann die langgetragenen Gurgeltöne seines Gesanges zu Einem herüber. Sehr oft singt er hingegen in der Nacht, um sich die langsam hinschleichenden schlaflosen Stunden abzukürzen. Auf der Schlafbank unter seinem Hundepelz ausgestreckt, hebt er dann, unbekümmert um die Ruhe seiner Nachbarn und der übrigen Schläfer, mit lauter Stimme einen Gesang an. Ist eine der Strophen zu Ende, so pflegt von hier 1) Nach dem Tymy-Dialekt, njo—njö auf dem Continent. Schrenck's Amur-Reise, Band II, 36 680 Die Völker des Amur-Landes. oder da ein gurgelndes ga zu ertönen, zum Zeichen, dass er einen Leidensgenossen gefunden habe und sein Lied nur immer fortsetzen möge. Auf diese Ermuthigung hin erfolgt eine zweite, eine dritte Strophe u. s. w. Bald ist es ein Mann, bald ein Weib, von dem der nächtliche Ge- sang oder das aufmunternde ga ertönt. Zuweilen, wenn er mir allzulange dauerte, habe ich ihm selbst, öfter noch haben meine Leute ihm Einhalt gethan. Die Giljaken aber sind an diese Störung der Nachtruhe vollkommen gewöhnt, und niemals habe ich sie selbst Einsprache da- gegen erheben hören. Ganz ebenso geht es auch bei den anderen Eingeborenen des unteren Amur-Landes, Oltscha, Samagirn, Golde her), nur wird bei ihnen der zur Fortsetzung des Gesanges anstachelnde Zuruf ga durch das näselnde kä, kä ersetzt?). Ueberhaupt ist es auf- fallend, wie oft und leicht der Giljake, Oltscha ete. seine Nachtruhe unterbricht: auch ab- gesehen vom nächtlichen Gesange, verlässt er, so bald der Schlaf seine Augenlider meidet, das Lager, kauert vor dem Herde, schürt das Feuer darin oder darauf, raucht eine Pfeife nach der anderen u. s. w. Niemals habe ich ihn aber, sei es Nachts oder am Tage, in der Jurte auf und nieder gehen sehen, und allemal wenn ich es that, wie es in stürmischen Tagen, die keine Be- wegung im Freien gestatteten, nicht selten geschah, rief dieses für sie unbegreifliche Hin- und Hergehen ein allgemeines Staunen und Lächeln unter den Anwesenden, ja, bisweilen sogar eine direkte Frage nach dem Zwecke desselben hervor. Je seltener ich aus den oben angeführten Gründen die Giljaken am Tage habe singen hören, desto interessanter ist mir eine Angabe Middendorff’s darüber, die ich unter seinen mir zur Verwerthung überlassenen handschriftlichen Notizen gefunden habe. Mein Vorgänger im nördlichen Amur-Lande°) lernte die Giljaken am Tugur- und Ulbanj-Busen, also an ihrer äussersten nordwestlichen Grenze kennen, wohin er in Gesellschaft einiger Jakuten und Tun - gusen gekommen war. Durch diese darauf aufmerksam gemacht, dass es unter den Bewohnern des Orts einige Meister im Gesange gebe, forderte er sie auf, ihre Künste zu produciren. Anfangs weigerten sie sich, dann sang Einer ein Weilchen, brach aber bald, vielleicht verlegen geworden, ın Lachen aus, worın ıhm alle Anderen folgten. Jetzt mussten sie einzeln der Reihe nach vortreten, Im Allgemeinen sangen sie mit weit menr Melodie als die Jakuten, doch spielten Gurgel- und 4) Die sibirischen Tungusen hingegen, die Erman | Aino einstimmig, um ihn zum Weitersingen zu bestimmen, auf seiner Reise von Jakutsk nach Ochotsk begleiteten, sangen zwar gern am Tage, erklärten aber, als er sie einmal aufforderte, ihre Gesänge Abends beim Feuer zu wiederholen, einstimmig und mit einer Art heiliger Scheu: in der Nacht sei es Sünde zu singen, (Erman, Reise um die Erde, Histor. Bericht, Bd. II, p. 354). Sollte ihnen dies nicht schon von den Russen beigebracht worden sein, um nicht in der Nachtruhe gestört zu werden. 2) Brylkin (Incpma en Caxaı.-3an. — Cn6uper. OrTA. Teorp. O6m. Kam. VII, Hpryrerv 1864, crp. 29) erzählt, dass ein Aino im Dorf Tschikapergunai, nachdem er Ssaki getrunken hatte, ein Lied zu singen anfing, eine Improvi- ation über seine Fahrt. Sobald er innehielt, riefen alle die Worte kä, kä, d. h. weiter, weiter, und so ging es endlos fort. Desgleichen berichtet Hooper (Ten months among the Tents of the Tuski, London 1853, p. 137), dass die Tschuktschen, als Zuschauer bei Vorstellungen, wie Tänzen, Nachahmungen der Eskimo und drgl., die bei ihnen stattfinden, ihren Beifall durch die Worte kah! kah! zu erkennen geben, was so viel wie dacapo bedeute. 3) Bekanntlich durchkreuzte Middendorff das nörd- liche Flusssystem des Amur von der Tugur-Mündung über den Amgunj, die Bureja und Dseja bis nach Ustj- Strelka, am Zusammenfluss von Schilka und Argunj zum Amur (s. Beitr. zur Kennt. des Russ. Reiches, Bd. IX, 2. Abth., p. 615—625). Giljaken. Melodieen- Proben. 681 Nasentriller auch stets eine Hauptrolle dabei. In prägnanter, drastischer Sprache, unter Angabe der betreffenden Notenstücke, charakterisirt nun Middendorff die Gesangsweise der einzelnen Sänger. «Zuerst trat der Giljake Lamran vor. Er hatte eine angenehme Stimme und wirklich viel Fertigkeit. Man hörte beim Gesang bloss ein paar Worte ausser anga — yngd, und es scheint, als hätten diese Worte, die bei jedem Liede als Einleitung und Refrain gebraucht werden+ weiter keine Bedeutung, sondern gehörten einmal zum Singen. Hier die Noten: Adagio. iremulando ve trem. . Be ee Dsezsre>n angü yngü Der einleitende Ton wurde so lange, als der Athem zuliess, ausgehalten und bildete (ohne Worte) die Introduzione. Der Triller ist ein Gurgeltriller und wird ebenfalls lange ausgehalten. Da Lamran den Ton sehr rein hielt und auch einen passablen Vibrirgurgeltriller schlug, so machte sich diese langsame Weise recht angenehm, aber auch nicht wenig melancholisch. Der zweite Sänger war der Giljake Dsheien und sein Gesang folgender: Adagio, Larghetto. ir 2% tr. . ee Se = re Dsheien’s Gesangsweise war weit rascher als die des Lamran, der Gesammteindruck aber doch etwas traurig. Obgleich das Aushalten der Gurgeltriller auch bei ihm die Hauptsache ausmachte, so kam hier noch eine eigene Virtuosität hinzu: beim Aushalten des Tones nämlich machte er plötzlich, als versagte ihm der Athem und als quetschte ihm Jemand die Kehle zu, so dass Einem ganz angst,und bange wurde, er werde ersticken, worauf jedoch das angefangene Wort ganz rein heraus kam. Ferner trat dazwischen eine Art Rülpsen und Schluchzen ein, wobei das Wort wie bei einem Stotternden, z. B. an - - - anga, bloss im Beginne ausgesprochen wurde, nun folgte der versagende Athem, das Schluchzende und Rülpsende, dann kam das ang& rein heraus. Dieses leitete auch nicht bloss das Ganze und die verschiedenen Strophen ein, sondern wurde häufig sogar zwischen den einzelnen Worten eingellickt. Als dritter endlich trat der Giljake Njaungur vor. Er sang, wie folgt: Introduzione. tr. tr. tr. tr. en —- S333H Sie Njaungur entwickelte eine besondere Virtuosität im Singen: schon die Melodie zeigte sich viel variirter als die früheren; dazu producirte er aber noch das Stottern, Versagen der Stimme, Zuschnüren der Kehle und Zustopfen der Gurgel nebst darauf folgendem Herausrülpsen s6* 682 Die Völker des Amur-Landes. der Worte wie sein Vorgänger, nur mit grösserer Fertigkeit, und überdies schlug er ausser dem Gutturalbockstriller noch einen Nasenfisteltriller. Bei ihm erinnerten die Triller und insbe- sondere der letztere lebhaft an das Vibriren der Maultrommel. Diese Triller erfordern viel Uebung, und für uns ist es unmöglich, sie so lange auszuhalten und so rein herauszubringen. Physiologisch interessant ist auch, dass bei Hervorbringung dieser Triller das Gaumensegel eine Hauptrolle spielt.» «Aus allen diesen Gesängen, fährt Middendorff fort, leuchtete schon die Verschiedenheit je nach der Individualität des Sängers hervor: während Lamran, bei guter Stimme und reinem Triller, in seiner ‚Art eine melancholisch angenehme, ernst stimmende Gesangsweise hatte, glichen die beiden anderen Sänger unseren Kunstvirtuosen, die auf dem Cello Violinvariationen spielen. Zu dem Gesange muss man sich hinzudenken, dass die giljakische Sprache und schon das angd so klingt, als hätte die Nase einen Hühnergabelknochen als Klemme aufgesetzt; dazu das kindermässige Aussprechen des r, das so klingt, als stände es in der Mitte zwischen r, 9, / und das noch mit d, g und h verbunden wird, ferner das französische ng, das englische th und w, das mit d combinirte g u. s. w.» Von den beiden letzteren Gesängen hat Middendorff auch die Worte aufgezeichnet, allein von diesen muss ich hier leider absehen, weil sie auch nicht annähernd zu enträthseln sınd. Und das darf Einen auch nicht weiter Wunder nehmen, denn bei dem nur sehr kurzen Verweilen des Reisenden unter den Giljaken mussten die vielen und so sehr eigenartigen Laute ihrer Sprache höchst fremdartig und verwirrend an sein Ohr klingen, das ihrer noch ganz ungewohnt war. Und dazu tritt noch der das Verständniss in so hohem Grade erschwerende Umstand hinzu, dass der Sänger die vollste Freiheit hat, die Worte nach seinem Belieben, wie es eben zu seinem Rhythmus und seiner Melodie passt, zu verändern und zu moduliren, — eine Freiheit, von der er in der Regel auch beim Wiederholen der Worte nicht ablässt, weil sie sich seinem Gedächtniss beim Singen einmal so eingeprägt haben. Darum ist es auch mehr als zweifelhaft, dass ein Dolmetscher, deren es damals unter den Russen nur welche von der niedersten Sorte gab, den Inhalt eines giljakischen Gesanges wirklich verstanden haben sollte: er gab ihn vielmehr, wie es auch Middendorff nicht entging, nur ganz praeter propter wieder. Die vorhin erwähnte Sängerlicenz ist ferner auch der Grund, weshalb ich die mir gegen Ende meines zweijährigen Aufenthalts unter den Giljaken von Jutschin, Tenghan und Anderen unter die Feder diktirten giljakischen Lieder so wenig verstehe, dass ich nur einzelne Worte derselben, so wie die darin vorkommenden Orts- und Eigennamen erkennen kann. Nicht anders ist es auch Dr. Grube ergangen, obgleich ihm ausser meinem giljakischen Vokabular auch das von Glehn gesammelte lexikalische Material zu Gebote stand. Nur das mir von Jutschin unter dem Namen Walghytsch mitgetheilte Lied!) hat für mich ein grösseres Interesse, und das auch nur wegen der Erläuterungen, die er mir in Beziehung auf den darin erwähnten oder 1) N: IM, in Dr. Grube’s giljakischem Wörterverzeichniss, s. Anhang zum II. Bde dieses Werks, p. 41. Giljaken. Musikinstrumente. 683 besungenen Ort Mlygh-wo gab, einen Ort, wohin nach dem Glauben der Giljaken die Seelen der eines natürlichen Todes Verstorbenen wandern sollen. Doch darüber später. Dürftiger noch, aber lange nicht so eigenartig wie der Gesang sind die musikalischen Leistungen der Giljaken. Abgesehen von der Schamanentrommel, die anderen Zwecken dient, kennen die Giljaken nur zwei musikalische Instrumente, — beide von sehr primitiver Art. Das eine derselben ist eine Maultrommel oder ein Brummeisen (gilj. kanga oder wuischranga, oltsch. mugheny), ein Instrument, das sie angeblich von den «Mandshu» beziehen und demge- mäss recht hoch schätzen, das aber von so einfacher Beschaffenheit ist, dass sie es sehr wohl auch selbst herstellen könnten. Es ist in dreierlei Formen unter ihnen verbreitet: aus Messing, aus Holz und aus Eisen. (S. unten die Holzschnitte a. b. c.). Die erstere (a) besteht aus einem ein paar Zoll langen, schmalen Plättchen aus Messingblech, in das der Länge nach eine zungen- förmige, an einem Ende mit der Umrahmung im Zusammenhang gebliebene Lamelle ge- schnitten ist. Beide Enden der Umrahmung sind durchbohrt und mit einem Zwirnfaden ver- sehen, um das Instrument vor dem Munde zu halten und durch Ausstossung der Luft die zungenförmige Lamelle in Schwingungen zu versetzen. Die zweite (b), aus einem dünnen Holz- plättchen gemachte Form wird ebenso gehandhabt, nur ist sie überhaupt breiter, und die an- *angs ebenfalls breite Zungenlamelle verjüngt sich erst plötzlich von der halben Länge an und ist dort mit einem kleinen Loch und einem genau hineinpassenden Stiftchen versehen, um der Vibration nachhelfen und sie beliebig moduliren zu können. Die dritte Form (c) endlich besteht aus einem schmalen und ziemlich massiven eisernen Bügel, zwischen dessen Schenkeln eine dünne, am freien Ende aufwärts gebogene Lamelle aus demselben Metall sich befindet. Um auf dieser Maultrommel zu spielen, wird sie gewöhnlich mit dem eisernen Blatt eines Beiles an die Lippen gedrückt, was die Töne reiner hervortreten lässt und ihnen zugleich als Resonanz dient. Giljakische Maultrommeln. Der Giljake liebt es sehr, in seinen Mussestunden, auf der Schlafbank ausgestreckt, zur Maul- trommel zu greifen und ihr die auch beim Gesange seinem Ohr so wohlgefälligen Triller und sonstige, immer etwas melancholisch klingende Melodien zu entlocken. Und die Kunstfertigkeit, die er dabei an den Tag legt, ist in der That ganz ausserordentlich. 684 Die Völker des Amur-Landes. Das andere musikalische Instrument, das den Giljaken zwar ebenfalls bekannt ist, aber lange keine solche Verbreitung unter ihnen hat, ist ein Streichinstrument, ein Monochord oder eine ganz primitive Geige (gilj, Zyngrsch, oltsch. tankara). Sie besteht aus einem kleinen Cy- lindermantel von Birkenrinde (gilj. öyngr-tschobra‘), der oben durch eine stramm ausgespannte Fischhaut (gil. tschobrai-tywrch) geschlossen ist. Quer durch denselben ist ein Stöckchen ge- steckt, das mit einem Ende nur wenig, mit dem anderen aber recht weit aus dem Cylinder- mantel hervorragt. An das kurze Ende wird die Darmsaite befestigt, die von dort über einen auf der Fischhaut errichteten Steg (gilj. twıra, wie beim Bogen) zum anderen Ende des Stöckchens verläuft, wo sich die zum Spannen der Saite dienliche Vorrichtung befindet. Der Fiedelbogen (gilj, Zyngr-puntsch) ist stark gekrümmt und mit Rosshaar (gilj. köch) bespannt. Natürlich wird die Saite zwischen dem Stege und dem langen Ende des durch den Cylindermantel gesteckten Stöckchens gestrichen. Das Instrument scheint mir, auch seiner Bezeichnung nach zu urtheilen, von oltschaischem, goldischem oder überhaupt tungusischem Ursprung zu sein. Ich habe es nur in Kidsi spielen sehen und hören, und die einförmig melancholische Melodie war den gilja- kischen sehr ähnlich. Sehr charakteristisch für die ernste, nüchterne und praktische Sinnesart der Giljaken ist es, dass ich sie im Laufe von zwei Jahren niemals, weder auf ihrem Bärenfest, noch bei anderen Gelegenheiten, habe tanzen sehen: oflenbar sagt ihnen diese Art geselliger Belustigung keines- _ wegs zu. Middendorff ist es allerdings begegnet, aber das fand unter ganz aussergewöhnlichen Umständen statt: es war in Burukan, einem Ort, den die Giljaken nur in Handelsgeschäften besuchen; die vermuthlich durch Branntwein erhitzten Tungusen führten einen dämonisch wilden Tanz auf, zu dem die anfangs nur zuschauenden Giljaken sich endlich auch hinreissen liessen !). Sonst, meinten sie, thäten sie das nicht, wie es auch Middendorff in seinen hand- schriftlichen Aufzeichnungen bemerkt. Und das verrieth auch ihr ganzes Benehmen dabei. Während die Tungusen in ihren kurzen, knappanliegenden Fellröcken sich leicht und geschickt bewegten, waren die Bewegungen der Giljaken, die ihre langen, bis zur halben Wade hinab- reichenden Hundsfellpelze dabei anbehielten, in hohem Grade bärenartig plump und ungelenkig. Auch schloss der Tanz allemal, wenn sie es jenen recht nachmachen wollten, mit baldiger Er- müdung und einem lauten Ausplatzen in Lachen. So kindisch lächerlich kamen sie sich selbst bei diesem ihnen durchaus ungewohnten und fremden Gebahren vor. Nicht minder verwunderlich war es mir, bei den Giljaken nichts Derartiges zu finden, was auf die Aufführung von Mummenspielen, oder theatralischen Vorstellungen hindeuten könnte, keine phantastischen Kostüme, keine Masken und drgl., während doch andere palä- asiatische Völker, wie z. B. die Aleuten und nordwestamerikanischen Eskimo, so über- reich daran sind und so grosse Freude an derlei Belustigungen finden, dass in den meist zu dem Zweck errichteten Kashims complieirte Vorrichtungen zum Aufstellen der Bühne, Auftreten 1) Middendorff, Reise etc. Bd. IV, p. 1486. Giljaken. Das Tanzen, Mummenspiele u. theatr. Vorstellungen fehlen. Chines. Spielkarten. 685 der Schauspieler und drgl. vorhanden sind!). Die Giljaken scheinen somit von so nüchterner Sinnesart zu sein, dass sie auch keiner Illusion fähig sind. Ihre geselligen Belustigungen sind hauptsächlich derart, dass sie den Männern Gelegenheit bieten, im gegenseitigen Wetteifer Proben grosser Geschicklichkeit, Unerschrockenheit, Kühn- heit und Kraft an den Tag zu legen und sich hinterdrein an einem opulenten kräftigen Mahl zu laben, während die Weiber, ausser der sehr activen Betheiligung an der Herrichtung des letzteren, fast nur eine passive Rolle bei denselben spielen und kaum zum Genuss ihrer eignen Mühen gelangen. Im nächsten, ausschliesslich dem Bärenfest der Giljaken und der nächst an- grenzenden Völker gewidmeten Abschnitt werde ich auch die in das Programm derselben ge- hörigen Belustigungen in der Reihenfolge, wie ich sie selbst kennen lernte, besprechen. Hier mag aber 'noch eines nicht dahin gehörigen Spieles der Giljaken Erwähnung ge- schehen, das sie den Chinesen verdanken, ich meine das Kartenspiel. Es sind die bekannten kleinen chinesischen Spielkarten, die von chinesischen Händlern vom Sungari und oberen Ussuri den Amur abwärts durch das Gebiet der Golde und Oltscha getragen werden ?) und bis in die Hände der Giljaken gelangen. Diese haben für's Kartenspiel nur den Ausdruck paz, d. h. umsonst oder unentgeltlich, ein Beweis von der harmlosen Weise, in der es bisher betrieben wurde. In der That spielten die Giljaken zu meiner Zeit nur um Tabak, was im Hinblick auf den in der Regel gemeinsamen Genuss einer jeden Pfeife Tabaks sich noch mehr als ein ganz unschuldiges Vergnügen abhebt. Dennoch wussten sie, dass die «Mandshu» (Chinesen) einen ganz anderen Gebrauch davon machten und um weit höhere Einsätze spielten. Prszewalski schildert die grosse Verbreitung, die das Kartenspiel unter den Chinesen im oberen Ussuri- und im angrenzenden Küstengebiet, besonders am Zymu-che und Ssutschan, hat, wo ein im Winter arbeitsloses Gesindel ganze Tage und Nächte hindurch im Kartenspiel verbringt und den Ruin manches ehemals reichen Hausbesitzers verursacht). Unter diesen Umständen darf man sich wundern, dass es sich nicht rascher den Amur abwärts verbreitet hat, und dass es namentlich unter den hab- und gewinnsüchtigen Giljaken keinen günstigen Boden gefunden hat. Es liegt das ohne Zweifel auch an der Energie, mit welcher sich diese die Chinesen vom Leibe zu halten gewusst haben. Mittlerweile mag es ihnen übrigens auch von russischer Seite zugetragen worden sein. Bevor ich an die Schilderung des Bärenfestes der Giljaken gehe, muss ich in Betreff ihrer oben berührten soeialen und gesellschaftlichen Verhältnisse noch einen kurzen vergleichenden Blick auf die ihnen zunächst benachbarten Völker, die Oltscha und Golde, werfen. 1) Ueber die theatralischen Aufführungen der Aleuten | diese chinesischen Spielkarten, das Spiel aus 120 Karten s. insbesondere: Benianumorz. Ban. 06% ocıp. Yuasamık. | zusammengesetzt, bei den Golde von Ykka im Gebrauch. oTA., €. Herep6. 1840, a. II, crp. 85, 93. Hinsichtlich der 3) Upsesauscriü, Iyrem. #6 Yccyp. kpab. C. Ierep6. Eskimo vrgl. oben p. 342, 344. 1870, crp. 90, 2) Maack (Oyrem. aa Amypts, crp. 198) sah z. B. 686 Die Völker des Amur-Landes. Wie die Giljaken, so waren auch die Oltscha zu meiner Zeit, nachdem der officielle mandshu-chinesische Handelsort Deren etwa in den 20-er Jahren aufgehoben worden war, weder China, noch Russland tributpflichtig. Nur wenn die Einen oder die Anderen sich des Handels wegen nach dem Sungari begaben, mussten sie, wie oben!) schon erwähnt, um die Erlaubniss dazu zu erhalten, den Beamten in Ssan-ssin einen gewissen Tribut entrichten. Dennoch war in der Stellung dieser beiden Völker zu der unlängst und gewissermassen nur zwangsweise von den Mandshu-Chinesen aufgegebenen Herrschaft über dieselben ein sehr merklicher Unter- schied vorhanden. Die energischeren Giljaken beachteten fortan die ihnen wohl auch vordem unliebsamen, von der mandshu-chinesischen Regierung behufs Tributserhebung eingesetzten Bezirksältesten nicht mehr und gestatteten weder einem Mandshu-Beamten, noch einem chine- sischen Kaufmann ihr Land zu betreten. Die sanftmüthigeren und ängstlicheren Oltscha hin- gegen fanden keinen Muth zu solchem Entschluss: sie standen noch unter der Furcht vor einer Wiederkehr der mandshu-chinesischen Herrschaft und der Ereignisse, die nach der Auf- hebung des in ihrem Gebiet gelegenen Handelsortes Deren erfolgt zu sein scheinen°). Diese Furcht lässt sich zum Theil dadurch erklären, dass die ihnen unmittelbar benachbarten unteren Golde, sowie die Samagirn am Gorin auch fernerhin noch unter mandshu-chinesischer Bot- mässigkeit verblieben und die Oltscha von dorther manche Flüchtlinge und Zuzügler er- hielten. Zum Theil wurde sie auch dadurch genährt, dass die unter den Oltscha hie und da weilenden chinesischen Kaufleute, jeglicher Kontrole, wie sie ehemals durch die Mandshu- Beamten in Deren geübt worden, enthoben, nunmehr den Oltscha gegenüber mit noch grös- serer Breitspurigkeit und Dreistigkeit auftraten, zumal da sie bei ihnen die altgewohnte, devote Unterwürfigkeit fanden. Die Furcht vor einer Wiederkehr der mandshu-chinesischen Herrschaft und die damit verbundene Unsicherheit des Besitzes, sowie andererseits auch die in der tungusischen Natur der Oltscha liegende, den Giljaken gegenüber weit geringere Betriebsamkeit und Gewinnsucht machen es ferner erklärlich, dass der grössere oder geringere Wohlstand bei ihnen lange keine so ansehnliche Rolle wie bei jenen spielt und dass ihnen somit auch die sociale Gliederung, die sich auf Grundlage desselben entwickelt hat, mehr oder weniger abgeht. Nicht, dass es auch unter ihnen manche reiche Individuen gäbe, wie z. B. Todo in Tschiloi, der zu den wenigen Oltscha gehörte, die sogar einen Luchspelz besassen °). Allein der Reichthum kommt bei ihnen überhaupt nicht in dem Grade wie bei den Giljaken in Betracht, und die damit Gesegneten geniessen daher auch lange nicht das Ansehen, den moralischen Einfluss und die Popularität, die sie bei den letzteren haben. Dies hat aber seinen Grund zum grossen Theil auch wieder in der grösseren Betriebsamkeit und Gewinnsucht der Giljaken. Wenn Einer von diesen zu einem gewissen Reichthum gelangt, so bleibt er unablässig bemüht, ihn durch Ankauf neuer Pelz- waaren im Umkreise und auf Handelsreisen zu vergrössern, wodurch sein Name und Ansehen 1) Vrgl. p. 607. 3) S. oben p. 390. 2) S. oben, p. 624—626. Oltscha. Minder energisch u. betriebsam. Der Communismus nicht auf d. Stamm beschränkt. 687 weit und breit im Lande bekannt werden. Die Oltscha hingegen sind in dieser Beziehung von entschieden trägerem und genügsamerem Naturell. Ein anderer socialer Zug, der die Oltscha von den Giljaken unterscheidet, besteht darin, dass ihr Communismus sich weit weniger als bei den letzteren nur in den Grenzen der Stam- mesangehörigkeit bewegt. Und das ist aus dem Grunde erklärlich, weil sie zwar einerseits mit den Giljaken nach ihrer Lebensweise, ihren Sitten und Gebräuchen am meisten übereinstimmen, andererseits aber ringsum von nahe verwandten tungusischen Stämmen umgeben sind, mit denen sie mancherlei gemeinsame Charakterzüge haben und deren Mundarten ihnen leicht ver- ständlich sind. Dank diesem um Vieles abgeschwächten Nationalbewusstsein findet bei ihnen zwar der einzelne Mann in Fällen der Noth keinen solchen Halt an seinen begüterteren Lands- leuten wie bei den Giljaken, dafür aber herrscht in der Gesammtheit ein entschieden milderer und humanerer Geist als bei den letzteren. Einen sprechenden Beleg dafür, dass die Oltscha und ebenso die Golde, Samagirn u. s. w. ihren Communismus nicht auf so enge Stammesgrenzen wie die Giljaken beschränken, geben die oben‘) bereits besprochenen Jagdgepflogenheiten ab. Am Gorin z. B. haben Oltscha, Golde und Samagirn ihre Jagdzelte, diese stehen aber mit ihrem Haus- und Jagdgeräth allen Jägern offen, gleichviel von welcher Nationalität sie seien, unter der stillschweigenden Voraussetzuug, dass keine Entwendung der Jagdausbeuten oder Utensilien stattfindet. Damit wird also auch eine über die Stammesgrenzen hinausgehende Ehrlichkeit vorausgesetzt. Und dass eine solche in der That statt hat, habe ich selbst Gelegenheit gehabt zu erfahren. In einem Jagdzelt sah ich z. B. ein ganzes noch nicht abgebalgtes Moschusthier liegen, das ich gern kaufen wollte. Der Eigenthümer, ein Oltscha, war jedoch abwesend, und das Zelt hatte, als ich hinkam, leer gestanden. Mein Führer, ein Golde, meinte indess, der Handel sei dennoch leicht abzuschliessen, und das Thier nicht mehr wie ein Bündel Tabaksblätter werth. Ich erhöhte nun den Preis auf 2 Bündel, worauf er an die Stelle des entnommenen Thieres ein Holzstäbchen mit Einkerbungen setzte, davon die eine, obere Einkerbung besagte, dass ein Thier erstanden sei, und die auf einer anderen Seite unten angebrachten Einkerbungen die Zahl der dafür gezahlten Gegenstände angaben, die in natura vorlagen. Als ich später durch Zufall denselben Oltscha am Amur traf, bestätigte er mir den erwähnten Preis für das Mo- schusthier erhalten zu haben und mit dem Handel ganz zufrieden zu sein. Eine ebensolche Achtung haben die Oltscha, Golde, Samagirn auch vor dem Eigenthum des Reisenden; ich habe in ihren Dörfern nie einen Diebstahl, geschweige denn eine gewaltsame Entwendung an meinen Effekten bemerkt, wie sie bei den Giljaken wohl vorkommen. Freilich geschieht das aber, nicht immer aus Ehrlichkeit, sondern zum Theil verhindern sie daran ihre grössere Genügsamkeit und ein geringeres Bestreben ihren Besitz zu mehren, so wie zum Theil auch ihr ängstlicheres und furchtsameres Naturell. 1) S. 581. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 87 688 Die Völker des Amur- Landes. Auch die Gastfreiheit endlich ist bei den Oltscha und anderen tungusischen Stämmen weit weniger national gefärbt als bei den Giljaken. Sie ist überhaupt mit mehr entgegen- kommender Dienstfertigkeit und Gefälligkeit verbunden und wird in eivileren und freundlicheren Formen zum Ausdruck gebracht. Zuweilen empfängt Einen der Wirth des Hauses schon an der Thür, beugt zum Gruss den Kopf oder sagt auch ein freundliches ssoro-de, guten Tag, und ladet Einen mit einer Handbewegung zum Eintreten ein. Mitunter wird vor dem Reisenden auch ein Knie gebeugt, wie es die Samagirn und die Golde in der Regel thun und zwar die letzteren in einer um so devoteren Form, je weiter man stromaufwärts, d. h, je näher man zu den Mandshu und Chinesen kommt, ja die oberen Golde legen beim Kniebeugen wohl auch die Handflächen gleichsam bittend an einander. Im Hause breitet der Wirth für den Reisenden einen kleinen Teppich auf der Schlafbank aus und stellt ein Schemeltischehen und ein Becken mit glimmenden Kohlen (Jachalacco) daneben, ja er zündet wohl auch seine Pfeife an den Kohlen an und reicht sie dem Gast, in der Erwartung, dass dieser ein Gleiches thue, — lauter von den Mandshu und Chinesen abgelernte Sitten. Inzwischen haben die Weiber die Effekten des Reisenden vom Schlitten gehoben und ebenfalls in’s Haus gebracht. Sehr wohlthuend berührt Einen in den Häusern der Oltscha, Golde und Samagirn auch die leichtere, von den Fesseln des Aberglaubens so sehr viel freiere Bewegung. Ich habe trotz vielfachen Verkehrs in denselben keinen oltschaischen oder goldischen Ausdruck für das gilja- kische Uifisch gehört, und niemals äussert es sich in wiederholten, von allen Seiten der Jurte als Zeichen des allgemeinen Unwillens erschallenden Zurufen, wie es mir bei den Giljaken so oft begegnet ist'). Dazu sind sie schon zu bescheiden und zurückhaltend. Endlich muss ich bei den Oltscha und Golde noch eines Zeichens humanerer Gesinnung oder wenigstens eivilerer Form gedenken: das Danken, das den Giljaken so ganz und gar fern zu liegen scheint, glaube ich bei jenen wiederholt in dem Ausdruck fodomonero vernommen zu haben, Anders als mit den Giljaken und Oltscha verhielt es sich zu meiner Zeit in politisch- administrativer Beziehung mit den Golde. Diese waren, gleichwie die Samagirn und Orotschen, auch nach der Aufhebung des Handelsorts Deren der mandshu-chinesischen Re- gierung tributpllichtig verblieben, ein Verhältniss, das erst 1858 nach dem Abschluss des Aiguner Traktats zwischen Russland und China und der in Folge dessen erfolgten definitiven Besitznahme vom unteren Amur-Lande durch die Russen sein Ende erreichte. Um die Erhebung des Tributs (gold. alba) zu organisiren, benutzte die mandshu-chinesische Regierung die bei den Amur-Völkern seit Alters vorhandene Gliederung nach väterlichen Geschlechtern oder Stämmen (hala) und setzte einem jeden derselben einen Stammältesten (halada) vor, der den Tribut zu empfangen und darüber, sowie über die in seinem Stamme vorgekommenen Sterbefälle und 4) Auf Grund des vielfachen Uitsch in den giljakischen | nämlich: 1) sich nicht auf mein Bett setzen, 2) nicht mitten Jurten machte ich für die in meinem Hause im Nikola- | auf die Diele spucken, und 3) nicht ihren, sondern nur jefschen Posten verkehrenden Giljaken ebenfalls die Be- | meinen Tabak rauchen, — ein Ditsch, das sie besonders obachtung von dreierlei Uitsch obligatorisch. Sie durften | gern einhielten. Oltscha, Golde u. a. tung. Völker. Stärkerer mandshu-chin. Einfluss. 689 Neugeburten buchzuführen und dem Mandshu-Beamten, der von Zeit zu Zeit das Land bereisen musste, Rechenschaft darüber abzugeben und den eingesammelten Tribut einzuhändigen hatte. Ursprünglich soll die Würde des Halada in jedem Stamme erblich gewesen sein. Da sich jedoch die einzelnen Stämme über verschiedene Dörfer aus- und durcheinander verbreiteten, so wan- delte sich allmäblich die Eintheilung nach Stämmen in eine solche nach Bezirken um, zu denen mehrere*Dörfer gehörten, in deren einem der meist von Mandshu-Beamteu ernannte Halada seinen Sitz hatte. Diese Verwaltung des unteren Amur-Landes durch die mandshu-chinesische Regierung lernte auch Mamia-Rinsö in demselben kennen, anfangs auf Sachalin, bis wohin sie sich damals erstreckte und später in Deren und am Amur-Strome. Im Munde des Japaners aber, der die Buchstaben Z und d durch r und £ ersetzt, nahm die Bezeichnung des Stamm- ältesten halada die Form harata an’). Obgleich nun für die Bezirke die Namen der Stämme ‘ beibehalten wurden, so musste doch mit dieser zu administrativen Zwecken geeigneteren Volks- oder Landeseintheilung das Bewusstsein der Stammeszugehörigkeit im Volke mehr und mehr schwinden. Der Golde Dshinga z. B., auf dessen Erzählung die obigen und noch folgenden, handschriftlichen Aufzeichnungen von Maximowicz beruhen, musste sich auf den Namen seines eigenen Stammes lange besinnen, während er die einem Halada unterstellten Dörfer ohne Weiteres herzuzählen wusste. Dieses Vorwiegen eines administrativen Gesichtspunktes bei den Golde,- wie er ihnen durch die mandshu-chinesische Regierung beigebracht worden, im Gegensatz zu dem ganz und gar durch Familienverhältnisse, die Satzungen des Erbrechts und der Blutrache, bedingten Begriff des Kall bei den Giljaken°), bildet einen sehr charakteristischen Unterschied zwischen dieser Völkern. Die Halada’s, von denen Dshinga zu erzählen wusste, waren: ein giljakischer in Tschomi, oltschaische in Uchtr, Kasm und Gauwne, obgleich es bei den Giljaken und Oltscha längst keine mehr gab, und eine Anzahl goldischer; so in Köurmi, ein Halada, dem auch die Samagir-Dörfer am Gorin unterstellt waren, in Zollazi, Dsongmi, Odshal, Boolan, Emero, Katar und Kewurda, für den unterhalb des Ussuri von links einmündenden Kewur- Fluss, u. s. w. Auch die Namen einıger Stämme und der Dörfer, über die sie sich ausgebreitet hatten, waren ihm bekannt; so dıe Tummala-hala mit den Dörfern Belho, Chome ete., die Ssi- oiger-hala mit 13 Dörfern, darunter Odshob, die Bjelde-hala, die Dörfer Daisso, Dole, Dshare, Kjaure, Ssoja, Chula und andere umfassend; die Possar-hala mit den Dörfern Mare, Tolho, Ad- seko, Dondon, Da, Gassieng; die Geikar- oder Onni-hala mit den Dörfern Naiche, Dyrerga, Boaza; die Dsjads’chor-hala, zum Theil ebenfalls in Tolho und Da; die Kilengko-hala, zum Theil in Gassieng wohnhaft, die Achtar-hala in Ssündaka, die Udi-hala in Kewurda u. s. w. Der Halada hat, ausser seinen oben erwähnten Verpflichtungen auch für die Instandhaltung des in seinem Bezirk gelegenen, zum zeitweisen Aufenthalt eines angereisten Mandshu-Beamten dienlichen Tributhäuschens (giassa), für Versorgung desselben mit Fischvorräthen, für Boot- reparaturen und drgl. mehr einzustehen. Diese Tributhäuschen, deren eines z. B. dem Orte 1) S. oben, p. 620. Die Etymologie der von demselben | Bezeichnung kasinta ist mir unbekannt. Reisenden für den Nächställesten des Stammes gebrauchten 2) S. oben, p. 692 u. fi. 690 Die Völker des Amur-Landes. Mylki gegenüber am rechten Amur-Ufer in einer durch eine Insel geschlossenen Flussbucht liegt, haben das Aussehen eines pallisadirten goldischen Dauro’s. Zur Zeit, wann der Mandshu- Beamte seinen Aufenthalt in der Giassa hat, muss der Halada für eine möglichst weite und allgemeine Verbreitung der Kunde davon sorgen, damit diejenigen, die ihren Tribut noch nicht entrichtet haben, sich in derselben einfinden können. Der Tribut besteht in einem Zobelfell per männliche Seele, und tributpflichtig ist Jeder, der das 15-te Jahr zurückgelegt hat. Jeder Tributzahlende erhält ein Gegengeschenk, das je nach Umständen aus mehreren Stücken, aber verschiedener chinesischer Baumwollenzeuge besteht, die bei den Golde unter den Namen ssamssa, ssangnja, chodo- und amba-bosso bekannt sind, von weisser, blauer, auch rother Farbe, die beiden ersteren zu je 4, die chodo-bosso zu 8 und die amba-bosso zu 10 Faden Länge das Stück. Die Anzahl der Zeugstücke, mit denen der Tribut- zobel vergütet wird, richtet sich nach der grösseren oder geringeren Menge, in welcher das Zeug in Itscha-choton vorhanden ist. Im Jahre 1855 z. B. vergüteten die Mandshu in Itscha-choton den Tribut nur mit je 4 Stück ssamssa und 2 Stück chodo-bosso, während sie in früheren Jahren 4 Stück ssamssa, 8 Stück ssangnja und 1 Stück amba-bosso für jeden Tributzobel gaben. Aus- serdem vergüten die Mandshu den Tributzobel höher, wenn man selbst nach Itscha-choton reist, als wenn man ihn dem Beamten an Ort und Stelle einliefert. Der Halada unterscheidet sich von den Uebrigen dadurch, dass er zwei Tributzobel jährlich zahlt und dafür ausser jenen Baumwollenzeugen noch ein Stück Seidenzeug erhält. Wird aber ein neuer Halada eingesetzt, so muss er zuvor eine Inaugurationsfahrt nach Itscha-choton machen, was ihm eine Menge Zobel kostet. Dafür erhält er das Recht einen chinesischen Be- amtenhut mit einem kleinen dunkelblauen Glasknopf zu tragen. Da die Halada’s in der Regel gar keine Vorstellung von der Zahl der in ihrem Gebiet angesessenen Eingeborenen haben und die dem Mandshu-Beamten zur Verpflichtung gemachte Buchführung sowohl über die Tributzahlenden, wie über die in der Zwischenzeit Verstorbenen oder Neugeborenen ebenfalls höchst mangelhaft ist, und da ferner ein Jeder sich der Tribut- zahlung nach Möglichkeit zu entziehen sucht und, wenn es ihm nicht gelingt, zur Strafe das Doppelte und Dreifache zahlen muss, so wird das Tributeinsammeln zu einem vollständigen Willkürakt und giebt zu Gewaltthätigkeiten und Erpressungen aller Art Anlass. Kaum dürfte sich ın der That ein Mandshu-Beamter finden, der eine solche Gelegenheit, sich auf Kosten der Eingeborenen zu bereichern, unbenützt verstreichen liesse, und allgemein werden sie daher von den Golde gefürchtet und verabscheut, und wenn auch äusserlich devot behandelt, doch hinterrücks mit dem Spottnamen ssingare, Ratten, bezeichnet, weil sie wie diese ihren Haupt- reichthum, die Zobelfelle, verzehren. Die beständige Aussicht, von den Mandshu-Beamten gewaltsam ausgeplündert zu werden, und das Gefühl der Ohnmacht den chinesischen Händlern gegenüber, die sie durch Vorschüsse von allerhand Waaren, insbesondere von Branntwein, Tabak, Kleidungsstoflen und drgl. zu ihren ständigen Schuldnern machen, benehmen den Golde alle Lust und Freudigkeit am Besitz und seiner Vermehrung. Dazu kommt die durch die letzteren verursachte Zerrüttung ihrer Golde. Tributerhebung mittelst d. Stammältesten. 691 Familienverhältnisse, sowie die mehr oder minder allen Naturvölkern, insbesondere aber den leichtlebigen Tungusen eigene Sorglosigkeit und Trägheit, an die Arbeit anders als von äusserster Noth gedrängt zu gehen. In diesen Lebensverhältnissen und Charaktereigenschaften der Golde liegt der Grund, wesshalb sie trotz des grossen Wild- uud Fischreichthums ihrer Heimath doch lange nicht in dem Wohlstande wie die Oltscha und die Giljaken leben und der letztere auch kein so massgebendes Moment in ihren socialen Verhältnissen abgiebt. Aus denselben Gründen erklärt sich auch ihr in der Regel etwas gedrücktes und ängst- liches Wesen, das mit dem Selbstgefühl und Freimuth der Giljaken in starkem Contrast steht. Die Unterwürfigkeit den Mandshu-Chinesen gegenüber geht soweit, dass sie ihnen auch stets nach dem Sinn zu reden suchen und nichts zu äussern wagen, was diesen irgend wie un- lieb sein könnte, daher sie auch, wenn sie dies merken oder befürchten, sogleich bereit sind, das Gegentheil von dem soeben Gesagten zu behaupten. Dieses ihnen zur Natur gewordene Be- nehmen ihren tyrannischen Herrschern gegenüber glaubten sie, als Führer und Ruderer auf unseren Booten, auch gegen uns beobachten zu müssen. Lautete z. B. die Antwort auf unsere Frage, ob es noch weit bis zum nächsten Dorfe sei, «ja, weit», und wurde unsererseits nur ein leiser, unliebsamer Zweifel daran ausgesprochen, so hiess es sogleich, «nein, es ist nahe». Gern sondiren sie daher zuvor, was man wohl selbst meine, und geben die Antwort in dem- selben Sinne -ab, oder sie lautet auch nur schlechtweg nossa «weiss nicht», oder aber in naiverer Weise: bichaissa, ssissare, «wie soll ich wissen, Du weisst es», — eine Antwort, die uns oft, zumal in Dingen, die ihnen wohlbekannt sein mussten, in Entrüstung versetzte. Immer aber söhnten uns die überaus grosse Gutmüthigkeit, Friedfertigkeit, Ehrlichkeit und Leichtlebigkeit dieses Volkes mit seinen durch die Mandshu-Chinesen ihm beigebrachten Untugenden wieder aus. Unausgesetzt die Schritte der Russen im Amur-Lande verfolgend, hatte die mandshu-chine- sische Regierung den Golde untersagt, uns als Führer oder als Ruderer auf unseren Booten zu dienen. Dieses Verbot wurde von ihnen allerdings nicht eingehalten, da sie nicht die Kraft hatten, den guten Preisen, die wir ihnen boten, zu widerstehen und wohl auch nichts Uebles darin sahen, den ihnen verhassten Mandshu, so lange es ihnen keine Gefahr brachte, nicht zu ge- horchen, Aengstlich vermieden sie aber jeden Ort, wo sich ein Regierungsbeamter aufhielt, und als ihnen dies einmal nicht gelang und sie ibn doch zu Gesicht bekamen, war ihre Angst so gross, dass sie ihre Verpflichtung uns gegenüber sogleich auflösen und, ohne ihren Lohn er- halten zu haben, davonziehen wollten, was nur durch Androhung von Gewaltmassregeln unsrer- seits verhindert werden konnte. Das störte jedoch unser gutes Verhältniss keineswegs, denn nachdem die Angst sich gelegt hatte, waren sie froh, des Lohnes nicht verlustig gegangen zu sein, und bald trat auch die frühere Willigkeit und Freundlichkeit, ja selbst Heiterkeit wieder ein. Wenn des Tags zur Mahlzeit gelandet, oder nach mehrtägiger Fahrt gar ein Rasttag ge- halten wurde, gab es zum Zeitvertreib immer bald Gesang, bald irgend ein, sei es ganz natur- wüchsiges, sei es auch den Mandshu-Chinesen abgelerntes Spiel, deren wir auf diese Weise bei den Golde mehrere kennen lernten. Bald wurde z. B. ein Seil, dasselbe, das sonst zum Stromaufwärtsziehen des Bogtes diente, von zwei Mann hin- und hergeschwungen, während 692 Die Völker des Amur-Landes. ein Dritter verschiedene Evolutionen über demselben machte, so jedoch, dass das Seil stets unbehindert durchschwingen konnte, — ein Spiel, das Zabbatere heisst: zuerst warf sich der Betreffende dabei auf alle Viere und liess das Seil, abwechselnd auf die Arme oder auf die Beine gestützt, durchschwingen: dann legte er sich auf den Rücken, warf die Beine in die Höhe und übersprang das Seil mit den Armen u. s. w. Nach etwa 3 bis 4 Evolutionen verschiedenen Charakters, sobald das Seil stockte, trat ein anderer Mann ein!). Bald gab es ein Wettringen (gold. ngwatsche), bald ein Wettspringen, sei es auf einem Bein (foomendi), sei es auf beiden, aber mit geschlossenen Beinen und ohne Anlauf (derindi), wobei es darauf ankam, sich durch eine gewaltsame Armbewegung einen Schwung nach vorn zu geben: wer den Anderen zu Boden geworfen, resp. den weitesten Sprung gethan, blieb Sieger. Ein anderes Mal zeichneten unsre Golde ein Schachbrett auf den feuchten Ufersand und führten mit Holzstäbchen von zweierlei Art verschiedene schach- oder richtiger dammartige Spiele darauf aus. Eines derselben, dem ich beiwohnte und das sie nach seinem Ursprunge «Mandshu» oder nach der Anzahl der beiderseitigen Holzstäbchen tonga- (Fünfer-) anakd nannten, bestand in Folgendem. Das qua- dratische Schachbrett wurde in 4X 4 kleinere Quadrate oder Felder getheilt; die Spielenden erhielten je 5 mit einem Abzeichen versehene Stäbchen, die sie zunächst auf 2 einander gegen- über gelegenen Seiten desselben in die Kreuzungspunkte der die Felder begrenzenden Linien setzten. Abwechselnd durfte nun Jeder einen Schritt vor-, seit- oder auch rückwärts längs diesen Linien, nicht aber in der Diagonale der Felder thun. Sobald zwei Stäbchen des Einen hinter einander auf derselben horizontalen oder vertikalen Linie standen und unmittelbar davor ein Stäbchen des Gegners sich befand, wurde dieses weggenommen, und so fort bis alle Stäbehen des Einen oder des Anderen beseitigt waren. Wie schon die besondere Bezeichnung dieses Spieles (tonga-anakd) andeutete, haben die Golde gewiss noch mancherlei andere von derselben Art, die sie theils den Mandshu oder Chinesen abgelernt, theils auch selbst combinirt haben mögen. Zuweilen vertrieben sie sich die Zeit auch dadurch, dass Einer oder der Andere ein Ge- sangsstück vortrug. Besonders zeichnete sich in dieser Beziehung ein junger Golde Namens Hykkerlake aus, den ich auf meiner Rückreise den Amur stromabwärts oberhalb der Ussuri- Mündung als Führer annahm. Immer heiter und mittheilsam hatte er einen unerschöpflichen Vorrath nicht bloss goldischer, sondern angeblich auch mandshurischer und chinesischer Lieder, die er mir auch unterwegs in der Weise vortrug, dass er in seinem Rindenkahn hart an mein Boot heranruderte, mit seinem Bein sich daran hakte und sich so von diesem in’s Schlepptau nehmen liess. Die goldischen Lieder haben zwar meistens auch etwas Melancholisches und Ge- tragenes und werden in der Regel mit langgezogener Stimme vorgetragen, jedoch ohne die Gurgeltöne, die ein wesentliches Attribut des giljakischen Gesanges bilden, und es wohnt ihnen 4) Nach Castren (Reiseber. und Briefe aus d. J. 1845 | vom Boden aufheben, den Bogen spannen und die Pfeile — 1849, p.223) kommt diesesSpielauchbeiden Tungusen | abschiessen, — ja besonders kühne Leute unter ihnen am Jenissei vor, die dabei eine ausserordentliche Gewandt- | sollen sogar auf dieselbe Weise ihre Beine der Schneide heit an den Tag legen, indem sie während des Springens | einer Bärenaxt aussetzen, die eine auf dem Boden ausge- über das geschwungene Seil noch einen Bogen und Pfeile | streckte Person mit änsserster Kraft herumschwingt. Golde. Gutmüthigkeit, Ehrlichkeit, Leichtlebigkeit. Spiele, Gesang. 693 weit mehr Melodie und Wohlklang der Sprache inne. Die chinesischen dagegen schienen mir im Munde der Golde sehr gekünstelt, um nicht zu sagen entstellt zu sein. Da vorhin, bei Besprechung der socialen Verhältnisse der Giljaken, auch ihrer Zeit- rechnung gedacht worden ist, so mögen hier einige Bemerkungen über denselben Punkt bei ihren Nachbarn auf dem Festlande, den Oltscha und Golde, folgen. Trotz der bereits weit vorgeschrittenen Assimilirung der Oltscha nach ihrer Lebensweise und ihren Sitten mit den Giljaken stimmt ihre Zeitrechnung doch nicht mit der giljakischen, sondern mit derjenigen ihrer südlichen, tungusischen Nachbarn, der Golde und, wie es scheint, auch der Mandshu überein. In den handschriftlichen Aufzeichnungen von Maximowicz, der sich unter den beiden Völkern länger aufgehalten hat, finde ich darüber folgende Notizen. «Fragt man, heisst es da, einen Oltscha oder Golde nach ihrer Zeiteintheilung, so lautet die Antwort in der Regel: ««wie sollen wir das wissen, frage die Mandshu oder Chinesen, die werden es Dir sagen». Zwar weiss ein Jeder einen oder den anderen Monat zu nennen und auch die Jahreszeit, in die er fällt: obfua (Winter), niengnia (Frühling), dshoa (Sommer) oder bolo (Herbst), aber darüber geht es meist nicht hinaus. In Mylki traf ich endlich einen Golde der mir 12 Monate nannte, doch weiss ich nicht, ob alle Namen goldischen, oder einige vielleicht mandshurischen, oder gar chinesischen Ursprungs sind. Diese 12 Monate (bie) des Jahres (aönganie) hiessen nach ihm folgendermassen: Nguiren (in welchem das Eis auf dem Strom sich einzustellen pflegt), Itschia (in welchem der Strom sich mit einer festen Eisdecke belegt), Gusse, Agdsema, Naudsema, Chu, Chiela (in welchem das Eis bricht), Nöingun-bie (der 6-te Mond), Nädan-bie (der 7-te Mond), Dshakfun-bie (der 8-te Mond), Ohujun-bie (der 9-te Mond) und Dshoan-bie (der 10-te Mond). Nun nannte er aber trotz seiner Behauptung, dass das Jahr nur 12 Monde (bie) habe noch einen dreizehnten Potkianko, in welchem die Lachsart daua (Salmo lagocephalus) gefangen und viel Jukola aus derselben bereitet wird». In Odshal lernte Maximowicz ferner einen Golde kennen, der ihm die obigen Angaben zum Theil bestätigte und zum Theil noch durch _ folgende, die einzelnen Monate kennzeichnende Naturverhältnisse oder Beschäftigungen der Golde und Oltscha ergänzte. «Im Nguiören, meinte er, da der Fluss friert, zieht man in die Berge und Wälder, auf den Zobelfang und kommt erst, nachdem man im Itschia, Gusse, Agdsema und Naidsema der Jagd obgelegen, im Chu-bie nach Hause. Während die Golde auf der Jagd sind, machen die Oltscha ihre Handelsfahrten zu den Orotschen (was sie übri- gens zum Theil auch im Sommer thun). Im Chiela geht der Fluss auf; man fängt dann adi (Acipenser orientalis) und uja (Cyprinus carpio) in Menge und trocknet davon, was man nicht aufisst. Der Nadan-bie ist fischarm. Im Dshakfun-bie wird uru, unterhalb Kidsi auch sselke (Salmo Lycaodon), sowie uja, kundu (Acip. Schrenckit) und einzeln und selten auch adi ge- fangen. Im Dshoan-bie und im Potkianko findet der Fang der daua und die Bereitung von Ju- kola aus derselben statt. Mit dem Potkianko beginnt man das Zählen der Monate im Jahr und zählt, (wie übrigens auch bei den Giljaken) nicht nach Tagen, sondern nach Nächten». Selbstverständlich können sich die 13 Monate der Golde mit unseren 12 nicht genau decken. Die in denselben statthabenden Naturereignisse und Beschäftigungen der Eingeborenen 694 Die Völker des Amur-Landes. lassen jedoch die Monate, auf welche sich die goldischen Namen beziehen, deutlich genug er- kennen. In einem Punkt übrigens stimmen die beiden Maximowiez’schen Gewährsmänner nicht mit einander überein: während der Mylki-Golde den Potkianko nur schlechtweg als einen 13-ten Monat nannte, bezeichnete ihn der Odshal-Golde direkt als denjenigen, mit welchem das Zählen der Monate, also das neue Jahr beginnt. Zählt man, namentlich nach Angabe des Myiki-Golde, von den nur durch Zahlen bezeichneten Monaten rückwärts, so kommt man auf den Güisse-bie als ersten im Jahr. Dies ist in wörtlicher Uebersetzung der T'scham-long oder Adlermonat, also Januar der Giljaken. Doch weiss ich nicht, ob die letzteren thatsächlich mit ihm die Zählung der Monate im Jahr beginnen, oder ob dies sowohl wie der resp. Name des Monats bei Giljaken und Golde auf mandshu-chinesischen Einfluss zurückzuführen ist. Be- züglich der Golde erfahren wir aber jedenfalls, dass ihr Neujahr mit dem Potkianko beginnt, dem Monate, da der Massenzug des Salmo lagocephalus den Amur stromaufwärts stattfindet. Dieses für alle Anwohner des Amur-Stromes, wie seiner Nebenflüsse hochwichtige Ereigniss tritt an seiner Mündung um die Mitte oder gegen Ende des August ein und dauert weiter auf- wärts, im Gebiet der Oltscha und Golde, den ganzen September, ja im Ussuri mit abnehmender Energie auch noch im October, bis zur Bildung der Eisdecke fort!). Gleich wie daher bei den Giljaken auf dem Festlande der August, auf Sachalin aber, in Folge späteren Eintreffens jener Massenzüge von Salmo lagocephalus, der September als pilja-tschrar- oder schlechtweg pilja- long, d. i. «grosser Fisch-» oder schlechtweg «Grosser Monat», bezeichnet wird, so scheint es den Oltscha und Golde mit ihrem Potkianko zu gehen, der, bei jenen früher, bei diesen später, in den September bis October fällt und den Eintritt eines neuen Jahres und neuen Cyklus von Beschäftigungen inaugurirt?). Darin spricht sich jedenfalls ein nationaler Zug im Kalender der Golde und Oltscha aus. Auf den Potkianko folgen nun: Nguören-November, Tischia-December, Gusse-Januar, Agdsema-Februar, Naudsema-März und Chu-bie-April, — lauter Monate, die die Golde zumeist und die Oltscha wenigstens zum grössten Theil auf der Jagd in den Wald- und Bergwildnissen zubringen. Erwägt man, von welch ausserordentlicher Bedeutung für sie diese Beschäftigung ist und wie gern sie ihr nachgehen, so erscheint es als charakteristisch, dass sie für diese Monate ebenfalls eigene, nicht bloss durch Zahlen bezeichnete Namen haben. Ihnen gesellt sich auch noch der Chiela-bie, Mai, hinzu, der für sie insofern von grösster Bedeutung ist, als sich ihnen alsdann mit dem Aufgange des Stromes und dem Beginn des Fischfanges und besonders der mit Harpunen betriebenen Jagd auf die grössten Fische des Stromes, die Hausen und Störe, eine neue Nahrungsquelle eröffnet. Für die nun folgender Sommermonate Juni bis August haben sie hingegen, entsprechend dem weit geringeren Eifer, mit dem sie den übrigen Fischfang betreiben, nur Bezeichnungen durch Zahlen, die im Gebrauch manche Ungewissheiten nach sich ziehen mögen, im Gegensatz zu den mehr ichthyophagen Giljaken, die sich gerade für 14) S. oben, p. 525. bräuchlicheren Oni-lami-long für den October hörte, 2) Sollte nicht auch dieandere Bezeichnung Pottschawo- | auf den Potkianko zurückzuführen und also oltscha-gol- Zong, die ich bei den Amur-Giljaken neben der ge- | dischen Ursprungs sein? Oltscha und Golde. Zeitrechnung. Kosmäsche Vorstellungen der Golde. 695 diese Jahreszeit, vom Mai bis August, durchaus nationaler, auf den Fischfang bezüglicher Monatsnamen bedienen, Ueber die kosmischen Vorstellungen der Golde haben weder Maximowiez, noch ich etwas Bestimmteres erfahren können. Maack') theilt jedoch nach der Erzählung eines goldischen Gewährsmannes mit, dass sie die Erde um den Polarstern sich drehen lassen, den sie für den einzig unbeweglichen Stern am Himmel halten und daher chada-ossikta, «unbe- weglicher Stern», nennen. Derselbe Mann wusste ihm auch die Namen einiger anderen Gestirne zu nennen. So soll der Jupiter bei ihnen chorakta, der Adler ölan-ossikta (Dreigestirn), a Iyrae-dsära, & aurigae-ssuen dsara, der grosse Bär faulja heissen. Dem letzteren wird in China eine besondere Verehrung gezollt, denn nach Pauthier”) muss es in der Hauptstadt einer jeden der achtzehn Provinzen dieses Reiches unter anderen Tempeln auch einen dem Gestirn des Grossen Bären (wen-tschang-K-kiun) gewidmeten Tempel geben. Kein Wunder daher, dass diesem Gestirn, vielleicht unter mandshu-chinesischem Einfluss, auch im Amur-Lande von Golde und Giljaken eine besondere Beachtung geschenkt wird. Die Milchstrasse nennen die Golde ba-mamgu, was Maack mit der Bezeichnung Mamgu für den Amur in Beziehung bringt, obgleich diese richtiger Mangu lautet?). Sollte es übrigens eine derartige Beziehung geben, so könnte sie nur darin bestehen, dass die Golde in der Milchstrasse eine Abspiegelung des Amur-Stromes zu sehen glauben. Meinte doch auch der Mandshu Kächuing, mit dem wir an der Ussuri-Mündung zusammentrafen, indem er auf die zusammenfliessenden Arme der Milchstrasse hinwies: «yi Sachali, yi Sungariv, was an die Auffassung der Australier erinnerte, die in der Milchstrasse eine Abspiegelung des Darling-Stromes sehen, an dessen Ufer ihre ver- klärten Abgeschiedenen den Fischfang betreiben *). 4) Oyrem. na Amypz, €. Herepö. 1859, erp. 164, 189. 3) S. oben, p. 144—146. 2) Chine moderne ou descr. hist, geogr. et liter. de ce 4) Peschel, Völkerkunde, p. 352. vaste emp. 2. Partie, p. 262. (L’Univers). Schrenk's Amur-Reise, Band II. 88 13. Abschnitt'). (Die Bärenfeste. Deren cultueller Character und sociale Bedeutung. — Die Bärenfeste bei den Amur- Giljaken. Feierlichkeiten und Belustigungen vor und bei der Tödtung der Bären, sowie bei deren Ver- speisung. Beisetzung der Gebeine und Schädel der Bären. Modificationen bei den Oltscha, sowie bei den Giljaken auf Sachalin und den Ainos.) Im Leben aller Völker des Amur-Landes und Sibiriens bis nach Kamtschatka spielt der Bär eine hervorragende Rolle. Bei keinem von ihnen dürfte es aber in dem Maasse der Fall sein, wie bei den Giljaken. Die kolossale Grösse, die er im Amur-Lande erreicht ?), sein bös- artiges Naturell, das ihn, vielleicht in Folge davon, dass er dort lange nicht die Fülle von Nahrung, wie in Kamtschatka findet, selbst vor einem Angriff auf den Menschen nicht zurück- schreeken lässt, und sein immerhin häufiges Vorkommen machen ihn zum gefürchtetsten Raub- thier des Landes. Kein Wunder daher, wenn sich die Phantasie der Giljaken viel mit ihm be- schäftigt und ihn im Leben wie nach dem Tode mit furchtsam-abergläubischen Vorstellungen umgiebt. So herrscht unter ihnen z. B. der Glaube, dass die Seele eines im Kampf mit dem Bären gefallenen Giljaken in den Leib dieses Raubthiers wandere, wozu vielleicht hauptsächlich der Umstand Veranlassung gegeben hat, dass der Bär in seiner Lebensweise und seinen Ge- berden manche Aehnlichkeit mit ihnen verräth, indem er wie sie zum grossen Theil von den massenhaft in die Flüsse aufsteigenden Lachsen, von Beeren, Pflanzenknollen und drgl. sich nährt, wie sie zum Winter in Erdhöhlungen unter verschneitem Baumgezweig sich ein Lager bereitet, gleich ihnen sich zum Kampf aufrichtet u. s. w. Trotz alledem mag aber der Giljake auf den Hochgenuss, den Bärenfleisch und Speck seinem Gaumen bereiten, nicht verzichten, und ganz vornehmlich leckert es ihn darnach, wenn der Bär zuvor einige Zeit in der Gefangen- schaft gelebt hat und mit Fisch gefüttert worden ist, denn diese Nahrung verleiht seinem Fleisch und Speck einen den Giljaken besonders angenehmen Fischbeigeschmack. Zudem darf man 1) Die Inhaltsangabe zu diesem Abschnitt fehlt im 2) Darüber s. meine Messungen an Bärenschädeln im Manusecript, I. Bd. dieses Werks, p. S fl. Giljaken. Feierliche Einbringung der gefangenen Bären und deren Einsperrung. 697 sich alsdann dem Genuss dieser Leckerbissen auch ganz gefahrlos und ungestraft hingeben, denn, um Letzteres zu erreichen, bedarf es nach giljakischer Vorstellung einer langen Reihe vorläufiger Handlungen, die sämmtlich dahin abzielen, den Bären bei seinen Lebzeiten durch Ehrenbezeugungen zu überlisten und über Alles, was mit ihm vorgenommen wird, gleichsam hinwegzutäuschen, nach seinem Tode aber durch Huldigungen, die noch den Manen des Er- legten erwiesen werden, die erzürnten Rachegeister des mächtigen Raubthiers zu besänftigen. Die Ehrenbezeugungen beginnen gleich bei der Abführung des Bären in die Gefangenschaft. Ist der Bär in seinem Lager aufgefunden und nach erfolgreichem Kampf glücklich gefesselt worden, so wird er, wie schon erwähnt!) im Triumphzuge auf zwei neben einander gestellten und zusammengebundenen Schlitten nach dem Ort, von welchem die Jäger ausgingen, gebracht und hier mit lJautem Jubelrufen von Alt und Jung empfangen. Dasselbe geschieht auch, wenn ein Giljake von der nach Sachalin unternommenen Handelsreise heimkehrt und im Mittel- raum seines Bootes einen oder ein paar auf der Insel gekaufte junge Bären mitbringt?). An Behausungen zur Aufnahme des Bären pflegt es in den giljakischen Dörfern niemals zu fehlen, nöthigenfalls wird ihm aber auch eine neue errichtet. Diese besteht aus einem viereckigen, mit einer kleinen, stark verrammelten Thür und einer noch kleineren, stets offenen Fensteröflnung versehenen, von oben unbedeckten Balkenkasten. Der Bär wird zum Hineinsteigen in denselben genöthigt und, nachdem er entfesselt worden, durch eine Lage darüber gebreiteter, vermittelst Stangen befestigter und mit Steinen beschwerter Bretter am Entweichen aus seinem Kerker verhindert. Von nun an gehört er gewissermaassen der ganzen Dorfgenossenschaft an, denn alle Glieder derselben haben für seine Pllege und Ernährung zu sorgen und sind demgemäss auch berechtigt, an dem in Aussicht genommenen, zu seinen Ehren stattfindenden und allendlichen mit seiner Tödtung und Verspeisung schliessenden Feste Theil zu nehmen. Das Bärenfest ist somit in ganz eminentem Sinne ein communistisches Fest, das alle einzelnen Glieder einer Dorfgenossenschaft mit einander verbindet und darum begreiflicherweise auch den Höhepunkt des socialen und geselligen Lebens der Giljaken bildet. Dem ursprünglichen Eigenthümer des Bären, der ihn gekauft hat oder auf dessen Veranstaltung er gefangen worden ist, steht nur das Recht zu, über die Zeit, wann das Fest stattfinden soll, zu bestimmen und dieses, natürlich stets in den Grenzen altherkömmlichen Brauches, zu leiten. Desgleichen bleibt es ihm als Gastgeber anheimgestellt, das Festmahl durch Hinzufügung noch anderer kulinarischer Genüsse, als der Bär sie bietet, zu einem mehr oder weniger opulenten zu gestalten und demgemäss auch ausser- halb seines Dorfes wohnende Verwandte, Freunde und Bekannte, selbst von fremder Zunge, dazu einzuladen. Ihm fällt endlich nach vollbrachter Festlichkeit das Fell des Bären zu. Die Fütterung des eingekerkerten Bären durch alle Bewohner des Dorfes geschieht nach einer vorläufig festgestellten Ordnung. Die durch die kleine Fensterluke im Kerker ihm ge- reichte Nahrung besteht ausschliesslich aus Fisch, in rohem oder gedörrtem Zustande (Jukola), Mossj, d. i. einem aus zerriebenen Fischhäuten oder zerkleinerter Jukola, Fisch- oder Seehunds- 4) S. oben, p. 562. _ | 2) S. oben, p. 612. 88* 698 Die Völker des Amur- Landes. thran und Preissel- oder Rauschbeeren zusammengesetzten Brei'), und Wasser, das ihm im Sommer in flüssiger Gestalt, im Winter aber nur als Eis oder Schnee gereicht werden darf. Zur Darreichung der Nahrung, namentlich des Mossj’s und Wassers, dient der auf Taf. LI, Fig 2, abgebildete lange Löffel (gilj. nichyr). Von Zeit zu Zeit, jedoch nur selten und haupt- sächlich wohl um den Kerker zu reinigen, wird der Bär aus demselben herausgebracht. Zu dieser Procedur, der ich im Dorfe Tschomi am Amur-Liman beigewohnt habe, muss er aber zum Theil wieder gefesselt werden. Das geschieht, indem man ein paar Bretter der Kerker- decke vorsichtig auseinander schiebt, dem Bären noch im Kerker eine Schlinge um den Hals wirft und die Hinterbeine fesselt. Darauf werden auch die übrigen Bretter der Kerkerdecke beseitigt und der Bär von einer Anzahl Menschen in die Jurte gezerrt, wo der in ihrer Mitte befindliche Hundetisch inzwischen weggeräumt worden ist. Da man sich auf die dem Thier, wenn es vollerwachsen ist, um den Hals geworfene Riemenschlinge allein nicht verlassen darf, so springt jetzt ein Giljake mit gespreizten Beinen vor den Bären, fasst ihn an den Ohr- wurzeln und drückt ihm den Kopf gegen den Erdboden. Dasselbe thun gleichzeitig zwei andere mit Holzstangen bewaflnete Giljaken mit seinen Vordertatzen, und nun springt noch Einer dem Thier auf den Rücken, setzt sich rittlings auf dasselbe und legt ihm ein Halsband an, von welchem mittels eines drehbaren Ringes nach zwei Richtungen hin lange eiserne Ketten und Riemen auslaufen. Mit diesen wird nun der Bär, nachdem ihm die Hinterbeine wieder entfesselt . worden und er sich, laut brüllend, aufgerichtet hat, zwischen den beiden Mittelpfeilern der Jurte so angebunden, dass er sich bequem niederlegen und auch wieder aufrichten kann. Gleichsam zum Lohne oder als Liebkosung werden ihm dann einige Scheiben Jukola oder See- hundsspeck gereicht, worauf er noch mehrmals im Innern des Hauses umher und dann nach seinem Zwinger zurückgeführt wird. Ohne Zweifel hat diese Sitte der Giljaken, Bären in der Gefangenschaft zu halten, sie zuweilen in ihre Häuser zu bringen und in der angegebenen Weise zu behandeln, zu der in Sibirien weit verbreiteten Sage Veranlassung gegeben, dass sie Bären zähmen und als Haus- thiere zum Reiten und Fahren gebrauchen. In einer aus dem XVII. Jahrhundert stammenden, von Spasskij°) abgedruckten russischen Urkunde über den Amur («Ckasanie 0 Bemkoü pbkt Amypb») heisst es nämlich: «auf einer der Strommündung gegenüberliegenden grossen Insel (Sachalin) wohnen giljakische Völker, die in ihren Dörfern zu 500—1000 Hunde halten, alles mögliche Gethier essen und Bären zu friedlicher Arbeit auflüttern»°). Spasskij wollte dieser letzteren Angabe anfangs keinen Glauben schenken, sowohl wegen ihrer Seltsamkeit, als auch aus Mangel an anderweitigen Bestätigungen. In der 1849 von ihm herausgegebenen «Abschrift eines Entwurfs vom Sibirischen Lande» (Cnncorp €» yepre;ka Cnöupckia 3eman), heisst es aber ausdrücklich: «die Giljakischen Leute säen kein Brod, essen Fisch und fahren oder reiten auf 1) Ueber die Bereitung desselben s. oben, p. 439. ı 9. VII, 1853 r., Orz. II, Hacıba.), p. 20. 2) In seinem Artikel «Cvbabuis Pycer. o pbwb Anyp'b 3) Der letztere Passus lautet im Original: «ar meawbaeü 8b XVII. ero1», im Bberu Unm. Pycer. Teorpaw. Oou., | ropmars 3% yaycaxı Ada pa0oTLı Mupuo». Giljaken. Zeitpunkt und Dauer der Bärenfeste. 699 Bären» (T'mısnerie morm xıb6a ve ebiortp, mTamrtea PbI60R, a bararn!) ma merwhiaxp). Die- selbe Sage, dass an der Mündung des Amur-Stromes «ein wüstes Volk, Gilaki genannt, wohne, das viele Bären und Hunde halte, um von ihnen Dienst zu haben», war auch Witsen zuge- gangen ?). Und sie findet sich endlich auch bei Strahlenberg”), denn da heisst es: «an der Mündung des Amur-Stromes wohnt ein Volk, dass die Russen Kilaki nennen; von diesen Leuten haben mir einige «Jakuttische Taterm» erzählt, dass sie die Bären zähmen und so ge- brauchen, wie wir die Pferde» *). j Je nach dem Alter der Bären wird die Dauer ihrer Gefangenschaft bemessen: alte Thiere werden nur einige Monate, junge mehrere Jahre, bis sie ganz erwachsen sind, in der Gefangen- schaft gehalten. Haben sie in Folge reichlicher Nahrung und mangelhafter Bewegung eine dicke Specklage angesetzt, so naht die Zeit, sie in festlicbem Gepränge ihrem Ende entgegen zu führen. Die einzige Jahreszeit, in der bei den Giljaken Bärenfeste stattfinden, ist der Winter, denn als- dann halten sie sich, wenigstens auf dem Festlande, in den nach chinesischem Muster erbauten geräumigen Wohnungen auf und haben viel Zeit zu geselligen Zusammenkünften, Festlichkeiten und Schmausereien, ja der Ueberfluss an Zeit ist wohl auch der Hauptgrund, weshalb sie diese so gern möglichst lange ausdehnen. Namentlich ist der December oder Anj-long der Continental- Giljaken derjenige Monat, in welchen die meisten Bärenfeste fallen. Doch ist das keineswegs obligatorisch ; sie können ebensowohl auch im Januar und Februar stattfinden, ja, ich habe bei den Oltscha selbst einem Feste beigewohnt, das erst am 22. März (3. April) begangen wurde. Dies ist aber ziemlich auch der späteste Zeitpunkt dafür, denn dann giebt es schon ernste Vor- bereitungen für den Sommer zu treffen, und bald darauf, im April und zu Anfang des Mai, wird auch schon der Umzug in die Sommerbehausungen vorgenommen. Zuweilen wird die Fixirung des Zeitpunktes, wann ein Bärenfest stattfinden soll, dem Schaman übertragen, meist jedoch bleibt dies, wie schon erwähnt, dem Eigenthümer des oder der Bären, der selbst auch Gastgeber ist, überlassen, und dieser macht es von seinen eignen Geschäften abhängig und kann, wenn die letzteren es verlangen, auch eine mehr oder weniger lange Pause zwischen den einzelnen Festakten eintreten lassen. In Folge dessen, so wie dank der grossen Anzahl der von den Giljaken und den Oltscha in der Gefangenschaft gehaltenen Bären und der langen Dauer des ganzen Festes kann es daher leicht geschehen, dass der Reisende im Lande hier oder da auf einen Einzelakt des Festes stösst, meist suchen jedoch bei solcher Gelegenheit die von Miss- trauen und Argwohn beseelten Giljaken derartige Fremde unter allerhand Vorwänden vom Betreten ihrer Wohnungen fern zu halten, wie ich es auf Sachalin auch selbst erfahren habe. Nach diesen vorläufigen und allgemeineren Bemerkungen über das Bärenfest der Giljaken gehe ich zur speciellen Schilderung desselben über. Zu Anfang des Jahres 1856 besuchte mich » 4) Das russische Verbum %3Aurp heisst sowohl «fahren», 4) Dieselbe Fabel wurde Witsen (l. c., p. 686) auch als auch «reiten». von den Jukagiren im Lande «Ssabalsia» (Codausa 3em.an 2) Witsen, Noord-en Oost Tartarye, 1705, p. 884. — Hundeland) in Sibirien berichtet, doch bezeichnet er 3) Das Nord- und Östliche Theil von Europa und Asia. | selbst den Bericht als zweifelhaft. Stockholm, 1730, p. 386, 387. 700 Die Völker des Amur-Lamdes. im Nikolajef’schen Posten der mehrfach erwähnte, als Veranstalter grosser Bärenfeste unter seinen Landsleuten renommirte Giljake Judin aus Tebach. Da er mir sehr gewogen und sogar zu Dank verpflichtet war, so bat ich ihn mir Gelegenheit zu geben, einem dieser Feste von seinem Beginne an beizuwohnen, worauf ich zur Antwort erhielt, dass in den nächsten Tagen ein solches Fest bei ihm selbst stattfinden werde und er eben aus dem Grunde nach Tschorbach, wie der russische Posten bei den Giljaken hiess, gekommen sei, um noch einige Einkäufe zum bevorstehenden Feste zu machen. Mit meinem Freunde und nachmaligen Collegen an der Akademie, Herrn €. Maximowiez, der ein geübter Zeichner war und eben zum Besuch bei mir weilte, machten wir uns daher am 9. (21.) Januar zur Fahrt nach Tebach auf. Nach- dem wir in Allof genächtigt, trafen wir um Mittag des folgenden Tages in Wair ein, wo wir bereits Spuren stattgehabter Bärenfestlichkeiten sahen: eines seiner Häuser war nämlich da- durch ausgezeichnet, dass vor seinen Querwänden jederseits ein hohes, schlankes Tannen- bäumchen stand, das zumeist geschält und auch aller Zweige beraubt war, bis auf den Wipfel, wo eine magere Krone über den Giebel des Hauses emporragte. Eine Schnur lief in geringer Höhe über der Dachfirste von einem Bäumchen zum anderen, und von ihr hingen Bündel ge- kräuselter Hobelspäne, giljakisch sogen. Zach’s, zum Dach hinab. Ein in der Nähe der Haus- thür in den Schnee gesteckter Stab trug an seiner Spitze ebenfalls ein Tannenreis und ein Bündel Holzlocken. Es war voller, heller Mondschein, als wir vor Judin’s Haus in Tebach vorfuhren, das ganz ebenso wie dasjenige in Wair geschmückt war. Schon als wir die lange, zum Strome steil abfallende Ufer-Höhe, auf deren Rücken das Dorf Tebach liegt, hinanfuhren, hörten wir lautes Jubelgeschrei und jetzt sahen wir auch eine Menge vor dem Hause sich tum- melnder Giljaken. Es waren junge Männer aus dem Dorf und sonstige, zum Fest eingeladene Gäste, die sich in munterer Laune mit verschiedenen Spielen abgaben, wie sie ein Bärenfest stets mit sich bringt. Die Spiele sahen manchen unserer Francaise-Touren sehr ähnlich: die Spielenden fassten sich, einen Kreis bildend, an die Hand; der Kreis bewegte sich lebhaft in die Runde, bis er irgendwo riss und aus dem Kreise eine einfache Reihe entstand. Sobald dies ge- schah, lief ein Vordermann unter den aufgehobenen Armen der beiden äussersten Glieder am anderen Ende der Reibe durch, die ganze Reihe hinter sich herziehend, und nöthigte so den letzten Mann, sich um sich selbst umzudrehen. War ihm dies gelungen und wurde er dadurch selbst zum Vordermann, so machte er es jenem ersteren nach, und so wechselte es fort und fort ab, bis durch Ungeschicklichkeit eines der Vordermänner, oder durch Ausgleiten und Fallen eines Gliedes in der Kette die ganze Reihe zerrissen wurde, was bei dem vor dem Hause uneben eingetretenen glatten Schnee nicht selten geschah und stets von schallendem Gelächter aller Um- stehenden begleitet wurde. Nebenan tummelte sich ein anderer aus Knaben zusammengesetzter Kreis, die den Erwachsenen Alles genau nachmachten (s. Tab. Xl). Um beide Kreise aber hatten sich zahlreiche Weiber, Mädchen und kleine Kinder des Dorfes angesammelt, die bei jeder Gelegenheit ihren Beifall durch übereinstimmendes wildes Schreien, und durch Trampeln und lautes Klopfen auf ihre Pelze und Röcke zu erkennen gaben. Nachdem das Spiel zu Ende war, trat Judin auf uns zu und nöthigte uns ins Haus zu Giljaken. Übersiedelung der Bären in das Haus des Festgebers. Festspiele. 701 treten, wohin uns der ganze Schwarm von draussen folgte. Hier war der Hundetisch wegge- räumt, und an dessen Stelle befanden sich drei Bären, die an die beiden Mittelpfeiler der Jurte und an die beiderseitigen Stützpfeiler der entfernten Hundetischplatte gebunden waren, denn die letzteren allein boten keinen genügenden Widerstand. Der Bär trägt dabei ein dickes Lederband um den Hals und ein zweites auf dem Rücken, mit jenem zusammenhängendes um den Leib gleich hinter den Vorderbeinen, das dazu dient, das Halsband am Abgleiten über den Kopf des Thieres zu verhindern. Da der sonst vom Hundetisch eingenommene Raum für drei Bären verhältnissmässig klein ist, zumal die Thiere nicht allzunahe von einander aufgestellt werden dürfen, so müssen die vom Halsband auslaufenden Ketten, die sich jederseits in einen langen Strick fortsetzen, recht stramm angezogen werden, immer jedoch nur so, dass die Thiere noch sich niederlegen, wieder aufrichten und auch etwas zur Seite bewegen können. Dadurch wird der freie Verkehr in der Jurte recht sehr behindert, denn nunmehr muss man sich bei jedem Schritt dicht an den Rand der Schlafbank halten, um nicht unversehens von einer Bären- tatze gepackt zu werden. Nur zwei der Bären, ein sehr grosses Thier weiblichen Geschlechts und ein ansehnlich kleinerer, jedoch vollerwachsener, 7 Jahre alter männlicher Bär, gehörten Judin, der sie in den ganz, resp. zur Hälfte von Oltscha bewohnten Dörfern Tschilwi und Aure gekauft hatte; der dritte, ebenfalls männliche Bär von mittlerer Grösse stammte aus Kalm und war Eigenthum eines anderen Tebach-Giljaken. Wie in der Grösse so waren die Thiere auch in der Färbung verschieden: der kleine Bär war lichtbraun, der grosse dunkelbraun, der mittelgrosse fast schwarz. Ausserdem unterschied sich der grosse Bär von den beiden anderen noch dadurch, dass er unten am Halse ein weisslichgraues Band hatte, was aber noch nicht hinreichte, um ihm bei den Giljaken den Namen Kragenbär (gilj. molk) zuzuziehen, da dies erst dann geschieht, wenn das Weiss ganz rein ist und sich über einen grossen Theil der Kehle erstreckt. Dass endlich die drei Bären auch verschieden in ihrem Benehmen waren, namentlich in der Art, sich gegen An- griffe zur Wehr zu setzen, sollten wir sogleich sehen. Gleich nachdem wir, von der Menge gefolgt, im Hause auf einer der Schlafbänke Platz ge- nommen, wurde hier ungeachtet des beschränkten Raumes ein anderes Spiel vorgenommen, das ich oben bei Besprechung der Golde-Spiele bereits beschrieben habe, und das im Springen über eine von zwei Menschen geschwungene Schnur besteht. Die Giljaken nannten es Zyk-tyk ') und die‘ Beschäftigung damit Zykyrisch. Es dauerte jedoch nicht lange und wurde bei Weitem auch nicht mit der Gewandtheit wie von den Golde exekutirt. Es gehörte jedoch auch in das Programm der Belustigungen während des Bärenfestes und fand, nach dem Lärm, Geschrei und Gelächter des Publikums zu urtheilen, grossen Beifall. Ich habe es sonst von den Giljaken nicht aufführen sehen, und der Umstand, dass es im engen Raume des Hauses und nicht draussen stattfand, wo in der mondhellen Nacht sowohl die bepelzten Mitspieler, als auch die Zuschauer es weit besser und bequemer gehabt hätten, so wie auch die kurze Dauer des Spieles 4) Tyk bedeutet Schnur. 702 Die Völker des Amur-Landes. liessen beinahe darauf schliessen, dass es nur den anwesenden Bären zu Ehren geschah. Auch wurden diese gleich darauf mit Mossj traktirt, das sie aus langen Nichyr’s zu lecken bekamen. Jetzt ging man an die Hauptbelustigung des Festes, das Umziehen mit den Bären von Haus zu Haus. Dabei, wie bei allen folgenden Vorgängen, wurde stets dieselbe Reihenfolge mit den Thieren eingehalten, indem zuerst der kleine, dann der grosse und zuletzt der mittelgrosse Bär kam, — eine Reihenfolge, die wohl durch den ungleichen Antheil ihrer Eigenthümer am Feste bedingt war, da Judin zwei von ihnen gehörten und er zugleich der Hauptgastgeber des ganzen Festes war. Der Reigen begann also mit dem kleinen Bären. Die Stricke, mit denen er an die Pfeiler gebunden war, wurden gelöst, und an jeden von ihnen stellte sich eine lange Reihe von Giljaken in alternirender Ordnung auf. Die beiden dem Bären jederseits zunächst stehenden Männer hatten ihre Pelze verkehrt, die Rückenseite nach vorn, angezogen und den Schurzrock aus Seehundsfell (kossjkha) möglichst stramm und glatt um den Leib gebunden, damit die Bärenkralle, wenn sie sie streifte, nirgends anhake, sondern an dem glatten Fell ab- gleite. Jeder von ihnen hielt auch einen kurzen Stock in der Hand um den Bären damit zu zerren. Mit weitgespreizten Beinen und stark vorgestreckter Brust springt nun der Vordermann, der in der Richtung steht, wohin der Zug sich bewegen soll, vor den Bären und zerrt ihn mit seinem Stock. Das Thier brüllt laut auf, wirft sich nach vorn, erhebt sich zum Theil und fährt mit der Tatze auf seinen Gegner los. Dieser aber springt im Moment einen Schritt zurück und alle am selben Strick Stehenden machen ebenfalls einen Schritt vorwärts, zur Hausthür hin, den Bären nach sich ziehend. Dasselbe wiederholt sich ein zweites, ein drittes Mal; vergeblich sucht der Bär den Gegner zu packen, immer gleiten die Tatzen an seinem Schurzrock ab. In- zwischen bemühen sich auch Andere mit Stöcken und Stangen den Bären nach der Richtung zu drängen, wohin er hin soll. Dringt er jedoch zu sehr auf den Vordermann ein, hat er ihn mit der Tatze nicht bloss gestreift, sondern sich auch in seinen Pelz eingekrallt, und wird dessen Lage gefährlich, so zerrt der in der Reihe hinter dem Bären stehende Vordermann das Thier von hinten und nöthigt es, sich zu wenden und seine Angriffe gegen ihn zu richten, während die am hinteren Strick Stehenden das Thier gleichzeitig rückwärts ziehen. So schwankt der Zug unter lautem Wuthgebrüll des hin und her gezerrten Bären, in das auch die beiden anderen Thiere einstimmen, und unter wildem, wechselndem Jubelgeschrei der Bärenführer wie der Umstehenden bald nach vor-, bald nach rückwärts, immer jedoch mehr und mehr der Hausthür sich nähernd. Die wenigen Thranlampen vermögen den weiten Raum der Jurte mit ihrem dunklen, schwarzberussten Balkengerüste nicht so weit zu erhellen, dass alle um den Bären Beschäftigten seine Bewegunger deutlich wahrnehmen können, und doch ist dies zum rechtzeitigen Einspringen des einen wie des anderen Vordermanns durchaus er- forderlich. Eine Anzahl Knaben springt daher auf die Schlafbänke und beleuchtet von dort aus, dem Zuge hin und her folgend, mit improvisirten Fackeln, die aus zusammengerollter Birken- rinde bestehen und bald hell aufleuchten, bald nur dunklen Rauch verbreiten, den wildbewegten Vorgang. Fürwahr ein eigenartiges Bild (s. Taf. XLVM). In derselben Weise wie der kleine Bär wurden nun auch die beiden anderen Bären aus Gijaken. Umzüge mit den Bären durch alle Häuser. 703 dem Hause hinausgeführt. Jener war jedoch entschieden der wüthendste und widersetzlichste von allen, was die Giljaken dem Umstande zuschrieben, dass er bei seiner Gefangennahme ein Bein gebrochen hatte und in Folge dessen noch lahmte. Bemerkenswerth war auch, wie verschieden die drei Bären ihre Wuth äusserten und sich zur Wehr setzten: während der kleine und der grosse Bär sich dabei aufrichteten und den Zerrenden mit der Tatze zu packen suchten, benahm sich der dritte Bär ganz anders; er machte gar keine Anstalten sich zu erheben, sondern suchte die Stiche mit dem Stock dadurch abzuwehren, dass er die Tatze vor den Kopf hielt und selbst nach den Füssen des ihn Zerrenden griff, oder er legte sich auch auf den Rücken und wehrte sich mit den Tatzen. Er war auch der einzige unter den dreien, der in seiner Wuth den festeingetretenen Erdboden in der Jurte aufzuscharren suchte, was ihm jedoch von den Giljaken allemal wieder gelegt wurde. Der Zweck des Hinausführens der Bären war, sie durch alle Häuser des Dorfes, deren es in Tebach sieben gab, zu führen: in jedes von ihnen kehrte der Zug mit den drei Bären ein, und allenthalben wurden sie in derselben Ordnung, der grosse Bär in der Mitte, die beiden anderen zu den Seiten, aufgestellt und mit Mossj aus Nichyrlöfleln traktirt, zum Zeichen, dass sie in jedem Hause in Ehren gehaltene und willkommene Gäste seien. Der Umzug dauerte daher recht lange, und in Judin’s Haus kehrten die Bären zur Nacht nicht mehr zurück, sondern blieben in einem der anderen Häuser stehen. Erst am Morgen des folgenden Tages (11. Jan.) wurden die beiden Thiere, die unserem Wirthe gehörten, der kleine und der grosse Bär nach dessen Haus zurückgebracht und dort wie üblich aufgestellt. Mittlerweile war es auch Zeit, die stets in den Morgenstunden statthabende Fütterung der Hunde vorzunehmen, deren es hier der zahlreich angereisten Gäste wegen sehr viele gab. Da der Hundetisch weggeräumt war, so musste eine andere Vorrichtung getroffen werden, um die Hunde dennoch im Hause füttern zu können. Dazu wurde eine lange Stange durch eine Oeffnung in einem der Mittelpfeiler, zwischen denen der grosse Bär stand, quer durchgesteckt und an ihren Enden an die beiderseitigen Stützpfeiler der Hundetischplatte befestigt. An diese Stange wurden nun die durch die Anwesenheit der Bären im Hause sehr aufgeregten Hunde ge- knüpft, vor ihnen aber lag ein Brett, auf welches die Tröge mit der dampfenden Fischbrühe zu stehen kamen. Diesmal schien die Fütterung der Hunde mit besonderer Sorgfalt zu geschehen, da am folgenden Tage ein Hunderennen stattfinden sollte. Judin war sehr geschäftig und be- müht, seinen Gästen dabei Alles recht zu machen. Nachdem die zur Hundefütterung dienliche Vorrichtung entfernt worden war begann wieder das Aus- und Einführen der Bären, ohne dass ich jedoch einen ersichtlichen Zweck davon wahrnehmen konnte: der kleine Bär wurde in eine andere Jürte gebracht, der grosse aber viermal zur Thür des Hauses hinaus und gleich wieder zurückgeführt, mit nur minutenlangen Zwischenpausen. Mag sich durch die häufige Wiederholung dieses Experiments das Halsband an diesem Bären etwas gelockert haben oder sonst schadhaft geworden sein, kurz es erschien den Giljaken nothwendig, es mit einigen Hülfsschnüren zu versehen, — ein Unternehmen, das mir im höchsten Grade interessant war, da es mir die grosse Unerschrockenheit Sohrenok’s Amur-Reise, Band III. 89 704 Die Völker des Amur-Landes. der Giljaken den Bären gegenüber und ihre kolossale Gewandtheit und Geschicklichkeit im Umgange mit ihnen zeigte. Diese Aufgabe war noch schwieriger als das oben geschilderte erste Anlegen des Hals- und Leibbandes, denn letzteres geschah, nachdem die Hinterbeine des Thieres schon im Kerker gefesselt worden waren, hier aber konnte der Bär einen völlig freien Gebrauch von allen vier Extremitäten und dem Gebiss machen. Während nun der Zug ausserhalb des Hauses hielt, wurden alle zur Ausführung des Stückes erforderlichen Schnüre und Riemen fertig gelegt. Den Moment wahrnehmend, da das mächtige Thier sich ganz aufgerichtet hatte, warf sich ein Giljake ihm von vorn um den Hals und umklammerte es, so fest er konnte. Im selben Moment fesselte ihm ein Zweiter die Schnauze. Gleichzeitig griffen mehrere Andere das Thier von hinten an, zogen ihm mittelst Schlingen die Hinterbeine vorweg und hielten sie an den Boden gedrückt zurück. Der Bär fiel auf die Vordertatzen nieder, aber hier war ebenfalls so- gleich Einer bereit, ihm diese mit einer Stange gegen den Boden zu drücken und in Fesseln zu schlagen. So war das Thier durch rasches und einmüthiges Einschreiten in einem Augen- blick vollständig entwaflnet und gefesselt, und jetzt konnten die an seinem Halsbande erforder- lichen Hülfsschnüre in aller Ruhe und ohne Gefahr angelegt werden. Sobald dies geschehen, sprangen sämmtliche Giljaken vom Bären ab, auf einen Ruck lösten sich alle mit besonderem Kunstgriff ihm um Schnauze und Tatzen geknüpften Knoten und Schlingen auf, und der Bär stand. wieder bis auf das Hals- und Leibband ganz frei und ungefesselt an seiner Kette da, laut brüllend und sich wiederholentlich schüttelnd. Er wurde nun, gleichwie auch der kleine Bär, wieder in’s Haus geführt und dort mit fein zerstückeltem Eise und Strickbeeren regalirt, worauf nach kurzer Pause dieselbe Procedur, dass der kleine Bär sogleich, der grosse aber erst nach vier und dazwischen auch nur nach zweimaligem Aus- und Einführen aus Judin’s Hause nach einem anderen gebracht wurde. sich noch mehrmals wiederholte. Gleich nachdem die Bären entfernt worden waren, begann die männliche Jugend des Dorfes grössere und kleinere Stöcke von Ellern und Ebereschen in’s Haus zu tragen und an der Stelle, wo die Bären gestanden hatten, niederzulegen, bis sich ein grosser Haufen davon erhob. Alles, was ein Messer hatte, die Weiber und Mädchen allein ausgenommen, machte sich nun daran, diese Stöcke an dem einen Ende anzuschneiden, oder richtiger anzuhobeln, d. h. siljakisch sogen. nauws !) aus ihnen zu bereiten. Viele derselben waren nur an einer Seite, die meisten aber an zwei einander gegenüber gelegenen Seiten und manche auch rundum mit dem Messer angehobelt, ja von einigen fielen sehr feine und zierlich gekräuselte Holzlocken (die mehrfach erwähnten gilj. sogen. Zach's) vom oberen Ende des Stockes zum unteren hinab. Dieses Symbol, das bei den Giljaken alle religiösen, auf Furcht vor dem Einfluss böser Geister begründeten Handlungen, wie die Opferspendungen auf dem Strom?), die Sturmbeschwörungen °) und drgl. m. begleitet, darf natürlich auch beim Bärenfest nicht fehlen, So sehen wir es schon über dem Dache des Hauses prangen, in welchem ein Bärenfest gefeiert wird und zugleich ein Stück Bärenkultus sich abspielt. In reichlicherem Maasse noch sollte es uns im weiteren Ver- 4) Das s ist hier weich, wie das französische 2 auszu- 2) S. oben, p. 517, 518. sprechen. 3) S. oben p. 671. Giljaken. Bereitung der Stätte für die Tödtung der Bären. 705 lauf des Bärenfestes entgegentreten. Zunächst wurde jedoch der ganze Haufen angehobelter Stöcke wieder hinaus getragen, um erst Tags darauf zur Verwendung zu kommen. Während die Männer, Jünglinge und Knaben an den Stöcken schnitzten, bereiteten die Weiber einen frischen Vorrath von Mossj, in das sie diesmal auch zerkleinerte Tannennadeln (von Picea ajanensis Fisch., gilj. twwisk) hineinrührten, — eine Beschäftigung, die bis zum Abend dauerte. Mittlerweile ging das Ein- und Ausführen der Bären;in den anderen Häusern des Dorfes ununterbrochen vor sich. An dieser Belustigung können die Giljaken nie genug haben, und alle dabei vorkommenden Einzelbegebenheiten nehmen sie so lebhaft in Anspruch wie bei anderen Völkern etwa ein Kampf-, ein Festspiel oder ein Tanz bei lustiger Musik, die hier das Gebrüll der Bären abgiebt. Jedermann hat dabei Gelegenheit, seine Kühnheit, Unerschrockenheit, Ge- wandtheit und Geistesgegenwart als Vordermann in der einen oder der anderen Reihe der Bärenführer zu produeiren: je näher er das wüthende Thier an sich herankommen lässt, je grösser die Gefahr, der er sich aussetzt, desto lauter der ihm zu Theil werdende Beifall und desto grösser sein Ruhm und Ansehen unter den Leuten. Alle Einzelheiten werden aufmerksam verfolgt und nachher in lebhafter Diskussion besprochen, kurz man erkennt die sonst ernsten, gesetzten, vorsichtigen und etwas wortkargen Giljaken bei solcher Gelegenheit kaum wieder. Spät Abends stattete noch der Zug mit dem mittelgrossen Bären dem Hause Judin’s einen kurzen Besuch ab. Zur Nacht aber kehrten in dasselbe nur die beiden ihm gehörigen Bären zu- rück. Menschen und Thiere hatten sich müde gezerrt und schienen einiger Ruhe zu bedürfen. Die Nacht verlief auch ruhiger, als bei der Einquartierung zweier Bären zu erwarten stand. Gegen Morgen, d. 12. Januar, erwachte ich jedoch von einem lauten Bärengebrüll; das Hin- und Herführen der Thiere, zum Hause hinaus und wieder zurück, hatte von Neuem be- gonnen: erst wurden unsre beiden Schlafkameraden hinaus und dann alle drei Bären wieder herein gebracht, in der Ordnung wie zu Anfang des Festes aufgestellt und aus drei Nichyr’s mit dem gestern bereiteten Mossj, davon auch die Menschen assen, gefüttert, worauf der fremde Bär wieder entfernt wurde, während die beiden anderen im Hause blieben. Jetzt ging man an die Bereitung der Stätte, wo die Bären am folgenden Tage ihren Todesstreich erleiden und dann abgebalgt und zerkleinert werden sollten. Dazu wurde unweit vom Hause ein längliches Viereck mit den am Tage zuvor geschnitzten Stöcken (nauws) umsteckt, auf dessen Längs- ‚durchmesser an vier etwa um einen Faden von einander entfernten Stellen je zwei starke kopflörmig zugespitzte Pfähle neben einander in den Erdboden eingerammt standen. Diese Pfähle waren alt und mögen schon mehrmals zu demselben Zweck gedient haben. Sie wurden ebenfalls mit angeschnittenen Stöcken umgeben. An dem einen Ende, in der Linie der Pfahl- reihe, war ein Eingang zu dem von den Nauws umsteckten Platze (der gilj. sogen. kadhra) frei- gelassen, am anderen, entgegengesetzten Ende stand auf vier in die Erde getriebenen Pfosten in einiger Höhe über dem Erdboden ein kleiner, aus Brettern errichteter Bau (bei den Giljaken läsng') genannt), der nach hinten geschlossen, nach vorn, zur Pfahlreihe hin, aber ganz 1) Das s ist weich, wie das französische 2 auszusprechen. 89* 706 Die Völker des Amur-Landes. offen war und hier ausser einer dem Dach genäherten Querstange noch eine zweite, untere Querstange hatte, durch die jene Oeflnung in zwei ungefähr gleiche Hälften getheilt war. Auch der Weg, der von Judin’s Hause zu dieser Todesstätte der Bären führte, war mit einigen angeschnitzten Stöcken bezeichnet. Inzwischen ging im Hause die Hundefütterung in derselben Weise wie gestern vor sich, mit der Einschränkung jedoch, dass diejenigen Thiere, die an dem in einer Stunde bevor- stehenden Hunderennen theilnehmen sollten, zunächst noch nichts bekamen: sie wurden zwar auch in's Haus gebracht, durften aber nur zusehen, wie die übrigen Thiere frassen, ihre Füt- terung hingegen wurde bis nach dem Rennen aufgeschoben, um sie dadurch noch mehr zum raschen Laufen anzuspornen. Man begab sich nun nach dem einen Endpunkt der Rennbahn, die auf der Eisdecke des Flusses lag und aus einem etwa zwei Faden breiten Streifen bestand, auf welchem in einer Länge von etwa 1/,—2 Werst der Schnee nach beiden Seiten hin weg- geschaufelt und das Eis einigermaassen geebnet worden war. Hier standen zwei Schlitten, der eine mit 1%, der andere mit 10 Hunden bespannt, von denen die drei vordersten am ersten Schlitten mit eleganten mandshurischen Halsbändern, den oben erwähnten Rüssk’s!) geschmückt waren. Vor den Schlitten wurden zwei andere Hunde an langen Riemen gehalten. Auf dem er- höhten Wall zu beiden Seiten der Rennbahn hatten sich zahlreiche Zuschauer aufgestellt. Zuerst wurden nun die beiden nicht vorgespannten Hunde losgelassen, die am Ende ihres langen Riemens nur einen Fuchs-, resp. einen schwarzen Hundeschwanz hinter sich herzogen. Mit dieser leichten Last entschwanden sie im Nu auf der Rennbahn und den Berg zum Hause hinan, wo sie von den Weibern und Kindern aufgefangen wurden. Es waren besonders schnellfüssige Thiere, der eine von ihnen ein bei den Giljaken sogen. kylä oder kylä-kan, auf dessen Besitz Judin sehr stolz war, indem er meinte, dass es im ganzen Amur-Lande nur etwa 2 oder 3 Thiere von gleicher Güte gäbe, deren Besitzer er auch zu nennen wusste. Worin jedoch ausser der Schnellfüssigkeit noch die Eigenthümlichkeiten eines kylä-kan liegen, ist mir nicht klar geworden. Nicht so leichten Kaufes kamen die vor die Schlitten gespannten Thiere davon, denn ob auch die Last, die sie zu schleppen hatten, kaum grösser war — auf jedem der im Uebrigen ganz leeren Schlitten lagen nur zwei in’s Flechtwerk desselben gesteckte Hemmstöcke — so wurden ihnen doch Hindernisse anderer Art in den Weg gelegt. Sobald nämlich die Hunde im schnellsten Lauf dahinrasten, warf sich irgend ein auf dem Wall an der Rennbahn stehender Giljake auf den Schlitten und suchte durch Ergreifen der Hemmstöcke Meister der Hunde und ihres Gefährtes zu werden, was ihm natürlich nicht sogleich gelang. Schlug es dem Einen fehl, so that es ein Zweiter, ein Dritter: auf den Schlitten stürzend, klammerte er sich an denselben fest, zwei, drei Mal überschlug sich der Schlitten, aber der Mann hielt an ihm fest und liess sich im schnellsten Lauf fortschleifen, bis es ihm gelang, sich rittlings aufzusetzen und mit den beiden Hemmstöcken in der Hand den Berg im Triumph hinanzufahren. Während des ganzen Hunderennens trommeln die Weiber mit Knütteln und Stöcken auf einem vor dem Hause von 4) S. oben p. 485 nebst Holzschnitt und Taf. XXXVI, Fig. 4 und 5. Giljaken. Hunderennen und fortgesetzte Bärenumzüge. 707 einem Gerüst herabhängenden Balken. Das geschieht auch mit einer gewissen Regelmässigkeit und erfordert einige Sachkenntniss, indem es verschiedene, der Gelegenheit angepasste Arten und Weisen des Trommelns giebt. Jedes der Weiber erhält nämlich zwei Knüttel oder einen Knüttel und einen Stock und schlägt damit bald gleichzeitig, bald abwechselnd zwei, dreimal nach einander auf den Balken, dann Knüttel an Knüttel oder Knüttel an Stock, dann wieder auf den Balken u. s. w. in verschiedenem Rhythmus und Tempo, wie es die jedesmalige Weise eben erfordert. (S. Taf. XLVII). Sobald alle am Rennen betheiligten Hunde wieder zurück sind, wird ihnen von den Weibern das ersehnte Mahl im Hause vorgesetzt. Die Männer aber ergehen sich in lebhafter Erörterung aller beim Hunderennen vorgekommener Einzelheiten, indem es den einen Hund zu rühmen, an dem anderen was auszusetzen, mehr aber noch über die Unge- schicklichkeit des Einen ihrer Landsleute zu lachen und die Kühnheit und Gewandtheit eines Zweiten und Dritten zu bewundern giebt. Denn, wie aus dieser Schilderung zu ersehen ist, hat das Hunderennen bei den Giljaken nicht sowohl den Zweck, die Hunde auf ihre Güte zu prüfen, als vielmehr, gleichwie auch bei anderen zum Bärenfest gehörigen Belustigungen, den Menschen Gelegenheit zu bieten, ihre oben erwähnten physischen und moralischen Vorzüge zu produciren. Nach diesem Intermezzo nahm man das am Morgen unterbrochene Bärenführen wieder auf, wobei Alles genau wie an den vorigen Tagen wiederholt wurde so, dass z. B. der grosse Bär nicht anders Judin's Haus betrat oder verliess, als nachdem er viermal durch die Thür hin und her geführt worden war. Wieder mussten die Bären durch alle Häuser des Dorfes geführt und überall mit Mossj oder zerstückeltem Eise bewirthet werden. Zwei Mal kehrten sie dabei auch in Judin’s Haus ein und wurden ebenso behandelt. Die Giljaken sehen es besonders gern, wenn auch ihre Knaben, mögen sie noch so klein sein, an der Bärenfütterung sich betheiligen: tapfer treten diese an das Thier heran und reichen ihm den mit Mossj gefüllten Löffel dar, der zuweilen von mehreren kleinen Händen gehalten und unterstützt wird; manchem Däumling aber, der noch kaum auf seinen Füssen stehen, geschweige denn einen Nichyr halten kann, muss der Vater oder ältere Bruder durch Emporheben des Kleinen dabei zu Hülfe kommen. Vielleicht geschieht dies aus pädagogischen, wahrscheinlicher jedoch aus abergläubischen Gründen, in der Vorstellung nämlich, dass den Kindern dadurch, auch wenn sie einmal er- wachsen sind, die Gunst des mächtigen Thieres erhalten bleibe. Sobald aber die Bären wieder aus dem Hause weggebracht sind, benutzen die Kinder den frei gewordenen Raum um sich darauf zu tummeln und ein genaues Conterfei von Allem, was sie beim Führen der Bären, beim Wechseln der Bänder an denselben u. s. w. gesehen, unter getreuester Nachahmung aller Be- wegungen, Posen und Allüren der Erwachsenen aufzuführen, wie es oben (p. 702 und fl.) ge- schildert worden ist. So lernen sie mit dem Bären umgehen, lange bevor sie noch selbst mit Hand anlegen können. Am Abend, bei hellem Mondschein, wurden die Bären noch über das Dorf hinaus auf dem Flusseise den langen Weg um das Cap Tebach herum geführt. Es war ein langer Zug, der sich zum Strom hinab in Bewegung setzte, denn ausser den drei Bären, die in derselben Reihenfolge wie 708 Die Völker des Amur- Landes. immer geführt wurden, folgte ihnen noch eine grosse Anzahl dabei unbeschäftigter Knaben. Da das Ufer hoch ist und recht steil zum Strom abfällt, so war es interessant anzusehen, wie sich der Zug, ohne auch nur einen Moment in Verwirrung zu gerathen, den glatten Berg abwärts bewegte: während die am vorderen Strick Stehenden spornstreichs hinunter liefen, mussten die am hinteren Strick Beschäftigten sich aus Leibeskräften zurückstemmen, um zu verhindern, dass der Bär nicht ebenso schnell hinunterlaufe und dort Schaden anrichte; mit vereinter Kraft gelang es ihnen jedoch, alle drei Bären nur langsam und gleichmässig den Berg hinabrutschen zu lassen. Zurück ging es viel leichter, indem die Hinterleute sich von den Bären in’s Schlepptau nehmen und bergaufziehen liessen. Während dieses ganzen Zuges trommelten die Weiber wieder unablässig auf ihrem Balken. Es folgte nun eine kleine Pause, in welcher einige Spiele vor dem Hause vorgenommen wurden, wie die oben erwähnten Ringeltouren, ferner ein Springen um die Wette, bald auf einem Fusse, bald auf beiden, wie ich es auch schon bei den Golde gesehen hatte, und dann ging es wieder an das beliebte, die Giljaken nie ermüdende Bärenführen, das bis spät in die Nacht hinein fortgesetzt wurde. Denn in dieser dem Tödten der Bären un- mittelbar vorausgehenden Nacht darf bei den Giljaken überhaupt nicht geschlafen werden: die Männer verbringen sie abwechselnd mit Bärenführen und -füttern, die Weiber aber mit Bereiten von Speisen zu dem am folgenden Tage bevorstehenden Festmahle. Wenden wir uns daher jetzt einen Augenblick diesen letzteren zu. In einem der vorigen Abschnitte’) ist schon hervorgehoben worden, dass die beim Bä- renfest vornehmlich zur Verwendung kommenden Nahrungsmittel von vegetabilischer Natur sind und namentlich aus den eben da genannten Cerealien und Leguminosen von mandshu- chinesischem, japanischem und russischem Ursprunge bestehen. Das gilt namentlich von der grossen kurz vor der Tödtung des Bären veranstalteten Festmahlzeit und, wie wir in der Folge sehen werden, auch von derjenigen, bei welcher, zuweilen erst eine geraume Zeit später, der Bär selbst zur Verspeisung gelangt. Ausserhalb dieser beiden, ich möchte sagen, officiellen Festmahlzeiten, die aber in mehr oder weniger opulenter Weise in allen oder doch den meisten Häusern desjenigen Dorfes, das ein Bärenfest begeht, veranstaltet und zum Theil noch längere Zeit hindurch wiederholt werden, geniessen die Giljaken auch während des Bären- festes die für gewöhnlich übliche Fischnahrung, die jedoch nur in unregelmässiger Weise, in den Pausen zwischen den einzelnen Festaufzügen und überhaupt je nach Bedürfniss der Ein- zelnen eingenommen wird. Bei der grossen Zahl der zum Fest geladenen oder überhaupt an demselben theilnehmenden Personen ist jedoch auch der Consum an Fisch bei solcher Ge- legenheit immerhin sehr ansehnlich, und ich war in der That verwundert über die Menge kolossaler Hausen und Störe, die neben der gewöhnlichen Jukola-Nahrung der Giljaken allein in Judin’s Hause zur Verwendung kamen. Es ist daher ganz begreiflich, dass die giljakischen Weiber während des ganzen Bärenfestes, besonders aber in der Nacht, die der Hauptfestmahl- zeit vorausgeht, vollauf mit der, wie auch schon erwähnt?), zuweilen recht complicirten Be- 1) S. oben, p. 442 fl. | 2) S. oben, p. 442. Giljaken. Abführung der Bären zum Tödtungsplatze. Festmahl. 709 reitung der dazu erforderlichen Speisen beschäftigt sind. Diese letzteren werden stets an dem Herde bereitet, der an der Querwand des Hauses, in einer Linie mit den in seinem Mittelraume aufgestellten Bären liegt und somit ihren Blicken besonders ausgesetzt ist. Ich will ihn daher den Bärenherd nennen. In ihm, und zwar nur in ihm, werden von den Weibern sowohl in dieser letzten Nacht, als auch überhaupt, während der ganzen Dauer des Bärenfestes von Zeit zu Zeit ganz ansehnliche Mengen von frischen Tannenreisern (von der Picea ajanensis. gilj. twissk) verbrannt, was vielleicht auch zu den Ehrenbezeugungen gehört, die man den Bären erweist, oder den Opferspendungen, die man ihnen darbringt. So kündigt sich das Bärenfest auch schon durch den in den Häusern und zum Theil auch draussen herrschenden Duft nach verbrannten Tannennadeln an. Gegen 6 Uhr Morgens, des 13. Jan., hörte endlich das Bärenführen auf: die Thiere wurden, nachdem sie ihren letzten Rundgang durch das Dorf gemacht hatten, auf die für sie bereitete Todesstätte, die gilj. sogen. kadhra, geführt, und dort zwischen den in ihrer Mitte in einer Reihe stehenden Pfählen aufgestellt und sorgfältig befestigt. Die Reihenfolge der Bären war dabei wiederum dieselbe, so dass der kleine Bär am nächsten von dem im Grunde der Kadhra gelegenen Bau, dem Läsgn, der grosse in der Mitte und der mittelgrosse zunächst dem Eingange zu stehen kam. Alsdann begab sich Alles in Judin’s Haus, wo die Weiber inzwischen die zum Festmahl bereiteten Speisen in hölzernen Trögen, runden Holzschalen und viereckigen Birkenborkschalen, auf dem Fussboden im Mittelraume des Hauses, wo vordem die Bären ge- standen, aufgestellt hatten. Die zum Mahle geladenen Gäste nahmen auf der an der Querwand dem Bärenherde gegenüber gelegenen Bank Platz, die bei solcher Gelegenheit als Ehrenbank gilt, obgleich sie an Wärme und oft auch an Licht der neben dem anderen Herde befindlichen Längsbank, wo sich der Hauswirth sowohl als auch etwaige sonstige Gäste aufhalten, in der Regel nachstehen dürfte. Sie gilt aber als Ehrenbank in diesem Falle, weil sie in grösserer Nähe von den Bären und ganz angesichts derselben liegt. Auf ihr giebt es daher, wie uns Judin mittheilte, auch noch mehr Uitsch’s als sonst wo im Hause zu beobachten, und als wir dort z. B. einige Notizen über das Bärenfest in’s Tagebuch eintragen und Skizzen davon entwerfen wollten, bat er uns in aller Höflichkeit, uns dazu auf jener Längsbank niederzulassen, da es hier von den Bären leicht gesehen und übel aufgenommen werden könnte. Die Gäste setzten sich mit kreuzweise unterschlagenen Beinen in zwei Reihen auf der Bank nieder: die Aelteren und Angeseheneren unmittelbar längs der Wand, die Jüngeren am Rande der Bank. Zwischen den beiden Reihen blieb ein hinlänglich breiter Raum übrig, um als Weg zu dienen, auf welchem die Schüsseln von einem Ende der Bank zum anderen wanderten, indem sie am linken Ende derselben vom Fussboden auf die Bank gesetzt wurden und am rechten wieder zurückkamen. War die eine Schüssel ein Stück vorwärts gerückt auf dem Wege, so folgte ihr eine zweite, eine dritte u. s. f. Die Zahl der verschiedenen Speisen war aber geringer als die der Schüsseln, denn manche Speise wiederholte sich nach ein paar Gängen. von Neuem. Seltsamerweise nimmt der Wirth selbst an diesem Mahle nicht theil, und desgleichen sind alle väterlicherseits mit ihm Verwandten, also die sogen. Ngafk’s, von demselben ausgeschlossen, während die mütterlicher- 710 Die Völker des Amur-Landes. seits Verwandten (Amal’s oder Armal’s), gleich den Freunden und Bekannten zu den Theil- nehmern am Mahle gehören dürfen. Es war nach der Menge der hin- und zurückwandernden Schüsseln und Speisen zu urtheilen ein sehr reiches Mahl, das Judin seinen Gästen vorsetzte. Nichts desto weniger begaben sich die meisten seiner Gäste nach aufgehobener Mahlzeit noch in ein anderes Haus, um auch dort zu speisen und so ging es von Haus zu Haus durchs ganze Dorf, so dass auch die jeweiligen Ngafk’s eines Hauswirths dabei nicht zu kurz kommen dürften. Diejenigen Giljaken aber, die in Judin’s Hause blieben, meist jüngere Leute, die die Nacht mit Bärenführen verbracht hatten und daher wohl ermüdet waren, benutzten die nach dem Festmahl entstandene Pause, um sich durch ein paar Stunden Schlafs wieder zu kräftigen. Die Ruhe währte indess nur sehr kurze Zeit, denn bald begannen die Weiber ihre tägliche Morgenbeschäftigung, die Hunde zu füttern, und dann wiederholte sich unter Getrommel der Weiber ein Theil des gestrigen Hunderennens, indem man die besten Renner, mit je einem Fuchs- oder schwarzen Hundsschwanz versehen, unten auf dem Strome losliess und oben am Hause wieder auffing. Ein kurzes, formloses Frühstück von den Ueberbleibseln des Festmahls beschloss dies Intermezzo, und dann schritt man an die wichtige bevorstehende Tagesordnung. Aus allen Häusern des Dorfes versammelten sich die Leute um die Stätte, wo die Bären, an ihre Pfähle befestigt, standen. Drei Giljaken trugen Insignien von eigenthümlicher Art in der Hand. Diese bestanden aus einem jungen, geraden Tannenbäumchen (Picea ajanensis), an dem alle Aeste entfernt waren, bis auf den Wipfel und die obersten ihm zunächst stehenden Zweige, die aufwärts um den Wipfel gedrückt mit einem Faden zusammengebunden waren. Um diesen Wipfel des Bäumchens war eine aus Eichhornschwänzen gefertigte Boa (gilj. tolp), wie sie die Giljaken um Kopf und Hals tragen, oder auch ein Fuchsschwanz schlangenförmig mit zwei Umgängen geschlungen und dann ebenfalls befestigt. Zwei dieser eigenthümlichen Fahnen waren von der ersteren, die dritte von der letzteren Art. Zu diesen drei Fahnenträgern ge- sellte sich noch ein vierter, der zwar, soviel ich sehen konnte, nur einen einfachen langen Stock in der Hand hatte, diesen aber ebenso aufrecht wie Jene ihre Fahnen trug. Während nun Alles um die Bärenstätte versammelt stand, schritten die 3 Männer mit ihren Insignien in die Um- zäunung derselben hinein, gingen mehrmals unmittelbar um die Bären herum, allemal bis zum Wege, der zu ihr führte zurückkommend und hier wieder umkehrend, und pflanzten endlich ihre Insignien jede einem der Bären gegenüber auf. Damit war gewissermaassen das Signal zum Auf- bruch gegeben: die Bären wurden von ihren Pfählen abgelöst und aus der Kadhra hinausgeführt. Ehe man weiter ging, mussten jedoch die Hals- und Leibbänder an den Bären noch einmal auf ihre Haltbarkeit untersucht werden. Am grossen Bären war es schon Tags zuvor geschehen und das Thier mit neuen Hülfsbändern versehen worden. Auch am mittelgrossen Bären erwies sich Alles in Ordnung. Der besonders böse und widerspenstige kleine Bär schien aber ent- schieden einer Aufbesserung seiner Fesseln zu bedürfen, und das ist immer ein sehr gefahrvolles Experiment, zu dessen Ausführung in diesem Falle Chusisin, Judin’s einziger Sohn, ein junger und kräftiger Mensch, der am tagelangen Bärengezerre offenbar noch immer nicht genug hatte, sich erbot. Er hatte schon Tags zuvor am grossen Bären ein Stück ausgeführt, das Giljaken. Letzter Umzug und Tödtung der Bären. 711 seinen kühnen und rasch entschlossenen Muth glänzend darthat. Als dieser Bär nämlich aus dem Hause geführt wurde, packte er den ihn zerrenden vordersten Giljaken so fest mit den Krallen, dass dieser nicht mehr loskommen konnte und vom wüthenden Thiere dicht an sich herangezogen wurde. In diesem Augenblick sprang Chusisin, der unmittelbar hinter dem Bären stand, dem Thier über den Rücken weg und kam dicht vor seinem Maul zu stehen: der über- raschte und von Neuem in Wuth versetzte Bär liess seine erste Beute fahren und biss nach der zweiten, glücklicherweise aber ohne Erfolg. Jetzt, für den kleinen Bären, traf Chusisin die Vorrichtung, dass er seinen Hundepelz umgekehrt, mit dem Fell nach innen, anzog und darüber noch einen Rennthierpelz mit dem Fell nach aussen und dem Rückentheil nach vorn gekehrt anthat, zugleich band er den Gürtel so um sich, dass der Pelz ihm vorn buckelförmig vorragte und weit vom Körper abstand. So gerüstet wartete er einen Moment ab, da der mit Stöcken gezerrte Bär brüllend die Zähne fletschte; jetzt trat er mit vorgestreckter Brust auf ihn zu und liess ihn sich in den über derselben aufgebauschten Pelz einbeissen. Dann warf er sich dem Thier um den Hals, packte seinen Kopf an den Ohren und drückte ihn nieder. Die Umstehenden aber waren im selben Moment bereit, ihm die Schnauze zuzubinden, die Tatzen herabzudrücken u. 5. w., wie ich es oben schon geschildert habe. Nachdem dies abgemacht war, traten die Bären ihren letzten Gang an: in derselben Ord- nung wie immer bewegte sich der Zug, von starkem Getrommel der Weiber begleitet, vom hohen Ufer hinab zum Strome. Dort angelangt, umkreiste er in der Entfernung von einigen Schritten das Eisloch, aus welchem die Weiber Wasser schöpfen, (s. Taf. XLVII.) und kehrte bergan wieder zurück. Dabei kamien die Bären an Judin’s Hause und demjenigen, wo der Eigenthümer des dritten Thieres wohnte, dicht vorüber: die Thüren standen offen, und der Zug stockte unwillkürlich, denn die Bären machten die grösste Anstrengung, um wieder hineinzu- gelangen. Das wurde ihnen aber nicht mehr gestattet. Am Eingange zur Kadhra hielt der Zug. Von allerseits kamen die Knaben herbei gelaufen, um ihre kleinen, aber nicht immer harmlosen Pfeile auf die Thiere loszuschiessen, was ihnen unter sichtlichem Ergötzen der Führer erlaubt wurde. Die Wahl des Schützen aber, der dem Bären den Todespfeil senden soll, hängt vom Eigenthümer desselben ab und gilt als ehrenvolles Zeichen seiner Gunst. Judin hatte für die beiden ihm gehörigen Thiere zwei junge Leute gewählt, darunter einen Oltscha aus Tschilwi, von dessen ihm befreundeten Vater er den einen Bären gekauft hatte. Beide Thiere fielen, aus der Entfernung von etwa 5 Schritt in die rechte Lunge getroffen, gleich nach dem ersten Schuss todt nieder; das dritte verendete nur langsam, nachdem es zwei Pfeile erhalten hatte. Das Blut aber, das sie beim Tödten verloren hatten, wurde sogleich mit Schnee beworfen, da sonst Je- mand hineintreten könnte, was entschieden uitsch wäre. Sobald die Bären todt waren, wurden sie an der Kette und einem um dee Schnauze ge- bundenen Hülfsriemen in die Kadhra geschleift und an den Stellen, wo sie im Leben gestanden, auf ein aus angeschälten Stöcken für sie bereitetes Lager nieder gelegt. Hier lagen alle drei Cadaver in derselben Ordnung und in gleicher Lage: die Schnauze und die Vorderbeine nach vorn, zum Eingang in die Kadhra, die Hinterbeine nach hinten, zum Läsng gerichtet. Die Hals- Sohrenck's Amur-Reise, Band III. 90 712 Die Völker des Amur-Landes. und Leibbänder wurden ihnen abgenommen und mit Stöcken der Schnee vom Fell abgeklopft. Alsdann schritt man an das Abbalgen und Zerstückeln der Cadaver. Dazu wurde zunächst ein Tödtungsstätte der Bären. Riemen um den Hals des Thieres geschlungen und an den davorstehenden Pfosten geknüpft. Ueber diesen Riemen hinüber zu steigen ist wiederum uitsch, — man darf nur um ihn herum- gehen sei es vorn oder hinten. Der Bär wurde nun auf die Rückenseite umgewälzt und erhielt einen Schnitt längs der Mitte der ganzen Bauchseite, von der Kehle an, und von diesem Mittel- schnitt vier andere jedem Beine entlang. Dann wurde das Fell abgebalgt und an den Füssen rundherum durchschnitten, jedoch so, dass oberhalb der Krallen je ein Ring von Fell nach- blieb. Nachdem die Bauchseite abgebalgt war, wälzte man das Thier um und streifte ihm auch auf der Rückenseite das Fell bis zum Kopf ab. Darauf schwang der am Schwanzende stehende Mann das Fell nochmals über dem Cadaver auf und nieder und warf es über den Kopf des Bären weg seinem Gefährten am Kopfende zu, der es Jenem wieder zurück schleuderte. Dieses Experiment wurde mehrmals wiederholt, worauf man den Cadaver wieder auf die Rückenseite umlegte und an seine Zergliederung ging. Vor Allem musste die etwa zwei Zoll dicke Speck- schicht abgetragen werden. Dazu wurde zuerst ein schmaler Speckstreifen längs der Mitte der ganzen Bauchseite ausgeschnitten, an einem Ende mit einem oesenförmigen Einschnitt versehen und damit auf einen der umstehenden angeschälten Stöcke gehängt. Ein ähnlicher, vom Kopf bis zum Schwanz reichender Speckstreifen wurde auch der Rückenseite des wieder umgewälzten Giljaken. Zerlegung der Cadaver. Aufstellung der Köpfe nebst Bälgen im Freien. 713 Cadavers entnommen und ebenso behandelt. Dann wurden zwischen diesen beiden Längsstreifen jederseits noch zwei schmale Querstreifen ausgeschnitten, davon der eine gleich hinter den Vorderbeinen und der andere unmittelbar vor den Hinterbeinen lag und mit denen man ebenso verfuhr. Offenbar war damit eine Opferspendung gemeint, die vielleicht zur Besänftigung der Rachegeisier des getödteten Bären dienen sollte. Durch die in den Speck geschnittenen Längs- und Querrinnen war die ganze Specklage in 6 Felder getheilt, welche nun einzeln abgelöst und sogleich zwischen je zwei frische Tannenzweige gelegt und in die Vorrathskammer getragen wurden. Während dieser Arbeit konnten sich die Giljaken nicht enthalten, ab und zu vom Speck zu naschen. Nun folgte die Zergliederung des übrigen Körpers: zuerst wurden die Beine amputirt, dann das Brust- uad Bauchstück ausgeschnitten, die Eingeweide herausgenommen und ausgedrückt, endlich der übrige Rumpf vom Kopf abgelöst und an einer Seite längs der Wirbelsäule in zwei Hälften zerschnitten. So war die Zergliederung vollendet und nur der Kopf im Fell zurück geblieben. Alle drei Bären wurden dabei genau in derselben Weise behandelt. Nachdem die Fleisch- und Knochenstücke der Bären und zuletzt auch die auf die Stöcke gehängten und mittlerweile gefrorenen Speckstreifen in den Vorrathskammern geborgen waren, wurden die drei Bärenköpfe mit dem übrigen Fell nach dem Läsng getragen und dort vermittelst eines gleich hinter dem Kopf um das Fell geschlungenen und an die obere Querstange geknüpften Riemens so aufgestellt, dass die Köpfe auf der unteren Querstange, die Felle aber im Innern des Baues ruhten. Es hatte somit den Anschein, als ob (die Bären in diese Behausung. hineingetreten seien und von dort zur Fensteröffnung Hinaus schauten, in der Mitte der grosse, ihm zur Linken der kleine und zur Rechten der mittelgrosse Bär, also in der Ordnung, wie sie auch im Hause gestanden hatten. Vor diesen Bau aber wurde ein Tannenzweig in den Schnee gesteckt, der mit seinen Spitzen an die Bären- köpfe hinanreichte und sie zum Theil beschattete. Damit war der erste grosse Akt des Bärenfestes Aufstellung der Köpfe nebst Bälgen im Läsng. zu Ende: im Läsng werden Kopf und Fell des Bären und in den Vorrathskammern seine zerstückelten Fleisch- und Specktheile so lange aufbewahrt, bis die Wiederaufnahme des Festes beschlossen ist. Judin schien aber dazu keine Eile zu haben, — er gedachte vielmehr zuvor noch eine Handelsfahrt nach Sachalin zu unternehmen. So leid mir dieser Aufschub that, so konnte ich mich doch damit trösten, den ferneren Verlauf des Bärenfestes bereits im vorigen Jahre im Dorfe Uda gesehen zu haben. Allerdings liegt dieses Dorf ‚nicht mehr im Gebiet der Giljaken, sondern in dem der Oltscha, allein da die ganze Sitte der Bärenfeste ohne Zweifel von jenen auf diese übergegangen ist, so liess sich bei dem conservativen Sinn der Naturvölker nicht annehmen, dass zwischen denselben in den Haupt- zügen des Festes wesentliche Differenzen stattfinden sollten. In Judin’s Hause war jetzt wieder Ruhe eingetreten: die vielen Gäste waren fort, der Hundetisch wurde wieder aufgestellt, und 90° 714 Die Völker des Amur-Landes. die Uitsch-Befürchtungen hatten einer freieren Bewegung im Hause Raum gegeben. Wir blieben dort noch einen Tag: ich, um die während der jüngst vergangenen Tage gemachten zahlreichen Tagebuchnotizen zu ordnen und zu ergänzen, und Herr Maximowiez, um in die nach dem Leben entworfenen Skizzen auch das landschaftliche Bild von Tebach einzutragen. Diese Skizzen meines jetzt leider verstorbenen Freundes sind auf den Taff. XI, XLVII und XLVIII, sowie im Holzschnitt auf p. 712 u. 713 dieses Werkes wiedergegeben, nachdem die ersteren bereits hier am Ort von Herrn Dimitrijef-Orenburgskij, die letzteren von Herrn Fr. Russow, Custos an unserem Museum, unter strengster Beachtung aller Einzelheiten in eine kunstgerechtere Form gebracht worden sind. Am 15-ten Januar Abends waren wir wieder in Nikolajefsk, wo ich unverzüglich an die Vorbereitungen zu meiner zweiten Reise nach Sachalin schritt. Der Tag der Abreise stand bereits fest, als Judin sich wieder bei mir einfand. Er hatte die ihn beschäftigende Frage, ob es günstiger sei, das begonnene Bärenfest vor oder nach der von ihm beabsichtigten Handelsreise wieder aufzunehmen, einigen älteren Dorfgenossen, darunter sich auch ein Schamane befand, vorgelegt, und diese waren der Meinung, dass das Fest erst zu Ende ge- bracht werden müsse. Er sei daber gekommen, um zu dem Zweck wieder einige Einkäufe in Nikolajefsk zu machen. Auf seine wiederholte Einladung ebenfalls hinzukommen, bat ich ihn jedoch, anstatt meiner diesmal einen Freund von mir («amal», wie die Giljaken sagen), nämlich den Herrn von Ditmar und als dessen Begleiter einen guten Bekannten von uns, Herrn von Brevern, in seinem Hause aufzunehmen. Ersterer versprach mir, ein genaues Tagebuch über den ferneren Verlauf des Bärenfestes in Tebach zu führen und letzterer — Skizzen von demselben aufzunehmen, — ein Versprechen, das beide Herren eingehalten haben, indem sie mir das aus Tebach mitgebrachte höchst dankenswerthe Material zur Verfügung stellten'). Als Ditmar und Brevern am 27. Jan. (7. Febr.) um 8 Uhr Morgens in Tebach an- lanpgten und in Judin’s Haus traten, fanden sie den Hundetisch weggeräumt und den Fuss- boden im ganzen Mittelraum des Hauses mit Tannenzweigen (wiederum von der Picea ajanensis, gilj. Zwisk) dicht belegt. Vor dem zweiten, dem Bärenherde gegenüber in der Nähe der Ehren- bank stehenden Mittelpfeiler des Hauses stand ein grosses, vierkantiges, ebenfalls mit Tannen- zweigen, jungen Tannenbäumchen und Holzlocken (Zach’s) reich geschmücktes Gerüst aus Erlenstangen, den Stämmen junger Bäumchen, die altherkömmlichem Brauche gemäss stets ungeschält sein müssen und an den Kreuzungsstellen nur mit Bast und dem Garn alter Fischer- netze zusammengebunden sein dürfen. Von dem obersten Fach dieses etagerenähnlichen Ge- rüstes sahen die unabgehäntet gebliebenen Köpfe der beiden Judin gehörigen Bären gleichsam in die Jurte und auf die Menschen in derselben hernieder, das übrige Fell aber bis auf die 1) Herr C. v. Ditmar ist der rühmlichst bekannte, |in Kamtschatka» (s. Beiträge zur Kennt. des Russ. Reiche jetzt (seit April 1892) leider verstorbene Reisende in Kam- | 3. Folge, Bd. VII). tschatka und Verfasser des Werkes «Reisen und Aufenthalt Giljaken. Aufstellung der Bärenköpfe nebst Bälgen im Hause. 715 Zehen, Krallen und Sohlen hing hinter dem Gerüst bis zur Erde hinab). Auf dem zweiten Fach der Etagere lagen unter jedem Bären das ihm zugehörige Beckenstück und ein paar Fische (Cy- prinus carpio, gilj. pilengat), die ihnen gleichsam zur Nahrung vorgelegt waren. An den Seiten des Gerüstes, von den es schmückenden Tannenbäumchen und -Zweigen hingen ausser zahlreichen Zach’s Fellstücke früher verspeister Bären und allerhand zierlich geschnitzte, hölzerne Löffel und Schalen herab, deren Bestimmung später besprochen werden soll. In einem anderen Hause desselben Dorfes, wo der Eigenthümer des dritten (mittelgrossen) Bären wohnte, gab es eine ganz eben solche Einrichtung und Ausschmückung im Innern, nur war die Etagere kleiner, darum aber um so reichlicher verziert, und es schaute nur ein Bärenkopf von ihr herab. Immer bleibt es dem Eigenthümer überlassen, wenn er zwei oder mehr Bären besitzt, bei ihrer Ver- speisung entweder jedem eine besondere, oder eine allen gemeinsame und dann entsprechend breitere Etagere zu errichten. Ist im Hause Alles wie erforderlich hergerichtet und ausgeschmückt, so findet die Ueber- führung der Bärenköpfe aus dem Läsng in das Haus statt. Diese war der Ankunft der Herren Ditmar und Brevern in Tebach bereits vorausgegangen. Wie sie aber nachträglich erfuhren und wie ich es auch selbst von den Giljaken gehört habe, geht es dabei in folgender Weise zu. Die ältesten Giljaken des Dorfes «cheimar», d. i. Greise, heben den Bärenkopf nebst Fell aus dem Läsng, tragen ihn auf einem durch den Schnee gebahnten, mit angeschälten Stöcken, Holzlocken und Tannenzweigen hie und da geschmückten Wege dreimal um das Haus herum und bleiben dann vor einem in der Querwand desselben dem Bärenherde gegenüber gelegenen Fenster stehen. Der Rahmen dieses Fensters ist ausgeheben und durch dieselbe Oefinung, nicht durch die Hausthür, wird der Bär in's Haus und direkt vor den ihm geweihten Herd getragen, um sich dort erst zu erwärmen, bevor er auf die Etagere als Ehrenplatz gehoben wird. An diesem Fenster wird nun, nachdem der Bärenkopf durchgetragen worden, von aussen, auf die das Glas ersetzende dünne Fischhautscheibe eine aus Birkenrinde geschnittene Darstellung der Kröte (gilj. mipitsch) geklebt (siehe den Holzschnitt p. 716), im Innern des Hauses aber auf die daran stossende Ehrenbank eine Figur hingesetzt, die einen Bären in giljakischer Kleidung darstellen soll (Taf. LVII, Fig, 3)?). Die Bedeutung dieser symbolischen Handlung scheint mir ungefähr folgende zu sein. Die Kröte, ein Thier, das bei den Giljaken im schlimmsten Rufe steht und oft sowohl einzeln, als in Beziehung zum Bären und dem Bärenfeste®) dargestellt wird, gilt als böser Geist und eigentliche Anstifterin all’ des Unglücks, das dem Bären durch seine Gefangennahme, Tödtung und schliessliche Verspeisung widerfährt. Sie ist der Sündenbock, auf den die Giljaken alle Schuld und Verantwortung für ihre Handlungen am Bären wälzen, und sie erhält daher auch keinen Einlass in das festlich geschmückte Haus, sondern bleibt 1) S. Taf. XLIX. In Folge der oben erwähnten Hinder- | setzt zu werden, in den Hüft- und Kniegelenken beweglich, nisse, die die Giljaken dem Aufnehmen von Skizzen wäh- | die Kleidung natürlich nur sehr roh und rudimentär ver- rend des Bärenfestes in den Weg legen, ist auf unserer Ta- | wirklicht. fel nur ein Bär dargestellt worden, was dem Verständniss 3) S. u. A. die im Einzelnen später zu besprechenden genügt. In Judin’s Hause aber gab es deren zwei. Taf. LI, LIX, LX, LXI. 2) Die betreffende Figur ist zudem Zwecke, um hinge- 716 Die Völker des Amur-Landes. ausserhalb desselben am Fenster kleben, wo sie Zeuge ihrer Unthaten sein kann. Der Bär hingegen wird als willkommener Gast von den Festgenossen begrüsst und findet als ihresgleichen (darum die Kleidung) auf der Ehrenbank Platz. Weitere Belegefür die Richtigkeit dieser Deutung, die ich immerhin nur vermuthungsweise aussprechen darf, werden sich noch in der Folge ergeben. Gleich nach der Hundefütterung, die auch in diesen Tagen, ungeachtet der festlichen Aus- schmückung, im Hause stattfindet, begab man sich an die Tagesarbeit — das Kochen des Bärenfleisches ım betreffenden Herde. Diese Arbeit fällt nur den ältesten Männern, den Greisen, als hohes Ehrenamt zu: die Weiber und Mädchen, die Knaben und Jünglinge sind davon ausgeschlossen, und sie geht daher nur sehr langsam, bedächtig und gewisser- maassen feierlich vor sich. Zuvor wurde der Kessel im Herde mit einem dicken Kranz von Hobel- Kröfe aus Birkenzindei spänen umgeben und ein ebensolcher Halbkranz vor die Ofenthür gebreitet. Dann wurde der Kessel mit Schnee gefüllt, denn Wasser zum Kochen des Bärenfleisches zu gebrauchen ist uitsch, und darauf das Feuer unter dem Kessel mit Hobelspänen und Tannenzweigen angemacht, mit welchen letzteren auch von Zeit zu Zeit immer wieder geräuchert wurde. Gleichzeitig wurde ein grosser hölzerner Trog an Riemen unmittelbar unter die Bärenschnauzen gehängt, so dass er etwa drei Fuss hoch über dem Erdboden schwebte. Der Trog war mit allerhand Arabesken und Figuren reich verziert und zeigte namentlich auf der einen Seite einen erhaben geschnitzten Bären und auf der anderen eine ebenso gearbeitete Kröte. So langsam rückte die Arbeit der Greise vor, dass sie erst gegen Abend das Fleisch der Beine und Füsse zu zerlegen begannen. Jedes Bein wurde erst vor die Bären auf das Tannen- reisig gelegt, gleichsam um erst ihre Erlaubniss zum Bereiten desselben einzuholen; dann erst wurde es zerlegt und in den Kessel gethan. Die gekochten Stücke wurden mit einem eisernen Haken aus dem Kessel heraus gefischt und in den vor den Bären hängenden Trog gebracht, damit sie zuerst davon geniessen. Ausser den Alten war nur ein Hund im Hause geblieben, und zwar, wie es schien, nur um das beim Kochen und Hinübertragen in den Trog gebrauchte Ge- schirr durch Ablecken zu reinigen. Am folgenden Tage (28. Jan.) begannen die Greise vom frühen Morgen an ihre Arbeit des Fleischzerlegens und -kochens, die nur durch die gewöhnliche Fütterung der Hunde im Hause und ein ihr vorausgeschicktes Rennen besonders ausgeschmückter und, wie oben bereits erwähnt, nur einen Fuchs- oder Hundeschwanz hinter sich herschleppender Thiere unterbrochen wurde. Darauf brachte man aus den Vorrathshäusern noch eine Menge von Gegenständen herbei, die Güljaken. Feierliche Zubereitung des Bärenfleisches. Besonderes Festgeschirr. 717 sämmtlich am Bärengerüst aufgehängt oder irgendwie sonst in buntem Durcheinander ange- bracht wurden: Fellstücke und Tatzenhäute früher getödteter Bären, die Kette, an der sie bei Lebzeiten geführt wurden, getrocknete, in Birkenrinde gewickelte Bären-Penes, Messer die an der Ansatzstelle der Klinge mit einem Büschel von Haar aus der Penisgegend des Bären um- geben sind, gilj. sogen. wöng-dshakko, mit denen es uitsch ist, was anders als Bärenfleisch oder -Speck zu schneiden (s. Taf. LI, Fig. 3), und eine Menge hübsch geschnitzter Löffel und eigen- thümlich geformter Schalen. Die letzteren kamen auch sofort zur Verwendung, indem sie mit der aus dem Bärenfleisch gewonnenen Brühe gefüllt wurden, die bald unmittelbar, bald mit Hülfe der Löffel geschlürft wurde. Dieses nur beim Verspeisen des Bären von Giljaken ge- brauchte Service ist sehr interessant und bedarf einer ausführlicheren Besprechung. Die Schalen bei den Giljaken, nach dem Bärenlöflel (nichyr) nichyry-ngir oder nichyry- ngith, d. h. Bärenlöffelschalen genannt, sind immer aus einem einzigen, oft recht langen Holz- stück geschnitzt, das etwa in der Mitte oder nahe dem einen oder dem anderen Ende eine bald ganz ansehnliche, bald auch nur untiefe ovale Aushöhlung hat (Taf. L. Fig. 1 u. 2). Jene sind namentlich zum Genuss der Bärenfleischbrühe, diese (eben da, Fig. 3) zu dem des Bärenfleisches oder -Speckes bestimmt. Was aber die Schalen besonders interessant macht, ist, dass bald das eine, bald das andere Ende des Holzstückes, bald auch beide, Schnabel- und Griffende, mit ver- schiedenen auf den Bären und das Bärenfest bezüglichen Schnitzereien versehen sind. Die letz- teren finden sich in ebenso reichem Maasse auch an den Stielen und zuweilen sogar am unteren Ende der Löffel, die von den Giljaken bei Bärenfestmahlzeiten gebraucht werden. Es ist mir gelungen, unsrem Museum eıne ganze Anzahl solcher Bärenfest-Schalen und -Löflel heimzu- bringen, die dem angesehenen Giljaken Ssogin in Kuik angehört hatten und mir nur durch einen glücklichen Zufall in die Hand gespielt wurden: die Giljaken wiesen zu meiner Zeit das Angebot einer noch so hohen Zahlung für irgend ein bei ihren Bärenfesten gebräuchliches Utensil mit der Behauptung zurück, dass ein solcher Handel allzu sehr «uitsch» sein würde- Betrachtet man diese Schnitzereien genauer, so gewahrt man, dass sie den Bären in all’ den verschiedenen Lagen und Stellungen wiederzugeben suchen, in die er während des Bärenfestes gebracht wird: auf Taf. L, Fig. 1 z. B. ist er mit dem Hals- und Leibbande dargestellt; auf Taf. L, Fig. 3 und Taf. LII, Fig. 3 und 5 ist die Aufmerksamkeit auf den drehbaren Ring auf der Oberseite seines Leibbandes gerichtet; Taf. LII, Fig. & stellt ihn aus dem Bärenlöffel fressend dar; Taf. LI. Fig. 6 zeigt, wie er, an der Kette geführt, sich gegen seine Angreifer zur Wehr setzt, und dieselbe Fig., sowie Fig. 5 auf Taf. LII geben den im Läsng und später von dem Gerüst im Hause herab schauenden Bärenkopf wieder. Am interessantesten ist aber der auf Taf. LI, Fig. 6 abgebildete Löffel und zwar weil er nicht bloss überhaupt als Meisterstück gilja- kischer Holzschnitzerei gelten kann, sondern auch weil er fast allein schon alle jene Situationen des Bären auf dem ihm geltenden Feste wiedergiebt und ausserdem noch durch die Verkettung des vom Gerüst im Hause herabschauenden Bärenkopfes mit der in der Löffelhöhlung darge- stellten Kröte diese als die geistige Urheberin des ganzen Bärenfestes erscheinen lässt. Diese Schalen und Löffel werden immer nur während des Bärenfestes angefertigt, und auch hier in 718 Die Völker des Amur-Landes. Tebach sassen zwei Giljaken auf dem Fussboden vor dem Bären, eifrig mit dem Schnitzen solcher Geräthe beschäftigt. ” Am Nachmittag desselben Tages wurden neue Quantitäten Bärenfleisches aus den Vorraths- kammern gebracht und vor die Bären auf den mit Tannenzweigen bedeckten Fussboden gelegt. Nach wie vor wurde der Kessel mit Schnee nachgefüllt und das Kochen jetzt schon eifriger fortgesetzt, — immer jedoch ganz ohne Salz, dessen Gebrauch nicht bloss beim Bereiten von Bärenfleisch und -Bouillon, sondern auch allen anderen Speisen während des Bärenfestes streng verpönt ist, gleichwie es auch im hohen Grade uitsch wäre, wollte man an dem einen oder dem anderen Herde nicht nur Bären-, sondern überhaupt nur irgend welches Fleisch braten, denn der Bär höre das Zischen des bratenden Fleisches und entsetze sich darüber. Nach Maass- gabe als das Bärenfleisch gar gekocht war, wurde die Brühe in die erwähnten Schalen geschöpft und getrunken, das Fleisch aber unter die Etagere auf Tannenzweige gelegt und mit eben solchen bedeckt. Erst am Abend wurde es in den vor den Bärenköpfen hängenden Trog gethan. Ausserdem wurden gegen Abend sechs der grössten Störe und Hausen, deren einer gegen acht Fuss lang war, in’s Haus gebracht und vor die Bären gelegt: sie waren ihnen zum Opfer dar- gebracht und für den bevorstehenden Schmaus bestimmt. Am Morgen des folgenden Tages (29. Jan.) nahmen die Alten ihre Arbeit vor dem Bären- herde wieder auf. Die jungen Leute waren ebenfalls geschäftig, indem einige von ihnen neues Brennholz herbeischaflten, andere in den nahen Gebirgswald fuhren, um aus einer Niederlage von Preisselbeeren, welche die Weiber im Herbst dort errichtet hatten, den zum Fest erfor- derlichen Vorrath zu bringen. Inzwischeu wurden die Hunde gefüttert, mit Ausnahme derjenigen vierzehn Thiere, die Judin zu einer Bravour-Fahrt auf dem Flusse ausgesucht hatte. Diese wurden mit den oben erwähnten rothbequasteten Halsbändern ausgeschmückt und vor einen kleinen, hübsch verzierten Schlitten gespannt, den ihr Eigenthümer selbst lenkte. Die Fahrt ging unter lautem Getrommel der Weiber im schnellsten Tempo erst das steile Ufer hinab zum Strome und dann auf einer geebneten Bahn längs dem letzteren vor sich und endete ohne Unfall, von stürmischem Beifall der versammelten Menge begleitet. Dann erst erhielten auch diese Hunde ihr Mahl im Hause, während die Menschen sich an der Bärenfleischbrühe delektirten. Am Nachmittag begannen die Alten den Bärenspeck in lange Striemen zu schneiden, welche sie, mit Hobelspänen (Zach’s) und Tannenzweigen verziert, ebenfalls vor die Bärenköpfe hängten und erst kurz vor dem Eintreten völliger Dunkelheit wieder entfernten, indem sie sie in einen kleinen, in derselben Art geschmückten Trog thaten und auf den Fussboden vor die Bären stellten. Mittlerweile war in diese Vorbereitungen zum Festmahl auch mehr Leben und Be- wegung eingetreten: einige junge Männer begannen die sechs vor den Bären liegenden Störe zu zerlegen, und etwas abseits auf einem quasi unwürdigen Platze, wo sie von den Bären nicht gesehen sein sollten, gingen die Weiber daran, verschiedene Speisen, wie Mossj, mehrere Grütz- arten, Bohnen mit Fisch- oder Seehundsthran und drgl. m. zu bereiten, — eine Arbeit, die, in gewohnter, ganz anderer Weise vorgenommen, rasch und kräftig von statten ging. Giljaken. Symbolische Ausschmückung der Bärenköpfe. 719 Der Morgen des folgenden Tages (30. Jan.) begann damit, dass die beiden Beckenstücke der Bären, ferner drei Karpfen (Cypr. carpio, gilj. pilengat) und endlich ein Theil aller gestern bereiteten Speisen in verschiedenen Birkenborkschalen auf das Bärengerüst gethan wurden, worauf ein alter Mann sich vor die Bären setzte und aus zwei Bärenschalen zugleich von dem frisch bereiteten Mossj genoss. Es folgte die gewöhnliche Hundefütterung im Hause und, wie in den vorigen Tagen, ein Rennen ausgeschmückter Hunde nebst Getrommel der Weiber. Darauf wurden wieder Bären- speckstriemen an die Etagere gehängt und dann unter starkem Räuchern mit Tannenzweigen die inneren Organe der Bären zerlegt und in kleine Bärenschalen gethan. Diese Theile scheinen somit nicht gekocht, sondern gleich dem Speck roh genossen zu werden. Gleichzeitig setzten sich die Weiber in einer Ecke des Hauses um ein altes Mütterchen herum und begannen aus bunten Lappen eine etwa 10 Zoll lange und 3 Zoll breite Binde zu- sammenzunähen — den sogen. tschudbas der Giljaken. Diese Binde wird dem Bären bei Sonnenuntergang unmittelbar unterhalb der Augen um die Schnauze gebunden, um die aus ihnen quellenden Thränen zu trocknen. In ihrer Mitte auf dem Schnauzenrücken ist aber eine aus Birkenrinde geschnittene Darstellung der Kröte angeheftet!). Ich kann mir diese symbo- lische Handlung im Zusammenhang mit dem, was oben gesagt worden, nicht anders als etwa folgendermaassen deuten. Mit der Zerlegung seiner inneren Organe, Herz, Leber und dergl., sieht der Bär sein allendliches Schicksal besiegelt und vergiesst nun Thränen über den bösen Geist, die Kröte, die ihn dahin geführt und das Ganze verschuldet hat. Er selbst erkennt also die Kröte als schuldig an. Die Giljaken hingegen haben ihm nur Gutes erwiesen: sie haben ihn als Gast in ihrem Hause aufgenommen, ihn auf den Ehrenplatz gesetzt, ihm von allen Speisen gereicht, überhaupt Alles nur mit seinem Wissen und seiner Erlaubniss gethan, und ihre Weiber erweisen ihm noch den letzten Liebesdienst, in dem sie ihm tröstend die Thränen in den Augen trocknen. Ihnen fällt also keinerlei Schuld an seinem Schicksal und keine Verantwortung dafür zu. Zugleich wird an den Bären noch eine zweite symbolische Handlung vorgenommen, deren Erklärung, wie mir scheint, etwas weiter gesucht werden muss. Ausser dem Tschudbas wird ihnen nämlich noch eine zweite Kopfbinde angelegt: ein kreuzweis gebundener Riemen, an dem sich eine oder ein paar etwa 1'/, Zoll grosse Achatkugeln befinden, die ihnen auf der Stirn und zum Theil auch etwas abseits zu liegen kommen ?). Der kleine Bär namentlich erhielt eine Binde mit einer Achatkugel, die ihm über den Augen mitten auf der Stirn lag; der grosse bekam zwei Kugeln der Art: ausser jener nämlich noch eine zweite, die über dem rechten Scheitelbein ruhte, und dem in einem anderen Hause (bei seinem Eigenthümer) aufgestellten mittelgrossen Bären endlich wurde eine Binde mit zwei in der Mitte der Stirn unmittelbar über einander gelegenen Achatkugeln aufgesetzt. Es scheint somit in diesem Punkte, wenn mehr Kugeln als Bären vor- handen sind, der Willkür einiger Spielraum gegeben und nur die eine in der Mittellinie der Stirn gelegene Kugel obligatorisch zu sein. Diese Achatkugeln sind von chinesischer («mandshu- 1) Gleich derjenigen, die an das Fenster geklebt wird, 2) S. d. Holzschn. p. 720. s. p. 716. Schrenck’s Amur-Reise, Band III. 91 720 Die Völker des Amur-Landes. rischer») Arbeit und werden von den Giljaken sehr hoch geschätzt und nie veräussert. Ihr exotischer Ursprung scheint mir aber auch eine Erklärung des ganzen Vorganges nahe zu legen. Bärenkopfbinden mit Krötenfigur und Achatkugeln. Bei dem langjährigen und häufigen Verkehre der Giljaken mit den Chinesen am Sungari dürfte es ihnen nämlich gewiss nicht entgangen sein, dass die buddhistischen Gottheiten der- selben in der Regel eine Beule oder Ansehwellung auf der Stirn über den Augen haben, ja es ist möglich und wahrscheinlich, dass sie darin sogar ein Abzeichen besonderer Heiligkeit der betreffenden Gottheiten in den Augen der Chinesen sehen. Zieht man nun das Bestreben der Giljaken, chinesischem Wesen nachzuahmen, in Betracht, so ıst es wohl denkbar, dass sie diese buddhistische Stirnbeule auch am Kopf des in abergläubischer Furcht von ihnen verehrten und gewissermaassen ebenfalls für heilig gehaltenen Bären nachzubilden suchen und das mit Hülfe jener Achatkugeln thun, die ihnen zu dem Zweck von den Chinesen selbst geliefert werden. Damit wird also der Bär nach giljakischem Begriff gewissermaassen unter die Gottheiten versetzt und also ein förmlicher Bärenkultus betrieben. Mit dem Anlegen der Schnauzen- und Kopf- oder der Kröten- und der Achatkugelbinde sind dem Bären alle erdenklichen Ehren erwiesen worden, und nun können die Giljaken im Bewusstsein völliger Schuldlosigkeit ruhigen Gewissens sich den Freuden der Tafel hingeben. Sofort wurde auch auf einem Schlitten eine Menge von Holzschalen in das Haus gebracht und auf dem Fussboden um die Bären herum geordnet, während die Festmahlgenossen auf der Ehrenbank, mit kreuzweis untergeschlagenen Beinen sitzend, Platz nahmen. Zuerst wurde ein Schneeschuh, der wohl zum heiligen Geräth gehörte, da er während der ganzen Zeit an die “ Giljaken. Schlussfeier. Verspeisung der Bären. Weibertanz. 721 Etagere gelehnt gestanden hatte, dazu benutzt, um den Gästen Stücke von gefrorenem Stör zu präsentiren. Während sie noch davon assen wurden einfache kreisrunde hölzerne Schüsseln oder richtiger grosse Teller (gilj. aam-ngir!) mit einer Speise gefüllt, die aus gekochten Bohnen, einer Grützart, Fisch- oder Seehundsthran und zerhacktem Lauch bestand und deren Vorlegen mit der grössten Förmlichkeit vor sich ging. An jeder Seite der Etagere war nämlich ein Mann damit beschäftigt, einen Teller nach dem anderen vom Fussboden zu heben und zum Speisen- vorleger, der im vorderen Theile der Jurte auf einem Schlitten sass, zu bringen. Dieser schöpfte mit einem grossen halbkugelförmigen eisernen Löffel (Taf. XXXII, Fig. 5) den vorhin erwähnten Brei aus einem Trog und legte davon auf die Teller, die dann sogleich wieder auf ihren Platz zurück gebracht wurden. Das wiederholte sich mit jedem Teller dreimal, worauf der Vorleger aufstand, zu jedem einzelnen Teller hintrat und zu den ohnehin schon kolossalen Portionen noch etwas Brei und ein Stück gefrorenen Störfleisches hinzufügte. Jetzt traten von jeder Seite zwei Männer an die Reihe der Teller heran, legten in jeden derselben einen zierlich geschnitzten Löffel und reichten sie den Gästen, jedem einen Teller, dar, mit den beiden in der Mitte der Bank sitzenden beginnend und von dort nach den Enden hin fortschreitend. Was von den über- menschlichen Portionen übrig blieb, wurde in einen Trog zurück geschüttet. Die Weiber waren vom Mahle ganz ausgeschlossen, ja, es war während desselben sogar keines von ihnen zugegen. Darauf erhob man sich von den Sitzen, die Teller wurden in das andere Haus, wo der mittel- grosse Bär aufgestellt war, hinübergebracht, und dort fand ein eben solches Mahl statt. Hier "wie dort war es jedoch nur ein dem eigentlichen Festessen vorausgeschicktes Mahl, denn noch war kein Bärenfleisch oder -Speck "verzehrt worden, was erst am folgenden Tage stattfinden sollte. Dieser Tag (d. 31. Jan.) wurde ziemlich in derselben Weise, wie die früheren, mit Zer- schneiden von Bärenfleisch und -Speck im Angesicht der Bärenköpfe begonnen. Frühzeitig am Vormittag trafen schon zahlreiche Gäste ein. Diese wurden aber ohne Weiteres auf die Ehren- bank hinter dem Bärengerüst gesetzt und auflallender Weise ohne alles Ceremoniel, das am gestrigen Tage so streng eingehalten worden war, bewirthet: jeder Gast erhielt einen Tannen- zweig und darauf rohes und gekochtes Bärenfleisch und einige Striemen Bärenspeck so wie ein Häufchen feiner Hobelspäne (zach). Es war das erste Bärenfleisch, das verzehrt wurde. Die Portionen waren sehr reichlich zugemessen, und allmählich betheiligten sich alle im Hause An- wesenden oder Neuhinzugekommenen an dem Essen, ja selbst die Weiber und Kinder bekamen ihr Theil davon, indem ein paar junge Leute mit besonders geformten Schalen (Taf. L, Fig. 5 und Taf. LI, Fig. 1 — gilj. ans-tymyk®) genannt) unter den Speisenden umhergingen und Beiträge zum Vertheilen unter die Weiber und Kinder einsammelten. Die Menge des an diesem Tage verzehrten Bärenfleisches und -Speckes war daher sehr ansehnlich. Was von den Portionen, 1) S. oben, p. 446. | sische z, ausgesprochen. Ans-Itymyk heisst diese Schale 2) Dass in diesem Wort wird weich, wie das franzö- | wegen ihrer Aehnlichkeit mit einer Hand (tymyk). 94* 722 Die Völker des Amur-Landes. die die Gäste vorhatten, nachblieb, wickelten sie in die feinen Hobelspäne und Tannenästchen ein und nahmen sie mit nach Hause, — ein Päckchen, das die Giljaken möps nennen sollen '). Die benagten Knochen hingegen wurden in den Kessel zurückgelegt, aus welchem das gekochte Fleisch vertheilt worden war. Als das Mahl zu Ende ging, stellte sich ein alter Mann mit einem Tannenzweige in der Hand an der Hausthür auf und trieb jeden Durchgehenden, der vom Bärenfleisch oder -Speck gegessen hatte, mit einem sanften Schlage zum Hause hinaus, — eine Handlung, die gleichsam zur Strafe für die am Bären verübte Unthat dienen sollte. Draussen wurden aber die Hinausgetretenen in einer weniger sanften Weise angefasst; denn dort empfing sie ein Kreuzfeuer von Schneebällen, mit denen die Knaben sie bewarfen, während die Weiber lebhaft auf den hängenden Balken lostrommelten. Eine ganz gleiche Mahlzeit und mit gleichem Ausgang fand auch in dem Hause, wo der Eigenthümer des dritten Bären wohnte, statt. Zur Abreise der Gäste aber waren hier wie dort vor dem Hause zu beiden Seiten des Weges eine Menge einzelner kleiner Speisehäufehen — von Störfleisch, Mossj und drgl. — auf den Schnee bereit gelegt, um von den Vorbeifahrenden mitgenommen zu werden, — nur Bärenfleisch und -Speck fehlten, denn diese hatten sie bereits in ihrem Möps als Wegkost erhalten. In Folge des Festmahls konnten die Hundefütterung und das Hunderennen erst kurz vor Mittag stattfinden. Am Nachmittage aber traten zum ersten und einzigen Male die Weiber in lebhafter Betheiligung an den Festbelustigungen auf, indem sie zur Trommelmusik, die in einem ganz eigenen, wilden Rhythmus ertönte, einen Tanz aufführten. Zur Zeit war immer nur eine einzige Tänzerin in Bewegung, die entweder Tannenzweige, oder castagnettenartige Holzklappern in den Händen hielt, und der Tanz bestand eigentlich nur in den allertollsten Stellungen und Verrenkungen des Oberkörpers gegen den Unterkörper. Ditmar erinnerte er auflallend an den Bärentanz der Kamtschadalinnen, und auch die Musik war ähnlich, nur dass hier, gleichfalls von Weibern, mit Knütteln und Stöcken auf einen schwebenden Balken getrommelt wurde, während in Kamtschatka die Tanzenden und die Zuschauer gemeinsam singen. Ich muss übrigens bemerken, dass es wohl nur sehr selten zu einem solchen Ausbruch von Lustigkeit unter den giljakischen Weibern kommen mag, da sie im Allgemeinen noch ernster und gesetzter als die Männer und immer auch viel mehr als diese durch allerhand Arbeiten und Beschäftigungen in Anspruch genommen sind. Keineswegs aber könnte es etwa in einer durch Branntweingenuss er- höhten Stimmung erfolgen, denn dieser ist oder war zu meiner Zeit bei den Giljaken während der Bärenfeste durchaus verpönt — eine, wie schon erwähnt °), von kühler Berechnung eingegebene und von grosser Energie des Charakters zeugende Maassregel. Viel auflailender und auch schwerer erklärbar ist eine andere Thatsache, dass nämlich in keinem Hause, wo ein Bärenfest begangen wird, schamant werden darf. Der Grund davon liegt vielleicht darin, dass die in den Augen der Giljaken unheimliche Kunst des Schamanens die Feststimmung stören und durch die Macht, die sie über die Geisterwelt wie über das menschliche Gemüth ausübt, Verwirrung und Unheil unter den am Fest Theilnehmenden anrichten könnte. Den Weibern aber, die diese 1) Eine Bezeichnung, die ich selbst nicht gehört habe. | 2) S. oben, p. 465. Oltscha. Zweiter Theil des Bürenfestes. 723 Kunst ebenfalls auszuüben im Stande sind, bliebe sie ausserdem auch darum untersagt, weil sie dieselbe schon aus Rache dafür, dass sie von den Festmahlzeiten principiell ausgeschlossen sind, leicht missbrauchen könnten. Eine bestimmte Zeitdauer haben die Bärenfeste nicht: es wird eben unter beständigem Wechsel der Theilnehmer, Angehörigen, Freunde, Dorfgenossen und sonstigen Gäste, so lange geschmaust, als die Menge des Bärenfleisches und -Speckes vorhält; in Tebach, meinte Judin seinen Gästen, Ditmar und Brevern, gegenüber, würde sie, da dort drei Bären getödtet worden seien, noch für viele Tage ausreichen. Als daher am folgenden Tage (1/13. Febr.) die Festvor- gänge sich in der That ganz in derselben Weise zu wiederholen begannen, verliessen sie dies Dorf und kehrten nach Nikolajefsk zurück. Wie oben erwähnt, hatte ich schon im vorigen Jahr (1855) Gelegenheit, gerade diesen zweiten, mit der Verzehrung des Bären abschliessenden Theil des Bärenfestes bei den Oltscha im Dorfe Uda anzusehen. Meine Vermuthung, dass ihre Gebräuche dabei von denjenigen der Giljaken nicht wesentlich verschieden sein dürften, wurde durch Ditmar’s Mittheilungen zum grossen Theil bestätigt. Zum Beweise dessen und zugleich als Beleg für die Einbürgerung gilja- kischer Sitten unter den Oltscha, will ich hier eine kurze Beschreibung dessen, was ich bei dieser Gelegenheit bei ihnen gesehen habe, unter Bezugnahme auf das oben von den Giljaken Mitgetheilte einschalten. Als ich am 22. März (3. April) um etwa 10 Uhr Vormittags in dem nur 5 Werst unter- halb Kidsi gelegenen Dorfe Uda ankam und in eines seiner 5 Häuser trat, fand ich es im Innern genau ebenso ausgeschmückt, wie €s bei einer bevorstehenden Bärenfestmahlzeit auch bei den Giljaken der Fall ist. Nur erhob sich hier der mit dem Bärenkopf und -Fell, so wie mit vielen Tannenzweigen und Hobelspänen (gilj. zack — oltsch. gjamssassd) geschmückten Etagere ge- genüber, am anderen Mittelpfeiler des Hauses ein zweites, jener ganz ähnliches nur etwas klei- neres Gerüst, das auf seinen Fächern ebenfalls Fleisch und Speckstücke des zertheilten Bären nebst allerhand anderen Gegenständen enthielt. Ferner war der Gang zwischen dem Bärengerüst und der Ehrenbank durch eine quer hinübergelegte Stange gesperrt und dadurch diese Bank so- wohl wie die ganze Jurte in zwei Hälften getheilt. Der Fussboden im ganzen Mittelraume des Hauses zwischen den beiden Etageren war mit Tannenzweigen dicht belegt, auf denen hie und da ebenfalls mit Bärenfleisch und -Speck gefüllte und mit gjamssassa’s verzierte Tröge standen. Zu beiden Seiten desselben lagen in Reih und Glied geordnet, aber zunächst noch mit dem Boden nach oben gekehrt, die für die Speisenden bestimmten Birkenborkschalen und grossen runden Holzteller (gilj. aam-ngir — oltsch. kotd); die oben ausführlich beschriebenen Bären- schalen (gilj. nöchyr-ngir — oltsch. nechara) aber standen aufrecht auf und unter dem Bären- gerüst. Die Zahl dieser verschiedenen Geräthe betrug jederseits sieben, war also für 14 Theil- nehmer am Festmahl berechnet. Es waren zunächst nur Ehren halber aus verschiedenen Dörfern eingeladene Gäste, darunter auch ein Giljake aus Tylm; die Dorfgenossen und sonstigen Freunde und Bekannten sollten erst in den folgenden Tagen daran theilnehmen. Jetzt wurden auch die ausser dem Bärenfleisch und -Speck für das Festmahl bestimmten nn 724 Die Völker des Amur-Landes. [\ Speisen in grossen hölzernen Trögen und Birkenborkschalen hereingetragen und zwischen dem mit Tannenzweigen belegten Mittelraume der Jurte und dem Bärenherde neben und über ein- ander aufgestellt und manche von ihnen im Laufe der Mahlzeit nach Bedürfniss durch neue er- setzt. Es waren zunächst vier, etwa 3 Fuss lange und einen Fuss breite Tröge mit Hirsebrei (oltsch. wie gilj. buda), ein kleinerer, nur etwa zwei Fuss langer Trog mit Gerstenbrei (oltsch. wie gilj. mudi), ein ähnlicher Trog und ein zwei Fuss im Quadrat grosser Korb aus Birkenrinde mit gelben Bohnen (oltsch. ture), — lauter mandshu-chinesische Produkte; ausserdem ein zwei Fuss langer Trog mit ziemlich zerquetschten Preisselbeeren und eine Birkenborkschale mit Fischthran. Der Vorleger der Speisen setzte sich ritllings auf einen vor dem Bärenherde ste- henden Schlitten, und die Gäste nahmen auf der Ehrenbank, längs der Wand Platz, in der Ordnung, dass die beiden angesehensten, darunter auch der Giljake von Tylm, in der Mitte oder zuinnerst der nach jeder Seite hin sieben Mann zählenden Reihe sassen. Es war 12 Uhr, von draussen ertönte das bereits beschriebene Getrommel der Weiber und das Festmahl begann. Jede Seite der Speisenden, von der Mitte zum äussersten Ende ge- rechnet, hatte ihren Vorsetzer und ihren Marschall. Jene beiden sind für die Dauer des Mahles dazu ernannte junge Leute, als Marschälle will ich aber die beiden Gäste bezeichnen, die jeder- seits am äussersten Ende der Speisenden sassen. Die Vorsetzer kehrten zuerst die in einer Reihe auf dem Fussboden stehenden grossen Teller (koa) und ebenso die in einer zweiten Reihe dahinter befindlichen Birkenborkschalen mit der Höhlung nach oben um, nahmen dann die Teller vom Fussboden auf, trugen sie zum Vorleger, der ın einen jeden von ihnen eine gleiche, durch den grossen eisernen Schöpflöffel bestimmte Portion that, und setzten ihn auf seinen frü- heren Platz zurück, wobei vom hintersten, dem Bärengerüst zunächst stehenden Teller be- gonnen und nach vorn vorgeschritten und zuerst die eine und dann die andere Seite der Geräthe besorgt wurde. Die erste Speise bestand aus trocknem Hirsebrei. Als die Teller-mit ihren Por- tionen versehen waren, erhoben sich die beiden Marschälle von ıhren Sitzen und stellten sich an der vom Bärengerüst zur Ehrenbank quer hinüber gelegten Stange Rücken an Rücken auf, die Vorsetzer reichten ihnen die vollen Teller, und sie stellten sie auf die Mitte der Bank vor die Gäste hin, stets in derselben Reihenfolge, von den beiden Mittelsten beginnend und nach den Enden hin fortschreitend, so dass sie die für sie selbst bestimmten Teller ganz zuletzt hin- setzten. Darauf nahmen sie die Löffel vom Bärengerüst und versahen jeden Teller damit. Nun traten die Vorsetzer wieder vor und schmeckten von jedem derselben, immer in derselben Ordnung. Jetzt erst rückten die Gäste ihre Teller näher heran, natimen einen Bissen, legten aber dann den Löffel zurück und schoben den Teller von sich, worauf die beiden Marschälle, die es ebenso gemacht hatten, wieder aufstanden, erst die Löffel einsammelten und an ihren Platz zurücklegten und dann die Teller den Vorsetzern zurückgaben, die diese auf den Fussboden stellten. Alles geschah immer in derselben Reihenfolge der Gäste. Nun schütteten die Vorsetzer den Inhalt der Teller in eine Birkenborkschale, die Kinder aber waren gleich zur Hand, um zur grossen Heiterkeit der Gäste die Teller wieder rein zu lecken. Als sie damit fertig waren, wurde die zweite Speise unter Beobachtung ganz derselben Förmlichkeiten vorgelegt und auf- Oltscha. Bärenfestmahl in fünf Abtheilungen. 725 getragen. Sie bestand ebenfalls aus Hirsebrei, doch hatte der Vorleger mit einem Stöckchen in jede Portion eine Vertiefung gemacht und einen Löflel voll Fischthran hineingethan. Diese Speise wurde von den Gästen nicht blos geschmeckt und dann zurückgeschoben, sondern gegessen, ja sie riefen auch die Kinder herbei, die sich vor ihnen platt auf den Bauch hinstreckten und von ihnen gefüttert wurden, und selbst ältere Knaben und Jünglinge traten, dazu aufgefordert, heran und assen vom Teller. Nach abermaliger, in derselben Weise erfolgter Reinigung des Geschirrs kam, wiederum unter denselben Förmlichkeiten, die dritte Speise, die aus gekochten Bohnen bestand und ein gleiches Schicksal mit der ersten erfuhr. Darauf rückten die Gäste bis an den Rand der Bank vor, so dass sie mit herabgelassenen Füssen auf ihr zu sitzen kamen, die Vor- setzer reichten ihnen den gewöhnlich zum Wassertrinken gebräuchlichen, an einen Stiel mit umgebogenem Ende!) befestigten Rindenbecher voll Wasser, und Jeder trank davon. Als sie jetzt aufstanden, gab es Unruhe und Lärm im Hause: die jungen Leute und Knaben eilten, mit Tannenzweigen bewaffnet zur Thür und stellten sich dort auf, die Gäste aber kamen in der Ordnung, wie sie gesessen hatten, vom mittelsten bis zum äussersten, erst der einen und dann der anderen Seite, zur Thür gegangen und erhielten mit den Tannenzweigen Schläge auf den Rücken. Besonders viel davon bekamen die Jüngeren unter ihnen ab, und da sie sich dem durch Eile und Gewandtheit zu entziehen suchten, so gab es grosse Heiterkeit unter Jung und Alt. Draussen wurden sie von den Jünglingen und Knaben ebenso, von den Weibern und Mädchen aber mit Getrommel auf den schwebenden Balken empfangen. Damit war der erste Abschnitt des Festmahls zu Ende. Nach einer kleinen Pause, als die Gäste wieder hereingetreten waren und in derselben Reihenfolge Platz genommen hatten, begann der zweite Abschnitt, der in allen Einzelheiten des Ceremoniels dem ersten ganz gleich war und auch denselben Ausgang nahm. Das Bestreben, Alles ebenso einzuhalten, ging so weit, dass stets auch derselbe Löffel auf denselben Teller ge- legt werden musste, — was sicherlich nicht aus etwaigem Ekel geschah, — und als der eine Marschall sich einmal darin versah, wurde er von einem der Gäste darauf aufmerksam gemacht und wechselte sogleich die Löffel um. Nur die Speisen waren zum Theil verschieden. Den ersten Gang in diesem Abschnitt bildeten Bohnen mit je einem Löffel voll Fischthran in jeder Portion (der erste Abschnitt hatte mit derselben Speise ohne Thran geschlossen). Diese Speise und nicht minder die dritte, die aus ziemlich zerquetschten Preisselbeeren mit je einem Löffel voll Fisch- thran bestand, wurden genossen und auch mit manchen herbeigewinkten jüngeren und kleinen Hospitanten getheilt, während die aus trocknem Hirsebrei bestehende zweite Speise zurückge- wiesen und in eine bereitstehende Birkenborkschale geschüttet wurde. Nach diesem in derselben Weise abgeschlossenen zweiten Abschnitt des Festmahls trat eine etwas längere Pause ein, welche von Manchem der Gäste zu einem Schläfehen benutzt wurde. Als alle Gäste sich wieder versammelt und ihre früheren Plätze eingenommen hatten, be- gann der dritte Abschnitt des Mahles, von dessen drei Gängen jedoch, die aus trocknem Hirse- 1) Zum Aufhängen am Rande des in jedem Hause in der Nähe der Hausthür befindlichen grossen Wasserbehälters. 726 Die Völker des Amur-Landes. brei, Bohnen mit Fischthran und trocknem Gerstenbrei bestanden, nur der zweite gegessen wurde und auch bei der naschenden Jugend Beifall fand, die beiden andren hingegen in üblicher Weise wieder weggeräumt wurden. Dieser Abschnitt zeichnete sich von den beiden vorherge- henden dadurch aus, dass in der etwas längeren Pause zwischen dem zweiten und dritten Gange einer der Marschälle, ein bejahrter, wohlgekleideter Mann, der einen Gürtel aus Hobelspänen um seinen Pelz trug, wie ihn auch manche Andere unter den Gästen hatten, einige Lieder theils recitirte, theils sang und dadurch sehr zur Erheiterung der Gesellschaft beitrug. Ferner bot er auch darin eine Abwechselung, dass sich am Schlusse desselben einige junge Männer zu dem vor dem Hause hängenden Balken begaben und auf ihm, statt der sonst dort thätigen Weiber und Mädchen, mehrere Weisen mit wechselndem Rhythmus ausführten. Der vierte Abschnitt begann mit denselben Förmlichkeiten wie die früheren und brachte als erste Speise wieder Hirsebrei mit Fischthran. Als dieser aber verzehrt war, wurden die grossen Holzteller ganz weggeräumt und statt ihrer die Bärenschalen (nechara) zum Speisen- vorleger gebracht. Dieser goss in jede Schale einen Löffel voll flüssigen (jedoch kalten) Bären- fettes (oltsch. chimssa, d. h. Thran) und that dann einige Striemen festen Bärenspecks (oltsch. nymu), der in etwa spannenlange und einen halben Zoll breite Striemen geschnitten und auf dünne Stöckchen gereiht war, darauf. Desgleichen versah er jede Schale mit einem schaufel- förmigen Stöckchen und einer Handvoll feiner Hobelspäne (gjamssassa), die zwar als ein Symbol der Heiligkeit gelten, in diesem Falle aber zum Abwischen von Mund und Fingern dienten. Als alle Schalen gefüllt auf dem Fussboden standen, wurden sie vom Vorsetzer und Marschall in derselben ceremoniellen Weise vor die Gäste gestellt. Bevor aber diese sie heranrückten, musste noch von jeder derselben geschmeckt werden, was die Vorsetzer an drei bis vier Por- tionen thaten und sich dann von anderen jungen Leuten, um auch ihnen etwas vom leckeren Bissen zu gönnen, ablösen liessen. Die Portionen waren so reichlich bemessen, dass sie von den Gästen allein nicht wohl bewältigt werden konnten, und es wurde daher von den Haus- und anderen Dorfbewohnern, die sich zum bevorstehenden fünften Abschnitt allmählich schon ein- gefunden hatten, fleissig bei den Gästen hospitirt. Nach dem wie immer vom Vorsetzer gereichten Trunk Wassers erfolgte der Aufbruch und wurde die zum Schluss jedes Abschnitts an der Thür und ausserhalb des Hauses übliche Scene aufgeführt. Der fünfte Abschnitt des Mahls bedurfte einiger Vorbereitung und die Pause zwischen ihm und dem 4-ten war daher länger als sonst: die in einer Reihe auf dem Fussboden aufgestellten Bärenschalen wurden gereinigt, indem die in einigen von ihnen nachgebliebenen Reste in eine derselben gesammelt und weggebracht, die übrigen aber von den Kindern reingeleckt wurden. Desgleichen wurden auch die Birkenborkschalen mit den Speisen, von denen bloss geschmeckt worden war, bei Seite gestellt. Ihr Inhalt war für den nächsten Tag bestimmt und konnte für eine fast ebenso grosse Gesellschaft langen, da in den drei ersten Abschnitten stets eine zu- rückgeschobene mit einer genossenen Speise abgewechselt hatte und jene stets trocken, diese mit einem Löffel voll Fischthran in jeder Portion gereicht wurde. Endlich mussten auch die Bärenschalen sowie die kleinen schaufelförmigen Stäbchen und die Gjamssassa’s an ihren Platz, Oltscha. Der Kopf des Bären — Hauptgang des Mahles. Festliche Beleuchtung. 727 jene unter und um das Bärengerüst, diese beiden auf die Fächer desselben gebracht werden. Inzwischen füllte sich das Haus mehr und mehr mit Menschen an, denn an dem jetzt bevor- stehenden letzten Theile des Festmahls durften nicht bloss die geladenen Gäste, sondern auch andere erwachsene Dorfbewohner männlichen Geschlechts theilnehmen, und diese hatten sich in der That zahlreich eingefundeu und auf den übrigen Bänken des Hauses im Anschluss an die Reihe der Gäste Platz genommen. In dem Gange zwischen den Bänken und dem Mittelraume des Hauses tummelten sich Knaben und im vorderen Theile desselben sah man auch Weiber und Mädchen stehen. Bei so grosser Zahl der Speisenden schien man das bisher auf’s Strengste be- folgte Ceremoniel, mit je einem Vorsetzer und einem Marschall auf jeder Seite des Hauses, für nicht mehr durchführbar oder wenigstens für nicht erforderlich zu halten. Dagegen wurde dem Speisevorleger ein Gehülfe zugetheilt, um die Zertheilung des Bärenfleisches in einzelne Por- tionen zu beschleunigen. Die beiden ersten Portionen gab der Kopf des Bären ab, indem der Schädel mit dem Oberkiefer die eine und der Unterkiefer die andere Portion bildete. Jede der- selben wurde auf ein rundes, mit dem Haar nach oben gekehrtes Kopffellstück des Bären mit einer unmittelbaren Unterlage von Tannenzweigen gelegt. Die übrigen Schüsseln oder Teller bestanden ebenfalls aus solchen, etwa einen Fuss im Durchmesser grossen Stücken von Kopf- oder Bein- und Fussfellen früher getödteter Bären, und manche von ihnen waren aus mehreren Flicken zusammengenäht. Gleich den Bärenschalen oder Holztellern und drgl. gehören sie schon einmal zum Hausgeräth der Jurte oder richtiger wohl des Dorfes, da sie als Gemeinbesitz je nach Bedürfniss bald dem einen, bald dem anderen seiner Häuser zu dienen haben. Niemals wird aber das Bärenfleisch unmittelbar auf diese Fellschüsseln, sondern stets auf darüber ge- breitete Tannenzweige gelegt, was jedoch auch nicht gerade sehr sauber ist, da sie nicht einmal der obenerwähnten Reinigungsmethode unterliegen dürften. Die beiden ersten Portionen wurden vor die beiden angesehensten, in der Mitte sitzenden Gäste, deren einer der Giljake aus Tylm war, gesetzt. Die Uebrigen erhielten ihre Portionen ebenfalls sogleich, nachdem diese abgetheilt waren, jedoch stets ohne alle Ceremonie durch einen der Vorleger. Die Portionen waren ent- setzlich gross, indem sie ausser dem Fleisch noch 7—8 mächtige Striemen oder Scheiben von Bärenspeck enthielten. Noch rührte aber Niemand an der ihm zugetheilten Portion. Es wurden zuvor die Thranlampen im Hause angezündet: vier in der Nähe der vier Ecken desselben, wo sie gewöhnlich brennen, eine fünfte an einer seiner Längswände und noch eine sechste endlich, die speciell dem Bärenfeste galt. Hinter dem Bärengerüst nämlich, in dem Gange zwischen diesem und der Ehrenbank, vor den beiden mitten auf derselben sitzenden Gästen, wurde ein Stock in den Fussboden getrieben, der am oberen Ende in drei auseinander klaflende Arme auslief. Auf diese wurde eine mit Fisch- oder Seehundsthran gefüllte und mit einem Docht ver- sehene Pectenschale (von Pecten jessoensis Jay) gesetzt. Die kleine Flamme dieser Lampe warf ihr Licht insonderheit auf das mit Tannenzweigen, zahlreichen Holzlocken (gjamssassa) und von oben herab mit dem Bärenfell geschmückte Gerüst im Mittelraum der Jurte, während die übrigen Lampen die lange Reihe der längs ihren Wänden sitzenden und mit untergeschlagenen Beinen des Mahles harrenden, sämmtlich bepelzten Tischgenossen düster beleuchteten. Es lag Schrenck’s Amur-Reise, Band III. 92 728 Die Völker des Amur-Landes. etwas Geordnetes und doch Wildes und Ungeschlachtes in diesem eigenartigen Bilde. Jetzt (rat einer der Vorleger zu den Gästen, die die beiden Kopfstücke des Bären erhalten hatten, schnitt von diesen, wie von den Portionen der ihnen zunächst Sitzenden je ein kleines Stück Fleisch in seine Bärenschale ab und entfernte sich damit. Nun erst zogen die beiden mittelsten Gäste ihre Portionen heran und gingen an’s Essen, und ihrem Beispiel folgten alsbald alle Uebrigen. Sogleich fanden sich hie und da auch kleinere und grössere Hospitanten ein, ein paar jüngere Leute aber gingen die ganze Reihe der Speisenden entlang und sammelten von ihnen Beiträge in besondere Bärenschalen, für die am Mahle Nichttheilnehmenden, und davon be- kamen denn auch die Weiber und Mädchen einige Bissen. Mittlerweile war es halb acht Uhr Abends geworden, das Festmahl hatte also 7'/, Stunden gedauert und war, nach der Grösse der noch unverzehrten Portionen zu urtheilen, noch lange nicht zu Ende. Leider war ich aber genöthigt abzureisen, da ich des vielen Aufwassers wegen, das sich zu dieser Jahreszeit bereits über der Eisdecke des Stromes gebildet hatte, die Nächte zum Weiterkommen benutzen musste. Halten wir nun diesen zweiten Akt des Bärenfestes, wie er einerseits bei den Giljaken, andererseits bei den Oltscha vor sich geht, gegeneinander. Trotz grosser Uebereinstimmung in den Haupt-, wie in den Nebenzügen dieses Festaktes, tritt uns aus seinem Vorgange bei den Giljaken und bei den Oltscha ein sehr verschiedener Geist entgegen. Bei jenen trägt das Fest durchaus den Charakter des Ursprünglichen, bei diesen den des Ueberkommenen. Ist der Zweck des Ganzen auch hier wie dort ganz derselbe, rein utilitarische — die allendliche Verspeisung des Bären, so sucht man ihn doch bei den Einen und bei den Anderen in sehr verschiedener Weise zu erreichen. Bei den Giljaken geht das Bärenfest von der Idee des Bärencultus aus oder knüpft sich wenigstens an diese an: es wird theils von Verehrung für das mächtige Raub- thier, theils von abergläubischer Furcht vor ihm und seinen Rachegeistern getragen, man weist ihm den Ehrenplatz im Hause an, man giebt sich den Anschein, nur mit seiner Erlaubniss, gleichsam widerwillig und nothgedrungen zu handeln und wälzt schliesslich alle Schuld und Verantwortung von sich ab. Bei den Oltscha hingegen ist davon kaum etwas zu merken: die einzigen auf den Bären und das Bärenfest bezüglichen abergläubischen Vorstellungen, die ich bei ihnen fand, bestanden darin, dass sie mir kein Bärenfleisch verkaufen wollten und dass sie für wütsch hielten (ein Begrifl, den sie ebenfalls von den Giljaken erhalten haben), während des Bärenfestes mit einem dem Herde entnommenen Feuer hinauszutreten, was zu jeder anderen Zeit keineswegs verboten sei. Der ängstlich abergläubischen, gewissermassen religiös gefärbten Auffassung der Giljaken gegenüber, ist der zweite und wichtigste Theil des Bärenfestes bei den Oltscha in ein blosses Ceremoniel, eine Reihe pedantisch beobachteter Förmlichkeiten ausgeartet, wie man sie wohl bei den Jahrtausende alten Chinesen, nicht aber bei einem Natur- volke erwarten dürfte. Vielleicht ist diese Ausartung einer den Oltscha ursprünglich fremden Sitte, die ihre Wurzeln nicht im Volke selbst hat, in der That unter mandshu-chinesischem Einfluss zu Stande gekommen. Sind doch bei ihnen auch alle Speisen, die beim Fest gereicht werden, mit fast alleiniger Ausnahme von Bärenfleisch und -Speck, von mandshu-chinesischer Giüjaken. Schlussakt. Spaltung der Bärenschädel. 729 Provenienz, während bei den Giljaken altherkömmlichem Brauche gemäss noch Stör- und Hausenfleisch und das aus Lachsarten bereitete Mossj eine hervorragende Rolle beim Feste spielen. Dass das Geniessen fremder, mandshu-chinesischer Speisen immer mit mehr Förm- lichkeiten geschieht, lässt sich übrigens auch bei den Giljaken beobachten und findet darin seine Erklärung, dass es den Naturmenschen unwillkürlich über das Alltagsleben hinaus in eine feierlich gehobene Stimmung versetzt. Die grössere Menge mandshu-chinesischer Speisen beim Bärenfest der Oltscha, im Vergleich zu den Giljaken, rührt aber unzweifelhaft von der grösseren Nähe und Anzahl ihrer Bezugsquellen für derartige Waaren her, in Folge sowohl des ständigen Aufenthalts chinesischer Kaufleute im Wohngebiet der Oltscha und Golde, als auch des häufigeren und regeren Verkehrs dieser Völker mit den Chinesen am Sungari. Nehmen wir nach dieser auf das Bärenfest der Oltscha bezüglichen Einschaltung, die mir zum Vergleich mit demselben Festakt der Giljaken nothwendig schien, den Faden unsrer Schilderung des Bärenfestes der Giljaken wieder auf. Noch fehlt uns die Kenntniss seines Schlussakts: was geschieht, nachdem Speck, Fleisch und innere Organe des Bären verzehrt worden, mit dem Schädel und den Knochen des Tbieres? Leider bin ich hier nicht selbst Au- genzeuge gewesen und kann daher nur das berichten, was ich theils von den Giljaken gebört habe, theils aus anderen Thatsachen folgern muss. Ditmar verliess Tebach noch vor diesem Schlussakt. Er schliesst seine dortigen Notizen mit der Bemerkung, dass seine längere Anwe- senheit dort bei Judin und anderen Giljaken Anstoss zu erregen schien und dass die wieder- holten Betheuerungen des Ersteren, er werde den Schluss des Festes nicht abwarten können, weil dieses sich noch lange hinziehen werde, nur allzudeutlich den Wunsch erkennen liessen, dass er seine Abreise beschleunigen möge. Am Tage zuvor, als das erste Bärenfleisch verzehrt wurde, waren die Bärenköpfe noch unberührt und trugen ihre Schnauzen- und Kopfbinden. Als ich bei den Oltscha in Uda eintraf, sah ich diese Binden nicht: sie waren, falls sie bei den Oltscha überhaupt im Gebrauch sind, bereits entfernt, der Schädel und der Unterkiefer waren aus dem Fell herausgenommen und wurden, wie gesagt, den Gästen zum Verspeisen der Fleisch- theile vorgesetzt. Der erstere war nicht gespalten, und von den Gehirntheilen habe ich nichts gesehen. Schwerlich dürften sie sich aber diesen besonders schmackhaften Bissen entgehen lassen. Um jedoch seiner ganz habhaft zu werden müssen sie den Schädel spalten. Daraus darf man gewiss den Schluss ziehen, dass auch die Lehrmeister der Oltscha, die Giljaken, es ebenso machen und, nachdem die übrigen Theile des Bären verzehrt worden, schliesslich auch den Kopf abfellen und den Schädel spalten. Es mag aber dieser letzte gegen den Bären geführte Schlag, das Zerspalten seines Schädels, zu denjenigen Vorgängen gehören, die gern im Gehei- men, wenigstens nicht in Gegenwart von Fremden, vorgenommen werden, und darum die Ab- reise Ditmar’s aus Tebach besonders herbeigewünscht worden sein. Wie nun das Herausnebh- men des Bärenkopfs aus dem Fell, so geschieht höchst wahrscheinlich auch das Zerspalten des Schädels im Hause, wo gleich oder bald darauf die Verspeisung seiner Fleisch- und Gehirn- theile stattfindet. Dafür spricht schon der Umstand, dass das Instrument, mit welchem der Schädel des Bären zerspalten wird, gleich zu Anfang des zweiten Festakts in's Haus gebracht 92* 730 Die Völker des Amur-Landes. wird. Es ist eine Spitzaxt (gilj. myisching), die auf Taf. LI, Fig. 5, nach einem Exemplar ab- gebildet worden ist, das während der Festzeit in Judin’s Haus am Bärengerüst gelegen hatte. Diese Spitzaxt ist nach ihrer ganzen Form, besonders aber nach ihrem Stiel und der Art der Befestigung des Schlägels an denselben zu urtheilen, unverkennbar ein Stück aus uralter Zeit und hat gewiss ehemals einen steinernen Schlägel gehabt, der später durch einen eisernen er- setzt worden ist!). Wenn endlich auch das Gehirn des Bären verzehrt ist, werden die Schä- del- und die übrigen abgenagten und zusammengesammelten Knochen des Bären mit dem Fell zum Hause hinaus nach einer unweit von demselben im Walde gelegenen Stelle getragen, — ein Akt, der nach Angabe der Giljaken ebenfalls mit einer gewissen Feierlichkeit von den ältesten Leuten im Dorfe besorgt wird. Dort werden alle Knochen mit Ausnahme des Schädeis in die Erde versenkt oder schlechtweg verscharrt. Mit dem Schädel des Bären wird aber anders, und zwar in einer Weise verfahren, von der ich erst nach einigen bei den benachbarten Völ- kern gemachten Erfahrungen genaue Kenntniss gewann. Die obenerwähnte, offenbar noch aus der Steinzeit herrührende Spitzaxt wird nämlich, nach den Spuren des Schlages zu urtheilen, auch von den Golde zu einem ähnlichen Zwecke gebraucht. Diese spalten jedoch den Bären- schädel nicht, sondern begnügen sich damit, auf den Genuss des Bärengehirns verzichtend, ihm ein Loch durchs Gewölbe zu schlagen und ihn an einem der Jochbögen auf einen eigens dazu gewählten Baum zu hängen. Bei Buri nahe der Ussuri-Mündung sah ich einen solchen mit zahl- reichen Bärenschädeln behängten Baum stehen. Als ich ihn erkletterte, um mir die besterhal- tenen Exemplare herabzuholen ?), fand ich, dass jeder von ihnen ein grosses, bald das rechte, bald das linke Scheitelbein perforirendes Loch trug. Im Wohngebiet der Giljaken habe ich zwar mit Delphinschädeln behängte Bäume gesehen, niemals sind mir aber welche mit Bären- schädeln begegnet, obgleich die Zahl der alljährlich erlegten oder gefangengenommenen und verspeisten Bären dort sehr viel grösser als bei den Golde sein dürfte. Das weist entschieden darauf hin, dass die Giljaken, ungleich den Golde, ausser dem Einschlagen oder Zerspalten des Bärenschädels noch eine andere Manipulation mit ihm vornehmen, die ihn kaum weniger als das Verscharren der Knochen, den Blicken der Menschen zu entziehen geeignet ist. In der That bin ich an verschiedenen Orten im Walde in der Nähe giljakischer Wohnungen auf Stel- len gestossen, die sich bei aufmerksamer Betrachtung als Bärenschädelstätten erwiesen: Stämme junger Bäumchen waren in der Höhe von einigen Zollen über dem Erdboden abgehauen, das stehengebliebene Stück des Stammes war in zwei Zinken gespalten und der bis auf seine Basis gespaltene Bärenschädel so in den Baumspalt eingekeilt, dass die beiden Zinken aus seinen Jochbögen hervorragten und ihn dicht am Erdboden zwischen sich eingeklemmt hielten; ausser- dem war jederseits noch ein kurzer Holzkeil von oben durch den Jochbogen in die Erde getrie- 4) Die ebenda, Fig. 4, abgebildete, zum Tödten von 2) Darunter befand sich auch jener grösste aller bis- Stören und Hausen dienende Keule hat noch jetzt ein | her bekannten Schädel von Ursus arclos (von 450 mm. steinernes Endstück (s. oben p. 519). Die Unterschrift auf | Länge), der im ersten Bande dieses Werkes (p. S—16) der Tafel LI ist demgemäss zu berichtigen, ausführlich besprochen worden ist. 0 Giljaken, Golde. Beisetzung der Bärenschädel u. -Gebeine. Bärenfeste auf Sachalin. 731 ben. Verwächst die Stelle mit Gras, so wird dem flüchtigen Auge Alles unkenntlich, Diese Art, den Bärenschädel zu behandeln, ist von den Giljaken auch auf die Oltscha und von diesen auf die ihnen nahe verwandten und am Udyl-See u. a. O. auch unmittelbar benachbarten Sa- magirn übergegangen. Beim Dorfe Ngagha am Gorin fand ich in der nächsten Umgegend nach zwei Richtungen hin solche Bärenschädelstätten und zählte auf der einen, die in einem lichten Birkenwäldchen lag, in einem Umkreise von 30 Schritt nicht weniger als neun genau in der Weise wie bei den Giljaken behandelter Bärenschädel. Da an diesen selben Stellen vermuthlich auch die übrigen Bärenknochen verscharrt liegen, so sind es nicht bloss Bären- schädelstätten, sondern überhaupt Bärenbeinäcker. Die Golde hingegen, die ihre Bärenschädel auf Bäume hängen, thun Aehnliches auch mit anderen dazu geeigneten Bärenknochen. So sah ich bei Bitschu an der Gorin-Mündung einen zerfallenen oder gespaltenen Bärenschädel einige Fuss hoch auf dem Stubben eines gebrochenen Baumes liegen, unten aber hingen im Gesträuch verschiedene Knochen des Thieres, darunter ein Schulterblatt und eine Anzahl von Rückenwirbeln, die mittelst der Foramina vertebralia auf die Zweige des Strauches gereiht waren, und daneben hingen goldische Birkenborkschalen und -Körbcehen, wie man sie auch an den Grabstätten verstorbener Menschen findet, und die offenbar den. Manen des getödteten Thieres zum Opfer dargebracht waren. Es ist nicht anzunehmen, dass die Giljaken von Sachalin in ihren Grundanschauungen über den Bären und das ihm geweihte Fest sich wesentlich von ihren Stammgenossen auf dem Festlande unterscheiden sollten, zumal wir uns die Verbreitung der Giljaken in der Weise zu denken haben, dass sie, von der Amur-Mündung nach Sachalin gekommen, dort längere Zeit hindurch eine Heimstätte gefunden haben und alsdann erst, durch die Aino gedrängt, zum grossen Theil auf das Festland zurückgewandert sind'). In den einzelnen Festvorgängen hin- gegen finden zwischen ihnen ganz beträchtliche Verschiedenheiten statt, die hauptsächlich durch die verschiedene Bauart und Geräumigkeit der Behausungen der Continental- und der Sachalin- Giljaken bedingt sind. So unscheinbar das Aeussere einer Erdjurte der letzteren ist — ein flachkegelförmiger, verschneiter, an der Spitze durch den ausströmenden Rauch etwas geschwärzter Hügel — so dürftig ist auch ihre äussere Ausschmückung zum Bärenfeste. In der Regel sind am Eingange zur Jurte nur ein oder ein paar ihrer unteren Zweige beraubte junge Tannenbäumchen in den Schnee gesteckt, von deren Wipfel gleich wie auch von Aesten des umstehenden Gesträuchs einige lockenförmig gekräuselte Hobelspäne herabhängen (zachs). Nur wenn in derselben Be- hausung vor einigen Wochen, einem Monat, ja selbst in Jahresfrist, schon ein Bär verzehrt worden ist, pflegt auch das Fell dieses letzteren zur äusseren Ausschmückung der Jurte ver- wandt zu werden, indem es über eine lange und kräftige, schräg in den Schnee gesteckte und zuweilen auch durch ein kleines Geländer gestützte Ruthe gebreitet und davor ein Bündel von Holzlocken (zachs) angebracht. wird ?). So habe ich es in Tyk, Dui, Jwlk, Pud-wo und a. O. an der 1) Siehe S. 214, 247, 568 und 570 dieses Werks. | 2) S. Holzschn. p. 732. 732 Die Völker des Amur-Landes. Westküste und im Tymy-Thale auf Sachalin gesehen. Waren das Kopf- und die Beinstücke des Fells bereits abgeschnitten, um als Schüsseln bei den Bärenfestmahlzeiten zu dienen, so werden sie bei solcher Gelegenheit wieder an das Rumpfstück angenäht, um das Fell ganz erscheinen zu lassen. Bei der Jurte aufgehängtes Bärenfell. Der enge, niedrige und dunkle Gang, der zur Erdjurte führt, und der kleine, statt einer Thür oft nur durch ein in horizontaler Richtung verschiebbares Brett geschlossene Eingang in dieselbe machen das Ein- und Ausführen von Bären hier unmöglich, und im Innern der vom Herde und von den drei Schlafbänken fast ganz eingenommenen Jurte fände sich auch kein Raum, um auch nur einen Bären, geschweige denn deren zwei oder drei, zeitweise aufstellen zu können !). Auf dieses Hauptvergnügen der Amur-Giljaken während des Bärenfestes müssen daher ihre Stammgenossen auf Sachalin, soweit es dort nur Erdjurten giebt, verzichten. Die Möglichkeit dazu wurde den Giljaken erst geboten, als die anfangs auch auf dem Festlande bei ihnen üblichen Erdjurten (toryf) durch Häuser von chinesischer Bauart (fschadryf) ersetzt wurden, was zu meiner Zeit auf dem Festlande, bis auf eine Erdjurte in Pättach, schon durch- weg und auf der Limanküste Sachalin’s zum grossen Theil geschehen war?). Mag sich der con- servalive Geist, der jedes Naturvolk beseelt, im Anfange auch gegen jede Aenderung der alt- herkömmlichen Sitte gesträubt haben, allmählich musste sich eine grössere Ausnutzung der Vortheile, die ihnen die neue Behausung, durch ihre Lage zu ebner Erde und ihre grössere Ge- räumigkeit auch für die Feier des Bärenfestes bot, doch Bahn brechen, und das kann bei einem Volk von so praktischer Begabung, wie die Giljaken, nicht einmal lange gedauert haben. Wenn man die Amur-Giljaken ihre zeitweise im Hause aufgestellten Bären scheinbar ganz ohne Zweck viele Male zur Thür hinaus- und gleich wieder hereinführen und in der Art mit ihnen von Haus zu Haus durchs ganze Dorf umherziehen sieht. so macht es den Eindruck, als ob sie, gewissermaassen in traditioneller Erinnerung an die Beschränkung, die ihnen in dieser Beziehung ehemals auferlegt war und in der ihre Stammgenossen auf Sachalin sich noch gegenwärtig be- finden, immer noch in dem Genuss schwelgen, den ihnen ihre jetzigen, für das Bärenfest ge- 1) S. den Plan und die Einrichtung der giljakischen 2) S. oben p. 332. Erdjurte, p. 322 dieses Werks. Giljaken. Abweichende Bärenfestgebräuche auf Sachalin. 733 eigneteren Wohnungen bieten. In der That scheint jene Sitte nur die allmählich zum Gebrauch gewordene Aeusserung von Freude und Befriedigung seitens der Gontinental-Giljaken über die im Laufe der Zeit stattgehabte Veränderung in der Bauart ihrer Behausungen zu sein, Ein anderer durch die verschiedene Bauart der Behausungen bei den Continental- und den Sachalin-Giljaken bedingter Unterschied in den Bärenfestgebräuchen betrifft die Ueber- führung des Bärenkopfs aus dem Läsng in die Jurte. Diese geschieht bei den ersteren nich! durch die Thür, sondern inamer durch eines der Fenster des Hauses. Die Erdjurte hat aber keine Fenster und erhält das Tageslicht nur durch den Rauchfang, der auch überhaupt ausser der Thür die einzige nach aussen führende Oeflnung in ihr abgiebt. Ich vermuthe daher, dass jene Ueberführung auch bei den Sachalin-Giljaken nicht durch die Thür, sondern durch den Rauchfang stattfindet, was in den giljakischen Häusern von chinesischer Bauart nicht wohl möglich wäre, weshalb die Continental-Giljaken an Stelle des Rauchfangs eine der Fenster- öffnungen zu benutzen genöthigt sind, was auch viel bequemer ist. Eine Bestätigung dieser meiner Vermuthung hinsichtlich der Sachalin-Giljaken glaube ich darin zu finden, dass über der Jurte, in der ein Bär verzehrt worden ist, gleich nach Beendigung der Mahlzeit das Fell des verspeisten Thieres über eine in schräger Richtung zum Rauchfange hinausragende Stange gebreitet wird, von deren Spitze ein Bündel gekräuselter Hobelspäne herabhängt, wie ich es im Dorfe Tyk gesehen habe. Hier, am Rauchfange, bleibt wohl auch die aus Birkenrinde ge- schnittene Kröte liegen, während der Bärenkopf nebst dem Fell durch den Rauchfang direkt auf die Platform des Herdes hinabgelassen wird. Dort, im Innern der Jurte, ist inzwischen das zur Aufnahme des Bärenkopfs ganz ebenso wie auf dem Festlande aus ungeschälten Ellernstangen errichtete und mit Tannenzweigen reich geschmückte Gerüst fertig hergestellt. Es steht dieht am hinteren Ende der: Herdesplatform, in dem zwischen ihr und der hinteren oder Ehrenbank befindlichen Gange, also an einer Stelle, die genau derjenigen entspricht, welche es auch in den giljakischen Häusern von chinesischer Bauart einnimmt. Da die Herdesplatform in einer grösseren Erdjurte recht geräumig ist, so lassen sich auf ihr, den beiden Herden im Tschadryf entsprechend, auch zwei gesonderte Feuer anmachen, über denen vom Jurtengebälk die zum Kochen des Bärenlleisches, wie zum Bereiten der übrigen Speisen dienenden Kessel herabhängen. Das dem Bärengerüst nähergelegene dieser Feuer ist das kotr — oder £schehyf'') — tur, das Bärenfeuer, in dem während des Bereitens des Bärenfleisches und auch sonst zur Bärenfestzeit des beliebten Duftes wegen frische Zweige von Tannen, und besonders von den im nördlichen Sachalin so häufigen Cederngesträuch, ver- brannt werden. Einen wesentlichen Schmuck im Innern der Erdjurte geben die als Symbol der Heiligkeit, Reinheit und Unantastbarkeit geltenden Holzlocken (zach’s) ab: hängen sie schon immer in je einem langen Büschel von der Mitte der vier das kegelförmige Dach stützenden Querbalken herab, so wird ihre Zahl zur Zeit des Bärenfestes noch um vier neue vermehrt, die in den vier 1) Wie der Bär auf Sachalin in der Regel heisst. 734% Die Völker des Amur-Landes. Winkeln der Jurte angebracht sind. In den giljakischen Häusern auf dem Festlande sieht man deren meist nur zwei, und auch diese nicht immer, von den beiden Grundpfeilern des Hauses herabhängen, nach Maassgabe aber der Annäherung zu den Aino, bei denen sie unter dem Namen inau im Gebrauch sind, scheint deren Zahl zuzunehmen. Ich wohnte dem Bärenfest in Tyk bei, als schon das Fleisch des Thieres verzehrt wurde, also gegen Ende des zweiten Aktes. Auf dem Bärengerüst lagen noch Theile des zergliederten Thieres, darunter auch der vom Muskellleisch bereits gereinigte Schädel, den ich dem Eigen- thümer des Thieres begreiflicherweise vergeblich abzukaufen versuchte. Auf den Bänken sassen noch einige mit dem Verzehren ihrer Portionen beschäftigte Giljaken, andere drängten sich theils um sie herum, theils in den Gängen zwischen dem Herde und den Bänken, ein Jeder be- müht, sich mit seinem Messer hier oder dort ein Stück Fleisch zu erobern. In einen kleinen Trog sammelte einer der Hausgenossen Beiträge von den Speisenden ein, um sie auch den Weibern und Kindern zukommen zu lassen, und ähnliche Tröge mit Bärenfleischstücken wurden auch nach den anderen Jurten des Dorfes getragen. Pflegt auch bei den Amur-Giljaken, wenn es zu diesem Moment der Festmahlzeit kommt, die Förmlichkeit aufzuhören, so war hier vol- lends nichts mehr davon zu verspüren, — Alles bewegte sich in dem engen Raum formlos durcheinander. Eine Mahlzeit aus mandshu-chinesischen Produkten, Cerealien und Leguminosen, die in den Amur-Dörfern den Gästen in so reichlichem Maasse vorgesetzt zu werden pflegen, schien hier dem Fleischgenuss nicht vorausgegangen zu sein, da der Hauswirth und Eigenthümer des Bären offenbar nicht zu den Bemittelten gehörte und nach Sachalin überhaupt nur wenig von diesen Produkten und auch das nur durch Vermittelung der Amur-Giljaken und -Oltscha gelangt. Unter solchen Umständen war es verständlich, dass in Dui, wo bald darauf und unter grösserem Conflux von Theilnehmern ein Bärenfest begangen wurde, zur Befriedigung der letzteren gleich darnach noch eine Nachfeier stattfand, bei der, wie oben!) gelegentlich der Besprechung der Kynophagie bei den Giljaken schon erwähnt worden, in Ermangelung anderer Nahrungsmittel, Hunde verzehrt wurden. Auffallend war es mir, dass von den Nebenbelustigungen, die bei den Amur-Giljaken das Bärenfest zu begleiten pflegen, wie Hunderennen, allerhand Spiele von Alt und Jung und drgl., auf Sachalin nichts zu sehen war. Fasst man Alles zusammen, so darf man den Schluss ziehen, dass bei den Sachalin-Giljaken, namentlich im Bereich der ausschliesslichen Erdjurten, also am Nordjapanischen, Ochotskischen Meer und im Tymy-Thale, in Folge sowohl ihrer grösseren Abgeschiedenheit und geringeren Wohlhabenheit, als besonders auch ihrer kleineren und ungeeigneteren Wohnungen, das Bärenfest weit hinter der Entfaltung zurückgeblieben ist, die es bei ihren Stammgenossen am Amur erlangt hat, wo bei solcher Gelegenheit Bewohner verschiedener, zum Theil sogar entlegener Ortschaften zusammen strömen und ein reges Leben und Treiben unter ihnen herrscht, und dass es daher bei jenen auch lange nicht von der grossen socialen Bedeutung wie bei diesen ist. 1) S. 434 und 435. Aino. Bärenfeste auf Sachalin und Jesso. 235 Werfen wir nun des Vergleichs halber noch einen Blick auf das Bärenfest der Aino von Sachalin und von Jesso. Einzelne Nachrichten darüber reichen bis in das XVII Jahrhundert und in der japanischen Literatur wohl noch viel weiter zurück. Ausführlichere Beschreibungen und die Herren Rudanofskij?) und Busse) in Betreff derjenigen von Sachalin entworfen. Jener wohnte vom ganzen Fest haben aber Dr. B. Scheube in Bezug auf die Aino von Jesso!) dem Feste in dem an der Vulkan-Bai gelegenen Dörfchen Kunnui bei und diese beobachteten es im Dorfe Ssussuja, das an dem gleichnamigen in die Aniwa-Bai mündenden Flusse liegt. Obgleich die Aino dem Bären den Beinamen «Gott» beilegen, indem sie ihn Kimwi-Kamui oder nach Siebold Hokjok-Kamui nennen *), und obgleich sie ihn, nach Dobrotworskij, für einen Sohn des Berg- und Wald- oder Wildnissgottes (ain. nuburi-kamut) halten?) und mit abergläubischer Furcht und Verehrung behandeln, so hindert es sie doch keineswegs, ihn zu tödten und zu verspeisen, — nur müssen dabei gewisse altherkömmliche Bräuche und Forma- litäten beobachtet werden, um die Schuld von ihnen abzuwälzen und sie der Rache seiner Manen zu entziehen. Dr. Scheube meint zwar, das Motiv sowohl des Bärenfestes (Jomante) der Aino®), wie der ihm vorausgegangenen Auflütterung des jungen Bären sei Sühne, die dem ganzen Bären- geschlecht für die ihrerseits an ihm verübte Unbill dargebracht wird, allein dieser Ansicht kann ich keineswegs beistimmen. Bei dem auch den Aino in allen Dingen eigenen utilitarischen Standpunkte glaube ich vielmehr, dass sie, von Furcht und Aberglauben beherrscht, darin nur Mittel zu ruhiger und strafloser Ausnutzung des Bären sehen. Die dem Bärenfest zu Grunde liegende Anschauung scheint mir demnach bei den Aino ganz dieselbe wie bei den Giljaken zu sein, und in den Grundzügen stinimen auch die dabei üblichen Gebräuche beider Völker mit einander überein. Der Japaner Kannemon erzählt schon in seinem Jeso-ki, dass wenn die Aino ein Bären- junges finden, sie es nach Hause tragen, wo es von der Frau des Finders gesäugt wird ’), — eine Erzählung, die sehr unwahrscheinlich klingt, obgleich Scheube auf dem Bärenfest in Kunnui eine solche Bärenamme sah, die traurig bei Seite sass und bisweilen sogar in Thränen aus- brach. Zwar schien ihm ihre Trauer nicht gemacht und nur etwa von den Regeln des Festes vorgeschrieben, sondern in der That durch das Schicksal ihres Pfleglings hervorgerufen zu sein, allein da sie sich später an den beim Fest üblichen Tänzen lebhaft betheiligte, ja ihnen zum 1) Dr. B. Scheube, Bärenkultus und Bärenfeste der 5) M. Aoöporzoperiü, Auscko-pycckiii cA0Bap&. Aino (Das Ausland, Jahrg. 1881, Nr. 16, p. 303—308; nach den Mittheil. der deutsch. Gesellsch. für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, 1880, Heft 22). 2) Siehe I. Tuxmeue»»&, Hcrop. 0603p. o6pa3. Poc- eiüicko-amepur. Konunanin, C. DHerep6. 1863. 4. II, crp. 125 —127. 3) H. Bycce, Ocrp. Caxaııme u IxeneA. 1853 —54 Tr., C. Herepö. 1872, crp. 54—57. 4)Scheube, |]. c. Siebold, Aardr.- en volkenk. toe- licht. tot de ontdekk. van Vries, p. 110. Schrenk’s Amur-Reise, Band II. Ipu.aosk. xp Vuen. 3an. Unnep. Kasancr. Yuusepc. 1875 T., CTp. 41. : 6) Nach Mamia Rinsö heisst das Bärenfest bei den Aino von Jesso omsia, C. Siebold, Nippon, VII, p. 189, 203. 7) Titsingh, Ieso-ki ou description de l’ile d’Iesso, composee par Kannemon en 1652 (Malte-Brun, Ann. des Voyages, T. XXIV, Paris 1814, p. 154). Dsgl. Klaproth, San kokf tsou ran to sets, ou apergu general des trois royaumes. Paris 1832, p. 236. 93 736 Die Völker des Amur-Landes. Theil sogar selbst vortanzte, und da das Beklagen und Beweinen des Bären überhaupt zu den nothwendigen Erfordernissen eines Bärenfestes gehören, um sich dadurch von aller Schuld am Tode des Bären und einer etwaigen Verantwortung dafür zu entlasten, so dürfte man gewiss nicht fehl gehen, wenn man jene vermeintliche Trauer nur auf Rechnung dieser den Aino mit den Giljaken und anderen Völkern gemeinsamen Vorstellung schreibt. Unter den Giljaken habe ich jedenfalls nie etwas gehört, was jene Erzählung Kannemon’s von den Aino be- stätigen könnte. Bei ihnen dürfte vielmehr ein flüssig bereitetes Mossj dem Bärenjungen als erste Nahrung dienen. Anfangs frei oder in einem kleinen Käfig in einem Winkel der Hütte gehalten, wird der Bär, wenn er grösser geworden, in einen solideren, ausserhalb des Hauses befindlichen und ganz ebenso wie bei den Giljaken construirten Kerker gebracht und mit Fisch gefüttert). Der einzige Unterschied eines ainischen Bärenkerkers von einem giljakischen besteht darin, dass ihm die an den Ecken des Baues aufgepflanzten mehr oder weniger langen Stangen mit herabhängenden feinen Holzspiralen, wie sie Coen, Steuermann eines der von Vries geführten Schiffe schon bei Entdeckung der Bai Aniwa im Jahre 1643 sah *), nicht leicht fehlen dürften °). Diese Stangen oder Stöcke mit herabwallenden Holzspiralen, bei den Aino von Sachalın inau oder inao, bei denen von Jesso inabo genannt, und den mit Papierstreifen geschmückten Hei- oder Gohei-Stäben, die als Symbole der Gottheit und Heiligkeit im altjapanischen Kami- Dienste (Sintö) gebräuchlich sind‘), nachgebildet, spielen beim Bärenfest der Aino überhaupt eine sehr wichtige Rolle. Nicht bloss der Bärenkäfig, auch das Innere der Hütte ist damit aus- geschmückt, und um diese herum, so wie vor derselben auf einem an deren Ostseite gelegenen Platz, wo der Bär nachmals getödtet wird, sind sie in grosser Anzahl aufgestellt. Mit ihnen zugleich und zum Theil an sie befestigt werden auch Bambusblätter zur Ausschmückung wäh- rend des Bärenfestes benutzt, wie Scheube meint, um durch ihren immergrünen und unver- wüstlichen Zustand den Wunsch auszudrücken, der todte Bär möge wieder lebendig werden. Im Norden Sachalin’s und im Amur-Lande, wo die Bambusstaude fehlt, sahen wir die Giljaken zu demselben Zweck der Ausschmückung sich der ebenfalls immergrünen Cedern- und Tannen- zweige bedienen und diese auch in das dem Bären geweihte Feuer werfen, um durch den beim Verbrennen derselben erzeugten Rauch und Duft sein Wohlgefallen zu erregen und ihm oder seinen Manen, wenn auch nicht den Wunsch eines Wiedererwachens zum Leben, doch jeden- falls ihre Ehrerbietung und Verehrung auszudrücken. Nach Mamia Rinsö°) gebt bei den Aino von Sachalin dem eigentlichen Bärenfeste ein anderes Fest voraus, bei welchem dem Bären, wenn er 2 bis 3 Jahre alt geworden, damit er durch sein Gebiss Niemanden verwunden könne, die Eckzähne abgestumpft werden. Dazu 1) In der Rumjanzof-Bai auf Jesso, wie in der Aniwa- 2) Siebold, Aardr.-en volkenk. toelicht. ete. p. 110, Bai auf Sachalin sahen Krusenstern (Reise um die Welt, 3) S. auch Scheube,l. c. Bd. II, p. 79) und Langsdorff (Bemerk. anf einer Reise 4) Scheube, l. c. Siebold, Nippon, VII, p. 203. um die Welt, Bd. I, p. 285) fast in jeder Aino-Hütte einen 5) Siebold, Nippon, VII, p. 189. jungen Bären. Aino. Bärenammen. Trankopfer vor Tödtung d. Bären. 737 werden ihm, nachdem er mittels einer Schlinge aus dem Käfig gehoben worden, die Füsse an Stangen gebunden, damit er nicht aufspringen könne, und die Eckzähne mit einem von ihnen selbst verfertigten sägeartigen Instrument ihrer Spitze beraubt. Die muthigeren, kühneren und im Umgange mit dem Bären geübteren und wohl auch geschickteren Giljaken verschmähen dies zu thun und halten hingegen die durch einen Bären ihnen beigebrachten Verwundungen, deren es bei ihnen nicht selten welche giebt, für höchst ehrenvoll. Bevor die Aino auf dem eigentlichen, mit der Tödtung und Verspeisung des Bären ab- schliessenden Feste Hand an ihn anlegen, bringen sie, zuerst die Männer und dann die Bärenamme und einige ältere Frauen, im Hause dem Gott des Feuers vor dem mit einem Inau geschmückten Herde und dann dem Hausgott in der ihm geheiligten Ecke ein Trankopfer dar. Dies geschieht in der Weise, dass sie mit der linken Hand ein mit Ssaki gefülltes Trinkgefäss zur Stirn empor heben und mit der rechten ein flaches, vorn zugespitztes Stäbchen, das vorher quer über der» Schale lag, in die Flüssigkeit tunken und einige Tropfen davon zu Boden, oder vor dem Gott des Feuers in dieses selbst fallen lassen und darauf das Stäbchen einige Male horizontal hin- und herbewegen und einige Worte, die von Scheube nicht verstanden wurden, vor sich hermur- meln. Dasselbe wiederholt sich vor dem Bärenkerker, worauf die Weiber und Mädchen einen Tanz vor demselben aufführen und dabei sich dem Bären mit liebkosenden Blicken und Be- wegungen zuwenden. . \ An ” . r . ' ind 4 ; ZN Si u) ‚Y we Pa} KRITL IRER Ban ne gr) Palin. late, 77 jun: Sal all; aa or | EHER u ENT hund Marder . 4 % u ri i4 BUIRTEREELeN ADULT EU a Er 2 79 Bir pahhllinel I hl kl ink PR RR ih ’ una ruack; Ba lt aa Nr BON AE Be a But: x ad RT UT BBRHFITREN DNOHP?. dena Italien la hf ghdkiar: Y Dun Banııyı 2 eh A Ran une ua rl Bier. 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Von Jutschin und Labgun*) erfuhr ich Folgendes. Sie nennen Gott Y2igy **) und bezeichnen ihn als den guten, köngulätsch, ein Attribut, das soviel wie gut (sontz) heisst. Sie verstanden nicht meine Frage, ob Gott im Himmel wohne, oder wo sonst? und meinten bloss, dass sie in den Jurten keinen Gott (Götzen) hätten. Diese mir von den Giljaken wiederholentlich gegebene Betheurung, dass sie keine Götzen hätten, zog ich um so mehr in Zweifel, da ich selbst Thier- und Menschengestalten in Holz geschnitten aus dem Dorfe Kıuik ***) habe. Doch blieben sie dabei und erzählten feruer, dass der Gott der Mandshu Mäü heisse und dass die Mandshu in Holz geschnittene Götzen hätten, Menschengestalten in verschiedener Stellung, mit der Pfeife im Munde, die Arme in die Seiten gestemmt und dergl. Die Mandshu beugten sich vor diesen Götzen, die Giljaken aber thäten das nicht, wenn sie zu den Mandshu kämen. Ich fragte weiter, ob und wie die Giljaken beten? erhielt darauf aber stets zur Antwort, dass sie nicht beten. Meine weitere Frage war daher, ob sie neben und ausser dem guten Gotte (oder Geiste) auch einen bösen Gott hätten? eine Frage, welche sie sichtlich verwunderte, wobei ich sah, dass ihnen die Zusammenstellung meiner Worte «Gott» und «böse» unsinnig und widersprechend vorkam. Sie verneinten daher die Frage. Da die Giljaken aber dabei den- *) Aus den Dörfern Patchä und Wassj an der Amur- | und # des russ. Alphabets ersetzt worden. Mündung. ***) Am 1. Ufer d. Amur, unterhalb Nikolajewsk, **) Durch y und ja ist das vom Verf. gebrauchte & | auch: Kuögda, Kuegra, Kuögri-wo, s. p. 320, 362. 94* 740 Die Völker des Amur-Landes. noch voll Aberglauben sind, so kann ich mir den Widerspruch zwischen ihrer hier erwähnten Vorstellung von Gott und den mir zugekommenen Beweisen für verschiedenartige Götzen und ihr Schamanenthum nicht anders als folgendermaassen erklären: Es besteht unter den Giljaken eine dunkle, schwache Vorstellung von Gott, von einem höchsten Wesen, dem das Attribut des «Guten» in vollem Maasse und ohne alle Beimischung von Bösem zukommt, und das von Menschen angebetet wird. Aber diese Vorstellung ist eine ganz abstrakte, völlig leere, und greift dabei garnicht in das Leben, in die Gebräuche und Sitten der Giljaken ein; es ist das für sie nichts Concretes und sie kennen daher nur das Wort «beten», nicht den Act selbst. Auch wissen sie, bei dieser völligen Leere des Begriffs, von Gott nichts mehr, als dass er «köngulätsch, der Gute», ist. Im wirklichen, concreten Leben erfahren aber die Giljaken viel Uebles und Böses, und da giebt es viele Kräfte der Natur, die ihnen zunächst bei der Jagd und beim Fischfang oft hinderlich, gefahrdrohend und selbst ver- derblich sind, wie die oft ungefesselte Kraft der Elemente selbst, die oft verderbliche Kraft der Raubthiere, das bisweilige, aus ihnen unerklärlichen Gründen vorkommende Ausbleiben von Fischen und dergl. m., — Kräfte, denen gegenüber der Mensch immer, und um so mehr ein Naturvolk, das völlig von der Natur abhängt, seine Ohnmacht fühlen muss. Er kann solchen Kräften der Natur nicht immer entgehen und sie bringen ihm Schaden: sie sind ihm daher so viele böse Geschehnisse, die er (von dem allgemeinen, egoistisch teleologischen, ursprünglichen Gesichtspunkte des Menschen aus) als immer nur gegen sich gerichtete und seiner Kraft über- legene Mächte ansieht und in concreter, aber roher Vorstellung, mehr oder weniger personifieirt. Diese gefühlte eigene Ohnmacht gegenüber den ihm feindlicken Kräften, und dabei dennoch immer der unveräusserliche Wunsch, ihren schädlichen Eingriffen in sein Leben zu entgehen, — diese Ursachen, verbunden mit der nothwendigen, unwillkührlichen und unbewussten Ansicht, dass in dem Wirken dieser Mächte, ebenso wie in seinen eigenen Handlungen, ein Zusammen- hang von Ursache und Wirkung, Grund und Folge, besteht, führen ihn zu einer Reihe von Folgerungen, durch die seine eigenen Handlungen und das Wirken der ihm feindlichen Mächte in einen Causalnexus gebracht werden. Und so entsteht sein vielgestaltiger Aberglaube, der zu Gebräuchen und besonderen Verrichtungen, die bestimmt sind die bösen Mächte zu beschwich- tigen oder fern zu halten, so wie zur personificirenden Vorstellung der bösen Mächte auf diese oder jene rohe, annähernde Weise, durch Ausschneiden von Thier- und Menschengestalten in Holz, und zum Schamanenthum Anlass giebt. Diese Entstehung und Bedeutung mögen die vielen Holzfiguren von Bären, Eidechsen, Kröten, Schlangen und auch von Menschen haben, die sich bei den Giljaken finden. Der Giljake hält sie nicht für Götter und betet sie auch nicht an. Sie sind nur Darstellungen oder Andeutungen feindlicher Mächte in der Natur, denen er zu ent- gehen trachtet. Dass sich aber darunter auch Menschengestalten finden, darf nicht so gedeutet werden, als ob sie personificirte Vorstellungen von göttlichen Wesen seien, wie sie der Anthro- pomorphismus in geistigerer Weise auch an anderen Orten erschaffen hat. Der Mensch steht nach der Ansicht eines Naturvolkes, und auch der Giljaken, ganz und gar und nur in der Natur, er steht nach ihrem Aberglauben mit den Vorgängen der Natur (oder der bösen Mächte) Giljaken. Gottesbegriff. Glaube an böse Mächte. 741 in einem viel näheren, unmittelbaren Causalverbande, und deshalb schon mag die Darstellung des Menschen zur Verrichtung manches Schamanenactes nothwendig sein. Die Vorstellung von Gott, dem Guten, ist bei den Giljaken dagegen eine viel zu leere und zu inhaltslose, als dass von einem Zusammenhange mit demselben und so auch von anthropomorphistischen Ideen und Darstellungen die Rede sein könnte. Wenn aber die Giljaken diesen Aberglauben und das Schama- nenthum u. s. w. nicht für Gottesdienst und Gebet halten, sondern nur für ein praktisches Handeln in ihrem Leben, um allem Schaden zu entgehen, so sind wir doch genöthigt, dieses ihr religiöses Be- wusstsein zu nennen. Und so finden wir einen merkwürdigen ungeheuren Widerspruch in den reli- giösen Vorstellungen der Giljaken. Einerseits die Vorstellung von einem einzigen höchsten und guten Wesen, wenn auch so völlig leer, dass sie die Anbetung desselben ausschliesst und andererseits die Personifieirung unzähliger böser Mächte, nebst einem rohen Cultus zur Abwehr und Fern- haltung derselben; zahlreiche Darstellungen von Thieren und Menschengestalten in den Jurten, und doch sagen die Giljaken, dass sie keine Darstellungen von Gott besitzen; unzählige Acte von Aberglauben und Schamanenthum u. drgl., und dennoch leugnen sie, dass sie beten. Und andererseits sprechen sie von einem höchsten, völlig guten Wesen und haben das Wort «beten» (mjägratsch) und beten diesen Gott doch nicht an. Wie ist das zu erklären? Mir scheint, es liegt hier kein Dualismus der Vorstellungen vor, sondern es handelt sich überhaupt um zwei von einander völlig abgetrennte, mit einander in keiner Verbindung stehende und auch hi- storisch verschiedene Vorstellungen. — Die erstere ist ein völlig abgeschwächter, dunkler, nur noch traditioneller Deismus, der unter den Giljaken nicht mehr als nur in einigen überkom- menen Worten besteht — Gott, das Gute, beten, und keinen anderen Einfluss aufihre ander- weitigen sogenannten religiösen Vorstellungen und Handlungen (Aberglauben, Götzen, Schama- nen) ausübt, als dass jene Worte auf diese Vorstellungen und Handlungen nicht übertragen werden. Die zweite religiöse Vorstellung ist mit derjenigen vieler roher sibirischer Völker wahrscheinlich im Wesentlichen übereinstimmend und geht auf Fernhaltung der bösen Geister und Mächte vom Menschen durch verschiedene abergläubische Beobachtungen und Verrich- tungen aus. Die erstere deistische Vorstellung ist wahrscheinlich der Nachklang einer uralten, vielleicht noch an die Wiege der Giljaken erinnernden Vorstellung. In der That findet sich in dem Attribut Gottes köngulätsch und in dem abstracten, nihilistischen Character der Vorstel- lung ein Anklang an central-asiatische Religions-Systeme, die zweite Vorstellung mag dagegen in viel späterer Zeit, nachdem der Giljaken-Stamm sich stromabwärts in die östlichen Wald- wildnisse des asiatischen Continents begeben hat (?), seine Entstehung genommen haben, und darum mit den religiösen Vorstellungen nachbarlicher sibirischer Völker, und auch der 4@no, so viele Berührungspunkte und Aehnlichkeiten bieten. Die erstere Vorstellung ging bis auf einige Worte völlig verloren, und eine andere, rohere und concretere bildete sich aus, ohne aber, wegen des Bestehens der Tradition, bei den Giljaken selbst Ansprüche auf eine religiöse zu gewinnen oder jenen leeren Gottesbegrifl' völlig zu verdrängen und zu ersetzen. Dass die Holzgötzen der Giljaken in der That keine sehr grosse Achtung oder Anbetung bei ihnen geniessen, ersah ich daran, dass die Giljaken von Kuik, aus deren verlassener Jurte 742 Die Völker des Amur-Landes. ich mir im Sommer 1854 eine Collection von ihren Götzen zugeeignet, bei ihrer Ankunft im Dorfe den Verlust nicht zu bemerken schienen oder wenigstens nicht für der Rede werth hielten. Auch sah ich einmal im selben Dorfe einen kleinen Knaben mit einer hölzernen Bärenfigur spielend aus dem Hause treten, ein Zeichen, dass ihm diese Sachen nicht so unzugänglich waren, wie sie es gewiss wären, wenn sie eine besondere Verehrung genössen. (Bm. I. p. 22—27). Götzen und Amulete in menschlicher Gestalt. 2. Giljiaken. Die verschiedenartigen in Holz geschnittenen Götzen, bald menschliche, bald Thiergestalten, die zur Abwendung von Gefahr, Unglück, Krankheit und drgl. dienen, wurden mir von den Giljaken mit dem allgemeinen Namen kägn und Zschngai‘) bezeichnet. Ausserdem aber sind mir für einzelne Gestalten auch noch besondere Namen genannt worden. Eine rohe Darstellung der ganzen menschlichen Gestalt (Taf. LI, Fig. 1.) oder zum wenigsten ein solches Brustbild befindet sich in der Regel in der Jurte des Giljaken auf den Querbalken des Dach- stuhls, über den Schlafbänken der schmalen, von dem Eingange entfernten Seite der Jurte (über der Stelle also, wo auch bei den Oltscha und Golde die ähnlich gestalteten Säwa’s stehen). Doch tragen die Giljaken bisweilen ähnliche kleine Götzen an der Brust, denen sie den Namen pangch geben (Taf. LII, Fig 5.). Ist ein Giljake schwer krank, so schnitzt ihm der Schaman einen solchen Götzen, oder giebt ihm die Anweisung einen zu schnitzen und diesen anzulegen, damit er gesund werde. Allgemeine Sitte, Götzen um den Hals zu tragen, ist es aber nicht. Oft ist es auch nicht gerade ein Götze, sondern irgend ein Amulet anderer Art, zusammengeknäuelte Riemen und drgl., die auf den Rath eines Schamanen dem Kranken um den Hals gelegt und nach der Genesung auch noch fort getragen werden. Ein solches Amulet heisst ngöf und kissj. Von Judin in Tebach erhielt ich ein Amulet in Form eines geschnitzten Bogens mit einem menschlichen Gesicht (s. Taf. LVII, Fig. 9). (Bm. 1. pag. 57, 58.). 3. Giljaken. Dorf Poghobi an der West-Küste von Sachalin. In einer Jurte sah ich den Wirth an einem Stocke lange Holzlocken schneiden. Als diese recht umfangreich geworden, schnitt er das ganze Büschel oben von Stocke ab und band sie an dieser Stelle zusammen. Es war dieses Zach für ein krankes Weib in der Jurte bestimmt, welches Brustschmerzen hatte und stöhnend und klagend da sass. Das Zach wurde ihr um den Hals gebunden und die Enden steckte sie sorgfältig in den Busen, an den Körper sie andrückend. Es sollte dieses ein Heil- mitte] sein. In der That hörte das Weib, nachdem es diese Medicin erhalten hatte, auf zu stöhnen und verhielt sich die übrige Zeit sehr still und ruhig. So mag hier, wie oft, ein Aber- glaube heilende Wirkung ausüben. Das Zach wird also auf Sachalin noch als Amulet gegen 4) Auch das Wort mafk scheint sich allgemein auf Götzen zu beziehen. Gijaken. Götzen und Amulete in menschlicher Gestalt. 743 Krankheiten gebraucht und scheint daher die verschiedenen Götzengestalten und ähnliche Figuren, die am Amur und Liman zu ähnlichen Zwecken dienen, zu ersetzen. (2 W.R. 1. p- 6). 4. Giljaken. Der auf Tafel LINI, Fig. 4 abgebildete Götze in menschlicher Gestalt wurde mir von den Giljaken myikr genannt. Er ist in der Gestalt dadurch ausgezeichnet, dass er nur einen Arm besitzt, der andere ist absichtlich weggelassen. Welche Bewandtniss es aber mit dieser Darstellung hat, konnte ich nicht erfahren. Auch dieser Götze wird von einem Schamanen oder auf den Rath desselben, zur Abwendung von Krankheiten geschnitzt, Ich er- hielt ihn aus dem Dorfe Kuik. Im selben Dorfe fand ich unter den während des Sommers in einer Vorrathskammer zusammengestellten Habseligkeiten der Giljaken geschnitzte Götzen anderer Art, aber ebenfalls von menschlicher Gestalt. Es waren cylindrische Holzstücke, an deren einen Seite ein roh dargestelltes menschliches Gesicht sich befindet. Das obere Ende des Holzstückes ist konisch zugespitzt und trägt eine Art Mütze von schmalen Rindensträhnen, welche vorn bis zur Stirn, hinten über das ganze Holzstück hinunterhangen und das Haar vor- zustellen scheinen. Unter dem Gesichte ist das Haar durch ähnliche Rindenbändchen an das Holzstück befestigt. Taf. LIN, Fig. 2 stellt einen solchen Götzen dar. Mehrere solcher Götzen standen in einem kleinen aus Brettern gemachten, mit lockerem Grase gedeckten Häuschen, welches auf Taf. LIN, Fig. 3 dargestellt ist. Diese Götzen wurden mir von Allof-Giljaken Zybys genannt. Der Giljake Surgin aber kannte diesen Namen nicht, sondern bediente sich des Ausdrucks fyf-yzigy d. i. Hausgott. Es war zum ersten Mal, dass ich das Wort yäigy in Verbindung mit den Götzen von den Giljaken gebraucht hörte und ich glaube, dass dieses nur geschah, um mir verständlich zu sein. Ob ferner dabei unter Zyf, d. i. Haus, die Jurte der Giljaken oder das kleine Götzenhäuschen gemeint war, konnte ich ebenfalls nicht erfahren. Da jedoch diese letztere den Namen kdnigs trägt, so muss ich es auf die Jurte der Giljaken beziehen und es schienen diese Götzen daher hauptsächlich die Stelle von Laren oder Hausbe- schützern zu spielen. (Bm. I. p. 58, 59). 5. Giljaken. Im Giljaken-Dorfe Patt (am r. Amur-Ufer) sah ich draussen an einer Vor- rathskammer drei Götzen stehen, aus Holzblöcken gehauene menschliche Figuren, sehr ähnlich denjenigen der Oltscha, wenn auch nicht mit dem specifischen Ausdruck, welcher allen Götzen der letzteren eigenthümlich zu sein scheint. Auf meine Nachfrage theilten mir die Giljaken mit, dass sie diese Kägn göttlich verehren. In Patt, meinten sie, werden dieselben auch in den Jurten gehalten, bei anderen Giljaken aber nicht. Ich liess mir nun die Götzen in der Jurte zeigen: drei grosse hölzerne menschliche Figuren, mit alten rauchigen Zachs am Halse, wie das auch bei den Oltscha Sitte ist, standen hier auf dem Balkengerüste der Jurte über der hinteren Schlafbank.— Auch im Dorfe Kuik sah ich in den Jurten Götzen am selben Platze stehen, wie in Patt. Es ist das eine sehr dunkle, dem Auge verborgene Stelle der Jurte, und wer es nicht weiss, dass die Giljaken dort ihre Götzen halten, wird diese schwerlich finden. Daher mag manche Jurte Götzen enthalten haben, die mir ohne dieselben zu sein schien. Manche enthält aber wirklich keine, wie ich das in Wait angetroffen habe. — Mir scheint, dass die Götzen, 74% Die Völker des Amur-Landes. je weiter stromabwärts am Amur, desto weniger geachtet oder wenigstens offenkundig verehrt werden (1. W. R. II, p. 119, 137. Anm. 5.). 6. Giljaken. Durch €. v. Dittmar erhielt ich, in Folge seines Besuches in Tebach zum Bärenfest, eine Reihe giljakischer Götzen, die theils auf das Test selbst, wie Fig. 3, Taf. LVII, theils auf andere Dinge sich beziehen. Spätere Nachfragen über die Bedeutung derselben haben mir einen neuen Blick in die religiösen Anschauungen der Giljaken zu thun gestattet. Diese Götzen und Darstellungen verschiedener Art sind Amulete, dazu bestimmt, die verschiedenen Krankheiten von dem Menschen fern zu halten, oder wenn sie ihn befallen, wieder zu ent- fernen. Die meisten derselben sind gelenkig dargestellt und sollen eben die Ungelenkigkeit oder Krankheit bestimmter Glieder heben *). So ist namentlich die Figur 2, Taf. LV, mit gelenkigem Rumpfe, dazu bestimmt, Krankheiten des Rückens und Rumpfes zu heben, diejenige mit gelenkigen Beinen (Knieen), Fig. 4 ebenda, Krankheiten dieser Extremitäten zu heilen. Die grosse Figur mit gelenkigem Kopf, Rücken und Beinen, Fig. 1 auf derselben Tafel, der Tschaltscha-tschngai, wird, wie oben erwähnt **), bei der Geburt der Kinder gemacht und ihnen vorgehalten, damit sie durch Ansehen derselben von Krankheiten, sei es des Halses, Rumpfes oder der Extremitäten bewahrt bleiben. Der kleine Götze mit einem Ausschnitt in der Brust und mit gelenkigen Armen und Rücken, Taf. LV, Fig. 3, ist dazu bestimmt, Krankheiten der Brust, Husten und drgl. nebst Krankheiten der betreffenden Gelenke zu heben. Alle diese Götzen oder Amulete, den 7'schaltscha-tschngai nicht ausgenommen, werden zur Begütigung ihrer Macht oder zur Gewinnung ihrer Gunst, mit Beeren und anderen Dingen ge- füttert, davon die Holzstücke Spuren tragen. Um den Hals werden diese Darstellungen jedoch nicht getragen, sondern in der Jurte an die Wand gehängt. An diese Götzen schliessen sich zwei Amulete an, deren Bestimmung ähnlicher Art ist: es ist der Zal& und Kissj (Taf. LX, Fig. 1, 2). — Ersterer ist ein eiserner, an einer Stelle nicht geschlossener Reif, der um den Kopf gegen Kopfschmerzen getragen wird. Die beiden gegen- einander gekehrten Enden laufen jederseits in zwei Spitzen aus, deren eine eine Eidechse, die andere eine Schlange darstellt, wobei die gleichartigen Gestalten beider Enden alternirend gegen- einander gestellt sind. Leider ist das vorliegende Stück von vielfachem Gebrauche etwas mitge- nommen und fehlt die Eidechse an dem einen Ende. Das andere Amulet ist ein eiserner Halbring, woran Figuren von verschiedener Be- deutung, aus demselben Metall hängen, nämlich: an dem einem Ende eine rohe mensch- liche Gestalt und ein ungefähr dreieckiges Stück, das nach Aussage einiger Giljaken ein Schneehuhn darstellen soll, am andern Ende ein ebensolches vermeintliches Schneehuhn und ein Herz; in der Mitte endlich eine ungefähre menschliche Gestalt mit zwei Köpfen, welche den Kins, die böse, zerstörende Macht, also den Teufel, darstellen soll. Nach Berichten der Giljaken selbst halten sie dafür, dass die Krankheit eben nichts weiter sei, als dass der Köns am Menschen nage und ihn endlich zu Tode fresse. Das sei das Ende aller, die an Krankheiten *) 8. Taf, LIV u. LV. | #9) 5. pag. 643. Oltscha, Golde, Samagirn. Götzen in menschlicher Gestalt. 745 sterben. Kein Wunder, dass die Giljaken bei solchem Glauben den Seelen der an Krankheiten Verstorbenen das Himmelreich nicht vindiciren, sondern sie in die Erde wandern lassen, während die Seelen aller Ermordeten und sogar der Selbstmörder gen Himmel fliegen. Die Erde ist nach giljakischem Glauben der Sitz unzähliger Kins oder Teufel, die sowohl in den Wäldern und Bergen, wie im Wasser und aller Orten stecken. Die Kins werden von den Giljaken mit zwei und drei Köpfen dargestellt, vielleicht um mit diesem Plus den Menschen gegenüber ihre Uebermacht über denselben zu bezeichnen !). Die Bedeutung der vermeintlichen Schneehühner, wenn es welche sind, kenne ich nicht. Das Herz aber hat auf die Bestimmung des ganzen Halbringes Bezug. Diese ist nämlich die, gegen Krankheiten der Brust, Husten und drgl. um den Hals getragen zu werden. Der Name kissj, der mir dafür angegeben wurde, scheint jedoch von allgemeiner Bedeutung zu sein und auf jedes Amulet überhaupt sich zu beziehen (Bm. II, p. 30— 32). 7. Götzen in menschlicher Gestalt bei anderen Amurvölkern. Die hölzernen Götzen, Säwa’s, der Samagirn sind ganz ebenso gestaltet wie die der Oltscha und Golde (Taf. LIN. Fig. 6—8) und stehen auch an demselben Platze, an der von der Thür entfernten Querwand der Jurte, auf der Schlafbank in aufrechter Stellung gegen die Wand gelehnt. (1. W. R. IL p. 77.) 8. Golde. Dieselbe Sitte wie bei den Giljaken, Götzen am Halse zu tragen, besteht wahrscheinlich bei allen Amurvölkern. Fig. 1 auf Taf. LIV stellt einen solchen kleinen in Blei gearbeiteten Götzen dar, den ich vop einem Golde am Ussuri erhielt. (Bm. I, p, 58.) 9. Samagirn. In einer unbesetzten Jägerhütte der Samagirn am Gorin fand ich einen kleinen Götzen aufgehängt, welcher die menschliche Gestalt genau in derselben Weise und mit denselben Zügen wiedergab, wie die grossen Säwa’s, die man in den Jurten der Samagirn, Golde und Oltscha sieht. Die einzige Abweichung bestand darin, dass er auf dem Kopfe eine Holzöse trug, durch welche ein Riemen gesteckt war, zu dem Zwecke um den Hals getragen zu werden (Taf. LIV, Fig. 2). Wenn dieses geschieht, meinte mein Führer, werde der Säwa zugleich von dem, der ihn trägt, auch gespeist, indem der Eigenthümer ihm von allem, was er selbst isst, auch etwas um den Mund schmiere. Als ich nun fragte, was der Säwa eigentlich sei, meinte er, er sei Alles, das Wohl Jedermanns, so auch sein, des Führers körperliches Wohl, z. B. das Gesundwerden seines von einem meiner Hunde gebissenen Beines. Mehr konnte ich nicht erfragen?). Es verbindet sich offenbar mit dem Säwa der Begriff von Wohlstand und Wohlsein des Menschen unter dem Einfluss einer ausser ihm befindlichen, ihm überlegenen Macht. Diese Vorstellung mag von derjenigen der Giljaken nicht sehr verschieden sein. Ein 1) Nach Aussagen der Giljaken ist an diesen zwei- 2) Das auf p. 687 erwähnte, für ein am Gorin einem und dreiköpfigen Gestalten einer der Köpfe ein Menschen- | Jagdzelte entnommenes Moschusthier hinterlegte Stäbchen kopf. Es ist also damit dargestellt, dass der Kins den | nannte der Führer des Verf. auch Säwa (1. W. R. II, Menschen ergriffen hat. p- 84, 85.) Schrenk's Amur-Reise, Band II. 95 746 Die Völker des Amur-Landes. Umstand aber, der sehr zu Gunsten der religiösen Vorstellungen der tungusischen Amurvölker, welche sie auch seien, im Vergleich mit den Giljaken spricht, ist der, dass jene bei weitem nicht so ängstlich abergläubisch wie diese sind (1. W. R. II, p. 85, 86). Thiergötzen. 10. Giljaken. Unter den Thieren, welche als Götzen von den Giljaken in Holz dargestellt werden, spielt die erste Rolle der Bär. Die Veranlassung dazu liegt in der Gefahr, der sie im Kampfe mit diesem Raubtbier unterworfen sind, denn dem Bären wird (wie gelegentlich der Bärenfeste erwähnt worden) besonders gern nachgestellt. Den dabei zu gewärtigenden Verletzungen und Todesfällen vorzubeugen, dazu dienen die Bären-kägn’s oder Tschngai’s. Auch habe ich oben erwähnt, welche abergläubische Ansichten an den Tod eines durch einen Bären gefallenen Menschen bei den Giljaken sich knüpfen !). Selten wird man daher ein Dorf antreflen, in dessen Umgebung bei genauerer Untersuchung sich nicht einige Bärengötzen finden sollten. Es ist dieses den Giljaken und tungusischen Amur-Völkern gemeinschaftlich. Die Bärengötzen sind meist sehr roh gearbeitet. Das Thier ist gewöhnlich sitzend, bis- weilen stehend dargestellt. Der auf Tafel LVIH, Fig. 1, 2 abgebildete Götze, aus dem Dorfe Kuik herrührend, ist einer der besten, die ich gesehen habe. Er ist noch dadurch ausgezeichnet, dass um den Leib desselben ein erhabenes Band läuft, auf welchem andere den Giljaken hei- lige, oder richtiger unheimliche und verhängnissvolle Thiere dargestellt sind, (und es sind dieses die meisten Reptilien, welche das Land der Giljaken producirt): die Kröte — mipitsch°) auf der vorderen Seite des Bären-Götzen, die Eidechse mä({r)ngai auf der hinteren Seite desselben, und die Schlange kylanga, deren Bild jederseits zwischen den beiden ersteren sich befindet. Ich bin oft Zeuge davon gewesen, welche Scheu und Furcht die Giljaken vor den Reptilien haben*). Nächst dem Bären findet man bei den Giljaken Götzen vom Ait oder Märeder, an den sich bei ihnen geradezu abergläubische Furcht knüpft. Doch da in ihrer nordischen Heimath der Tiger und Irbis, welche beide unter demselben Namen Att oder Märeder vereinigt werden, nur selten sich sehen lassen und Unglücksfälle durch sie selten sind, so findet man den Götzen des Att weniger häufig als den des Bären. Die geringe Bekanntschaft der Giljaken mit diesen Raubthieren lässt sie auch die Götzen derselben nur schlecht und obenhin darstellen ®), s. Taf. LVIN. Fig. #, 5, 6. Fig. 4 stellt einen Ati-Götzen dar, den ich im Dorfe Kuik fand. Er trägt keine der Zeichnungen, welche Tiger und Irbis characterisiren und auf den Darstellungen dieser Thiere bei den Golde vorhanden sind. Nur die allgemeine Gestalt ist jenen Figuren ähnlich. 1) S. pag. 696. ken, welche auf Taf. LIX, Fig. 7, 8 abgebildet sind. 2) Ausser dieser Darstellung erhielt ich noch zwei ein- 3) S. d. Werkes Band I, p. 92—94. zelne, in Holz geschnittene Kröten-Götzen der Gilja- *) S. Anhang 20. Abs. 2. Giljaken, Oltscha. Thiergötzen. 747 Dass aber diese Figur in der That einen Att darstellen soll, ist gewiss, da ich den Götzen von einem darin erfahrenen Giljaken selbst habe. (Bm. I. p. 59. 61). 11. Giljaken. Weniger als Götze oder Amulet, denn als Schnitzwerk, als Darstellung, Tschngai überhaupt, scheint ein aus Holz geschnitzter Fisch zu dienen, der aus dem Giljaken- Dorfe Tebach herrührt. Er soll den Fisch ngy-tscho darstellen, der mir unbekannt ist. Schon früher erhielt ich aus Tebach die Figur eines anderen kleinen Fisches, des Pilengat, Cyprinus carpio, der ebenfalls keine andere Bedeutung als die von pai hatte (s. $. 672). Beide sind auf Tafel LX. Fig. %, 5 abgebildet. Später bekam ich noch einen geschnitzten Fisch aus Tebach, der den Pak(ch?)-tscho d. i. einen grossen Pilengat-tscho darstellen sollte. (Bm. II. p. 32). 12. Oltscha,. Im Dorfe Adı (am Amur) war meine erste Beschäftigung, nach einem höl- zernen Götzen zu forschen, der einen Tiger darstellen sollte und den Maximowiez auf seiner ersten Reise stromaufwärts hier gesehen hatte. Er befand sich damals im anliegenden Gehölze unter einem alten Eschenbaume. Jetzt aber fanden wir ihn dort nicht mehr. Wir erkundigten uns deshalb bei den Eingeborenen und verlangten den Götzen zu sehen, allein die Leute wollten uns durchaus nicht verstehen, und meinten endlich, dass ihnen solches Krankheiten des Leibes zuziehen würde. Erst durch Versprechen von Tabak gelang es uns, sie willig zu machen, den Götzen zu zeigen. Zunächst führten sie uns zu einem zerschlagenen Götzen des Thieres. An diesem war wenig zu sehen: er stellte das Thier in liegender Stellung dar, den Schwanz über den Rücken gelegt, und der breite kurze Kopf verrieth deutlich eine Katzenart. Alsdann gelei- tete ein Oltscha mich in’s Gehölz und zeigte mir hier einen zweiten Götzen des Thieres, den er sorgfältig in einem kleinen Verschlage von Holzstücken hielt. Dieser Götze liess den Tiger un- zweifelhaft erkennen: er war etwa zwei Fuss lang und stellte das Thier ebenfalls in der Stel- lung dar, wie es auf der Lauer zu liegen pflegt, nur dass der Schwanz auf dem Rücken ruhte. Der Kopf war kurz und breit, das Kinn ebenfalls kurz. Ueber den Rücken des Thieres war ein schwarzer Streifen gezogen, von welchem aus quer über die Seiten abwechselnd schwarze und rothe (der eine Oltscha sagte «gelbe») Streifen liefen. Diese Darstellung machte es unzweifelhaft, dass der Götze den Tiger und nicht Felis irbis darstellte, was zudem noch durch die genaue mündliche Beschreibung bestätigt wurde, die sie von dem Thiere zu geben im Stande waren. Der Götze war aber nicht von ihnen selbst, sondern vom Schamanen gemacht worden. Die Leute nannten des Thier mdre und mare-mafd. Letztere Bezeichnung, mit dem Beiworte «Alter», verräth schon eine Analogie mit der Betrachtungsweise hinsichtlich des Bären, dem dieses Bei- wort insonderheit und auch schlechthin zukommt. Denn der Bär heisst bei ihnen einfach maf& oder biiju-mafd das alte Thier, obgleich biiju auch so viel wie Elenthier heisst. Wie dem Bären so mag nun auch dem Tiger die Furcht, die er den Eingebornen einflösst, den Beinamen «Alter» zugezogen haben. Aus diesem Grunde mag sich denn an ihn auch ein ähnlicher Aber- glaube wie an den Bären knüpfen und diese Furcht veranlasst die Verfertigung von Götzen, — Bären wie Tigern. Wie vom Bären so mochten sie auch vom Tiger nicht gern sprechen, ver- mieden ihn zu nennen und zögerten den Götzen zu zeigen, aus Furcht dadurch zu Schaden und 95* 748 Die Völker des Amur-Landes. Krankheiten zu kommen. Dieses war die erste und unzweifelhafte Spur, welche ich vom Tiger im Amurlande fand. Im Gehölze, wo der Tiger-Götze sich befand, lagen auch noch andere hölzerne Götzen, — Bären und andere Thiere, wie auch Menschen darstellend, meist unter grösseren Bäumen, an den Stamm gelehnt, oder auch im Gebüsch versteckt. Viele waren bereits umgefallen oder an eine andere Stelle gerückt und lagen hier vernachlässigt unter den Füssen der Vorübergehenden. Es beweist diese Nichtachtung der Götzen durchaus, dass die Darstellung und Aufbewahrung derselben bloss durch eine abergläubische Furcht veranlasst wird und dass es nur Mittel sind, bösen Mächten zu entgehen, nicht Mittel, sich die guten Geister näher zu bringen und zu be- freunden, in welchem letzteren Falle die Götzen werth gehalten werden müssten. (1 S. R. Il. p. 2—4). 13. Oltscha. Im Oltscha-Dorfe Dshai erhielt ich einen gegen Krankheiten dienenden Götzen, der ein Phantasie-Thier mit einem grossen Herzen im Munde darstellt (Taf. LIX, Fig. 5.) — (25. R. 1. p. 35). 14. Golde. In dem Dorfe Naichi sah ich wiederum zwei Tigergötzen, genau von derselben Beschaffenheit wie die in Adı, nur nicht liegend sondern aufrecht dargestellt. Ueber den Rücken lief ebenso ein schwarzer Streifen, von welchem abwechselnd schwarze und rothe Streifen quer über die Seiten gezogen waren. Der Schwanz war lang und schwarz und roth geringelt. Die Golde nannten die Götzen ebenfalls mire-mafä. Da der Beiname mafd aber gemeinhin dem Bären zukommt, so wird letzterer zum Unterschiede auch Sahar-mafa, der schwarze Alte, ge- nannt. (1 S.R. I. p. 44). 15. Golde. Beim Dorfe Agdrai am Ussuri stand unter einer Eiche, von Holzscheiten ver- deckt, die hölzerne Figur einer grossen Katzenart aus der Gruppe der Leoparden. Ich rief so- gleich mehrere ältere Männer des Dorfes herbei, um Auskunft über das Thier, das es darstellte, zu erhalten. So roh die Darstellung war, so war das Katzengeschlecht darin nicht zu verkennen. Auch erinnerte die Gestalt des Thieres ganz an die Götzen der Tiger in Adi und Naichi. Die nur rudimentär angegebenen niedrigen Füsse deuteten auf die lauernde Stellung, die den Katzen eigenthümlich ist. Die Zeichnung des Götzen war aber von derjenigen der Tiger völlig ver- schieden: denn statt der Querstreifen bedeckten den Körper zahlreiche ringförmige Rosetten und zwar alternirend schwarze mit einem rothen Fleck und rothe mit einem schwarzen Fleck in der Mitte; diese Zeichnung erstreckte sich auch auf den Schwanz. Ueber den Rücken verlief ein schwarzer Streifen bis zur Schwanzspitze; von der Schnauze liefen schwarze und rothe Querstreifen schräg gegen den Hals herab. Die Leute meinten, dass die Darstellung des Thieres (Irbis?), das sie jerga nannten, sehr naturgetreu sei. Ich wünschte den Götzen zu zeichnen und fragte, da die Mücken im Walde sehr lästig waren, ob sie den Götzen nicht in die Jurte bringen könnten. Aber darauf gingen die Golde durchaus nicht ein, ebensowenig wie auf meine Anfrage, ob sie mir den Götzen nicht ver- kaufen wollten. Dagegen erbot sich ein Golde, mir einen ganz ähnlichen und naturgetreuen Oltscha, Golde, Manägirn. Thiergötzen. Combinirte Götzen der Giljaken. 749 Götzen des ‚Jerga aus Holz zu schneiden und zu bemalen, was er auch ausführte (Taf. LIX. Fig. 3) (1.S. R. IH. p. 29. 30). 16. Golde. In Dschuada am Ussuri erhandelte ich zwei kleine Holzgötzen vom Tiger und Ussuri-Leoparden. Ersterer ist etwas grösser als der andere, was auf die verschiedene Grösse der Thiere Bezug haben mag. Beide sind völlig derselben Gestalt wie die grossen Götzen, nur en miniature. Die Zeichnung des Irbis unterscheidet sich von dem aus Agdrai darin, dass die ring- förmigen Rosetten nicht eönen sondern mehrere Flecke einschliessen (Taf. LIX Fig. 1, 2). (Bm. I. p. 61). 17. Golde. Ich hatte bereits in Chaizo zwei noch kleinere Götzen des Tigers und Leo- parden bei einem Golde gesehen, der sie an den Aermel seines Rockes angeheftet trug, wohl als eine Art Amulet gegen einen Anfall von diesen Thieren, ähnlich wie sie auch hölzerne Menschen-Götzen um den Hals tragen. (1. S. R. II. p. 49). 18. Manägirn. Bei den Manägirn habe ich nicht selten kleine aus Holz geschnitzte Götzen bemerkt, die oft die Gestalt von phantastischen Vögeln und Drachen hatten, und die wohl zu demselben Zwecke der Fernhaltung von hösen Geistern und Krankheiten und drgl., wie bei den Völkerschaften am untern Amur, angefertigt werden. (2. S. R. II, p. 41). Aus Menschen- und Thiergestalten und anderweitig combinirte Götzen und Amulete. 19. Giljaken. Der Glaube an eine Seelenwanderung bezüglich des Bären mag mehreren bildlichen Darstellungen unter den Giljaken zu Grunde liegen, — Amuleten oder kleineren Götzenbildern, die bei Krankheiten um den Hals getragen werden. Man trifft nämlich unter ihnen Doppelgestalten von Mensch und Bär. Es ist gewöhnlich ein kleines Holzstück, das an einem Ende in zwei Theile ausläuft, wovon der eine einen menschlichen, der andere einen Bärenkopf darstellt. Ich habe solche Stücke aus Kalım und Allof erhalten. Das erstere hat ausser den beiden erwähnten Darstellungen auch an dem einfachen Ende ein menschliches Gesicht (Taf. LVII, Fig. 8), das letztere läuft hier ohne Schnitzwerk aus. An beiden aber setzt sich die Theilung der mit Menschen- und Bärenkopf bezeichneten Spitzen noch eine Strecke weit durch eine Furche fort, welche allmählig gegen das einfache Ende sich verliert. Die Giljaken er- klärten mir, dass diese Furche auch noch weiter die menschliche Hälfte von der Bärenhälfte trenne, bis sie in einander verschmölzen. (Bm. II, p. 59.) 20. Giljaken. Im Walde bei dem Dorfe Chiare unweit des Bestattungsortes der Leichen waren unter den Bäumen einige Götzen der Giljaken in derselben Weise wie immer aufge- stellt d. h. hart am Fusse eines Baumes aufrecht stehend und mit Stöcken und anderen Holz- stücken verdeckt (s. Taf. LXV links). Es war da z. B. eine Doppelgestalt vom Tiger (Att) und 750 Die Völker des Amur-Landes. Menschen, an welchem letzteren die Nase durch einen Bären dargestellt war (Taf. LXVI, Fig. 2). Ein anderer Götze trug auf einem menschlichen, mit beweglichen Armen und Beinen versehenen Rumpf einen Att-Kopf mit einem vierzinkigen Kamme darauf (Taf. LVII, Fig. 2). Endlich fand ich hier die Darstellung eines Thieres, welches an ein Krokodil oder einen Alligator erinnerte. Es war offenbar eine Amphibie und der weite Rachen dicht mit Zähnen besetzt. Die Eingebornen nannten ihn Chaz, oder als Götzen Chaz-kägn, wussten aber nichts von dem Thier, welches die Figur darstellt, indem sie weder im Wasser noch auf dem Lande ein solches Thier gesehen oder traditionell von demselben sprechen gehört hatten. Sie meinten nur, dass man diese Figur bei Rückenschmerzen mache, um von dem Uebel befreit zu werden (Taf. LIX, Kio.,9.). (22 SSR, p. 15.) 21. Giljaken. Im Dorfe Kalm erhielt ich recht viele Götzen gekauft, alle verschieden und darunter einige sehr interessante. So z. B. einen Götzen von menschlicher Gestalt mit einem Bärenkopfe (Taf. LVII, Fig. 3). Er wurde mir Ogink genannt, eine Bezeichnung, die auch andere Götzen in rein menschlicher Gestalt hatten. Ein anderer hatte einen Eulen (k)- Kopf auf menschlichem Körper (Taf. LVI, Fig. 5); bei einem dritten sass die Eule dem Menschen auf dem Kopfe (Taf. LVI, Fig. 4); mehrere menschliche Gestalten hatten Höhlungen im Rumpfe zum Einlegen von Speise bestimmt. Ein Götze bestand aus einem Klotz mit menschlichem Gesicht und einer Reihe von Zacken auf dem Scheitel, deren jede mit einem menschlichen Gesichte versehen war. Hier erhielt ich auch die Schale gekauft, in welcher die Götzen Speise vorgelegt bekommen und welche Zoll-ngir oder kägn-ngir heisst. Dann gab es hier Götzen vom Weisswal (pomi-tscho) mit einem Menschen darauf (Taf. LVI, Fig. 5), so wie vom Wolf; Amulete mit zwei Köpfen vom Bären und Raben und drgl. mehr. Im Dorfe Tschelmok standen auf einem Wandbrette in der Ecke einer Jurte viele Götzen mit Zach’s umwunden und einige mit Bärenfell bekleidet. Ich erhielt einen kleinen Tiger- götzen mit einer menschlichen Gestalt über demselben (Taf. LVII, Fig. 1), ferner ein Amulet mit drei Idolen, deren eines einen Menschen, das zweite einen Wolf und das dritte ein anderes Thier darstellte, das man mir nicht zu bezeichnen wusste. Neben den Götzen lag eine Menge von Götzenschalen, alle ungefähr von derselben Form mit Darstellungen verschiedener Art, bald mit einem menschlichen Gesichte, bald mit einer Kröte, einer Eidechse und drgl. darauf. Es waren alles Zoll-ngir’s. Nur cine Götzenschale war ganz verschieden und bestand aus zwei in Form einer 8 neben einander gestellten, aus einem Stücke Birkenrinde bestehenden Bechern, (Taf. LXI, Fig. 1). Dieses Gefäss hiess Zschobrä und hatte dieselbe Bestimmung. Kein Zureden half aber die Eigenthümerin dazu zu bringen, eine oder die andere dieser Götzenschalen zu verkaufen. Sie meinte, es sei vifsch und werde ihren Tod nach sich ziehen. Auch im Dorfe Patt wurden mir mehrere hübsch geschnittene und interessante Gölzen verkauft. An dem einen hatte der Kopf hinten die Gestalt eines Herzens, an einem andern standen zwei menschliche Gestalten auf einem Block, der zwei Herzen darstellte (Taf. LV, Fig. 5). Giljaken. Combinirte Götzen. — Der Wagn. 751 Das Herz (ngif) kommt überhaupt bei solcherlei Schnitzwerk der Giljaken sehr viel in An- wendung (s. oben 13). Unter den Götzen gab es hier noch einen mit dem Kopf eines Tung oder Seebären. Auch der Seehund wird dargestellt in Götzenform, doch erhielt ich keinen solchen (2 5. R. I p. 6—9). 22. Giljaken. Eine in Holz geschnitzte Figur, welche unweit Tschcehyrkrach an der Amur-Mündung gefunden worden war, stellt ungefähr einen fliegenden Fisch-Menschen dar. Der Kopf ist nämlich einem Fischkopfe ähnlich, mit eisernen Zähnen im Ober- und Unterkiefer. Die Augen sind durch blaue Glasperlen dargestellt. Bald hinter dem Halse setzen die vorderen und hinteren Extremitäten an. Die ersteren sind oflenbar Arme mit Händen daran, die letzteren Beine mit Füssen, ähnlich denjenigen des Menschen. Die ersteren sind nach vorn, die letzteren nach hinten ausgestreckt, ungefähr in einer Horizontalebene mit dem Kopfe, so dass die Gestalt wie im Fluge dargestellt erscheint (Taf. LXVI, Fig. 1.). C. v. Ditmar (durch dessen Vermittelung zum Theil die Figur an mich gelangte) erzählte mir, dass bei den Giljaken von Patchä eine Sage existire, welche er nicht abgeneigt war, damit in Zusammenhang zu bringen, zumal dieses Dorf und das erwähnte Cap nicht weit aus einander liegen. «Einst kehrten die Giljaken von Patchä», so erzählt die Sage, «vom Fischfang auf zwei mit Fischen beladenen Böten heim. Sie waren zu ermüdet, um die Fische sogleich auszuladen und schoben die Arbeit für den nächsten Morgen auf. Die Böte wurden nur herausgezogen und die Fische mit Birkenrinde oder drgl. bedeckt. Am nächsten Morgen, als sie an die Arbeit gehen wollten, fanden sie die Böte leer. Rundherum aber lagen zahlreiche Abfälle von Fischen, welche deutlich bewiesen, dass sich jemand dieselben hatte wohlschmecken lassen. Sie fuhren daher von Neuem auf Fischfang und kehrten wiederum mit voller Ladung zurück. Doch schoben sie das Ausladen wiederum auf und es ging ihnen wie am Tage zuvor. Zum dritten Male gingen sie auf Fischfang und brachten nochmals zwei volle Böte zurück. Nun beschlossen sie aber, in der Nacht Wache zu halten, um dem Vernichter ihrer Beute auf die Spur zu kommen. Dieses gelang und der Uebelthäter wurde gefangen. Es war eine seltsame Gestalt mit Fischkopf und menschlichen Armen und Beinen. Das Ungeheuer wurde in einen ähnlichen Bau gesetzt, wie man ihn für die Bären errichtet, und mit Fisch gefüttert. Ein Jahr lang lebte es in dieser Ge- fangenschaft, alsdann bat es die Giljaken es frei zu lassen. Diese brachten es auf ein Cap am Amur-Strome, zwischen dem Dorfe Patchä und dem Cap Tschcehyrkrach und banden es dort an einen Brunnen. Allein das Ungeheuer biss die Schnur entzwei und entkam, so dass die Giljaken, als sie wiederkehrten, es nicht mehr vorfanden». Ich forschte nun bei den Giljaken nach, was die Figur vorstelle und wozu sie diene. Einstimmig wurde die Figur Wagn genannt, und man erklärte mir, dass damit die Stelle be- zeichnet werde, auf welcher der Leichnam eines ermordeten Giljaken verbrannt war. (Bm. 1. p- 50, 51). 23. Giljaken. In der Nähe des Dorfes Patt (am rechten Amurufer) stand im Gebüsch ein Wagn, welcher einem von einem Amgunj-Nägda ermordeten Giljaken galt. Der Wagn war alt, die Augen waren ihm ausgefallen, die Extremitäten aber alle vorhanden, nur viel minder sorgfältig 752 Die Völker des Amur-Landes. gearbeitet als an dem von mir in Tschehyrkrach erworbenen Exemplar. Der Wagn reichte vom Boden mir bis an den Gürtel und war mit dem Kopf dahin gerichtet, wo der Mörder wohnte, d. h. in der Richtung nach dem Amgunj-Fluss. Ich will jedoch nicht behaupten, dass eine solche Aufstellung Regel unter den Giljaken sei. (2 S. R. I, p. 8.) 24. Oltscha. Die Oltscha schreiben den ruhig Sterbenden wie den durch Menschenhand Umgekommenen gleiches Schicksal zu, und errichten letzteren keine Wagn’s wie die Giljaken. Nach der Mittheilung des Oltscha Chossiambo liegt der Darstellung des Wagn der Vogel Koro zu Grunde, dessen Erscheinung in irgend einem Dorfe unheilvoll für dessen gesammte Bevölkerung sei. Denn wer ihn sieht, muss sterben. Ein solcher Fall hatte sich vor vielen Jahren im Dorfe Chala, gegenüber Kisi (Kidsi?) ereignet. Der Köro war hingekommen und hatte sich auf dis Spitze einer Lärche (oltsch. sissa, gilj. %oö) niedergesetzt, wo ihn die Bewohner von Chala erblickten und alle, die ihn sahen, starben und nur einige wenige entgingen dem Unheil. Seitdem zählt das ehemals grosse Dorf Chala auch nur wenige Bewohner. (2.8. R.1,p 39.) 25. Oltscha. Bei den Oltscha sah ich einen Götzen-Gürtel, einen Säwuchsa, mit ver- schiedenen Säwa’s oder Götzendarstellungen versehen, um als Amulet gegen Krankheiten um den Leib getragen zu werden (Taf. LX, Fig. 3). Auf den Gürtel von Leder waren jederseits, der Länge nach, zwei Schlangen (dshalda), auch von Leder, aufgenäht, zwischen denen in derselben Richtung je ein Fuchs, in Holz geschnitzt, befestigt war. Vorn, in der Mitte befand sich eine Kröte-von Leder und darauf eine menschliche Gestalt in Holz. Das Interessanteste am Gürtel aber war die unterhalb der Kröte und Menschengestalt angehängte Darstellung vom Khasj (Chaä der Giljaken) in Holz, dieses Phantasie-Thieres, dessen Bekanntschaft ich bei den Gil- jaken in Chiare machte und das bei den Oltscha ebenso als ein Schutzmittel gegen Krankheit geschnitzt wird. Ueberhaupt ist die grosse Uebereinstimmung der giljakischen Kägn und der Säwa’s der Oltscha sehr in die Augen fallend und lässt auf eine ähnliche Uebereinstimmung der religösen Begriffe und Vorstellungen dieser Völker schliessen (2. S. R. Ip. 32. 33). schamanen. 26. Giljaken. Bei den Giljaken ist das Schamanen viel weniger im Gebrauch als bei den tungusischen Amurvölkern, den Oltscha, Golde, Kile, und anderen, und daher sind auch die Schamanengeräthe bei ihnen weit seltener zu finden. Wie im Allgemeinen bei den Amurvölkern so findet sich auch im Einzelnen, bei den Giljaken, das Schamanenthum stromabwärts, nach dem Liman oder nach Sachalin zu immer seltener und seltener. Kaum wird man von Wassj an und am Liman irgendwo einen Schamanen und Schamanen-Utensilien antreffen. Ich habe nach vielfachen Erkundigungen danach keine gesehen oder von ihnen ge- hört. So scheint das Schamanentbum stromabwärts gezogen zu sein und seinen Ursprung tiefer landeinwärts zu haben. (Bm. I, p. 75.) Giljaken. Schamanen. 753 27. Giljaken. Im ganzen Gebiete der Amur-Giljaken giebt es nur wenige Schamanen, welche einen Ruf unter ihren Landsleuten haben. Man nannte mir als den berühmtesten unter ihnen, «einen grossen Schamanen», Sajan, weit oberhalb Nikolajewsk am Amur-Strom. Ein anderer, minder berühmter, Tschezach, ist im Dorfe Kaki, oberhalb Nikolajewsk zu Hause. Nach den Dörfern, wo es keine Schamanen giebt, werden diese im nöthigen Falle, bei Krank- heiten, Sterbefällen und drgl. herbeigeholt!). Schamanengeräthe aber, wie Trommeln und der- gleichen giebt es auch bei anderen Giljaken, so bei den Brüdern Surgin und Sogin in Kuik, obgleich sie beide keine Schamanen sind. Auch ist die Kunst zu tanzen, die Trommel zu schlagen und drgl., wie es bei dem Schamanen-Akte gebräuchlich ist, vielen anderen Giljaken bekannt und wird auch ohne Weiteres geübt, auf Begehren oder nach Wunsch, ohne dass es als Sünde betrachtet wird oder die Ausübenden gerade Schamanen seien. So soll ein Knabe im Dorfe Wait das Schamanen ebenfalls sehr gut verstehen, ohne selbst ein Schaman zu sein. Dazu ge- hört bei den Giljaken, wie mir scheint, nicht sowohl eine Kunstfertigkeit im Tanzen, Gesange und drgl., sondern die Fähigkeit gewisse Kunststücke zu machen, wie z. B. sich ein Messer scheinbar durch den Leib zu stossen und drgl. Dinge, welche sie ihren grossen Schamanen be- sonders nachrühmen. (Bm. I, p. 34, 35.) 28. Giljaken. Schamanenakt. Dass die Schlangen besonders gefürchtet werden, erfuhr ich aus einer mir durch Augenzeugen gemachten Mittheilung über die Geisterbeschwörung eines Schamanen bei den Giljaken von Petrowskoje. Der Schaman wandte sich, nach ausgeführtem Gesang und Geheul der Umstehenden, an den — Himmel, Sonne, Mond und Sterne beherrschenden Gott, (von dem er übrigens nichts mehr zu sagen wusste, als dass er in der Weise von den Aeltesten seines Volkes unterrichtet worden sei), und sprach die Beschwörungen oder Anreden an den Bären und die Schlange aus, als an die beiden, von Giljaken und Russen am meisten ge- fürchteten Thiere. Bei diesen Beschwörungen schlug er bisweilen mit einem Stäbchen, an dessen einem Ende eine Schlange, am andern ein Bär abgebildet war, auf eine trommelartig in einem Ringe ausgespannte Thierhaut. Die Umstehenden heulten und tanzten, der Schaman richtete alsdann an den Gott die Bitte um guten Fischfang, gutes Wetter, um Abfliessen des Regens in’s Meer, um günstige und ungefährliche See für Giljaken und Russen. (Bm. I, p. 9.) 29. Giljaken. Schamanenakte bei Krankheiten °). Die (unheilbringende) Kröte, ist doppelter Art, nämlich bald eine einfache, schlechtweg mipetsch genannt, bald eine doppelte, wap-mi- pitsch mit doppeltem Rumpf und Extremitäten. Die erstere hat ihren Aufenthalt auf dem Lande, die letztere dagegen im Wasser, jene wird daher auch als mif-mipitsch, diese als toll-mipitsch bezeichnet °). Beide sind gewaltig und nicht geheuer, magd, ganz besonders der Wap-mipitsch, 4) Dass die Schamanen weniger eine religiöse, als prak- | renfesten darf der Schaman zwar zugegen sein, aber nicht tische, freilich mit Aberglauben gemischte Bedeutung unter | «schamanem, s. p. 714, 722; vrgl. auch p. 563). den Giljaken haben, geht auch daraus hervor, dass sie 2) Unwirksam bei Schlangenbiss, wogegen nur die um niemals Geistliche, sondern Aerzte und Apotheker, weil | die Wunde gebundene Haut der Schlange hilft. sie Krankheiten heilen, als Schamanen bezeichnen, oder 3) Diese Nachrichten rühren zumeist von Porkuk als ihren Schamanen entsprechend ansehen. (Bei den Bä- | und ihrem Sohne Dshaman aus Kuik. Jutschin Schronck’s Amur-Reise, Band III. 96 754 Die Völker des Amur-Landes. welcher nach giljakischem Ausdruck dem Teufel gleich ist (köns ngarlatsch), woher wohl auch seine Doppelgestalt rühren mag. Ihre böse Macht äussert sich nun darin, dass sie zum schla- fenden Menschen heranschleichen und ihm durch den Mund in's Innere, in Brust und Magen kriechen, worauf der Mensch erkranken und sterben muss, wenn er nicht die gehörigen Mittel ergreift, um sich vom Mipitsch zu befreien. Das einzige Mittel aber, das ihm helfen kann, ist ein Schaman. Dieser beschwört einen Kägn (einen guten Gott), der aus dem Kranken den Mipitsch wieder entfernt. Zugleich wird dem Kranken ein vom Schamanen selbst, oder von jemand anderem auf Anordnung des Schamanen geschnitzter Mepitsch um den Hals gehängt, und muss noch fernerhin vom Kranken getragen werden, um ihn für die Zukunft zu schützen. Einem kranken Manne wird ein einfacher, einem Weibe ein doppelter Mipitsch umgehängt. Die Mipitsch sind immer aus Holz geschnitten, zumal der Wap-Mipitsch. Nur auf dem Schnauzenbande des todten Bären (s. p. 716. 720) befindet sich ein einfacher Mipitsch aus Birkenrinde. Dieser wird von Weibern, die hölzernen aber werden immer von Männern ange- fertigt, da Schnitzarbeiten aller Art nur Beschäftigung der Männer sind, während die Weiber sich auf das Ausschneiden von Arabesken und Figuren aus Zeug, und daher auch aus Birken- rinde, verstehen. Aehnlich wie von Kröte und Schlange ist auch die Anschauung der Giljaken von der Ei- dechse (mä(r)nga:), nur wird ihr eine viel geringere Macht zugeschrieben. Sie kriecht dem schlafenden Menschen angeblich in den Kopf und wird auf ähnliche Weise, wie jene, durch einen Schamanen entfernt, so wie durch das Umlegen eines eisernen Amulet-Reifs (lalz)‘) um den Kopf. Dieser Reif trägt jederseits in der Gegend der Schläfen die Darstellung einer Eidechse; nach vorn, näher zur Stirn hin befindet sich jederseits eine menschliche Gestalt, die an der einen Seite einen Mann, an der andern ein Weib bedeuten soll. Ganz vorn endlich, auf der Stirn trägt der Lalö eine Froschgestalt. Letzteres ist auffallend, da der Frosch (dhal) für nicht unheilbringend gilt, nicht maga ist. (Bm. II, p. 44—46.) 30. Giljaken. Wunderbare übernatürliche Handlungen, welche der giljakische Schaman ausführt, sind hauptsächlich die Mittel, durch die er Bewunderung und Ansehen unter seinen Landsleuten gewinnt. Jemehr diese Handlungen von dem natürlichen Laufe der Dinge ab- weichen, desto höher steigt der Ruf des Zauberers. Einen solchen geniesst z. B. der Giljake Räppun in Tebach, von dem folgendes Wunder berichtet wird. Es werden ihm die Hände auf dem Rücken durch Riemen festgebunden und die Gurgel ebenfalls durch einen Riemen zuge- sehnürt. Alsdann setzt er sich auf den Erdboden in der Jurte nieder, wo Licht und Herdfeuer ausgelöscht wird. Sobald es finster wird, stimmt er einen Gesang an, welcher nach Schamanen- weise, mit langer Dehnung, häufiger Wiederholung und Umstellung derselben Worte monoton und mit zitternd heulender Stimme ausgeführt wird. Hiernach fällt der Schaman wie todt nieder. meinte, dass der Wap-mipitsch die Begattung der Kröte | Auch nach ihm muss der Wap-mipitsch von Weibern ge- darstelle, die zumeist im Wasser stattfinde und welche | tragen werden. anzusehen bei denGiljaken für witsch gehalten werde. 4) s. Anhang 6. Giljaken. Schamanen. 755 Nun stimmen alle in der Jurte Anwesende, Männer, Weiber und Kinder, einen Gesang an, der dazu dient, einen Kägn heran zu beschwören. Während diese Beschwörung noch dauert erscheint ein Kägn, für alle unsichtbar, mit Ausnahme des Schamanen, löst ihm die Riemen an Hals und Händen und giebt ihm neues Leben. Sowie der Gesang verhallt ist, steht der Schaman wieder lebendig da. Minder gewaltig ist der Schaman Chorvin aus Tscheharbach, doch ist dieser auch nur noch ein Knabe, ein Matscherlagu-tscham. Dennoch übt er ebenfalls wunderbare Dinge aus. So setzt er sich, erzählen die Giljaken, mit auf dem Rücken festgebundenen Händen in der Jurte nieder, die Feuer sind ausgelöscht und alle Umstehenden stimmen einen Schamanengesang an, worin der Kägn angerufen wird, zu kommen und zu tanzen, und in der That komme noch während des Gesanges ein kleiner kaum nagelgrosser Kägn und tanze ihm auf den Armen. Sobald der Gesang verstummt ist, steht der Schamanenknabe entfesselt da. Jeder Schaman hat seine eigenen Gesänge; was sie bedeuten und ob sie auch bei bestimmter Gelegenheit gesungen werden, ist mir unbekannt geblieben. Soviel scheint gewiss, dass jeder Schamanengesang zur Beschwörung eines Kägn dient, der sich einfinden und Hülfe leisten soll, sei es zur Heilung von Krankheiten oder zum Enthüllen der Zukunft und drgl. m. Auch scheint es, dass nach der Vorstellung der Giljaken der Kägn seine Wirkung stets tanzend ausführt, eine Vorstellung, die mit dem Gebrauche des Tanzens von Seiten des Schamanen selbst im Zusammenhange stehen mag. In den oben erwähnten Schamanengesängen wird der Kägn ausdrücklich zum Tanzen (lärta) aufgefordert. Nie ist aber das Erscheinen und Tanzen des Kägn jemand anderem in der Jurie sichtbar, als bloss dem Schamanen und das ist eben das Zeichen und der Beweis seiner höhern Macht und übernatürlichen Gewalt. (Bm. II, p. 47, 48.) 31. Giljaken. Der Giljake Jutschin aus Patchä schilderte mir in umständlicher Weise den Vorgang einer Geisterbeschwörung, die durch die Kraft eines Schamanen geschehe. Sein Bericht stimmte mit den oben mitgetheilten Schamanenhandlungen in hohem Grade überein. Ich lasse ihn hier folgen. Es ist Nacht und dunkel in der Jurte. Auf dem Erdboden, mitten in der Jurte, wo der Hundetisch weggeräumt worden ist, liegt ein Schaman, mit auf dem Rücken gebundenen Armen, an der Kehle eine Schlinge von Riemen, deren beide Enden zwei Giljaken weit auseinander und entfernt vom Schamanen sitzend, festhalten. Alles ist lautlos in der Jurte, bis der Schaman das Wort {fwyssj ausruft, worauf ein Lärm in der Jurte entsteht wie von tanzenden Hölzern — er rührt von einem oder mehreren Kägn’s her, die sich in der Jurte eingefunden haben. Alsbald reden die umsitzenden Giljaken den Kägn an, indem sie ihm verschiedene Fragen bezüglich seines Erscheinens vorlegen: ob er nämlich Beeren, oder Elenfett, oder eine Wurzel und drgl. brauche, oder ob er nur so gekommen sei? u. drgl. m. Der Kägn giebt auf eine jede Frage eine Antwort in bejahender oder verneinender, oder ausweichender Weise, was er durch ver- schiedene Arten des Lärmens ausdrückt. Folgt nämlich auf die Frage ein einfaches Hämmern, so ist die Antwort bejahend, folgt ein blosses Schaben, so ist sie verneinend, folgt endlich ein einmaliges Hämmern und darauf ein Schaben, so heisst das so viel wie «ich weiss nich». 96* 756 Die Völker des Amur-Landes. Nun nähern sich die Kägn unter stetem Geräusch dem gebunden liegenden Schamanen und tanzen lärmend auf ihm umher. Der Schaman haucht, allen hörbar, seinen Geist aus. Ist er todt, so stimmen alle in der Jurte sitzenden Giljaken den Beschwörungssang des Kägn an; lebt er aber, so singt nur einer von den Giljaken, zu dessen Wohl der Kägn befragt wird. Dieses geschieht, indem man ihn fragt: «Soll dieser (der betreffende Name) singen? soll jener NN. singen» u. s. w. bis die Antwort bejahend lautet. Der Gesang, den die Giljaken nach dem Tode des Schamanen anstimmen, lautet soviel wie: «Mache bald lebendig, komme bald, warum zögern? komme bald, tanze bald!» Durch diesen Gesang bewogen tanzen die Kägn lärmend wieder von dem Schamanen hinunter. Man hört ihn wiederum tief aufseufzen, — diesmal von Neuem Geist einathmend — und nun steht er von allen Banden entfesselt und wieder lebendig da. Mit den Worten: käutschek via, käutschek via!) die er jedem Kägn zuruft, bannt der Schaman nun alle Kägn wieder von dannen, es wird still in der Jurte, die Schamanenhandlung ist zu Ende und es dürfen die Feuer in den Herden wieder aufgeblasen werden. (Bm. II, p. 55 und 57.) 32. Giljaken. Im Dorfe Tyk auf Sachalin erzählte man mir, dass es bei den Giljaken auf Sachalin ebenfalls Schamanen gäbe; auch sollen sie dieselben Werkzeuge ihrer Kunst, wie die auf dem Continent, Trommel (kassj), Schamanengürtel (oltsch. jangpa) u. s. w. haben (Taf. LXI, Fig. 2, 4.) (2. W. R. I, p. 10). Das grosse, aus wenigstens 10 Jurten bestehende Dorf Tschai-wo, an der Ostküste, sollte einen bei den Giljaken berühmten Schamanen besitzen. (2. W. R. II, p. 7.) 33. Samagirn. Im Dorfe Ngägha hörte ich am Abend Trommelschall. Ich erfuhr, dass in der Nachbarjurte die Schamanentrommel gerührt werde und begab mich sogleich dahin. In der Jurte war kein Licht, auch in den beiden Herden waren nur glimmende Kohlen vor- handen, vor welchen Weiber und Kinder kauerten. Aus einem entfernten finstern Winkel des weiten dunklen Raumes erschallten, von einem melancholischen einförmigen Gesang begleitet, die dumpfen Töne der Trommel, welche bisweilen so gewaltig waren, dass die ganze Jurte er- dröhnte. Ich setzte mich, von meinem Führer begleitet, auf eine der Schlafbänke nieder und hörte einige Zeit der unheimlichen Musik zu. Als ich fragte, warum kein Feuer in der Jurte sei, erfuhr ich, dass die Schamanentöne einem kranken Weibe in der Jurte galten und dass da- bei kein Feuer sein dürfe. In der That, als nach einiger Zeit in den Herden die Flammen angeblasen und die Nachtlampen in der Jurte angezündet wurden, verstummten Trommel- töne und Gesang augenblicklich. Ich näherte mich nun dem Schamanen, der auf einer der Schlaf- bänke sass. Neben ihm lag das kranke Weib, ein Kohlenbecken (jachalacco) mit verglommenen Kohlen zu ihrer Seite. Er wies auf die Kranke und gab mir zu verstehen, dass das Schamanen- getöne ihr gegolten habe. Ich besah mir nun die Werkzeuge der grässlichen Musik ge- nauer. Die Trommel (tngtschu der Kile u. a. tungus. Amur-Völker) bestand aus einem unre- gelmässigen, an den Enden spitzeren ovalen Reif von Holz, in welchem eine Membran von Reh-Blase ausgespannt war. Ein Kreuzband an der inneren Fläche der Trommel diente zum *) Vielleicht kaundira = aus! vird = lasst uns gehen! n. d. gilj. Wörterverzeichniss v. Dr. W. Grube. Giljaken, Samagirn, Oltscha. Schamanen. 757 Halten derselben, während sie mit einem Hundefusse, oder einem mit dem Felle eines Hunde- fusses überzogenen Stabe (gesse) geschlagen wurde). Leider konnte ich, aus Mangel an Sprach- kenntniss, mich auch nicht über den Inhalt des Schamanengesanges unterrichten lassen, (1. W. R. II, p. 77, 78.) 34. Oltscha. Während ich im Dorfe Yrri in einer Jurte am Abend Thee trank sah ich die Leute zwei Schamanentrommeln und anderes Zubehör hervorkramen und wie es schien zum Gebrauche zurechtlegen. Ich äusserte nun den Wunsch den Akt anzusehen und es wurde so- gleich an die Vorbereitungen dazu geschritten. Zunächst wurden die Schamanentrommeln vor dem Herde gelinde erwärmt, um ihnen die gehörige Spannung und einen jauten Ton zu geben. Sie waren auch hier von Rehleder °) gemacht, doch wird ausser diesem auch das Leder von Elen, Hirsch und Rennthier, also von allen Cervus-Arten zu Schamanentrommeln, wenn sie gut sein sollen, benutzt. Während die Trommeln gestimmt wurden, machte sich auch der Schaman in seiner Kleidung bereit. Er zog seinen langen Oberrock aus und band sich die giljakische soge- nannte Kossjkha°®) vor. Um den Kopf legte er ein Band von Hobelspänen, an welchem nach hinten ein Bündel von Hobelspänen (Holzlocken) gleich einem Zopfe über den Rücken hing, die sogenannte Giasadd. Alsdann band er sich den Schamanengürtel vor, welcher an einem Riemen eine Menge eiserner Blätter, messingener Ringe u. drgl. metallener Stücke hat, die dazu dienen, während des Tanzes des Schamanen ein lautes Geklapper und Gerassel zu geben. Der ganze Gürtel heisst in der Sprache der Oltscha jangpa und trägt folgende metallene Anhängsel: einen grossen messingenen Kreis mit einer kleinen Oese und einigem Relief auf der Oberfläche, welcher einen mandshurischen Ursprung verräth. Dieser Kreis ist das sogenannte 7ol£, das grösste Stück unter den Klappern des Gürtels. Ferner einige eiserne Stücke in Form eines Feuer- stahls (jasso) der mandshu- und tungusischen Völker, dann zahlreiche eiserne Platten von unregelmässiger Form, die sogen. Kyöre, welche den grössten Theil der Klappern ausmachen; dann einige zusammengerollte eiserne Platten, die sogen. Kongorö, und endlich eine Art kleiner Glocken von Messing, aber ohne Zunge, Kongokto (Glocke). Alle diese Stücke hängen in einem Haufen dicht beisammen und kommen, wenn der Gürtel umgeschnallt ist, an diesem nach hinten zu liegen. Der Gürtel hat ein bedeutendes Gewicht *). Als der Schaman ihn umgebunden, setzte er sich auf die Bank, die Trommel wurde ihm gereicht und auf den Erdboden vor ihm eine eiserne Platte mit glühenden Kohlen gesetzt, über welche das trockene Kraut von Ledum palustre (olsch. siankurd) gelegt wurde. Dieses verbreitete sogleich einen stark riechenden und gewiss auch betäubend wirkenden Rauch in der Jurte, worauf der Schaman, inzwischen gegen den aufsteigenden Qualm sich bückend, in leisen und gezogenen Tönen einen melancholischen Gesang gegen den Rand der 4) Vrgl. Taf. LXI, Fig. 4. keine andere so zutreffende Schilderung sich findet. Es 2) oder -Blase (?) s. Anhang 33. bezieht sich die Zeichnung also wohl auf die Oltscha, 3) Schurzrock s. p. 392. wenn sie nicht etwa nur die schematische Wiedergabe *) Vergl. Taf. LXI, 4, wo die dargestellte Scene als gi- | eines giljakischen Schamanenakts sein soll. ljakisch bezeichnet ist, obgleich in den Aufzeichnungen 758 Die Völker des Amur-Landes. senkrecht aufwärts gehaltenen Trommel anstimmte, den er bisweilen mit bald schwächeren, bald stärkeren Schlägen gegen die Trommel begleitete. Allmählig aber wurden die Töne lauter, die Trommelschläge kräftiger. Der Schaman stand auf und begann seinen Gesang auch noch mit dem Geklapper des Jangpd zu begleiten. Dieses geschieht durch Hin- und Herbewegung der Hüften, ebenfalls in einem gewissen Rhythmus mit dem Gesange und dem Trommelgewirbel. Das Kohlenbecken mit der Siankurd wurde nun entfernt, der Schaman stand mitten in der Jurte, mit dem Gesichte gegen die Thür, mit dem Rücken gegen die Umsitzenden gewendet. Bisweilen aber drehte er sich, indem er das Geklapper des Jangpd steigerte, auch gegen die Umsitzenden um, dabei die Füsse ebenfalls gewissermassen rythmisch, jedoch immer nur lang- sam bewegend. Es war kein eigentlicher Tanz, sondern nur eine gesteigerte Bewegung der Hüften, mit einer langsamen rythmischen Umwendung des ganzen Körpers verbunden. Dabei hielt er die Trommel hoch empor und richtete sie gegen alle Seiten der Jurte. Die Töne, die er auf der Trommel hervorrief, waren ebenfalls sehr mannigfaltig, bald leise wirbelnd, bald durch- dringend laut, so dass die kleine Jurte erdröhnte. Um diese Töne hervorzurufen, musste er mit der Hand sehr verschiedene Bewegungen machen, aber stets lag in denselben auch etwas Ryth- misches, wie in den Umdrehungen des Körpers und den Bewegungen der Füsse. Mit dem hef- tigeren Geklapper des Jangpad und dem lauteren Trommelgewirbel wurde der Gesang selbst schwächer und verstummte endlich ganz, nur die Musik und der Tanz dauerten lange Zeit in unheimlich aufregender, zugleich ermüdender Weise fort. Oft wurde die Trommel gewechselt, die herabgespannte inzwischen von einem der Umsitzenden durch langsame Umdrehungen vor dem Feuer wieder von Neuem gestimmt. Auch wurde dem Schamanen dazwischen ein Schluck Wasser und einmal auch ein kleiner Bissen, vermuthlich von Fisch gereicht. Endlich brach er, scheinbar stark erschöpft ab und setzte sich auf die Bank nieder, sogleich sich eine Pfeife bereitend. Allein nach kurzer Rast begannen Musik und Tanz von Neuem. Der Schaman stand auf und schien die frühere Weise fortsetzen zu wollen. Dann gab er ein Zeichen gegen eins der um- sitzenden Weiber. Dieses bekam nun sogleich eine Art grossen Kranzes und zugleich eine ziemlich hohe Krone von Stroh auf den Kopf und ein Band von Holz mit lang herabhängenden Zipfeln um den Hals. Es wurde der Fellsack, in dem die Trommeln aufbewahrt werden, auf den Erdboden in der Mitte der Jurte ausgebreitet. Das Weib setzte sich darauf nieder und der Schaman begann um dasselbe einen langsamen Tanz, von Trommel und Jangp& begleitet. Als- dann, auf ein Zeichen des Schamanen, wurde die Flamme in den Herden ausgelöscht, ich musste meine Kerze ebenfalls ausblasen und es wurde in der Jurte nun völlig dunkel. Der Schaman stand im Rücken des Weibes und setzte seine Musik einige Zeit fort. Alsdann aber bemerkte ich, dass die Trommel von einem der Umsitzenden geschlagen wurde, ein Umstand, der ver- bunden mit der Sitte der durchaus erforderlichen Finsterniss, mich vermuthen lässt, dass beim Schamanenacte die Sinnlichkeit stark im Spiele sein müsse. Endlich nahm der Schaman selbst die Trommel wieder in die Hand, die Flammen in den Herden wurden wieder aufgeblasen und auch mein Licht wieder angezündet. Das Weib sass wie zuvor, aber Kranz und Hals- schmuck fehlten und einige Stücke davon lagen zerrissen auf dem Erdboden. Der Schaman be- Oltscha. Schamanen. 759 rührte mehrmals, die Hand rythmisch und wie in Kreisen bewegend, den Kopf des Weibes, worauf dieses aufstand und die Decke entfernt wurde. Nun stimmte der Schaman noch einen langen Gesang an, welcher aus regelmässig langen Strophen zu bestehen schien, deren jede in derselben Weise von Trommel und Jangpd begleitet wurde. In bestimmten Zwischenräumen sang er die Töne gegen den Rand der senkrecht gehaltenen und eben erschütterten Trommel, welche lebhaft vibrirend resonirte und dem Gesang einen ganz eigenthümlichen Klang gab, als käme er in doppelter Weise und von verschiedenen Orten her. Dieser Gesang dauerte noch lange Zeit fort und mehrmals wurde die Trommel gewechselt, bis der Schaman endlich erschöpft abbrach. Gewiss enthielt dieser letzte Gesang den wesentlichen Inhalt des Schamanenactes. Leider konnte ich ihn aber nicht verstehen und auch mein Führer konnte mir nur sagen, dass die ganze Ceremonie mit dem Weibe so viel wie Säwa') sei. (1. W. R. II p. 94—97.). 35. Oltscha. Im Dorfe Mongol& ertönte der Schall einer Schamanentrommel aus einer der Jurten. Ein Schaman sass hier auf der Bank neben einem schlafenden Kranken und diesem galten Getrommel und Gesang. Da ich die Worte nicht verstand, so kam mir beides genau so vor, wie ich es bei den Samagirn in Ngägha gesehen und gehört hatte?). Bis zum späten Abend war in Intervallen der dumpfe Schall der Schamaneninstrumente im Dorfe zu vernehmen, (T. 1. W. R. II. p. 113 und 114.). 36. Oltscha. In einer Giljaken-Jurte des Dorfes Kalm°) gab es ein krankes Kind. Das Oltscha-Weib, das auf dem uns begleitenden Oltscha-Boote sich befand erbot sich für drei Bündel Tabak es durch Schamanen zu kuriren. Alsbald ertönten die Schamanenlaute in der Weise, wie ich siein Mongole und Ngägha bei Krankenkuren gehört und beschrieben habe, nur dass sie hier von einen Weibe hervorgerufen wurden. Nach einem einleitenden Gesange unter Begleitung der Trommel nahm die Schamanende einige Hobelspäne (säwa) und ein Läppchen und strich mit denselben über das nackte, im Schoosse der Mutter liegende Kind, in der Art des Magnetisirens, fort, indem sie zugleich gegen den Rand der resonirenden Trommel sang. Als dieses geschehen beschloss sie durch einen Gesang und Trommelschlagen die Kur, worauf das Kind wieder in die Wiege gelegt wurde. (1. S. R. Ip. 7.). 37. Oltscha. In das Land Bun, das Jenseits der Oltscha, vermögen sich nur die «guten, wirklichen» Schamanen zu begeben, deren es nur wenige giebt, nicht die «kleinen oder schlechten» Schamanen, deren man in jedem Dorfe welche findet *). Diese können nur die Schamanengesänge und Tänze ausführen, aber in das Land Bun reisen können sie nicht. Sie sind daher auch keine eigentlichen Schamanen, sondern nur solde nei d. i. gewöhnliche Menschen. Wirkliche Schamanen, die das Land Bun besuchen, zählen die Oltscha gegenwärtig nur fünf: zwei derselben wohnen am See Udyl, einer am Amgunj und zwei am Gorin, — sonderbarer Weise alle an den Neben- zweigen des Amur und keiner am grossen Strome selbst. (2. S. R. I. 37.). 4) S. Anhang 9. | 3) Am r. Ufer d. Amur, 2) S. Anhang 31. 4) S. Anhang 27. 760 Die Völker des Amur-Landes. 38. Golde. Während wir uns mit Beobachtungen und Sammeln am Cap Auwa”) be- schäftigten, ging ein kleines stark bepacktes Golde-Boot an uns vorüber. Zwei Weiber sassen in demselben und ein alter Mann zog es an einer Leine fort. Es hielt in Auwa und wir er- fuhren, dass auf demselben eine Leiche sei. Bei seiner Ankunft in Auwa war ein allgemeines Klagegeschrei und Geheul von den Bewohnern des dort belegenen Dauro ***) erhoben worden, eine Condolation, in welche auch ein Chinese einstimmte, der von seiner nahen Wohnung, ebenfalls Auwa genannt, herüber gekommen war. Es war die Leiche des Mannes von einem der auf dem Boote befindlichen Weiber. Dieses hatte zur Trauer ihr langes Haar geschoren und den Kopf verbunden. Die Leute schlugen ihr Zelt vor dem Dauro auf, um zu übernachten. Als es Abend wurde, brannte ein Feuer vor ihrem Zelte und die Schamanentrommeln wurden davor gespannt. Das Schamanen wurde von einem Weibe (jedoch nicht der Wittwe des Verstorbenen) in übli- cher Weise ausgeführt. Der Mond kam hinter einer dunkeln Wolke hervor. Sein blasses Licht fiel auf die hässliche Geisterbeschwörerin, welche singend vor dem loderndem Feuer ihre grosse Trommel schwang und tanzend den klirrenden Schamanengürtel bewegte. Die Wittwe aber und die Golde aus dem Dauro sassen und standen um’s Eeuer und hörten dem Gesange und den unheimlichen Tönen der Trommel und des Gürtels schweigend zu. Das Schamanen galt offenbar der Leiche und dauerte bis zum späten Abend, um sich beim Sonnenaufgang zu wiederholen, worauf das Zelt abgebrochen wurde und das Boot mit der Leiche sich zur Weiterreise in Be- wegung setzte. Wahrscheinlich hatte der Tod des Mannes eine bestandene Wirthschaft aufgelöst und das Weib suchte sich eine Heimath stromaufwärts (1. S. R. III p. 34). 39. Golde. Der Storch hat keine andere Verwendung bei den Golde, als dass sein Fleisch von den Schamanen gegessen wird. (1. S. R. IV. p. 14). Anmerkung. Ueber die Schamanen der Manägirn hat der Verf. ausser ihrem Vor- handensein nichts ermitteln können. (2. S. R. IN. p, 41). 40. Dauren. Im Dorfe Chormoldin am oberen Amur zeigte man mir die bei den Dauren üblichen Schamanenutensilien. Es war eine aus Pappe gemachte, mit menschlichen Gesichtern auf jeder ihrer Zacken bemalte Krone ”***) und ein Mantel aus rothem Zeuge, an dem in mehrfachen Reihen grosse Messingplatten und kleinere Metallstücke hingen, was dem Mantel ein ungeheures Gewicht gab. Man musste den Schamanen bedauern, der unter solcher Last seine Tanzbewegungen zu machen hatte. Der Wirth und Eigenthümer des Mantels gab an, selbst Schaman zu sein, und Krankheiten wegzaubern zu können. Nach seiner Angabe sollten auch die Mandshu dergleichen Schamanengebräuche üben. Bei beiden aber findet man daneben die kleinen Tempelchen in den Gemüsegärten, welche buddhistisch zu sein scheinen. (2 S. R. II, p. 57). *) Auf der Karte — Aua, am r. Ussuri-Ufer. =) Vielleicht derbuddhist. Priesterkrone nachgebildet, »*) Sommerzelt der Goldes. p. 372; in den Reisetage- | ebenso wie bei den gekrönlen G iljaken-Götzen, s. Anh. büchern des Verf. findet sich aber auch der Ausdruck | 20 und 21. Einige ähnliche Götzen, jedoch mit aufrecht «Dauro von (so viel) Zelten», es ist also darunter auch | stehenden Thierfiguren auf den Köpfen, besitzt das akad. eine Sommercolonie zu verstehen. | Museum von den Oroken auf Sachalin. Golde, Dauren, Mandshu — Schamamen. Giljaken — das Jenseits. 761 41. Mandshu. Im Dorfe Torell vernahmen wir die wohlbekannten, lange nicht gehörten Töne einer Schamanentrommel, die uns hier ziemlich unerwartet kamen, da Torell von Mandshu bewohnt ist, die wir für Buddhisten zu halten geneigt waren. Hier lag aber der Beweis vor, dass Schamanenglaube, wenn nicht ausschliesslich, so doch mit dem Buddhismus untermischt bei den Mandshu im Gange ist. (2. S. R. II, p. 59). I. Vorstellungen der Amur-Völker vom Leben nach dem Tode und dementsprechende Behandlung der Todten. Schicksal der Seelen nach dem Tode. 42. Giljaken. Die (Amur-) Giljaken sind (nach dem Bericht Surgin’s) der Ansicht, dass die Seele jedes Ermordeten, den Selbstmörder nicht ausgenommen, gen Himmel fliege, während die natürlich Verstorbenen in die Erde oder unter die Erde wandern. Dieses Auflliegen gen Himmel wird nun höchst wahrscheinlich durch die fliegende Gestalt des Wagn dargestellt, welcher einem fliegenden Menschen mit eigenthümlichem Vogel- oder Fischkopf ähnlich ist. (Bm. I, p. 53.) 43. Giljaken. Der (Amur-) Giljake Jutschin dietirte mir in die Feder ein interessantes Lied, zu dem ich durch weitere Fragen einen theilweise höchst belehrenden Commentar erhielt. Das Lied wurde von dem Giljaken Orkin aus Magho seinem Weibe Rschyvguk aus Wair gesungen, das er sich geraubt hatte*). Orkin war zu meiner Zeit noch am Leben, das Weib “ aber schon todt. Der Hauptinhalt des Liedes scheint sich auf ein «Dorf Mlygh-wo» zu beziehen, und ich erkundigte mich daher, was es für ein Dorf sei und wo es liege? Ich erfuhr nun, dass es der Ort im Innern der Erde sei, wohin die Seelen aller an Krankheiten Verstorbenen wandern, während diejenigen der Ermordeten **) gen Himmel fliegen. Bei der Menge der «ruhig» oder an Krankheiten hinsterbenden Menschen, meinte mein Berichterstatter, müsste Mlygh-wo ein grosses Dorf sein; aber mehr als das wusste er darüber auch nicht zu sagen. Zur raschen und glücklichen Wanderung dahin dienen denn auch die verschiedenen über der Asche der Ver- storbenen niedergelegten Dinge, wie die Adler-Schwingen, Nahrungsvorräthe u. s. w.*”**). Auf meine weitere Frage, was mit der Seele des von einem Bären Getödteten geschehe, lautete die überraschende Antwort: Eine solche Seele nehme selbst die Bärengestalt an und wandere in den Wald und in’s Gebirge. *)S. d. giljakischen Text im Anhang zum III. Bd. **) Nach anderer Mittheilung auch die Seelen der Selbst- dieses Werkes: «Linguistische Ergebnisse, bearbeitet von | mörder (s. Anhang 42). Dr. W. Grube» p. 41. tk) 5, Anhang 47, 53. Schrenck's Amur-Reise, Band III. 97 762 Die Völker des Amur-Landes. Es ist das unzweifelhaft bei den Giljaken (ebenso wie bei den Oltscha *) die Vorstellung von einer Seelenwanderung, denn sie legen den Körper des vom Bären Getödteten in ein be- sonderes Leichenhäuschen (tschehyf-ngych) nieder und bringen ihm Beeren, Fischvorräthe und drgl. zu”“*). Dennoch soll der Getödtete selbst, d. i. also seine Seele, in Bärengestalt, mit Fell und Haaren u. s. w. in den Wald ziehen. Nur die Schwierigkeit, bei mangelhafter Sprachkenntniss sich mit einem zur Abstraetion wenig geneigten Naturvolke über abstracte Begriffe zu verständigen, hat mich bisher den gilja- kischen Ausdruck für «Seele» nicht kennen lernen lassen. Die erwähnten Anschauungen aber über die Folgen des Todes unter den Giljaken stellen es ausser Zweifel, dass sie den Begriff’ der Seele, als geistiger, dem Menschen innewohnender Macht kennen. Die erwähnte Vorstellung von der Metempsychose des vom Bären Getödteten erklärt auch wiederum einigermassen, warum seiner Leiche Nahrungsvorräthe zugebracht werden. Seine Seele wandert eben noch auf Erden umher, während die Seele des von Menschen Ermordeten zum Himmel geflogen ist und also keiner irdischen Nahrung mehr bedarf. Diese Vorstellung mag ferner auch theilweise Veran- lassung zur Heilighaltung, Verehrung und oft sehr anthropomorphischer Behandlung des Bären von den Giljaken sein. (Bm. II, 57—59.) 44. Giljaken. Die Seele eines im Strome oder im Meere Ertrunkenen kommt (nach Jutschin’s Bericht) bei den Giljaken, ebenso wie bei den Oltscha ***) weder in den Himmel noch nach Mlygh-wo, sondern fährt in einen Seehund und zwar in einen Kighitsch oder Pyghi-langr d. i. eine erwachsene Phoca vitulina oder nautica. Auch an den Fang eines Seehundes schliesst sich daher manches Uitsch. So muss man z.B. immer, wenn man einen Seehund gefangen hat, ihm vor allem Gebrauche mit dem Messer einen Schnitt durch jedes Auge machen, so dass die Augenflüssigkeit auslaufen kann. Diese fängt man mit der hohlen Hand auf und wirft sie in den Strom zurück. Alsdann erst kann der Seehund nach Bedarf verwendet werden 7). Wie die Vorstellung der Giljaken von dem Himmel (tlö) ist, wohin die Seelen der Er- mordeten sich begeben sollen, ist schwer zu sagen. Auf meine Frage, ob diese Seelen auf einen der Sterne, die ja auch Erden seien, sich begeben, erhielt ich zur Antwort, dass sie auch über diese hinaus, kikr d.i. «landeinwärts» von den Sternen zögen ff). (Bm. II, p, 62, 63.) 45. Oltscha. Von Chossiambo erfuhr ich über die Ansichten der Oltscha in Bezug auf das Schicksal der Sterbenden und die Metempsychose in Wasserthiere und Bären Folgendes: Stirbt ein Oltscha «ruhigen» Todes oder gewaltsam durch Erniordung, so ist er nach dem Lande Bun gewandert. Wo dieses Land liege, ob stromauf- oder -abwärts, wusste Chossiambo nicht zu sagen und fand meine Frage eigenthümlich, da er dort nicht gewesen sei. Dass es aber in der Erde liege, negirte er ausdrücklich; es scheint daher diese Vorstellung von dem Mlygh-wo der Giljaken verschieden zu sein. Auch wusste Choss. viel mehr vom Lande Bun als die *) s. Anhang 45. p. 764. 7) s. p. 546. *) s. Anhang 57. p. 771. jr) also über sie hinaus; s. die Sternenbewohner p. 679. **) s, Anhang 45. p. 764. Giljaken — Seelenwanderung. Oltscha — das Jenseits. 763 Giljaken von ihrem Mlygh-wo zu sagen. Es ist, meinte er, völlig ebenso beschaffen, wie dieses Land (die Erde), mit Sonne, Mond und Sternen, einem Mangu (Amur-Strom), mit Bergen und mit allen Thieren und Pflanzen, die es hier giebt, mit verschiedenen Völkern und Familien, die ihren Beschäftigungen dort wie hier nachgehen. Alles jedoch mit dem Unterschiede, dass, wenn hier Sommer ist, dort Schnee und Eis liegt und man in dem Bun-Lande mit Hunden fährt, und umgekehrt, und ebenso wenn es hier Tag dort Nacht ist und man alsdann dort schläft. Auch steht das Schicksal der Bun-Bewohner mit der hiesigen Menschheit in Wechselbeziehung: fangen sie dort in einem Jahre viel Fisch und schlagen sie viele Bären todt, so werden zur selben Zeit hier nur wenige Fische gefangen und Bären getödtet, und umgekehrt. Auf der Kennt- niss dieser Verhältnisse beruhen nun auch die Prophezeiungen der Schamanen, welche die Macht haben, sich willkürlich nach dem Lande Bun zu begeben und wieder in's Diesseits zurückzukehren, was einem gewöhnlichen Sterblichen nicht gegeben ist, der, einmal nach dem Lande Bun gewandert, als Mensch niemals mehr auf diese Erde wiederkehrt. Zur Wanderung in’s Bun-Land ist eine gewisse Zeit nöthig. Choss. meinte, dass man bei langsamer Wanderung 9 Mal, bei rascher nur 5 Mal zu übernachten habe, in 4 Nacht- lagern es aber nicht erreiche. Es ist hier eine Zeitbestimmung um so sonderbarer als die Raumbestimmung für das Bun-Land fehlt, nach der ich vorhin gefragt. Den Mittheilungen der in’s Bun-Land sich begebenden Schamanen verdanken denn auch wohl die Oltscha das Meiste ihrer Vorstellungen vom Jenseits, worüber ich noch Folgendes erfuhr: Wie auf dieser Erde so halten auch im Bun-Lande die Glieder eines Volkes, und ebenso einer Familie zusammen und Jeder tritt nach seinem Tode an den ihm gebührenden Platz in seiner Familie ein. Die Völker im Bun-Lande leben in derselben Weise fort wie hier. Wie die hiesigen Erdenbewohner sind endlich auch die Bewohner des Bun-Lands (Buntschi-nei) sterblich und es triflt sie ein theilweise den Erdenbewohnern ähnliches, theilweise besonderes Schicksal. Stirbt nämlich ein Buntschi-nei «ruhig» oder gewaltsam, durch Mord, so verwandelt er sich in ein Kraut, ein Gras, oder einen Baum, dieser unserer Erde. Dies ist also die Form, in der ein gewöhnlicher Sterblicher aus dem Bun-Land® auf die Erde zurückkehrt. Die Verwandlung der sterbenden Bun-Bewohner in verschiedene Pflanzen auf der Erde betheuerten Choss. und ein anwesender Dyra-Golde ausdrücklich. Dabei soll auch keine Unterscheidung nach Alter und Geschlecht für die verschiedenen Pflanzenarten stattfinden, so dass ein Kind ebenso gut wie ein Erwachsener, ein Mann so gut wie ein Weib, in einen Baum oder in ein niederes Gras sich ver- wandeln könne. Wohl aber besteht ein grosser Unterschied nach dem bessern oder schlechtern Charakter der sterbenden Bun-Bewohner. Haben nämlich die Oltscha von einem gefällten Baum ein Stück des Stammes abgehauen und spalten dieses längs der Mitte, und es fallen die beiden Hälften gerade und in gleicher Grösse auseinander, dann sagen sie, es sei ein guter Mensch gewesen, fallen dagegen die Hälften uneben und krumm auseinander, dann heisst es so viel wie: war vordem schon ein krauser Mensch! Anders ergeht es den ertrunkenen oder von Bären zerrissenen Bun-Bewohnern. Diese erleiden nämlich dasselbe Schicksal dort wie die ähnlichen Todes verstorbenen Erdenbewohner 97*+ 764 Die Völker des Amur-Landes. hier. Denn auch im Bun-Lande giebt es, wie auf der Erde, einen Amba (gilj. kins — Teufel), der in tausendfältiger Gestalt Wald, Berge und Gewässer bewohnt und die Menschen zu er- greifen und zu fressen sucht. Ertrinkt daher ein Bun-Bewohner, so hat ihn der Wasser-Amba (toll-kins der Giljaken) gefressen und er verwandelt sich in einen Seehund, einen Fisch oder ein anderes Wasserthier. Zerreisst ihn ein Bär, so hat ihn der Wald-Amba (pall-kins der Giljaken) geholt und er wandert als Bär in den Wald. (2 S. R. I, p. 36—39.) Leichenbegängniss und Trauer. 46. Giljaken. Einer der Bewohner von Kuik wurde schwer krank in's Hospital von Nikola- jewsk gebracht. Die Giljaken jedoch litten sein Verbleiben daselbst nicht, indem sie es für witsch hielten und brachten ihn wieder in’s Dorf, wo er im November 1854 verstarb. Obgleich sie mich noch bei dessen Lebzeiten zu seiner Verbrennung einluden, so geschah diese doch ohne dass sie Meldung davon gaben (drei Tage nach dem Tode), bei starker Purga (Bm. I. p. 18,19). 47, Giljaken. Dem Todten, der in der Jurte liegt, wird alles Mögliche an Nahrung zur Seite gelegt, ja auch nach Verbrennung der Leiche werden der Asche derselben noch allerhand Esswaren und auch Branntwein während der Dauer eines Jahres zugebracht, in der Meinung, dass der Verstorbene so lange noch Nahrung zu sich nimmt. Die Leiche wird, im Winter auf einem Schlitten liegend, auf den Scheiterhaufen gestellt, mit lockeren Reisern bedeckt und der Scheiterhaufen angezündet. (Bm. I. p. 27). 48. Giljaken. Am 19. Mai 1856 erreichten wir Chjare (mit einer Jurte am r. Amur-Ufer), wo ich zu Mittag halten liess. Ich erkundigte mich nach Fisch, wurde aber sogleich berichtet, dass kein Fisch gefangen worden sei, weil der alte Wirth der Jurte am gestrigen Tage gestorben und noch unbestattet in der Jurte liege. Ich begab ‘mich sogleich dahin und sah hier die Leiche auf einem Schlitten auf dem Erdboden vor dem Hundetische liegen (Taf. LXII.). Es war der- selbe Alte, der mich im vorigen Jahre zur Jagd auf dem anliegenden kleinen See gefahren hatte. Die Leiche war noch garnicht entstellt, nur die Farbe des Gesichts war dunkler und zwar kupfer- braun geworden, so dass das lange greise Haar von dem Gesichte stark abstach. Der Leichnam war in ein neues blaues Zeug gekleidet, und über den Rumpf mit einer Decke von grauem Zeug bedeckt, auf welcher, über der Brust der Leiche, drei zusammengelegte Stücke bunten Zeuges und zwei Speere, ein grösserer und ein kleinerer, wie sie die Eingebornen gebrauchen, mit rohgearbeiteten kurzen Stielen versehen, lagen. Um den Kopf und zu den Seiten des Ge- sichts lagen Tannenzweige; über die Augen lief eine Schnur mit aufgereihten länglichen Ellernbast-Stückchen, zu dreien auf jedem Auge; an den Ohren lag jederseits eine grosse rothe Perle und auf dem Halse ein dickes Bündel feiner Holzlocken. Die Beine und Füsse waren mit demselben blauen Zeuge bekleidet, wie der ganze Leichnam, und an den Knöcheln und über Giüjaken. Leichenbehandlung. 765 den Zehen mit einer Schnur zugebunden, so dass es die Form von Stiefeln hatte. Hinter dem Kopfe lagen, quer über die Narte gelegt, Jukola *), darauf einige Tabaksblätter in Birkenrinde gewickelt und eine Pfeife. Die Narte war sonst ebenso beschaffen wie gewöhnlich, nur fehlten die Bogen- oder Krummhölzer **) vorn und hinten, statt deren kurze gerade Stangen jederseits vorragten. Der Leichnam war unter der grauen Decke an die Narte gebunden. Nachdem ich wenige Minuten vor der Leiche gestanden, wurden drei Hunde, an einen langen Riemen gespannt, in die Jurte gebracht und der Riemen an der Narte befestigt. Nun hoben mehrere Männer die Narte mit der Leiche auf, während ein anderer die Hunde führte und so setzte sich der Zug in Bewegung (Taf. LXII). Es ging aus der Jurte hinaus an den Vorrathskammern vorbei in den Wald hinter das Dorf, wo der schon durch mehrere Raf’s ***) bezeichnete Bestattungsort der Todten lag, Der Leiche folgte unmittelbar das Weib des Ver- storbenen mit losem Haar, ein Stück Birkenrinde in der Hand und ein monotones Geheul an- stimmend, worin sie jedech bei den übrigen Giljaken, Männern, Weibern und Kindern keine Nachahmung fand. An dem Bestattungsort angelangt wurde die Narte mit der Leiche auf die Erde neben den schon bereitstehenden Scheiterhaufen niedergesetzt. Dieser bestand aus ein paar Reihen abwechselnd längs und quer gelegter Hölzer, von denen erstere die Länge des Körpers hatten. Daneben war ein grosser Haufen Tannenzweige zum Verbrennen der Leiche bereit gelegt). Nachdem die Narte niedergesetzt war, wurden die Hunde abgespannt und einer derselben in's Dorf zurückgeführt, während die beiden anderen an einen Baum gebunden wurden. Nun trat das Weib des Verstorbenen auf den Leichnam zu und nahm ihm die Zeugstücke und Speere, das graue Leichentuch, die Jukola, den Tabak und die Pfeife ab und legte sie bei Seite auf die Erde. Desgleichen band sie ihm die Augenbinde ab und warf sie fort, wie auch das Bündel Holzlocken vom Halse. Alsdann nahm sie ihm aus einer Hand eine Prise feinen Tabaks, aus der andern eine Wurzel, die zwischen die Finger gelegt worden war, und löste endlich die Schnur, welche den Körper an die Narte band. Ein alter Giljake war inzwischen beschäftigt, Tannenzweige auf den Scheiterhaufen auszubreiten. Als dieses Lager fertig war wurde die Leiche von der Narte gehoben und auf den Schei- terhaufen gelegt (Taf. LXIV). Auf dem Boden der Narte lag ein Brett und auf diesem ein grosses Stück Birkenrinde, welche die Spuren des Gebrauches zum Aufbewahren von Beeren an sich trug und jetzt dem Todten zur unmittelbaren Unterlage gedient hatte. Brett und Birken- rinde wurden abgeworfen und die Narte bei Seite geführt, wo ein Giljake sie entzweibrach und die Stücke liegen liess. Andere waren inzwischen beschäftigt, die zwei übrig gebliebenen Hunde zu tödten, was in folgender Weise geschah: Einer der Giljaken hielt den Hund an einer Schnur fest, ein anderer warf ihm ein Stück Jukola vor und während der Hund davon frass, schlug ein dritter mit einem Knüppel nach dem Halse des Hundes und drückte ihn damit *) S. pag. 426 dieses Werkes. 4) Es war Pin. picea, wie alles Uebrige zum Verbren- **) S, Taf. XXXVI, Fig. 1. i. nen der Leiche, wie zur Ausschmückung in der Jurte Ge- *3*) S, Anhang 50. bräuchliche. 766 Die Völker des Amur-Landes. zur Erde, worauf ein vierter dem Thiere ein zugespitztes Stöckchen in’s Herz bohrte. Beide Hunde wurden auf diese Weise getödtet und bei Seite gelegt*). Noch andere Giljaken be- schafften mittlerweile das Feuer zum Verbrennen der Leiche. Dieses darf nach giljakischer An- schauung nicht auf die gewöhnliche Weise durch Feuerstein und Stahl, sondern muss durch Aneinanderreiben von Holzstücken erzeugt werden. Es wurden zu diesem Zwecke aus trocknem Lärchenholze eine Art Spindel geschnitten und zwei längliche Hölzchen mit je einer Höhlung in ihrer ‘Mitte, in welche die Spitze der Spindel genau passte. In diese kleinen Vertiefungen an den Hölzern wurde ein kleines Stückchen Schwamm gelegt, die Spindel mit ihren Spitzen senkrecht in dieselben hineingestellt, und mit Hilfe eines Riemens gedreht, was nach ein paar Augenblicken den Schwamm zünden liess. Das gewonnene Feuer wurde alsdann durch Schwamm unterhalten. (Taf. LXIV, im Vordergrunde links). Unterdessen wurden die übrigen Vorbereitungen am Scheiterhaufen getroffen. Nachdem, wie erwähnt, der Leichnam auf die aufgeschichteten Tannenzweige niedergelegt worden, deckte man ihn mit einer dicken Lage von Tannenzweigen, zu jedoch so, dass die Stirn und der Scheitel mit dem grauen Haar noch aus dem Reisig hervorsahen. Nun wurden ringsum lange Holzscheite, vom selben trockenen Lärchenholz wie alles Uebrige, pyramidenförmig zusammen- gestellt, wobei bloss an der Kopfseite ein kleiner Zwischenraum frei blieb, durch welchen man immer noch den grauen Scheitel durchsah. Dabei wurden zugleich auch nach innen in die Pyramide einige lange Holzscheite auf die Tannenzweige, welche die Leiche deckten, gelegt. Als der Scheiterhaufen somit fertig war, wurde der Platz rings herum etwas gereinigt, indem das troekene Reisig, die kleineren Wurzeln und das Gras um den Holzstoss mit dem Beile fortgeschaflt wurde, damit das Feuer nicht um sich greife. Jetzt nahm die Wittwe des Ver- storbenen den glimmenden Schwamm, wickelte ihn in trockenes Moos, legte ein breites Band von Birkenrinde herum und setzte es durch Hin- und Herschwenken in Flamme, die sie durch andere Birkenrinde noch stärker anfachte. Als sie aus Mangel an Erfahrung nicht wusste, an welcher Stelle das Feuer zuerst angelegt werden müsse, gab ihr ein greiser Giljake die nöthige Anweisung und sie legte das Feuer nun unter den Kopftheil des Scheiterhaufens. (Taf. LXV). Sobald das geschehen war kamen noch andere Giljaken zu Hülfe, nahmen Feuer von dem Weibe und legten es an entsprechender Stelle der andern Seite der Pyramide, unter der Leiche und dann rings um dieselbe herum an, wobei sie zunächst der Birkenrinde sich bedienten. welche unter dem Leichnam auf der Narte gelegen hatte. Das trockene und leicht entzündliche Brennmaterial fasste rasch Feuer und bei dem mässigen Winde stand bald die ganze mächtige Holzpyramide in lichterloher Flamme. Die von derselben ausströmende Gluth nöthigte die Um- stehenden etwas weiter zurückzutreten und da Jagerte dann eine Gruppe von Männern, Weibern und Kindern unter einem Baum, der gierigen Flamme zusehend, die ihren Verstorbenen verzehrte. Nahe davon lag die Verbrennungsstätte eines unlängst verstorbenen alten Weibes aus *) Auf der Taf. LXIV sind durch ein Versehen alle drei Hunde als bei diesem Acte gegenwärtig dargestellt. Giljaken — Leichenbehandlung. Golde — Todtenklage. — Giljaken Grabmäler. 767 demselben Dorfe, und daneben das dazu gehörige noch ganz frische Rafl*). Dieses sollte nun auch dem alten Manne als Rafl dienen und es wurde die Thür geöffnet, damit die Seele des Verstorbenen während des Verbrennens seines Leichnams in diese für sie bestimmte Behau- sung ziehe. Augenblicklich standen darin nur die üblichen, weiter unten (53—55) besprochenen Rafl- Symbole und einige Schaalen und Gefässe aus Birkenrinde und Holz. Ist aber der Leichnam ver- brannt und seine Seele in’s Rafl (zum Weiterwandern nach Mlygh-wo) gezogen, dann werden ihr auch die nöthigen Vorräthe an Beeren, Fisch, Tabak und drgl. in das Raff gebracht. — Als das Feuer etwas gelinder wurde, nahmen die Wittwe und ein paar Männer lange Stangen zur Hand und schoben damit das brennende Holz mehr zusammen; warfen auch neues zu, um die Ver- brennung zu beschleunigen. Bald war auch von der Leiche nichts mehr als der verkohlte Magen zu sehen, welcher am langsamsten verbrannte. Die Menge des verbrannten Brennmaterials und die Frische des Waldes verhinderten jedoch, dass irgend ein unangenehmer Geruch während des Verbrennens der Leiche zu verspüren gewesen wäre. Das Feuer wurde lange Zeit hindurch unterhalten, damit der Körper völlig zu Asche verbrenne, die alsdann zusammengescharrt und (an Ort und Stelle) beigesetzt wird. Inzwischen nahmen die Weiber, und unter ihnen die Frau des Verstorbenen, die getödteten Hunde vor **) und begannen sie abzubalgen, um aus den Fellen einen Pelz (für die Verwittwete) zu nähen. Das Fleisch dieser geopferten Thiere aber wird nicht gegessen, sondern bleibt auf dem Opferplatze liegen und wird natürlich die Beute der Krähen und auch der anderen hungrigen Hunde des Dorfes. (2. S. R. I. p. 10—14). 49. Golde. Als ich im Dorf Chongar (am r. Amur-Ufer) zwischen zwei weiter aus einander stehenden Jurten durchging überraschte mich menschliches Geheul, das mitten aus dem über- mannshohen Grase kam. Ich forschte nach und sah ein Weib, das dort zusammengekauert sass und in den Himmel starrend das Geheul erhob. Einige Zeit sah ich zu, dann erkundigte ich mich nach dem Grunde ihrer Trauer. Sie gab zur Antwort: buöke d. h. todt, stand dann auf und erklärte mir, dass im nächstliegenden Dorfe ihr Mann gestorben sei und sie darüber weh- klage. Doch schien die Unterbrechung ihr nicht unangenehm zu sein, und als ich, um sie in ihrem Schmerz nieht zu stören, fortging, ging sie (wohl durch die Unterbrechung beruhigt) ebenfalls, ihre Wehklage aufgebend nach der andern Seite zur Jurte ab ***). (1. S. R. IV. p. 17). Grabmäler. 50. Giljaken. Hinsichtlich der Bestattung der Leichen bei den Giljaken erfuhr ich von Jutschin Folgendes: Die Leichen werden verbrannt und die Asche in einem Gefäss in die Erde *) Auf Taf. LXV das Häuschen rechts; zwischen die- | lich 3 Hunde statt zweier dargestellt. sem und dem Scheiterhaufen die Verbrennungsstätte. #**) s, Anhang 38. 48. p.765. **) Auf Taf. LXV, ebenso auf Taf. LXIY sind irrthüm- 768 Die Völker des Amur-Landes. gescharrt, worüber ein Leichenhäuschen (Raff) errichtet wird *). Die kleinen Spitzen auf dem Dache des Rafl, wie sie die Abbildung zeigt, (Taf. LXVII, Fig. I.) heissen kargha (das r schnar- rend ausgesprochen). Im Innern des Rafl befindet sich ein in der Mitte durehbohrtes und mit einem Pflocke versehenes, ausserdem noch mit Leinwand oder Zeug überzogenes Brettchen, zum Zeichen, dass unter der Erde eine Leiche begraben ist. Ein ungehobeltes Stäbchen oder ein solcher Stock (wadäach), in die Erde gesteckt, soll ebenfalls einen Ort bezeichnen, wo eine Leiche bestattet ist. (Bm. I p. 18). 51. Giljaken. Im September 1854 entdeckten die Giljaken von Kuik, dass eins ihrer Leichenhäuschen, Rafl’s, von russischen Soldaten zerstört und der Boden, auf dem jenes gestanden, aufgewühlt worden, und kamen sich darüber beklagen. Ich erfuhr dabei, dass sich in der Erde unter den Häuschen die Asche verbrannter Leichen befinde, und darinnen verschiedene bunte Flicke, seltsame Geräthschaften und drgl. deponirt seien. Bei Kuik lagen im Birkenwalde am Amur 4—5 solcher Häuschen zusammen und bildeten einen Begräbnissplatz, während man sonst solcher Baue oft einzeln mitten im Walde findet. Die Giljaken erzählten, dass in dem zerstörten Häuschen die Asche von sechs Kinderleichen in einem Gefäss zusammenlag, worüber ebensoviel Zobelfelle gelegt waren. Letzteres sei geschehen, um ein ähnliches rasches Hinsterben der Kinder, wie es in dem Jahre stattfand, zu verhindern. Jetzt, da das Haus zerstört sei, fürch- teten sie die Wiederkehr der Seuche. (Bm. I. p. 15, 16). 52. Giljaken. Jeder Ort, wo eine Leiche deponirt ist oder die Asche eines Verstorbenen sich befindet, wird von den Giljaken gewissermaassen für heilig und unantastbar gehalten. Kein Giljake rührt daher in ühermüthiger Weise ein Raff an. Auch darf dieses niemals an einen andern Ort versetzt werden. Solches wäre witsch. Ob daher die Giljaken von Kuik über die Plünderung und Zerstörung ihres Rafls auch klagten und weinten, so entschlossen sie sich doch nicht die Ueberbleibsel nach den Dörfern zu transportiren, wohin sie selbst aus Kuik fortgezogen waren. (Bm. 1. p, 56). 53. Giljaken. Ueberblickt man das Innere eines Leichenhäuschens, so findet man darin stets ein längliches Brettchen in aufrechter Stellung: kakk auch tars. Die Mitte desselben ist durchbohrt und das Loch mit einem Pflocke, kylms, zugesteckt; um das Brett ist ein Streifen Leinwand gebunden und bisweilen auch das untere Ende in Leinwand gehüllt und mit verschie- denen Läppchen, kakk- oder tars-rawz, verziert (Taf. LXVIN. Fig. 2). Neben dem Brette, ebentalls in aufrechter Stellung, hart an demselben steht ein Stäbchen, pyk-nger, auf dessen oberem Ende eine kleine löffelförmige Holzschaale aufgesetzt ist (ibid Fig. 4); ferner ein Stäbchen, das an der Spitze durch die Spuhlen von 1—3 und 4 Adlerfedern gesteckt ist, ischam-ngar **) (ibid. Fig. 5), und noch ein drittes, oben hakenförmiges Stäbehen, tutut oder pyk, von einem Ast geschnitten (ibid. Fig. 3). Ausserdem liegen im Häuschen, meist über einander gekreuzt, ein paar Pfeile ohne Spitzen, verschiedene bunte Läppchen, Körbe von Birkenrinde, Holzplatten mit Schnitzwerk u. drgl. Bisweilen sind mehrere der erwähnten Bretter vorhanden und diese *) S. die abweichenden Angaben in Anhang 48. p. 767. | **) tcham-Adler. Giljaken. Grabmäler bei gewöhnlichen Todesfällen. 769 nehmen alsdann nicht die Mitte des Häuschens ein. Wahrscheinlich richtet sich das nach der Anzahl der Leichen, deren Reste unter dem Häuschen ruhen. (Bm. I. p. 16, 51, 69). 54. Giljaken. Nach der Erklärung Surgin’s wird in der Mitte des Kakk, wo ein Holzpflock eingeschlagen ist, ein Stückchen vom Schädel und Haupthaar aus den Ueberbleibseln der ver- brannten Leiche eingelegt. Die Lappen um das Kakk bedeuten Kleidungsstücke, deren der Todte (auf der Wanderung seiner Seele) bedarf. Auch werden dem Verstorbenen, solange die Leiche noch in der Jurte ist, und später, nach der Verbrennung, der Asche im Rafl, verschie- dene Esswaaren, wie Beeren, Fisch u. drgl. hingelegt, daher man in jedem Rafl aller Art Geräth- schaften, Körbe und Schaalen aus Birkenrinde und drgl. findet, auf denen die Speisen nieder- gelegt werden. Das Stöckchen mit der kleinen Schaale an der Spitze soll dem Todten zum rascheren Fortwandern (also als Wanderstab) dienen, die Adlerfedern an dem anderen Stöckchen sollen der Seele gleichsam Schwingen verleihen. (Bm. I. p. 54.) 55. Giljaken. Nach den Mittheilungen Judin’s aus Tebach soll das kleine zackige Stöckchen tutut oder pyk”*), welches man im Rafl neben dem Kakk findet, eine Taube (fıitut) oder einen Kuckuk (pyk) darstellen. Ersteres gilt einem Manne, letzteres einem Weibe. Der Taube oder dem Kuckuk gilt auch das Stöckchen mit der Schaale, in welche Beeren und drgl. zum Essen für den Vogel gelegt werden. Daher auch die Bezeichnung tutut-ngir und Zutut-ngit oder pyk-ngir und pyk-ngit, der Tauben- oder Kuckuks-Schaale, für diese Stöcke. Die Darstellung ist für beide Vögel dieselbe, da sie nur höchst roh mit ein paar Einschnitten einen Vogelkopf angiebt. Das Wort pittyssj bezeichnet dagegen ein anderes Stück im Rafl. Es ist ein kleines Gerüste aus Stöckchen **), woran Beeren, Tabak u.s. w. hängen, deren Bestimmung mir unbe- kannt blieb. Am T7scham-ngar, meinte Judin, werden 6 Federn für einen verstorbenen Mann -und 8 für eine Frau gesetzt. Da es Mittel zum rascheren Fortwandern der Seele sein sollen, so ist hier vielleicht der .verschiedenen physischen, und — nach Ansicht der Giljaken über das Weib — vielleicht auch seelischen Kraft beider Geschlechter Rechnung getragen. Nahezu die- selbe Bestimmung wie das Tscham-ngar soll auch Tutut oder Pyk haben, was nach der von Judin über dieses Stück gegebenen Erklärung recht wahrscheinlich wird. (Bm. 1. p. 87). 56. Giljaken. Bei dem Dorfe Tacht, (am r. Ufer d. Amur) stand hart am Ufer ein neu errichtetes Raff und hart daneben ein Pittyssj d. i. eine Vorrathskammer des Rafl, die auf Sachalin daher auch raff-njo heisst. Es ist das ein kleines Dach, das auf zwei Stangen ruht, ähnlich einem kleinen Taubenschlage. Es überragt mit seinem Dache die Höhe des Rafl's. Unter das Dach des Pittyssj werden Beeren, Fisch und drgl. für den Verstorbenen gehängt. In Kalm (am r. Amur-Ufer) fand ich ein äusserst elegant gearbeitetes Rafl, das der reiche Giljake Kimrkan dem Andenken seiner Frau, einer Tochter Judin’s, und seiner Tochter gesetzt hatte. Es war von aussen mit Schnitzwerk und Arabesken verschiedener Art versehen. Das - *) Bei dem Verf. wechselt mitunter py% mit pyt ab. | an einem Stock befestigtes Dreieck, woran Verschiedenes **) Nach der beigefügten ganz flüchtigen Skizze ein | hängt. Schrenck’s Amur-Reise, Band II. . 98 770 Die Völker des Amur-Landes. schwarz, roth und weiss angestrichene Schnitzwerk stellte verschiedene Thiere dar, Bären, Pferde, Hasen, Hähne, Enten. (Taf. LXIX). Inwendig war das Raff sehr reich ausgestattet. Die gewöhnlichen Stücke desselben: Kalk, Pyk-ngir, Tcham-ngar waren so luxuriös gemacht, dass man sie kaum erkennen konnte. Das erstere war von einem buntfarbigen Zeuge ganz und gar bekleidet, welches messingene Zierrathen trug, wie sie die giljakischen Weiber an ihren Röcken haben, entsprechend der Bestimmung des Kakk’s, nämlich die Bekleidung für den Verstorbenen zu tragen.—Ob die Lappen am Kakk nicht von den Kleidungsstücken der Verstorbenen herrühren? sehr wahrscheinlich, zumal diese Lappen okch, Pelz, genannt werden. — Als Pyk-ngir diente eine kleine mandshurische Schaale. Der Boden des Raf’s war mit einer feinen Schilf- oder Strohmatte ausgelegt. Im Raff lagen ausser den genannten Gegenständen noch eine Menge Birkenrindenschüsseln (mit Beeren u. drgl.), ordentlich über einander gelegt, ein Kästchen, in dem ein Tabaksbeutei und eine Pfeife lag, eine andere Pfeife, die der Tochter Kimrkan’s galt u. drgl. m., und endlich wurden hier die Zöpfe der beiden Verstorbenen, an ihrer Wurzel abgeschnitten, und in Birkenrinde gewickelt, aufbewahrt *). Kimrkan selbst nahm die Gegenstände heraus und zeigte sie mir, scheinbar jedoch ohne viel an die Verstorbenen zu denken. Auch hatte er zum Ersatz der verstorbenen Frau gegenwärtig ihrer drei. In der Nähe des Rafl befand sich die Brandstätte eines Leich- nams, daneben stand das dazu gehörige Rafl. Es wird nämlich das Rafl nicht unmittelbar über Kımrkan’s z. B. waren weithin im Walde verbrannt worden und dort war ihre Asche, wäh- rend das Raff hier beim Dorfe stand. Das Rafl ist somit ein dem Verstorbenen gesetztes Denkmal. Die Verbrennungsstätte war sehr einfach bezeichnet: die Asche zusammengescharrt, durch vier senkrecht gestellte Bretter in einem länglichen Rahmen eingeschlossen und dieser mit Brettern bedeckt; an den Rahmenbrettern aber werden Stöckchen mit Zach’s herumgestellt (s. Taf. LXV, im Mittelgrunde rechts). In Kalm gab es kein Pittyssj. Ich erfuhr, dass ein solches nur dann einem Verstorbenen gestellt wird, wenn beim Tode desselben noch kein Schnee gefallen, anderen Falles aber ist es uitsch ein Pittyssj zu setzen. (2 S. R. I, p. 4—6.) 57. Giljaken. Nach dem Berichte Surgin’s erhält nicht jeder Verstorbene ein Raf. Stirbt nämlich ein sehr kleines Kind, so wird die Leiche nicht verbrannt, sondern einfach umwickelt in die Erde vergraben, und ihr kein Rafl errichtet, denn die Seele eines solchen Kindes wandert nicht, sondern fährt gen Himmel. Sterben grössere Kinder, so werden die Leichen verbrannt und wird über zweien ein Rafl errichtet. Erwachsene bekommen jeder ein Rafl, Männer wie Weiber. Die Leiche eines Ertrunkenen wird verbrannt, über der Asche aber kein Rafl errich- tet, sondern ein Stock in die Erde gesteckt, und daneben ein Boot gelegt. Stirbt ein Giljake *) S. p. 410, wo statt Rakk— Raff zu lesen ist. ten gesammelten Nachrichten weichen zum Theil von ein- **) Die von dem Verf. hierüber an verschiedenen Or- | ander ab, vrgl. 47, 48, 51. Giljaken. Grabmäler bei aussergewöhnlichen Todesfällen. 771 an einer Verwundung durch einen Bären, so wird die Leiche nicht verbrannt, sondern in einem Bau deponirt, der eigens aus sich an den Enden kreuzenden Balken errichtet wird. Ein solches Leichenhaus heisst Zschehyf *)-ngych und liegt gewöhnlich in dem Walde, wo der Verstorbene im Kampfe mit dem Bären gefallen. Die Seele des so Verunglückten fährt nicht gen Himmel. Das Leichenhaus hat eine kleine Oeflnung, durch welche dem Verstorbenen alle möglichen Nah- rungsmittel hingelegt werden, wie Beeren, Fische, Graupen u. drgl. m. Indem diese Gegen- stände bei der Leiche liegen, erhalten sie eine starke Heilkraft gegen verschiedene Krankheiten und kranke Giljaken pflegen daher zu einem solchen Leichenhause sich zu begeben und von der dort deponirten Nahrung etwas . zu geniessen, was dann sogleich gesund macht. Das Deponiren von Nahrung in einem solchen Bau dauert Monate und Jahre hindurch und demzu- folge auch das Besuchen desselben als Kur. Die Leiche eines vom Att (Tiger und Irbis) Getödte- ten wird in ein ähnliches Leichenhaus gebracht, mit Nahrung versorgt und diese als Heilmittel gebraucht. (Bm. I, pag. 54—56). 58. Giljaken. Zwischen Hokk und Kalm (am r. Amur-Ufer) fuhr ich am Ufer dem Grab- mal eines im Strome verunglückten Giljaken vorbei. Hier stand ein kleines niedriges Häus- chen, in der Art aller Giljaken-Gräber, rings von Birkenrinden-Körben und -Schaalen ver- schiedener Grösse umgeben, welche auf das anliegende Gesträuch aufgereiht waren. Es ist die- ses eine gewöhnliche allgemeine Sitte der Giljaken, die Grabstätte von Menschen und Thieren (Bären u.a.) zu bezeichnen. Neben dem Grabmal lag ein Boot, wohl dasselbe, auf dem der Un- glücksfall sich zugetragen hatte **). (1. S. R. I, p. 7.) 59, Giljaken. Die Bewohner der Dörfer Kuk, Hokk, Tyr und Tschilvi (am r. Amur-Ufer) sollen ihre Leichname beerdigen, die andern dagegen, auch die aus Taur-wo und den Dörfern oberhalb bis Chiare {incl.), dieselben verbrennen und ihnen Rafl’s errichten. Ich habe selbst in Chiare viele Rafl’s gesehen. In den genannten Dörfern ist aber die Bevölkerung auch zum Theil tungusisch. (2. S. R. I. p. 8). 60. Giljaken. Nahe bei My (am Amur-Liman) sah ich ein frisches Giljaken-Grab. Das Raff war noch nicht errichtet, die Asche (der verbrannten Leiche) war mit aufrecht und wage- recht gelegten Brettern bedeckt, an deren zwei Enden zu je einem Bündel Holzlocken (Zach) standen. (2. W. R. II, p. 38.) 61. Giljaken. Ist ein Giljake ermordet, so wird seine Leiche ebenso (wie alle anderen) verbrannt, über der Asche aber, im Walde, wird kein Rafl errichtet, sondern ein Wagn ge- setzt ***). Dieser wird aus einem Baumstamme gemacht, der mit der Wurzel aus der Erde gegraben ist. Die verschiedenen Wurzeläste dienen dazu, Kopf, Arme und Beine des Wagn dar- zustellen +). Der Stamm wird mehrere Fuss oberhalb der Wurzel abgehauen, (der Stumpf oben) *) tschehyf — der Bär. gebenen Exemplar ist eine der hinteren Extremitäter **) Vergl. Taf. LXVII. durch ein besonders eingesetztes Holzstück ergänzt ge- ***) S, Anhang 22. wesen und in der Folge herausgefallen. (s. Taf. LXVI. 7) An dem vom Verfasser dem akad. Museum über- | Fig. 1). 98* zer Die Völker des Amur-Landes. zugespitzt und mit dem zugespitzten Ende, an der Stelle wo die Asche des Ermordeten liegt, in die Erde gesenkt, so dass die Wurzel, den Wagn darstellend, darüber hervorragt. Da Morde unter den Giljaken nicht selten sind, so giebt es in vielen Dörfern am Amur Wagn’s, so in Wassj, Kaki, Wair, Kalgho, Tebach u. a. O. Nach der Mittheilung Surgin’s wird ein Wagn nur einem solchen Ermordeten gestellt, der von der Hand eines Giljaken aus einem andern Dorfe fiel. Tödtet dagegen ein Giljake einen anderen im selben Dorfe, so erhält der Letztere keinen Wagn. Ebenso wenig wird ein Wagn gesetzt, wenn ein Vater oder die Mutter den Sohn, und umgekehrt, oder ein Bruder, überhaupt ein Verwandter den anderen todtschlägt. In solchen Fällen wird die Leiche einfach verbrannt. Dasselbe geschieht auch mit der Leiche eines Selbstmörders, sie wird verbrannt, ohne eineu Wagn zu setzeu. \ Der Vogelkopf des Wagn soll dem Ugn (Colymbus arcticus) nachgehildet sein. Dieser Vogel wird von den Giljaken heilig gehalten und in derselben fliegenden Stellung ausgestopft, wie sie der Wagn hat. Solche ausgestopfte Bälge von Colymb. arct. und septentr. sieht man bisweilen an hohen Gerüsten in giljakischen Dörfern hängen. Dem Kopf des Ugn geben die Giljaken bei der Darstellung des Wagn Zähne von Eisen, welche ihm dazu dienen sollen, Rache an dem Mörder zu nehmen !). Da die Seele des Ermordeten gen Himmel fliegt, so bedarf sie auch keiner solchen Ge- genstände, wie sie in’s Raff für die wandernde Seele der eines natürlichen Todes Gestorbenen gestellt werden. (Bm. I, p. 52—54). 62. Giljaken. Wie die Giljaken (an der Westküste von Sachalin) mir erzählten, ver- brennen sie ihre Leichen und errichten über der Asche der Ermordeten Wagn’s. (2. W.R.I,p. 8). 63. Giljaken. Die in Ngachd-wo (am 1. Tymy-Ufer auf Sachalin) versammelten Tymy- Giljaken erzählten, dass sie ihre Leichen ebenfalls zu verbrennen pflegen, wie das am Amur, im Liman und an der Westküste von Sachalin bis Arkai (exel.) stattfindet. Ueber der Asche der verbrannten Leiche wird ein Raff errichtet, in welchem ein Kakk, Pyk oder Tutut und Pyk-ngit oder Tutut-ngit, wie am Amur vorhanden ist. Das Pittyssj ist im Raff vorhanden, und trägt bei den Tymy-Giljaken die Bezeichnung raff-njo, d. i. Leichenhaus-Vorrathskammer, was ganz seiner Bedeutung entspricht. Nur das Tscham-ngar fehlt *). (2. W. R. I, p. 45). 64. Giljaken. Von Arkai an, längs der Westküste von Sachalin, südlich bis Pilja-wo, dem letzten giljakischen Dorfe, sollen die Giljaken ihre Leichen nicht verbrennen, was für uitsch gelte, sondern in hölzernen Särgen, so wie bei den tungusischen Stämmen der Mandshu- rei und Sachalin’s und den Aino’s, in kleinen Häuschen beisetzen. (2. W. R. I, p. 8, 45). 1) Vielleicht soll der Wagn durch sein drohendes Aus- | unzulässig erachtet wird, oder— wie beim Selbstmörder — sehn an die obligatorische Blutrache mahnen, und eben- | von selbst wegfällt. deshalb kein Wagn gesetzt werden in Fällen, wo die *) S. Anhang 53, 55. Rache — wie unter Verwandten und Dorfgenossen — als Sachalin-Giljaken, Oltscha. Grabmäler. 773 Nach einer andern Nachricht werden die Leichen südlich von Arkai beerdigt (2. W. R. I, p. 25. 65. Oltscha. Unweit des russ. Dorfes Bogorodskoje in der Nähe des Oltscha-Dorfes Pullj (auf der Karte Pulu, am r. Amur-Ufer) befanden sich im Walde zwei sehr zierlich gear- beitete, mit verschiedenen Malereien und namentlich Thiergestalten ausgeschmückte Gräber der Oltscha, die bei ihnen den Namen chöldochsa oder chywar tragen *). (2. S. R. I, p. 15.) 66. Oltscha. Die plötzlich ausbrechenden Unwetter aufdem Amur mögen mit die Veran- lassung sein, dass man so oft Grabmäler Ertrunkener am Ufer findet. Ein solches sah ich in Dzai (auf der Karte Dshai) am r. Amur-Ufer (Taf. LXVIID). Es war noch ganz frisch und daher mit allem Zubehör versehen, das in solchen Fällen gebräuchlich ist. Das Urlepo, ein kleines Häuschen wie gewöhnlich, darin der Sarg stand, lag auf der niedrigen Uferterrasse im Ange- sicht des Stromes, umgeben von durchbohrten Birkenrindenkörben und -Schüsseln, die jede Grabstätte bezeichnen. Daneben lag ein Boot und etwas im Hintergrunde stand ein kleines, einem Taubenschlage ähnliches Häuschen. Vom Grabmal führten zwei Reihen in die Erde gesteckter Giamssassa’s bis zum Strome, eine breite Allee bildend. Im Anfange derselben stand eine Holzstange in der Erde, woran viele Schnüre, Birkenrinde u. A. m. hingen. Von dieser Holzstange lief ein dickes Nesselseil zu einer anderen Stange, welche in der Mitte zwischen beiden Giamssassa-Reihen stand, und von dieser zu einer dritten am Ende der Allee hinüber. Im Flusse selbst waren vor dem Ausgange der Allee einige niedrige Stangen in zwei (3?) Hau- fen zusammengestellt **). Es deutet diese Ausstattung des Grabmals auf eine sehr umständliche Ceremonie der Beisetzung hin, wozu Aberglaube und die Furcht vor einem ähnlichen Schick- sal Veranlassung sein mag. Was mir besonders auffiel war, dass vor dem Grabmal ein kleines frisches Baumreis nur leicht in den Boden gesteckt war, wovon eine Schnur durch ein in die Wand des Leichenbäuschens gebohrtes Loch in den Sarg führte ***). (1.S. R. I, p. 54, 55.) 67. Oltscha. (Ergänzungen zu den Notizen über das im Jahre 1855 besuchte Grabmal eines ertrunkenen Oltscha bei Dshai am Amur, das der Verf. im Sommer 1856 nochmals besuchte und diesmal zeichnen liess, was vielleicht einige kleine Abweichungen in der vorigen Schilderung erklärt). — Das Grabmal war noch recht wohl erhalten, ich untersuchte es noch ge- nauer und liess mir einige Erklärungen dazu geben. Im Uilepo oder Uelep stand der Sarg mit dem Leichnam eines Mannes. Der Kopf war zum Strome, d. i. nach Westen gerichtet. Die Schnur, die aus dem Innern bis an ein Baumreis vor dem Uilepo führte, war noch vorhanden. Sie ist am Kopf des Leichnams befestigt. So weit ich den gegebenen Erklärungen entnehmen konnte, wandert die Seele des Todten auf dieser Schnur (siri) aus dem Leichenhäuschen. Aber wozu das, da nach der Erklärung desselben Gewährsmannes die Seele des Ertrunkenen in einen *) s. Taf. LXX, wo in der Unterschrift wohl Oltscha **) Wohl die kleinen Gruppen von Holzlockenstöcken statt Golde zu lesen ist, da in den Tagebüchern keln | auf der Abbilduug; s. den nächstfolgenden Bericht. Golde-Grabmal und überhaupt kein ähnliches sonst be- *+%) Auf der Zeichnung ausgelassen. sprochen wird. 774 Die Völker des Amur-Landes. Seehund, Fisch oder überhaupt ein Wasserthier wandert? Diese Aussage findet ihre Bestäti- gung darin, dass ich in einem kleinen, dem giljakischen Pittyssj ähnlichen Gerüste, das neben dem Uilepo sich befindet, ausser anderen Gegenständen auch zwei Götzen vom Seehunde fand. (Ebenso haben die Oltscha wie die Giljaken den Glauben, dass die Seele eines vom Bären Gefressenen in einen Bären wandert.) Im Gerüste, wo die Seehundsgötzen lagen, dem Usdlep-aündsha, d. i. Leichenhaus-Nacht- lager, lagen ausserdem auf ausgebreiteten frischen Zweigen von Pin. picea, noch folgende Ge- genstände: ein kleiner Kessel, ein Trog (oo) (Taf. LXVI, Fig. 2) und ein hölzerner Stampfer (mönopo) zum Bereiten von Mossj (ibid. Fig. 3), daher auch der Trog mossonso-oto heisst; und auf einem Stäbehen darüber hing ein Feuerstahl nebst einem Rindenkörbchen mit Feuerzeug. Das Baumreis (fura) vor dem Uilep, im vorigen Jahr noch grün, war jetzt verdorrt. Nahe davor befand sich ein Stock (uilep-tıidsha), woran alle möglichen Sachen hingen: leere Rinden- schaalen, Rindenkörbehen mit Beeren, Wurzeln, Sarana-Knollen, Reihen von Sarana u. drgl., mit zahlreichen Holzlocken umgeben. Von diesem Stocke führte eine dicke Weidenbastschnur *) bis zum Fluss, indem sie noch durch mehrere **) Stöcke mit Holzlocken gehalten wurde. Je- derseits von der Schnur lief eine Reihe angehobelter Stöcke (mit Holzlocken). Die dicke Wei- denbastschnur heisst ebenfalls sr, und lässt ıhr Verlaufen bis zum Flusse darauf schliessen, dass sie den Zweck hat, die Seele des Ertrunkenen aus dem Utilep in’s Wasser zu leiten und eine Communication zwischen dem mit allen Utensilien und Vorräthen versehenen Uilep-tudsha und dem Flusse zu bilden, wo die in einen Seehund gewanderte Seele weilt. Nahezu dieselbe Bestimmung haben auch die Bäobu’s; das sind kleine Haufen dicht zusammengesteckler an- gehobelter Stöcke, welche vor dem Ende der Bastschnur und der zwei Reihen von Holz- lockenstöücken am Wasserrande stehen. Zwischen diese Stäbe wird nämlich Mossj gelegt, oflen- bar für die Ertrunkenen, und es sind daher mehrere Bäobu’s vorhanden, je nach dem höheren oder niedrigeren Wasserstande, Zur Seite der einen Reihe von Holzlockenstöcken lag ein Boot, mit dem Spiegel zum Flusse gerichtet. Ausser dem erwähnten Uilep-aündsha war daneben noch ein anderes, ähnliches, nur etwas grösseres vorhanden, in welchem ebenfalls Schaalen u. drgl. sich befanden. — Um das Grabmal waren mehrere Feuerstellen und ein Nachtlager-Gerüst zu sehen, ein Beweis, dass hier Eingeborene genachtlagert hatten. Von ihnen rührten auch oflenbar die frischen Tannenzweige im Utlep-aündsha und neben dem Uilepo selbst her. Wahrscheinlich ist, dass ein Gedächtniss-Besuch der Angehörigen des Ertrunkenen stattgehabt hat. (2. S. R. I, p. 33—35). Das Leichenhäuschen (rilepo) hat dieselbe Grösse wie die gewöhnliche Choldochsa, wenn der Leichnam des Ertrunkenen gefunden und in dem Häuschen beigesetzt wird, während man anderenfalls zu seinem Gedächtniss ein viel kleineres von ganz ähnlicher Bauart errichtet, so z. B. in Aure. (2. S. R. I, p. 26). *) im vorherstehenden Bericht: Nessel-Seil. **) oben — drei Stöcke. Oltscha, Orotschen. Grabmäler. 775 68. Orotschen. In der Umgebung eines Orotschen-Dorfes bei de Castries lagen im Walde mehrere Gräber, die mit denen der Oltscha ganz übereinstimmend sind: kleine Häus- chen mit je einer Thür an den Querseiten. Sie sind indess bedeutend grösser als die kleinen Grabmäler der Giljaken, da die Leichen bei den tungusischen Amur-Völkern nicht erst ver- hrannt werden. Im Innern der Häuschen sah ich stets eine oder mehrere lange hölzerne Kisten, wahrscheinlich Särge, liegen und es fehlten jene Bretter und Stöckchen mit Holzschaalen und Adlerfedern u. drgl., wie die Giljaken-Gräber sie haben (s. Taf. LXX). (1. 85. R. I, p. 37). 69. Orotschen. Auf der Westseite der Observatoriums-Insel (in der Bai de Castries) ne- ben den Resten früherer Orotschen-Zelte, befinden sich noch alte Gräber dieses Volkes. Eins derselben war geöffnet und ich fand in dessen Mitte einen ebenfalls geöffneten Sarg. Er war einfach aus fünf Brettern zusammengeschlagen, das obere Brett fehlte. Die Bretter waren in der Weise mit einander verbunden, dass am Ende eines jeden Brettes ein Stift (oder Zapfen) stehen gelassen und dieser durch ein Loch im daranstossenden Brette gesteckt war *). Der Sarg hatte eine Länge von 5 und eine Breite von 1 Fuss und 2—3 Zoll. (1.S. R. I, p. 43 u. 44). ich auf ein Orotschen-Grabmal. Ein Sarg aus 6 Brettern in eigenthümlicher Weise, durch Zinken, zusammengefügt, stand völlig frei und unbedeckt auf 3 einander im Dreieck gegenüber- stehenden Baumstämmen etwa 4—5 Fuss über der Erde. Bei zweien derselben war an jedem je eine dünne aufragende Zinke über dem Stamm stehen gelassen ***), am dritten Stamme wa- ren ihrer zwei vorhanden. Auf diese Zinken waren von den beiden ersteren Stämmen nach dem dritten hin Stangen gelegt, jede an ihren Enden mit einer entsprechenden Oeflnung für die Zinke versehen. Auf diesen Stangen (quer darauf gestellt })) ruhte der Sarg, oben mit eben- solchen Stangen zugedrückt, so dass er zwischen 2 Paar Querstangen stand, welche von den Baumstämmen getragen wurden. Die im Sarge beigesetzte Leiche war in Birkenrinde gewickelt. Wir erfuhren, dass es das Grabmal eines hier verstorbenen Orotschen-Weibes aus dem Dorfe Tzidzuö (Zidsu& a. d. Karte) an der Meeresküste sei. Es soll dieses die gewöhnliche Weise der Leichenbestattung der Orotschen sein, wenn, wie im vorliegenden Falle, der Tod durch Krankheit erfolgt ist. Ein derartiges Grabmal heisst gda-chöldochsa. Männer, Weiber und “Kinder werden in derselben Weise bestattet. Uebrigens soll diese Bestattungsweise bei den Orotschen auch in Fällen gewaltsamen Todes gebräuchlich sein, während die Oltscha ein Chöldochsa (das Häuschen), wie die Gilja- ken das Rafl, nur den «ruhig» (eines natürlichen Todes) Verstorbenen errichten, die Leichen Ermordeter hingegen in einer Igda-chöldochsa bestatten, welche denjenigen der Orotschen ganz ähnlich sein soll, nur dass der Sarg höher über der Erde steht. Ist ein Oltscha oder Orotsche in Folge von Verwundung durch einen Bären gestorben, so wird ihm ein eigenes Grabmal, ein sogen. 7z&üpo errichtet. Dieses ist äusserst einfach, indem *) s. Taf. LXX. - ek) Es sind somit Baumstümpfe gemeint. **) Pjedanj = Pje-Mündung. +) nach einer kleinen schematischen Zeichnung im Texte, 776 Die Völker des Amur-Landes. der Sarg auf ein Paar Längsstangen, die auf den Boden gelegt werden, gesetzt und an den Sei- ten befestigt wird, worauf vor einem Ende des Sarges zwei Tannenzweige (von Pin. picca) in den Boden gesteckt werden. Ein solches T&üpo war auch neben den Oltscha-Grabmälern bei Pjedanj, doch fehlten die Tannenzweige, was bei einem vom Bären Zerissenen nicht sein darf. Verschieden halten es die Bewohner der einzelnen Dorfschaften und Localitäten mit der Lage, die sie dem Leichnam im Sarge in Bezug auf die Himmelsgegenden geben. Das Bestim- mende scheint dabei nicht sowohl die Sonne, sondern bei den Küsten-Bewohnern das Meer und bei den Amur-Anwohnern der Strom zu sein. Doch herrschen je nach der Lovalität verschie- dene Sitten. Die Orotschen der Küste von Nangmar bis Idi sollen die Leichen in den /gda- chöldochsa mit dem Kopfe zum Meere, d. i. nach Osten legen. An dem Orotschen-Grabmal in Pjedanj war aber der Kopf zum Pje-Fluss, also nach Westen gekehrt. Dieselbe Lage geben auch die Oltscha von Pjedanj, wie diejenigen am Amur-Strome in den Dörfern Kidsi, Dshai u.a. ihren Todten in den Chöldochas’s. In de Castries sind die Oholdochsa’s, die nicht weit vom Dorfe liegen und dort verstorbenen Oltscha’s angehören sollen, während die ganze Bevölke- rung doch aus Orotschen besteht, mit der Thür nach dem Westen, also zum fernen Amur- Strome hin und nicht zum Meere nach Osten gerichtet. Die Thür an der Choöldochsa befindet sich aber immer am Kopfende des Leichenhauses. Es hätten sich somit diese Oltscha’s, wenn es wirklich solche waren, nach der Sitte ihrer Heimath gerichtet. Doch findet auch am Amur nicht in allen Dörfern dieselbe Sitte statt. So sollen z. B. in Darachta, am linken Ufer des Amur, wo dieser die Richtung nach Norden hat, die Leichen seitlich in den Sarg gelegt wer- den, so dass sie mit dem Gesicht und der Brust nach Osten gekehrt sind, wobei zugleich der Kopf stromaufwärts nach Süden, die Füsse stromabwärts nach Norden liegen. Bei den Gilja- ken scheint durchaus der Strom für die Stellung des Raff’s massgebend zu sein, indem ich die Thür des Rafl’s stets gegen den Strom gekehrt gesehen habe, wie auch dessen Richtung ge- wesen sei, so in Kuik, Kalgho, Tacht, Kalm und Chjare, an beiden ersteren Orten also nach Süden, an den letzteren nach Westen. (2. S. R. I, p. 25—27). Von dem Verfasser verzeichnete Druckfehler in der I. u. II. Lieferung des III. Bandes: Druckfehler in der I. Lieferung. Seite 37_ Anm. 3 statt p- 167 lies p. 166. » 47 » 2 » T. III, 1869 » T. IV, p. 1871. » 47 DIER » 433, 434 » 433. » 50 » 2 » "14 » I. De 59 » 14 Zeile 4v. ob. statt Ni lies I. » 61 NO. » Su » N 1 » I. » 69 Text De Be) an einen » an einem, » 77 » » Den » Sisska » Ssisska. » 86 » » 2 » » Capit.-Lieut. » Capit. 1-ten Ranges. » 125 Anm. » Sue) » Millet » Milet. » 126 » 3S5p2» 15 » » ausser der » ausser den, » 4144 Text » 18 » » Amur-Landes » Amur-Landes. Bl » » 14 » » des Amur-Lnndes » des unteren Amur-Landes. » 154 » » 13 » » Chamykan » Chambykan. » 161 Anm. 1 »—-.» » p- 339 » p- 333, 339. » 168 Du Br AgYTy » p- 382 » p- 375. : En e - ; a » » Ladyschinskij » Ladyshinskij. » 4180 Text Dale » könnte » konnte. » 485 Anm. 1 » DA) » nur 37 » nur 39. » 220 Text » BED » Stite » Seite. » 222 » » 20 » » struppig » schlicht. » 272 » DS) » wesleuropäischen » europäischen. » 285 Anm. 1 letzte Zeile » » p. 1414, 1415 » p- 1415, 1416. » 286 »4 Ar Zeile, 4,4» » p. 1409 » p- 1408, 1409. » 291 Text » 23 » » südöstlichen » südwestlichen (?). » 305 » Dumas > » Südwesten » Südosten. Berichtigungen und Zusätze. Zu p. 83, Anm. 3. An ein paar von mir übersehenen Stellen des Tö-tatskiko (p. 172, 173) überseizt Sie- bold «Karia» schlechtweg durch Baumrindenhütte. Meine Deutung des Wortes a. a. ©. («Rindenzelt») ist also ganz richtig. Ob sich aber auch die vermuthliche Entlehnung desselben für den Russischen bestätigen sollte? Druckfehler in der LI. Lieferung. Seite 349 Anm. 2 statt 373 lies 338. » 372 Dee » 1583 » 1533. » 40 Text Zeile 5v.unt. » Rakk » «Raflı *). » 414 a » 10v.ob. » 499 » 388. » 490 letzte Zeile » Westen » Osten, *) Nachträglich bemerkt. “ \ ua { . i D . \ ‚l 1 01 van ı \ u a Da TO a a AR‘ ee R - = u; 2 je 2 RE EW ECK a art. 5 het S ARCk N } v 3 $ al n ra DE N a) f | L u lu. (H L ) 1 ve y x « LITEER = arte un. u N Er 4: nk", ren Le Fun 2 Di uen N) u 1%; li j = Eule Hr ir Ya ’ E ke RETTEN = rL 2 ehr j EHLH eh wur ; # urn Kun vr ATi 2 ’ Rn it 5 Y fun Ta ale ve Fr k Mn UNS Js, a a 1 re 27 2 han 7 FR ale RE FE N ©. 0 120,2 hc Sind u De Da 7} in, ne OL FE A A er run u 2 NS N 2200 BR ZEIT dhpnsdO dunwmgeyft RER 7 POpU 7 Bey > . 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